Sie sind auf Seite 1von 820

Roman P.

Falta
Christian Dueblin
Herausgeber

Praxishandbuch
Legal Operations
Management
Praxishandbuch Legal Operations
Management
Roman P. Falta · Christian Dueblin
(Hrsg.)

Praxishandbuch Legal
Operations Management
Herausgeber
Roman P. Falta Christian Dueblin
Professional Services Management Professional Services Management
QUADRAGON MANAGEMENT LLC QUADRAGON MANAGEMENT LLC
Zürich, Schweiz Basel, Schweiz

ISBN 978-3-662-50505-2 ISBN 978-3-662-50506-9 (eBook)


DOI 10.1007/978-3-662-50506-9

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;


detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017


Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht
ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und
die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk
berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der
Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann
benutzt werden dürften.
Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in
diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch
die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des
Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen
und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral.

Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier

Springer ist Teil von Springer Nature


Die eingetragene Gesellschaft ist Springer-Verlag GmbH Deutschland
Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
Vorwort 1: Christian Dueblin

Ein Buchprojekt wie das vorliegende anzugehen, ist eine Herausforderung, die
wir als Herausgeber gerne angenommen haben. Mit der Herausgabe dieses Wer-
kes ist eine mehrjährige Arbeit abgeschlossen, die sehr intensiv, aber auch enorm
interessant und lehrreich war. Ich möchte mich deshalb an dieser Stelle bei
Roman P. Falta für seine Initiative, dieses Projekt in Angriff zu nehmen, bedan-
ken. Er hat mit seinem profunden beruflichen Wissen als versierter Jurist und
Unternehmensberater zum Thema Legal Operations Management wesentlich zum
Gelingen dieses Buchprojektes beigetragen.
Das Buchprojekt war zudem nur möglich, weil viele Fachexperten rund um
Legal Operations Management und dessen Schnittstellen dafür zu begeistern
waren. Die Zusammenarbeit mit den am Buch beteiligten Personen war in ver-
schiedener Hinsicht sehr bereichernd. Mein Dank gilt deshalb insbesondere auch
den vielen Autorinnen und Autoren, die sich bereit erklärt haben, ihre persönlichen
Erfahrungen in das Buch einzubringen, sowie den Interviewpartnern, die sich die
Zeit genommen haben, Fragen zum Thema Legal Operations Management kritisch
zu beantworten.
Mein Dank gilt auch Prof. Dr. Heinz Riesenhuber, der in seinem Vorwort auf
wichtige Zusammenhänge rund um das Thema Recht hinweist. Sein Erfahrungs-
schatz, nicht nur als Politiker, sondern auch als Aufsichtsrat, Wissenschaftler und
international unternehmerisch denkende Persönlichkeit, ist sehr wertvoll. Sein
Vorwort ist ein Appell an die Mitarbeitenden von Rechtsabteilungen, vernetzt
zu denken. Gerade der General Counsel muss sich nicht nur mit rechtlichen Fra-
gen, sondern auch mit wirtschaftlichen Zusammenhängen auseinandersetzen, um
zusammen mit seinen Mitarbeitenden für das Unternehmen bestmögliche Resul-
tate erzielen zu können.
Ferner möchte ich mich bei Dr. Hans Bollmann bedanken, Autor des Buches
„Es kommt drauf an!“ und profunder Kenner des anwaltlichen Berufsstandes. Ich
habe ihn als Sparring Partner erlebt, der wichtige Inputs geben konnte.
Mein persönlicher Dank gilt auch dem 2012 verstorbenen Robert A. Jeker, der
diesem Buch gegenüber von Anfang an sehr positiv eingestellt war. Er war mir
großer Motivator, dieses Projekt anzugehen.
Dank gebührt schließlich auch Lisbeth Schellenberg, die sich freundlicherweise
bereit erklärt hat, das Buch zu korrigieren. Als Juristin war sie dazu geradezu prä-
destiniert.

V
VI Vorwort 1: Christian Dueblin

Zum Schluss möchte ich allen weiteren Personen danken, die offiziell und
inoffiziell zu diesem Buch beigetragen haben, ganz besonders auch meiner Frau,
Aglaja Dueblin, die das Projekt mit großer Aufmerksamkeit und steter Hilfsbereit-
schaft als kritische Gesprächspartnerin begleitet hat.
Mit den Beiträgen der Autorinnen und Autoren, den Aussagen der Interview­
partner sowie mit unseren eigenen Beiträgen rund um das Thema Legal Opera-
tions Management beleuchten wir einige für Rechtsabteilungen relevante Themen
und zeigen Schnittstellen zu andern Bereichen auf.

Christian Dueblin
Herausgeber
Vorwort 2: Prof. Dr. Heinz Riesenhuber MdB

1. Legal Operations Management – die Herausgeber lassen in ihrer Weisheit


Autoren aus unterschiedlichen Erfahrungsbereichen sprechen und ihr Adres-
sat ist in erster Linie der General Counsel, aber auch alle anderen Mitarbei-
tenden sowie ihre Vorgesetzten von Unternehmen, auch Behörden, die sich im
Geschäftsalltag mit rechtlichen Fragen beschäftigen müssen. Sie alle stehen in
der Mitte zwischen zwei Welten:
– der Welt des Unternehmers, der glücklich wäre, eine Vereinbarung per Hand-
schlag zu besiegeln;
– und der Welt des Gesetzgebers und der Richter, die um Hilfe gerufen wer-
den, wenn sich zeigt, dass es nicht nur ehrbare Menschen und Kaufleute gibt.
Eine Welt der ehrbaren Kaufleute wäre wohl eine Welt ohne General Counsels
und andere Fachspezialisten.
2. Es wird unter anderem berichtet, dass in Japan über lange Zeit Verträge ein-
fach waren. Man habe vertraut und Vertrauen ist eine gewaltige Ressource. Da
konnte ein schlauer Kaufmann seinen Streitfall vor Gericht gewinnen. Aber mit
einem so schlauen Kaufmann macht man keine Geschäfte mehr, und so blieb
das System stabil; so sagt man.
Doch heute muss der ehrbare Kaufmann damit rechnen, dass sein Partner
nur ein schlauer Kaufmann ist. Darum wird die Welt weitgehend durch das
Recht und Richter geordnet, von denen man sich Gerechtigkeit erhofft.
3. Zwei Rechtskulturen konkurrieren, die die Gewichte unterschiedlich setzen
zwischen Legislative und Jurisdiktion:
– Das kontinentaleuropäische Recht vertraut vor allem auf die festgeschrie-
benen, kodifizierten Normen, seit dem Code Napoleon und dem Deutschen
Bürgerlichen Gesetzbuch. Das macht den Umgang mit Verträgen einfacher,
weil der Raum für das Ermessen der Richter enger wird. Aber die Weiter-
entwicklung des Rechts ist langsam, denn der Gesetzgeber arbeitet nicht
schnell, und er darf das auch nicht, wenn das Gesetz verlässlich sein soll.
– Dem gegenüber steht das anglo-amerikanische common law, das überwie-
gend von Richtern, nicht aber vom Gesetzgeber gestaltet wird, eine große
Herausforderung des Legal Managements in unseren Breitengraden.
­
Seine Stärke ist die Dynamik in der Reaktion auf neue Aufgaben. Aber

VII
VIII Vorwort 2: Prof. Dr. Heinz Riesenhuber MdB

Verträge können sehr umfangreich sein, denn sie schließen oft kunstvoll
die denkbaren Eventualitäten aus oder ein, weil sie in sich stehen müs-
sen. Ein fruchtbares Feld für Anwälte und ihre Unternehmen. In Amerika
haben die Anwälte einen gewaltigen Wirtschaftssektor aufgebaut.
4. Schon die Festschreibung des Willens der Vertragspartner kann von herausfor-
dernder Komplexität sein. Eingefügt muss er werden in die Rahmenbedingun-
gen, die der Staat setzt, aus durchaus unterschiedlichen Gründen:
– Gesetze schützen das gemeinsame Gut Umwelt vor der Ausbeutung. Das alte
Problem der Allmende hat sich zu sehr hoher Komplexität entwickelt.
– Das Steuerrecht etwa sichert die Finanzierung des Staates, und es wird umso
komplizierter, je listiger tüchtige Juristen nach Lücken forschen.
– Gesetze bestimmen die Unternehmensverfassung, die Transparenz der Bilan-
zen, die sozialen Standards, die Bedingungen der Tarifpartnerschaft und vie-
les mehr.
5. Dies alles überschaut der General Counsel, und an der Grenze des J­ ustiziablen
hat er im Blick, was den guten Namen des Unternehmens ausmacht: Die Cor-
porate Social Responsibility, die Chancen für Frauen, für Minderheiten, für
Behinderte, die Corporate Governance und die entsprechende Compliance.
Dies alles zu begreifen, und im Sinne seines Unternehmens zu handeln,
das ist die Herausforderung an den General Counsel und andere Fachspezi-
alisten. Dazu gehört ein tiefes Verständnis für das Geschäftsmodell seines
Unternehmens, für die Firmenkultur und die Arbeitskultur, die er mitzuent-
wickeln hat.
6. Das vorliegende Buch zeigt in vielfältigen Facetten die Herausforderung,
– dass der Legal Counsel den Raum der unternehmerischen Entscheidung weit
offen hält, das ist ebenso essenziell wie seine Härte, wenn Grenzen über-
schritten werden könnten.
– In besonderer Weise ist er der Hüter des guten Namens des Unternehmens.
Der gute Name: Das ist wirtschaftlicher Erfolg. Aber das ist auch der Friede
mit den Mitarbeitenden und mit den Aktionären. Das ist die Vermeidung von
Streit. Aber wenn er streitet, dann muss der General Counsel gewinnen. Er
ist Partner des Unternehmens bei einem großen Ziel: Dass das Unternehmen
geachtet wird als good corporate citizen, soweit sein Name reicht.
7. Schließlich ist in unserer Rechtskultur der General Counsel Partner für die, die
das Recht weiterentwickeln. Die Parlamente bedürfen der Rückkoppelung in
die Wirklichkeit der Wirtschaft, wenn sie eine angemessene gesetzliche Gegen-
welt entwickeln wollen. Dabei vertritt das Unternehmen seine Interessen, und
anderes erwartet auch niemand. Aber entscheidend ist, das Ganze im Blick zu
behalten – entscheidend für die sinnvolle Weiterentwicklung des Rechts, aber
ebenso entscheidend für die Relevanz und den Erfolg vernünftiger Lobbyarbeit.
Das Ganze im Blick zu behalten, fair und vernünftig zu argumentie-
ren, das ist die Voraussetzung für eine Weiterentwicklung des Rechts unter
den Bedingungen immer neuer technischer, sozialer und wirtschaftlicher
­Herausforderungen – ohne dass die Gesetze undurchschaubar werden dürfen
Vorwort 2: Prof. Dr. Heinz Riesenhuber MdB IX

und die Bürokratie so wächst, dass unternehmerische Freiheit schwindet und


die Zukunft eng wird.
Daran zu arbeiten haben wir alle, die wir bereit sind, Verantwortung zu überneh-
men in Wirtschaft, in Recht und in Politik.

Prof. Dr. Heinz Riesenhuber MdB


Bundesforschungsminister a.D.
Vorwort 3: Dr. Peter Kurer

Rechtsrisiken stellen für global tätige Unternehmen zunehmend eine zentrale


Bedrohung dar. Befragt man die Chefs von großen Firmen, was für sie die größ-
ten Quellen von unternehmerischen Unsicherheiten sind, erwähnen sie regelmä-
ßig Rechts-, Compliance- und regulatorische Risiken. Gemäß vielen empirischen
Erhebungen werden diese heute oftmals als gefährlicher eingestuft als die tradi-
tionellen unternehmerischen Gefahrenquellen wie die wirtschaftliche Situation,
Technologien oder Umweltgefahren. Befragt man die gleichen Unternehmensfüh-
rer, ob sie diese Risiken verständen und im Griff hätten, bewegen sich die bejahen-
den Antworten im Bereich von mageren 25 %.
Mithin haben wir es mit einem Paradox zu tun: Globale Unternehmensführer
sehen allenthalben rechtliche Risiken lauern, aber sie haben keine geeignete Ant-
wort darauf, wie man diese in den Griff bekommt. Dies ist nicht weiter erstaun-
lich. Rechts- und Compliancerisiken sind Kinder der jüngsten wirtschaftlichen
Entwicklung und haben sehr viel mit den Fährnissen einer raschen Globalisierung
der Unternehmenswelt zu tun. Vor dieser Entwicklung, die vor rund einem Viertel-
jahrhundert einsetzte, wurden rechtliche Fragestellungen nicht als unternehmeri-
sches Risiko wahrgenommen, sondern bloß als lästige Probleme, die von Zeit zu
Zeit auftauchten und von guten Anwälten oder der internen Rechtsabteilung abge-
arbeitet wurden.
Angesichts der skizzierten Entwicklung müssen nun Rechtsrisiken ganz anders
adressiert werden. Größere, aber auch mittelgroße Unternehmen, sollten die neuen
rechtlichen Herausforderungen als eine eigentliche Managementaufgabe akzeptie-
ren und zu diesem Zwecke ähnliche Werkzeuge einsetzen, wie sie dies in anderen
Kernbereichen der unternehmerischen Tätigkeit tun, zum Beispiel für Strategie,
Marketing, Verkauf, Finanzen und Personalwesen. Auch wenn die Unternehmen
noch nicht ausreichend über einschlägige Erfahrungen verfügen, müssen sie nun
rasch und zielgerichtet entsprechende Kompetenzen entwickeln und geeignete
Prozesse aufziehen.
Und das ist genau das, was seit einigen Jahren geschieht. Man kann das an
zahlreichen Vorgängen nachverfolgen. Der offensichtlichste ist sicherlich der
rasche Aufstieg der General Counsels in die obersten Chefetagen. Bei praktisch
allen großen Unternehmen sind in der Zwischenzeit die General Counsels direkt
dem CEO unterstellt und gehören normalerweise auch der Geschäftsleitung an.

XI
XII Vorwort 3: Dr. Peter Kurer

Einen gleichen Trend kann man zunehmend auch für die General Counsels mittel-
großer Unternehmen beobachten und ebenso für die obersten Verantwortlichen im
Compliancebereich.
Ein weiteres Zeichen für die dargestellte Entwicklung ist die Tatsache, dass die
Unternehmen mehr und mehr Geld für die internen Rechtsabteilungen und externe
Beratung ausgeben müssen. Dies ist zwischenzeitlich ein großes Problem gewor-
den, und die Unternehmensführer betreiben immer mehr ein scharfes Kosten-
management in diesem Bereich und verlangen „Mehr für Weniger“. Zunehmend
werden zu diesem Zweck neue Technologien wie vollständige Digitalisierung von
Beratungs- und Complianceprozessen, Big Data oder automatische Dokumenten-
bearbeitung eingesetzt. Verhaltenssteuerungen, die sich aus den Erkenntnissen der
Behavioral Economics und der Sozialpsychologie ableiten, kommen zum Einsatz,
um das Verhalten der Mitarbeiter in Richtung einer besseren Compliance zu beein-
flussen. Die Bearbeitung der rechtlichen Risiken wird in konvergenten Prozessen
in das gesamte Management der unternehmerischen Risiken eingebettet und ent-
sprechend gesteuert.
An der Bearbeitung von rechtlichen Risiken sind nun plötzlich nicht nur Juris-
ten beteiligt, sondern viele andere Experten wie Risikomanager, interne Reviso-
ren, forensische Analytiker, Projektmanager und Kommunikationsberater. Im Zuge
dieser Entwicklung verschiebt sich der Schwerpunkt der rechtlichen Tätigkeit für
Unternehmen zunehmend von den externen Anwälten zu internen Rechtsabteilun-
gen und Compliancefunktionen. Die Leiter dieser internen Abteilungen verstehen
sich nicht mehr als bloße Berater, sondern als Manager, die im Team und inter-
disziplinär mit anderen Managern zusammenarbeiten. Ihre Expertise besteht nicht
nur in traditionellen juristischen Fähigkeiten, sondern muss zwangsläufig vertiefte
Kenntnisse in Managementtechniken, Führung, Technologien und Verhaltenssteu-
erung umfassen.
Das vorliegende Buch wendet sich an diese modern ausgerichteten Manager
und Managerinnen von Rechtsfunktionen, die ihrer Aufgabe und den ständig stei-
genden Anforderungen genügen und sich entsprechend weiterbilden wollen. Es
behandelt aus verschiedenen Perspektiven die entsprechenden Strategien, Werk-
zeuge, Prozesse und Techniken. Es liefert einen zentralen Beitrag zum besseren
Management von rechtlichen Problemstellungen.

Dr. Peter Kurer


Ehemaliger General Counsel sowie
Verwaltungsratspräsident der UBS und
Autor von Legal and Compliance Risk
([2015] Oxford University Press).
Vorwort 4: Dr. Hans Bollmann

Gleich mehrere Vorworte zum gleichen Text im gleichen Kompendium, das mag
auf den ersten Blick etwas außergewöhnlich erscheinen. Auf den zweiten Blick ist
es immer noch außergewöhnlich, aber einleuchtend, denn, wie die Herausgeber
schreiben, richtet sich das vorliegende Werk an eine sehr vielseitige Leserschaft:
nicht nur an Legal und General Counsels, sondern auch an Aufsichtsräte, CEOs,
CFOs und weitere Führungskräfte von KMU, Großunternehmen und multinationa-
ler Konzerne sowie an Behörden. Dabei stapeln die Herausgeber noch tief, was an
sich sympathisch ist, sie lassen eine weitere Berufsgattung fast außen vor, welcher
das vorliegende Werk mindestens auszugsweise sehr zu empfehlen, wenn nicht gar
als Pflichtlektüre vorzuschreiben wäre. Gemeint sind die Anwälte – von denen der
hier Schreibende einer ist –, genauer diejenigen Anwälte, die mit Rechtsabteilun-
gen zu tun haben (und welche Anwälte haben das nicht oder möchten es nicht?).
Wieso sollten diese Anwälte das vorliegende Kompendium auch lesen, mindes-
tens auszugsweise?
Weil es zum kleinen ABC des Anwalts gehört, das Bedürfnis seines Klienten
genau zu kennen und das heißt zu analysieren. Know your Client (KYC) ist die
Devise und das bezieht sich nicht nur auf die unmittelbaren Bedürfnisse des Kli-
enten, sondern insbesondere beim „corporate client“ auch auf dessen Geschäft und
dessen Organisation, somit auch auf die Organisation und das Funktionieren seiner
Rechtsabteilung, deren Eingliederung in die Governance Struktur und die Schnitt-
stelle mit dem Outside Counsel. Womit wir mitten im Legal Operations Manage-
ment sind.
Es kann noch einen weiteren Grund geben, weshalb das vorliegende Werk für
Outside Counsels, sprich Anwälte, Pflichtlektüre sein kann: Der Fall nämlich, in
dem wir, und das heißt sinnvollerweise meist unsere ganze Kanzlei, die gar nicht
so seltene und zudem sehr schöne Aufgabe einer, horribile dictu, „outgesourcten“
Rechtsabteilung übertragen erhält. Von einem Klienten, der selber keine solche
interne Rechtsabteilung unterhalten kann oder will. Dann erst recht respektive spä-
testens dann müssen wir als Anwälte uns Gedanken machen, ähnlich denjenigen
eines General Counsel, wie die „outgesourcte“ Rechtsabteilung zu organisieren ist,
damit sie die Bedürfnisse des „corporate client“ effizient und zweckmäßig erfüllen
kann. Das aber sind Probleme, zu denen das vorliegende Werk mehr als nur einige
Anregungen enthält.

XIII
XIV Vorwort 4: Dr. Hans Bollmann

Vielleicht gibt es noch einen dritten Grund, weshalb Anwälte das vorliegende
Werk mit Gewinn lesen, sofern es denn der Nennung noch eines weiteren Grun-
des bedarf: Die Anwaltskanzleien im DACH-Raum haben in den letzten 20 Jahren
in Sachen Organisation und Management nolens volens eine wesentliche Wand-
lung durchgemacht. Auch und gerade bei Anwälten gilt eben der Gemeinplatz,
wonach die eigene persönliche Freiheit an der persönlichen Freiheit des Nachbarn,
auch Büronachbarn, seine Grenze findet und dass diese Grenze enger gezogen
wird, je mehr „Nachbarn“ einen umgeben. Mit anderen Worten: Wie groß auch
immer der Unabhängigkeitswille der einzelnen Anwälte und Partner ist und je grö-
ßer die Kanzleigemeinschaft wird, desto mehr organisatorische Beschränkungen
werden nötig. In den letzten 20 Jahren sind auch im DACH-Raum die Kanzlei-
größen weiter angewachsen, mit entsprechenden organisatorischen „Freiheitsbe-
schränkungen“. Dabei haben wir im DACH-Raum nur (wenn auch in kleinerem
Ausmaß) nachvollzogen, was man im angelsächsischen Raum schon länger beob-
achten konnte. Viele von uns wollten aber die Angelsachsen gar nicht so genau
beobachten, weil sie das, was sie sahen, für sich nicht für erstrebenswert hielten.
Auch heute noch sträuben sich viele Anwaltskanzleien gegen die Einführung
einer klarer definierten Organisation mit der Delegation von Kompetenzen an ein
Management. Sie führen eine Art Verzögerungskampf dagegen in dem Sinne, als
nur gerade so viel Delegation gestattet wird als unbedingt nötig zur Vermeidung
eines Chaos ist. Unter günstigen Umständen, sprich bei wenig Konkurrenz, kann
dieser Kampf durchaus auch noch länger geführt werden. Er genießt vermutlich
auch mindestens einen geheimen Teil unserer Sympathien. Ansonsten aber hat von
Wien über Zürich bis Bremen im DACH-Raum die Erkenntnis Einzug gehalten,
dass Legal Operations Management auch in der Anwaltskanzlei nicht nur ein not-
wendiges Übel, sondern – und das ist die eigentliche Erkenntnis – ein wesentlicher
Erfolgsfaktor geworden ist, ceteris paribus.
Die neue Erkenntnis ist insofern eine Wandlung, als wir Anwälte uns vor-
her doch als eine ganz besondere Spezies angeschaut haben, außerhalb des rein
Geschäftlichen. In Sachen geschäftliche Organisation und Management gab es
nach alter Überzeugung nicht so viel zu lernen. Eine besondere Spezies sind wir
immer noch und dürfen und sollen es auch sein (nebst anderen Spezies, die es
zugegebenermaßen auch noch gibt). Aber die gewandelte Spezies Anwalt erkennt
heute, dass eine Anwaltskanzlei doch mehr ein Unternehmen als ein Social Club
ist und dass – anders als man noch vor 20 Jahren glaubte – die besser geführte
Kanzlei mehr Erfolgschancen hat, ungeachtet der Eigenheiten einer Anwalts-
kanzlei. Zu diesen Eigenheiten zählen unter anderem die Eigentümerstellung der
Partner und damit einhergehend der mangelnde Druck von Aktionären auf das
Management, die Egalité, das heißt die grundsätzliche Gleichberechtigung der
Partner, bei gleichzeitiger starker Betonung der individuellen Freiheit, vielfach auf
dem Hintergrund einer Geschichte ähnlich derjenigen eines (Herren-)Clubs, mit
wehmütigen Erinnerungen an eine Clubatmosphäre fernab geschäftlicher Zwänge,
mit einer wenig effizienzfördernden „hourly-billing“-Kultur.
Für beide, Inhouse und Outside Counsel, ist es gewiss hilfreich, sich über die
jeweils andere Verantwortung und Tätigkeit ein paar Gedanken zu machen, im
Vorwort 4: Dr. Hans Bollmann XV

Interesse der zielführenden Zusammenarbeit. In Gesprächen mit Co-Herausgeber,


Herrn Christian Dueblin konnten wir ein klares Interesse an den beiderseitigen
Rollen, das heißt Aufgaben und Verantwortungen, aber auch Eigenheiten verspü-
ren. Nun befasst sich das vorliegende Werk „fast nur“ mit der Rolle der internen
Rechtsabteilung, und es ist nicht die Aufgabe eines Vorworts, das Thema des hier
einzuleitenden Werks auszuweiten und neue, eigene Themen einzubringen. Nur
auf zwei Themen möchte ich (entsprechend ermuntert) aus Sicht des Anwalts noch
hinweisen, weil sie Inhouse und Outside Counsel gleichermaßen herausfordern: Es
sind dies die Unabhängigkeit und der Umgang mit dem Risiko.
Auf unsere Unabhängigkeit sind wir Anwälte ganz besonders stolz. Wenn wir
als Anwälte Probleme und Lösungen und eben das vorliegende Werk über Legal
Operations Management studieren, dann tun wir dies immer im Bewusstsein, dass
wir letztlich außerhalb der Organisation des Klienten stehen und hier auch bleiben
wollen – stolz, unabhängig und frei. Wie von einer Loge beobachten wir manch-
mal Kabale und Liebe im Unternehmen des Klienten, froh und dankbar dafür, dass
wir weder der echten, noch vermeintlichen Willkür von CEOs unterworfen sind,
jedenfalls nicht in gleichem Maße. Wir gehen davon aus, dass uns die weisungs-
abhängigen Inhouse Counsels dafür manchmal beneiden. Ob sie das tun, bleibe
dahingestellt. Viel eher sollten wir selbstkritisch fragen, ob wir uns eigentlich
der wahren Bedeutung unserer Unabhängigkeit immer bewusst sind und ob wir
selber die Unabhängigkeit auch immer leben. Es ist dies ja auch nicht so einfach
und auch nicht immer so angenehm. Wenn wir aber unsere Unabhängigkeit nicht
leben, den persönlichen Tatbeweis der eigenen Unabhängigkeit nicht erbringen,
dann gibt es diesbezüglich auch nichts, auf das wir uns als Outside Counsel etwas
einbilden könnten.
Wir entsinnen uns eines US General Counsels, welcher im Gespräch mit uns
Schweizer Local Counsels jeweils von seinem „client“ redete, dem er dies oder
das würde beibringen müssen – oder so ähnlich. Wir fanden das jeweils eine eher
kokette Ausdrucksweise, weil wir als Anwalt den General Counsel nun mal mit
dem Klienten identifizieren. Dabei war es wohl einfach der Versuch des amerika-
nischen Kollegen, etwas eigene Unabhängigkeit zu markieren. Doch diese Episode
liegt schon eine Weile zurück. Heute leben wir in einer Welt, in der die General
Counsels an Macht gewonnen haben. Moderner der General Counsel, der uns
„Outsiders“ den Rat gab: „Make your client look good!“ Mit „client“ meinte er
sich selber. Hüben wie drüben gibt es daher Beispiele falsch verstandener oder nur
eingebildeter Unabhängigkeit. Unabhängigkeit eignet sich weniger als vermutet
zur Demonstration unterschiedlicher Berufsausübung inhouse und outside, jeden-
falls nicht in der Praxis.
Ein größerer Unterschied zwischen Inhouse und Outside Counsel liegt beim
Thema „Risiko und Verantwortung für mögliche Folgen aus Risiken“. Anwälte wol-
len Risiken, vor allem die rechtlichen, möglichst vermeiden. Sie warnen ihre Klien-
ten vor Risiken und raten meist zum risikofreien oder doch mindestens risikofreieren
Weg. Ihr Geld verdienen Anwälte mit fehlerfreiem Rat und fehlerfreien Analysen.
Das prägt Denken und Habitus und die Kultur einer Anwaltskanzlei. Anwaltskanz-
leien tendieren zu „Null-Fehler-Kulturen“. „Keine Fehler machen!“ – ist die Parole,
XVI Vorwort 4: Dr. Hans Bollmann

und zwar nicht nur im eigentlichen anwaltlichen Arbeitsgebiet. Wer Fehler macht,
verstößt gegen diesen Grundsatz. Im Minimum wollen die Anwälte die Risiken defi-
nieren und eingrenzen, um dann den Entscheid darüber, das heißt über das Einge-
hen oder Nichteingehen, dem Klienten zu überlassen. Das ist auch richtig so, denn
das wird von ihnen erwartet. Anwälte werden nicht bezahlt für die Risikoübernahme.
Anwälte sind zudem im Wesentlichen Stabsleute. Sie sind es weder gewohnt, selber
weitreichende Entscheidungen zu treffen, noch tun sie es gern (was sie wiederum
allerdings nicht gern zugeben).
Die eben gemachte Beschreibung der Anwälte und ihrer Einstellung zum
Risiko trifft aus Sicht mancher Geschäftsleitung mutatis mutandis auch für
Inhouse Counsels zu. Auch deren Aufgabe ist es, Risiken zu definieren und auf-
zuzeigen. Mit anderen Worten: Wie beim Thema „Unabhängigkeit“ ist auch die
Einstellung zum Risiko letztlich bei Inhouse und Outside Counsels nicht ganz so
verschieden. Wir haben sehr ähnliche Aufgaben und jeweils eine sehr ähnliche
oder gleiche Ausbildung und somit „natürliche Auslese“ hinter uns. Der Unter-
schied zwischen Inhouse und Outside Counsel wäre deshalb gar nicht so groß,
wenn nicht doch noch ein entscheidender Unterschied dazu käme: Der Inhouse
Counsel erteilt den Auftrag, der Outside Counsel empfängt ihn und führt ihn aus.
Daraus ergeben sich bei allen Gemeinsamkeiten doch fundamentale Unterschiede
bei den Verantwortlichkeiten.
Als außenstehender Anwalt werde ich durch den Inhouse Counsel teilweise
entlastet bei der Problemanalyse; der Inhouse Counsel hat diese vielfach schon
gemacht respektive war an dieser Analyse im Rahmen der Geschäftsleitung mit-
beteiligt. Verschiedene Akteure (wie zum Beispiel Buchhalter oder die Kommuni-
kationsabteilung) haben ihre Aufträge erhalten und der Auftrag an uns, die Outside
Counsels, ist schon einigermaßen klar umrissen und abgegrenzt. Das erleichtert
uns die Arbeit (kann sie allerdings auch weniger spannend machen). Weil der
Inhouse Counsel Auftraggeber ist, entscheidet er auch, ob er überhaupt einen Auf-
trag erteilen soll, und hierin liegt oft ein Entscheid über das einzugehende Risiko.
Beispiel: Soll die Gesellschaft mit den eigentlich nur terminologisch angepassten
AGB des Konzerns arbeiten oder soll sie eigene landestypische erarbeiten? Letz-
teres wäre ein kostspieliger Auftrag an den Outside Counsel. Lohnt sich der Auf-
wand oder soll das Risiko in Kauf genommen werden, dass in einem zukünftigen
Rechtsstreit sich eine landestypische Besonderheit gegen die Gesellschaft auswir-
ken könnte? Solche Risikoentscheide können nur inhouse getroffen und verant-
wortet werden – im Rahmen des Legal Operations Management.

RA Dr. iur. Hans Bollmann


Autor von „Es kommt darauf an!“
Vorwort 5: Roman P. Falta

Vor zwanzig Jahren habe ich begonnen, mich intensiv mit der Frage nach den Hin-
tergründen dauerhafter Spitzenleistung von Einzelpersonen und Teams auseinan-
derzusetzen. Zuerst im Hochleistungssport und in militärischen Elite-Einheiten, in
der Folge immer mehr auch im „zivilen“ Umfeld. Dabei standen für mich Fragen
im Vordergrund, wie: Weshalb gelingt einigen Individuen und Teams – zumindest
von außen betrachtet – fast alles, während andere, egal wie sie sich abmühen, nicht
weiterzukommen scheinen? Was sind die Bausteine von Leistungsfähigkeit und
Lebenszufriedenheit? Wie ist das Verhältnis zwischen diesen beiden wichtigen und
sinnstiftenden Bausteinen ausgestaltet? Können sie von jedermann erlernt werden?
Vor rund zehn Jahren begann ich mich auf dieser Basis immer mehr auch mit
Fragen der Optimierung von Professional Service Firms – wie Anwaltskanzleien,
Executive Search, Business Consulting etc. – und Professional Services Units –
wie Legal, Compliance, Risk, Audit etc. – von Unternehmen und Behörden aus-
einanderzusetzen. In diesen spielen die vorgenannten Fragen (auf Ebene der
Mitarbeitenden) ebenfalls eine wichtige Rolle. Es treten aber noch weitere Fra-
gen hinzu: Wie können wir das Potenzial, das in unseren Organisationseinheiten
schlummert, innert nützlicher Frist entfalten? Wie schaffen wir es, nicht nur unsere
Ziele zu erreichen, sondern dauerhaft als Hochleistungsteam über uns hinauszu-
wachsen? Welche Stellschrauben existieren, um Spitzenleistung im Professional
Services-Umfeld zu etablieren und langfristig sowie nachhaltig aufrecht zu erhal-
ten?
Im Laufe der Zeit habe ich in der Wissenschaft und Praxis viele interdiszipli-
näre Antworten auf diese Fragen gefunden. Ich musste natürlich ab und zu auch
Rückschläge erleiden, wenn vermeintlich verheißungsvolle Modelle und Theorien
in der Praxis nicht die gewünschten Resultate zeitigten. Mit jeder neuen Erkennt-
nis ist jedoch nicht nur meine Freude an der intensiven Auseinandersetzung mit
der Materie, sondern auch an deren Weitergabe an andere gewachsen. Insbeson-
dere ist mir das Legal Operations Management – wohl auch aufgrund meiner
„juristischen Wurzeln“ und meiner eigenen Tätigkeit als Legal Counsel – als Teil-
bereich der Professional Services Units-Optimierung ans Herz gewachsen und zu
einer regelrechten Passion geworden.
Als Christian Dueblin und ich uns über die Möglichkeiten eines Buchprojek-
tes zum Thema Legal Operations Management austauschten, wurde uns rasch klar,

XVII
XVIII Vorwort 5: Roman P. Falta

dass es sich um ein Themengebiet handelt, das bisher nur von wenigen Fachex-
perten beleuchtet worden war. Es war uns daher ein Anliegen, unsere eigenen
Erfahrungen, aber auch die Erfahrungen weiterer Experten, in ein Praxishand-
buch einfließen zu lassen. Das Buch-Konzept stieß rasch auch bei bedeutenden
Wirtschaftsführern und anderen erfahrenen Experten in Sachen Legal Operations
Management auf Interesse. In der Folge ist aus einer spannenden Projektidee ein
umfangreiches Werk entstanden, an dem insgesamt 36 Autorinnen und Autoren
aus fünf Ländern und sechs Interviewpartner mitgewirkt haben.
Uns war von Anfang an bewusst, dass ein Werk zu einem solch komplexen
Themengebiet, wie es das Legal Operations Management in seiner Gesamtheit
darstellt, nur eine begrenzte Anzahl konkreter Lösungsvorschläge für Einzelpro-
bleme bieten kann. Dafür ist die Vielfalt unterschiedlicher Problemstellungen in
der Praxis zu groß. Dessen eingedenk war unsere Intention als Herausgeber, eine
Inspirationsquelle zu schaffen, die dem Leser Anhaltspunkte und neue Ideen für
die Entwicklung eigener kreativer Lösungen an die Hand geben kann. Die Auto-
rinnen und Autoren wurden daher angehalten, sich durch die Niederschrift per-
sönlicher Erfahrungen – sowie in der Praxis wirklich umsetzbarer Theorien und
Modelle – an den Praktiker zu wenden: Aus der Praxis, für die Praxis. Aus diesem
Grund wurde jeder Autorin/jedem Autor die Freiheit belassen, den Beitragsinhalt
frei nach den persönlichen Vorstellungen und gemäß den eigenen Erfahrungen zu
gestalten. Auch in den diversen Interviews mit besonders erfahrenen Wirtschafts-
führern ging es darum, direkte Erfahrungswerte zum Legal Operations-Umfeld zu
erhalten, welche in jahrzehntelanger Berufserfahrung gesammelt wurden. Daraus
entstand eine äußerst spannende Vielfalt persönlicher Eindrücke.
Der Zugang zu solch praktischen Informationen gestaltet sich oft schwierig. Sie
werden sehr selten in Büchern oder Journals publiziert. Meist bleibt nur der Weg
über eigene try and error-Versuche. Manchmal hat man aber Glück und kommt im
Rahmen persönlicher Gespräche in deren Genuss, wenn sie zum Beispiel von
erfahrenen Seniors – von Aufsichtsräten, Senior Managers, General Counsels – an
jüngere Kollegen weitergegeben werden. Als Herausgeber wollten wir solche
Erfahrungen einem breiteren Publikum zugänglich machen. Wir wünschen Ihnen
daher viele interessante Eindrücke bei der Lektüre dieses Werkes und natürlich
viel Erfolg bei der Weiterentwicklung Ihrer eigenen Legal Operations.1
Schließlich möchte ich mich bei denjenigen Menschen bedanken, die dieses
Buch in der vorliegenden Form überhaupt erst möglich gemacht haben: Mein
Dank gilt in erster Linie meinem Co-Herausgeber, Christian Dueblin, der mit sei-
nem breiten fachlichen Know-how als Jurist und Legal Counsel, seinem sprach-
lichen Gespür und seinen ausgezeichneten Netzwerkfähigkeiten eine echte
condition sine qua non dieses Buchprojekts war; ohne seine Unterstützung, sein
ehrliches Feedback und seinen unermüdlichen Einsatz wären die vielen Arbeiten
rund um das Buchprojekt nicht umsetzbar gewesen. Dann möchte ich mich auch

1Über Rückmeldungen wie auch Verbesserungsvorschläge zu diesem Praxishandbuch wür-

den wir uns sehr freuen. Senden Sie uns einfach eine E-Mail mit Ihrem Feedback an:
feedback@legaloperationsmanagement.de.
Vorwort 5: Roman P. Falta XIX

nochmals ganz herzlich bei allen Autorinnen und Autoren für die höchst ange-
nehme Zusammenarbeit und die vielen grundlegenden Einblicke ins Legal Ope-
rations Management bedanken, die sie während der Entstehung dieses Werkes mit
uns geteilt haben.
Mein Dank gilt auch dem Team des Springerverlags – Dr. Brigitte Reschke,
Julia Bieler, Manuela Schwietzer, Dipti Dange und Anna Dittrich – die mit ihren
wichtigen Inputs ebenfalls einen entscheidenden Beitrag zum Gelingen dieses
Buchprojekts geleistet haben. Schließlich möchte ich mich auch bei Prof. Dres.
h.c. Rolf Dubs und bei Dr. Peter Kurer bedanken, die unserem Buchprojekt von
Anfang an wohl gesonnen gegenüberstanden und wichtige Inputs eingebracht
haben. Allen ein herzliches Dankeschön!

Roman P. Falta
Herausgeber
Inhaltsverzeichnis

Teil I Einführung in das Legal Operations Management (LOM)


1 Definition Legal Operations Management (LOM). . . . . . . . . . . . . . . . 3
Roman P. Falta
2 Sinn und Unsinn einer Rechtsabteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Christian Dueblin

Teil II Aktuelle Herausforderungen von Legal Operations


3 Übersicht über aktuelle Herausforderungen von Legal Operations. . . 25
Roman P. Falta
4 Herausforderungen der Legal Operations in der Privatwirtschaft. . . 29
Rolf Dubs
5 Herausforderungen der Legal Operations in Behörden
und Verwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
Regula Mader
6 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit den USA. . . . . . . . . . . 61
Thomas Soseman
7 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit China . . . . . . . . . . . . . 71
Lukas Züst
8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost. . . . . . . . . . . . . 85
Nicolas Bremer

Teil III Praxis zur Identität von Legal Operations


9 Einführende Übersicht Identität in Legal Operations. . . . . . . . . . . . . 113
Roman P. Falta
10 Vision und Guidelines in Legal Operations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Roman P. Falta
11 Identity Leadership und Identity Controlling in Legal Operations. . . 137
Roman P. Falta

XXI
XXII Inhaltsverzeichnis

12 Identity Marketing und Identity Design in Legal Operations . . . . . . 149


Roman P. Falta
13 Identity Symbolism und Identity Happenings in Legal Operations. . . 163
Roman P. Falta

Teil IV Praxis zur Positionierung von Legal Operations


14 Einführende Übersicht Positionierung in Legal Operations. . . . . . . . 177
Roman P. Falta
15 Innenpositionierung zum Aufsichts-/Verwaltungsrat . . . . . . . . . . . . . 185
Hans-Ulrich Schoch
16 Innenpositionierung zur Geschäftsleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
Andreas R. Herzog
17 Innenpositionierung zu anderen Fachabteilungen. . . . . . . . . . . . . . . . 203
Walther Schmidt-Lademann
18 Innenpositionierung zum Betriebsrat (in Deutschland) . . . . . . . . . . . 219
Lars Manske
19 Außenpositionierung zu beratenden Rechtsanwälten. . . . . . . . . . . . . 227
Nora Teuwsen
20 Außenpositionierung zu prozessierenden Rechtsanwälten. . . . . . . . . 245
Eva Gut
21 Außenpositionierung zu (Schweizer) Notaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
Michael Kummer
22 Außenpositionierung zu Verbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
Stefanie Luckert
23 Außenpositionierung zu Presse und Medien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
Max W. Gurtner
24 Außenpositionierung zur Öffentlichen Verwaltung. . . . . . . . . . . . . . . 303
Daniel Egli
25 Außenpositionierung zu Strafverfolgungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . 315
Christian Dueblin

Teil V Praxis zum Leadership in Legal Operations


26 Einführende Übersicht Leadership in Legal Operations . . . . . . . . . . 323
Roman P. Falta
27 Self Management für Unternehmensjuristen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
Roman P. Falta
Inhaltsverzeichnis XXIII

28 Team Management für Unternehmensjuristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349


Roman P. Falta und Robert Müller
29 Legal Department Management – der Umgang mit Komplexität. . . 371
Alexander Fruehmann
30 Strategieentwicklung für General Counsels. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
Roman P. Falta
31 Kommunikation für Unternehmensjuristen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
Roman P. Falta
32 Verhandlungstechnik und -führung für Unternehmensjuristen. . . . . 433
Martin Heß
33 Konfliktmanagement für Unternehmensjuristen. . . . . . . . . . . . . . . . . 457
Markus J. Fischer
34 Vom General Counsel zum Business Partner und Leader . . . . . . . . . 469
Alexander Zinser
35 Vom General Counsel ins Linienmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479
Christian Dueblin

Teil VI Praxis zu Strukturen von Legal Operations


36 Einführende Übersicht Strukturen von Legal Operations. . . . . . . . . 493
Roman P. Falta
37 Formelle und informelle Außenstrukturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497
Roman P. Falta
38 Formelle und informelle Innenstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513
Roman P. Falta

Teil VII Praxis zu Ressourcen von Legal Operations


39 Einführende Übersicht Ressourcen von Legal Operations. . . . . . . . . 547
Roman P. Falta
40 Finanzen in Legal Operations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555
Lukas Grimm
41 Legal Counsel im Unternehmen: Definieren, suchen,
integrieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575
Boris Vassella
42 Legal Counsel im Unternehmen: Entwicklungsmöglichkeiten
und Karriere. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589
Bruno Mascello
XXIV Inhaltsverzeichnis

43 Lean Management am Legal Operations-Arbeitsplatz. . . . . . . . . . . . 605


Marc H. Dieluweit
44 Knowledge Management in Legal Operations. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619
Carolin Kühne
45 Time Management in Legal Operations. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639
Aglaja Dueblin

Teil VIII Praxis zu Prozessen von Legal Operations


46 Einführende Übersicht Prozesse von Legal Operations . . . . . . . . . . . 647
Roman P. Falta
47 Hauptprozess Legal Risk Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655
Michael Falta
48 Hauptprozess Legal Counseling. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681
Christian Wind
49 Hauptprozess Transaction Management. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697
Heiko Wendel
50 Hauptprozess Litigation & Arbitration Management. . . . . . . . . . . . . 717
Rainer Füeg
51 Hauptprozess Legal Education . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729
Christian Dueblin
52 Zusatzprozess Document Management. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745
Hans Peter Heimsch
53 Zusatzprozess Corporate Secretary Services. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759
Roger Schoch
54 Zusatzprozess Compliance Management. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775
Manuela Mackert
55 Zusatzprozess CSR & Integritätsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . 795
Stephan Grüninger

Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811
Abkürzungsverzeichnis

Abs. Absatz
Art. Artikel
Aufl. Auflage
ca. circa
CEO Chief Executive Officer
CFO Chief Financial Officer
COO Chief Operating Officer
et al. et alii/et aliae („und andere“)
etc. et cetera
f. folgende
ff. fortfolgende
GC General Councel
GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung
HR Human Resources
Hrsg. Herausgeber
IT Informationstechnik
KMU Kleine und mittlere Unternehmen
lit. litera (Buchstabe)
LOM Legal Operations Management
M&A Mergers and Acquisitions
MBA Master of Business Administration
N Note/n
Q&A Questions and answers
RA Rechtsanwalt/Rechtsanwältin
Rz Randziffer
S. Seite
SAV Schweizerischer Anwaltsverband
SBB Schweizerische Bundesbahnen
vgl. vergleiche
VIP very important person
vs. versus
VSM Viable System Modell

XXV
Teil I
Einführung in das Legal Operations
Management (LOM)
Definition Legal Operations
Management (LOM) 1
Roman P. Falta

1.1 Rechtliche Realität in Wirtschaft und Öffentlicher


Verwaltung

Die Organisation, Führung und Bewältigung öffentlicher und unternehmerischer


Herausforderungen ist auf natürliche Art und Weise mit dem Recht verwoben.
So gibt es kein staatliches oder privatwirtschaftliches Handeln, das nicht auch
rechtliche Implikationen nach sich ziehen würde. Unzweifelhaft steht fest, dass
der Rechtsfunktion daher eine große Bedeutung in Unternehmen und Behörden
zukommt. Mithin stellt das Recht eine wichtige Funktion dar, welche entspre-
chend gestaltet werden muss. Oft wird im Zusammenhang mit der Abwicklung
dieser Funktion in Unternehmen und Behörden aber ausschließlich von Rechtsab-
teilungen, Rechtsdiensten oder Legal Departments gesprochen.
Eine solche einschränkende Sichtweise umfasst jedoch nicht die ganze Band-
breite der heutigen Realität, da Legal Operations in der Regel ganz unterschiedlich
ausgestaltet sein können:

• In Mikrounternehmen und kleinen lokalen KMU1: Am unteren Ende des


Spektrums befinden sich Mikro- und kleine mittelständische Unternehmen,
welche in der Regel über kein eigenes juristisches Personal verfügen. Hier wird
die Rechtsfunktion oft aus Kostengründen bewusst auf Sparflamme gehalten
und ausschließlich vom externen Hausanwalt oder von einem juristisch
geschulten Aufsichtsrats- oder Geschäftsleitungsmitglied abgewickelt. Nicht

1Die Abkürzung „KMU“ steht für „kleine und mittlere Unternehmen“, beschlägt somit den klas-
sischen Mittelstandsbetrieb.

R.P. Falta (*)


Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC,
Zürich, Schweiz
E-Mail: falta@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 3


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_1
4 R.P. Falta

selten wird auch auf jegliche Beratung verzichtet, in der Hoffnung, dass schon
nichts passieren werde.
• In großen lokalen KMU: Aufgrund der benötigten Professionalisierung der
Rechtsfunktion kommt es in diesen zur Anstellung eines ersten, noch recht
generell agierenden Juristen. Je nach Größe und Komplexität des Unterneh-
mens arbeitet er auf Teil- oder Vollzeitbasis. In einem solchen Fall existieren
aber noch keine echten Rechtsabteilungen. Zumal ein „Einzelkämpfer“ von sei-
ner Unternehmensumwelt in der Regel nicht als eigenständige Abteilung wahr-
genommen wird. Vielmehr wird die hauptsächliche Aufgabe dieses ersten Legal
Counsel darin liegen, sich nach und nach optimal in die Unternehmensprozesse
zu integrieren. Mit der Zeit wird er es (vielleicht) schaffen, das Unternehmen
für rechtliche Sachverhalte zu sensibilisieren und schließlich den Mehrwert
einer aktiv besetzten Rechtsfunktion untermauern können.
• In international operierenden KMU und in lokalen Großunternehmen:
Diese verfügen in der Regel bereits über „echte“ Rechtsdienste, in welchen ein
General Counsel ergebnisverantwortlich mehrere ihm unterstellte Juristen und
Paralegals sowie Sekretariatspersonal führt. Allerdings gehört es in bestimmten
Branchen immer noch zum Standard, dass nur ein Legal Counsel die Rechts-
abteilung verkörpert. Dieser arbeitet aufgrund der breiten Aufgabenabdeckung
dann aber oft eng mit outsourced Rechtsanwälten und anderen Fachspezialisten
zusammen, welche ihn nach Bedarf punktuell mit aktuellem rechtlichem, tech-
nischem oder betriebswirtschaftlichem Know-how versorgen.
• In international operierenden Großunternehmen und Konzernen: Diese
bilden schließlich das obere Ende des Spektrums der Rechtsfunktionsausge-
staltung ab. Sie verfügen fast ausschließlich über große und umfassend aus-
gestattete Rechtsorganisationen, mit Dutzenden bis zu Hunderten von hoch
spezialisierten Legal Counsels und Paralegals, welche in der Regel von einem
international erfahrenen General Counsel geführt werden.

1.2 Definitionen

• Der Begriff Legal Operations, respektive Rechtsfunktion, steht in die-


sem Buch für die Durchführung rechtlicher und rechtsnaher Aufgaben-
bereiche in privatwirtschaftlichen Unternehmen und der Öffentlichen
Verwaltung. Der Begriff ist unabhängig davon, ob diese Aufgabenbereiche
in einer formellen Struktur existieren und wie sie konkret ausgestaltet sind.
• Als organisatorisch-strukturierte Manifestation der Rechtsfunktion wird in
diesem Buch explizit nur dann von Rechtsdienst, Rechtsabteilung oder
Legal Department gesprochen, wenn diese eine entsprechende Ausbau­
stufe erreicht haben. Mithin ist eine solche unserer Meinung nach ab einer
Mitarbeiterzahl von fünf Volljuristen pro Organisation gegeben (inklusive
Führungsperson, welche die Organisationseinheit ergebnisverantwortlich
gegen innen und außen führt).
1 Definition Legal Operations Management (LOM) 5

• Der Begriff Legal Operations Management, respektive Management


der Rechtsfunktion, steht in diesem Buch für eine fundamentale, struktu-
relle und operative Ausgestaltung von Legal Operations. Mithin beschlägt
dieser Begriff den Aufbau, den Betrieb sowie die Gestaltung und stetige
Optimierung der Rechtsfunktion in privatwirtschaftlichen Unternehmen
und der Öffentlichen Hand.

1.3 Grundüberlegungen

Unabhängig davon, ob die Legal Operations im Outsourcing, im Einpersonenbe-


trieb oder als „ausgebaute“ Rechtsabteilung betrieben werden: Das Management
der Rechtsfunktion bleibt immer ein integraler Bestandteil der Unternehmens- und
Verwaltungsführung; mithin ist die Rechtsfunktion immer im Aufgabenkatalog
einer Gesamtorganisation verankert. Aus diesem Grunde ist es wichtig, ein umfas-
sendes und verlässliches Managementsystem für den Aufbau und die Optimierung
von Legal Operations zur Verfügung zu haben.
An der Schnittstelle zwischen Recht und Unternehmens-, respektive Verwal-
tungsführung basiert das Management der Rechtsfunktion auf folgenden Grund­
überlegungen:

• Legal Operations sind eine sozio-kybernetische Organisations-Einheit:


Legal Operations sind eine mehr oder weniger eigenständige Facheinheit (Pro-
fessional Services Unit2), welche der Gesamtorganisation durch ihre spezifi-
schen Kernkompetenzen hilft, risikominimierend (defensive Abwehr) und
wertschöpfend (proaktive Unterstützung) tätig zu sein. Die Rechtsfunktion ist
hierbei ein eigenständiges System, welches nach sozio-kybernetischen Grund-
prinzipien funktioniert (siehe dazu auch Kap. 29). Schließlich kann sie – sofern
formell strukturiert – als eine sich selbst am Leben erhalten wollende Suborga-
nisation betrachtet werden, welche teilweise nach eigenen Regeln lebt und sich
ständig weiterentwickelt (siehe dazu auch Kap. 9–13), um ihr eigenes Überle-
ben in sowie das Überleben der Gesamtorganisation sicherzustellen.
• Legal Operations sind eine aktive Umfeld-Interaktions-Einheit: Die Rechts-
funktion interagiert stetig mit dem sie umgebenden Umfeld. Das Umfeld
besteht aus verschiedenen, in sich homogenen, internen oder externen Inter-
aktionsgruppen, welche durch die Aktivität der Rechtsfunktion oder ihrer
­Gesamtorganisation zu einer dieser gegenüber neutralen, positiven oder n­ egativen

2Unter Professional Services Units verstehen wir hoch spezialisierte Gruppen von Mitarbeiten-
den, welche in der Regel sehr individualistisch ausgerichtet sind und als akademische Wissensar-
beiter komplexe Aufgaben für die Gesamtorganisation durchführen. Neben Legal Operations gilt
dies zum Beispiel auch für Teams in den Bereichen Strategic Development, Risk Management,
Controlling, Compliance etc.
6 R.P. Falta

Verhaltensweise veranlasst werden. Die Rechtsfunktion interagiert dabei mit


direkt beeinflussbaren Anspruchsgruppen, welche sich direkt in (internes Tätig-
keitsumfeld) oder außerhalb (externes Tätigkeitsumfeld) der Gesamtorganisa-
tion befinden (siehe dazu auch Kap. 14–25).
• Legal Operations sind eine interpretierende Monitoring- und Regulati-
onseinheit: Die Umwelt, in welcher die Rechtsfunktion eingebettet ist, übt als
Zusammenzug von nicht direkt beeinflussbaren Interaktionsgruppenverbänden
einen indirekten, mittel- bis langfristigen Veränderungsdruck aus. Veränderun-
gen betreffen dabei sowohl die Rechtsfunktion als auch ihre Gesamtorganisa-
tion, ohne dass diese in der Regel selbst direkt beeinflusst werden können. Eine
genaue Beobachtung der Veränderungen mit entsprechender Ausarbeitung von
Handlungsoptionen führt jedoch zu einer möglichst frühzeitigen Reaktion auf
künftige positive oder negative Entwicklungen.

1.4 Die Ausgestaltung des Legal Operations


Managements

Die optimale Ausgestaltung der Rechtsfunktion unter Zuhilfenahme vorgenannter


Grundüberlegungen führte zur Entwicklung des QUADRAGON Legal Opera-
tions Management-Modells© (LOM-Modell)3. Dieses dient als Rahmen für das
vorliegende Buch, da es spezifisch dafür entwickelt wurde, alle wichtigen Aspekte
des Managements von Legal Operations sichtbar zu machen. Zudem wird es auch
als Rahmen für eine koordinierte Ausgestaltung und rasche Optimierung von
Rechtsfunktionen in der betrieblichen Praxis erfolgreich eingesetzt. Dadurch
ermöglicht es dem Leser, die eigene Rechtsfunktion unabhängig von deren aktuel-
ler Ausgestaltung umfassend zu verstehen und noch besser – auf sich verändernde
Herausforderungen – auszurichten.
Das Management der Rechtsfunktion basiert dabei, wie in Abb. 1.1 dargestellt,
auf drei grundlegenden Betrachtungsebenen mit jeweils unterschiedlichen Gestal-
tungsbereichen. Die Betrachtungsebenen und Gestaltungsbereiche bauen logisch
aufeinander auf und bilden zusammen das integrale LOM-Modell, auf welches
nachfolgend vertieft eingegangen wird.

1.4.1 Fundamentale LOM-Betrachtungsebene

Die fundamentale Betrachtungsebene des hier angewandten Legal Operations


Management-Modells befasst sich mit den grundlegenden, „ewigen“ Gestal-
tungsmöglichkeiten, auf welchen die Rechtsfunktionen in Unternehmen und
Behörden aufbauen. Mängel oder Missstände führen hier nicht nur dazu, dass die
Legal Operations nicht richtig funktionieren, sondern dass sie selbst zum Hort

3Weiterführende Informationen, Checklisten etc. finden Sie auf der Website www.quadragon.ch.
1 Definition Legal Operations Management (LOM) 7

Abb. 1.1  Überblick QUADRAGON Legal Operations Management-Modells©. (Quelle: QUA­


DRAGON Management LLC)

gravierender Risiken für das Gesamtunternehmen, respektive die Behörde wer-


den können:

• Identität von Legal Operations: Dieser fundamentale Gestaltungsbereich


beschäftigt sich mit der identitätsstiftenden, wertorientierten und kulturell-­
atmosphärischen Basis, auf welcher Legal Operations in Unternehmen und
Behörden aufgebaut sind: Vision und Guidelines (Kap. 10), Identity Leader­
ship Principles und Identity Controlling (Kap. 11), Identitätsmarketing
und Identitätsdesign (Kap. 12) sowie Identity Symbolism und Identity
Happenings (Kap. 13).
• Positionierung von Legal Operations: Dieser fundamentale Gestaltungs-
bereich beschäftigt sich mit den Charakteristika und Interaktionsmöglichkei-
ten der Rechtsfunktion mit ihren wichtigsten Ansprechpartnern: Einerseits
mit internen Schnittstellenpartnern, wie dem Aufsichts-/Verwaltungsrat
(Kap. 15), der Geschäftsleitung (Kap. 16), den Leitern anderer Abteilungen
(Kap. 17) oder dem Betriebsrat (in Deutschland; Kap. 18). Andererseits mit
externen Interaktionspartnern, wie externen Rechtsanwälten (Kap. 19–20),
Notaren (Kap. 21), Verbänden (Kap. 22), Presse und Medien (Kap. 23), der
Öffentlichen Verwaltung (Kap. 24) sowie mit Strafverfolgungsbehörden
(Kap. 25).
• Leadership in Legal Operations: Neben einer stimmigen Funktionsidentität
ist eine integre, fach- und führungsstarke sowie motivierende Führungsper-
son entscheidend dafür, dass die Rechtsfunktion in der Gesamtorganisation
als „geschätzter Partner“ wahrgenommen wird. Damit General Counsels (und
8 R.P. Falta

Legal Counsels, welche mittel- bis langfristig in diese Position hineinwach-


sen möchten) eine solche Wertschätzung im Unternehmen erreichen, müssen
sie bereit sein, an sich selbst zu arbeiten. Mithin befasst sich dieser fundamen-
tale Gestaltungsbereich mit Self Management (Kap. 27), Team Management
(Kap. 28) und Legal Department Management (Kap. 29). Zudem werden
ausgewählte Schwerpunktthemen, wie Strategieentwicklung (Kap. 30), Kom-
munikation (Kap. 31), Verhandlungstechnik und -führung (Kap. 32) sowie
Konfliktmanagement (Kap. 33) aufgegriffen, welche besonders wichtige
Werkzeuge moderner Juristen darstellen. Schließlich runden Betrachtungen zu
Entwicklungsmöglichkeiten, welche dem General Counsel offen stehen, den
Themenbereich ab: Weiterentwicklung zum Business Partner und Leader
(Kap. 34) sowie Wechsel ins Linienmanagement (Kap. 35).

1.4.2 Strukturelle LOM-Betrachtungsebene

Die strukturelle LOM-Betrachtungsebene befasst sich mit mittel- bis langfristi-


gen, strukturellen Gestaltungsmöglichkeiten der Rechtsfunktion. Versäumnisse
und Mängel führen hier in der Regel zu schwerwiegenderen Problemen in der
Funktionsweise, Effizienz und Effektivität der Rechtsfunktion selbst, betreffen die
Gesundheit der Gesamtorganisation üblicherweise aber nur mittelbar:

• Strukturen von Legal Operations: Formelle und informelle Außenstruktu-


ren (Kap. 37) dienen zur Einordnung der Rechtsfunktion in die Gesamtorgani-
sation. Die Befassung mit optimalen Außenstrukturen ist dann relevant, wenn
eine eigenständige Rechtsabteilung aufgebaut werden soll oder wenn Restruk-
turierungen bestehender Legal Departments nach einer noch besseren Ausge-
staltung verlangen. Die Innenstrukturierung (Kap. 38) befasst sich hingegen
mit der effektiven und effizienten Ausgestaltung der Rechtsfunktion im Inneren.
• Ressourcen von Legal Operations: Eine optimale Tätigkeit ist nur mög-
lich, wenn die Rechtsfunktion über genügend gute Ressourcen verfügt. Dieser
Bereich beschäftigt sich daher mit der Ausgestaltung der fünf Ressourcen-
dimensionen von Legal Operations: Finanzen (Kap. 40), Mitarbeitenden
(Akquisition und Weiterentwicklung; Kap. 41–42), Arbeitsplatz, IT-Infra-
struktur sowie Sachmittel (Kap. 43), Knowledge Management (Kap. 44)
und Time Management (Kap. 45).
• Prozesse von Legal Operations: Die fünf Hauptaufgaben der Rechtsfunktion
sollen durch möglichst effektive und effiziente Prozesse umgesetzt werden:
Legal Risk Management (Kap. 47), Legal Counseling (Kap. 48), Transac-
tion Management (Kap. 49), Litigation & Arbitration Management
(Kap. 50) sowie Legal Education (Kap. 51). Je nach organisatorischen Vor-
gaben können weitere Zusatzaufgaben an die Legal Operations herangetragen
werden: Document Management (Kap. 52), Corporate Secretary Services
(Kap. 53), Compliance Management (Kap. 54) sowie Corporate Social Res-
ponsibility (CSR) und Integritätsmanagement (Kap. 55).
1 Definition Legal Operations Management (LOM) 9

1.4.3 Operative LOM-Betrachtungsebene

Sämtliche Gestaltungsbereiche der fundamentalen wie auch der strukturellen


LOM-Betrachtungsebenen bedürfen zu ihrer Konkretisierung eines iterativen
Aktionskreislaufs, der die Rechtsfunktion fit hält und sie sich stetig weiterent-
wickeln lässt (siehe dazu detailliert Kap. 30). Jedes einzelne Element der funda-
mentalen und strukturellen Gestaltungsbereiche sollte daher über einen eigenen
Aktionskreislauf verfügen, welcher regelmäßig vom General Counsel oder einer
anderen Führungsperson kontrolliert und gegebenenfalls angepasst wird:

1. Analyse und Evaluation der Gestaltungsbereiche: Am Anfang jedes Akti-


onskreislaufs stehen eine genaue Analyse der Ausgangslage und die Evalua-
tion der anzustrebenden Makroziele. Da nur durch konkrete Soll-Ist-Vergleiche
Veränderungsbedarf aufgedeckt und in einen kontrollierten Umsetzungsprozess
überführt werden kann.
2. Auswahl und Planung von Gestaltungsoptionen: Im nächsten Schritt werden
die Soll-Ist-Vergleiche innerhalb der Legal Operations als Vorgaben für die For-
mulierung von Mikrozielen und daraus abgeleiteter Mikrostrategien verwendet.
Planungsphasen sollten zeitlich nicht zu kurz bemessen sein, da Versäumnisse
hier oft zu langwierigen und kostenintensiven Verzögerungen bei der Umset-
zung führen.
3. Umsetzung von Gestaltungsoptionen: Aufgrund der Planungsvorgaben wer-
den nun die richtigen Strategien, Taktiken und das optimale Umsetzungsszena-
rio für jedes micro change project der Legal Operations angegangen: Durch
Aktivitäten des Tagesgeschäfts,4 respektive in der Form besonderer Projekte,
Programme, Initiativen, Schulungen etc.5
4. Monitoring und Kontrolle: Schließlich bedingt jeder Aktionskreislauf, dass
dessen Meilensteine und Ergebnisse mit den getroffenen Makro- und Mikro-
zielvorgaben übereinstimmen und stetig auf Veränderungen in der Umwelt –
innerhalb und außerhalb des Unternehmens – angepasst werden. So können
die Verantwortlichen jeweils genau bestimmen, wo in den Legal Operations
keine Anpassungen (mehr) nötig sind und wo nochmals nachgebessert, bezie-
hungsweise erneut mit einer geänderten Vorgehensweise nachgehakt werden
muss.

4Gestaltungsmaßnahmen können in der Regel durch die Anpassung der täglichen Routinear-
beitsabläufe umgesetzt werden. Die Veränderung des Tagesgeschäfts eignet sich überall dort, wo
keine spezifischen Change-Gefäße eingesetzt werden, welche die Veränderung gegenüber Mitar-
beitenden, internen Schnittstellen und externen Partnern besonders herausstreichen sollen.
5Solche spezifischen Change-Gefäße eignen sich besonders gut für einmalige, nicht-alltägliche

Gestaltungsoptionen mit Signalwirkung.


10 R.P. Falta

Über den Autor


Roman P. Falta, lic.iur.HSG – Professional Services Management Leader QUADRAGON
MANAGEMENT LLC, Zürich
Studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen HSG. Daneben
hält er Weiterbildungsdiplome der Harvard University, des MIT und der UC Berkeley in Sozio­
anthropologie und Psychologie. Seine Berufskarriere begann er in einer führenden Strategie-
beratung, welcher Berufsstationen bei Gericht, in der Finanzverwaltung und einer namhaften
Anwaltskanzlei folgten. Anschliessend war er für diverse Bereiche in Corporate Legal und in der
Compliance eines Global Fortune 500-Unternehmens verantwortlich. Als Professional Services
Management Leader verantwortet er heute unter anderem den Bereich Legal Operations Optimi-
zation bei QUADRAGON MANAGEMENT. Er gilt als einer der renommiertesten Experten für
Professional Services Optimization und Elite Performance Development im deutschsprachigen
Raum.
Sinn und Unsinn einer
Rechtsabteilung 2
Christian Dueblin

2.1 Legal Operations Management – der Allrounder und


Nichtspezialist

Die juristischen Fachexperten in Unternehmen beschäftigen sich mit vielseitigen


rechtlichen Aufgaben, egal in welcher Branche sie tätig sind, stets mit den gene-
rellen Zielen: Sicherheit schaffen und Risiken minimieren. Kein Zweifel, juristi-
sche Fachkräfte können in Bezug auf diese Ziele und damit auch in Bezug auf
das Schaffen von Vertrauen in einem Unternehmen einiges bewirken. Sie kön-
nen damit gar den Unternehmenswert steigern, wie das Lukas Grimm in seinem
Kapitel zum Thema Finanzen in Legal Operations (siehe dazu Kap. 40) treffend
beschreibt.
Die Arbeitsweise von Legal Counsels in kleineren und mittleren Unternehmen
(KMU) unterscheidet sich jedoch wesentlich von der Arbeitsweise ihrer Kollegen
in Großunternehmen und in weltweit tätigen Konzernen, welche in der Regel mit
großen Rechtsabteilungen ausgestattet sind und länderübergreifend mit Anwälten
sowie weiteren Spezialisten kooperieren. Für jeden denkbaren unternehmerischen
Bereich bieten sich in diesen Unternehmen juristische Fachexperten an, die auf-
grund der Größe des Unternehmens, der Vielzahl der Geschäfte und Transaktio-
nen sowie der damit verbundenen Risiken sinnvoll ausgelastet werden können.
Bei KMUs jedoch stellt sich nur schon die berechtigte Frage, ob der Betrieb einer
eigenen Rechtsabteilung sinnvoll ist oder nicht. Sie kann nicht einfach mit ja oder
nein beantwortet werden. Die Antwort auf diese Frage bedarf weitreichender
Abklärungen, wobei ökonomische Aspekte, aber auch die eigene Risikolandschaft,
in der man sich bewegt, genau analysiert werden müssen. In der Folge soll auf

C. Dueblin (*)
Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC, Basel, Schweiz
E-Mail: dueblin@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 11


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_2
12 C. Dueblin

generelle Unterschiede und Besonderheiten in der Organisation und dem Betrieb


von Legal Operations in großen und in kleineren Unternehmen aufmerksam
gemacht werden, die Auswirkungen auch auf das Management von Legal Opera-
tions und damit auf die Arbeitsweise des Legal Counsel haben.

2.2 Aufbau einer eigenen Rechtsabteilung im


Unternehmen?

Rechtsabteilungen werden vor allem dort aufgebaut und betrieben, wo die unter-
nehmerische Risikolandschaft erhebliche Schadenpotenziale für ein Unternehmen
birgt. Für große Unternehmen stellt eine Rechtsabteilung aufgrund stetig wach-
sender Komplexität von Geschäften, immer mehr Regulatorien und Gesetzen, die
es einzuhalten gilt, einer Vielzahl von oft höchst komplexen Transaktionen, des
Hanges hin zu steter Standardisierung und der vielseitigen grenzüberschreitenden
Tätigkeiten, jeweils verbunden mit den entsprechenden Haftungsrisiken, heute ein
Muss dar. Kaum ein großes Unternehmen verfügt nicht über eine eigene Rechts-
abteilung. Nicht nur das: In der Regel beschäftigt es auch eine ganze Anzahl
weltweit agierender Kanzleien, die der Rechtsabteilung fallweise zudienen, ins-
besondere bei M&A-Transaktionen, Unternehmensgründungen und bei Fragen in
Bezug auf Contract Management. Große Unternehmen setzen für ganze juristische
Geschäftsbereiche eigene juristische Fachexperten ein. Sie unterhalten beispiels-
weise eine eigene Compliance-Abteilung, verfügen über Corporate Governance-­
Experten, über Claims Management- und M&A-Spezialisten, aber auch über
juristisch ausgebildetes Personal, das sich ausschließlich mit Arbeitsrecht, Gender-­
Fragen und Social Responsibility-Themen auseinandersetzt.
Für viele kleinere und mittlere Unternehmen, oft sehr technisch und dienstleis-
tungsorientiert handelnd und denkend, mit knappen Ressourcen ausgestattet, oft
regional verankert, mit Geschäftsbereichen, die oft nur wenig von anderen abge-
grenzt werden können, stellen sich in Bezug auf Legal Operations Management
ganz grundlegende Fragen. Die grundlegendste Frage lautet: Soll sich ein solches
Unternehmen mit Legal Operations Management auseinandersetzen und etwa eine
eigene Rechtsabteilung aufbauen?
Es sind erfahrungsgemäß verschiedene Gründe, die dazu führen, dass sich
auch KMU mit Legal Operations Management auseinandersetzten und einen
Legal Counsel einstellen möchten oder müssen. Nachfolgend findet sich ein nicht
abschließender Katalog von Gründen, die gerade in KMU in Bezug auf den Ent-
scheid, sich mit Legal Operations Management zu befassen, erfahrungsgemäß
wichtig sind:

• Der Eintritt von Schadenfällen und Störfällen: Sie kosten Geld und sind
zeitintensiv. Hat ein Unternehmen einmal Schmerzensgeld oder Lehrgeld auf-
grund eines eingetretenen Störfalls bezahlt, kann dieser Umstand dazu füh-
ren, dass die Unternehmensführung den Aufbau einer Rechtsabteilung ins
Auge fasst oder sich Gedanken darüber macht, mit einem externen Anwalt zu
2 Sinn und Unsinn einer Rechtsabteilung 13

k­ ooperieren, mit dem Ziel, ähnliche Fälle und Schäden in Zukunft abwenden zu
können.
• Die Erschließung neuer Märkte: Dieser Schritt ist oft mit der Ahnung ver-
bunden, dass rechtliche Fragen der unternehmerischen Tätigkeit im Ausland
nicht nachlässig angegangen werden sollten. Was schon im eigenen Land oft
unklar ist an rechtlichen Zusammenhängen, wird in einem anderen Land nicht
einfacher sein.
• Die steigende Komplexität von Geschäften: Sie führt dazu, dass beispiels-
weise auch Verträge immer komplexer werden. Mit zunehmender Komplexität
nehmen die Risiken zu, die es in den Griff zu bekommen gilt, auch und gerade
mithilfe eines optimal eingestellten Legal Operations Management.
• Die Marktmacht großer Unternehmen und Konzerne: Die Größe und
Marktmacht der großen Unternehmen und Konzerne sowie beispielsweise Fra-
gen der Submission in Bezug auf die öffentliche Verwaltung bringen es mit
sich, dass diese vor allem auch in Bezug auf rechtliche Aspekte der Geschäfts-
tätigkeit über mehr Wissen verfügen als die kleineren und mittleren Unter-
nehmen. Das erlaubt es ihnen in der Regel, der Gegenpartei ihre rechtlichen
Wünsche und Anforderungen aufzuzwingen. Mit einer eigenen Rechtsabteilung
sind KMU jedoch in der Lage, diesen Nachteil wett zu machen oder zumindest
Gegensteuer geben zu können.

Aus meiner eigenen Tätigkeit in der Beratung, im Aufbau und dem Führen solcher
Rechtsabteilungen sind mir nur wenige Fälle bekannt, in denen ohne Schadenfall
und finanziellen Verlust an eine eigene Rechtsabteilung respektive die Einstellung
eines Legal Counsel gedacht worden wäre. Die Auseinandersetzung mit Anwälten,
welche KMU rechtlich beraten, zeigt ein ähnliches Bild. Sie erklären im Gespräch,
dass sie in der Regel erst dann hinzugezogen würden, wenn der Schadenfall
bereits eingetreten sei. Dann würde von ihnen verlangt, das Beste aus einem Stör-
fall zu machen – mit der Einsicht, dass das eigene technische und kaufmännische
Wissen nicht mehr genügte, um diesen selbstständig bearbeiten zu können.
Der Entscheid, sich intern und extern juristisch beraten zu lassen, hängt somit
auch ganz wesentlich von der Schmerzgrenze ab, die in einem Unternehmen
erreicht werden muss, damit organisatorische Veränderungen herbeigeführt wer-
den. Diese Schmerzgrenze kann erfahrungsgemäß sehr hoch sein, so hoch, dass
mit den Kosten aufgrund eines Störfalles eine Rechtsabteilung über Jahre hinweg
hätte finanziert werden können. In seltenen Fällen werden in KMU diese organisa-
torischen Veränderungen, also beispielsweise der Aufbau einer eigenen Rechtsab-
teilung im Unternehmen, schon vorher ins Auge gefasst.

2.3 Legal Operations: Interne oder externe Lösung?

Ist die Schmerzgrenze für die Auseinandersetzung mit Legal Operations ein-
mal erreicht oder will ein Unternehmen vorbeugend tätig sein, stellt sich für
das Management von KMU auch die Frage, ob man sich extern oder intern
14 C. Dueblin

u­ nterstützen lassen will. Beide Wege können absolut sinnvoll und zielführend sein.
Es kommt für das Gelingen von Legal Operations Management in erster Linie auf
die beratende Person, den Legal Counsel selbst oder den externen Anwalt oder
Interim Legal Counsel an. Wird die externe Lösung gewählt, also die Kooperation
mit einer Kanzlei oder einem Interim Legal Counsel, stellen sich unter anderem
folgende Fragen, mit denen sich das Unternehmen auseinandersetzen muss:

• Wie findet man den passenden externen Anwalt oder Interim Legal Counsel? Er
sollte ein team player sein und gut zum Unternehmen passen, auf keinen Fall
umgekehrt. Dabei gilt es auch, emotionale Aspekte zu beachten. Es fragt sich,
ob er sympathisch rüberkommt und fähig ist, zu den vielen unterschiedlichen
Mitarbeitenden des KMU einen guten Draht aufzubauen.
• Verfügt der externe Anwalt oder Interim Legal Counsel nicht nur über ein
breites juristisches Beratungsspektrum, sondern auch über Vertragsvorlagen,
Muster und Checklisten, die für das Unternehmen wichtig sind? In der Regel
werden diese externen Spezialisten nicht nur für einen Fachbereich hinzugezo-
gen, sondern sie sollen während einer bestimmten Zeit ein Unternehmen auf
breitem juristischem Feld begleiten, ähnlich einem internen Legal Counsel.
• Verfügt er bereits über Erfahrungen in einem Unternehmen? Sind ihm die Pro-
zesse und Abläufe in einem KMU bekannt?
• Verfügt er über die zeitliche Flexibilität, auch sehr zeitnah zudienen zu können?
• Kann er Störfälle und weitere juristische Arbeiten in einem größeren Zusam-
menhang erkennen oder lediglich punktuell zudienen, was gewisse Rechts-
fragen betrifft? Diese Frage hängt, nebst den beruflichen Erfahrungen und
persönlichen Charaktermerkmalen des externen Anwalts, die eine Rolle spie-
len, auch sehr davon ab, wie gut es einem Unternehmen gelingt, ihn zu infor-
mieren und zu instruieren.
• Verfügt er über weitere Qualifikationen als nur juristische? Hat er beispiels-
weise noch Spezialkenntnisse in Bezug auf Steuerrecht oder spricht er eine
Fremdsprache, die für das Unternehmen sinnvoll sein könnte?
• Versteht der externe Anwalt oder Interim Legal Counsel die Produkte und
Dienstleitungen des Unternehmens? Kennt er den Kundenkreis – auch grenz­
überschreitend – und beispielsweise auch die Gefahren, die von Produkten des
Unternehmens ausgehen?
• Wer ist im Unternehmen sein Ansprechpartner? An wen kann er sich wenden,
wenn er Fragen hat, und wer bedient ihn mit Informationen, die er für das Bear-
beiten eines Rechtsfalles benötigt?
• Mit welchen Kosten des externen Anwalts oder Interim Legal Counsels ist zu
rechnen?

Selbstverständlich stellen sich diese Fragen auch, wenn ein Unternehmen einen
eigenen internen Legal Counsel einstellt. Hier gilt es zudem folgende Fragen und
Punkte im Speziellen zu beachten:
2 Sinn und Unsinn einer Rechtsabteilung 15

• Verfügt der Legal Counsel über genügend Wissen, was die Schnittstellen im
eigenen Unternehmen anbelangt? Sind ihm die einzelnen Unternehmens-
bereiche bekannt oder hat er noch nie mit einer Verkaufsabteilung, einer
Beschaffungsabteilung, einer Service-Abteilung, einem Controller oder einer
Finanzabteilung und deren Personal zusammengearbeitet, um nur einige wich-
tige Bereiche in einem Unternehmen zu nennen?
• Verfügt er über grundlegende Erfahrungen und Kenntnisse in Bezug auf
Abläufe, Prozesse und auch die Denkweise der verschiedenen Abteilungen und
deren Mitarbeitenden?
• Hat er sich mit dem Ausbildungsstand der Mitarbeitenden in den verschiedenen
Fachbereichen eines Unternehmens bereits auseinandergesetzt? Dieser Punkt
ist erheblich für seine Arbeit, da er mit dem entsprechenden Wissen schnel-
ler erkennen kann, wo er mit Schulungen, Seminaren und weiterer rechtlicher
Unterstützung zur Sensibilisierung und somit zur Fehlerreduktion sowie Risiko­
minimierung in den einzelnen Bereichen beitragen kann. Dem versierten Legal
Counsel ist bekannt, wer welche rechtlichen Schwächen und Stärken im Unter-
nehmen aufweist und wo somit Risiken lauern.
• Ist er fähig, bei Mitarbeitenden Vertrauen zu schaffen und als lösungsorientier-
ter team player, Macher und Unterstützer wahrgenommen zu werden? Ist er
fähig, aktiv auf Mitarbeitende zuzugehen oder gehört er zu denjenigen Juristen,
die darauf warten, bis sie einen Fall auf den Tisch gelegt bekommen, der dann
im „stillen Kämmerlein“ juristisch und im „Gutachterstil“ geprüft wird? Ist
er fähig, Lösungsvorschläge abzugeben, die anderen Mitarbeitenden und dem
Unternehmen wirklich weiterhelfen?
• Verfügt der Legal Counsel über ein breites juristisches Wissen oder war er bis-
her nur als Spezialist auf nur wenigen Rechtsgebieten tätig? Ersteres wird sich
im Unternehmen positiv auswirken. Mit seinem generelle Wissen in verschie-
denen Rechtsgebieten kann er stets eine erste Drainage vornehmen, wenn es
beispielsweise darum geht, einzuschätzen, ob beispielsweise für einen Scha-
den- oder Störfall ein Berater/Experte hinzugezogen werden muss oder ein Fall
selber intern bearbeitet werden kann.
• Verfügt der Legal Counsel über ein Netzwerk, das er in der Vergangenheit auf-
gebaut und gepflegt hat und das dem Unternehmen nun nützlich sein könnte?
Der versierte Legal Counsel hat im Verlaufe seiner Karriere möglicherweise
auch international mit rechtlichen Sachverhalten zu tun gehabt und dabei mit
einer Vielzahl von Anwälten, aber auch mit Handelskammern und Verbänden,
zusammengearbeitet, die er ebenfalls für das neue Unternehmen einsetzen
kann.
• Kann der Legal Counsel nicht nur rechtliche, sondern auch unternehmerische
Verantwortung übernehmen? Es wird von ihm gerade in einem KMU, oft mit
kurzen Entscheidwegen organisiert, nicht nur erwartet, dass er rechtlich berät,
sondern seine beratende Tätigkeit in einem größeren unternehmerischen Kon-
text mit der nötigen Kreativität zur Verfügung stellt und sinnvolle Urteile fällen
16 C. Dueblin

kann. Kann er das nicht und stellt er sich nur als „Gutachter“ dar, besteht die
Gefahr, dass er als „Verhinderer“ und „Bremsklotz“ wahrgenommen wird.
• Ist der Legal Counsel seinen Vorgesetzten gegenüber integer und loyal einge-
stellt? Ist er eine Vertrauensperson, der man jederzeit schwierige und wichtige
Fälle vorlegen kann? Dieser Punkt ist in der Praxis ebenfalls von eminenter
Bedeutung; dann, wenn beispielsweise für einzelne Personen, Unternehmens-
bereiche oder die ganze Belegschaft unangenehme und ungünstige Entscheide
getroffen werden müssen. Gerade in solchen Situationen sind die Vorgesetz-
ten auf viel Loyalität, Integrität und Vertrauen des Legal Counsel angewiesen.
Dieser muss fähig sein, seine eigene, möglicherweise abweichende Einstellung
einem Lebenssachverhalt gegenüber zurückstellen zu können.
• Ist der Legal Counsel gewillt, im Teilzeitpensum zu arbeiten?

Aber auch für das Management stellen sich bedeutende Fragen, wenn es darum
geht, Legal Operations Management zu betreiben:

• Wie soll der Legal Counsel in einem Unternehmen organisatorisch im Unter-


nehmen eingebunden werden?
• Welche Möglichkeiten hat er, auf Risiken aufmerksam zu machen und Einfluss
auf Geschäfte zu nehmen?
• Gibt es Weisungen, an die sich die Mitarbeitenden in der Zusammenarbeit mit
dem Legal Counsel halten müssen?
• Verfügen das Unternehmen und sein Management über genügend Sensibili-
tät, was die eigene Risikolandschaft betrifft? Diese Frage hängt stark mit der
Unternehmenskultur und der Führung des Unternehmens zusammen.
• Wird der Legal Counsel von seinen direkten Vorgesetzten bei seiner Arbeit
aktiv unterstützt und erhält er in Problemfällen den nötigen Rückhalt?
• Wie soll der Legal Counsel eingearbeitet werden? Wird er vom Management
unterstützt und in den verschiedensten Abteilungen, denen er zudienen soll,
richtig eingeführt?
• Welches sind seine zentralen Aufgaben? Hat sich das Management genügend
mit der Frage auseinandergesetzt, wo der Legal Counsel im Unternehmen tätig
sein soll und was seine Aufgaben sind?

Diese und weitere Fragen stellen sich auch bei der Zusammenarbeit mit Anwäl-
ten und Interim Legal Counsels, mit denen das Unternehmen kooperieren möchte.
Deren Beantwortung ist entscheidend, wenn es darum geht, ob die juristischen
Fachexperten sinnvoll und effizient arbeiten können oder nicht. Boris Vassella
macht in seinem Beitrag in Kap. 41 zum Thema „Legal Counsel im Unterneh-
men: definieren, suchen, integrieren“ auf weitere Punkte aufmerksam, die für ein
Unternehmen auf der Suche nach einem geeigneten Legal Counsel dienlich sein
können.
2 Sinn und Unsinn einer Rechtsabteilung 17

2.4 Das Minenfeld „Nichtspezialist“ in kleineren und


mittleren Unternehmen

Die Frage der Auslastung von Personal ist in kleineren und mittelständischen
Unternehmen ein Dauerthema, eine regelrechte unternehmerische Herausfor-
derung. Das KMU ist auf Spezialisten angewiesen, erkennt jedoch, dass diese in
gewissen Fällen mangels Unternehmensgröße nicht ausgelastet werden können.
KMU stellen Spezialisten ein, betrauen diese jedoch nicht selten mit anderen
Aufgaben, um sie auszulasten. Wie wir in der Folge in Sachen Arbeitsweise eines
Legal Counsel in einem KMU erkennen werden, hat dieser Umstand einen großen
Einfluss auf seine Arbeit. Er ist in mittelständischen Betrieben weit weniger mit
den Arbeitsresultaten von Spezialisten konfrontiert als das beim Legal Counsel in
einem großen Unternehmen oder einem Konzern der Fall ist. Es sind erfahrungs-
gemäß die Nichtspezialisten, die in KMU für Störfälle und das Entstehen ungüns-
tiger Situationen verantwortlich sind.
Der Legal Counsel eines KMU muss sich somit schon von Anfang an damit
abfinden, dass manches, das auch eine juristische Dimension aufweist, wie zum
Beispiel die Ablage von Dokumenten, von einem Nichtspezialisten weit weni-
ger optimal erledigt werden kann als von einem Spezialisten. Mit dem Entscheid,
keinen Spezialisten für gewisse Arbeiten einzusetzen, muss er sich abfinden. Er
selber kann aber seine Arbeitsweise anpassen und helfen, dass Schaden- oder Stör-
fälle mit einer rechtlichen Dimension minimiert werden. Der Legal Counsel muss
Gegenmaßnahmen ergreifen können, wofür er ein Auge für das Personal, seinen
Ausbildungsgrad und die Schnittstellen, somit für die Prozesse und Abläufe im
Unternehmen, haben muss. Der Legal Counsel in einem KMU muss sich aber
auch stets darüber bewusst sein, dass er selber in vielen rechtlichen Bereichen kein
Spezialist ist.
Es geht bei Legal Operations Management, soweit es nicht einfach um ganz
konkrete rechtliche Fragenstellungen geht, die es natürlich auch gibt, oft um die
übergeordnete Sicht. Rechtliches Tätigsein des Legal Counsel muss gerade in
KMU im besonderen Maße auf die einzelnen Bereiche und ihre Mitarbeitenden
abgestimmt werden.

2.5 Die Rechtsabteilung – ein wichtiger Teil des Ganzen

Die meisten sich stellenden juristischen Fragen im Geschäftsalltag sind an eine


Vielzahl von Schnittstellen zwischen verschiedensten Unternehmensbereichen
gekoppelt, was Prof. Dr. Rolf Watter in seinem Interview (siehe dazu Kap. 37) ver-
anlasst, klarzustellen, dass der juristische Anteil zur Lösung eines Problems oder
eines Störfalles in einem Unternehmen oft auch unbedeutend sein kann. Bei einem
simplen Kaufgeschäft, das zu einem Problemfall führt, stellen sich selbstverständ-
lich juristische Fragen, die vielleicht rechtlich schnell beantwortet werden kön-
nen. Die rein rechtliche Beantwortung der Fragen ist aber in vielen Fällen nicht
18 C. Dueblin

r­elevant für die Lösung unternehmerischer Probleme und Störfälle. In diesem


Zusammenhang stellen sich noch ganz andere Fragen:

• Betrifft der Störfall einen Vertragspartner mit großer Marktmacht? Wenn


ja, wird eine rein rechtliche Herangehensweise für ein KMU in der Regel
schwierig werden. Es fehlt oft an den nötigen Ressourcen, sich große rechtli-
che Streitigkeiten leisten zu können. In solchen Fällen wird deshalb nicht sel-
ten – durchaus ökonomisch sinnvoll – ein Kompromiss angestrebt, zu dem der
Legal Counsel beitragen kann. Dafür muss er fähig sein, sich von rein juristi-
schen Betrachtungsweisen von Lebenssachverhalten und einem allfälligen Gut-
achterstil zu lösen und auch einmal ausschließlich unternehmerisch zu denken.
• Betrifft ein Störfall einen potenziellen oder guten Kunden, den man nicht ver-
lieren möchte? In diesen Fällen ist ein Unternehmen oft geneigt, einen Kom-
promiss einzugehen oder sich kulant zu verhalten.
• Gilt es in einem Störfall persönliche Beziehungen oder auch politische Aspekte
zu beachten? So kann es sein, dass ein Manager des eigenen Unternehmens bei-
spielsweise Aufsichtsrat des vom Störfall betroffenen anderen Unternehmens ist.
• Kann mit einer zeitnahen Erledigung eines allfälligen Rechtsfalles gerechnet
werden oder besteht die Gefahr, dass sich ein solcher Fall über Jahre hinweg-
zieht? Wenn die Zeit drängt, kann dies dazu führen, einen Fall nicht rechtlich
anzugehen, sondern andere Wege zu beschreiten.
• Führt der Störfall zu zeitlichen Problemen und damit zu großen Schäden,
indem beispielsweise eine Anlage nicht in Betrieb genommen werden kann,
solange keine Lösung mit einem Vertragspartner vorliegt? In solchen Fäl-
len sehen sich viele Unternehmen gezwungen, Kompromisse einzugehen, um
weitere Schäden, die lauern, zu vermeiden. Der Legal Counsel muss auch hier
bereit sein, rechtliche Abstriche zu machen und strategisch im Sinne des eige-
nen Unternehmens zu denken.
• Macht es Sinn, mit berechtigten Schadenersatzforderungen auf ein anderes Unter-
nehmen loszugehen, wenn sich abzeichnet, dass dieses damit in Konkurs geht?

Mit diesen Beispielen soll aufgezeigt werden, dass die juristische Arbeit im Unter-
nehmen in der Regel nicht einfach alleine für sich betrachtet werden kann. Das gilt
im besonderen Maße für KMU. Spezialisten in großen Unternehmen und Konzer-
nen haben es oft etwas einfacher. Von ihnen wird in der Regel nicht erwartet, dass
sie sämtliche Abläufe und Prozesse ihres eigenen Unternehmens bei ihrer juris-
tischen Spezialarbeit verstehen und dieses Wissen in ihre Gutachten und Urteile
einfließen lassen. Vom Legal Counsel in einem überschaubaren KMU hingegen,
in denen der Legal Counsel nicht selten direkt dem CEO oder CFO zudient, und
in denen die Entscheidwege oft sehr viel kürzer sind als in großen Unternehmen,
wird strategisches und bereichsübergreifendes unternehmerisches Mitdenken von
Beginn weg erwartet. Das stellt für den Legal Counsel in diesen Unternehmen eine
Herausforderung dar, die er „anpacken“ sollte. Denn gelingt es ihm, sein recht-
liches Wissen gepaart mit unternehmerischem und strategischem Verständnis „an
2 Sinn und Unsinn einer Rechtsabteilung 19

den Mann“ zu bringen, kann er unmittelbaren Einfluss auf den Erfolg eines Unter-
nehmens ausüben, was seine Tätigkeit sehr interessant und spannend macht.

Interview mit Dr. h.c. Henri B. Meier (von Christian Dueblin)


Dr. h.c. Henri B. Meier, geboren 1936, langjähriger CFO und VR der Roche-
Gruppe und Verwaltungsratspräsident von Givaudan sowie vieler weiterer
Firmen, gehört zu den bekanntesten und erfahrensten Schweizer Unternehmer-
persönlichkeiten. Lange Jahre für die Weltbank auf der ganzen Welt und als Divi-
sionschef insbesondere für Lateinamerika tätig, setzte sich Dr. h.c. Henri B.
Meier schon sehr früh auch als Autor mit den Themen Kanalisierung von
Ersparnissen, Wertschöpfung und Innovation auseinander und war ­zeitlebens
mit rechtlichen Themen befasst. Für seine Verdienste in Wirtschaft und
­Forschung verlieh ihm die Universität Basel im Jahre 1999 die Ehrendoktor-
würde (Dr. h.c.) und die Universität St.Gallen im Jahr 2011 den Titel eines
Ehrensenators.

Dr. h.c. Henri B. Meier auf die Frage, was ihn in Sachen Recht und Ver-
träge in den letzten Jahrzehnten beeindruckt hat:
Der nach dem 2. Weltkrieg ausgebildete Wirtschaftsstudent mit Interesse
an Rechtsphilosophie (Wahlfach Doktoratsprüfungen) verstand das an der
Universi­tät vermittelte Recht als Basis zur Klärung zwischenmenschlicher
Konflikte. Er empfand Recht auch als „Gerechtigkeit“, konnte sich mit vielen
rechtlichen Prinzipien identifizieren – vor allem mit dem zentralen Prinzip des
Schweizer Rechts, dem Grundsatz von „Treu und Glauben“. In den darauffol-
genden Jahrzehnten entwickelten sich unter dem Einfluss des amerikanischen
Rechts Vorschriften und Gesetze, die unser traditionelles Rechtsempfinden
verletzten. In vielen Fällen wurde ein weiterer Grundsatz, „in dubio pro reo“,
missachtet, was dazu führte, dass Bürger ihre Unschuld beweisen mussten und
nicht umgekehrt die Unschuld vermutet wurde bis die Schuld bewiesen war.
Immer mehr Gesetze mächtiger Nationen, mit unterschiedlichen Grundwerten
und Absichten, verdrängten das traditionelle Schweizer Rechtsempfinden.

Dr. h.c. Henri B. Meier über seine erste Erfahrungen mit unterschiedli-
chen Rechtsempfindungen:
Meine erste Erfahrung mit der Konfrontation unterschiedlicher Rechtsempfin-
dungen datiert aus der Zeit, als ich in der Weltbank für die Darlehensvergabe an
die damals sogenannten „unterentwickelten Länder“ – ein Ausdruck, der heute
unter der Fuchtel der „political correctness“ verpönt ist, obwohl die alte Defi-
nition den relevanten Tatbestand in den meisten Fällen besser beschrieb – ver-
antwortlich zeichnete. Basis der Verträge der Weltbank war angelsächsisches,
vor allem aber amerikanisches Recht. Die Mehrzahl der ­ Darlehensnehmer
unterstand Gesetzen, die sie von den Kolonialherren aufgepfropft bekommen
hatten und selten Ausdruck ihres Rechtsempfindens, ihrer Überzeugungen,
geschweige denn sonst wie in ihrem Sinne ausgearbeitet waren. Im Dialog
20 C. Dueblin

vor und während den Verhandlungen zeichnete sich bereits ab, dass hier zwei
Welten aufeinander prallten, allerdings in der Regel auch im gegenseitigen
Bewusstsein aller Beteiligten, dass es gar keine Alternativen zu dieser Vorge-
hensweise gab. Am Ende des Tages waren die einzelnen Artikel und Bedingun-
gen auch gar nicht so wichtig. Man hielt sich als Schuldner – so schien es – an
die Auflagen, weil man sonst die Chance auf weitere Darlehen verspielt hätte.

Dr. h.c. Henri B. Meier zum Rechtsempfinden am Beispiel des japanischen


Kulturraumes:
Einen weiteren Einblick in das unterschiedliche Rechtsempfinden erhielt ich
in Verhandlungen mit japanischen Darlehensnehmern, für welche Schweizer
Banken – in meinem Fall die HBNW der britischen Natwest – Wandelanlei-
hen emittierten. Der Vertragsinhalt war weitgehend vorgängig vom japanischen
Finanzministerium abgesegnet worden, weshalb sich der japanische Verhand-
lungspartner auch peinlich genau an die Abmachungen hielt. In persönlichen
Gesprächen war aber frappant feststellbar, dass er mit auf Schweizer Gesetz
basierten Verträgen nicht nur wegen der Kürze, sondern auch den Prinzipien
viel weniger Schwierigkeiten hatte als etwa mit angelsächsischen Versionen.
Die im Letzteren implizierte Vermutung, dass der japanische Darlehensneh-
mer sowieso versuchen würde, seine Verpflichtungen nicht einzuhalten oder zu
umgehen, empfand er zutiefst als Beleidigung.

Dr. h.c. Henri B. Meier zu seiner Erfahrung mit unterschiedlichen Rechts-


systemen bei Groß-Akquisitionen:
Diese geht unter anderem auch auf die Groß-Akquisitionen für das Unterneh-
men Roche in den 90er Jahren zurück: Syntex und Genentech mit amerikani-
schem Hintergrund, die Deutsche Böhringer Ingelheim mit „internationalem
Recht“. Schon damals hatte der Detaillierungsgrad amerikanischer Gesetze und
Verordnungen alle anderen Rechtsordnungen in den Schatten gestellt. Das Auf-
gebot an Juristen für die Produktion von Dokumenten mit Beschreibung höchst
unwahrscheinlicher Szenarien und Verfehlungen war überwältigend und ich
fragte mich immer wieder, weshalb die handelstüchtigen Römer vor 2000 Jah-
ren mit einigen wenigen klaren Prinzipien operieren konnten.

Dr. h.c. Henri B. Meier auf die Frage nach aktuellen Erfahrungen mit
unterschiedlichen Rechtssystemen:
Diese Erfahrungen betreffen zum Beispiel die Finanzierung von zukunftsträch-
tigen Schweizer Jungunternehmen an der Spitze des technologischen Fort-
schritts. Der größere Teil dieser Finanzierungen erfolgt durch ausländische
Venture Capital Gesellschaften/Fonds, nicht weil die Schweiz zu wenig Erspar-
nisse hätte: In der Schweiz wird 30 % des Einkommens gespart! Nein, die für
die kollektiven Schweizer Ersparnisse zuständigen Beamten glauben zu wis-
2 Sinn und Unsinn einer Rechtsabteilung 21

sen, was sicher ist und investieren in Staatsschulden und andere Schuldverbrie-
fungen, so auch die Deutschen und die Österreicher! Das führt mit dazu, dass
Jungunternehmen aus diesen Ländern bei der Beschaffung von „Risikokapital“
regelmäßig mit „angelsächsischen“ Verträgen konfrontiert und damit vollkom-
men überfordert sind; eine denkbar schlechte Startposition für ein Start-up-­
Unternehmen.

Dr. h.c. Henri B. Meier stellt heute rückblickend in Bezug auf seine
Geschäftstätigkeit fest:
Es war einfacher, Verhandlungen mit kontinentaleuropäischen Juristen und
Anwälten zu führen, weil sie mit klaren Begriffen und Prinzipien operierten, die
wohl auch den Römern zu verdanken sind.
Natürlich muss ich mich auch fragen, ob diese heutige Einsicht nicht auch
das Resultat eines über die Jahrzehnte veränderten Rechtsempfindens ist.
Sicher aber haben sich Rechtsvorschriften in allen Formen für heute tätige
Unternehmen verhundertfacht und stellen die Verantwortlichen, so auch die
Rechtsabteilungen und andere juristische Fachexperten, vor große Herausfor-
derungen.

Dr. h.c. Henri B. Meier auf die Frage nach der Entwicklung der Beziehung
„Recht und Bürger“ im Laufe seines Lebens:
Am meisten verändert hat sich im Laufe meines Lebens und meiner Ansicht
nach das Verhältnis demokratischer Staaten zu seinen Bürgern, das in einer
unerhörten Gesetzesexplosion zum Ausdruck kommt.
Hatte der Staat ursprünglich die Aufgabe, Leib und Gut vor fremden Mäch-
ten und Kriminellen zu schützen, ist er in den letzten 80 Jahren mehr und
mehr zum Verantwortlichen für Ausbildung, Gesundheit, Altersbeschwerden
und Schutzpatron gegen Dummheit geworden, mit Vorschriften wie Angur-
ten, Helmtragen sowie Hygiene, um nur einige zu nennen. In gewissen Län-
dern ist dieser Trend so weit fortgeschritten, dass der Bürger vom Staat in erster
Linie als Steuersubjekt wahrgenommen wird, der auch im Ausland steuerlich
verfolgt wird, ohne dass der entsprechende Staat irgendwelche Gegenleis-
tungen erbringt. Oder im inzwischen stark expandierten Straßenverkehr, wo
ursprünglich die Regel galt, dass die Geschwindigkeit flexibel den Umständen
(Witterung, Sicht, Fußgänger) anzupassen sei, entstanden mehr und mehr fixe
Schilder mit Radarfallen – als reichlich fließende Steuerquelle.
Freiheit und Menschenwürde sind der Preis für diese Schutzfunktion. Je
mehr der Bürger von seinem Staat fordert, desto mehr wird er zum Sklaven
desselben. Diese Entwicklungen müssen wir kritisch im Auge behalten.
22 C. Dueblin

Über den Autor


Christian Dueblin, lic. iur., Executive MBA Universität St.Gallen (HSG) – Partner QUAD-
RAGON MANAGEMENT LLC, Basel
Studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Fribourg/Basel und bildete sich anschlie-
ßend betriebswirtschaftlich mit einem Executive MBA-Lehrgang in General Management an
der Universität St.Gallen (HSG) weiter. Er hat mehrere Jahre als nebenamtlicher Bezirksrichter
gearbeitet, Rechtsabteilungen bekannter international tätiger Mittelstandsbetriebe aufgebaut und
als General Counsel geleitet. Als Partner von QUADRAGON MANAGEMENT verantwortet er
die Bereiche Interim Legal Counseling und Legal Education. Christian Dueblin ist langjähriger
Experte und Fachdozent für Recht von procure.ch. Er ist zudem Gründer und Betreiber des Kul-
tur- und Management-Netzwerkes Xecutives.net.
Teil II
Aktuelle Herausforderungen von Legal
Operations
Übersicht über aktuelle
Herausforderungen von Legal 3
Operations
Roman P. Falta

3.1 Die Herausforderungen für Legal Operations steigen

Die Herausforderungen für Legal Operations in Deutschland, Österreich und der


Schweiz steigen stetig an. Aus verschiedenen Gesprächen mit General und Legal
Counsels – sowohl von KMU, als auch von Großunternehmen und internationa-
len Konzernen aus den drei Ländern – haben wir als Herausgeber dieses Buches
sehr einheitliche Einschätzungen erhalten. Folgende Hauptgründe werden für die
Zunahme an Herausforderungen für den heutigen Unternehmensjuristen verant-
wortlich gemacht:

• Weiterhin zunehmende allgemeine Verrechtlichung; es gilt immer mehr


geschäftsrelevante Regularien zu beachten und inhouse in die Geschäftsabläufe
zu integrieren.
• Zunahme der Compliance-spezifischen Verrechtlichung; das stellt auch gerade
kleinere und mittlere Unternehmen vor große Herausforderungen, die sich
ebenfalls aktiv mit Compliance-Regularien beschäftigen müssen, um auf dem
Markt bestehen zu können.
• Zunahme der Marktrisiken, vor allem aber auch der operationellen Risiken, die
dazu führen, dass ein funktionierendes Legal Risk Management immer wichti-
ger wird.
• Beschleunigung der Marktpenetrations- und Transaktionszeiten sowie eine all-
gemeine Komplexitätssteigerung führen dazu, dass nicht nur Legal Transac-
tion Teams, sondern vielerorts mittlerweile auch die ganze Rechtsabteilung an
Kapazitätsgrenzen stößt.

R.P. Falta (*)


Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC,
Zürich, Schweiz
E-Mail: falta@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 25


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_3
26 R.P. Falta

• Fortschritt durch technologischen Wandel schlägt sich auf die Rechtsfunktion nie-
der, indem Bereiche, wie Datenschutz, IT-unterstützte Arbeitsplätze, Knowledge
Management-Infrastruktur etc. auch für Legal Operations immer wichtiger werden.
• Schließlich auch die immer weiter voranschreitende Globalisierung der Wirt-
schaft, die dazu führt, dass sich Unternehmensjuristen vertieft mit fremden
Märkten, Rechtsordnungen und Rechtssystemen auseinandersetzen müssen.

Es scheint so, als würden die „guten alten Zeiten“, in welchen sich der General
Counsel und seine juristischen Mitarbeitenden ausschließlich auf ein solides Legal
Counseling der Interaktionspartner im Unternehmen und auf verwandte Aufgaben-
gebiete konzentrieren konnten, definitiv der Vergangenheit angehören. Offenbar
sind diese findings allgegenwärtig: Zu ähnlichen Resultaten kommt auch die reprä-
sentative JUVE-Inhouse-Umfrage 2016, die prophezeit, dass „[sich] mit dem ver-
änderten Arbeitsumfeld (…) auch die Rolle der Syndizi in den Unternehmen
[wandelt]: Vom internen Dienstleister werden sie zum Risikomanager. Doch längst
nicht alle Inhousejuristen wollen diese neue Rolle annehmen.“1 Im Bereich der
Großunternehmen kommt die Beratungsgesellschaft Otto Henning ebenfalls zu
ähnlichen Ergebnissen. So steht „die Rechtsabteilung (…) in den kommenden Jah-
ren vor massiven Veränderungen: Sie gerät zunehmend in den Fokus des unterneh-
merischen Handelns. Knapp die Hälfte der Befragten sieht in den nächsten fünf
Jahren einen weiteren Kostendruck auf sich zurollen (45 %), neue rechtliche und
technische Herausforderungen erwarten 40 %, einen höheren Einsatz von Wis-
sensmanagement und Technologie prognostizieren 35 %. Die Auswirkungen sind
die Folgen zunehmender Globalisierung, Regulierung und neuer Geschäftsmo-
delle.“2 Des Weiteren werden die interne Profilierung der Legal Operations im
Unternehmen (20 %) und der sogenannte war for talents (15 %) mit Implikationen
auf die work-life-Balance, flexible Arbeitszeitmodelle sowie Weiterbildungen als
große künftige Herausforderungen in Rechtsabteilungen angesehen.3

3.2 Aktuelle Trends erkennen und in das Management


von Legal Operations umsetzen

Über die künftigen Problemstellungen im Umfeld der Rechtsfunktion besteht –


eine fast schon einhellige – Einigkeit. Mithin beinhalten folgende Kapitel dieses
Buches spezifische Lösungsvorschläge zu den vorgenannten Herausforderungen:

• Zunahme der allgemeinen Regulationsdichte: Kap. 4, 5, 47–51 und 53;


• Zunahme von Compliance-Regularien: Kap. 54 und 55;

1www.juve.de/nachrichten/namenundnachrichten/2016/02/rolle-der-rechtsabteilung-herausforde-

rungen-fuer-syndizi-steigen-weiter. Besucht 10. Mai 2017.


2Otto Henning GmbH (2015, S. 43).
3Otto Henning GmbH (2015, S. 42).
3 Übersicht über aktuelle Herausforderungen von Legal Operations 27

• Zunahme von Risiken: Kap. 30 und 47;


• Beschleunigung und Komplexität: Kap. 29 und 49;
• Technologischer Wandel: Kap. 43 und 44.
• Globalisierung: Kap. 6–8.

3.3 Herausforderungen in Privatwirtschaft, Behörden


und einer globalisierten Welt

Über die spezifischen Problemstellungen des Legal Operations Management


(der Buchteile III bis XIII) hinaus, hat sich eine Gruppe von Autoren den eher
allgemeinen aktuellen Herausforderungen der Rechtsfunktion angenommen. Sie
berichten aus ihrer ganz persönlichen Sichtweise über die Legal Operations in
Privatwirtschaft, in der Öffentlichen Verwaltung und in einer globalisierten Welt:

• Prof. Dres. h.c. Rolf Dubs setzt sich in Kap. 4 mit den aktuellen Herausforde-
rungen von Legal Operations in der Privatwirtschaft auseinander. Er zeigt auf,
wie Veränderungen in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwelt –
insbesondere die Überregulierung – einen wichtigen Einfluss auf die Rechts-
funktion als rechtlicher Unterstützungsprozess des Unternehmens haben.
Weiter setzt er sich mit strategischen Überlegungen zur Positionierung von
Unternehmensjuristen auseinander. Schließlich hinterfragt er kritisch die aktu-
elle juristische Ausbildung und zeigt mögliche Berufschancen von Unterneh-
mensjuristen auf.
• Regula Mader geht in Kap. 5 auf die aktuellen Herausforderungen der Legal
Operations in Behörden und Verwaltung ein und nimmt dabei direkt Bezug auf
die Aufgaben und Besonderheiten von Verwaltungsrechtsdiensten. Weiter zeigt sie
auf, welche speziellen Anforderungen an Juristen in der öffentlichen Verwaltung
gestellt werden und wie die Zusammenarbeit zwischen Unternehmensjuristen
und Behörden optimal ausgestaltet werden kann. Im Anschluss gibt das Interview
mit Prof. Dr. Heinrich Koller Einblicke in dessen persönliche Erfahrungen im
Zusammenhang mit Herausforderungen von Verwaltungsrechtsdiensten.
• Thomas Soseman beschäftigt sich in Kap. 6 mit Herausforderungen für
Unternehmensjuristen im Geschäftsverkehr mit den Vereinigten Staaten von
­Amerika. Er zeigt zuerst die Besonderheiten des US-amerikanischen Recht-
systems und des common law auf. Danach erläutert er den wichtigen Bereich
„­Produkthaftung und Rechtsstreit“ und geht auf die kulturellen sowie quantita-
tiven Aspekte bei Geschäften in den USA ein.
• Lukas Zuest fokussiert sich in Kap. 7 auf die Herausforderungen für Unter-
nehmensjuristen im Geschäftsverkehr mit China. Er gibt einen Einblick in die
chinesische (Rechts-)Kultur und setzt sich vertieft mit dem Umgang westlicher
Unternehmensjuristen mit chinesischen Entscheidungsträgern (Beamten, Anwäl-
ten und Geschäftsleuten) auseinander. Weiter beschäftigt er sich mit der staatli-
chen Mitwirkung in Bezug auf Bewilligungs- und Registrierungspflichten, dem
28 R.P. Falta

Umgang mit der chinesischen Sprache und mit „Company Chops“. Schließ-
lich folgen Erläuterungen über chinesische Spezifika betreffend staatlicher
Gerichts- sowie Schiedsverfahren und praktische Tipps zum Umgang mit chi-
nesischem Recht.
• Nicolas Brehmer nimmt in Kap. 8 Bezug auf die Herausforderungen für
Unternehmensjuristen im Geschäftsverkehr mit dem Nahen und Mittleren
Osten sowie Nordafrika (MENA-Region). Er gibt einen Überblick über die
Geschäftskultur in der arabischen Welt, über die Rechtssysteme und Rechts-
kulturen in der MENA-Region und weist auf Besonderheiten hin, die für Legal
Counsels wichtig sind. Dabei geht er vertieft auf einzelne Aspekte ein, wie den
Einfluss des islamischen Rechts, auf Zinsverbote, gesellschafts- und beteili-
gungsrechtliche Verhältnisse, Freizonen etc. Schließlich widmet er seine Auf-
merksamkeit auch der Streitbeilegung durch Schiedsverfahren in der arabischen
Welt.

Literatur
Otto Henning GmbH – Management Consultants (2015) General counsel benchmarking-report
(VI) 2015/16. Otto Henning GmbH, Frankfurt a. M.

Über den Autor


Roman P. Falta, lic.iur.HSG – Professional Services Management Leader QUADRAGON
MANAGEMENT LLC, Zürich
Studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen HSG. Daneben
hält er Weiterbildungsdiplome der Harvard University, des MIT und der UC Berkeley in Sozio­
anthropologie und Psychologie. Seine Berufskarriere begann er in einer führenden Strategie-
beratung, welcher Berufsstationen bei Gericht, in der Finanzverwaltung und einer namhaften
Anwaltskanzlei folgten. Anschliessend war er für diverse Bereiche in Corporate Legal und in der
Compliance eines Global Fortune 500-Unternehmens verantwortlich. Als Professional Services
Management Leader verantwortet er heute unter anderem den Bereich Legal Operations Optimi-
zation bei QUADRAGON MANAGEMENT. Er gilt als einer der renommiertesten Experten für
Professional Services Optimization und Elite Performance Development im deutschsprachigen
Raum.
Herausforderungen der Legal
Operations in der Privatwirtschaft 4
Rolf Dubs

4.1 Veränderung der wirtschaftlichen und


gesellschaftlichen Umwelt

Noch nie hat sich die Welt dermaßen rasch verändert wie in den letzten zehn Jah-
ren. Verantwortlich dafür sind vier Erscheinungen:

• Globalisierung: Globalisierung ist die zunehmende Verflechtung der Staaten in


allen Lebensbereichen. Im Vordergrund steht die wirtschaftliche Verflechtung,
also die wirtschaftliche Integration eines jeden Counsel in die Weltwirtschaft.
Begünstigt wurde und wird dieser Prozess durch verkürzte Transportwege und
billigere Transportkosten, den erweiterten und einfacheren Informationsaus-
tausch, den technologischen Fortschritt sowie die politischen Informationsbe-
mühungen und den Abbau von Handelshemmnissen.
• Beschleunigung: Die raschen technologischen Fortschritte führen zu kürzeren
Produktlebenszyklen, welche Entwicklungssprünge und Auswirkungen auf alle
Lebensbereiche beschleunigen und immer häufiger ganze Märkte substituieren
und zu regionalen Verschiebungen im Produktions- und Dienstleistungsbereich
veranlassen.
• Komplexität: Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen ver-
stärken die Komplexität in allen Lebensbereichen und erschweren als Folge
davon die Entscheidungsfindung, die immer stärker durch Zielkonflikte geprägt
ist, das heißt es gibt nicht mehr richtige und falsche Lösungen, sondern Lösun-
gen sind immer durch Vorteile und Nachteile charakterisiert, die für Entschei-
dungen zu beurteilen sind. Die Zeit für Patentlösungen ist vorbei.

R. Dubs (*)
School of Management, University of St.Gallen HSG, St.Gallen, Schweiz
E-Mail: rolf.dubs@unisg.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 29


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_4
30 R. Dubs

• Regulierungsdichte: Als Folge dieser Veränderungen bedarf es in allen


Lebensbereichen einer immer größeren Regulierungsdichte durch den Staat,
die zum Teil im Interesse der Funktionstüchtigkeit der Gesellschaft zwingend
ist, zum Teil aber immer mehr auch eine sich selbstverstärkende Wirkung hat
und die Wirksamkeit des demokratischen und marktwirtschaftlichen Systems
untergräbt.

4.2 Die Regulierung

Der Begriff Regulierung steht für sämtliche Gesetze, Vorschriften und Regeln,
welche von einem Staat oder einer überstaatlichen Organisation erlassen wer-
den. Durch die Regulierung soll ganz allgemein das Zusammenleben der
Menschen gelenkt und vereinfacht werden. Konkret spielen je nach Regulierungs-
bereich viele verschiedenartige Faktoren eine Rolle: Im Finanzsektor sollen über
Regulierungen die Folgen von Informationsasymmetrien kontrolliert werden.
Bedeutsamer ist auch der Vertrauensschutz geworden (Machtmissbrauch, Ver-
trauensmissbrauch) und der Systemschutz (Sicherstellung der Stabilität im Wirt-
schaftsbereich) in allen Bereichen. Allerdings bedeutet jede Regulierung meistens
auch eine Einschränkung der unternehmerischen oder der persönlichen Hand-
lungsfreiheit. Die Regulierung ist immer ein Balanceakt zwischen notwendigen,
gut durchdachten Maßnahmen und Beschränkungen der Freiheit der Wirtschaft
und der Menschen. Notwendig und durchdacht sind Regulierungen, wenn sie

• transparent und in einem größeren Rahmen gesehen zweckmäßig sind,


• verhältnismäßig sind, das heißt sie einem klaren Zweck dienen und für mög-
lichst viele Institutionen und Leute Sinn machen,
• Eigeninitiativen nicht übermäßig erschweren,
• sich nicht an Einzelinteressen bestimmter Gruppen orientieren,
• sich nicht für ein reflexartiges Herunterbrechen in andere Bereiche eignen, also
nicht übergeneralisiert angewendet werden,
• nicht entworfen werden, wenn gesetzliche Vorschriften nicht konsequent umge-
setzt werden,
• einfach durchzuführende Maßnahmen beinhalten, die wohl begründet und
transparent kommuniziert werden.

Leider entwickelt sich weltweit eine Regulierungswut, die auf die folgenden Ursa-
chen zurückzuführen ist:

• Präzisierung von rechtlichen Erlassen (insbesondere unklare Verfassungsbe-


stimmungen) mit dem Ziel der Erhöhung der administrativen Wirksamkeit
und/oder zur Präzisierung von Unklarheiten sowie als Folge von klärenden
Gerichtsurteilen,
• Vorschriften zur Risikoprävention,
4 Herausforderungen der Legal Operations in der Privatwirtschaft 31

• Korrektur von Fehlentwicklungen und Fehlverhalten (leider verschulden Unter-


nehmer und Manager viele Reglementierungen, weil sie Fehlentwicklungen oft
nicht selbst durch gezielte Verbesserungsmaßnahmen korrigieren),
• Entscheidungen von Gerichten, in welchen rechtliche Unklarheiten und Unsi-
cherheiten aufgedeckt werden,
• Übereifer von Behörden oder Verwaltungsstellen, welche – nicht selten zur
Stärkung der eigenen Stellung – aktiv werden, sich aber wenig Gedanken über
den Sinn und Unsinn ihrer Ideen machen,
• internationaler Druck zur Angleichung der rechtlichen Gegebenheiten als Folge
der internationalen Wirtschaft.

Die Globalisierung, die Beschleunigung sowie die Komplexität werden in den


nächsten Jahren der Wirtschaft und den Unternehmungen eine noch größere Regu-
lierungsdichte bescheren. Unterstützt wird diese Entwicklung durch die immer
populistischer werdende Politik, indem bei jeder echten oder hochgespielten kri-
tischen Erscheinung Regulierungsmaßnahmen gefordert werden, bei denen es oft
weniger um die Sache als um persönliche politische Profilierung, um ideologische
Vorstellungen oder um ein Interessenskalkül einzelner gesellschaftlicher Gruppen
geht. Bedauerlich dabei ist, dass kaum je Gedanken über den Abbau überholter
und im Zuge der Zeit sinnloser Regulierungen gemacht und die dringend notwen-
digen Analysen der Kosten einer jeden Regulierung immer noch erst in Einzelfäl-
len durchgeführt werden. Belastend wirkt sich der zunehmende Formalismus aus,
indem einerseits – und richtigerweise – der juristischen Perfektion immer mehr
Beachtung geschenkt und damit dem Formalismus oft unnötiger Vorschub geleis-
tet wird. Andererseits werden Kontroll- und Überwachungssysteme eingeführt,
welche Sicherheiten versprechen, aber von den Verwaltungsstellen aus Belastungs-
gründen gar nicht mehr wirksam durchgeführt werden können. Man denke an die
vielen Leerläufe im Berichtswesen an staatliche Stellen. Allerdings dürfen Formen
der Regulierung nicht leichtfertig infrage gestellt werden. Schon 1858 hat Rudolf
von Jhering treffend auf das Spannungsfeld zwischen Form und Freiheit aufmerk-
sam gemacht:

Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit.
Denn die Form hält dem Versucher, der die Freiheit zur Zügellosigkeit verleiten sucht, das
Gegengewicht, sie lenkt die Freiheitssubstanz in feste Bahnen, dass sie sich nicht zersplit-
tern, und kräftigt sie dadurch nach innen und schützt sie nach außen. Feste Formen sind
die Schule der Zucht und Ordnung und damit der Freiheit selber und andererseits eine
Schutzmauer gegen äußere Angriffe, – sie lassen sich nur brechen, nicht biegen.1

Diese Gedanken von Rudolf von Jhering machen die Bedeutung der Regulierung
deutlich. Leider entspricht aber die Entwicklung der Regulierung nicht mehr sei-
nem Ideal. Die Regulierung wird in Zukunft noch umfassender werden und die
unternehmerische Freiheit weiter beschränken, für Unternehmungen hohe, zum

1Jhering R. v. (1858, S. 32).


32 R. Dubs

Teil sinnlose Kosten bringen, die Wirksamkeit der Marktwirtschaft zunehmend


stärker beeinträchtigen und letztlich zu einer den freien Markt hemmenden, regu-
lierten Pseudo-Marktwirtschaft führen, eine Entwicklung, für welche Unterneh-
mer und Manager – wie bereits angedeutet – eine gewisse Verantwortung tragen,
weil sie auf gesellschaftspolitisch als kritisch wahrgenommene Erscheinungen der
Führung von Unternehmungen wenig oder gar nicht reagieren (z. B. übertriebene
Boni, die in einzelnen Ländern bereits reguliert sind), und damit der Regulierungs-
welle weiteren Antrieb geben. Da leider nicht zu erwarten ist, dass sich die Regu-
lierung in reflektierter Form und unter Beachtung ihrer Kosten entwickelt, werden
Großunternehmungen sowie Klein- und Mittelunternehmungen mit juristischen
Problemen zunehmend stärker belastet, was mehr und mehr zu einer systemati-
schen Gestaltung der rechtlichen Unterstützungsprozesse (Legal Management) im
Rahmen der Gesamtführung einer Unternehmung zwingt.

4.3 Die rechtlichen Unterstützungsprozesse in einer


Unternehmung

Wie alle Unterstützungsprozesse – Informatik, Personalwesen, Ausbildung oder


Liegenschaften – bedarf auch der Bereich Recht einer eindeutigen Aufgabe und
Eingliederung in die Organisation der Unternehmung. Große Unternehmungen
oder Unternehmungen mit anspruchsvollen Rechtsproblemen (zum Beispiel viele
Patentfragen oder große Risiken mit der Produkthaftung) wählen eine Inhouse-
lösung, das heißt sie verfügen über einen für alle Rechtsprobleme zuständigen
Juristen als Legal Counsel oder eine aus mehreren Juristen bestehende Rechtsab-
teilung unter der Führung eines General Counsel. In beiden Fällen bearbeiten sie
alle Rechtsprobleme selbstständig „im Hause“, oder sie übernehmen die Leitung
aller Rechtsprobleme und ziehen für Spezialfragen gezielt Anwälte von außen bei
(Kanzleianwälte). In diesem Fall liegt das Schwergewicht der Arbeit auf der Anlei-
tung und der Koordination sowie der internen Finalisierung der juristischen Arbeit.
In allen diesen Fällen bearbeiten sie zuhanden der Unternehmungsleitung mögli-
cherweise auftretende oder entstandene Rechtsprobleme. Oder in zu erwartenden
kritischen Situationen suchen sie nach Lösungen, welche Rechtsvorschriften nicht
widersprechen. Kleinere Unternehmungen mit weniger Rechtsproblemen bestim-
men von Fall zu Fall einen Kanzleianwalt für einzelne Rechtsfragen oder als ihren
ständigen Legal Counsel.
In neuerer Zeit weist man dem Legal Counsel in allen diesen Formen wei-
tere Aufgaben zu: Leitung und Durchführung der Compliance, die angesichts
der Verrechtlichung und der steigenden Hinterfragung der Art der Geschäftsfüh-
rung immer bedeutsamer wird, Überwachung des Qualitätsmanagements, Unter-
stützung des Human Resource Managements, umfassende Rechtsberatung in der
gesamten Unternehmung und Sekretariat des Verwaltungsrats. Die Problema-
tik der Inhouselösung, bei welcher die Juristen alle Aufgaben übernehmen, liegt
darin, dass sie sich nicht auf das Anwaltsgeheimnis berufen können. In Klein-
und Mittelunternehmungen wird anstelle eines Legal Counsel oft ein Jurist oder
4 Herausforderungen der Legal Operations in der Privatwirtschaft 33

eine Juristin als Verwaltungsratsmitglied aufgenommen, die eine Triage-Funktion


übernehmen, das heißt entscheiden, ob ein Rechtsproblem – allenfalls mit ihrer
Hilfe – intern gelöst werden kann, oder ob eine außenstehende Kanzlei mit der
Problemlösung beauftragt wird. Gebräuchlich ist es in KMU auch, die gleiche
außenstehende Anwaltskanzlei mit der Aufgabe des Legal Counsel für alle juris-
tischen Tätigkeiten und während längerer Zeit zu beauftragen. Bislang scheint es,
dass in vielen Unternehmungen die Position der Legal Counsels zu sehr nur auf-
grund juristischer Überlegungen organisiert und kaum mit Blick auf die Arbeit der
strategischen Entwicklung der Unternehmung ausgerichtet wird. Anzustreben ist
infolge der zunehmenden Komplexität der unternehmerischen Tätigkeit ein stärke-
rer Einbezug des Legal Counsel in die Strategiearbeit der Unternehmungen. Dies
insbesondere in Unternehmungen, in denen Fragen des normativen Managements
bedeutsam sind.

4.4 Strategische Überlegungen zur


Positionsausgestaltung von Unternehmensjuristen

Zu betrachten sind drei Kernbereiche:

• Generelle Zielsetzung: Mit der zunehmenden Bedeutung der Corporate


Social Responsibility sollte die Tätigkeit des Legal Counsel also nicht mehr
auf engere Fragen des Rechts (rechtliche Sicherheit aller Entscheidungen und
Maßnahmen der Unternehmung) und auf die Nutzenorientierung (Gewinn-
maximierung) ausgerichtet sein, sondern die Legal Counsels sollten auch die
Wahrnehmung der gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmung über-
wachen und beeinflussen, zumal sich noch immer viele Unternehmungsleitun-
gen bei ihren Entscheiden nur an den traditionellen wirtschaftlichen Aufgaben
(Wachstum und Gewinnmaximierung) orientieren. Die Legal Counsels sollten
versuchen sicherzustellen, dass alles Tun der Unternehmung legitimiert ist, also
Zielvorstellungen der ökologischen Nachhaltigkeit, der sozialen Verantwortung
und der guten Governance formuliert und umgesetzt werden. Bis heute spre-
chen zwar viele Führungskräfte davon. Aber die strategische Überwachung und
die erreichten Fortschritte in diesem normativen Bereich der Unternehmung
werden noch weitgehend vernachlässigt. Vor allem hauseigene Legal Counsels
und nicht irgendwelche Spezialisten aus dem Betrieb sollten diese Aufgaben
zusätzlich übernehmen, weil sie einerseits eine gute Gesamtübersicht über das
Geschehen in der Unternehmung haben und sie andererseits mehr Gehör finden
als Spezialisten.
• Unterschiedliche Kulturen: Die Globalisierung der Wirtschaft zwingt die
international tätigen Unternehmungen, sich mit den fremden Kulturen vertraut
zu machen. Im Interesse der Marktausweitung in Ländern mit fremden Kul-
turen gewinnen interkulturelle Einsichten zunehmend an Bedeutung. Deshalb
dürfen sich Legal Counsels nicht mehr nur mit Fragen der eigenen Rechtskul-
tur beschäftigen, sondern sie müssen bereit sein, auf kulturelle Eigenarten von
34 R. Dubs

Partnerländern hinzuweisen, damit mögliche Geschäftserfolge nicht durch kul-


turelles Unverständnis und falsches Verhalten zunichte gemacht werden.
• Monitoring der Regulierung: Angesichts der Zunahme der Regulierung ist es
für Verwaltungsräte und Unternehmungsleitungen nicht mehr möglich, die vie-
len anfallenden Neuerungen und Anpassungen der Erlasse und Rundschreiben
richtig wahrzunehmen und die Konsequenzen für die eigene Unternehmung
abzuschätzen. Deshalb sollte der Legal Counsel regelmäßig eine Liste über die
neuen Regulierungen erstellen und sie allen Betroffenen zustellen, allenfalls
mit ergänzenden mündlichen Erklärungen an Sitzungen der nicht betroffenen
Kreise in der Unternehmung.

Diese drei für viele Unternehmungen neuen Anforderungen an die Legal Coun-
sels machen es also nötig, deren Tätigkeit stärker auf die Ganzheit der unterneh-
merischen Tätigkeit auszurichten und sie nicht mehr nur als Rechtsberater zu
verstehen. Je nach Größe der Unternehmung, der juristischen Probleme, die sich
mit ihrer Produktion oder Dienstleistung ergeben, der geografischen Breite der
Geschäfte, der in Zukunft zu erwartenden Herausforderungen im Zusammenhang
mit dem normativen Management sowie der Eigenarten der Regulierung, ist die
Position des Legal Counsel breiter zu umschreiben. Mit anderen Worten ist eine
betriebsindividuelle, auch etwas stärker betriebswirtschaftlich geprägte Aufga-
benumschreibung ins Auge zu fassen. Bei deren Ausgestaltung sind die folgenden
Fragen zu beantworten:

• Sollen dem Legal Counsel nur Rechtsfragen oder weitere Aufgaben (Risk
Management, Compliance, Beratung aller Mitarbeitenden, Sekretär des Verwal-
tungsrats) übertragen werden?
• Soll er sich auch mit den Fragen der Social Corporate Responsibility und Fra-
gen fremder Kulturen beschäftigen?
• Soll sich der Legal Counsel mit allen Rechtsfragen der Unternehmensleitung
und der Mitarbeitenden beschäftigen (Früherkennung von Problemen und Ent-
wurf von Maßnahmen sowie Bearbeitung aktueller Rechtsfragen) oder soll er
sich nur auf Spezialfragen konzentrieren, für welche keine externen Anbieter
verfügbar sind? Oder soll er sich auf das Legal Management konzentrieren, das
heißt externe Anwaltskanzleien beauftragen und betreuen (was und wie viel ist
intern zu bearbeiten und was wird extern vergeben; wie viel Generalistenarbeit
und wie viel Spezialistenarbeit ist intern zu leisten)?
• Welche weiteren Aufgaben (Compliance, Qualitätsmanagement, Unterstützung
im Human Resource Management, Beratung aller Mitarbeitenden, Sekretariat
des Verwaltungsrats) sollen in welchem Umfang dem Legal Counsel und allen-
falls seinen Mitarbeitenden zugeteilt werden?
• Schließlich sind die Unterstützungsprozesse des Legal Counsel festzulegen.
Wann muss oder darf er in der Unternehmung von wem beigezogen werden?
Darf er selbst Initiativen ergreifen, und in welchen Bereichen ist er dazu ver-
pflichtet?
4 Herausforderungen der Legal Operations in der Privatwirtschaft 35

Der rasche Wandel in der Wirtschaft und im Recht sowie das sich immer wieder
verändernde Verständnis der Führung einer Unternehmung erfordern ein systema-
tisches, aber flexibles Konzept für das Legal Management und im Interesse dessen
Wirksamkeitssteigerung eine klare Organisation mit gezielten Funktionsbeschrei-
bungen (Stellenbeschreibungen) für alle Bereiche und Personen, welche sich in
einer Unternehmung mit Rechtsfragen zu beschäftigen haben.

4.5 Der Wandel im Recht

Seit langem wird versucht, das Verhältnis von Wirtschaftsentwicklung und Rechts-
system theoretisch zu beschreiben. Beachtung gefunden haben dabei die Kausa-
litätstheorien und die Systemtheorien. Die Kausalitätstheorien untersuchen die
kausalen Wirkungen des Wirtschaftswandels auf den Rechtswandel und umge-
kehrt, die kausale Rolle des Rechts auf den Wirtschaftswandel. Die System-
theorien bestreiten, dass es sinnvoll und möglich ist, das Wechselspiel von zwei
dermaßen komplexen Bereichen wie Wirtschaft und Recht in einem Kausalver-
hältnis zu sehen. Sie gehen davon aus, dass sich die beiden Systeme gegenseitig
beeinflussen und damit Teil eines Transformationsprozesses sind.
Hier wird eine Mittelposition bezogen, indem bei neuen gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Entwicklungen zusätzlich zum Wechselspiel zwischen Wirtschaft
und Recht ein Transformationsprozess entsteht, denn um eine allseits erwünschte
neue wirtschaftliche Idee voranzutreiben, bedarf es einer darauf abgestimmten
rechtlichen Ordnung, welche der Wirtschaft für den Erfolg die notwendigen Rah-
menbedingungen setzt. Weil aber wirtschaftliche Innovationen in der Komplexität
unserer Zeit immer mehr Zielkonflikte beinhalten, lassen sich mit noch so guten
rechtlichen Rahmenbedingungen – neben allen Vorteilen – Nachteile häufig nicht
vermeiden, die kausale Wirkungen für die weitere Gestaltung der rechtlichen Vor-
schriften haben. Dabei verstärkt der zunehmende Dogmatismus vieler Institutio-
nen und Personen die durch die Zielkonflikte entstandenen Spannungsfelder, die
zu politischen Kompromissen führen, welche die Regulierung noch komplizierter
werden lassen. Verschärft wird die Regulierung durch die Tendenz, jedes und alles
juristisch anzufechten, was zu einer immer detaillierteren Regulierung zwingt und
allmählich die Bürokratie größer und größer werden lässt.
Dieser schleichende Prozess wird die Regulierung in hoch entwickelten Gesell-
schafts- und Wirtschaftssystemen weiterhin beschleunigen. Zu begegnen ist ihm
nur, wenn das systemische Denken Eingang in die Rechtsetzung findet. Systemi-
sches Denken heißt Probleme nicht einseitig aus beispielsweise politischer und
rechtstheoretischer Sicht anzugehen, sondern bewusst ihre Vernetzung oder ganz-
heitliche Betrachtung anzustreben, um mögliche Zielkonflikte mit den erwarteten
und unerwünschten Nebenwirkungen bewusst werden zu lassen.
Mir will scheinen, dass man im Recht im Hinblick auf die Systemorientie-
rung in den letzten Jahren kaum Fortschritte erzielt hat, nicht zuletzt unter dem
Eindruck, dass sich die Rechtswissenschaft immer noch zu sehr am traditionel-
len Rechtsverständnis orientiert, das zu sehr disziplinenbezogen und zu wenig
36 R. Dubs

integrativ weiterentwickelt wird und zu Verfeinerungen in der Reglementierung


führt, welche die Freiheit beschränkt und wahrscheinlich den wirtschaftlichen
Fortschritt zunehmend ineffizienter macht. In unserer Zeit der Globalisierung,
Beschleunigung und Komplexität ist eine vernünftige Regulierung für die Funkti-
onstüchtigkeit der Gesellschaft und der Wirtschaft unabdingbar. Zu vermeiden ist
aber die Überregulierung, welche die Unternehmungen finanziell und führungs-
mäßig immer stärker belastet. Dazu sind die folgenden Maßnahmen zu bedenken:

• Die Vergrößerung von Staatsverwaltungen ist zu vermeiden, um wenig sinn-


volle Initiativen, welche Staatsstellen häufig zur Rechtfertigung ihrer Existenz
oder zu ihrer Profilierung in Gang setzen, zu vermindern.
• Die Politik und die politischen Behörden sowie die Verwaltungen müssen bei
allen Erlassen eine Regulierungsfolgeabschätzung mit Kosten- und Nutzenana-
lysen vorlegen.
• Die auf Verfassungsänderungen beruhenden regulativen Anpassungen sind
sorgfältiger auszugestalten (Widerspruchsfreiheit, Einfachheit, Lesbarkeit und
Verständlichkeit), damit nicht laufend Sachbestandsbereinigungen, Missver-
ständnisse und Unklarheiten zu weiteren Regulierungen führen.
• Sorgfältiger zu beachten ist, dass keine „unnötigen“ Regulierungen erfolgen.
Gelingen kann dies erst, wenn der zunehmenden Forderung nach „öffentlichem
Interesse“ sachlicher begegnet, und sie ideologisch entlastet wird.
• Die Führungskräfte in der Wirtschaft sollten auf kommende, gesellschaftliche
Probleme sensibler und proaktiver reagieren, damit die Regulierungsbehörden
politisch nicht immer häufiger zu Regulierungsmaßnahmen gezwungen werden.
• Die Regulierungsbehörden müssen gezwungen werden, die Regulierungsmaß-
nahmen transparent zu machen, Alternativen vorzulegen und Berechnungen
über zu erwartende Kosten durchzuführen.
• Trotz Misserfolgen infolge vieler Fehler bei der Einführung sollte das New
Public Management (neue Verwaltungssteuerung) vorangetrieben werden.
• Die juristische Ausbildung sollte modernisiert werden.

4.6 Die juristische Ausbildung

Bis in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts hat sich das Studium des Rechts
nicht wesentlich verändert. Die Lehrpläne waren auf die Disziplin aller traditio-
nellen Rechtsgebiete ausgerichtet und ohne unmittelbaren Praxisbezug für die
spätere juristische Tätigkeit in Kanzleien, in der Verwaltung oder in der Wirtschaft
ausgestaltet. Erst die zunehmende Bedeutung des Rechts für die Wirtschaft veran-
lasste in den achtziger Jahren beispielsweise die Universität St.Gallen zur Einfüh-
rung eines Lehrgangs für „Wirtschaftsrecht“ mit einer grundlegenden volks- und
betriebswirtschaftlichen sowie einer vertieften wirtschaftsrechtlichen Ausbil-
dung. Geplant war dieser Lehrgang für Studierende, welche rechtliche Aufgaben
in Unternehmungen übernehmen wollten, aber mit der vertieften wirtschaftswis-
senschaftlichen Ausbildung später auch Führungspositionen in Unternehmungen
4 Herausforderungen der Legal Operations in der Privatwirtschaft 37

hätten übernehmen können. Der Versuch mit diesem Lehrgang ist damals jedoch
aus mehreren Gründen gescheitert: Die Absolvierenden wurden in Juristenkreisen
nicht als voll ausgebildete Juristen anerkannt, und die Zulassung zum Anwaltsexa-
men wurde sehr erschwert oder verunmöglicht. Auch konnten sich viele Rechts­
professoren mit dem Modell nicht identifizieren. Sie hätten lieber an einer vollen
juristischen Fakultät unterrichtet. Mangels hochschuldidaktischen Interessen kam
es auch zu keinen Innovationen im Unterricht. Die fachbezogenen Rechtsvorlesun-
gen mit den dazugehörenden Seminaren wurden im herkömmlichen Verständnis
fortgeführt. Dieses Konzept des wirtschaftsjuristischen Lehrgangs wird heute im
Rahmen der Bologna-Reform von verschiedenen Fachhochschulen weitergeführt.
Diese Studiengänge „Wirtschaftsrecht“ kombinieren eine betriebswirtschaftliche
und juristische Ausbildung und sind auf das nationale und internationale Wirt-
schaftsrecht fokussiert. Es dauert bei Vollzeitstudien sechs und bei Teilzeitstudien
acht Semester und wird als Studium der Zukunft bezeichnet, das die Brücke zwi-
schen Recht und Betriebswirtschaft schlägt. Bisher ist die Nachfrage nach Studien­
plätzen groß. Noch ist es zu früh zu beurteilen, ob dieser Weg erfolgreich sein
wird. Opposition seitens der Rechtsfakultäten und Anwaltsverbänden ist latent
vorhanden.
An den Universitäten wurde das juristische Studium im Gefolge des Bologna-­
Abkommens neu strukturiert. Leider haben sich die Reformarbeiten an den
meisten Universitäten stärker auf organisatorische Aspekte (wie Gliederung in
Bachelor- und Masterstufe, Studienpläne, Prüfungen, Punktesystem) und weniger
auf eine Modernisierung der Ausbildung anhand neuer juristischer Berufsbilder
konzentriert, wie etwa die folgende generelle Umschreibung für ein klassisches
Rechtsstudium zeigt.

Breite juristische Ausbildung


Der Studiengang in Rechtswissenschaft bietet Ihnen eine umfassende
juristische Ausbildung und erschließt den Zugang zur ganzen Vielfalt
der Berufsperspektiven, die Juristen offen stehen. Er vermittelt Ihnen die
Schlüsselkenntnisse und Fähigkeiten in den zentralen juristischen Gebie-
ten. Dazu zählen das Privatrecht, das öffentliche Recht, das Strafrecht, das
Verfahrensrecht und das internationale Recht. Ein besonderer Schwerpunkt
liegt auf dem nationalen und internationalen Wirtschaftsrecht. Eine wichtige
Rolle spielen auch die juristischen Grundlagenfächer: Rechtsgeschichte und
Rechtsphilosophie erweitern und vertiefen Ihr Verständnis für das Recht und
dessen Kontext.

Analysiert man juristische Prüfungen an der Universität und beobachtet man


Anfänger in juristischen Berufen, so lassen sich gegenüber früher die folgenden
Unterschiede beobachten:
38 R. Dubs

• Das verfügbare juristische Wissen ist viel größer. Die Reflexionsfähigkeit ist
aber häufig geringer, was sicher auf die noch zu sehr auf die bloße Wissensori-
entierung der vielen Prüfungen und das „Punktesammeln“ im Bologna-System
zurückzuführen ist.
• Der Umgang mit rechtlichen Verfahrensproblemen ist höher entwickelt als frü-
her. Dies könnte allerdings zur Folge haben, dass junge Juristen für Formalis-
mus und letztlich für Regulierungen noch anfälliger werden.
• Problemlösetechniken und Methoden der Bearbeitung von Rechtsfällen in den
traditionellen Rechtsgebieten sind besser geworden.
• Im Umgang mit dem internationalen Recht sind die Studierenden gewandter.

Sicher haben pädagogisch interessierte Dozierende viele neue Unterrichtsansätze


erprobt. Aber es fehlen immer noch umfassende Ansätze zur Neugestaltung der
Studienpläne und des Unterrichts, wobei nicht etwa didaktischen Modeerschei-
nungen gefolgt, sondern bewährtes Bisheriges und Neues in zielgerichteter Form
kombiniert werden sollte. Bedeutsam sind die folgenden Aspekte:

• Die Einführung in die Grundlagen der einzelnen Rechtsgebiete darf weiterhin


in gut gestalteten Vorlesungen und Seminaren vermittelt werden. Ihr Ziel ist es,
ein fachspezifisches Wissen zu vermitteln, denn wer nicht über ein gut struktu-
riertes Fachwissen verfügt, wird nie ein guter und kreativer Anwender und Pro-
blemlöser. Vorlesungen mit guten Beispielen, in denen die Persönlichkeit der
Dozierenden zum Tragen kommt, sind ebenso lernwirksam wie Selbststudium
und computergestützter Unterricht.
• In den Lehrveranstaltungen muss die systemische Ganzheit besser bearbeitet
werden, damit das Recht interdisziplinär und nicht mehr nur aus der Sicht der
disziplinären Rechtstheorie verstanden und entwickelt wird.
• Voraussetzung zum Gelingen dieser Forderung ist ein genügender Unterricht in
Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie.
• Es sind so viele wirtschaftswissenschaftliche Bereiche zu bearbeiten, damit die
Studierenden am Ende des Studiums wenigstens eine „wirtschaftliche Mithör-
kompetenz“ haben, das heißt über so viel Wissen verfügen, dass sie Lücken
selbst schließen können und in Gesprächen wenigstens erkennen, ob gemachte
Aussagen plausibel sind. In letzter Zeit wächst das Bedürfnis von Juristen nach
mehr Kenntnissen im Finanz- und Rechnungswesen. Dieses Wissen allein
genügt jedoch nicht, um die Ganzheitlichkeit der Unternehmensführung zu
erfassen. Für die Mithörkompetenz sind Kenntnisse über die strategische und
operative Führung zwingend.
• Um der Überregulierung Grenzen setzen zu können, bedarf es genügender Ein-
sichten in die ökonomische Analyse des Rechts (Untersuchung des Einflusses
rechtlicher Regulierungen auf das Verhalten Einzelner und der Auswirkungen
auf das gesamte gesellschaftliche und wirtschaftliche System). Ziel der ökono-
mischen Analyse ist es, Kostenabschätzungen der Regulierungen vorzunehmen
sowie nachzuweisen, ob Regulierungen für das System und seine einzelnen
Organisationen nützlich oder schädlich sind.
4 Herausforderungen der Legal Operations in der Privatwirtschaft 39

• Die Rechtsetzungslehre ist im Studium wesentlich zu verstärken, damit eine


sorgfältige Gesetzgebung unsinnige Regulierung hinfällig macht.
• Die Fallmethode mit interdisziplinärem Inhalt (Sachwissen, Problemlösungen,
ökonomische Analyse des Rechts, Präsentationstechniken, Verhandlungstech-
niken und Mediation) ist nach der Erarbeitung des juristischen Fachwissens
intensiver einzusetzen und mit dem notwendigen Fachwissen aus andern Berei-
chen abzustimmen. Mit dieser Methode sollen die angehenden Juristen dazu
herausgefordert werden, sich bereits während des Studiums von der im Studium
immer stärker vorherrschenden rein rechtlichen Betrachtungsweise von Rechts-
fragen zu lösen. Wichtigsr ist es, über ganzheitliche Überlegungen zu Konzep-
ten zu gelangen, die nicht laufend stärker nur auf die rechtliche Sicht mit ihren
größer werdenden Nachteilen (überholte Rechtstraditionen, bürokratische Vor-
schriften und Sicherungsmaßnahmen sowie wenig effiziente Regulierungen)
ausgerichtet sind.

4.7 Berufschancen von Unternehmensjuristen

Die zunehmende Verrechtlichung in unserer Gesellschaft und die stärker werdende


Beobachtung des unternehmerischen Handelns durch die Öffentlichkeit wird die
Bedeutung des Legal Managements in Unternehmungen stärken. Deshalb sind
die Berufsaussichten in diesem Bereich sehr gut. Für junge und karrierebewusste
Juristen wird sich aber die Frage stellen, ob die Position des Legal Counsel eine
gute Basis für einen Aufstieg in der Hierarchie einer Unternehmung ist. Eigent-
lich sollte dies der Fall sein, denn je stärker die Legal Counsels zur umfassenden
Beratung in der Unternehmung und als Sparringspartner in schwierigen Fragen
beigezogen werden, desto kompetenter sollten sie auch in Führungsfragen werden.
Leider ist dies nicht der Fall. Immer weniger findet man Juristen in Geschäftslei-
tungen, und wenn schon bestenfalls im Human Ressource Management. Dafür
mögen drei Gründe verantwortlich sein. Erstens steigt die Zahl der Absolventen
wirtschaftswissenschaftlicher Studien und Nachdiplomstudien, unter denen es
neben viel Mittelmaß ausgesprochen brillante Studierende gibt, welche auch guten
Juristen die Stellen wegnehmen. Zweitens lässt sich beobachten, dass Legal Coun-
sels in Unternehmungen nur für die Bearbeitung rein rechtlicher Fragen eingesetzt
werden. In allen diesen Fällen treten ihre Eigenschaften, die durch das juristi-
sche Studium stark geprägt werden, in Erscheinung: Eindimensionale juristische
Betrachtung, geringe Risikobereitschaft, Scheu vor Haftung und als Folge davon
eine Überbetonung des für Regulierungen typisch gewordenen Formalismus.
Leider lässt sich in der Praxis beobachten, dass gute Legal Counsels immer
einseitiger zur Lösung von Rechtsfragen beigezogen werden und hohe Achtung
gewinnen, was ihre Stellung als Spezialisten stärkt und sie immer weiter von der
Praxis der Unternehmungsführung wegführt, sodass ihnen die Praxis für unterneh-
merische Führungsaufgaben fehlt. Dafür verantwortlich ist drittens zum Teil die
juristische Ausbildung an Universitäten. Ohne eine grundlegende wirtschaftswis-
senschaftliche Ausbildung und ohne Fähigkeiten zur systemischen Betrachtung des
40 R. Dubs

wirtschaftlichen Geschehens, fehlen – von Ausnahmen abgesehen – die grundle-


genden Voraussetzungen für die Führung einer Unternehmung. Diese drei Gründe
machen sichtbar, weshalb ganz allgemein der Übergang von Juristen in Führungs-
positionen schwierig ist. Wahrscheinlich verändert das Aufkommen von berufsbe-
gleitenden Executive Master of Business Administration (EMBA) die Situation und
ermöglicht Juristen den Übergang in Führungspositionen in der Wirtschaft eher.

Literatur
Jhering Rv (1858) Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung.
Teil 2, Bd 2. Breitkopf und Härtel, Leipzig

Weiterführende Literatur

Dubs R (2010) Normatives Management. Ein Beitrag zu einer nachhaltigen Unternehmensfüh-


rung und -aufsicht, 2. Aufl. Haupt, Bern
Nobel P (2014) Was heißt Überregulierung? SZW 86/2014(6):589–599
Staub L (2006) Legal Management. Management von Recht als Führungsaufgabe, 2. Aufl. Ver-
sus, Zürich

Über den Autor


Prof. Dres. h.c. Rolf Dubs – Professor em. Universität St.Gallen HSG, St.Gallen
Dipl. Handelslehrer Universität St.Gallen Promotion in Bankwirtschaftslehre (ebd.) und Habili-
tation in Wirtschaftspädagogik, Lehrtätigkeit an der Universität St.Gallen, 1969–2000, Prorektor
der Universität St.Gallen 1986–1990, Rektor 1990–1993. Gründer und Direktor des Nachdip-
lomstudiums NDU-HSG (heute Executive MBA HSG), Gründer des Instituts für Wirtschaftspä-
dagogik. Dr. h.c. der Wirtschaftsuniversitäten Wien und Budapest, der TU Dresden sowie der
SEE-University Tetovo. 1987–1992 Miliz-Brigadier der Schweizer Armee, 1972–1988 Mitglied
des Parlaments des Kantons St.Gallen. Beratung und Führungsschulung in Rwanda, Tansania,
Thailand, Vietnam, China und Aserbeijan. Diverse Verwaltungsrats- und Aufsichtsratmandate.
Herausforderungen der Legal
Operations in Behörden und 5
Verwaltung
Regula Mader

5.1 Einleitung

Die nach wie vor gegenüber Angestellten der öffentlichen Verwaltung benutzte
Bezeichnung „Beamte“ wird oft herabschätzend gebraucht und steht für ein von
wenig Engagement und fehlendem Einsatz geprägten Bild der öffentlichen Ver-
waltung, das längst nicht mehr gilt, beziehungsweise in diesem Sinne nie gegolten
hat. Die mangelnde Flexibilität, welche den in der öffentlichen Verwaltung tätigen
Juristen immer wieder unterstellt wird, hat mit der Realität wenig zu tun und ist
teilweise damit zu erklären, dass diese – im Gegensatz zu Legal Counsels – an
klare gesetzliche Vorgaben und Abläufe gebunden sind, welche sie einhalten müs-
sen. Nicht immer besteht Ermessensspielraum für Entscheidungen; zwingende
gesetzliche Vorgaben können nicht interpretiert, sie müssen umgesetzt werden.
Hier fehlt seitens der Privatwirtschaft oftmals das Verständnis für die unterschied-
lichen Rollen und Aufgaben, welche in der öffentlichen Verwaltung tätige Juristen
innehaben.
Die sogenannten „Rechtsabteilungen“ in der öffentlichen Verwaltung haben je
nach Gemeinwesen unterschiedliche Namen beziehungsweise sind die mit Rechts-
fragen befassten Verwaltungseinheiten unterschiedlich organisiert. So wird von
Rechtsabteilung, Rechtsamt, Rechtskonsulat, Rechtsberatung oder Ähnlichem
gesprochen. Der Einfachheit halber wird in diesem Beitrag hierfür der neutrale
Begriff „Rechtsabteilung“ verwendet. Die nachfolgenden Ausführungen verweisen
zudem ausschließlich auf Schweizer Recht. Es kann davon ausgegangen werden,
dass die grundsätzlichen Aussagen auch für Deutschland und Österreich gelten,
wobei die entsprechenden rechtlichen Grundlagen für das jeweilige Land beizuzie-
hen und die Aussagen zu verifizieren sind.

R. Mader (*)
Wohnheim Riggisberg, Riggisberg, Schweiz

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 41


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_5
42 R. Mader

5.2 „Die“ Verwaltung gibt es nicht

Der Begriff der Verwaltung wird oft sehr pauschal verwendet. „Die“ Verwaltung
ist jedoch ein sehr komplexes Konstrukt, welches je nach Staatsebene sehr unter-
schiedlich ausgestaltet ist und im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben unterschied-
lich funktioniert. Das spezifische rechtliche Fachwissen ist je nach Größe des
Gemeinwesens entsprechend verteilt und nicht überall gleich vorhanden. All dies
gilt es als Legal Counsel bei der Zusammenarbeit mit staatlichen Rechtsabteilun-
gen zu beachten.

5.2.1 Rechtsabteilungen in der öffentlichen Verwaltung

Rechtsabteilungen in der öffentlichen Verwaltung bestehen auf allen föderalisti-


schen Ebenen, auf Bundes-, Landes-/Kantons- und Kommunal-/Gemeindeebene.
Diese sind sehr unterschiedlich organisiert und strukturiert. Eine externe Person,
welche mit der öffentlichen Verwaltung im juristischen Bereich zu tun hat, tut
grundsätzlich gut daran, sich genau zu erkundigen, wer für welche juristischen
Fragen in welchem Bereich der öffentlichen Verwaltung zuständig ist.

• Rechtliches Fachwissen auf Bundesebene: Das Bundesamt für Justiz1 ist die
wohl größte „Rechtsabteilung“ in der öffentlichen Verwaltung der Schweiz.
Hier arbeiten rund 200 Juristen mit ausgeprägtem spezialisiertem Fachwissen.
Sie sind für Stellungnahmen in allen Bereichen des Rechts auf Bundesebene
zuständig, erarbeiten Gesetzesvorgaben, beraten Bundesrat und Parlament.
Dazu nehmen sie noch weitere Aufgaben wahr (siehe Interview mit Prof. Dr.
iur. Heinrich Koller am Ende dieses Kapitels, welcher dem Bundesamt für Jus-
tiz während achtzehn Jahren vorstand). Daneben gibt es in der Bundesverwal-
tung weiteres juristisches Fachwissen: Die einzelnen Departemente haben
oftmals eigene Rechtsabteilungen, welche auf Ebene des Departements tätig
sind. Diese sind auf juristische Fragen ihres Departements spezialisiert; zum
Beispiel die Rechtsabteilung des Generalsekretariats des Eidgenössischen
Departements des Innern (EDI) oder die Rechtsberatung im Direktionsstab des
Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV)2. Gleichzeitig arbeiten in der
Bundesverwaltung weitere hoch spezialisierte Juristen, welche nicht direkt in
einer Rechtsabteilung tätig sind. Diese sind in den Stabsabteilungen der Depar-
temente angesiedelt, in einzelnen Bundesämtern, in den Amts- und Abteilungs-
leitungen etc.
• Rechtliches Fachwissen in kantonalen und kommunalen Verwaltungen: Kan-
tone und große Gemeinden in der Schweiz haben häufig eigene Rechtsabteilun-
gen. Diese sind unterschiedlich organisiert, an verschiedenen Orten a­ ngesiedelt

1Quelle: www.bj.admin.ch/bj/de/home.html. Besucht 10. Mai 2017.


2Siehe als Beispiel: https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/bsv.html. Besucht 10. Mai 2017.
5 Herausforderungen der Legal Operations in Behörden und Verwaltung 43

und personell unterschiedlich besetzt. In kleinen Kantonen besteht oftmals eine


zentrale Rechtsabteilung, welche für alle juristischen Fragen zuständig ist. In
großen Kantonen bestehen in der Regel nicht eine einzige zentrale, sondern
mehrere, in den einzelnen Departementen oder Direktionen angesiedelte
Rechtsabteilungen. Insbesondere die großen Gemeinden und Städte verfügen
oftmals über eigene Rechtsabteilungen. Aber auch hier ist zu beachten, dass es
innerhalb der Direktionen und/oder Departemente zusätzlich spezialisiertes
Fachwissen gibt. Die Stadt Bern beispielsweise verfügt über ein Rechtskonsu-
lat, welches beim Stadtpräsidium angesiedelt ist und für den Gemeinderat
rechtliche Fragestellungen bearbeitet sowie Anlaufstelle für die Bevölkerung
ist. Zudem verfügt sie über juristisches Fachwissen im Ratssekretariat des
Stadtparlaments sowie gleichzeitig in einzelnen Direktionen, sei es zum Bei-
spiel im Personalamt oder in der Sicherheitsdirektion. Gemeinden, welche über
kein eigenes juristisches Fachwissen innerhalb der Verwaltung verfügen, holen
sich rechtliche Auskünfte bei den für sie zuständigen Diensten und Abteilungen
auf kantonaler Ebene, soweit dies im entsprechenden Kanton vorgesehen ist.
Im Kanton Bern bietet beispielsweise das Amt für Gemeinden und Raumord-
nung eine spezifische juristische Beratungsstelle für Gemeinden3 an. Diese
können aber auch selbstständige Anwaltskanzleien mit juristischen Abklärun-
gen beauftragen. Wie Sie aus diesen Erläuterungen ersehen können, gibt es in
der öffentlichen Verwaltung auf allen Ebenen und Hierarchiestufen eine Viel-
zahl von fähigen und hoch spezialisierten Juristen, welche rechtliche Auskünfte
geben können.

 Für einen Legal Counsel gilt es also bei rechtlichen Abklärungen,


sich nicht einfach an irgendeine Rechtsabteilung innerhalb der
Verwaltung zu wenden, sondern vorgängig genau abzuklären, wer
fachlich kompetent und zuständig ist, um sich mit der richtigen
Stelle in Verbindung zu setzen und die erwünschten juristischen
Auskünfte zu erhalten.

5.2.2 Rechtliche Unterstützung der öffentlichen Verwaltung

Auch die öffentliche Verwaltung kann nicht alle juristischen Fragen selbststän-
dig lösen und beantworten. So gibt es immer wieder juristische Fragestellungen,
welche bewusst an externe Anwaltskanzleien oder Beratungsfirmen vergeben
werden. Dies macht Sinn, wenn in der öffentlichen Verwaltung das spezifische
Fachwissen nicht vorhanden ist oder es sich um komplexe, zeitaufwendige Rechts-
abklärungen handelt und die Zeit drängt. Immer wieder werden auch in heiklen
Situationen rechtliche Untersuchungen an Dritte in Auftrag gegeben. So wurde
im Kanton Genf beispielsweise eine Untersuchung zur Tötung einer Mitarbeiterin

3Siehe als Beispiel: http://www.jgk.be.ch/jgk/de/index/gemeinden/gemeinden/gemeinderecht.html.

Besucht 10. Mai 2017.


44 R. Mader

des ­Strafvollzugs durch einen Strafgefangenen auf begleitetem Urlaub durch einen
externen unabhängigen Experten (ehemaligen Generalstaatsanwalt) durchgeführt.
In spezifischen Situationen kann – jedoch nur in Ausnahmefällen – auch die
Aufsichtsbehörde für eine Abklärung angefragt werden. Dies ist nur möglich,
wenn diese im konkreten Fall nicht gleichzeitig Beschwerdeinstanz ist. So habe
ich in meiner Funktion als Regierungsstatthalterin – und in dieser Funktion Auf-
sichtsbehörde über die Gemeinden – beispielsweise eine rechtliche Untersuchung
zur Überprüfung von Sozialhilfedossiers in der Stadt Bern geführt, für welche ich
gezielt zusätzliches juristisches Fachwissen einbezogen habe.

5.2.3 Verwaltungsnahe Institutionen und ausgelagerte


Verwaltungsabteilungen

Neben der Verwaltung selbst gibt es jedoch noch eine Vielzahl von verwaltungsna-
hen und/oder ausgelagerten Institutionen und Betrieben, welche über spezifisches
rechtliches Fachwissen verfügen. Betriebe und Institutionen wie die Post, die Bun-
desbahnen, die Kantonalbanken etc. führen in der Regel eigene Rechtsabteilungen,
welche wiederum über spezialisiertes juristisches Fachwissen verfügen, das auch
für den Legal Counsel hilfreich sein kann.

5.3 Besonderheiten der Rechtsabteilungen in der


öffentlichen Verwaltung

Die Rechtsabteilungen in der öffentlichen Verwaltung sind an die Verfassung4, ver-


fassungsmäßige Prinzipien und gesetzliche Grundlagen gebunden. Sie haben sich
im Rahmen ihres Ermessensspielraums an diese Grundlagen zu halten. Sie wachen
sozusagen über die rechtmäßige Anwendung dieser Grundlagen und sorgen dafür,
dass diese eingehalten und durchgesetzt werden. Dies führt zu einem spezifischen
Rollenverständnis mit der Sorge um die Einhaltung der gesetzlichen Grundlagen.
Damit verbunden ist die Zurückhaltung und Vorsicht in der Auskunftserteilung
gegen außen, welche mit der spezifischen Aufgabe und Rolle verbunden ist, zum
Beispiel als verfügende Behörde. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass
die Entscheidungswege und die Entscheidungsfindung in der öffentlichen Verwal-
tung stark hierarchisiert und formalisiert sind. Je nach Staatsebene ist diese des-
halb aufwendiger und dauert länger, als dies in der Privatwirtschaft oft der Fall
wäre. Zudem gibt es gerade im politischen Umfeld immer auch ein Ringen um
Lösungen, welches je nach Staatsebene mehrere Hierarchiestufen umfasst. Da
das Verständnis für einen guten Service Public in der Schweizer öffentlichen Ver-
waltung sehr hoch ist, versuchen Mitarbeitende der öffentlichen Verwaltung in
der Regel einen guten und effizienten Service zu bieten. Handelt es sich jedoch
um komplexe Rechtsanfragen, ist zu beachten, dass eine seriöse und umfassende

4Siehe Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101).
5 Herausforderungen der Legal Operations in Behörden und Verwaltung 45

Abklärung oftmals mehr Zeit in Anspruch nimmt, als dies externe Kundinnen und
Kunden in der Regel abschätzen können. Nachfolgend werden daher einige zen­
trale verfassungsmäßige Grundprinzipien kurz dargestellt, auf welchen das Ver-
waltungshandeln basieren:

• Rechtsgleichheit: Der Grundsatz der Bundesverfassung bestimmt, dass alle


Menschen vor dem Gesetze gleich sind. Jeder Mensch ist in seiner unantastba-
ren Würde geschützt ist und muss deshalb gleich behandelt werden. Die
Rechtsgleichheit garantiert auch die Gleichbehandlung durch staatliche Organe
im Rahmen der Rechtsetzung und bei der Anwendung durch Verwaltungsbehör-
den und Gerichte. Das Bundesgericht5 hält fest, dass Gleiches gleich (Gleich-
heitsgebot) und Ungleiches ungleich (Differenzierungsgebot) behandelt werden
soll. Dies bedeutet, dass eine sachliche Begründung für die Differenzierung in
vergleichbaren Situationen und die Gleichbehandlung in unterschiedlichen
Sachverhalten nötig sind.
• Legalitätsprinzip: Im Zentrum der Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung
steht das Legalitätsprinzip, auch Gesetzmäßigkeitsprinzip genannt. Dieses ist
Grundlage jeder öffentlichen Tätigkeit. Es besagt demzufolge, dass staatliches
Handeln auf gesetzlichen Regelungen basiert und es ohne gesetzliche Grund-
lage kein staatliches Handeln gibt. Konkret bedeutet dies, dass jede Tätigkeit
der Verwaltung auf einer gesetzlichen Grundlage basieren muss. Diese steckt
den Rahmen der Tätigkeit ab und setzt auch die entsprechenden Grenzen.
• Willkürverbot: Willkürlich ist ein Rechtssatz, wenn er sich nicht auf ernst-
hafte sachliche Gründe stützen lässt oder sinn- und zwecklos ist. Willkür in der
Rechtsanwendung liegt gemäß Bundesgericht6 vor, wenn ein Entscheid offen-
sichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch
steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder
in stoßender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft.
• Handeln nach Treu und Glauben: Handeln nach Treu und Glauben bedeutet
nach Bundesgerichtspraxis7 vertrauenswürdig, rücksichtsvoll und redlich zu
handeln. Keinen Rechtsschutz findet der offenbare Missbrauch eines Rechts.
• Verhältnismäßigkeitsprinzip: Das Verhältnismäßigkeitsprinzip verlangt, dass
die Verwaltungsmaßnahmen ein geeignetes und notwendiges Mittel darstellen,
um das zu verwirklichende Ziel zu erreichen und, dass sie in einem vernünf-
tigen Verhältnis zu den Freiheitsbeschränkungen stehen müssen, welche dem
Bürger auferlegt werden. Drei Kriterien definieren die Verhältnismäßigkeit: die
Eignung und die Erforderlichkeit einer Maßnahme sowie die Verhältnismäßig-
keit von Eingriffszweck und Eingriffswirkung.

5Siehe als Beispiele: BGE 117 Ia 257, 121 I 102, 105 V 280 unter www.bger.ch. Besucht 10. Mai
2017.
6Siehe als Beispiel: BGE 138 I 305.

7Siehe als Beispiele: BGE 94 I 513, 138 III 59.


46 R. Mader

• Das öffentliche Interesse: Allgemeine Voraussetzung für jede staatliche Tätig-


keit ist das öffentliche Interesse. Der Staat muss das Wohl der Allgemeinheit
schützen und fördern. Der Grundsatz des öffentlichen Interesses gilt für das
gesamte Verwaltungsrecht und muss in allen Tätigkeitsbereichen berücksich-
tigt werden. Bei einer Interessenskollision zwischen privaten und öffentlichen
Interessen muss immer eine Abwägung im Einzelfall vorgenommen werden. Es
können sich aber auch unterschiedliche öffentliche Interessen entgegenstehen,
die gegeneinander abgewogen werden müssen.
• Ermessensspielraum: Ermessen ist der Entscheidungsspielraum der Behör-
den, wobei verschiedene Arten von Ermessen unterschieden werden. Beim
Entschließungsermessen geht es darum, ob eine Maßnahme zu treffen ist oder
nicht. Beim Auswahlermessen geht es um den Spielraum bei der Beurteilung,
ob die Behörden einen Tatbestand als erfüllt betrachten oder nicht. Ob eine
bestimmte Norm den Verwaltungsbehörden Ermessen einräumt, muss durch
Auslegung ermittelt werden; dies ist immer eine Rechtsfrage.

5.3.1 Verwaltungsrecht und Verwaltungstätigkeit

Zum Verwaltungsrecht gehören alle rechtlichen Grundlagen, welche die Verwal-


tungstätigkeit sowie die Organisation und das Verfahren der Verwaltungsbehörden
regeln. Verwaltungsrecht ist öffentliches Recht und somit zwingendes Recht: Es
dient der Wahrnehmung von öffentlichen Interessen und wird von Amtes wegen
angewendet. Die Verwaltungstätigkeit steht dabei im Gegensatz zu den Recht
setzenden und Recht sprechenden Staatsfunktionen. Anders ausgedrückt: Alles,
was nicht Rechtsetzung oder Rechtsprechung ist, gehört zur Verwaltungstätig-
keit. Unterschieden wird zwischen der hoheitlichen und nicht hoheitlichen Ver-
waltungstätigkeit, zwischen Eingriffs- und Leistungsverwaltung sowie zwischen
Bedarfsverwaltung und wirtschaftender Verwaltung.

5.3.2 Verhältnis der Verwaltung zu Legislative und Justiz

Da das Parlament das zentrale Gesetzgebungsorgan ist, ist es den Verwaltungsbe-


hörden übergeordnet. Es ist in der Schweiz für die Rechtsetzung sowie die Wahl
der Mitglieder des Bundesrats und des Bundesgerichts verantwortlich. Zudem übt
es die parlamentarische Aufsicht gegenüber der Verwaltung aus und entscheidet
bei Kompetenzkonflikten zwischen Bundesbehörden. Im Gegensatz dazu gehören
zu den Justizbehörden die ordentlichen Zivil- und Strafgerichte sowie die Verwal-
tungsgerichte. Die Justizbehörden entscheiden unabhängig über Rechtsstreitigkei-
ten und über Strafen. Die Verwaltungsbehörden ihrerseits sind zuständig für den
nichtstreitigen Vollzug von verwaltungsrechtlichen Normen: Sie üben – im Rah-
men der verwaltungsinternen Beschwerdeentscheidungen – eine Recht sprechende
Tätigkeit über Verwaltungsrechtsstreitigkeiten aus.
5 Herausforderungen der Legal Operations in Behörden und Verwaltung 47

5.4 Aufgaben der Rechtsabteilungen in der öffentlichen


Verwaltung

Die Rechtsabteilungen in der öffentlichen Verwaltung haben abhängig vom kon-


kreten Auftrag und deren organisatorische Ansiedlung verschiedene zentrale
Aufgaben. So gibt es interne Rechtsabteilungen, die rechtliche Aufgaben einzig
innerhalb der entsprechenden Verwaltungsstelle übernehmen. Es gibt jedoch auch
Rechtsabteilungen, welche sowohl intern, als auch extern tätig sind. Die nachfol-
gende Zusammenstellung gibt einen kurzen, nicht vollständigen Überblick über
Aufgaben von Rechtsabteilungen in der öffentlichen Verwaltung:

• Rechtliche Beratung von Politik und Verwaltung: Haupttätigkeit ist die


Beratung und Unterstützung der Behörden und der Verwaltung in allen Rechts-
fragen. Dazu gehören das Erstellen von Rechtsabklärungen und Gutachten, die
Auskunftserteilung bei juristischen Fragestellungen und das Aufzeigen juristi-
scher Möglichkeiten und Spielräume bei konkreten politisch-juristischen Fra-
gestellungen. Zudem gehören dazu die Begutachtung von Geschäften, welche
der Exekutive und der Legislative unterbreitet werden, und die Vertretung von
Politik und Verwaltung in Prozessen.
• Rechtliche Beratung der Bürgerinnen und Bürger und der Öffentlichkeit:
Dazu gehören hauptsächlich Auskunftserteilungen in juristischen Fragen bei
einem konkreten Vorhaben wie einem Bewilligungsverfahren, der Eröffnung
eines Gastgewerbebetriebs oder anderen konkreten Vorhaben.
• Rechtsetzung: Darunter fallen das Erarbeiten und Verfassen gesetzlicher Grund-
lagen, respektive deren Anpassung, die Zusammenarbeit mit externen Experten,
die Zusammenarbeit mit der Exekutive und parlamentarischen Gremien, die
Erstattung von Mitberichten in Gesetzgebungsverfahren sowie die Betreuung der
Gesetzessammlungen in der jeweiligen Zuständigkeit. Gleichzeitig gehören dazu
die Kontrolle von Weisungen und anderen rechtlichen Grundlagen.
• Bearbeitung von Beschwerden: Hier geht es um die Bearbeitung und Instruk­
tion von Beschwerden gegen Verfügungen einer Direktion oder politischen
Behörde, zum Teil mit eigener Entscheidungsbefugnis. Dazu gehören zudem
die Anwendung und Überprüfung der rechtlichen Grundlagen in konkreten
Einzelfällen und somit die Sicherstellung der Rechtssicherheit. Weiter gehört
dazu die Sicherstellung der rechtsgleichen Behandlung, die Erarbeitung von
Stellungnahmen zuhanden einer externen Beschwerdeinstanz und das Verfassen
von Beschwerden von Behörden gegen Verfügungen und Entscheide anderer
Verwaltungs- oder Verwaltungsjustizbehörden.

5.5 Rechtliche Tätigkeiten im politisch-gesellschaftlichen


Umfeld

Die Tätigkeit im politischen Umfeld setzt hohe Ansprüche an die in der öffentlichen
Verwaltung tätigen Juristen. Dies übersehen Legal Counsels aus der Privatwirtschaft
oftmals, weil ihnen zu wenig bewusst ist, unter welchen Rahmenbedingungen ihre
48 R. Mader

juristischen Kollegen in der öffentlichen Verwaltung arbeiten (siehe dazu auch


Kap. 32).

5.5.1 Politische Rahmenbedingungen

Gesetzgebung und Gesetzgebungsprozesse benötigen Zeit; je nach dem sehr viel


Zeit. Je nach Staatsebene sind unterschiedliche interne und externe Mitspieler
involviert. Zu denken ist dabei zum Beispiel an externe Experten, verwaltungs-
interne Dienste und Ämter, Mitglieder von Exekutive oder Parlament, parlamen-
tarische Kommissionen. Es geht, wie Prof. Dr. iur. Heinrich Koller in seinem
Interview ausführt (siehe am Ende dieses Kapitels), um ein Ringen nach Lösungen
und, um das Finden von Kompromissen, damit eine Gesetzesvorlage erfolgreich
verabschiedet werden kann. Ist eine gesetzliche Grundlage durch die zuständigen
Behörden erst einmal verabschiedet und in Kraft gesetzt worden, muss die Anwen-
dung in der Praxis zeigen, ob sich diese bewährt. Die Rechtsanwendung ist zudem
geprägt von verschiedenen Einzelfällen. In jedem Einzelfall muss die Anwendung
gemäß vorgenannter Grundsätze geprüft werden. Oftmals lassen sich juristische
Fragen, welche auf den ersten Blick sehr einfach erscheinen, nicht einfach beant-
worten.
Besonders in heiklen und umstrittenen politischen Fragestellungen besteht oft-
mals ein Ermessensspielraum. Hier sind Juristen im politischen Umfeld besonders
gefordert. Es geht nicht einzig darum, rechtliche Frage zu beantworten, sondern
auch darum, aufzuzeigen, welche rechtlichen Spielräume in einem Einzelfall
bestehen und deren jeweilige Konsequenzen aufzuzeigen. Dabei handelt es sich
oft nicht einzig um juristische, sondern eben auch um politische Spielräume.
Hier ist großer Sachverstand, aber auch Fingerspitzengefühl gefragt. Auch in
Konfliktsituationen, wenn juristische Lösungen und die Wahrung der Rechtmä-
ßigkeit im Widerspruch zu den politisch gewünschten Lösungen stehen, ist diese
Aufgabe herausfordernd. Es geht darum, juristisch korrekte, den Rechtsstaat und
die Rechtssicherheit nicht gefährdende, Lösungen zu finden, die auch politische
akzeptabel sind. Hier ist neben fundiertem juristischem Fachwissen auch juristi-
sche Kreativität und das Kennen und Ausnützen von Spielräumen gefragt.

5.5.2 Politische Vorgesetzte

Juristen in der öffentlichen Verwaltung haben politisch gewählte Vorgesetzte.


Diese haben in der Regel eine hohe intrinsische Motivation und das Bedürfnis,
etwas in ihrem politischen Sinn zu bewegen und zu verändern. Sie sind oft nicht
juristisch ausgebildet und haben auch nicht immer Verständnis für juristische Fra-
gestellungen. Mitarbeitende von Rechtsabteilungen müssen daher kompetent ihr
juristisches Fachwissen vertreten und dieses gleichzeitig so vermitteln können,
dass auch nicht juristisch geschulte Vorgesetzte verstehen, worum es geht. Diese
Fertigkeit ist besonders in rechtlich komplexen Situationen nicht zu unterschätzen.
5 Herausforderungen der Legal Operations in Behörden und Verwaltung 49

Aufgabe ist es zudem, die Rechtmäßigkeit (politischer) Entscheidungen sicher


zu stellen, gerichtliche Auseinandersetzungen und Fehlentscheidungen sowie
Ungleichheiten zu vermeiden. Die Rechtsabteilung muss schließlich in diesem
Kontext sicherstellen, dass der politische Vorgesetzte keine Fehlentscheidungen
fällt und nicht widersprüchlich oder ungleich handelt. Es muss also – trotz allfäl-
liger politischer Unterscheide – ein hohes Vertrauen und große Loyalität zwischen
der politisch vorgesetzten Person und der verantwortlichen Person der Rechtsab-
teilung bestehen (siehe dazu auch Kap. 32). Im Weiteren muss gerade im politi-
schen Prozess ein hohes Maß an Vertraulichkeit und Verschwiegenheit vorhanden
sein. Nur so können verbindliche, rechtsstaatlich korrekte und politisch abge-
stützte Entscheidungen zustande kommen.

5.5.3 Rolle der Öffentlichkeit und der Medien

Nicht zu unterschätzen ist die Rolle der Öffentlichkeit und der Medien für die
Tätigkeit im Bereich der Politik sowie der öffentlichen Verwaltung. Zumal in der
Verwaltung als Grundsatz das Öffentlichkeitsprinzip8 gilt. Dieses ermöglicht Per-
sonen – unabhängig von Nationalität und Wohnsitz – den Zugang zu amtlichen
Dokumenten. Dieser Zugang muss gegeben sein, soweit nicht überwiegende pri-
vate oder öffentliche Interessen entgegenstehen. Auf Bundesebene berät der Eid-
genössische Öffentlichkeitsbeauftragte Privatpersonen zu den Modalitäten des
Zugangs; zudem die Behörden in der Umsetzung des Öffentlichkeitsgesetzes.
Können sich die Behörde und die ersuchende Person nicht über den Zugang eini-
gen, kann beim Öffentlichkeitsbeauftragten ein Schlichtungsverfahren beantragt
werden. Bringt dieses nicht die angestrebte Einigung, gibt der Öffentlichkeitsbe-
auftragte eine Empfehlung ab. Wenn die Beteiligten damit nicht einverstanden
sind, erlässt die zuständige Behörde eine beschwerdefähige Verfügung. Auf Ebene
der Kantone und Gemeinden gibt es hingegen unterschiedliche Ansprechpersonen,
welche für die Bearbeitung von Fragen der Herausgabe von amtlichen Dokumen-
ten zuständig sind. Hier ist im Einzelfall beim entsprechenden Kanton abzuklären,
wer zuständig ist. Oftmals sind es die Öffentlichkeitsbeauftragten der zuständigen
Staatsebenen.

5.5.3.1 Öffentlichkeitsarbeit ist Chefsache


Öffentlichkeitsarbeit im politischen Umfeld der Behörden wird als sensibel ein-
gestuft. Daher sind je nach Größe des Gemeinwesens diverse spezifische Stellen
mit dieser bei Bund, Kantonen und Gemeinden betraut. So gibt es zum Beispiel
auf Bundesebene mehrere Stellen, welche sich mit Öffentlichkeitsarbeit befassen:
Der Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte, die Medienstel-
len der Departemente, der Mediensprecher des Bundesrats etc. Es ist im Einzelfall

8Siehe die Website des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten: www.


edoeb.admin.ch/org/00146/01110/index.html?lang=de. Besucht 10. Mai 2017.
50 R. Mader

immer zu klären, an wen sich externe Personen wenden sollten, wenn sie Aus-
künfte benötigen. In juristischen Fragestellungen können hingegen die jeweiligen
Rechtsabteilungen direkte Ansprechpartner sein. Handelt es sich jedoch um ein
sensibles juristisch-politisches Thema, so werden die Öffentlichkeitsbeauftragten
beziehungsweise Medienstellen einbezogen, um gegen außen zu kommunizieren.
Grundsätzlich ist und bleibt Öffentlichkeitsarbeit aber Chefsache! Die vorgesetzte
Person entscheidet, was, wann und wie gegen außen kommuniziert wird. Gerade
in sensiblen politischen Fragen muss die zuständige, politisch verantwortliche Per-
son öffentlich auftreten und gegen außen kommunizieren. Sie kann dazu das juris-
tische Fachwissen der Rechtsabteilung beiziehen, wenn es sich um eine juristische
Fragestellung handelt.

5.5.3.2 Informationspreisgabe an Medien
Medienschaffende sind in der Regel an kurzfristigen „Geschichten“ interessiert.
Sie möchten etwas aufzudecken, das noch nicht bekannt ist und dadurch politische
Prozesse beeinflussen. Immer wieder werden daher auch in der öffentlichen Ver-
waltung vertrauliche Informationen preisgegeben. Die Rechtsabteilungen werden
daher bei sensiblen politischen Fragestellungen sehr zurückhaltend mit der Infor-
mationspreisgabe an Medien vorgehen. Hier werden in der öffentlichen Verwal-
tung die zuständigen verwaltungsinternen Öffentlichkeitsarbeitsstellen beigezogen.

5.6 Anforderungen an Juristen in der öffentlichen


Verwaltung

5.6.1 Generelle Anforderungen

Juristen der öffentlichen Verwaltung brauchen spezifisches Fachwissen, einerseits


im Staats- und Verwaltungsrecht, andererseits im juristischen Fachbereich, in wel-
chem sie tätig sind. Zudem müssen sie zum Beispiel in Rechtsetzungsprojekten
über weitere Fähigkeiten wie Projektmanagement, redaktionelles Flair etc. verfü-
gen. Überdurchschnittliche und breite Fachkompetenz ist deshalb unabdingbar.
Als Legal Counsel können Sie in der Regel auf das fundierte juristische Spezial-
wissen Ihrer verwaltungsjuristischen Kollegen bauen. Gleichzeitig braucht es ein
breites Allgemeinwissen, ein gutes politisches Verständnis und Gespür für politi-
sche Sensibilitäten, Besonderheiten und die aktuell politische Situation. Gerade
bei Führungspersonen in der öffentlichen Verwaltung müssen diese Sensibilität
und das politische Gespür besonders ausgeprägt sein.
Mitarbeitende der öffentlichen Verwaltung brauchen neben der hohen juris-
tischen Kompetenz auch Kompetenzen, wie sie Juristen in der Privatwirtschaft
benötigen: Dazu gehören eine sorgfältige und verlässliche Arbeitsweise, ein guter
und verständlicher Schreibstil, je nach Arbeitsgebiet ausgezeichnete Sprach-
kenntnisse in anderen Sprachen, Fähigkeiten und Freude an der wissenschaftli-
chen Arbeit sowie außerordentliche Verlässlichkeit. Arbeitet ein Jurist in einer
kleinen Rechtsabteilung mit wenig spezialisierten Mitarbeitenden, ist neben dem
5 Herausforderungen der Legal Operations in Behörden und Verwaltung 51

spezifischen verwaltungsrechtlichen Fachwissen – wie bei Legal Counsels – auch


ein breites juristisches Fachwissen in anderen Rechtsgebieten nötig. Zudem wird
insbesondere auch die Fähigkeit benötigt, sich sehr rasch und verlässlich in neue
Rechtsgebiete einzuarbeiten. In einer kleinen Rechtsabteilung muss zudem ver-
netzt gearbeitet und die Zusammenarbeit mit anderen juristischen Fachspezialis-
ten gepflegt werden.
Juristische Führungspersonen der öffentlichen Verwaltung benötigen, gleich
wie Ihre General-Counsel-Kollegen, ein gutes und überzeugendes Auftreten, eine
hohe Fähigkeit, juristische Fragestellungen so darzustellen, dass sie auch nicht
juristisch ausgebildete Personen verstehen, die Fähigkeit zu kritischer Auseinan-
dersetzung, hohe Flexibilität und Kreativität (um juristische Fragestellungen im
politischen Umfeld adäquat und im Sinne von Verfassung und Gesetz zu vertre-
ten und zu modifizieren) sowie eine umfassende Verhandlungsfähigkeit. Daneben
benötigen diese eine breite Führungserfahrung und Führungskompetenz, Authen-
tizität, Durchsetzungsvermögen, eine offene und klare Kommunikation, eine hohe
Sozialkompetenz, die Fähigkeit, Mitarbeitende zu fordern und zu fördern, vernetz-
tes und ganzheitliches Denken, die Kompetenz zur Zusammenarbeit mit anderen
sowie die Bereitschaft zur Reflexion und Weiterentwicklung.

5.6.2 Auswahl- und Anstellungsverfahren

Positionen in der öffentlichen Verwaltung müssen in der Regel öffentlich ausge-


schrieben werden. Es bestehen definierte personalrechtliche Prozesse: Von der
Ausschreibung, über das konkrete Bewerbungs- und Auswahlverfahren, bis hin
zur Anstellung. Auswahl und Anstellung werden oftmals vom zuständigen Per-
sonaldienst begleitet. Leitungsstellen in Rechtsabteilungen werden, je nach Hier­
archiestufe und Ansiedlung, durch eine politische Behörde gewählt. Hier sind
im Bewerbungsprozess und im Auswahlverfahren die besonderen Aspekte eines
solchen Prozesses zu berücksichtigen. Insbesondere werden auch Fragen zur
politischen Loyalität, zur politischen Haltung, zum Verständnis des Staates, zum
Gemeinsinn und dergleichen eine Rolle für die Auswahl spielen. Ein Jurist, wel-
cher sich für eine Stelle in der öffentlichen Verwaltung bewirbt, muss sich dieser
Themen bewusst sein und sich entsprechend vorbereiten.
Das Fachwissen von Unternehmensjuristen aus der Privatwirtschaft kann für
die öffentliche Verwaltung sehr nützlich sein. Zu beachten ist aber auf beiden
Seiten, dass ein unterschiedlicher Erfahrungshintergrund besteht: Legal Coun-
sels aus der Privatwirtschaft müssen sich bewusst sein, dass die Mitarbeit in der
Verwaltung unter spezifischen rechtlichen Rahmenbedingungen und immer in
einem politischen Kontext geschieht, der für Außenstehende nicht immer ein-
fach ersichtlich ist. Sie benötigen neben dem spezifischen Fachwissen umfas-
sende Kenntnisse des Staats- und Verwaltungsrechts und des Funktionierens des
politischen Systems. Sie müssen zudem die formalisierten Abläufe und Verfah-
ren kennen und das entsprechende Verständnis für diese Prozesse mitbringen.
Es bestehen auf beiden Seiten immer wieder Vorurteile, wie die Juristen in der
52 R. Mader

Verwaltung oder im Unternehmen sind, beziehungsweise, wie diese arbeiten. Es


wäre aus meiner Sicht wünschenswert und auch befruchtend, wenn diese Vorur-
teile abgebaut und künftig ein einfacherer Wechsel in beide Richtungen möglich
wäre.

5.6.3 Besondere Eigenschaften

An eine Position im politischen Umfeld der öffentlichen Verwaltung werden


besondere Anforderungen gestellt und spezifische Eigenschaften erwartet: Es
braucht die Überzeugung und den Glauben an den Nutzen und den Wert einer
Tätigkeit im öffentlichen Dienst, ein umfassendes Staats- und Politikverständ-
nis und eine hohe Loyalität zum Staat. Dazu braucht es, wie dies auch Prof. Dr.
iur. Heinrich Koller treffend ausführt (siehe Interview am Ende dieses Kapitels):
Gemeinsinn, soziales Engagement, politischen Gestaltungswillen und Verantwor-
tungsbewusstsein.

5.7 Was ist in der Zusammenarbeit besonders zu


beachten?

In der konkreten Zusammenarbeit mit Juristen und Rechtsabteilungen in der


öffentlichen Verwaltung sind verschiedene Punkte besonders zu beachten:

• Kooperative Haltung: Grundsätzlich ist es für externe Juristen wichtig, das


Fachwissen, welches die öffentliche Verwaltung hat, zu respektieren und mit
einer kooperativen Haltung an die Rechtsabteilungen heranzutreten. Eine kon-
frontative Haltung bewirkt in der Regel das Gegenteil von dem, was erreicht
werden will. Es ist in den Rechtsabteilungen sehr viel Fachwissen vorhanden,
das auch gerne zur Verfügung gestellt wird, wenn der entsprechende Respekt
vorhanden ist. Die Erfahrung zeigt, dass seitens der Privatwirtschaft zu wenig
Verständnis für die Rollen und Aufgaben der Rechtsabteilungen in der öffentli-
chen Verwaltung bestehen.
• Verständnis für politisch komplexe Themen: Legal Counsels benötigen ein
Verständnis für die politische Komplexität allfälliger juristischer Fragestellun-
gen. Hier ist manchmal Geduld gefragt, weil gerade heikle juristische Fragen
auch innerhalb der Verwaltung konsolidiert werden müssen.
• Rechtsanfragen: Je nach Art und Umfang der konkreten Rechtsfrage ist diese
telefonisch oder schriftlich zu stellen: Bei schriftlichen Anfragen wird die
Bearbeitung in der Regel einige Zeit in Anspruch nehmen, abhängig von der
Komplexität der gestellten Frage und der generellen Belastung des angefrag-
ten Rechtsdienstes. Es empfiehlt sich, bei der Anfrage zu klären, wie lange die
Bearbeitung in Anspruch nehmen wird. Telefonische Anfragen sind jederzeit
möglich. Dabei ist zu beachten, dass diese Auskünfte abhängig von der konkre-
ten Fragestellung oftmals als unverbindlich deklariert werden. Je nach Thematik
5 Herausforderungen der Legal Operations in Behörden und Verwaltung 53

empfiehlt es sich deshalb, eine schriftliche Anfrage einzureichen, um eine ent-


sprechend verbindlichere Antwort zu erhalten. Es lohnt sich, vorerst zu klären,
ob und inwieweit Anfragen überhaupt beantwortet werden. Die Leistungen der
öffentlichen Verwaltung werden vermehrt auch in Rechnung gestellt. Es ist des-
halb zusätzlich zu klären, ob und welche Kosten für die Bearbeitung entstehen.
Dies wird nach wie vor sehr unterschiedlich gehandhabt.
• Zuständigkeit: Im konkreten Fall ist abzuklären, wer der fachlich kompetente
und zuständige Jurist ist. Dies können je nach Fachbereich unterschiedliche
Ansprechpersonen sein. Dabei ist zu beachten, dass gerade in größeren Verwal-
tungen immer wieder auch unterschiedliche juristische Haltungen in Einzel-
fragen vertreten werden oder leider nach wie vor gewisse Doppelspurigkeiten
bestehen. Es ist deshalb wichtig, eine konsolidierte juristische Haltung zu erfra-
gen, wenn damit weiter gearbeitet werden soll; beziehungsweise gezielt nach-
zufragen, ob innerhalb einer größeren Verwaltung andere rechtliche Meinungen
bestehen. Das juristische Fachwissen in der öffentlichen Verwaltung ist unter-
schiedlich verteilt; es ist deshalb immer abzuklären, von wem eine rechtliche
Auskunft erfolgt. Es kann sehr hilfreich sein, eine juristische Auskunft in einem
sensiblen Bereich durch eine vorgesetzte, politisch verantwortliche Instanz
absichern zu lassen. Es kann unter Umständen auch sinnvoll sein, die zustän-
dige Aufsichtsbehörde um juristische Auskunft anzufragen. Dies empfiehlt sich
in der Regel aber nur in Ausnahmefällen. Zu beachten ist, dass die Aufsichts-
behörde oftmals auch Rechtsmittelbehörde ist. Im konkreten Einzelfall wird
deshalb keine verbindliche Auskunft erteilt, sondern allenfalls eine allgemeine
rechtliche Auskunft gegeben.

Interview mit Prof. Dr. iur. et lic. oec. HSG Heinrich Koller (von Christian Dueblin)
Prof. Dr. iur. et lic. oec. HSG Heinrich Koller, Fürsprech und Notar, war von
1979 bis 1988 Rechtskonsulent der Ciba-Geigy AG in Basel (zuletzt als Direk-
tionsmitglied) und nebenamtlicher Richter am Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt. 1988 wurde er zum Direktor des Bundesamtes für Justiz berufen,
dem er bis 2006 vorstand. Nebst seiner beruflichen Tätigkeit als Justizdirektor
war Heinrich Koller Professor für öffentliches Recht an der Juristischen Fakul-
tät der Universität Basel. Heinrich Koller arbeitet heute wieder als Anwalt in
einer renommierten Basler Anwaltskanzlei.
Im Interview zeigt er auf, was die berufliche Tätigkeit eines Juristen in der
Verwaltung, in der Privatwirtschaft und in der Advokatur grundsätzlich unter-
scheidet. Er streicht Fähigkeiten heraus, die für eine Karriere als Verwaltungs-
jurist, als Wirtschaftsjurist oder Anwalt vorteilhaft sein können. Heinrich Koller
beschreibt den Einfluss der Politik auf die Arbeit von juristischen Fachexperten,
die für die Verwaltung arbeiten, und zeigt Unterschiede zu den anderen Berufs-
gattungen auf. Anhand von Beispielen beschreibt er die Besonderheit des Rol-
lenverständnisses und beleuchtet Konfliktpotenziale, die insbesondere bei der
Arbeit in der Verwaltung lauern.
54 R. Mader

Christian Dueblin: Sehr geehrter Herr Professor Koller, Sie waren von
1988 bis 2006 Justizdirektor des Bundes, zuvor waren Sie in leitender Stel-
lung in der Privatindustrie als Rechtskonsulent tätig. Was fiel Ihnen damals
beim Wechsel in eine verantwortungsvolle Position in der Verwaltung auf,
nachdem Sie jahrelang für die Privatindustrie juristisch tätigt waren?
Prof. Dr. Heinrich Koller: Zu erwähnen sind wohl vorerst die Größenver-
hältnisse. In der Ciba-Geigy Rechtsabteilung war ich in der Gruppe „Gesell-
schafts-, Konzern- und Steuerrecht“ mit rund einem Dutzend Mitarbeitenden
tätig und vor allem mit Akquisitionen in jeweils wechselnden Projektgruppen
beschäftigt. In der Bundesverwaltung stand ich von Anfang an einem großen
Apparat vor, mit rund 300 Mitarbeitenden, wovon mehr als 200 Juristinnen und
Juristen. Das Bundesamt für Justiz verfasst in allen Bereichen des Rechts Stel-
lungnahmen, ist gleichzeitig in mehreren Dutzend Gesetzesvorhaben engagiert,
vertritt die Schweiz in internationalen Organisationen und berät Bundesrat und
Parlament in Rechtsfragen. Ohne eine klare Abgrenzung der Fach- und Verant-
wortungsbereiche, den verwaltungstypischen hierarchischen Aufbau des Amtes
und unentbehrlichen Stabsdiensten ist ein solches Gebilde nicht zu führen.
Die Erfahrungen, die ich als Kommandant und Generalstabsoffizier im Militär
gemacht hatte, kamen mir dabei sehr zu Hilfe.
Der breite Aufgabenbereich des Amtes (das früher den Namen „Dienst
für Gesetzgebung und Rechtspflege“ trug) und die starke Einbindung in den
politischen Entscheidungsprozess waren die augenfälligsten Merkmale des
Berufswechsels. Anders als bei der Tätigkeit als Rechtskonsulent standen jetzt
Führungsaufgaben im Vordergrund. Dabei sind zwei Besonderheiten der Ent-
scheidfindung in der Bundesverwaltung hervorzuheben. Zum einen sind die
weitgehend formalisierten Entscheidungsabläufe in der Bundesverwaltung
zu erwähnen: regelmäßige Briefings mit Vorgesetzten und Untergebenen, der
Einbezug der involvierten Bundesämter im Ämterkonsultationsverfahren, das
Mitberichtsverfahren im Vorfeld der wöchentlichen Bundesratssitzungen, die
Vernehmlassungsverfahren bei wichtigen Gesetzesvorlagen, die zwingende
Teilnahme an Sitzungen der parlamentarischen Kommissionen, Pressekonferen-
zen und Vortragstätigkeit. Hinzuweisen ist zum anderen auf die im Vergleich
zur Privatwirtschaft längeren Entscheidungswege. Das Ringen um Lösungen
setzt sich über viele Stufen hinweg fort, von der verwaltungsinternen Mei-
nungsbildung über den Entscheidungsfindungsprozess in der Regierung bis hin
zur politischen Auseinandersetzung in Parlament und Öffentlichkeit.
Der Amtsvorsteher muss dabei im Wesentlichen auf Entscheidungsgrundla-
gen aufbauen, die ihm die Mitarbeitenden liefern. Seine Aufgabe besteht des-
halb weniger in der eigenen Erarbeitung, als vielmehr in der sachkundigen und
überzeugenden Vertretung der verwaltungsintern erarbeiteten Lösungen nach
außen. Bemerkenswert ist, mit welch hoher Loyalität und beeindruckendem
Fachwissen die Mitarbeitenden ihre Arbeit verrichten. Sämtliche Aufträge sind
terminiert; und dennoch (oder vielleicht gerade deswegen) war es schon Ende
der achtziger Jahre möglich, dass mehr als die Hälfte der Angestellten in Teil-
zeit arbeitete und der Frauenanteil auf allen Stufen sehr hoch war.
5 Herausforderungen der Legal Operations in Behörden und Verwaltung 55

Nun aber noch zum Atmosphärischen: Der Einstieg in das neue Amt wurde
mir durch ein vorbestehendes loyales Team von Kadermitarbeitenden enorm
erleichtert. Aber auch später hatte ich in den fast zwanzig Jahren Bundesbern
kaum je ernsthafte interne Führungsprobleme. Die hohe Sach- und Führungs-
kompetenz der Kader und die Fokussierung auf die Projekte waren ausgeprägt.
Anders verhielt es sich im politischen Umfeld. Ich war kaum vier Monate im
Amt, als die Auseinandersetzungen um den erzwungenen Rücktritt von Frau
Bundesrätin Kopp und später um die „Fichen“-Affäre begannen. Als Direktun-
terstellter ist man von solchen Ereignissen unmittelbar betroffen. Man gerät als
Chefbeamter dann unweigerlich in den Sog von Gruppierungen, die einen ver-
einnahmen wollen. Gleiches habe ich Jahre später dann wieder erlebt bei der
Abwahl von Frau Bundesrätin Metzler und beim Amtsantritt von Herrn Bun-
desrat Blocher. Das sind schwierige Momente, die man nur überwinden kann,
wenn man sich der Loyalität der Mitarbeitenden sicher ist und vor Augen hält,
dass man im Staatsdienst vorab einer Sache dient und nicht einer Person.

Christian Dueblin: Welche juristischen aber auch persönlichen Fähigkei-


ten sind für die Arbeit im Rechtsdienst einer Verwaltung für die berufliche
Entwicklung und Karriere von besonderem Vorteil?
Prof. Dr. Heinrich Koller: Im persönlichen Bereich sind es: Integrität, Beson-
nenheit, gutes Allgemeinwissen, Gemeinsinn, politisches Sensorium und Gestal-
tungswille. Im fachlichen Bereich: überdurchschnittliche Fachkompetenz, Freude
an wissenschaftlicher Arbeit, Beweglichkeit, Sorgfalt (eher als Schnelligkeit),
absolute Verlässlichkeit. Im persönlichen Arbeitsstil: Schreibfähigkeit (eher als
Wortgewandtheit), Eigenständigkeit, Dialogfähigkeit. Für Kadermitarbeitende
gilt zusätzlich: sicheres und fachlich überzeugendes Auftreten, Sprachkenntnisse,
Verhandlungsfähigkeit, Führungserfahrung und Durchsetzungsvermögen.

Christian Dueblin: Wie Professor Rolf Dubs, von der Universität St.Gallen, in
seinem Beitrag (siehe dazu auch Kap. 4) feststellt, haben sich Juristen in den
letzten Jahrzehnten immer mehr zu Fachexperten weiterentwickelt. Gleich-
zeitig kann festgestellt werden, dass es Juristen in der Privatindustrie nur
noch selten in operative Positionen schaffen, dort weitgehend von Ökonomen
und Technikern abgelöst worden sind, einmal abgesehen von stark regulierten
Bereichen der Wirtschaft, wie dem Bankenwesen oder der Pharmaindus­trie.
Erkennen Sie solche und ähnliche Tendenzen auch in der Verwaltung?
Prof. Dr. Heinrich Koller: Das stimmt meines Erachtens nur teilweise. Richtig
ist, dass heute als Jurist nur noch bestehen kann, wer sich spezialisiert und sich
wenigstens in einem Bereich durch besonderes Expertenwissen auszeichnet. Der
Allrounder hat meines Erachtens ausgedient. Unabdingbar sind jedoch „Metho-
densicherheit“ und die Fähigkeit, sich rasch in neue Gebiete einzuarbeiten. Hin-
gegen teile ich die Auffassung nicht, dass es die Juristen heute weniger schaffen,
sich in verantwortungsvolle operative und strategische Positionen hinaufzuarbei-
ten. Die Frage nach einem Berufswechsel stellt sich fast jedem engagierten Wirt-
schaftsjuristen nach spätestens zehn bis fünfzehn Jahren. In der Verwaltung ist
56 R. Mader

spezifisches Fachwissen erst recht gefragt: Man denke an die Erarbeitung eines
Gesetzes im Bereich des Erwachsenenschutzes, der Gentechnologie, des Steu-
errechts oder des Ausländerrechts. Wer aber dabei stehen bleibt und nicht in der
Lage ist, sich auch auf anderen Gebieten Gehör zu verschaffen, sich durchzu-
setzen sowie seine Meinung schriftlich und mündlich überzeugend darzulegen,
der wird es kaum „in die Ränge“ schaffen.

Christian Dueblin: In der Verwaltung spielen Gesellschaft und Politik eine viel
größere Rolle als in der Privatindustrie, wir sprechen auch vom Service Pub-
lic. Welchen Einfluss hat dieser Service-Public-Aspekt Ihres Erachtens auf die
Arbeit und das Funktionieren einer Rechtsabteilung in der Verwaltung?
Prof. Dr. Heinrich Koller: Der Staatsdiener muss überzeugt sein vom Wert seiner
Aufgabe und vom Nutzen seiner Tätigkeit für die Herstellung einer gerecht(er)
en Gesellschaft. Er holt seine Motivation einerseits aus dieser Einsicht und ande-
rerseits aus der Freude an seinem Arbeitsgebiet. Es braucht Gemeinsinn, soziales
Engagement, politischer Gestaltungswille und Verantwortungsbewusstsein. Wer
nur des Einkommens oder der Karriere willen eine Staatsstelle anstrebt, wird
dort nicht glücklich werden. Insofern gehören der Dienst an der Gemeinschaft
und die Freude an der politischen Gestaltung zu den grundsätzlichen Vorausset-
zungen einer erfüllten „Beamtenlaufbahn“. Ich erwarte solches freilich auch von
den Richtern und Professoren, was nicht im Widerspruch stehen darf zu einer
freiheitlichen und wirtschaftsfreundlichen Gesinnung.

Christian Dueblin: Angesichts einer immer größer werdenden Komplexi-


tät im Gesetzgebungsverfahren nimmt die Verwaltung auch eine Schlüssel-
rolle im politischen Prozess ein. Auf Bundesebene muss sie beispielsweise
im Auftrag des Bundesrates Vorlagen und Gesetze erarbeiten und kann
aufgrund ihres hohen Sachverstandes entsprechend viel mitgestalten. Viele
Fachpersonen, so auch Juristen, befinden sich plötzlich in einer Machtsitu-
ation, in der sie auch ihre persönlichen Ansichten einbringen können. Was
für Erfah­rungen haben Sie diesbezüglich gemacht?
Prof. Dr. Heinrich Koller: Es ist sicher richtig, dass die Erarbeitung von Erlassen
mit viel Gestaltungsspielraum verbunden ist und deshalb verantwortungsbewusst
wahrgenommen werden muss. Dennoch darf der persönliche Einfluss nicht
überschätzt werden. Die wichtigen Gesetze werden in der Regel von Experten-
kommissionen erarbeitet, die breit zusammengesetzt sind (fachlich, politisch,
regional). Das führt zum Ausgleich und zum Ausschluss extremer Lösungen.
Auch verwaltungsintern funktioniert diese „Innerorgankontrolle“, weil die Pro-
jektleiter gegenüber dem Amtsdirektor und dem Departementsvorsteher regel-
mäßig informations- und rechenschaftspflichtig sind. Departementsvorsteher und
Amtsdirektor können gezielt Einfluss nehmen; das Bundesratsmitglied vor allem
politisch, der Amtsdirektor eher sprachlich, strukturell, korrigierend, ergänzend.
Erheblich ist der Einfluss, wenn der Direktor zugleich Projektleiter ist, wie das
bei mir etwa bei der Totalrevision der Bundesverfassung, der Justizreform und
5 Herausforderungen der Legal Operations in Behörden und Verwaltung 57

gesellschaftsrechtlichen Projekten der Fall war. Man erinnert sich dann gerne
an Paragrafen, Absätze und Sätze aus der eigenen Feder – und den politischen
Kampf um solche Passagen. Ebenso groß schätze ich jedoch die Machtbefug-
nisse ein, die mit dem kritischen Hinterfragen von Vorschlägen, dem Ausloten
von Varianten, der Korrektur von einseitigen Lösungen und insbesondere mit
der Beratungstätigkeit verbunden sind. Die Mitwirkung bei der politischen Mei-
nungsbildung in der Verwaltung und in den parlamentarischen Kommissionen
gehört zu den anspruchsvollsten und bedeutsamsten Aufgaben eines Chefbeam-
ten im Bereich der Gesetzgebung und Rechtspflege.

Christian Dueblin: Der Unternehmensjurist in der Privatindustrie stellt


einen Teil des Risk Managements eines Unternehmens dar. Er soll in erster
Linie geschäftliche Abläufe auf juristische Risiken hin untersuchen, Risiken
minimieren und im Falle von Streitigkeiten im Sinne des Unternehmens tätig
werden. Was ist dieses Pendant zum Risk Management in der Verwaltung?
Prof. Dr. Heinrich Koller: Die Wahrung der Rechtmäßigkeit und die Vermei-
dung von rechtlichen Konflikten gehören auch in der Verwaltung zu den primä-
ren Aufgaben des Chefjuristen. Dabei stehen jedoch weniger die finanziellen
Risiken oder die Angst vor gerichtliche Auseinandersetzungen im Vordergrund
als die Vermeidung von Fehlentscheiden, Widersprüchen und Ungleichheiten,
die das Vertrauen in den Rechtsstaat gefährden können. Ein Verwaltungsjurist,
der seinen Chef solche Minenfelder betreten lässt, wird seinen Job mit Sicher-
heit über kurz oder lang loswerden.

Christian Dueblin: Mehr als bei anderen Berufen stellt sich beim Legal Coun-
sel die Frage des Vertrauens. Aufgrund seiner Aufgaben weiß er in der Regel
mehr über Interna als andere Arbeitnehmende. Gibt es in Bezug auf die Anfor-
derungen an Integrität, Loyalität und Vertraulichkeit zusätzliche Aspekte, wel-
che verglichen mit der Privatindustrie, eine besondere Rolle spielen?
Prof. Dr. Heinrich Koller: An sich nicht, doch spielen in der Politik die
Medien eine viel bedeutsamere Rolle. Diese sind beständig auf der Suche nach
irgendwelchen „Primeurs“ und Informationslecks. Deshalb gehören Vertrau-
enswürdigkeit und absolute Verschwiegenheit zu den unabdingbaren Wesens-
merkmalen eines Chefbeamten. Er erlebt die Magistratspersonen von ganz nahe,
als Menschen mit Stärken und Schwächen, in guten und schlechten Zeiten. Dar-
über zu reden, sei es während oder nach der Amtszeit, verbietet der Anstand,
auch wenn ein Interesse der Medienöffentlichkeit daran bestehen sollte. Wesent-
lich schwieriger ist es jedoch, bei sich und seinen Untergebenen Zurückhaltung
gegenüber den Medien in politischen Belangen zu fordern und durchzusetzen.
Während in der Privatwirtschaft eine unbedachte Äußerung zu großen Schäden
und zum Verlust des Arbeitsplatzes führen kann, gibt es in der Verwaltung und
in der Politik immer wieder Personen, die zwecks Beeinflussung des Entschei-
dungsprozesses vertrauliche Informationen vorzeitig preisgeben. Diese Leute
ausfindig zu machen, ist angesichts der vielen involvierten Personen häufig
schwierig. Zudem meinen alle, dafür ein Interesse der Öffentlichkeit geltend
machen zu können.
58 R. Mader

Christian Dueblin: Ein Legal Counsel in der Privatindustrie ist nur in sel-
tenen Fällen im Fokus der Öffentlichkeit. Ein Verwaltungsjurist hingegen
muss sich mit der Öffentlichkeit auseinandersetzen, beispielsweise auch
aufgrund des herrschenden Öffentlichkeitsprinzips in der Verwaltung.
Was stellt das für besondere Anforderungen an den juristischen Fachex-
perten der Verwaltung?
Prof. Dr. Heinrich Koller: Der juristische Fachexperte muss zwischen zuläs-
sigen Fachauskünften und unangebrachten, beziehungsweise unbotmäßigen
politischen Meinungsäußerungen unterscheiden können. Von der politischen
Behörde einmal getroffene Entscheide muss er jedoch gekonnt und mit Über-
zeugung vor der Öffentlichkeit vertreten können. Einiges kann man den
Medienverantwortlichen überlassen; für wichtige Projekte, bedeutsame poli-
tische Entscheide und Krisenfälle jedoch hat der Chef hinzustehen. Wer dazu
nicht in der Lage ist, kann seinen politischen Vorgesetzten nicht ausreichend
entlasten. Abgesehen davon, dass Öffentlichkeitsarbeit, Vorträge, politische
Debatten, Medienkonferenzen etc. zum Pflichtheft jedes Chefbeamten gehören.

Christian Dueblin: Konflikte haben ihren Ursprung in Erwartungshaltun-


gen, wie das Markus Fischer in seinem Beitrag über Konfliktkompetenz
schön aufzeigt (siehe 20). Ein gegenseitiges Rollenverständnis kann dazu
führen, dass Konflikte nicht entstehen oder eher gelöst werden können.
Erkennen Sie Unterschiede in der Wahrnehmung des Rollenverhältnisses
zwischen Juristen, die für die Verwaltung arbeiten und solchen, die in priva-
ten Unternehmungen tätig sind?
Prof. Dr. Heinrich Koller: Ja, solche Unterschiede sind klar auszumachen: Der
Verwaltungsjurist ist in einem stark hierarchisierten Arbeitsumfeld tätig. Er
muss ertragen können, dass seine Vorgesetzten aus politischen und/oder per-
sönlichen Gründen andere Lösungen bevorzugen. Dafür verfügt er in fachlicher
Hinsicht über etwas mehr Freiraum und über größere Selbstständigkeit. Der
wesentliche Unterschied aber dürfte in den Beweggründen liegen, die einen
Menschen veranlassen, eine Staatsstelle anzutreten. Der Dienst an der Gesell-
schaft ist erfüllend, die intrin­sische Motivation demnach ausgeprägter als in
wettbewerbsorientierten Arbeitsverhältnissen.

Christian Dueblin: Wo können juristische Fachexperten in der Verwaltung


und in der Privatindustrie voneinander lernen?
Prof. Dr. Heinrich Koller: Die verschiedenen juristischen Berufsgattungen
(Anwälte, Richter, Professoren, Wirtschafts- und Verwaltungsjuristen) ken-
nen alle ihre typischen, mit der Berufsausübung verbundenen Prägungen. Die
Anwärter auf diese Berufe werden im Laufe ihrer Ausbildung bald merken, dass
dafür unterschiedliche Eigenschaften und Anforderungen erforderlich sind. Wer
als Anwalt nicht über eine rasche Auffassungsgabe und eine zupackende Art,
Mut zur Lücke und Sinn für Rede oder Gegenrede verfügt, wird in diesem Beruf
wohl kaum erfolgreich sein. Wem es an sozialer Kompetenz, Einfühlungsver-
mögen, Ausgewogenheit und Sorgfalt fehlt, wird als R
­ ichter am falschen Platz
5 Herausforderungen der Legal Operations in Behörden und Verwaltung 59

sein. Hohe Fachkompetenz, Interesse am Durchdringen einer Materie, Fähig-


keit zum Erklären und Freude am Schreiben sind wiederum unabdingbare
Voraussetzungen für eine wissenschaftliche Tätigkeit. Beim Wirtschaftsjuris-
ten stehen das Verständnis für die wirtschaftlichen Zusammenhänge und die
internationalen Bezüge, Kommunikationsfähigkeit und Fremdsprachenkennt-
­
nisse, Vielseitigkeit und Gestaltungsfreude im Vordergrund.
Nicht ganz so leicht fällt es, die kennzeichnenden Merkmale der Verwal-
tungstätigkeit zu umschreiben. Wer im Bewilligungs- oder Beschwerdewesen
arbeitet, der übt eine richterähnliche Funktion aus. Wer hingegen in der Gesetz-
gebung oder als Fachexperte tätig ist, der verrichtet eine Arbeit, die in Vielem
der wissenschaftlichen Tätigkeit ähnelt. Lernen können die Verwaltungsjuristen
von den übrigen Berufsgattungen allemal: Zeit- und Kostenbewusstsein vom
Anwalt, Beschränkung auf das Wesentliche und Ausgewogenheit vom Rich-
ter, ökonomisches Verständnis und Kundenorientierung vom Wirtschaftsjuris-
ten. Umgekehrt würden das spezialisierte Fachwissen, die Tiefe und Sorgfalt
der Bearbeitung sowie der selbstlose Dienst an der Sache manchen Juristinnen
und Juristen der anderen Berufszweige gut anstehen. Am schönsten ist es natür-
lich, wenn man in seinem Berufsleben mehrere dieser Tätigkeiten miteinander
verbinden und in einem erfüllenden Arbeitsumfeld wirken darf. Wem der Beruf
zur Berufung wird, der verlange nicht nach mehr!

Literatur
Häfelin U, Müller G, Uhlmann F (2010) Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. Schulthess,
Zürich

Über den Autor


Regula Mader, Rechtsanwältin, Bern
Studium der Rechtswissenschaften, Abschluss als bernische Fürsprecherin (1991), wissenschaft-
liche Mitarbeiterin der SP-Fraktion der Bundesversammlung 1991–1995, wissenschaftliche Mit-
arbeiterin im Bundesamt für Kultur 1995–1996, Vorsitzende Mietamt der Stadt Bern 1994–2000,
Leitung und Aufbau der Fachstelle für die Gleichstellung von Frau und Mann der Stadt Bern
1996–2000, Regierungsstatthalterin von Bern 2000–2009, Executive MBA Universität St.Gallen
2005–2006, CAS Mediation 2007–2010, selbstständige Rechtsanwältin seit 2009, Aufbau und
Leitung des Rechtsdiensts im Inselspital Bern 2010, Vorsitzende der Geschäftsleitung der Univer-
sitären Psychiatrischen Dienste Bern 2011–2013. Heute Direktorin des Wohnheims Riggisberg.
Herausforderungen im
Geschäftsverkehr mit den USA 6
Thomas Soseman

6.1 Einführung

Der US-amerikanische Markt bietet deutschen, österreichischen und schwei-


zerischen Unternehmen (nachfolgend „DACH-Unternehmen“) ausgezeichnete
Geschäftsmöglichkeiten. Dieses Kapitel hat daher zum Ziel, einige der wich-
tigsten Überlegungen aufzuzeigen, die ein europäischer Geschäftsmann oder
Legal Counsel anstellen sollte, wenn er mit seinem Unternehmen den Einstieg
in den US-amerikanischen Markt in Erwägung zieht. Ich werde daher zuerst das
US-amerikanische Rechtssystem auf der Makroebene ansprechen, bestimmte
Aspekte des common law-Systems mit dem des Zivilrechts vergleichen und Über-
legungen zur Produkthaftung in Verbindung mit einem Rechtsstreit besprechen.
Der Abschluss bildet ein Überblick über bestimmte kulturelle und reale Spezi-
fika, von denen man bei einem geschäftlichen Engagement in den USA Kenntnis
haben sollte.

6.2 Das US-amerikanische Rechtssystem

Das Rechtssystem der Vereinigten Staaten ist ein föderalistisches System, welches
zwei Ebenen von Gesetzen und Bestimmungen kennt: einmal die des Bundes und
zum andern die der jeweiligen Bundesstaaten. Das US-amerikanische Rechts-
system ist daher, mit gewissen Einschränkungen, demjenigen der Schweiz sehr
ähnlich, steht damit aber in Kontrast zu den eher einheitlichen Rechtssystemen,
wie man sie in Deutschland und Österreich findet, wo viele Gesetze mit Bezug

T. Soseman (*)
Chicago, IL, USA
E-Mail: tsoseman@sosemanlaw.com

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 61


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_6
62 T. Soseman

auf Geschäftsregeln hauptsächlich auf dem Recht der Europäischen Union basie-
ren und entweder direkt oder durch Umsetzung in das jeweilige nationale Recht
Gesetzeskraft erhalten.
Für ein typisches kleines oder mittelständisches Unternehmen (KMU), das in
den Vereinigten Staaten unternehmerisch tätig sein möchte, hat diese Dualität im
Allgemeinen jedoch keine allzu großen Auswirkungen auf das tägliche Geschäft.
Zu Beginn der Präsenz in den Vereinigten Staaten werden die meisten anwend-
baren Gesetze und Bestimmungen die desjenigen Bundesstaates sein, in dem das
Unternehmen registriert wurde und/oder in welchem es seine Geschäfte betreibt.
Geschäftsbezogene Gesetze wie diejenigen über Firmengründung, Handelsrecht,
Vertragsrecht, Arbeitsrecht, Verkauf und Erwerb von Waren oder Eigentumsrecht
liegen zumeist innerhalb des Regelungsbereichs der Bundesstaaten. Sollte ein
KMU beispielsweise vorhaben, in den USA ein Tochterunternehmen aufzubauen,
wird es dieses nach den Vorschriften des Wirtschaftsrechts eines der fünfzig Bun-
desstaaten, etwa dem des Bundesstaates Delaware gründen, dessen Gründungsfor-
malitäten im Verhältnis zu anderen Bundesstaaten sehr effizient und kostengünstig
gestaltet sind, um so einen Anreiz zur Gründung neuer Unternehmen zu schaffen.
Das Verfahren ähnelt hierbei dem in der Schweiz, in welchem die Gründung eines
neuen Unternehmens ebenfalls auf Kantonsebene vonstattengeht, obgleich sie
nach dem gesamtschweizerischen Gesellschaftsrecht erfolgt. Im Gegensatz dazu
steht in Deutschland der einheitliche Eintragungsantrag an das Handelsregister
oder an das Firmenbuch in Österreich.
Der Gründungsprozess in den Vereinigten Staaten ist jedoch auch ein gutes
Beispiel für die Schwierigkeiten, im Rahmen des Wirtschaftsrechts eines födera-
listischen Systems zu operieren: Theoretisch könnte man eine „XYZ Inc.“ unter
dem Gründungsgesetz jedes der fünfzig Bundesstaaten gründen, sofern der ent-
sprechende Namen nicht bereits im entsprechenden Bundesstaat verwendet wird.
Dies kann in Ländern, in denen es eine zentrale Einrichtung für den Gründungs-
eintrag gibt, wie etwa das Handelsregister in Deutschland oder das Firmenbuch
in Österreich, nicht geschehen. In der heutigen Zeit, in der Geschäfte zunehmend
keine Landesgrenzen mehr kennen, könnte die Tatsache, dass ein anderes Unter-
nehmen genau den gleichen Firmennamen wie Ihr Unternehmen auf dem US-ame-
rikanischen Markt führt, schweren Schaden verursachen. Um dies noch weiter zu
komplizieren, könnte man die „XYZ Inc.“ – nach dem Bundesgesetz der Verei-
nigten Staaten und dem Gesetz des Bundesstaates Delaware – in Delaware grün-
den, würde aber nicht gleichzeitig damit auch die Erlaubnis haben, unter diesem
Namen zum Beispiel im Bundesstaat Illinois tätig sein zu können, sofern ein
Unternehmen in Illinois bereits unter dem gleichen Namen existiert („Wer zuerst
kommt, hat das Vorrecht“). Es gibt zwar Möglichkeiten, ein solches Problem
abzumildern, dennoch zeigt dieses Beispiel exemplarisch auf, wie sich bisweilen
Probleme bei Geschäftstätigkeiten aufgrund des föderalistischen Systems der Ver-
einigten Staaten ergeben können.
Aufgrund von Konflikten – ähnlich dem vorhin beschriebenen – griff das Bun-
desrecht in einige Bereiche der Wirtschaftsgesetzgebung ein, die zuvor ausschließ-
lich durch Gesetze der Bundesstaaten geregelt waren. Diese Entwicklung erfolgte
6 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit den USA 63

aufgrund der Notwendigkeit und/oder des Wunsches nach Standardisierung der


Bestimmungen innerhalb der Vereinigten Staaten, ähnlich den Bemühungen um
eine Rechtsangleichung, wie sie innerhalb der EU angestrebt wird. Beispiele für
Bundesgesetze, die häufig in Verbindung mit Geschäftsaktivitäten in den USA
eine Rolle spielen, sind Sicherheitsgesetze (zum Beispiel Emissionen und Ver-
kauf von Anteilen oder Obligationen), Zölle und Zollrecht, Kartell- und Wettbe-
werbsrecht, Umweltgesetze, Gesetze über das geistige Eigentum, Insolvenzrecht,
Einwanderungsgesetze etc. Schließlich führt das föderale System auch dazu, dass
Unternehmensaktivitäten nicht nur durch die Bundesregierung (federal govern-
ment), sondern auch noch durch die entsprechenden Regierungen der Bundesstaa-
ten (state governments) sowie in einigen Fällen durch staatliche Einrichtungen von
Landkreisen und Städten (county and city governmental entities) besteuert werden.
Aufgrund der getrennten Ebenen der Regierungsgewalt schafft das föderale Sys-
tem dadurch einen Komplexitätsgrad, mit dem deutsche und österreichische Unter-
nehmen vielleicht nicht vertraut sind.
Mit Unterstützung von US-amerikanischen Rechts- und Steuerberatern lässt
sich aber eine gute compliance-Regelung finden, um den Zeitaufwand bei der
Befolgung regulatorischer Vorgaben zu minimieren und um sich stattdessen auf
die Geschäftstätigkeit zu konzentrieren. Schließlich werden Rechtsberater in den
Vereinigten Staaten von ihren Klienten oft nicht nur als Rechtsexperten angese-
hen, sondern als vertrauenswürdige Unternehmensberater (trusted business advi-
sors). Diese werden nicht nur dann beigezogen, wenn spezifische Rechtsprobleme
auftreten. Amerikanische Rechtsberater werden oft auch über das laufende Tages-
geschäft des Unternehmens informiert, sodass sie potenzielle Probleme erkennen
und entschärfen können, noch bevor diese problematisch werden. Dieser proaktive
Ansatz führt in der Regel zu Kosteneinsparungen, da eine kontinuierliche Com-
pliance sehr viel weniger kostet, als wenn diese immer wieder zurückgewonnen
werden muss.

6.3 Common Law im Vergleich zum Zivilrecht

Ein maßgeblicher Unterschied zwischen dem Privatrecht der Vereinigten Staaten


und demjenigen in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist darauf zurückzu-
führen, dass das US-amerikanische Recht auf dem englischen common law-Sys-
tem (das heißt auf dem „allgemein anerkannten Recht“) basiert. Im Gegensatz
dazu basiert dasjenige in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf dem civil
law. Ein besonderer Effekt des common law ist denn auch, dass der jeweils aktu-
elle Stand eines bestimmten Gesetzes dynamisch ist und sich im Laufe der Zeit
ständig verändern kann. Innerhalb des common law-Systemsenthält daher jedes
veröffentlichte Gerichtsurteil die Beschreibung der Fakten und weitere Informa-
tionen zum Streitfall sowie zu den Streitfragen. Das Gericht entscheidet dann mit
Abgabe einer Erklärung, wie es zu seiner Schlussfolgerung gelangt ist, indem es
sich häufig auf zuvor entschiedene Fälle des Obersten Gerichts oder andere Präju-
dizien stützt. So sind zum Beispiel die allgemeinen Regeln zur Vertragsauslegung
64 T. Soseman

durch eine große Zahl von Fällen verfeinert worden, über welche die Richter über
die Jahrhunderte hinweg immer wieder entscheiden mussten. Wegen der langen
Geschichte, die das common law-System in den Vereinigten Staaten hat, lassen
sich viele Streitfragen bereits anhand von Recherchen gut beantworten. Dennoch
können, wie dies in der Wirtschaft immer wieder der Fall ist, neue Streitfragen
auftauchen, die in früheren Fällen noch nicht behandelt wurden und gelegentlich
aufgrund deren Unbekanntheit zu Unsicherheiten hinsichtlich des richtigen Vorge-
hens führen.
Das common law ist einer der Gründe, weshalb rechtliche Vereinbarungen in
den Vereinigten Staaten dazu tendieren, sehr viel umfangreicher zu sein als es
ähnliche Verträge in Deutschland, Österreich oder der Schweiz sind. Im Rahmen
des common law wird das Vertragsrecht besonders durch die Interpretation neuer
Fälle (new cases interpretations) beeinflusst sowie zusätzlich durch das Faktum,
dass weder das Bundesrecht der Vereinigten Staaten noch das Wirtschaftsrecht der
einzelnen Bundesstaaten rechtliche Standardbestimmungen aufweisen, welche das
Vertragsrecht regeln würden. Daher müssen in allen US-amerikanischen Verträ-
gen ausdrücklich alle Vereinbarungen, Verständnisse und Geschäftsbedingungen
aufgeführt werden, die von den Parteien vereinbart wurden. Außerdem werden
die Parteien wegen der sich überschneidenden Regularien des föderalen Sys-
tems versuchen, Vereinbarungen und Bestimmungen abzufassen, die spezifische
Rechtsprechungen oder Interpretationen thematisieren, welche sie gezielt anspre-
chen, aufnehmen oder wegbedingen möchten. Als Ergebnis werden neue Inhalte
hinzugefügt, ohne irgendwelche der vorhandenen zu entfernen, wodurch immer
noch umfangreichere Vereinbarungen entstehen. Demgegenüber können Vertrags-
parteien in Deutschland auf die allgemeinen Regeln im Bürgerlichen Gesetzbuch
(BGB) – in Österreich auf diejenigen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs
(ABGB) und in der Schweiz auf diejenigen des Obligationenrechts (OR) – verwei-
sen, ohne im Vertrag deren Inhalt mit aufnehmen zu müssen.

6.4 Produkthaftung und Rechtsstreit

Der US-amerikanische Markt bietet DACH-Unternehmen – wie bereits ein-


gangs angesprochen – ausgezeichnete Geschäftsmöglichkeiten. Trotz optimaler
Geschäftsbedingungen zögern viele DACH-Unternehmen, diese Gelegenheiten für
sich zu nutzen. Das Zögern, in den US-Markt einzutreten, lässt sich in der Regel
mit Ängsten erklären, die sich auf potenziellen Haftungsrisiken, der mangelnden
Vertrautheit mit US-Gesetzen sowie dem common law-Rechtssystem im Allge-
meinen gründen. Auch wenn solche Bedenken nicht zu unterschätzen sind, sollten
sie ein DACH-Unternehmen, welches den Markteintritt in den USA in Betracht
zieht, nicht entmutigen. Zumal die Erschließung eines so großen homogenen
Marktes außerordentlich lukrativ sein kann. Die Angst vor großen Verbindlichkei-
ten, welche wegen der Produkthaftung oder aus anderen rechtlichen Gründen in
den Vereinigten Staaten entstehen könnten, ist angesichts der realen Verhältnisse
in der Regel unbegründet. Wären das Potenzial für und die Realisierung der die
6 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit den USA 65

Geschäfte lähmenden Haftungsverpflichtungen in den Vereinigten Staaten wirk-


lich so schlimm, wie dies von manchem angenommen wird, wäre die US-ameri-
kanische Wirtschaft kaum so groß wie sie es heute ist. Das Geschäftsleben würde
stillstehen, zumal sich kein rational denkender Mensch bei solchen Risiken auf
kommerzielle Aktivitäten einlassen würde.
Ohne beim Produkthaftungsgesetz zu sehr ins Detail zu gehen, ist es für
DACH-Unternehmen wichtig, jeweils zu gewährleisten, dass ihre Produkte den
aktuellen Sicherheitsstandards und den allgemein anerkannten Normen (beispiels-
weise ISO) entsprechen. Leider begründet eine Entsprechung oder auch ein höhe-
rer Standard von Rechts wegen nicht, dass die Produkte sicher oder fehlerfrei sind.
Solche Standards und Normen unterstützen lediglich die eigenen Argumente und
die Verteidigung dahin gehend, dass die Produkte ungefährlich zu sein scheinen.
Um sicherzustellen, dass diese zur ordnungsgemäßen Nutzung bezüglich Design,
Herstellung und der Warnhinweisen sicher sind, ist es für DACH-Unternehmen
sehr wichtig, mit ihrem Versicherungsanbieter zu reden, bevor sie diese in den
USA verkaufen. Mit diesem sollte vor dem ersten Verkauf die notwendige Pro-
dukthaftungs- oder Errors-and-Omissions-Versicherung abgeschlossen werden.
Diese ist unbedingt erforderlich, damit das Unternehmen im Zusammenhang mit
seinen Geschäftsaktivitäten in den USA gut geschützt ist. In diesem Zusammen-
hang sei angemerkt, dass Produkte und Dienstleistungen von DACH-Unternehmen
typischerweise im höherwertigen Bereich des jeweiligen Marktes angesiedelt sind.
Es kommt daher häufig vor, dass diese die aktuellen US-amerikanischen Standards
sogar übertreffen. Dennoch kann als eine weitere Sicherheitsmaßnahme der Dienst
spezifischer Ingenieursunternehmen in Anspruch genommen werden, welche die
Produkte, die ein DACH-Unternehmen auf dem amerikanischen Markt verkaufen
möchte, überprüfen, damit wirklich gewährleistet ist, dass sie den Sicherheitsge-
setzen und Bestimmungen der USA entsprechen. Solche Unternehmen bieten auch
die Beratung in Bezug auf die richtige Formulierung und Platzierung von Warn-
hinweisen auf den Vertragsprodukten an.
Ein weiterer Aspekt des Rechtssystems der USA, welcher sich deutlich vom
Zivilrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterscheidet, ist der
Begriff des „Strafschadensersatzes“ (punitive damages). Strafschadensersatz ist
eine finanzielle Entschädigung, die einer geschädigten Partei zugesprochen wird,
obwohl diese über den tatsächlich entstandenen Schaden hinausgeht. Sie wird als
Strafe gegen den Schädiger verhängt. Strafschadensersatz kann durch das für die
gerichtliche Tatsachenfeststellung zuständige Organ zugesprochen werden, entwe-
der durch eine Jury oder einen Richter, sofern auf einen Schwurgerichtsprozess
verzichtet wurde. Der Strafschadensersatz basiert dabei auf dem Grundgedanken,
dass Personen oder Organisationen davon abgeschreckt werden sollen, absichtlich,
böswillig oder unter völliger Missachtung der Interessen und Rechte anderer Par-
teien zu handeln. Es ist hierbei zu beachten, dass die Gesetze, die Aufschluss darü-
ber geben, wann und wie Strafschadensersatz zugesprochen wird, von Bundesstaat
zu Bundesstaat unterschiedlich sind.
Ein bekanntes Beispiel für die Zusprechung von punitive damages ist der
Fall einer 79-jährigen Frau, die bei McDonalds einen Kaffee über ihren Schoß
66 T. Soseman

verschüttete, als sie in ihrem geparkten Wagen saß.1 Die Fakten waren in die-
sem Fall ziemlich eindeutig: Die Frau erlitt Verbrennungen dritten Grades,
wobei die schweren Verbrennungen 16 % ihres Körpers bedeckten. Sie ver-
brachte daraufhin eine Woche im Krankenhaus und hatte deswegen Arztrech-
nungen in Höhe von 10.500 US$ zu bezahlen. Während des Rechtsstreits stellte
sich heraus, dass McDonalds die Standardtemperatur für seinen Kaffee von 82
auf 88 °C angehoben hatte, wobei bekannt war, dass der Kaffee bei dieser höhe-
ren Temperatur innerhalb von zwei bis sieben Sekunden zu Verbrennungen drit-
ten Grades führen kann. Weiter wurde bekannt, dass bei McDonalds in den dem
Fall vorangehenden zehn Jahren bereits über 700 Beschwerden von Menschen
eingegangen waren, die sich aufgrund des heißen Kaffees Verbrennungen mit
unterschiedlichen Schweregraden zugezogen hatten. Trotzdem hatte ein Leiter
der Qualitätskontrolle von McDonalds bescheinigt, dass diese Zahl von Verlet-
zungen nicht ausreiche, um eine Änderung bei den Richtlinien bezüglich der
Kaffeetemperatur von McDonalds zu veranlassen.
Die zwölfköpfige Jury des Bezirksgerichts entschied in der Folge zugunsten der
verletzten Frau und befand, der Warnhinweis auf der Tasse sei nicht groß genug
respektive ausreichend gewesen, um die Klägerin angemessen vor der Gefahr zu
warnen. Des Weiteren entschied die Jury, ihr einen Schadensersatzanspruch von
200.000 US$ zuzusprechen, welcher dann aufgrund des Mitverschuldens um
20 % auf 160.000 US$ reduziert wurde. Die Jury sprach der Klägerin zudem wei-
tere 2,7 Mio. US$ als Strafschadensersatz zu. Dies entsprach dem Kaffee-Umsatz
von McDonalds für zwei Tage. Diese 2,7 Mio. US$ Strafschadensersatz waren
es, welche danach sowohl in den US-Medien wie auch weltweit als Beispiel für
einen albernen Rechtsstreit und für unverständlich hohe punitive damages herum-
gereicht wurden und für Kopfschütteln bezüglich der Praxis US-amerikanischer
Gerichte sorgten. In den Medien wurde allerdings weder das wahre Ausmaß der
Verbrennungen der älteren Dame aufgezeigt noch auf die vorbestehenden Kennt-
nisse eingegangen, wonach man bei McDonalds wusste, dass deren Richtlinien
für heißen Kaffee zu gravierenden Verbrennungen führen können. Zudem wurde
in der Berichterstattung oft auch die Tatsache nicht erwähnt, dass der Richter des
Bezirksgerichts den Betrag des Strafschadensersatzes auf 480.000 US$ gesenkt
hatte oder dass McDonalds und die Klägerin den Streit schließlich für eine unge-
nannte Summe von insgesamt weniger als 600.000 US$ verglichen. Der Kaf-
fee-Fall von McDonalds gibt jedoch die Grundüberlegungen gut wieder, die hinter
der Zuerkennung von Strafschadensersatz stehen: Das Produkt von McDonalds
war nachweislich gefährlich und das Unternehmen hatte davon Kenntnis. Dennoch
setzte es seine Kunden weiterhin einem gefährlichen Produkt aus, und das ohne
eine angemessene Warnung über die Art und das Ausmaß dieser Gefahr.
Die Lehre aus diesem Fall: Sollte je bemerkt werden, dass ein Produkt Ihres
Unternehmens auf dem US-amerikanischen Markt gefährlich ist oder für Kun-
den gefährlich sein könnte (entweder wegen eines Konstruktions- oder eines

1Siehe Details zum Fall unter www.lectlaw.com/files/cur78.htm. Besucht 10. April 2017.
6 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit den USA 67

Fabrikationsfehlers) oder falls die Warnhinweise zur Nutzung nicht angemessen


sind, müssen Sie umgehend nachweisbare Schritte unternehmen, damit künftig
gewährleistet ist, dass das Produkt ungefährlich ist oder, unter Berücksichtigung
der Umstände, so sicher wie möglich gemacht wurde. Missachtung oder vorsätz-
liche Ignoranz eines monierten Sicherheitsmangels kann vor einem US-ameri-
kanischen Gericht ansonsten kostspielige Konsequenzen nach sich ziehen. Ein
DACH-Unternehmen, das seine Produkte in den Vereinigten Staaten verkauft,
hat in diesem Zusammenhang jedoch insofern einen gewissen Vorteil gegenüber
seiner US-amerikanischen Konkurrenz (mit ausschließlichem Firmensitz in den
Vereinigten Staaten), dass der zugesprochene Strafschadensersatz, der nicht durch
Versicherungsleistungen oder die in den USA vorhandenen Vermögenswerte des
Unternehmens abgegolten sind, nach dem in Deutschland, Österreich oder in
der Schweiz geltendem Recht nicht vollstreckbar ist. Dies wäre zwar vom Legal
Counsel vor Ort zu bestätigen; es scheint aber, dass das Recht in Deutschland,
Österreich oder der Schweiz einen Strafschadensersatz nicht vorsieht. Aus diesem
Grund wäre das US-amerikanische Urteil aufgrund der darin enthaltenen Straf-
schadensersatzzahlung hier nicht einklagbar, da es gegen den Grundsatz des ordre
public im DACH-Raum verstößt.
Sofern Ihr Unternehmen vor einem US-amerikanischen Gericht verklagt wer-
den sollte, nehmen Sie umgehend Verbindung mit Ihrer Versicherung auf und
berufen Sie sich auf die Verpflichtung zur Verteidigung in Ihrer Versicherungspo-
lice. Die Versicherungsgesellschaft wird nun einen fähigen Rechtsbeistand bestim-
men, der die Angelegenheit im Interesse Ihres Unternehmens regelt. Beachten Sie,
dass der Prozess einer Rechtsstreitigkeit in den USA für gewöhnlich eine lang-
wierige Angelegenheit sein und die Entscheidung selbst über eine relativ einfache
Vertragsstreitigkeit teilweise mehrere Jahre dauern kann. Einer der überraschends-
ten Aspekte für Legal Counsels aus dem DACH-Raum bei US-amerikanischen
Rechtsstreitigkeiten ist der Prozess der Offenlegung (process of discovery), bei
dem es sich um einen Austausch von Informationen zwischen den Parteien – unter
Aufsicht des Gerichts – handelt. „Wesentliche Offenlegung“ bedeutet das Recht
der Parteien, von der anderen Seite sämtliche Beweismittel, Zeugenaussagen und
Unterlagen, die in irgendeiner Weise für die Streitfragen von Bedeutung sein kön-
nen, offengelegt zu erhalten. Ein solcher Prozess greift viel weiter in die Rechte
der Parteien ein als ähnliche Verfahrensbestimmungen in Deutschland, Österreich
oder der Schweiz.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass eine Mehrzahl (schätzungsweise
über 90 %) der Rechtsstreitigkeiten in den USA verglichen respektive abgewie-
sen werden, noch ehe es zum eigentlichen Prozess kommt. Die Gründe dafür
reichen von der langen Prozessdauer, über die hohen Kosten eines Rechts-
streits bis hin zu dem Umstand, dass Forderungen sich durch die Durchführung
eines Offenlegungsprozesses als nicht haltbar erweisen. Zudem besteht oft der
Wunsch, durch eine Verhandlungslösung mit der anderen Partei über den Aus-
gang des Rechtsstreits die Kontrolle zu behalten, statt diese dem Zufall zu über-
lassen, der in der Form einer endgültigen Entscheidung durch eine Jury oder
einen Richter daherkommt.
68 T. Soseman

6.5 Kulturelle Aspekte bei Geschäften in den USA

Die USA sowie die DACH-Länder weisen gegenseitig eine sehr starke kulturelle
Übereinstimmung aus: Viele deutsche, österreichische und Schweizer Einwande-
rer kamen während der letzten zwei Jahrhunderte in die USA und brachten ihre
Lebensweise und ihre spezifischen Kulturen mit. Sie hatten dadurch einen nach-
haltigen Einfluss auf die Entwicklung der USA – was bis heute Gültigkeit hat.
Amerikaner reisen daher gerne in die Länder ihrer Vorfahren und Europäer gerne
ferienhalber in die USA. Aber gerade diese Vertrautheit kann für europäische
Legal Counsels ein Problem darstellen, die in den USA Rechtsgeschäfte abzuwi-
ckeln haben: Aufgrund der vielen Ähnlichkeiten der Kulturen fühlen sie sich in
den USA ziemlich heimisch und fallen daher häufig auf ihre angestammten Wahr-
nehmungsgewohnheiten und Handlungsweisen zurück. Das kann zu Frustrationen
führen, wenn sie merken, dass ihre US-amerikanischen Pendants die Geschäfte in
einer unterschiedlichen Art und Weise verfolgen. Dieses Phänomen erleben euro-
päische Legal Counsels zum Beispiel nicht, wenn sie sich mit dem japanischen
oder dem chinesischen Markt beschäftigen, da sie hier bereits von Anfang an
davon ausgehen, dass die Kulturen unterschiedlich sind und sie daher auch rechtli-
che und interaktive Unterschiede zeigen (siehe dazu detailliert auch Kap. 7).
Einer der häufigsten, wenn nicht sogar der am weitesten verbreitete kulturelle
Unterschied, den viele europäische Geschäftsleute und ihre Rechtsberater bemer-
ken, ist der, dass amerikanische Geschäftsleute in ihrer Kommunikation häufig
nicht direkt sind. Außerdem ist es oft sehr schwierig, die richtige Person innerhalb
einer Organisation zu identifizieren, welche über die notwendige Autorität verfügt,
um eine Geschäftsbeziehung einen Schritt weiter zu bringen. Bei solchen Per-
sonen gilt es zudem viele interne gate keeper gekonnt zu umgehen. Selbst wenn
man den richtigen Ansprechpartner gefunden kann, ist es oft ziemlich schwierig,
ihr – sei es über Telefon oder via E-Mail – eine verbindliche Antwort zu entlo-
cken. Dies ist für viele Europäer nicht so recht nachvollziehbar, da amerikanische
Geschäftsleute gewöhnlich als sehr freundlich und offen erlebt werden. Es handelt
sich dabei aber um einen fast schon reflexartigen Wunsch, nett und nicht grob zu
sein, der dazu führt, dass Telefonanrufe oder E-Mails „höflich“ ignoriert werden.
Ein solches Verhalten stellt für Amerikaner eine weit weniger belastende Art dar,
als ein direktes Nein, wenn dem Gegenüber mitgeteilt werden soll, dass man nicht
an seiner Dienstleistung oder seinen Produkten interessiert ist. Selbst wenn man
Erfolg mit der Vereinbarung eines ersten Treffens mit einem potenziellen US-ame-
rikanischen Kunden hat, wird dieser in der Regel zwar sehr freundlich und oft
auch sehr enthusiastisch sein, doch dann wird man nach einem scheinbar erfolg-
reichen Treffen nie wieder etwas von ihm hören oder erst, nachdem ein längerer
Zeitraum verstrichen ist.
Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass amerikanische Geschäftsleute
regelmäßig preissensibler sind als ihre europäischen Kollegen. Den mit unter-
schiedlichen Preisen einhergehenden Qualitätsunterschieden wird keine so große
Bedeutung zugemessen. Oft bringen DACH-Unternehmen daher Produkte auf den
6 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit den USA 69

amerikanischen Markt, die sich im obersten Qualitätssegment des entsprechenden


Marktes bewegen. Auf europäischen Märkten werden solche Produkte vor allem
aufgrund ihrer technischen und qualitativen Merkmale angepriesen. Amerikani-
sche Geschäftsleute hingegen sind häufig gewillt, eine geringere, „ausreichende“
Qualität zu akzeptieren, sofern der Preis entsprechend niedriger ausfällt. Daher
sollten sich DACH-Unternehmen eine spezifische Marketingstrategie für die USA
zurechtlegen, die den Preis miteinbezieht.
Schließlich sollte beim Markteintritt in die USA die Notwendigkeit der persön-
lichen Vernetzung nicht unterschätzt werden: Amerikaner machen gerne Geschäfte
mit Menschen, die sie persönlich kennen und mit denen sie gerne Zeit verbrin-
gen. Daher wird in den USA ziemlich viel Zeit investiert, um potenzielle Kunden
bei einem Essen oder bei anderen Aktivitäten persönlich kennenzulernen; woraus
sich dann mit der Zeit persönlichere Beziehungen entwickeln. Da der US-ameri-
kanische Markt sehr groß ist, ist es zudem häufig notwendig, ein Netzwerk unab-
hängiger Vertriebsmittler aufzubauen, damit der Markt wirksam bedient werden
kann. Daraus ergibt sich oft die Schwierigkeit, die richtigen Vertriebspartner mit
der nötigen technischen Kompetenz und dem Marketing-Know-how zu finden.
Auch hier wird man sehr viel Zeit investieren müssen, um sich innerhalb der Bran-
che zu vernetzen und die Hauptakteure in allen Bereichen des Marktes persönlich
kennenzulernen. Über diese Hauptakteure kann man wiederum Empfehlungen
erhalten, welche sich auf die renommiertesten Unternehmen und erfolgreichs-
ten Vertriebshändler im Markt beziehen. Aufgrund der sehr persönlichen Art der
Geschäftsbeziehungen auf dem US-amerikanischen Markt müssen DACH-Unter-
nehmen darauf vorbereitet sein, sich auf ein mehrjähriges Engagement einzulas-
sen, sofern sie eine profitable Präsenz in den USA anstreben möchten. Dennoch ist
dieser Markt die Heimat von Tausenden von Unternehmen, die im Besitz europä-
ischer Einzelpersonen oder Unternehmen sind, und er hat sich für viele von ihnen
als sehr profitabel erwiesen.

6.6 Quantitative Aspekte bei Geschäften in den USA

Schließlich machen europäische Geschäftsleute und ihre Rechtsberater oft den


Fehler, die ungeheure Ausdehnung des US-amerikanischen Marktes zu unter-
schätzen. Wegen des Umfangs des US-Marktes und der Vielzahl von Konkur-
renzunternehmen ist es sehr schwierig, dass das eigene Unternehmen, seine
Produkte und Dienstleistungen überhaupt wahrgenommen werden. Wäre bei-
spielsweise der Bundesstaat Kalifornien ein eigenständiges Land, so wäre er im
Jahre 2014 die achtgrößte Volkswirtschaft der Erde gewesen – noch vor Russ-
land und Italien, und nur knapp hinter Brasilien. Der Bundesstaat Texas wäre im
gleichen Jahr die zwölftgrößte Wirtschaft direkt nach Kanada. Daher ist es oft
ratsam, seine Markteintrittsbemühungen vorerst nur auf eine bestimmte Region
der USA zu fokussieren, etwa auf den Nordwesten, den mittleren Westen oder
Kalifornien, statt seine Präsenz von Beginn weg auf dem gesamten US-Markt
aufbauen zu wollen.
70 T. Soseman

Über den Autor


Thomas Sosemann – Rechtsanwalt & Principal von Soseman Law Firm, P. C., Chicago
Thomas Soseman ist ein US-Wirtschaftsanwalt mit Sitz in Chicago, Illinois mit mehr als zwanzig
Jahren Erfahrung in der Beratung von US-und europäischen Unternehmen im Gesellschafts- und
Handelsrecht. Vor der Gründung seiner eigenen Kanzlei praktizierte Herr Soseman Gesellschafts-
recht bei der internationalen Anwaltskanzlei Winston & Strawn LLP, vier Jahre in Chicago und
drei Jahre im Genfer Büro in der Schweiz. Herr Soseman verfügt über umfangreiche Transakti-
onserfahrung und hat mehr als 90 Transaktionen mit Firmenübernahmen, Fusionen und Veräu-
ßerungen, Asset-based Finanzierungen, Joint Ventures und grenzüberschreitenden Transaktionen
abgeschlossen. Er ist Mitglied der American Bar Association, Illinois State Bar Association und
Iowa State Bar Association, sowie Direktor und Sekretär des Swiss-American Business Council.
Herausforderungen im
Geschäftsverkehr mit China 7
Lukas Züst

7.1 Einleitende Überlegungen

Ziel dieses Beitrages ist es, dem Legal Counsel eines Unternehmens, welcher
nicht regelmäßig mit China zu tun hat, Einblicke in die chinesische Rechtskultur
zu verschaffen und ihn auf mögliche Herausforderungen in rechtlichen Angelegen-
heiten zu sensibilisieren. Der Beitrag beruht auf den Erfahrungen des Autors, wel-
che er während seiner mehrjährigen beruflichen Tätigkeit in China gesammelt hat.
Nicht nur die Rechtssysteme und Kulturen der einzelnen asiatischen Länder
untereinander können stark divergieren. Auch innerhalb von China gelten nicht
ein Rechtssystem und eine Kultur. Hongkong ist eine Sonderverwaltungszone der
Volksrepublik China und verfügt nach dem Grundsatz „Ein Land – Zwei Systeme“
im Wesentlichen nach wie vor über ein mehrheitlich eigenständiges Rechtssystem,
welches historisch auf dem englischen Common Law basiert, auch wenn die Ein-
flüsse Beijings vermehrt zunehmen. Das gleiche Prinzip „Ein Land – Zwei Sys-
teme“ gilt auch für die Sonderverwaltungszone von Macao, mit dem Unterschied,
dass das Rechtssystem von Macao portugiesischen Ursprungs ist. Taiwan wiede-
rum hat ein eigenes unabhängiges Rechtssystem. Wenn nun im Folgenden auf die
chinesische Kultur und das chinesische Recht eingegangen wird, dann wird damit
auf die Volksrepublik China unter Ausschluss der beiden Sonderverwaltungszo-
nen Hongkong und Macao sowie Taiwan Bezug genommen. Dieser Hauptteil der
Volksrepublik China wird meist als „Festland China“ beziehungsweise „Mainland
China“ bezeichnet.

L. Züst (*)
VISCHER AG, Head China Desk, Zürich, Schweiz
E-Mail: lzuest@vischer.com

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 71


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_7
72 L. Züst

7.2 Chinesische (Rechts-)Kultur

Was macht die chinesische Kultur aus und wie zeigt sich die chinesische Kultur im
Rechtsalltag? China ist ein Vielvölkerstaat. Den weitaus größten Anteil, das heißt
ca. 92 %, nehmen jedoch die Han-Chinesen ein. Sie dominieren die chinesische
Kultur, welche bekanntlich zu den ältesten Kulturen dieser Welt gehört. Die drei
Lehren Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus hatten großen Einfluss auf
deren Entwicklung. Im 20. Jahrhundert floss mit dem Kommunismus eine neue
und bis heute prägende Lehre in die chinesische Kultur ein.
In der chinesischen Kultur ist das Bestreben nach Harmonie zentral. Dieses Bestre-
ben wird nicht nur von der Zentralregierung propagiert, sondern ist auch in der chine-
sischen Bevölkerung stark verankert. Ferner basiert die chinesische Kultur stark auf
dem Konzept des Gruppendenkens. Innerhalb einer Gruppe oder der (Groß-)Familie
fühlen sich Chinesen in aller Regel sehr stark verbunden. Die Loyalität ist hier äußerst
groß. Hingegen nehmen Loyalität und Vertrauen gegenüber Personen außerhalb die-
ser nahestehenden Gruppe rapide ab. Vor diesem Hintergrund muss oft auch das als
zunächst unhöflich und nicht hilfsbereit aufgefasste Verhalten von Chinesen in der
Gesellschaft verstanden werden, wenn sie beteiligungslos an einem Hilfsbedürftigen
vorbeiziehen. Ein weiterer Grund für dieses Verhalten kann aber auch sein, dass man
sich nicht in die Angelegenheit anderer einmischen will, weil man sich selber keine
zusätzlichen Probleme (auch gegenüber dem Staat) schaffen möchte. Dass die Loya-
lität gegenüber Personen außerhalb der eigenen Gruppe grundsätzlich sehr beschei-
den ist, zeigt sich unter anderem auch in der hohen Fluktuation von Arbeitnehmern in
den Unternehmungen. Ferner ist das Hierarchiebewusstsein in der chinesischen Kul-
tur stark präsent. Der Vorgesetzte wird von seinen Untergebenen grundsätzlich nicht
hinterfragt. Vielmehr verlangt der Vorgesetzte, und die Untergebenen sind sich dies so
gewohnt, dass seine Anweisungen umgesetzt werden. Einen interessanten, tiefen und
differenzierten Einblick in das Wesen der Chinesen und deren Kultur hat Lin Yutang
im Buch My Country and My People geschaffen. Dieses im Jahre 1935 in den USA
erschienene Buch wollte „Westlern“ die chinesische Kultur näher bringen und fand
großen Anklang. Es ist auch heute noch eine empfehlenswerte Lektüre.
Das zeitgenössische chinesische Recht ist eine Mischung aus historisch
gewachsenem lokalen Recht, kontinentaleuropäischem Recht, US-amerikanischen
Einflüssen und den sogenannten „chinesischen Charakteristika“. Nach der Macht­
übernahme der Kommunisten unter der Herrschaft von Mao Zedong wurden viele
Gesetze Chinas abgeschafft. Ein Gesellschaftsrecht oder Vertragsgesetz gab es
nicht mehr. Verwaltungsrechtliche und strafrechtliche Bestimmungen wurden hin-
gegen weiter ausgebaut. Als China unter Deng Xiaoping Ende der 1970er-Jahre
und zu Beginn der 1980er-Jahre die Politik der offenen Türen (open door policy)
einführte und umzusetzen begann, mussten in vielen Bereichen wieder neue
Gesetze geschaffen werden. In den vergangenen rund 35 Jahren erstellte, bezie-
hungsweise modernisierte China sein Rechtssystem, sodass China heute über ein
umfassendes Rechtssystem verfügt. Wie nachstehend noch darzulegen sein wird,
besteht jedoch vor allem in der Rechtsanwendung und -durchsetzung großes Ver-
besserungspotenzial.
7 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit China 73

Das heutige Zivil- und Gesellschaftsrecht hat große Ähnlichkeiten zu den


kontinentaleuropäischen Kodifikationen. Vor allem der Einfluss des deutschen
Rechts ist in diesen Rechtsgebieten groß. Das schweizerische IPRG (Bundesge-
setz über das Internationale Privatrecht) diente ferner als Vorbild zum Gesetz über
das anwendbare Recht in Zivilverhältnissen mit Auslandbezug. China verfügt
über eine umfassende Gesetzgebung zum Schutz des Geistigen Eigentums, deren
Grundzüge in vielen wesentlichen Punkten mit den entsprechenden Gesetzen zum
Beispiel der Schweiz vergleichbar sind, auch wenn es wichtige Abweichungen
gibt. Das Kartellrecht ist geprägt durch US-amerikanische Vorgaben. Das chinesi-
sche Straf- und Verwaltungsrecht ist bis heute wohl am chinesischsten geblieben,
vor allem deshalb, weil dieses Recht sich über eine lange Zeit in China kontinuier-
lich entwickeln konnte. Vor allem das heutige Verwaltungsrecht, welchem enorme
Bedeutung in China zukommt, ist äußerst verflechtet und in vielen Bereichen
kaum oder schlecht strukturiert.
Auch wenn der ausländische Einfluss in den jüngeren Gesetzen gut erkennbar
ist, wird rasch klar, dass die so genannten „chinesischen Charakteristika“ auch die
jüngeren Gesetze prägen. Es fehlt eine eigentliche Rechtssystematik nach westeu-
ropäischen Vorstellungen. Gesetze sind im Vergleich zu kontinentaleuropäischen
Gesetzen eher kurz gehalten und geben vor allem Grundsätze vor. Die einzelnen
Artikel können ungenau und zweideutig ausfallen. In der Praxis konkretisiert wer-
den die Gesetze meist durch Ausführungsbestimmungen und Regulierungen der
Behörden diverser Stufen oder Interpretationen des Obersten Volksgerichts. Neben
der Zentralregierung und deren Ministerien können auch Provinzen oder lokale
Behörden zum gleichen Gegenstand weitere Ausführungsbestimmungen erlassen.
Ferner wird bei Gesetzesrevisionen oder dem Erlass von neuen Gesetzen nicht sel-
ten vergessen, die Abstimmung mit bestehendem Recht vorzunehmen, oder ange-
messene Übergangsbestimmungen zu erlassen. Jüngste Gesetzesrevisionen haben
jedoch versucht, altes und neues Recht aufeinander abzustimmen. Es kommt in der
Praxis vor, dass für den gleichen Sachverhalt zwei parallel existierende Gesetze/
Bestimmungen zur Anwendung kommen können und es dann nicht klar ist, wel-
che Bestimmung nun Vorrang hat. Diese Vielfalt an Bestimmungen macht die
Rechtsanwendung im Geschäftsalltag zur großen Herausforderung.
Eine Besonderheit nehmen die sogenannten policies ein. Es handelt sich dabei
meist um ungeschriebene Vorschriften, welche von den lokalen Behörden vorge-
geben werden, und im Widerspruch zu geltendem nationalen Recht stehen. Diese
lokalen policies können den Geschäftsgang eines Unternehmens in China massiv
erschweren, auch wenn die dahinter stehende Ratio in gewissen Fällen noch ver-
ständlich wäre.

Beispiel
Weil es vor wenigen Jahren in einer Provinz zu einigen verheerenden Fabrikun-
fällen gekommen war, die im Zusammenhang mit der Lagerung und Verarbei-
tung von gefährlichen Chemikalien standen, wurde von der Provinzregierung die
policy erlassen, dass bis auf Weiteres keine Bewilligungen für die Erweiterung
74 L. Züst

von bestehenden Produktionen mit gefährlichen Chemikalien erteilt werden,


selbst wenn im konkreten Fall die gesetzlichen Bestimmungen für die Bewilli-
gung erfüllt wären.

7.3 Umgang mit chinesischen Entscheidungsträgern

Wie muss man sich eine typische chinesische Beamtin, einen chinesischen Anwalt
oder Geschäftsmann oder eine Managerin vorstellen? Auch wenn jeder Entschei-
dungsträger in China seine eigene Art und Persönlichkeit besitzt, gibt es gewisse
Eigenschaften, welche auf eine Mehrzahl der Personen der jeweiligen Gruppe
zutreffen. Diese werden im Folgenden näher vorgestellt.

7.3.1 Chinesische Beamte

Behörden nehmen im chinesischen Alltag eine wichtige Rolle ein. Nach wie
vor ist es für viele Studienabgänger ein großes Ziel, Beamter zu werden, da die
Zulassung zum Beamten für viele einen sozialen Aufstieg darstellt und mit sozia-
lem Prestige verbunden wird. Die Behörden üben eine beträchtliche Autorität und
Macht aus und deren Ermessensspielraum ist groß. Entsprechend besteht in der
Beziehung zwischen den Behörden und den Privatrechtssubjekten ein erhebliches
Hierarchiegefälle. Obwohl China zur globalen Wirtschaftsmacht aufgestiegen ist
und auch die Informationstechnologie längst Einzug genommen hat, ist der Kon-
takt zwischen Privatrechtssubjekten und dem Staat immer noch stark von persön-
lichem Vorsprechen abhängig und die Verwaltung noch traditionell organisiert.
Eingaben und Anträge an Staatsstellen sind grundsätzlich persönlich einzureichen.
Mittlerweilen gibt es zwar öfters auch die Möglichkeit, Anträge online zu stellen.
Der Übergang zum e-Government hat in den letzten 18 Monaten an Geschwin-
digkeit zugenommen. Jedoch ist die dazu vorab vorzunehmende Registrierung in
vielen Fällen dermaßen aufwendig oder komplex, dass diese Möglichkeit in der
Praxis dann oftmals doch nicht wahrgenommen wird. Vielmehr wird weiterhin der
klassische Vorgang des persönlichen Vorsprechens gewählt.
Beim persönlichen Vorsprechen unterzieht der zuständige Beamte den Antrag
einer ersten Prüfung. Diese erste Prüfung fokussiert sich in im Allgemeinen auf
formelle Voraussetzungen (wie Vollständigkeit der Unterlagen, rechtsgenügende
Unterzeichnung und Legalisierung der Unterlagen). Der Beamte nimmt sich
jedoch meist auch das Recht, den Antrag einer summarischen materiellen Prüfung
zu unterziehen. Die summarische materielle Prüfung kann derweilen sehr spezi-
elle Ausmaße annehmen. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Bewilligung
werden grundsätzlich im Gesetz sowie den lokalen Ausführungsbestimmungen
genannt. In der Regel führen die lokalen Behörden auf ihren Websites zusätzlich
die konkret geforderten Unterlagen und Anforderungen an eine Bewilligung auf.
Standardantragsformulare werden ebenfalls auf deren Websites zur Verfügung
gestellt. Nicht überrascht werden darf der Antragsteller jedoch, wenn er vom
7 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit China 75

Beamten damit konfrontiert wird, dass zum Beispiel ein falsches Standardantrags-
formular benutzt worden sei (obwohl es von der Behörde online zur Verfügung
gestellt wurde). Dies vermag den Antrag zwar nicht zu vereiteln, jedoch verzögert
sich der ganze Prozess, weil ein anderes Formular nochmals vorbereitet und je
nach dem von einem Zeichnungsberechtigten unterzeichnet beziehungsweise mit
dem company chop abgestempelt werden muss.
Problematisch kann es vor allem dann werden, wenn der Beamte mitteilt, dass
gemäß einer lokalen policy weitere – strengere – Anforderungen bestehen, damit
eine Bewilligung erteilt werden könne. Diese policies sind – wie oben bereits
ausgeführt – gewöhnlich weder im Gesetz noch in den Regulierungen vorgese-
hen, und kommen für den Antragsteller meist sehr überraschend. Es stellt sich
die Frage, was dagegen unternommen werden kann. Auch wenn jeder Fall ein-
zeln zu beurteilen ist, kann Folgendes berücksichtigt werden: Sofern die strengere
Anforderung mit moderatem Aufwand erfüllt werden kann, lohnt es sich im All-
gemeinen aus rein pragmatischen Gründen, diese Anforderungen zu erfüllen. In
gewissen Fällen bieten die Beamten selbst Alternativen an, wie diese höheren vom
Gesetz nicht vorgesehenen Anforderungen erfüllt werden können. Ein einfaches
Beispiel soll dies illustrieren:

Beispiel
Ein in der Gründung befindliches, ausländisch-finanziertes Unternehmen hatte
sich bei einer Tochtergesellschaft einer befreundeten Unternehmensgruppe
zur Untermiete eingemietet. Die gesetzlichen Voraussetzungen an die Unter-
miete waren erfüllt. Die Gründung der Gesellschaft wurde von der zuständigen
Bewilligungsbehörde (MOFCOM) bereits bewilligt und die Untermiete wurde
von MOFCOM nicht infrage gestellt. Als nächster Schritt stand die Registrie-
rung der Gesellschaft bei der lokalen Industrie- und Handelskammer (AIC) an.
Bei der Registrierung wurde jedoch diese Untermiete nicht akzeptiert mit dem
Hinweis auf die lokale policy, dass Untermieten in dem betreffenden Indust-
riepark nicht zulässig seien. Der tatsächliche Grund dieser policy war, dass der
Industriepark noch freie Kapazität an Geschäftsräumlichkeiten hatte und bevor-
zugt hätte, seine Räumlichkeiten an das neue Unternehmen zu vermieten. Eine
Einigung mit den Behörden war nicht möglich, obwohl der Antrag rechtlich
einwandfrei war. Die Behörde stellte nach langen Gesprächen zwei Optionen
zur Auswahl: Eine zinsfreie Miete oder der Vermieter müsse seinen registrier-
ten business scope insofern ändern, dass dieser die Vermietung von Räumlich-
keiten ausdrücklich vorsehe. Die zweite Option kam für den Vermieter aus
diversen (insbesondere steuerrechtlichen) Gründen nicht infrage. Die erste
Option war jedoch für beide Parteien (Vermieter und Mieter) akzeptabel. Das
ausländische Unternehmen reichte den gleichen Mietvertrag erneut ein, fügte
jedoch beim Mietzins eine Null ein. Mit dieser „Formalität“ konnte der „Man-
gel“ aus Sicht der lokalen AIC geheilt und in der Folge die Gesellschaft von der
lokalen AIC gegründet werden.
76 L. Züst

Dieses einfache Beispiel zeigt gut auf: Erstens kann in vermeintlich einfachen
Fällen unvorhersehbar ein Problem auftauchen, welches einen Prozess massiv
stören und verzögern kann. Zweitens kann eine aus westeuropäischer Sicht for-
mal-juristisch unmögliche Lösung (zum Beispiel Mietvertrag ohne Mietzins) ein
Problem sehr rasch lösen. Drittens, Geduld ist im Umgang mit Behörden eine
wichtige Tugend. Viertens, beim Umgang mit chinesischen Beamten sind pragma-
tische Ansätze oft erfolgreich. Aber auch die chinesischen Behörden können sich
mit guter juristischer Argumentation überzeugen lassen und es kann auch zum Ziel
führen, auf dem eigenen Standpunkt zu beharren. Zu beachten ist dabei, dass der
gewöhnliche Beamte der ersten Stufe, welcher die Geschäfte behandelt, gewöhn-
lich einen tiefen Grad an Eigenkompetenz hat. Er hält sich grundsätzlich an die
internen Anweisungen und im Zweifel legt er sie sehr restriktiv aus, was dann
dazu führen kann, dass ein Antrag mit formalistischen Gründen abgelehnt wird.
Oft lässt sich in diesen Fällen der Beamte auf keine längeren Auseinandersetzun-
gen ein, und auf gute Argumente kann vonseiten des Beamten zuweilen auch mit
bloßem Schweigen reagiert werden. In solchen Fällen kann es erfolgsversprechend
sein, wenn innerhalb der Behörde ein ranghöherer Beamter oder der Amtschef ver-
langt wird. Dieser verfügt einerseits über eine größere Entscheidkompetenz. Ande-
rerseits hat er in der Regel mehr Erfahrung, was dazu führt, dass er eine Situation
gesamtheitlicher betrachtet.
Äußerst frustrierend für einen (ausländischen) Antragsteller kann der (über-
spitzte) Formalismus sein, welchen chinesische Beamte an den Tag legen können.
Dies kann selbst heute noch so weit gehen, dass nur die Unterschrift mit schwarzer
Tinte auf amtlichen Antragsdokumenten akzeptiert wird, jedoch eine solche mit
blauem Kugelschreiber nicht. Oder dass ein Beschluss des board of directors einer
chinesischen Gesellschaft, der rechtmäßig und zulässigerweise auf dem Zirkular-
weg erfolgt ist, für ein Gesuch nicht anerkannt wird, weil keine Angaben über Ort
und Zeit der Sitzung auf dem Dokument sind (die es bei einem Zirkularbeschluss
nicht gibt). Besonders mühsam und zeitintensiv kann es dann werden, wenn der
Beschluss des board of directors gemäß Vorschriften notariell beglaubigt und lega-
lisiert werden muss und sich die Mitglieder des board of directors in mehreren
Ländern beziehungsweise Kontinenten aufhalten.
In der Praxis tritt manchmal die Frage auf, ob die Botschaft, das Generalkon-
sulat oder die ausländische Handelskammer beizuziehen ist, wenn Probleme mit
Behörden auftauchen und ersichtlich ist, dass diese nicht nach dem geschriebenen
Recht zu handeln gedenken. Ausländische Handelskammern können meistens sehr
wenig erreichen, da sie gegenüber den Behörden nicht als Autorität wahrgenom-
men werden. Deshalb führt die Einschaltung von Handelskammern kaum zu Erfol-
gen. Die Unterstützung durch die Botschaft beziehungsweise das Generalkonsulat
kann im Einzelfall jedoch durchaus positive Wirkung erzielen. Die Botschaften
treten bei Konflikten wirtschaftlicher Natur gewöhnlich eher zurückhaltend auf,
sofern es sich nicht um eine offensichtliche und massive Ungerechtigkeit handelt.
Sofern persönliche Interessen von natürlichen Personen im Vordergrund stehen
(zum Beispiel Verweigerung der Ausreise eines Schweizers aus China), ist der
Einsatzwille üblicherweise größer. Das Hauptziel ist, eine gemeinsame Lösung
7 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit China 77

mit den Behörden zu erarbeiten. Streitigkeiten mit Behörden auf dem Amtsweg
(über die Aufsichtsbehörde) oder dem Gerichtsweg auszutragen, sind meist wenig
erfolgsversprechend.

7.3.2 Chinesische Anwälte

Der Rechtsanwalt wird in China in der Regel als ein gewöhnlicher Dienstleis-
tungserbringer betrachtet, der im Einzelfall für Prozesse, rechtliche Abklärungen
oder Unterstützung bei Vertragsverhandlungen beigezogen wird. Der Anwalts-
stand genießt in der chinesischen Bevölkerung nicht das gleich hohe Ansehen
wie in Westeuropa, und Anwälte werden in China grundsätzlich nicht als Vertrau-
enspersonen wahrgenommen. Im Gegenteil: Oft besteht ein Misstrauen chinesi-
schen Anwälten gegenüber. Diesen teilweise eher zweifelhaften Ruf haben sich
chinesische Anwälte jedoch zu einem gewissen Teil auch dem eigenen Verhal-
ten zuzuschreiben. Obwohl diese von Gesetzes wegen auch dem Berufsgeheim-
nis unterstehen, nehmen chinesische Anwälte die Pflicht zur Geheimniswahrung
in der Praxis oft nicht so genau. Weiter ist die im deutschsprachigen Raum breit
abgedeckte Berufsethik in China viel weniger stark ausgeprägt. So darf es nicht
überraschen, wenn im Prozess ein Anwalt regelmäßig Behauptungen wider bes-
seres Wissens aufstellt. Da der Anwalt in der Regel keine (standesrechtlichen)
Konsequenzen zu befürchten hat und auch die Gerichte dies meist nicht negativ
beurteilen, werden Unwahrheiten in Prozessen oft bewusst eingesetzt.
Die Bandbreite an Fachwissen, Einsatzwille und Auftreten von chinesischen
Anwälten ist enorm groß, und selbstverständlich verfügt China auch über gut
gebildete, scharfsinnige, sprachgewandte und integre Anwälte. Die juristische
Qualität von Anwaltsdienstleistungen nimmt jedoch außerhalb der großen Metro­
polen und wichtigsten Städten gemeinhin stark ab. Trotzdem lohnt es sich in vielen
Fällen, einen lokalen Anwalt vor Ort zusätzlich beizuziehen, da dieser mit den
lokalen Sonderheiten gut vertraut ist. Allerdings ist es meistens nicht ratsam, dem
lokalen Anwalt die Bearbeitung einer Angelegenheit selbstständig zu überlas-
sen. Eine erfolgsversprechende Strategie ist viel eher, wenn eine Kanzlei mit gut
ausgebildeten und einsatzwilligen Anwälten in einer der großen Metropolen die
juristische Arbeit erledigt. Für die Umsetzung wird dann je nach Fall eine lokale
Anwaltskanzlei beigezogen.

7.3.3 Chinesische Geschäftsleute und Manager

Chinesische Geschäftsleute und Manager zeichnen sich durch flinkes Verhalten,


Anpassungsfähigkeit und Pragmatismus aus. Auf der anderen Seite können sie
zuweilen äußerst unberechenbar sein. Oft werden Entscheidungen aus emotiona-
len oder subjektiven Gründen gefällt, und es wird objektiven Kriterien, bei denen
eine logische und strukturierte Vorgehensweise im Vordergrund steht, nicht die
78 L. Züst

gleiche Bedeutung wie im deutschsprachigen Raum zugemessen. Dieser Mix an


positiven und negativen Eigenschaften kann die Kommunikation, das Verhandeln
und ganz generell das Tätigen von Geschäften in China für Manager und Juris-
ten aus dem deutschsprachigen Raum erschweren. Es ist nicht unüblich, dass kurz
vor Beendigung von Vertragsverhandlungen wieder auf einen Punkt zurückgekom-
men wird, über den man sich bereits längst geeinigt zu haben schien. Ein großer
Unterschied zum deutschsprachigen Raum ist ferner, dass chinesische Verhand-
lungsdelegationen häufig keine oder nur geringe Entscheidkompetenz haben, dies
aber der anderen Vertragspartei nicht offen legen. So kann es für die andere Partei
frustrierend sein, wenn die Verhandlungen vermeintlich abgeschlossen sind, dann
aber die chinesische Delegation offenbart, dass die Verträge nun noch von den
Vorgesetzten geprüft und abgesegnet werden müssen. In diesen Fällen muss dann
meist mit weiteren Verhandlungsrunden beziehungsweise Änderungsvorschlägen
gerechnet werden.
Ein großer Unterschied zwischen westlichen und chinesischen Managern
besteht auch in der Art und Weise, wie Projekte geplant und umgesetzt werden.
Im deutschsprachigen Raum wird regelmäßig viel Aufwand in die Planung und
Vorbereitung investiert. Wenn die Planung abgeschlossen ist, folgt die Umsetzung
und diese richtet sich so weit wie möglich nach den Planungsvorgaben. In China
wird ein Projekt viel eher mit einer rollenden Planung umgesetzt. Sofern ein Pro-
blem gelöst oder eine Hürde genommen wurde, geht man das nächste Problem an.
Damit bleibt den Managern eine gewisse Flexibilität erhalten. Andererseits kann
dadurch selten nach einem bestimmten Zeitplan gehandelt werden.

7.4 Ausgewählte Aspekte chinesischer Sonderheiten

Nachfolgend werden einige spezifische Sonderheiten aufgezeigt, welche dem


deutschsprachigen Legal Counsel seltsam vorkommen können, wenn er das erste
Mal in seiner Berufslaufbahn mit chinesischen Geschäftspartnern, Behörden oder
Rechtsanwälten zu tun hat.

7.4.1 Staatliche Mitwirkung in Form von Bewilligungs- und


Registrierungspflichten

Der chinesische Staat wirkt im Geschäftsalltag mit. Selbst bei Transaktionen zwi-
schen Privatrechtssubjekten mischt sich der Staat ein, insbesondere dann, wenn die
Transaktion einen ausländischen Bezug aufweist. Das Motiv dieser Einmischung
ist klar: Die Ausübung staatlicher Kontrolle auch auf Privatrechtsgeschäfte. So
unterstehen zum Beispiel die Akquisition einer chinesischen Gesellschaft durch
einen ausländischen Investor oder in gewissen Fällen die Gründung eines Unter-
nehmens mit ausländischer Beteiligung der staatlichen Bewilligungspflicht. Dies
ist insofern von Bedeutung, als eine mangelhafte Bewilligung die Unwirksamkeit
eines Rechtsgeschäfts zur Folge hat. Hierzu ist anzufügen, dass im März 2015
ein Entwurf zu einem neuen Auslandinvestitionsgesetz veröffentlicht wurde, wel-
7 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit China 79

ches die v­erschiedenen einzelnen Gesetze und Regulierungen zu ausländischen


­Direktinvestitionen in China ersetzen soll. Dieser Entwurf sieht vor, dass die Bewil-
ligungspflicht von ausländischen Investitionen in China im Grundsatz aufgehoben
werden soll. Zwar ist heute noch nicht absehbar, wann und in welcher Form das
neue Auslandinvestitionsgesetz in Kraft treten wird. Im Herbst 2016 traten jedoch
mehrere Erlasse in Kraft, welche die Bewilligungspflicht für die Gründung von
ausländisch-finanzierten Gesellschaften im Grundsatz aufhoben.
Ferner unterstehen gewisse Transaktionen der Registrierungspflicht. Registrie-
rungspflichtig sind zum Beispiel Technologietransferverträge für den Import von
ausländischen Technologien nach China. Registrierungspflichtig ist aber zum Bei-
spiel auch ein gewöhnlicher lokaler Mietvertrag. Mangelnde Registrierung hat in
den meisten Fällen keine Auswirkung auf die Gültigkeit, jedoch können daraus
Rechtsnachteile für die Parteien entstehen. Erwähnenswert ist, dass Kapitaltrans-
aktionen ins Ausland beziehungsweise Umwandlung von Renminbi in auslän-
dische Währungen immer noch der staatlichen Überwachung und zum Teil der
Bewilligungspflicht unterstehen, auch wenn in den letzten Jahren eine schrittweise
Lockerung der Währungskontrolle eingeführt wurde.

7.4.2 Die chinesische Sprache

Eine besondere Herausforderung für westliche Unternehmer, Manager und Juris-


ten stellt die chinesische Sprache dar. Da viele chinesische Manager (vor allem
diejenigen ab 35–40 Jahren) nach wie vor schlecht oder gar kein Englisch spre-
chen, ist man für Verhandlungen oft auf Übersetzer angewiesen, beziehungs-
weise sind Schriftstücke zweisprachig (meist Chinesisch-Englisch) zu verfassen.
Gerade bei Vertragsverhandlungen kommt es nicht selten vor, dass die Überset-
zer aufgrund mangelnden Fachwissens falsche Übersetzungen vornehmen. Bei
Verhandlungen können solch ungenaue Übersetzungen leicht zu Missverständnis-
sen führen, die im besten Fall rasch aufgedeckt werden. Sie können aber auch zu
unüberbrückbaren Differenzen führen. Für die ausländische Partei kann es daher
einen großen Vorteil ausmachen, wenn sie einen Chinesisch sprechenden ausländi-
schen Anwalt zur Seite hat.
Auch bei Vertragsdokumenten können aufgrund von ungenauen Übersetzun-
gen Missverständnisse entstehen. Oft werden die Diskrepanzen erst während der
Erfüllung eines Vertrages entdeckt. Selbst wenn der Vertrag festhält, welche Ver-
tragssprache bei Diskrepanzen maßgebend ist, können in der Praxis die Probleme
aufgrund unterschiedlicher Auffassungen des Vertragstextes wegen der falschen
Übersetzungen doch nicht so rasch gelöst werden. Falls eine Streitigkeit nicht
gelöst werden kann und diese vor einem chinesischen Gericht hängig gemacht
wird, muss vor allem die ausländische Partei daran denken, dass die lokalen
Gerichte sich automatisch am chinesischen Text orientieren werden, selbst wenn
die Parteien vereinbart hatten, dass die andere Sprachversion maßgebend sein
soll. Aus diesem Grund sollte ein großes Augenmerk auf akkurate Übersetzungen
gesetzt werden.
80 L. Züst

Abb. 7.1  Beispiel eines


Company Chop (Shanghai
Promise Law Firm Company
Chop)

7.4.3 Company Chops

Eine wichtige Stellung nehmen die Gesellschaftsstempel ein, die sogenannten


company chops, deren Bedeutung in westlichen Ländern oft nicht richtig wahrge-
nommen wird. Jede Gesellschaft verfügt über einen company chop – daneben gibt
es weitere Stempel mit beschränktem Einsatzfeld wie den finance chop oder den
fapiao chop. Das chinesische Recht sieht vor, dass rechtsgültig schriftliche Ver-
träge abgeschlossen werden können, indem der Vertrag mit dem company chop
abgestempelt wird (siehe Abb. 7.1). Eine Unterschrift ist nicht notwendig.
In der Praxis ist es denn auch die Regel, dass schriftliche Verträge mit dem
company chop abgestempelt werden. Zwar können schriftliche Verträge auch
rechtsgültig mit der Unterschrift eines Zeichnungsberechtigten abgeschlossen wer-
den. Allerdings kommt der Unterschrift nicht die gleiche Bedeutung wie im Wes-
ten zu.

7.5 Schieds- und staatliche Gerichtsverfahren in China

Beim Vertragsabschluss stellt sich in aller Regel die Frage, wie eine etwaige
Auseinandersetzung mit dem Vertragspartner gelöst werden kann, falls sich die
Parteien nicht einigen können. In den meisten Fällen steht die Wahl zwischen
staatlichen Gerichten oder Schiedsgerichten im Vordergrund. Was ist zu berück-
sichtigen, wenn mit einem chinesischen Vertragspartner eine Gerichtsstand-
klausel beziehungsweise Schiedsklausel vereinbart wird? Soll ein chinesisches
Schiedsgericht oder ein chinesisches staatliches Gericht akzeptiert werden? Soll
wenn immer möglich ein ausländisches staatliches Gericht oder eine auslän-
dische beziehungsweise internationale Schiedsorganisation bestimmt werden?
Diese Fragen sind essenziell und müssen in jedem Einzelfall unter Berück-
sichtigung der konkreten Umstände beantwortet werden. Im Folgenden wird
auf gewisse Aspekte von Prozessen vor chinesischen staatlichen Gerichten und
Schiedsgerichten eingegangen.
7 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit China 81

7.5.1 Gerichtsverfahren vor staatlichen Gerichten

Gerichtsverfahren in China sind unberechenbar und können chaotisch ablaufen,


was vor allem für die ausländische Partei, welche an klare prozessuale Abläufe
gewohnt ist, sehr frustrierend sein kann. Die Gründe dazu sind vielseitig: Zunächst
einmal überlässt das chinesische Zivilprozessrecht den Richtern eine ziemlich
große Freiheit, wie der Prozess gestaltet werden soll. Erschwerend kommt in vie-
len Fällen der Umstand hinzu, dass Richter (vor allem Richter in der ersten Ins-
tanz) generell juristisch schwach ausgebildet sind. Sie halten sich nicht an das
Prozessrecht und setzen sich darüber hinweg. Das Hauptaugenmerk der Richter
(insbesondere der ersten Instanz) liegt denn auch meist in der Feststellung des
Sachverhalts und weniger in der Anwendung des Rechts.
Der chinesische Richter sieht sich im Verlaufe des Prozesses oft auch als
Schlichter zwischen den beiden Prozessparteien. Entsprechend versucht der chi-
nesische Richter in der Regel auch, bei prozessualen Fragen einen gemeinsamen
Nenner der Prozessparteien zu finden und er gibt den Prozessparteien viel Frei-
heit bei der Prozessmitgestaltung. Parteivorträge werden grundsätzlich nicht auf
je zwei Parteivorträge limitiert. Im Gegenteil: Parteieingaben werden oft bis kurz
vor der Urteilsfindung eingereicht und von den Gerichten dann oft auch noch
akzeptiert. Oft werden selbst zu einem bereits fortgeschrittenen Stadium nach den
eigentlichen Parteivorträgen nochmals Beweismittel eingereicht und vom Gericht
akzeptiert.
Vorladungen zu Gerichtsverfahren können in Bezug auf den Verhandlungsge-
genstand ungenau sein. Es kann somit vorkommen, dass zu einer Verhandlung
vorgeladen wird und erst anlässlich der Verhandlung den Parteien eröffnet wird,
dass es sich um ein informelles Treffen handle, an welchem gewisse prozessuale
Punkte bereinigt werden. Aus diesen Gründen ist es bei Gericht meist unerläss-
lich, nach Erhalt der Vorladung den Verhandlungsgegenstand zu klären, damit
man entsprechend vorbereitet ist. Auf der anderen Seite können die chinesischen
Richter wiederum in gewissen Punkten äußerst formalistisch und kleinlich sein.
Fristen und Termine werden meist sehr kurzfristig angesetzt. Fristerstreckungen
haben nicht die gleiche Bedeutung wie etwa im deutschsprachigen Raum und wer-
den entsprechend selten beantragt und, falls von den Gerichten bewilligt, meist nur
kurzfristig.
Fälschungen von Dokumenten sind in China ein generelles Problem und ent-
sprechend wird die Frage nach der Echtheit von Beweismitteln oft zu einem
eigentlichen Thema im chinesischen Zivilprozess. Dieses Hinterfragen nach der
Echtheit von Beweismitteln wird von gewissen Anwälten zuweilen ad absurdum
geführt und es kommt nicht selten vor, dass chinesische Anwälte als generelle
Verteidigungsstrategie pauschal die Echtheit aller Beweismittel der Gegenseite
bestreiten; selbst wenn keine Indizien vorliegen, welche die Echtheit anzweifeln
würden. Aus diesem Grund müssen Originaldokumente oft beglaubigt werden. In
diesem Zusammenhang sieht das chinesische Zivilprozessrecht eine Vorschrift vor,
gemäß welcher schriftliche Beweismittel, die im Ausland erstellt wurden, notari-
ell beglaubigt und legalisiert sein müssen, damit sie zum Beweis zugelassen sind.
82 L. Züst

Weiter müssen von Gesetzes wegen alle Dokumente, die nicht auf Chinesisch
sind, von einem gerichtlich anerkannten Übersetzungsbüro übersetzt werden, um
als Beweismittel zugelassen zu werden. Diese Formvorschriften können im Ein-
zelfall je nach Umfang der Beweismittel einen nicht zu unterschätzenden admi-
nistrativen und finanziellen Aufwand verursachen. Da die ausländische Partei
meistens ausländische Beweismittel oder Dokumente, welche in einer anderen als
der chinesischen Sprache verfasst sind, vorbringen wird, geht diese Formvorschrift
entsprechend oft zulasten der ausländischen Partei.
Ein weiteres Problem stellt der lokale Protektionismus dar. Vor allem außer-
halb der großen Metropolen Beijing und Shanghai muss damit gerechnet werden,
dass lokale Gerichte die heimische Partei bevorzugt behandeln. Dieses Risiko wird
umso größer, je bedeutsamer die heimische Partei für die lokale Stadt beziehungs-
weise Region ist. Das Risiko ist auch dann erhöht, wenn es sich bei der heimi-
schen Partei um ein staatliches Unternehmen oder um ein Unternehmen, welches
mit dem Staat eng verbunden ist, handelt. Neben der generellen Bevorzugung
beziehungsweise dem lokalen Protektionismus hat das chinesische Gerichtswe-
sen immer noch ein Korruptionsproblem. Die chinesische Zentralregierung ist
sich dessen und des Schadens, den die Korruption anrichtet, sehr wohl bewusst.
Sie geht daher dezidiert dagegen vor. Dies ist ein positives Zeichen, die Kor-
ruption ist dadurch jedoch noch nicht aus dem Gerichtsalltag verschwunden. In
vielen Fällen ist die einseitige Bevorzugung während des Prozesses kaum ersicht-
lich, und es tritt die systematische Bevorzugung erst zum Schluss des Prozesses
richtig in Erscheinung. Gerade in Bestechungsfällen bemühen sich die Gerichte
oft tunlichst, alle prozessualen Vorschriften einzuhalten, beiden Parteien das
rechtliche Gehör zu gewähren, um dann ein sehr einseitiges Urteil zugunsten
der bestechenden Partei zu verfassen. So werden zum Beispiel Beweismittel mit
fadenscheinigen Begründungen nicht oder aus dem Zusammenhang heraus geris-
sen berücksichtigt oder es werden gewisse Argumente der Gegenseite nicht beach-
tet, respektive deren Sinn wird verdreht.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ein Gerichtsverfahren in China –
gerade für eine ausländische Partei – ein Unterfangen mit vielen Überraschun-
gen sein kann. Auf der anderen Seite muss auch festgehalten werden, dass
positive Ergebnisse vor staatlichen Gerichten trotz der obgenannten Schwierigkei-
ten erreicht werden können und auch erreicht werden. Vor allem für die auslän-
dische Partei ist es in einem Gerichtsverfahren imminent wichtig, dass sie (und
deren Rechtsvertreter) gute Arbeit leisten und den lokalen Gerichten möglichst
keine Gelegenheiten geben, die lokale Partei zu bevorzugen. Prozessuale Unacht-
samkeit kann rasch bestraft werden.

7.5.2 Schiedsgerichtsverfahren in China

Wie staatliche Gerichtsverfahren sind auch Schiedsgerichtsverfahren in China unbe-


rechenbar; und viele der obgenannten Schwierigkeiten vor staatlichen Gerichten
treten auch bei Schiedsverfahren auf. Schiedsgerichte und Schiedsgerichtsverfahren
7 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit China 83

sind in China nach wie vor nicht mit Verfahren international bekannter Schiedsor-
ganisationen vergleichbar. Auch die Schiedsgerichte führen das Verfahren zuweilen
sehr chaotisch. Klare Verfahrensabläufe werden selten festgelegt, und es ist nicht
ungewöhnlich, dass das Schiedsgericht auf gefällte prozessleitende Entscheide wie-
der zurückkommt und diametral entgegengesetzte prozessleitende Entscheide fällt,
obwohl an den Grundlagen zu den früheren Entscheiden keine Änderungen einge-
treten sind. Bezeichnend für chinesische Schiedsgerichte ist auch, dass sie oft viel
unnötige Zeit mit unwesentlichen Punkten verbringen können, anstatt sich auf die
essenziellen Probleme zu konzentrieren. Diese Schwäche dient meist der beklagten
Partei, welche sie ausnützt, um von den eigentlichen Problemen abzulenken. Für
chinesische Schiedsverfahren charakteristisch ist sodann, dass sich das Sekretariat
der jeweiligen Schiedsorganisation oft in das Schiedsverfahren einmischt, selbst
nachdem das Schiedsgericht bestellt wurde.

7.5.3 Ausländische Gerichtsstände und Schiedsinstitutionen

Diesen vorgenannten Problemen kann ausgewichen werden, indem ein auslän-


disches Gericht oder Schiedsgericht für die Streitbeilegung vertraglich bestimmt
wird. Diese vertragliche Wahl eines ausländischen Gerichts zwischen einer chine-
sischen und ausländischen Partei ist aus chinesischer Sicht grundsätzlich zulässig.
Ausnahmen bestehen insbesondere in Angelegenheiten betreffend Grundeigentum,
Erbrecht und ausländisch-chinesischen Joint Ventures. Gemäß dem People’s Sup-
reme Court ist die Wahl eines ausländischen Schiedsgerichts jedoch selbst in die-
sen Fällen zulässig.
Eine besondere Herausforderung kann jedoch die Vollstreckung von ausländi-
schen Gerichtsurteilen sein. Diese steht insbesondere unter dem Vorbehalt, dass (i)
China und der Staat, in dem das Gerichtsurteil ergangen ist, entweder einem inter-
nationalen Staatsvertrag beigetreten sind oder eine zweiseitige Vereinbarung abge-
schlossen haben, welche die Vollstreckung von Gerichtsurteilen gegenseitig vorsieht,
oder (ii) das Prinzip der Reziprozität erfüllt ist, das heißt im anderen Staat auch chi-
nesische Gerichtsurteile vollstreckt werden. In der Praxis ist strittig, wann das Erfor-
dernis der Reziprozität erfüllt ist. Die wohl herrschende Meinung in China ist, dass
die ausländische Partei, welche ein ausländisches Gerichtsurteil in China vollstre-
cken lassen will, ein konkretes Beispiel für ein chinesisches Gerichtsurteil, welches
im anderen Staat vollstreckt wurde, im spezifischen chinesischen Vollstreckungsver-
fahren vorlegen muss. Die Vollstreckung von ausländischen Schiedssprüchen rich-
tet sich nach dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Anerkennung
und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche („New Yorker Übereinkommen“),
sofern der Schiedsspruch in einem Vertragsstaat ergangen ist. Eine Besonderheit der
chinesischen Vollstreckung von ausländischen Schiedssprüchen ist, dass das chine-
sische Vollstreckungsgericht die Verweigerung der Vollstreckung vom zuständigen
Höheren Gericht (People’s High Court) absegnen lassen muss, sofern es den auslän-
dischen Schiedsspruch nicht vollstrecken lassen will. Falls jedoch auch der People’s
High Court der Auffassung ist, dass der ausländische Schiedsspruch nicht vollstreckt
84 L. Züst

werden soll, muss die Zustimmung des Obersten Gerichts (People’s Supreme Court)
eingeholt werden. Kommt auch der People’s Supreme Court zum Schluss, dass die
Anerkennung und Vollstreckung zu verweigern sind, wird der Entscheid des Voll-
streckungsgerichts endgültig. Gegen diesen Entscheid kann kein Rechtsmittel mehr
eingelegt werden. Der große Nachteil bei diesem Vorgehen ist, dass sich der Vollstre-
ckungskläger bei diesen gerichtsinternen Überprüfungen durch die höheren Instan-
zen nicht äußern kann.

7.6 Der praktische Umgang mit chinesischem Recht

Von der Sprachbarriere einmal abgesehen, ist das chinesische Recht für westeu-
ropäische Juristen kein Buch mit sieben Siegeln: Vor allem im Gesellschafts- und
Privatrecht kommt dem deutschsprachigen Juristen wohl einiges vertraut vor. Es
sind jedoch die in der Praxis zur Geltung kommenden chinesischen Besonder-
heiten in der Rechtsanwendung und -durchsetzung, welche den Rechtsalltag zur
Herausforderung werden lassen. Erfahrung, Beharrlichkeit und Flexibilität helfen,
diese Herausforderung erfolgreich zu meistern. Daneben dienen vor allem Ver-
ständnis und Offenheit gegenüber der chinesischen Kultur.

Über den Autor


Lukas Züst – Rechtsanwalt, Counsel & Head China Desk bei VISCHER, Zürich
Jurastudium an der Universität Zürich. 2003 wurde er in Zürich als Rechtsanwalt zugelassen.
2006/07 nahm er am Post-Graduate-Joint-Programm der National University of Singapore und
der East China University of Political Science and Law, Shanghai teil. Nach erfolgreichem
Abschluss erwarb er den Titel Master of Law im internationalen Wirtschaftsrecht. Von 2007
bis 2016 Senior Associate und Resident Partner bei Wenfei Law in Shanghai und Zürich. Seit
2016 als Counsel & Head China Desk bei VISCHER verantwortlich für juristische Beratung bei
Ansiedlungen, M&A-Transaktionen und Handel von europäischen Unternehmen in China und
chinesischen Unternehmen in der Schweiz.
Herausforderungen im
Geschäftsverkehr mit Nahost 8
Nicolas Bremer

8.1 Einführung

Auf den ersen Blick mögen die Rechtsordnungen des Nahen und Mittleren Ostens
und Nordafrikas (MENA-Region) für einen Juristen aus Deutschland, Österreich
oder der Schweiz (DACH-Region) fremd und wenig nachvollziehbar wirken.
Bei näherer Betrachtung hält dieser erste Eindruck jedoch zumindest mit Blick
auf das Zivil- und Wirtschaftsrecht nicht stand. Dieses geht – mit wenigen Aus-
nahmen – auf die kontinentaleuropäische Rechtstradition zurück. Insbesondere
aufgrund des Einflusses des islamischen Rechts bestehen jedoch auch gewisse
Unterschiede zum europäischen Zivil- und Wirtschaftsrecht, die bei der Arbeit mit
Bezug zur MENA-Region berücksichtigt werden müssen. Außerdem bildet die
MENA-Region bei allen Gemeinsamkeiten keinen homogenen Rechtsraum. Eine
Harmonisierung des Rechts, wie sie zum Beispiel durch die Europäische Union
(EU) betrieben wird, kennt die Arabische Liga nicht. Folglich muss jeder Staat der
MENA-Region – bis zu einem gewissen Grad – individuell behandelt werden.
Durchaus fremd wird einem Juristen aus der DACH-Region allerdings das in
der MENA-Region anzutreffende System der Streitbeilegung sein. Die Quali-
tät der Rechtsprechung der staatlichen Gerichte ist häufig nicht mit europäischen
Standards vergleichbar. Insbesondere in der Golf-Region werden zudem sehr
umfassend juristische Laien als sogenannte Experts in die Rechtsfindung einbezo-
gen. Schließlich werden auch bei der Anerkennung von ausländischen Gerichtsur-
teilen und Schiedssprüchen internationale Standards nicht konsequent angewandt.

N. Bremer (*)
Alexander & Partner Rechtsanwälte, Schlüterstraße 41, 10707 Berlin, Deutschland
E-Mail: nb@alexander-partner.com

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 85


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_8
86 N. Bremer

Dies sollte bereits bei Verhandlung von Verträgen mit Bezug zur MENA-Region
berücksichtigt werden. Das größte Maß an Offenheit und Anpassungsvermögen
verlangt jedoch die allgemeine Geschäftskultur der MENA-Region. Während sich
maßgeblich kaufmännische Angestellte mit diesem Aspekt konfrontiert sehen
werden, muss auch ein Legal Counsel – bei der Verhandlung von Verträgen, im
Rahmen der außergerichtlichen Streitbeilegung oder beim Umgang mit Behör-
den etc. – verstehen, wie sein Gegenüber denkt und agiert. Der wohl prägnanteste
Unterschied zwischen der MENA- und der DACH-Region liegt hierbei in der
Wahl der Worte. Während in der DACH-Region allgemein eine eher direkte Spra-
che gewählt wird, bedeutet in der MENA-Region ein „Ja“ häufig „vielleicht“, ein
„Vielleicht“ meist „nein“ und ein „Nein“ regelmäßig eine tief greifende Störung
der Geschäftsbeziehungen.

8.2 Geschäftskultur in der arabischen Welt

8.2.1 Umgang mit lokalen Geschäftskontakten

Für ein erfolgreiches Engagement im arabischen Raum ist neben den wirtschaftli-
chen und kaufmännischen Tugenden auch die Kenntnis der arabischen Geschäfts-
kultur von erheblicher Bedeutung. Zwar ist die MENA-Region insoweit nicht als
eine homogene Region zu verstehen, gewisse Gemeinsamkeiten lassen sich jedoch
identifizieren. So sind in allen Staaten der MENA-Region insbesondere persönliche
Beziehungen entscheidend. Langfristige erfolgreiche Geschäftsbeziehung mit ara-
bischen Partnern setzt eine solide persönliche Beziehungsebene voraus. Regelmä-
ßige persönliche Geschäftstreffen sind ein Muss. Soweit ein persönliches Treffen
nicht möglich ist, ist ein Telefongespräch stets der schriftlichen Kommunikation –
auch einer E-Mail – vorzuziehen. Dabei ist zu beachten, dass arabische Geschäfts-
leute weniger sach- und abschlussorientiert vorgehen als Europäer. Privaten
Themen, wie Familie, Sport oder Erfahrungen mit dem Heimatland des Gegen-
übers, sollte auch bei einem geschäftlichen Treffen Zeit gewidmet werden. Auch
bevorzugen Araber eine weniger direkte Kommunikation. Ein „Nein“ wird als
unhöflich aufgenommen. Auf der anderen Seite ist ein „Ja“ nicht zwingend als ver-
bindliche Zusage zu verstehen.1 Dies bedeutet aber nicht, dass arabische
Geschäftspartner nicht an einem Geschäftsabschluss interessiert sind. Sie sehen bei
einem gestörten persönlichen Verhältnis dafür jedoch zumeist keine Möglichkeit.
Dies ist auch für die Arbeit von Legal Counsels relevant. Verhandlungen – wie
zum Beispiel Vertragsverhandlungen – mit arabischen Geschäftspartnern sind meist
langwierig und verlaufen nicht streng linear. Daher sollte bei der Erstellung eines
ersten Vertragsentwurfs auf genügend Verhandlungsspielraum und Flexibilität geach-
tet werden. Da in der DACH-Region eine sach- und abschlussorientierte Geschäfts-

1Die jüngere Generation bevorzugt zunehmend eine direktere Kommunikation. Es kann daher
sein, dass angeboten wird, eine Verhandlung arabisch oder europäisch zu führen. Im Zweifel ist
zu raten, sich dem Stil seines Verhandlungspartners anzupassen; siehe unten Abschn. 8.4.5.
8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost 87

kultur vorherrscht, kommt es hier häufig zu Konflikten mit arabischen Partnern. Wir
drängen häufig zu früh auf einen Vertragsabschluss. Nachverhandlungen sollten stets,
auch nach einer vermeintlich abschließenden Verhandlungsrunde, erwartet werden.
Auch schrecken komplexe Vertragswerke arabische Partner häufig ab.2 Oft wird
der Vertragsentwurf dann schlicht abgelehnt. Eine detaillierte Stellungnahme, welche
Regelungen zurückgewiesen oder als problematisch erachtet werden, erfolgt regel-
mäßig nicht. Im Zweifel hat der arabische Partner den Vertragsentwurf nicht umfas-
send geprüft, sondern lediglich aufgrund des Umfangs verworfen. Das heißt für die
Vertragsgestaltung: Überlegen Sie sich gut, welche Regelungen essenziell sind und
welche Sie aufgeben könnten. Auf essenzielle Regelungen darf aber in keinem Fall
verzichtet werden. Die lokalen Gerichte – insbesondere in der Golf-Region – neigen
dazu, einen möglichen Streit nahe am Vertrag und nur unter rudimentärer Einbezie-
hung der Gesetze zu entscheiden. Ein Vertrag sollte daher möglichst genaue Rege-
lungen über seine Durchführung und Abwicklung und zu Verfahren bei
Leistungsstörung sowie in Streitfällen beinhalten. Dies ist insbesondere bei Verträgen
mit langer Bindewirkung, wie etwa bei Gesellschafts- und Joint Venture-Verträgen
oder Handelsvertreter-Vereinbarungen, zu beachten. Hier werden in der Regel auch
umfänglichere Verträge akzeptiert.
Schließlich sollte bei Verhandlungen und anderen Geschäftstreffen auf die
Gleichrangigkeit der Hierarchiestufen geachtet werden: Verhandeln Sie mit dem
General Manager, sollten die Verhandlungen von Ihrem Geschäftsführer geführt
werden. Ist dies nicht möglich, sollte die Stellung des Gegenübers berücksichtigt
und anerkannt werden. Das heißt, wenn Sie mit jemanden verhandeln, der in sei-
ner Unternehmensstruktur – auch nur vom Titel her – eine höherrangige Stellung
einnimmt, sollten Sie dies in der Verhandlung zum Ausdruck bringen. Zeigen Sie
Interesse an den von Ihrem Gegenüber aufgebrachten Themen und vermitteln Sie
den Eindruck, dass Sie seine Meinung und Kommentare schätzen. Keinesfalls
sollten Sie jedoch unterwürfig erscheinen. Adaptieren Sie nicht einfach die Mei-
nung des Gegenübers, sondern nehmen Sie diese auf und präsentieren Sie Ihren
Standpunkt. Gegebenenfalls formulieren Sie Ihren Standpunkt als Frage nach dem
Schema: „What do you think? Would (…) be a fitting solution?“ Dies gibt Ihrem
Verhandlungspartner die Möglichkeit sich einzubringen. Er muss seine Position
nicht entweder durchsetzen oder aufgeben, sondern kann an einer gemeinsamen
Lösung mitwirken. Beide Seiten vermeiden somit einen Gesichtsverlust. Beach-
ten Sie auch, dass das Alter in der MENA-Region regelmäßig bei (sozialen) Hier­
archien Berücksichtigung findet. Erkennen Sie die „Weisheit“ des Älteren an.
Viel Potenzial bieten dabei private Themen. Lassen Sie Ihr Gegenüber von seinen
Erfahrungen berichten.
Neben der Pflege persönlicher Beziehungen ist eine lokale Präsenz zwar nicht
in jedem Fall erforderlich, jedoch durchaus förderlich. Arabische Partner verstehen
die Einrichtung einer lokalen Präsenz als Ausdruck eines langfristigen lokalen
Engagements. Diese positiven Effekte können jedoch nicht mit einem regionalen

2Etwas Anderes gilt etwa bei Großprojekten. Hier werden regelmäßig umfangreiche mehrschich-
tige Vertragswerke nach englischem oder angloamerikanischem Vorbild genutzt.
88 N. Bremer

Head-Office generiert werden. Ein katarischer Geschäftspartner wird Ihnen die


Eröffnung einer Repräsentanz in Dubai nicht besonders anrechnen. Vielmehr wird
er unter Umständen fragen, für wann die Eröffnung des Büros in Doha geplant ist.
Bei der Einrichtung einer lokalen Präsenz ist in den meisten Staaten der
MENA-Region eine Beteiligung lokaler Partner erforderlich.3 Bei der Auswahl des
lokalen Partners ist Sorgfalt geboten. Ein einflussreicher Partner kann Ihrem
Geschäft sehr förderlich sein. Ein weniger respektierter Partner kann dagegen
unter Umständen sogar schädlich sein.

8.2.2 Umgang mit Behörden

Für verschiedenste Themen – wie die Gründung einer Gesellschaft, Erteilung von
Lizenzen oder anderen Genehmigungen – muss teilweise erheblicher bürokrati-
scher Aufwand betrieben werden.4 Zu weiteren Verzögerungen führt häufig die
lange Bearbeitungszeit bei den zuständigen Behörden. Außerdem fehlt es in den
Staaten der MENA-Region an einer einheitlichen Verwaltungspraxis nach euro­
päischem Verständnis. Entscheidungen werden stärker einzelfallorientiert gefällt.
Dadurch sind behördliche Entscheidungen wenig berechenbar. Beispielsweise
müssen bei der Gründung einer Gesellschaft in der Regel der Gesellschaftsvertrag
von staatlichen Stellen beglaubigt oder beurkundet werden. Bei komplexen Gesell-
schaftsverträgen wird diese jedoch häufig ohne Nennung von Gründen verweigert,
auch wenn die Bestimmungen des betreffenden Vertrags rechtskonform sind. Der
Grund dafür liegt zumeist darin, dass die zuständigen Beamten nicht ausreichend
geschult sind. Komplexe Verträge verunsichern sie daher oft. Es empfiehlt sich
daher, standardisierte Verträge zu verwenden, mit denen die zuständigen Beamten
vertraut sind.5 Für den persönlichen Umgang mit Beamten gelten daher ähnliche
Verhaltensregeln und Strategien wie im Umgang mit arabischen Geschäftsleuten.
Haben Sie im Rahmen Ihrer Geschäftsaktivitäten häufig mit Behörden zu tun,
empfiehlt es sich auch hier, persönliche Beziehungen aufzubauen und zu pflegen.
Hier können lokale Geschäftspartner unter Umständen sehr hilfreich sein.
Die zivilen Gesellschaften der MENA-Region sind weitgehend Kollektivgesell-
schaften: Familien-, Clan- und Stammeszugehörigkeiten entscheiden über Zugang
zu Ressourcen und Institutionen. Regelmäßig ist es daher von Vorteil, sich bei
Behörden von einer einflussreichen Person vorstellen oder vertreten zu lassen.
Dies kann die Dauer für die Bearbeitung eines Antrags oder die Erteilung einer
Genehmigung erheblich verkürzen. Dass dieses Vorgehen gegebenenfalls im Kon-

3Sieheunten Abschn. 8.4.2.


4Entsprechend belegen die Staaten der MENA-Region zumeist Mittelplätze im Ease of Doing
Business Index der Weltbank; siehe: http://www.doingbusiness.org/rankings. Besucht 28. Februar
2016.
5Abweichende Vereinbarungen können dann – soweit sie lediglich das Innenverhältnis zwi-

schen den Gesellschaftern betreffen – in separaten Verträgen getroffen werden; siehe unten
Abschn. 8.4.2.
8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost 89

flikt zu Compliance-Bestimmungen europäischer Unternehmen steht, wird in der


arabischen Welt meist nicht nachvollzogen.6 Dies mag zu gewissen Spannungen
mit lokalen Geschäftspartnern führen, zum Beispiel wenn Sie das Angebot Ihres
lokalen Partners ablehnen, Sie bei Behördengängen durch Geltendmachung seines
Einflusses zu unterstützen. Eine solche Absage kann als Zurückweisung missver-
standen werden und sollte daher diplomatisch und vorsichtig erklärt werden.

8.2.3 Umgang mit lokalen Gerichten

Der Umgang mit lokalen Gerichten der MENA-Staaten konfrontiert Legal Counsels
aus der DACH-Region mit ungewohnten Abläufen und Herausforderungen. Die
Unterschiede liegen dabei nicht im Verfahrensrecht, welches durchaus mit kontinen-
taleuropäischen Grundsätzen vergleichbar ist. So ist das Gerichtsverfahren grundsätz-
lich in schriftliches Vorverfahren und mündliche Verhandlung getrennt und die
Beweisaufnahme nach kontinentaleuropäischen Standards geregelt: Die Verfahrens-
ordnungen der MENA-Staaten kennen kein – dem angloamerikanischen Recht ver-
gleichbares – Discovery-Verfahren. Zudem werden Zeugen vornehmlich vom
Gericht – beziehungsweise in den kleinen Golf-Monarchien7 meist von sogenannten
Experts – vernommen, und nicht wie in Common Law-Rechtsordnungen üblich,
maßgeblich durch die Parteien selbst (examination-in-chief, cross examination und
redirect examination). Die relevanten Unterschiede liegen in der Interpretation, res-
pektive der Anwendung oder Nicht-Anwendung der bestehenden gesetzlichen Rege-
lungen und Verfahrensgrundsätze.
Insoweit verfahren die Staaten der MENA-Region jedoch nicht einheitlich:
Gerichtsverfahren in Ägypten und der Levante – insbesondere im Libanon – folgen
generell vergleichsweise ähnlichen Grundsätzen wie in der DACH-Region. Dies
liegt unter anderem auch an der höheren Qualifizierung der lokalen Juristen.
Namentlich ägyptische Juristen haben – im Vergleich zu denen aus anderen
MENA-Staaten – ein hohes Ausbildungsniveau. Dies spiegelt sich auch in der Qua-
lität der Rechtsprechung wider.8 Obwohl in den Golf-Staaten – mit Ausnahme Sau-
di-Arabiens – zumindest formalrechtlich vergleichbare Verfahrensgrundsätze gelten,

6Hier lässt sich eine langsame Wandlung feststellen. Durch das verstärkte Engagement internatio-
naler Unternehmen in der MENA-Region gewinnen Compliance-Standards zunehmend auch in
den Märkten der MENA-Region an Relevanz. Daher erkennen auch immer mehr arabische
Geschäftsleute an, dass diese Standards ausländische Partner binden; trotzdem bleiben Compli-
ance-Standards ein schwieriges Thema in der MENA-Region.
7Diese sind Bahrain, Katar, Kuwait, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE).

8In Folge der politischen Umwälzungen nach dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak wurden in

wirtschaftsrechtlichen Verfahren teilweise politisch motivierte Entscheidungen von ägyptischen


Gerichten herbeigeführt. So wurden insbesondere Verträge zwischen ausländischen Unternehmen
und dem ägyptischen Staat aus – juristisch – nicht nachvollziehbaren Gründen gekündigt, ohne
den betroffenen Unternehmen – angemessene – Entschädigungen zuzusprechen. Diese Praxis hat
sich jedoch unter der Regierung des gegenwärtigen Präsidenten Abdel Fattah El-Sisi nicht gehal-
ten.
90 N. Bremer

laufen Gerichtsverfahren dort deutlich anders ab. Die Verfahren werden in der Regel
allein als schriftliche Verfahren geführt. Die Verhandlungstermine vor Gericht die-
nen dabei lediglich dem Austausch von Schriftsätzen und zur Verkündung von Ver-
fügungen oder Entscheidungen des Gerichts. Außerdem betrauen die Gerichte
extensiv Experts, welche nicht nur den Sachverhalt, sondern auch die Stellung-
nahme zu rechtlichen Fragen erarbeiten. Diese Experts sind jedoch nicht mit Gut-
achtern nach europäischem Verständnis vergleichbar, sondern nehmen eine weitaus
umfangreichere und aktivere Rolle im Verfahren ein. So ist es durchaus üblich, dass
ein Gericht der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) einen Wirtschaftsprüfer nicht
nur mit der Begutachtung komplexer finanzieller Abläufe beauftragt, sondern ihm
auch auferlegt, darüber zu entscheiden, ob ein Anspruch besteht. Hierdurch werden
kernjuristische Entscheidungen auf juristische Laien übertragen.
Außerdem werden durch die Bestellung von Experts große Teile des gerichtli-
chen Verfahrens praktisch ausgelagert. Die Experts werden regelmäßig eigene,
wenig formalisierte Verhandlungen mit den Parteien abhalten. In diesen werden
die relevanten Sachverhalts- und Rechtsfragen erörtert und Beweise – zum Beispiel
durch Zeugenvernehmung – eingebracht. Da die Experts zumeist juristische Laien
sind, gestalten sie diese Verfahren oft nach freiem Ermessen mit wenig Bezug zum
geltenden Prozessrecht. Dies heißt zum einen, dass, sofern der Expert dies zulässt,
auch Juristen, die nicht in dem betreffenden Staat als Rechtsanwalt zugelassen sind,
in einem Expert-Verfahren auftreten können. Zum anderen bedeutet dies aber auch,
dass prozessrechtlichen Fragen wie Beweisverwertungsgeboten oder -verboten
meist wenig Beachtung geschenkt wird. Bei der Erstellung von Schriftsätzen und in
der Verhandlung vor einem Expert müssen Formulierungen und Erklärungen daher
stets so gewählt, dass diese für einen juristischen Laien nachvollziehbar sind.
Schließlich messen die Gerichte der kleinen Golf-Monarchien den Ausführungen
der Experts großen Stellenwert zu. Das Gericht wird – auch bei rechtlichen Bewer-
tungen – in den meisten Fällen sehr eng an den Empfehlungen der Experts entschei-
den. Praktisch führt das Gericht damit häufig eher eine administrative Rolle im
Verfahren aus, während die Entscheidung über Sachverhalts- und Rechtsfragen fak-
tisch den Experts obliegt. Dies liegt zumindest teilweise an einer weniger fokussier-
ten Ausbildung der lokalen Juristen. Diese sind zumeist nicht im eigenen Land,
sondern in England oder den USA – also in einem Common-Law-Rechtssystem –
ausgebildet worden und müssen nun in einem stark kontinentaleuropäisch geprägten
Rechtsraum agieren. Außerdem haben viele lokale Juristen kein umfängliches Stu-
dium der Rechtswissenschaften, sondern lediglich einen juristischen Masterstudien-
gang abgeschlossen. Dieses Zusammenspiel vergleichsweise gering qualifizierter
Juristen und juristischer Laien wirkt sich häufig negativ auf die Rechtsprechungsqua-
lität aus. Vor höherinstanzlichen Gerichten nimmt die Qualität der Rechtsprechung
jedoch deutlich zu. Hier ist die Rolle der Experts auch weit geringer.9

9Saudi-Arabien stellt auch hier einen Sonderfall dar: Experts haben hier im Vergleich zu den
anderen Golf-Staaten eine geringere Bedeutung. Das Verfahren wird maßgeblich durch den Rich-
ter geleitet. Im Grunde sind Gerichtsverfahren in Saudi-Arabien in ihrem Ablauf eher mit sol-
chen in der DACH-Region vergleichbar, obwohl das Prozessrecht maßgeblich der islamischen
Rechtstradition und dadurch einem anderen Rechtskreis entstammt.
8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost 91

Eine zusätzliche Unsicherheit mit Blick auf den Ausgang von Gerichtsverfahren
in der MENA-Region entsteht auch dadurch, dass Gerichtsurteile nicht konsequent
in öffentlich zugänglichen Registern oder Schriftenreihen veröffentlicht werden. Ob
und wenn ja, wie etwaige höherinstanzliche Gerichte in einer bestimmten Sache
entschieden haben, ist daher nur begrenzt überprüfbar. Überdies ist in nahezu allen
Staaten der MENA-Region mit einer deutlich längeren Verfahrensdauer zu rechnen,
als man dies aus der DACH-Region gewohnt sein mag. Auch insoweit bestehen
jedoch deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen MENA-Staaten. Besonders
langwierig sind Gerichtsverfahren beispielsweise im Irak.

8.2.4 Umgang mit lokalen Rechtsanwälten

Wie im Umgang mit lokalen Gerichten gestaltet sich auch die Arbeit mit lokalen
Rechtsanwälten in den verschiedenen MENA-Staaten durchaus unterschiedlich.
Obwohl ägyptische Juristen im regionalen Vergleich ein hohes Ausbildungsniveau
haben, ist die Qualität ihrer Arbeit in der Regel nicht auf dem Stand, den euro-
päische Mandanten erwarten. Arbeitsprodukte ägyptischer Anwälte bieten jedoch
regelmäßig eine gute Ausgangslage für eine weitere Bearbeitung.
In anderen MENA-Staaten gestaltet sich die Zusammenarbeit mit lokalen
Anwälten jedoch weit schwieriger. So trifft man in den kleinen Golf-Monarchien
im Umgang mit lokalen Rechtsanwälten auf ähnliche Probleme wie bei den lokalen
Gerichten. Die lokalen Rechtsanwälte sind zumeist nicht lokal, sondern in Com-
mon-Law-Rechtsordnungen ausgebildet und haben häufig kein umfassendes rechts-
wissenschaftliches Studium absolviert. Auch erfolgt hier keine organisierte
weiterführende Berufsausbildung nach dem Studium, wie man sie in der
DACH-Region kennt. Viele lokale Rechtsanwälte spezialisieren sich daher darauf,
internationalen Rechtsanwaltskanzleien zuzuarbeiten. Ein wichtiges Betätigungs-
feld nimmt dabei die Vertretung vor Gericht ein. Hier hat sich allerdings ein System
etabliert, in dem der lokale Rechtsanwalt eine eher passive Rolle einnimmt. Häufig
werden die Verfahren von ausländischen Rechtsanwälten geleitet und der lokale
Rechtsanwalt dient lediglich als Vehikel, um vor Gericht auftreten zu können. Seine
Aufgaben begrenzen sich dann häufig auf die bloße Teilnahme an Gerichtsterminen
und die Einreichung von Schriftsätzen, die im Vorfeld durch ausländische Rechts-
anwälte erstellt wurden.10 Auch die Kosten für die Beratung durch lokale Rechtsan-
wälte sind in der MENA-Region durchaus unterschiedlich. In Ländern mit
niedrigerem Einkommensniveau, wie in Jordanien oder dem Libanon, werden
Rechtsanwaltshonorare regelmäßig ebenfalls niedriger sein. In den Golfstaaten sind

10Auch in der Zusammenarbeit mit lokalen Rechtsanwälten bildet Saudi-Arabien eine Ausnahme.
Da das saudische Wirtschaftsrecht maßgeblich auf der islamischen Rechtstradition beruht, ist es
oft auch außerhalb der reinen Verfahrensarbeit nötig, mit lokalen Rechtsanwälten zusammenzuar-
beiten. Nur wenige internationale Rechtsanwaltskanzleien können in diesem Bereich Kompeten-
zen aufweisen. Insbesondere weil eine Rechtsberatung im saudischen Recht ohne umfassende
Arabischkenntnisse schlicht nicht möglich ist.
92 N. Bremer

die Anwaltshonorare dagegen meist sehr hoch. So werden Rechtsanwälte in Katar


oder den Vereinigten Arabischen Emiraten häufig – ungeachtet der Komplexität der
juristischen Arbeit – als Vergütung Pauschalbeträge in Höhe von etwa zehn Prozent
des Gegenstandswerts verlangen.

8.3 Rechtssystem und Rechtskultur der Staaten in der


MENA-Region

Mit Ausnahme einzelner Staaten, wie insbesondere Saudi-Arabiens, deren Rechtssys-


teme weitgehend auf der islamischen Rechtstradition beruhen, sind die meisten
Rechtsordnungen der MENA-Region – zumindest im Bereich des Zivil- und Wirt-
schaftsrechts – stark durch die kontinentaleuropäische Rechtstradition geprägt. Keim-
zelle insoweit ist das ägyptische Recht. Mit der Unabhängigkeit Ägyptens vom
Osmanischen Reich begann Ägypten im Jahr 1875 eine erste Phase umfangreicher
Rechts- und Rechtssystemreformen. Im Rahmen dieser ersten Phase entwickelte
Ägypten ein zunehmend säkular geprägtes Rechtssystem. Die wachsende Internationa-
lisierung der ägyptischen Wirtschaft und die rechtliche Verflechtung des Landes mach-
ten in der Folgezeit weitere Reformen notwendig. Dies führte ab 1937 in einer zweiten
Phase der Rechtsentwicklung zur umfassenden Kodifikation des ägyptischen Rechts.
Zentrale Figur in dieser zweiten Phase war der Rechtsgelehrte Abd Ar-Razzāq As-San-
hūrī, der als maßgeblicher Autor des Ägyptischen Zivilgesetzbuches gilt, welches 1949
als Gesetz Nr. 131 aus 1949 (ÄGY-ZGB) in Kraft trat. Bei der Arbeit am ÄGY-ZGB
orientierte sich der französisch ausgebildete Jurist stark am französischen Code Civil.11
Das ÄGY-ZGB regelt als zentrale Kodifikation des ägyptischen allgemeinen Pri-
vatrechts die wichtigsten Rechtsbeziehungen zwischen Privatpersonen und bildet
die Grundlage des Wirtschaftsrechts. Es vereint die Grundsätze einer kontinental-
europäisch geprägten Zivilrechtsordnung mit dem islamischen Recht, der zentralen
Quelle des ägyptischen Rechts12. Als solches weicht das ÄGY-ZGB in zentralen
Punkten deutlich von den Grundsätzen des islamischen Rechts ab. Insbesondere
über das ÄGY-ZGB hat sich diese Dualität von europäischen und islamischen
Rechtsgrundsätzen in der MENA-Region verbreitet. So war Abd Ar-Razzāq
As-Sanhūrī auch intensiv an der Erarbeitung des Irakischen Zivilgesetzbuchs,
Gesetz Nr. 40 aus 1951 (IRK-ZGB), beteiligt. Auch in anderen Staaten der
MENA-Region wurden in der Folgezeit Zivilgesetzbücher nach dem Vorbild des
ÄGY-ZGB erlassen.13 Folglich ist das Zivilrecht der MENA-Staaten mit Ausnahme

11Für einen umfassenden Überblick über die Entstehungsgeschichte des ÄGY-ZGB siehe Shala-

kany (2001, 201 ff.).


12Art. 2 ÄGY-Verfassung.

13Nachdem Oman mit dem Hoheitlichen Dekret Nr. 29 aus 2013 ein Zivilgesetzbuch nach

ägyptischem Vorbild erließ, verbleiben Saudi-Arabien und der Libanon als einzige Staaten der
Region, deren Zivilrechtsordnungen nicht auf dem ÄGY-ZGB aufgebaut sind. Da das libanesi-
sche Zivilgesetzbuch aus 1932 ebenfalls stark durch die französische Rechtsordnung geprägt ist,
ergeben sich dort jedoch starke Übereinstimmungen mit dem ÄGY-ZGB.
8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost 93

Saudi-Arabiens durch ein Zusammenspiel zwischen islamischem Recht und konti-


nentaleuropäischer Rechtstradition geprägt.14 Diese Dualität wirkt sich insbeson-
dere auf die Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe aus. Diese sind daher stets
(auch) unter Berücksichtigung des islamischen Rechts auszulegen.
Außerdem weichen die Rechtsordnungen der MENA-Region beim Umgang mit
gewissen Rechtskonzepten durchaus von deren Interpretation in kontinentaleuro-
päischen Rechtsordnungen ab. In wirtschaftlichen Angelegenheiten sind insoweit
Verzugs- und sonstige Zinsen, Haftungsausschlüsse und -beschränkungen, Folge-
schäden und die Abtretung von Rechten besonders relevant. Ähnliches gilt für das
Handels- und Gesellschaftsrecht. Auch dieses ist in der gesamten MENA-Region
nach kontinentaleuropäischem Vorbild gestaltet, jedoch durch die islamische
Rechtstradition geprägt. In einzelnen Rechtsgebieten wie im Gesellschafts-, Han-
delsvertreter- oder Arbeitsrecht bestehen darüber hinaus gewisse regionale und
lokale Besonderheiten. Wieder andere Teile des Zivilrechts wie das Familien- und
Erbrecht sowie andere Rechtsgebiete sind stärker durch das islamische Recht
geprägt. So finden in den meisten Staaten der MENA-Region neben den kodifi-
zierten Bestimmungen der bestehenden Strafgesetzbücher auch Strafnormen des
islamischen Rechts Anwendung.15
Durch den starken Einfluss des ägyptischen Rechts besteht – von Saudi-­
Arabien abgesehen – zumindest im Bereich des Zivil-, Handels- und Gesell-
schaftsrechts eine gewisse Homogenität zwischen den Rechtsordnungen der
MENA-Region. Nicht unterschätzt werden sollten jedoch die besonderen Spezi-
fika der einzelnen Rechtsordnungen. Daher ist es grundsätzlich nicht möglich, für
einen Staat dieser Region erarbeitete Vertragswerke unverändert für Geschäfts-
aktivitäten in einem anderen MENA-Staat zu verwenden. Allerdings lassen sich
gewisse „Grundstrategien“ übertragen.

8.4 Rechtliche Besonderheiten

Durch das Zusammenspiel von kontinentaleuropäischen und islamischen Einflüs-


sen ergeben sich gewisse rechtliche Besonderheiten, die bei der juristischen Arbeit
mit Bezug zur MENA-Region berücksichtigt werden müssen. Daneben spielen
auch lokale und regionale Eigenheiten eine wichtige Rolle. Hierzu gibt der nach-
folgende Abschnitt eine Einführung. Dabei werden zunächst einzelne für die wirt-
schaftliche Betätigung besonders relevante Bestimmungen des islamischen Rechts

14Britische und angloamerikanische Juristen verschreiben den Rechtssystemen der MENA-Re-


gion häufig eine Prägung durch das „Common Law“. Diese Einschätzung ist jedoch grundle-
gend falsch. Tatsächlich ist die einzige Jurisdiktion der MENA-Region, die relevant durch das
„Common Law“ geprägt ist, das Dubai International Financial Center (DIFC). Das DIFC ist eine
Freizone mit weitreichenden legislativen und judikativen Kompetenzen. Die Bestimmungen des
DIFC-Rechts finden jedoch nur innerhalb des DIFC Anwendung.
15Vgl. statt vieler Art. 1 KAT-StGB, der das islamische Recht auf bestimmte Delikte für anwend-

bar erklärt, soweit Täter oder Opfer der betreffenden Straftat ein Muslim ist.
94 N. Bremer

erörtert. Daran anschließend folgen ein Überblick zu einzelnen Rechtsgebieten


und deren besondere Ausprägungen in der MENA-Region.

8.4.1 Einfluss des islamischen Rechts

Auch wenn heute lediglich das saudische Zivil- und Wirtschaftsrecht umfassend
vom islamischen Recht geprägt sind, bleiben die Grundsätze des islamischen
Rechts auch in den anderen MENA-Staaten relevant. Im Bereich des Wirtschafts-
rechts sind nach islamischem Recht insbesondere die Behandlung von Zinsen, die
Haftungsbegrenzungen, die indirekten und Folgeschäden sowie die Abtretung von
Ansprüchen relevant.
Zusätzliche Komplexität entsteht durch die verschiedenen Rechtsschulen des
islamischen Rechts und deren unterschiedlichen Einfluss in der Region. Zieht man
islamische Rechtsprinzipien für die Interpretation von Rechtsnormen oder vertrag-
lichen Regelungen heran, muss stets berücksichtigt werden, dass das islamische
Recht nicht strikt einheitlich ausgelegt wird. Die einzelnen Staaten folgen viel-
mehr unterschiedlichen islamischen Rechtsschulen, deren Interpretation des isla-
mischen Rechts durchaus verschieden ist. Gewisse Gemeinsamkeiten lassen sich
nichtsdestotrotz feststellen.16 Mit Blick auf den Einfluss des islamischen Rechts
auf die Rechtsordnungen der MENA-Region kann man sich prinzipiell an folgen-
dem Grundsatz orientieren: Die strengste Anwendung findet das islamische Recht
in Saudi-Arabien. In den kleinen Golf-Monarchien bestehen bereits wichtige
Abweichungen vom islamischen Recht, wobei in Katar und dem Oman eine eher
strikte Auslegung vorherrscht. Die Zivil- und Wirtschaftsrechtsordnungen der
Levante und Nordafrikas weichen dagegen in weiten Teilen deutlich von islami-
schen Rechtsprinzipien ab. Besonders weit sind die Abweichungen dabei im iraki-
schen, libanesischen und syrischen Zivil- und Wirtschaftsrecht.

16So wird das islamische Recht in Saudi-Arabien und Katar nach der strikt traditionalistischen
sunnitischen Rechtslehre der Hanbali-Schule – benannt nach dem islamischen Rechtsgelehrten
Ahmad Ibn Hanbal – ausgelegt; Champion (2003, S. 23); Ramadan (2006, S. 24 ff.). Die
Hanbali-­Schule hat auch im Oman und den nördlichen Emiraten der Vereinigten Arabischen
Emiraten (Sharjah, Umm Al-Quwain, Ras Al-Khaimah und Ajman) gewissen Einfluss. Im Emirat
Dubai sowie in Bahrain und Kuwait herrscht die Interpretation nach der Maliki Schule vor;
Ramadan (2006, S. 26 f.). Daneben ist die Maliki-Schule auch – mit Ausnahme von Ägypten – in
Nordafrika verbreitet. In Ägypten sowie der Levante folgt die Interpretation des islamischen
Rechts vornehmlich der Hanafi-Schule; Ahmad (2010, S. 77 f.). Neben diesen sunnitischen Schu-
len bestehen noch weitere, kleinere sunnitische und verschiedene schiitische Rechtsschulen, die
jedoch meist weniger einflussreich sind. Größere Relevanz hat jedoch die schiitische Jafari-­
Schule aufgrund ihrer dominanten Stellung im Iran und Teilen des Iraks; Nasr (2006, S. 69). Für
eine anschauliche Übersichtskarte zur Verbreitung der einzelnen islamischen Rechtsschulen
siehe: http://veil.unc.edu/wp-content/uploads/2012/02/Madhhab_map.png. Besucht 10. März
2016.
8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost 95

8.4.1.1 Zinsen
Nach dem islamischen riba (‫)ربا‬-Verbot sind Vereinbarungen unzulässig, die eine
Partei verpflichten, Zinsen als Gegenleistung für einen Kredit zu zahlen.17 Abgese-
hen von Saudi-Arabien, wo das riba-Verbot strikt angewandt wird, sehen die Zivil-,
Handels- und Bankgesetze der meisten MENA-Staaten jedoch gewisse Ausnahmen
vom riba-Verbot vor. Insbesondere in den kleinen Golf-Monarchien bleiben zwar
Zinsen für Kredite unter Privaten verboten,18 in Geschäften, die für mindestens
eine Partei ein Handelsgeschäft sind, können Zinsen für Kredite aber grundsätzlich
rechtsgültig vereinbart werden.19 In der Levante und in Nordafrika sind zinsbe-
wehrte Kredite dagegen sowohl in privaten als auch in Handelsgeschäften zuläs-
sig.20 Verzugszinsen sind – ungeachtet gewisser Unterschiede in der Begründung
durch die verschiedenen Schulen des islamischen Rechts – ebenfalls durch das
riba-Verbot ausgeschlossen.21 Wie bei Vereinbarungen über Zinsen als Gegenleis-
tung für Kredite bestehen aber auch für Verzugszinsen in den meisten MENA-Staa-
ten Ausnahmen. Die Rechtsordnungen der kleinen Golf-Monarchien erlauben die
Berechnung von Verzugszinsen regelmäßig nur für solchen Geschäfte, die für min-
destens eine Partei ein Handelsgeschäft darstellen.22 In der Levante und in Nordaf-
rika sind Verzugszinsen dagegen grundsätzlich sowohl in privaten wie auch in
Handelsgeschäften zulässig, unterliegen jedoch teilweise strikten Obergrenzen.23
Lediglich Saudi-Arabien wendet das riba-Verbot strikt auch auf Verzugszinsen an.
Das riba-Verbot wird folglich in verschiedenen wirtschaftlichen Transaktionen

17Siehe zum Beispiel Siddiqi (2004, S. 37).


18Vgl. zum Beispiel Art. 228 Abs. 1 lit. a BHR-ZGB; Art. 79 OMN-ZGB; Art. 714 VAE-ZGB.
19Vgl. zum Beispiel Art. 76 Abs. 2 BHR-HGB; Art. 80 OMN-HGB; Art. 76 VAE-HGB. Ob Zin-

sen für Kredite, die für mindestens eine Partei ein Handelsgeschäft ist, nach katarischem Recht
wirksam vereinbart werden können, ist nicht abschließend geklärt. Eine entsprechende Aus-
nahme kennt das katarische Handelsrecht. Ausdrücklich gestattet ist die Vereinbarung von Zinsen
nur bei durch Banken vergebene Kredite; Art. 40, 110 KAT-ZBG. Dennoch werden im Wirt-
schaftsverkehr in Katar regelmäßig zinsbewehrte Kredite vergeben. Ob eine entsprechende Ver-
einbarung einer gerichtlichen Überprüfung standhalten würde, ist jedoch mangels entsprechender
Rechtsprechung ungewiss.
20Vgl. zum Beispiel Art. 542 ÄGY-ZGB, Art. 50 Abs. 1 ÄGY-HGB; Art. 692 IRK-ZGB.

21Siehe zum Beispiel Rohe (2014, S. 299).

22Vgl. zum Beispiel Art. 228 Abs. 1 lit. a BHR-ZGB; Art. 81 Abs. 1 BHR-HGB; Art. 88 VAE-

HGB. Ob Verzugszinsen in (einseitigen) Handelsgeschäften nach omanischem oder katarischem


Recht wirksam vereinbart werden können, ist mangels entsprechender gesetzlicher Erlaubnistat-
bestände unklar. Zwar hat der katarische Kassationsgerichtshof (‫ )محكمة التمييز‬in seiner Entschei-
dung vom 28. Dezember 2010, Fall Nr. 184/2010, klargestellt und in seiner Entscheidung vom
11. Januar 2011, Fall Nr. 208/2010, bestätigt, dass Banken Verzugszinsen berechnen dürfen. Das
Gericht hat jedoch so weit keine Entscheidung zu Verzugszinsen in (einseitigen) Handelsgeschäf-
ten gefällt. Entsprechende Rechtsprechung omanischer Gerichte ist zumindest nicht öffentlich
verfügbar. Nichtsdestotrotz werden Verzugszinsen im Wirtschaftsverkehr im Oman und in Katar
regelmäßig in Rechnung gestellt.
23Vgl. zum Beispiel Art. 226 ff. ÄGY-ZGB; Art. 171, 172 Abs. 2 IRK-ZGB; Art. 265 LEB-ZGB;

Art. 227 SYR-ZGB. Einzelne Rechtsordnungen erlauben es jedoch neben Vollzugszinsen weitere
Verzugsschäden einzufordern; siehe zum Beispiel Art. 231 ÄGY-ZGB.
96 N. Bremer

relevant. Von Saudi-Arabien einmal abgesehen, werden Sie in ein- oder zweiseiti-
gen Handelsgeschäften jedoch regelmäßig Zinsen vereinbaren und fordern können.
In Katar und im Oman besteht diesbezüglich weiterhin gewisse Unsicherheit.

8.4.1.2 Haftungsbegrenzung
Das islamische Schadensersatzrecht wird unter anderem durch den gharar
(‫)غرر‬-Grundsatz bestimmt. Danach sind Schäden grundsätzlich nur soweit sie
quantifiziert werden können und nur in der tatsächlich entstandenen Höhe ersatz-
fähig.24 Hieraus ergeben sich Besonderheiten mit Blick auf Vereinbarungen über
pauschalisierten Schadensersatz. Eine Bestimmung über pauschalisierten Scha-
densersatz legt die Höhe des zu zahlenden Schadensersatzes für ein bestimmtes
schädigendes Ereignis oder Verhalten – zum Beispiel Verzögerung der Lieferung –
bereits bei Vertragsschluss fest. Der zu leistende Schadensersatz wird daher regel-
mäßig vom tatsächlich entstandenen Schaden abweichen. Um diesem Missstand
gerecht zu werden, sehen die Rechtsordnungen der MENA-Staaten vor, dass von
der vereinbarten Schadensersatzhöhe auf richterliche Anordnung abgewichen wer-
den kann, wenn diese vom tatsächlich entstandenen Schaden abweicht.25 Dabei
gehen die Rechtsordnungen der MENA-Region jedoch nicht ganz einheitlich vor.
So kann beispielsweise nach ägyptischem Recht der als pauschalisierter Schaden
vereinbarte Betrag lediglich reduziert werden.26 Andere Rechtsordnungen erlau-
ben hingegen auch eine Erhöhung des Schadensersatzes.27 Das irakische und das
libanesische Recht folgen wieder eher europäischen Standards und erlauben eine
Anpassung des Schadensersatzes nur bei eklatantem Auseinanderfallen von ver-
einbartem und tatsächlich entstandenem Schadensersatz.28 Diese Möglichkeit zur
Anpassung muss zwar nicht schon im Vertrag angelegt sein, da Vereinbarungen
über pauschalisierten Schadensersatz grundsätzlich zulässig sind. Jedoch sollten
Sie bedenken, dass im Streitfall gegebenenfalls eine Anpassung durch ein
Gericht – oder ein Schiedsgericht – erfolgen kann. Sind in einem Rechtsstreit pau-
schalisierte Schadensersatzansprüche relevant, sollten Sie diese Möglichkeit der
Anpassung also bei Klage- und Widerklageanträgen berücksichtigen.

8.4.1.3 Indirekte Schäden und Folgeschäden


Indirekte Schäden und Folgeschäden sind nach islamischem Recht in der Regel
problematisch: Der gharar-Grundsatz verlangt, dass der eingeforderte Schaden
vorherseh- und quantifizierbar war. Bei vertraglichen Schadensersatzansprüchen
ist insoweit der Zeitpunkt des Vertragsschlusses ausschlaggebend.29 Indirekte

24Liebesny (1975, S. 221); Nerz (2014, S. 48).


25Für eine Besprechung von pauschalisierten Schadensersatz nach islamischen Recht siehe
­Bremer (2015, S. 204).
26Art. 224 Abs. 2 ÄGY-ZGB. So auch das Recht der Vereinigten Arabischen Emirate.

27Art. 364 JOD-ZGB; Art. 390 Abs. 2 VAE-ZGB.

28Art. 170 Abs. 1 IRK-ZGB; Art. 266 LEB-ZGB.

29Liebesny (1975, S. 221); Nerz (2014, S. 48).


8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost 97

Schäden und Folgeschäden beruhen meist auf einer Reihe innerer und äußerer
Umstände. Daher werden sie bei Vertragsschluss meist noch nicht vorherseh- oder
quantifizierbar sein und damit regelmäßig gegen den gharar-Grundsatz versto-
ßen.30 Folglich sind sie nach islamischem Recht meist nicht ersatzfähig. Diesem
Grundsatz folgen – mehr oder weniger strikt – verschiedenen Rechtsordnungen
der MENA-Region, weshalb bei Vertragsabschlüssen den Vereinbarungen über
indirekte und Folgeschäden häufig besonderes Augenmerk zu widmen ist. So kön-
nen Ansprüche auf indirekte und Folgeschäden nach saudischem Recht grundsätz-
lich nicht durchgesetzt werden.31 Nach dem jordanischen Recht sowie dem Recht
der VAE können indirekte und Folgeschäden nur im Wege des Deliktsrechts einge-
fordert werden.32 In anderen MENA-Staaten können indirekte und Folgeschäden
lediglich in Form von entgangenem Gewinn durch vertragliche Ansprüche einge-
fordert werden.33 Und wieder andere Rechtsordnungen der MENA-Region sind im
Umgang mit indirekten und Folgeschäden grundsätzlich mit europäischen Rechts-
ordnungen vergleichbar.34

8.4.1.4 Abtretung von Ansprüchen


Das islamische Recht kennt grundsätzlich nur die Übernahme von Schulden. Diese
regelt der hawala (‫)حوالة‬-Grundsatz. Ob dieser Grundsatz auch auf die Abtretung
von Ansprüchen und anderen Rechten anwendbar ist, ist nicht nur unter, sondern
auch innerhalb der einzelnen islamischen Rechtsschulen umstritten. So ist bei-
spielsweise nicht abschließend geklärt, ob die Abtretung von Ansprüchen nach
saudischem Recht zulässig ist. Diejenigen Kommentatoren, die eine Abtretung von
Ansprüchen nach saudischem Recht für zulässig erachten, verlangen jedoch in
jedem Fall eine Zustimmung des Schuldners für die Wirksamkeit der Abtretung.35
In vielen anderen MENA-Staaten ist eine Abtretung von Ansprüchen jedoch auch
ohne Zustimmung des Schuldners zulässig.36

30Foster (2003–2004, S. 86 f.); Hallaq (2009, S. 243 ff.).


31Carl (1991, S. 162).
32Art. 256, 259, 363 JOD-ZGB; Art. 283 Abs. 2 VAE-ZGB.

33Vgl. zum Beispiel Art. 221 Abs. 2 ÄGY-ZGB; Art. 171 IRK-ZGB; Art. 300 Abs. 2 KWT-ZGB.

34So können indirekte und Folgeschäden nach katarischem Recht auch im Rahmen vertraglicher

Ansprüche eingefordert werden, soweit die betreffenden Schäden eine „natürliche“ Konsequenz
des schädigenden Ereignisses waren; Art. 263 Abs. 2 KAT-ZGB. Ähnlich auch das libanesische
Recht; Art. 261, 263 LEB-ZGB.
35Siehe zum Beispiel Krüger (2010, S. 614). Ähnlich auch das Recht der Vereinigten Arabi-

schen Emirate. Dieses sieht ausdrücklich nur die Übernahme von Schulden vor; Art. 1106 ff.
VAE-ZGB. Allerdings wurde die analoge Anwendung dieser Vorschriften auf die Abtretung von
Ansprüchen in einer Reihe von Gerichtsurteilen anerkannt; siehe statt vieler VAE Bundesge-
richtshof (‫)المحكمة االتحادية العليا‬, Entscheidung vom 13. Juni 2001, Entscheidung Nr. 171/21.
36Vgl. zum Beispiel Art. 287 BHR-ZGB; Art. 303 ÄGY-ZGB; Art. 280 ff. LEB-ZGB.
98 N. Bremer

8.4.2 Gesellschaftsrecht

Die Gesellschaftsrechtsordnungen der MENA-Region sind in weiten Teilen mit


denen der DACH-Region vergleichbar. So stellen die MENA-Staaten ähnliche
Anforderungen an die Höhe des Gesellschaftsvermögens für Kapitalgesellschaf-
ten.37 2015 wurden entsprechende Mindestanforderungen in Katar und den Verei-
nigten Arabischen Emiraten jedoch zumindest für die Limited Liability Company
(LLC; entspricht in etwa der GmbH nach deutschem, österreichischem oder
schweizerischem Recht) aufgegeben.38 Auch in der Geschäftsführung sind die
Gesellschaftsrechtsordnungen der beiden Regionen durchaus vergleichbar. So wer-
den LLC grundsätzlich wie GmbH in der DACH-Region von Geschäftsführern –
zumeist General Manager genannt – und nicht wie im Common-Law-Raum von
einem Board of Directors geführt. Allerdings bestehen teilweise auch signifikante
Unterschiede.

8.4.2.1 Beteiligungsverhältnisse
Die wohl größte Besonderheit der Gesellschaftsrechtsordnungen der Golf-Staaten
sowie einzelner Staaten in der übrigen MENA-Region ist die gesetzlich festgelegte
Mindestbeteiligung lokaler Personen. In den meisten Golf-Staaten müssen die
Anteile lokaler Gesellschaften zu mindestens 51 % von Staatsbürgern des betref-
fenden Staats gehalten werden.39 Häufig finden Unternehmen aber keinen lokalen
Partner, der sich tatsächlich mit 51 % an der wirtschaftlichen Tätigkeit der Unter-
nehmung beteiligt oder wollen ihr Unternehmen nicht mit einem vollwertigen
Partner betreiben. Dann wird zumeist ein passiver lokaler Partner gesucht, der als
sogenannter „Sponsor“ die 51 % der Anteile lediglich formal hält, damit die
Gesellschaft den gesetzlichen Bestimmungen entspricht, sich aber nicht an den
geschäftlichen Betätigungen der Gesellschaft beteiligt. Um dieser Konstellation
gerecht zu werden, müssen verschiedene Vorkehrungen getroffen werden. Regel-
mäßig erfordert dies den Abschluss einer Reihe von Nebendokumenten zum „offi-
ziellen“ Gesellschaftsvertrag.

37Nach saudischem Recht sind die Anforderungen an die Höhe des Gesellschaftskapitals – je
nach Betätigungsfeld der Gesellschaft – jedoch teilweise sehr hoch.
38Nach den neuen Regelungen obliegt die Festsetzung der Höhe des Gesellschaftskapitals in

Katar oder den Vereinigten Arabischen Emiraten bei neu gegründeten LLC bei den zuständigen
Aufsichtsbehörden.
39Art. 2 Abs. 1 KAT-InvestitionsG; Art. 5 KWT-GüG; Art. 22 VAE-GüG. In der Regel kann von

der lokalen Mindestbeteiligung im Einzelfall abgewichen werden. So zum Beispiel nach omani-
schem Recht. Gemäß Art. 2 Abs. 1 OMN-InvestitionsG kann eine Gesellschaft von der lokalen
Mindestbeteiligung durch Beschluss des Wirtschaftsministeriums entbunden werden. Bahrain
bildet insoweit eine gewisse Ausnahme, als das Bahrainische Gesellschaftsrecht eine 100 % aus-
ländische Beteiligung an einer LLC zulässt; Art. 265 ff. BHR-GüG.
8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost 99

8.4.2.1.1 Asymmetrische Verteilung von Gesellschaftsanteilen und


wirtschaftlicher Beteiligung
Grundsätzlich ist eine von der Beteiligung abweichende Verteilung von Gewinn
und Verlust in der MENA-Region zulässig. Das heißt, die Gesellschafter können
im Gesellschaftsvertrag regeln, dass der lokale Partner, obwohl er 51 % der
Anteile der Gesellschaft hält, zu einem geringeren Teil an Gewinn und Verlust der
Gesellschaft beteiligt ist. Entsprechende Bestimmungen sollten mit Blick auf die
Gerichtsfestigkeit der Regelung so weit wie möglich in dem offiziell bei der
zuständigen Aufsichtsbehörde hinterlegten Gesellschaftsvertrag getroffen werden.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die relevanten Aufsichtsbehörden insoweit
durchaus unterschiedliche Standards ansetzen. So lassen die katarischen Behörden
regelmäßig eine Reduzierung der wirtschaftlichen Beteiligung des katarischen
Partners auf 1 %, die Behörden des Emirates Dubai dagegen generell nur eine
Reduzierung auf 20 % zu.40 Häufig treffen ausländische Investoren darüber hinaus
Nebenvereinbarungen mit ihren lokalen Partnern, in welchen die wirtschaftliche
Beteiligung des lokalen Partners weiter – beispielsweise auf eine feste jährliche
Pauschale – reduziert wird. Ob solche Nebenvereinbarungen einer gerichtlichen
Überprüfung standhalten, ist mangels einer öffentlich zugänglichen Dokumenta-
tion entsprechender Gerichtsurteile nicht abschließend zu klären. Es besteht daher
das Risiko, dass ein Gericht im Streitfall die Nebenabrede verwerfen und die wirt-
schaftliche Verteilung allein nach dem bei den zuständigen Behörden hinterlegten
Gesellschaftsvertrag regeln würde.
Eine weitere Möglichkeit, die wirtschaftlichen Bezüge des lokalen Partners zu
begrenzen, ist die Generierung von Kosten, wie etwa durch Transfer Pricing. Dazu
können Management-, Lizenz- oder andere Verträge zwischen der lokalen Gesell-
schaft und der Muttergesellschaft oder einem Special Purpose Vehicle (SPV)
geschlossen werden, über welche die lokale Gesellschaft Leistungen der Mutterge-
sellschaft oder des SPV gegen Vergütung abnimmt. Dadurch werden der Gewinn
und damit der an den lokalen Partner auszuschüttende Gewinnanteil geschmälert.
Um überdies steuerliche Vorteile zu nutzen, bietet es sich an, solche Strukturen
über ein SPV mit Sitz beispielsweise in einer Freizone in den Vereinigten Arabi-
schen Emiraten oder in Bahrain zu gestalten.41
Für welche Möglichkeit man sich im Einzelfall entscheidet, hängt stets auch
vom gewählten lokalen Partner ab. Professionelle Sponsoren, deren Geschäft allein

40Im Emirat Abu Dhabi wird regelmäßig eine Reduzierung auf 10 % anerkannt. Im Oman und

Kuwait lassen sich entsprechende Richtwerte nicht feststellen. Bitte beachten Sie, dass sich die
Verwaltungspraxis insoweit stets ändern kann. Es kann also sein, dass zukünftig eine Reduzie-
rung auf 1 % auch in Katar nicht mehr möglich sein wird.
41Im Unterschied zu anderen Golf-Staaten können in Bahrain LLCs ohne lokale Beteiligung

gegründet werden; Art. 265 ff. BHR-GüG. In den Freizonen der Vereinigten Arabischen Emirate
gelten (teilweise) gesetzliche Bestimmungen, die von den außerhalb der Freizonen (im sogenann-
ten Mainland) geltenden Bestimmungen abweichen. Ein zentraler Unterschied ist, dass in den
Freizonen Gesellschaften ohne lokale Beteiligung gegründet werden können. Sowohl in den Ver-
einigten Arabischen Emiraten als auch in Bahrain fallen gegenwärtig keine Steuern für Unterneh-
mensgewinne an.
100 N. Bremer

die Beteiligung an Unternehmen zur Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen


über lokale Mindestbeteiligung ist, werden in der Regel, im Wege einer Nebenab-
rede vereinbarte pauschale Vergütungen bevorzugen, und sich meist an eine ent-
sprechende Vereinbarung halten. Sie sind gerade nicht an einer Beteiligung am
wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg der Gesellschaft, sondern eher an einem
kontinuierlichen Einkommen aus einer pauschalen Vergütung interessiert. Andere
lokale Partner mögen stärker auf eine möglichst große Gewinnbeteiligung abzielen.
Hier wird sich regelmäßig die zweite Möglichkeit anbieten. Allerdings ist diese
Option mit gewissen Kosten und administrativem Aufwand verbunden und daher
nicht für jede Unternehmung geeignet. Im Gegenzug für die Reduzierung der wirt-
schaftlichen Beteiligung wird der lokale Partner regelmäßig verlangen, dass der
ausländische Investor den auf den lokalen Partner entfallenden Anteil am Gesell-
schaftskapital einlegt. Um Komplikationen mit den zuständigen Aufsichtsbehörden
zu vermeiden, sollte der ausländische Investor den Anteil nicht direkt für den loka-
len Partner einlegen. Es empfiehlt sich, dem lokalen Partner ein – gegebenenfalls
zinsloses – Darlehen in Höhe seines Anteils am Gesellschaftskapital zu geben, wel-
ches dieser zur Einlage verwenden kann.

8.4.2.1.2 Verteilung der Stimmrechte


Neben der Verteilung der wirtschaftlichen Bezüge wird es häufig im Interesse des
ausländischen Investors liegen, sich die Kontrolle über die Entscheidungsprozesse
in der Gesellschaft zu sichern. Von zentraler Bedeutung sind insoweit die Stim-
menverhältnisse in der Gesellschafterversammlung. Werden keine besonderen Ver-
einbarungen getroffen, bestimmt sich das Stimmverhältnis nach den tatsächlichen
Anteilen. Kleinere Verschiebungen zugunsten des ausländischen Investors werden
die zuständigen Behörden regelmäßig genehmigen. Dies ist aber nicht immer aus-
reichend. So bedürfen gewisse, besonders tief greifende Beschlüsse – zum Bei-
spiel über die Auflösung der Gesellschaft – generell der Zustimmung aller
Gesellschafter. Um sich auch in solchen Fällen die Kontrolle über die Gesellschaft
zu sichern, bietet es sich an, dass der lokale Partner den ausländischen Partner
bevollmächtigt, an seiner statt die Stimmrechte auszuüben.42

8.4.2.1.3 Einsetzung der Geschäftsführung


Ein weiteres Mittel, um die Kontrolle über eine lokale Gesellschaft auszuweiten, ist
die Sicherung des Rechts zur Benennung und Abberufung der Geschäftsführung. Eine
entsprechende Bestimmung, die einem ausländischen Gesellschafter das Recht zur
Einsetzung und Abberufung der Geschäftsführung einräumt, wird in der Regel durch
die zuständigen Behörden anerkannt. Des Weiteren können in einer Nebenabrede Ein-
schränkungen der Befugnisse der Geschäftsführung vorgenommen werden. So kön-
nen Zustimmungserfordernisse für besonders wichtige Geschäfte – wie etwa Erwerb
und Veräußerung von Beteiligungen an Unternehmen oder Rechtsgeschäfte ab einem
bestimmten Wert – vorgesehen werden. Hier ist zu beachten, dass entsprechende

42Oftwird eine entsprechende Vollmacht unwiderruflich formuliert. Eine solche unwiderrufliche


Vollmacht wird aber häufig unwirksam sein.
8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost 101

Beschränkungen der Geschäftsführerbefugnisse nur intern – das heißt im Verhältnis


zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft – gelten. Im Außenverhältnis bleibt der
Geschäftsführer uneingeschränkt zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt. Seine
Vertretungsmacht kann gegenüber Dritten nur eingeschränkt werden, indem dies dem
Dritten ausdrücklich mitgeteilt wird. Mangels öffentlich zugänglicher Register wie
beispielsweise das deutsche oder schweizerische Handelsregister oder das österreichi-
sche Firmenbuch kann eine solche Beschränkung in den MENA-Staaten nicht durch
einen Registereintrag veröffentlicht werden.

8.4.2.2 Freizonen
Freizonen (sogenannte Free Zones) wurden in verschiedenen MENA-Staaten ein-
gerichtet, um ausländische Investoren anzuziehen. Insbesondere die Vereinigten
Arabischen Emirate waren in diesem Bereich sehr aktiv. Freizonen sind meist
räumlich abgeschlossene Bereiche, in denen (teilweise) gesetzliche Bestimmungen
gelten, die von den geltenden Regelungen im übrigen Staatsgebiet (im Mainland)
abweichen. Wichtige in Freizonen häufig geregelte Bereiche sind: Zollbestimmun-
gen, das Steuerrecht, das Gesellschaftsrecht (insbesondere mit Blick auf lokale
Mindestbeteiligungen) und das Wirtschaftsverwaltungsrecht. Die betreffenden Son-
derregelungen mögen verschiedene Vorteile bieten. Beispielsweise können in einer
Freizone des Emirates Abu Dhabi Gesellschaften entgegen den Bestimmungen des
Gesellschaftsrechts der Vereinigten Arabischen Emirate ohne Beteiligung eines
VAE-Staatsbürgers gegründet werden oder eine im Qatar Financial Center (QFC)
in Doha registrierte Gesellschaft ist von der katarischen Körperschaftssteuer
befreit. Bei der Gründung einer Gesellschaft in einer Freizone ist jedoch zu beach-
ten, dass eine solche Freizonengesellschaft meist nur innerhalb der Freizone und
nicht im Mainland geschäftlich aktiv werden darf. Die Betätigung über eine Freizo-
nen-Gesellschaft ist daher nicht für jedes Unternehmen sinnvoll. So können Ver-
triebstätigkeiten aus einer Freizone heraus ausgeführt werden, wenn der Kunde die
angebotenen Produkte in der Freizone abholt, Montage- und Wartungsarbeiten
beim Kunden sind jedoch nicht möglich. Neben den rechtlichen Besonderheiten
haben viele Freizonen spezifische wirtschaftliche Ausrichtungen.43 Diese Freizonen
bieten meist eine besonders auf einen Wirtschaftszweig ausgerichtete Infrastruktur.

8.4.3 Handelsvertreter- und Vertragshändlerrecht

Das Handelsvertreter- und Vertragshändlerrecht der MENA-Staaten ist weiterhin


stark protektionistisch gestaltet. So können – mit wenigen Ausnahmen – nur Staats-
bürger des betreffenden Staates, in welchem der Vertreter tätig werden soll, oder

43So sind das QFC oder das DIFC speziell auf die Finanzindustrie ausgerichtet, die SOHAR
Freezone im Oman und die Jebel Ali Free Zone in Dubai haben einen Logistikfokus und die two-
four54 Freizone in Abu Dhabi wurde speziell für Medienunternehmen gestaltet. Inwieweit es
Sinn macht, sich in einer industriespezifischen Freizone niederzulassen, wird im Einzelfall ent-
schieden werden müssen.
102 N. Bremer

Gesellschaften, deren ökonomisch Berechtigte ausschließlich Staatsbürger des


betreffenden Staats sind, als Handelsvertreter oder Vertragshändler auftreten.44 Fer-
ner ist es regelmäßig sehr schwierig, sich von einem einmal bestellten Handelsver-
treter oder Vertragshändler wieder zu trennen. Dies gilt insbesondere, wenn der
Vertreter in den relevanten öffentlichen Registern als solcher eingetragen ist. Dann
spricht ihm das Gesetz in den meisten MENA-Staaten bei Kündigung sehr hohe
Abfindungszahlungen zu.45 Diese können in der Praxis mehreren Jahresumsätzen
des Vertreters aus dem relevanten Vertrag entsprechen. Ähnliches gilt auch, wenn
ein Handelsvertretervertrag nicht verlängert wird, obwohl die Möglichkeit der Ver-
längerung im Vertrag vorgesehen ist.46 Zusätzlich führt die Registrierung des Vertre-
ters in manchen MENA-Staaten zu einer automatischen Exklusivität des Vertreters.47
Daher sollte die Eintragung eines Handelsvertreters oder Vertragshändlers –
soweit möglich und zulässig – unterbunden werden. Dazu bietet es sich an, dem
Vertreter die Registrierung bereits vertraglich zu untersagen. In der Praxis bleibt
dem Vertreter häufig aber die Möglichkeit, eine Eintragung auch ohne Mitwirkung
des Prinzipals und entgegen des vertraglichen Verbots vorzunehmen. Dadurch
kommt einem vertraglichen Ausschluss der Registrierung meist nur eine „weiche“
Wirkung zu. Es bleibt zu hoffen, dass sich der Vertreter aus freien Stücken ver-
tragskonform verhält. Für den Fall, dass der Vertreter trotzdem eine Registrierung
vornimmt, sollte eine vertragliche Verpflichtung zur Löschung der Registrierung
bei Kündigung oder Auslauf des Vertrags aufgenommen werden. Außerdem emp-
fiehlt es sich, Handelsvertreter oder Vertragshändler nur für eine bestimmte Zeit zu
bestellen, die Möglichkeit zur Verlängerung des Vertrags nicht (ausdrücklich) zu
regeln und – soweit möglich – die Exklusivität auszuschließen.48

8.4.4 Arbeitsrecht

Die arbeitsrechtlichen Bestimmungen der MENA-Staaten sind weitgehend weni-


ger komplex als in der DACH-Region. Insbesondere werden die Arbeitnehmer
grundsätzlich weniger stark geschützt. Beispielsweise ist die Kündigung eines

44Vgl. zum Beispiel Art. 1, 3 ÄGY-HVG; Art. 2 IRK-HVG; Art. 11 KAT-HVG; Art. 2 VAE-

HVG. Anders das bahrainische Recht, das grundsätzlich auch Gesellschaften mit ausländischer
Beteiligung gestattet, als Handelsvertreter oder Vertragshändler in Bahrain aufzutreten, wenn
mindestens 51 % der Anteile der Gesellschaft von bahrainischen Staatsbürgern gehalten werden;
Art. 14 BHR-HVG.
45Vgl. zum Beispiel Art. 8 lit. b KAT-HVG; Art. 9 VAE-HVG. Das Recht der Vereinigten Ara-

bischen Emirate geht sogar so weit, das Recht des Prinzipals zur ordentlichen Kündigung eines
eingetragenen Vertreters auszuschließen; Art. 8 VAE-HVG.
46Vgl. zum Beispiel Art. 8 lit. c KAT-HVG.

47Vgl. zum Beispiel Art. 8 VAE-HVG.

48Aufgrund der Regelung des Art. 8 VAE-HVG werden die Gerichte der Vereinigten Arabischen

Emirate einen Ausschluss der Exklusivität regelmäßig nicht anerkennen. In anderen MENA-Staa-
ten – wie zum Beispiel Ägypten oder Saudi-Arabien – ist dies hingegen einfacher möglich.
8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost 103

Arbeitsverhältnisses in der Regel einfacher und schneller möglich.49 Allerdings


muss dann regelmäßig eine Abfindung bezahlt werden, deren Höhe sich nach der
Dauer des Arbeitsverhältnisses bemisst.50 Außerdem sollte bei der Kündigung
eines in der MENA-Region beschäftigten Arbeitnehmers beachtet werden, dass
dem Arbeitgeber für ausländische Arbeitskräfte häufig eine gewisse aufenthalts-
rechtliche Verantwortung zukommt. So ist der Arbeitgeber insbesondere in der
Golf-Region verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ein gekündigter ausländischer
Arbeitnehmer das Land innert der gesetzlichen Fristen verlässt. Weigert sich ein
Arbeitnehmer, das Land zu verlassen, sollten die zuständigen Behörden frühzeitig
eingeschaltet werden, um möglichen Schaden vom Unternehmen abzuwenden.
Weitere Besonderheiten ergeben sich auch mit Blick auf die Fastenzeit (Rama-
dan), während der meist verkürzte Arbeitszeiten für muslimische Angestellte gel-
ten.51 Außerdem bestehen in verschiedenen MENA-Staaten Quoten für die
Beschäftigung lokaler Arbeitskräfte. Werden diese Quoten nicht erreicht, hat dies
gewisse negative Folgen für die betreffenden Unternehmen. Meist wird es dem
betreffenden Unternehmen dann untersagt, weitere ausländische Arbeitskräfte zu
beschäftigen. Das Einhalten der Quoten kann aber auch zu einer Teilnahmebedin-
gung in Ausschreibungsverfahren gemacht werden. Solche Quotenregelungen
bestehen vornehmlich in den bevölkerungsstärkeren Staaten, zum Beispiel in
Ägypten, dem Oman und Saudi-Arabien.
In Katar bestehen zudem gewisse Einschränkungen für Arbeitnehmende, wel-
che Europäern ungewöhnlich erscheinen mögen: So bedürfen Arbeitnehmer
die Zustimmung ihres Arbeitgebers, um das Land zu verlassen oder den Arbeit-
geber zu wechseln. Grundsätzlich darf die Zustimmung in beiden Fällen nur aus
wichtigem Grund verweigert werden; ein böswilliger Arbeitgeber kann einem
Arbeitnehmer aber durchaus schaden, indem er die Erteilung seiner Zustim-
mung hinauszögert. Schließlich stellen in Saudi-Arabien die strikten gesetzlichen
Bestimmungen über Geschlechtertrennung und Interaktion zwischen Mann und
Frau den Arbeitgeber vor gewisse Herausforderungen.

8.4.5 Projektverträge

Haupt- und Subverträge in großen Bau- und Infrastrukturprojekten in der


MENA-Region folgen meistens anglo-amerikanischem oder englischem Vorbild.
Diese Verträge setzten sich aus einer Reihe aufeinander bezogener Vertragsdo-
kumente zusammen, welche die rechtlichen Beziehungen zwischen den Parteien

49Unbefristete Arbeitsverhältnisse können regelmäßig unter Einhaltung einer gesetzlich geregel-


ten Frist – zumeist ein Monat – ohne Benennung von Gründen gekündigt werden; vgl. zum Bei-
spiel Art. 99 lit. a BHR-AGB; Art. 49 KAT-AGB; Art. 117 Abs. 1 VAE-AGB. Nichtsdestotrotz
empfiehlt es sich, einen angemessenen Grund für die Kündigung anzugeben. Hier wird regelmä-
ßig der Verweis auf betriebsinterne Umstrukturierungen ausreichen.
50Vgl. zum Beispiel Art. 51 KAT-AGB; Art. 39 OMN-AGB.

51Vgl. zum Beispiel Art. 68 OMN-AGB; Art. 65 VAE-AGB.


104 N. Bremer

umfassend und bis ins kleinste Detail regeln. Dabei werden die Bestimmungen
des Hauptvertrags regelmäßig komplett in Subverträge einbezogen. Im Ergebnis
entstehen so komplexe mehrschichtige Vertragswerke. Die vertragsgemäße Umset-
zung des Projekts oder Projektabschnitts ist für juristische Laien daher fast nicht
möglich. Sie sind mit der verschachtelten Struktur der aufeinander verweisenden
Vertragsdokumente schlicht überfordert. Daher muss die Durchführung solcher
Projektverträge in engerer Zusammenarbeit mit der Rechtsabteilung oder – wo die
bestehende Rechtsabteilung im Umgang mit diesen Verträgen und dem Recht der
MENA-Region nicht erfahren ist – entsprechend spezialisierten Rechtsanwälten
oder Contract-and-Claims-Managern erfolgen. Dies ist insbesondere mit Blick auf
die Sicherung von Ansprüchen und Vorbereitung etwaiger erforderlicher Klagen
wichtig. So sehen die in der MENA-Region üblichen Projektverträge meist strikte
Verfahren für die Anmeldung von Ansprüchen oder Beilegung von Streitigkeiten
vor. Wird diesen Verfahren nicht entsprochen, gehen die Ansprüche verloren bezie-
hungsweise der Kläger unterliegt in einem eingeleiteten Gerichts- oder Schieds-
verfahren aus formalen Gründen.

8.4.6 Gewerblicher Rechtsschutz

Der Schutz geistigen Eigentums sowie von Marken ist in der MENA-Region nicht
in gleicher Weise gewährleistet wie in Europa. Insbesondere werden internationale
Registrierungen und Schutzrechte nicht umfassend anerkannt. Faktisch ist es fast
unmöglich, geistiges Eigentum oder Marken in der MENA-Region effektiv zu
schützen, wenn diese nicht lokal registriert sind.52 Zwar gibt es beispielsweise im
Golf-Kooperationsrat (Gulf Cooperation Council oder GCC)53 Bestrebungen, den
gewerblichen Rechtsschutz zwischen den Golfstaaten auf regionaler Ebene zu ver-
einheitlichen. Ein einheitliches System wurde jedoch bis heute nicht effektiv etab-
liert. Der mangelnde Schutz geistigen Eigentums sollte auch stets bei der Arbeit
mit Handelsvertretern und Vertragshändlern sowie bei der Gründung von Joint
Ventures berücksichtigt werden. Es empfiehlt sich, in den entsprechenden Verträ-
gen klare Vereinbarungen zum Umgang mit Marken und geistigem Eigentum zu
treffen, die auch die Zeit nach der Kündigung, respektive Auflösung der vertragli-
chen Verhältnisse regeln. Anderenfalls setzen Sie sich der Gefahr aus, dass Ihr
Geschäftspartner Ihre Marken oder Ihr geistiges Eigentum auch nach Abbruch der
Geschäftsbeziehungen weiter verwendet.

52Ein Schutz ist dann praktisch nur bei weltweit sehr bekannten Marken wie Coca-Cola oder
Apple zu erwirken.
53Die Mitglieder des GCC sind Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und die Vereinig-

ten Arabischen Emirate.


8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost 105

8.4.7 Strafrechtliche Besonderheiten

Das Strafrecht der arabischen Staaten ist durch die mediale Berichterstattung in
Europa hinsichtlich mitunter verhängter schwerer körperlicher Bestrafungen das
wohl am schwersten belastete Rechtsgebiet der MENA-Region. Es lässt sich nicht
leugnen, dass das Strafrecht in der Region in weiten Teilen sehr viel schärfer ein-
gesetzt wird als in der DACH-Region. Auch bestehen gewisse kulturelle Beson-
derheiten, wie das Verbot von außerehelichem Geschlechtsverkehr und
homosexuellen Beziehungen sowie eine striktere Regulierung von Alkoholkon-
sum, die in Europa nicht strafrechtlich relevant sind. Generell sollte man sich –
wie in allen anderen Ländern – auch über bestehende strafrechtliche Bestimmung
und kulturelle Besonderheiten informieren und sich in seinem persönlichen Ver-
halten anpassen. Daneben bestehen aber auch strafrechtliche Bestimmungen, die
im beruflichen Leben berücksichtigt werden müssen: Neben allgemein verbreite-
ten Straftatbeständen wie Betrug, Untreue, Urkundenfälschung etc. wird in man-
chen Staaten der MENA-Region auch das Ausstellen, beziehungsweise Verwenden
eines ungedeckten Schecks ausdrücklich unter Strafe gestellt.54 Daher sollte bei
der Verwendung eines Checks stets darauf geachtet werden, dass dieser gedeckt ist
und bleibt.

8.5 Streitbeilegung

Die Streitbeilegung sollte bei Geschäften mit Bezug zur MENA-Region frühzeitig
bedacht werden. Wie bereits in Abschn. 8.2.3 dargestellt, sind die Qualität und
Einheitlichkeit der Rechtsprechung in vielen Staaten der MENA-Region nicht mit
europäischen Standards vergleichbar. Insbesondere wo komplexe Rechtsfragen
oder Sachverhalte betroffen sind, sollte man sich soweit möglich nicht auf die
lokalen Gerichte verlassen. Hier bieten Schiedsverfahren eine gute Alternative.
Allerdings bestehen gewisse Einschränkungen für Schiedsverfahren. So kann für
einzelne Streitigkeiten der Weg zu Schiedsgerichten ausgeschlossen sein. Entspre-
chende Einschränkungen bestehen in der MENA-Region insbesondere für Rechts-
streitigkeiten mit der öffentlichen Hand55 oder für Handelsvertreter-, respektive
Vertragshändlerverträge56. In anderen Streitigkeiten, insbesondere wo geringe
Streitwerte zu erwarten sind, mag ein Schiedsverfahren aus wirtschaftlichen

54Art. 459 Abs. 1 IRK-StGB; Art. 357 KAT-StGB; Art. 401 VAE-StGB.
55Vgl. zum Beispiel Art. 2 KWT-SchiedsG, welcher bestimmt, dass Streitigkeiten mit der öffent-
lichen Hand in Kuwait der ausschließlichen Zuständigkeit des nach diesem Gesetz eingerichte-
ten Schiedsinstitutes unterstellt sind. Gemäß Art. 10 Abs. 2 SAU-SchiedsG dürfen Behörden und
andere Einrichtungen des öffentlichen Rechts einer Schiedsvereinbarung nur zustimmen, wenn
ihnen dies vom saudischen Premierminister oder durch Gesetz gestattet wurde.
56Streitigkeiten über Handelsvertreter- oder Vertragshändlerverträge unterliegen in vielen MENA-

Staaten der ausschließlichen Zuständigkeit der lokalen Gerichte; vgl. zum Beispiel Art. 5 LEB-HVG;
Art. 18 OMN-HVG.
106 N. Bremer

Gründen nicht zweckdienlich sein. Schließlich bestehen bei der Anerkennung aus-
ländischer Schiedssprüche und Gerichtsurteile mitunter größere Schwierigkeiten.
Die lokalen Gerichte behalten daher weiterhin gewisse Relevanz. Da die Heraus-
forderungen im Umgang mit den lokalen Gerichten bereits in Abschn. 8.2.3 dar-
gestellt wurden, wird sich dieser Abschnitt auf die Streitbeilegung im Rahmen
von Schiedsverfahren und die Durchsetzung von ausländischen Gerichts- und
Schiedsurteilen beschränken.

8.5.1 Schiedsverfahren

Die Konfliktbewältigung ist in der arabischen Welt maßgeblich auf Schlichtung


ausgelegt. Dies ermöglicht jeder Seite, ohne Gesichtsverlust aus einem Streit
hervorzugehen. Traditionell wurde zur Lösung von Streitigkeiten ein von beiden
Seiten respektierter Schlichter angerufen. Daher ist die Schiedsgerichtsbarkeit
der Streitbeilegungskultur der MENA-Region im Grunde sehr ähnlich. In bei-
den Verfahren wählen die Parteien regelmäßig die Schlichter, beziehungsweise
die Richter selbst aus. Außerdem bietet die geringere Öffentlichkeitswirkung von
Schiedsverfahren gegenüber Gerichtsverfahren die Möglichkeit, Verfahren ohne
öffentlichen Gesichtsverlust durchzuführen (siehe dazu auch Kap. 50). Im Zuge
des verstärken Engagements internationaler Investoren in der MENA-Region ent-
wickelte sich jedoch ein gewisses Misstrauen gegenüber internationalen Schieds-
verfahren. Ende des 20. Jahrhunderts setzte sich unter arabischen Unternehmern
die Auffassung durch, dass sie bei Verfahren unter der Ägide der meist europä-
ischen Schiedsinstitutionen gegenüber ausländischen Investoren meist im Nach-
teil wären. Damit ging die Tendenz einher, lokale Gerichte stärker einzubinden.
Diese Einstellung hat sich zumindest im politischen und wirtschaftlichen Feld
gewandelt. Die arabischen Staaten haben über die letzten zwei Jahrzehnte grö-
ßere Bemühungen unternommen, um Schiedsverfahren stärker in die nationalen
Rechtssysteme einzugliedern. Mit der Einrichtung lokaler und regionaler Schieds­
institute versuchen sie drüber hinaus, sich selbst als Schiedsstandorte zu etablie-
ren. Diese lokalen Schiedsinstitute, wie beispielsweise das Cairo Regional Center
for International Commercial Arbitration (CRCICA), das Dubai International
Arbitration Center (DIAC) oder die Bahrain Chamber for Dispute Resolution
(BCDR-AAA), gewinnen zwar an Bedeutung, die international anerkannten Insti-
tute wie die International Chamber of Commerce (ICC) in Paris oder das London
Court of International Arbitration (LCIA) finden sich jedoch weiterhin am häu-
figsten in Schiedsklauseln.
Schiedsverfahren sind als Streitbeilegungsmechanismus unter den lokalen
Gerichten allerdings weiterhin wenig anerkannt. Teilweise setzen sich lokale
Gerichte über Schiedsklauseln hinweg und erklären sich in Streitigkeiten – trotz
wirksam vereinbarter Schiedsklausel – trotzdem für zuständig. In diesem Fall
müssen zwei Verfahren geführt werden: das Schiedsverfahren, in dem der Streit
entschieden werden muss, und das Gerichtsverfahren, in welchem das Gericht
überzeugt werden soll, dass es nicht zuständig ist. Dies erhöht die Kosten und den
8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost 107

zeitlichen Aufwand enorm, der für die Streitbeilegung betrieben werden muss.
Besonders restriktiv gegenüber Schiedsverfahren sind die irakischen, saudischen
und syrischen Gerichte.

8.5.2 Anerkennung von Schiedsurteilen und ausländischen


Gerichtsurteilen

Die generell weniger schiedsfreundliche Einstellung der lokalen Gerichte kommt


auch bei der Anerkennung von Schiedsurteilen zum Ausdruck. Zwar sieht – mit
Ausnahme des irakischen Rechts – jede Rechtsordnung der MENA-Region pro-
zessrechtliche Bestimmungen zur Anerkennung von Schiedsurteilen vor, diese
werden jedoch häufig restriktiv angewandt. Ausländische Schiedsurteile können
in nahezu allen MENA-Staaten nach den Bestimmungen der Convention on the
Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards, von 1958 (New York
Übereinkommen), anerkannt werden. Lediglich der Irak ist nicht Vertragspartei
des New York Übereinkommens. Daneben bestehen weitere regionale Abkommen
wie die Riyadh Arab Convention on Judicial Cooperation, aus 1983 (Riyad Über-
einkommen), und die GCC Convention for the Execution of Judgments, Delega-
tions and Judicial Notification, aus 1996 (GCC Übereinkommen). Diese haben
jedoch aufgrund der verbreiteten Anerkennung des New York Übereinkommens
in der MENA-Region nur noch geringe Relevanz. Im Fall des Irak bietet das
Riyad-Übereinkommen allerdings praktisch die einzige Möglichkeit, um die Aner-
kennung ausländischer Schiedsurteile zu erwirken.
Im Anerkennungsverfahren vor lokalen Gerichten der MENA-Region ergeben
sich zusätzliche Besonderheiten: Insbesondere fühlen sich die Gerichte der meis-
ten MENA-Staaten befugt, die anzuerkennenden Schiedsurteile im Rahmen einer
ordre public-Überprüfung umfassend auf materiell- und prozessrechtliche
Gesichtspunkte – und nicht nur auf eklatante Rechtsfehler hin – zu überprüfen.
Daher wird man in Schiedsverfahren mit Bezug zur MENA-Region weitgehend
das lokale Recht berücksichtigen müssen, auch wenn vertraglich eine andere
Rechtswahl getroffen wurde. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass die lokalen
Gerichte die Anerkennung des betreffenden Schiedsurteils verweigern.57 So wer-
den zum Beispiel Schiedssprüche, die einer Partei Zinsen zusprechen, in Saudi-­
Arabien regelmäßig nicht anerkannt, auch wenn der streitige Vertrag nicht dem
saudischen Recht unterlag.
Ähnliche Probleme ergeben sich auch bei der Anerkennung ausländischer
Gerichtsurteile. Hierbei kommt erschwerend hinzu, dass die Anerkennung zumeist
nicht wie bei ausländischen Schiedsurteilen in völkerrechtliche Verträge vorgese-
hen ist. Daher muss bei der Anerkennung ausländischer Urteile zumeist auf den

57Generell sind die Gerichte der Golf-Staaten und insbesondere Saudi-Arabiens insoweit strikter.

Auch irakische, jordanische und syrische Gerichte sind grundsätzlich eher restriktiv. Ägyptische
und libanesische Gerichte sind dagegen weit liberaler bei der Anerkennung ausländischer Schieds­
urteile.
108 N. Bremer

Grundsatz der Reziprozität zurückgegriffen werden.58 Bei der Anerkennung der


Reziprozität sind die lokalen Gerichte jedoch meist ebenfalls ziemlich restriktiv.

Literatur
Ahmad AUF (2010) Theory and practice of modern Islamic finance. Brown Water Press, Boca
Raton
Bremer N (2015) Liquidated damages under the law of the United Arab Emirates and its interpre-
tation by UAE courts. GAIR Mitteilungen 2015:199–212. http://www.qucosa.de/fileadmin/
data/qucosa/documents/18389/GAIR-M%202015.pdf. Zugegriffen: 10. März 2016
Carl DJ (1991) Islamic law in Saudi Arabia. What foreign attorneys should know. Geo Wash J Int
Law Econ 25(1991):131–170
Champion D (2003) The paradoxical kingdom. Saudi Arabia and the momentum of reform.
Columbia University Press, New York
Foster NHD (2003–2004) Owing and owning in Islamic and Western law, yearbook of Islamic
and Middle Eastern law 10(2003–2004):59–95
Hallaq WB (2009) Shari’a theory, practice, transformations. Cambridge University Press, Cam-
bridge
Krüger (2010) Zum Recht der Forderungsabtretung in der arabischen Welt. In: Bernreuther J et al
(Hrsg) Festschrift für Ulrich Spellenberg zum 70. Geburtstag. Sellier european law publis-
hers, München, S 605–616
Liebesny HJ (1975) The law of the near & Middle East: readings, cases and materials. State Uni-
versity of New York Press, Albany
Nasr VR (2006) The shia revival. How conflicts within Islam will shape the future. Norton, New
York
Nerz A (2014) Das saudi-arabische Rechtssystem, 2. Aufl. Europäischer Hochschulverlag, Bre-
men
Ramadan HM (2006) Understanding Islamic law. From classical to contempoary. AltaMira Press,
Lanham
Rohe M (2014) Islamic law in past and present. Brill, Leiden
Shalakany A (2001) Between identity and redistribution: sanhuri, genealogy and the will to isla-
mise. Islamic Law Soc 2001(8/2):201
Siddiqi MN (2004) Riba, bank interest and the rationale of its prohibition. IRTI/IDB Jeddah

58Etwas anderes gilt jedoch für die Anerkennung von Gerichtsurteilen im Irak und dem Emirat
Dubai. Das irakische Recht erlaubt eine Anerkennung ausländischer Urteile nur, soweit die
gegenseitige Anerkennung durch völkerrechtlichen Vertrag oder Verordnung gesichert ist –
Art. 12 IRK-ZwangsvollstrG und Art. 11 IRK-VollzugsG. Diese Voraussetzung – mit Ausnahme
des Vereinigten Königreichs (vgl. die irakische Verordnung Nr. 21 aus 1928) – ist zu keinem
anderen europäischen Staat erfüllt. Im Recht der Vereinigten Arabischen Emirate ist dies nicht
ausdrücklich geregelt. Nach seinem Wortlaut lässt Art. 235 Abs. 1 VAE-ZPO eine Anerkennung
ausländischer Gerichtsurteile auf Grundlage bestehender Reziprozität grundsätzlich zu. Der
Dubai Kassationsgerichtshof (‫ )التمييز محكمة‬hat jedoch in seiner Entscheidung vom 10.03.2001 in
Fall Nr. 17 aus 2001 klargestellt, dass ausländische Urteile in Dubai nur anerkannt werden kön-
nen, wenn die Anerkennung durch völkerrechtlichen Vertrag vorgesehen ist. Ob die Gerichte der
anderen Emirate dieser Interpretation des Art. 235 Abs. 1 VAE-ZPO folgen werden, ist mangels
entsprechender Urteile nicht geklärt. Im Verhältnis zu Dubai ist Frankreich der einzige euro­
päische Staat, mit dem ein völkerrechtlicher Vertrag besteht, der die gegenseitige Anerkennung
von Gerichtsurteilen regelt (The Convention between the Government of the French Republic
and the Government of the Republic of the United Arab Emirates on Mutual Legal Assistance,
Recognition of Judgments in Civil and Commercial Matters aus 1991).
8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost 109

Gesetzesquellen

Ägyptisches Handelsgesetzbuch, Gesetz Nr. 17 aus 1999 (ÄGY-HGB)


Ägyptisches Handelsvertretergesetz, Gesetz Nr. 120 aus 1982 (ÄGY-HVG)
Ägyptisches Zivilgesetzbuch, Gesetz Nr. 131 aus 1949 (ÄGY-ZGB)
Verfassung der Arabischen Republik Ägypten, von 2014 (ÄGY-Verfassung) 59
Bahrainisches Arbeitsgesetzbuch, Gesetz Nr. 36 aus 2012 (BHR-AGB)
Bahrainisches Gesetz über Gesellschaften, Gesetz Nr. 21 aus 2001 (BHR-GüG)
Bahrainisches Handelsgesetzbuch, Gesetz Nr. 7 aus 1987 (BHR-HGB)
Bahrainisches Handelsvertretergesetz, Gesetz Nr. 10 aus 1992 (BHR-HVG)
Bahrainisches Zivilgesetzbuch, Gesetz Nr. 19 aus 2001 (BHR-ZGB)
Irakisches Handelsvertretergesetz, Gesetz Nr. 51 aus 2000 (IRK-HVG)
Irakisches Strafgesetzbuch, Gesetz Nr. 111 aus 1969 (IRK-StGB)
Irakisches Zivilgesetzbuch, Gesetz Nr. 40 aus 1951 (IRK-ZGB)
Irakisches Zwangsvollstreckungsgesetz, Gesetz Nr. 45 aus 1980 (IRK-ZwangsvollstrG)
Irakisches Vollzugsgesetz, Gesetz Nr. 30 aus 1928 (IRK-VollzugsG)
Jordanisches Zivilgesetzbuch, Gesetz Nr. 43 aus 1976 (JOD-ZGB)
Katarisches Arbeitsgesetzbuch, Gesetz Nr. 14 aus 2004 (KAT-AGB)
Katarisches Gesetz über Ausländische Investitionen, Gesetz Nr. 13 aus 2000 (KAT-InvestitionsG)
Katarisches Handelsvertretergesetz, Gesetz Nr. 8 aus 2002 (KAT-HVG)
Katarisches Strafgesetzbuch, Gesetz Nr. 11 aus 2004 (KAT-StGB)
Gesetz über die Katarische Zentralbank, Gesetz Nr. 33 aus 2006 (KAT-ZBG)
Katarisches Zivilgesetzbuch, Gesetz Nr. 22 aus 2004 (KAT-ZGB)
Kuwaitisches Gesetz über Gesellschaften, Gesetz vom 19. Oktober 1980 (KWT-GüG)
Kuwaitisches Gesetz über das Schiedsinstitut für Zivil- und Handelssachen, Gesetz Nr. 11 aus
1995 (KWT-SchiedsG)
Kuweitisches Zivilgesetzbuch, Gesetz Nr. 67 aus 1980 (KWT-ZGB)
Libanesisches Gesetz über Handelsvertreter, Gesetz Nr. 34 aus 1967 (LEB-HVG)
Libanesisches Zivilgesetzbuch, Gesetz vom 8. März 1932 (LEB-ZGB)
Omanisches Arbeitsgesetz, Hoheitliches Dekret Nr. 35 aus 2013 (OMN-AGB)
Omanisches Handelsgesetzbuch, Hoheitliches Dekret Nr. 55 aus 1990 (OMN-HGB)
Omanisches Gesetz über Handelsvertreter, Hoheitliches Dekret Nr. 26 aus 1977 (OMN-HVG)
Omanisches Gesetz über Ausländische Investitionen, Hoheitliches Dekret Nr. 102 aus 1994
(OMN-InvestitionsG)
Omanisches Zivilgesetzbuch, Hoheitliches Dekret Nr. 29 aus 2013 (OMA-ZGB)
Saudisches Schiedsgesetz, Hoheitliches Dekret Nr. M34 aus 1433 Hijri [entspricht gregorianisch
aus 2012] (SAU-SchiedsG)
Syrisches Zivilgesetzbuch, Gesetz Nr. 84 aus 1949 (SYR-ZGB)
Arbeitsgesetzbuch der Vereinigten Arabischen Emirate, Bundesgesetz Nr. 8 aus 1980 (VAE-AGB)
Gesetz über Gesellschaften der Vereinigten Arabischen Emirate, Bundesgesetz Nr. 2 aus 2015
(VAE-GüG)
Handelsgesetzbuch der Vereinigten Arabischen Emirate, Bundesgesetz Nr. 18 aus 1993 (VAE-HGB)
Handelsvertretergesetz der Vereinigten Arabischen Emirate, Bundesgesetz Nr. 18 aus 1981
(VAE-HVG)
Strafgesetzbuch der Vereinigten Arabischen Emirate, Bundesgesetz Nr. 3 aus 1987 (VAE-StGB)
Zivilgesetzbuch der Vereinigten Arabischen Emirate, Bundesgesetz Nr. 5 aus 1987 (VAE-ZGB)
Zivilprozessordnung der Vereinigten Arabischen Emirate, Bundesgesetz Nr. 11 aus 1992 (VAE-
ZPO)

59Arabischer Originaltext abrufbar unter: http://www.sis.gov.eg/Newvr/consttt%202014.pdf.


Besucht 20. April 2016; inoffizielle englische Übersetzung abrufbar unter: http://www.sis.gov.eg/
Newvr/Dustor-en001.pdf. Besucht 20. April 2016.
110 N. Bremer

Über den Autor


Dr. Nicolas Bremer – Alexander & Partner Rechtsanwälte, Berlin/Kairo/Dubai
Nicolas Bremer studierte Rechtswissenschaft in Deutschland, den USA und Peru. Im Rahmen
seiner Promotion an der Justus-Liebig-Universität, Gießen, Deutschland führte er umfassende
Vorort-Studien im Nahen und Mittleren Osten durch. Bevor sich Dr. Bremer der Kanzlei Alexan-
der & Partner Rechtsanwälte als Partner anschloss war er für verschiedene internationale Rechts-
anwaltskanzleien in Berlin, Dubai, Kairo und London tätig. Alexander & Partner Rechtsanwälte
ist eine internationale Boutique-Kanzlei mit Repräsentanzen in Deutschland, Ägypten, Katar,
dem Oman und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Kanzlei ist spezialisiert auf die Bera-
tung im Wirtschaftsrecht des Nahen und Mittleren Osten und Nord-Afrikas sowie bei Immobilien
und Unternehmens-Transaktionen in der DACH-Region. Dr. Bremer führt die Kanzleistandorte
in Ägypten und den VAE sowie den Saudi Arabien Desk der Kanzlei und leitet das Gesellschafts-
und Finanzrechts- sowie das Transaktionsteam der Kanzlei. Er berät Mandanten in Arabisch,
Englisch und Deutsch.
Teil III
Praxis zur Identität von Legal Operations
Einführende Übersicht Identität
in Legal Operations 9
Roman P. Falta

9.1 Die Identität von Legal Operations

Die Identität von Legal Operations beschäftigt sich thematisch mit der absolu-
ten Grundlage, auf der ein Legal Team in Unternehmen oder Behörden operieren
sollte. Mithin bauen alle nachfolgenden Gestaltungsmöglichkeiten der Rechts-
funktion, wie in Abb. 9.1 dargestellt, auf ihr auf. Die Identität von Legal Opera-
tions spielt somit eine zentrale Rolle im gesamten Legal Operations Management.

9.2 Identität – ein besonders schwieriges Konstrukt

Der Begriff „Identität“ löst in jedem Menschen andere Assoziationen aus. Woran
denken Sie, wenn Sie kurz über seine Bedeutung nachdenken? Welche Inhalte
assoziieren Ihre Mitarbeitenden damit? In diesem Buch wird „Identität“ als der
erste fundamentale Gestaltungsbereich des Legal Operations Management defi-
niert, der sich mit der kulturell-atmosphärischen und werteorientierten Grundlage
beschäftigt, auf welcher die Rechtsfunktion in Unternehmen und Behörden auf-
gebaut ist. Möchte man heute mit einem General Counsel über die „Identität von
Legal Operations“ sprechen, erntet man in der Regel ein etwas gequältes Lächeln.
Dies liegt meines Erachtens an zwei Gründen.
Einerseits, an einer historisch verpassten Chance: In den neunziger Jah-
ren des vergangenen Jahrhunderts war dieser Begriff mit den dahinterstehenden
Ideen in jedem Unternehmen en vogue. Fast jeder senior executive versuchte
damals mit Stolz „seine“ Vision vom Unternehmen für die Ewigkeit in corporate

R.P. Falta (*)


Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC,
Zürich, Schweiz
E-Mail: falta@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 113


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_9
114 R.P. Falta

Abb. 9.1  Identität im Kontext des QUADRAGON Legal Operations Management-Modells©.


(Quelle: QUADRAGON Management LLC)

identity-Leitlinien umzusetzen. Die Mitarbeitenden hatten diese dann zu überneh-


men und sollten sich durch sie „angesteckt“, ja voller Motivation in die tägliche
Arbeit stürzen. Wie wir heute wissen, hat das nur in den wenigsten Fällen auch
tatsächlich funktioniert. Das Problem: Weder waren die Identitätsvorgaben genuin
an das Unternehmen angepasst – meist waren sie nur abgekupfert und mit etwas
Lokalkolorit übertüncht –, noch wurden sie tatsächlich implementiert beziehungs-
weise nach der Implementierung von der Führungsmannschaft vorgelebt.
Andererseits liegt meines Erachtens die Schwierigkeit darin begründet, dass
corporate identity als durchaus sinnvolles, gar essenzielles Führungsinstrument
eine dezidiert qualitative, „nicht in Kennzahlen zu pressende, Dimension des
Unternehmens“ darstellt. Sie widerspricht damit der Weltsicht des heutigen doch
recht technokratischen Managements. In diesem herrscht der unerschütterliche
Glaube an eine Realitätsabbildung, welche ausschließlich auf Logik, Rationa-
lität und quantitativ erfassten Zahlenwerten basiert. Mit einer solchen geht aber
eine bedeutende Realitätsreduktion einher, welche heute in den meisten größeren
Unternehmen und fast ausnahmslos in allen Konzernen vorherrschend ist. Zwar
gibt fast jeder Manager im persönlichen Gespräch offen zu, dass er die Mehrzahl
seiner Entscheidungen qualitativ „aus dem Bauch“ heraus treffe, trotzdem wird er
sich bei deren öffentlicher Begründung fast ausschließlich auf eine Zweckratio­
nalisierung durch quantitative und vordergründig logische Gründe stützen. Da
die Unternehmensidentität nicht einfach in ein paar Zahlenreihen gepackt werden
kann und eine gehörige Priese irrationaler Psychologie enthält, tun sich die meis-
ten Führungskräfte sehr schwer mit ihr.
9 Einführende Übersicht Identität in Legal Operations 115

Die Zugehörigkeit von corporate identity-Tools zum Einmaleins des nor-


mativ-strategischen Managements zeigt aber dennoch, dass der Begriff und die
dahinterstehenden Ideen nach wie vor als besonders wichtig für die Unterneh-
mensführung angesehen werden. Jedes moderne Unternehmen verfügt heute über
eine schriftlich festgehaltene Vision und die mit dieser verbundenen weiteren cor-
porate identity-Tools. Die wenigsten Unternehmen haben es jedoch tatsächlich
verstanden, sich dieses mächtige Instrument erfolgreich zunutze zu machen – es
nicht einfach nur zu besitzen.

9.3 Corporate Identity vs. Operations Identity

Meines Erachtens kann corporate identity im Rahmen eines großen Unternehmens


nicht erfolgreich funktionieren. Dafür sind die tausenden von Mitarbeitenden nicht
nur zu individuell, sondern auch in ihren Aufgabenstellungen innerhalb des Unter-
nehmens zu unterschiedlich. Nehmen wir als Beispiel die ubiquitäre, in den mis-
sion statements heutiger Unternehmen niedergeschriebene „Kundenfokussierung“.
Diese ist aus einer realistischen corporate identity-Betrachtung sehr fragwürdig.
Die meisten Positionen in Großunternehmen und internationalen Konzernen wei-
sen gar keinen Kundenkontakt auf. Das Verhältnis von 1:10 bis 1:100 zwischen
front office, also dem Bereich, der tatsächlich (täglich) mit Kunden zu tun hat, und
dem back office, welches in der Regel überhaupt keinen direkten Kundenkontakt
aufweist, spricht gerade nicht für eine besonders ausgeprägte Kundenorientie-
rung.1 Die Aufgabe der meisten back office-Positionen in großen Unternehmen
besteht oft ausschließlich darin, anderen Unternehmensbereichen zuzudienen.
Besonders gutes Beispiel hierfür ist die „klassische“ Rechtsabteilung. Anstatt sich
für den Kunden einzusetzen, schützt diese das Unternehmen in ihrer Grundfunk-
tion sogar vor diesem, sofern er seine Rechte gegen das Unternehmen geltend
machen möchte. Die gut gemeinte und in einem anderen Kontext durchaus sinn-
volle „Kundenfokussierung“ funktioniert für die meisten Mitarbeitenden daher
weder als Motivator, noch stiftet sie in der betrieblichen Praxis einen entsprechen-
den Sinnbezug.
Was nicht auf Gesamtunternehmensstufe funktionieren kann, entpuppt sich
jedoch auf Ebene der einzelnen Abteilungen (operations) als ein ausgezeichnetes
und vielfach zu Unrecht geschmähtes Gestaltungsinstrument. Dabei stellen
gerade Legal Operations einen besonders fruchtbaren Boden für eine optimale
Umsetzung von Identität dar. In den nachfolgenden vier Kapiteln wird noch genau
aufgezeigt, wie man Identität in den Legal Operations fassbar machen kann. Wir

1Man könnte natürlich zu Recht einwenden, die Kundenfokussierung beschlage alle Kunden;
mithin auch den „internen“. Auf Grundlage der Gespräche mit Führungskräften aus den letzten
zehn Jahren geht jedoch klar hervor, dass der „Kunde des Unternehmens“ mit dieser Formulie-
rung gemeint ist, also derjenige Kunde, der Produkte oder Dienstleistungen des Unternehmens
erwirbt.
116 R.P. Falta

werden uns zudem mit den unterschiedlichen Aspekten von Identität beschäftigen
und die maßgeblichen Tools besprechen, mit denen ein General Counsel nicht nur
mehr Sinnhaftigkeit und Motivation bei seinen Mitarbeitenden, sondern auch eine
bessere Arbeitsatmosphäre, mehr Leistung und eine höhere Loyalität in seiner
Abteilung insgesamt erreichen kann. Die Identität der Rechtsabteilung dient
schließlich als Basis, um sich selbst und die Leistungen der Legal Operations noch
besser im Unternehmen zu positionieren.

9.4 Was wir hinsichtlich Identität von Google lernen


können

Immer noch unsicher, ob die Beschäftigung mit der Identität von Legal Operations
für Sie und Ihr Team tatsächlich relevant ist? Vielleicht kann Sie folgendes Bei-
spiel davon überzeugen: Das Unternehmen Google2 hat in den letzten zehn Jahren
sehr viel Geld in seine People Analytics Division investiert, um herauszufinden,
wie man Mitarbeitende bedeutend produktiver und zufriedener machen kann. Mit-
hin wurde vor fünf Jahren das Forschungsprogramm Aristotle ins Leben gerufen,
um zu erforschen, was die optimalen Ingredienzien für ein „perfektes
Arbeitsteam“ sind. Man war lange davon ausgegangen, dass man das beste Team
erhält, wenn man einfach die besten Leute zusammenbringt. Im Verlauf des For-
schungsprogramms wurden neben der vorgenannten auch noch viele andere „All-
gemeinweisheiten“ auf deren Wahrheitsgehalt hin überprüft. Das spannende daran
war, dass die Google-Forscher aber tatsächlich lange Zeit nicht herausfinden konn-
ten, was die absoluten all star teams (siehe dazu auch Kap. 28) vom Durchschnitt
unterschied. Unabhängig davon, welche Faktoren und Faktorkombinationen sie
untersuchten, sie kamen zu keinem befriedigenden Ergebnis, bis sie ihren Fokus
auf die sogenannten sozialpsychologischen group norms legten. Diese geben die
spezifische Kultur, die Traditionen, die ungeschriebenen Regeln und Verhaltens-
standards in Teams wieder. Dadurch bestimmen sie, wie sich Mitglieder eines
Teams verhalten, wenn diese miteinander interagieren. Man fand heraus, dass
Gruppennormen, ob bewusst oder unbewusst, einen sehr großen Einfluss auf die
Qualität der Zusammenarbeit haben. Interessanterweise konnten Gruppennormen
sogar individuell fest verankerte Verhaltensmuster von Mitarbeitenden aufheben,
sobald diese mit anderen Teamkollegen zusammenarbeiteten. Die Forscher kamen
dadurch zum Schluss, dass das Verständnis und die Beeinflussung spezifischer
Normen der Schlüssel zur Verbesserung von Teams sein könnten. Daher fokussier-
ten sie sich in der Folge darauf, besonders wirksame Gruppennormen zu identifi-
zieren und fanden mehrere Dutzende solcher besonders wichtiger Normen.

2Google gilt heute als eines der weltweit fortschrittlichsten Unternehmen, wenn es um Human
Resources geht. Das nachfolgende Beispiel stammt aus Duhigg (2016).
9 Einführende Übersicht Identität in Legal Operations 117

Doch wiederum stand ihnen ein Problem im Weg: Die Forscher konnten nicht
herausfinden, welche der gefundenen Normen nun tatsächlich für den Teamerfolg
maßgeblich waren. Die Daten waren einfach zu widersprüchlich. Was bei dem
einen Team ausschlaggebend für dessen Erfolg war, konnte andere Spitzenteams
richtiggehend „ausbremsen“. Bis man bei Google auf das Konzept der psychologi-
cal safety stieß. Die Schaffung einer „psychologisch sicheren Zone“ für die Team-
mitglieder, in welcher gemeinsame Gruppennormen entstehen und gelebt werden,
war es, was alle überdurchschnittlich erfolgreichen Teams gemeinsam hatten.
Dabei fanden die Google-Forscher heraus, dass eine offene Gesprächskultur und
Empathie im Team die beiden Hauptbestandteile für psychologische Sicherheit
sind. Mithin der ehrliche und offene Umgang miteinander, der sich nur in einer
Umgebung mit positiver Identitätskultur entwickeln kann.

9.5 Vorteile von Identität in Legal Operations

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse von Google zeigen somit eindrücklich auf,


dass Identität und Identitätsstiftung kein „soziales Geschwätz“ sind, sondern eine
der wichtigsten Aufgaben in der Führung von Mitarbeitenden und Unternehmens­
einheiten. Die Vorteile liegen klar auf der Hand:

• Das generelle Image, das heißt das Fremdbild einer Abteilung im gesamten
Unternehmen, kann positiv beeinflusst werden. Im Falle der Legal Operations:
Weg vom Geschäftsverhinderer, hin zum geschätzten business partner (siehe
dazu auch detailliert Kap. 34).
• Eine starke Identität schafft Glaubwürdigkeit und Vertrauen bei direkten inter-
nen Schnittstellen (siehe dazu detailliert Kap. 17), der Geschäftsleitung (siehe
dazu detailliert Kap. 16) aber auch beim Aufsichtsrat (siehe dazu detailliert
Kap. 15).
• Eine ehrliche und beständige Identität schafft die Grundlage von psychologi-
cal safety und ermöglicht dadurch nicht nur eine maßgeblich verbesserte Team-
und Individualleistung von Mitarbeitenden (siehe dazu detailliert Kap. 27 und
28), sondern auch ein attraktives Sinnangebot für diese, welches weit über das-
jenige von Grundgehalt, Bonus und weiterer fringe benefits hinausreicht.

Auch der General Counsel ist darum gefordert, sich mit dem Thema „Identität“ in
seiner Rechtsabteilung auseinanderzusetzen. Dabei verfügen die Legal Operations
über eine besonders gute Ausgangslage, um darauf ein stimmiges und erfolgrei-
ches Identitätsmanagement aufzubauen:

• Das juristische Handwerk ist wie kein anderes in einer Organisation dafür
prädestiniert, sich kritisch mit Gruppennormen auseinanderzusetzen und diese
zu hinterfragen. Daraus kann erst ein stimmiger Kanon individueller Normen
entstehen, welcher eine essenzielle Grundlage für die Entwicklung und
Akzentuierung von Identität darstellt.
118 R.P. Falta

• Die Eigenarten der juristischen Mitarbeitenden (siehe dazu auch Kap. 28)
führen dazu, dass sie besonders gut auf eine optimale Arbeitsatmosphäre
ansprechen. Juristen fühlen sich am Arbeitsplatz besonders wohl, wenn sie
selbstbestimmt und autonom arbeiten und wenn sie dabei eine interessante
sowie abwechslungsreiche Tätigkeit ausüben können. Als Wissensarbeiter
ist für sie ein förderndes und inspirierendes Umfeld besonders wichtig, um
dadurch langfristig Loyalität zum Unternehmen zu erzeugen.
• Die Legal Operations sind sehr oft als Stabsfunktion ausgestaltet. Mit dieser
Organisationsform geht ein breites Beziehungsnetz in alle Bereiche des Unter-
nehmens einher (siehe zum Beispiel auch die Kap. 4 und 37). Über solche for-
mellen und informellen Kontakte lässt sich ein neues positives Image der Legal
Operations rasch im gesamten Unternehmen und über alle Hierarchiestufen
hinweg verbreiten und kontrollieren.
• Für potenzielle Mitarbeitende stellt eine starke Identität und die damit einher-
gehende positive Außenwahrnehmung einer Rechtsabteilung einen nicht zu
unterschätzenden Anreiz dar, sich genau für diese bewerben zu wollen; zumal
ein ausgezeichneter Ruf von Legal Operations nicht alltäglich ist und sich rasch
im Bewerbungsmarkt herumspricht.

Um die vorgenannten Vorteile zu erringen, bedingt Identifikation, sich als Gene-


ral Counsel ehrlich hinter die Weiterentwicklung der Legal Operations zu stellen
und aufrichtig für die eigenen Mitarbeitenden einzutreten; im Bewusstsein, dass
der Mensch im Mittelpunkt des psychological safety environment steht. Dadurch
kann vielen negativen Erscheinungen der modernen Arbeitswelt, wie fehlender
Motivation, nachlassender Innovationskraft, mangelndem Einsatz, Abstumpfung
und innerer Kündigung, bis hin zu Depressionen und burnout begegnet werden.

9.6 Die drei Pfeiler der Legal Operations-Identität

Die Identität einer Gruppe von Mitarbeitenden, wie dies bei den meisten Rechts-
abteilungen der Fall sein dürfte, baut, wie in Abb. 9.2 dargestellt, auf den folgen-
den drei Pfeilern auf:3

3Vgl. hierzu auch die interessanten Ausführungen von Poole, Hollingshead (2005), welche den
Stand der Wissenschaft bezüglich small groups zusammengetragen haben und diese aus neun
unterschiedlichen Perspektiven betrachten: the functional perspective, the psychodynamic per-
spective, the social identity perspective, the conflict, power, and status in groups perspective, the
symbolic-interpretive perspective of group life, the feminist perspective, the network perspective,
the traces, trajectories, and timing perspective und the evolutionary perspective. Ebenfalls in die-
sem Zusammenhang lesenswert: Levine, Moreland (2006), welche sich tiefergehend mit einigen
wichtigen Bereichen auseinandersetzen: group composition, group structure, conflict in groups,
group performance (decision making, productivity, leadership) und group ecology. Schließlich
auch DeLamater et al. (2015, S. 439–500); Aronson et al. (2013, S. 236 ff.).
9 Einführende Übersicht Identität in Legal Operations 119

Abb. 9.2  Die drei Grundpfeiler von Gruppenidentität. (Quelle: QUADRAGON Management


LLC)

• Gruppennormen: Gemeinsame Werte, Ziele und die spezifische Aktions- oder


Tätigkeitsbereiche einer Gruppe vereinen gegen innen, indem sie gegen außen
abgrenzen. Aus diesen drei Elementen wird die „Teamverfassung“ entwickelt.
Zudem regeln Normen die Hierarchie und die Bildung interner Netzwerke: So
möchten wir sein, uns selbst sehen und von anderen wahrgenommen werden.
• Gruppenbiografie: Diese besteht aus der von den Mitgliedern (gemeinsam
erlebten) evolutiven Historie, den daraus abgeleiteten Traditionen sowie den
(nicht zwingendermaßen direkt selbst erlebten, aber glaubhaft überlieferten und
übernommenen) Legenden und Mythen, welche für den sozio-dynamischen
Zusammenhalt4 zwischen den Gruppenmitgliedern maßgeblich sind: So sind
wir geworden, was wir heute sind – und worauf wir stolz sind.
• Interaktionsmuster: Diese beinhalten sämtliche formellen und informellen
Interaktions- und Umgangsformen im Inneren wie auch im Äußeren. Hinzu
kommen die zur Interaktion verwendeten Signale, Symbole, Rituale, der spe-
zifische Sprachgebrauch der Gruppe etc.: So verhalten wir uns innerhalb der
Gruppe und gegenüber anderen.

4Sozio-dynamischer Zusammenhalt entsteht aus zwei Faktoren: Zeit und Intensität respektive
deren Kombination. Er ist immer dann schwach, wenn Mitglieder einer Gruppe sich nur kurze
Zeit kennen und keine besonders intensiven Ereignisse miteinander erleben (zum Beispiel neue
Bekanntschaften an einem Symposium). Er ist mittelstark, wenn sich die Mitglieder zwar bereits
eine lange Zeit kennen, aber keine intensiven Erlebnisse teilen (zum Beispiel „Grüß-Nachbarn“)
oder zwar sehr intensive Erfahrungen miteinander teilen, aber nur kurze Zeit zusammen waren
(zum Beispiel gemeinsame Opfer von Unfällen oder Straftaten). Am stärksten ist der Zusam-
menhalt, wenn die Mitglieder sowohl lange Zeit als auch intensive Erlebnisse miteinander teilen
(zum Beispiel tiefe Freundschaften aus Schule, Studium und Militärdienst).
120 R.P. Falta

Diese drei Bereiche bestimmen, wie sich das Legal Team selbst sieht, wie es mit-
einander interagiert und wie es von außen wahrgenommen wird. Mit der Zeit
manifestieren sich die drei Pfeiler zu einer beständigen Form der Selbst- und
Fremdwahrnehmung. Die Identität hat sich dann nachhaltig im Unternehmen ein-
gebürgert, wenn abteilungsfremde Kollegen in Bezug auf die Interaktion mit den
Mitgliedern des Legal Teams auf deren „typisches“ Verhalten, „typische“ Denkar-
ten oder eine ganz besondere Weise hinweisen, wie diese mit bestimmten Sachver-
halten und Situationen umgehen. Mithin, wenn sich die Mitarbeitenden der Legal
Operations im Unternehmen klar und deutlich von anderen Abteilungen und Mit-
arbeitenden unterscheiden. Die drei Pfeiler treffen eine klare und unmissverständ-
liche Aussage darüber, wie die Dinge im Legal Operations Team zu funktionieren
haben, was für deren Mitglieder richtig und wahr erscheinen soll und wo sich
deren Grenzen befinden. Dadurch bieten sie den Mitarbeitenden eine klare Orien-
tierung im Tagesgeschäft, vermindern den Auswahl-, Instruktions- und Überwa-
chungsaufwand – und führen so zur Bildung von Vertrauen im Team.5 Schließlich
reduzieren sie die reale Komplexität des Seins in der Unternehmens- und Arbeits-
welt durch eine gemeinsam genormte Wahrnehmung und ermöglichen so ein opti-
males Zusammenarbeiten,6 indem die intern verwendeten Sprach-, Interaktions-,
Entscheid- und Umsetzungsstandards allen beteiligten Mitgliedern selbstverständ-
lich und klar sind.

9.7 Die Toolbox für die Identitätsveränderung in Legal


Operations

Da die Identität einer Gruppe nicht statisch ist, sondern sich stetig durch die
Interaktionen ihrer Mitglieder und durch Veränderungen in deren Umfeld wan-
delt, entwickelt sie sich fortwährend weiter. Dadurch sind dem General Counsel
für das Management von Identität in seinen Legal Operations natürliche Gren-
zen gesetzt. Er kann nicht einfach hingehen, sich „auf dem Reisbrett“ eine ideale
Legal Operations Identity aus den Fingern saugen und dann erwarten, dass er und
seine Mitarbeitenden sich dann schon an diese halten werden. In der Realität ist
dieser Vorgang erheblich komplexer, jedoch zu einem bestimmten Teil tatsächlich
beeinflussbar, da Verhaltensänderungen durch die Beeinflussung der ihr zugrunde
liegenden Normen, Ziele, Werte und Motivationspotenziale durchaus – und dies
nicht einmal in allzu langem Zeithorizont – möglich sind.
Um die Identität der Legal Operations tatsächlich zu beeinflussen und in eine
positive Richtung zu verändern, bedarf es in erster Linie eines 100 % igen com-
mitment des General Counsel. Sofern dieser voll und ganz hinter der Optimierung

5Siehe dazu auch den spezifischen Vertrauensbildungsmechanismus in Galinsky, Schweitzer


(2015, S. 137 ff.).
6Siehe auch die wissenschaftliche Beweisführung für „positives Organisationsverhalten“ bei Lut-

hans et. al. (2015, S. 19 ff.).


9 Einführende Übersicht Identität in Legal Operations 121

Abb. 9.3  Die Toolbox für die Identitätsveränderung in Legal Operations. (Quelle: QUADRA-
GON Management LLC)

seiner Abteilung steht, wird eine solche in der Regel auch gelingen. In zweiter
Linie ist der intelligente Einsatz effektiver und effizienter Werkzeuge nötig. In
den folgenden vier Kapiteln beschäftigen wir uns daher mit den in Abb. 9.3 darge-
stellten identity change tools. Diese haben sich in der Praxis bewährt und bürgen
dafür, dass mit ihnen eine schrittweise Gestaltung beziehungsweise Veränderung
der Identität von Legal Operations gelingen kann. Zudem erfahren Sie, wie Sie
diese in Ihrem betrieblichen Alltag praktisch anwenden können und worauf Sie bei
deren Einsatz besonders achten sollten.

Literatur
Aronson E, Wilson TD, Akert RM (2013) Social psychology, 8. Aufl. Pearson Education, New
Jersey
DeLamater JD, Myers DJ, Collett JL (2015) Social psychology. Westview Press, Boulder
Duhigg C (2016) What Google learned from its quest to build the perfect team. www.nytimes.
com/2016/02/28/magazine/what-google-learned-from-its-quest-to-build-the-perfect-team.
html. Zugegriffen: 10. Mai 2017
Galinsky A, Schweitzer M (2015) Friend & foe – when to cooperate, when to compete, and how
to succeed at both. Random House Business Books, London
Levine JM, Moreland RL (Hrsg) (2006) Small groups – key readings. Psychology Press, New
York
Luthans F, Youssef-Morgan CM, Avolio BJ (2015) Psychological capital and beyond. Oxford
University Press, New York
Poole MS, Hollingshead AB (Hrsg) (2005) Theories of small groups – interdisciplinary perspec-
tives. Sage Publications, Thousand Oaks
122 R.P. Falta

Über den Autor


Roman P. Falta, lic.iur.HSG – Professional Services Management Leader QUADRAGON
MANAGEMENT LLC, Zürich
Studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen HSG. Daneben
hält er Weiterbildungsdiplome der Harvard University, des MIT und der UC Berkeley in Sozio­
anthropologie und Psychologie. Seine Berufskarriere begann er in einer führenden Strategie-
beratung, welcher Berufsstationen bei Gericht, in der Finanzverwaltung und einer namhaften
Anwaltskanzlei folgten. Anschliessend war er für diverse Bereiche in Corporate Legal und in der
Compliance eines Global Fortune 500-Unternehmens verantwortlich. Als Professional Services
Management Leader verantwortet er heute unter anderem den Bereich Legal Operations Optimi-
zation bei QUADRAGON MANAGEMENT. Er gilt als einer der renommiertesten Experten für
Professional Services Optimization und Elite Performance Development im deutschsprachigen
Raum.
Vision und Guidelines in Legal
Operations 10
Roman P. Falta

10.1 Einleitende Überlegungen

In Kap. 9 wurde – neben der Einführung in die Identitätsthematik – auch die Tool-
box für Identitätsveränderungen in Legal Operations vorgestellt. In diesem Kapitel
soll es nun darum gehen, die ersten beiden, in Abb. 10.1 dargestellten, Instrumente
vorzustellen: „Legal Operations Vision“ und „Legal Operations Guidelines“.
In der Praxis hat sich gezeigt, dass das Erstellen einer aussagekräftigen Vision
und sinnvoller Legal Operations Guidelines für die meisten Unternehmensjuris-
ten nicht nur ein Novum darstellt, sondern auch mit großen Herausforderungen
verbunden sein kann. Wir werden uns daher eingehend damit beschäftigen, wes-
halb diese beiden Instrumente eine geeignete Grundlage für die Veränderung von
Identität sind und wie diese Schritt für Schritt in eine Rechtsabteilung eingeführt
beziehungsweise sinnvoll ausgestaltet werden können. Schließlich bilden Vision
und Guidelines nicht nur die Basis für alle weiteren identity change tools, sondern
stellen gleichzeitig auch die Grundlage für das strategische Management der Legal
Operations dar (siehe dazu detailliert Kap. 30).

10.1.1 Sinnhaftigkeit, Identität und Wertvorstellungen in der


Arbeitswelt

Es ist bekanntlich nicht unsere Rolle im Unternehmen, welche die Sinnhaftigkeit


unserer beruflichen Tätigkeit bestimmt, sondern unsere spezifische Einstellung,

R.P. Falta (*)


Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC,
Zürich, Schweiz
E-Mail: falta@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 123


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_10
124 R.P. Falta

Abb. 10.1  Die Basiswerkzeuge: Legal Operations Vision und Legal Operations Guidelines.
(Quelle: QUADRAGON Management LLC)

mit der wir an unsere berufliche Tätigkeit herangehen.1 Wahre Identität muss
daher mehr bieten, als nur das finanzielle Überleben als Arbeitnehmer sicherzu-
stellen. Sie muss in einer oft instabilen und immer schnelleren Arbeitswelt dafür
sorgen, dass wir unserer Tätigkeit mit „Passion“ und einem echten Gefühl der
Sinnhaftigkeit für uns selbst, unsere Arbeitskollegen und für das weitere Umfeld –
eventuell für die Gesellschaft insgesamt – begegnen. Wertvorstellungen2 wie Inte-
grität, Ehrlichkeit, Bescheidenheit, Wertschätzung, Respekt, Fairness sowie
Anteilnahme sind in der heutigen Arbeitswelt wichtiger denn je. Es scheint, dass
immer mehr „Angestellte“ die Verwirklichung dieser Wertvorstellungen in deren
direktem Arbeitsumfeld – in ihrer Abteilung und bei Arbeitskollegen, anstatt wie
früher im gesamtunternehmerischen Kontext – suchen. Und genau hier können Sie
als General Counsel einen entscheidenden Beitrag leisten: Durch identitätsstif-
tende Maßnahmen können Sie sich selbst und Ihren Mitarbeitenden gegenüber die
vorgenannten Grundbedürfnisse der Arbeitswelt erfüllen, indem Sie die Rechtsab-
teilung zu einem inspiring place to work machen.

1Vgl. Schwartz (2011, S. 256).


2Gemäß Chiu (2009 S. 13 ff.), die sich intensiv mit der Werte-Forschung der letzten fünfzig Jahre
auseinandergesetzt hat (von Kluckhohn, über Rokeach bis Danner) können „Werte“ aus vier
unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden: 1. Werte sind abstrakte Ideen bestehend aus
Handlungsmotivatoren (ultimate goals in life that a person strives for) und Verhaltensleitlinien
(desired conduct of behaviour), 2. Werte sind hierarchisch aufgebaut und werden im Wertesystem
je nach Bedarf flexibel höher- oder tiefergestuft, 3. Werte leiten und motivieren eine Person und
4. Werte bestimmen die choice of action und dadurch die Handlungen von Personen.
10 Vision und Guidelines in Legal Operations 125

10.1.2 Der Visionsbegriff

Da sich der Begriff „Vision“ im Rahmen des normativ-strategischen Managements


im DACH-Raum eingebürgert hat, wird er auch in diesem Kapitel verwendet,
obwohl damit nichts anderes als ein sprachliches Konstrukt gemeint ist, das ein
„Set besonders wichtiger Langfristziele“ respektive die langfristige Marschrich-
tung repräsentiert.3 Der Begriff stellt somit einen gewünschten künftigen Sollzus-
tand dar, der nicht nur begeistern soll, obwohl er noch in weiter Ferne liegt,
sondern auch stets glaubwürdig und realistisch bleiben muss, um den Glauben an
seine Erreichbarkeit aufrecht zu erhalten.

10.1.3 Die Vorteile einer Vision

Ein wichtiger Pluspunkt für eine integrative, identitätsstiftende und motivierende


Vision ist ihr inhärent-identitätsstiftendes Aktionspotenzial gegen innen und ihre
identitätsverankernde Wirkung gegen außen. Mitarbeitende, welche die Vision
verinnerlicht haben, handeln aktiver, durchhaltender und kreativer an der Weiter-
entwicklung ihrer Organisation/Organisationseinheit. Das Risiko von Fehlentwick-
lungen sinkt, da die Mitarbeitenden die Inhalte der Vision automatisch und stetig mit
der erlebten Realität vergleichen. Dadurch bleibt die Vision flexibel an veränderte
Umweltbedingungen anpass- und entwickelbar. Zudem wird sie im Falle einer kon-
sequenten Kommunikation nach außen zu einem verbindlichen Programm der Orga-
nisation/Organisationseinheit, auf das sich alle Mitarbeitenden verlassen können.

10.2 Die Vision in den Legal Operations

Durch eine gemeinsame Legal Operations Vision wird das einende Element der
Abteilung und ihrer Mitglieder ausgedrückt. Die Wirkung folgt nach innen und
nach außen und eint das Legal Team zu einer gemeinsamen Zielverfolgung.
Zudem macht die Vision jedem einzelnen Teammitglied ein „Sinnangebot“, das
dieses annehmen kann, um ein integraler Bestandteil einer „gemeinsamen“
Rechtsabteilung zu werden. Das ist insofern wichtig, als viele Mitarbeitende in
Legal Operations die Frage nach dem Sinn ihrer Arbeit stellen.4 Aus diesem

3„Von einer Vision sollte (…) erst dann gesprochen werden, wenn eine unternehmerische Einheit
eine auf die Zukunft gerichtete Leitidee über die eigene Entwicklung hat, sie also eine richtungs-
weisende, normative Vorstellung eines zentralen Zieles besitzt und ihre Handlungen an diesem
Ziel konsequent ausrichtet.“ Müller-Stewens, Lechner (2005, S. 235).
4Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Klärung der eigenen Wertehaltung bietet Dahl et al.

(2009, S. 64 ff.). Für eine grundlegende Auseinandersetzung mit persönlichen Wertvorstellungen


und der eigenen Lebenssinngestaltung siehe das gesamte Werk von Reiss (2010) oder den Fra-
gebogen „Personal Elite Performance (PEP) SELF-ASSESSMENT – EINZELPERSONEN“ auf
www.septagon.ch/media/text-publikationen. Besucht 10. Mai 2017.
126 R.P. Falta

Grunde ist es wichtig, die Mitarbeitenden am Prozess der Visionserstellung


aktiv teilhaben zu lassen. Eine ausschließlich vom General Counsel entwickelte
Legal Operations Vision hat meines Erachtens nur eine geringe Chance auf „Ver-
innerlichung“, mithin wird sie nicht dieselbe Begeisterung bei den Mitarbeiten-
den auslösen.

10.2.1 Die Anforderungen an eine Legal Operations Vision

Bevor wir uns damit beschäftigen, wie eine individuelle Vision für die Legal Ope-
rations entwickelt werden kann, sollten wir uns damit beschäftigen, welchen
Anforderungen diese zu genügen hat:5

• Sinnstiftung und Komplexitätsreduktion: Die Vision muss nicht nur für das
Legal Team in corpore sinnstiftend sein, sondern auch für jedes einzelne Mit-
glied. Zudem sollte sie dabei helfen, die Komplexität des realen Legal Opera-
tions-Alltags zu strukturieren und zu reduzieren.
• Angemessenheit und Realismus: Die Vision muss die Rechtsabteilung dort
abholen, wo sie aufgrund ihrer Geschichte derzeit „ungeschminkt“ steht. Nur
so kann sie die individuelle Einzigartigkeit ehrlich abbilden. Sie soll dadurch
eine realistische Einschätzung dessen abgeben, was die Rechtsabteilung insge-
samt erreichen möchte.
• Umsetzbarkeit: Die Vision muss glaubwürdig und umsetzbar sein, nicht nur
hehre Versprechungen und Ideale beinhalten. Sie muss begreifbar und realisier-
bar sein, indem sie die heutige Realität als Basis nimmt und einen gangbaren
Weg zur künftigen Idealvorstellung statuiert.
• Herausforderung: Die Vision zeigt ein in weiter Ferne, doch tatsächlich
erreichbares Set von Zielen. Sie muss inhaltlich so ausgestaltet sein, dass die
Mitarbeitenden der Legal Operations herausgefordert werden, den avisierten
Idealzustand auch tatsächlich zu erreichen.
• Eindeutigkeit und Verständlichkeit: Die Vision muss von jedem Mitarbei-
tenden klar und eindeutig verstanden werden können. Das erfordert griffig und
pointiert formulierte Aussagen. Wer einmal eine Vision zu formulieren ver-
suchte, wird mir beipflichten, dass es durchaus eine Kunst ist, komplexe Sach-
verhalte in einfache Worte und konkret umsetzbare Handlungen zu fassen.
• Mitreißende Formulierung: Qualitativ-motivierende Formulierungen sind
quantitativen Zielvorgaben vorzuziehen. Die Aussage, man möchte durch effek-
tives Legal Risk Management mindestens 50 Rechtsfälle pro Jahr verhindern,
mag an sich ein ehrenwertes Ziel sein, wird die Mitarbeitenden aber nicht son-
derlich motivieren.
• Sinnvoller Zeithorizont: Da die Vision ein Set künftig zu erreichender
Ziele darstellt, sollte der Zeithorizont zur Zielerreichung sinnvoll bemessen
sein. In der Praxis ist für Legal Operations ein Zeithorizont von drei bis

5Vgl. Bickmann (1999, S. 157 ff.).


10 Vision und Guidelines in Legal Operations 127

fünf Jahren sinnvoll. Dies lässt auch genügend Raum für einen stetigen
Anpassungsprozess. In der Regel wird die Vision innerhalb des gegebenen
Zeitrahmens ab und zu angepasst sowie weiterentwickelt, sodass deren
Kompassfunktion stets aktuell bleibt.

10.2.2 Eine Legal Operations Vision selbst entwickeln

10.2.2.1 Vorbereitungen
Im ersten Schritt sollte sich jedes einzelne Mitglied Ihres Rechtsteams mit der
Beantwortung nachfolgender individueller Fragen zur eigenen Wertewahrnehmung
auseinandersetzen:6

• Welches ist der sinngebende Zweck unserer Rechtsabteilung und der Dienst-
leistungen, die wir im Unternehmen anbieten? Welches sind die idealen und
welches die gelebten Werte im Hinblick darauf, wie wir mit den Menschen in
und außerhalb der Rechtsabteilung umgehen?
• Erfüllt mich die Antworten auf die ersten beiden Fragen mit Stolz? Ist es für
mich bereichernd, ein Teil dieser Abteilung zu sein? Glauben alle Teammitglie-
der an den Sinn und Zweck dessen, was in der Rechtsabteilung täglich gemacht
wird?
• Weshalb habe ich mich überhaupt für den Juristenberuf entschieden und welche
Sinnhaftigkeit vermittelt er mir täglich respektive über einen längeren Zeitraum
betrachtet?
• Wird die Leistung der Mitarbeitenden in unserer Abteilung geschätzt und
regelmäßig durch Lob gezeigt? Herrschen in der Rechtsabteilung gegenseitige
Unterstützung, Respekt und Vertrauen? Unterstützen wir uns nicht nur fachlich,
sondern auch persönlich?
• Bis zu welchem Punkt wird in den Legal Operations nicht umgesetzt, was so
dringend nötig wäre? Was müsste anders werden, damit die Rechtsabteilung ein
inspiring place to work würde?

Die Auseinandersetzung mit den eigenen Wertvorstellungen und Sinnesansprü-


chen ist ein erster Schritt, um sich auf die Visionsthematik einzustimmen.

10.2.2.2 Profunde Visionsanalyse
Im nächsten Schritt geht es darum, allgemeine Aussagen über den Visionsstatus
der Rechtsabteilung zu treffen. Dabei stehen weniger besonders akkurate Aus-
sagen zu den drei Analysedimensionen, wie in Abb. 10.2 dargestellt, im Vorder-
grund, sondern eine profunde Auseinandersetzung mit einer künftig optimalen
Ausgestaltung von Legal Operations. In diesem Zusammenhang ist es wichtig,
dass jedes Mitglied seine eigene spezifische Sichtweise auf die Dinge diskutieren

6Vgl. Schwartz (2011, S. 263).


128 R.P. Falta

Abb. 10.2  Die drei Dimensionen der Visionsanalyse. (Quelle: QUADRAGON Management


LLC)

und einbringen kann (die Einteilung in richtig und falsch ist möglichst zu unterlas-
sen), um schließlich einen Konsens zu finden, dem alle Mitglieder in weiten Teilen
zustimmen können.

• Lehren aus der Vergangenheit ziehen: Die Vergangenheit der Rechtsabtei-


lung bildet eine gute Ausgangslage, um sich mit den gewachsenen Stärken und
Schwächen der Rechtsabteilung auseinanderzusetzen. Hierzu gehören quan-
titative Aussagen über die Anzahl durchgeführter Gerichtsfälle, verhandelter
Verträge, abgeschlossener Rechtsberatungen etc. wie auch die Auflistung von
Meilensteinen der Abteilungsgeschichte, zu erhaltenen Auszeichnungen, zu
bedeutenden Personalwechseln etc. Zudem sollten hier auch qualitative Ent-
wicklungsfragen diskutiert werden: In welchen Bereichen (Dienstleistungs-
angebot, Leistungserbringung, Interaktionsqualitäten etc.) wurden wir von
unseren internen und externen Interaktionspartnern in der Vergangenheit beson-
ders geschätzt? Wo waren wir bisher wenig profiliert und wo befanden sich
indifferente Bereiche? Wo lagen bisher unsere Schwächen und wie haben wir
diese verbessert?
• Die Gegenwart analysieren: Nun folgt die Sammlung und Diskussion aktu-
ell bereits bestehender Visions-, Richtlinien- und Strategieaussagen zu Ihrer
Rechtsabteilung. Egal, ob diese Informationen vom Aufsichtsrat, der Geschäfts-
leitung oder anderen internen oder externen Interaktionspartnern stammen.
Unerheblich ist auch, ob solche Informationen schriftlich fixiert daherkommen
(wie zum Beispiel vordefinierte Strategievorgaben der Geschäftsleitung) oder
nur mündlich respektive implizit in Erfahrung gebracht werden können (zum
10 Vision und Guidelines in Legal Operations 129

Beispiel Aussagen eines Aufsichtsrats darüber, welche Aufgaben die Rechtsab-


teilung seiner Meinung nach in Zukunft durchführen sollte).
Ein weiterer Punkt in der Gegenwartsanalyse ist die kritische Auseinanderset-
zung mit der gesamtunternehmerischen Vision. Für den General Counsel und
die anderen Mitarbeitenden einer Rechtsabteilung ist es wichtig, zu wissen, wo
man mit den Vorgaben des Unternehmens compliant ist und in welchen Berei-
chen man sich von diesen (bewusst) unterscheidet, aufgrund der Aufgabenstel-
lung ja geradezu unterscheiden muss. Versuchen Sie dabei so viele sinnvolle
Übereinstimmungen wie möglich auch in die Vision der Rechtsabteilung zu
integrieren, lassen Sie aber auch den bewussten „Reibungs- und Differenzie-
rungsprozess“ zu, der eine eigenständige Vision der Legal Operations erst mög-
lich macht.
• Die Zukunft analysieren: Auf Grundlage einer vertieften Auseinanderset-
zung mit der eigenen Vergangenheit und den visionsspezifischen Aspekten der
Gegenwart werden nun alle Themengebiete aufgelistet, die einen künftigen
Einfluss auf die Rechtsabteilung haben könnten (siehe dazu detailliert Kap. 30).
Da die Vision einer Rechtsabteilung der Kompass für deren zukünftiges Han-
deln darstellt, sollten pro aufgelistetes Themengebiet auch jeweils einige anti-
zipierende Aussagen über Faktoren getroffen werden, welche innerhalb des der
Vision zugrunde gelegten Zeitrahmens einen Einfluss auf die Weiterentwick-
lung der Legal Operations haben können. Dabei sind sämtliche Umweltsphären
in die Überlegungen miteinzubeziehen.

Nun sollte ein kleines Team (maximal zwei bis drei Personen) die key findings
der drei vorangegangenen Analysedimensionen und die zu diesen geführten Dis-
kussionen systematisch aggregieren und aufbereiten. Dies ist notwendig, da in der
Praxis verschiedene Themen oft gleichzeitig besprochen werden, die Beteiligten
in besonders hitzig geführten Diskussionen inhaltlich hin und her springen und
gleiche oder ähnliche Sachverhalte redundant (teilweise aus verschiedenen Pers-
pektiven) besprochen werden. Aus diesem Grund ist es empfehlenswert, während
der Diskussionsrunde – spätestens aber an ihrem Ende –, die wichtigsten Voten
und Endergebnisse schriftlich zu fixieren. Auf diese Weise können sie in der Folge
nur noch dem richtigen Kontext zugeordnet werden und bilden bereits die Grund-
lage für den Visionsvorentwurf. Dieser wird nun vom gesamten Legal Operations
Team noch einmal kritisch diskutiert und anschließend – sofern mehrheitsfähig
bereinigt – provisorisch im Team verabschiedet.

10.2.2.3 Einbezug interner Interaktionspartner


Im nächsten Schritt werden nun auch die internen Interaktionspartner miteinbezo-
gen: die Leiter oder ausgewählte Mitarbeitende anderer Fachabteilungen (Schnitt-
stellenpartner; siehe dazu auch Kap. 17), einzelne Mitglieder der Geschäftsleitung
(siehe dazu auch Kap. 16) und des Aufsichtsrats (siehe dazu auch Kap. 15). Die
Auswahl sollte mindestens fünf bis zehn Personen umfassen, die sich in der Ver-
gangenheit intensiv mit den Legal Operations auseinandergesetzt haben oder
häufig mit der Rechtsabteilung interagieren. Dadurch können „blinde Flecken“
130 R.P. Falta

aufgedeckt werden. Zudem zeigt sich, ob die Vision auch von außen als angemes-
sen und in line mit den gesamtunternehmerischen Vorgaben angesehen wird. Die
Analyseergebnisse und Hypothesen über künftige Entwicklungen erhalten auf
diese Weise ebenfalls nochmals eine kritische Überprüfung. Schließlich werden
auch Einschätzungen über den richtigen Zeitpunkt hinsichtlich der Einführung der
Legal Operations Vision ausgetauscht. Letzten Endes sendet der Einbezug wich-
tiger unternehmensinterner Interaktionspartner ein sehr wichtiges Signal in die
eigene Organisation.

10.2.2.4 Erstellung der finalen Legal Operations Vision


Nun kann die finale Legal Operations Vision schriftlich erstellt werden. Diese
sollte alle maßgeblichen Aussagen über die zukünftige Gestaltung, dabei jedoch
nicht mehr als 15–20 spezifische Inhaltspunkte, enthalten. In einem ersten Schritt
empfiehlt es sich deshalb, alle wichtigen Visionsaussagen aufzuführen und, sofern
die Inhaltszahl höher liegt, ähnliche Punkte sinnvoll miteinander zu verschmelzen.
Der gesamte Zeitaufwand für die Legal Operations-Visionserstellung sollte nicht
unterschätzt werden. Die Praxis zeigt, dass vom Entscheid, eine eigenständige
Vision zu entwickeln, bis zum definitiven Visionsdokument mit einem Zeithori-
zont von vier bis acht Monaten zu rechnen ist.

10.3 Die Legal Operations Guidelines

Die langfristigen Ziele der Legal Operations Vision können nur dann ihre Vorteile
entfalten, wenn sie institutionalisiert und im Abteilungsalltag umgesetzt werden.
Um dies zu erreichen, muss ein weiteres identity change tool hinzutreten, die
sogenannten „Legal Operations Guidelines“.7 Mit ihnen wird die Verfassung der
Legal Operations (die allgemeinen Grundsätze) niedergeschrieben. Mithin enthal-
ten die Guidelines orientierungsgebende, grenzziehende und richtungsweisende
Vorgaben für die Konkretisierung der Visionsziele. Ihre Erstellung sollte daher
unmittelbar im Anschluss an die Visionsentwicklung in Angriff genommen wer-
den, um die inhaltliche Kontinuität zu gewährleisten.

10.3.1 Die Vorteile von Legal Operations Guidelines

Indem die Guidelines ein generelles (und daher „ewiges“8) System von Leitmaxi-
men vorgeben, welche aufs engste mit der Legal Operations Vision verknüpft sind,
geben sie den „Korridor“ vor, auf dem die langfristigen Ziele der Legal Operations

7Oft wird von Guidelines im Kontext des Gesamtunternehmens auch von „Unternehmensverfas-
sung“ oder „Mission“ gesprochen. „Mission Statement“ oder „Leitlinien“ bedeuten in diesem
Zusammenhang schriftlich fixierte und etwas umfassender ausgestaltete Guidelines.
8„Visionen tragen also ihr Verfalldatum mit sich, Missionen hingegen nicht.“ Müller-Stewens,

Lechner (2005, S. 236).


10 Vision und Guidelines in Legal Operations 131

erreicht werden sollen. Ihr Vorteil liegt aber nicht nur in der generellen Orientie-
rungsfunktion, sondern vor allem auch in ihrer Verbindlichkeit – insbesondere in
Konfliktsituationen: Als konkrete Orientierungshilfe ermöglichen sie den Mitglie-
dern des Legal Teams genau zu unterscheiden, was im Kontext der Zielerreichung
erwünscht und was unerwünscht ist. Darüber hinaus geben sie Auskunft, welche
expliziten und impliziten Sanktionen bei Zuwiderhandlungen zur Anwendung
kommen. Daneben kommt ihnen auch eine sinnstiftende Wirkung zu: Sie geben
Antwort auf die Frage nach der Bedeutung sowie dem Nutzen der Rechtsabteilung
für das Unternehmen, für die Mitglieder des Legal Teams und für sämtliche Inter-
aktionspartner. Dabei sind die Guidelines nicht mit der Strategie der Legal Opera-
tions oder den „Legal Operations Leadership Principles“ (siehe dazu auch
Kap. 11) zu verwechseln.

10.3.2 Echten Nutzen stiften nur individuell entwickelte


Guidelines

In der Praxis hört man von General Counsels immer wieder, dass sie ihre Legal
Operations nicht weiter entwickeln können, dass ihr Team nur „Dienst nach Vor-
schrift“ leiste oder dass es besonders schwierig sei, sich positiv innerhalb des
Unternehmens zu profilieren. Solche Klagen beruhen auf vielerlei Gründen, doch
ist deren Grundlage oft dieselbe: Entweder existieren weder Vision noch Guide-
lines – und die Grundlagen der Rechtsabteilung basieren ausschließlich auf der
Strategiefestlegung (oft wird nicht einmal diese professionell durchgeführt) – oder
die beiden Instrumente existieren zwar, sind aber nie wirklich Teil des beruflichen
Alltags geworden und wurden vergessen. Solange Legal Operations Guidelines
nicht zu 100 % vom General Counsel und seinen Mitarbeitenden stammen, wer-
den diese das ihnen innewohnende Potenzial nicht entfalten können. Sie werden
stets als Fremdkörper wahrgenommen. Übernehmen Sie daher in keinem Fall
irgendwelche Leitlinien aus dem Internet oder von Kollegen aus anderen Unter-
nehmen, sondern verwenden Sie ausschließlich genuine und – nach den nachfol-
genden Vorgaben – im Team diskutierte Inhalte. Natürlich ist es nicht verboten,
sich auch bei anderen General Counsels Ideen und thematische Anregungen zu
holen, solange diese kritisch hinterfragt werden. Nicht zuletzt entstehen aus sol-
chen Diskussionen wiederum neue Ideen und individuelle Inhalte für die maßge-
schneiderten Guidelines Ihrer Rechtsabteilung.

10.3.3 Eigene Legal Operations Guidelines entwickeln

10.3.3.1 Kick-off Meeting und Reflexionszeit


Wie bei der Visionsentwicklung stehen auch bei der Erstellung von Legal Opera-
tions Guidelines Reflexion und Diskussion an erster Stelle. In der Praxis hat sich
132 R.P. Falta

bewährt, jedem Teammitglied während des kick-off meeting9 einen „Guide-


line-Themenbogen“ abzugeben, mit dem es sich im Zeitraum von zwei Monaten
auseinandersetzen sollte. Ein solcher Themenbogen enthält die aus der Vision
abgeleiteten wichtigen Regelungsbereiche, die nun mit konkreten und umsetzba-
ren Regelungsinhalten, Wünschen oder Anregungen versehen werden. Regelmäßig
dürften im Themenbogen – neben anderem – die nachfolgenden Regelungsberei-
che abgebildet sein:

• Einbettung der Legal Operations in die Gesellschaft: Hierzu gehört die


generelle Einstellung Ihrer Rechtsabteilung zu Begriffen wie „Recht und
Gerechtigkeit“, zum Justiz- und Politsystem, zur Marktwirtschaft sowie zu
diversen anderen gesellschaftlichen und rechtlichen Themen am Standort Ihres
Unternehmens, aber auch in allen von Ihrem Unternehmen bedienten Märkten.
• Einbettung der Legal Operations ins Unternehmen: Themen wie Chancen
und Risiken, Konkurrenz, Gewinne, Wettbewerb und die Rolle, welche die
Rechtfunktion in der betrieblichen Realität spielt, sind hier anzubringen. Was
möchte die Rechtsabteilung zu den gesamtunternehmerischen Vorgaben beitra-
gen? Wo steht sie diesen entgegen? Es ist wichtig zu wissen, wo man in line ist
mit den Vorgaben des eigenen Unternehmens und wo man explizit gegen diese
sein sollte. Zum Beispiel ist nicht jegliches commercial risk taking opportun,
wenn dabei zwar kurzfristig große Gewinne winken, die Gesamtorganisation
aber mittel- bis langfristig elementare Risiken auf sich nimmt. Sofern Sie kei-
nen genau geeichten Kompass in der Form von Guidelines dafür haben, wel-
ches Risiko Ihre Rechtsabteilung jeweils zu tragen bereit ist, kann jede einzelne
Transaktion einen Hort von Ineffizienz und situativ-uneinheitlichen Entschei-
den darstellen. Mithin kann weder gegen innen noch gegen außen Identität ent-
stehen.
• Verhältnis der Legal Operations zu Interaktionspartnern: Welche Interakti-
onspartner sind wirklich wichtig für Ihre Rechtsabteilung, welche nicht (intern
und extern)? Mit welchen Leistungen stehen Sie diesen konkret gegenüber?
Wie möchten Sie mit ihnen umgehen? Wie möchten Sie und Ihre Mitarbeitende
bei diesen wahrgenommen werden? Wie stehen Sie Ihren Interaktionspartnern
in Ihrer sozialen Verantwortung als Jurist gegenüber?

9Das kick-off meeting für die Guidelines-Erstellung stellt einen wichtigen Meilenstein dar.
Solange Sie mit Ihren Mitarbeitenden zusammen die Legal Operations Vision entwickelt haben,
war die Beschäftigung mit dem Thema Identität sicherlich interessant, aber noch reichlich abs-
trakt. Aufgrund der konkreten Inhalte der Legal Operations Guidelines wird sich nun aber jeder
Mitarbeitende mit der Identitätsthematik auf einer emotional bedeutend fassbareren Ebene aus-
einandersetzen können. Das kick-off meeting dient daher einerseits als äußeres Zeichen, dass es
Ihnen als General Counsel mit der konkreten Umsetzung der Identitätsthematik ernst ist. Ande-
rerseits werden die Teammitglieder über das Projekt und seine unterschiedlichen Phasen orien-
tiert, es werden Fragen beantwortet und das ganze Legal Team für die Entwicklung der eigenen
Legal Operations Guidelines begeistert.
10 Vision und Guidelines in Legal Operations 133

Zudem können in der Reflexionsphase bestehende gesamtunternehmerische Vorga-


ben aus Mission Statement oder anderen Unternehmensleitlinien einer kritischen
Prüfung unterzogen werden: Welche der dort verzeichneten Inhalte sind auch für
die Legal Operations relevant? Welche stehen im klaren Widerspruch zu den eige-
nen Ideen und Vorstellungen?

10.3.3.2 Dialektische Diskussion potenzieller Guidelines-Inhalte


Nach Ablauf der Reflexionsfrist werden alle Ideen, Anregungen und Wünsche
gesammelt. Die unterschiedlichen Gesichtspunkte, teilweise auch diametral gegen-
übergesetzte Meinungen, werden dann in einem dialektischen Prozess unter der
Leitung eines erfahrenen Moderators diskutiert. Nach Abschluss der Diskussion
aller Wortmeldungen entscheiden Sie mit Ihrem Team in corpore, welche Themen
weiterverfolgt und vertieft werden sollen und welche momentan nicht so wichtig
sind. Vergessen Sie in diesem Prozessschritt nicht, die potenziellen Inhalte der
Guidelines immer wieder mit den übergeordneten Visionszielen zu vergleichen
und sich auf diese auszurichten. Falls im Diskurs über die Guidelines weitere
wichtige Themen auftauchen, die in der Gestaltung der Vision vergessen wurden,
können diese nachbereitet werden. Dadurch dient die Auseinandersetzung mit den
Guidelines auch als „Redundanzgefäß“, um die Legal Operations Vision zu kont-
rollieren und auf ihre Aktualität zu prüfen.

10.3.3.3 Die Legal Operations Guidelines erstellen


Bei der Entwicklung der Legal Operations Guidelines sollten Sie Konflikte
bewusst zulassen. Schließlich geht es bei Legal Operations Guidelines ja gerade
darum, ein Instrument zu schaffen, das universell eingesetzt werden kann und
jeden Mitarbeitenden auf seine ganz bestimmte individuelle Art und Weise
anspricht. Versuchen Sie als General Counsel nicht, Ihre eigenen Wertvorstel-
lungen und Ideen durchdrücken zu wollen. Ein externer Moderator kann hier
vorbeugen. Schließlich geht es bei der Guidelines-Erstellung nicht um eine one
man-show, sondern einen kollektiven Akt der künftigen Identitätsausgestaltung.
Behalten Sie sich als Vorgesetzter stattdessen das „letzte Wort“ in der Diskussion
vor oder den Stichentscheid bei knappen Abstimmungsvoten, bleiben Sie sonst
aber in der Diskussion auf der gleichen Ebene wie Ihre Mitarbeitenden. Seien Sie
auch mutig, „Farbe zu bekennen“, formulieren Sie die Inhalte Ihrer Guidelines
konkret und aussagekräftig. Trauen Sie sich auch anzuecken und vermeiden Sie
dadurch eine unverbindliche Ansammlung allzu allgemeiner und daher nichtssa-
gender Inhalte.

10.4 Implementierung der Legal Operations Vision und


der Legal Operations Guidelines

Ob Vision und Guidelines von Mitarbeitenden übernommen und verinnerlicht wer-


den, hängt von zwei entscheidenden Faktoren ab: Einerseits müssen Mitarbeitende
ein mitbestimmender und mitgestaltender Teil in deren Entwicklung gewesen sein.
134 R.P. Falta

„Tell me and I’ll forget; show me and I may remember; involve me and I’ll under-
stand.“10 Aufoktroyierte Identitätsmaßnahmen, die keinen unmittelbaren Sinnbe-
zug zum Mitarbeitenden aufweisen, sind in der Regel zum Scheitern verurteilt.
Zudem müssen sie im Legal Team auch tatsächlich gelebt werden, nicht nur auf
dem Papier existieren. Daher sollten Sie als General Counsel mit gutem Beispiel
vorangehen und zum „personifizierten Träger“ der Werte aus der gemeinsam ver-
abschiedeten Vision und den Guidelines werden. Dies ist ein eminent wichtiger
Teil Ihrer Funktion als Vorgesetzter. Mitarbeitende orientieren sich an hierarchisch
übergeordneten Personen.11 Dadurch haben Vorgesetzte einen großen Einfluss dar-
auf, ob sich ihre Mitarbeitenden mit den Zielen und Werten der Abteilung identifi-
zieren. Als General Counsel dienen Sie somit auch als „Leuchtfeuer“, das den
Mitarbeitenden im geschäftigen Büroalltag – nur schon aufgrund Ihrer Präsenz –
regelmäßig die Inhalte der Vision und Guidelines ins Bewusstsein zurückruft.
Schließlich ist auch eine offene Kommunikation der Vision und der Guidelines
an alle wichtigen Interaktionspartner – allen voran an die Geschäftsleitung, aber
auch an die Leiter und Mitarbeitenden der nahestehenden Fachabteilungen – maß-
geblich für deren Erfolg mitverantwortlich. Da Identität nur zu einem Teil von
innen heraus entsteht, sondern auch von ihrer Außenwirkung abhängig ist, sollte
dieser einige Aufmerksamkeit gewidmet werden. Beziehen Sie daher die Mei-
nungsmacher und Multiplikatoren aus dem Unternehmen mit ein und lassen Sie
diese ihren Teil zur glaubwürdigen Identitätswahrnehmung Ihrer Rechtsabteilung
beisteuern.

Literatur
Bickmann R (1999) Chance: Identität – Impulse für das Management von Komplexität. Springer,
Heidelberg
Chiu P (2009) Looking beyond profit – small shareholders and the value imperative. Gower,
Farnham
Dahl JC, Plumb JC, Stewart I, Lundgren T (2009) The art & science of valuing in psychotherapy.
Hew Harbinger Publications, Oakland
Galinsky A, Schweitzer M (2015) Friend & foe – when to cooperate, when to compete, and how
to succeed at both. Random House Business Books, London
Müller-Stewens G, Lechner C (2005) Strategisches Management: Wie strategische Initiativen
zum Wandel führen, 3. Aufl. Schäffer-Poeschel, Stuttgart
Reiss S (2010) Das Reiss Profile™ – Die 16 Lebensmotive, 2. Aufl. Gabal, Offenbach
Schwartz T (2011) Be excellent at anything – the four keys to transforming the way we work and
live. Free Press, New York

10Bickmann (1999, S. 164).


11Vgl. Galinsky und Schweitzer (2015, S. 88 f.).
10 Vision und Guidelines in Legal Operations 135

Über den Autor


Roman P. Falta, lic.iur.HSG – Professional Services Management Leader QUADRAGON
MANAGEMENT LLC, Zürich
Studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen HSG. Daneben
hält er Weiterbildungsdiplome der Harvard University, des MIT und der UC Berkeley in Sozio­
anthropologie und Psychologie. Seine Berufskarriere begann er in einer führenden Strategie-
beratung, welcher Berufsstationen bei Gericht, in der Finanzverwaltung und einer namhaften
Anwaltskanzlei folgten. Anschliessend war er für diverse Bereiche in Corporate Legal und in der
Compliance eines Global Fortune 500-Unternehmens verantwortlich. Als Professional Services
Management Leader verantwortet er heute unter anderem den Bereich Legal Operations Optimi-
zation bei QUADRAGON MANAGEMENT. Er gilt als einer der renommiertesten Experten für
Professional Services Optimization und Elite Performance Development im deutschsprachigen
Raum.
Identity Leadership und Identity
Controlling in Legal Operations 11
Roman P. Falta

11.1 Einführende Überlegungen

Sind die Vision und die Guidelines der Legal Operations gemeinsam im Legal
Team erstellt und im Unternehmen an alle wichtigen Interaktionspartner kom-
muniziert worden, haben Sie zumindest einmal die Grundlage für eine positive
Identitätsgestaltung gelegt. Beide in Kap. 10 erläuterten Instrumente sind in ihrer
Wirkung allerdings eingeschränkt, sofern sie nicht durch weitere identity change
tools ergänzt werden. Vision und Guidelines sind zwar essenziell, aber nicht son-
derlich „alltagstauglich“, da nicht unmittelbar umsetzbar. Ihre Stärke liegt viel-
mehr darin, dass sie die großräumige Richtung vorgeben. Sie können daher immer
dann hervorgeholt werden, wenn es darum geht, einen Schritt zurückzutreten und
das große Ganze zu betrachten, um sicherzustellen, dass man immer noch in die
richtige Richtung vorangeht.
In diesem Kapitel werden zwei identity change tools aus der Beratungspraxis
von QUADRAGON Management erläutert, die einen unmittelbaren Einfluss auf
die konkrete Identitätsausgestaltung von Legal Operations haben. Ferner wird
gezeigt, wie Sie diese als General Counsel in Ihrem eigenen Programm zur Identi-
tätsbildung und -förderung einsetzen können. Wie in Abb. 11.1 dargestellt, handelt
es sich einerseits um die „Identity Leadership Principles“, welche eine Konkreti-
sierung von Vision und Guidelines hinsichtlich Führungs- und Interaktionsgrund-
sätzen im Legal Operations Team darstellen. Andererseits geht es um den „Identity
Controlling Cycle“, ein identitätsunterstützendes Monitoring- und Kontrollwerk-
zeug, dessen Einsatz unerlässlich für den Erfolg jeglicher identitätsstiftender
beziehungsweise identitätsverändernder Maßnahmen in den Legal Operations ist.

R.P. Falta (*)


Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC,
Zürich, Schweiz
E-Mail: falta@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 137


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_11
138 R.P. Falta

Abb. 11.1  Identity Leadership Principles und Identity Controlling Cycle. (Quelle: QUADRA-
GON Management LLC)

11.2 Identity Leadership

Führung heißt für einen General Counsel, sich vollumfänglich mit der eigenen
Führungs-, Fach-, Sach- und Sozialkompetenz in den Dienst der Legal Opera-
tions und seiner Mitarbeitenden zu stellen. Als Führungspersönlichkeit ist er
dafür verantwortlich, dass in seiner Abteilung bestmögliche Strukturen gebil-
det sowie Prozesse und Ressourcen optimal eingesetzt werden, um dadurch die
eigenen und die vorgegebenen Ziele der Rechtsabteilung innert Frist zu errei-
chen. Durch die Ergebnisverantwortung ist er auch diejenige Person, welche die
größten Einflussmöglichkeiten auf das „Arbeitsbiotop Rechtsabteilung“ ausüben
kann. Mithin fällt es auch in den Aufgabenbereich des General Counsel, die Iden-
tität der Legal Operations nicht einfach dem Zufall zu überlassen, sondern diese
aktiv zu gestalten.

11.2.1 Identity Leadership Principles

Um seiner Führungsverpflichtung im Rahmen eines identitätsfokussierten Lea-


derships nachzukommen, ist es für einen General Counsel entscheidend, sich
Klarheit über die eigenen Führungsgrundsätze und diejenigen Interaktionsre-
geln zu verschaffen, welche in seinem Team herrschen sollen. Hierbei kann er
sich auf die Grundlagen der bereits erarbeiteten Legal Operations Vision und der
Legal Operations Guidelines stützen. Diese geben bereits in vielen Punkten vor,
in welche Richtung die „Identity Leadership Principles“ gehen sollten. Es macht
11 Identity Leadership und Identity Controlling in Legal Operations 139

wenig Sinn, das Rad neu erfinden zu wollen, zumal das Legal Team in Vision
und Guidelines bereits in corpore zusammengetragen hat, welche Werte, Ziele,
Prinzipien und daraus abgeleitete Verhaltensregeln in den Legal Operations
erwünscht und welche unerwünscht sind. Sofern sich ein General Counsel an
jene Vorgaben hält, werden die von ihm erarbeiteten Führungs- und Interaktions-
grundsätze aufgrund der Vorarbeiten des gesamten Teams auch auf breite Akzep-
tanz stoßen. Identity Leadership Principles haben daher den großen Vorteil, dass
sie von Beginn an konsistent mit den gemeinsam vereinbarten Gestaltungsre-
geln der Rechtsabteilung sind und es dadurch nicht nur dem General Counsel
einfacher machen, seine Mitarbeitenden souverän zu führen, sondern auch den
Mitgliedern des Legal Teams die Spielregeln im Umgang zwischen ihnen klar
aufzeigen. Die Führungs- und Interaktionsgrundsätze dürfen daher nicht nur in
einem engen Rahmen als Top-down-Vorschriften verstanden werden. Sie gel-
ten in jedem Fall auch horizontal sowie bottom up. Schließlich ist es aber das
Vorrecht des General Counsel, völlig autonom die Legal Identity Leadership
Principles zusammenzustellen und diejenigen Inhalte auszuwählen, welche ihm
persönlich am meisten zusagen.

11.2.2 Vorteile und Wirkungen der Identity Leadership


Principles

Durch eine Institutionalisierung der Interaktionsregeln werden die gewünschten


Verhaltensweisen der Zusammenarbeit in der Rechtsabteilung festgeschrieben.
Die Identity Leadership Principles bilden dabei die „Keimzelle“, aus welcher mit
der Zeit eine echte Interaktionskultur erwächst, in der sich jeder Mitarbeitende
mit der Zeit heimisch fühlt. Ein weiterer Vorteil der Institutionalisierung durch
Niederschrift und deren allgemeinen Geltung liegt darin, dass implizite Verein-
barungen über die Zusammenarbeit zwischen dem General Counsel und seinen
Mitarbeitenden einerseits sowie zwischen einzelnen Mitarbeitenden andererseits
eindeutig sichtbar gemacht werden. Dadurch wird einer willkommenen Transpa-
renz Vorschub geleistet und „Statuskämpfe“ maßgeblich gemildert, da kompetitive
Mitarbeitende ihren Platz in der Sozialhierarchie der Legal Operations nicht mehr
laufend behaupten und mit teilweise negativen Folgen für die Teamidentität und
-leistungsfähigkeit verteidigen müssen. Klare Führungs- und Interaktionsgrund-
sätze sind somit ein wichtiger und konkreter Beitrag zu einer maßgeblich ange-
nehmeren Arbeitsatmosphäre in einer Rechtsabteilung.
Zudem ermöglichen die Principles auch hierarchisch tiefer stehenden Mitarbei-
tenden, sich vermehrt einzubringen, gar mit der Zeit ein für die Entwicklung der
Legal Operations besonders wichtiges bottom up management zu etablieren. Die
Transparenz von Führungs- und Interaktionsgrundsätzen führt auch dazu, dass die
Mitarbeitenden ihre Kollegen und den General Counsel nach normierten Interakti-
onsstandards beurteilen können. Dies ermöglicht ihnen, direkt und ohne Scheu vor
Repressalien auf Verfehlungen und Ungleichheiten im Legal Team hinzuweisen,
da ihnen eine Mustersammlung vorgegeben wird, nach welcher das Verhalten in
140 R.P. Falta

der Rechtsabteilung als (un-)erwünscht identifiziert werden kann. Da Identity Lea-


dership Principles nicht jeden Einzelfall regeln können, sondern eine Sammlung
von Leitlinien über die Ausgestaltung der Kooperation in den Legal Operations
darstellen, bleibt dem General Counsel und seinen Mitarbeitenden immer noch ein
genügend weiter und situativ anwendbarer Ermessensspielraum für ungewöhnli-
che Konstellationen erhalten. Mithin sind die Principles ein ausgezeichnetes Ins-
trument, um unerwünschte Konflikte (im Gegensatz zu erwünschten Konflikten;
siehe dazu auch Kap. 33) im zwischenmenschlichen Bereich maßgeblich zu redu-
zieren. Zugleich erleichtern sie neu eintretenden Teammitgliedern die Orientierung
und ermöglichen so deren rasche Integration in das bestehende Legal Team.
Identity Leadership Principles sind jedoch nicht einfach nur eine unverbindli-
che schönwettertaugliche Soll-Ordnung, sondern jeweils auch mit einem klaren
Du-Sollst-Imperativ ausgestattet. Dieser trägt nicht nur dazu bei, dass der Gene-
ral Counsel die Grundwerte der Führung (Integrität, Ehrlichkeit, Bescheiden-
heit, Wertschätzung, Respekt, Fairness und ein offenes Ohr für Probleme) stärker
umzusetzen sucht, sondern er bewirkt auch, dass die einzelnen Mitarbeitenden
durch die Principles verpflichtet werden, sich stets in compliance mit den Koope-
rationsvorgaben zu verhalten. Zum Beispiel können die Führungs- und Interakti-
onsgrundsätze enthalten, dass keine üble Nachrede im Team toleriert wird, dass es
nicht angeht, dem ganzen Team oder einzelnen Mitgliedern wichtige arbeitsrele-
vante Informationen vorzuenthalten oder dass ein subversiv-schädigendes Ver-
halten gegenüber anderen Teammitgliedern ein absolutes No-Go darstellt. Auch
Führungs- und Machtmissbrauch können so effektiv unterbunden werden, da
aus jedem Du-Sollst auch eine entsprechende Dafür-wirst-du-bestraft-Warnung
abgeleitet werden kann. Das Verhalten des General Counsel oder einzelner Mit-
arbeitender der Rechtsabteilung, welches der Vision, den Guidelines oder den Prin-
ciples zuwiderläuft – mithin die Identität der Legal Operations schädigt – muss,
um durchsetzbar zu bleiben, auch entsprechend sanktioniert werden können. Dabei
ermöglicht ein transparentes und für alle Mitarbeitenden gleich ausgestaltetes
Sanktionssystem, eine klare Grenzziehung im Bewusstsein eines jeden einzelnen
Mitarbeitenden zwischen Verhaltensweisen, welche erlaubt und welche uner-
wünscht sind.

11.3 Eigene Identity Leadership Principles entwickeln

Diese Flexibilität der autonomen Erstellung von Legal Identity Leadership


Principles ist wie bereits angedeutet nötig, da jeder General Counsel eine eigene
Führungshandschrift hat und diese auch in die Praxis umsetzen sollte: Der eine
möchte etwas mehr Kontrolle in die Legal Operations einbringen (vielleicht, weil
das Legal Team unter der Führung des Vorgängers zu chaotisch aufgestellt war
und daher unzuverlässig gearbeitet hat), ein anderer möchte in Zukunft hingegen
gerade die Selbstständigkeit und Kreativität der Mitarbeitenden vermehrt in den
Vordergrund stellen (vielleicht, weil er einen Führungsstil nach Maßgabe der
Teamentwicklungsmaßnahmen von Kap. 28 anstrebt).
11 Identity Leadership und Identity Controlling in Legal Operations 141

Abb. 11.2  Inhaltskategorien von Legal Operations Identity Leadership Principles. (Quelle:


QUADRAGON Management LLC)

Die Führungs- und Interaktionsvorgaben beinhalten, wie in Abb. 11.2 dargestellt,


aber nicht nur die individuell vom General Counsel gewählten „General Counsel
(GC) Leadership Principles“, sondern auch eine Reihe von anderen Regel­inhalten,
welche der General Counsel ebenfalls berücksichtigen sollte:

• Regeln zum Umgang miteinander (General Cooperation Principles):


Hierzu gehören grundsätzliche Inhalte, welche die Zusammenarbeit in den
Legal Operations betreffen. Es stellen sich folgende Fragen: Welche Verhal-
tensweisen stehen im gesamten Team im Vordergrund (team spirit, Loyalität,
Offenheit, Integrität, Haltungen wie no-one lost behind etc.)? Welche Verhal-
tensweisen sollen in den hierarchischen Beziehungen der Rechtsabteilung von
oben und von unten her gelten (zwischen General und Legal Counsel/Parale-
gals/Sekretariat, zwischen Legal Counsel und Paralegals/Sekretariat, zwischen
Paralegals und Sekretariat)? Welche sind in der horizontalen nicht-hierarchi-
schen Eins-zu-eins-Interaktion zwischen den Mitarbeitenden erwünscht (Ehr-
lichkeit, Hilfsbereitschaft, Einstehen-Füreinander, sofort Probleme ansprechen
etc.). Welche sollen im Umgang mit Außenstehenden, das heißt mit Interakti-
onspartnern im Unternehmen oder mit solchen außerhalb des Unternehmens
angewandt werden? Wie sollen Konflikte ausgetragen und gelöst werden?
• Regeln zur Förderung des einzelnen Mitarbeitenden (People Development
Principles): Diese umfassen Regelinhalte, welche sich mit dem in der Rechts-
abteilung gepflegten Menschenbild auseinandersetzen. Steht der einzelne Mit-
arbeitende bei uns wirklich im Mittelpunkt? Wenn ja, wie möchten wir dies
konkret umsetzen? Welche Verpflichtungen bestehen bezüglich Weiterbildungs-
und Entwicklungsmöglichkeiten (siehe dazu auch Kap. 42)? Wie gestalten wir
142 R.P. Falta

Beförderungs- und Gehaltsregelungen oder Mitwirkungs- und Teamentwick-


lungsmaßnahmen (siehe dazu auch Kap. 28)? Welche verbindlichen Vorgaben
gelten zur Förderung der Selbstständigkeit von Teammitgliedern sowie deren
Persönlichkeitsentwicklung respektive Selbstentfaltung in Richtung mehr Leis-
tungsfähigkeit und Zufriedenheit (siehe dazu auch Kap. 27)?
• Regeln zum Informationsaustausch (Information Exchange Principles):
Hierzu gehören sämtliche Vorgaben hinsichtlich der gewünschten Kommu-
nikationskultur innerhalb des Rechtsteams sowie gegenüber den internen und
externen Interaktionspartnern (siehe dazu detailliert Kap. 31). Dabei sollten die
Principles Stellung zur inhaltlichen Bedeutung und Gewichtung des Informati-
onsaustausches beziehen und Aussagen darüber treffen, in welcher Form Kom-
munikation stattzufinden habe: Wie gehen wir grundsätzlich mit Informationen
um? Wie teilen wir Informationen und Wissen innerhalb der Rechtsabteilung
(siehe dazu detailliert Kap. 44)? Was soll hinsichtlich des Informationsaus-
tauschs gegenüber Interaktionspartnern gelten? Was genau gilt als „rechtzeitig“,
was als „umfassend“ informieren? Welche Regeln gelten in der elektronischen
Kommunikation (müssen immer ein Dutzend Leute ins CC genommen wer-
den etc.)? Was gilt hinsichtlich „toter Kommunikationszeiten“ (telefonische
Erreichbarkeit nach Feierabend, im Urlaub)?
• Regeln zur Arbeitsorganisation (Team Work Plan Principles): In diesen
Bereich gehört die Definition von Entscheidungsbefugnissen einzelner Kader-
positionen der Legal Operations (Zeichnungs- und Führungsberechtigung von
Senior Legal Counsels, Senior Paralegals etc.), aber auch zur allgemeinen
Delegationskompetenz innerhalb des Legal Teams: Wer darf was an wen dele-
gieren? Wer darf wen zu welchen Arbeiten hinzuziehen? Welche Notfallpläne
existieren bei Personalmangel und Personalausfall? Weiter können hier Rege-
lungen zur Partizipation in rechtsabteilungsinternen respektive in abteilungs-
übergreifenden Entscheidprozessen (in Arbeitsgemeinschaften, Projektgruppen,
Kooperationen des Schnittstellenmanagement etc.) festgehalten werden. Zudem
sollten auch Stellvertretungsregelungen nicht fehlen. Mithin können so auch
gewollte Redundanzen transparent gemacht und institutionalisiert werden: Wer
ist wessen backup? Wie weit geht die backup-Funktion bezüglich Entscheid-
befugnissen? Welche Arbeiten oder Aufgaben haben im backup-Fall Vorrang
(meine oder die des anderen)? Sodann gehören hierzu Regelungen zu den man-
nigfaltigen Dimensionen des Time Management (siehe dazu detailliert Kap. 45)
sowie der generellen Arbeitsplatzorganisation (siehe dazu detailliert Kap. 43) in
der Rechtsabteilung.

Einige der vorgenannten Bereiche mögen bereits im Personalreglement oder in


einschlägigen Policies in Ihrem Unternehmen enthalten oder bereits durch die
Guidelines genügend deutlich umrissen sein, dann lassen Sie diese bewusst weg.
Ihre Identity Leadership Principles müssen nicht alle vorgenannten Inhalte detail-
liert aufweisen. Beginnen Sie zuerst einmal mit der Erstellung Ihrer individuellen
Führungsgrundsätze (GC Leadership Principles), danach können Sie sich einen
Regelungsbereich nach dem anderen vornehmen; sobald ein Bereich umfassend
11 Identity Leadership und Identity Controlling in Legal Operations 143

geregelt ist, kommt der nächste dran. Oder, Sie legen die allerwichtigsten Vorga-
ben in allen fünf Regelungsbereichen sofort fest und ergänzen diese mit der Zeit
sukzessive aufgrund Ihrer gemachten Erfahrungen mit Interaktionskonflikten. Ich
empfehle Ihnen das zweite Vorgehen. In unserer Beratungspraxis hat sich dieses
als zielführender und praktikabler erwiesen, da die von uns beratenen General
Counsels in der Regel keine Zeit hatten, sich mehrere Tage lang ausschließlich
mit der Niederschrift von Interaktionsgrundsätzen zu beschäftigen. Zudem treffen
General Counsels im Abteilungsalltag, sofern erst einmal für diesen Aspekt der
Identitätsarbeit sensibilisiert, von alleine immer wieder auf neue Regelungsberei-
che oder auf bereits niedergeschriebene Regeln, die jedoch einer weiteren Präzi-
sierung bedürfen.
Lassen Sie sich bei der inhaltlichen Formulierung wie bereits angesprochen von
den Richtungsvorgaben von Vision und Guidelines inspirieren und widerstehen
Sie der Versuchung, wohlklingende aber nichtssagende Inhalte mit aufzunehmen.
Bleiben Sie konkret und versehen Sie die wichtigen Muss-Vorschriften mit
genügend intensiven, aber für alle Teammitglieder immer fair bleibenden
Sanktionsbestimmungen. Verstehen Sie die Erstellung der Identity Leadership
Principles als iterativen Prozess, der wohl nie wirklich abgeschlossen sein wird,
zumal sich die Regelungsinhalte mit der Zeit immer wieder verändern und sich der
Teamdynamik anpassen müssen. Neue Inhalte werden hinzukommen, bestehende
wiederum gelöscht werden. Schließlich geht es hierbei um eine identitätsstiftende
Maßnahme: Allzu rigide und ausführlich sollte das Regelwerk auf keinen Fall
werden, Sie können und wollen in der Regel nicht alles niederschreiben. Das
Regelwerk sollte aber dennoch ein Mindestmaß an Vorgaben enthalten, die für
Sie und Ihre Mannschaft wichtig sind, um sich die gemeinsame und individuelle
Arbeit zu erleichtern, die Interaktion im Inneren und gegen außen zu verbessern,
die Arbeitsatmosphäre (wenn nötig) zu heben sowie echte Transparenz, Stabilität
und langfristige Verlässlichkeit in den Legal Operations zu schaffen.

11.4 Modernes Controlling als identitätsunterstützendes


Hilfsmittel

Der Begriff „Controlling“ wird wohl von den wenigsten Unternehmensjuristen mit
einer identitätsstiftenden Maßnahme in Verbindung gebracht. Vielmehr wird dar-
unter oft genau das Gegenteil verstanden: Eine ausschließlich auf harten Zahlen
und Fakten basierende Führung des Gesamtunternehmens. Dadurch ist Controlling
in erster Linie eine unternehmensweite Angelegenheit des CFO und des Corporate
Controllings; betrifft die Rechtsabteilung vermeintlich nur am Rande. Dennoch
beschlägt die kennzahlenbasierte Unternehmensführung durch Corporate Control­
ling die Legal Operations mit spezifischen reporting duties und im Idealfall mit
einem sinnvollen Einbezug in die Errungenschaften einer optimal umgesetzten
Balanced Scorecard-Systematik (siehe dazu detailliert Kap. 40), welche bereits die
Bereiche Corporate Identity und Operations Identity mitumfasst.
144 R.P. Falta

Moderne Corporate Controlling-Modelle sehen daher immer mehr von einer


ausschließlich vergangenheitsorientierten Erhebung finanzwirtschaftlicher Kenn-
zahlen ab und gehen in Richtung eines progressiveren Verständnisses von Unter-
nehmenslenkung.1 Zumal sich auch in eher technokratisch geführten Unternehmen
in den letzten zwanzig Jahren herumgesprochen haben dürfte, dass das Kurzfrist-
denken in Quartalsergebnissen die Potenziale lähmt, welche in einer Organisation
und vor allem in den Mitarbeitenden schlummern. Natürlich trüben Investitionen,
egal ob beispielsweise in neue Märkte, in die innovative Produktentwicklung, in
den Aufbau von Knowledge Management-Infrastrukturen oder in die Weiterent-
wicklung von Mitarbeitenden, die kurzfristigen Gewinnerwartungen. Gerade sol-
che Gründungs- und Erweiterungsinvestitionen sind aber dafür verantwortlich,
dass das Unternehmen mittel- bis langfristig überlebt und prosperiert. Daher wer-
den durch heutige Investitionen die Grundlagen für Wettbewerbs- und komparative
Kostenvorteile von morgen geschaffen. Ein modernes Corporate Controlling zieht
daher künftige Entwicklungstendenzen und qualitative Unternehmensdimensionen
in seinen Betrachtungshorizont mit ein.
Die Aufgaben des Corporate Controlling können daher wie folgt zusammenge-
fasst werden:2

• Koordination der Prozesse und Stellen innerhalb des Führungssystems und


Abstimmung der Ziele der einzelnen Teilsysteme auf die Unternehmensziele.
• Information der Unternehmensführung über den Geschäftsverlauf, seine Ent-
wicklungstendenzen und Abweichungen von den Plänen sowie Versorgung von
Entscheidungsträgern mit den für sie relevanten Informationen.
• Unterstützung der Unternehmensführung bei der Unternehmensentwicklung
und bei der Definition operativer Ziele sowie Koordination der gesamten Pla-
nungsabläufe.
• Betriebswirtschaftliche Beratung der Unternehmensführung und Vorbereitung
von Managemententscheiden.

11.5 Der Identity Controlling Cycle für die Legal


Operations

An die vorgenannten Aufgabengebiete (Koordination, Information, Planung und


Beratung) lehnt sich auch das Identity Controlling der Legal Operations an. Aller-
dings gibt es in der Rechtsabteilung – mit Ausnahme in ganz großen Rechtsorga-
nisationen globaler Konzerne – keine eigene Stabsstelle, welche sich vollzeitlich
mit Identity Controlling beschäftigen könnte. Vielmehr muss im hektischen Tages-
geschäft der Legal Operations ein Instrumentarium eingesetzt werden können,

1Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 403 f.).


2Hugentobler et al. (2012, S. 396).
11 Identity Leadership und Identity Controlling in Legal Operations 145

Abb. 11.3  Legal Operations Identity Controlling (LOIC)-Kreislauf. (Quelle: QUADRAGON


Management LLC)

­ elches einerseits die Vorteile des großen Bruders „Corporate Controlling“ auf die
w
Zielsetzungen der Identitätsentwicklung von Rechtsabteilungen im Unternehmen
unterstützt und anderseits möglichst universell und einfach angewandt werden
kann.
Aus diesem Grunde haben wir bei QUADRAGON Management den sogenann-
ten „Legal Operations Identity Controlling (LOIC) Cycle“ entwickelt. Er basiert
vereinfacht gesagt auf einem simplen Soll-Ist-Zustandsvergleichsregelkreislauf.
Dies macht ihn zum idealen Monitoring- und Kontrolltool für General Counsels.
Er ist logisch aufgebaut und sehr einfach anzuwenden, da er aus immer den glei-
chen acht Prozessschritten besteht. Hierbei werden, wie in Abb. 11.3 dargestellt,
Ist- und Soll-Informationen aufgenommen und verglichen (Phasen 1 bis 3).
Die Ergebnisse daraus werden in realistischen Szenarien evaluiert/validiert
(Phase 4) und wiederum als Basis für sinnvolles und zielgerichtetes künftiges
Handeln genommen (Phase 5). Die künftigen Maßnahmen und Aktionen müs-
sen sodann sorgfältig geplant, umgesetzt und wiederum stetig kontrolliert werden
(Phasen 6 bis 8).

Beispiel: „Globaler Identitätsstatus einer Rechtsabteilung“


Da Identität auf einer Übereinstimmung von Selbst- und Fremdbild basiert,
wird der Monitoring- und Kontrollkreislauf mit einer Istanalyse sowohl des
aktuellen Selbst-, wie auch des Fremdbildes einer Rechtsabteilung initiiert
(sogenannte „Statusanalysen“). Hierzu haben sich in der Praxis einige Erhe-
bungsmethoden als besonders geeignet erwiesen:
146 R.P. Falta

• Performance Counseling Meetings: Die (halb-)jährlichen Standortgesprä-


che bilden eine ausgezeichnete Grundlage, um die Befindlichkeiten der Mit-
arbeitenden in Erfahrung zu bringen und auch spezifische Informationen bei
jedem Teammitglied individuell zu erfragen (siehe dazu detailliert Kap. 28).
• 360°-Befragungen: Erhebung identitätsrelevanter Informationen bei inter-
nen und externen Interaktionspartnern der Rechtsabteilung. Diese können
entweder in Form von (elektronischen) Fragebögen (gut zur Informations-
sammlung bei externen Anwälten, Beratern und Kollegen im Betrieb) oder
in direkten Gesprächen beispielsweise zwischen General Counsel und
Fachabteilungsleitern sowie Geschäftsleitungs- oder Aufsichtsratsmitglie-
dern im Rahmen von Business Lunches, Kamingesprächen, strategy retreats
etc. durchgeführt werden.
• HR-Lifecycle-Interviews: Die Wahrnehmung der Legal Operations Iden-
tity künftiger, aktueller und austretender Mitglieder des Legal Teams wer-
den konsequent und institutionalisiert während des gesamten HR-Lifecycle
(sowohl während des Bewerbungsprozesses, bei Stellenantritt, nach Ablauf
der Probezeit, im Laufe der gesamten Beschäftigungsdauer (regelmäßig)
und auch beim Austritt) aufgenommen und ausgewertet.
• HR-Audits (durch externe Spezialisten): Externe HR-Spezialisten führen
regelmäßig (alle ein bis zwei Jahre) spezifische identitätsfokussierte HR-Au-
dits durch. In diesen werden sowohl der General Counsel als auch andere in
der Auswahl rotierende Mitglieder des Legal Teams sehr intensiv nach deren
Identitätswahrnehmungen, dem Identifikationsgrad, Interaktionsmustern, der
Konsistenz von Normen und Regularien, Leistungs- und Lernorientierung
etc. befragt.

Dabei können grundsätzlich jegliche identitätsrelevante Informationen abge-


fragt werden, welche auf den themenspezifischen Vorgaben der identity change
tools beruhen. In der Praxis macht vor allem der Beizug thematischer Identi-
tätsinhalte der Identity Leadership Principles, des Identity Marketing und des
Identity Design (siehe dazu auch Kap. 12) Sinn. Die Identitätsausprägungen der
Legal Operations Vision und der Guidelines (siehe dazu auch Kap. 10) sind in
der Regel zu abstrakt, um als genügend konkrete und kurzfristige Vergleichs-
parameter für unmittelbares Handeln zu genügen. Möchten Sie jedoch eine
Statusanalyse mittel- bis langfristiger oder ewiger Ziele machen, eigenen sich
Vision und Guidelines hingegen ausgezeichnet.
Danach wird der anzustrebende Sollzustand ermittelt, welcher auf den glei-
chen Parametern beruhen muss, wie zuvor bei den Statusanalysen angewandt.
Ergeben sich aus dem Vergleich von Ist und Soll Differenzen (diese können
in einem Identity Status Profile illustrativ abgebildet werden), sind diese ent-
sprechend zu evaluieren und zu validieren. Auf deren Grundlage können
nun Aussagen darüber abgeleitet werden, welche identity gaps für die nahe
Zukunft besonders wichtig sind. Zudem können Maßnahmen eruiert wer-
den, welche die bestehenden identity gaps schließen sollen/können. Die in
einem brainstorming zusammengetragenen Varianten werden inhaltlich genau
11 Identity Leadership und Identity Controlling in Legal Operations 147

auf ihre Eignung geprüft. Aus den besten Vorschlägen wird nun eine finale
Options-Auswahl getroffen.
In der nachfolgenden Planungsphase werden die gewonnenen Erkenntnisse
in einen Entwicklungsplan (identity development road map) eingetragen und
mit SMARTIES-Zielen sowie einer Meilensteinplanung versehen. An diesen
soll später der individuelle Fortschritt der einzelnen – zur Schließung der iden-
tity gaps eingesetzter – Maßnahmen und Aktionen der identity change tools
gemessen werden. Die Prüfung an den zuvor definierten Zielgrößen ermöglicht
im Anschluss den Start eines neuen Durchlaufs durch den Legal Operations
Identity Controlling Cycle. Dadurch kann dieses Werkzeug den General Coun-
sel maßgeblich dabei unterstützen, die Identitätsgestaltung und -verankerung
der Legal Operations immer weiter und nuancierter zu verbessern.

11.6 Der Nutzen von Identity Controlling

Der gesamte LOIC-Prozess sensibilisiert die Mitarbeitenden durch deren Einbe-


zug, indem er ihnen durch die Statusanalysen implizit aufzeigt, welche identitäts-
relevanten Bereiche in den Legal Operations als wichtig empfunden werden und in
welche Richtung sich die Abteilung noch weiterzuentwickeln hat. Zudem lässt die
Gegenüberstellung zwischen Soll- und Istzustand sowie zwischen interner und
externer Sichtweise Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennen, welche vorher
durch die sogenannte objectivity bias3 möglicherweise unentdeckt geblieben sind
(siehe dazu detailliert Kap. 31); mithin werden Sein und Schein, Traum und Wirk-
lichkeit in Bezug auf die Herausbildung der erwünschten Identitätsmerkmale deut-
lich sichtbar. Aus diesen Überlegungen folgt, dass Identity Controlling im
eigentlichen Sinne kein direkt identitätsstiftendes Instrument ist – im Gegensatz zu
den anderen sieben identity change tools. Es ist vielmehr ein „identitätsunterstüt-
zendes“ Monitoring- und Kontrollwerkzeug, ohne das die anderen nicht sinnvoll
und zielführend eingesetzt werden könnten. Zumal jegliche „gewillkürte“ identi-
tätsformende Aktion eines sinnvollen Kontrollprozesses bedarf, der akkurate Infor-
mationen darüber liefert, ob man immer noch auf dem eingeschlagenen Weg ist
beziehungsweise wie weit das Ziel noch entfernt ist.
Damit das Identity Controlling seinen Beitrag zur Identitätsstiftung in einer
Rechtsabteilung optimal entfalten kann, sollte ein „Identity Controlling-Meeting“
mindestens vierteljährlich stattfinden. An diesem treffen sich der General Counsel
und jeweils ein bis zwei Vertreter (je nach Größe der Legal Operations) der ver-
schiedenen Mitarbeiterpools (Legal Counsels, Paralegals, Sekretariat, Volontäre/
Praktikanten etc.), um gemeinsam die Ergebnisse aus den Statusanalysen und dem
Ist-Soll-Vergleich zu diskutieren. Dabei kann jeder Vertreter die Sichtweise der

3Vgl. die für psychologische Laien ausgezeichnet aufbereiteten Erklärungen zur objectivity bias
und zum naïve realism, welcher die menschliche Wahrnehmung maßgeblich beeinflusst und zu
eklatanten Fehlurteilen führen kann (Gilovich und Ross 2016, S. 13–41).
148 R.P. Falta

von ihm repräsentierten Gruppe einbringen und gemeinsam mit den anderen an
Evaluationen/Validierungen, Aktionsplänen etc. zusammenarbeiten. Dadurch wird
einerseits ein starkes Signal an alle Mitarbeitende der Legal Operations gesen-
det: „Die Identität der Legal Operations und das Wohlergehen jedes Einzelnen ist
uns wichtig!“ Andererseits erlebe ich in der Praxis oft, dass durch die Ergebnisse
der gemeinsamen brainstorming-Phasen immer wieder erstaunliche Durchbrü-
che – für bis anhin festgefahrene oder (teilweise scheinbar) unlösbare Probleme
– ermöglicht werden. Dies führt bei den involvierten Mitarbeitenden insgesamt zu
einem ausgeprägteren Wir-Gefühl; mithin zu einer Festigung der Gruppenzugehö-
rigkeit, der Wertschätzung und der sinnstiftenden Gewissheit, ein mitbestimmen-
der, „gehörter“ und daher inklusiver Teil eines inspiring place to work zu sein. Aus
diesem Grunde ist es auch sinnvoll, dass sich die Mitarbeiterpool-Vertreter regel-
mäßig abwechseln, damit jedes Mitglied des Legal Teams in den Genuss dieser
identitätsstiftenden Meetings kommt.
Schließlich ist der Legal Operations Identity Controlling Cycle nicht nur auf
das Monitoring und die Kontrolle der globalen Legal Operations Identity-Sach-
verhalte anwendbar. Vielmehr kann dieses Instrument auch für die Messung und
Beobachtung einzelner Maßnahmenumsetzungen innerhalb der anderen identity
change tools genutzt werden, stellt es doch einen generellen Controlling-Kreislauf
zur Verfügung, der auch auf andere Lebenssachverhalte angewendet werden kann
(siehe dazu detailliert Kap. 30).

Literatur
Gilovich T, Ross L (2016) The wisest one in the room – how to harness psychology’s most pow-
erful insights. Oneworld Publications, London
Hugentobler W, Schaufelbühl K, Blattner M (Hrsg) (2012) Integrale Betriebswirtschaftslehre, 4.
Aufl. Orell Füssli, Zürich

Über den Autor


Roman P. Falta, lic.iur.HSG – Professional Services Management Leader QUADRAGON
MANAGEMENT LLC, Zürich
Studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen HSG. Daneben
hält er Weiterbildungsdiplome der Harvard University, des MIT und der UC Berkeley in Sozio­
anthropologie und Psychologie. Seine Berufskarriere begann er in einer führenden Strategie-
beratung, welcher Berufsstationen bei Gericht, in der Finanzverwaltung und einer namhaften
Anwaltskanzlei folgten. Anschliessend war er für diverse Bereiche in Corporate Legal und in der
Compliance eines Global Fortune 500-Unternehmens verantwortlich. Als Professional Services
Management Leader verantwortet er heute unter anderem den Bereich Legal Operations Optimi-
zation bei QUADRAGON MANAGEMENT. Er gilt als einer der renommiertesten Experten für
Professional Services Optimization und Elite Performance Development im deutschsprachigen
Raum.
Identity Marketing und Identity
Design in Legal Operations 12
Roman P. Falta

12.1 Einleitende Übersicht

Haben Sie die Vision und die Guidelines Ihrer Legal Operations (vgl. dazu auch
Kap. 10) bereits zusammen mit Ihrem Team erstellt? Haben Sie Ihre eigenen Vor-
stellungen von Identity Leadership Principles umgesetzt und einen entsprechen-
den Identity Controlling-Prozess in Ihrer Rechtsabteilung implementiert (vgl. dazu
auch Kap. 11)? Dann wird es Zeit, sich mit den unterschiedlichen Möglichkeiten
der umsetzungsbezogenen Ausgestaltung der Identitätsverankerung auseinander-
zusetzen. Wie in Abb. 12.1 dargestellt, befassen wir uns in diesem Kapitel daher
einerseits mit dem „Identity Marketing“, welches auf die gezielte Steuerung der
Außenwahrnehmung ausgerichtet ist. In diesem Zusammenhang werden unter-
schiedliche Tools erläutert, die in der Beratungspraxis eingesetzt werden, um
General Counsels dabei zu helfen, die spezifische – durch Vision, Guidelines und
Principles definierte – Rechtsabteilungsidentität bei internen und externen Interak-
tionspartnern positiv zu beeinflussen. Andererseits befassen wir uns auch mit dem
„Identity Design“, das einen positiven Einfluss auf die Wahrnehmung der Legal
Operations im Unternehmen und seiner Umwelt haben kann, sofern es geschickt
mit den Maßnahmen des Identity Marketings verknüpft wird.

R.P. Falta (*)


Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC,
Zürich, Schweiz
E-Mail: falta@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 149


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_12
150 R.P. Falta

Abb. 12.1  Identity Marketing und Identity Design. (Quelle: QUADRAGON Management LLC)

12.2 Marketing als Basis für die Identitätswirkung gegen


außen

„Marketing“ baut eine Brücke zwischen einem Anbieter und seinem Markt.1 Über-
setzt auf die Rechtsabteilung stellt das Identitätsmarketing die Brücke zwischen
dem Legal Team und seinen internen sowie externen Interaktionspartnern dar. Es
umfasst sämtliche Strategien, Ressourcen, Prozesse und Maßnahmen, mit deren
Hilfe die Rechtsabteilungsidentität innerhalb des Unternehmens und gegenüber
externen Interaktionspartnern im positiven Sinne „verkauft“ werden kann. Im
Gegensatz zum „klassischen“ Konsumgüter-, Industriegüter- und Dienstleistungs-
marketing geht es aber nicht um „geschönte“ Versprechungen durch Hochglanz-
broschüren, tolle Verpackungen oder den Verkauf von Emotionen und Träumen.
Vielmehr soll es darum gehen, die Legal Operations professionell, sympathisch
und insgesamt optimal gegenüber Dritten zu positionieren und positiv in ihrem
Bewusstsein zu verankern. Maßnahmen des Identitätsmarketings sollten daher
immer auf den identitätsstiftenden Grundlagen von Vision, Guidelines und Princi-
ples aufbauen, zumal sie nur dann ihr volles Potenzial entfalten können, wenn das
Fundament, auf dem sie aufgebaut sind, auch wirklich echt und solide ist. Werden
die Werte, Ziele und Grundsätze der anderen identity change tools auch in diesem
Bereich sinnvoll angewandt, entsteht aus dem Identity Marketing ein weiterer
wichtiger Baustein der Identitätsgestaltung von Legal Operations.

1Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 131).


12 Identity Marketing und Identity Design in Legal Operations 151

Im Gegensatz zu Vision, Guidelines und Principles, die ihre Wirkung vor allem
innerhalb des Legal Teams entfalten, wirken die Identity Marketing Tools direkt
auf die Wahrnehmung der relevanten externen Interaktionspartner (siehe dazu den
gesamten Teil IV dieses Buches).2 Daher bezweckt Identitätsmarketing vor allem
eine positive Eigendarstellung der Rechtsabteilung gegen außen. Natürlich sind in
der Praxis aber auch positive Effekte gegen innen bekannt, zumal Maßnahmen
gegen außen auch immer reflexiv auf das Legal Team und dessen Eigenwahrneh-
mung wirken.

12.3 Die Grundlagen des Legal Operations Identity


Marketing

Marketing ist aber nicht gleich Marketing, so passen zum Beispiel die Konzepte
und Instrumente des Konsumgütermarketings, wie auch diejenigen des Investiti-
onsgütermarketings nicht besonders gut auf den Verkauf des etwas schwerer fass-
baren Gutes „Identität“. Einige Ideen des Dienstleistungsmarketings sind hierfür
jedoch durchaus sinnvoll. So steuern dessen strategische und operative Konzepte
und Modelle wichtige Ansatzpunkte für die Ausgestaltung eines professionellen
und identitätsstiftenden Rechtsabteilungsmarketings bei.

12.3.1 Strategisches Legal Operations Identity Marketing

Der strategische Teil des Legal Operations Identity Marketings von QUAD-
RAGON Management, wie in Abb. 12.2 (linke Seite) dargestellt, befasst sich
mit der Analyse und Evaluation derjenigen Informationen, die dazu dienen,
die bestmöglichen Strategievarianten (vgl. dazu auch Kap. 30) zur Rechtsab-
teilungspositionierung zu finden. Dabei werden sämtliche Dienstleistungen
und Aufgabenschwerpunkte der Rechtsabteilung einer gründlichen Analyse
(Legal Operations Services Analytics)3 unterzogen. Danach werden die Wert-
ketten der Legal Operations-Prozesse analysiert (Legal Operations Value
Chain Analytics)4 und die effektiven Positionierungsparameter der Außen-
wahrnehmung bei internen und externen Interaktionspartnern bestimmt (Legal

2Vgl. Meffert, Bruhn (2012, S. 240).


3Beispiel für Legal Operations Services Analytics: Auflistung aller Tätigkeitsgebiete aus Haupt-
und Zusatzaufgaben der Rechtsabteilung (vgl. Teil VIII dieses Buches) in ein strategisches Ser-
vices-Inventar. Danach wird jede einzelne Position des Inventars gründlich auf verschiedene
Parameter hin analysiert: Kernkompetenztiefe, Vermarktungstiefe, Vollständigkeitsstatus, Ausge-
staltungsstatus, Ressourcenstatus etc.
4Beispiel für Legal Operations Value Chain Analytics: Auflistung aller genauen Prozessverläufe

je Position des strategischen Services-Inventars und Bewertung im Hinblick auf deren Wert-
schöpfungsbeitrag, die Wertschöpfungstiefe, mögliche Effizienz- und Effektivitätshemmer etc.
152 R.P. Falta

Abb. 12.2  Übersicht Legal Operations Identity Marketing. (Quelle: QUADRAGON Manage-


ment LLC)

Operations Positioning Analytics)5. Zusammen mit den bereits in früheren


Phasen gewonnenen Erkenntnissen aus der Auseinandersetzung mit der
Vision, den Guidelines und den Principles werden aus allen aufbereiteten
Informationen – in Anlehnung an den Legal Operations Identity Controlling-
Prozess (vgl. dazu auch Kap. 11) – die möglichen Szenarien und Handlungs-
optionen ermittelt. In einem weiteren Schritt werden diese noch einmal mit
den Vorgaben aus den anderen identity change tools abgeglichen, um 100 % ig
sicherzustellen, dass die ermittelten Strategievarianten vollumfänglich mit den
Werthaltungen, Prinzipien und Grundlagen der erwünschten Legal Operations
Identity übereinstimmen.
Danach wird in einer kritischen Umsetzungsevaluation festgestellt, welche
Strategievarianten durch die Mitglieder des Legal Teams aufgrund der zur Ver-
fügung stehenden Ressourcen (Finanzen, Sachmittel, Mitarbeiterverfügbarkeit,
Zeit, Know-how) überhaupt umgesetzt werden können. In der Praxis hat es sich
als sinnvoll erwiesen, dieser Umsetzungsevaluation einen Halbjahreszeitraum
zugrunde zu legen. Einerseits benötigen die einzelnen Marketingmaßnahmen, die

5Beispiel für Legal Operations Positioning Analytics: Darstellung sämtlicher Wertschöpfungs-


prozesse im Hinblick auf mögliche Interaktionspunkte mit internen und externen Kunden der
Rechtsabteilung. Genaue Analyse jedes einzelnen Interaktionspunktes auf dessen Positionie-
rungsstatus und -eignung, auf die Wahrnehmungs-, Wertschätzungs- und Verankerungstiefe, den
Emotionskoeffizient, den PsyCap-Status und die PsyCap-Eignung, die aktuelle Ressourcenallo-
kation, mögliche Interaktionsunterstützer und -hemmnisse etc.
12 Identity Marketing und Identity Design in Legal Operations 153

aus den Strategievarianten abgeleitet werden, einige Zeit, bis sie erste Ergebnisse
liefern. Andererseits ist der Halbjahreshorizont genügend lang, um jede einzelne
Maßnahme nach einer definierten Prüfkadenz mehrmals auf ihre Wirksamkeit
hin zu untersuchen. Schließlich ist die Evaluation der wirkungsvollsten Strate-
gievarianten immer auch ein Try-and-error-Prozess, der von vielen – nicht durch
das Legal Team beeinflussbaren – Faktoren abhängig ist. Erfolgreiche Strate-
gien unterscheiden sich darum nicht nur von Unternehmen zu Unternehmen oder
Behörde zu Behörde, sondern divergieren in ihrer Ergiebigkeit auch innerhalb
des gleichen Unternehmens/der gleichen Behörde. Sie können unterschiedliche
Wirkungen entfalten, je nachdem, zu welchem Zeitpunkt sie eingesetzt wurden
und in welcher aktuellen Situation sich die Legal Operations befanden. Gleich-
zeitig werden während der Evaluation alle grundsätzlich durchführbaren Stra-
tegievarianten in eine der folgenden drei Identity Marketing-Strategiegruppen
eingeteilt:

• Legal Operations Assignment-Strategien: Diese Gruppe beinhaltet die-


jenigen Strategien, die auf eine Identitätsoptimierung des Professional Ser-
vices-Programms hinsichtlich der Wahrnehmung durch externe und interne
Interaktionspartner abzielen. Hier finden sich zum Beispiel Strategien zur Eta-
blierung eines Kundenfokus-optimierten Leistungsprogramms der Rechtsabtei-
lung, zu Qualitäts- und Output-Steigerungsmöglichkeiten etc.
• Legal Operations Distribution-Strategien: Diese Gruppe umfasst diejenigen
Strategien, die die zeiträumliche Erbringung der Legal Operations-Leistun-
gen für die internen und externen Kunden beschlagen. Darunter gehören zum
Beispiel Strategien zur raumzeitlichen Präsenzerfüllung, zur optimalen Aus-
gestaltung der Leistungserbringung, zu einer verbesserten Externalisierung
der Leistungserbringung an Kanzleien oder Beratungsgesellschaften, zur Leis-
tungsautomation durch elektronische Rechts-Wikis oder e-Rechtsberatung etc.
• Legal Operations Interactions-Strategien: Diese Gruppe beinhaltet
diejenigen Strategien, welche sich mit den direkt identitätsbestimmenden
Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten beschäftigen. Hierzu
gehören Strategien zur positiven Darstellung des Fähigkeitspotenzials des
Legal Teams (insbesondere in unternehmerischer, nicht-juristischer Hinsicht),
zum Aufbau enger Kundenbeziehungen, zur optimalen Visualisierung und
Sensibilisierung von Rechtsdienstleistungen, zur Verbesserung des Abteilungs-
und Leistungsimage der Legal Operations, zur Steigerung der interaktiven
Kundenzufriedenheit, zur optimalen Ausgestaltung von Kooperationen etc.

Die Gruppeneinteilung ist sinnvoll, da jede der drei Gruppen einen ande-
ren identitätsgestaltenden Schwerpunkt für die Interaktion zwischen Legal
Team-Mitgliedern und ihren Interaktionspartnern aufweist. Zudem erleichtert die
Gruppeneinteilung die nachfolgende Auswahl der für den gegebenen Zeitraum
besten Marketingstrategien: Die besten drei bis sechs Marketingstrategien können
daher ohne weitere Aufwendungen ins operative Identitätsmarketing der Rechts-
abteilung übernommen werden. Bevor es jedoch so weit ist, erfolgt noch deren
154 R.P. Falta

Detailplanung respektive die Detailplanung und Auswahl der aus den Strategien
abgeleiteten Maßnahmenbündel.

12.3.2 Operatives Legal Operations Identity Marketing

Der operative Teil des Legal Operations Identity Marketing, wie in Abb. 12.2
(rechte Seite) dargestellt, befasst sich in der Folge mit der Umsetzung der ausge-
wählten Strategien je Strategiegruppe:

• Legal Operations Assignment-Maßnahmen: Hier finden sich Maßnahmen,


welche sich auf das Dienstleistungssortiment und den Kundenservice beziehen.
Mithin um Strategien zur allgemeinen Dienstleistungsoptimierung, zum Kern-
kompetenzausbau, zur Leistungsangebotsstraffung, zur Schließung von Dienst-
leistungslücken, zum Legal Services Quality Management, zur Übernahme von
Aufgaben anderer Unternehmensbereiche, zur Verstärkung des Transaction
Management, zur Verbesserung der Dienstleistungserbringung, zur Einrichtung
eines Legal Customer Care Desk etc.
• Legal Operations Distribution-Maßnahmen: Hierzu gehören Maßnahmen
zur zeiträumlich optimalen Ausgestaltung der Kundenbeziehung. Mithin Stra-
tegien zur Time Management-Optimierung, zur Verbesserung der punktuellen
Leistungserbringung, zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit externen Bera-
tern, zur Einführung elektronischer Rechtsangebote, zur besseren Raumausnut-
zung in den Büros der Rechtsabteilung etc.
• Legal Operations Interactions-Maßnahmen: Hier finden sich persönliche
und formelle Maßnahmen zur Verbesserung der Interaktions- und Kommuni-
kationskompetenzen des Legal Teams, zur Verbesserung der betriebswirtschaft-
lichen oder risk management-Kompetenzen, zur Verbesserung der Darstellung
von Rechtsdienstleistungen, zur Optimierung des allgemeinen Abteilungs- und
Leistungsimage, zur Einführung von Kundenzufriedenheitsumfragen, zur effizi-
enten Gestaltung von Arbeitsgruppenmeetings etc.

Auf eine tiefgründige Umsetzungsdiskussion der vorgenannten Maßnahmen


muss verzichtet werden (siehe dazu aber das nachfolgende illustrative Beispiel),
zumal jede einzelne Strategie ein Bündel an Marketingmaßnahmen enthält, wel-
ches je nach Situation, Betrieb und Ausgestaltung anders sein kann. Hat man die
richtige Strategie evaluiert und sorgfältig geplant, ergibt sich daraus in der Regel
von alleine, welche Einzelmaßnahmen wie und wann ergriffen und umgesetzt
werden müssen, um die gesetzten Ziele der Identitätsprofilierung gegen außen zu
erreichen. Zur Kontrolle der Maßnahmenumsetzung kann hierbei wiederum die
Systematik des Legal Operations Identity Controlling-Prozesses (vgl. dazu auch
Kap. 11) gute Dienste leisten.
12 Identity Marketing und Identity Design in Legal Operations 155

Beispiel für eine einzelne Legal Operations Assignment-Maßnahme


Dokumente oder Verträge, die von Ihnen oder Ihren Mitarbeitenden für andere
Fachabteilungen rechtlich überarbeitet oder kontrolliert werden, bieten zum
Beispiel eine ausgezeichnete Gelegenheit für den Einsatz einer Legal Opera-
tions Assignment-Maßnahme. Wie wäre es zum Beispiel mit einer kleinen
„Qualitätstempel“-Bilddatei, wie in Abb. 12.3 dargestellt, welche eine spezifi-
sche Identitätsaussage über Ihre Arbeit trifft? Ein solches Bild kann ohne nen-
nenswerten Aufwand in jedes von der Rechtsabteilung finalisierte Dokument
zwischendurch oder am Ende des Dokuments eingefügt werden, bevor dieses
an den Auftraggeber retourniert wird. Mit einem solchen „Qualitätsstempel“
setzen Sie jedoch ein prominentes visuelles Zeichen für die rechtliche Quali-
tätsarbeit Ihrer Rechtsdienstleistung und können dadurch Ihre professionelle
und positive Wahrnehmung beim Empfänger des Dokuments verstärken.
Psychologisch wirkt ein solcher „Qualitätsstempel“ zweifach: Einerseits wis-
sen Sie und der Empfänger, dass das Dokument tatsächlich bis zum Schluss res-
pektive bis zur angegebenen Stelle durchgesehen wurde, ansonsten würde der
Stempel fehlen. Mithin können beide Seiten davon ausgehen, dass die Arbeit bis
zur angegebenen Stelle zu 100 % erfüllt wurde, etwaige Unsicherheiten und
Rückfragen entfallen. Dies kann auf den Empfänger beruhigend wirken (sein
Verlangen nach Sicherheit wird gestillt) und seine Effizienz erhöhen (er muss
nicht nachfragen, ob Sie das ganze Dokument bearbeitet haben). Andererseits
transportiert die visuelle Erscheinung eines „Qualitätsstempels“ eine bestimmte
Autorität, Qualität und Professionalität. Solche Assoziationen werden vom Emp-
fänger intuitiv wahrgenommen, er kann sich ihnen fast nicht entziehen. Es ist
daher nicht erstaunlich, dass solche grafischen Elemente bewusst an das Erschei-
nungsbild von Diplomsiegeln, Anerkennungs- und Ehrenmedaillen angelehnt
sind. Der psychologische Trick dahinter: Vertraute Symbole wecken beim durch-
schnittlichen Betrachter (unbewusst) fast ausschließlich positive Emotionen. Die
komplexe menschliche Wahrnehmung assoziiert die Symbolik der Stempelgrafik
mit Ihrer Arbeit am Inhalt des Dokuments, setzt Ihre Arbeitsleistung aufgrund

Abb. 12.3  Identity
Design-Dokumentenstempel.
(Quelle: QUADRAGON
Management LLC)
156 R.P. Falta

des unserem Gehirn immanenten kognitiven Vereinfachungsfilters dieser gleich.6


Dadurch wird Ihre Leistung nicht nur positiver, sondern auch als qualitativ
höherwertig angesehen. In der Summe führt die Einführung eines solchen „Qua-
litätsstempels“ beim Empfänger des retournierten Dokuments zu einem zumin-
dest kurz- bis mittelfristigen Anstieg in der positiven Wahrnehmung Ihrer
Rechtsabteilung.7
Natürlich verbraucht sich dieser positive Effekt, dennoch verschwindet die
positive Wirkung aber auch dann nicht restlos. Zudem ist seine Umkehrung ins
Negative bei einem Übergebrauch nicht zu befürchten, solange die Arbeitsleis-
tung der Rechtsabteilung auf einem qualitativ-konstant annehmbaren Niveau
bleibt.8 Schließlich darf die identitätsstiftende Wirkung nicht isoliert an einer
einzelnen Maßnahme festgemacht werden: Nehmen wir an, Sie haben den „Qua-
litätsstempel“ und noch eine Reihe weiterer Identity Marketing-Maßnahmen
umgesetzt. Manche von ihnen wirken dabei nur kurzfristig, da derselbe Empfän-
ger sie zu oft innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums wahrnimmt. Andere wie-
derum wirken mittel- bis langfristig, weil sie weit weniger häufig eingesetzt
werden. Aus einem solch ausgeglichenen Mix an geschickt zusammengestellten
und auf die einzelnen Interaktionspartner(gruppen) ausgerichteten Identity Mar-
keting-Maßnahmen kann so ein Portfolio errichtet werden, das über einen langen
Zeitraum selbstverstärkend wirkt. Eine positive Gefühle evozierende Maßnahme
führt dann zur nächsten; Ihre Interaktionspartner beginnen auf immer weitere
positive Zeichen anzusprechen, deren Wahrnehmung „verfärbt“ sich dadurch
immer weiter in Richtung positiver Attribuierung.9 Ein Prinzip aus der Kunden-
verhaltenspsychologie, das wissenschaftlich sehr gut erforscht ist und welches
auch Sie einfach zur Identitätsstiftung und -verankerung nutzen können.

6Vgl. Wänke (2009, S. 27 ff. und 43).


7Gleiches gilt auch für den grundsätzlichen Gebrauch von Firmenlogos im Vertragswesen: Recht-
lich ist es unerheblich, ob Sie das Logo Ihres Unternehmens in einen von Ihnen erstellten Vertrag
einfügen. Aus der Corporate Identity-Sicht ist es jedoch sehr sinnvoll. Schließlich wurde das Fir-
menlogo kreiert, um die Einheitlichkeit gegen außen zu symbolisieren und die spezifischen Werte
des Unternehmens zu versinnbildlichen. Sie machen damit zumindest auch dem Corporate Iden-
tity-Verantwortlichen Freude und können die regelmäßige Nutzung des Firmenlogos als erneuten
Vorwand nehmen, um mit ihm in Kontakt zu treten – mithin Ihre eigene Vertrauensstellung im
Unternehmen auszubauen.
8Sollte es trotzdem einmal geschehen, dass eine massiv mangelhafte Arbeitsqualität der Rechts-

abteilung auf breiter Front zum Vorschein kommt (das heißt nicht im Falle negativer Einzelfälle),
muss die Ausgabe solcher Qualitätsstempel sofort unterbunden werden, damit beim Interaktions-
partner keine weiteren negativen Kognitionsverknüpfungen entstehen können. Die betroffenen
Dritten nehmen das Verschwinden nur während einer kurzen Zeitdauer wahr und vergessen deren
vormalige Präsenz rasch. Nach einiger Zeit, sobald das Vertrauen in die Qualitätsarbeit wieder
zu wachsen beginnt, kann man sich immer noch überlegen, ob nun abgeänderte Qualitätsstem-
pel sinnvoll wären. Diesmal beispielsweise mit der Botschaft: „Wir haben aus unseren Fehlern
gelernt und legen nun noch größeren Wert auf Qualität und Ihre Zufriedenheit“, um damit den
Vertrauensbildungsprozess zu unterstützen.
9Vgl. Shaw (2007, S. 25).
12 Identity Marketing und Identity Design in Legal Operations 157

Ich empfehle Ihnen in diesem Zusammenhang, sich auf wenige ausgewählte


Strategien des Identity Marketing beziehungsweise auf die Durchführung eini-
ger weniger Maßnahmen innerhalb einer kurzen Periode (zum Beispiel innerhalb
eines Halbjahres) zu beschränken. Diese sind in der Praxis erfolgreicher als große
und langfristig ausgerichtete Kampagnen (unter Einbezug von zehn oder mehr
Marketingstrategie-Sets). Zudem reichen die Ressourcen einer durchschnittlich
aufgestellten Rechtsabteilung schon aufgrund der herrschenden hohen Arbeitsbe-
lastung, der geringen freien Mitarbeiterkapazitäten und dem fehlenden Identity
Marketing-Know-how nicht aus, um große Kampagnen ohne die Zuhilfenahme
externer Spezialisten durchzuführen. Allerdings ist es jeder Rechtsabteilung –
unabhängig ihrer Größe (daher grundsätzlich auch für „Ein-Personen-Rechtsabtei-
lungen“) – möglich, ein sinnvolles und effektives Identity Marketing – auf Basis
von drei bis sechs Maßnahmenbündeln pro Halbjahr – umzusetzen. Konsistenz
und Wiederholung zahlen sich aus. Sie sind wichtiger, als großartige „Eintagsra-
keten“ abzufeuern, welche oft mit großer Begeisterung lanciert werden, dann aber
allzu oft keinen nachhaltigen Eindruck bei der Zielgruppe hinterlassen. Schließ-
lich ist Identity Marketing nur dann ein ausgezeichnetes Werkzeug zur externen
Identitätsbeeinflussung und -verankerung, wenn es bei Ihnen auch tatsächlich zum
Einsatz kommt (vgl. dazu auch Kap. 23).
Fokussieren Sie Ihre Arbeitszeit oder die Ihrer Mitarbeitenden, die dem Thema
Identity Marketing gewidmet werden soll, daher zu Beginn vor allem auf die
Durchführung gründlicher Analysen. In einem späteren Schritt können Sie dann
die für Ihre Legal Operations passenden Strategien ermitteln und diese konse-
quent durch wohldurchdachte Maßnahmenbündel umsetzen. Je besser es Ihnen
und Ihren Mitarbeitenden mit der Zeit gelingt, das Außenbild Ihrer Interaktions-
partner an dasjenige anzupassen, welches Sie und Ihre Mitarbeitende von den
Legal Operations haben, desto effektiver funktioniert Ihr Legal Operations Identity
Marketing. Denn, je länger Sie sich mit der Vermarktung Ihrer Rechtsabteilung
beschäftigen, desto besser werden Sie nicht nur die Wünsche Ihrer Interaktions-
partner verstehen, sondern auch immer effizienter die verschiedenen Marketing-
maßnahmen einsetzen können. Sollten Sie Probleme mit der Entwicklung von
Marketingstrategien oder der Umsetzung einzelner Maßnahmen haben, wenden
Sie sich zuerst einmal an einen Vertrauten aus der Marketingabteilung Ihres Unter-
nehmens. Dieser kann Ihnen und Ihren Mitarbeitenden in der Regel entscheidend
weiterhelfen oder Sie an externe Spezialisten verweisen.
Die weiter oben vorgestellten Analysemöglichkeiten und der gesamte strategi-
sche Marketingprozess mögen auf den ersten Blick etwas einschüchternd wirken.
Lassen Sie sich dadurch aber auf keinen Fall beirren, schließlich ist noch nie ein
Meister vom Himmel gefallen. Als Jurist sind Sie es in der Regel nun einmal nicht
gewohnt, Werkzeuge des Identity Marketings auf sich und Ihre Abteilung anzuwen-
den. Nach und nach werden Sie sich aber immer besser mit diesen auskennen. Und,
haben Sie es bemerkt? Die vorgenannte Anfrage bei der Marketingabteilung ist
bereits eine erste Identity Marketing-Umsetzungsmaßnahme. Indem Sie Ihrem Mar-
ketingvertrauten zu verstehen geben, dass Sie sich für seinen Aufgabenbereich inter-
essieren, seinen Rat suchen und sich mit ihm über sein „Spezialgebiet“ austauschen
158 R.P. Falta

möchten, beginnt der vertrauensbildende Prozess zu laufen. Solche kleinen Schritte


führen mit der Zeit dazu, dass Sie und Ihre Abteilung immer positiver bei den Kolle-
gen in Ihrem Unternehmen – vom Empfang bis zum Aufsichtsrat – wahrgenommen
werden.

12.4 Identity Design

Das „Identity Design“ unterstützt das Identity Marketing, indem es mit visuellen,
auditiven, kinästhetisch-haptischen und sogar olfaktorischen Mitteln dessen
spezifische Botschaftsvermittlung unterstützt. Design kommuniziert ebenfalls – es
kommuniziert oft sogar stärker, als den meisten von uns im Alltag bewusst ist. Überall,
wo Sie und die Mitglieder Ihres Legal Teams mit internen oder externen Personen
interagieren, kann Identity Design die positive Wirkung der identitätsakzentuierenden
Marketingmaßnahmen auf subtile Art und Weise unterstützen. Es geht in der
sinnvollen Nutzung von Identity Design-Inhalten darum, einen Wiedererkennungswert
zu schaffen, der Sie und Ihre Mitarbeitenden in der Außenwahrnehmung durch Dritte
klar und eindeutig mit der Rechtsabteilung verbindet.
Im Falle eines optimal umgesetzten Identity Design kann die spezifische Wie-
dererkennung dazu beitragen, dass die Mitglieder des Legal Teams mit beson-
ders positiven Gefühlen in Verbindung gebracht werden und dadurch bereits eine
positive Interaktionsatmosphäre entsteht, noch bevor ein einziges Wort gewech-
selt wurde. Da die Interaktionen der Rechtsfunktion sich in vielen Bereichen
ausschließlich auf den Austausch schriftlicher Unterlagen abstützen (E-Mail,
Berichte, Memos, Rechtsanalysen etc.), sind diese besonders gut geeignet, um sich
mit ihnen die Vorteile des Identity Design in der zwischenmenschlichen Kommu-
nikation zunutze zu machen. Es gibt aber auch noch eine Vielzahl anderer Anwen-
dungsmöglichkeiten für die Mittel des Identity Design.

12.5 Corporate Identity vs. Legal Operations Identity


Design

 Ein Wort der Warnung: Corporate Identity, die „große Schwester“


des Legal Operations Identity Design, hat vor jeglichen rechtsfunk-
tionsspezifischen Eigenheiten stets Vorrang. Es darf auf keinen Fall
gegen die Vorgaben des Gesamtunternehmens verstoßen werden!

Auch wenn Corporate Identity-Vorschriften – vor allem bei großen internationa-


len Unternehmen – ganze Ordner mit spezifischen Vorgaben für die Gestaltung
von Visitenkarten, Prospektlayouts bis hin zum Ladendesign (corporate interieur;
Beispiel Apple-Stores) enthalten, ist es doch immer wieder erstaunlich, wie viele
Bereiche des Arbeitsalltags immer noch zugänglich für eigene Identity Design-
Ideen sind. Schauen Sie sich daher in Ihrer eigenen Arbeitsumgebung genau um:
Welche Bereiche werden heute in Ihrem Umfeld überhaupt nicht oder nur teil-
12 Identity Marketing und Identity Design in Legal Operations 159

weise durch das Corporate Design normiert? Wo bleibt Raum für den Einsatz
eines völlig autonomen Legal Operations Identitätsdesigns und wo sind „Koope-
rationen“ mit dem Corporate Design respektive dessen nuancierter Weiterentwick-
lung möglich und erlaubt? Sind diese Fragen erst einmal geklärt, geht es darum,
sich Gedanken darüber zu machen, mit welchem geschickt und einheitlich ange-
wandten Design positive Botschaften über Ihre Legal Operations transportiert wer-
den können.
Bevor Sie sich mit Ihren Mitarbeitenden nun aber in die „Kreativarbeit“ stürzen
– wohl mit ein Grund, weshalb die Umsetzung eines eigenen Identity Design in der
Praxis auf so große Begeisterung stößt –, sollten Sie unbedingt mit dem Corporate
Identity-Verantwortlichen Ihres Unternehmens sprechen und diesem Ihr Vorhaben
erläutern. Wie schon beim Identity Marketing schätzen es auch die Mitarbeitenden
im Corporate Design sehr, wenn sich jemand aus dem Unternehmen für ihre Arbeit
interessiert. Finden Sie heraus, wer die oberste Verantwortung trägt und bitten
Sie diese Person um eine Unterredung. In der Regel wird sie Ihnen nicht nur die
Möglichkeiten und Grenzen des Legal Operations Identity Design (gegenüber den
globalen Corporate-Vorgaben) aufzeigen, sondern Ihnen auch wertvolle Vorschläge
und Inspirationen mit auf den Weg geben können. Vielleicht gelingt es Ihnen sogar,
diese Person davon zu überzeugen, einen „Identity Design-Launch“ der Legal
Operations mitzubegleiten. In der Praxis habe ich erlebt, dass Corporate Identity-
Verantwortliche gerne Hand dazu bieten; sich auch schon einmal mit richtiger
Begeisterung in die Beratung der Rechtsabteilung stürzen, wenn sie erfahren, dass
ihr Input gefragt und wertgeschätzt wird. Mithin kann eine solche innerbetriebliche
Kooperation auch eine weitere positiv wirkende Legal Operations Identity
Marketing-Maßnahme sein.

12.6 Identity Design in Legal Operations implementieren

Die spannende Kreativarbeit im Identity Design-Bereich liegt im Spiel mit Farben,


Mustern, Materialien, typografischen und geometrischen Elementen sowie mit
bekannten Zeichen und Symbolen, die eine spezifische Botschaft beim Betrachter
evozieren. Dieser Prozess hat sehr viel mit kognitiver Psychologie und der
menschlichen Wahrnehmung zu tun (vgl. dazu detailliert Kap. 31). Zu Beginn der
Identity Design-Entwicklung stehen die weiter oben bereits gestellten Fragen hin-
sichtlich des überhaupt zur Verfügung stehenden individuell „gestaltbaren Identi-
tätsraums“ im Mittelpunkt. Danach folgt eine intensive Auseinandersetzung damit,
welche Botschaften durch das Identity Design der Rechtsabteilung transportiert
werden sollen. Hierzu können Sie sich auf die bereits geleisteten Vorarbeiten aus
der Entwicklung von Vision, Guidelines und Principles abstützen. Aus diesen sind
diejenigen auszuwählen, welche dafür prädestiniert sind, positive Assoziationen
mit den Legal Operations und den Mitgliedern des Legal Teams durch ihre
Design-Aussage zu unterstreichen. In dieser Phase ist der Beizug eines Identity
Design-Spezialisten anzuraten, da er Sie tatkräftig bei der richtigen Auswahl bera-
ten und unterstützen kann. Er kann Ihnen helfen, die richtigen Farben, Muster,
160 R.P. Falta

Sujets etc. für grundlegende Design-Elemente (Logos und andere Grafiken) zu


treffen und weitere spezifische Design-Vorgaben für die jeweiligen Marketing-
maßnahmen auszuwählen.10
Auch wenn der Beizug eines externen Spezialisten oder des betrieblichen
Corporate Design-Verantwortlichen zu Beginn und gegen Ende des Identity
Design-Prozesses durchaus sinnvoll ist, kann auf deren Hilfe vor allem im Mit-
telteil verzichtet werden, welcher durchaus 80 % des gesamten Zeitaufwands für
die Erstellung einer Identity Design-Dokumentation ausmachen kann. Sie können
daher viele Aspekte der Entwicklung Ihres individuellen Legal Operations Iden-
tity Design im Mittelteil selbst oder mit Ihren Mitarbeitenden zusammen an die
Hand nehmen. Dabei ist es in einer ersten Kreativphase wichtig, die zuvor definier-
ten Räume einzeln – mit ihren spezifischen Identitätsdesign-Charakteristika – in
einem Inventar aufzulisten und diese mit den dazugehörenden identitätsbildenden
Botschaften zu verknüpfen. In einer zweiten Phase besteht die Kunst darin, dieses
Raum-Inventar identitätsstiftend zu bewerten. Das heißt, jedem einzelnen Inven-
tarpunkt die passenden identitätsstiftenden Design-Elemente zuzuordnen – je nach
Maßgabe der zu transportierenden Botschaften. Hierbei kommen wie bereits oben
angedeutet unterschiedliche Farben, Muster, Materialien, Schriften, Symbole etc. in
Betracht, welche auf die einzelnen Identity Design-Maßnahmen umgesetzt werden.
Grob kann man in der Praxis zwischen Identity Design-Vorgaben unterschei-
den, welche einerseits besonders gut für Identity Marketing-Maßnahmen11 passen,
die das interne team building in den Vordergrund stellen und dadurch in erster

10So können zum Beispiel für das Design eines Rechtsabteilungslogos folgende Empfehlun-
gen angegeben werden: Aus farbpsychologischer Sicht sind ausschließlich dunkle Weinrot-,
Violett-, Fuchsia-, Blau- und Grautöne zu empfehlen. Bei der Logomusterung ist weniger oft
mehr: Verschnörkelte, üppige oder verspielte Muster wirken bei Logos von Rechtsabteilungen
negativ. Bei den zu verwendenden grafischen Symbolen können Sie sich zudem an den Vorga-
ben von Anwaltskanzleien, Treuhandunternehmen, Banken und Versicherungen orientieren. Die
Symbolik alter Bäume, starker Wildtiere oder gezeitenstrotzender Berg- und Felsformationen
transportieren die oftmals unbewußt wahrgenommene Botschaft von Professionalität, Stärke,
Beständigkeit und Vertrauen.
11Hier nur eine kleine Auswahl an Maßnahmen aus der Beratungspraxis, welche bereits in

Rechtsabteilungen umgesetzt wurden: Einführung eines Rechtsabteilungslogos, Bestimmung


eines Abteilungsmaskottchens (wurde von Mitgliedern des Legal Teams, welche in der Betriebs-
fußball-Mannschaft spielten, sogar auf Trainings-T-Shirts getragen), Einführung eines Farbsys-
tems für die Aufgabengebiete der Rechtsabteilung (dies ging so weit, dass Manager zum General
Counsel kamen und sagten, sie hätten heute ein „gelbes“ oder „grünes“ Rechtsproblem), Ein-
führung diverser Qualitätssiegel für spezifische Anwendungsgebiete, Benutzung gleichartiger
oder -farbiger Kleidungsstücke wie Krawatten sowie Verwendung gleicher Schreibutensilien oder
edler Leder-Schreibmappen mit prominentem Legal Operations-Logodruck bei Kundenmeetings,
Abgabe von Kaffeetassen für den Pausenraum mit dem Legal Operations-Logo etc. Die hier auf-
gezählten Maßnahmen treffen sicherlich nicht jedermanns Geschmack, sie spiegeln aber genau
die individuellen Vorlieben der beratenen Rechtsabteilungen wider. Ihrer eigenen Fantasie bei der
Kreation von Marketingmaßnahmen, auf welche Identity Design-Spezifika angewendet werden
können, sind dabei (fast) keine Grenzen gesetzt. Bedenken Sie aber, dass solche Maßnahmen
immer authentisch sein müssen.
12 Identity Marketing und Identity Design in Legal Operations 161

Linie das Einheitsgefühl und die identitätsstiftende Abgrenzung gegen außen stär-
ken sollen. Diese entfalten ihre Wirkung im Legal Team selbst und strahlen erst in
der Folge gegen außen ab (Rechtsabteilungslogo, Rechtsabteilungsmaskottchen,
einheitliche farbliche Gestaltung der Büroräume, Büromöbel in den Legal Opera-
tions-Farben etc.). Andererseits gibt es Marketingmaßnahmen, die prioritär gegen
außen eine Wirkung entfalten, unabhängig davon, ob sie auch auf das Legal Team
wirken (einheitliche Kleidungsvorschriften für Geschäftsmeetings, Einrichtung
des physischen und virtuellen „Rechtsberatungsraums“ nach gleichen visuellen
Vorgaben, Abgabe nützlicher Give-aways mit Legal Operations-Logodruck und
direkten Kontaktdetails an Interaktionspartner etc.).
Den Abschluss des Identity Design-Entwicklungsprozesses bilden die Auswahl
und Fixierung der generellen und maßnahmenspezifischen Designvorgaben. Zur
Schlusskontrolle sollten Sie wiederum einen Fachmann beiziehen. Zudem muss
festgelegt werden, ab wann die Legal Operations Identity Design-Vorgaben in
Kraft treten und wie lange diese gültig sein sollen. Zudem können Sie auch hier
einen Identity Controlling-Prozess (vgl. dazu auch Kap. 11) aufbauen, um die Wir-
kung des Legal Operations Designs auch tatsächlich überprüfen zu können und
dadurch zu lernen, welche seiner Elemente gut wirken und welche künftig abgeän-
dert werden müssen.

Literatur
Hugentobler W, Schaufelbühl K, Blattner M (Hrsg) (2012) Integrale Betriebswirtschaftslehre, 4.
Aufl. Orell Füssli, Zürich
Meffert H, Bruhn M (2012) Dienstleistungsmarketing, Grundlagen – Konzepte – Methoden, 7.
Aufl. Springer Gabler, Wiesbaden
Shaw C (2007) The DNA of customer experience – how emotions drive value. Palgrave Macmil-
lan, Hampshire
Wänke M (Hrsg) (2009) Social psychology of consumer behavior. Psychology Press, New York

Über den Autor


Roman P. Falta, lic.iur.HSG – Professional Services Management Leader QUADRAGON
MANAGEMENT LLC, Zürich
Studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen HSG. Daneben
hält er Weiterbildungsdiplome der Harvard University, des MIT und der UC Berkeley in Sozio­
anthropologie und Psychologie. Seine Berufskarriere begann er in einer führenden Strategie-
beratung, welcher Berufsstationen bei Gericht, in der Finanzverwaltung und einer namhaften
Anwaltskanzlei folgten. Anschliessend war er für diverse Bereiche in Corporate Legal und in der
Compliance eines Global Fortune 500-Unternehmens verantwortlich. Als Professional Services
Management Leader verantwortet er heute unter anderem den Bereich Legal Operations Optimi-
zation bei QUADRAGON MANAGEMENT. Er gilt als einer der renommiertesten Experten für
Professional Services Optimization und Elite Performance Development im deutschsprachigen
Raum.
Identity Symbolism und Identity
Happenings in Legal Operations 13
Roman P. Falta

13.1 Einleitende Übersicht

Wir haben in Kap. 10 gesehen, wie sich die Identität der Legal Operations einer-
seits aufgrund gemeinsamer langfristiger Zielsetzungen und daraus abgeleiteter
Handlungsrichtlinien bilden und verstärken lässt. Andererseits wurde in Kap. 11
erläutert, welchen bestimmenden Einfluss Führungs- und Interaktionsgrund-
sätze auf die mittelbare Ausgestaltung von Identität in Rechtsabteilungen haben.
Schließlich wurde in diesem Zusammenhang in Kap. 12 detailliert auf die konkre-
ten Umsetzungsmaßnahmen eingegangen. All diesen identity change tools gemein
ist deren hauptsächlich schriftliche Manifestierung. Zumal nach Abschluss des
jeweiligen Entwicklungsprozesses ein schriftliches Dokument vorhanden sein
sollte, in welchem die spezifischen Inhalte dieser Werkzeuge niedergeschrieben
sind.
Identitätsstiftung erfolgt – neben den vorgenannten identity change tools – oft
aber auch durch eine gemeinsame Symbolik oder durch spezifische interaktive
Handlungen. Mit diesen beiden Bereichen beschäftigen sich die beiden in diesem
Kapitel behandelten und in Abb. 13.1 dargestellten identity change tools „Identity
Symbolism“ und „Identity Happenings“.

R.P. Falta (*)


Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC,
Zürich, Schweiz
E-Mail: falta@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 163


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_13
164 R.P. Falta

Abb. 13.1  Identity Symbolism und Identity Happenings. (Quelle: QUADRAGON Management


LLC)

13.2 Identity Symbolism

Die Anwendung einer spezifischen Symbolik, mit der sich soziale Gruppen von
anderen Gruppen abgrenzen, ist auch jedem Legal Team eigen. Bereits der täg-
liche Sprachgebrauch wird (meist unbewusst) zur Differenzierung genutzt. Dies
fällt uns meist erst dann auf, wenn wir uns für kurze Zeit in einer fremden Fachab-
teilung aufhalten. Der spezifische Sprachgebrauch beispielsweise der Marketing-
oder der Finanzabteilung wird uns zuerst fremd erscheinen und der aufmerksame
Betrachter wird sich innert kürzester Zeit bewusst, dass er durch sein Unvermögen
desselben Sprachgebrauchs als fremd und als nicht-integraler Bestandteil jener
Gruppe aufgefasst wird. Es sind aber nicht nur sprachliche Eigenheiten, die Grup-
pen voneinander unterscheidbar machen. Auch andere symbolische Handlungen,
wie gemeinsam gepflegte Rituale oder Traditionen, können zu einer (un-)bewuss-
ten Sezession führen (siehe dazu mehr in Absatz 13.3). Auch Legal Operations
Teams setzen eine ganze Reihe symbolischer Mittel ein, um ihre ganz spezifische
Identität und die Zusammengehörigkeit gegenüber innen und außen zu unterstrei-
chen. Sofern der Einsatz des Identity Symbolism mit den Vorgaben aus den ande-
ren identity change tools im Einklang steht, kann er jene darin unterstützen, die
abteilungsspezifischen Normen, Wertvorstellungen und Prinzipien zu verstärken
und schließlich dazu beitragen, die Identität der Rechtsabteilung zu festigen. Die
verwendete Symbolik in der Rechtsabteilung kann aber auch kontraproduktiv und
sabotierend wirken, sofern sie die anderen identitätsstiftenden und -verstärkenden
Maßnahmen nicht sinnvoll unterstützt.
13 Identity Symbolism und Identity Happenings in Legal Operations 165

13.2.1 Sprache als Grundträger von Symbolik

Sprache ist neben der visuellen Botschaftsvermittlung (siehe dazu auch Kap. 12 zum
Identity Design) das wichtigste zwischenmenschliche Transportmedium von Infor-
mationen. Durch Sprache werden Inhalte, Zustimmung und Ablehnung sowie tau-
send Nuancen dazwischen ausgedrückt. Im Rahmen der Interaktion von Mitgliedern
des Legal Teams basiert Sprache auf besonderen Formulierungen, sprachlichen
Codes – wie Abkürzungen, nick names oder speziellen Sprachcharakteristika (fach-
sprachliche Ausdrücke, Verwendung von Anglizismen, Latein etc.) – und einem ganz
individuellen Umgangston, der nur in der entsprechenden Gruppe gepflegt wird. Aus
diesem Grund ist Sprache auch so wichtig, wenn es um die Identitätsbildung in Legal
Operations geht. Sprache dient als Spiegel für die tatsächlich gelebte Identität, nicht
umsonst bilden die Sammlung und Auswertung von Sprachdiagnosen den Schwer-
punkt in fast allen Kulturdiagnosen von Unternehmen.1 Anhand des Sprachgebrauchs
in mündlicher (beispielsweise im team meeting, in Eins-zu-eins-Interaktionen oder in
gemeinschaftlichen Pausenkonversationen) oder in schriftlicher Form (vor allem in
E-Mails, Memos und Notizen) kann ein aufmerksamer Beobachter rasch feststellen,
wie es tatsächlich um die Identitäts- und Interaktionsqualität der Abteilung bestellt
ist. Durch Sprache lässt sich bis zu einem gewissen Grad auch der Umsetzungsstand
identitätsstiftender Maßnahmen ableiten und bestimmen, wo man sich derzeit auf
dem Weg vom Ist- zum Sollzustand befindet.
Da Sprache immer auch durch die ihr innewohnende Symbolik eine bestimmte
Aussage über die Bewertung der außerhalb des Individuums liegenden Welt trifft,
beeinflusst sie maßgeblich die Wahrnehmung des Sprechenden. Je nachdem, ob
ich zum Beispiel ein Glas als halb-voll oder halb-leer bezeichne, treffe ich einen
Entscheid darüber, wie ich die grundsätzlich objektiv indifferente Wahrnehmung
„einfärbe“, welche frames of reference ich also der Bewertung der sich mir
objektiv bietenden Szene zuordne.2 Dadurch schlägt sich mein Sprachgebrauch
unmittelbar und direkt auch auf meine Stimmung und andere mind-body-emotion-
Manifestationen nieder. Darüber hinaus gehört zu jedem ausgesprochenen Wort
auch stets die Benutzung nicht-verbaler Kommunikationskanäle, wie Mimik und
Gestik, Stimmhöhe, tonale Akzentuierung, Lautstärke, Atemmuster etc. Diese
bilden mit dem gesprochenen Wort immer eine Wahrnehmungseinheit beim
Zuhörenden (siehe dazu detailliert Kap. 31).

1Vgl. Bickmann (1999, S. 207).


2Vgl. Bodenhammer und Hall (2012, S. 66 ff.).
166 R.P. Falta

13.2.2 Spezifische Ausprägungen der Abteilungssprache

Es gibt unterschiedliche Ausprägungen der Sprachsymbolik in Rechtsabteilungen:

• Juristische Fachsprache: Mitarbeitende der Legal Operations sollten sich


bewusst sein, dass der ihnen in Fleisch und Blut übergegangene Gebrauch der
juristischen Fachsprache und entsprechender Floskeln ein nicht zu unterschät-
zendes Hindernis in der Kommunikation mit juristischen Laien darstellen kann.
Das heißt, sie sollten vermehrt versuchen, juristische Sachverhalte in möglichst
nicht-juristischer, sondern in umgangssprachlicher Weise wiederzugeben. Denn
Fachsprache, die vom Interaktionspartner nicht genau verstanden wird oder
dazu führt, dass er immer wieder nachfragen muss, lässt die gegenübersitzende
Person als weniger positiv erscheinen. Mit der Zeit kann sich der ausschließ-
liche beziehungsweise gehäufte Gebrauch juristischer Fachsprache in einer
negativen Außenwahrnehmung der Legal Operations niederschlagen. Gehen
Unternehmensjuristen aber sprachlich-proaktiv auf ihre Interaktionspartner zu,
werden sie nicht nur als sympathischer, sondern auch als professioneller und
vertrauenswürdiger empfunden.
• Haupt- und Zusatzsprachen: Die Hauptsprache in Unternehmen des DACH-
Raums ist regelmäßig Deutsch. Dennoch ist Deutsch nicht gleich Deutsch;
bereits der Gebrauch von Dialekten oder spezifischen lokalen oder regionalen
Sprachmustern können zu kommunikativen Ungleichgewichten innerhalb der
Rechtsabteilung, aber auch außerhalb führen. Noch gravierender werden die
Einflüsse der Sprache auf die Identität, wenn vor allem in großen oder interna-
tional agierenden Unternehmen Englisch oder eine andere Fremdsprache (Spa-
nisch, Französisch etc.) als corporate language gilt. In solchen Unternehmen
stellt sich die Problematik von Haupt- und Zusatzsprachen: Muttersprachler
haben es gegenüber Arbeitskollegen, welche die Sprache nachträglich gelernt
haben, in der zwischenmenschlichen Kommunikation bedeutend einfacher.
Daraus können Asymmetrien entstehen, sofern zum Beispiel Muttersprachler
den Großteil der Gesprächszeit in Meetings in Anspruch nehmen, weil sich die
nicht so fremdsprachgewandten Kollegen bewusst zurückhalten. Asymmetrien
bedeuten immer eine bestimmte Tendenz, in die sich das Team hinsichtlich sei-
ner Identitätsausprägung weiterentwickelt, da nicht alle Mitglieder gleicherma-
ßen partizipieren können.
• Erzählungen und Bonmots: Die Zugehörigkeit zum Kollektiv der Legal
Operations zeigt sich unter anderem auch durch den regelmäßigen Austausch
und durch die Verstärkung von Halbwahrheiten (Geschichten, Legenden und
Mythen), einer Repetition von Anekdoten aus dem Abteilungsalltag oder von
Witzen und Bonmots, welche Außenstehende nicht verstehen können, da ihnen
dazu der Kontext fehlt. Zudem gehören gemeinsam erlebte, historische Erleb-
nisse („Weißt du noch damals…“) in das sprachsymbolische Arsenal jeder
Gruppe. Erzählungen und Bonmots üben einen nicht zu unterschätzenden
Einfluss auf die Mitglieder des Legal Teams und auf deren identitätsbezogene
Wahrnehmung aus, da sie die Realität auf das Wesentliche reduzieren und sich
13 Identity Symbolism und Identity Happenings in Legal Operations 167

durch eine regelmäßige Wiederholung sehr gut im „Teamgedächtnis“ einprä-


gen lassen. Vorsicht ist daher vor allem dann geboten, wenn Erzählungen und
Anekdoten auf Kosten Einzelner gemacht werden (beispielsweise die beliebten
Witze über den Chef oder über einen vielleicht etwas schrulligen Kollegen, auf
dessen Kosten man sich immer wieder lustig macht etc.).
• Umgangston & Ausdrücke: Ein weiterer Bereich der identitätsbildenden
Sprachsymbolik betrifft den allgemeinen Umgangston mit Abteilungskollegen und
mit internen Interaktionspartnern. Dies zeigt sich beispielsweise in der gegenseitigen
(Nicht-)Ansprache mit akademischen Titeln (in Österreich ein absolutes „Muss“,
in der Schweiz hingegen regelmäßig ein „eher nicht“ und in Deutschland irgendwo
dazwischen) oder im Gebrauch der Höflichkeitsform (in amerikanisch geprägten
Unternehmen kommt es schon vor, dass sich CEO und Pförtner duzen, was
aufgrund dessen Symbolik in Unternehmen kontinentaleuropäischen Ursprungs
als nicht angebracht erscheint). Schließlich gehört hierzu auch der Gebrauch von
Anglizismen (vor allem in Managementfunktionen) und lateinischer Ausdrücke
(beispielsweise in der Rechtsabteilung). Wie Sie solche Symbolik-spezifischen
Ausdrücke für sich nutzen können, um eine bessere Interaktionsstimmung mit Ihrem
Gegenüber zu bilden, erfahren Sie detailliert in Kap. 31.

13.2.3 Der Nutzen einer gemeinsamen Abteilungssymbolik

Identitätsstiftende Symbolik, ob durch Sprache oder in einer anderen Form vermit-


telt, führt zu einem verstärkten Zugehörigkeitsempfinden und unterstützt die Etab-
lierung des psychological safe environment, in dem Gruppenmitglieder nicht nur
produktiver und kreativer, sondern auch zufriedener sind.3 Zudem ermöglicht ein
starker Symbolismus eine rasche Integration neuer Mitarbeitender. Diese lernen in
der Regel rasch die sprachlichen und anderen symbolischen Ausdrucksformen, die
in der neuen Abteilung herrschen. Dadurch gehören sie bereits – in klarer Abgren-
zung gegen außen – zur Gruppe, noch bevor sie sämtliche Kommunikationsregeln
verinnerlicht haben. Zudem lernen sie implizit, welche Wahrnehmungen und Inter-
pretationen des Symbolgebrauchs erwünscht und welche unerwünscht sind.
Der abteilungsinterne Symbolismus wirkt aber auch als strukturbildendes Ele-
ment, indem sozio-hierarchisch höher stehende Mitglieder den zu nutzenden Sym-
bolgebrauch – durch ihre Deutungshoheit über den frame of reference4 – vorgeben,
während die „niederen“ Ränge diese Vorgaben zu übernehmen haben. Dies muss
nicht immer negativ sein, sondern kann durchaus auch positive Effekte nach sich
ziehen, zumal Hierarchien dafür verantwortlich sind, dass arbeitsteilige Prozesse
effizienter und effektiver ablaufen.5 Schließlich kann der angewandte Symbolis-
mus auch dazu verwendet werden, um informelle Hierarchien abzubilden, sofern

3Vgl. Galinsky und Schweitzer (2015, S. 88).


4Vgl. Hall et al. (2011, S. 30 f.).
5Vgl. Galinsky und Schweitzer (2015, S. 63 ff.).
168 R.P. Falta

man ermitteln kann, welcher bestimmte Symbolgebrauch nur höher stehenden


Teammitgliedern zugestanden wird. So prägen Vorgesetzte ebenfalls meist unbe-
wusst die Abteilungsidentität mit, da sie die „Eich-Referenz“ in Sachen Werte und
Normen in der Abteilung „symbolisieren“ und die anderen Gruppenmitglieder sich
am Vorgesetzten den herrschenden Symbolgebrauch abschauen respektive versu-
chen, diesem möglichst zu entsprechen.
Im Gegensatz zu den anderen identity change tools ist der Identity Symbolism
in der Regel nur ein mittelbar identitätsveränderndes Instrument. Zumal es sich in
der Praxis relativ schwierig gestalten kann, einen abrupten Sprachwandel durchzu-
setzen, um eine etwaige rasche Änderung in der Identitätswahrnehmung zu errei-
chen. Sprache „passiert“ im Abteilungsalltag einfach, man misst ihr in der Regel
keine besonders große Bedeutung zu. Dennoch ist der Identitätssymbolismus – ist
man erst einmal für dessen Wirkungsweise sensibilisiert – ein ausgezeichnetes
Analyse- und Monitoring-Instrument. Er erlaubt eine einfach durchführbare und
akkurate Diagnose der Abteilungsidentität. Zudem bietet die durch den Sprach-
gebrauch transportierte Symbolik für einen längerfristigen Änderungshorizont
durchaus gute Möglichkeiten zur Identitätsveränderung. Sie können als General
Counsel einen neutralen oder gar negativen Sprachgebrauch in Ihrem Legal Team
sukzessive verändern, um ihn für eine positive Identitätsgestaltung und -veranke-
rung zu nutzen.

13.3 Identity Happenings

Identitätsgestaltung und ihre Verankerung in den Köpfen der Mitarbeitenden sowie


in denen interner und externer Interaktionspartner entsteht nicht einfach durch die
schriftliche Fixierung wohlklingender Absichtserklärungen. Vielmehr bedeutet
Identitätsgestaltung unter anderem, einen aktiven Eingriff in die Rahmengestaltung
zwischenmenschlicher Interaktionen vorzunehmen. Für diesen Zweck eignet sich
ausgezeichnet das identity change tool der „Identity Happenings“. Der Begriff
happening stammt aus der Aktionskunstszene der 1960er Jahre und bezeichnet eine
„Veranstaltung (…), die – unter Einbeziehung des Publikums – ein (…) Erlebnis
[mit überraschender oder schockierender Wirkung] vermitteln will.“6 Im
Zusammenhang mit der Identitätsthematik stellen happenings wiederkehrende und
dadurch symbolisch-habitualisierende Maßnahmen dar, welche einen gezielten
identitätsverstärkenden Effekt auf die Mitglieder des Legal Teams sowie auf die
anderen Mitarbeitenden des Unternehmens ausüben. Identity Happenings führen
dazu, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl im Team gestärkt wird und verankern
die Normen und Werte der Rechtsabteilung in den Köpfen der Interaktionspartner.
Dadurch minimieren und stabilisieren sie – wie auch die anderen identity change
tools – die Unsicherheit hinsichtlich der innerbetrieblichen und externen
Interaktionen. Schließlich führen Happenings im Legal Team zu einem gewissen

6Quelle: www.duden.de/rechtschreibung/Happening. Besucht 10. Mai 2017.


13 Identity Symbolism und Identity Happenings in Legal Operations 169

Konformitätsdruck, der sich mit der Zeit in jeder sozialen Gruppe einstellt und der
nicht „weg-“gestaltet werden kann.7 Dieser kann aber sichtbar und dadurch
gestaltbar gemacht werden.

13.3.1 Ausgestaltung von Identity Happenings-Maßnahmen

Identity Happenings können im Rahmen großer Legal Operations-Events oder gar


als Teil von Veranstaltungen des Gesamtunternehmens stattfinden. Diese haben
den Vorteil eines starken Wahrnehmungs-Impacts, wirken aber nur über eine rela-
tiv kurze Zeitdauer hinweg; sie sind in unserer hektischen und informationsüber-
fluteten Zeit oft innerhalb weniger Wochen wieder vergessen.8 In der Regel ist
daher der Einsatz einer Serie unterschiedlicher identitätsstiftender Hap-
pening-Kleinmaßnahmen für Legal Operations sinnvoller. Diese können in fol-
gende drei, sich teilweise inhaltlich überschneidende, Kategorien eingeteilt
werden:9

• Legal Operations-Riten: Hierbei handelt es sich um einmalige und aus-


schließlich zum Anlass einer speziellen Gelegenheit durchgeführte happenings,
wie:
– Antrittsveranstaltungen (zum Beispiel anlässlich des Arbeitsbeginns eines
neuen General Counsel),
– kick-off meetings (beispielsweise anlässlich der Lancierung eines identity
change tools),
– Schnuppertagen für Unternehmensangehörige (zur Förderung des gegenseiti-
gen Verständnisses),
– get-togethers (zum Beispiel bei einem internationalen Forum-Treffen aller
Legal Counsels eines globalen Unternehmens),
– inhouse Weiterbildungsseminare und Workshops (beispielsweise betriebs-
wirtschaftliche, rechtliche oder Compliance-Sachverhalte),
– Versammlungen und Mitarbeiterkonferenzen (zum Beispiel zur Einstimmung
auf bevorstehende Großprojekte oder zur Information über größere künftige
Veränderungen in Abteilung und Gesamtunternehmen),
– spontane Auszeichnungen und Honorierungen besonderer Leistungen einzel-
ner Mitarbeitender,
– bis hin zu identity micro management-Maßnahmen (beispielsweise
durch direktes Lob oder positiven Zuspruch seitens des General Coun-
sel, Honorierung durch Übertragung anspruchsvollerer Arbeiten oder von

7Vgl. Bickmann (1999, S. 196).


8Vgl. Rechtschaffen (1998, S. 22 f.).
9Vgl. Bickmann (1999, S. 200 ff.), der in diesem Zusammenhang explizit von „Event Driven

Management (EDM)“ spricht.


170 R.P. Falta

Führungsverantwortung, Kommunikation herausragender Mitarbeiterein-


zelleistungen an wichtige vorgesetzte Stellen etc.).
• Legal Operations-Rituale: Mit der Zeit können einzelne Riten zu Ritualen
und in der Folge zu einem nicht zu unterschätzenden identitätsunterstützenden
Habitus werden. Zu den Ritualen werden daher alle formalisierten Riten hin-
zugezählt, die auf einer steten oder zumindest regelmäßig stattfindenden Basis
durchgeführt werden, wie:
– die oft speziell zelebrierte Übergabe des Gehaltsbriefs in manchen Unterneh-
men,
– regelmäßig stattfindende Arbeitsbesprechungen (zum Beispiel das wöchentli-
che team meeting oder die regelmäßigen coaching meetings mit dem General
Counsel),
– standardisierte Jubiläen (beispielsweise Geburtstagsfeiern bei Kaffee und
Kuchen),
– fixe casual-Teamevents (zum Beispiel casual Friday oder der jeden Monat
einmal stattfindende „Dienstagslunch“ mit dem ganzen Team),
– regelmäßiger Besuch bestimmter Konferenzen und Messen (durchaus auch
als Auszeichnung gedacht),
– die Durchführung von „Basistagen“ (wenn Legal Counsels beispielsweise
jährlich einen oder mehrere Tage in einer anderen Abteilung des Unterneh-
mens mitarbeiten [Verkauf, Produktion, Logistik etc.], um so das Unterneh-
men besser kennenzulernen und sich zu vernetzen),
– die Durchführung von „Sozialmaßnahmen“ (wenn Mitarbeitende jährlich
einen oder mehrere Tage zur Verfügung erhalten, um extern eine karitative
Aktion zu unterstützen),
– periodisch stattfindende Betriebs- und Abteilungsbesichtigungen oder
„Schnupperevents“ (an denen sich abteilungsfremde Mitarbeitende gegensei-
tig besser kennenlernen),
– die Organisation durch „flexible Arbeitsplätze“ (jeder Mitarbeitende hat nur
einen Rollkorpus und keinen fest zugewiesenen Arbeitsplatz; fördert den
Austausch und fordert Flexibilität),
– (halb-)jährlich stattfindende performance counseling meetings (siehe dazu
auch Kap. 28),
– bis hin zu ritualisierten identity micro management-Maßnahmen (zum Bei-
spiel durch die traditionell „offene Bürotür“, dem beliebten management by
walking around oder durch regelmäßige Business Lunches zwischen General
Counsel und alternierenden Mitarbeitenden).
• Legal Operations-Zeremonien: Hierzu gehören ebenfalls zwar regelmäßig,
aber eher seltener stattfindende Happenings, denen ein besonders feierlicher
Charakter zugestanden wird, um ihre Besonderheit zu unterstreichen. Darunter
fallen beispielsweise:
– die feierliche Unterzeichnung des Arbeitsvertrags oder einer besonders
gestalteten „Einführungswoche“ für neue Mitarbeitende,
13 Identity Symbolism und Identity Happenings in Legal Operations 171

– die stimmungsvolle Verdankung und Verabschiedung austretender Mitarbei-


tender,
– besonders aufwendig gestaltete Firmenjubiläen und Weihnachtsfeiern sowie
von Betriebs- und Abteilungsfeiern respektive -ausflügen,
– zeremonielle Leistungsauszeichnungen „vor versammelter Mannschaft“,
– die weihevollen Verdankungen für die Firmentreue langjähriger Mitarbeiten-
der etc.

Zeremonien müssen jedoch nicht immer zwingend einen besonders feierlichen


Charakter aufweisen. So haben durchaus profane Aktionen ebenfalls einen sehr
starken Einfluss auf die abteilungsinterne Identitätsbildung. Dazu gehören privat
organisierte Pizza-, Kino- und Tanzabende beziehungsweise andere – teilweise
sogar aus dem gewöhnlichen Rahmen fallende – Events,10 wie gemeinsame Bun-
gee-, Canyoning-, Rafting- oder Wilderness-Abenteuer.

13.3.2 Die Planung von Identity Happenings in Legal


Operations

Identity Happenings sollten aus der Identitätsperspektive heraus nicht einfach


„geschehen“. Dadurch würden Sie als Vorgesetzter das Heft von Anfang an aus der
Hand geben. Da der Rahmen für Interaktionen und Events einen maßgeblichen
Einfluss auf die Identitätsgestaltung einer sozialen Gruppe hat, sollte er auch nicht
unbedarft respektive ohne ein für seine besonderen Wirkungskräfte geschultes
Auge angewandt werden. Für Sie als General Counsel ist es daher wichtig, sich
genau zu überlegen, was für einen Mix aus vorgenannten oder eigenen Identity
Happenings-Maßnahmen Sie für Ihr Team zusammenstellen möchten. Dadurch
behalten Sie die relative Kontrolle über die Gestaltungsmacht11 und können die
Identitätsbildung nicht nur in die von Ihnen gewünschte Richtung lenken, sondern
zudem auch die Wirkung der anderen identity change tools vertiefen.

10Bickmann (1999, S. 203), verweist in diesem Zusammenhang explizit auf „gemeinsame

Besäufnisse“, die heutzutage gesellschaftlich verpönt und aus einer professionellen Perspektive
klar abzulehnen sind. Auf den zweiten Blick beinhalten aber ausgerechnet nicht gerne gesehene
Verhaltensweisen einen besonders großen Impact auf die Identitätsbildung. Sie sind, sofern in
besonderer Weise aus dem normalen Rahmen fallend, geradezu prädestiniert dafür, zur abtei-
lungsinternen Historien- und Mythenbildung beizutragen. Hier gilt es als Vorgesetzter einen
gesunden Kompromiss zu finden.
11Seien Sie sich jedoch bewusst, dass sich die Identität Ihrer Legal Operations täglich etwas ver-

ändert und auch in eine Richtung entwickeln kann, die Ihnen als General Counsel nicht behagt.
Zudem stellt die Identitätsgestaltung kein technokratisches Instrument dar, das exakt und immer
zu 100% in diejenige Richtung wirkt, in die Sie mit Ihrem Team gehen möchten. Identität lässt
sich nicht in der gleichen Form gestalten wie andere Führungsaufgaben. Sämtliche hier vorge-
stellten identity change tools bieten Ihnen aber sehr gute – da in dieser Form überhaupt verfüg-
bare – Ansatzpunkte, um mittel- bis langfristig in den Prozess der Identitätsentwicklung Ihres
Legal Teams proaktiv eingreifen zu können.
172 R.P. Falta

Um dieses Ziel zu erreichen, sind bei der Auswahl eines optimalen Identity
Happenings-Mix gewisse Vorgaben einzuhalten:

• Die Praxis zeigt, dass es vorteilhaft ist, einen möglichst vollständigen Hap-
penings-Jahreskalender zusammenzustellen und diesen inhaltlich mit den
Werte- und Normvorgaben aus den anderen identity change tools abzugleichen.
Das bedeutet nicht nur die besten Einzelmaßnahmen für die Identitätsbildung
auszuwählen, sondern diese auch in einer besonders sinnvollen Reihenfolge
über das Jahr hinweg anzuordnen. Bereits deren Anordnung beinhaltet für die
Mitarbeitenden eine wahrnehmbare Symbolik.
• Es ist zudem darauf zu achten, dass jede einzelne Identity Happenings-Maß-
nahme nicht nur mit den anderen konsistent ist, sondern auch ihre ganz
spezifische – aus der Vision und den Guidelines abgeleitete – Werte- und
Normenbotschaft übermittelt. So ist es beispielsweise nicht sinnvoll, meh-
rere Maßnahmen nacheinander einzusetzen, die die gleichen oder sehr ähnli-
chen Botschaften transportieren. Es sei denn, eine solche Zusammenstellung
wird bewusst zur Unterstreichung eines Monats- oder Semesterschwerpunktes
gewählt. Im Allgemeinen ist aber darauf zu achten, dass die unterschiedlichen
Normen- und Wertebotschaften abwechselnd im Jahresprogramm vorkommen.
Zudem sollte darauf geachtet werden, dass jede der 15 bis 20 Einzelbotschaften
der Legal Operations Vision (siehe dazu auch Kap. 10) mindestens einmal jähr-
lich in einem Identity Happenings-Event ihren Niederschlag findet. Nur so kann
sich eine tatsächlich gelebte Wertekultur in einer Rechtsabteilung etablieren.
• Schließlich ist beim Einsatz von Identity Happenings-Maßnahmen auch eine
gehörige Portion Geduld gefragt. Symbolische Handlungsweisen benötigen
eine bestimmte Zeit, um ihr Potenzial zu entfalten und die bereits vorbestehende
Kulturdynamik in Legal Operations zu überwinden. Planen Sie daher ruhig
einmal das nächste Halbjahr oder Jahr voraus und kontrollieren Sie anhand
des LOIC-Kreislaufs (siehe dazu auch Kap. 11), wie sich die Identität Ihrer
Rechtsabteilung mit der Zeit verändert. Bereits bei der nächsten Jahresplanung
werden Sie bereits recht gut abschätzen können, welche Happenings sinnvoll
waren, welche noch fehlen und zugefügt und welche nicht zielführend und
daher entfernt werden sollten. Einmal entfernte Happenings-Maßnahmen
können Sie ja auf die Warteliste setzen und später wieder hervorholen, wenn
sie besser zu passen scheinen. Schließlich ist Identity Happenings-Management
keine exakte Wissenschaft, sondern ein mittel- bis langfristiger Trial-and-Error-
Prozess.

Literatur
Bickmann R (1999) Chance: Identität – Impulse für das Management von Komplexität. Springer,
Heidelberg
Bodenhamer BG, Hall LM (2012) User’s manual for the brain –, Bd 1. Crown House Publishing,
Wales
13 Identity Symbolism und Identity Happenings in Legal Operations 173

Galinsky A, Schweitzer M (2015) Friend & Foe – when to cooperate, when to compete, and how
to succeed at both. Random House Business Books, London
Hall LM, Bodenhamer BG, Bolstad R, Hamblett M (2011) The structure of personality. Crown
House Publishing, Wales
Rechtschaffen S (1998) Du hast mehr Zeit, als du denkst. Goldmann, München

Über den Autor


Roman P. Falta, lic.iur.HSG – Professional Services Management Leader QUADRAGON
MANAGEMENT LLC, Zürich
Studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen HSG. Daneben
hält er Weiterbildungsdiplome der Harvard University, des MIT und der UC Berkeley in Sozio­
anthropologie und Psychologie. Seine Berufskarriere begann er in einer führenden Strategie-
beratung, welcher Berufsstationen bei Gericht, in der Finanzverwaltung und einer namhaften
Anwaltskanzlei folgten. Anschliessend war er für diverse Bereiche in Corporate Legal und in der
Compliance eines Global Fortune 500-Unternehmens verantwortlich. Als Professional Services
Management Leader verantwortet er heute unter anderem den Bereich Legal Operations Optimi-
zation bei QUADRAGON MANAGEMENT. Er gilt als einer der renommiertesten Experten für
Professional Services Optimization und Elite Performance Development im deutschsprachigen
Raum.
Teil IV
Praxis zur Positionierung von Legal
Operations
Einführende Übersicht
Positionierung in Legal Operations 14
Roman P. Falta

14.1 Die Positionierung von Legal Operations

Die Positionierung von Legal Operations ist ein hochgradig strategisches Thema
(siehe dazu detailliert Kap. 30). Es beschäftigt sich damit, wie die Rechtsabtei-
lung respektive die durch sie handelnden Personen in Unternehmen oder Behörden
eine möglichst optimale und unverwechselbare Stellung gegen innen und außen
einnehmen können. Mithin ist die Positionierungsthematik eng mit der Identität
von Legal Operations (siehe Teil III dieses Buches) und mit ihren spezifischen
Aufgabengebieten (siehe Teil VIII dieses Buches) verknüpft. Zudem spielt sie,
wie in Abb. 14.1 dargestellt, auch für die anderen Bereiche des Legal Operations
Management eine entscheidende Rolle.

14.2 Die Elemente und Inhalte der Legal Operations-


Positionierung

Um eine möglichst optimale und unverwechselbare Stellung der Legal Operations


in Ihrer Organisation und darüber hinaus zu erreichen, ist es entscheidend, sich
eingehend mit der Leistungserbringung, deren Wertschöpfungsbeitrag und dem
Umfeld, in der sie stattfindet, auseinanderzusetzen. Zumal die Leistungserbrin-
gung immer auf einer wertschöpfenden Austauschbeziehung zwischen Mitgliedern
des Legal Teams und ihren internen und externen Interaktionspartnern basiert.

R.P. Falta (*)


Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC,
Zürich, Schweiz
E-Mail: falta@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 177


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_14
178 R.P. Falta

Abb. 14.1  Positionierung im Kontext des QUADRAGON Legal Operations Management-­


Modells©. (Quelle: QUADRAGON Management LLC)

14.2.1 Umweltsphären- & Interaktionspartner-Management

In einem ersten Schritt sollten Sie sich einen Überblick über das Beziehungsge-
flecht der Legal Operations in der Welt, der angehörenden Organisation (Unterneh-
men oder Behörde) und im Hinblick auf die für diese wichtigen Umweltsphären
und Interaktionsgruppen, wie in Abb. 14.2 dargestellt, verschaffen.
Hierbei kann Ihnen die Auseinandersetzung mit folgenden Fragen helfen:

• Umweltsphäreneinflüsse: Welche Umweltsphären sind für uns besonders


relevant? Wie wirken diese auf die Rechtsabteilung und wie auf die einzel-
nen Mitglieder des Legal Teams? Welche größeren Veränderungen sind in den
nächsten ein bis drei Jahren aus den Umweltsphären zu erwarten? Welche die-
ser Veränderungen werden direkt auf die Legal Operations einwirken, welche
indirekt über die internen und externen Interaktionspartner? Wie stellen wir ein
Frühwarnsystem auf, um gravierende Veränderungen frühzeitig zu entdecken?
Haben wir Verantwortlichkeiten und Prozesse zum Umgang mit solchen Verän-
derungen klar definiert?
• Interaktionspartnereinflüsse: Welche Anspruchsgruppen haben einen Ein-
fluss auf die Legal Operations und qualifizieren sich dadurch als Interaktions-
partner? Welche sind dem inneren und welche dem äußeren Tätigkeitsumfeld
der Rechtsfunktion zuzuordnen? Welche haben eine direkten Einfluss, welche
nur einen mittelbaren? Wie sind deren spezifische Wirkungsart, Einflussstärke
und ihr Interaktionsgrad auf die Legal Operations ausgestaltet? Wie sind wir
auf künftige Entwicklungstrends bei unseren Interaktionspartnern (Änderungen
14 Einführende Übersicht Positionierung in Legal Operations 179

Abb. 14.2  Beispiele für interne und externe Interaktionspartner sowie Umweltsphären von
Legal Operations. (Quelle: QUADRAGON Management LLC)

in der Leistungsnachfrage, der Interaktionsform, der Interaktionsintensität etc.)


vorbereitet?

Die genaue Kenntnis der Charakteristika und Bedürfnisse der Interaktionspartner


ist entscheidend für eine ideale Positionierung als Rechtsabteilung. Zudem kann
nur aufgrund der daraus gewonnenen Informationen eine sinnvolle Beschäftigung
mit dem Leistungs- und Wertschöpfungsmanagement stattfinden. Zur Beurteilung
solcher Spezifika hilft der folgende Analyserahmen, der an die – in diesem Buch
verwendete Modellsystematik für Legal Operations insgesamt (siehe dazu auch
Kap. 1) – angelehnt ist:

• Fundamentalelemente: Jede Interaktionsgruppe verfügt über eine spezifische


Identität. Sie verfolgt ihre individuellen Partikularziele, versucht sich ihrerseits
zu positionieren und weist eine (in-)formelle Leitungsstruktur auf.
• Strukturalelemente: Jede Interaktionsgruppe verfügt über eine eigene Organi-
sationsstruktur sowie über besondere Ressourcen und Prozessschritte, um damit
ihre Zielerreichung möglich zu machen.
• Operativelemente: Jeder Interaktionsgruppe steht in der Regel ein individuel-
les Set von Werkzeugen zur Verfügung: Mithin verfügt jede Interaktionsgruppe
über Analyse-, Planungs-, Umsetzungs- und Monitoring-Mittel.

Die Anwendung eines solchen Rahmens kann dazu beitragen, die einzelnen
Interaktionspartner systematischer und umfassender zu erfassen. Zudem kann
Ihnen der Rahmen dabei helfen, mehr über Ihre Interaktionspartner in Erfahrung
180 R.P. Falta

zu bringen, um mit der Zeit immer bessere Verhaltensvoraussagen zu machen.


Dadurch erhalten Sie aussagekräftigere Entscheidgrundlagen für nachgelagerte
Positionierungsanalysen und -maßnahmen.

14.2.2 Leistungsmanagement in Legal Operations

Neben der genauen Kenntnis des Gebiets, in welchem die Rechtsfunktion operiert,
basiert eine optimale Positionierung auf einem durchdachten Leistungsmanage-
ment. Der zweite Schritt in der Analyse der eigenen Positionierung sollte daher
mit der Beantwortung nachfolgender Fragen eingeleitet werden:

• Leistungsinventar: Welche Leistungen bieten wir an und auf welche Interak-


tionspartner sind diese jeweils ausgerichtet? Welche sollten/müssen wir künftig
anbieten? Welche können abgebaut oder an andere Abteilungen beziehungs-
weise an externe Dienstleister outsourced werden? Wo besteht Handlungsbe-
darf für Abgrenzungen gegenüber ähnlichen oder sogar redundanten Leistungen
durch andere Fachabteilungen (insbesondere business defense units, wie Corpo-
rate Secretary Office, Compliance, Risk Management und Internal Audit)?
• Leistungsspektrum: Was möchten wir sein: Ein umfassender one-stop-shop-Leis-
tungsanbieter mit rechtlichen und rechtsnahen Dienstleistungen, eine hoch
spezialisierte Boutique, die sich ausschließlich auf einen eng gefassten recht-
lichen Kernkompetenzbereich fokussiert oder irgendetwas dazwischen? Sind
wir die defensiv ausgerichtete „rechtliche Feuerwehr“ oder möchten wir als
echter Legal Business Partner eingebunden werden, der auch an betriebswirt-
schaftlichen Entscheiden beteiligt ist, um eine offensive Wertschöpfungsleistung
für das Unternehmen zu erbringen? Wie steht es mit unseren Monitoring- und
Screening-Fähigkeiten: Sind wir Teil des unternehmerischen Früherkennungs-
systems und steuern wir wichtige Inputs zur gesamtunternehmerischen Wert-
schöpfungsstrategie bei? Sind die Leadership-, Struktur-, Ressourcen- und
Prozessstrategien und -maßnahmen optimal auf unser Leistungsspektrum ausge-
richtet?
• Leistungserbringung: In welcher Form erbringen wir unsere Leistungen?
Wie steht es mit den interaktiven und kommunikativen Fähigkeiten des Legal
Teams, wenn es um die Beratung, Schulung und allgemeine Zusammenarbeit
mit internen und externen Interaktionspartnern geht? Sind unsere Mitarbei-
tenden ein Team juristisch qualifizierter Sachbearbeiter oder ein Legal Project
Team, das hochkomplexe interdisziplinäre Transaktionen mit anderen Fachspe-
zialisten aus dem Unternehmen führen oder begleiten kann?

14.2.3 Wertschöpfungsmanagement

Das Wertschöpfungsmanagement nimmt direkten Bezug auf die Ergebnisse der


Auseinandersetzung mit dem Leistungsmanagement. Es schränkt jenes aus einer
14 Einführende Übersicht Positionierung in Legal Operations 181

strategischen Sicht jedoch ein, da nicht jede Leistung von der Rechtsabteilung
erbracht werden muss/sollte.1 Entscheidend ist, welchen Beitrag die Legal Opera-
tions durch ihren Teil der Wertschöpfung zum Erfolg der Gesamtorganisation leis-
ten. Bei der Auseinandersetzung mit dieser Thematik kann die Beantwortung der
nachstehenden Fragen helfen:

• Wertschöpfungsinventar: An welchen Wertschöpfungsketten sind wir in unse-


rem Unternehmen/unserer Behörde beteiligt? Wo beginnen die einzelnen Wert-
schöpfungsketten und wo enden sie? Welche Glieder der Wertschöpfungskette
sollten/müssen inhouse angeboten werden? Wo liegen unsere aktuellen Stärken
und Schwächen? Was definieren wir als Kernkompetenzen? Wie innovativ ist
unser Wertschöpfungsangebot?
• Wertschöpfungsunterstützung: Wie funktioniert unser Wertschöpfungsmo-
dell? Welchen Anteil an der Wertschöpfung der jeweiligen Wertkette und in
welcher Form (einfach oder komplex, autark oder im Verbund mit anderen)
steuern wir bei? Welchen Wertschöpfungsbeitrag leisten wir aus Sicht unserer
Organisation und unserer Interaktionspartner? Welchen Einfluss haben unsere
Leistungen auf unsere Gesamtorganisation? Wo bestehen kritische Anknüp-
fungspunkte zu internen und externen Interaktionspartnern und wie gut werden
diese Schnittstellen gemanagt? Welche Bereiche können effizienter und effekti-
ver von anderen erbracht werden?
• Wertschöpfungserbringung: Welches sind die Erfolgsfaktoren der Legal
Operations, um die Wertschöpfungsketten respektive Teile davon optimal zu
bearbeiten? Sind diese Teile Push- oder Pull-Aktivitäten, werden sie also auto-
nom von uns zur Verfügung gestellt oder müssen sie von Interaktionspartnern
nachgefragt werden? Wie ressourcenintensiv ist unser Teil der Wertschöpfung?
Werden vor allem generelle oder spezialisierte, uniforme oder diversifizierte
Wertkettenteile erbracht? Wie hoch ist der Automatisierungs- und wie hoch der
Self-service-Grad unserer Wertschöpfung? Welche Bereiche der Wertkette kön-
nen wir upstream oder downstream durch value capture von anderen Interakti-
onspartnern in die Rechtsabteilung holen?

Das Ergebnis einer optimalen Positionierung liegt nicht nur darin, dass ein Inter-
aktionspartner mit der richtigen Leistung versorgt wird – und damit aus Sicht
der Rechtsabteilung „Wertschöpfung“ stattfindet –, sondern auch darin, dass der
entsprechende Interaktionspartner mit der erhaltenen Leistung hinsichtlich seiner
Erwartungen auch zufriedengestellt werden kann. Es ist daher sinnvoll, sich auch
damit auseinanderzusetzen, welchen emotionalen Wert die in den Legal Opera-
tions erbrachten Leistungen aufweisen.

1DefinitionWertschöpfung nach Müller-Stewens und Lechner (2005, S. 369): „Ist der Saldo aus
dem Ertrag einer betrieblichen Leistung und dem Wert der in der Leistungserstellung eingegan-
genen Vor- und Fremdleistungen positiv, so spricht man von Wertschöpfung, ist er negativ, von
Wertvernichtung.“ Wertvernichtende Leistungen sollten daher möglichst rasch entdeckt und aus
dem Leistungsangebot der Legal Operations entfernt werden.
182 R.P. Falta

14.3 Kapitelübersicht – Positionierung von Legal


Operations

„Positionierung“ bedeutet vor allem, seine Interaktionspartner genau zu kennen


und diese mit sinnvollen beziehungsweise wertschöpfenden Leistungen zu versor-
gen. Aus diesem Grund haben sich zwei Gruppen von Autoren vertieft mit beson-
ders wichtigen internen und externen Interaktionspartnern auseinandergesetzt.
Daraus ist eine spannende Übersicht entstanden, welche nicht nur die Erfahrungen
mit den jeweils speziellen Gruppen wiedergibt, sondern auch darauf eingeht, wie
die Interaktionsgestaltung möglichst optimal erfolgen soll, um sich als Rechtsab-
teilung „im internen und externen Markt“ zu behaupten.
Die erste Gruppe beschäftigt sich mit den wichtigsten internen Interaktionspart-
nern für Unternehmensjuristen:

• Dr. Hans-Ulrich Schoch beschäftigt sich in Kap. 15 mit der Innenpositio-


nierung zum Aufsichtsrat. Er zeigt unterschiedliche Aufgabenschwerpunkte
auf und erläutert die spezifischen Erwartungen, die der Aufsichtsrat an einen
modernen General Counsel hat. Danach beschäftigt er sich mit den Erfolgsfak-
toren für eine optimale Positionierung und nimmt zum persönlichen Verhältnis
des General Counsel zum Aufsichtsratsvorsitzenden sowie zur Geschäftsleitung
Stellung. Den Abschluss bilden eine Übersicht über Interessenkonflikte zwi-
schen Unternehmensführung und -aufsicht sowie die häufig anzutreffende Dop-
pelfunktion General Counsel/Corporate Secretary.
• Andreas R. Herzog setzt sich in Kap. 16 mit der Innenpositionierung zur
Geschäftsleitung auseinander. Zuerst beschäftigt er sich mit dem Aufgabenport-
folio der Rechtsabteilung. Danach erläutert er detailliert die Erwartungen der
Unternehmensleitung an ihre Rechtsabteilung und zeigt absolute No-Gos auf.
Schließlich nimmt der Autor Stellung zur Frage des Legal Outsourcings aus
Sicht der Geschäftsleitung.
• Walther Schmidt-Lademann geht in Kap. 17 auf die Innenpositionierung der
Legal Operations zu anderen Fachabteilungen und dadurch insbesondere zum
Schnittstellenmanagement ein. Er erläutert detailliert die „Richtlinie Recht“,
die Grundlage für das Schnittstellenmanagement ist, indem die Klärung von
Aufgabengebieten, Zuständigkeiten, Gestaltungsformen und weiterer wichtiger
Aspekte der Ausgestaltung von Schnittstellenbeziehungen aufgezeigt werden.
Danach beschäftigt er sich ebenfalls detailliert mit der praktischen Schnittstel-
lenorganisation durch sogenannte Schnittstellen- und Leistungsabreden (SLA).
• Lars Manske fokussiert sich in Kap. 18 auf die Innenpositionierung der
Rechtsabteilung zum Betriebsrat in Deutschland. Zuerst geht er auf die rechtli-
che Statuierung eines Betriebsrats ein und setzt sich danach mit der Positionie-
rung der Arbeitsrechtskompetenz im Unternehmen auseinander sowie mit der
Positionierung zu anderen arbeitsrechtlichen Interaktionspartnern. Zum Schluss
zeigt der Autor auf, wie die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat aufgrund
praktischer Hilfestellung besonders gut ausgestaltet werden kann.
14 Einführende Übersicht Positionierung in Legal Operations 183

Danach beschäftigt sich eine weitere Gruppe von Autoren mit der Außenpositio-
nierung gegenüber den wichtigsten externen Interaktionspartnern:

• Nora Teuwsen nimmt in Kap. 19 Bezug auf die Außenpositionierung der


Rechtsabteilung zu externen, beratenden Rechtsanwälten. Sie zeigt die Ent-
wicklungen und Ziele des Managements externer Anwälte auf und beschäftigt
sich mit dem Make-or-Buy-Entscheid. Danach folgt eine vertiefte Auseinander-
setzung mit der Kostenplanung und den unterschiedlichen Aspekten beim Ein-
kauf externer Rechtsdienstleistungen. Schließlich geht sie auf den Umgang mit
Interessenkonflikten ein und zeigt auf, wie diese gemildert werden können. Im
Anschluss ermöglicht das Interview mit Dr. Heinz Schärer Einblicke in eine
optimale Kooperationsgestaltung zwischen Kanzlei und Rechtsdienst aus der
Außensicht des Anwalts.
• Eva Gut beschäftigt sich in Kap. 20 mit der Außenpositionierung zu (vor
allem) prozessierenden Rechtsanwälten. Dabei greift sie fünf in der Praxis oft
gehörte, provokative Vorurteile von Unternehmensjuristen auf und beurteilt
diese aus der Außensicht einer externen Anwältin.
• Michael Kummer setzt sich in Kap. 21 mit der Außenpositionierung zu
(Schweizer) Notaren auseinander und sensibilisiert für deren spezifische
Arbeitsweise. Er bietet einen Überblick über die öffentliche Beurkundungstä-
tigkeit und setzt sich detailliert mit deren Zweck sowie Verfahren, den Kosten-
folgen, dem Beurkundungsbegehren durch Dritte und besonders ausführlich mit
der gewillkürten Stellvertretung auseinander. Den Abschluss bildet die Ausein-
andersetzung mit der Unterschriftsbeglaubigung.
• Stefanie Luckert geht in Kap. 22 auf die Außenpositionierung zu Verbänden
ein. Sie zeigt einerseits detailliert die verschiedenen Nutzenaspekte von Ver-
bänden für Unternehmensjuristen auf, wie Beratung, Informationsbeschaffung,
Weiterbildung, „Türöffner“-Funktion zu Behörden und Amtsstellen, politische
Verbandsarbeit, Netzwerkfunktion und Unterstützung bei Auslandstätigkeit.
• Max Gurtner fokussiert sich in Kap. 23 auf die Außenpositionierung zu
Presse und Medien. Er geht auf die generelle Öffentlichkeitsarbeit und die
Gemeinsamkeiten/Unterschiede zwischen Public Relations und Rechtsdienst
ein. Danach beschäftigt er sich mit der digitalen Kommunikation und mit aus-
gewählten Kommunikationsfunktionen im Unternehmen. Zudem erläutert er
detailliert die verschiedenen Aspekte einer praktischen Krisenkommunikation
und beschäftigt sich mit dem Thema „Public Relations durch Kampagnen“.
Den Abschluss bilden Erörterungen über Markenmanagement.
• Dr. Daniel Egli nimmt in Kap. 24 Bezug auf die Außenpositionierung zur
Öffentlichen Verwaltung. Zuerst nimmt er sich der Begrifflichkeit „Beamte,
Behörden und Verwaltung“ an. Danach gibt er einen detaillierten Überblick
zum Bewilligungswesen, zum Vergabeverfahren bei öffentlichen Aufträgen und
zur Korruptionsprävention. Zudem rundet er jeden Hauptabschnitt mit einer
Vielzahl praktischer Empfehlungen zum Kontakt mit Behörden ab.
184 R.P. Falta

• Den Abschluss dieses Buchteils bildet ein Interview mit Dr. Valentin
Landmann in Kap. 25 zur Außenpositionierung gegenüber Strafverfol-
gungsbehörden.

Literatur
Müller-Stewens G, Lechner C (2005) Strategisches Management: Wie strategische Initiativen
zum Wandel führen, 3. Aufl. Schäffer-Poeschel, Stuttgart

Über den Autor


Roman P. Falta, lic.iur.HSG – Professional Services Management Leader QUADRAGON
MANAGEMENT LLC, Zürich
Studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen HSG. Daneben
hält er Weiterbildungsdiplome der Harvard University, des MIT und der UC Berkeley in Sozio­
anthropologie und Psychologie. Seine Berufskarriere begann er in einer führenden Strategie-
beratung, welcher Berufsstationen bei Gericht, in der Finanzverwaltung und einer namhaften
Anwaltskanzlei folgten. Anschliessend war er für diverse Bereiche in Corporate Legal und in der
Compliance eines Global Fortune 500-Unternehmens verantwortlich. Als Professional Services
Management Leader verantwortet er heute unter anderem den Bereich Legal Operations Optimi-
zation bei QUADRAGON MANAGEMENT. Er gilt als einer der renommiertesten Experten für
Professional Services Optimization und Elite Performance Development im deutschsprachigen
Raum.
Innenpositionierung zum
Aufsichts-/Verwaltungsrat 15
Hans-Ulrich Schoch

15.1 Die Aufgaben des Verwaltungsrats

Der (schweizerische) Verwaltungsrat1 übt die Oberleitung der Gesellschaft aus und
erteilt die nötigen Weisungen. Er legt die Organisation fest, das Rechnungswesen
und die Finanzkontrolle. Er ernennt die mit der Geschäftsführung betrauten Perso-
nen und überwacht und kontrolliert diese. Er erstellt den jährlichen Geschäftsbe-
richt, bereitet die Generalversammlung der Aktionäre vor und führt deren
Beschlüsse aus. Diese im Gesetz2 festgeschriebenen Aufgaben des Verwaltungs-
rats sind seit jeher gleich. Indessen haben sich bei der Erfüllung dieser Aufgaben
die Schwerpunkte der Verwaltungsratstätigkeit in den letzten zwei Jahrzehnten
stark verändert, indem sich der heutige Verwaltungsrat intensiv und detailliert mit
Themen wie Corporate Governance, Audit, Risk Management, Compliance, Ver-
gütung oder der sozialen Verantwortung seines Unternehmens befassen muss. Der
rechtliche Bezug zu einigen dieser Themen ist offensichtlich und führt in der
Folge daher zu einer engeren Zusammenarbeit des Verwaltungsrats mit dem Gene-
ral Counsel, als dies früher der Fall war.

1Der Autor ist mit den Verhältnissen in der Schweiz vertraut. Entsprechend spricht er von Verwal-
tungsrat und nicht Aufsichtsrat und von Generalversammlung und nicht Hauptversammlung usw.
2Art. 716a OR (Schweizerisches Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen

Zivilgesetzbuches vom 30. März 1911) (Fünfter Teil: Obligationenrecht) (SR 220).

H.-U. Schoch (*)


Generali Versicherungen, Adliswil, Schweiz

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 185


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_15
186 H.-U. Schoch

15.2 Die Aufgaben des General Counsel

Die Rolle des General Counsel ist nicht primär diejenige des Feuerwehrmanns,
der erst bei einem Brand gerufen wird, um zu löschen. Früher bestand die Kern­
aufgabe des General Counsel darin, „Probleme“, die ihm vom Verwaltungs-
rat vorgelegt wurden, aus juristischer Sicht zu beurteilen. Nicht selten wurde
er erst beigezogen, nachdem diese bereits vorlagen und Entscheidungen dazu
schon getroffen waren. Fast zwangsläufig handelte er somit reaktiv. Ein moder-
ner General Counsel sieht sich dagegen vielmehr als der Hüter über das rechtlich
und ethisch korrekte Verhalten seines Unternehmens. Er räumt rechtliche Hinder-
nisse aus dem Weg, um die legitimen Geschäftsziele des Unternehmens proaktiv
zu unterstützen und zu fördern. Zudem stellt er sicher, dass das Unternehmen und
dessen Mitarbeitende sich vorbildlich an rechtliche und ethische Verhaltensnormen
halten. Dabei hat er eine zuweilen schwierige Balance zwischen Unternehmens­
integrität und (kurzfristigem) Unternehmensprofit zu finden. Schließlich besteht
seine Rolle aber auch darin, pro-aktiv rechtlichen Brandschutz zu betreiben und
Brände zu vermeiden. Dafür aber muss er bei den Diskussionen und Entschei-
den über Geschäfts- und Projektideen dabei sein, um rechtzeitig die rechtlichen
Implikationen abklären und das Management (und den Verwaltungsrat) vor des-
sen Entscheid beraten zu können, um namentlich Fehlentscheide (in rechtlicher
Hinsicht) und deren negative Auswirkungen (nicht nur rechtlicher Natur, sondern
beispielsweise Reputationsrisiken) vermeiden zu können. Dieser rechtliche Schutz
des Unternehmens als Kernaufgabe des General Counsel und seiner Rechtsabtei-
lung ist natürlich gegenüber der Geschäftsleitung, wie auch gegenüber dem Ver-
waltungsrat wichtig.

Beispiel
Das schweizerische Recht schreibt nirgends vor, dass ein Unternehmen einen
Verhaltenskodex für seine Mitarbeiter einführen muss. Ein international täti-
ges Unternehmen wird jedoch mit vielen Risiken konfrontiert, die sich aus dem
(Fehl-)Verhalten der Mitarbeiter ergeben. Zu denken ist an verpönte Abspra-
chen mit Konkurrenten, aktive und passive Bestechung, Geldwäscherei oder
Ähnliches. Diese können empfindliche Sanktionen wie Bußen durch in- und
ausländische Behörden, Lizenzentzug, Reputationsschaden etc. nach sich zie-
hen. Es ist die Aufgabe des General Counsel, die Geschäftsleitung und den
Verwaltungsrat in dieser Hinsicht zu sensibilisieren, ihnen Risiken und Nutzen
für das Unternehmen aufzuzeigen, ihre Vorbildfunktion für die Mitarbeiter zu
verdeutlichen und sie von der Notwendigkeit des Erlasses eines Verhaltensko-
dex zu überzeugen. Hernach natürlich zudem darauf zu achten, dass dieser im
Unternehmen auch „gelebt“ wird.

Um seine Kernaufgabe wahrnehmen zu können, insbesondere den Schutz des


Unternehmens vor Verlusten und Schäden aus der Manifestierung von recht-
lichen Risiken, sollte der General Counsel grundsätzlich und prinzipiell bei
15 Innenpositionierung zum Aufsichts-/Verwaltungsrat 187

Geschäftsleitungssitzungen dabei sein. Nur durch seine regelmäßige Teilnahme


kann sichergestellt werden, dass er rechtliche Fragen rechtzeitig klären und mit-
helfen kann, Ideen und Projekte von Beginn an in (rechtlich) machbare und zuläs-
sige Bahnen zu lenken. Natürlich stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage,
ob der General Counsel auch Mitglied der Geschäftsleitung sein sollte. Grundsätz-
lich kann der General Counsel seine Funktion im Verhältnis zum Verwaltungsrat
und zur Geschäftsleitung genauso gut wahrnehmen, ob er nun selbst formelles
Mitglied der Geschäftsleitung ist oder nicht. Viel wichtiger ist seine regelmäßige
Teilnahme an den Sitzungen. Dennoch ist es meines Erachtens von Vorteil, wenn
der General Counsel Mitglied der Geschäftsleitung ist. Nicht wegen seines Ver-
hältnisses zum Verwaltungsrat, sondern wegen seines „Gewichtes“ in der Unter-
nehmung. Der General Counsel wird von den anderen operativen Leitern dann
ernst genommen, wenn er auf gleicher oder höherer hierarchischer Stufe steht, was
eine formelle Mitgliedschaft in der Geschäftsleitung voraussetzt.

15.3 Die Erwartungen des Verwaltungsrats an einen


modernen General Counsel

Aufgrund der vorgenannten Entwicklungen hat der moderne Verwaltungsrat heute


andere, deutlich gestiegene Erwartungen an seinen General Counsel und dessen
Rechtsabteilung. Um sich im Unternehmen gegenüber dem Verwaltungsrat mög-
lichst optimal zu positionieren, sollte der General Counsel auf die Erfüllung fol-
gender Haupterwartungen achten:

• Schutz des Verwaltungsrats vor Haftungsrisiken: Der Verwaltungsrat erwar-


tet vom General Counsel eine kompetente juristische Beratung, insbesondere in
Sachen Corporate Governance. Er will sich vor Haftungsrisiken aus seiner Ver-
waltungsratstätigkeit schützen, und legt darum größten Wert darauf, vom Gene-
ral Counsel in entsprechend relevanten Fragen geleitet zu werden. Er muss sich
darauf verlassen können, dass der General Counsel die rechtlichen Entwicklun-
gen verfolgt und den Verwaltungsrat vorausschauend informiert. Ein weiterer
wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist es, dafür zu sorgen, dass sich der
Verwaltungsrat rechtzeitig an seinen Sitzungen mit rechtlichen Entwicklungen
befasst und, dass das unternehmensinterne Regelwerk im Gleichschritt mit der
nationalen und internationalen Entwicklung vom General Counsel fortgeführt
wird.

Beispiel
Der Verwaltungsrat verlässt sich darauf, dass der General Counsel rechtzei-
tig und von sich aus auf eine Gesetzesänderung aufmerksam macht, die eine
Anpassung der Statuten mit sich bringt, welche der Verwaltungsrat der General-
versammlung zur Genehmigung vorzulegen hat.
188 H.-U. Schoch

• Einhaltung der „no surprise policy“: Der Verwaltungsrat will vollständig und
transparent über rechtliche Risiken und latente oder hängige Streitfälle von
materieller Wichtigkeit informiert werden.

Beispiel
Es gibt nichts Peinlicheres für einen General Counsel, als wenn der Verwal-
tungsrat aus der Presse erfahren muss, dass eine Behörde gegen das Unterneh-
men eine Untersuchung wegen Verdachts auf Preisabsprachen führt, obwohl
der General Counsel Gelegenheit gehabt hätte, den Verwaltungsrat vorgängig
zu informieren.

• Eine klare „can do attitude“: Der Verwaltungsrat schätzt es sehr, wenn der
General Counsel rechtlich innovative und vertretbare Lösungen präsentie-
ren kann, die ihn in einem rechtlich immer anspruchsvolleren Umfeld bei der
Bewältigung seiner Aufgaben unterstützen. Umgekehrt kommt es nicht gut an,
wenn beim Verwaltungsrat der Eindruck entsteht, dass der „Hausjurist“ ein
Bremsklotz ist, der keine eigene Meinung hat, immer nur Probleme sieht und
Vorbehalte anbringt, anstatt aktiv Lösungen zu kommunizieren.
• Ein effizienter Sitzungsablauf: Der Verwaltungsrat erwartet, dass der Sit-
zungsraum vorbereitet ist, Getränke, Schreibutensilien vorhanden sind, die
technischen Einrichtungen funktionieren und dass Personen, die nur für ein
bestimmtes Traktandum an der Sitzung teilnehmen, zur rechten Zeit dazu kom-
men etc. In jenen (häufigen) Fällen, wo der General Counsel gleichzeitig auch
Verwaltungsratssekretär ist (siehe dazu auch Kap. 53), werden sich die Sit-
zungsteilnehmer an ihn wenden, wenn etwas nicht funktioniert. Nebst logisti-
schen Aspekten ist natürlich dem Inhalt, namentlich der Traktandierung, viel
Aufmerksamkeit zu schenken. Der General Counsel/Verwaltungsratssekretär
arbeitet mit dem Verwaltungsratspräsidenten (VRP) und dem Chief Executive
Officer (CEO) Traktandenlisten aus, die sicherstellen, dass sich der Verwal-
tungsrat mit den wichtigsten Risiken und Chancen des Unternehmens befasst
und dazu ausreichend und aufrichtig informiert wird. Ob hernach die eigentli-
che Sitzung pünktlich und effizient abläuft, hängt natürlich von der Sitzungs-
leitung des Vorsitzenden ab. Der logistische Aufwand für Vorbereitung und
Durchführung von Verwaltungsrats- und Verwaltungsratsausschusssitzungen
ist je nach den konkreten Umständen nicht zu unterschätzen. Folgende Punkte
gehören dazu: Unterkunft und Transport für zureisende Verwaltungsräte, Ein-
treiben der Sitzungsunterlagen (dies können rasch einmal mehrere hundert
Seiten sein), ordnen, drucken und elektronischer oder physischer Versand der-
selben, Telefon-, Video-Zuschaltungen, Essen, Trinken, Zeitbedarf pro Sit-
zungsthema und Unvorhergesehenes einplanen etc.
15 Innenpositionierung zum Aufsichts-/Verwaltungsrat 189

Beispiel
Ich habe als Generalsekretär stets darauf geachtet, dass Fragen dazu, ob ein
Entscheid zu einem bestimmten Projekt, der einer ausländischen Behörde
unterbreitet werden muss, einer bestimmten Form entsprechen muss, stets
im Voraus geklärt waren, denn der Verwaltungsrat sollte seine Zeit nicht da­
rauf verwenden, solche Fragen zu debattieren, sondern Zeit für die eigentliche
Beratung und Diskussion von geschäftsrelevanten Projekten haben. Und noch
weniger schätzt er es, wenn das gleiche Geschäft ein zweites Mal traktandiert
und vorgelegt wird, weil ein Entscheid beim ersten Mal nicht förmlich richtig
ergangen ist.

15.4 Erfolgsfaktoren für eine optimale Positionierung

Es gibt in der Praxis unzählige Spielvarianten und Modelle, die die Positionie-
rung und das Verhältnis des General Counsel zum Verwaltungsrat beeinflussen.
Dies beginnt bei der Organisation und Zusammensetzung von Verwaltungsrat und
Geschäftsleitung: Es gibt Verwaltungsräte, die bloß aus einem Mitglied beste-
hen. Andere zählen drei, fünf oder mehr Mitglieder. Es gibt Verwaltungsräte, die
ausschließlich aus exekutiven, also angestellten, im operativen Management der
Gesellschaft tätigen Mitgliedern bestehen, andere Verwaltungsräte haben einzelne,
von Unternehmen und Management unabhängige Mitglieder; oder die Mehrheit
oder gar alle Mitglieder sind unabhängig. Mehrheitlich, wenngleich nicht mehr
so häufig wie früher, ist der Präsident des Verwaltungsrats (VRP) gleichzeitig der
Geschäftsführer (CEO) des Unternehmens. Ob das Unternehmen börsenkotiert ist
oder nicht, von einem Mehrheitsaktionär oder einer Familie beherrscht wird etc.,
sind weitere Faktoren, die einen Einfluss auf die Zusammenarbeit des General
Counsel mit dem Verwaltungsrat und damit auf dessen optimale Innenpositionie-
rung haben.
Großen Einfluss auf das Verhältnis des General Counsel zum Verwaltungsrat
hat natürlich auch seine (hierarchische) Stellung im Unternehmen: Rapportiert er
direkt an den CEO? Nimmt er an allen Geschäftsleitungssitzungen teil? Nimmt
er an allen Verwaltungsratssitzungen teil? Hat er eine „offene“ Linie zum Verwal-
tungsrat? Im Folgenden wird nicht näher auf die verschiedenen Variationen der
Unternehmensorganisation eingegangen, denn die entscheidenden Erfolgsfakto-
ren für die Innenpositionierung des General Counsel zum Verwaltungsrat hängen
weniger von der Organisation und der Zusammensetzung des Verwaltungsrats
sowie der Geschäftsleitung ab; vielmehr sind weiche Faktoren ausschlaggebend
für eine optimale Positionierung des General Counsel gegenüber dem Verwal-
tungsrat.
Ein guter General Counsel kann sich zum Beispiel in die Rolle der Verwal-
tungsräte hineinversetzen. Er versteht und spricht deren Sprache. Ein Verwaltungs-
rat besteht typischerweise aus Personen, die charakterlich und beruflich heterogen
sind. Nicht ungewöhnlich ist auch, dass es sich um Personen mit großem Ego und
190 H.-U. Schoch

entsprechender Empfindlichkeiten handelt. Die Aufgabe des Präsidenten, die Ver-


waltungsratsmitglieder zu führen, ist häufig um einiges schwieriger als jene des
CEO, die Mitglieder der Geschäftsleitung zu führen. Ein guter General Counsel
versteht dies und verhält sich entsprechend diplomatisch und dienstleistungsori-
entiert, aber nicht servil. Er ist stets gut vorbereitet, wenn er an Verwaltungsrats-
sitzungen teilnimmt. Er muss keineswegs auf jede Frage eine Antwort wissen.
Der Verwaltungsrat hat üblicherweise Verständnis dafür, wenn der General Coun-
sel eine spezifische Frage, die sich aus der Diskussion ergeben hat, nicht sogleich
mit Bestimmtheit beantworten kann, sondern diese entgegennimmt und eine (fun-
dierte) Antwort später schriftlich oder mündlich nachreicht. Indessen kommt es
nicht gut an, wenn man bei einer Frage merkt, dass er die Unterlagen zu einem
Traktandum offensichtlich nicht gelesen hat.
Wie schon in Abschn. 15.3 erwähnt, mögen es der Verwaltungsrat und übri-
gens auch die Geschäftsleitung nicht, wenn der General Counsel bei der Diskus-
sion eines Themas lediglich rechtliche Hürden und Schwierigkeiten aufzeigt, ohne
rechtlich vertretbare Lösungen zu skizzieren. Ein General Counsel, der nicht als
business enabler, sondern als juristischer Bremsklotz wahrgenommen wird, läuft
Gefahr, isoliert und ignoriert zu werden. Es ist absolut in Ordnung, ja eminent
wichtig, dass der General Counsel sich energisch dafür einsetzt, dass im Einzel-
fall beispielsweise eine Entscheidung aufgeschoben wird, bis rechtliche Abklärun-
gen vollständig durchgeführt und potenzielle rechtliche Gefahren (durch geeignete
Maßnahmen) ausgeschlossen, beziehungsweise genügend eingedämmt werden
können. Dabei muss der General Counsel als Wegbereiter für erfolgreiche bezie-
hungsweise als Retter vor verlustbringenden Geschäften auftreten.
Selbstverständlich muss der General Counsel fachlich kompetent und aus Sicht
des Verwaltungsrats absolut vertrauenswürdig sein. Professionalität und hohe fach-
liche Qualität verbunden mit anständigem, respektvollem Auftreten gegenüber
dem Verwaltungsrat sind langfristig immer die besten Erfolgsfaktoren. Der Gene-
ral Counsel hat sich zudem serviceorientiert aufzustellen: Anliegen und Wünsche
einzelner Verwaltungsratsmitglieder nimmt er stets offen und freundlich entgegen,
selbst wenn sie nicht unbedingt in seinen direkten Aufgabenbereich fallen sollten.
Es ist schließlich ein gutes Zeichen, wenn sich einzelne Verwaltungsräte auch mit
anderen Angelegenheiten an den General Counsel wenden. Problematisch kann es
jedoch werden, wenn ein Verwaltungsrat sich mit persönlichen Anliegen an den
General Counsel wendet, um sich eine bevorzugte Behandlung zu sichern.

Beispiel
Ein Verwaltungsrat informiert den General Counsel, dass seine Uhr nach einer
Reparatur beim Bijoutier abgeholt werden könne, er aber wegen der Verwal-
tungsratssitzungen keine Zeit habe. Geht es in Ordnung, wenn der General
Counsel den Chauffeur des Unternehmens losschickt, um die Uhr abzuholen?
Was ist, wenn der Verwaltungsrat fragt, ob er nach den Sitzungen vom Chauf-
feur des Unternehmens in seine Ferienwohnung in die Berge gefahren werden
könne? Der Leser kann sich zu diesen Fragen selbst die Antworten geben und
15 Innenpositionierung zum Aufsichts-/Verwaltungsrat 191

wird feststellen, dass sie in der Praxis oft gar nicht so einfach mit einem klaren
Ja oder Nein beantwortet werden können.

u Für eine optimale Innenpositionierung des General Counsel zum Ver-


waltungsrat (und genauso natürlich auch gegenüber der Geschäftslei-
tung) zeichnet sich der erfolgreiche General Counsel durch fachliche
Kompetenz, Umsicht und Diplomatie, Pragmatismus und Rückgrat aus.
Dos:
• Mit Verwaltungsratspräsident (und Ausschusspräsidenten) die Sit-
zungen vorbereiten, Fixtermine für das ganze Jahr einplanen (ob
dann physisch oder per Telefon ist egal), Agenda-Raster für alle Sit-
zungen für das ganze Jahr erstellen.
• Möglichst weit im Voraus planbare Fragen (zum Beispiel im Zusam-
menhang mit der Vorbereitung der Generalversammlung: Wahlge-
schäfte, Mitarbeiteraktien und bedingtes Kapital etc.) selbstständig
vorbereiten und mit Verwaltungsratspräsidenten besprechen.
• Transparente Kommunikation zwischen Verwaltungsrat und Geschäfts-
leitung fördern, zum Beispiel dafürhalten, dass M&A Projekte bereits
in sehr frühem Stadium mit dem Verwaltungsrat besprochen werden,
auch wenn noch völlig offen ist, ob das Projekt je reif für eine Verwal-
tungsratsentscheidung wird.
• Den Verwaltungsrat über Rechtsstreitigkeiten, die das Potenzial zu
materiell einschlägigen Konsequenzen (Streitsumme, Reputationsri-
siko) haben, informieren, auch wenn das Risiko eines Prozessverlus-
tes aus juristischer Sicht gering ist.
Don’ts
• Nicht bloß rechtliche Hindernisse, sondern die rechtskonforme, das
heißt rechtlich vertretbare Vorgehensweise aufzeigen, um das unter-
nehmerische Ziel zu erreichen.
• Niemals unvorbereitet an Verwaltungsratssitzungen teilnehmen.
• Nicht belehrend auftreten und sich grundsätzlich nur in die Diskus-
sion einbringen, wenn man gefragt wird.

15.5 Persönliches Verhältnis zu Verwaltungsrat und


Geschäftsleitung

Nicht wirklich überraschend ist der (letztlich) wohl entscheidende Erfolgsfaktor


das persönliche Verhältnis zum CEO und zum Verwaltungsratspräsidenten. Natur-
gemäß ist das Verhältnis zum CEO von größter Bedeutung – unabhängig davon,
ob Personalunion von Verwaltungsratspräsident und CEO herrscht oder die Funk-
tionen getrennt sind –, weil die Aufgaben und vor allem das zeitliche Engagement
des General Counsel überwiegend auf die Beratung der exekutiven, operativen Lei-
tung, an deren Spitze der CEO steht, fokussiert ist. Der General Counsel, der das
Vertrauen des CEO genießt, ist dadurch im Unternehmen praktisch unantastbar.
192 H.-U. Schoch

Dies jedenfalls, solange er nicht einen gravierenden Fehler begeht, der in seine
fachliche, juristische Kompetenz fällt, oder er nicht bei einem unangenehmen
Ereignis als Bauernopfer herhalten muss. Der Verwaltungsrat, dem der General
Counsel – aus welchen Gründen auch immer – vielleicht nicht wohlgesonnen ist,
wird sich deswegen nicht mit dem CEO anlegen, solange der General Counsel vom
CEO gestützt wird.
Das Verhältnis zum Verwaltungsrat ist deswegen aber nicht minder wichtig. Vor
allem ist es für das moderne Rollenverständnis des General Counsel unabdingbar,
dass er einen direkten Zugang zum Verwaltungsratspräsidenten beziehungsweise
zum gesamten Verwaltungsrat hat. Das überwiegende Interesse, das der General
Counsel zu vertreten hat, ist jenes des Unternehmens. Bei kontroversen Fragen
muss es ihm daher möglich sein, sich ohne vorherige Zustimmung des CEO direkt
an den Verwaltungsratspräsidenten oder ein anderes Verwaltungsratsmitglied zu
wenden. Dieser direkte Zugang lässt sich mit der „gestrichelten Verbindungslinie“
(dotted reporting line) des Internen Revisors oder des Chief Compliance Officers
zum Audit Committee vergleichen, wie er als best practice des Ausdrucks der
Unabhängigkeit der erwähnten Funktionen gilt.3

15.6 Interessenkonflikte zwischen Verwaltungsrat und


Geschäftsleitung

Die Interessen des Verwaltungsrats werden meist mit jenen der Geschäftsleitung
übereinstimmen, müssen dies aber nicht immer tun. Konflikte entstehen, wenn sich
Verwaltungsrat und Geschäftsleitung oder einzelne Protagonisten wie Verwaltungs-
ratspräsident und CEO über die strategische Orientierung des Unternehmens nicht
einig sind oder sich schlicht persönlich nicht mögen. Die Maxime für den General
Counsel ist in einem solchen Fall klar: An erster Stelle steht nicht das Interesse des
Verwaltungsratspräsidenten oder das des CEO, sondern das Interesse des Unter-
nehmens, sowohl in sachlicher wie auch juristischer Hinsicht. In der Praxis ist die
Umsetzung dieses Prinzips ein bisschen schwieriger und erfordert nebst diplomati-
schem Geschick auch ein gehöriges Maß an Rückgrat und Stehvermögen.

Beispiel 1
Nehmen wir an, es bestehen ernsthafte Meinungsunterschiede zwischen Ver-
waltungsratspräsident und CEO, an welchen der General Counsel direkt rap-
portiert. In der Folge debattiert der Gesamtverwaltungsrat über die Absetzung
des CEO. Der General Counsel, der gleichzeitig auch Verwaltungsratssekretär
ist, nimmt an dieser Verwaltungsratssitzung teil. Unweigerlich findet er sich in
einem Loyalitätskonflikt wieder, weil er aus Vertraulichkeitsgründen dem CEO,

3Vgl. hierzu zum Beispiel: The Conference Board (2009) Corporate Governance Handbook.
3. Aufl. New York.
15 Innenpositionierung zum Aufsichts-/Verwaltungsrat 193

seinem direkten Vorgesetzten, nichts über den Inhalt der Verwaltungsratssitzung


berichten darf.4

Beispiel 2
Ein Bericht an den Verwaltungsrat ist beschönigend und lässt unangenehme
Tatsachen aus. Der CEO respektive die Geschäftsleitung wollen das Problem
ohne Wissen und Unterstützung des Verwaltungsrats lösen. Der General Coun-
sel erfährt diesen Tatbestand. Er muss sich jedoch dagegen einsetzen, auch
wenn er sich persönlich exponieren muss. Schließlich gehört es zu seiner Auf-
gabe, dass der Verwaltungsrat transparent und aufrichtig informiert wird und
dass insbesondere nicht versucht wird, Angelegenheiten, die in den Aufgaben-
bereich des Verwaltungsrats gehören, an diesem „vorbei zu schmuggeln“. Im
Einzelfall ist die Sache selten schwarz-weiß und es ist meist ein gewisser
Ermessenspielraum vorhanden. Ein nach meiner Erfahrung häufig gangbarer
und pragmatischer Weg ist es in einem solchen Fall, dass der General Counsel
darauf hinwirkt, dass der CEO das Problem mit dem Verwaltungsratspräsident
bespricht, um letztlich dessen Meinung einzuholen, ob das Problem dem
Gesamtverwaltungsrat zur Kenntnis gebracht werden soll.5

Die Situation wird um einiges delikater und der Loyalitätskonflikt für den Gene-
ral Counsel bedeutend größer, wenn im Fall von Personalunion zwischen Ver-
waltungsratspräsident und CEO, dieser seine Machtfülle nützt und selbstherrlich
Entscheidungen trifft, ohne die anderen Verwaltungsräte (genügend) zu informie-
ren oder mitentscheiden zu lassen.

15.7 Doppelfunktion von General Counsel und


Verwaltungsratssekretär

Der praktische Aufgabenbereich des Verwaltungsratssekretärs (Corporate Secre-


tary) hat sich genauso weiterentwickelt und vergrößert wie jener des Verwal-
tungsrats und des General Counsel. Dieser beinhaltet heute häufig nebst der
Protokollierung der Sitzungen, der administrativen Organisation und Durch-
führung von Verwaltungsratssitzungen und Generalversammlungen sowie der

4Anzumerken ist, dass der Verwaltungsrat normalerweise heikle Personalfragen in private ses-
sions, ohne Anwesenheit des Verwaltungsratssekretärs berät. Bei Publikumsgesellschaften muss
der Verwaltungsrat allerdings die Ad-hoc-Publikationsvorschriften der Börse im Auge behalten,
weshalb ab einem gewissen Zeitpunkt vor dem Verwaltungsratsentscheid der General Counsel/
Verwaltungsratssekretär beigezogen wird, damit dieser die Publikation vorbereiten und nach
erfolgtem Entscheid in rechtskonformer Weise der Börse und der Öffentlichkeit melden kann.
5Im Zweifelsfall ist es immer besser, den Verwaltungsrat zu informieren und ihn so mit in die

Verantwortung zu nehmen.
194 H.-U. Schoch

Verantwortung für die Führung des Aktienregisters auch zunehmend die Aus-
einandersetzung mit Fragen der Corporate Governance, dem Audit- und Risk-
management, der Compliance und des Verhältnisses von Verwaltungsrat zu
Geschäftsleitung (siehe dazu detailliert Kap. 53).
Die stets länger gewordene Liste von Aufgaben des General Counsel (sowie
des Corporate Secretary) und die Komplexität der damit zusammenhängen-
den Fragestellungen sprechen für eine Trennung der früher häufig anzutref-
fenden Doppelfunktion. Darüber hinaus ist aus grundsätzlichen Corporate
Governance-Überlegungen eine Trennung der Funktionen zu begrüßen, wobei
­
der Corporate Secretary unabhängig von der Geschäftsleitung direkt dem Ver-
waltungsratspräsidenten respektive dem Gesamtverwaltungsrat unterstellt wer-
den sollte. Bei größeren, börsenkotierten Unternehmen ist dies in der Praxis auch
häufig der Fall (Beispiele: Swiss Re, UBS, Credit-Suisse). Dabei beschränkt sich
die Rolle des Verwaltungsratssekretärs nicht auf rein administrative Aufgaben
(­Organisation von Sitzungen, Versand von Dokumenten, Protokollierung, Orga-
nisation der Generalversammlung etc.). Vielmehr nimmt der moderne Corporate
Secretary die Rolle des Corporate Governance Officers ein, also des Beraters
des Verwaltungsrats und zuweilen auch der Geschäftsleitung vorab in Corporate
Governance-Fragen. Daraus ergeben sich natürlich Spannungsfelder zwischen
den nicht in Personalunion agierenden General Counsel und Corporate Secretary,
welche aber durch offene und professionell-kameradschaftliche Zusammenarbeit
weitgehend entschärft werden können.
Im Verhältnis zum Verwaltungsrat ist klar, dass der Corporate Secretary bei
einer getrennten Konstellation viel näher beim Verwaltungsrat steht. Dies hat
jedoch wiederum den Vorteil, dass der General Counsel weitestgehend aus dem
Schussfeld des Verwaltungsrats ist und sich auf seine Aufgabe als oberster Unter-
nehmensjurist und Leiter der Rechtsabteilung, der vorab den Exekutivgremien zur
Verfügung steht, konzentrieren kann. Loyalitäts- und Interessenkonflikte gibt es in
einem solchen Fall grundsätzlich keine, da der General Counsel nicht gleichzeitig
zwei Herren (dem Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung) dienen muss.

Über den Autor


Dr. Hans-Ulrich Schoch – General Counsel Generali Versicherungen, Zürich
Jurastudium an der Universität Zürich, Rechtsanwaltspatent 1991, Doktorat 1994, von 1991–
1996 in Zürich and Zug als Rechtsanwalt tätig, von 1996–2013 in verschiedenen Senior Positions
bei Zurich Insurance Group (u. a. Senior Vice President for Risk Mitigation & Restructuring
[USA], General Counsel & Chief Compliance Officer [Switzerland] sowie Corporate Secretary
to the Board of Directors), 2014/2015 Partner bei Anwaltskanzlei Hartmann Müller & Partner,
Zürich. Seit 2015 General Counsel der Generali Versicherungen in Adliswil.
Innenpositionierung zur
Geschäftsleitung 16
Andreas R. Herzog

16.1 Ausgangslage und Vorüberlegungen

Der Autor ist seit 2002 Chief Financial Officer (CFO) des Bühler Konzerns und
zeigt in diesem Kapitel auf, wie sich der General Counsel und die Rechtsabtei-
lung optimal zur Geschäftsleitung positionieren können. Damit die Erläuterungen
im Kontext zur Unternehmenswirklichkeit stehen, wird hier die Positionierungs-
diskussion am Beispiel eines international operierenden Familienunternehmens
dargestellt. Einleitend werden daher dessen Tätigkeitsgebiete, die spezifische
Organisation und die Problemstellungen umrissen, um dem Leser ein einfacheres
Verständnis für die spezifische Ausgestaltung der Positionierungsmöglichkeiten
aufzuzeigen.
Bühler ist ein alteingesessenes Familienunternehmen aus Uzwil (Schweiz),
welches 1860 als Gießerei gegründet wurde und heute mit einem Umsatz von
rund 2,3 Milliarden Euro weltumspannend tätig ist. Das Unternehmen leistet mit
industriellen Lösungen einen wesentlichen Beitrag zur globalen Nahrungsmit-
telproduktion. Rund 70 % des weltweiten Getreides wird auf Bühler-Mühlen zu
Mehl verarbeitet. Ebenfalls substanziell ist der Beitrag zur globalen Herstellung
und Verarbeitung von Reis, Teigwaren, Schokolade und Frühstückszerealien. In
seinem non-food-Geschäft ist Bühler industrieller Technologie- und System-Lie-
ferant mit den Schwerpunkten Automobil (Aluminium-Druckguss), Elektronik
(Bildschirm-Beschichtungen) und Gebäude (Glasfassaden). Als Technologie-Kon-
zern investiert Bühler jährlich rund 5 % des Umsatzes in Forschung und Entwick-
lung. Der Konzern ist in acht sogenannte Business Areas gegliedert, welche für
das weltweite Produkt- und LifeCycle-Management verantwortlich zeichnen.

A.R. Herzog (*)


Uzwil, Schweiz
E-Mail: andreas-r.herzog@buhlergroup.com

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 195


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_16
196 A.R. Herzog

Unterstützt werden sie durch besondere Plattformen für Produktion, Verkauf und
Service, Human Resources, IT, Corporate Finance, Buchhaltung, Controlling,
Steuern, Financial Services & Treasury, Compliance und durch die Rechtsabtei-
lung. In dieser Plattform-Division ebenfalls integriert sind die interne und externe
Kommunikation. Die Plattformen tragen ihrerseits globale Verantwortung. Diese
Matrix-Organisation ist anspruchsvoll und benötigt ein sauberes Austarieren der
Verantwortlichkeiten, wobei Überschneidungen geführt und nicht vermieden wer-
den sollen. Die Matrix-Organisation bewirkt, dass die betriebswirtschaftlichen
Herausforderungen und die damit verbundenen Prozesse hoch sind.
Neben dem Maschinen- und Service-Geschäft mit je rund 20 % werden 60 %
des Umsatzes über Projekte, wie dem komplexen Anlagenbau für Kunden mit
einem hohen Anteil an Engineering-Leistungen und entsprechenden Risiken in der
ganzen Welt, abgewickelt. Die Projekte für diese Anlagen, beispielsweise Getrei-
demühlen für einen Kunden in Nigeria, unterliegen einem strengen Prozess von
Verkauf, Design, Abwicklung, bis zur Inbetriebsetzung. Das Vertragsmanagement
und die Finanzierung sind wichtige Begleiter im Projektmanagement. Bis zur letz-
ten Kundenzahlung kann es je nach Land und Risiken bis zu zwei oder drei Jahre
dauern. In einzelnen Fällen, zum Beispiel bei technischen Problemen, kann es
sogar noch beträchtlich länger dauern, bis das Projekt abgeschlossen werden kann.
Für den General Counsel und die Legal Counsels in der Rechtsabteilung ergeben
sich durch die weltumspannende Matrix-Organisation und die damit verbundene
inhärente Komplexität des Geschäftes vielschichtige Ansprüche und Herausfor-
derungen. Eine große Zahl der rund 1000 permanent laufenden Kundenprojekte
bedarf einer engen Unterstützung der Legal Counsels. Insbesondere bei der ver-
traglichen Ausarbeitung und damit bei Verhandlungen mit dem Kunden, aber auch
zur finanziellen Schadensbegrenzung in Krisenprojekten ist deren Expertise und
Unterstützung eine absolute Notwendigkeit. Zusätzlich ergeben sich laufend neue
exogene Anforderungen an die Rechtsabteilung eines multinationalen Unterneh-
mens: zum Beispiel neue internationale Freihandelsabkommen zwischen dem Hei-
matland und anderen Industrienationen, die Verschärfung von Exportkontrollen in
politische Krisenregionen, die Verschärfung der Anti-Korruptionsvorschriften etc.
An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass Bühler in vielen Ländern tätig ist,
welche von politischen und wirtschaftlichen Wirren erschüttert werden (Ukraine,
Sudan, Libyen oder Iran), und in welchen die Sanktionsbestimmungen eine nor-
male Geschäftsabwicklung fast unmöglich machen. Diese Umstände erfordern
einen intensiven Miteinbezug der Rechtsabteilung in das operative Tagesgeschäft;
mit der begleitenden Forderung der operativen Linienverantwortlichen nach „krea-
tiver“ und „geschäftserleichternder“ Unterstützung, frei nach dem Slogan „easy to
do business with“.
Dass dieser Anspruch nicht immer im erwartenden Maß befolgt werden kann,
ist selbstredend, denn die Risiken sind nicht aus den Augen zu verlieren. Dadurch
ergibt sich ein potenziell hohes Spannungsverhältnis zwischen Geschäftslei-
tungsmitgliedern, Linienverantwortlichen und den einzelnen Legal Counsel der
Rechtsabteilung. An diesem Spannungsverhältnis muss von beiden Seiten immer
wieder neu gearbeitet und „geknetet“ werden, damit die tägliche Zusammenarbeit
16 Innenpositionierung zur Geschäftsleitung 197

„gesund“, das heißt möglichst ohne Friktionen funktioniert. Schließlich wollen


beide Seiten dasselbe, nämlich möglichst viele Geschäfte mit möglichst wenigen
Risiken eingehen. Dieses Spannungsverhältnis erfordert auch einiges an Frustra-
tionstoleranz seitens der Legal Counsels, da der Erfolg meistens auf die Seite der
Geschäftsverantwortlichen fällt, auch wenn die Unterstützung durch die Rechtsab-
teilung unter Umständen sehr hoch gewesen ist; während die rechtliche Expertise
vor allem dann notwendig wird, wenn in der Geschäftsabwicklung etwas schief
gelaufen ist.

16.2 Aufgabenportfolio der Rechtsabteilung

Die Rechtsabteilung in einem internationalen Unternehmen hat ein vielschichtiges


Aufgabenportfolio und basiert wesentlich auf folgenden Rahmenbedingungen:

• Art des Unternehmens: Financial Services, Beratung, Industrie, Handel etc.


• Größe des Unternehmens: Je größer, desto vielschichtiger und anspruchsvoller.
• Anzahl Märkte: Je unterschiedlicher, desto komplexer und aufwendiger.

Durch die stark zunehmende Regulierungswelle, insbesondere aus den USA (siehe
dazu auch Kap. 6), sind die Ansprüche an die Rechtsabteilungen von internationa-
len Unternehmen über die letzten fünf bis zehn Jahre stark angestiegen. Für eine
Unternehmensleitung ist es heute von absoluter Notwendigkeit, über eine professi-
onelle Unterstützung in allen rechtlichen Belangen zu verfügen. Die Rechtsabtei-
lung wird so zum Sparringpartner und zur „helfenden Hand“ von Konzernleitung
und gelegentlich auch für den Verwaltungsrat. In diesem Zusammenhang ist auch
zu erwähnen, dass es eine starke interne Signalwirkung hat, auf welcher Hierar-
chiestufe der General Counsel steht und wem er direkt unterstellt ist. Ein Richtig
oder Falsch gibt es dabei nicht: Dies hängt stark von der Art und Kultur des Unter-
nehmens ab. Ich persönlich betrachte es als Vorteil, wenn die Rechtsabteilung
der Konzernleitung unterstellt oder sogar in der Konzernleitung selber vertreten
ist. Bei Bühler ist die Rechtsabteilung daher dem CFO unterstellt. Dies birgt eine
Vielzahl von Vorteilen, da der CFO in die meisten Geschäftsprozesse involviert ist
und eine neutrale Stellung innehat.
Im Folgenden möchte ich die wesentlichen Themen auflisten (Aufzählung nicht
abschließend, da die Vielschichtigkeit der Themen von den jeweiligen Umständen
abhängig ist), mit welchen die Rechtsabteilung im Industrieunternehmen Bühler
konfrontiert ist:

• Vertragsmanagement im Allgemeinen und Vertragsmanagement für Kunden-


projekte, bei welchen nicht die allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zum
Tragen kommen;
• Unterhalt/Pflege des globalen Beteiligungsdossiers;
• Unterhalt eines globalen Netzwerks von ausgewiesenen externen Juristen, wel-
che mit den jeweiligen lokalen Rechten vertraut sind;
198 A.R. Herzog

• sämtliche Rechtsthemen bei Akquisitionen und Devestitionen (M&A);


• Rechtsthemen in Zusammenhang mit Folgeschäden bei Kundenprojekten;
• jegliche Rechtsthemen in Verbindung mit Geschäftspartner, insbesondere Liefe-
ranten, Kunden aber auch zum Beispiel Vermieter;
• Non-Disclosure-Agreements (NDA): Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitser-
klärungen insbesondere für die USA;
• sämtliche Compliance Themen im Bereich von Korruption;
• Rechtsthemen in Zusammenhang mit Mitarbeitern.

16.3 Erwartungen der Unternehmensleitung an die


Rechtsabteilung

Ob das Unternehmen über eine eigene Rechtsabteilung verfügt, ist immer eine
Frage der Größe und der Vielschichtigkeit der zu bearbeitenden Themen. Ein
Netzwerk an externen Rechtsanwälten kann eine interne Abteilung aber nie
vollumfänglich ersetzen, da eingekauftes Wissen immer wieder verloren geht.
Im Weiteren habe ich immer wieder den Versuch eines finanziellen Vergleichs
gemacht und festgestellt, dass eine eigene Rechtsabteilung um einiges günstiger
zu stehen kommt. Dies ist keine Überraschung in Anbetracht der zum Teil exor-
bitanten Stundenansätze der Kanzleien, bei welchen jeder Telefonanruf vergoldet
wird. Aus meiner Sicht kommt man aber trotzdem nicht an einem externen Netz-
werk an Spezialisten vorbei. Dies vor allem aus länderspezifischen und sprachli-
chen Gründen. Diese Unterstützung kann aber fallbezogen abgerufen werden.
Bei der Zusammenstellung des eigenen Rechtsteams sollte darauf geachtet
werden, dass die Zusammensetzung heterogen in Bezug auf Kompetenzen und
Erfahrungen zusammengestellt ist, damit möglichst alle Themengebiete intern
abgebildet werden können. Im Fall von Bühler ergibt sich aus diesen Überlegun-
gen ein kleines Team von vier erfahrenen Anwälten (inklusive General Counsel),
welches in der Regel von ein bis zwei Praktikanten unterstützt wird. Zusätzlich
verfügt der Konzern über einen eigenständigen Compliance Officer, welcher die
Einhaltung der ethischen Grundsätze und Prozesse innerhalb des Konzerns über-
wacht. Auf dieser Basis stellt sich nunmehr die Frage, welches die Erwartungen
der Unternehmensleitung an die vier Legal Counsels der Rechtsabteilung und den
Compliance Officer sind? Diese Frage kann in die nachfolgenden drei Themenblö-
cke untergliedert werden.

16.3.1 Pragmatismus – der gemeinsame Weg zum


Unternehmenserfolg

Die wichtigste Erwartungshaltung der Geschäftsleitung gegenüber General und


Legal Counsels beinhaltet den geschäftlichen Pragmatismus der Rechtsabteilung.
Hierbei stellt sich allerdings regelmäßig die Frage, ob dieser (zwar oftmals von
der Unternehmensleitung verlangt) mit dem Rechtsverständnis der modernen
16 Innenpositionierung zur Geschäftsleitung 199

Rechtslehre überhaupt vereinbar ist. Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung


kann ich bestätigen, dass dies jedoch absolut möglich ist. Es ist nicht eine Frage
der Rechtslehre, sondern wie der Legal Counsel im Tagesgeschäft damit umgeht.
Eine wichtige Qualifikation des Unternehmensjuristen ist denn auch die Fähig-
keit, rechtliche Probleme pragmatisch zu lösen – soweit dies rechtlich vertretbar
ist. Dabei ist es wichtig, dass der Spezialist nicht einfach nach dem Mund der
Geschäftsleitung redet, sondern seine eigenen Konklusionen sauber argumentiert
und logisch untermauern kann. Seine Reputation als Legal Counsel hängt wesent-
lich davon ab, ob er in der Lage ist, Lösungsvarianten vorzuschlagen, welche zum
Beispiel eine vertrackte rechtliche Situation bereinigen respektive einer Lösung
näher bringen können. Sofern der Legal Counsel dazu in der Lage ist, läuft er auch
nicht Gefahr, als „Rechtsgelehrter“ und „Theoretiker“ oder gar als „Geschäfts-
verhinderer“ diskreditiert zu werden. Vielmehr wird er dann als fähiger Jurist
beurteilt, dessen Empfehlungen gerne gehört und denen nach Möglichkeit auch
entsprochen wird.

16.3.2 Psychologisches Feingefühl für Spannungssituationen

Zur Frage des integralen Spannungsverhältnisses zwischen den Zielen der


Geschäftsleitung und denjenigen des General Counsel möchte ich die Leiterin der
Rechtsabteilung von Bühler, Frau Dr. Maja Krapf, zitieren:

Haben wir wirklich ein Spannungsverhältnis? Ziehen Unternehmensleitung und Rechts-


abteilung am gleichen Strick, nämlich jenem des optimalen Managements der rechtlichen
Risiken, verfügen wir über eine ideale Situation. Sieht das Management die Rechts-
abteilung jedoch per Definition als „Verhinderer“, ist eine vertrauensvolle, konstruktive
Zusammenarbeit nur sehr schwer zu erreichen. Dabei ist äußerst wichtig, welche Haltung
das Management gegenüber der Rechtsabteilung ausstrahlt – je höher die Wertschätzung
durch das Management, desto höher die Wertschätzung durch die Mitarbeiter.

Ich kann dieser Aussage auch aus Sicht des CFO vollumfänglich zustimmen. Oft
ist es so, dass ein Geschäftsleitungsmitglied oder ein Linienverantwortlicher –
wider besseres Wissen – das Unmögliche möglich machen möchten. Die internen
Prozesse geben oftmals aber vor, dass die Rechtsabteilung konsultiert, respek-
tive eingebunden werden muss. Bringt diese dann lediglich Vorbehalte und keine
Lösungsvarianten in das anstehende Thema ein, kommt es unweigerlich zu einer
Auseinandersetzung, welche hätte leicht vermieden werden können. Das Ergebnis:
Die Rechtsabteilung wird möglicherweise zu Unrecht als Geschäftsverhinderer
diffamiert. Vielleicht hat der Legal Counsel in diesem Fall den Linienverantwort-
lichen einfach nicht mit der notwendigen Feinfühligkeit von der Erfolglosigkeit
seines Unterfangens überzeugen können. Ein Quäntchen mehr Einsatz an Psycho-
logie seitens des Legal Counsel hätte die Beurteilung durch die Linie mit Sicher-
heit anders aussehen lassen. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob angehende
Juristen in ihrer Ausbildung genügend in Psychologie geschult werden. Man stelle
sich die Situation vor, wenn ein junger Legal Counsel einem altgedienten und
200 A.R. Herzog

erfahrenen Manager sagt, was dieser zu machen respektive zu entscheiden habe.


Hier braucht es sehr viel Fingerspitzengefühl seitens der Rechtsfunktion. Ein
unsensibles Vorgehen provoziert, dass der Legal Counsel im Vorfeld eines heiklen
Projektes unter Umständen umgangen und erst dann um Hilfe gebeten wird, wenn
der Schaden bereits angerichtet ist.
In meinen langen Jahren als CFO habe ich immer wieder die Erfahrung
gemacht, dass Einwände und Vorschläge von General Counsel insbesondere bei
Akquisitionen mit Absicht überhört wurden. Und dies mit eklatanten finanzi-
ellen Folgen für das Unternehmen. Deshalb ist es von absoluter Notwendigkeit,
die „richtigen“ Juristen auf die heiklen Projekte anzusetzen, damit beide Seiten –
Geschäftsleitung/Linie und Legal Counsel – auf Augenhöhe miteinander diskutie-
ren und die anstehenden Themen einvernehmlich lösen können.

16.3.3 Verantwortung für gefällte Entscheidungen

Schließlich liefert die Frage nach der dritten Erwartungshaltung der Geschäftslei-
tung gegenüber der Rechtsfunktion eine einfache und klare Antwort: Die Rechts-
abteilung sollte – wenn immer möglich – klare Empfehlungen abgeben und für
diese die volle Verantwortung übernehmen. Dies benötigt das nötige Augenmaß
für das Mögliche und Machbare in rechtlicher Hinsicht. Es benötigt aber auch
die nötige Portion an Mut, denn der Unternehmensjurist muss bereit sein, volle
Verantwortung für seine Ratschläge und Empfehlungen zu übernehmen. Für den
Spezialisten ist dies manchmal eine heikle Gratwanderung: In der Realität lassen
sich damit keine echten Lorbeeren gewinnen. Zudem wird dem Legal Counsel der
„Schwarze Peter“ schnell zugeschoben, sollte sich ein Projekt nicht wie gewünscht
entwickeln.

16.4 Absolute No-Gos aus Sicht der Rechtsabteilung

Jedes multinationale Unternehmen ist stringenten Prozessen in Bezug auf Ethik


und Compliance unterworfen. Eine professionelle Unternehmensleitung kann es
sich heute nicht mehr leisten, auf dubiose Forderungen seitens ihrer Kunden oder
Geschäftspartner einzugehen. Zu viel steht auf dem Spiel: Von fristloser Kündi-
gung, über totalen Reputationsverlust, bis zu Gefängnisstrafen. Die Ausrede
„andere Länder, andere Sitten“ ist dafür als Erklärung denkbar unangebracht und
schlicht und ergreifend falsch. Sollte die Geschäftsleitung den General Counsel
oder einen Legal Counsel jedoch dazu zwingen, widerrechtlich zu handeln, gibt es
nur einen möglichen Weg: Die Einreichung der Kündigung! Ansonsten stellt der
Legal Counsel sein eigenes ethisches und rechtliches Verständnis völlig infrage.
Denn hat ein Legal Counsel zu einer Straftat sein aktives oder stillschweigendes
Einverständnis gegeben, hat er im Falle einer Anzeige seine eigene Reputation und
die langfristigen Karrieremöglichkeiten aufs Spiel gesetzt.
16 Innenpositionierung zur Geschäftsleitung 201

16.5 Inhouse-Rechtsabteilung versus Outsourcing an


externe Anwälte

Der General Counsel kann sich im besten Fall zu einem wichtigen Sparringpartner
und zu einer geschätzten Vertrauensperson von Linienkadern, Geschäftsleitungs-
mitgliedern und Verwaltungsrat entwickeln. Dadurch erhält er unter Umständen
große Einflussmöglichkeiten auf wichtige operative und strategische Entschei­
dungen mit weitreichenden Folgen auf allen Ebenen. Dieses Know-how sollte daher
unbedingt intern gehalten werden. Ein externer Anwalt kann seine persönlichen
Beziehungen in das Unternehmen hinein selten so weit entwickeln, um den Sta-
tus eines allseits beliebten General Counsel zu erreichen. Dafür ist er in der Regel
zu weit vom Tagesgeschäft des Unternehmens entfernt und kann so nicht genü-
gend internes Vertrauen aufbauen. Es sei denn, er komme zum Beispiel direkt aus
dem persönlichen Netzwerk des CEO. In der Beurteilung der Rolle von Unterneh-
mensjuristen ist die Nähe zum Geschäft aus Sicht der Geschäftsleitung jedoch von
absoluter Notwendigkeit, da der interne General oder Legal Counsel immer einsatz-
bereit sein muss. Krisensituationen können jederzeit entstehen, sie sind nie planbar.
Zusammenfassend lässt sich aufgrund folgender Argumente – aus Sicht der
Geschäftsleitung – begründen, weshalb eine eigene Inhouse-Rechtsabteilung
durchaus sinnvoll ist:

• Schnelle Verfügbarkeit in Krisensituationen (24 h/7 Tage die Woche).


• Nähe zum Unternehmen: Wissen und Verständnis für Produkte, Prozesse, Orga-
nisation etc.
• Wertschätzung und Vertrauensbonus innerhalb des Unternehmens.
• Kompetenz und Wissen bleiben im Unternehmen: Diese müssen nicht immer
wieder neu und teuer von extern eingekauft werden.
• Geringere Kosten: Die Aufrechterhaltung einer eigenen Rechtsabteilung kommt
auf Dauer kostengünstiger zu stehen; was jedoch teilweises Outsourcing zu
Einzelthemen nicht ausschließt (zum Beispiel für wiederkehrende Standardauf-
gaben).

Über den Autor


Andreas R. Herzog – Chief Financial Officer Bühler Konzern, Uzwil
Studium an der Fachhochschule Zürich (1979–1982), Aufbaustudien in Marketing-, Finanz- und
Leadership-Management in Kanada, USA und Frankreich, verschiedene leitende Positionen mit
Schwerpunkten in Finanzmanagement, Controlling, Operational Audit und Logistik bei Ciba-
Geigy (1984–1990), SWATCH (1990–1995), Swarovski (1996–2001) in der Schweiz, Mexiko,
Kolumbien, Elfenbeinküste und Deutschland. Seit 2002 Chief Financial Officer und Mitglied
der Konzernleitung beim Technologie-Konzern Bühler verantwortlich für Finanzmanagement,
Exportfinanzierung, Corporate Controlling, Mergers & Acquisitions, Corporate Treasury, Corpo-
rate Tax, Operational Audit, Legal, Compliance, Corporate Communication, Real Estate Manage-
ment. Mitglied in den Verwaltungsräten außerhalb von Bühler: CCS Holding AG, Bertrams AG
und im Beirat der deutschen Commerzbank.
Innenpositionierung zu anderen
Fachabteilungen 17
Walther Schmidt-Lademann

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Schnittstellenorganisation und der Zusam-
menarbeit zwischen Rechtsabteilung und anderen juristischen Einheiten, respek-
tive mit internen Mandanten. Die Effizienz der Zusammenarbeit und die materielle
Qualität des Ergebnisses hängen entscheidend davon ab, dass die Kooperation
reibungslos und produktiv über die Schnittstellen hinweg gestaltet wird. Einver-
nehmliche Absprachen mit den betreuten Bereichen, welche beständig fortentwi-
ckelt werden, haben sich als besonders hilfreich erwiesen. Nachfolgend werden
in diesem Zusammenhang zwei Aspekte beleuchtet: Abschn. 17.1 handelt von der
praktischen Fixierung der organisatorischen Rahmenbedingungen des Schnittstel-
lenmanagements zwischen Rechtsabteilung und Fachabteilungen sowie von der
Zuordnung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten – nachfolgend „Richt-
linie Recht“ genannt. Im nachfolgenden Abschn. 17.2 werden diese Absprachen,
Schnittstellen- und Leistungsabreden genannt (SLA), ausführlich dargestellt.

17.1 Richtlinie Recht – Grundlage des


Schnittstellenmanagements

Die in der Richtlinie Recht fixierten organisatorischen Rahmenbedingungen des


Schnittstellen-Managements zwischen Rechtsabteilung und Fachabteilungen stel-
len die Basis für die Grenzziehung und Ausgestaltung der Zusammenarbeit dar.
Die SLA beinhaltet die konkreten Absprachen zum Beispiel über die jeweiligen
Zulieferungen und Vorleistungen der Fachabteilungen sowie über die Form der
Leistungserbringung der Rechtsabteilung. Nachfolgend wird für den Praktiker

W. Schmidt-Lademann (*)
München, Deutschland
E-Mail: walther@schmidt-lademann.eu

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 203


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_17
204 W. Schmidt-Lademann

aufgezeigt, wie eine solche Richtlinie Recht erarbeitet, respektive wie dieses opti-
miert werden kann.

17.1.1 Aufgabengebiete zwischen Fachabteilungen klären

Zuerst gilt es, den genauen Aufgabenumfang zu ermitteln. Die Aufgaben der zen-
tralen Rechtsabteilung, gegebenenfalls auch anderer dezentraler Rechtseinheiten,
sind in Hauptaufgaben- und Zusatzaufgabengebiete gegliedert (siehe dazu die
Übersicht in Kap. 46). Die Rechtsabteilung hilft dem Unternehmen durch ver-
schiedene Unterstützungs- und Steuerungsleistungen die operationellen und stra-
tegischen Ziele zu erreichen. Aus organisationsrechtlicher Sicht ist die Erfassung
und Steuerung – das heißt im Wesentlichen: Vermeidung, Minderung und Verlage-
rung – von Risiken, die sich aus der Nichtbeachtung des geltenden Rechts, aus der
Gestaltung von Rechtsgeschäften und bei der Rechtsdurchsetzung ergeben, für die
Frage der internen Organisation in besonderem Maße bedeutsam. Hierzu gehört
auch die Information der Entscheidungsträger über die verbliebenen und abseh-
bare Risiken und die relevanten rechtlichen Änderungen der Rahmenbedingungen.
Dies ist abzugrenzen von der reinen operativen Rechtsanwendung, das heißt der
umsetzenden, meist sachbearbeitenden Tätigkeit der Fachabteilungen unter Beach-
tung des geltenden Rechts und der Maßgaben der Rechtsabteilung; gegebenenfalls
unter Benutzung von Mustern, Checklisten oder sonstigen Vorgaben und Informa-
tionen der Rechtsabteilung. Diese Rechtsanwendung ist keine originäre rechts-
gestaltende Tätigkeit, diese obliegt originär der Rechtsabteilung, denn diese trägt
ausschließlich die Verantwortung für die Steuerung des Risikoniveaus, die rechtli-
che Beurteilung von Sachverhalten und bürgt für die rechtliche Richtigkeit sowie
die Aktualität der Muster und sonstigen Informationen sowie Maßgaben, welche
die operative Tätigkeit der Unternehmensmitarbeiter unter rechtlichen Gesichts-
punkten steuern.

17.1.2 Zuständigkeit zwischen Fachabteilungen klären

Im nächsten Schritt sind die genauen Zuständigkeiten zu klären. Der Organisa-


tionsakt, der den Umfang der Aufgabe und Verantwortung der Rechtsabteilung
festlegt, wird in der Richtlinie Recht erfolgen, welche in Organisationshandbuch,
anderen übergreifenden Festlegungen oder in speziellen Anordnungen festgehal-
ten sind. Idealerweise delegiert die Geschäftsleitung die Verantwortung für die
Rechtssteuerung, also die Gesamtheit der Rechtsabteilungsaufgaben (siehe dazu
auch Kap. 46–55), umfassend an den General Counsel – mit der Ermächtigung
zur Weiterdelegation. Diese betrifft zunächst die innere Organisation der Rechts-
abteilung – die auch örtlich dezentrale Einheiten aufweisen kann –, regelt aber
auch Fälle des positiven Kompetenzkonflikts. Dieser tritt auf, wenn beispiels-
weise Mitarbeiter der Personalabteilung für das Arbeitsrecht eine eigene umfas-
sende Zuständigkeit unter Leitung des Personalbereichs wahrnehmen sollen.
17 Innenpositionierung zu anderen Fachabteilungen 205

Dies ist die entscheidende Weichenstellung im Sinne der Corporate Governance:


Hat die Rechtsabteilung umfassende Zuständigkeit für die Rechtssteuerung, so
kann sie gegebenenfalls diese Aufgabe und Verantwortung an die Personalabtei-
lung delegieren – mit entsprechenden Überwachungs-, Lenkungs- und Berichts-
pflichten, die aus der fachlichen Verantwortung der Rechtsabteilung resultieren.
Diese Informationspflichten sind Grundlage für das entsprechende Reporting der
Rechtsrisiken durch die Rechtsabteilung an die Geschäftsleitung. Eine solche
Delegation kann einen bestimmten fachlichen Bereich umfassen, zum Beispiel
nur Arbeitsverträge und Individualarbeitsrecht, oder aus der Gesamtheit der anfal-
lenden Aufgaben einige ausklammern, zum Beispiel Kollektivarbeitsrecht und
Betriebsvereinbarungen (siehe dazu auch Kap. 18). So kann die Verantwortung
durch die Rechtsabteilung umfassend wahrgenommen, können jedoch einzelne
Aufgaben punktuell delegiert werden. Wird die Zuständigkeit für die Rechtsrisi-
kogestaltung von der Geschäftsleitung aufgeteilt, also zum Beispiel die Fragen
des Personal- und Arbeitsrechts umfassend an die Personalabteilung delegiert, so
obliegt der Geschäftsleitung schlussendlich auch die Zusammenführung, gesamt-
heitliche Bewertung und Steuerung der Rechtsrisiken, die von den verschiede-
nen Delegationsempfängern verantwortet und berichtet werden. Die Abgrenzung
zwischen diesen exakt zu beschreiben, ist dann die Herausforderung für die
Geschäftsleitung.

17.1.3 Gestaltungsformen des Schnittstellenmanagements

Die Klärung der Aufgaben und des Umfangs der Delegation durch die Geschäfts-
leitung an die Rechtsabteilung, mithin der Zuständigkeit, ist Voraussetzung für die
Abgrenzung der Aufgabenbereiche und die Organisation der übertragenen Ver-
antwortungswahrnehmung. Im Wesentlichen gibt es drei mögliche Gestaltungs-
schwerpunkte; Überschneidungen und Zwischenformen/Kombinationen derselben
sind ebenfalls häufig anzutreffen:

• Umfassende Zuständigkeit der Rechtsabteilung: Diese ist für alle Rechtsfra-


gen zuständig. Sie kann örtlich dezentrale Einheiten führen, die aber fachlich
und disziplinarisch dem General Counsel unterstellt sind.
• Umfassende fachliche Zuständigkeit der Rechtsabteilung (Zentrale Rechts-
abteilung): Diese ist fachlich für alle Rechtsfragen zuständig. Sie kann Aufga-
ben an organisatorisch und örtlich dezentrale juristische Einheiten delegieren,
die fachlich nur dem General Counsel unterstellt, disziplinarisch aber in andere
Organisationseinheiten eingebunden sind. Eine solche Gestaltung wird gerne
im Ausland gewählt, weil der dortige Personalverantwortliche sachgerechter
über Arbeitszeit, Urlaub, Vertretung und Sachmittel entscheiden kann. Über
Einstellung, grundsätzliche Arbeitsbedingungen, Gehalt, Boni und gegebe-
nenfalls Kündigung der dezentralen Juristen sollte nicht ohne Zustimmung der
Rechtsabteilung entschieden werden. Wenn die Rechtsabteilung den ihr fach-
lich unterstellten, aber disziplinarisch von der anderen Organisationseinheit
206 W. Schmidt-Lademann

abhängigen Mitarbeiter nicht vor Druck und Zumutungen der örtlichen Leitung
schützen und Entlohnungsvorstellungen einbringen kann, wird sie ihre fachli-
chen Vorstellungen auch nicht durchsetzen können. Nicht einmal umfassende
Information ist dann mehr gewährleistet. Typischerweise finden sich in dieser
Konstellation dezentral Juristen wieder, die eigenständig die von ihnen betreute
Einheit in den Grenzen der zentralen Vorgaben beraten, hierbei aber in aller
Regel auch mit Tätigkeiten befasst sind, die bloße Rechtsanwendung beinhalten.
• Dezentrale Organisation durch disziplinarisch und fachlich eigenständige
Einheiten, die im zugewiesenen Bereich eigenständig Rechtsgestaltungs-
aufgaben wahrnehmen: Dies können in sich eigenständige Einheiten sein
(Beispiel: eigenständige Rechtsabteilungen in Konzerngesellschaften), aber
auch Organisationseinheiten unter dem Dach von Fachabteilungen (Beispiel:
Vertriebsjuristen im Vertrieb, Arbeitsrechtler in der Personalabteilung).

17.1.4 Inhaltliche Ausgestaltung des


Schnittstellenmanagements

Die Gestaltung und das Mittel der Festlegung von Organisationsentscheidungen


folgen den Usancen des jeweiligen Unternehmens. Hier stehen neben der Tradition
die Praktikabilität und Vereinbarkeit mit den generellen Organisationsformen des
entsprechenden Unternehmens im Vordergrund. Die Rechtsabteilung sollte auch in
organisatorischen Fragen kein Fremdkörper im Unternehmen sein. Das kann auch
bedeuten, dass sich mit der Wandlung des Unternehmens auch die Rechtsabteilung
umstellen muss.

17.1.4.1 Zentralisierte versus dezentralisierte


Richtlinienkompetenz
Eine stark zentralisierte Richtlinienkompetenz ist insbesondere bei internationaler
Diversifizierung geradezu unerlässlich. Diese setzt sich zunehmend auch gegenüber
rechtlich selbstständigen Konzernunternehmen durch, da Reputationsschäden und
Sanktionen immer auch die Konzernmutter treffen. Über eine solch umfassende zen­
tralisierte Regelung verfügen viele Unternehmen, deren Nutzen wird auch ganz über-
wiegend bejaht. Gegenüber dezentralen Einheiten ist neben der klaren Regelung der
direkte Kontakt wichtig. Wenn die Kollegen in dezentralen Einheiten nicht spüren,
dass die zentrale Rechtsabteilung sie schützt, unterstützt und ernst nimmt, dürfen Sie
sich als General Counsel nicht wundern, wenn Sie von diesen nicht ernst genommen
werden. Insbesondere im Ausland ist die Varianz der Gestaltungen sehr breit. Ent-
scheidend sind Umfang und Stringenz (Durchsetzung) der Zentralisierung und die
Homogenität der Geschäfte. In einer IT-Entwicklungstochter in Indien ist sicher
anderes gefragt als bei einem Vertriebsnetz in England oder einem Produktions­
standort in Ungarn. Die Prüfung der Situation und der Angemessenheit der
Regelung (Umfang der Aufgabe und der Delegation) ist im Lichte der aktuellen
Situation für jede Einheit individuell vorzunehmen und gegebenenfalls a­ nzupassen.
17 Innenpositionierung zu anderen Fachabteilungen 207

Bei allem Willen zu Einheitlichkeit und Stringenz ist jeweils Rücksicht auf die
bestehende Organisationsform und die vorhandenen personellen und fachlichen
Kapazitäten zu nehmen. Das gebieten schon elementare Grundsätze der Delega-
tion: Diligentia in eligendo und das Verbot der Überforderung.

17.1.4.2 Materielle Koordination von Kompetenzen


Materiell geht es um die praktische Koordination und das Zusammenwirken
verschiedener juristischer Einheiten in der Erbringung juristischer Leistungen.
Relevant ist dies sowohl bei Organisationsformen ohne allzuständige zentrale
Rechtsabteilung wie auch im Falle der Delegation bestimmter Aufgaben durch
die Rechtsabteilung im Rahmen der fachlichen Führung. Wer hinsichtlich der
Prozesse in der Rechtsabteilung und an der Schnittstelle zu anderen juristischen
Einheiten keine Klarheit schafft, hat ständig Konfliktpotenzial. Wenn aber mit
Unterstützung des Managements eine klare Linie definiert, verfolgt und durchge-
setzt wird, wird das Tagesgeschäft von unfruchtbaren Diskussionen stark entlastet.
Konflikte wird es weiter geben, denn dies ist ein lebendiger Prozess, aber diese
werden mit der Zeit immer geringer.

17.1.4.3 Vorbehaltene Aufgaben der Rechtsabteilung


Im Falle der Delegation bestimmter Aufgaben durch die Rechtsabteilung im Rah-
men der fachlichen Führung bei anderweitiger disziplinarischer Zuständigkeit ist
zunächst derjenige Bereich zu bestimmen, den sich die zentrale Rechtsabteilung
vorbehält. Dies wird typischerweise die Richtlinienkompetenz und die Zuständig-
keit für Grundsatzfragen umfassen. Hierzu gehören oftmals auch ein Vorbehalt
für Änderungen von AGB, Vertragsmustern, die Klauselfreigabe und vergleich-
bare grundsätzliche Maßgaben. Die Rechtsabteilung wird auch Gerichtsverfahren
begleiten wollen, insbesondere solche, die nicht Bestandteil des Tagesgeschäfts
sind. Weitere Einschränkungen können aus Gründen der Risikobegrenzung erfol-
gen, zum Beispiel durch Genehmigungsvorbehalte, geknüpft an Betragsgrenzen
oder bestimmte Gestaltungen, die aufgrund ihrer Komplexität, wegen möglicher
Reputationsrisiken oder aus Rücksicht auf übergeordnete Interessen des Unterneh-
mens aus zentraler Warte zu bewerten und zu steuern sind.

17.1.4.4 Kompetenzwahrnehmung und Zuständigkeitskonflikt


Übertragene Kompetenzen sind wahrzunehmen! Wenn das Management Befug-
nisse verleiht, erwartet es zu Recht, dass diese vom Beauftragten auch entsprechend
wahrgenommen werden. Alles andere ist Rückdelegation oder Weiterdelegation.
Diese sollte dann aber bewusst und nicht stillschweigend erfolgen. Zudem gilt:
Keine Delegation ohne entsprechende Kontrollen! Denn durch Delegation wandelt
sich die Handlungspflicht in eine Überwachungspflicht. Negative Zuständigkeits-
konflikte sollten schließlich möglichst vermieden werden. Wenn neben anderen
Rechtszuständigkeiten eine zentrale Rechtsabteilung besteht, ist diese immer hilfs-
weise zuständig und sollte immer letzte Entscheidungsinstanz sein.
208 W. Schmidt-Lademann

17.1.4.5 Weitere Gesichtspunkte in der Ausgestaltung des


Schnittstellenmanagements
Auch die Frage dezentraler Mandatierung von externen Anwälten ist regelmäßig
Gegenstand der Richtlinie Recht, respektive einer gesonderten Richtlinie: Gegen-
über allen anderen Einheiten sollte im Unternehmen klargestellt sein, dass die
Rechtsabteilung für die Beantwortung rechtlicher Fragen zuständig ist, respektive
entsprechend ermächtigte Delegationsempfänger oder dezentrale Rechtstellen.
Sollten diese Rechtsrat benötigen, dürfen diese externe Anwälte – mit oder ohne
Abstimmung mit der Rechtsabteilung – einschalten. Die Rechtsabteilung sollte
unter anderem, um die Einkaufsmacht zu bündeln und korrekt berichten zu kön-
nen, jeweils in die Mandatierung eingebunden sein, diese zumindest steuern dür-
fen. Die Einbindung der Rechtsabteilung in den einzelnen Mandatierungsvorgang
ist hingegen entbehrlich, sofern eine Liste von Kanzleien besteht (Panel) und diese
mit einer Verpflichtung verbunden ist, ausschließlich Kanzleien aus dem Panel zu
mandatieren. Ein solches Vorgehen wird sich oft auf typische Rechtsfälle bezie-
hen, außergewöhnliche Rechtsfälle wird die Rechtsabteilung ohnehin selbst in die
Hand nehmen wollen. Inwieweit sie sich bezüglich externer Mandatierung selbst
Restriktionen auferlegt, richtet sich in der Regel nach der Größe der Rechtsab-
teilung. Falls die Konditionen mit den Panel-Kanzleien in Form von Rahmen-
vereinbarungen festgelegt werden, ist die Rechtsabteilung nur noch über deren
Mandatierung zu informieren.
Schließlich sollte unternehmensintern auch die Frage der Organisationshoheit
über die interne Ausbildung in Rechtsthemen geregelt sein: Es ist zu bestimmen,
welche Leistungen interner Fortbildung – inklusive Umfang und Themen – durch
die eigenen Legal Counsels abgedeckt werden und welche durch den Einkauf
externer Referenten oder durch Auswahl von Mandantenseminaren abgedeckt
werden. Hauptaugenmerk der Rechtsabteilung wird dabei auf der Steuerung der
Vortragsinhalte, der Sicherstellung der Praxisrelevanz und der Kompatibilität mit
der Politik der Rechtsabteilung liegen.

17.1.5 Umsetzung: Berichte, Kontrollen und Eskalation

Hinsichtlich der Umsetzung der Schnittstellenorganisation ist darauf zu achten,


dass Fragen der Berichterstattung, der internen Kontrollen und der Eskalationskas-
kade bei Konflikten in der Richtlinie Recht klar geregelt werden.

17.1.5.1 Legal Reporting
Reporting ist wichtig und sollte effizient, einfach und kostengünstig gestaltet
werden. Ohne ein solches ist ein Überblick über die Rechtsrisiken nicht zu erlan-
gen. Es ist notwendig, aber auch ausreichend aus Sicht der ordnungsgemäßen
Delegation. Es ist aber nur dann durchsetzbar und funktioniert nur, wenn es vom
Management eingefordert und notfalls durchgesetzt wird.
Typischerweise umfasst das Legal Reporting zu Beginn eine Darstellung der
derzeit laufenden Gerichtsverfahren. Eine solche Darstellung hat systematisch zu
17 Innenpositionierung zu anderen Fachabteilungen 209

erfolgen, um die Übersicht bei verschiedenen Zumeldungen zu erleichtern: Eine


große Zahl kleinerer Verfahren ist zu aggregieren, die Verfahren nach materiellen
Gesichtspunkten in Aktiv-/Passivprozesse zu unterteilen, der zugrunde liegende
Rechtssachverhalt anzugeben (Produkthaftung, Arbeitsrecht etc.), die originär
zuständige Organisationseinheit im Unternehmen (Produktion, Verkauf etc.) zu
bezeichnen, die zuständige Jurisdiktion/Region zu nennen, anzugeben, ob es
sich um Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahren handelt und es sind möglichst
genaue Aussagen über den derzeitigen Verfahrensstand zu machen. Zudem soll-
ten spezifische Aussagen gemacht werden zu konkret drohenden Verfahren, zur
Risikoeinschätzung (zum Beispiel dargestellt über ein Ampelsystem) und über die
erwarteten Kosten (Schätzung für Rückstellung). Wichtig ist auch eine Darstellung
kommender und erfolgter Änderungen der relevanten Rechtslage mit Einschätzung
der Auswirkungen. Für die Geschäftsleitung ist zudem die detaillierte Information
über die weiteren Risiken aus dem laufenden Geschäft entscheidend, insbeson-
dere aus bestehenden Verträgen (Gewährleistungsgestaltungen, Durchsetzungs-
hindernisse im Ausland etc.), aber auch Änderungen im Umfeld, Darstellung der
Auswirkungen von Änderungen des Geschäfts (neue Produkte, neue Märkte, neue
Vertriebswege etc.). Die beiden letzten Punkte sind insbesondere für Unternehmen
wichtig, welche Einheiten in anderen Jurisdiktionen haben.

17.1.5.2 Legal Controlling
Auch wenn klar ist, wer Weisungsrechte hinsichtlich Aufgabenverteilung und
Delegationsverantwortung innehat, ist darüber hinaus festzulegen, wer die Aufga-
benerfüllung und die Einhaltung der Richtlinien kontrolliert. Das bedeutet jedoch
nicht unbedingt sekundäres Aktenstudium durch die zentrale Rechtsabteilung,
denn es gibt hierzu praktische Alternativen: Qualitätskontrolle durch Einbindung
der Rechtsabteilung in Einzelfälle, Besuche und Besprechungen (auch einzelner
Fälle), entsprechende Auswertungen seitens des Corporate Controllings bezüglich
Kostenartenmanagement, Kontrollen durch Organe der internen Revision, regel-
mäßige Berichterstattung und Zumeldungen von Rechtsfällen.

17.1.5.3 Eskalation von Schnittstellenkonflikten


Schnittstellen sind immer ein Quell von Irritationen, Missverständnissen, gefühl-
ten Übergriffen und Unzufriedenheit. Keine Regelung ist so präzise, dass daraus
nicht Konflikte entstehen könnten. Darüber hinaus gibt es auch Regelungslücken
und Probleme bei der Ausgestaltung, die sich durch Änderung der Rahmenbedin-
gungen ergeben und nicht auf Arbeitsebene geklärt werden können. Beispiels-
weise sind Zuständigkeitskonflikte durch die Geschäftsleitung zu klären, denn
die Delegationsempfänger können nicht eigenständig den Umfang der Delegation
bestimmen oder ändern. Gleiches gilt für Ressourcenallokationen und Budgetzu-
weisungen. Für solche Situationen sind Eskalationsinstanzen festzulegen, die von
den beteiligten Parteien angerufen werden können. Wichtig ist hierzu, ein faires,
transparentes und rasches Verfahren im Unternehmen zu etablieren. Dies sollte im
besten Falle unter Einbezug der involvierten Fachabteilungen geschaffen werden.
210 W. Schmidt-Lademann

17.2 Praktische Schnittstellenorganisation durch


Schnittstellen- & Leistungsabreden (SLA)

Die Gestaltung und das Management der Zusammenarbeit der Rechtsabteilung


(wie auch anderer rechtsgestaltender Einheiten) mit internen Mandanten ist für den
Erfolg und die Effektivität, aber auch Effizienz der Leitungserstellung der Rechts-
abteilung entscheidend. Dies wird durch die Vereinbarung von SLAs erreicht, wel-
che Abreden über das gemeinsame Zusammenwirken beinhalten. In erheblichem
Maße überschneiden sich diese inhaltlich mit sonstigen Service Level Agreements,
welche ebenfalls dazu dienen, gegenseitige Erwartungen zu kanalisieren.

17.2.1 Ziele der Schnittstellen- & Leistungsabreden

Nachfolgend geht es darum, Wege aufzuzeigen, wie die praktische Zusammenar-


beit der Rechtsabteilung mit den Fachabteilungen, also den internen Mandanten,
konstruktiv gemeinsam gestaltet werden kann. Das wichtigste Ziel hierbei ist, die
Zusammenarbeit von unnötigen Konflikten zu entlasten. Entscheidend ist hierfür die
Etablierung eines Prozesses zur einvernehmlichen Lösungsfindung, dessen Ergeb-
nisse schriftlich festgehalten und den Betroffenen zum Beispiel in der Form von
Anweisungen, Gesprächsprotokollen oder Mailings zugänglich gemacht werden.

17.2.1.1 Zusammenarbeit optimieren, Konflikte minimieren


Es ist nicht das Ziel von Kooperationsvereinbarungen, die Höhe des Risikos zu
bestimmen, welches das Unternehmen im jeweiligen Geschäftssegment zu akzep-
tieren bereit ist. Hier ist letztlich die Geschäftsleitungsebene gefordert, unter
Berücksichtigung der Informationen der Rechtsabteilung sowie den Anforderun-
gen der Geschäftseinheiten einen Kompromiss zu finden: Die harten Grenzen, wie
die business judgement rules, die keine Entschuldigung für gesetzwidriges Han-
deln erlauben; geschäftsgefährdende und strafbare Handlungen sind offensichtlich.
Die Risiken im Graubereich beispielsweise des AGB- und Vertragsrechts werden
jedoch durchaus unterschiedlich eingeschätzt, zumal der Risikoappetit von Rechts-
abteilung und Geschäftseinheiten oftmals stark divergiert. Welchen Umfang von
Gewährleistungen beispielsweise der Verkauf mit dem Kunden oder der Einkauf
mit dem Lieferanten vereinbart, ist letztlich eine wirtschaftliche Entscheidung. So
wird die Rechtsabteilung in Zweifelsfällen keinen endgültigen Entscheid treffen,
sondern den Entscheidungsträgern die notwendigen Informationen über die jewei-
ligen Risiken und Konsequenzen der Gestaltungsalternativen aufzeigen.

17.2.1.2 Risikoorientierter Einsatz der Kapazitäten


Ein weiteres Ziel ist regelmäßig, die Rechtsabteilung von Tätigkeiten zu entlasten,
die auch außerhalb der Rechtsabteilung wahrgenommen werden könnten; insbe-
sondere im Bereich der Rechtsanwendung. Damit soll aber keine Erhöhung des
17 Innenpositionierung zu anderen Fachabteilungen 211

Abb. 17.1  Das Rechtsrisikofenster: Systematisierung der Aufgaben der Rechtsabteilung nach


Risiko und Bedeutung

Rechtsrisikos im Unternehmen verbunden sein. Der effiziente Einsatz der Rechts-


abteilung kann gut anhand der Einordnung der jeweiligen Tätigkeit im Lichte
der jeweils infrage stehenden Bedeutung für das Unternehmen geprüft werden.
Abb. 17.1 geht über das „reine“ Legal Risk Management insoweit hinaus, als hier
insbesondere auch das Management des Legal Counseling (siehe dazu detailliert
Kap. 48), des Transaktion Managements (siehe dazu detailliert Kap. 49) und der
Prozessführung (siehe dazu detailliert Kap. 50) unter Gesichtspunkten des Legal
Risk Managements (siehe dazu detailliert Kap. 47) im gesamten Unternehmenskon-
text betrachtet werden.
Daher sollten Produkte, Unternehmenseinheiten oder einzelne Aufgaben mit
geringen Ertragschancen und geringem Risiko keine individuelle Betreuung erfor-
dern, da diese die damit verbundenen Kosten nicht wieder zurückerwirtschaften
können. Hohes wirtschaftliches Potenzial und Risiko erfordern hingegen zwingend
eine intensive Befassung der Rechtsabteilung. Zudem sind Produkte, Unterneh-
menseinheiten oder Geschäftsvorgänge mit geringem Ertragspotenzial und hohem
Risiko grundsätzlich kritisch zu hinterfragen.

17.2.1.3 Praktische Umsetzung
Die Systematisierung durch Schnittstellen- & Leistungsabreden erlaubt, rechtliche
Kapazitäten gezielt und transparent zu steuern. Das zu vermitteln, ist nicht immer
ganz einfach, sollte aber für die Kollegen in der Rechtsabteilung, die internen
Mandanten und die Geschäftsleitung nachvollziehbar gemacht werden. Dadurch
kann die Akzeptanz rechtlicher Kapazitätssteuerungen im Unternehmen deutlich
erhöht werden. Folgende Strategieumsetzungen können dann im Rahmen der
Schnittstellen- & Leistungsabreden vereinbart werden:
212 W. Schmidt-Lademann

Bronze-Standard: Telefonische Betreuung, standardisierte Dokumentation, bedarfsweise


Schulungen und quartalsweise Jour fixe. Bei Verhandlungen ausschließlich telefonische
Bereitschaft durch den Rechtsdienst.
Silber-Standard: Engere Begleitung und regelmäßige Prüfung, respektive Weiterentwick-
lung der standardisierten Dokumentationen, ergänzt durch Individualverträge; intensivere
Schulungen; Beratung vor Ort; Besprechungen; Einbindung in den Prozess, Teilnahme
an Projektmeetings. Monatliche Jours fixes zur Information über Entwicklungen und den
aktuellen Sachstand. Bei Verhandlungen intensivere Vorbereitung, im Einzelfall auch
Begleitung.
Gold-Standard: Begleitung des Projekts durch alle Stadien hindurch, Vertragserstel-
lung durch die Rechtsabteilung oder externe Anwälte; Leitung von Besprechungen zu
rechtlichen Themen; Dienstreisen zu externen Besprechungen; proaktives Tätigwerden;
regelmäßige Besprechungen. Bei Verhandlungen hohe Präsenz, gegebenenfalls Verhand-
lungsführung zu rechtlich bedeutsamen Aspekten, enge Steuerung externer Anwälte.

17.2.2 Begrifflichkeit und Regelungsgehalt der Schnittstellen-


& Leistungsabreden

Die Regelungen zur Zusammenarbeit mit den internen Mandanten können in


verschiedenen Formen dokumentiert werden; sie werden auch nicht überall
Schnittstellen- & Leistungsabreden genannt. Hier soll auch nicht der Begriff im
Vordergrund stehen, denn jedes Unternehmen muss die Begrifflichkeit im Rahmen
der bestehenden Systematik für sich selbst wählen. Inhaltlich geht es aber immer
um unternehmens- oder konzerninterne Absprachen, die nur im Falle von recht-
lich eigenständigen Einheiten Verträge im Rechtssinne darstellen. Diese haben
zum Ziel, die Unzufriedenheit in der Zusammenarbeit (insbesondere über organi-
sationstechnisch geschaffene Schnittstellen hinweg) und die damit verbundenen
enttäuschten Erwartungen zu minimieren. Die Frustration über Schnittstellenpro-
bleme entspringt unterschiedlichen Vorstellungen davon, wo diese Schnittstellen
genau verlaufen sollen („Wer macht was?“). Erwartungen und Leistungsfähigkeit,
oftmals auch das Verständnis der Notwendigkeiten, Anforderungen und Leis-
tungsgrenzen divergieren. Hier sollte durch den nachfolgend dargestellten Weg
zu einem konstruktiveren SLA-Verständnis gefunden werden. Dabei geht es nicht
zuletzt um das Erwartungsmanagement: Nicht benötigte, als übertrieben empfun-
dene Leistungen der Rechtsabteilung (zum Beispiel umfassende Ausarbeitung
statt praktisch einsetzbarer Formulierungshilfen), werden in der Zusammenarbeit
ebenso kritisch gesehen und bewertet wie unzureichende Zulieferungen interner
Mandanten.

17.2.2.1 Inhaltliche Dimension von Schnittstellen- &


Leistungsabreden
Die mögliche Spanne beim SLA-Regelungsgehalt ist weit: Die Vereinbarung
kann sich, insbesondere wenn erstmals eine solche getroffen wird, auf grund-
sätzliche Fragen der Organisation der Zusammenarbeit beziehen und sich auch
hierauf beschränken (Ansprechpartner, allgemeine Reaktionszeiten, Jour Fixes
etc.). Weitergehend ist eine Vereinbarung, die bereits den Beauftragungsprozess
17 Innenpositionierung zu anderen Fachabteilungen 213

strukturiert. Hier geht es um Standardfälle, in denen die typischerweise vorzule-


genden Unterlagen (Form, Umfang und Ordnung), gegebenenfalls die Mitteilung
von zu beachtenden Fristen oder vordringlich zu beantwortenden Fragen, gere-
gelt werden. Auch die Vereinbarung der Benutzung eines (im Idealfall gemein-
sam entwickelten) Formulars oder einer entsprechend gestalteten Auftragsmaske
kann hier einvernehmlich erarbeitet werden. Der Akzeptanz förderlich ist, wenn
durch technische Hilfsmittel (EDV) gleichzeitig auch Erleichterungen erreicht
werden. Ein systematisches Business Process Management schafft zum Beispiel
mehr Transparenz in den Bearbeitungsschritten durch gemeinsame Datenpools
und Bearbeitungsplattformen. Herausfordernd ist es, die Schnittstelle zwischen
Rechtsabteilung und Fachabteilungen noch weiter zu verschieben, indem Letztere
Tätigkeiten übernehmen, die bislang die Rechtsabteilung erledigt hat. Hier geht es
dann konkret um einzelne Prozessschritte, Unterstützungsleistungen, Schulungen
sowie eine Abstufung des Leistungsumfangs, wie sie beispielhaft bei der Steue-
rung anhand des Rechtsrisikofensters in Abb. 17.1 dargestellt wurden.

17.2.2.2 Leistungsverrechnung
Im Falle von nicht selbstständigen, aber gesondert bilanzierenden Unternehmens­
teilen, insbesondere aber bei Niederlassungen und Konzerngesellschaften im
Ausland, ist auch aus steuerlichen Gründen eine interne Leistungsverrechnung
wichtig. Diese kann natürlich auch Gegenstand der Schnittstellen- & Leistungs-
abreden sein, aber sollte, wenn überhaupt, in einer Anlage geregelt werden. Denn
dann kann diese gegebenenfalls nach technischen oder steuerlichen Maßgaben
angepasst werden, ohne wieder in die inhaltliche Diskussion der Schnittstellen- &
Leistungsabreden einsteigen zu müssen. Zur Gestaltung der Transferpreise ist die
Steuerabteilung oder der Steuerberater einzubinden.

17.2.2.3 Management-Sicht auf Schnittstellen- &


Leistungsabreden
Systematisch wird dieses Thema nicht nur aus Sicht der Rechtsabteilung, sondern
auch aus der Perspektive der Wahrnehmung des Managements behandelt. Insbe-
sondere die Systematisierung des Leistungskatalogs anhand der Rechtsrisiken ent-
faltet auf C-Level erhebliche Überzeugungskraft. Der Erfolg und die Zufriedenheit
mit der Leistung der Rechtsabteilung liegen im Auge des Betrachters, zunächst des
SLA-Partners, aber letztlich des obersten Managements.

17.2.3 Grundüberlegungen und Vorteile von Schnittstellen- &


Leistungsabreden

Das Verständnis des Begriffs „Qualität“ prägt den Fokus der Betrachtung: Unter-
scheiden Sie deshalb bewusst zwischen juristischer Ergebnisqualität (Leis-
tungsqualität) und Prozess-, respektive Servicequalität. An Letzterer werden Sie
vordringlich gemessen, diese ist das look and feel der Rechtsabteilung. Dieser
Aspekt prägt regelmäßig die Inhalte der Schnittstellen- & Leistungsabreden. Die
214 W. Schmidt-Lademann

juristische „Richtigkeit“ ist für den SLA-Partner meist nicht zu messen (sie wird
einfach vorausgesetzt). Ob die erwartete „Punktlandung“ durch die Rechtsabtei-
lung aber, hinsichtlich Umfang, Verständlichkeit, Umsetzbarkeit, Zeitrahmen etc.
gelingt, wird erlebt oder erlitten. Den Nutzen der eigenen Leistung für den Emp-
fänger zu erkennen hilft der Rechtsabteilung dabei, gezielt an der Optimierung des
Leistungsangebots und der Präsentation zu arbeiten. Weil die Leistung der Rechts-
abteilung nicht einfach in Euro, Stückzahlen, Output oder Zeiteinheiten zu messen
ist, kommt der Sichtbarkeit und Kommunikation der Leistung besondere Bedeu-
tung zu. Dazu gehört auch das Bewusstsein, dass die internen Mandanten jeweils
Abteilungsleitern zugeordnet sind. Diese formulieren sehr konkrete Erwartungen
an die Rechtsabteilung und schätzen den Mehrwert durch die Rechtsdienstleistung
durchaus. Die Zufriedenheit, respektive vor allem die Unzufriedenheit mit dieser
wird dann an die Geschäftsleitung kommuniziert. Erbringt die Rechtsabteilung die
vereinbarten Leistungen und stellt sie damit die internen Kunden zufrieden, dann
gibt es auch keine Beschwerden.
Die Rechtsabteilung ist in aller Regel völlig mit ihren eigenen Steuerungs-,
Dienstleistungs- und Managementaufgaben ausgelastet. Wenn sie darüber hinaus
auch noch die einzelnen Umsetzungsakte im laufenden Geschäft bewerkstelligen
soll, erscheint das im Verhältnis zu der für diese Aufgaben benötigten fachlichen
Kapazitätsbindung als ineffizient. Deshalb ist das nicht überall Unternehmens-
wirklichkeit; immer noch erledigen aber Juristen viele Prozessschritte, die auch
Mitarbeiter anderer Abteilungen erledigen könnten. Das würde die oftmals drin-
gend benötigte Entlastung schaffen und der Rechtsabteilung erlauben, sich auf
ihre Hauptaufgaben und Kernkompetenzen zu konzentrieren. Den Nutzen für die
internen Mandanten zu sehen, sichtbar zu machen und möglichst zu maximieren
hilft dabei, die Akzeptanz des hier vorgestellten Ansatzes maßgeblich zu erhö-
hen. Die Überzeugungskraft im Einzelfall ist deutlich höher als der Verweis auf
die mangelnde Bedeutung der Geschäfte nach dem System des Rechtsrisikofens-
ters. Geben Sie als General Counsel der Fachabteilung daher die Prozessherr-
schaft zurück. Schnittstellen- & Leistungsabreden können dabei helfen, indem
sie den internen Mandanten die Möglichkeit geben, in die Gestaltung des Leis-
tungsprozesses aktiv einzugreifen. Insbesondere besteht für Fachabteilungen die
Möglichkeit, auch eigene Prioritäten zu setzen, wenn diese Aufgaben der Rechts-
anwendung durch die Nutzung von Mustern, Checklisten oder zur Verfügung
gestellten Q&A-Informationen der Rechtsabteilung selber übernehmen können.
Schaffen Sie bei internen Mandanten zudem Raum zur Erhöhung der Durchlauf-
geschwindigkeit:
Die Fachabteilung ist in der Regel mit den Vorgängen vorbefasst, die sie der
Rechtsabteilung zur Prüfung/Erledigung vorlegt. Ist die Fachabteilung eigenstän-
dig in der Lage, mit entsprechenden Hilfsmitteln, welche die Rechtsabteilung ihr
zur Verfügung stellt, einzelne Schritte oder ganze Aufgabenpakete eigenständig
zu bearbeiten, entfällt die Einarbeitung durch die Rechtsabteilung. Zudem ent-
fallen Latenz, Rückfragen und Ergänzungen sowie die anschließende Umsetzung
des Ergebnisses der Rechtsabteilung in produktiven Output der Fachabteilung.
Zusammen mit der entsprechenden Prozessherrschaft kann so ein erheblicher
17 Innenpositionierung zu anderen Fachabteilungen 215

­ ffizienzgewinn erzielt werden. Schließlich schafft die Möglichkeit der Mitge-


E
staltung für Fachabteilungen auch Gestaltungsspielräume: Den Gesamtprozess
an der Schnittstelle zur Rechtsabteilung mitzubestimmen, erlaubt die Gestaltung
geschmeidiger Abläufe und schafft dadurch erhebliche zusätzliche Akzeptanz
sowie gegenseitiges Verständnis. Auch hier ist Erfolg versprechender, miteinander
statt übereinander zu reden.

17.2.4 Gestaltung von Schnittstellen- & Leistungsabreden

Schnittstellen- & Leistungsabreden sollen den Mitarbeitenden im Unternehmen


Sicherheit geben und die Effizienz durch Standardisierung erhöhen (siehe dazu
auch Kap. 43). Der Aufwand lohnt sich also nur, wenn dadurch die Handhabung
einer bedeutenden Zahl von Geschäftsvorfällen wirklich verbessert werden kann.
Wichtig sind klare Kriterien, Regeln und Handlungsanweisungen, die die Interes-
sen aller Beteiligter berücksichtigen. Die Regeln müssen verständlich und hand-
habbar sein. Sie dürfen nicht zum Teil des Problems werden, sondern die einfache,
zuverlässige und effektive Lösung und Leitplanke für den Standardfall sein. Wie
bereits dargestellt, kann der Regelungsgehalt im Rahmen einer weiten Bandbreite
liegen:

17.2.4.1 Legen Sie fest, was Ihnen und Ihren Kunden wichtig ist
Dabei werden Anforderungen an die Rechtsabteilung gestellt, wie Reaktionszeit,
Fristen (gegebenenfalls unterteilt nach Prozess-Stufen), Form (Gutachten, Brief,
Formulierung einer Textpassage, Einschätzung etc.), Praktikabilität des Ergebnisses
sowie weitere Aspekte des äußeren Ablaufs. Materiell-qualitative Aspekte werden
hier regelmäßig nicht im Detail angesprochen. Halten Sie daher Augenmaß bei Ver-
einbarungen zu Durchsetzbarkeit oder Kundenakzeptanz, da diese schlecht mess-
bar sind. Kundenakzeptanz kann ja auch eine Frage des Verhandlungsgeschicks der
Fachabteilung sein. Empfundene Defizite des praktischen Nutzens der Leistungen
der Rechtsabteilung sind meist eher eine Frage der Arbeitsweise der Rechtsabtei-
lung generell, die nicht bilateral zu regeln ist. Definieren Sie auch die genauen Vor-
leistungen der internen Kunden. So sollten Sie intern Klarheit schaffen zu:

• anfragende Abteilung, Ansprechpartner;


• Sachverhaltsdarstellung;
• Qualität der Unterlagen (Form und Umfang);
• genaue Auftragsbeschreibung;
• Antwortverhalten bei Rückfragen;
• Angaben zum Abwicklungsprozedere und zur Dringlichkeit;
• gewünschte Form der Aufgabenerledigung;
• weitere relevante Informationen (Kontaktdaten weiterer Ansprechpartner, Infor-
mationsquellen etc.).
216 W. Schmidt-Lademann

17.2.4.2 Schaffen Voraussetzungen für Akzeptanz und


Umsetzung
Gemeinsam mit den anderen Fachabteilungen können Sie die Voraussetzungen
schaffen, um eine reibungslose Umsetzung der Schnittstellen- & Leistungsabreden
möglich zu machen und die Akzeptanz innerhalb des Unternehmens für das Vor-
gehen der Rechtsabteilung zu erhöhen. Daher sollten Sie folgende Aspekte regeln:

• Prozessabläufe und IT-Unterstützung;


• Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen;
• Budget;
• Zeitrahmen;
• Mitwirkung Dritter.

17.2.4.3 Ein Individuelles Vorgehen sichert den Erfolg


Ein allgemein einsetzbares Muster-SLA gibt es nicht, die Themen sind zu unter-
schiedlich. Darüber hinaus sind die Formen unternehmensinterner Kommuni-
kation unüberschaubar. In der Handhabung des täglichen Geschäfts ist es für die
Rechtsabteilung aber wichtig, dass die jeweiligen Schnittstellen- & Leistungsab-
reden mit den einzelnen internen Leistungsabnehmern möglichst nicht zu starke
Unterschiede aufweisen, da sonst die Verwirrung groß ist und Irrtümer geschehen.
Die Schnittstellen- & Leistungsabreden als Ergebnis werden in einem iterativen
Prozess gewonnen, der durch umfangreiche Vorfestlegungen nicht gefördert wird.
Das gilt insbesondere, wenn in Arbeitsabläufe eingegriffen wird und/oder Schnitt-
stellen verändert werden. In aller Regel wird der Weg nicht in einem Schritt getan.
Einigen Sie sich auf Bedingungen, die erfüllt sein müssen. Verbleibende Vorbe-
halte, nicht eingeschwungene Abläufe, Unsicherheit und Beharrungsvermögen
(Trägheit) erfordern einen ständigen Evaluations- und Evolutionsprozess.
Gehen Sie Konflikten nicht aus dem Weg, Konflikte sind unausweichlich; das
ist aber kein Grund für Zank und Streit, sondern die Ausgangssituation für einen
fairen Deal – ein Umstand, der fordernden Kunden manchmal verdeutlicht wer-
den muss. Das ist aktives Erwartungsmanagement, der Kunde muss Gelegenheit
haben, seine Nöte zu schildern, aber auch zu verstehen, warum einige Leistungen
von der Rechtsabteilung nicht angeboten werden können. Dabei kann für einige
Aspekte die Lösung auch auf der Zeitachse liegen. Viele kleine Schritte führen
hier auch zum Erfolg.
Unterstützung ist wichtig: Sichern Sie sich zum Beispiel bei Kapazitätsfra-
gen die Unterstützung Ihrer SLA-Partner und anderer Kunden gegenüber dem
Management. Bieten Sie selber auch Unterstützung an, auch bei der Kommuni-
kation des SLA-Partners in dessen Bereich und gegenüber seinem Management.
Konstruktiv bleiben reduziert die Brisanz von Konflikten. Fordern Sie klares Feed­
back ein – und geben Sie solches. Das gilt sowohl für die laufende Zusammenar-
beit als auch für den Regelkreislauf in der Fortentwicklung der Schnittstellen- &
Leistungsabreden. Falls Probleme auftauchen, sprechen Sie diese so zeitig wie
möglich an, sodass noch Reaktionsmöglichkeiten gegeben sind. Regeln Sie Eska-
lationsmechanismen: Bei Streit auf Arbeitsebene sollte der General Counsel rasch
17 Innenpositionierung zu anderen Fachabteilungen 217

eingreifen, um die Sachbearbeitungsebene zu entlasten, insbesondere auch, um


das Klima auf Arbeitsebene zu schonen. Bei nicht beizulegenden Konflikten mit
dem SLA-Partner (Budget, Prioritätskollisionen, nicht einvernehmlich zu lösende
Missverständnisse, Regelungslücken etc.), ist zu Beginn festzulegen, wer auf
Managementebene moderiert und gegebenenfalls abschließend über den Konflikt
entscheidet (siehe dazu auch Kap. 33). Da das Management die letzte Eskalations-
instanz ist, sollte es auch hinter den Regelungen und Absprachen der Schnittstel-
len- & Leistungsabreden stehen.

17.2.5 Vorgehen: Workshops zur Umsetzung

Es ist nicht damit getan, nur Regelungen zu treffen, es ist auch notwendig, alle
Beteiligten einzubinden, Sinn und Zweck, Notwendigkeit, Grenzen und Nutzen
darzustellen und auch das notwendige Know-how sicherzustellen. Hierzu bietet
sich ein Workshop an, der typischerweise nicht mehr als einen halben Tag dau-
ern sollte (siehe dazu auch Kap. 51). Da alle Beteiligten mit eigenen Interessen in
diesen Workshop gehen, bietet es sich an, einen neutralen Moderator beizuziehen,
sofern ernsthaftes Konfliktpotenzial erkennbar ist.

17.2.6 Dezentrale Ansprechpartner: First Level Support

Die Organisation der Schnittstellengestaltung zwischen Fach- und Rechtsabtei-


lung kann auch in der Form Unterstützung erfahren, dass in der Fachabteilung
ein geeigneter Ansprechpartner benannt und installiert wird, der zum einen erster
Ansprechpartner für seine Kollegen ist, wenn diese rechtliche Fragen oder Fragen
zu Formularen und Mustern haben. Zum anderen ist er Ansprechpartner und Mul-
tiplikator aus der Sicht der Rechtsabteilung. Mit entsprechender Unterstützung
durch die Rechtsabteilung wird hier ein fachspezifisches Know-how aufgebaut,
das bereits bei Verständnisfragen die Rechtsabteilung entlastet, Mehrfachanfragen
an die Rechtsabteilung vermindert und die Fachabteilung in der Prozessherrschaft
unterstützt.
Mitarbeiter mit oder ohne juristische Ausbildung, die mit entsprechender Vor-
bildung und Erfahrung juristische Probleme identifizieren und bekannte Lösungen
dafür umsetzen, gibt es oft in den einzelnen Fachabteilungen (sogenannte „Multi-
plikatoren“). Sie kennen die dort verwendeten Verträge, die üblichen Argumente
in den Verhandlungen, die Alternativen, die mit der Rechtsabteilung abgestimmt
sind und die Grenzen der eigenen Gestaltungsmacht. Vor allem aber kennen sie
das Geschäft, wissen um die praktischen Probleme der Umsetzung und kennen
gangbare Lösungen. Teilweise werden diese Multiplikatoren auch bereits aktiv
von den Mitarbeitern ihres Fachbereichs angesprochen, sofern diese entspre-
chende rechtliche Probleme haben. Wichtig ist, hier eine enge Abstimmung mit
der Rechtsabteilung sicherzustellen und die Multiplikatoren seitens der Rechts-
abteilung aktuell informiert zu halten. Es ist aber auch sicherzustellen, dass diese
218 W. Schmidt-Lademann

nicht den festgelegten Rahmen überschreiten. Insgesamt kann für die Rechtsab-
teilung eine dezentrale Fachkompetenz eine substanzielle Entlastung darstellen,
wenn sie verantwortungsbewusst und gezielt eingesetzt wird. Multiplikatoren sol-
len und können aus vorhandenem Wissen und im Wege der Transferleistung wie-
derkehrende Fragen beantworten und Fragen an die Rechtsabteilung strukturieren
sowie als erste Ansprechpartner der Fachabteilungen dienen. In der Folge gestal-
ten sie keine Rechtsrisiken eigenverantwortlich, sondern wenden nur vorgefertigte,
sichere Lösungen und Maßnahmen (Rechtsanwendung) der Rechtsabteilung an.
Gestalten bislang unerkannte und organisatorisch nicht eingebundene Mitarbeiter
unabgestimmt Rechtsrisiken, ist dies anzusprechen und organisatorisch-fachlich,
respektive berichtsmäßig und gegebenenfalls disziplinarisch zu regeln.

17.2.7 Einbindung des Managements

Die Kommunikation der operativen Umsetzung sowie der Maßnahmen und


Absprachen zur Erreichung der mit dem Management vereinbarten Ziele ist für den
internen Erfolg des General Counsel und seiner Rechtsabteilung entscheidend. Das
Management soll wissen, was vereinbart wurde – und was geleistet werden kann.
Verhandeln Sie die Ausgestaltung der Richtlinie Recht und der darauf aufbauenden
Schnittstellen- & Leistungsabreden mit Ihrem Management in professioneller Art
und Weise. Notfalls bietet es sich an, einen externen Berater zur Überprüfung der
Effizienz und der Qualität der Strukturen und Prozesse einzubinden.
Die Absprachen über die Leistungserbringung und den Leistungsumfang der
Rechtsabteilung, die mit Billigung des Managements getroffen wurden, bilden
danach die Grundlage für die Ziele der Rechtsabteilung. Sie geben Aufschluss
über die Messung des Erfolgs der Rechtsabteilung und des General Coun-
sel. Schließlich gibt die Klarheit bezüglich Aufgabenumfang, Erwartungen und
Zuständigkeiten sowie deren Grenzen auch den Mitarbeitern im ganzen Unterneh-
men Sicherheit.

Über den Autor


Walther Schmidt-Lademann – Rechtsanwalt & Legal Interim Manager, München
Rechtsanwalt Schmidt-Lademann hat seit 1986 als Syndikus gearbeitet. Schwerpunkte der Tätig-
keit waren neben Organisations- und Führungsfragen das Corporate Housekeeeping, internatio-
nale Projekte und Finanzierungen und allgemeines Vertragsrecht. Die Jahre als General Counsel
waren geprägt von organisatorischen Herausforderungen im In- und Ausland. Seit 2009 ist
Walther Schmidt-Lademann selbstständiger Rechtsanwalt und Legal Interim Manager. Dabei ist
Interessenschwerpunkt die effiziente Gestaltung der Arbeit von In-House-Juristen und Rechtsab-
teilungen. In Seminaren, individueller Beratung und Veranstaltungen mit Rechtsabteilungen steht
neben der Wissensvermittlung auch die konkrete Umsetzung im Vordergrund. Schwerpunkte sind
die Fragen rund um die Entscheidung „make or buy“ – insbesondere unter Berücksichtigung der
Kapazitäten und Kernkompetenzen –, die Umsetzung der risikoorientierten Priorisierung des
Kapazitätseinsatzes, die Positionierung der Rechtsabteilung und die Optimierung der Schnittstel-
len zu den internen Mandanten.
Innenpositionierung zum
Betriebsrat (in Deutschland) 18
Lars Manske

18.1 Der Betriebsrat und seine rechtlichen Hintergründe

Wie in Abb. 18.1 dargestellt sind Betriebsräte in Deutschland in vielen Unter-


nehmen vertreten. Aufgrund der großen Zahl an rechtlichen, insbesondere
arbeitsrechtlichen Themen spielt der Legal Counsel in der Zusammenarbeit des
Arbeitgebers mit dem Betriebsrat eine wichtige Rolle.
Die wichtigste rechtliche Grundlage, auf welcher diese Zusammenarbeit in
Deutschland basiert, ist das Betriebsverfassungsgesetz1. Nach diesem Gesetz sind
Arbeitgeber und Betriebsrat verpflichtet, zum Wohl der Arbeitnehmer und des
Betriebs vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Das Gebot der vertrauensvollen
Zusammenarbeit ist die von beiden Seiten durchgängig zu beachtende Verhaltens-
norm und Aufforderung, ehrlich und offen miteinander umzugehen. Dieser Koope-
rationsgrundsatz kann und soll nicht die natürlichen Interessengegensätze
zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat aufheben. Er gibt vielmehr den Maßstab
vor, an dem sich die Betriebspartner im Umgang miteinander zu orientieren haben,
um unnötige Konflikte bei Auseinandersetzungen zu vermeiden und unvermeid-
bare Streitfälle mit friedlichen Mitteln zu lösen. Ein bedeutsamer Ausläufer des
Betriebsverfassungsgesetzes ist zum Beispiel das sogenannte „Monatsgespräch“
(siehe detailliert dazu Abschn. 18.4.3): Danach sollen Arbeitgeber und Betriebsrat
mindestens einmal im Monat zu einer Besprechung zusammenkommen, um mit
dem ernsten Willen zur Einigung über strittige Fragen zu verhandeln und Vor-
schläge für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zu machen. Der grund-
legende Gedanke ist dabei die Verpflichtung der Parteien, miteinander, anstatt

1(Deutsches) Betriebsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. September


2001 (BGBl. I S. 2518), das zuletzt durch Artikel 3 Absatz 4 des Gesetzes vom 20. April 2013
(BGBl. I S. 868) geändert worden ist.

L. Manske (*)
ZF Friedrichshafen AG, Friedrichshafen, Deutschland

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 219


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_18
220 L. Manske

Abb. 18.1  Unternehmen Beschäftigte mit Betriebsrat 2014


mit Betriebsrat im Jahre nach Anzahl der Beschäftigten in %
2014. (Quelle: Bundesamt für
Statistik, Wiesbaden: www.
5 - 50
destatis.de/DE/ZahlenFakten/
GesamtwirtschaftUmwelt/
Arbeitsmarkt/_Doorpage/ 51 - 100
Indikatoren_
QualitaetDerArbeit. 101 - 199
html?cms_gtp=318944_
slot%253D5. Besucht 28.
April 2016) 200 - 500

501 und mehr

insgesamt (ab
5 Beschäftigte)

0 20 40 60 80 100
Früheres Bundes- Neue Länder
gebiet
© Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2015

übereinander über strittige Fragen zu reden und sich durch unterschwellige Kritik
oder gar Verweigerung gegenseitig zu lähmen.

18.1.1 Rechte und Pflichten des Betriebsrats

Der Betriebsrat hat umfangreiche Rechte, wenn es um Angelegenheiten der


Arbeitsbedingungen in den Betrieben geht. Diese Rechte untergliedern sich grob
in (wobei die Rechte in der genannten Reihenfolge an Bedeutung und Einfluss
zunehmen):

• Informations- und Beratungsrechte;


• Mitwirkungsrechte;
• Mitbestimmungsrechte.

Die Mitbestimmungsrechte sind dabei die wichtigsten Rechte für den Betriebs-
rat, da bei diesen die betrieblichen Entscheidungen von seiner Zustimmung
abhängen. Um die Interessen der Arbeitnehmer zu wahren, werden im Sinne der
Mitbestimmung zwischen dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber Betriebsverein-
barungen geschlossen, welche die jeweiligen Themen regeln. Die Mitbestimmung
des Betriebsrates ist zwingende Voraussetzung für die Umsetzung der genann-
ten mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten; vorausgesetzt es besteht keine
gesetzliche oder tarifliche Regelung. Aber auch die anderen Beteiligungsrechte,
18 Innenpositionierung zum Betriebsrat (in Deutschland) 221

wie zum Beispiel die Informationspflicht des Arbeitgebers über Personalplanung,


über die Planung von Arbeitsverfahren und -abläufen etc., sind insbesondere im
Hinblick auf die weitere Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat ernst zu nehmen.
So erleichtert eine frühzeitige Information des Betriebsrats meist den darauffol-
genden Prozess, der oft mit Veränderungen für die Arbeitnehmer verbunden ist.

18.1.2 Betriebsratstätigkeit als Wahlamt

Im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat ist zu beachten, dass die
Tätigkeit als Betriebsrat ein Wahlamt darstellt, welches zeitlich auf eine Wahlpe-
riode von in der Regel vier Jahren befristet ist. Nach Ablauf dieser Wahlperiode
kehren die betroffenen Mitarbeiter, sofern sie nicht wiedergewählt werden, grund-
sätzlich an ihren ursprünglichen Arbeitsplatz zurück. Da viele Betriebsräte eine
Wiederwahl anstreben, hat eine bevorstehende Betriebsratswahl meiner Erfah-
rung nach direkte Auswirkungen auf die Verhandlung spezifischer Themen. Wenn
möglich, sind daher schwierige Themen, wie zum Beispiel Personalanpassungen,
erfolgsversprechender eher am Anfang einer Wahlperiode zu verhandeln als gegen
Ende einer solchen. Betriebsräte möchten verständlicherweise keine „schlechten“
Nachrichten neben der Wahlwerbung kommunizieren. Aus dieser Eigenschaft als
„Wahlamt“ werden für den Legal Counsel einige Reaktionen von Betriebsräten
verständlicher, insbesondere wie Themen im Betrieb über die Dauer der Wahlpe-
riode kommuniziert und verkauft werden, da eine weitere Amtszeit des einzelnen
Betriebsrats von seinen Wählerstimmen abhängig ist.

18.2 Positionierung der Arbeitsrechtskompetenz im


Unternehmen

Für den auf Arbeitsrecht spezialisierten Legal Counsel ist das Management von
Schnittstellen (siehe dazu detailliert Kap. 17) durch seine Zusammenarbeit mit
dem Betriebsrat, den Personalreferaten und Führungskräften in unterschiedlichsten
Fragestellungen, eine Haupttätigkeit geworden. Zu denken ist hier neben reinem
Arbeitsrecht zum Beispiel auch an Sozialversicherungsrecht, Arbeitsschutzrecht
etc. Zudem beinhaltet die intensive Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat perso-
nalpolitische Themen wie die Beschäftigungssicherung. Aufgrund dieser themati-
schen Aufgabenbereiche ist eine lokale Positionierung des arbeitsrechtlichen Legal
Counsel in den Human Resources (HR) sinnvoll. Die Nähe zu den Schnittstellen-
funktionen im HR-Umfeld ist für den Arbeitsrechtler notwendig, zum Beispiel bei
der Einführung eines neuen Arbeitszeitmodells. Bei solchen Themen (Abschluss
einer Betriebsvereinbarung und möglicherweise Vertragsanpassungen etc.) hat der
Arbeitsrechtler eng mit diversen anderen HR-Fachfunktionen wie Personalwirt-
schaft und Personalentwicklung zusammenzuarbeiten. Dem organisatorisch von
HR getrennt arbeitenden Legal Counsel oder gar einem externen Rechtsanwalt wird
die Zusammenarbeit mit den arbeitsrechtsrelevanten Anspruchsgruppen aufgrund
222 L. Manske

der fehlenden Nähe meist schwerer fallen. Der arbeitsrechtlich ausgerichtete Legal
Counsel kann schließlich auch in bestimmten Fallkonstellationen als „Mittler“
zwischen der Fachabteilung und dem Betriebsrat wirken, sofern es sich um Fälle
handelt, bei denen es der zuständigen Fachabteilung am notwendigen Wissen hin-
sichtlich der erforderlichen Beteiligung des Betriebsrats fehlt.

18.3 Positionierung zu anderen arbeitsrechtlichen


Interaktionspartnern

18.3.1 Externe Rechtsanwälte und HR-Spezialisten

Eine Zusammenarbeit mit externen Rechtsanwälten bietet sich vor allem bei
umfangreicheren Rechtsfragen an, bei denen der Legal Counsel schon aufgrund
seines engen Zeitplans keine Möglichkeit hat, diese zu bearbeiten. Ferner ist es
auch sinnvoll, sich in bestimmten Fällen eine „zweite“ Rechtsmeinung von außen
einzuholen oder bestimmte HR-Fachthemen an externe HR-Spezialisten zu verge-
ben. Wichtig ist eine gute Abstimmung mit solchen externen Quellen, damit der
Legal Counsel wie auch der externe Berater mit „einer Stimme“ auftreten. In inter-
nen Verhandlungen mit dem Betriebsrat sollten die Rollen klar verteilt sein, res-
pektive der externe Rechtsanwalt oder HR-Spezialist eher im Hintergrund agieren.

18.3.2 Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften

Eine wichtige Unterstützung für den Arbeitgeber können Arbeitgeberverbände


sein, sofern der Arbeitgeber Mitglied in einem solchen Verband ist (siehe dazu
detailliert Kap. 22). Die Rechtsberatung, insbesondere auch zu tarifrechtlichen
Themen, stellen eine große Unterstützung für den Legal Counsel dar und geben
diesem auch zugleich die Möglichkeit, sich unkompliziert und kostengünstig eine
zweite Rechtsmeinung einzuholen. Auch die Rolle des Arbeitgeberverbandes als
Prozessvertretung in arbeitsgerichtlichen Verfahren stellt eine weitere Entlastung
des Legal Counsel dar und gibt diesem den Freiraum, um sich möglichst inten-
siv mit internen betrieblichen Angelegenheiten zu beschäftigen. Ferner stellt der
Arbeitgeberverband ein gutes Bindeglied zu anderen Unternehmen dar und för-
dert so den Erfahrungsaustausch der Unternehmen untereinander. Zudem ist auf
einen guten Kontakt zu den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften zu achten: Die
Gewerkschaften haben meistens über den Betriebsrat einen guten Draht in den
Betrieb hinein. Insbesondere in Zeiten von Tarifauseinandersetzungen (zum Bei-
spiel bei Streiks) ist eine gute Kommunikation mit den Gewerkschaften sehr hilf-
reich, um diese Phasen – trotz aller gegensätzlicher Positionen – für beide Seiten
vertretbar zu gestalten. So können beispielsweise im Vorfeld konkrete Zeiten für
Warnstreiks (Arbeitsniederlegungen im Rahmen von Tarifverhandlungen) mit der
Gewerkschaft abgestimmt werden, um einerseits dem Ziel der Gewerkschaft einer
hohen Teilnahmequote der Mitarbeiter gerecht zu werden und andererseits aber
18 Innenpositionierung zum Betriebsrat (in Deutschland) 223

möglichst den Betriebslauf, zum Beispiel in der Produktion, nicht allzu schwer-
wiegend zu stören.

18.3.3 Interne Fachabteilungen

Wichtig ist auch eine gute Zusammenarbeit mit den internen Fachabteilungen.
Häufig werden auch direkt Aufträge von den Fachabteilungen an die arbeitsrecht-
lich ausgerichteten Legal Counsels herangetragen. Beispielsweise ist die Einfüh-
rung neuer IT-Tools seitens des IT-Bereichs immer wieder ein Thema, welches
die Arbeitsrechtler mit dem Betriebsrat verhandeln müssen. Dabei ist eine genaue
vorherige Abstimmung zwischen dem Fachbereich und dem Arbeitsrechtler über
die Inhalte zwingend notwendig, da diese dann Inhalt einer Vereinbarung wer-
den. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, den Fachbereichen darzulegen,
welche Punkte dem Betriebsrat besonders wichtig sein werden, sodass auch diese
die Situation richtig einschätzen können. Bei spezifischen Fachthemen (Einfüh-
rung eines IT-Tools, einer IT-Datenbank etc.) macht es meiner Erfahrung nach
Sinn, dass der IT-Fachbereich das Thema dem Betriebsrat inhaltlich vorstellt. Der
Arbeitsrechtler sollte bei dieser Präsentation mit dabei sein, um schnell auf mög-
liche rechtliche Fragen oder Anmerkungen des Betriebsrats reagieren zu können.
Es sollte möglichst verhindert werden, dass Fachabteilungen ohne Abstimmung
mit dem Legal Counsel oder dem HR-Bereich auf den Betriebsrat hinsichtlich
möglicher mitbestimmungsrechtlicher Themen zugehen. Ein solches einseitiges
Vorgehen führt meist zu Irritationen auf allen Seiten und behindert den Einigungs-
prozess eher, als diesen zu befördern.

18.4 Praktische Formen der Zusammenarbeit mit dem


Betriebsrat

18.4.1 Ausschussarbeit

In größeren Betrieben mit einer großen Anzahl an Betriebsratsmitgliedern ist es


sinnvoll, mit dem Betriebsrat themenspezifisch zusammenzuarbeiten. So ist die
Einrichtung eines gemeinsamen „Arbeitszeitausschusses“, eines „IT-Ausschusses“
oder eines „Qualifizierungsausschusses“ besonders gut dazu geeignet, Themen mit
Spezialisten auf der Arbeitgeber- und auf Betriebsratsseite schnell und kompetent
zu beraten. Bei der Anzahl und Fülle von inhaltlichen Themen ist es nicht mehr
zeitgemäß, alle anfallenden Themen mit dem Gesamtgremium des Betriebsrats zu
beraten. Regelmäßige Termine mit den gemeinsam besetzten Fachausschüssen,
zum Beispiel einmal im Monat, haben sich in der Praxis bewährt. Auch ist es sinn-
voll, gemeinsame Laufwerke und Ordner im betrieblichen Intranet einzurichten,
auf die sowohl die Arbeitgebervertreter als auch die Betriebsräte Zugriff haben.
Eine betriebliche Terminsoftware wie Outlook sorgt zudem dafür, dass die jewei-
ligen Termine zu den zu besprechenden Themen vorab fixiert werden können.
224 L. Manske

Dadurch haben beide Parteien die Möglichkeit, sich rechtzeitig auf anstehende
Themen vorzubereiten. Außerdem dient ein solches System beiden Seiten der offi-
ziellen Dokumentation.

18.4.2 Jour-fixe-Termine

Neben den fachspezifischen Themendiskussionen ist eine regelmäßige Abstim-


mung mit dem Betriebsratsvorsitzenden, respektive seinem Stellvertreter sehr
hilfreich. Dieses kann in wöchentlichen oder 14-tägigen Jour-fixe-Terminen statt-
finden, bei denen aktuelle Themen besprochen werden, die in Verhandlung sind
oder in nächster Zeit anstehen. Ein solches Vorgehen dient dem Informationsaus-
tausch und kann dabei helfen, drohende Konflikte schon im Vorfeld zu erkennen
und mögliche Lösungen zu beraten. Diese regelmäßigen Treffen dienen auch dazu,
Themen zu priorisieren und festzulegen, mit wem welche Themen verhandelt
und besprochen werden sollen. Es kann in bestimmten Fällen auch gelingen, eine
„Verhandlungsdramaturgie“ vorzubereiten. So kann beispielsweise festgelegt wer-
den, in welcher Verhandlungsgruppe Themen vorbesprochen und vorbereitet wer-
den sollen. Mögliche Eskalationsszenarien können dadurch ebenfalls bereits im
Vorfeld abgestimmt werden.

18.4.3 Monatsgespräche

Gemäß gesetzlichen Vorgaben sollte einmal pro Monat ein Treffen des Arbeit-
gebers mit dem gesamten Betriebsratsgremium stattfinden. Dazu ist es sinnvoll,
dass aus Arbeitgebersicht feste Ansprechpartner benannt sind, die regelmäßig den
Arbeitgeber in diesen Monatsgesprächen vertreten. Andere Teilnehmer können
dann punktuell bei Fachthemen hinzugezogen werden. Erfahrungsgemäß ist eine
regelmäßige Teilnahme des Leiters Personal und des Finanzvorstands hilfreich.
Diesen sollten feste regelmäßige Tagesordnungspunkte, wie zum Beispiel den
Bericht über Personal-, Produktions- und Finanzkennzahlen, zugeordnet sein.

18.4.4 Gemeinsame Projektgruppen

Bestimmte Themen, insbesondere „sozialer“ Prägung, können besonders gut in


gemeinsamen Projektgruppen mit Einschluss der Arbeitgeber- und Betriebsrats-
vertreter bearbeitet werden. Beispielsweise sind die Errichtung eines Betriebs-
kindergartens oder sonstiger sozialer Einrichtungen besonders gut dazu geeignet,
die damit zusammenhängenden Problemfelder in einem gemeinsamen Projekt mit
dem Betriebsrat zu gestalten und zu einem Abschluss zu bringen. Diese gemein-
same projektorientierte Bearbeitung ist meiner Erfahrung nach besonders gut in
„nicht zu sehr mit Konflikten vorbelasteten Themen“ möglich.
18 Innenpositionierung zum Betriebsrat (in Deutschland) 225

18.5 Verhalten im Rahmen der Zusammenarbeit

Eine professionelle Zusammenarbeit ist bei der meist unterschiedlichen Interes-


senlage der beteiligten Parteien zwingend notwendig. Nur so ist eine vertrauens-
volle Zusammenarbeit, wie sie vom Betriebsverfassungsgesetz statuiert wird, zu
gewährleisten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der respektvolle und wert-
schätzende Umgang miteinander, insbesondere auch in Konfliktphasen. Hilf-
reich kann in solchen Situationen die Unterstreichung der Trennung von Rolle
und Funktion der jeweilig involvierten Personen sein. Auf das Funktionieren der
zwischenmenschlichen Ebene – trotz Interessenkonflikten – ist stets besonde-
res Augenmerk zu legen. Nur so ist eine auch weiterhin dauerhafte und vertrau-
ensvolle Zusammenarbeit in Konfliktsituationen möglich (siehe dazu detailliert
Kap. 33). Das Sprichwort „Man sieht sich immer zweimal im Leben…“ trifft den
betriebsinternen Umgang miteinander sehr passend. Dieses stetig zu berücksich-
tigen, ist oftmals auch einer der Unterschiede zur Zusammenarbeit mit externen
Rechtsberatern oder HR-Spezialisten, welche meist nur für eine kurze Zeit im
Unternehmen präsent sind.
In Situationen, in denen der Legal Counsel eine Anweisung des Managements
vertreten muss, welche beim Betriebsrat auf erheblichen Widerstand stößt, und
auch vom Legal Counsel persönlich nicht unterstützt wird, ist es empfehlenswert,
sich auf die Rolle des Rechtsberaters zurückzuziehen und die persönliche Ansicht
außen vor zu lassen. Ein solches Verhalten kann dem Betriebsrat durchaus auch
transparent dargestellt werden. Die persönlich divergierenden Ansichten des Legal
Counsel sollten vorab in der internen Abstimmung mit dem Arbeitgeber aber
durchaus offen angesprochen werden.
Im Vorfeld von Verhandlungen sollte zunächst die Verhandlungsstrategie (Wo
können wir etwas geben? Was sind für uns die absoluten No-Gos?) festgelegt wer-
den. Neben inhaltlichen Themen sollte auch die spezifischen Interesse der Ver-
handlungspartner in die Strategieplanung mit einbezogen sein (siehe dazu
detailliert Kap. 30). So ist es wichtig, dass der Betriebsrat auch bei schwierigen
Personalmaßnahmen „gesichtswahrend“ aus den Verhandlungen herausgehen
kann. Dabei ist immer zu bedenken – und so erklärt sich auch manche Position des
Betriebsrats –, dass dieser ein Wahlamt innehat und daher von seinen Wählern
abhängig ist. Fragen in Verhandlungen, wie zum Beispiel „ Was braucht der
Betriebsrat, um das Ergebnis der Verhandlungen an die Belegschaft überbringen
zu können?“, sind durchaus legitim und stärken aus meiner Sicht eine vertrauens-
volle Zusammenarbeit. Für schwierige Verhandlungen haben sich die Prinzipien
des Harvard-Verhandlungskonzepts als brauchbar erwiesen, wonach die unter-
schiedlichen Interessenlagen hinter den vorgebrachten Positionen jeweils zu hin-
terfragen sind. Diese fünf Grundprinzipien des Harvard-Verhandlungskonzepts2

2Quelle: www.fes-mup.de/files/mup/pdf/materialien/Harvard_Prinzip_Winheller_aus_Anwaltbasics_

Mediation_kurz.pdf. Besucht 10. Mai 2017.


226 L. Manske

können beiden Seiten bei schwierigen Verhandlungen helfen, vertretbare Ergeb-


nisse zu erzielen:

• Unterscheide zwischen dem Verhandlungsgegenstand einerseits und der Bezie-


hung zwischen den Verhandlungspartnern andererseits!
• Konzentriere Dich nicht auf Positionen, sondern auf die dahinterliegenden Inte-
ressen!
• Entwickle zuerst möglichst viele Optionen, bewerte und entscheide später!
• Ziehe allgemein gültige Normen oder Grundsätze als objektive Entscheidungs-
kriterien heran!
• Entscheide Dich für oder gegen eine Verhandlungsübereinkunft durch den Ver-
gleich mit Deiner besten Alternative dazu!

Wichtig ist ebenso eine abgestimmte Kommunikation, welche regelt, wer wel-
che „Botschaft“ nach den Verhandlungen im Betrieb öffentlich verkündet. Dieses
sollte, wenn möglich, immer auch als Resultat am Ende eines Verhandlungspro-
zesses stehen.

Über den Autor


Lars Manske, Sr Manager Commercial Vehicle Technology, ZF Friedrichshafen, Fried-
richshafen
Studium Rechtswissenschaften 1998–2004, Zulassung als Rechtsanwalt, Referent Grundsatzfra-
gen & Arbeitsrecht bei der ZF Lenksysteme GmbH (jetzt Robert Bosch Automotive Steering);
2006–2010; seit 2010 Leiter Grundsatzfragen & Arbeitsrecht bei der ZF Friedrichshafen AG
(Division Nutzfahrzeugtechnik); nebenberufliche Dozententätigkeit an der DHBW Ravensburg
und an der HTWG Konstanz zu arbeitsrechtlichen Themen.
Außenpositionierung zu
beratenden Rechtsanwälten 19
Nora Teuwsen

19.1 Einleitende Betrachtungen

Der bestehende Trend hin zu mehr make statt buy, das heißt der Entscheid, dass
eine Rechtsberatungsleistung intern statt extern erbracht wird, welcher bereits seit
einigen Jahren anhält,1 wird sich meines Erachtens noch weiter fortsetzen. Externe
Beratungsleistungen werden für Unternehmen nur dann attraktiv bleiben bezie-
hungsweise werden, wenn es gelingt, die Vorteile der inhouse-Leistungen (Kosten,
Unternehmensverständnis, Branchen-Know-how etc.) mit den Vorteilen der exter-
nen Leistungen (Flexibilität, Spezialwissen etc.) zu verbinden.
Demgegenüber wird den spezifischen von Legal Counsels benötigten Fähigkei-
ten im Rahmen der Grundausbildung nach wie vor zu wenig Beachtung geschenkt.
Darüber hinaus sind Personen mit einer fundierten juristischen Vita gepaart mit
Führungs- und Projekterfahrung, auch aufgrund der flachen Hierarchiestrukturen
in Anwaltskanzleien, auf dem Arbeitsmarkt rar.2 Es empfiehlt sich daher, bei grö-
ßeren Unternehmen den Fokus auf die juristische Nachwuchsplanung und Weiter-
bildung zu legen. Ziel einer solchen Nachwuchsplanung ist es, angehende
Fachspezialisten gezielt zu fördern und Positionen zu schaffen, welche genügend
Anreiz bieten, um die entsprechenden Ressourcen intern zu binden, um so wiede-
rum über das spezialisierte Know-how bei Bedarf intern zu verfügen und nicht auf
externe Ressourcen zurückgreifen zu müssen. So kann sich zum Beispiel bei genü-
gender Größe des Unternehmens die Beschäftigung interner Spezialisten mit einer
Fachanwaltsausbildung im Arbeitsrecht rechnen. Anreiz und Ausbildung zugleich
stellt auch eine Führungsstruktur dar, welche so gestaltet ist, dass auch jüngere

1Vgl. auch Staub (2006, S. 178).


2Vgl. zu den Trends im Anwaltsmarkt auch Mascello (2015, Rz 19 ff.).

N. Teuwsen (*)
Bern, Schweiz
E-Mail: nora.teuwsen@sbb.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 227


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_19
228 N. Teuwsen

Fachspezialisten die Möglichkeit erhalten, Führungserfahrungen zu sammeln,


indem sie zum Beispiel ein kleineres Team mit Praktikanten oder jüngeren Anwäl-
ten führen.

Die Abteilung Recht & Compliance der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) gliedert
sich – entlang der Organisation des Unternehmens – in vier divisionale Bereiche (Perso-
nenverkehr, Infrastruktur, Immobilien, Cargo), einen Konzernbereich, das Compliance
Office sowie einen Bereich Steuerung, welcher unter anderem auch die Überwachung der
Einhaltung der Vorgaben bezüglich Management externer Anwälte verantwortet. Insge-
samt arbeiten bei der SBB im Bereich Recht & Compliance rund 70 Mitarbeiter. Die
Outsourcingratio beträgt rund 15 %. Der Beizug externer Anwälte erfolgt bei der SBB
restriktiv. Ziel ist es, das betrieblich notwendige Know-how intern verfügbar zu haben,
zum einen aus Kostenüberlegungen, zum anderen aufgrund des fundierten Geschäftsver-
ständnisses interner Juristen. Externe Anwälte werden bei nicht planbaren Ressourceneng-
pässen, bei der Erforderlichkeit von spezifischem Fachwissen oder aus strategischen
Gründen (zum Beispiel lokale Vernetzung) wie auch im Einzelfall für Zweitmeinungen
beigezogen. Vereinzelt kann der Beizug eines Externen Vorzüge hinsichtlich des Anwalts-
geheimnisses bieten.3

19.2 Entwicklungen im Management externer Anwälte

Generell hat im deutschsprachigen Raum in den vergangenen Jahren eine Professi-


onalisierung der unternehmensinternen Rechtsabteilungen stattgefunden. Selbst
mittelständische Unternehmen leisten sich in der Regel (mindestens) einen Juris-
ten, welcher als Schnittstelle zu externen Antwälten fungiert und so auch ein pro-
fessionelles Management der Beziehungen zwischen diesen und dem
Unternehmen sicherstellt. Entscheidend für die Beanspruchung von Rechtsdienst-
leistungen – sowohl intern als auch extern – ist der Mehrwert im konkreten Fall
verbunden mit der entsprechenden Kostenfrage.4
Etabliert hat sich bei Unternehmen mit größeren Rechtsabteilungen in den letz-
ten Jahren vor allem aber auch eine professionellere Methodik der Auswahl der
Zusammenarbeit mit bevorzugten Partnern. War noch vor einigen Jahren die
Durchführung eines „Bieterverfahrens“ für Rechtsdienstleistungen verpönt, ist
dies für größere Beratungsmandate heute der Regelfall. Auch müssen öffentliche
Auftraggeber in der Schweiz seit 2010 Anwaltsdienstleistungen je nach Schwel-
lenwert öffentlich aussschreiben oder in einem Einladungsverfahren vergeben. In
Deutschland und Österreich ist dies seit 2006 der Fall. Bei einem Bieterverfahren
beurteilt ein Unternehmen die sich bewerbenden Kanzleien danach, ob das Ange-
bot der jeweiligen Kanzlei den konkreten Bedarf erfüllen würde.5 Versendet wer-
den dabei mehr oder weniger detaillierte Anfragen, in denen dargelegt wird, was
das Unternehmen von der Kanzlei im Angebot erwartet6 (vgl. Abb. 19.1).

3Vgl. für weitere Gründe für „buy“ Mascello (2015, Rz 206).


4Vgl. auch Wälchli (2012, S. 224).
5Vgl. auch die Auswahlkriterien in Abschn. 19.6.3.

6Vgl. Hartung (2012, S. 200).


19 Außenpositionierung zu beratenden Rechtsanwälten 229

Abb. 19.1  Prozessflowchart für den Ablauf eines Bieterverfahrens. (außerhalb des öffentlichen
Vergaberechts; Quelle: SBB)

19.3 Ziele des Managements externer Anwälte

Soll das Unternehmen letztlich von einem zielgerichteten Management externer


Anwälte profitieren, ist die Frage danach, welche Anwaltsdienstleistungen von
den jeweiligen Prozessen erfasst beziehungsweise gesteuert werden sollen, zen-
tral. Ziel ist es, den Umfang der Steuerung des Legal Managements durch die
Rechtsabteilung festzulegen. In der Regel sollte sich diese Frage anhand der Orga-
nisationsstruktur der Rechtsabteilung entscheiden lassen können, vorausgesetzt,
bei der Schaffung der Organisationsstruktur wurde die Frage nach dem sinnvol-
len Dienstleistungsangebot der Rechtsabteilung gestellt. Es geht darum, sich vor
dem Make-or-Buy-Entscheid zu überlegen, welche Bereiche in die Zuständigkeit
der Rechtsabteilung fallen und von ihr gesteuert werden. Wird dann eine externe
Rechtsdienstleistung in einem dieser Bereiche beansprucht, wird diese ebenfalls
von der Rechtsabteilung gesteuert. Somit sind nur Fachgebiete außerhalb des
Zuständigkeitsbereichs der Rechtsabteilung von deren Steuerung ausgenommen.
So liegt zum Beispiel der Bereich Steuern regelmäßig nicht in der Verantwortung
der Rechtsabteilung, weshalb externe Steueranwälte, welche zur entsprechen-
den Fallbearbeitung beigezogen werden, nur schwierig von der Rechtsabteilung
gesteuert werden können. Sodann ist abhängig von der Unternehmensstruktur und
den Beteiligungsverhältnissen zu entscheiden, inwiefern auch der Rechtssupport
für Tochtergesellschaften von der Muttergesellschaft erbracht beziehungsweise
gesteuert werden soll. Diese Abgrenzung kann jedoch meines Erachtens nicht
generisch vorgenommen werden, sondern ist im Einzelfall in Abhängigkeit von
der Organisationsstruktur, dem Managementsystem und der Tätigkeit des jeweili-
gen Unternehmens zu entscheiden. Unabhängig von der vorliegenden Abgrenzung
sollen mit der Steuerung des Beizugs externer Anwälte eine Kostenoptimierung
erfolgen, die internen Ressourcen besser geplant und die Qualität der externen
Rechtsberatungsleistungen gesichert werden.
230 N. Teuwsen

19.4 Make-or-Buy-Entscheid

Der Entscheid, ob eine Rechtsberatungsleistung intern oder extern erbracht wird


(Make-or-Buy-Entscheid), hat unternehmensweit nach einheitlichen von der
Rechtsabteilung vorgegebenen Kriterien in Absprache mit dem Business zu erfol-
gen. Dabei liegt die Kompetenz für den (fachlichen) Make-or-Buy-Entscheid bei
der Rechtsabteilung. Ohne Zustimmung der Rechtsabteilung erfolgt kein Beizug
eines externen Anwalts. Die Rechtsabteilung sollte unternehmensweit die Verant-
wortung für die Anwaltskosten, welche gesondert vom Gesamtbudget ausgewiesen
werden, tragen. Unter Festlegung eines jährlichen und globalen Kostenrahmens
für solche Leistungen erfolgt die Planung für externe Vergaben. Die Kostenstelle,
das heißt die Finanzierung der externen Rechtsberatung und die Verantwortung
über das Gesamtbudget liegen hingegen bei der für das entsprechende Budget
zuständigen Person, das heißt in der Regel bei der Linie.
Vermehrt ist zu beobachten, dass Unternehmen, welche über eine strukturierte,
organisatorisch einheitliche Rechtsabteilung verfügen, Rechtsberatungsleistungen
grundsätzlich mit internen Ressourcen erbringen. Externe Beauftragungen erfol-
gen in der Regel in den eingangs genannten Fällen, wobei hier insbesondere die
unterschiedlichen Erwartungen und Rollen von Legal Counsels und „External
Lawyer“ zu beachten sind. So ist die Erwartung an den Legal Counsel eine umfas-
sendere, in dem Sinne, als dass vorausgesetzt wird, dass er das Unternehmen
sowie dessen Tätigkeitsfeld auf allen Ebenen einschließlich der politischen Rah-
menbedingungen kennt und so eine umfassende – über das Rechtliche hinausge-
hende – Problemlösung anbieten kann. Durch die Stabilität der Beziehung zum
Unternehmen beziehungsweise zu seinen internen Kunden verantwortet er
anschließend auch die Tauglichkeit der Umsetzung der erarbeiteten Lösung.7
Das vielgehörte Argument für einen Buy-Entscheid bei Litigation-Fällen, dass
im Falle des Obsiegens die Parteikosten des externen Anwalts entschädigt werden,
ist meines Erachtens zu relativieren, zumal regelmäßig nur ein Anteil der Kosten in
Abhängigkeit vom Streitwert erstattet wird und ausschlaggebend für den Buy-Ent-
scheid wohl eher die mangelnde Inhouse-Litigation-Erfahrung sein dürfte. Sodann
bestehen bei öffentlichen Parteien beziehungsweise Verfahren oft ohnehin trotz
Beizugs eines externen Vertreters keine gesetzlichen Grundlagen für eine Parteient-
schädigung. So ist denn auch bei der SBB ein Großteil der Legal Counsels auch
prozessierend tätig. Um die Steuerbarkeit zu gewährleisten, sind die Kompetenzen
wie auch die Zuständigkeiten bei Uneinigkeit zwischen Rechtsabteilung und Busi-
ness betreffend Make-or-Buy-Entscheid klar zu regeln. Abhängig von der jeweiligen
Unternehmensstruktur empfiehlt es sich unter Umständen, für den Rechtssupport
von Tochtergesellschaften eine angepasste Strategie zu definieren. Maßgebend dafür
sind die Erforderlichkeit spezifischer Rechtskenntnisse – abhängig vom jeweiligen
operativen Geschäft der Tochtergesellschaften –, das Bedürfnis nach Rechtssupport

7Vgl. auch Mascello (2015, Rz 205).


19 Außenpositionierung zu beratenden Rechtsanwälten 231

vor Ort beziehungsweise lokale Kenntnisse oder auch Governance- und steuerrecht-
liche Überlegungen.

19.5 Kostenplanung

Dass es in der Natur der Sache liegt, dass Rechtsberatungsleistungen oft nur
schwer planbar sind, entbindet nicht von der grundsätzlichen Planungspflicht.
Wichtigster Schritt der Kostenplanung ist, Transparenz herzustellen. Es ist festzu-
legen, ob die Kosten für externe Rechtsberatungsleistungen von der Rechtsabtei-
lung oder vom Business budgetiert und finanziert werden. Für Ersteres spricht eine
einfachere Steuerbarkeit, jedoch wird dadurch unter Umständen die Wirtschaft-
lichkeitsrechnung einzelner Projekte verfälscht. Meines Erachtens empfiehlt es
sich, die Kosten grundsätzlich von der Linie budgetieren und finanzieren zu las-
sen. In Einzelfällen, wie bei eigenen Projekten der Rechtsabteilung, bei Leistun-
gen, welche keinem Projekt oder Bereich zugeschieden werden können, zum
Beispiel Second Opinion oder Kleinstaufträge, hat eine Finanzierung durch den
Rechtsdienst über ein gesondertes Budget zu erfolgen. Entscheidend für eine
Gewährleistung der Kostensteuerung ist bei einer Budgetierung durch die Linie,
dass Rechtsberatungsleistungen systemisch gesondert erfasst und so – unabhängig
davon, welchem Budget sie belastet werden – transparent ausgewiesen werden
können. In der Regel werden Rechtsberatungskosten daher über ein gesondertes
Sachkonto verbucht. Weiter ist wichtig, dass Rechtsberatungsleistungen nur unter
Einbezug der Rechtsabteilung ausgelöst werden dürfen. So rechtfertigt sich auch
eine Kostenverantwortlichkeit der Rechtsabteilung, womit auch eine Gesamtsicht
(Korrelation interne und externe Ressourcen) eingenommen werden kann.8

19.6 Einkauf von Rechtsberatungsleistungen

Auch wenn das Anwalts-Mandantenverhältnis nach wie vor ein Vertrauensverhält-


nis ist, werden Anwaltsleistungen zunehmend als standardisierte Dienstleistung,
deren Nutzen nicht zwingend von der Persönlichkeit des Anwalts oder der Identi-
tät der Kanzlei abhängt, betrachtet.9 Ein standardisierter Prozess beziehungsweise
eine Vergabe unter Konkurrenz bietet die Möglichkeit zu prüfen, ob eine Kanzlei
für eine bestimmte Leistung die beste Wahl ist. Dabei spielt die Unternehmens-
größe eine wichtige Rolle dabei, wer die Kanzlei auswählt und, wie diese ausge-
wählt wird.10 Wie schon hinsichtlich des Make-or-Buy-Entscheids ausgeführt,11

8Vgl. zu dieser geteilten Verantwortung Abschn. 19.4.


9Vgl. Hartung (2012, S. 197 f.).
10Auswahl kann auf Basis von Empfehlungen, persönlichen Netzwerken, früherer Zusammen-

arbeit, aus einer vorgegebenen Kanzleiliste, durch Rahmenverträge oder durch Ausschreibungen
erfolgen.
11Vgl. Abschn. 19.4.
232 N. Teuwsen

liegt auch die Auswahl des externen Rechtsberaters bei größeren Unternehmen
regelmäßig in der Zuständigkeit der Rechtsabteilung. Sodann erfolgt meist auch
ein systematischer Beizug der Einkaufsabteilung.

Die Vergabe von Anwaltsdienstleistungen durch Bundesstellen und auch durch die SBB
untersteht zwar nicht dem Bundesgesetz vom 16. Dezember 1994 über das öffentliche
Beschaffungswesen (BöB), sie fallen jedoch in den Anwendungsbereich des 3. Kapitels
der Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen (VöB). Dementsprechend ist sie
je nach Auftragswert öffentlich auszuschreiben oder im Einladungsverfahren zu vergeben.
Ausnahmen davon sind nur zugelassen, wenn ein Abruf über einen bestehenden Rahmen-
vertrag, welcher unter Konkurrenz ausgeschrieben wurde, geschieht oder in begründeten,
vergaberechtlich zulässigen Einzelfällen. Auch in Deutschland müssen Anwaltsdienstleis-
tungen gemäß der Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) vergeben werden.
In Österreich fallen Anwaltsdienstleistungen unter das Bundesvergabegesetz.12

19.6.1 Rahmenverträge

Ziele der konsequenten Verfolgung einer Rahmenvertragsstrategie sind Qualitäts-


steigerungen (VIP-Kunde der Kanzlei), Kostensenkungen aufgrund von Syner-
gieeffekten, Aufbau von spezifischem Unternehmensknow-how bei der Kanzlei,
einheitliche Konditionen, einheitliche „Lieferanten“-Gespräche sowie eine Reduk-
tion der Transaktionskosten (einfacher Abruf über Rahmenvertrag).
Nicht jede Rechtsberatungsleistung wird sinnvollerweise über einen Rah-
menvertrag beschafft. Eine solche Beschaffung empfiehlt sich bei wiederkehren-
den, gleichartigen Leistungen mit beschränktem Vergabevolumen pro Abruf. In
den anderen Fällen, wie zum Beispiel bei der Vergabe an einen lokal vernetzten
Anwalt, machen spezifische Mandatierungen Sinn.
In der Rahmenvertragsstrategie ist somit maßgeschneidert für das jeweilige
Unternehmen zu bestimmen, für welche Leistungen ein Rahmenvertrag abgeschlos-
sen wird.13 Dabei ist anhand nachfolgender Punkte zu entscheiden, ob ein Rahmen-
vertrag konkrete Vorteile für das Unternehmen bringen würde: Zuerst ist das
Vergabevolumen zu betrachten. Für einen Rahmenvertrag braucht es ein Minimal-
volumen, ansonsten die Möglichkeit besteht, dass der externe Anwalt überhaupt nie
einen Auftrag erhält, was auch spätere Vergaben erschweren könnte. Vorteilig für
ein Unternehmen ist, dass es bei einem Rahmenvertrag in der Regel als Premi-
um-Kunde der Kanzlei behandelt wird und die Mandatsträger (Partner, Senior
Associates etc.) namentlich bestimmen kann. Gleichzeitig bleibt das angesammelte
Wissen über das Unternehmen beim selben externen Partner, was effizientes Arbei-
ten ermöglicht. Des Weiteren ist der Vorteil der schnellen Beschaffung zu beachten.
Die Konditionen sind bereits im Voraus festgelegt und für alle Standorte der Kanz-
lei gleich hoch, was Transaktionen erleichert. Außerdem ist eine Steuerung der
externen Anwälte über einen Rahmenvertrag leichter, wenn das Unternehmen mit

12Ausgabe 2006.
13Vgl. auch Mascello (2012, S. 213).
19 Außenpositionierung zu beratenden Rechtsanwälten 233

den Leistungen nicht zufrieden ist. Schließlich ist der finanzielle Vorteil nicht zu
unterschätzen, welcher ein Rahmenvertrag mit sich bringen kann. In der Regel wer-
den alternative Honorierungsmodelle in Form von Rabatten oder Kostendächer14
vereinbart, was im Endergebnis die Bemühungen der externen Anwälte im Gegen-
satz zu Einzelmandatierungen für das Unternehmen günstiger macht. Im jeweiligen
Rahmenvertrag sind unter anderem folgende Themenbereiche aufzunehmen:

• Geltungsbereich (sachlicher und örtlicher);


• Leistungsumfang des externen Beraters (beratend, forensisch etc.);
• Vergütung (zum Beispiel nach Aufwand, feste Vergütung für bestimmte Arbei-
ten, Kostendach, maximale Höhe pro Abruf etc.);
• laufende Informationspflicht über Höhe der Kosten;
• Zahlungsmodalitäten;
• Gewährleistung der Verfügbarkeit des externen Beraters;
• Dokumentation von Arbeitsergebnissen;
• Schutz der Immaterialgüter auf Seiten des Unternehmens;
• Nutzungsrechte an Dokumenten des Anwalts;
• Wahrung der Vertraulichkeit und gegenseitiger Interesse;
• Interessenkonflikte;
• Vertragsdauer und Kündigungsmodalitäten.

19.6.2 Ad-hoc-Einkauf

Gibt es für benötigte Rechtsberatungsleistungen keinen Rahmenvertrag, wird –


soweit im konkreten Fall sinnvoll und vergaberechtlich zulässig – eine Kanzlei aus
einem aktuellen Anwaltskatalog berücksichtigt, um den Lieferantenpool so klein
wie sinnvoll zu halten. Ein Anwaltskatalog ist konzernweit zu führen und aktuell
zu halten. Qualitativ soll der Anwaltskatalog eine kurze Beurteilung nach Abschluss
des Mandates enthalten. Neuaufnahmen sind zu begründen. Die Größe des Kata-
logs ist abhängig vom Volumen der externen Vergaben im entsprechenden Rechtsbe-
reich. Ein großer Katalog mit mehreren Kanzleien mit Spezialisierung im gleichen
Rechtsgebiet ermöglicht ein Ausweichen, was je nach Fall im Hinblick auf mögli-
che Interessenkonflikte von Vorteil sein kann. Bei Fällen mit internationalem Bezug
sollte der Katalog ebenfalls verschiedene Anwälte pro Land zur Auswahl haben.

19.6.3 Auswahlkriterien

Entscheidend bei der Wahl externer Rechtsberater sind die Fachkenntnisse und die
Erfahrung im spezifischen Rechtsgebiet, Projektverständnis, Flexibilität, Agilität
und Problemlösefähigkeit im Sinne einer Ergebnisorientierung sowie speziell für

14Vgl. dazu Abschn. 19.6.4.


234 N. Teuwsen

Tab. 19.1  Beurteilungsmatrix für die Auswahl eines externen Rechtsberaters. In Anlehnung an


Aschenbrenner et al. In: Bucerius Center on the Legal Profession, Kanzlei Taylor Wessing (2013,
S. 39)
<ƌŝƚĞƌŝƵŵͬWŚĂƐĞ WƌćǀĞŶƟŽŶƐ ŶĂůLJƐĞ ƵƐǁĂŚů ƵƐǁĂŚů sĞƌĨĂŚƌĞŶ
ͲWŚĂƐĞ ͲWŚĂƐĞ sĞƌĨĂŚƌĞŶ ĚĞƐĞƌĂƚĞƌ ĚƵƌĐŚĨƺŚƌĞŶ
ZĞĐŚƚůŝĐŚĞ&ĂĐŚŬŽŵƉĞƚĞŶnjĞŶ͗
Ͳ ZĞĐŚƚƐŐĞďŝĞƚĞ
Ͳ sĞƌĨĂŚƌĞŶƐͲ ƵŶĚWƌŽnjĞƐƐƌĞĐŚƚ
^ŽŶƐƟŐĞ&ĂĐŚŬŽŵƉĞƚĞŶnjĞŶ͗
Ͳ ĂůůŐŵ͘ďĞƚƌŝĞďƐǁŝƌƚƐĐŚĂŌůŝĐŚĞ<ĞŶŶƚŶŝƐƐĞ
Ͳ <ĞŶŶƚŶŝƐƐĞƺďĞƌhŶƚĞƌŶĞŚŵĞŶƵŶĚDćƌŬƚĞ
Ͳ <ĞŶŶƚŶŝƐƐĞŝŶ<ŽƐƚĞŶŵĂŶĂŐĞŵĞŶƚ
Ͳ dĞĐŚŶŝƐĐŚĞƵƐĂŵŵĞŶŚćŶŐĞǀĞƌƐƚĞŚĞŶ
Ͳ ǁĞŝƚĞƌĞǁŝĐŚƟŐĞ&ĂĐŚƋƵĂůŝĮŬĂƟŽŶĞŶ
DĞƚŚŽĚĞŶŬŽŵƉĞƚĞŶnj͗
Ͳ sĞƌŚĂŶĚůƵŶŐƐĨƺŚƌƵŶŐƐŬŽŵƉĞƚĞŶnjĞŶ
Ͳ <ŽŶŇŝŬƚŵĂŶĂŐĞŵĞŶƞćŚŝŐŬĞŝƚĞŶ
Ͳ <ŽŵŵƵŶŝŬĂƟŽŶƐŬŽŵƉĞƚĞŶnjĞŶ
Ͳ WƌŽũĞŬƚŵĂŶĂŐĞŵĞŶƞćŚŝŐŬĞŝƚĞŶ
WĞƌƐƂŶůŝĐŚŬĞŝƚ ΘƵƐĂŵŵĞŶĂƌďĞŝƚ͗
Ͳ dLJƉΘŚĂƌĂŬƚĞƌĚĞƌWĞƌƐƂŶůŝĐŚŬĞŝƚ
Ͳ ĞƌĂƚĞƌƋƵĂůŝƚćƚĞŶ
Ͳ ^ŽnjŝĂůŬŽŵƉĞƚĞŶnjĞŶΘ^LJŵƉĂƚŚŝĞ
Ͳ ďŝƐŚĞƌŝŐĞƵƐĂŵŵĞŶĂƌďĞŝƚΘsĞƌƚƌĂƵĞŶ
KƌŐĂŶŝƐĂƚŽƌŝƐĐŚĞƌ <ŽŶƚĞdžƚ͗
Ͳ sĞƌĨƺŐďĂƌŬĞŝƚƵŶĚnjĞŝƚůŝĐŚĞ<ĂƉĂnjŝƚćƚĞŶ
Ͳ ŐĞŽŐƌĂƉŚŝƐĐŚĞWƌćƐĞŶnj <ĂŶnjůĞŝͬŶǁĂůƚ
Ͳ ƵƐĨĂůůǁĂŚƌƐĐŚĞŝŶůŝĐŚŬĞŝƚΘ ZĞƉůĂĐĞŵĞŶƚͲDƂŐůŝĐŚŬĞŝƚ
Ͳ <ŽƐƚĞŶ
WŽůŝƟƐĐŚĞƌ<ŽŶƚĞdžƚ͗
Ͳ /ŵĂŐĞΘDĂƌŬĞĚĞƌ<ĂŶnjůĞŝͬŶǁĂůƚƐ
Ͳ PīĞŶƚůŝĐŚĞƐƵŌƌĞƚĞŶ<ĂŶnjůĞŝͬŶǁĂůƚ
WƌŝŽƌŝƐŝĞƌƵŶŐĚĞƌƵƐǁĂŚůŬƌŝƚĞƌŝĞŶ͗
tŝĐŚƟŐƐƚĞϯ<ŽŵƉĞƚĞŶnjĞŶƉƌŽWŚĂƐĞ
tŝĐŚƟŐƐƚĞϯ<ŽŵƉĞƚĞŶnjĞŶŝŶƐŐĞƐĂŵƚ

die SBB ein besonderes Verständnis des Unternehmens im politischen Kontext als
auch Französischkenntnisse (teils auch bei Projekten im deutschsprachigen
Raum). Maßgebend für die Wahl eines externen Partners ist ferner die Strategie
der entsprechenden Anwaltskanzlei, das heißt die Festlegung langfristiger Zielset-
zungen für die Kanzlei, insbesondere welche Produkte und Dienstleistungen den
Kunden angeboten werden.15 Eine allgemeine Kriterienübersicht beziehungsweise
eine Checkliste als Beurteilungsmatrix für die Auswahl eines externen Rechtsbera-
ters findet sich auch in Tab. 19.1.

19.6.4 Honorierungsmodelle

Wie auch die interne Rechtsabteilung sich der Diskussion über den added value
im Einzelfall stellen muss, so gilt dies auch für externe Anwälte. So ist denn letzt-
lich nicht der Stundensatz, sondern der mit dem Arbeitsresultat erzielte Impact auf

15Vgl. Staub (2012, S. 6).


19 Außenpositionierung zu beratenden Rechtsanwälten 235

den Unternehmenserfolg oder auf das Risikomanagement entscheidend.16 Stan-


dard ist heute nach wie vor das Zeithonorar, das heißt die Abrechnung nach Stun-
denaufwand.17 Dieses Modell zeichnet sich durch seine Einfachheit bei der
Berechnung und durch seine nachvollziehbare Kalkulationsgrundlage aus. Es
erlaubt einen einfachen Vergleich mit der Konkurrenz.18 Trotzdem bleibt es oft zu
intransparent, weil die Anzahl der wirklich erforderlichen Arbeitsstunden nicht
abzuschätzen ist und die Leistungen des Anwalts sich einzig aufgrund des Zeitauf-
wands (input) berechnen ohne Rücksicht auf Qualität und Effizienz (output).19 Das
Zeithonorar bietet sich regelmäßig an, wenn der Beratungsaufwand zum Zeitpunkt
der Mandatsvergabe nicht abgeschätzt werden kann. Gleichzeitig besteht jedoch
der problematische Anreiz zur Maximierung der aufgebrachten Zeit.20
Auch wenn wie erwähnt die Abrechnung nach Stundenaufwand heute noch
Standard ist, erfolgt vermehrt eine Abrechnung nach alternativen Honorierungsmo-
dellen.21 Hierbei sind die Einfachheit und Transparenz des Modells meines Erach-
tens entscheidend für die Umsetzbarkeit im Sinne der angestrebten Ziele. So
werden in Projekten vermehrt Pauschalen oder zumindest ein Kostendach im Sinne
eines Höchstpreises vereinbart. Dieses Modell erfordert vom Anwalt eine exakte
Bestimmung der Vollkosten je Stunde und dementsprechend einen bestimmten
Erfahrungswert. Das Festhonorar bietet das Potenzial für eine echte win-win-Wir-
kung, weil es dem Mandanten Transparenz und Sicherheit in Bezug auf den zu
zahlenden Preis gibt und für den Anwalt die Chance besteht, durch eine effiziente
Bearbeitung des Beratungsprojekts tatsächlich einen höheren Stundensatz zu erzie-
len, als dies bei einem Zeithonorar der Fall wäre.22 Bei größeren Volumen sind
überdies Rabattmodelle denkbar. Bei der Gewährung eines Mengenrabatts wird für
den Kunden der Anreiz geschaffen, einen Anwalt regelmäßig zu beauftragen, um in
den Genuss der Kostenreduktion im Sinne einer Treueprämie zu kommen.23 Beim
gestuften Zeithonorar, welches wie ein Mengenrabatt wirkt, kann für eine
bestimmte Anzahl Stunden ein fixes Stundenhonorar abgemacht werden, darüber

16In der Schweiz ist nur die Vereinbarung einer ausschließlichen Beteiligung am Prozessge-

winn verboten (Art. 12 lit. e BGFA [Bundesgesetz vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der
Anwältinnen und Anwälte, Anwaltsgesetz, SR 935.51]). In Deutschland dürfen Anwälte nur in
bestimmten Ausnahmefällen eine erfolgsabhängige Vergütung vereinbaren (vgl. § 4a Gesetz zur
Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren vom 12. Juni 2008). In Öster-
reich sind Erfolgshonorare grundsätzlich erlaubt. Nur die Geldansprüche des Klienten darf der
Rechtsanwalt nicht auf sich übertragen und auch die prozentuelle Gewinnbeteiligung ist unrecht-
mäßig (vgl. § 2 Abs. 1 Rechtsanwaltstarifgesetz vom 22. Mai 1969). Vgl. zum Erfolgshonorar
auch: Mascello (2013, S. 477 f.) mit Hinweisen.
17In der Regel nach Erfahrung abgestufte Stundenansätze.

18Mascello (2013, S. 480).

19Mascello (2015, Rz 534).

20Vgl. Krämer (2012, S. 582).

21Vgl. für eine Übersicht über die gängigsten alternativen Entschädigungsmodelle Mascello

(2015, Rz 553 ff.).


22Vgl. Krämer (2012, S. 585).

23Mascello (2013, S. 482).


236 N. Teuwsen

hinaus sinkt aber der Ansatz. Hier besteht der Anreiz für den Anwalt darin, die ein-
gebrachten Stunden zu begrenzen.24

19.7 Umgang mit Interessenkonflikten

Gerade bei Großunternehmen kommt es immer wieder zu Fragestellungen im


Zusammenhang mit Interessenkonflikten externer Kanzleien. Problematisch sind
insbesondere Doppel- und Mehrfachvertretungen in gleichen oder gleichartigen
Verfahren sowie Prozessieren gegen das Unternehmen trotz laufender oder ehema-
liger Mandatsbeziehung; dies insbesondere im Zusammenhang mit Kanzleige-
meinschaften. Eine stringente Policy25 im Umgang mit Interessenkonflikten
externer Anwälte ist zu empfehlen.

19.7.1 Rechtliche Rahmenbedingungen

Gemäß Schweizer Anwaltsgesetz26 haben Anwälte jeden Konflikt zwischen den


Interessen ihrer Klientschaft und den Personen, mit denen sie geschäftlich oder pri-
vat in Beziehung stehen, zu meiden. Dies gilt auch für Anwälte, wenn diese in einer
Kanzlei- oder Anwaltsgemeinschaft zusammenarbeiten. Gleichzeitig werden
Anwaltskanzleien immer größer, was die Gefahr von Interessenkonflikten zwischen
den verschiedenen Mandanten erhöht. So genannte chinese walls vermögen Interes-
senkonflikte zwischen den verschiedenen Klienten einer Kanzlei entgegen
anderslautender Ansicht nicht wirksam zu verhindern.27 Daher ist es für ein Unter-
nehmen umso wichtiger, wenn zu einer Kanzlei bereits ein Vertrauensverhältnis
besteht, da dies Interessenkonflikte vermindern kann. Weitere Präzisierungen, insbe-
sondere hinsichtlich Mehrfachvertretungen, frühere Mandate und Kanzleigemein-
schaften finden sich in den Standesregeln des Schweizerischen Anwaltsverbandes
(SAV).28 Vergleichbare Regelungen bestehen auch in Deutschland und Österreich.

19.7.2 Policy betreffend die externe anwaltliche


Zusammenarbeit

In Tab. 19.2 findet sich ein Vorschlag, wie eine Policy betreffend die externe anwalt-
liche Zusammenarbeit – auch über die gesetzlichen Vorgaben und Standesregeln
des SAV hinausgehend – materiell aussehen könnte. Hierbei ist zu beachten, dass

24Krämer (2012, S. 583 f.).


25Vgl. Abschn. 19.7.2.
26Art. 12 lit. c BGFA.

27Fellmann und Zindel (2011, Art. 12 lit. c BGFA N 88 ff.).

28Inkrafttreten 1. Juli 2005 (Stand 22. Juni 2012).


19 Außenpositionierung zu beratenden Rechtsanwälten 237

Tab. 19.2  Vorschlag einer Policy betreffend die Zusammenarbeit mit externen Anwälten.
(Quelle: SBB)
WŽůŝĐLJ ZĂŚŵĞŶďĞĚŝŶŐƵŶŐĞŶ
 ŽƉƉĞůͲƵŶĚDĞŚƌĨĂĐŚǀĞƌƚƌĞƚƵŶŐŝŵŐůĞŝĐŚĞŶ  sĞƌďŽƚĚĞƌDĂŶĚĂƚƐĂŶŶĂŚŵĞďĞŝŬŽŶŬƌĞƚĞŶ
 ŽĚĞƌŝŶŐůĞŝĐŚĂƌƟŐĞŶsĞƌĨĂŚƌĞŶǁŝƌĚŶŝĐŚƚĂŬnjĞƉƟĞƌƚ͘  <ŽŶŇŝŬƚĞŶ;ƌƚ͘ϭϮůŝƚ͘Đ'&ƵŶĚƌƚ͘ϭϭ͕ϭϮ͕ϭϯ
 ƵƐŶĂŚŵĞ͗WĂƌĂůůĞůĞ/ŶƚĞƌĞƐƐĞŶ;njƵŵĞŝƐƉŝĞů  ^sͿ͗
  sĞƌƚƌĞƚƵŶŐĂƵŚĞƌƌƵŶĚ'ƌƵŶĚĞŝŐĞŶƚƺŵĞƌŝŵ  njǁŝƐĐŚĞŶŐĞŐĞŶůćƵĮŐĞŶƉĞƌƐƂŶůŝĐŚĞŶƵŶĚ
  ƐƚƌŝƫŐĞŶĂƵďĞǁŝůůŝŐƵŶŐƐǀĞƌĨĂŚƌĞŶͿ͘   ƌŝƫŶƚĞƌĞƐƐĞŶ;ƉĂƌĂůůĞůĞ/ŶƚĞƌĞƐƐĞŶƐĐŚĂĚĞŶ
 WƌŽnjĞƐƐŝĞƌĞŶͬDĂŶĚĂƚĞŐĞŐĞŶhŶƚĞƌŶĞŚŵĞŶ   ŶŝĐŚƚͿ͕
 ďĞŝůĂƵĨĞŶĚĞƌͬǀĞƌŐĂŶŐĞŶĞƌDĂŶĚĂƚƐďĞnjŝĞŚƵŶŐ  njǁŝƐĐŚĞŶŐĞŐĞŶůćƵĮŐĞŶ/ŶƚĞƌĞƐƐĞŶǀŽŶnjǁĞŝ
 ǁĞƌĚĞŶŶŝĐŚƚĂŬnjĞƉƟĞƌƚ͘   ŽĚĞƌŵĞŚƌĞƌĞŶDĂŶĚĂŶƚĞŶŝŵŐůĞŝĐŚĞŶsĞƌĨĂŚƌĞŶ
 ƵƐŶĂŚŵĞ͗ƐďĞƐƚĞŚĞŶŬĞŝŶĞůĂƵĨĞŶĚĞ   ŽĚĞƌsĞƌĨĂŚƌĞŶŵŝƚ^ĂĐŚnjƵƐĂŵŵĞŶŚĂŶŐ;ƐŽ
  DĂŶĚĂƚƐďĞnjŝĞŚƵŶŐƵŶĚŬĞŝŶĞ'ĞĨĂŚƌ͕ĚĂƐƐĂƵƐ   ŐĞŶĂŶŶƚĞŽƉƉĞůǀĞƌƚƌĞƚƵŶŐͿ͕
  ĚĞŵĨƌƺŚĞƌĞŶDĂŶĚĂƚ<ĞŶŶƚŶŝƐƐĞǀĞƌǁĞŶĚĞƚ  njǁŝƐĐŚĞŶŐĞŐĞŶůćƵĮŐĞŶ/ŶƚĞƌĞƐƐĞŶĚĞƐŶĞƵĞŶ
  ǁĞƌĚĞŶŬƂŶŶĞŶ͘   ƵŶĚĞŝŶĞŵĞŚĞŵĂůŝŐĞŶDĂŶĚĂŶƚĞŶďĞŝ/ĚĞŶƟƚćƚ
 sŽƌDĂŶĚĂƚƐĂďƐĐŚůƵƐƐnjƵƐćƚnjůŝĐŚnjƵ   ĚĞƌ^ƚƌĞŝƚŵĂƚĞƌŝĞ;ƐŽŐĞŶĂŶŶƚĞƌWĂƌƚĞŝǁĞĐŚƐĞůͿ͘
 /ŶƚĞƌĞƐƐĞŶŬŽŶŇŝŬƚͲŚĞĐŬĚƵƌĐŚ<ĂŶnjůĞŝͬŶǁĂůƚ  ŝĞĞƐƟŵŵƵŶŐĞŶƺďĞƌsĞƌŵĞŝĚƵŶŐǀŽŶ
 ƵŶƚĞƌŶĞŚŵĞŶƐŝŶƚĞƌŶĞƌ/ŶƚĞƌĞƐƐĞŶŬŽŶŇŝŬƚͲŚĞĐŬ͘  /ŶƚĞƌĞƐƐĞŶŬŽŶŇŝŬƚĞŶƐŝŶĚĂƵĨ<ĂŶnjůĞŝŐĞŵĞŝŶƐĐŚĂŌĞŶ
 sĞƌƉŇŝĐŚƚƵŶŐĚĞƌ<ĂŶnjůĞŝͬŶǁĂůƚnjƵ  ĂŶǁĞŶĚďĂƌ;ƌƚ͘ϭϰ^sͿ͘
 ƐĐŚƌŝŌůŝĐŚĞƌDĞůĚƵŶŐďĞnjŝĞŚƵŶŐƐǁĞŝƐĞ  ĂƐĞƌƵĨƐŐĞŚĞŝŵŶŝƐŝƐƚnjĞŝƚůŝĐŚƵŶďĞƐĐŚƌćŶŬƚ
 'ĞŶĞŚŵŝŐƵŶŐďĞŝŵƂŐůŝĐŚĞŶ/ŶƚĞƌĞƐƐĞŶŬŽŶŇŝŬƚĞŶ  njƵǁĂŚƌĞŶ͕ƐŽĨĞƌŶŬĞŝŶĞŝŶǁŝůůŝŐƵŶŐĚĞƐ
 ŝŶDĂŶĚĂƚƐǀĞƌƚƌĂŐ͘  'ĞŚĞŝŵŶŝƐƚƌćŐĞƌƐǀŽƌůŝĞŐƚ;ƌƚ͘ϭϯ'&ƵŶĚƌƚ͘ϭϱ
 <ŽŶǀĞŶƟŽŶĂůƐƚƌĂĨĞŶďĞŝsĞƌůĞƚnjƵŶŐ͘  ^sͿ͘

ein rigoroses Untersagen sämtlicher potenzieller Situationen von Interessenkonflik-


ten mit Bedacht zu wählen ist. Die konkrete Formulierung sollte daher die Auswahl
externer Partner nicht von vornherein zu stark einschränken, zumal im Einzelfall
eine Vertretung des Unternehmens trotz gewisser Interessenkonflikte unter Abwä-
gung aller Umstände von Vorteil für das Unternehmen sein kann.

Interview mit Dr. iur. Heinz Schärer (von Christian Dueblin)


Dr. iur. Heinz Schärer erwarb sein Lizenziat der Rechtswissenschaften (lic.iur.)
1977 an der Universität Fribourg, wo er 1981 auch promovierte (Dr. iur.). Er
bildete sich an der Southern Methodist University School of Law, Dallas, Texas
(M.C.L.) weiter, erwarb 1982 das Zürcher Anwaltspatent und stieg im gleichen
Jahr in die Anwaltskanzlei Homburger (bis 1990 Teil von Baker & McKen-
zie) in Zürich ein. Dr. Heinz Schärer ist seit 1988 als Partner von Homburger
tätig und gehört heute als Senior Partner und Verwaltungsratspräsident einer
der größten Anwaltssozietäten in der Schweiz zu den erfahrensten Anwälten.
Dr. Heinz Schärer berät eine weltweite Klientel im Bereich Firmenkäufe und
-zusammenschlüsse, Joint Ventures, Venture Capital, Private Equity, Gesell-
schafts- und Kapitalmarktrecht sowie Finanzierungen. Im Interview nimmt
Dr. Heinz Schärer Stellung zu Fragen der internen Organisation einer Groß-
anwaltskanzlei und des Klienten- und Talent-Marktes, mit denen sich eine
Anwaltssozietät auseinandersetzen muss. Er beschreibt zudem die Herausfor-
derungen an der Schnittstelle zu Unternehmen, insbesondere zu deren Rechts-
abteilungen und dem General Counsel, und zeigt auf, was die Arbeit zwischen
externen Anwältinnen und Anwälten sowie Unternehmen verbessert.
238 N. Teuwsen

Christian Dueblin: Herr Dr. Schärer, Homburger gehört zu den größten


Schweizer Anwaltskanzleien. Mit über 135 Anwälten und knapp 300 Mitar-
beitenden berät die Großkanzlei Kunden und Unternehmen auf der ganzen
Welt. Wie ist Homburger, um den Bedürfnissen der weltweiten Kundschaft
gerecht zu werden, organisatorisch aufgestellt?
Dr. Heinz Schärer: Homburger bietet die Beratung innerhalb sämtlicher Haupt-
sparten an, die von einer Wirtschaftsanwaltssozietät heute auf dem Markt
verlangt werden. Die wichtigsten Bereiche sind Corporate/M&A, Financial
Services, Disputes & Technology, Competition and Regulatory Markets, Tax,
Employment Law, Private Clients, Restructuring/Insolvency, White Collar Cri-
mes/Investigations, Insurance und Real Estate. Die Grundorganisation besteht
aus fünf Praxisteams und sieben Fachgruppen, die einer Matrix-Organisa-
tion folgend organisiert sind. Die fünf Praxisteams bilden den Kern und sind
mit vollen Kompetenzen für Ressourcenplanung (staffing), Weiterbildung,
Know-how-Entwicklung, Marketing etc. ausgestattete Beratungsteams. Die
Mitarbeitenden sind immer in einem (zum Teil in zwei) der fünf Praxisteams
und die meisten sind entsprechend ihren Kernkompetenzen auch in einer oder
zwei Fachgruppen tätig.

Christian Dueblin: Was hat Sie als Wirtschaftsanwalt persönlich motiviert,


in einer Großkanzlei zu arbeiten und Ihre fachlichen Kompetenzen nicht
einem kleineren Team zur Verfügung zu stellen oder gar alleine beratend
tätig zu sein?
Dr. Heinz Schärer: Als ich Anfang der Achtzigerjahre nach Rückkehr aus den
USA im Büro Homburger meine Anwaltstätigkeit aufnahm, gab es keine Groß-
kanzleien. Das Büro Homburger bestand damals aus 12 bis 15 Anwälten und war
Teil des Baker & McKenzie-Netzwerks, dies schon seit 1958. Obwohl damals
bereits für Zürich eine relativ große Kanzlei, war alles überschaubar und schon
nach kurzer Zeit wusste man, wer an was arbeitete. Zudem war die Tätigkeit
durch die relativ langsame Kommunikation über Telex und dann einige Jahre spä-
ter über Fax gegenüber heute gemächlich. In diesem Sinne bin ich nicht in eine
Großkanzlei eingetreten, sondern es hat sich nachher so ergeben. Die großen
Wachstumstreiber waren einerseits die Anglifizierung vor allem der Beratungstä-
tigkeit und dort vor allem der transaktionalen Tätigkeit mit immer umfassende-
ren Dokumentationen, die Verrechtlichung des Geschäftslebens mit immer neuen
Gesetzen und neuen Regulatoren (WEKO, COMCOM, FINMA etc.) sowie ganz
wesentlich die Beschleunigung durch die Kommunikation, zuerst die schnellen
Faxmaschinen, dann Internet, erheblich verbesserte Dienstleistungen der Tele-
fongesellschaften, Videoconferencing etc. sowie die beschleunigte Internationa-
lisierung unserer Wirtschaft und das dadurch beschleunigte Wachstum. Mit dem
Wachstum und der Verjüngung der Partnerschaft kamen auch kritische Fragen
betreffend Verbleib im Baker & McKenzie-Verbund, was schließlich 1990 zum
Austrittsentscheid von 8 der bestehenden 12 Partner und der Neugründung des
Büros Homburger geführt hat.
19 Außenpositionierung zu beratenden Rechtsanwälten 239

Christian Dueblin: Was sind Ihres Erachtens die großen Herausforde-


rungen, die sich stellen, wenn man eine Kanzlei mit einer solchen Größe
führt?
Dr. Heinz Schärer: Entscheidend sind zwei Sachen: Erstens: Man kann und
darf nicht befehlen, sondern muss überzeugen. Zweitens: Man kann weder
Vertrauen noch Respekt einfordern, sondern man muss sie verdienen und zwar
immer wieder. Die Kernherausforderung ist, ein möglichst hohes Maß an Kohä-
renz unter den Partnern zu erhalten, wobei Kohärenz meint: Gemeinsame Ziele
und der gemeinsame Wille, diese Ziele zu erreichen, sowie in Kernbereichen
ein gemeinsames Verständnis, wie man den Beruf ausübt und den Betrieb orga-
nisiert. Dabei muss man sich bewusst sein, vor allem auch als älterer Partner,
dass man gewisse Fragen immer wieder neu besprechen muss. Dies alles ist aus
unserer Sicht nur erfolgreich möglich, wenn auf der Stufe Partnerschaft eine
hohe Kohärenz und eine hohe Kontinuität besteht. Für mich ist das ein Rätsel,
wie es Anwaltskanzleien schaffen, die dauernd Wechsel in der Partnerschaft
haben.
Vom Markt her gesehen muss man sich bewusst sein, dass man auf zwei
Hauptmärkten tätig ist, nämlich auf dem Markt für Rechtsdienstleistungen und
Prozessführung und auf dem Markt für Talente. Auf dem Klientenmarkt ist es
für eine größere Kanzlei entscheidend, dass ihre Strukturen und Anreize so
gesetzt sind, dass ein Mandat vom bestmöglichen Anwaltsteam betreut wird
und dass nicht nur die Partner mit den Mitarbeitern, sondern gerade in für Kli-
enten sehr wichtigen Sachen die Partner untereinander zusammenarbeiten; wir
sagen dem ein wenig geflügelt: „Der Kampf der verbundenen Waffen“. Glei-
ches gilt auf dem Markt für Talente: Alle wollen die Besten, die Besten kriegt
man nur, wenn die Partnerschaft sich als Ganzes und zwar je in unterschied­
lichen Funktionen darum bemüht und wenn man zudem konsequent ist.

Christian Dueblin: Was unterscheidet den Senior Partner, einmal abge-


sehen von seiner hierarchischen Stellung, von anderen juristischen Fach-
personen in der Großkanzlei? Darf der Senior Partner vor allem als der
„Netzwerker“ verstanden werden, der die Schnittstellen zu (potenziellen)
Kunden pflegt?
Dr. Heinz Schärer: Die Bezeichnung Senior Partner wird unterschiedlich ver-
wendet. Bei uns ist es eine Bezeichnung ad personam und hat weniger mit dem
Alter zu tun, sondern eher damit, dass ich nach 9 Jahren als Managing Part-
ner auf Anregung des neuen Managing Partners und einiger anderer Partner
gewisse Funktionen weiterhin ausübe und dies unter der Bezeichnung Senior
Partner. Dazu gehört jetzt unter anderem auch gewisse Öffentlichkeitsarbeit. Im
Übrigen bin ich aber ein gewöhnlicher Partner mit den gleichen Rechten und
Pflichten wie alle anderen.
240 N. Teuwsen

Christian Dueblin: Von Anwältinnen und Anwälten wird heute auf der einen
Seite ein sehr hoher Spezialisierungsgrad erwartet. Auf der anderen Seite
sind viele Fälle so komplex, dass sich die Fachpersonen auch breites Wissen
aneignen müssen, um in komplexen Fällen mithalten zu können. Wie gehen
Sie mit dieser Herausforderung und Gratwanderung, vielleicht darf man es
auch „Spagat“ nennen, in Ihrer Anwaltssozietät um?
Dr. Heinz Schärer: Der Herausforderung, ein breites, anwaltliches Aktionsfeld
zu verbinden mit Spezialisierung sind wir uns sehr bewusst und sie gehört zum
Grundverständnis unseres Büros und basiert auf dem S ­ elbstverständnis von
Eric Homburger. Daher kommt es, dass zahlreiche Maßnahmen und Vorkeh­
rungen bei uns seit Jahrzehnten darauf ausgerichtet sind, dass unsere Anwälte ein
breites Grundwissen und ein breites Arsenal an anwaltlichen Fähigkeiten ver-
binden mit meistens mehreren Spezialitäten. Aus unserer Sicht hat das weniger
mit einer Gratwanderung zu tun als tatsächlich damit, dass wir bestrebt sind,
nur solche Anwälte anzustellen, welche diese Kriterien erfüllen. Dazu kommen
einige einfache organisatorische Maßnahmen, wie zum Beispiel: Praktikanten
müssen bei uns in der Hälfte des Praktikums, nach 6 Monaten, das Praxisteam
wechseln; jedes Praxisteam hat mindestens einen, meistens aber zwei Dele-
gierte in jedes andere Praxisteam zu entsenden; wir organisieren für unsere
jungen Anwälte eine umfassende Grundausbildung in allen Bereichen und wir
bilden unsere jungen Partner intern durch die anderen Partner aus in einem
Lehrgang, der in vernünftigen Zeitabständen mehrere Tage umfasst; nicht zu
vergessen das, was ich oben als „Kampf der verbundenen Waffen“ bezeichnet
habe, nämlich die spezialitätenübergreifende Zusammenarbeit von Partnern
untereinander und von Partnern mit Mitarbeitern und Praktikanten.

Christian Dueblin: Was ist für Sie nebst dem fachlichen ­Wissen wichtig,
wenn Sie Anwälte bei sich einstellen, die später auch mit Unternehmen
und deren Rechtsabteilungen und General Counsels zusammenarbeiten
müssen und welches sind die konkreten persönlichen Kriterien und Anfor-
derungen, die für Sie bei einer Einstellung von Anwältinnen und Anwälten
wichtig sind?
Dr. Heinz Schärer: Das ist ganz klar die Persönlichkeit und bei der Persön-
lichkeit die Integrität und Sozialkompetenz. Wichtig für uns ist zudem die
Berufung. Wir wollen Anwältinnen und Anwälte, welche diesen Beruf lieben
und ihn ausüben, um ihrer Berufung gerecht zu werden. Eine zu starke Geld­
orientiertheit schadet unseres Erachtens, was nicht heißt, dass wir nicht gute
Unternehmer sein wollen. Im Gegenteil, wir wollen gute Unternehmer sein und
versuchen, das auch durchzusetzen. Im Rahmen des Rekrutierungspro­zesses
sehen wir es gerne, wenn unsere Kandidatinnen und Kandidaten neben der
Juristerei andere Interessen haben, insbesondere wenn sie auch andere Tätig-
keiten ausüben, sei dies im Rahmen von Vereinen, gemeinnützigen Organisa-
tionen, im Sport oder auf anderen Gebieten. Dabei prüfen wir vor allem, was
die Kandidatinnen und Kandidaten tatsächlich gemacht haben. Dies, weil wir
der Ansicht sind, dass “Weltkenntnis” bei unserer täglichen Arbeit von großer
Bedeutung ist.
19 Außenpositionierung zu beratenden Rechtsanwälten 241

Christian Dueblin: Viele Anwälte kennen Unternehmen und ihre inneren


Strukturen und Eigenheiten nicht. Hat man es plötzlich mit einer Rechts-
abteilung eines Unternehmens, dem General Counsel, aber auch etwa mit
einer technischen Abteilung in der Industrie zu tun, kann es zu Spannungen
zwischen dem Anwalt und dem Unternehmen kommen. Wie erkennen Sie
Dos and Don’ts bei der Zusammenarbeit mit Unternehmen? Wie kann der
General Counsel die Zusammenarbeit zwischen ihm und einem externen
Anwalt verbessern?
Dr. Heinz Schärer: Dazu gibt es klare Grundsätze, nämlich: klarer Auftrag und
klare Projektorganisation; wenn diese beiden Kernorganisationsfragen klar
sind, ist die Wahrscheinlichkeit von Spannungen und Problemen klein. Dabei
muss man sich bewusst sein, dass es gerade in komplexen Fällen einigen Auf-
wand erfordert, diese Punkte klarzustellen, und es zudem im Laufe der Projekt­
arbeit auch Änderungen geben kann. Darum ist eine offene Kommunikation
zwischen Anwalt und Klient zentral. In vielen Fällen ist die Idealorganisation,
wenn die Mitglieder der Rechtsabteilung und die Anwälte aus der Kanzlei ein
Team bilden, das mit anderen Teams des Klienten zusammenarbeitet. Hierzu
möchte ich zuerst sagen, dass die Zusammenarbeit mit vielen General Counsel
und uns hervorragend funktioniert. Die Voraussetzungen dazu sind: gegensei-
tiges Vertrauen, offene und vor allem direkte Kommunikation und Offenheit,
auch wenn es weh tut. Hinzu kommt eine gute Organisation der Rechtsab-
teilung und aufseiten der Kanzlei das Team, welches für den Klienten arbei-
tet. Weiter zählt dazu der Aspekt der Fairness: Was zum Beispiel die Kanzlei
betrifft, verlangt die Fairness, dass man ein Versäumnis oder einen Fehler
zugibt; aufseiten des Klienten verlangt die Fairness, dass man zum Beispiel für
sogenannten instant advice (also Sofortberatung auf einem neuen Sachverhalt)
vorerst eine vorläufige Antwort entgegennimmt und dann allenfalls der Kanzlei
Zeit gibt, den erteilten Rat zu überprüfen.

Christian Dueblin: Wie soll der externe Anwalt in Fällen vorgehen, in


denen er erkennen muss, dass der General Counsel oder die Rechtsabtei-
lung in einem Problemfall einen Fehler gemacht hat, indem beispielsweise
ein rechtlicher Punkt falsch eingeschätzt wurde, der sich nun in schwer-
wiegender Weise für das Unternehmen auswirken könnte?
Dr. Heinz Schärer: Der Anwalt muss auf den Fehler, sobald er ihn erkennt,
sofort reagieren, und zwar wenn immer möglich bei demjenigen, der den Fehler
gemacht hat, und wenn immer möglich mündlich. Der Anwalt muss zuerst mit
seinem Gesprächspartner prüfen, ob es tatsächlich ein Fehler war. Wenn dem
so ist, so ist es die Aufgabe des Anwalts, den Klienten zu unterstützen, um ent-
weder den Fehler zu korrigieren (sofern noch möglich) oder dessen Folgen zu
mindern.
242 N. Teuwsen

Christian Dueblin: Es kann passieren, dass es zu Konkurrenzsituatio-


nen kommt, wenn dem General Counsel ein externer Anwalt vorgezogen
wird, beispielsweise dann, wenn die Führung eines Unternehmens externe
Anwälte beizieht, ohne den General Counsel zu informieren. Das kann
auch für den externen Anwalt unangenehm sein. Wie soll er sich in solchen
Situation verhalten?
Dr. Heinz Schärer: Das sind tatsächlich immer schwierige Situationen, die mit
besonderer Vorsicht angegangen werden müssen. Es passiert, dass man als
Anwalt von einem CEO oder Verwaltungsratspräsidenten bestellt wird, ohne
dass der General Counsel involviert ist. Der Anwalt wird mit diesen bespre-
chen, ob er den General Counsel informieren und mit ihm zusammenarbeiten
darf. In der Regel findet man eine Lösung und es funktioniert gut. Es gibt aber
auch Fälle, in denen das nicht geht, dann etwa, wenn die Führung unter größter
Geheimhaltung Abklärungen vornehmen lässt, beispielsweise für eine beson-
ders heikle Transaktion oder bei aktuellen oder möglichen Interessenkonflikten.
CEO und Verwaltungsratspräsident übergehen den General Counsel eigent-
lich nur in ganz besonderen Fällen, in denen sehr viel auf dem Spiel steht und
höchste Diskretion erforderlich ist. Das kann durchaus auch zum Schutz des
General Counsel und der Rechtsabteilung sein. Es soll der Personenkreis, der
Kenntnis über eine delikate Angelegenheit hat, möglichst klein gehalten wer-
den. Ein Verwaltungsratspräsident kann auch bei einem persönlichen Problem
Grund haben, den General Counsel nicht einzubeziehen. Er sucht Rat bei einer
Person, die ihm weniger nahe steht.
Oft werden in solchen Fällen später Arbeitsgruppen gebildet und der Gene-
ral Counsel wird umfassend informiert. Hier ist es sicher wichtig, dass der Ver-
waltungsratspräsident oder der CEO, der am General Counsel vorbei beraten
werden wollte, klarstellt, dass das nicht eine persönliche Angelegenheit ist und
die Gründe für dieses Vorgehen erklärt. Somit ist dieses Problem auch eine
Frage der Kommunikation und es hängt viel vom Vertrauensverhältnis der Par-
teien im Unternehmen zueinander ab. Darauf haben wir als externe Anwälte oft
keinen Einfluss.

Christian Dueblin: Wie überall kann es auch bei der Zusammenarbeit zwi-
schen externen Anwälten und Rechtsabteilungen zu Spannungen kommen.
Wie gehen Sie als Senior Partner vor, wenn Sie erkennen, dass eine Zusam-
menarbeit nicht optimal läuft?
Dr. Heinz Schärer: Es muss auf alle Fälle zuerst intern über solche Situationen
gesprochen werden. Die betroffenen Anwältinnen und Anwälte müssen Gele-
genheit bekommen, Stellung zu beziehen und ihre Sicht der Dinge aufzuzei-
gen. Es gilt die Devise, im Team offen zu sein und sich nicht zu scheuen, auf
gewisse Probleme mit Klienten frühzeitig aufmerksam zu machen. Es kann
dann sinnvoll sein, wenn zu gegebener Zeit ein Gespräch mit dem Vorgesetzten
des Anwaltes, beispielsweise dem Senior Partner und dem Klienten, stattfin-
det. Im Extremfall kann das auch bedeuten, dass man einen Anwalt auswech-
19 Außenpositionierung zu beratenden Rechtsanwälten 243

selt, nicht weil er fachlich schlecht gearbeitet hat, sondern weil man erkennen
muss, dass es persönliche Differenzen gibt. Solche Fälle sind aber sehr selten.
Es kann im Übrigen aber auch passieren, dass Wechsel aufseiten des Klienten
nötig sind.

Christian Dueblin: Die Außensicht eines Anwalts ist in vielen Unternehmen


mit vielen Klischees verbunden. Anwälte werden oft als überheblich oder als
besserwisserisch wahrgenommen. Was steckt Ihres Erachtens hinter solchen
Sichtweisen?
Dr. Heinz Schärer: Ich hoffe, dass das wirklich nur ein Klischee ist. Möglicher-
weise war diese Wahrnehmung von Nichtjuristen in der Vergangenheit richtig.
Wir sehen uns eher als Bergführer: Ein Kunde will auf den Berg und wir helfen
ihm, dort sicher anzukommen und wieder herunter.
Überheblichkeit ist nach unserer Philosophie völlig fehl am Platz. Wir
Anwälte sind Dienstleister und stellen die rechtliche Compliance sicher, indem
wir judgements abgeben, die sorgfältig erarbeitet werden müssen. Manchmal
sind wir bei Problemen und Herausforderungen sehr wichtig, manchmal aber
auch gar nicht. Im Übrigen muss man heute erkennen, dass Überheblichkeit bei
Kunden überhaupt nicht gut ankommt. Aber das ist nicht ein Problem des Juris-
ten an sich, sondern eine Frage der Persönlichkeit.

Literatur
Bucerius Center on the Legal Profession, Kanzlei Taylor Wessing (2013) Trends in der Zusam-
menarbeit von Unternehmen und Kanzleien – „Dafür nehmen wir uns einen Anwalt!“ –
Erwartungen von Unternehmen an externe Anwälte im Konfliktmanagement. http://www.
bucerius-education.de/fileadmin/content/pdf/studies_publications/KM-Studie-D-05-3.pdf.
Zugegriffen: 10. Mai 2017
Fellmann W, Zindel GG (Hrsg) (2011) Kommentar zum Anwaltsgesetz – Bundesgesetz über die
Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte, 2. Aufl. Schulthess, Zürich
Hartung M (2012) Akquisition anwaltlicher Mandate im pitch. In: Staub L, Hehli Hidber C
(Hrsg) Management von Anwaltskanzleien. Schulthess, Zürich, S 197–210
Krämer A (2012) Alternative Honorarmodelle im Anwaltsgeschäft. In: Staub L, Hehli Hidber C
(Hrsg) Management von Anwaltskanzleien. Schulthess, Zürich, S 581–591
Mascello B (2012) Anwaltspanels bei der Beschaffung rechtlicher Dienstleistungen: Aufbau und
Akkreditierungsprozess. In: Staub L, Hehli Hidber C (Hrsg) Management von Anwaltskanz-
leien. Schulthess, Zürich, S 211–217
Mascello B (2013) Alternative Honorarmodelle als Trend und Chance. Anwaltsrevue 2013
(11/12): 477–485
Mascello B (2015) Beschaffung von Rechtsdienstleistungen und Management externer Anwälte.
Schriftenreihe Law & Management, Bd 3. Schulthess, Zürich
Staub L (2006) Legal Management, 2. Aufl. Versus, Zürich
Staub L (2012) Einführung und Übersicht. In: Staub L, Hehli Hidber C (Hrsg) Management von
Anwaltskanzleien. Schulthess, Zürich, S 3–35
Wälchli U (2012) Besonderheiten der Zusammenarbeit mit Unternehmensmandanten –eine
Praxisbetrachtung. In: Staub L, Hehli Hidber C (Hrsg) Management von Anwaltskanzleien.
Schulthess, Zürich, S 223–232
244 N. Teuwsen

Über die Autorin


Nora Teuwsen – Group General Counsel/Leiterin Recht & Compliance Schweizerische
Bundesbahnen SBB, Bern
Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Zürich. 2003 Zulassung als Rechtsanwäl-
tin. Sie verfügt über einen Master im europäischen und internationalen Wirtschaftsrecht der Uni-
versität St.Gallen (Executive M.B.L.-HSG) und absolvierte das Negotiation Dynamics Programm
an der INSEAD in Paris. Bei der SBB ist sie Group General Counsel seit 2013. Davor Leiterin
Recht und Einkauf sowie Mitglied der Geschäftsleitung von SBB Immobilien, einem der gröss-
ten Player im Schweizerischen Immobiliensektor. Zuvor Tätigkeit als praktizierende Rechtsan-
wältin. 2015 wurde sie in den geschäftsleitenden Ausschuss des Instituts für Rechtswissenschaft
und Rechtspraxis der Universität St.Gallen gewählt.
Außenpositionierung zu
prozessierenden Rechtsanwälten 20
Eva Gut

In diesem Kapitel wird die Zusammenarbeit zwischen Legal Counsel und externen
Anwälten – insbesondere solchen mit forensischer Tätigkeit – beleuchtet und auf-
gezeigt, wie diese Kooperation möglichst reibungslos erfolgen kann. Mithin soll
erreicht werden, dass beide Seiten nach Abschluss eines Mandats die Zusammen-
arbeit als positiv beurteilen und einer weiteren Mandatierung im Bedarfsfall nichts
im Wege steht. Dabei wird nachfolgend jeweils ein in der Praxis oft gehörtes, pro-
vokatives Vorurteil auf Seiten Unternehmensrechtsdienst aufgegriffen und entspre-
chend aufgearbeitet, respektive aus der Außensicht einer Rechtsanwältin beurteilt,
welche in einer wirtschaftsrechtlich orientierten Kanzlei tätig ist.

20.1 Bis der externe Rechtsanwalt in die Thematik


eingeführt ist, hat der Legal Counsel die
Angelegenheit auch selbst erledigt

Dieses typische Vorurteil haben Sie sicherlich schon gehört. Es ist zwar richtig:
Der Legal Counsel hat tatsächlich einen Wissensvorsprung gegenüber dem exter-
nen Rechtsanwalt: Er kennt den eigenen Arbeitgeber, dessen Produkte, interne
Abläufe und zuständige Personen und häufig die Branche besser als der externe
Rechtsanwalt und weist entsprechend internen Rechtfertigungsbedarf auf, warum
der externe Rechtsanwalt dennoch das Mandat besser führen kann als der Legal
Counsel alleine. Es gibt aber durchaus verschiedene Gründe, weshalb dies Sinn
macht:

E. Gut (*)
Zürich, Schweiz
E-Mail: eva.gut@staiger.law

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 245


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_20
246 E. Gut

• So ist der externe Rechtsanwalt in der Regel spezialisierter als der Legal Coun-
sel. Dieser lebt häufig davon, die Branche und die dortigen Gepflogenheiten
und betriebsrelevanten Rechtsgebiete vertieft zu kennen, in anderen juristischen
Gebieten hingegen Wissen eher in der Breite aufzuweisen und als Risikomana-
ger zu fungieren. Der externe Rechtsanwalt jedoch hat je nach Spezialisierung
schon zahlreiche Sanierungen begleitet, Verfahren am Bundesgericht geführt
oder Zeugeneinvernahmen vorbereitet. Er weiß, wie sich juristische Standard-
dokumente mit den Jahren verändern und welcher Zeitgeist an den Gerichten
herrscht. Dadurch benötigt er weniger Einarbeitungszeit in die rechtlichen Fra-
gen als ein Legal Counsel, dem die mühselig erarbeiteten Erkenntnisse unter
Umständen nicht einmal Synergiemöglichkeiten für andere Fälle bieten. Die
jahrelange Erfahrung aus einem Spezialgebiet ersetzt vertiefte Branchenkennt-
nisse aber nicht. Es lohnt sich vielmehr, diese beiden Schwerpunktvorteile zu
kombinieren, um damit das bestmögliche Resultat zu erzielen.
Daher kann es angezeigt sein, dass der Legal Counsel einerseits intern den
Kontakt zu den zuständigen operativ tätigen Personen vermittelt und anderer-
seits, sofern angezeigt, einen Betriebsrundgang mit Erklärung der Produkte
oder Fertigungsgänge durchführt. Zudem darf sich der Legal Counsel durchaus
durch gezieltes Nachfragen vergewissern, dass sich der externe Rechtsanwalt
ein vollständiges Bild der dargestellten Umstände machen konnte, sofern dieser
nicht ohnehin von sich aus Fragen stellt, aus denen sich ergibt, wo noch Ver-
ständnislücken bestehen.
Je besser der externe Rechtsanwalt den Klienten und dessen Eigenhei-
ten kennt, umso mehr sieht er Zusammenhänge, und umso weniger Einarbei-
tungszeit benötigt er bei Folgemandaten. Kontinuität in der Klientenbeziehung
lohnt sich aus diesem Grund durchaus. Falls keine Kontinuität gewählt wird,
beispielsweise weil sich neu Fragen in einem Rechtsgebiet stellen, in dem sich
der Beizug eines anderen Spezialisten aufdrängt, macht es unter Umständen
Sinn, den neuen externen Rechtsanwalt mit Unterlagen des bisherigen externen
Anwalts zu dokumentieren oder ihn mit diesem kurzzuschließen.
• Die unternehmerische Nähe des Legal Counsel und seine Vorbefassung mit
einer möglicherweise eskalierenden Situation können diesem den objekti-
ven Blick auf ein sich stellendes Problem erschweren. Dies ist mit ein Grund,
warum die Mandatierung eines externen Rechtsanwalts oft von Vorteil ist. Ein
externer Rechtsanwalt hat die unbefangene Perspektive einer außenstehenden
Person, wie dies in Prozessfällen auch der Richter haben wird. Daher kann er
eher auf Chancen und Risiken aus dieser Perspektive aufmerksam machen, die
der Legal Counsel nicht so deutlich erkennt – beispielsweise, weil er in Ver-
tragsausarbeitungen involviert war und mehr oder anderes zwischen die Zeilen
des Vertrags hineininterpretiert als eine externe Person. Zudem ist der externe
Rechtsanwalt im Betrieb des Klienten nicht subordiniert und hat daher mehr
Freiheiten, den Klienten auf allfälligen Handlungsbedarf hinzuweisen.
• Bei Prozessen in anderen Kantonen oder Landesteilen kann es sich lohnen,
einen externen – lokalen – Rechtsanwalt beizuziehen. Falls bereits der Legal
Counsel oder der üblicherweise mandatierte externe Rechtsanwalt mit der
20 Außenpositionierung zu prozessierenden Rechtsanwälten 247

Angelegenheit detailliert vertraut ist, ist es nicht zwingend erforderlich, dass


sich der lokale Anwalt in derselben Tiefe in die Angelegenheit einarbeitet. Es
kann aber durchaus von Vorteil sein, wenn sich der vor Gericht auftretende
Rechtsanwalt und der Richter zumindest gestützt auf bisherige Erfahrungen
kennen und nicht ein „Auswärtiger“ zu Verhandlungen erscheint, der mit den
lokalen Gegebenheiten nicht vertraut ist. Selbst in der heutigen Zeit spielen der
Kantönligeist und eine (bewusste oder unbewusste) reflexartige Abwehrhaltung
gegenüber nicht lokal ansässigen Anwälten zuweilen eine nicht zu vernachläs-
sigende Rolle, selbst wenn dies selbstverständlich jedes Gericht in Abrede stel-
len würde.
• In länderübergreifenden Konstellationen kann der Legal Counsel oftmals von
internationalen Netzwerken des externen Rechtsanwalts profitieren. Ob dabei
vom externen Rechtsanwalt ein Direktkontakt vermittelt wird oder ob der
externe Rechtsanwalt das Mandat führt und den ausländischen Kollegen punk-
tuell beizieht, hängt von der Art des Mandats und den Wünschen der beteiligten
Personen ab und kann situativ entschieden werden.
• Nachdem das schweizerische Recht nur in wenigen Konstellationen einen
Anwaltszwang kennt, dürfte dies selten ein Argument für die Mandatierung
eines externen Rechtsanwalts sein. Unvermeidlich wird dies jedoch für im Aus-
land ansässige Prozessparteien sein, die von Gesetzes wegen verpflichtet sind,
ein (anwaltliches) Zustelldomizil in der Schweiz zu bestimmen. Selbst ohne
Anwaltszwang kann die Mandatierung eines Anwalts in einem Verfahren aus
psychologischen Gründen vorteilhaft sein, hinterlässt dies für das Gericht doch
in der Regel einen positiven Eindruck.
• Sofern eine Rechtsschutzversicherung besteht, kann es sich sogar aus finanziel-
len Gründen lohnen, einen externen Rechtsanwalt zu beauftragen. Aufwendun-
gen eines Legal Counsel werden in der Regel von Rechtsschutzversicherungen
nicht übernommen. Kann hingegen auf Kosten der Versicherung ein externer
Anwalt mit einer Abklärung oder Vertretung betraut werden, wird wertvolle
Arbeitszeit des Legal Counsel frei, die anderweitig eingesetzt werden kann.
Sofern diese Überlegung bei einer externen Mandatierung eine Rolle spielt, ist
es allerdings wichtig sicherzustellen, dass die Versicherung eine Kostenübernah-
mezusage für den konkreten externen Rechtsanwalt und den konkreten Stunden-
ansatz abgegeben und keine unrealistische Kostenobergrenze festgelegt hat.
• Es gibt einen weiteren Grund, weshalb der Ansporn, im Verfahrensfall einen
externen Rechtsanwalt zu mandatieren, finanzieller Natur sein kann. Ist ein
Legal Counsel überlastet, wird er zwingend einen Teil der bei ihm liegenden
Aufgaben einem externen Anwalt übertragen müssen. Dabei lohnt es sich, die
Führung eines aussichtsreichen Gerichtsverfahrens extern auszulagern, da der
obsiegenden, anwaltlich vertretenen Partei eine in den meisten Kantonen streit-
wertabhängige Parteientschädigung zugesprochen wird. Diese deckt zwar –
außer bei sehr hohen Streitwerten – die Anwaltskosten der obsiegenden Partei
nicht vollständig ab, leistet aber doch einen wesentlichen Beitrag an die ent-
sprechenden Aufwendungen. Wird eine Partei jedoch durch einen Legal Coun-
sel vertreten, hat sie von Gesetzes wegen nur einen Anspruch auf angemessene
248 E. Gut

Entschädigung in begründeten Fällen. Diese Entschädigung liegt regelmäßig


deutlich unter demjenigen Betrag, der im Sinne einer Parteientschädigung
gesprochen würde. Unter diesem Gesichtspunkt lohnt es sich also, Prozesse
mit guten Gewinnchancen dem externen Rechtsanwalt zu übertragen, wenn der
Legal Counsel aus zeitlichen oder anderen Gründen ohnehin einen Teil seiner
Arbeit auslagern muss.
• Im Gegenteil zum Legal Counsel untersteht der externe Rechtsanwalt dem
strafrechtlich geschützten Berufsgeheimnis. Durch das Einschalten eines exter-
nen Rechtsanwalts, unter Umständen gar unter Verzicht des Legal Counsel auf
Involvierung in die Abklärungen, können diese Privilegien unter Umständen
genutzt werden. Ob und inwieweit dies in einem konkreten Fall allerdings hel-
fen kann, ist einzelfallabhängig zu prüfen.
• Nicht zuletzt kann der Beizug eines externen Rechtsanwalts der Risikoabsi-
cherung und Rückendeckung eines Legal Counsel dienen. In Fällen von ope-
rativ oder finanziell großer Relevanz kann eine second opinion die bereits
eingeschlagene Stoßrichtung bestätigen oder andere Blickwinkel aufzeigen.
Wird dem Legal Counsel zudem intern nicht die Rolle zugestanden, die ihm
aufgrund der Wichtigkeit seiner Position zufallen sollte, oder wird seinen War-
nungen kein Gehör geschenkt, kann ein Appell oder eine Risikoeinschätzung
eines externen Rechtsanwalts bei den operativen oder strategischen Entschei-
dungsträgern unter Umständen auf mehr Aufmerksamkeit stoßen. Der externe
Rechtsanwalt wird erfahrungsgemäß weniger als störender Verhinderer oder gar
business killer wahrgenommen.

Grundsätzlich gilt daher: Lieber zu früh als zu spät einen externen Rechtsanwalt
einschalten. Es verhält sich dabei wie bei einer Versicherung: Ein Anfangsinvest-
ment kann spätere hohe Ausgaben einsparen.

20.2 Der externe Rechtsanwalt reißt die Arbeit an sich und


führt das Mandat nach eigenem Gutdünken

Diesem Vorurteil begegnet man in der Praxis ab und zu. Stimmt es aber tatsäch-
lich, so müssen Sie als Auftraggeber sich fragen, ob allenfalls auch Sie dafür mit-
verantwortlich sind, dass Sie dies zulassen. Grundsätzlich ist der Auftraggeber und
damit der Legal Counsel derjenige, der den Umfang des Mandats definiert. Er hat
durchaus die Möglichkeit, dem Mandatsträger bei der Ausgestaltung der notwen-
digen Arbeiten freie Hand zu lassen. Dann sind dem Mandat diejenigen Grenzen
gesetzt, die eine vernünftige, notwendige und sorgfältige Ausübung der übertra-
genen Tätigkeit ermöglichen. Da der externe Rechtsanwalt allerdings einer auf-
tragsrechtlichen Sorgfaltspflicht untersteht, wird auch er sich Überlegungen zum
sinnvollen Umfang des Mandats machen. Er wird bei einer aus seiner Sicht zu
engen Definition des Mandats dieses ausdehnen wollen, um seiner Sorgfaltspflicht
überhaupt nachkommen zu können.
20 Außenpositionierung zu prozessierenden Rechtsanwälten 249

Daher ist es – wie in so vielerlei Hinsicht ebenso in Bezug auf die Definition
der vom externen Rechtsanwalt auszuübenden Aufgaben – sinnvoll, wenn der
Legal Counsel und der externe Rechtsanwalt den beabsichtigten Umfang der Man-
datsarbeit und das erwartete Arbeitsresultat vorab festlegen. Dabei sind insbeson-
dere die Tiefe des Rechtsstudiums, die Form und Sprache des Arbeitsresultats, der
voraussichtliche Zeitbedarf – alles Faktoren, die auch auf die Kosten einen Ein-
fluss haben – und der Zeitrahmen der Erledigung zu besprechen. Insbesondere die
Form des Arbeitsresultats kann sehr unterschiedlich gewünscht werden, je nach-
dem, wer Adressat der entsprechenden Beurteilungen durch den externen Rechts-
anwalt ist. Ist eine Beurteilung nur an den Legal Counsel zu richten, bei dem
vertieftes juristisches Verständnis vorausgesetzt werden darf, fällt sie anders aus
als wenn sie der gesamten Geschäftsleitung vorgelegt wird, in der das Interesse
mehr dem leicht verständlichen und allenfalls gar businessorientierten Executive
Summary als einer dogmatischen Abhandlung mit juristischen Fachtermini gilt.
Zudem sind die möglichen weiteren Entwicklungen eines Falls sowie die damit
zusammenhängenden Kosten des externen Rechtsanwalts und von Dritten (Gerich-
ten, Experten etc.) beidseits anzusprechen. Dies gilt insbesondere bei einem Streit-
fall, bei dem sich die Frage stellt, ob eine vorprozessuale Einigung gesucht oder
ein Verfahren angestrebt werden soll.
Unter den gleichen Gesichtspunkten ist es angezeigt, während des Mandats
beidseitig eine ständige Kommunikation aufrechtzuerhalten. So hat der Legal
Counsel die Möglichkeit, am Puls des Geschehens zu bleiben, und der externe
Rechtsanwalt hat in Bezug auf eine sich wegen veränderter Umstände aufdrän-
gende Mandatsanpassung oder -erweiterung ständig eine Ansprechperson. Mit der
Mandatierung eines externen Rechtsanwalts durch den Legal Counsel ist es ohne-
hin nicht getan. Der externe Rechtsanwalt muss insbesondere zwecks strategischer
Ausrichtung und zwecks ständiger Verifizierung des Sachverhalts und der fachli-
chen Darstellung der Geschäftstätigkeit des Klienten teilweise verhältnismäßig
eng mit dem Legal Counsel zusammenarbeiten können.
Der Legal Counsel muss sich dabei aber bewusst sein, dass er, mehr als der
externe Rechtsanwalt (selbst wenn dieser über ein Dauermandat verfügt), kreativ
und proaktiv arbeiten und Handlungsbedarf evaluieren und schaffen kann. Der
externe Rechtsanwalt wird sicherlich Gelegenheiten nützen, auf für ihn ersichtli-
chen Handlungsbedarf hinzuweisen; er wird aber weniger dazu in der Lage sein,
diesen außerhalb eines definierten Auftrags zu erkennen, als dies der Legal Coun-
sel ist. Sinnvollerweise ist diesbezüglich vorab abzusprechen, ob der Legal Coun-
sel entsprechende Hinweise des externen Rechtsanwalts schätzen würde oder ob
dies gar nicht gewünscht wird. Es gibt Situationen, in denen es durchaus gerecht-
fertigt ist, dass der externe Rechtsanwalt die Übertragung von Arbeiten an sich
selbst vorschlägt und die entsprechende Aufteilung der Tätigkeiten durch den
Legal Counsel zumindest ernsthaft in Betracht gezogen wird.

• So soll insbesondere die Triage der relevanten Akten und Informationen nur
rudimentär durch den Legal Counsel erfolgen. Wenn die Relevanz eines Doku-
ments potenziell oder marginal gegeben sein könnte, soll es dem externen
250 E. Gut

Rechtsanwalt übergeben werden, selbst wenn es für die eigene Position nach-
teilig sein könnte. Nur im Wissen um solche Dokumente kann der externe
Rechtsanwalt überhaupt eine realistische Chancenprognose abgeben und mög-
lichst umfassend vor Risiken warnen. Ob sie in einem Verfahren dann wirklich
verwendet werden, wird damit nicht präjudiziert. Zudem: Wenn sich ein Fall
weiterentwickelt, entwickeln sich unter Umständen die Dokumentationsbe-
dürfnisse weiter. Im Nachhinein nach weiteren Akten zu suchen, bewirkt einen
doppelten Aufwand und ist fehlerträchtig. Dies kann sogar dazu führen, dass
sich der externe Rechtsanwalt in zwei Rechtsschriften widersprechen muss,
weil später aufgetauchte Akten ein bisher dargestelltes Bild nicht aufrechterhal-
ten lassen. Auch deshalb drängt sich die anfängliche Weitergabe von möglichst
umfassenden Akten an den externen Rechtsanwalt auf. Die Zusammenstellung,
Ordnung und gute Beschriftung der Unterlagen erfolgen allerdings mit Vorteil
durch den Legal Counsel, der dies aufgrund seiner Vorkenntnisse strukturierter
und sinnvoller tun kann und damit dem externen Rechtsanwalt die Einarbeitung
in den Fall vereinfacht. Der externe Rechtsanwalt kann sich bei Bedarf dennoch
anders organisieren.
• Bei der ersten Kontaktaufnahme der Gegenpartei ist es nicht in allen Fällen
notwendig oder sinnvoll, dass der externe Rechtsanwalt alle Aufgaben auf sich
nimmt und umgehend gegen außen auftritt. Vielmehr können mandatsbezo-
gen strategische Gründe dazu führen, dass der externe Rechtsanwalt nur, aber
immerhin, das Ghostwriting für den Legal Counsel übernimmt. Die nicht von
Anfang an offengelegte Mandatierung eines Anwalts kann vom Legal Coun-
sel als taktisches Mittel eingesetzt werden, beispielsweise, um den Druck auf
die Gegenseite stetig zu erhöhen. So kann ein erster, verhältnismäßig freund-
licher Brief durch den Legal Counsel unterschrieben werden, damit mit einem
späteren Brief durch den externen Rechtsanwalt ein deutlich schärferer Ton
angeschlagen werden kann. Umgekehrt kann allerdings mit einem Erstkontakt
direkt durch den externen Rechtsanwalt eine gewollte Distanz geschaffen oder
bereits die Vorbereitung für eine spätere Rollenaufteilung good boy/bad boy
getroffen werden.
Diese Rollenaufteilung soll ohnehin am Anfang einer Mandatsbeziehung
und bei weiteren Entwicklungen besprochen werden. Der externe Rechtsanwalt
kann dem Legal Counsel durchaus dazu dienen, einer Gegenpartei gegenüber
aus taktischen Gründen eine konziliantere Rolle als fallbezogen erwünscht
einnehmen zu können, um eine Weiterführung einer generellen Geschäftsbe-
ziehung trotz eines punktuellen Streitfalls ermöglichen zu können. Diesfalls
vertritt der Legal Counsel die Rolle des good guy, um den Kunden möglichst
bei Laune zu halten, während der externe Rechtsanwalt die Rolle des bad guy
einnimmt und die negativen Gefühle der Gegenpartei auf sich zieht. Diese Rol-
lenaufteilung kann im Übrigen ebenso für die interne Kommunikation gewählt
werden, wenn der Legal Counsel bei seinen Vorgesetzten die Aufmerksamkeit
nicht erhält, die er für sich fordert.
• Bei Streitigkeiten, welche eines Tages vor Gericht enden könnten, hat der Legal
Counsel sodann einen weiteren Grund, Arbeiten an den externen Rechtsanwalt
20 Außenpositionierung zu prozessierenden Rechtsanwälten 251

zu delegieren, die er theoretisch selbst ausüben könnte. Er hat diesfalls bereits


früh Besprechungen mit externen potenziellen Zeugen zu vermeiden, sofern
diese nicht zur Beschaffung der verfahrensnotwendigen Informationen zwin-
gend sind; im Falle einer Unvermeidlichkeit sind diese Besprechungen umfas-
send zu dokumentieren. Im Zweifelsfall kann das Vorgehen mit dem externen
Anwalt abgesprochen werden. Unter Umständen kann es gerechtfertigt sein,
dass nicht der Legal Counsel (der in der Regel vor Gericht als der Partei nahe-
stehender als der externe Rechtsanwalt beurteilt wird) vorprozessual einen
externen Zeugen befragt, sondern dass dies der externe Rechtsanwalt unter
Beachtung der gebotenen Anforderungen an vorprozessualen Zeugenkontakt
auf dem Schriftweg tut.
• Handelt es sich bei einem rechtlichen Projekt um eines, das im Unternehmen
des Legal Counsel größter Geheimhaltung untersteht, kann es sich nur schon
aus Diskretionsgründen anbieten, dieses zu einem externen Rechtsanwalt
auszulagern. Es gibt weniger Risiken, dass beispielsweise Überlegungen zu
Massenentlassungen, heiklen Sanierungen oder kostspieligen Verfahren der
Belegschaft bekannt werden, wenn sich die gesamten Unterlagen beim Rechts-
anwalt befinden und der Legal Counsel über diese delikaten Angelegenheiten
weder Korrespondenz führt noch verräterische Telefonate entgegennimmt.
• Auch außerhalb eines konkreten Mandats kann es für den Klienten von Vor-
teil sein, wenn sein externer Rechtsanwalt auf Handlungsbedarf aufmerk-
sam macht. Es kann sich lohnen, Standarddokumente (Musterverträge, AGBs,
gesellschaftsrechtliche Dokumente etc.) nach einigen Jahren des Gebrauchs
einem externen Rechtsanwalt zur Durchsicht zu geben. Dieser hat den Ver-
gleich, wie sich ähnliche Dokumente im Markt weiterentwickeln, und kann sie
bei Bedarf modernisieren oder an Veränderungen der Rechtsetzung anpassen.
Gerade im Bereich von Musterverträgen oder AGBs, die von einem Datum von
vor 2011 stammen, ist eine Überarbeitung durch einen erfahrenen externen
Anwalt angezeigt, nachdem seither in verschiedener Hinsicht relevante Geset-
zesänderungen erfolgt sind.

Umgekehrt gibt es auch einen guten Grund, dass der externe Rechtsanwalt den
Legal Counsel gezielt beizieht. Der externe Rechtsanwalt benötigt den in der Regel
betriebsintern gut vernetzten Legal Counsel nämlich nicht nur als Auftraggeber
und Informationslieferanten, sondern ebenso als Vermittler und Schnittstelle zu den
Entscheidungsträgern innerhalb dessen Unternehmen. Dabei geht es nicht nur um
das „Übersetzen“ der juristischen Sprache in die Geschäftssprache, sondern auch
darum, Befindlichkeiten, Geschäftspolitika und Interessenbindungen vorab zu ken-
nen und berücksichtigen zu können. Des Weiteren kann es in gewissen Situationen
angezeigt sein, dass das Gespräch mit der Gegenpartei (und nicht dem Gegenan-
walt) gesucht wird. Dies ist dem externen Rechtsanwalt aus berufs- und standes-
rechtlichen Gründen aber nicht erlaubt. Soll also die Gegenpartei direkt kontaktiert
werden – sei es zum Ausloten der Vergleichsbereitschaft unter langjährigen
Geschäftspartnern, sei es zur Überprüfung, ob eine bestimmte Behauptung des
Gegenanwalts als Bluff entlarvt werden muss, oder sei es schlicht zum Umgehen
252 E. Gut

eines Zeit schindenden und destruktiv agierenden Gegenanwalts – wird der externe
Rechtsanwalt dies ebenfalls über den Legal Counsel tun. Da die Gegenseite diese
Überlegungen ebenfalls anstellen wird, ist der Legal Counsel jedoch gut beraten,
jegliche Kontaktaufnahme durch die Gegenseite und seine Reaktion darauf mit
dem externen Rechtsanwalt zu besprechen.
Geradezu in einer Bring-Obliegenheit steht der Legal Counsel, wenn sich in
seinem Unternehmen Entwicklungen ergeben, die einen Einfluss auf den vom
externen Rechtsanwalt bearbeiteten Fall aufweisen. Denkbar sind beispielsweise
konzerninterne Umstrukturierungen, die eine Prozesspartei betreffen, der Abgang
von im konkreten Fall wesentlichen Mitarbeitern oder neue technische Erkennt-
nisse, die im spezifischen Fall Anwendung finden können. Der externe Rechts-
anwalt ist in der Regel nicht in der Lage, derartige mandatswesentliche interne
Entwicklungen ohne Mitteilung durch den Legal Counsel überhaupt rechtzeitig
zur Kenntnis zu nehmen. Damit der Legal Counsel derartige Entwicklungen selbst
erkennen kann, muss er eine entsprechende interne Kommunikationskultur auf-
bauen. Nicht nur soll definiert sein, wer in derartigen Fällen für die Kommuni-
kation mit dem externen Rechtsanwalt zuständig ist, damit sichergestellt ist, dass
dieser alle notwendigen Informationen zeitnah erhält. Dies wird in der Regel der
Legal Counsel selbst sein. Vielmehr muss er sicherstellen, dass die Mitarbeiter aus
den betroffenen Abteilungen und dem Back Office ihm auch vermeintlich minder
Interessantes rapportieren, und zwar möglichst periodisch und unaufgefordert.

20.3 Es gibt keine Alternativen zu traditionellen


Mandaten, in denen der externe Rechtsanwalt einen
Fall umfassend betreut

Es mag sein, dass Ihr externer Anwalt Ihnen dies so zu verstehen gibt, weil er es
nicht anders kennt. Dabei gibt es je länger je mehr alternative Zusammenarbeits-
formen zwischen dem Legal Counsel und dem externen Rechtsanwalt, die für
beide Seiten anregend, fordernd und bereichernd sind und der Sache dienen.

Beispiel

• Der externe Rechtsanwalt kann einem Legal Counsel in Gebieten, in denen die-
ser nicht regelmäßig tätig ist, punktuell als Gedankensparringpartner oder Mit-
glied eines sounding board dienen und braucht nicht zwingend im Sinne einer
selbstständigen und ganzheitlichen Betreuung eines Falles tätig zu sein. Dies
setzt allerdings in der Regel eine gewisse Vorbefassung des externen Rechts-
anwalts mit dem Legal Counsel und der Geschäftstätigkeit seines Arbeitgebers
voraus und ist daher nicht in jedem Fall sinnvoll.
• Bei größeren Projekten stellt sich bei gut eingearbeiteten, fast ausschließlich
für das entsprechende Projekt tätigen externen Rechtsanwälten die Frage, ob es
Sinn macht, diesen weiterhin im Mandatsverhältnis zu beschäftigen. Vor allem
größere Rechtsanwaltskanzleien sind in derartigen Situationen unter Umstän-
20 Außenpositionierung zu prozessierenden Rechtsanwälten 253

den für die Entsendung des entsprechenden externen Rechtsanwalts, ein soge-
nanntes Secondment, bereit. Der externe Rechtsanwalt verbringt dabei eine
bestimmte Zeit, meistens einige Monate, alleinig beim Klienten und arbeitet an
der Seite des Legal Counsel. Dabei bleibt der externe Rechtsanwalt bei seinem
bisherigen Arbeitgeber angestellt, der mit dem Klienten dafür eine separate
Honorarvereinbarung trifft.
Das Modell ist bei guter Vorbereitung und transparenter Kommunikation der
Erwartungen für beide Seiten vorteilhaft. Einerseits profitieren der Legal Coun-
sel und dessen Arbeitgeber dauerhaft vom Know-how des entsandten externen
Rechtsanwalts und können vorübergehende Ressourcenengpässe damit über-
brücken. Der Einarbeitungsaufwand ist für den Legal Counsel in der Regel nur
unwesentlich höher als bei einem normalen Mandat. Dies wird jedoch wettge-
macht durch die vertieften Einblicke des entsandten externen Rechtsanwalts in
das Innenleben der Unternehmung, in der er tätig ist; er sammelt mit fortschrei-
tender Dauer des Secondments mehr unternehmens- und branchenspezifische
Erfahrungen, als dies aus der Kanzlei heraus möglich wäre. Andererseits kann
sich der externe Rechtsanwalt näher und intensiver um seine Tätigkeit für den
Klienten kümmern; die Wege werden kürzer, die persönlichen Verbindungen
enger, das Verständnis größer. Distanz kann ab-, Vertrauen aufgebaut werden.
Dies bewirkt nicht nur ein besseres Verständnis für die sich stellenden Fragen,
sondern hat auch eine erhöhte emotionale Bindung des externen Rechtsanwalts
an die Unternehmung und umgekehrt zur Folge. All diese Faktoren tragen oft
zu einer dauerhaften und verlässlichen Mandatsbeziehung bei, selbst wenn das
Secondment abgelaufen ist und der vormals entsandte externe Rechtsanwalt
wieder in der Kanzlei für das entsprechende Unternehmen tätig wird.
Obschon dies weniger häufig der Fall ist, ist die umgekehrte Situation nicht
ausgeschlossen: Dass ein Legal Counsel temporär bei einer externen Anwalts-
kanzlei tätig wird. Diese Konstellation kann ebenso Vorteile für alle Seiten
aufweisen: Der vormalige Legal Counsel wird in die Lage versetzt, beispiels-
weise für die Anwaltsprüfung notwendige Praxiserfahrung in Rechtsgebieten
außerhalb des eigenen Unternehmens zu sammeln. Die Kanzlei kann sich im
Gegenzug einen verhältnismäßig stetigen Mandatszufluss versprechen. Ein
entsprechendes Arrangement wird aber realistischerweise nur in Situationen
von bereits bestehenden stabilen Zusammenarbeitsbeziehungen, bei größe-
ren Rechtsabteilungen und bei jüngeren Legal Counsel eingegangen werden.
Zudem ist je nach Ziel des vormaligen Legal Counsel zu klären, ob ein Arbeit-
geberwechsel vonnöten ist.
• Die Tätigkeit des externen Rechtsanwalts beschränkt sich nicht zwingend auf
die Bearbeitung eines konkreten Falls. Vielmehr kann der externe Rechtsanwalt
bei seinen Klienten im Sinne von Workshops juristisches, auf den entsprechen-
den Betrieb zugeschnittenes Grundwissen vermitteln – sei dies im Zusammen-
hang mit Gesetzesänderungen, mit festgestellten Problemen im operativen
Ablauf oder mit der Ausbildung neuer Mitarbeiter beim Klienten. Dies erfolgt
mit Vorteil unter Bezugnahme auf konkrete Fälle aus dem genannten Betrieb
254 E. Gut

oder auf anonymisierte Mandate anderer Klienten, die sich für den Betrieb des
Legal Counsel ebenfalls für relevant erweisen. Damit wird das Bewusstsein
insbesondere der nicht-juristischen Mitarbeiter in Bezug auf mögliche Risiken
geweckt, damit sie im Alltag für juristische Fragestellungen alerter sind und
erkennen, wann sie sich an den Legal Counsel wenden sollen.

20.4 Der externe Rechtsanwalt tritt gerne nach außen auf,


delegiert dann aber die Arbeiten an günstige, aber
unerfahrene junge Mitarbeiter

Ohne dieses Vorurteil beschönigen zu wollen: Ja, das kommt tatsächlich vor. Nicht
immer ist es allerdings für den Klienten nachteilig, wenn der externe Rechtsan-
walt intern gewisse Tätigkeiten an Kollegen delegiert. Externe Rechtsanwälte, vor
allem in größeren Kanzleien, werden arbeitsteilig arbeiten, wenn dies im Sinne
des Klienten ist. Diesbezüglich gibt es verschiedene Überlegungen:

• Der Beizug eines Kollegen durch den externen Rechtsanwalt lohnt sich
namentlich dann, wenn dieser Kollege mehr Erfahrung auf einem bestimm-
ten Rechtsgebiet aufweist und daher den Klienten punktuell besser beraten
kann als der mandatierte externe Rechtsanwalt dazu in der Lage ist. Je nach
dem Schwerpunkt des konkreten Mandats kann es angezeigt sein, dass der
mandatierte externe Rechtsanwalt die Mandatsführung und Kommunikation
dem Kollegen überlässt, weil sonst eine doppelte Instruktion (vom spezialisier-
ten Kollegen zum externen Rechtsanwalt und von diesem zum Legal Counsel)
stattfindet.
• Oft delegiert ein mandatierter externer Rechtsanwalt einzelne Aufgaben einem
jüngeren (und damit in der Regel günstigeren) Mitarbeiter. Dies macht dann
Sinn, wenn dieser entsprechende Arbeiten genauso gut, aber günstiger tätigen
kann. So gibt es beispielsweise Arbeiten, die reine Fleißarbeiten sind, aber den-
noch von einem Juristen vorgenommen werden müssen. Auch zeigt es sich oft,
dass jüngere Anwälte bei Recherchen in den heutigen Datenbanken versierter
sind als Rechtsanwälte, die im Studium oder bei Beginn der Berufstätigkeit
noch nicht auf derartige Hilfsmittel vertrauen konnten. Durch die Delegation
entsprechender Aufgaben an einen jüngeren Kollegen wahrt der externe Rechts-
anwalt die Interessen des Klienten, ohne dass dieser damit aber auf die Erfah-
rung des mandatierten externen Rechtsanwalts verzichten muss.
• Es gibt Situationen, in denen gezielt geplant wird, dass ein externer Rechtsan-
walt gegen außen auftritt, weil er dies in sehr überzeugender Art und Weise tut,
aber alle Arbeiten im Hintergrund delegiert, weil er dafür keine Zeit hat. Bei
heiklen Verhandlungen, schwierigen Personen auf der Gegenseite oder hilfrei-
chen Bekanntschaften des gegen außen auftretenden externen Rechtsanwalts
kann dies durchaus angezeigt sein, selbst wenn dies aus Sicht des Legal Coun-
sel allenfalls einen Mehraufwand der externen Anwaltskanzlei zur Folge hat. Ist
20 Außenpositionierung zu prozessierenden Rechtsanwälten 255

aber ein Anwalt aus Gründen seiner Persönlichkeit oder aufgrund vorbestehen-
der persönlicher Beziehungen prädestiniert für den Auftritt gegen außen, wäre
es möglicherweise kontraproduktiv, diese Chance nicht zu nützen.
• Schließlich kommt es oft vor, dass gerade erfahrenere Partner in Anwaltskanz-
leien aufgrund von Sitzungen oder Auslandsreisen häufig kurzfristig nicht ver-
fügbar sind. Ist ein anderer Anwalt mit der Klientschaft oder gar der konkreten
Angelegenheit vertraut, kann dieser oftmals ohne große Einarbeitungszeit
schnell als Stellvertreter auf eine Anfrage des Legal Counsel reagieren, sofern
sich während einer Abwesenheit des hauptsächlich mandatierten externen
Rechtsanwalts dringender Handlungsbedarf ergibt.

Wenn eine Arbeitsteilung im Sinne der vorgenannten Beispiele nicht gewünscht


sein sollte, ist dies sinnvollerweise vorab anzusprechen. Sollte diese Arbeitsteilung
jedoch zu wenig gelebt werden, darf der Legal Counsel diese durchaus fordern.
Sollte ein Legal Counsel wünschen, Arbeiten in bestimmten Rechtsgebieten selbst
vorzunehmen, nachdem der externe Rechtsanwalt gewisse unabdingbare Vorarbei-
ten geleistet hat, ist dies selbstverständlich ebenfalls möglich.

20.5 Der externe Rechtsanwalt arbeitet unselbstständig


und will sich ständig absichern

Nichts ist ärgerlicher für einen Legal Counsel, als wenn der externe Rechtsanwalt
ihn kaum von der Leine lässt und ständig für sich vereinnahmt, oder wenn er nur
vage Antworten abgibt und diese auch noch mit ausgiebigen Disclaimern versieht.
Der Legal Counsel stellt sich dann – im Extremfall durchaus zu Recht – die Frage,
ob er den Fall nicht besser selbst bearbeitet hätte. Nicht in jeder Situation, in der
der externe Rechtsanwalt aber Absicherung beim Legal Counsel sucht, weist dies
auf eine Unsicherheit und Unerfahrenheit des externen Rechtsanwalts hin. Einer-
seits ist für den Legal Counsel, der das Geschäftsfeld und das Geschäftsumfeld
seines Arbeitgebers bestens kennt, vieles selbstverständlich, was für den externen
Rechtsanwalt weniger klar ist. Insofern lohnt sich eine anfänglich ausführliche
Einarbeitung beziehungsweise Instruktion des externen Rechtsanwalts durchaus
auch langfristig. Andererseits muss sich der Legal Counsel bewusst sein, dass der
externe Rechtsanwalt Sorgfaltspflichten unterliegt und daher insbesondere bei der
Vornahme erbetener Kurzdurchsichten beziehungsweise der Erteilung eines rein
pragmatischen Rats sowie in Fällen, die auf der rechtlichen oder Sachverhaltsebene
unklar sind, Vorbehalte abgeben wird. Insbesondere Prognosen über den Ausgang
eines Gerichtsverfahrens sind nicht in absoluter Form möglich, ist doch sowohl das
Verhalten der Gegenpartei oder allfälliger Zeugen als auch die Entscheidfindung
des Gerichts von subjektiven Faktoren abhängig und damit nicht definitiv vorher-
sehbar. Dass die Rechtswissenschaft keine exakte Wissenschaft ist, wird allen klar
sein. Der Legal Counsel darf aber durchaus die Abgabe einer persönlichen Ansicht
des externen Rechtsanwalts einfordern.
256 E. Gut

20.6 Der externe Rechtsanwalt ist vorwiegend daran


interessiert, möglichst viel Honorar zu generieren

Wenn Ihr externer Rechtsanwalt seine Prioritäten tatsächlich offensichtlich


darin sieht, möglichst viel Honorar generieren zu können, dann sollten Sie einen
Anwaltswechsel überdenken. Dies ist aber nicht der Regelfall. Das absolute Gros
der externen Rechtsanwälte strebt eine erfolgreiche und damit automatisch lang-
fristig ausgelegte Mandatsbeziehung an und wird das Interesse an einer mög-
lichst hohen Zahl auf der Schlussrechnung diesem Fokus unterordnen. Dies soll
aber nicht bedeuten, dass Sie den Preis beliebig nach unten drücken sollen. Dis-
count-Preise bieten in der Regel nur externe Rechtsanwälte an, die – aus welchen
Gründen auch immer – nicht ausgelastet sind.
Es empfiehlt sich, die Honorierungsstruktur gleich zu Beginn eines Mandats
festzulegen. Nebst dem üblichen System der Honorierung zu einem bestimmten
Betrag pro Stunde (in der Regel zuzüglich Kosten und Mehrwertsteuer) und der
Ausstellung von Zwischenfakturae in bestimmten zeitlichen Abständen oder bei
Erreichen bestimmter Etappen können selbstverständlich andere Honorierungs-
modelle vereinbart werden. Der Freiheit des externen Rechtsanwalts, beliebige
Modelle zu vereinbaren, sind aber durch das Standesrecht Grenzen gesetzt. Das
von Klienten oftmals nachgefragte und aus den angelsächsischen Staaten bekannte
System der reinen Erfolgshonorierung ist in der Schweiz zumindest in Prozess-
mandaten in dieser Form nicht zulässig. Sehr wohl zulässig ist es allerdings
selbst in Prozessmandaten, ein reduziertes Stundenhonorar sowie eine zusätzli-
che erfolgsabhängige Komponente zu vereinbaren. Es wäre aber vermessen, dies-
bezüglich bereits von einer in der Schweiz gelebten Praxis zu sprechen. Etwas
üblicher jedoch, wenn auch noch nicht alltäglich, sind Vereinbarungen von Hono-
rar-Caps oder Pauschalhonoraren für bestimmte Etappen eines Mandats (wobei
dies eher im beratenden und nicht im forensischen Bereich möglich ist), von
durchschnittlichen und vom konkreten Erbringer unabhängigen Stundenansätzen
(blended rates) oder die Verrechnung von reduzierten Stundenansätzen nach dem
Erreichen bestimmter Umsätze.
Ungeachtet des vereinbarten Honorierungsmodells ist es durchaus üblich, dass
der externe Rechtsanwalt einen Vorschuss auf sein Honorar bzw. seine Schluss-
rechnung verlangt, bevor er tätig wird. Die Höhe dieses Vorschusses liegt im
Ermessen des Rechtsanwalts und wird von verschiedenen Faktoren abhängen. Bei
einer regelmäßigen Rechnungstellung in nicht besonders umfangreichen Man-
daten wird der Vorschuss weniger hoch ausfallen als bei einer nur sporadischen
Rechnungstellung in umfangreichen Mandaten. Bei einem neuen, außerhalb der
Schweiz ansässigen Klienten wird der externe Rechtsanwalt einen höheren Vor-
schuss verlangen als von einem langjährigen lokalen Klienten. Nicht relevant
für die Festlegung der Höhe des Vorschusses sind hingegen Umstände wie der
Streitwert der Angelegenheit und die juristische Komplexität der Tätigkeit des
externen Rechtsanwalts. Die meisten externen Rechtsanwälte legen ihren Klien-
ten bei der Rechnungsstellung detaillierte Honorarnoten vor. Sofern Ihr externer
20 Außenpositionierung zu prozessierenden Rechtsanwälten 257

­ echtsanwalt dies nicht ohnehin unaufgefordert tut, haben Sie selbstverständlich


R
das Recht, die Fakturadetails zu verlangen. Scheuen Sie sich nicht davor, dies zu
tun; Ihrem externen Rechtsanwalt wird dies keinen großen Mehraufwand verursa-
chen, und die Transparenz in der Rechnungstellung trägt zum Erhalt des Vertrau-
ensverhältnisses bei.

Über die Autorin


Eva Gut – Rechtsanwältin Staiger Rechtsanwälte, Zürich
Abschluss lic.iur. (2001), Anwaltspatent (2004), Certificate in Global Arbitration Law and
Practice der School of International Arbitration (Queen Mary University of London, 2008); seit
2005 bei Staiger Rechtsanwälte (vormals Staiger, Schwald & Partner AG), wo sie sich auf die
vorprozessuale Begleitung von Auseinandersetzungen und die Führung von nationalen und inter-
nationalen Verfahren in Zivil- und Handelssachen vor staatlichen Gerichten/Schiedsgerichten
konzentriert. Zudem befasst sie sich mit Fragen der Urteilsvollstreckung und des Konkursrechts
sowie beratend, prozessierend und publizierend mit Sportrecht. Im Buchprojekt „Legal Manage-
ment“ wird sie die Zusammenarbeit des Legal Counsels mit dem externen Rechtsanwalt aus ihrer
Perspektive beleuchten.
Außenpositionierung zu
(Schweizer) Notaren 21
Michael Kummer

21.1 Einleitende Überlegungen

Oftmals werden in der Praxis Zweck und Bedeutung der für bestimmte Rechts-
geschäfte vorausgesetzten öffentlichen Beurkundung oder Beglaubigung verkannt
oder es mangelt in diesem Zusammenhang zumindest am Verständnis für gewisse
(vom Gesetz vorgeschriebene) Vorgänge sowie Voraussetzungen. Ein Legal Coun-
sel mag sich fragen, weshalb der Notar nicht einfach seine Unterschrift unter ein
ihm durch einen Boten vorgelegtes Dokument setzen kann und stattdessen schrift-
liche Vollmachten oder gar das persönliche Erscheinen verlangt. Unklarheiten bei
Legal Counsels bestehen immer wieder beispielsweise im Zusammenhang mit den
Fragen, für welche Handlungen eine Stellvertretung zulässig ist, in welcher Form
Bevollmächtigungen nachgewiesen werden müssen oder wie die Beglaubigung
einer Unterschrift abzulaufen hat oder was hinsichtlich Unterschriftsanerkennung
möglich ist. Lehnt der Notar eine Beurkundung oder Beglaubigung ab, wird nicht
selten mit Unverständnis reagiert. Zudem werden die vom Notar zusätzlich ver-
langten Anforderungen als unnötige, bloß schikanöse, zumindest bürokratische
Hindernisse betrachtet. Problemstellungen dieser Art kann der Unternehmensju-
rist im Rahmen seines professionellen Austauschs mit einem Notar begegnen. Die
nachfolgenden Ausführungen sollen daher einerseits dazu dienen, Verständnis für
den Vorgang der öffentlichen Beurkundung respektive der Beglaubigung und der
damit zusammenhängenden gesetzlichen Vorgaben zu schaffen. Andererseits sol-
len Hinweise gegeben werden, wie unnötiger Aufwand von vornherein vermieden
und die Zusammenarbeit zwischen Legal Counsel und Notar verbessert werden
kann.

M. Kummer (*)
St.Gallen, Schweiz
E-Mail: kummer@stach.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 259


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_21
260 M. Kummer

21.2 Öffentliche Beurkundung

21.2.1 Begriff der öffentlichen Beurkundung

„Öffentliche Beurkundung“ ist das Festhalten von Willenserklärungen von Indivi-


duen, von Versammlungsbeschlüssen oder von Tatsachen in einem Schriftstück
durch eine vom Staat mit dieser Aufgabe betrauten Person (Notar oder andere
Urkundsperson) in einem vom Staat vorgeschriebenen Verfahren zwecks Siche-
rung oder Gestaltung von Rechten und Rechtsverhältnissen. Die Urkundsperson
vertritt in ihrer Funktion den Staat und damit die Öffentlichkeit und ist dieser
gegenüber zur Wahrheitsgewähr verpflichtet.1 Die öffentliche Beurkundung, die
beispielsweise für die Gründung einer Gesellschaft oder in gewissen Rechtsord-
nungen für die Übertragung von Gesellschaftsanteilen vorgesehen ist, ist von der
Beglaubigung abzugrenzen.
„Beglaubigung“ ist die Bescheinigung der Echtheit einer Unterschrift oder der
Richtigkeit einer Kopie, einer Abschrift, eines Auszugs, einer Übersetzung oder
eines Datums durch eine vom Staat mit dieser Aufgabe betrauten Beglaubigungs-
person. Durch die Beglaubigung entsteht jedoch keine „öffentliche Urkunde“.
Der Beglaubigungsperson obliegt hinsichtlich des Inhalts des ihr zur Beglaubi-
gung vorgelegten Dokuments grundsätzlich keine Prüfungspflicht. Sie hat nicht
zu ermitteln, ob der Inhalt des Dokuments dem wirklichen Willen der unter-
zeichnenden Person entspricht. Um im Rechtsverkehr keinen falschen Anschein
zu erwecken, dürfen beurkundungspflichtige Inhalte daher auch nicht mit einer
Beglaubigung versehen werden.

21.2.2 Zweck der öffentlichen Beurkundung

Nicht immer ist in der Praxis das Verständnis vorhanden, weshalb für bestimmte
Rechtsgeschäfte von Gesetzes wegen die Form der öffentlichen Beurkundung
vorgeschrieben ist oder die Beglaubigung beispielsweise einer Unterschrift ver-
langt wird. Oftmals werden diese regelmäßig mit einem Besuch beim Notar und
entsprechenden Kostenfolgen verbundenen Formvorschriften als müßig oder
gar unnötig erachtet. Die vom Gesetzgeber mit der strengsten Formvorschrift
der öffentlichen Beurkundung verfolgten Zwecke werden – wie schon eingangs
erwähnt – vielfach verkannt.
Dabei verfolgt die Form der öffentlichen Beurkundung verschiedene Zwecke:
Im Wesentlichen wird mit einer öffentlichen Urkunde ein Beleg öffentlichen Glau-
bens für den Rechtsverkehr geschaffen. Öffentliche Urkunden dienen der Beweis-
sicherung; sie erbringen für die in ihnen bezeugten Tatsachen den vollen Beweis,
solange nicht die Unrichtigkeit ihres Inhalts nachgewiesen ist.2 Es kommt ihnen

1Brückner (1993, Rz 74, 77).


2Art. 9 ZGB; Entscheid des Schweizerischen Bundesgerichts, BGE 84 IV 163, 164.
21 Außenpositionierung zu (Schweizer) Notaren 261

also eine erhöhte Beweisfunktion zu und sie bewirken eine Beweislastumkehr. Im


Falle der Beurkundung individueller Willenserklärungen, die die Begründung,
Änderung oder Aufhebung von Rechten und Pflichten bewirken, bezweckt die
öffentliche Urkunde weiter den Schutz der Erklärenden vor Übereilung, insbeson-
dere durch die Rechtsbelehrungs- und Beratungspflicht des Notars. Dieser soll im
Rahmen seiner Möglichkeiten den wirklichen Willen der Erklärenden, insbeson-
dere die Ernsthaftigkeit ihres Abschlusswillens (Abschlussklarheit), feststellen und
diesen sowie rechtserhebliche Tatsachen objektiv, klar und wahrheitsgemäß fest-
halten (Inhaltsklarheit). Im Rahmen der Protokollierung von Veranstaltungen res-
pektive deren Beschlüssen dient das Beurkundungsverfahren der Kontrolle ihres
rechtmäßigen Ablaufs3. Schließlich dient die (für bestimmte Rechtsgeschäfte als
Gültigkeitserfordernis vorgeschriebene) Form der öffentlichen Beurkundung gene-
rell der Erhöhung der Rechts- und Verkehrssicherheit.

21.2.3 Verfahren der öffentlichen Beurkundung

Voraussetzung einer öffentlichen Beurkundung ist das Gesuch eines Rechtssubjekts


an die Adresse des Notars um Errichtung einer öffentlichen Urkunde (sogenannte
Rogation)4. Im Rahmen des darauffolgenden „Prüfungsverfahrens“ überprüft der
Notar seine örtliche und sachliche Zuständigkeit sowie die Identität, die Vertre-
tungsmacht sowie die Handlungs- respektive Geschäftsfähigkeit der Erschienenen.5
Es folgt das „Vorbereitungsverfahren“ mit der Redaktion des Entwurfs der
Urkunde respektive der Prüfung und Überarbeitung des von den Erschienenen vor-
gelegten Urkundenentwurfs durch den Notar.6 Im Rahmen seiner Rechtsbeleh-
rungs- und Beratungspflicht prüft der Notar die beabsichtigten Willens­erklärungen
respektive den Inhalt des vorgesehenen Rechtsgeschäfts auf die Rechtmäßigkeit
hin und nimmt allfällige Korrekturen vor. In Deutschland wird etwa von der „vor-
sorgenden Rechtspflege“ oder der „präventiven Rechtskontrolle“ durch den Notar
gesprochen.7 An das Vorbereitungs- schließt das „Hauptverfahren“ an, welches bei
individuellen Erklärungen darin besteht, dass die Erschienenen in Gegenwart des
Notars den Urkundentext zur Kenntnis nehmen (sogenannte Rekognition),8 allfäl-
lige Änderungen vornehmen und schließlich genehmigen, woraufhin der Notar
seine Unterschrift unter das dem Urkundentext folgende Schlussverbal setzt.9

3Brückner (1993, Rz 283).


4Schmid (2014), Art. 55 SchlT ZGB N 15 mit Hinweis.
5Schmid (2014), Art. 55 SchlT ZGB N 16a.

6Schmid (2014), Art. 55 SchlT ZGB N 32.

7Arnet (2013, S. 395) mit Hinweisen.

8Die Kenntnisnahme kann durch das Lesen der Urkunde durch die Erschienenen selbst oder

durch das Vorlesen durch den Notar erfolgen. Einige Rechtsordnungen schreiben für gewisse
Rechtsgeschäfte das Vorlesen zwingend vor.
9Arnet (2013, S. 395 f.) mit Hinweisen; Schmid (2014), Art. 55 SchlT ZGB N 33 ff.
262 M. Kummer

Schließlich folgen das Heften, die Siegelung und Registrierung der Urkunde im
Rahmen des „Nachverfahrens“.10

21.2.4 Kosten öffentlicher Beurkundung

Für Legal Counsels sind im Rahmen ihrer professionellen Tätigkeit immer wieder
die mit einer öffentlichen Beurkundung verbundenen Kosten ein Thema. Urkunds-
personen beziehen für die Vornahme öffentlicher Beurkundungen oder Beglaubi-
gungen Gebühren, die sich nach festen Ansätzen (Zeitaufwand), nach dem
Streitwert oder nach einem Gebührenrahmen bemessen können, wobei sich die
Festsetzung der Gebühren zum Beispiel in der Schweiz nach kantonalen und kom-
munalen Verordnungen richtet, welche bei streitwertabhängigen Tarifen Höchst-
grenzen vorsehen. Schweizer Notare sind – zumindest in den Kantonen mit
freiberuflichem Notariat11 – nicht an die Anwendung staatlich festgesetzter Tarife
gebunden und daher flexibel in Bezug auf die Gebührenfestsetzung. Freiberufliche
Notare wenden in der Regel weder die staatlichen Tarife an, noch stellen sie bei
der Kostenbemessung auf den Streitwert ab. Stattdessen stellen sie ihren tatsäch-
lich angefallenen Zeitaufwand in Rechnung und verlangen für den Beurkundungs-
akt zusätzlich eine gewisse Gebühr. Das Gesamthonorar ist bei freiberuflichen
Notaren regelmäßig verhandelbar. Häufig kann mit dem Notar eine fixe Pauschale
für das zu beurkundende Geschäft vereinbart werden, was dem Legal Counsel
hilft, die Kosten zu kalkulieren und im Griff zu behalten.
In Deutschland richten sich die Beurkundungsgebühren bundesweit einheitlich
nach den festen Tarifen gemäß dem Gerichts- und Notarkostengesetz12, abhängig
von Bedeutung und Wert des Geschäfts. Die starren Gebührensätze können zu
unangemessen hohen Gebühren führen, die in keinem Verhältnis zum tatsächlichen
Aufwand stehen. Besonders vor Inkrafttreten des Gerichts- und Notarkostengesetz
im Jahr 2013 konnten sich die Beurkundungsgebühren in Deutschland besonders
bei hohen Geschäftswerten auf ein Vielfaches der in der Schweiz anfallenden
Gebühren belaufen. Die Problematik unverhältnismäßig hoher Gebühren bei hohen
Streitwerten aufgrund starrer Gebührensätzen wurde mit Einführung des neuen
Gerichts- und Notarkostengesetzes entschärft, namentlich indem Rahmengebühren

10Schmid (2014), Art. 55 SchlT ZGB N 45.


11Inder Schweiz ist die Organisation des Beurkundungswesens Kantonssache (vgl. Art. 55 SchIT
ZGB). Je nach Kanton ist die Notariatsorganisation unterschiedlich ausgestaltet. Neben dem rei-
nen Amtsnotariat einerseits und dem freiberuflichen Notariat (insbesondere dem „Anwaltsnotar“)
andererseits sind auch Mischformen anzutreffen, wobei sowohl Ämter als auch freiberufliche
Notare Beurkundungen vornehmen können, wobei zum Teil bestimmte Beurkundungsgeschäfte,
wie beispielsweise Beurkundungen von Grundstückgeschäften den Grundbuchämtern, dem
Amtsnotar vorbehalten sind.
12Vgl. deutsches Gesetz über Kosten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für Gerichte und Notare

(GNotKG).
21 Außenpositionierung zu (Schweizer) Notaren 263

für die notwendige Flexibilität sorgen. Dennoch kann gerade bei hohen Streitwer-
ten aufgrund der flexiblen (und verhandelbaren) Honorar- und Gebührengestaltung
in Schweizer Kantonen mit freiberuflichen Notaren die Beurkundung eines nach
einem ausländischen Staat formpflichtigen Rechtsgeschäfts durch einen Schweizer
Notar trotz Reisekosten in die Schweiz nach wie vor deutlich günstiger ausfallen
als im Heimatstaat. Für den Legal Counsel lohnt es sich daher besonders bei
Geschäften mit höherem Streitwert, die zu erwartenden Kosten und Gebühren vor-
gängig abzuklären und allenfalls eine Beurkundung im grenznahen Ausland in
Betracht zu ziehen.

21.2.5 Zulässigkeit von Beurkundungen durch ausländische


Notare

Die Vornahme von Beurkundungen durch Schweizer Notare insbesondere für


Legal Counsels aus Deutschland war und ist aufgrund der Kostenthematik immer
noch gängige Praxis; gerade in grenznahen Kantonen, wie beispielsweise Basel-
Stadt und Basel-Landschaft oder St.Gallen. Dieser „Beurkundungstourismus“ in
die Schweiz blieb nicht ohne Kritik und wird verständlicherweise von deutschen
Notaren nicht gerne gesehen. Aus rechtlicher Sicht darf ein Schweizer Notar
jedoch Urkunden nach ausländischem Recht erstellen, wenn er die zu beurkunden-
den Rechtshandlungen versteht, er diese den vor ihm erschienenen Personen erläu-
tern kann, er das anwendbare ausländische Recht insoweit ermittelt oder kennt,
dass er die Urkunde nach den Vorgaben der erschienenen Personen formulieren
respektive einen ihm vorgelegten Urkundenentwurf auf seine Vereinbarkeit mit
dem ausländischen Recht hin überprüfen kann und die Urkunde vom ausländi-
schen Bestimmungsstaat voraussichtlich anerkannt wird und dadurch die beab-
sichtigten Rechtswirkungen entfalten kann.13
Für den Legal Counsel stellt sich in diesem Zusammenhang also die Frage, ob
der ausländische Zielstaat die in der Schweiz ausgefertigte öffentliche Urkunde
anerkennt. Während Urkunden, die nicht in ein Register einzutragen sind, in der
Regel im Ausland anerkannt werden, hängt die Anerkennung jener Urkunde, die in
ein ausländisches Register aufgenommen werden muss nicht zuletzt von der
Rechtsanwendung der ausländischen Registerführer ab. Deutsche Gerichte behan-
delten in der Vergangenheit immer wieder solche Anerkennungsfragen und kamen
dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen. Schließlich wurde die Gleichwertigkeit der
Auslandsbeurkundung (in Bezug auf die Beurkundung der GmbH-Gesellschafter-
liste) durch den deutschen Bundesgerichtshof (BGH) mit Entscheid vom 17.
Dezember 2013 bejaht.14 Die deutsche Rechtsprechung anerkennt die Beurkundung
durch einen ausländischen Notar, sofern sie mit der deutschen als funktional

13Vgl. Art. 9 Verordnung SG.


14Vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 17. Dezember 2013, II ZB 6/13.
264 M. Kummer

­gleichwertig erscheint.15 Das wurde bis zum Entscheid im Jahr 2013 namentlich für
den Sonderfall der Übertragung von deutschen GmbH-Anteilen immer wieder
infrage gestellt.16 Von einer funktionalen Gleichwertigkeit ist heute auszugehen,
wenn die ausländische Urkundsperson erstens nach Vorbildung und Stellung im
Rechtsleben eine der Tätigkeit des deutschen Notars entsprechende Funktion ausübt
und zweitens für die Errichtung der Urkunde ein Verfahrensrecht zu beachten hat,
das den tragenden Grundsätzen des deutschen Beurkundungsrechts entspricht.17

21.2.5.1 Funktionsentsprechende Notariatsausübung
Es stellt sich zunächst die Frage nach der Gleichwertigkeit der Vorbildung, Stel-
lung sowie Funktion des schweizerischen Notars. In § 5 der deutschen Bundes-
notarordnung wird zur geeigneten Ausübung der Notariatstätigkeit die Befähigung
zum Richteramt nach dem deutschen Richtergesetz vorausgesetzt, was das Beste-
hen der beiden juristischen Staatsprüfungen bedingt.18 In Bezug auf die Staatsexa-
mina ist in der Berufsqualifikations-Anerkennungs-Richtlinie der Europäischen
Union anerkannt, dass Anpassungslehrgänge oder Eignungsprüfungen diesen
gleichgestellt werden können.19 Während anstelle der „Ersten Juristischen Staats-
prüfung“ der Erwerb der notwendigen Kenntnisse im deutschen Recht im Rahmen
einer Gleichwertigkeitsprüfung anderweitig nachgewiesen werden kann,20 wird
die „Große Juristische Staatsprüfung“ als nicht ersetzbar angesehen.21
Weil das Notariatswesen in der Schweiz nicht bundeseinheitlich geregelt ist,
sind Ausbildung, Stellung und Funktion der Notare und ihre Verfahren für jeden
Kanton gesondert zu untersuchen.22 Die Beurkundungsvorschriften sind in einigen
Kantonen ziemlich vage, in anderen äußerst streng. Ebenso unterschiedlich ausge-
staltet ist die vorausgesetzte Ausbildung der Notare. Während in einigen Kantonen
sogar Nichtjuristen zum Notariat zugelassen werden, werden in anderen eigene,
hoch qualifizierte Studiengänge für Notare vorausgesetzt. Die Gleichwertigkeit im
Hinblick auf die Qualifikation des Notars in der Schweiz wurde von deutschen
Gerichten dann angenommen, wenn der Notar eine volle juristische Ausbildung
im Sinne eines vollwertigen Jura-Studiums erfolgreich absolviert hatte. Dies gilt

15Spickhoff (2013, S. 7 f.); Bundesgerichtshof (BGH), in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW)
1981:1160; Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt, in: GmbH Rundschau (GmbHR) 2005:764 ff.
16Vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 17. Dezember 2013, II ZB 6/13.

17Vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 17. Dezember 2013, II ZB 6/13.

18Spickhoff (2013, S. 10 f.).

19Dies dann, wenn die Ausübung des Berufes eine genaue Kenntnis des nationalen Rechts ver-

langt beziehungsweise wenn die Beratung oder der Beistand in Fragen des innerstaatlichen
Rechts ein wesentlicher und ständiger Bestandteil der beruflichen Tätigkeit ist; Spickhoff (2013,
S. 10 f.).
20Spickhoff (2013, S. 10 f.).

21Schmid und Pinkel (2011, S. 2928, 2931); Spickhoff (2013, S. 10 f.); vgl. Beschluss des Bun-

desverfassungsgerichts (BVerfGE) 17, 371, 377.


22Spickhoff (2013, S. 9) mit Verweis.
21 Außenpositionierung zu (Schweizer) Notaren 265

derzeit für die Kantone Bern23, Basel-Stadt24 und Genf25, aber auch für weitere
Kantone, wie beispielsweise den Kanton St.Gallen.

21.2.5.2 Gleichwertiges Beurkundungsverfahren
Die Beurkundungssubstitutionsfähigkeit setzt weiter ein dem deutschen Beurkun-
dungsrecht äquivalentes Beurkundungsverfahren voraus. Der mit der Beurkun-
dung verfolgte Zweck und das Beurkundungsverfahren im engeren Sinn stimmen
in der Schweiz und in Deutschland im Wesentlichen überein; so etwa durch das
Oberlandesgericht Düsseldorf, unter Verweis auf den Bundesgerichtsentscheid
vom 6. Oktober 1964, festgestellt.26

21.2.6 Fazit

Aufgrund des Entscheids des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2013 und in Anbe-
tracht der Gleichwertigkeit von Funktion und Verfahren ist davon auszugehen,
dass der Gültigkeit der Auslandsbeurkundung keine zwingenden Hindernisse ent-
gegenstehen; zumindest nicht im Falle von Auslandsbeurkundungen durch Notare
aus Kantonen, die für die Ausübung des Notarberufes ein vollwertiges Jurastu-
dium voraussetzen. Dies besonders dann nicht, wenn der Schweizer Notar sich an
die vom deutschen Beurkundungsrecht in Bezug auf das Verfahren allenfalls vor-
gesehenen Besonderheiten, wie beispielsweise das Vorlesen der Urkunde, hält.

21.3 Beurkundungsbegehren durch Dritte

Eine öffentliche Beurkundung erfolgt auf ein formfreies Begehren einer Person hin.
Notwendige Voraussetzung ist, dass der Beurkundungswille der sachbeteiligten Kli-
entschaft – bei Vertragsbeurkundungen von sämtlichen Vertragsparteien – für den
Notar ersichtlich ist.27 Nicht notwendig hingegen ist, dass die Klientschaft selbst
direkt mit dem Notar in Kontakt tritt. In der Praxis kommt es häufig vor, dass das
Beurkundungsbegehren dem Notar informell durch einen Dritten, anstelle des Sach-
beteiligten zugetragen wird, wie etwa durch Organe juristischer Personen, Stellver-
treter, Hilfspersonen, Bote, Treuhänder, Vermittler oder sonstige Angehörige.28

23Oberlandesgericht (OLG) Hamburg, in: Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiet des

Internationalen Privatrechts (IPRspr) 1979, Nr. 9.


24Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt, in: GmbH Rundschau (GmbHR) 2005:764; OLG Mün-

chen, in: Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report (NJW-RR) 1998:758.


25Winkler von Mohrenfels (2013), Art. 11 EGBGB N 327.

26BGE 90 II 274 E. 6.

27Brückner (1993, Rz 417, 748).

28Brückner (1993, Rz 423, 431); Marti (1989, S. 85).


266 M. Kummer

21.3.1 Glaubhaftigkeit der Vertretungsbefugnis und des


Beurkundungswillens

Richtet ein Dritter, wie etwa ein Legal Counsel, im Namen des Sachbeteiligten das
Beurkundungsbegehren an den Notar, muss dessen Vertretungsbefugnis glaubhaft
sein, sofern nicht ein Fall offengelegter Geschäftsführung ohne Auftrag vorliegt.29
Wie im übrigen Rechtsverkehr ist Geschäftsführung ohne Auftrag, also der
Abschluss eines fremden Geschäfts ohne Auftrag im Interesse des Prinzipals im
Hinblick auf die spätere Genehmigung durch diesen, auch im Beurkundungsver-
fahren zulässig. Aufgrund der Formfreiheit des Parteianstoßes muss sich der Dritte
nicht notwendigerweise durch eine schriftliche Vollmacht ausweisen.30 Der Notar
muss sich aber anhand der gesamten Umstände Klarheit darüber verschaffen, wer
ihm als Klientschaft gegenübersteht, und ob auf deren Beurkundungswillen
geschlossen werden kann.31 Ist kein gegenteiliger Wille der Sachbeteiligten
ersichtlich und kein Missbrauch zu befürchten, kann der Notar tätig werden.32 Im
weiteren Verfahrensverlauf wird sich in der Regel zeigen, ob die (zunächst vertre-
tene) Klientschaft tatsächlich eine öffentliche Beurkundung vornehmen lassen
möchte. Die Glaubhaftigkeit des Beurkundungswillens der Klientschaft genügt
zwar für die Einleitung des Beurkundungsverfahrens durch einen Dritten, nicht
aber für die Durchführung des Hauptverfahrens. Spätestens im Zeitpunkt der
Rekognition und Genehmigung des Urkundeninhalts muss der Notar zur Überzeu-
gung gelangt sein, dass ein Stellvertreter tatsächlich vertretungsbefugt ist und im
Rahmen seiner Vertretungsmacht handelt.33

21.3.2 Haftung für den Entschädigungsanspruch des Notars

Stellt sich trotz sorgfältiger Abklärung durch den Notar heraus, dass dieser irrtüm-
lich vom Vorhandensein des Beurkundungswillens eines abwesenden Sachbeteilig-
ten ausgegangen ist, kommt zwischen diesem und dem Notar kein Rechtsverhältnis
zustande, womit Ersterer nicht für Honorar und Auslagen des Notars haftet.34 Statt-
dessen wird sich der Notar an dem vor ihm Erschienenen schadlos halten müssen.
Analoges gilt in Fällen der Geschäftsführung ohne Auftrag. Der Notar wird in der
Praxis daher bereits für die Einleitung des Beurkundungsverfahrens eine entspre-
chende Vollmacht verlangen, obschon eine solche nicht zwingend notwendig wäre.
Es empfiehlt sich daher für den Legal Counsel, mit dem Notar rechtzeitig den von
diesem verlangten Vollmachtsnachweis abzusprechen. Der Legal Counsel, der für

29Brückner (1993, Rz 750).


30Brückner (1993, Rz 432) mit Hinweis, 751.
31Brückner (1993, Rz 423 f.).

32Brückner (1993, Rz 417 f., 431, 752).

33Brückner (1993, Rz 753).

34Brückner (1993, Rz 425).


21 Außenpositionierung zu (Schweizer) Notaren 267

den Sachbeteiligten das Begehren stellt, wird ebenso daran interessiert sein, dass
über das Vertretungsverhältnis von vornherein Klarheit herrscht, zumal er im Falle
der Nichtgenehmigung durch den Vertretenen damit rechnen muss, vom Notar für
dessen Aufwendungen haftbar gemacht zu werden.

21.4 Gewillkürte Stellvertretung

21.4.1 Zulässigkeit der gewillkürten Stellvertretung

Gewillkürte Stellvertretung der Sachbeteiligten im Beurkundungsverfahren ist bei


allen Geschäften zulässig, die nach Schweizer Recht durch Stellvertreter gültig
abgeschlossen werden können. Voraussetzungen der gewillkürten Stellvertretung
sind das Handeln in fremdem Namen, die Urteilsfähigkeit des Vertreters, die
Handlungsfähigkeit des Vertretenen, ein vertretungsfreundliches Rechtsgeschäft
sowie Vertretungsmacht.35 Nicht erforderlich ist hingegen die Handlungsfähigkeit
des gewillkürten Stellvertreters.

21.4.2 Grundsätzliches Verbot des Selbstkontrahierens und


der Doppelvertretung

Nach ständiger Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts ist das


Selbstkontrahieren aufgrund der dem Kontrahieren eines Vertreters mit sich selbst
regelmäßig inhärenten Interessenkollision grundsätzlich unzulässig.36 Rechtsfolge
des unzulässigen Selbstkontrahierens ist die Ungültigkeit des Rechtsgeschäfts.
Eine Ausnahme besteht, wenn die Gefahr der Benachteiligung der vertretenen Per-
son aufgrund der Natur des Geschäftes ausgeschlossen werden kann, wenn der
Vertretene den Vertreter zum Abschluss des Geschäfts besonders ermächtigt hat
oder dieser das Geschäft nachträglich genehmigt. Diese Regeln gelten auch bei der
Doppelvertretung zweier Parteien durch ein und denselben Vertreter sowie bei der
gesetzlichen Vertretung juristischer Personen durch ihre Organe.
Mit Bezug auf die Organvertretung hat das Bundesgericht konkretisiert, dass
eine besondere Ermächtigung oder nachträgliche Genehmigung durch ein über-
oder nebengeordnetes Organ notwendig ist, falls eine Benachteiligungsgefahr
besteht.37 Im Falle eines In-sich-Geschäfts eines Verwaltungsratsmitglieds einer
Aktiengesellschaft ist davon auszugehen, dass jedes einzelne Mitglied des Verwal-
tungsrats nach Maßgabe seiner Zeichnungsberechtigung ein solches Geschäft
nachträglich genehmigen kann.38 Wenn das Mitglied des Verwaltungsrats, welches

35Art.
32 Abs. 1 OR.
36BGE 127 III 332, 333 f.
37BGE 127 III 332, 334; 126 III 361, 363 mit weiteren Hinweisen.

38BGE 127 III 332, 334 mit weiteren Hinweisen.


268 M. Kummer

das In-sich-Geschäft abgeschlossen hat, das einzige Verwaltungsratsmitglied ist,


steht kein nebengeordnetes Organ zur Genehmigung zur Verfügung. In diesem Fall
ist die Generalversammlung als übergeordnetes Organ für die Genehmigung des
In-sich-Geschäfts zuständig.39 Aus denselben Überlegungen müssen das Selbst-
kontrahieren und die Doppelvertretung, unter Berücksichtigung der beschriebenen
Ausnahmen, auch im Beurkundungsverfahren als grundsätzlich unzulässig gelten.

21.4.3 Identität, Urteils- und Handlungsfähigkeit sowie


Vertretungsmacht

Der Notar hat die Identität und in begrenztem Rahmen die Urteils- sowie die Hand-
lungsfähigkeit der Beteiligten, welche individuelle Erklärungen zur Urkunde abgeben,
und bei Stellvertretern zusätzlich deren Vertretungsmacht, sorgfältig zu ermitteln.40

21.4.3.1 Prüfung von Identität sowie Urteils- und


Handlungsfähigkeit
Der Notar hat die Identität aller natürlichen Personen festzustellen, die vor ihm
erscheinen und Erklärungen abgeben. Die Identitätsprüfung erfolgt durch Einsicht-
nahme in ein einschlägiges (amtliches) Ausweispapier mit Foto, sofern der Notar
die Identität einer Person aufgrund persönlicher Bekanntschaft nicht bereits kennt.
Dagegen wird die „Urteilsfähigkeit“ im Rechtsverkehr vermutet, sofern kein Anlass
besteht, an deren Vorhandensein zu zweifeln.41 Bestehen Zweifel, gilt die umge-
kehrte Vermutung: Die betreffende Person gilt als urteilsunfähig bis zum Beweis
des Gegenteils. Bei volljährigen Personen wird ebenfalls die Handlungsfähigkeit
vermutet. Somit beschränkt sich die Ermittlungspflicht des Notars auf die Kontrolle
der Volljährigkeit sowie auf eine Beurteilung der Urteilsfähigkeit gemäß seinem
persönlichen Eindruck, sofern keine besonderen Umstände vorliegen, die weiterge-
hende Kontrollmaßnahmen erforderlich machen.42 Im Falle der Stellvertretung
überprüft der Notar die Urteils- und Handlungsfähigkeit des Stellvertreters, nicht
aber jene der vertretenen Person, sofern kein Anlass zu Zweifeln besteht.43 Andern-
falls verlangt der Notar vom Stellvertreter den Nachweis der Rechtsgültigkeit der
Vollmacht respektive der Handlungsfähigkeit des Vollmachtgebers.

21.4.3.2 Prüfung der Vertretungsmacht gewillkürter


Stellvertreter
Im Rahmen des Prüfungsverfahrens ermittelt der Notar die Vertretungsbefugnis
gewillkürter Stellvertreter, wie zum Beispiel eines Legal Counsel. Das kann etwa

39BGE 127 III 332, 334 f.


40Brückner (1993, Rz 159, 432 mit Hinweis, 939, 944).
41Vgl. Art. 16 ZGB.

42Brückner (1993, Rz 939, 998).

43Brückner (1993, Rz 986, 1012).


21 Außenpositionierung zu (Schweizer) Notaren 269

durch Vorlage von Vollmachten oder Handelsregisterauszügen – zwecks Überprü-


fung von Zeichnungsberechtigungen in Bezug auf juristische Personen – gesche-
hen. In der Urkunde gibt der Notar die Tatsache der Stellvertretung mit Angaben
zum Vertretungsverhältnis sowie dasjenige Dokument an, anhand dessen er sich
von der Vertretungsmacht überzeugt hat.

21.4.3.3 Anforderungen an die Vollmacht


Das Schweizer Recht verlangt grundsätzlich keine öffentliche Beurkundung der
Vollmacht.44 Auch dürfen kantonale Vorschriften keine Beglaubigung der Unter-
schrift der vollmachtgebenden Person vorschreiben.45 Vollmachten können vielmehr
formlos erteilt werden. Dennoch verlangen einzelne Kantone im Falle der Stellver-
tretung bei Beurkundungen eine schriftliche Vollmacht. Auch kann der Notar im
Einzelfall eine solche verlangen. Insbesondere wenn der Notar den Vollmachtgeber
noch nicht kennt, wird er eine schriftliche Vollmacht voraussetzen. Für den Fall,
dass der Notar einen Vollmachtgeber persönlich kennt und dieser gegenüber dem
Notar mündlich, beispielsweise am Telefon, die Bevollmächtigung des erschienenen
Stellvertreters bestätigt, wird er dies in der Urkunde entsprechend zum Ausdruck
bringen.46 Sofern der Notar keinen direkten Kontakt mit dem Vollmachtgeber hatte
und den Vollmachtgeber sowie dessen Unterschrift nicht kennt, wird er verlangen,
dass die Unterschrift des Vollmachtgebers auf der Vollmacht notariell beglaubigt
wird.47 Geschieht dies durch einen ausländischen Notar, ist zudem eine Apostille
(sofern der ausländische Zielstaat dem Haager Übereinkommen zur Befreiung
ausländischer öffentlicher Urkunden von der Beglaubigung beigetreten ist) oder
Überbeglaubigung durch die zuständige Behörde des Sitzstaates des Notars sowie
der Legalisation durch die Botschaft oder das Konsulat des Zielstaates anzubrin-
gen. Das Vorhandensein respektive Fehlen einer Unterschriftsbeglaubigung ist für
die Entstehung der öffentlichen Urkunde und für die Gültigkeit des beurkundeten
Geschäfts nicht von Bedeutung, kann aber Voraussetzung für die Eintragungsfähig-
keit eines Geschäfts ins Grundbuch oder Handelsregister darstellen.48
Der Notar prüft die ihm vorgelegten Vollmachten bezüglich ihrer Echtheit und
ihres Inhalts summarisch unter Würdigung der gesamten Umstände mit gehöriger
Sorgfalt und Objektivität.49 Inhaltlich kontrolliert er, ob das beabsichtigte Handeln
des Bevollmächtigten von der Vollmacht abgedeckt ist, und ob die Datierung mit
dem zu beurkundenden Geschäft in einem glaubhaften Zusammenhang steht.50

44Eine Ausnahme besteht in Bezug auf die Bevollmächtigung zur Verbürgung, welche gemäß
Art. 493 Abs. 6 OR der öffentlichen Beurkundung bedarf.
45Schmid (1988, S. 61), N 226, mit Verweis auf BGE 99 II 159 ff., besonders 163; ferner Mei-

er-Hayoz (1974), Art. 657 ZGB; Haab et al. (1977), Art. 657 ZGB N 16; Beck (1932), Art. 55
SchlT ZGB N 14. Anderer Meinung: Wieland (1909), Art. 657 ZGB N 5.
46Brückner (1993, Rz 2153).

47Brückner (1993, Rz 1044, 2155).

48Brückner (1993, Rz 1047); Schmid (1988, S. 61, N 172); BGE 99 II 159, 163.

49Brückner (1993, Rz 1042, 1046).

50Brückner (1993, Rz 1045).


270 M. Kummer

Bestehen Zweifel, nimmt der Notar die Beurkundung so lange nicht vor, bis die
Zweifel beseitigt wurden.51 Liegt eine Vollmacht anlässlich der Beurkundung hin-
gegen nicht im Original oder in beglaubigter Kopie vor, sondern beispielsweise
nur als Fax, Kopie oder in digitaler Form, vermerkt der Notar diesen Umstand in
der Urkunde. Dasselbe gilt in Bezug auf Vollmachten von dem Notar nicht persön-
lich bekannten Vollmachtgebern ohne Unterschriftsbeglaubigung oder Apostille.
Die vorgelegte Vollmacht wird im Original oder als beglaubigte Kopie zu Beweis-
zwecken der Urkunde als Beilage angehängt. Liegt anlässlich der Beurkundung
eine Vollmacht bloß als Fax, als Kopie oder als Ausdruck einer digitalen Version
vor, wird dieses Dokument der Urkunde beigeheftet.

21.4.3.3.1 Insbesondere Vertreter juristischer Personen


Im Hinblick auf die Beurkundung von Erklärungen namens juristischer Personen
prüft der Notar einerseits die Existenz der juristischen Person sowie andererseits
die Zeichnungsberechtigung oder Bevollmächtigung der handelnden Personen.
Ist die Existenz einer juristischen Person dem Notar bekannt, kann er dies aus
eigener Kenntnis ohne zusätzliche Prüfung bezeugen. Andernfalls wird sich der
Notar durch Vorlage eines aktuellen Handelsregisterauszugs von der Existenz
der juristischen Person überzeugen. Nicht zwingend, aber dennoch sinnvoll ist,
dass der Handelsregisterauszug der Urkunde als Beilage angefügt wird. Dasselbe
gilt grundsätzlich in Bezug auf die Prüfung von Zeichnungsberechtigungen. Bei
bekannten juristischen Personen kann sich der Notar insbesondere auf eine Bestä-
tigung der Existenz sowie Zeichnungsberechtigung einer bestimmten Person
entweder per Telefon durch eine ihm bekannte Stimme oder mittels schriftlicher
Mitteilung einer ihm bekannten zeichnungsberechtigten Person verlassen.52
Der Inhalt des schweizerischen Handelsregisters gilt als öffentlich bekannt,
weshalb der Notar auch selbst Einsicht in dieses nehmen und auf die Vorlage eines
Handelsregisterauszugs verzichten kann. Der Notar kann daher auch darauf ver-
zichten, in der Urkunde zu vermerken, wie er sich von Existenz und Zeichnungs-
berechtigung überzeugt hat. Ausländische (Handels-)Registereintragungen gelten
in der Schweiz hingegen nicht als öffentlich bekannt. Dem Notar ist daher der aus-
ländische Handelsregisterauszug im Original oder als Fotokopie vorzulegen, den
er der Urkunde als Beilage anfügt.53 In der Urkunde ist zu vermerken, dass und
wie sich der Notar von der Existenz der juristischen Person sowie von der Zeich-
nungsberechtigung der erschienenen Person überzeugt hat.54 Handelt es sich um
eine juristische Person aus einem Staat ohne eine dem Handelsregister vergleich-
bare Institution, ist dem Notar ein (beglaubigtes und mit Apostille oder Überbe-
glaubigung versehenes) Exemplar des Gründungsakts und/oder der Statuten zum
Existenzbeweis sowie ein aussagekräftiger Organbeschluss zum Beweis der Ver-

51Brückner (1993, Rz 1048).


52Brückner (1993, Rz 1021).
53Brückner (1993, Rz 1027).

54Brückner (1993, Rz 1027).


21 Außenpositionierung zu (Schweizer) Notaren 271

tretungsmacht der erschienenen Personen vorzulegen.55 Im Falle einer ausländi-


schen juristischen Person darf eine Beurkundung – ohne Kontrolle der Existenz
sowie der Zeichnungsberechtigung oder Bevollmächtigung der erschienen Person
– nur bei glaubhafter Dringlichkeit stattfinden, sofern weder ein Missbrauch noch
ein rechtswidriges Handeln zu befürchten sind.56 Ergibt sich die Zeichnungsbe-
rechtigung der handelnden Person in Bezug auf das beabsichtigte Geschäft nicht
aus dem Handelsregister, hat der Notar Einsicht in die internen Ermächtigungs-
beschlüsse zu nehmen, aus denen sich die Existenz respektive der Umfang der
Zeichnungsberechtigung ergeben.57

21.4.3.3.2 Bei Dringlichkeit
Bei glaubhafter Dringlichkeit kann eine Beurkundung auch dann erfolgen, wenn
im Zeitpunkt der Beurkundung der Erschienene zwar erklärt, er sei bevollmäch-
tigt, der Notar die Bevollmächtigung jedoch nicht (sofort) kontrollieren kann. Das
kann insbesondere der Fall sein, wenn keine schriftliche Vollmacht vorliegt oder
Zweifel bestehen, ob das beabsichtigte Handeln von einer vorliegenden Vollmacht
abgedeckt ist.58 Der Notar muss bei fehlender Vollmacht respektive Kontrollmög-
lichkeit oder Zweifeln an der Urkunde auf diesen Umstand sowie den Grund für
die gleichwohl vorgenommene Beurkundung hinweisen.59 Bis zur genügenden
Klärung der Vertretungsmacht wird der Notar zur Vermeidung von Missbrauch
davon absehen, die Urkunde oder auch nur schon Fotokopien beziehungsweise
digitale Versionen der Urkunde herauszugeben. Der Notar wird die Urkunde erst
an die Klientschaft aushändigen oder dem zuständigen Handelsregister (oder sons-
tigem Amt) einreichen, nachdem er Klarheit über die Vertretungsmacht erhalten
hat.
Für den Legal Counsel ist es daher unerlässlich, dem Notar in Fällen von
Dringlichkeit eine plausible Erklärung dafür abgeben zu können, weshalb die
Beurkundung keinen Aufschub dulde. Kann der Erschienene keine glaubhaften
Gründe für das Fehlen einer (ausreichenden) schriftlichen Vollmacht sowie für die
Dringlichkeit darlegen, wird der Notar die Beurkundung ablehnen; ebenso wenn
sich aus der Kontrolle der Vollmacht oder den gesamten Umständen der Verdacht
rechtswidrigen Handelns ergibt.60 Das kann etwa der Fall sein, wenn eine Voll-
macht ein altes Datum aufweist und der Erschienene hierfür keine plausible Erklä-
rung hat, oder wenn sich das zu beurkundende Geschäft für den Vollmachtgeber
als offensichtlich unvorteilhaft oder für den angeblich mündlich Bevollmächtigten
selbst als übermäßig vorteilhaft erweist.61

55Brückner (1993, Rz 1027).


56Brückner (1993, Rz 1017).
57Brückner (1993, Rz 1026, 1029).
58Brückner (1993, Rz 1031, 1035, 1048).
59Brückner (1993, Rz 2152, 2156 f.).
60Brückner (1993, Rz 1039 f.).
61Brückner (1993, Rz 1040).
272 M. Kummer

21.4.3.3.3 Fazit
Im Hinblick auf die Prüfung der Vertretungsmacht durch den Notar sowie die Not-
wendigkeit der Offenlegung in der Urkunde empfiehlt es sich, die erforderlichen
Belege, namentlich eine genügende Vollmacht, rechtzeitig zu beschaffen und dem
Notar (allenfalls vorgängig zur Vorprüfung) vorzulegen. Es ist nicht Sache des
Notars, sich aktiv um die Vorlage genügender Belege zu kümmern, sondern der
vor ihm erscheinenden Personen, ihn ausreichend zu dokumentieren. Da der Notar
die Beurkundung ablehnen muss, wenn ihm eine genügende Abklärung der Ver-
tretungsmacht eines Stellvertreters nicht möglich ist, erscheint es gerade für einen
Legal Counsel im Hinblick auf die Beurkundung eines Geschäftes für ein Unter-
nehmen durch dessen Organe oder sonstige Stellvertreter sinnvoll, rechtzeitig im
Voraus mit dem Notar Kontakt aufzunehmen und seine Anforderungen an einen
rechtsgenügenden Nachweis der Vertretungsmacht im Hinblick auf die Beurkun-
dung in Erfahrung zu bringen. Dabei kann der Notar darüber aufklären, ob und in
welchem Fall die Beglaubigung der Unterschrift des Vollmachtgebers sowie allen-
falls das Einholen einer Apostille oder Überbeglaubigung erforderlich sind.
Idealerweise bittet der Legal Counsel den Notar, ihm eine individuell vorbe-
reitete Vollmachtsvorlage zur Verfügung zu stellen. Um insbesondere allfälligen
Zweifel in Bezug auf den Umfang der Vertretungsmacht eines Bevollmächtigten
entgegenzutreten, empfiehlt sich das Ausstellen einer Spezialvollmacht mit aktu-
ellem Datum und möglichst genauer Bezeichnung des beabsichtigten Rechtsge-
schäfts. Immer wieder werden in der Praxis Vollmachten ohne Bedacht ausgestellt
und rückdatiert. Das nachträgliche Ausstellen und Rückdatieren von Vollmachten
erfüllt jedoch den Straftatbestand der Falschbeurkundung.62
Empfehlenswert ist es zudem, die vorbereiteten Unterlagen dem Notar vorab
in digitaler Form (zur Vorprüfung) zuzustellen. Dies erlaubt es ihm einerseits, zu
prüfen, ob diese vollständig und ausreichend sind, sowie andererseits die perso-
nellen Angaben und jene zum Vertretungsverhältnis im Urkundenentwurf bereits
vor dem Beurkundungstermin zu finalisieren. Dem Legal Counsel seinerseits
bleibt genügend Zeit, um rechtzeitig vor der Beurkundung allfällige Verbesserun-
gen vorzunehmen oder ergänzende Dokumente zu beschaffen. Durch eine recht-
zeitige Klärung der Anforderungen des Notars sowie ein rechtzeitiges Einholen
der benötigten Dokumente seitens des Legal Counsel kann vermieden werden,
dass ungenügende Unterlagen zur Nachbesserung zurückgewiesen werden, die
Beurkundung abgesagt oder verschoben werden muss; oder allgemein kurzfristige
Abklärungs- oder Nachbesserungshandlungen notwendig sind, die für alle Betei-
ligten unnötigen Mehraufwand und allenfalls Mehrkosten bedeuten.

62Art. 251 Ziff. 1 StGB; BGE 122 IV 332.


21 Außenpositionierung zu (Schweizer) Notaren 273

21.5 Unterschriftsbeglaubigung

21.5.1 Einleitende Erläuterungen zur


Unterschriftsbeglaubigung

Der Idealvorgang der Beglaubigung der Echtheit einer Unterschrift besteht in der
Bescheinigung des Notars, dass die unterzeichnete Person, deren Identität er zuvor
geprüft hat, die Unterschrift in seiner Anwesenheit angebracht oder ihm gegenüber
als die eigene anerkannt hat. Da dieser Vorgang des persönlichen Aufsuchens eines
Notars in der Praxis bei der Klientschaft gerade bei häufigem Beglaubigungsbe-
dürfnis unliebsame Mühen beschert, wird von dieser eine „Beglaubigung unter
Abwesenden“ (auch „Fernbeglaubigung“ genannt) bevorzugt. Wenngleich einzelne
Autoren die Auffassung vertreten, die Unterschriftsbeglaubigung unter Abwesen-
den sei generell unzulässig63, erachtet die herrschende Lehre diese als grundsätz-
lich zulässig.64 Der deutsche Gesetzgeber erachtet die Fernbeglaubigung ebenfalls
kritisch.65 Gerade für den Legal Counsel wird sich in der Praxis deshalb immer
wieder die Frage stellen, unter welchen Voraussetzungen die Fernbeglaubigung von
Unterschriften der operativ tätigen Personen seines Unternehmens möglich ist, res-
pektive wann diese Personen persönlich vor dem Notar erscheinen müssen.

21.5.2 Fernbeglaubigung

An Fernbeglaubigungen sind hohe Anforderungen zu stellen, denn immerhin


bestätigt der Notar die Echtheit der Unterschrift einer bestimmten Person, was
deren Identifizierung voraussetzt. Denkbar sind verschiedene Vorgehensweisen:
Der Notar kann durch Vergleich der fraglichen Unterschrift mit einer anderen, ihm
vorliegenden, unzweifelhaft echten Unterschrift der unterzeichnenden Person
(Unterschriftenmuster), durch Beurteilung der Unterschrift aufgrund eigener Erin-
nerung an früher gesehene Unterschriften der fraglichen Person,66 durch telefoni-
sche Anerkennung durch die unterzeichnende Person oder eine Kombination
mehrerer dieser Methoden die Echtheit der Unterschrift ermitteln. Die Beglaubi-
gung der Echtheit einer Unterschrift aufgrund bloßer Erinnerung wird der Notar
nur vornehmen, wenn er mit der unterzeichnenden Person mit einer gewissen
Regelmäßigkeit zu tun hat und aufgrund der gesamten Umstände (verwendetes
Briefpapier, Inhalt des unterzeichneten Textes, Art der Übermittlung des Beglaubi-
gungsbegehrens etc.) eine Fälschung mit Sicherheit ausschließen kann.67

63Schönenberger und Jäggi (1973), Art. 13 OR N 90, S. 572.


64Brückner (1993, Rz 3243) mit Verweis; Marti (1989, S. 132).
65In § 40 Abs. 1 des deutschen Beurkundungsgesetzes ist vorgesehen, dass eine Unterschrift nur

beglaubigt werden soll, wenn sie in Gegenwart des Notars vollzogen oder anerkannt wird.
66Brückner (1993, Rz 3324).

67Brückner (1993, Rz 3327).


274 M. Kummer

Voraussetzung der telefonischen Anerkennung ist, dass die unterzeichnende


Person dem Notar persönlich so gut bekannt ist, dass er diese am Telefon zweifels-
frei identifizieren kann, dass der Notar die zu beglaubigende Unterschrift gut
kennt oder ein zuverlässiges Vergleichsmuster zur Hand hat, und dass sowohl für
den Notar als auch für die unterzeichnende Person übereinstimmend und zweifels-
frei feststeht, auf welchem Dokument sich die zu beglaubigende Unterschrift
befindet.68 Die in der Praxis am häufigsten erscheinende Methode ist jene der
Beurteilung der Gesamtumstände ohne Unterschriftenvergleich. Im Rahmen der
Beurteilung der Gesamtumstände kann der Notar der unterzeichnenden Person
beispielsweise einen Scan des Dokuments mit der zu beglaubigenden Unterschrift
an ihre persönliche E-Mail-Adresse senden, mit der Bitte um Bestätigung, dass es
sich um die eigene, persönlich geleistete Unterschrift handle. In jedem Fall muss
der Notar aber selbst zur Überzeugung gelangen, dass eine Unterschrift echt, also
einer bestimmten Person zuzuordnen ist und eine Fälschung mit Sicherheit ausge-
schlossen werden kann. Aus dem Gesagten folgt, dass bei Erstbeglaubigungen,
wenn also der Notar die Unterschrift einer ihm unbekannten Person beglaubigen
soll, keine Fernbeglaubigung erfolgen darf.

21.5.3 Unterschriftsbeglaubigung auf privaten Akten

Unterschriftsbeglaubigungen auf privaten Akten dürfen nur vorgenommen werden,


wenn hierfür ein schutzwürdiges Interesse gegeben ist.69 Da der Unterschied zwi-
schen einer öffentlich beurkundeten Erklärung und einer privatschriftlichen Erklä-
rung mit beglaubigter Unterschrift nicht als allgemein bekannt vorausgesetzt
werden darf, besteht die Gefahr, dass eine solche Beglaubigung bei Dritten den
Anschein einer öffentlichen Beurkundung (mit allen damit verbundenen Rechts-
folgen, wie namentlich der erhöhten Beweiskraft) erweckt.70 Die bloße Unter-
schriftsbeglaubigung macht jedoch keine Aussage zur Wahrheit oder Richtigkeit
des Inhalts des Rechtsgeschäfts. Ferner wird dadurch der Inhalt des Rechtsge-
schäfts weder verbindlich(er), noch erhöht sich die Beweiskraft des Dokuments.
Wird mit einer Unterschriftsbeglaubigung bezweckt, ein Geschäft durch die Mit-
wirkung eines Notars als inhaltlich geprüft, wichtiger oder verbindlicher darzustel-
len, als es tatsächlich ist, oder besteht die Gefahr, ein solcher Eindruck könnte bei
Dritten erweckt werden, wird der Notar eine Beglaubigung nicht vornehmen.71

68Ruf (1995, § 37 N 1521); Brückner (1993, Rz 3310 ff.); BGE 113 IV 77.
69Brückner (1993, Rz 1202, 3275).
70Brückner (1993, Rz 1202).

71Brückner (1993, Rz 1203).


21 Außenpositionierung zu (Schweizer) Notaren 275

Literatur

Arnet R (2013) Form folgt Funktion, Zur Bedeutung der öffentlichen Beurkundung im Immobili-
arsachenrecht. Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins, 149/2012(5):391–414
Beck E (1932) Berner Kommentar zum Schweizerischen Zivilrecht, Bd V. Schlusstitel, II.
Abschnitt. Stämpfli, Bern
Brückner C (1993) Schweizerisches Beurkundungsrecht. Schulthess, Zürich
Haab R, Simonius A, Scherrer W, Zobl D (1977) Zürcher Kommentar zum Schweizerischen
Zivilgesetzbuch, Bd IV. Das Sachenrecht, 1. Abteilung, Das Eigentum, Art. 641–729 ZGB. 2.
Aufl. Schulthess, Zürich
Marti H (1989) Notariatsprozess, Grundzüge der öffentlichen Beurkundung in der Schweiz.
Stämpfli, Bern
Meier-Hayoz A (1974) Kommentierung von Art. 657 ZGB. In: Meier-Hayoz A (Hrsg) Ber-
ner Kommentar. Kommentar zum schweizerischen Privatrecht/Sachenrecht/Grundeigentum
1:Art. 655–679. Stämpfli, Bern
Ruf P (1995) Notariatsrecht. Merkur Druck, Langenthal
Schmid C, Pinkel T (2011) Grundfreiheitskonforme Reformierung der nationalen Notariatsver-
fassung. Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2011:2928–2931
Schmid J (2014) Kommentierung von Art. 55 Schlusstitel ZGB. In: Honsell H, Vogt NP, Geiser
T (Hrsg) Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch II, Art. 457–977 ZGB, Art. 1–61 SchlT ZGB, 5.
Aufl. Helbing Lichtenhahn, Basel
Schmid J (1988) Die öffentliche Beurkundung von Schuldverträgen. Universitätsverlag, Freiburg
Schönenberger, Jäggi (1973), Zürcher Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch, Bd V,
Obligationenrecht, Teilbd. V/1a, Allgemeine Einleitung, Vorbemerkung vor Art. 1 OR, Kom-
mentar zu den Art. 1–17 OR, 3. Aufl. Schulthess, Zürich
Spickhoff A (2013) Zur Zukunft des Notariats in Europa – aus deutscher Perspektive. Jusletter
vom 28 Oktober 2013, S 1–12
Wieland C (1909) Zürcher Kommentar, Das Sachenrecht des schweizerischen Zivilgesetzbuchs.
Schulthess, Zürich
Winkler von Mohrenfels (2013) Kommentierung von Art. 11 EGBGB. In: J. von Staudingers
Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch: Staudinger BGB – EGBGB/IPR Einführungsge-
setz zum Bürgerlichen Gesetzbuche/IPR, Art. 7, 9–12, 47 EGBGB (Internationales Recht der
natürlichen Personen und der Rechtsgeschäfte). 15. Aufl. Sellier – de Gruyter, Berlin

Gesetzesquellen

(Deutsches) Beurkundungsgesetz vom 28. August 1969 (BGBl. I S. 1513), zuletzt geändert durch
Art. 3 des Gesetzes vom 23. November 2015 (BGBl. I S. 2090)
(Deutsches) Gerichts- und Notarkostengesetz vom 23. Juli 2013 (BGBl. I S. 2586), das zuletzt
durch Art. 4 des Gesetzes vom 23. November 2015 (BGBl. I S. 2090) geändert worden ist
(GNotKG)
(Deutsche) Bundesnotarordnung in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 303-1,
veröffentlichten bereinigten Fassung, die zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes vom 23. Novem-
ber 2015 (BGBl. I S. 2090) geändert worden ist
(Deutsches) Richtergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. April 1972 (BGBl. I
S. 713), das zuletzt durch Art. 132 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474)
geändert worden ist
Richtlinie 2005/36/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über
die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. L255/22)
Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (StGB, SR 311.0)
Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (ZGB, SR 210)
276 M. Kummer

Schweizerisches Bundesgesetz vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizeri-
schen Zivilgesetzbuches, Fünfter Teil: Obligationenrecht (OR, SR 220)
Übereinkommen zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Beglaubigung,
abgeschlossen in Den Haag am 5. Oktober 1961 (SR 0.172.030.4)
Verordnung vom 2. November 2005 über die öffentliche Beurkundung und die Beglaubigung des
Kantons St.Gallen (Verordnung SG, sGS 151.51)

Über den Autor


Michael Kummer, Rechtsanwalt und Notar – Partner bei Stach Rechtsanwälte AG, St.Gallen
Studium der Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen und Abschluss 2005 (lic. iur.
HSG), 2007 Rechtsanwaltspatent, 2011 Master of European and International Business Law an
der Universität St.Gallen (M.B.L.-HSG), 2014 Master in Internationalem Wirtschaftsrecht mit
Vertiefung International Banking and Finance Law an der Universität Zürich (LL.M.), seit 2007
Rechtsanwalt und Notar bei Stach Rechsanwälte AG, seit 2014 Partner, seit 2011 Dozent an einer
Kaderschule in Winterthur für Werbe-, Kommunikations-, Immaterialgüter- und Arbeitsrecht, seit
2015 von der SIX Exchange Regulation als sachkundiger Vertreter nach Art. 43 Kotierungsregle-
ment in den Produktbereich Aktien (inkl. Partizipations- und Genussscheinen), Hinterlegungs-
scheine und kollektive Kapitalanlagen anerkannt.
Außenpositionierung zu
Verbänden 22
Stefanie Luckert

22.1 Verbände und Legal Operations

Ein Verband kann, wie in Abb. 22.1 dargestellt, durch vier unterschiedliche
Dimensionen seiner Tätigkeit definiert werden. Mithin kann die individuelle Aus-
gestaltung hingegen von großen Unterschieden geprägt sein. Wollen sich Unter-
nehmen oder einzelne Abteilungen von Unternehmen zum Beispiel in Verbänden
organisieren, stehen ihnen neben den Industrie- und Handelskammern, Branchen-
und Fachverbänden, Arbeitgeberverbänden sowie im Verhältnis zum Ausland die
Außenhandelskammern zur Verfügung.1 Neben den Geschäftsleitungsmitgliedern
ist es zumeist auch der General Counsel oder spezifisch betraute Legal Counsel,
die sich in den Verbänden engagieren, in welchen das Unternehmen Mitglied ist.
Der Eintritt zu einem neuen oder bestehenden Verband erfolgt hierbei häufig über
die verbandsinterne Rechtsberatung in spezifischen rechtlichen Fragestellungen
und weitet sich dann in der Regel auf weitere Interaktionen aus, wie die passive
oder aktive Teilnahme an Veranstaltungen oder andere Verbandstätigkeiten.
Das Angebot der Verbände ist breit gefächert und reicht je nach Ausrichtung
von der Rechtsberatung über die Bereitstellung eines Netzwerkes bis hin zur poli-
tischen Unterstützung der Unternehmen.

1Bekannte Schweizer Wirtschaftsverbände sind zum Beispiel die Swissmem (für Maschinen-,
Elektro- und Metall-Industrie), Science Industries (für Unternehmen aus dem Bereich Chemie,
Pharma und Biotec). Im Verhältnis zu den USA die Swiss American Chamber of Commerce und
im Verhältnis zu Deutschland beispielsweise die Vereinigung Schweizerischer Unternehmen in
Deutschland (VSUD). In Deutschland seien neben den Industrie- und Handelskammern, für die
eine gesetzliche Pflichtmitgliedschaft besteht, beispielhaft der Verband der deutschen Maschi-
nenindustrie (VDMA) oder der Verband der Chemischen Industrie (VCI) genannt.

S. Luckert (*)
Basel, Schweiz
E-Mail: stefanie.luckert@vsud.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 277


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_22
278 S. Luckert

Abb. 22.1  Verbandsorganisation. (In Anlehnung an: Nicklich und Helfen (2016), mit Bezug
auf Schmitter P C, Streeck W (1999) The Organization of Business Interests. Studying the Asso-
ciative Action of Business in Advanced Industrial Societies. MPIfG Discussion Paper 99/1, Köln)

Die meisten großen Verbände bieten, mit unterschiedlichen Schwergewichten,


all diese Leistungen an. Daneben gibt es Verbände, die sich vor allem der poli-
tischen Arbeit sowie der Bereitstellung eines Netzwerks verschrieben haben. Als
Beispiele können hier swisscleantech, für nachhaltiges Wirtschaften, oder die
Unternehmerinitiative Wirtschaftsraum DCH dienen, die sich für die Interessen
der in der Schweiz und in Deutschland grenzüberschreitend tätigen Unternehmen
einsetzen. Wie in Tab. 22.1 dargestellt, ist die Verbandlandschaft im deutschspra-
chigen Raum entsprechend breit abgestützt.
Die Ansprechpartner in den Verbänden sind häufig Juristen und Ökonomen,
die auf die für den Verband wichtigen rechtlichen und wirtschaftlichen Themen-
bereiche spezialisiert sind und hier über ein breites und fundiertes Wissen verfü-
gen. Daneben stellen je nach Verband Fachspezialisten wie Physiker, Chemiker
oder Techniker ihren reichen Erfahrungsschatz zur Verfügung. Der Nutzen einer
Verbandsmitgliedschaft ist daher so vielfältig wie die Unternehmen, die sich ihrer
bedienen. Er reicht vom einseitigen Abrufen der Verbandsdienstleistungen über die
Teilnahme an Veranstaltungen hin zur Mitwirkung bei Fachveranstaltungen oder in
den Gremien der Verbände und damit zur Mitbestimmung der einzelnen Verbands-
zielsetzungen. Je nach Unternehmensgröße stehen dann auch unterschiedliche Inte-
ressen im Vordergrund: Kleine und mittlere Unternehmen greifen vielfach auf die
Beratungsdienstleistungen der Verbände zurück, während bei größeren Unterneh-
men häufig die politische Arbeit und die Netzwerkpflege im Vordergrund stehen.
Die Ausrichtung der Verbände variiert je nach Ausrichtung und Zielsetzung.
Viele Verbände werden geprägt von einzelnen Persönlichkeiten oder Unternehmen,
die sich im Besonderen in die Verbandsgeschäfte einbringen. Um herauszufinden,
22 Außenpositionierung zu Verbänden 279

Tab. 22.1  Organisations- Verbandsart (%)


grad von Unternehmen in
Wirtschaftsverbänden in Arbeitgeberverbände 56,2
Deutschland. (Auszug aus Industrieverbände 22,6
dem „Vergleich der Verbands-
Innungen 15,4
stichproben 2005/2006 und
2012/2013“; Nicklich und Sonstige Verbände 5,8
Helfen 2013, S. 4) Sektor
Verarbeitendes Gewerbe 45,2
Verkehr, Baugewerbe und Handwerk 27,4
Handel, Kredit und sonstige Dienstleistungen 20,7
Branchenübergreifend 6,7

ob ein Verband für die eigene Arbeit nützlich sein kann, empfiehlt sich der Besuch
von verbandsinternen Veranstaltungen, die häufig auch für Nichtmitglieder zugäng-
lich sind. Gut genutzt zahlt sich eine Mitgliedschaft für das gesamte Unternehmen
aus. Auch für einen Legal Counsel oder ein Unternehmen ohne Rechtsabteilung
bietet eine Verbandsmitgliedschaft viel. Der Verband kann rechtliche Laien, aber
auch Legal Counsels rechtlich beraten, unterstützen und in wenigen Fällen sogar
selbst als Rechtsabteilung fungieren. Darüber hinaus stellt jeder Verband ein Netz-
werk zur Verfügung, welches den Legal Counsel mit Wissen und Kontakten ver-
sorgt, die ihm bei seiner täglichen Arbeit sehr nützlich sein können und die es ihm
im besonderen Maße ermöglichen, über die Grenzen der eigenen Rechtsabteilung
hinaus tätig zu werden, das heißt sich auch auf anderen Gebieten als dem Recht im
eigenen Unternehmen erkennbar zu machen.

22.2 Der Verbandsnutzen für General und Legal Counsel

Nachfolgend soll der Nutzen eines Verbandes für den General Counsel eines
Unternehmens und seine Legal Counsels an einzelnen Beispielen dargestellt
werden.

22.2.1 Rechtliche und rechtsnahe Beratungsleistungen

Eine der am häufigsten genutzten Dienstleistungen von Verbänden ist die Bera-
tung in zivil-, wirtschafts- und steuerrechtlichen Angelegenheiten. Die Verbände
bieten je nach Zielsetzung ein unterschiedliches Spektrum an Beratungsleistun-
gen an. Unterstützung findet man von der Suche nach einem geeigneten Unter-
nehmensstandort und bei der Firmengründung über die Fragen der rechtlichen
Aspekte der Beschäftigung von Arbeitnehmern, des Vertriebs von Produkten und
der Compliance bis hin zur Vererbung oder Liquidation eines Unternehmens.
Industrie- und Handelskammern oder übergeordnete Verbände bieten zumeist eine
280 S. Luckert

fundierte Rechtsberatung in den gesamten Bereichen des Unternehmensalltags an.


Branchenverbände bieten hingegen vermehrt die vertretene Industrie betreffendes
Fachwissen an, während die Außenhandelskammern neben Spezialwissen in grenz­
überschreitenden Fragen auch eine Beratung im Recht desjenigen Staates anbieten,
welchen sie repräsentieren.
Je nach Größe und Aufstellung eines Unternehmens variiert auch die Nutzung
der Beratungsleistungen: Kleine Unternehmen ohne eigene Rechtsabteilung grei-
fen häufig in allen rechtlichen Fragen zuerst auf den Verband zurück. Hier finden
sie in der Regel auch geeignete Antworten oder werden für Fragen, die über das
Portfolio des Verbandes hinausgehen, an kompetente Ansprechpartner verwiesen.
Größere Firmen, welche zumeist über mindestens einen Legal Counsel verfügen,
erledigen bereits viele rechtliche Themen inhouse. Sie greifen aber dennoch gerne
zur Entlastung oder in Einzelfragen auf das Know-how der Verbände zurück.
Große Unternehmen mit eigenen Rechts- und Steuerabteilungen nutzen Verbands-
wissen hingegen vor allem als Zweit- oder Drittmeinung bei komplizierten rechtli-
chen Sachverhalten.
Im Gegensatz zu Beratungsunternehmen bietet ein Verband auch ein großes
Spektrum rechtlicher Praxiserfahrung seiner Mitglieder an, die zumeist in ano-
nymisierter Form an die Mitglieder weitergegeben wird. Es besteht vielfach aber
auch die Möglichkeit der Kontaktvermittlung an Mitglieder, die bestimmte rechtli-
che Fragestellungen bereits erfolgreich gelöst haben. Die Vermittlung von praxis-
nahen Lösungen ist dabei eine der großen Stärken der Verbandstätigkeit. Daneben
verfügt ein Verband auch immer über ein breites Netzwerk an Beratern, auf deren
Wissensschatz die Mitgliedsunternehmen bei Bedarf zurückgreifen können.

22.2.2 Aktuelle Informationen und Weiterbildung

Ein weiterer wichtiger Pfeiler der Verbandstätigkeit ist die ständige Information
der Mitgliedsunternehmen. In Newslettern, Rundschreiben oder per App sowie
durch Fachveranstaltungen halten Verbände ihre Mitgliedsunternehmen ständig
über wichtige rechtliche Neuerungen auf dem Laufenden, geben Praxistipps und
helfen so, Schwierigkeiten zu vermeiden oder Prozesse zu optimieren. Auch im
Bereich der Weiterbildung können die Rechtsabteilungen auf das reichhaltige Ver-
anstaltungsangebot der Verbände zurückgreifen, um die eigenen Mitarbeiter zu
schulen. Die Bandbreite der angebotenen Veranstaltungen reicht dabei von der all-
gemeinen rechtlichen Schulung zu Themen des Arbeits- und Steuerrechts sowie
der Compliance, über Schulungen in den spezifischen Fachbereichen der jeweili-
gen Branchenverbände bis hin zur Ausbildung von Lehrlingen durch die Industrie-
und Handelskammern.
Viele Verbände geben ihren Mitgliedern auch die Möglichkeit, Wünsche für
die Themenwahl bei Fachveranstaltungen anzubringen oder bieten sogenannte
Inhouse-Schulungen zu spezifischen Themen an. So kann das eigene Wissen über
vielfältige Themenbereiche auch auf diese Weise vertieft werden. Die Weiterbil-
dungsveranstaltungen von Verbänden zeichnen sich daher auch durch ihre Nähe
22 Außenpositionierung zu Verbänden 281

zur Praxis aus. Vielfach geben Entscheidträger der Mitgliedsunternehmen, wie


die Mitglieder der Geschäftsleitung oder der General Counsel, ihre praktischen
Erfahrungen in Vorträgen an die Mitglieder weiter und verhelfen diesen dadurch
zu einem großen praktischen Wissensvorsprung. Bevor Sie also einen teuren Dritt­
anbieter mit Schulungsmaßnahmen beauftragen, empfiehlt es sich, zuerst einmal
bei Ihrem Verband anzufragen, ob eine qualitativ hochstehende Weiterbildung im
gewünschten Bereich zu Mitgliederkonditionen angeboten wird.

22.2.3 Der Verband als Türöffner bei Behörden und


Amtsstellen

Über die reine rechtliche Auskunft hinaus können Verbände Unternehmen im


Kontakt mit Behörden und Amtsstellen unterstützen (siehe dazu auch Kap. 5 und
24). Bereits vor einem Behördenkontakt kann ein Mitgliedsunternehmen auf die
Erfahrung seiner Verbände zurückgreifen, um sich mit Wissen zum Umgang mit
staatlichen Stellen zu versorgen oder sich auf Stolpersteine aufmerksam machen
zu lassen. Gerade bei Neugründungen und in grenzüberschreitenden Fällen kann
eine solche Vorabinformation sehr hilfreich sein (siehe dazu auch Kap. 6, 7 und 8),
damit von Anfang an Fehler vermieden werden können.
Darüber hinaus besteht bei Unsicherheiten die Möglichkeit, dass Verbände
vorab anonymisierte Auskünfte über einen zu klärenden Sachverhalt einholen.
Danach kann das Unternehmen noch die notwendigen Anpassungen vornehmen,
damit es zu keinen Schwierigkeiten mit den staatlichen Stellen kommt. In Einzel-
fällen kann man auch von bestehenden Kontakten der Verbände profitieren oder
sich zu Terminen begleiten lassen. Immer wiederkehrende Beispiele aus dem grenz­
überschreitenden Bereich sind das Erwirken von Sondervereinbarungen im Sozial-
versicherungsrecht für Mitarbeiter von Unternehmen, die zum Beispiel sowohl in
der Schweiz als auch in Deutschland tätig sind, sowie die Flankierung von Unter-
nehmen im steuerlichen Verständigungsverfahren Deutschland – Schweiz oder bei
Außensteuerprüfungen. Der große Vorteil einer Verbandsmitgliedschaft liegt für
diesen Bereich darin, dass die Mitglieder kostenlos Auskünfte erhalten, da diese
oft bereits im Verbandsbeitrag inbegriffen sind und, die aufgrund ihrer hohen prak-
tischen Relevanz sofort im Unternehmensalltag umsetzbar sind.

22.2.4 Politische Verbandsarbeit

Eine weitere wichtige – leider oft unterschätzte (sic!) – Säule der Verbandsarbeit
ist die Möglichkeit der Eingabe unternehmerischer Anliegen in den politischen
Prozess. Auch bei solchen Fragen gelingt es General Counsel und Rechtsabteilun-
gen immer wieder, sich einzubringen und sich dadurch im Unternehmen positiv
bemerkbar zu machen. Unternehmer sind auf wirtschaftsfreundliche Rahmenbedin-
gungen angewiesen. Es ist darum von großer Bedeutung, den Gesetzgeber immer
282 S. Luckert

wieder auf die Interessen der Wirtschaft hinzuweisen. Allein die Abgabe von
Stimmzetteln der Unternehmer bei Wahlen oder Volksabstimmungen ist hierfür oft-
mals nicht ausreichend und als einzelnes Unternehmen erhält man zumeist nicht
genügend Gehör. Verbände bündeln gleichlaufende Interessen ihrer Mitglieder und
können so auch den Anliegen Ihres Unternehmens das nötige Gewicht verleihen.
Ein aktuelles Beispiel aus der Praxis der bilateral tätigen Verbände ist die Proble-
matik hinsichtlich der grenzüberschreitenden Nutzung von Fahrzeugen für Grenz-
gänger. Hier setzen sich die Verbände für eine wirtschaftsfreundliche Lösung ein
und werden gehört. Das einzelne Unternehmen hätte für sich alleine nicht die not-
wendige Schlagkraft.
Nun mag die Interessensvertretung auf den ersten Blick nicht als ureigene Auf-
gabe einer Rechtsabteilung oder des General Counsel erscheinen. Doch auch sie
können von dieser Arbeit profitieren, indem sie gesetzgeberische Prozesse ansto-
ßen oder Vorhaben verhindern, die sich direkt auf ihre Arbeit auswirken würden.
Ein solches Vorgehen führt häufig zur Stärkung der Position der Rechtsabteilung
im Unternehmen. Zu nennen sind hier zum Beispiel die Vorstöße für die Einfüh-
rung der geschützten Berufsbezeichnung des Patentanwalts, für ein Unterneh-
mensjuristengesetz, eine Überarbeitung des Schweizer Kartellgesetzes oder die
Mitwirkung bei diversen Doppelbesteuerungsabkommen. Häufig besteht auch die
Möglichkeit, über Arbeitsgruppen in Verbänden direkt an gesetzgeberischen Pro-
zessen teilzuhaben und die Interessen des Unternehmens zu stärken.

22.2.5 Verbände als Netzwerk für den Erfahrungsaustausch

Jeder Verband ist sowohl Dienstleistungserbringer als auch Basis eines umfas-
senden Netzwerks. Bei zahlreichen Veranstaltungen können Unternehmensvertre-
ter Beziehungen knüpfen und vertiefen sowie Erfahrungen austauschen. Bei den
klassischen Netzwerkanlässen wie Generalversammlungen und Apéros ist das
Publikum meist bunt gemischt und setzt aus allen Abteilungen und allen Hier-
archiestufen zusammen. Neben Wirtschaftsvertretern nehmen an diesen Anläs-
sen auch Persönlichkeiten aus Politik und der Öffentlichen Verwaltung teil, die
zumeist ein offenes Ohr für die Belange der Mitgliedsunternehmen haben. Bei
Weiterbildungsveranstaltungen trifft man hingegen vermehrt auf Spezialisten
aus dem betreffenden Fachbereich und kann so von deren spezifischen Erfahrun-
gen profitieren, respektive Fachwissen austauschen. In den Verbandsgremien, wie
Arbeits- und Erfahrungsgruppen oder dem Vorstand, können die Mitarbeitenden
der Mitgliedsunternehmen ihre Anliegen auch direkt in den Verband einbringen,
auf das vorhandene Know-how zugreifen sowie auf die Zielsetzung des Verbandes
Einfluss nehmen. In diesen Gremien nehmen neben Unternehmensjuristen auch
Geschäftsleitungsmitglieder und Finanzvorstände teil. Neben der Erweiterung der
eigenen Perspektive für die Belange der Geschäftsleitungsebene werden hier nicht
selten auch Kontakte für die spätere Berufslaufbahn geknüpft, ein Punkt, der nicht
unterschätzt werden sollte.
22 Außenpositionierung zu Verbänden 283

Daneben ist eine solche Mitwirkung auch für die Verbände von großer Bedeu-
tung, da nur so sichergestellt werden kann, dass den Interessen und dem Bedarf
der Mitgliedsunternehmen entsprochen wird. Möchte man nicht selbst in Erschei-
nung treten, kann der Verband darüber hinaus auch dazu verwendet werden, Erfah-
rungsberichte anonym über das Verbandsnetzwerk einzuholen.
Ein Praxisbeispiel auf diesem Gebiet ist die Möglichkeit, sich ohne Namens-
nennung über Verrechnungspreisgestaltung anderer Mitgliedsunternehmen zu
erkundigen.

22.2.6 Unterstützung bei der Auslandstätigkeit

Besonders den grenzüberschreitend tätigen Verbänden, wie zum Beispiel den


Außenhandelskammern, kommt in der Praxis große Bedeutung zu. Sie agieren
auf einem Gebiet, auf welchem die Unternehmen und deren Rechtsabteilungen
oftmals über nur geringes Wissen und wenig eigene gute Kontakte verfügen. Die
grenzüberschreitend tätigen Verbände können ihre Mitgliedsunternehmen, die
ihre Geschäftstätigkeit ins Ausland erweitern wollen, bereits ab der ersten Stunde
begleiten. Sie kennen sich auf dem Gebiet des anvisierten Landes aus und können
zum Beispiel bereits bei der Wahl des richtigen Standorts behilflich sein, denn sie
verfügen meist über sehr gute Informationen über Standortfaktoren, wie Steuern
und Mietpreise, das Angebot an Arbeitskräften, die Beschaffenheit der Absatz-
märkte sowie über die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit anderen Unterneh-
men oder Forschungseinrichtungen. Auch bei der Wahl der Rechtsform sowie den
Gründungsformalitäten unterstützen die Außenhandelskammern. Sie beraten eben-
falls in Fragen des Steuer-, Wirtschafts- und Arbeitsrechts.
Die Verbände informieren aber nicht nur über die rechtlichen Fakten, sie wei-
sen auch auf bestehende Mentalitätsunterschiede hin oder vermitteln Kontakte
zu Ämtern und Behörden. Sie machen auf Fallstricke und Erleichterungen bei
der Planung von Vorhaben aufmerksam. Ferner informieren die Außenhandels-
kammern gezielt über Themen, die für die im Ausland tätigen Unternehmen von
Interesse sind: Von materiell-rechtlichen Neuerungen bis hin zu geändertem Ver-
waltungshandeln. Am meisten profitieren die Unternehmen jedoch von den Praxis­
erfahrungen bereits im Ausland tätiger Unternehmen. Aus Fehlern zu lernen, die
andere gemacht haben, oder einfach an deren Erfahrung teilhaben zu können, kann
zu erheblichen Kosteneinsparungen führen. Last, but not least bieten die Außen-
handelskammern Veranstaltungen an, in welchen sich die Unternehmen gezielt
über Fragen im Zielstaat informieren und vom Erfahrungsschatz der bereits im
Ausland befindlichen Unternehmen profitieren können.

22.3 Strategische Positionierung in Verbänden

Die Position eines General Counsel zeichnet sich dadurch aus, dass er die gesamte
Geschäftstätigkeit seines Unternehmens, ebenso wie die anderen Geschäftslei-
tungsmitglieder, überblicken und dadurch eine gewisse Weitsicht entwickeln kann.
284 S. Luckert

Hierbei kann eine Verbandsmitgliedschaft von großem Nutzen sein. Der Verband
versorgt den General Counsel mit dem nötigen – auch nicht juristischen – Wis-
sen und stellt ihm ein Netzwerk zur Verfügung, von dessen Praxiserfahrung er und
mithin auch sein Unternehmen ungemein profitieren können. Andererseits ermög-
licht eine aktive Mitgliedschaft im Verband, sich durch Vorträge oder Fachbeiträge
positiv zu positionieren. Dadurch können Sie Ihren eigenen Bekanntheitsgrad als
General Counsel und denjenigen Ihres Unternehmens erweitern. Für viele General
Counsel stellt dies nicht selten auch ein Sprungbrett für ihre Karriere dar (siehe
dazu auch Kap. 34 und 35).
Bei der Wahl eines Verbandes kommt es also in ganz entscheidendem Maße
darauf an, wie man selbst als Unternehmen oder Rechtsabteilung aufgestellt ist.
Um den größtmöglichen Nutzen einer Verbandsmitgliedschaft zu erreichen, sollte
man vorab definieren, in welchen Bereichen man eigene Kompetenzen hat, und
in welchen Bereichen man sich Unterstützung wünscht. Je nachdem kann es auch
sinnvoll sein, sich in Absprache mit den verschiedenen Abteilungen Ihres Unter-
nehmens strategisch geschickt in mehreren Verbänden zu organisieren: Wird vor
allem Fachwissen benötigt, empfiehlt sich das Engagement in einem der vielen
Fach- und Branchenverbände, wie beispielsweise Science Industries oder Swiss-
mem. Branchenübergreifende Verbände wie die Arbeitgeberverbände versorgen
die General und Legal Counsels auch mit Wissen über den Fachbereich hinaus und
stellen dadurch eine ausgezeichnete Plattform zur übergreifenden Vernetzung zur
Verfügung. Engagiert sich Ihr Unternehmen im Ausland, ist eine Mitgliedschaft in
einem grenzüberschreitenden Verband wie der Vereinigung Schweizerischer Unter-
nehmen in Deutschland (VSUD) oder einer Außenhandelskammer zu empfehlen.
Hier kann man gerade im Zusammenhang mit einer Geschäftstätigkeit im Aus-
land enorm von der Erfahrung des Verbandes und seiner Mitgliedsunternehmen
profitieren und so oftmals kostenintensive Fehler vermeiden. Um die Verbände
kennenzulernen und sich einen guten Überblick über deren Tätigkeit sowie deren
Mitgliederstruktur zu verschaffen, empfiehlt sich der Besuch der Mitgliederver-
sammlungen, der in den meisten Fällen auch interessierten Nichtmitgliedern offen-
steht. Dadurch können Sie sich von Anfang an optimal strategisch positionieren.
Prüfen Sie daher zuerst einmal das bestehende Verbandsportfolio Ihres Unter-
nehmens. Oftmals wird aus einer bereits vorhandenen, aber brachliegenden pas-
siven Verbandsmitgliedschaft ein aktives Engagement. Reicht dieses nicht aus, so
sehen Sie sich nach weiteren interessanten Verbänden um. Nicht selten erwach-
sen dem General und den Legal Counsel aus aktiven Mitgliedschaften heraus neue
Impulse für die weitere Karriere im eigenen oder in anderen Mitgliedsunterneh-
men.

Literatur
Nicklich M, Helfen M (2016) Mitgliedermanagement von Meta-Organisationen: Arbeitgeberver-
bände und ihre Mitglieder. In: Schroeder W, Wessels B (Hrsg) Handbuch Arbeitgeber- und
Wirtschaftsverbände in Deutschland. Springer VS, Heidelberg
22 Außenpositionierung zu Verbänden 285

Nicklich M, Helfen M (2013) Wirtschaftsverbände in Deutschland 2012/2013 – Mitgliederge-


winnung und -bindung als zentrale Herausforderung. Eine Kurzstudie des Lehrstuhls für
Unternehmenskooperation im Management-Department der Freien Universität Berlin. http://
www.wiwiss.fu-berlin.de/fachbereich/bwl/management/sydow/media/pdf/Wirtschaftsver-
baende-2013_Nicklich_Helfen.pdf. Zugegriffen: 10. Mai 2017

Über den Autor


Stefanie Luckert – Rechtskonsulentin & Geschäftsführerin VSUD, Basel
Studium der Rechtswissenschaften (1989–1995), Juristischer Vorbereitungsdienst in Walds-
hut-Tiengen, Stuttgart und Tel Aviv (1995–1997), Forschungsaufenthalt an der Juristischen
Fakultät der Universität Konstanz (1998–2001) und Dozentin für Arbeitsrecht an der Fachhoch-
schule Konstanz. Seit 2002 Rechtskonsulentin und stv. Geschäftsführerin (2011) und seit 2016
Geschäftsführerin VSUD (seit 2006 Unternehmerinitiative Wirtschaftsraum DCH – seit 2009
Geschäftsführerin UI DCH).
Außenpositionierung zu Presse
und Medien 23
Max W. Gurtner

23.1 Die Öffentlichkeitsarbeit

Public Relations (PR) beinhalten die Managementfunktion, welche die Bezie-


hungspflege zwischen einer Organisation und ihren verschiedenen Anspruchsgrup-
pen (Stakeholder) gestaltet und damit den Erfolg nachhaltig sicherstellt. Bereits im
Jahr 1807 hat Thomas Jefferson, der 3. Präsident der Vereinigten Staaten, den
Begriff Public Relations im Zusammenhang mit einer politischen Kampagne
benutzt.1 In den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts hat sich das Konzept der PR
international verbreitet. Die PR gerieten in den 1970er- und 80er-Jahren zuneh-
mend unter Verdacht, einzig dem Auftraggeber und seinen kommerziellen Interes-
sen verpflichtet zu sein. Diesem Problem begegneten die Unternehmen, indem sie
die kommerzielle PR von der Kommunikation des Gesamtunternehmens trennten.
Informationsdienst oder Pressestelle konnten so unabhängig von Marketinginteres-
sen und Werbeetat über das Unternehmen und seinen Geschäftsgang informieren.
Doch auch so blieb die Information lange eine Einbahnstraße mit Verlautbarungen.
Inhalte und Botschaften wurden exklusiv an Multiplikatoren versandt, vorab an
die Medien. Deren Interpretation war entscheidend für die Wahrnehmung des inte-
ressierten Publikums, ein Dialog mit der Öffentlichkeit fand praktisch nicht statt.
Mit Zunahme des öffentlichen Interesses entstand ein neues PR-Verständ-
nis. Kommunikation beginnt mit Zuhören und bedarf einer Feedbackschlaufe.
Unternehmen brauchen dafür ein institutionelles Ohr. Zu diesem systematischen
Monitoring gehören beispielsweise die Medienbeobachtung, das Messen der Kun-
denzufriedenheit oder Umfragen zu Akzeptanz und Image. Mit der Anzahl der
Anspruchsgruppen nahmen auch Bedeutung und Aktivitäten der Kommunikation

1Vgl. History of Public Relations, www.inforefuge.com. Besucht 26. April 2016.

M.W. Gurtner (*)


Oberwil, Schweiz
E-Mail: max_gurtner@yahoo.com

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 287


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_23
288 M.W. Gurtner

zu: Pressestelle und Medienmonitoring, Hauspublikationen und interne Kommuni-


kation, Nachbarschaftsbeziehungen und Standort-PR, Markenführung (Branding)
und Corporate Identity (CI), Investor Relations (IR) und Lobbying (Government
Affairs), Krisenkommunikation und Issue Management, Marketing-PR und Wer-
bung. Unter der Managementfunktion „Unternehmenskommunikation“ (Corpo-
rate Communications) werden alle kommunikativen Aufgaben koordiniert und
integriert, denn das Image eines Unternehmens ergibt sich aus der Summe seiner
Wahrnehmungen, von Konsumenten und Kunden über Mitarbeitende und Aktio-
näre bis hin zu Medien und Politik.
Laut Kommunikationswissenschaftler Watzlawick2 gibt es nicht eine Wirklichkeit,
sondern „zahlreiche Wirklichkeitsauffassungen, die sehr widersprüchlich sein kön-
nen, alle das Ergebnis von Kommunikation und nicht der Widerschein ewiger, objek-
tiver Wahrheiten sind.“ Damit wird die Wahrnehmungsorientierung zum Maß für die
Kommunikation (siehe dazu detailliert Kap. 31). Perception is reality lautet ein allge-
mein gültiges Prinzip in der Kommunikationsbranche. Kommunikatoren und PR-Be-
rater sind damit im besten Fall Vermittler zwischen verschiedenen Realitäten,
schließen Wahrnehmungslücken mit Information, bauen Vertrauen auf. Im schlech-
testen Fall sind sie spin doctors, die jeder Geschichte den richtigen Dreh (spin) geben
und dafür bezahlt werden, einzig ihren Auftraggeber richtig in Szene zu setzten.
Im Internet stellt sich der spin doctor-Gemeinde ein mächtiges Korrektiv ent-
gegen. Nachrichten, ob richtig oder falsch, werden im World Wide Web und von
den social communities schnell verbreitet und können von jedermann öffentlich
hinterfragt werden. Das Internet ist beides, eine Quelle für Gerüchte und gezielte
Fehlinformation, aber auch für kritisches Hinterfragen und Korrektur. Es stellt
die Unternehmenskommunikation vor neue Aufgaben, mit vielen Risiken und
noch mehr Chancen. Die unternehmenseigene Homepage, der eigene Twitter- und
Facebook-Account, das Monitoring der Chats und Tweets, das online publishing
und die Möglichkeiten des online marketing, online advertising und e-commerce
erfordern zusätzliche finanzielle und personelle Ressourcen. Das Kommunikati-
onsterrain für den direkten Kontakt mit den verschiedenen Anspruchsgruppen ist
erheblich erweitert worden, ohne den oft mühsamen Umweg über Journalisten,
Bankanalysten, Branchenspezialisten, Verbandsvertreter, Behörden, Konsumenten-
organisationen und Distributoren.

23.2 Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Public


Relations und Rechtsdienst

Für Juristen sind Rechtsordnung und Rechtssicherheit von zentraler Bedeutung.


Sie stützen sich auf einen verbindlichen rechtlichen Rahmen, interpretieren die-
sen und nutzen die Freiräume. Gesetzessammlungen und Rechtsprechung bil-
den den verlässlichen Referenzrahmen. Unternehmen können über Rechtsform,

2Vgl. Watzlawick (2003, S. 6).


23 Außenpositionierung zu Presse und Medien 289

Gesellschaftsstruktur oder allgemeine Geschäftsbedingungen ihre potenzielle


Gefährdung (legal exposure) optimieren, sie können Verträge eingehen und auf-
lösen, sich ihr Recht vor Gericht erstreiten oder Streitigkeiten mit Vergleichen
beilegen. Für die Kommunikation gibt es hingegen keine verbindlichen Normen
und keine unabhängige Instanz mit richterlicher Kompetenz. Entsprechend groß
sind Interpretations- und Handlungsspielraum bezüglich der öffentlichen Positio-
nierung (public exposure). Zumal Vertrauen das höchste Gut in der Kommunika-
tion darstellt. Wo dieses fehlt, sei es bei Mitarbeitenden, Kunden, Aktionären oder
Behörden, sind Interessen und Fortbestand des Unternehmens gefährdet (siehe
dazu auch Kap. 9).

23.2.1 Tue Gutes und sprich darüber

„Tue Gutes und sprich darüber“ lautet ein bewährtes PR-Prinzip, das der Vertrau-
ensbildung jedoch kaum dienlich ist. Vertrauen entsteht durch Verlässlichkeit und
Berechenbarkeit, durch Authentizität und Wahrhaftigkeit, durch Transparenz und
Dialog; auch durch das Eingestehen und Korrigieren von Fehlern. Gemäß dem
Prinzip walk the talk ist es wichtig, die Erwartungen der jeweiligen Anspruchs-
gruppe angemessen zu steuern. Wenn die Erwartungen von Mitarbeitenden,
Kunden oder Investoren fehl geleitet werden, muss das Vertrauen über Jahre von
Neuem aufgebaut werden. Kommunikation ist somit keine Feuerwehrübung, son-
dern muss sich zum Ziel setzen, den Dialog permanent zu pflegen. Eine solch pro-
aktive Kommunikation und ein permanentes public exposure stehen im Gegensatz
zur defensiven Haltung der Juristen gegenüber der Öffentlichkeit. Legal Opera-
tions haben in der Regel kein Interesse daran, das eigene Unternehmen permanent
ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit zu rücken, weil darin eine erhöhte Gefahr
hinsichtlich des legal exposure gesehen wird.

23.2.2 Loyalität und kritische Distanz

Weil die Ausübung seiner Stabsfunktion an das persönliche Vertrauen des CEO
geknüpft ist, überlebt der Kommunikationsverantwortliche einen Führungswechsel
häufig nicht. Sein Kollege im Rechtsdienst, ebenfalls eine Stabsfunktion, hat hin-
gegen weitaus bessere Chancen bei einem Wechsel der Geschäftsleitung. Ein CEO
wählt mit dem Kommunikationsleiter nicht nur einen Reputationsmanager für
das Unternehmen, sondern auch für sich selbst und seinen Leistungsausweis. Im
Unterschied dazu wird sich der General Counsel in der Regel davor hüten, der per-
sönliche Anwalt des CEO zu werden (siehe dazu auch Kap. 16). Wenn der Kom-
munikationsverantwortliche nicht über das Vertrauen seines Vorgesetzten verfügt,
helfen ihm weder best practice noch sein internes oder externes Netzwerk. Der
General Counsel hingegen ist weniger abhängig von Ego und Perzeption des CEO.
290 M.W. Gurtner

 Voraussetzungen für eine wirkungsvolle Rechts-und Kommuni-


kationsberatung sind Loyalität und auch kritische Distanz zur
Geschäftsleitung, denn weder das Recht noch die öffentliche Wahr-
nehmung lassen sich verbiegen.

23.2.3 Sprache als Werkzeug

Wichtigstes Werkzeug der Legal Operations wie auch der Public Relations sind
die gesprochene und geschriebene Sprache. Wer gehört werden will, muss sich
kurz und verständlich ausdrücken, was sich in der PR mit „KISS“ umschreiben
lässt, keep it simple and short. Die Kommunikationsinhalte sollten faktenbasiert,
kurz und allgemein verständlich sein, mit einer Botschaft beginnen und diese
wiederholen. Für die wirkungsvolle Kommunikation spielen Wahrnehmungs-
orientierung und Redundanz eine entscheidende Rolle. Anders funktioniert die
Argumentation im Rechtsbereich, wo Spezialisten differenziert mit ihresgleichen
kommunizieren, wo die Sprache fachspezifisch und für die Allgemeinheit wenig
verständlich ist (siehe dazu auch detailliert Kap. 31). Die Kommunikation hat mit
vielen „Köchen“ zu kämpfen, da viele Menschen glauben, professionell formulie-
ren und argumentieren zu können. Doch Redaktionsübungen im erweiterten Kreis
sind oft mühsam und ineffizient. Der CEO ist darum gut beraten, die Redaktions-
verantwortung dem Kommunikationsverantwortlichen (Chief Communications
Officer) zu überlassen. Unverzichtbar ist jedoch die Redaktion aller zu veröffent-
lichenden Texte durch den Rechtdienst. Die Erfahrung zeigt, dass Public Relations
und Legal Operations in diesem Bereich gut zusammen arbeiten, weil sie sich in
ihrer Affinität zur Sprache und präzisen Ausdrucksweise finden und gegenseitig
ergänzen. Dem Legal Counsel selbst pfuschen weniger „Amateurköche“ in dessen
Handwerk, da sein professionelles Rechtsterrain auch sein eigener Turf bleibt. Er
allein setzt die Vorgaben von Management und Operations zum Beispiel im Ver-
tragswerk um.

23.2.4 Die Herausforderungen der Globalisierung

Noch sind Rechtssysteme überwiegend national, die Medienwelt hingegen ist


bereits ein „globales Dorf“. Im Zuge der Globalisierung werden Gesetze und
Verordnungen zunehmend auch international durchgesetzt. Beispiele wie Preis-
absprachen in der Vitaminbranche (1990er Jahre), die Beihilfe zur Steuerhinter-
ziehung von Banken in den USA und der EU (ab 2000) oder die betrügerische
Umgehung von Abgasvorschriften durch die Automobilindustrie (2015) belegen,
dass insbesondere die USA – und in ihrem Schlepptau die EU – das Recht glo-
bal durchsetzen und dabei eigene wirtschaftliche Interessen verteidigen. Das glo-
bale Mediendorf kennt bereits heute keine nationalen Grenzen. Was irgendwo
von Medien, social communities oder tweets thematisiert und auf die öffentliche
Agenda gesetzt wird, schafft im Tempo eines Wimpernschlags den digitalen Weg
über Landes- und Sprachgrenzen hinweg.
23 Außenpositionierung zu Presse und Medien 291

23.3 Die digitale Kommunikation

Die Digitalisierung hat die Art und Weise, wie wir privat und öffentlich mitein-
ander kommunizieren, völlig verändert. Das Internet gibt es seit 1969, E-Mails
seit 1971, das World Wide Web seit 1989, Google seit 1989, Wikipedia seit 2001
und Facebook seit 2004. Dank Verkabelung, Mobilfunk sowie PC, Laptop, Tablet
und Smartphone sind die neuen Formen der Kommunikation und Mediennutzung
innerhalb von 20 Jahren Teil unseres Alltags geworden. Miniaturisierung, leichte
Bedienbarkeit und schickes Design machen es – Apple sei Dank – möglich. Wir
sind überall und immer erreichbar, wünschen überall und zu jeder Zeit Kontakt
zu Geschäftspartnern und Freunden sowie den Zugang zum Informations- und
Medienangebot aufrecht zu halten. Es gilt anything! anywhere! anytime! Wer mit
den digitalen Medien aufgewachsen ist, kauft in der Regel keine Zeitung mehr,
hört nicht linear Radio und schaut auch kein lineares Fernsehen mehr, sondern
nutzt die Medien überall zeitversetzt; kommuniziert und tauscht sich permanent
aus.

23.3.1 Virtuelle Gruppen statt analoger Gemeinschaften

In der neuen digitalen Medienwelt kommunizieren viele mit vielen, nicht mehr
einer oder wenige mit allen. Virtuelle Gruppen haben die analogen Gemeinschaf-
ten abgelöst. Das Internet ist die digitale Version des mittelalterlichen Marktplat-
zes, auf dem Waren, Dienstleistungen und Unterhaltung angeboten werden, wo
öffentliche Verlautbarungen ausgerufen werden und sich Geschichtenerzähler
und Gaukler anbieten, wo Gerüchte verbreitet werden und der öffentliche Pranger
steht, damit das Volk die Geächteten begaffen kann. Archive und Suchmaschinen
verleihen diesem Marktplatz nun auch ein Gedächtnis. In der digitalen Welt ist die
Information nicht mehr flüchtig, ist die Berichterstattung von gestern nicht mehr
„Schnee von gestern“. Das Internet hat das Wissen nicht nur archiviert, sondern
auch demokratisiert. Von den Mitarbeitenden bis zu den Konsumenten verfügt das
Publikum über mehr Wissen und Transparenz, ist damit ein wesentlich anspruchs-
vollerer Kommunikationspartner geworden als dies noch vor 20 Jahren der Fall
war.

23.3.2 Die Digitalisierung der Geschäftsprozesse und


Zusammenarbeit

Die Möglichkeiten der digitalen Technologie verändern auch das Wirtschaften und
die Wirtschaft mit zunehmender Geschwindigkeit. Hergebrachte Geschäftsmodelle
werden abrupt durch völlig neue verdrängt, man spricht in diesem Zusammen-
hang von disruptive technologies und disruptive innovations. Geschäftsleitungen
inklusive Rechts- und Kommunikationsfunktionen sind daher gefordert. Beispiele
dieser digitalen Technologien sind etwa Lexika (Wikipedia), der Inseratenmarkt
(Internetportale), der Briefpostversand (E-Mail), CD und DVD (Musik- und
292 M.W. Gurtner

Videostreaming), lineares Fernsehen und Radio (Video- und Audio-on-Demand),


das Buch und die gedruckte Zeitung (E-Reader und E-Paper), Taxidienste (Uber),
Hotels (Airbnb), kreative Dienstleistungen (Apps, crowd design, crowd funding).
In der ersten Phase traf die Revolution die Anbieter von Inhalten. Doch jede
Branche wird ihre Leistungserbringung mithilfe digitaler Technologie effizienter
gestalten müssen. Virtuelle Zusammenarbeit und digitale Netzwerke verändern
die Arbeitswelt. In der Industrie 4.0 tritt die Selbstorganisation anstelle starrer
Schichtpläne, die Zusammenarbeit von Robotern mit Menschen wird optimiert,
Produktion und Logistik werden digital vernetzt. Menschen arbeiten zunehmend
flexibel, auch von unterwegs oder von zu Hause aus, der fixe Büroplatz wird
zunehmend infrage gestellt. Virtuelle Expertenpools ergänzen das Know-how von
Fachleuten etwa in juristischen oder medizinischen Fachgebieten. Zu praktisch
allen Themen bilden sich im virtuellen Sitzungszimmer Netzwerke für offene und
geschlossene Fachgruppen; das trifft insbesondere auch auf die Legal Operations
zu. Gesetzessammlungen, Grundsatzurteile, Vertragswerke und Expertenwissen
sind heute fast beliebig online zugänglich.

23.4 Ausgewählte Kommunikationsfunktionen

23.4.1 Die Unternehmenspublizität

In der Unternehmenspublizität wird zwischen der Regel- und der Ad-hoc-Publizität


unterschieden. Zur Regelpublizität gehört die periodisch wiederkehrende Bericht-
erstattung. Dazu zählen Geschäfts-, Halbjahres- und Quartalsberichte, Mitteilungen
zur Umsatzentwicklung, Anlässe für die Aktionäre (Generalversammlung), für die
Medien, für Analysten und Investoren sowie für die Mitarbeitenden. Sie ist plan-
bar und die Legal Operations sind ihr kritischer Begleiter sowie Lektor: Die The-
men Corporate Governance und Hauptversammlung der Aktionäre gehören denn
auch zur Verantwortung des Unternehmensjuristen, als Kapitel im Geschäftsbericht
und als Veranstaltung. Zur Ad-hoc-Publizität hingegen gehören alle Mitteilungen,
Information und Anlässe, mit denen aktuellste Entwicklungen im Unternehmen
kommuniziert werden. Sie steht praktisch immer unter Zeitdruck, da sie börsenre-
levante unternehmerische Entscheidungen wie Vertragsabschlüsse, strukturelle und
personelle Veränderungen, Forschungsergebnisse oder Abweichung von Umsatz
respektive Gewinnerwartung ohne Verzug – praktisch mit der Kenntnisnahme
des Managements – zu veröffentlichen hat. Auch hier ist die Zusammenarbeit mit
Legal Counsels und deren Kontrollfunktion trotz Zeitdruck ein Muss. Die Regelpu-
blizität ist eher Pflicht, die Ad-hoc-Publizität eher Kür; wobei bei der Letztgenann-
ten die „Absturzgefahr“ größer ist. Zudem gelten für börsenkotierte Unternehmen
die Regeln der Börsenzulassung, der sogenannten Ad-hoc-Kommunikation, welche
keine Diskriminierung über Zeit, Raum oder Zugehörigkeit zulässt. Werden die
Regeln verletzt, drohen Sanktionen der Börse und etwaige Aktionärsklagen. Die
Rechtsabteilung muss entsprechend ein Auge auf deren Einhaltung haben. Dank
digitaler Logistik können alle Anspruchsgruppen praktisch zeitgleich informiert
23 Außenpositionierung zu Presse und Medien 293

werden. Wichtige Exponenten erwarten aber persönlich eine Einordnung der Cor-
porate News. Mit Gruppenpräsentationen, Gruppenmails und Telefonkonferenzen
ist dies möglich.

23.4.2 Die interne Kommunikation

Die neue Managergeneration mailt, twittert und bloggt. Der Dienstweg wird vom
„digitalen Latrinenweg“ überholt. Das hat Auswirkungen auf die Unternehmens-
kultur und -struktur, denn Zwischenhierarchien werden überflüssig, Widersprüche
treten häufiger zutage und Selbstkontrolle tritt an die Stelle von Fremdkontrolle.
Bürokratisch und hierarchisch ausgerichtete Institutionen haben ihre liebe Mühe
damit. In erfolgreichen Organisationen treten Ziele und Werte an die Stelle von
Befehl und Kontrolle. Permanente Projektarbeit über Abteilungen und Hierarchien
hinweg ergänzt und bestimmt den Alltag. Flexible und mobile Arbeitsinseln lösen
starre Infrastruktur und Büros ab und fördern den gegenseitigen Austausch. Die
Grenze zwischen Arbeit und Privatleben wird unscharf, private und berufliche
Netzwerke überschneiden und vermischen sich. Die Mitarbeitenden nehmen heute
nicht nur ihre Arbeit nach Hause, sondern mit Laptop und Smartphone auch ihr
privates Umfeld mit ins Büro (siehe dazu auch Kap. 43). Und im fortschrittlichen
Betrieb finden sie wieder, was sie privat schon nutzen: Das interne who is who
dient wie LinkedIn oder Xing als Expertenplattform, auf der sich Subgruppen zu
einzelnen Themen austauschen und Arbeitsgruppen konstituieren, das Vorschlags-
wesen online ist eine offene Plattform, der meeting maker mit gegenseitiger
Agenda-Einsicht ist die Regel, das interne Expertenlexikon dient als „Unterneh-
mens-Wiki“, zu dem alle Mitarbeitenden individuell beitragen können.

23.4.3 Führungskommunikation und interne Vernetzung

In der digitalen Welt ersetzen Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu einem


gewissen Grad die vormals so wichtige Kontrolle. Die digitale Kommunikation
verändert darum die Anforderungen an die Führungskompetenzen. Die Nach-
vollziehbarkeit von Entscheidungen ist ebenso wichtig wie der Entscheid selbst,
das Teilhaben an Prozessen ist ebenso wichtig wie das Resultat. Der Vorgesetzte
ist gleichzeitig Dirigent und Coach (siehe dazu auch detailliert Kap. 27) und
wird nicht müde, sich zu erklären und zu überzeugen; sei es digital oder analog,
sei es mit Videobotschaft oder internem Mail, sei es im Einzelgespräch oder im
Plenum, sei es intern oder extern – die Grenzen sind fließend. Neben der Vorge-
setztenrolle sind der Kommunikationsfachmann und der General Counsel aber
auch Fachspezialisten. Beide arbeiten in der Regel selbstständig an Projekten; sind
dabei auf sich selbst gestellt oder leiten ein überschaubares Team. Sie haben daher
eine umfassende funktionale Verantwortung, erhalten ihre Aufträge von internen
Auftraggebern und verstehen sich als Berater, nicht zuletzt der Geschäftsleitung
gegenüber. Sowohl als Vorgesetzte als auch in der interdisziplinären Projektarbeit
294 M.W. Gurtner

sind sie eher Coach denn Chef, kollegialer Ratgeber statt Kontrolleur, Teamplayer
statt Einzelgänger.
Dennoch und gerade darum sind die Inhaber dieser beiden Funktionen gut bera-
ten, messbare Ziele vorzugeben und mit entsprechendem Controlling sicherzustel-
len, dass diese auch erreicht werden. Dazu gehören Konzepte für ein effizientes
und kundenorientiertes Vorgehen, eine formulierte Best Practice, Richtlinien für
die Zusammenarbeit mit externen Spezialisten, Budgets mit klarer Verantwort-
lichkeit. Expertenberatung und Coaching von Linienverantwortlichen erhöhen die
interne Akzeptanz von Public Relations und Legal Operations, werden quasi zur
sichtbaren Visitenkarte beider Bereiche. Auch sollten sich beide mit einem regel-
mäßigen Aus- und Weiterbildungsangebot an exponierte Mitarbeitende im Unter-
nehmen wenden (siehe dazu auch detailliert Kap. 51). Angeboten werden etwa
Auftrittskompetenz, Krisen- und Markenkommunikation oder Arbeitsrecht, Ver-
handlungsführung und Wettbewerbsrecht. Das sind Beispiele für beste interne PR
des Rechtsdienstes und der Unternehmenskommunikation. Hausjuristen und Kom-
munikatoren sind darum didaktisch gefordert, sollten nebst ihrem Fachwissen über
Auftrittskompetenz und didaktisches Geschick verfügen, um sich und ihren Anlie-
gen Gehör zu verschaffen.

23.4.4 Die Investor Relations

Eine der wichtigsten Kommunikationsaufgaben ist die Beziehungspflege zu Akti-


onären und Investoren und deren Erwartungen zu steuern (expectation manage-
ment). Diese wünschen sich möglichst klare quantitative Aussagen bezüglich der
zukünftigen Entwicklung des Unternehmens. Das Management ist in aller Regel
zurückhaltend damit, quantifizierbare Prognosen abzugeben und dadurch das
finanzielle Engagement eines Aktionärs oder Investors direkt zu beeinflussen.
Zumal die Irreführung derselben Klagen nach sich ziehen kann. Wachstumsziele
können aber durchaus kommuniziert werden; nicht als Prognosen, sondern als
Ziele formuliert, mit notwendigen Einschränkungen beziehungsweise dem übli-
chen legal disclaimer. Vertrauen schafft, wer sich an seinen Vorgaben und Ver-
sprechen messen lässt. Tell us what you are going to do, do it, tell us what you
did ist ein von Finanzanalysten erwünschtes und viel zitiertes Vorgehen. Investo-
ren prüfen in der Regel drei Schlüsselfragen: Stimmt die Branche, wächst sie im
Vergleich zu anderen Branchen überdurchschnittlich? Stimmt die Strategie, um in
dieser Branche besser als die Konkurrenz abzuschneiden? Ist dem CEO und der
Geschäftsleitung zuzutrauen, diese Strategie tatsächlich erfolgreich umsetzten?
Die Anleihen- und Aktienmärkte verfügen über sogenannte gate keeper:
Buchprüfungsgesellschaften, Finanzanalysten und Rating Agenturen. Die rating
agencies verleihen Gütesiegel, die den Investor über Bonität und Aussichten des
Unternehmens und seiner Anleihen aufklären sollen. In der Subprime-Krise von
2008 haben sie die Investoren mit ihren Ratings jedoch fehlgeleitet und damit die
weltweite Finanzkrise mitverschuldet. Bei den Analysten gibt es zwei Kategorien:
jene, die für einen Fonds oder eine Pensionskasse (buy side) arbeiten, und jene, die
23 Außenpositionierung zu Presse und Medien 295

für Finanzinstitute (sell side) arbeiten. Letztere publizieren regelmäßig Empfeh-


lungen für Aktienkäufe. Ihre Empfehlung fällen sie in etwa so unabhängig wie der
Weinspezialist, der die Weine des eigenen Hauses beurteilt. Aber auch die Buch-
prüfer haben ihre Unschuld verloren. Zu lange verdienten sie mehr Geld mit Bera-
tungsmandaten als mit der eigentlichen Buchprüfung – ein Schelm, der daraus
schließt, dass diese finanzielle Abhängigkeit eine neutrale Beurteilung erschweren
würde. Darüber hinaus hat in der Branche eine Konsolidierung unter den globalen
Anbietern stattgefunden, sodass internationale Konzerne wenig Auswahl haben.
Public Relations, Legal Operations und insbesondere die Geschäftsleitung sind
darum gut beraten, nicht zu sehr in die Abhängigkeit von Buchprüfungsgesell-
schaften, Finanzanalysten und Rating Agenturen zu geraten.

23.4.5 Wichtige Fragen im Zusammenhang mit der


Medienarbeit

Medien entscheiden täglich, worüber sie berichten, was für ihr Zielpublikum rele-
vant sein soll. Was für das Publikum relevant ist, entspricht nicht unbedingt sei-
ner Vorliebe. Für die Publikumsgunst gibt es zuverlässige Messlatten wie Quote
und Auflage, die sich kapitalisieren lassen. Der Relevanz hingegen fehlt es an einer
Maßeinheit und einer entsprechenden Währung. Medien unterscheiden sich wei-
ter darin, wie sie über ein Thema berichten. Idealerweise bieten sie Orientierung,
indem sie Information überprüfen und filtern, Hintergründe recherchieren und
Zusammenhänge darstellen. Das führt zu einigen – auch für die Legal Operations –
wichtigen Fragen:

• Welche Rechte haben wir gegenüber den Medien? Sollen wir eine Veröffentli-
chung verzögern oder verhindern? Meine Antwort: Ja, aber nur, wenn wir die
dadurch gewonnene Zeit auch sinnvoll nutzen.
• Eine Gegendarstellung veranlassen? Ja, aber wir sollten uns von deren Wirkung
nicht allzu viel versprechen. Sie ist lediglich eine archivierte Barriere gegen
weiteres kritikloses Abschreiben ohne Rückfrage.
• Eine unabhängige Beschwerdeinstanz anrufen? Ja, interessiert daran sind pri-
mär Wissenschaft und Lehre, die Wirkung auf die öffentliche Wahrnehmung
kann vernachlässigt werden.
• Eine Klage wegen Persönlichkeitsverletzung anstrengen? Für eine Privatper-
son ist dies durchaus eine Option; für Unternehmen in der Regel jedoch kein
taugliches Mittel, da deren Schutz nur über den Umweg des unlauteren Wettbe-
werbs oder konkreter Schäden (beispielsweise bei Umsatz oder Image) und den
jeweiligen Kausalzusammenhang einklagbar ist. Vor allem bleibt die negative
Geschichte aber über Monate, wenn nicht Jahre in den Schlagzeilen mit ent-
sprechend negativen Auswirkungen; und genau diese gilt es zu vermeiden.
296 M.W. Gurtner

23.4.6 Indiskretionen und Whistleblowing

Indiskretionen sind in Politik und Wirtschaft an der Tagesordnung. Die Medien


bekommen brisanten Stoff in der Regel frei Haus geliefert, die Recherchen der
Journalisten beschränken sich dann noch auf das Abklären der Zuverlässigkeit der
Quelle und der Plausibilität des Inhalts. Die Medien werden vom Gesetzgeber
geschützt, können sich auf das Zeugenverweigerungsrecht (Deutschland) respek-
tive den Quellenschutz (Schweiz) berufen, solange es nicht um schwere, straf-
rechtlich relevante Delikte geht. Der Europäische Gerichtshof3 stützt diese
Regelungen als Voraussetzung für eine funktionierende Presse in einem demokra-
tischen Rechtsstaat, obwohl das sogenannte whistleblowing in der Regel arbeits-
rechtliche Bestimmungen beziehungsweise Amtsgeheimnisse verletzt. Man sollte
daher immer davon ausgehen, dass alles Vertrauliche an die Öffentlichkeit gezerrt
werden kann. Zu jeder geheimen Akte gehört darum ein Plan der optionalen akti-
ven Veröffentlichung. Und wem daran liegt, Missstände zu beseitigen, der schützt
interne Informanten und garantiert ihnen Anonymität und Nichtdiskriminierung,
solange ihre Kritik intern angebracht wird und intern bleibt. In heiklen Informati-
onslagen, etwa bei M&A-Transaktionen oder anderen börsenrelevanten Vorgängen
(siehe dazu detailliert Kap. 49), werden Dokumente als vertraulich deklariert, Ver-
traulichkeitsbescheinigungen unterschrieben und Insiderlisten geführt. Diese von
Unternehmensjuristen empfohlenen Maßnahmen sind aber keine absolute Garantie
für Vertraulichkeit. Sie demonstrieren einzig, dass das Management alles unter-
nommen hat, diese zu wahren. Gerade in Zeiten der digitalen Kommunikation
sollte Vertrauliches aber wieder vermehrt mündlich verhandelt und vereinbart wer-
den.

23.4.7 Die Medien als Richter

Neben den drei Gewalten Executive, Legislative und Judikative hat sich eine vierte
etabliert – die der Medien. Diese verweisen bei jeder sich bietenden Gelegenheit
auf ihre unverzichtbare Funktion in einer Demokratie. Doch für das Funktionieren
einer Demokratie ist die Gewaltentrennung eine Grundvoraussetzung. Medien sol-
len informieren und Orientierung schaffen, auch infrage stellen. Es ist aber nicht
ihre Aufgabe, zu richten. Der Imperativ der Gewaltentrennung gilt auch für die
sensationslustige Vorverurteilung von Institutionen, Unternehmen und Privaten,
für die Instrumentalisierung von Medien vor und während laufenden Rechtsver-
fahren.
Anwälte bedienen sich zur Erreichung ihrer Ziele zunehmend der Mobi-
lisierung der öffentlichen Wahrnehmung. Nicht nur in den USA betreiben
Anwaltsbüros Werbung, um möglichst viele Kläger für lukrative Sammelkla-
gen zu akquirieren. Karrieresüchtige Staatsanwälte informieren die Medien vor

3Kley (2000, S. 14–15).


23 Außenpositionierung zu Presse und Medien 297

Festnahmen, um ihrer politischen Karriere Schub zu verleihen. So war zum Bei-


spiel die mediale Inszenierung der Verhaftung von Dominique Strauss-Kahn in
New York (2001) oder die Präsenz der New York Times im Baur au Lac in Zürich
bei der Verhaftung von FIFA-Offiziellen (2015) kein Zufall. Das US-Justizminis-
terium ist es ebenfalls gewohnt, öffentlichen Druck auszuüben. In Anlehnung an
den Walk of Fame spricht man in diesem Zusammenhang vom Walk of Shame. Die
heftigen und systematischen Medienkampagnen gegen den deutschen Bundes-
präsidenten Wulff (2012) oder gegen den Wetterdienstunternehmer Kachelmann
(2010) führten zu deren abruptem Karriereende. Beide wurden vor Gericht frei-
gesprochen, doch der richterliche Freispruch war für die Medien lediglich noch
eine Randnotiz wert. Auch einfache Privatpersonen können in die Schlagzei-
len der Medien oder in den Sog sozialer Netzwerke geraten. Ohne professionel-
len Beistand stehen Ruf und Existenz auf dem Spiel. Es wäre meines Erachtens
daher Aufgabe der Medien, der PR-Branche und der milliardenschweren Betrei-
ber von Internetportalen, über eine gemeinsame Stiftung für eine unentgeltliche
Kommunikationsberatung zu sorgen und damit Privatpersonen, zunehmend auch
Jugendliche, in Härtefällen zu unterstützen. Die im Strafrecht verankerte Pflichtan-
waltschaft ist dafür eine wegweisende Einrichtung.

23.5 Krisenmanagement und Krisenkommunikation

23.5.1 Krisenprävention

Die Weichen für ein effizientes Krisenmanagement werden bereits vor der Krise
gestellt; eine gute Vorbereitung ist die „halbe Miete“. Digitale Erreichbarkeitslis-
ten helfen bei der Alarmierung, denn Krisen halten sich weder an Feiertage noch
an Bürozeiten. Auf diese Liste gehören auch key people in diversen Anspruchs-
gruppen, wie beispielsweise den Medien, Aktionären oder Behörden. Zur optima-
len Vorbereitung gehört ebenfalls ein Krisenstab mit klaren Verantwortlichkeiten,
der sich regelmäßig trifft und anhand realistischer Szenarien oder aktueller Krisen
übt, wie er handeln und kommunizieren würde, wäre er selbst betroffen. In diesen
Krisenstab gehören in jedem Fall ein Vertreter der PR und der Legal Operations.
Von aktuellen Case Studys lässt sich lernen und best practice ableiten, beispiels-
wiese für den Produkterückzug oder für Arbeitskonflikte, für Übernahmen oder
Zusammenschlüsse, für Liquiditätsengpässe oder strafrechtlich relevantes Ver-
halten von Mitarbeitenden. Geregelt werden muss, wer welche Anspruchsgruppe
informiert und deren Feedback einholt. Gerade in der Krise ist echter Dialog
gefragt und vertrauensbildend. Nicht die „veröffentlichte“ Meinung ist ausschlag-
gebend, sondern die „öffentliche“. Zudem ist nicht die gesamte Öffentlichkeit
wichtig, sondern die repräsentative Meinung wichtiger Exponenten unter den Mit-
arbeitenden, Kunden, Aktionären etc. Zur Prävention gehören auch eine Ausbil-
dung in Auftrittskompetenz und Medientraining. Unter Stress zu kommunizieren
braucht ein stabiles Nervenkostüm. Flatternervige und Selbstdarsteller sollte man
vorher erkennen und aussortieren.
298 M.W. Gurtner

23.5.2 Nichts als die Wahrheit

Im Unternehmensalltag, vor allem aber in der Krise, gibt es immer mehrere Wahr-
heiten. Für den CEO ist wahr, was ihm zur Zielerreichung hilft. Ein CEO darf
sich nicht von Störmanövern irritieren und ablenken lassen. In der Krise behält
er sein Ziel im Auge, ist allenfalls bereit, seine Strategie anzupassen, aber nicht
das Ziel. Für den General Counsel ist wahr, was dem Unternehmen nicht Scha-
den zufügen kann. Vor der Krise ist er ein zuverlässiger Warner, in der Krise ist er
hingegen gegen Transparenz, denn alles, was kommuniziert wird, kann rechtlich
gegen das Unternehmen verwendet werden. Sein Maßstab besteht aus Recht und
Gesetz, nicht aus Moral oder Wahrnehmung. Im Gegensatz dazu ist für den Kom-
munikationsverantwortlichen wahr, was der öffentlichen Wahrnehmung entspricht:
perception is reality. Seine Aufgabe besteht darin, Vertrauen und Image zu erhal-
ten. Es ist seine Aufgabe, vor der Krise Warnsignale zu erkennen, zu bewerten
und zu verdichten. Während der Krise will er wissensgemäß und wahrnehmungs-
orientiert kommunizieren. Sein Maßstab ist die Wahrnehmung der verschiedenen
Anspruchsgruppen und sein Ziel ist es, das Vertrauen zu erhalten. Im Dreieck der
drei beschriebenen Wahrheiten wird in der Krise um Entscheide gerungen. Nur
in einem sollten sich die drei Exponenten nicht widersprechen: Wer in die Krise
gerät, muss so schnell wie möglich wieder raus. Dieser Imperativ setzt Vorberei-
tung, schnelles Handeln und Kommunizieren voraus.

23.5.3 Worte und Taten

Krisenmanagement und Krisenkommunikation sind voneinander abhängig. Nur


mit Worten lässt sich die Krise nicht beheben, mit Taten alleine lässt sich kein
Vertrauen herstellen. Zur Frage, wann kommuniziert werden soll, gibt es nur
eine Antwort: sofort und permanent. Nur wer schnell kommuniziert, gewinnt die
Deutungshoheit. Nur wer regelmäßig informiert, wird zum Taktgeber und hält
Vertrauen aufrecht. Je schneller juristisch, finanziell, strukturell und personell
Konsequenzen in einer Krise gezogen werden, desto eher kann ein Unternehmen
wieder nach vorne blicken. Die Öffentlichkeit erwartet konkrete Taten und klare
Worte. Der Unternehmensjurist und der Kommunikator sollten daher in der Krise
zu realem Handeln auffordern. Dabei sind folgende Erfahrungen hilfreich:

• Wer nachvollziehbar Transparenz herstellt, Verantwortung übernimmt und


zügig Maßnahmen zur Schadensbegrenzung ergreift, hat Chancen, Imagescha-
den abzuwenden.
• Wer die Themenführerschaft beansprucht und zum Taktgeber in der öffentli-
chen Diskussion wird, findet mediales und öffentliches Gehör. Salamitaktik,
nur zu kommunizieren, was die Öffentlichkeit bereits durch andere erfahren
hat, ist nicht zielführend.
• Internes Wissen ist externes Wissen. In jedem Unternehmen, vom KMU bis
zum Konzern, gibt es Eingeweihte, die ihr Wissen aus Unzufriedenheit oder
23 Außenpositionierung zu Presse und Medien 299

Opportunismus den Medien oder Behörden andienen und damit eine Krise
begründen, ausweiten und verschärfen können.
• Wo das involvierte Management nicht aktiv kommuniziert oder keinen Hand-
lungsbedarf sieht, muss der Aufsichtsrat den Krisenstab mandatieren. Gemäß
good corporate governance ist dieser für das betriebliche Kontinuitätsmanage-
ment (business continuity) verantwortlich.
• Wer eigene Aussagen korrigieren muss, hat verloren. Jedes Dementi hinterlässt
deutliche Spuren, so wie der Senf, der sich – einmal rausgerückt – nicht mehr
in die Tube zurückbefördern lässt.
• Das Prozessrisiko ist immer ein noch größeres Image-Risiko. Gerichtliche Aus-
einandersetzungen verbreiten die negative Geschichte und halten sie am Leben,
häufig über Jahre. Die öffentliche Wahrnehmung kennt auch eine moralische
Verantwortung über Recht und Gesetz hinaus.
• In der Krise geht der Alltag weiter, darf das eigentliche Geschäft nicht ver-
nachlässigt werden. Die Konkurrenz nützt die Krise, analysiert Schwächen und
profitiert davon. Darum muss dem operativen Management der Rücken freige-
halten, das Krisenmanagement klar davon getrennt werden.

23.6 Public Relations durch Kampagnen

Campaigning ist die Methode, mit Intervention und Kommunikation möglichst


effizient ein klar definiertes Ziel zu erreichen. Mit Hilfe von campaigning können
Menschen mobilisiert und ihre Entscheidungen beeinflusst werden. Kampagnen
gab es schon immer, insbesondere in der Politik und in der Werbung. Das Konzept
wurde von Non-Governmental Organizations (NGO) weiter entwickelt, um mit
begrenzten Ressourcen eine möglichst große Wirkung zu erzielen. Die digitalen
Möglichkeiten und sozialen Netzwerke verleihen dem campaigning neuen Schub,
weil dadurch nicht bloß Mitglieder oder Kunden gewonnen werden, sondern enga-
gierte Mitstreiter und Botschafter, deren Einbezug in die Kampagne der Schlüs-
sel zum Erfolg ist. Beispiele dafür sind etwa die Wahlkampfmethoden von Barak
Obama, die ohne Aktivisten und Freiwillige undenkbar waren. Ausgangspunkt für
campaigning ist in der Regel eine Handlung beziehungsweise Intervention, wie
dies die Aktionen von Greenpeace gut illustrieren: Die Bilder von Aktivisten in
Schlauchbooten inmitten einer übermächtigen Wahlfischfangflotte oder in stürmi-
scher See vor gigantischen Ölpattformen haben sich in unser Gedächtnis einge-
graben. Die Unternehmenskommunikation kann vom Campaigning einiges lernen.
Zum Beispiel, dass wir messbare Ziele setzten und diese akribisch verfolgen, dass
Intervention und Kommunikation zusammen gehören und erst dadurch Wirkung
erzeugt werden kann, dass Mitarbeitende und Kunden die Marke beleben, wenn
sie enger an sie gebunden werden können, und dass trotz knapper Ressourcen mit
mehr Kreativität und Effizienz Erfolge erzielt werden.
300 M.W. Gurtner

23.7 Die Marke lebt über Kommunikation

Marken sind Vorstellungsbilder in den Köpfen von Menschen, emotionale Projek-


tionsfläche für Erwartungen und Lebensstil, die Zugehörigkeit und Abgrenzung
ermöglichen. Sie schützen vor Nachahmung, differenzieren von Mitbewerbern
und dienen der Kundenbindung. Bild und Wortmarken sind Symbole, die Waren
und Dienstleistungen identifizieren und gegenüber der Konkurrenz unterschei-
den. Sie müssen eingeordnet (Markenfamilie), gepflegt (Markenentwicklung)
und geschützt werden (Markenschutz). Marken sind ein komprimierter Code, mit
dem Nutzen, Wert und Eigenschaften von Produkten und Dienstleistungen ver-
mittelt werden (Markenkommunikation). Der Rechtsdienst wird in der Regel für
die Markenregistrierung oder bei einer Markenverletzung involviert. Die Unter-
nehmenskommunikation hilft bei der Formulierung von Visionen, Leitbildern und
Strategien als Voraussetzungen für die Markenidentität, verantwortet das Corpo-
rate Design (CD) und das CD-Manual für den analogen und digitalen Auftritt.
Die Integrale Markenführung ist Disziplinen-übergreifend4, beginnt mit der
Bestandsaufnahme aller Marken (Markenregister), setzt sie in eine Beziehung
zueinander (Markenfamilie) und formuliert dazu Ziele und Struktur (Markenstra-
tegie und Markenarchitektur). Die Merkmale einer Marke werden formuliert
(Markenstatuten) und deren Einhaltung kontrolliert (Markencontrolling).
Marken erzählen Geschichten; mit aktivem Story Telling in Kommunikation
und Werbung, mit Claims (Kurzform des Markenversprechens), kann die Marke
erneuert und weiter entwickelt werden. Die Kundenbindung (Markenloyalität)
ist ein zentrales Anliegen jeder Marke, die digitale Kundenerfassung ermöglicht
sowohl die emotionale (Klub-Modell), als auch die ökonomische Anbindung
(Rabatt-Modell).
Vor allem die Mitarbeitenden machen Marken zum Erlebnis, sei es an der
Verkaufsfront, an der Hotline oder im Kundenservice. Das Verhalten der Mitar-
beitenden (Behaviour Branding) ist für die erfolgreiche Markenführung ausschlag-
gebend. Markenidentifikation muss eins zu eins gelebt und erlebbar werden. In der
Marke kulminiert vieles, was wir über erfolgreiche Kommunikation wissen: Die
Markenerwartung muss realistisch sein, denn Werbeversprechen sind ein Bume­
rang, müssen mit der Qualität des Produkts und des Services übereinstimmen. Mit
Authentizität, das heißt gelebtem und erlebbarem Markenwert, wird das Vertrauen
erworben, auf dem die Loyalität von Kunden basiert.

Literatur
Kley A (2000) Die Medien im neuen Verfassungsrecht. In: Zimmerli U (Hrsg) Die neue Bundes-
verfassung – Konsequenzen für die Praxis und Wissenschaft. Stämpfli, Bern
Schneider M, Kahn DM, Zenhäusern M, Häring W (2003) Integrale Markenführung – 14 Grund-
sätze, wie Markenwert geschaffen, geschützt, berechnet und vermehrt wird. Haupt, Bern

4Vgl. Schneider et al. (2003, S. 231 ff.).


23 Außenpositionierung zu Presse und Medien 301

Watzlawick P (2003) Wie wirklich ist die Wirklichkeit. Wahn, Täuschung, Verstehen. Sonderaus-
gabe, Piper, München

Über den Autor


Max W. Gurtner – Kommunikationsexperte, Vizepräsident Stiftung „Pro Zukunftsfonds
Schweiz“, Basel
Volkswirt Universität St.Gallen (lic. oec. HSG). 1980 Leiter PR und Verlag Gottlieb Duttwei-
ler-Institut (GDI); 1986 Pressechef der F. Hoffmann- La Roche AG; 1990 Leiter Corporate Com-
munications und Senior VP Investor Relations der Roche Gruppe; 2002 Leiter Medien und PR
der Zurich Insurance Group (vormals ZFS); 2002 selbstständiger Berater für Börsengänge und
Jungunternehmen; 2005 bis 2011 Leiter Unternehmenskommunikation der Schweizerischen
Radio-und Fernsehgesellschaft (SRG SSR); über Jahrzehnte Dozent für Finanzkommunikation
und Krisenmanagement an verschiedenen Hochschulen.
Außenpositionierung zur
Öffentlichen Verwaltung 24
Daniel Egli

24.1 Einleitende Überlegungen

Der Kontakt zu Behörden und die Einhaltung von Bestimmungen des öffentlichen
Rechts haben auch für Unternehmen der Privatwirtschaft große Bedeutung. Für
viele Vorhaben sind staatliche Bewilligungen nötig und der Staat kann auch –
etwa bei der Vergabe von umfangreichen Infrastrukturprojekten – ein bedeutender
Kunde, respektive Auftraggeber sein. Wichtig für ein besseres Verständnis und
eine problemlose Zusammenarbeit mit Behörden ist das Bewusstsein der grund-
sätzlich verschiedenen Interessenlage und rechtlichen Rahmenbedingungen im
Vergleich zur Privatwirtschaft.
Ziel der Behörden ist nicht die Erwirtschaftung von Gewinn, sondern die
rechtsstaatlich korrekte Abwicklung der hängigen Verfahren. Ganz zentral ist
dabei das Legalitäts- oder Gesetzmäßigkeitsprinzip. Es besagt, dass sich das
gesamte Verwaltungshandeln an den gesetzlichen Grundlagen auszurichten hat.
Wo es an gesetzlichen Grundlagen fehlt, ist der Behörde untersagt, Rechte oder
Pflichten von Privaten zu gestalten. Dies schränkt die Handlungsfreiheit der
Behörde im Vergleich zu einem Unternehmen der Privatwirtschaft natürlich mas-
siv ein: Vielfach darf die Behörde nicht, obwohl sie gerne wollte. Eine gewisse
Inflexibilität beim Kontakt mit Behörden ist deshalb oft nicht auf mangelnde
Dienstleistungsorientierung oder Hilfsbereitschaft zurückzuführen, sondern auf
die rechtlichen Rahmenbedingungen, die die Behörden einzuhalten und über deren
Einhaltung sie zu wachen haben. Der Fokus der Behörden liegt deshalb klar auf
der Einhaltung und Durchsetzung der einschlägigen Bestimmungen. Dies muss
der Legal Counsel in der Privatwirtschaft immer im Auge behalten und sich wäh-
rend der Aus- und Weiterbildung der nicht juristisch geschulten Mitarbeitenden

D. Egli (*)
Stadt Winterthur, Winterthur, Schweiz

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 303


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_24
304 D. Egli

immer wieder in Erinnerung rufen. Nachfolgend sollen in diesem Beitrag die


wichtigsten Berührungspunkte zwischen Legal Counsel und den Mitarbeitenden
von Behörden näher beleuchtet werden: Das Bewilligungswesen, die Vergabe
von öffentlichen Aufträgen und die Korruptionsbekämpfung. Die wichtigsten
Regeln für den Umgang mit Behörden werden dabei anhand von Beispielen auf
allen Staatsebenen, von Bund, Kanton und Gemeinden dargestellt. Zudem werden
jeweils praktische Empfehlungen zum Kontakt mit Behörden gegeben.

24.2 Begrifflichkeit: Beamte, Behörden und Verwaltung

In Deutschland ist eine Behörde gemäß § 1 Abs. 4 Verwaltungsverfahrensgesetz1


jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. In der Schweiz
wird der Begriff oft in einem engeren Sinne verstanden. Als Behörden werden hier
vor allem vom Volk oder Parlament gewählte, aus mehreren Personen zusammen-
gesetzte Gremien (sogenannte Kollegialbehörden) mit Entscheidungskompetenz
bezeichnet (Regierungsrat, Stadtrat, Sozialhilfebehörde etc.); dies im Unterschied
zu einzelnen, subalternen Verwaltungsmitarbeitenden. Im öffentlichen Personal-
recht wurde diesbezüglich früher zwischen Beamten, die auf Amtsdauer gewählt
wurden, und Staatsangestellten, deren Arbeitsverhältnis kündbar war, unterschie-
den. Die meisten modernen Personalgesetze kennen den „Beamtenstatus“ heute
jedoch nicht mehr. Im Regelfall existieren nur noch Anstellungsverhältnisse mit
Kündigungsmöglichkeit. Umgangssprachlich wird aber auch heute noch oft von
Beamten gesprochen, wenn Staatsangestellte gemeint sind. Für die Gesamtheit der
Verwaltungsorgane wird zudem oft auch einfach der Begriff „Verwaltung“ ver-
wendet. Nachfolgend wird der Begriff „Behörden“ in einem weiten Sinn
gebraucht und umfasst die gesamte staatliche Verwaltung von einzelnen Beamten
oder Staatsangestellten bis zu übergeordneten Entscheidungsgremien, da eine
Unterscheidung für die Fragen des Legal Operations Managements nicht von
Bedeutung ist.
Insgesamt kann gesagt werden, dass das Verhältnis zwischen Behörden und
privaten Unternehmen in der Schweiz – im Vergleich mit dem Ausland – grund-
sätzlich gut ist. Dies begründet sich mit der föderalistischen Struktur, der damit
zusammenhängenden größeren Bürgernähe und der direktdemokratischen Kont-
rolle durch die Bevölkerung. Während im Ausland eine oft schwerfällige Verwal-
tung eine große Übermacht hat und auch entsprechend auftritt – man denke nur an
die deutsche Steuerfahndung –, begegnet man sich in der Schweiz auf Augenhöhe.
Als Beispiel sei das weit verbreitete Institut des (kostenlosen) Einspracheverfah-
rens erwähnt: Bei diesem kann der Betroffene, wenn er mit einer Verfügung nicht
einverstanden ist, die Sach- und Rechtslage mit dem zuständigen Sachbearbeiter
der Behörde nochmals von Grund auf erörtern, ohne gleich ein kostenpflichtiges

1(Deutsches) Verwaltungsverfahrensgesetz vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), das zuletzt
durch Gesetz vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2010) geändert worden ist.
24 Außenpositionierung zur Öffentlichen Verwaltung 305

Rechtsmittel an eine höhere Instanz ergreifen zu müssen, wofür in der Regel der
Beizug eines externen Rechtsanwaltes nötig ist. Aber selbstverständlich gibt es
auch in der Schweiz Verbesserungspotenzial. Durch Empathie, durch Verständnis
für die Interessenlage der anderen Seite und das Einhalten der gegebenen Regeln
kann das Verhältnis zwischen Unternehmen und Behörden weiter verbessert wer-
den (siehe dazu auch Kap. 5).

24.3 Bewilligungswesen

Ein konfliktträchtiger Bereich im Kontakt zwischen Unternehmen und Behörden


ist das Bewilligungs- und Kontrollwesen (Baubewilligungen, Produktesicherheit,
Arbeitsbestimmungen etc.). Im Unterschied zur Korruptionsbekämpfung (siehe
dazu detailliert Abschn. 24.7), wo durchaus übereinstimmende Interessen zwi-
schen Behörden und Unternehmensjuristen bestehen, ist hier die Interessenlage
häufig unterschiedlich. Vonseiten der Unternehmen wird oft die lange Verfahrens-
dauer beklagt. Zudem werden die als formalistisch empfundenen Anforderungen
bei Gesuchen und Eingaben kritisiert. Demgegenüber werden von Behördenseite
immer wieder die ungenügenden, das heißt nicht den gesetzlichen Anforderungen
entsprechenden Eingaben beanstandet.
Ein zentraler Punkt für das Verständnis der Behördenarbeit ist der Grundsatz
der Gesetzmäßigkeit, das sogenannte Legalitätsprinzip. Es besagt, dass sich die
Behörden bei all ihrer Tätigkeit auf eine gesetzliche Grundlage stützen müssen
und an diese gebunden sind. Jegliches Verwaltungshandeln ist nur gestützt auf ein
Gesetz zulässig. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zur Privatwirtschaft und
schränkt die Flexibilität der Behörden deutlich ein. Die Normdichte und der Grad
der Bindung an den Rechtssatz können dabei durchaus unterschiedlich sein. In
einigen Bereichen ist das Rechtsverhältnis von Unternehmung und Behörde durch
Verwaltungsrechtssätze detailliert und abschließend geregelt: Fristen, Verfah-
rensabläufe, Steuern, Gebühren, Straßenverkehr, Straftatbestände etc. In anderen
Bereichen wird den Behörden durch die Rechtsnorm Ermessen eingeräumt und sie
haben dann die Wahl zwischen verschiedenen Lösungen: Zum Beispiel dort, wo
der Gesetzgeber „Kann“-Vorschriften erlassen hat oder auf die Verhältnismäßig-
keit verweist (Baurecht, bei Staatsbeiträgen, Subventionen etc.).
Dieser unterschiedliche Spielraum der Behörden ist für Außenstehende oft nur
schwer verständlich. Insbesondere haben nicht-juristisch gebildete Mitarbeitende
aus der Privatwirtschaft Mühe zu verstehen, dass Fristen streng gehandhabt wer-
den und das Verpassen einer Frist in der Regel einen nicht wieder gutzumachenden
Rechtsverlust zur Folge hat. Umso mehr auf Unverständnis stößt es dann, wenn
Entscheide der Behörden lange auf sich warten lassen. Dies liegt jedoch meis-
tens nicht an der mangelnden Leistungsbereitschaft der Behörden, sondern an der
zunehmenden Arbeitsbelastung aufgrund des Spardrucks in der Verwaltung. Dem-
gegenüber stört es die Behördenmitarbeitenden, wenn trotz entsprechendem Hin-
weis die geforderten Unterlagen nicht eingereicht werden und sie nochmals oder
gar mehrmals nachfragen müssen.
306 D. Egli

Ein klarer Schwachpunkt im Verhältnis zwischen Unternehmen und Behörden


ist die fehlende Kenntnis der einschlägigen Bestimmungen durch den Legal Coun-
sel des Unternehmens. Leider wird von öffentlicher Seite noch zu wenig dage-
gen getan. Selbst in abschließenden Verfügungen fehlt manchmal die Angabe der
entscheidenden Rechtsgrundlagen. Wertvoller wäre es noch, wenn diese bereits
in einem früheren Verfahrensstadium bekannt gegeben würden. Auch für juris-
tisch ausgebildete Fach- oder Führungspersonen im Bereich des Legal Operations
Management ist es nicht möglich, alle einschlägigen Bestimmungen im weit ver-
zweigten Feld des öffentlichen Rechts zu kennen. Viele Behörden verfügen jedoch
heute über Merkblätter, die Auskunft über die relevanten Rechte und Pflichten
geben. Wenn diese nicht automatisch zugänglich gemacht werden, empfiehlt es
sich, frühzeitig bei den Behörden nachzufragen und um die Bekanntgabe der ein-
schlägigen Bestimmungen zu ersuchen. Dies führt zur Versachlichung der Diskus-
sion und zur Beschleunigung des Verfahrens.
Wenn dies alles nichts nützt, sollte man als Legal Counsel nicht davor zurück-
schrecken, die entsprechenden Rechtsmittel zu ergreifen. Die Schweiz verfügt
über ein gut ausgebautes Rechtsmittelsystem mit unabhängigen Oberinstanzen und
auch die Verfahrensdauer sollte nicht von der Ergreifung von Rechtsmitteln
abschrecken. Der Verwaltungsrechtsweg sieht relativ schnelle Verfahren vor. So
erledigt das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich zum Beispiel über drei Viertel
aller Verfahren innerhalb von sechs Monaten. Mehr als ein Drittel der Verfahren
werden sogar innerhalb von drei Monaten erledigt.2

24.4 Praktische Empfehlungen zum Kontakt mit Behörden


im Bewilligungswesen

• Bewusstsein um unterschiedliche Interessenlage: Wie bereits mehrfach


erwähnt, hilft es für das Verständnis, wenn die Mitarbeitenden sehen, dass die
Behörden nicht einfach stur sind, sondern eben an ein gewisses rechtliches Kor-
sett gebunden sind.
• Bekanntgabe der gesetzlichen Grundlage verlangen: Falls dies nicht auto-
matisch erfolgt, muss immer darauf gedrängt werden, dass die relevanten
Rechtsgrundlagen bekannt gegeben werden. Die unternehmensinternen Mit-
arbeitenden sind im Rahmen rechtlicher Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen
immer wieder darauf hinzuweisen, dass sie einen Anspruch darauf haben.
Dadurch können Fehler und damit viel Zeit und Aufwand gespart werden.
• Merkblätter, Wegleitungen verlangen: Zunächst empfiehlt es sich natürlich,
die öffentlich zugänglichen Informationsquellen, insbesondere die Internetseiten
der Behörden zu konsultieren. Wenn die nötigen Informationen dort nicht erhält-
lich sind oder für die konkrete Frage nicht genügen, soll ohne Zurückhaltung bei

2Rechenschaftsbericht 2013 des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich an den Kantonsrat,


S. 23 ff., 29.
24 Außenpositionierung zur Öffentlichen Verwaltung 307

den Behörden nachgefragt werden. Die Bekanntgabe der relevanten Bestimmun-


gen gehört zum Service Public.
• Geforderte Angaben und Dokumente einreichen: Sind bestimmte Angaben
oder Dokumente verlangt, so sind diese immer vollständig einzureichen. Dass
diese verlangt werden, hat einen Grund: Fehlen sie der Behörde, führt dies zu
Rückfragen und Verzögerungen.
• Einhaltung von Eingabefristen sicherstellen: Werden gesetzte Fristen nicht
eingehalten, droht eventuell ein Rechtsverlust. Verpasste Fristen können oft
nicht mehr nachgeholt werden.
• Bei zu langer Verfahrensdauer nach Stand fragen, Termine für Entscheide
vereinbaren: Dauern Verfahren nach Ihrer Auffassung zu lang, kann dies ver-
schiedene Ursachen haben. Sie dürfen in einem solchen Fall (höflich) nachfra-
gen. Oft ist die Behörde einfach überlastet. Dies ist zwar keine Entschuldigung,
der Legal Counsel kann dadurch aber manchmal im Unklaren über die Verfah-
rensdauer gelassen werden. Sie sollten die Behörde dann dazu veranlassen,
wenigstens konkrete Termine für den nächsten Entscheid oder den Verfahrens-
schritt zu nennen, worauf Sie diese dann auch behaften können.
• Rechtsmittel ergreifen: Wenn alles nichts nützt: Anfechtbare Verfügung ver-
langen, Rechtsmittel ergreifen, Rechtsverzögerungsbeschwerde, Aufsichtsbe-
schwerde androhen und eventuell ergreifen. Die Schweiz verfügt über ein gut
ausgebautes Rechtssystem mit Überprüfung durch unabhängige Instanzen.
Ergibt sich eine Lösung, können die Rechtsmittel immer noch (in der Regel
ohne Kostenfolgen) zurückgezogen werden.

24.5 Vergabe von öffentlichen Aufträgen

Submissionen sind eine der wichtigsten wirtschaftlichen Schnittstellen zwischen


Privatwirtschaft und Öffentlicher Verwaltung. Das Submissionsrecht zeichnet sich
dabei durch ein detailliert geregeltes, strenges Verfahrensrecht aus. Dieses kann
hier nicht umfassend dargestellt werden. Dazu wird auf die einschlägigen Publika-
tionen verwiesen. Nachfolgend sollen aber beispielhaft einige Punkte herausge-
griffen werden, um das Verständnis für diesen wichtigen Bereich auf Seiten Legal
Counsel und Geschäftsführung zu schärfen. Durch das erwähnte detaillierte Ver-
fahrensrecht, das auf den ersten Blick sehr formalistisch daher kommt, sollen fol-
gende Ziele erreicht werden (Art. 1 Abs. 3 IVöB3):

a) Förderung des wirksamen Wettbewerbs unter den Anbieterinnen und Anbietern,


b) Gewährleistung der Gleichbehandlung aller Anbieterinnen und Anbieter sowie
einer unparteiischen Vergabe,
c) Sicherstellung der Transparenz der Vergabeverfahren,
d) wirtschaftliche Verwendung öffentlicher Mittel.

3Interkantonale
Vereinbarung vom 25. November 1994/15. März 2001 über das öffentliche
Beschaffungswesen (IVöB).
308 D. Egli

Dies hat ganz direkte Auswirkungen auf die Arbeit des Legal Counsel: Regeln,
die im Wettbewerb um Aufträge privater Auftraggeber gelten, haben bei öffent-
lich-rechtlichen Submissionen keine Gültigkeit, oft gilt gerade das Gegenteil:
Gleichbehandlung bedeutet, dass gewisse soziale Netzwerke, die in einem Unter-
nehmen gepflegt werden, keine Rolle mehr spielen dürfen. Transparenz muss
beachtet werden, es sollte also nichts verheimlicht werden. Im Hinblick auf die
wirtschaftliche Verwendung von öffentlichen Mitteln kann ein Unternehmen so
auch plötzlich unter Beobachtung der Öffentlichkeit stehen, was wiederum Risi-
ken, insbesondere Reputationsrisiken nach sich ziehen kann. Um das Verfahren
jedermann zugänglich zu machen, wurde ein dichtes Regelwerk auf allen legis-
latorischen Ebenen entwickelt. Als Beispiele sind auf internationaler Ebene das
Gouvernement Procurement Agreement (GPA) und das Abkommen zwischen der
Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über
bestimmte Aspekte des öffentlichen Beschaffungswesens, auf nationaler Ebene die
Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB), auf
kantonaler Ebene zum Beispiel das Gesetz über den Beitritt des Kantons Zürich
zur IVöB und die Submissionsverordnung und auf kommunaler Ebene die Verga-
beregister zu erwähnen. In der Schweiz werden daher folgende vier Verfahrensar-
ten unterschieden (Art. 12 Abs. 1 IVöB): Das offene, das selektive, das freihändige
und das Einladungsverfahren. Ähnliche Verfahrensarten gibt es auch in Deutsch-
land und Österreich.
Zudem gibt es im öffentlichen Beschaffungsrecht eine weitere Besonderheit:
Erreicht das Auftragsvolumen die sogenannten „Schwellenwerte“ nicht, muss der
Auftrag nicht öffentlich ausgeschrieben werden (offenes/selektives Verfahren),
sondern kann freihändig oder im Einladungsverfahren vergeben werden. Dazu gibt
es zwar Ausnahmen, bei deren Vorliegen trotz Überschreiten der Schwellenwerte
freihändig vergeben werden darf (zum Beispiel besondere Dringlichkeit nach § 10
Submissionsverordnung Kanton Zürich). Diese sind aber nur mit großer Zurück-
haltung anzuwenden, um die erwähnten Ziele und Grundgedanken des Submissi-
onsrechts nicht auszuhebeln.

Beispiel
Streng ist auch die Handhabung der Ausschreibung im konkreten Fall, wie
nachfolgendes Beispiel aus dem Bereich Lebensmittellieferungen aufzeigt: Die
Zuschlagskriterien, zum Beispiel Preis (Gewichtung 70 %), Leistung (Gewich-
tung 20 %) und Qualität (Gewichtung 10 %) werden von der beschaffenden
Behörde im Voraus bekannt gegeben und anschließend bei allen angemelde-
ten Anbietern geprüft: Unter dem Eignungskriterium Preis erhält das allgemein
günstigste Angebot die maximale Punktzahl, auch wenn die offerierten Preise
außerordentlich nahe zusammen liegen. Unter dem Eignungskriterium Leis-
tung werden dann von allen Anbietern vergleichbare Referenzen oder genau
definierte Muster eingefordert. Diese müssen in der vorgegeben Zeit an den
richtigen Ort geliefert werden. Bei den Musterlieferungen werden die rich-
tige Kalibrierung sowie die korrekte Anlieferungstemperatur genau überprüft.
24 Außenpositionierung zur Öffentlichen Verwaltung 309

Die maximale Punktzahl wird nur dann erreicht, wenn alle Unterkriterien
erfüllt sind. Liefert ein Anbieter ein falsches Produkt oder hat das Produkt bei
der Anlieferung eine zu hohe Temperatur, kann nicht die maximale Punktzahl
vergeben werden. Schließlich werden die gelieferten Muster unter dem Eig-
nungskriterium Qualität in einem Gremium von 10 Personen (Kaderpersonen
aus Küchen und Restaurants) mittels einer Blinddegustation auf die Krite-
rien Konsistenz sowie den allgemeinen Geschmack getestet und mit Punkten
bewertet. Das Ergebnis dieser Punktzahlen ist bindend, auch wenn es sehr
knapp ausfällt. Ein Ermessensspielraum besteht nicht mehr. Aus wirtschaftli-
chen und rechtlichen Gründen sind die Behörden zur einheitlichen und trans-
parenten Beschaffung verpflichtet. Kann ein Unternehmen nicht die aktuell
geforderte Produktepalette anbieten, ist eine Berücksichtigung bei der Submis-
sion nicht möglich, selbst wenn das Unternehmen während langen Jahren für
das entsprechende Gemeinwesen als Lieferant tätig war.

24.6 Praktische Empfehlungen zum Kontakt mit Behörden


im Submissionsverfahren4

• Ausschreibungen beachten:5 Dies ist mit einer Anpassung der unternehmens­


internen Beschaffungsprozesse sicherzustellen. Es sind klare Zuständigkeiten
festzulegen, wer für die regelmäßige Überwachung der Ausschreibungen
zuständig ist.
• Rechtzeitig Ausschreibungsunterlagen verlangen: Auch hier gilt das eben
Gesagte: Durch Implementierung der entsprechenden Prozesse und Zuständig-
keiten ist sicherzustellen, dass keine Fristen verpasst werden.
• Eignungs- und Zuschlagskriterien beachten: Die Behörde ist strikte an die
publizierten Kriterien und Gewichtungen gebunden. Den Einkäufern der Procu-
rement-Abteilung muss mit den entsprechenden Schulungen aufgezeigt werden,
dass dem freien Verhandeln hier sehr enge Grenzen gesetzt sind, man zum Bei-
spiel nicht einfach später Informationen nachreichen darf. Es müssen frühzeitig
Entscheide getroffen werden, die sich später nicht mehr korrigieren lassen. Man
muss sich deshalb mit der Bewertung der einzelnen Punkte intensiv beschäftigen.
• Allenfalls Auskünfte bei der Behörde einholen: Bei Unklarheiten soll nach-
gefragt werden. Dies ist aber nicht zu verwechseln mit direkten Verhandlungen
über Preise, Mengen etc., welche nicht zulässig sind.
• Angebotsformulare vollständig ausgefüllt einreichen: Angebotsformulare sind
wahrheitsgetreu auszufüllen und danach nicht mehr zu verändern, Varianten sepa-
rat beizufügen und mit den nötigen Unterschriften zu versehen. Ein Verkaufsteam

4Vgl. Informationsbroschüre für Anbietende, Verbände und Behörden, KöB, Baudirektion des
Kantons Zürich, Ausgabe 2012.
5Submissionen werden in der Schweiz in Amtsblättern sowie im Internet (www.simap.ch) publi-

ziert.
310 D. Egli

muss dabei ganz anders denken als beim Verhandeln mit privaten Auftraggebern.
Die Mitarbeitenden im Einkauf müssen sensibilisiert werden, dass es sich hierbei
um ein sehr formalisiertes Verfahren handelt, bei welchem persönliche Beziehun-
gen keine Rolle spielen und streng nach den schriftlich eingereichten Unterlagen
entschieden wird.
• Verlangte Nachweise (zum Beispiel betreffend Eignung) beifügen: Die
entsprechenden Nachweise müssen in jedem Verfahren neu und schriftlich
erbracht werden. Dass „man sich kennt“ und bereits in einem früheren Aus-
schreibungsverfahren den Zuschlag erhielt, genügt nicht und das Vertrauen dar-
auf kann zu bösen Enttäuschungen führen.
• Einreichungsort beachten: Die Unterlagen sind der genau bezeichneten
Stelle einzureichen. Werden sie an eine falsche Stelle geschickt, besteht keine
Gewähr, dass sie berücksichtigt werden.
• Unbedingt Fristen einhalten (Eingang bei Vergabestelle ist maßgebend!):
Auch hier gilt, dass Zuständigkeiten und Verantwortungen unternehmensintern
festgelegt werden. Bei verpasster Frist besteht keine Möglichkeit mehr, Unter-
lagen nachzureichen. Der Auftrag ist verloren.
• Bekanntmachung des Zuschlags und Beschwerdefrist beachten: Bei Nicht-
erhalt des Zuschlags lohnt es sich eventuell, vorsorglich Beschwerde zu erhe-
ben, um im Rahmen des Verfahrens Akteneinsicht zu erhalten. Dadurch können
etwaige Prozesschancen besser abgeschätzt werden, zumal bei erkannter Aus-
sichtslosigkeit die Beschwerde auch wieder zurückgezogen werden kann.

24.7 Korruptionsprävention in der Öffentlichen


Verwaltung

Schließlich ist auf eine weitere, sehr wichtige Schnittstelle zwischen Privatwirt-
schaft und Öffentlicher Verwaltung einzugehen, welche eng mit dem Submissions-
wesen verknüpft ist: Der Themenkreis Korruption und Korruptionsprävention.
Beiden Bereichen gemeinsam ist das Anliegen, transparenten Wettbewerb mit fai-
ren, gleichen Chancen für alle Anbietenden zu garantieren, auch – und gerade –
wenn diese nicht bereits über enge Beziehungen zu den Ausschreibenden
verfügen. Weltweit gibt es wenig Erfolge im Kampf gegen die Korruption. Dies
zeigt der Korruptionsindex von Transparency International (Corruption Percep-
tions Index)6. In den meisten Ländern ist die Situation eher schlechter geworden.
Zwei Drittel der 177 untersuchten Länder wurden auf einer Skala von 0 (beson-
ders korrupt) bis 100 (korruptionsfrei) unter der Mitte von 50 eingestuft. Die
Schweiz liegt auf Rang 7, Deutschland auf Rang 12. An der Spitze der Rangliste
liegen die skandinavischen Staaten, in denen Bestechlichkeit offenbar kaum eine
Rolle spielt. An der Schweiz kritisiert Transparency International insbesondere

6Seit1995 wird dieser jährlich veröffentlicht; frei zugänglich unter https://www.transparency.org/


research/cpi. Besucht 10. Mai 2017.
24 Außenpositionierung zur Öffentlichen Verwaltung 311

den mangelnden Schutz für Whistleblower. Mit Blick auf Deutschland weckt vor
allem der steigende Einfluss von Lobbyisten Bedenken.7 Nach einer Schätzung der
EU-Kommission kostet die Korruption die europäische Wirtschaft rund
120 Mrd. EUR jährlich.8
Im Bereich Korruptionsbekämpfung gibt es durchaus übereinstimmende Inter-
essen zwischen Behörden und Unternehmensjuristen: Beide haben sicherzustellen,
dass die geltenden rechtlichen Bestimmungen eingehalten werden (Compliance;
siehe dazu auch Kap. 54). Insbesondere gilt es, Straftaten von Mitarbeitenden zu
verhindern (aktive und passive Bestechung). Abgesehen von konkreten Rechts-
folgen besteht für Unternehmen und Behörden auch die Gefahr eines Reputati-
onsschadens, selbst wenn es am Ende nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung
kommt. Letztlich profitieren beide Seiten von der Verhinderung von Vetternwirt-
schaft und von einem transparenten Wettbewerb: Die Behörden – und damit die
Allgemeinheit der Steuerzahler –, weil nur das wirtschaftlichste, sprich günstigste
Angebot obsiegt. Das Unternehmen, weil es eine faire Chance auf Auftragsver-
gabe erhält, sofern es die beste Offerte anbieten kann.
Ein Hauptproblem in der Praxis ist die Abgrenzung von zulässigen Kundenge-
schenken und Einladungen zu strafbarer Korruption. Leider gibt es hierzu keine
allgemeingültigen, klaren Regeln. Nachfolgend sollen diese an Beispielen im
Bund, im Kanton Zürich und der Stadt Winterthur dargestellt werden: Gemäß
Art. 21 Abs. 3 BPG9 darf das Personal weder für sich noch für andere Geschenke
oder sonstige Vorteile beanspruchen, annehmen oder sich versprechen lassen,
wenn dies im Rahmen des Arbeitsverhältnisses geschieht. Die Annahme von
geringfügigen und sozial üblichen Vorteilen gilt nicht als Geschenkannahme im
Sinne des Gesetzes. Als geringfügige Vorteile gelten Naturalgeschenke, deren
Marktwert 200 Franken nicht übersteigt. Angestellten, die an einem Beschaffungs-
oder Entscheidprozess beteiligt sind, ist auch die Annahme von geringfügigen und
sozial üblichen Vorteilen untersagt, wenn der Vorteil offeriert wird von einem
effektiven oder potenziellen Anbieter, einer Person, die an einem Entscheidprozess
beteiligt oder davon betroffen ist oder ein Zusammenhang zwischen der Vorteils-
gewährung und dem Beschaffungs- oder Entscheidprozess nicht ausgeschlossen
werden kann. Können Angestellte Geschenke aus Höflichkeitsgründen nicht
ablehnen, so liefern sie diese der zuständigen Stelle ab. In Zweifelsfällen klären
die Angestellten mit den Vorgesetzten die Zulässigkeit der Annahme von Vorteilen
ab (Art. 93 Abs. 1 BPV10). Das Gesagte gilt analog für Einladungen (Art. 93a
BPV). Für Personen, die an einem Beschaffungsprozess beteiligt sind gilt also auf
Bundesebene eine Null-Toleranz-Regel, die auch geringfügige und sozial übliche
Vorteile ausschließt.

7SieheNeue Züricher Zeitung (NZZ) vom 4. Dezember 2013, S. 25.


8SieheNeue Züricher Zeitung (NZZ) vom 4. Februar 2014, S. 21.
9Schweizerisches Bundespersonalgesetz vom 24. März 2000 (BPG, SR 172.220.1).

10Schweizerische Bundespersonalverordnung vom 3. Juli 2001 (BPV, SR 172.220.111.3).


312 D. Egli

Daneben können aber noch zusätzlich interne Weisungen bestehen. So hat das
Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) zum Beispiel weitergehende interne
Weisungen erlassen, die die oben erwähnten allgemeinen Vorschriften präzisieren
und verschärfen. Für Mitarbeitende des BBL ist die Annahme von Geschenken
oder Vorteilen für sich oder für andere auch untersagt, wenn diese geringfügig
oder sozial üblich sind. Ausnahmsweise ist bei der Teilnahme an Messen, Informa-
tionsveranstaltungen etc. nur die Einnahme eines Aperitifs oder kleinen Imbisses,
die Annahme eines Werbegeschenks mit Firmenaufdruck von geringfügigem Wert
(Dokumentation, Kugelschreiber, Notizblock, Memory-Stick etc.) erlaubt, wenn
dieses allen Teilnehmenden angeboten wird. Bei Referententätigkeit sind Natural-
präsente von bescheidenem Wert (Wein, Pralinen, Blumenstrauß etc.) gestattet.
Die Annahme von Einladungen, namentlich zu Unterhaltungsanlässen oder Gratis-
reisen, ist jedoch klar verboten. Die Annahme von Einladungen zu Fachanlässen
bedarf der schriftlichen Bewilligung des Bereichsleiters. Im Rahmen dieser Fach-
anlässe ist die Annahme von Pausenverpflegungen, einem Aperitif und/oder einem
Essen erlaubt, sofern diese allen Teilnehmenden angeboten werden. In seine Ver-
träge mit Dritten nimmt das BBL schließlich regelmäßig eine Integritätsklausel
auf, die bei Bestechungsversuchen seitens der Anbieter Konventionalstrafen und
die Möglichkeit der Vertragsauflösung vorsehen. Dadurch werden die Lieferanten
für die Thematik sensibilisiert.11
Auch auf kantonaler Ebene, zum Beispiel im Kanton Zürich, dürfen Angestellte
gemäß § 50 Personalgesetz12 keine Geschenke oder andere Vergünstigungen für
sich oder für andere annehmen oder sich versprechen lassen, die im Zusammen-
hang mit ihrer dienstlichen Stellung stehen oder stehen könnten. Ausgenommen
sind Höflichkeitsgeschenke von geringem Wert. Bestehen Zweifel, ob ein gering-
fügiges Höflichkeitsgeschenk die Unabhängigkeit von Angestellten beeinträchti-
gen könnte, entscheidet die vorgesetzte Dienststelle über deren Zulässigkeit (§ 142
Vollzugsverordnung zum Personalgesetz13). Entscheidend ist, ob die Unabhängig-
keit beeinträchtigt wird. Bei direktem Zusammenhang mit Geschäften dürfen
keine Geschenke angenommen werden. Ohne direkten Zusammenhang sind Höf-
lichkeitsgeschenke hier erlaubt (Wein, Blumen, Mittagessen etc.). Als Faustregel
für den „geringen Wert“ gilt gemäß der Praxis des Personalamtes des Kantons
Zürich ein Betrag von 50 Franken als Obergrenze.
Auf kommunaler Ebene dürfen Angestellte gemäß § 67 des Personalstatuts der
Stadt Winterthur ebenfalls keine Geschenke oder andere Vergünstigungen für sich
oder für andere annehmen oder sich versprechen lassen, die im Zusammenhang mit
ihrer dienstlichen Stellung stehen oder stehen können. Ausgenommen sind auch
hier Höflichkeitsgeschenke von geringem Wert. Der Stadtrat kann Richtlinien über
Höflichkeitsgeschenke erlassen, die nicht dem Verbot der Annahme unterliegen.

11FaktenblattKorruptionsprävention, Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL), August 2010.


12Zürcher Personalgesetz vom 27. September 1998 (PG, LS 177.10).
13Zürcher Vollzugsverordnung zum Personalstatut vom 19. Mai 1999 (LS 177.111).
24 Außenpositionierung zur Öffentlichen Verwaltung 313

Bestehen im Einzelfall Zweifel, ob ein Höflichkeitsgeschenk die Unabhängigkeit


von Angestellten beeinträchtigen könnte, entscheidet die Departementsleitung im
Einvernehmen mit dem Personalamt (§ 80 Vollzugsverordnung zum Personal-
statut). Die Bestimmungen sind zwar nach dem Wortlaut weniger restriktiv als
im Bund und auf kantonaler Ebene. Gemäß Praxis des städtischen Personalamtes
gilt aber auch in Winterthur, dass Höflichkeitsgeschenke im Zusammenhang mit
einer zukünftigen Leistung, wie zum Beispiel einer Bewilligung oder der Vergabe
eines Auftrages, nicht angenommen werden dürfen. Als Grenze für Höflichkeits-
geschenke von geringem Wert gilt hier ebenfalls ein Wert von 50 Franken. Aller-
dings muss gesagt werden, dass sich die Regelungen zur Korruptionsprävention in
der Öffentlichen Verwaltung derzeit im Fluss befinden. Die Entwicklung geht dabei
eindeutig in Richtung Null-Toleranz bei Kundengeschenken.

24.8 Praktische Empfehlungen zum anti-


korruptionsadäquaten Umgang mit Behörden

• Klares Bekenntnis zur Korruptionsbekämpfung: Entscheidend ist, dass


das Management auf das Thema Korruptionsbekämpfung in der Öffentlichen
Verwaltung sensibilisiert ist. Der Verlockung darf auch hier nicht nachgegeben
werden, durch das Andienen besonderer Art, ein Geschäft für sich entscheiden
zu wollen. Das Management muss den Außendienstmitarbeitern durch eigenes
Verhalten vorleben, dass keine Korruption geduldet wird.
• Entsprechend klare interne Weisungen für Außendienst-Mitarbeitende
erlassen: Es braucht klare Aussagen mit konkreten Beispielen: Was geht, was
geht nicht. Dafür sind spezielle Schulungen mit dem Außendienstpersonal
durchzuführen. Der Aufwand lohnt sich mit Bestimmtheit: Korruptionsfälle
können Unternehmen extrem teuer zu stehen kommen und die Folgen stehen
(finanziell, aber auch und vor allem bei der Reputation!) in keinem Verhältnis
zu einem möglichen – meist einmaligen – Gewinn. Die entsprechenden Schu-
lungen sollten in regelmäßigen Abständen wiederholt werden, damit sie nicht
vergessen werden und auch neue Mitarbeitende orientiert sind.
• Kontrolle der Einhaltung dieser Regeln: Auch die Kontrolle muss auf ver-
schiedenen Ebenen implementiert werden: Auf operativer (Vier-Augen-Prinzip
etc.) ebenso wie auf Controlling- und Revisionsebene.
• Auch kleine Kundengeschenke sind problematisch: Kundengeschenke bei
Behörden unterliegen einem anderen Maßstab und strengeren Regeln als in der
Privatwirtschaft. Dem Außendienstpersonal muss klar sein, dass bereits kleine
Geschenke den Tatbestand der Korruption erfüllen können und entsprechende
Rechtsfolgen nach sich ziehen.
• Originelle, nützliche kleine Geschenke sind besser als teure, große
Geschenke: Es geht nicht um den Wert der Geschenke, sondern um deren Ori-
ginalität. Erlaubte kleine Geschenke sollen nützlich sein, einen Bezug zum
Produkt haben und den Benutzer so immer wieder positiv an das Unternehmen
314 D. Egli

erinnern. Originelle Ideen sind also gefragt und keine teuren, nutzlosen Gegen-
stände (die x-te Flasche Wein hinterlässt keinen bleibenden Eindruck).
• Innovative Substitution von Kundengeschenken: Verschiedene Unternehmen
sind mittlerweile dazu übergegangen, wohltätige Institutionen zu unterstützen,
anstatt Kundengeschenke zu machen. Dies darf dann durchaus auch gegenüber
den Kunden – auch gerne einer Behörde gegenüber – erwähnt werden: „Tue
Gutes und sprich darüber“.

Über den Autor


Dr. Daniel Egli – Juristischer Sekretär/Stv. Departementssekretär, Winterthur
Studium der Rechtswissenschaften (1991–1997), Dissertation zum Thema: „Die Verdachtskün-
digung nach schweizerischem und deutschem Recht“ (1999–2000), Anwaltsprüfung (2000),
Aus- und Weiterbildung zum Coach (2009–2011); Rechtskonsulent bei der „Zürich“ Versiche-
rungs-Gesellschaft (2001–2003), Juristischer Sekretär m.b.A. im Generalsekretariat der Finanzdi-
rektion des Kantons Zürich (2004–2010), derzeit juristischer Sekretär/Stv. Departementssekretär
im Departement Soziales der Stadt Winterthur.
Außenpositionierung zu
Strafverfolgungsbehörden 25
Christian Dueblin

Interview mit Dr. Valentin Landmann (von Christian Dueblin)


Dr. Valentin Landmann, Jahrgang 1950, wuchs in St.Gallen als Sohn eines Phi-
losophen und einer Schriftstellerin auf. Er gehört heute zu den bekanntesten
Schweizer Juristen. Aufgrund seiner Tätigkeiten als Strafverteidiger unter ande-
rem auch für Menschen aus dem sogenannten „Milieu“, seines Umgangs mit den
Medien und seiner Tätigkeit als Autor vieler Bücher wurden viele seiner Fälle
auch in der Öffentlichkeit diskutiert. Dr. Landmann beschäftigt sich als Anwalt
mit Vertragsrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Haftpflichtrecht. Als
Experte in Sachen Strafrecht unterstützt er sowohl Privatpersonen als auch
Unternehmen. Im Interview mit Christian Dueblin zeigt Herr Dr. Landmann
auf, wie Unternehmen in der Praxis von kriminellen Machenschaften bedroht
sein können. Er macht auf Punkte aufmerksam, die Unternehmen zu beach-
ten haben, sofern sie von interner oder externer Kriminalität betroffen sind. Er
beschreibt den Umgang mit sogenannten „Grauzonen“ und macht auf wichtige
Punkte aufmerksam, welche von General und Legal Counsels sowie Mitgliedern
der Unternehmensführung beachtet werden sollten, sofern diese mit kriminellen
Machenschaften konfrontiert werden.

Christian Dueblin: Unternehmen müssen sich im Geschäftsalltag mit inter-


ner, aber auch externer Kriminalität auseinandersetzen, wobei der Legal
Counsel bei der Aufarbeitung von strafrelevanten Fällen in einem Unterneh-
men eine besondere Rolle spielen kann. Als Vertrauensperson im Unterneh-
men erhält er oft schon sehr früh Kenntnis von kriminellen Machenschaften
und wird in heiklen Fällen um Rat angegangen. Was ­stellen Sie in Bezug auf

C. Dueblin (*)
Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC, Basel, Schweiz
E-Mail: dueblin@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 315


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_25
316 C. Dueblin

Kriminalität in Unternehmen ganz generell in Ihrem beruflichen Alltag als


Anwalt, spezialisiert auf Strafrecht, fest?
Dr. Valentin Landmann: Es verhält sich auch beim Legal Counsel und in
Rechtsabteilungen in solchen Fällen nicht anders, als bei anderen Mitarbeiten-
den und Geschäftsbereichen in Unternehmen. Der einzelne Legal Counsel und
die Rechtsabteilung als Ganzes können in den allerseltensten Fällen alle recht-
lichen Aspekte und Bedürfnisse des Unternehmens abdecken. Es bedarf daher
immer wieder des Beizugs externer Spezialisten. Beispielsweise in Fällen, in
welchen sich Fragen der intellectual property, compliance, aber auch generelle
Fragen des Zivilrechts und des Verwaltungsrechts stellen. Das gilt im beson-
deren Maße auch für diejenigen Fälle, in welchen sich ein Unternehmen mit
strafrechtlich relevanten Tatbeständen beschäftigen muss. Der Legal Counsel
spielt bei der Frage, ob ein solcher Fall intern oder extern angegangen wird,
eine zentrale Rolle. Es stellen sich für ihn, aber auch für die Unternehmens-
führung, viele Fragen: Der Entscheid etwa, ob bei einer kriminellen Machen-
schaft die Staatsanwaltschaft mit einbezogen werden soll, indem eine Anzeige
gemacht wird, kann nicht einfach nur isoliert aus der Sicht des Legal Counsel
getroffen werden.

Christian Dueblin: Was gilt es für das Unternehmen, aber auch für den
Legal Counsel, im Speziellen zu beachten, wenn es um die Frage geht, ob ein
Fall an die Staatsanwaltschaft herangetragen wird oder nicht?
Dr. Valentin Landmann: Es kann Situationen geben, in denen eine kriminelle
Machenschaft, die intern auftritt, zu einem enormen externen Imageschaden
führen könnte. Fast jede in-house-Kriminalität führt zu Imageschäden und
kein Unternehmen gibt von sich aus gerne zu, dass es betrogen wurde oder
beispielsweise bestochen hat. Unternehmen können auch von Dritten betrogen
werden, wie zum Beispiel von Vertragspartnern. Zu denken gilt es zudem an
die sogenannten „Schneeballsysteme“, von denen wir in den Medien oft lesen
können. Wurde ein Unternehmen, eine Bank oder eine Versicherung, durch ein
solches System, dem es sich ausgesetzt hat, geschädigt, hat das enorme Auswir-
kungen auf den Ruf dieses Unternehmens. Es besteht die Gefahr, dass ihm – oft
auch medial aufgebauscht – Naivität und Dummheit vorgeworfen werden; was
sich natürlich gerade im Banken- und Versicherungsbereich sehr ungünstig auf
die Reputation des entsprechenden Hauses auswirkt. Passiert in einem Unter-
nehmen ein entsprechender Fall, welcher das Potenzial hat, sich zu einer Explo-
sion zu entwickeln und zu großer öffentlicher Aufmerksamkeit führen könnte,
muss das Unternehmen sich überlegen, den Fall selbst voranzutreiben. Es muss
sich somit überlegen, sich proaktiv zu verhalten oder aber hoffend abwarten,
dass der Fall gar nicht ans Tageslicht kommt. Persönlich bin ich bei Fällen, in
denen damit gerechnet werden muss, dass eine „Tretmine hochgeht“, der Mei-
nung, dass es besser ist, diese selber zur Explosion zu bringen, anstatt abzuwar-
ten, bis der Fall von Dritten ans Tageslicht gebracht wird. Das sind oft heikle
strategische Entscheide, mit denen sich ein Unternehmen, auch vom General
Counsel beraten, auseinandersetzen muss.
25 Außenpositionierung zu Strafverfolgungsbehörden 317

Christian Dueblin: Was sind weitere Überlegungen, die sich ein Unterneh-
men, wenn es von Kriminalität betroffen ist, unbedingt machen muss?
Dr. Valentin Landmann: Das Nichtanzeigen von kriminellen Machenschaften
im oder um Unternehmen hat sich in den letzten Jahren in meinen Augen zu
einem Nährboden für Wirtschaftskriminalität entwickelt. Es ist in einer gewis-
sen Art und Weise zu einem Business-Modell geworden. Der schlimmste Nähr-
boden hierfür findet sich in den Grauzonen, in denen Unternehmen tätig sind,
oft auch tätig sein müssen, um auf dem Markt bestehen zu können. Entwickeln
sich solche Fälle in diesen Grauzonen negativ, kann das zu großen finanziellen
Schäden führen – und sehr rufschädigend sein. Ein Unternehmen kann nun vor
der Frage stehen, Personen, die sich, vielleicht auch von der Firma geduldet, in
den Grauzonen aufgehalten haben, anzuzeigen oder eben nicht. Oft ist in sol-
chen Fällen nicht klar, wie viele „Skelette“ noch zum Vorschein kommen wer-
den. Firmen neigen dann nicht selten dazu, sehr zurückhaltend mit Anzeigen zu
sein und suchen andere Lösungen, indem etwa fehlbare Mitarbeitende einfach
entlassen werden. Das hat jedoch zur Konsequenz, dass viele Menschen, die
potenziell kriminell tätig sind oder sich in diesen Grauzonen bewegen, schon
von Anfang an eine gewisse Sicherheit genießen, nicht angezeigt zu werden.
Diese Haltung ist in meinen Augen ziemlich verheerend und darüber sollte sich
jedes Unternehmen, natürlich auch die Rechtsabteilung, schon im Vorfeld mög-
licher Störfälle, ihre Gedanken machen.

Christian Dueblin: Was raten Sie Unternehmen ganz konkret, die sich in
solchen Situation befinden und bei Ihnen Rat suchen?
Dr. Valentin Landmann: Unternehmen, die zu mir kommen, und welche
interne oder externe Kriminalität erfahren haben, bekommen von mir in der
Regel den Ratschlag, die Sache auf den Tisch zu legen und eine Anzeige zu
erstatten. Dann geht man auch nicht das Risiko ein, dass der Fall kurze Zeit
später, vielleicht auch aus anderen Gründen, beispielsweise aufgrund von Aus-
sagen eines Whistleblowers, auffliegt, was sich erfahrungsgemäß zu einer gro-
ßen Medienangelegenheit entwickeln kann. Es wird nicht jedes Delikt in die
Öffentlichkeit getragen. Erst wenn es zu einer Gerichtsverhandlung kommt,
werden viele Fälle öffentlich bekannt. Das ist oft nicht vermeidbar. Hier gilt es
auch zu beachten, dass viele Fälle dermaßen komplex sind, ich würde sagen,
gar überkomplex, dass das Interesse der Öffentlichkeit damit im gleichen Maße
sinkt. Der interessierte Lesende kann die Abläufe nicht mehr erkennen und es
schleicht sich Langeweile ein, womit ein Fall für die Medien keine Priorität
mehr genießt. Das sind ebenfalls Überlegungen, die man sich in solchen Fällen
machen sollte.

Christian Dueblin: Wirtschaftskriminalität scheint oft sehr kompliziert zu


sein. Ist dem Ihres Erachtens wirklich so?
Dr. Valentin Landmann: Nein, ich bin der Meinung, dass Wirtschaftskrimina-
lität gar nicht kompliziert ist. Es wird gestohlen, veruntreut, es wird ungetreue
Geschäftsführung begangen, es werden Daten von Computern gestohlen und
318 C. Dueblin

es wird bestochen, um sich vermeintliche geschäftliche Vorteile zu sichern.


Die Untersuchung eines Wirtschaftsdelikts ist ebenfalls in der Regel nicht
­komplizierter, als die Untersuchung einer Schießerei, bei der es Tote gab. Die
Sachverhalte werden von den kriminell tätigen Personen jedoch gerne verkompli-
ziert, natürlich mit dem Ziel, Geschäfte, Transaktionen, Prozesse und Abläufe zu
verschleiern. Ein geschickter Staatsanwalt geht jedoch wie ein guter Schwimmer
vor: Er wird beim Schwimmen das Unwichtige „wegschaufeln“ und sich auf die
wichtigen Punkte konzentrieren. Man kann dabei sehr schnell abschätzen, ob ein
Staatsanwalt fähig ist, etwas gezielt anzugehen oder nicht. Werden beispielsweise
Millionen von Terabytes an Unterlagen beschlagnahmt, was Millionen von Sei-
ten an Dokumenten und eine jahrzehntelange Prüfarbeit bedeuten würde, gibt die
Staatsanwaltschaft damit zu erkennen, dass sie über keine konkreten Informatio-
nen für ein Delikt verfügt.

Christian Dueblin: Gibt es Ihrer Ansicht nach Modeströmungen in Sachen


Kriminalität, die Sie erkennen können?
Dr. Valentin Landmann: Es können tatsächlich Modeströmungen erkannt wer-
den; sie wechseln aber oft. Die Schneeballsysteme und Anlagenbetrügereien
waren lange Zeit sehr in Mode, heute sind Unternehmen und Private in dieser
Hinsicht etwas vorsichtiger geworden. Auch Banken und Versicherungen sind
solchen Machenschaften aufgesessen. Wer solche Schneeballsysteme betreibt,
hat sehr gute Kenntnisse über die wirtschaftlichen Vorgänge und genießt einen
Wissensvorsprung. Die beteiligten Personen haben auch den Zugang zu den
Möglichkeiten der Gründung ausländischer Gesellschaften, um Geschäfte über
das Ausland abwickeln zu können. Sie wissen schon von Anfang an, dass diese
Vorgehensweise die Rückverfolgbarkeit und Nachvollziehbarkeit eines Falles
wesentlich erschweren wird, weil grenz­überschreitende Rechtshilfe nötig ist,
um einen Fall behandeln zu können. Es sind heute aber mehrheitlich Fälle von
Betrug, Veruntreuung oder auch Bestechung, die ich in Unternehmen beob-
achte.

Christian Dueblin: Geht es um kriminelle Machenschaften, spielt der


Legal Counsel für die Aufarbeitung solcher Fälle oft eine sehr wichtige
Rolle. Er wird herbeigezogen, um einen Sachverhalt zu klären und Emp-
fehlungen dahin gehend abzugeben, ob ein Fall einem externen Fachspezi-
alisten übergeben und allenfalls angezeigt wird.
Dr. Valentin Landmann: Der Legal Counsel ist weisungsgebunden. Er muss
Entscheide seiner Vorgesetzten und des Managements befolgen, so wie andere
Mitarbeitende das auch tun müssen. Für den Legal Counsel stellt sich als Ers-
tes die Frage, aus welchem Bereich ihm etwas zugetragen wird. Erfährt er bei-
spielsweise, dass die eigene Spitze des Unternehmens kriminell tätig ist, bringt
ihn das in eine sehr schwierige Lage. Er kann nicht einfach an die Öffentlich-
keit gehen und von sich aus die Staatsanwaltschaft einschalten. Das sind aber
eher seltene Fälle. Der Legal Counsel kann dann versuchen, mit dem Verwal-
tungs- oder Aufsichtsrat des Unternehmens zu sprechen. Erkennt der Legal
25 Außenpositionierung zu Strafverfolgungsbehörden 319

Counsel, dass in Grauzonen gearbeitet wird oder klare kriminelle Machen-


schaften von Mitarbeitenden vorliegen, wird er seine Vorgesetzten und das
Management informieren.
In der Verwaltung gibt es hingegen Ausstandgründe, die gesetzlich gere-
gelt sind. Unter gewissen Voraussetzungen darf ein Mitarbeitender der Verwal-
tung, aber auch von Gerichten, nicht an einem Entscheid teilnehmen. Das gilt
in einem Unternehmen so nicht, kann aber für den Legal Counsel ein gangba-
rer Weg sein. Wird ein großer Vertrag abgeschlossen, geht es zum Beispiel um
Provisionen, die in einem anderen Land bezahlt werden sollen, kann der Legal
Counsel in Bedrängnis kommen. Er möchte natürlich nicht der „Geschäfts-
verhinderer“ sein. Er kann dem Management in einem solchen Fall, nebst der
Darstellung seiner Meinung, vorschlagen, diesen Vertrag durch einen externen
Spezialisten prüfen zu lassen. Dies ist wichtig, damit er selbst nicht in eine per-
sönlich schwierige Lage gerät, da er ja einerseits selbst im Sinne des Unterneh-
mens tätig sein muss und andererseits dazu gedrängt werden könnte, ein Auge
zuzudrücken oder eine Vorgehensweise in der Grauzone zu dulden. Wenn ein
Legal Counsel aber erkennt, dass ein eindeutig krimineller Fall vorliegt und
nicht der Fall einer Grauzone, so ist ihm geraten, das Management zu infor-
mieren und die Finger von solchen Machenschaften zu lassen. Kommt er unter
Druck, weil das Management einen Sachverhalt anders einschätzt, kann das
auch dazu führen, dass er seinen Job „an den Nagel hängen“ muss.

Christian Dueblin: Wann macht es für den Legal Counsel und das Unter-
nehmen allenfalls Sinn, bei einem Fall mit der Staatsanwaltschaft Vorab-
klärungen zu treffen?
Dr. Valentin Landmann: Das kann interessant sein und ist ein gangbarer Weg,
den auch viele einschlagen. Der Legal Counsel weiß jedoch, dass der Staatsan-
walt, der von gewissen Delikten Kenntnis erlangt, gesetzlich dazu verpflichtet
ist, darauf zu reagieren. Das gilt nicht für Antragsdelikte, aber für Offizialde-
likte. Das kann für den Legal Counsel ein Grund sein, dem Unternehmen zu
raten, einen externen Strafrechtsexperten hinzuzuziehen. Was aber durchaus
anzuraten ist, wenn sich ein Unternehmen einmal entscheidet, eine Anzeige zu
machen, ist, die Staatsanwaltschaft offiziell anzugehen, um mit ihr zusammen
das Vorgehen und juristische Details zu klären.

Christian Dueblin: Wie soll sich ein Legal Counsel vorbereiten, wenn die
Staatsanwaltschaft in einem Fall im Unternehmen eingeschaltet werden
muss?
Dr. Valentin Landmann: Bei einem simplen Diebstahl, wenn etwa Ware aus
einem Lager gestohlen wurde, oder bei einem Einbruch, wird der Legal Counsel
nicht viel vorbereiten müssen. Er sollte dafür sorgen, dass die Versicherung und
die Polizei informiert sind. Bei komplexeren strafrechtlichen Fragen hingegen
muss der Legal Counsel selber einschätzen können, ob er genügend Kenntnisse
in Sachen Strafrecht hat, um einen derartigen Fall richtig bearbeiten zu kön-
nen. In der Regel hat er das nötige Fachwissen nicht und er ist dann auf einen
320 C. Dueblin

externen Spezialisten angewiesen. Unternehmen wenden sich in strafrechtlich


relevanten Fällen oft an ihre externe Wirtschaftsanwaltskanzlei, welche das
Unternehmen generell vertritt. Eine solche Kanzlei wird bei Wirtschaftskrimi-
nalität nun wiederum externe Spezialisten hinzuziehen. Immer mehr beobachte
ich, dass große Wirtschaftsanwaltskanzleien über eigene interne Experten für
Wirtschaftsdelikte verfügen. Aufgabe des Legal Counsel ist es in einem solchen
Fall, den Sachverhalt zu analysieren, möglichst alle Fakten zu beschaffen und
diese Fakten und Informationen dem externen Spezialisten oder der Staatsan-
waltschaft zu übergeben.

Über den Autor


Christian Dueblin, lic. iur., Executive MBA Universität St.Gallen (HSG) – Partner QUAD-
RAGON MANAGEMENT LLC, Basel
Studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Fribourg/Basel und bildete sich anschlie-
ßend betriebswirtschaftlich mit einem Executive MBA-Lehrgang in General Management an
der Universität St.Gallen (HSG) weiter. Er hat mehrere Jahre als nebenamtlicher Bezirksrichter
gearbeitet, Rechtsabteilungen bekannter international tätiger Mittelstandsbetriebe aufgebaut und
als General Counsel geleitet. Als Partner von QUADRAGON MANAGEMENT verantwortet er
die Bereiche Interim Legal Counseling und Legal Education. Christian Dueblin ist langjähriger
Experte und Fachdozent für Recht von procure.ch. Er ist zudem Gründer und Betreiber des Kul-
tur- und Management-Netzwerkes Xecutives.net.
Teil V
Praxis zum Leadership in Legal
Operations
Einführende Übersicht Leadership
in Legal Operations 26
Roman P. Falta

26.1 Leadership in Legal Operations

Neben einer starken Identität und einer optimalen Positionierung ist eine integre,
fach- und führungsstarke sowie motivierende Führungsperson entscheidend dafür,
dass die Rechtsfunktion in der Gesamtorganisation als „geschätzter Partner“ wahr-
genommen wird. Damit General Counsels (und Legal Counsels, welche mittel- bis
langfristig in diese Position hineinwachsen möchten) eine solche Wertschätzung
im Unternehmen erreichen, müssen sie bereit sein, an sich selbst zu arbeiten.
Klassische Management- und Führungsweisheiten allein reichen bei weitem nicht
mehr aus, um eine so komplexe und dynamische Professional Services Unit wie
die Legal Operations nachhaltig und langfristig erfolgreich zu führen.
Teil V dieses Buches befasst sich darum mit der Frage, welche Bereiche in
einer zeitgemäßen Führung von Legal Operations tatsächlich wichtig sind und wie
diese ausgestaltet werden können. Auch wenn der Fokus vor allem auf dem hier-
archisch führungsverantwortlichen General Counsel liegt, können alle Mitglieder
des Legal Teams hiervon profitieren. Positives und umfassendes Legal Operations
Leadership stellt daher, wie in Abb. 26.1 dargestellt, zu Recht den „Kopf“ der fun-
damentalen Betrachtungsebene von Rechtsfunktionen dar und ist mit allen ande-
ren Bereichen aufs engste verknüpft.

R.P. Falta (*)


Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC,
Zürich, Schweiz
E-Mail: falta@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 323


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_26
324 R.P. Falta

Abb. 26.1  Leadership im Kontext des QUADRAGON Legal Operations Management-Modells©.


(Quelle: QUADRAGON Management LLC)

26.2 Die Elemente und Inhalte des Legal Operations-


Leadership

Ein positives und umfassendes Legal Operations Leadership bedeutet in erster Linie
nicht nur eine gezielte Beeinflussung von Identität, Positionierung, Strukturen, Res-
sourcen und Prozessen, sondern auch, für diese Verantwortung zu übernehmen.
Der General Counsel ist in diesem Sinne nicht nur für das Gedeihen der gesam-
ten Rechtsfunktion (Legal Department Management) und des Legal Teams (Team
Management), sondern auch, wie jeder einzelne Mitarbeitende, für die Führung
der eigenen Person (Self Management) verantwortlich. Erst die Beherrschung aller
drei Leadership-Einzeldisziplinen führt zu „echtem“ Legal Operations Leadership:

• Self Management: Self Management beschäftigt sich mit der Fragestellung,


wie ein Mitarbeitender sich laufend (persönlich) verbessern und weiterentwi-
ckeln kann. Es geht nur zu einem Teil um rein fachliche Weiterbildungen und
Karrieremöglichkeiten, sondern um eine viel weiter gefasste individuelle Ent-
wicklung zur „besten Version meiner selbst“. In dieser umfassenden Form stellt
Self Management ein heute vielerorts noch zu wenig beachtetes Optimierungs-
potenzial dar. Die Erkenntnisse aus diesem Bereich können daher nicht nur für
den General Counsel, sondern für jedes Mitglied des Legal Teams wertvoll
sein, sofern sie sich umfassend weiterentwickeln möchten.
• Team Management: Die Zeiten, als Führung ausschließlich „von oben“ statt-
gefunden hat, dürften als abgeschlossen betrachtet werden. In der heutigen
26 Einführende Übersicht Leadership in Legal Operations 325

Arbeitswelt sind die Herausforderungen, welche an die Mitarbeitenden der


Rechtsfunktion gestellt werden, besonders vielfältig und zu komplex, um
nicht auch ein Führen „von unten“ zuzulassen. General Counsels tun also gut
daran, das Potenzial, das in ihren Mitarbeitenden steckt, für die Gestaltung des
gemeinsamen Erfolgs freizulegen. Durch ein optimales Team Management kön-
nen die Mitarbeitenden mit der Zeit zu einem richtigen Legal Operations-Hoch-
leistungsteam zusammenwachsen. Der General Counsel spielt in diesem
Prozess als „Katalysator“ eine entscheidende Rolle.
• Legal Department Management: Schließlich gehört natürlich auch das
Management der Rechtsfunktion selbst zum Pflichtenheft des General Counsel.
Legal Department Management befasst sich denn auch mit der zielgerichteten
Führung, Kontrolle und Repräsentation der Rechtsabteilung gegenüber inter-
nen und externen Interaktionspartnern. Im Fokus stehen hier die spezifische
managerial role und die damit zusammenhängende Interaktionsgestaltung zum
Aufsichtsrat und zur Geschäftsleitung. Es geht insbesondere darum, in welcher
Form der General Counsel seine Positions-, Identifikations- und Expertenmacht
zum Wohle der Legal Operations einzusetzen weiß.

26.3 Kapitelübersicht – Leadership in Legal Operations

Leadership in der Rechtsfunktion ist ein spannendes Gebiet, das in einigen Tei-
len (Führungsverhalten von General Counsels, Sozialdynamiken in Legal Teams
etc.) noch relativ wenig wissenschaftlich erforscht ist. Um so wichtiger ist es, den
aktuellen Forschungsstand mit Erfahrungen aus der Praxis zu kombinieren. Auf
diese Weise kann jedes Mitglied des Legal Teams, vor allem aber auch der Gene-
ral Counsel, seine eigenen Management- und Führungsfähigkeiten ausbauen. Die
ersten drei Autoren der Leadership-Gruppe verschaffen uns einen generellen Über-
blick über die drei großen Legal Operations Leadership-Disziplinen und zeigen
auf, wie sie praktisch ausgestaltet werden können, um das volle in ihnen liegende
Potenzial zugänglich zu machen:

• Roman P. Falta beschäftigt sich in Kap. 27 mit dem Self Management von
Menschen im Arbeitsleben. Er geht zuerst darauf ein, was positives Self
Management bedeutet und zeigt anhand zweier Modellbeispiele aus der recht-
lichen Praxis, welchen Einfluss negatives und positives Self Management auf
den Arbeitsalltag zweier General Counsels im Rechtsdienst haben und was
jeder Unternehmensjurist daraus lernen kann. Danach gibt er Ideen für die Ent-
wicklung eines eigenen Self Management-Entwicklungsprogramms hinsichtlich
Zielsetzungen und der zu verfolgenden Inhalte.
• Robert Müller und Roman P. Falta setzen sich in Kap. 28 mit dem Team
Management in Legal Operations auseinander. Sie gehen zuerst auf die Her-
ausforderungen in der Juristenführung ein und beschäftigen sich danach detail-
liert mit den Hauptaufgaben, Merkmalen und Entwicklungsmöglichkeiten der
Team Leader-Funktion des General Counsel. Danach folgt eine ausführliche
326 R.P. Falta

Erörterung über die Gestaltung (Coaching und Performance Management) der


Führung einzelner Mitarbeitender. Den Abschluss bildet eine Übersicht über
die verschiedenen Facetten des Führens des gesamten Legal Operations Teams
(Zielvorgaben, Grundbausteine für Spitzenleistung und Teamerfolg, Erstellung
eines individuellen Teamentwicklungsprogramms).
• Dr. Alexander Fruehmann geht in Kap. 29 auf das Legal Department
Management – in Bezug auf den Umgang mit Komplexität – ein. Er beschäf-
tigt sich zuerst mit dem Anforderungsdilemma an die Position des General
Counsel. Danach geht er auf den systemtheoretischen Komplex der „Funkti-
onen innerhalb von Funktionen“ ein und erläutert detailliert das „Viable Sys-
tem“-Model in Anwendung auf die Rechtsabteilung. Schließlich nimmt er
Bezug zur Lebensfähigkeit der Legal Operations in einer unberechenbaren
Umwelt.

Die Autoren der zweiten Leadership-Gruppe haben sich schwerpunktmäßig mit


einzelnen, besonders wichtigen Facetten aus der breiten Leadership-Thematik
auseinandergesetzt:

• Roman P. Falta fokussiert sich in Kap. 30 auf die Strategieentwicklung


in Legal Operations. Er beschäftigt sich detailliert mit den drei Phasen
des strategischen Legal Operations Management (Strategieanalyse-Phase,
Strategieplanungs-Phase und Strategieumsetzungs-Phase) sowie der Strate-
gieperformance-Messung. Dabei zeigt er nicht nur die dahinterstehenden Kon-
zepte auf, sondern geht auch auf praktische Umsetzungsmaßnahmen ein und
gibt viel Tipps für das Gelingen eines strategischen Legal Operations Manage-
ment. Im Anschluss gibt Alfred N. Schindler seine persönlichen Erfahrungen
mit Leadership- und anderen aktuellen Herausforderungen von Legal Opera-
tions aus der Sicht eines Großindustriellen mit weltweit rund 55.000 Mitarbei-
tern wieder.
• Roman P. Falta nimmt in Kap. 31 Bezug auf den Stellenwert, den Kommu-
nikation für Unternehmensjuristen hat. Er zeigt zuerst häufige Kommuni-
kationsfehler in Legal Operations auf und geht auf die Grundlagen optimaler
Kommunikation ein – im Zusammenhang zwischen Wahrnehmung, Denken
und Handeln. Danach widmet er sich den wichtigsten Wahrnehmungsproble-
men, bevor er auf die Grundsätze einer positiven Kommunikationsgestaltung
eingeht. Am Ende des Kapitels zeigt er auf, wie positiver Beziehungsaufbau
und eine optimale Kommunikationsführung gelingen können.
• Martin Heß beschäftigt sich in Kap. 32 mit Verhandlungstechnik und Ver-
handlungsführung für Unternehmensjuristen. Er geht zuerst auf das Bild des
Juristen in der Öffentlichkeit ein, bevor er danach detailliert aus der Sicht des
Psychologen auf den systematischen Aufbau einer Verhandlungssituation ent-
lang einzelner Phasen zu sprechen kommt: Vorbereitung von Verhandlungen,
Begrüßungs- und Eröffnungsphase, Analyse- und Explorationsphase, Angebots-
und Vorschlagsphase, Diskussionsphase und Lösungssuche sowie Vereinbarung
und Abschluss der Verhandlungen.
26 Einführende Übersicht Leadership in Legal Operations 327

• Markus J. Fischer setzt sich in Kap. 33 mit Konfliktmanagement für Unterneh-


mensjuristen auseinander. Er zeigt zuerst die Folgen von Konflikten auf, bevor
er auf deren Ursachen und Arten eingeht. Dann beschäftigt er sich mit häufig
vorkommenden Konfliktkonstellationen von Legal Counsels und möglichen
Lösungsansätzen. Zudem zeigt er einzelne Konflikteskalationsphasen und -stufen
auf. Den Abschluss bilden Erörterungen über Konfliktsouveränität und über die
Möglichkeiten, Konflikte durch spezifisches Verhalten zu steuern.
• Dr. Alexander Zinser geht in Kap. 34 auf die Entwicklungsmöglichkeiten
eines General Counsel zum Business Partner und Leader ein. Er zeigt zuerst
die Barrieren auf und gibt danach detaillierte Empfehlungen zu den einzelnen
Aspekten (Fachwissen, Beziehungsmanagement, strategische Positionierung
und organisatorische Ausgestaltung) ab, um dieses Ziel zu erreichen. Zum
Schluss gibt er noch Tipps zur Implementierung einer guten Reputation im
Innen- und Außenverhältnis.
• Schließlich beschäftigt sich Christian Dueblin in Kap. 35 damit, wie ein
General Counsel, der ins Linienmanagement wechseln möchte, vorgehen
kann. Er zeigt auf, welche Fragen man sich hinsichtlich des anvisierten Posi-
tionswechsels stellen sollte und setzt sich mit der optimalen Positionierung zur
Führungsspitze auseinander. Den Abschluss bildet eine Erörterung von Self
Marketing-Möglichkeiten für „wechselwillige“ General Counsels.

Über den Autor


Roman P. Falta, lic.iur. HSG – Professional Services Management Leader QUADRAGON
MANAGEMENT LLC, Zürich
Studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen HSG. Daneben
hält er Weiterbildungsdiplome der Harvard University, des MIT und der UC Berkeley in Sozio­
anthropologie und Psychologie. Seine Berufskarriere begann er in einer führenden Strategie-
beratung, welcher Berufsstationen bei Gericht, in der Finanzverwaltung und einer namhaften
Anwaltskanzlei folgten. Anschliessend war er für diverse Bereiche in Corporate Legal und in der
Compliance eines Global Fortune 500-Unternehmens verantwortlich. Als Professional Services
Management Leader verantwortet er heute unter anderem den Bereich Legal Operations Optimi-
zation bei QUADRAGON MANAGEMENT. Er gilt als einer der renommiertesten Experten für
Professional Services Optimization und Elite Performance Development im deutschsprachigen
Raum.
Self Management für
Unternehmensjuristen 27
Roman P. Falta

27.1 Einleitende Überlegungen

In der Schule, im Studium und auch in den meisten Aus- und Weiterbildungen
(siehe dazu detailliert Kap. 42) werden uns Fähigkeiten vermittelt, die fast aus-
schließlich auf die Akkumulation fachlichen Wissens und dessen Anwendung
im Berufsalltag ausgerichtet sind. Solche sind selbstverständlich wichtig und
wertvoll, um mit den inhaltlichen Herausforderungen der modernen Arbeitswelt
zurechtzukommen. Im Gegensatz dazu geht es bei „Self Management“ um einen
Bereich, den man nur selten in den üblichen Kursprogrammen findet. Es steht für
das Erlernen und Anwenden spezifischer Strategien und Maßnahmen, die darauf
abzielen, die eigene Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit im Berufs- und Privatle-
ben nachhaltig zu steigern. Durch „gutes“ Self Management soll eine Person befä-
higt werden, sich selbst positiv zu beeinflussen und weiterzuentwickeln.
Seit es Menschen gibt, versuchen diese, stetig das Beste aus sich herauszuho-
len. Jede Person entwickelt im Laufe der Zeit individuelle Vorgehensweisen, um
ihre Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit positiv zu beeinflussen. Sie lernt in der
Regel intuitiv, wie sie mit ihrem Leben umgehen und das Ziel des virtually perfect
self1, das jeder Mensch in der einen oder anderen Form verfolgt, erreichen kann.
Manche dieser Strategien und Maßnahmen stammen aus persönlichen Selbstrefle-

1Mit dem virtually perfect self ist ein hochleistungspsychologisches Konstrukt gemeint, das dar-

auf Bezug nimmt, dass Spitzenleister immer nach der jeweils besten Version ihres eigenen Selbst
suchen. Es wird im Hochleistungssport und in anderen Spitzenleistungsbereichen daher als Mit-
tel eingesetzt, um Einzelpersonen langfristig zu motivieren, sich ständig proaktiv weiterzuentwi-
ckeln.

R.P. Falta (*)


Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC,
Zürich, Schweiz
E-Mail: falta@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 329


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_27
330 R.P. Falta

xionen, andere werden von Bezugspersonen abgeschaut oder durch Medien2 ver-
mittelt. Alle Menschen beschäftigen sich – ob bewusst oder unbewusst – einen
Großteil ihres Lebens mit Self Management. Das Problem liegt in der Regel nicht
darin, dass wir zu wenig Self Management betreiben, sondern darin, wie wir es
tun. Daher ist es – besonders vor dem Hintergrund der stetigen Zunahme der Her-
ausforderungen in unserem modernen Leben – nicht erstaunlich, dass sich viele
Menschen aktuell auf der Suche nach Lebenszufriedenheit und überdurchschnittli-
cher Leistungsfähigkeit befinden.
Um herauszufinden, wie es mit Ihren Self Management-Fähigkeiten momentan
bestellt ist, hilft es, die nachfolgenden drei Fragen – jeweils auf einer Skala von
Null bis Hundert – ehrlich zu beantworten:

 • Wie zufrieden bin ich zurzeit mit meinem Arbeits- und Privatleben?
• Wie würde ich den Fortschritt in der Erreichung meiner Lebens-
ziele allgemein bewerten?
• Wie viel meines Leistungspotenzials schöpfe ich zurzeit wirklich
aus?

Skalenwerte um Null stehen in der Regel dafür, dass Sie mit sich, Ihrem Leben
und Ihrer Leistungsfähigkeit absolut unzufrieden sind: Dies äußert sich zum Bei-
spiel darin, dass Sie das Gefühl haben, seit langer Zeit auf der Stelle zu treten,
das Erreichen Ihrer Träume bereits seit längerem auf on hold steht oder Sie das
Gefühl haben, als würden Sie Ihre Lebenszeit verschwenden. Skalenwerte um
Hundert hingegen stehen dafür, dass Sie stets mit sich selbst, Ihrem Leben und
Ihrer Leistungsfähigkeit zufrieden sind: Ihnen gelingt fast immer, was Sie sich
vorgenommen haben. Sie sind stets voller Tatendrang und Energie, holen alles aus
sich heraus und genießen Ihr Leben jeden Augenblick in vollen Zügen. Sie führen
das Leben, das Sie immer führen wollten.
Bei einer nur oberflächlichen Beantwortung der vorstehenden Fragen werden
in der Praxis regelmäßig jeweils Werte zwischen 50 bis 80 pro Frage genannt.
Für viele von uns scheint das Leben auf den ersten Blick betrachtet daher auch
„plus minus OK“ zu sein; auch wenn nicht alles absolut rund läuft und man sich
als Kind oder Jugendlicher die eigene Zukunft in der Regel doch etwas spannen-
der, aufregender und farbiger vorgestellt hatte. Sobald sich jemand aber in einer
„stillen Minute“ ehrlich mit sich selbst und seinem Leben auseinandersetzt, wer-
den die Zahlen in der Regel deutlich nach unten korrigiert. Dann entdecken die
meisten, dass sich das Leben eigentlich in fast allen Bereichen nicht in der Art
und Weise entwickelt hat, wie man es sich einst vorgestellt hatte. Zudem spü-
ren sie, dass man nicht mehr genügend Zeit und Energie hat, um noch all das zu
erleben und zu schaffen, was man sich vorgenommen hatte. Bei einigen führt ein
­solches Gefühl mit der Zeit dazu, dass Frustrationen und Ärger über die aktuellen

2Nicht umsonst sind Self-help- beziehungsweise Popular-psychology-Bücher so beliebt und bil-


den eines der größten Segmente des Buchhandels.
27 Self Management für Unternehmensjuristen 331

­ ebensumstände „hochkommen“. Bei anderen ist dieses Gefühl bereits so lange


L
und konstant vorhanden, dass sie es als normal empfinden und völlig vergessen
haben, dass es dazu Alternativen gibt. Andere wiederum finden sich nicht e­ infach
damit ab, nur von einem besseren und produktiveren Leben zu träumen. Sie
­verstehen die vorhin beschriebenen negativen Gefühle vielmehr als wichtige Zei-
chen und als eine Art Handlungsaufforderung, endlich tätig zu werden. Ihr Leben
wieder (vermehrt) in die eigene Hand zu nehmen und es bewusster zu gestalten.

27.2 Zwei Modellbeispiele für Self Management

Bevor wir darauf zu sprechen kommen, wie ein individuelles Self Manage-
ment-Programm zusammengestellt werden kann,3 möchte ich Sie in einer erfun­
denen Geschichte – die illustrativ sehr schön aufzeigt, wie positives und negatives
Self Management wirkt – mit zwei Personen bekannt machen: Hans Schmidt und
Rita Müller.4 Beide sind hoch angesehene und erfahrene General Counsels großer
deutscher Mittelstandsbetriebe, leben jeweils in einem städtischen Vorort und
haben einen Ehepartner sowie zwei Kinder. Obwohl für beide die Voraussetzungen
fast identisch sind, erleben sie ihren Berufsalltag in der Rechtsabteilung auf eine
völlig unterschiedliche Art und Weise. Begleiten wir daher zuerst einmal Herrn
Schmidt, der einen ausgesprochen negativen Self Management-Ansatz verfolgt,
durch einen seiner typischen Arbeitstage.

27.2.1 Ein Beispiel für negatives Self Management

„Was heißt hier, das Budget sei jenseits von Gut und Böse?“ rief Hans Schmidt
entrüstet aus. „Das ist ja nicht zu glauben! Sie möchten, dass wir in der Rechts-
abteilung täglich Wunder vollbringen und dann geben Sie mir nicht einmal die
Mittel, die ich dringend dafür benötige!“ Andreas Bader, der CFO, gab darauf
verärgert zurück: „Ich möchte hier keine weiteren Wehklagen hören. Ihr Budget
ist einfach viel zu hoch angesetzt.“ Da ertönte die Stimme von Maximilian Grohe
aus dem Hintergrund, in welcher unverkennbar die Seniorität des langjährigen
CEO durchdrang: „Wenn wir dein überrissenes Budget so akzeptieren würden,
dann käme irgendwann jeder ohne Zahlengrundlage und würde mehr verlangen.
Du kannst dir ja vorstellen, wo das dann hinführen würde!“ Hans Schmidt wurde

3Das Negativbeispiel in Abschn. 27.2.1 wird hier bewusst detailliert und in voller Länge abge-
bildet, um dadurch dem nachfolgenden Positivbeispiel in Abschn. 27.2.2 noch mehr Kontrast
zu geben. Um die besten Ideen für Ihr eigenes Self Management zu generieren, sollten Sie beide
Beispiele aufmerksam durchlesen. Falls Sie die nachfolgenden beiden Geschichten überspringen
möchten, lesen Sie unter Abschn. 27.3 weiter.
4In Anlehnung an: „A Tale of Self-Leadership“; gefunden bei Neck, Manz (2013, S. 122 ff.). Die

Ähnlichkeit mit real existierenden Personen ist ausdrücklich nicht gewollt. Zudem wurde die
Geschichte zur besseren Illustration mit einem Legal Operations-Kontext versehen.
332 R.P. Falta

immer wütender und spürte deutlich den Puls in seiner Halsschlagader ansteigen.
Für ihn war damit augenblicklich klar, dass der Entscheid über sein Budget in der
Geschäftsleitung bereits gefällt worden war, noch bevor die Besprechung dazu
stattgefunden hatte. Wieder einmal stützten diese Technokraten ihren Entscheid
auf zahlenfixierte und engstirnige Begründungen. Er wollte gerade aufspringen,
um seinem Ärger Luft zu verschaffen… „Liebling, ich wünschte, Du würdest dein
Frühstück nicht so herunterschlingen. Du weißt doch, dass der Arzt dir aufgetra-
gen hat, die Dinge ruhiger und gelassener anzugehen.“ „Ja, ja, schon gut, Helene.
Ich denke nur nach“, schnaubte er seine Ehefrau an und lehnte sich mit verspann-
tem Rücken in seinen Stuhl zurück. Unter einer dunklen Mine im Gesicht entwich
ihm ein tiefer Seufzer: „Ach herje, schon wieder einer dieser Tage!“
Als er draußen in der Einfahrt stand und an den vereisten Scheiben seines
Wagens kratzte, murmelte er geistesabwesend vor sich hin: „Verdammter Schnee,
schon wieder alles vereist!“ Nachdem er sämtliche Scheiben enteist hatte, setzte
er sich in den Wagen und bemerkte, wie sich sein Magen plötzlich krampfhaft
zusammenzog. Wohl eine Folge des übereilten Frühstücks, dachte er. Kurze Zeit
später war er bereits auf der Autobahn. Auf dem Weg ins Büro liefen wie jeden
Morgen die Nachrichten im Radio. Ab und zu quittierte er einzelne Nachrichten
mit zynischen Kommentaren über die „unglaubliche Inkompetenz in Brüssel und
Berlin“ und dergleichen. Den wunderbaren Sonnenaufgang bemerkte er dabei
nicht. Er war so intensiv damit beschäftigt, im morgendlichen Stoßverkehr von
einer Spur auf die andere zu wechseln, um sofort jede sich bietende Lücke aus-
zunutzen und sein Vorwärtskommen dadurch vermeintlich zu beschleunigen. Er
sah auch nicht das Glitzern des neu gefallenen Schnees auf den Bäumen oder die
zu ihm herüberwinkenden und lachenden Schneemänner, die in den Vorgärten der
Vorstadthäuser standen und daher gut von der Straße aus zu sehen waren. Hans
saß hinter seinem Steuer, tief in Gedanken versunken, und wälzte die Probleme,
mit denen er sich tags zuvor beschäftigt hatte genauso in seinem Kopf hin und her,
wie die Vorstellungen über den negativen Ausgang des Budgetmeetings, das für
den Nachmittag angesetzt worden war.
Nachdem er seinen Wagen parkiert hatte, betrat er eilig das Bürohochhaus sei-
nes Unternehmens, das in eine wunderbare Gartenlandschaft eingebettet war, ohne
davon Kenntnis zu nehmen. Den Mitarbeitenden, denen er auf dem Weg in sein
Büro begegnete, raunte er nur ein kurzes „Hallo“ entgegen und setzte dazu ab und
zu ein merklich gezwungenes Lächeln auf. Hans war sich zwar durchaus bewusst,
dass viele seiner Kollegen im Unternehmen durchaus freundliche und gute Men-
schen waren, doch verbrachte er nicht viel Zeit damit, sich mit ihnen auf per-
sönlicher Ebene auseinanderzusetzen. Er dachte vielmehr, dass Sinn und Zweck
seiner Aufgabe als General Counsel darin bestanden, rechtlich absolut hieb- und
stichfeste Arbeit zu leisten. Persönliche Gespräche abseits von Arbeitsthemen sah
er als unwichtig und als reine Zeitfresser an. Aus diesem Grunde vereinbarte er
auch äußerst selten ein gemeinsames Mittagessen mit Mitarbeitenden oder Kolle-
gen. Als er in sein Büro stürmte, raunte er auch seiner Sekretärin und einem Kol-
legen, der gerade bei dieser stand, sein knappes „Hallo“ entgegen und trat rasch in
sein Büro ein, wo er sogleich Mantel und Hut ablegte. Er hatte die höflichen, aber
27 Self Management für Unternehmensjuristen 333

etwas kühlen Erwiderungen seines Morgengrußes zwar gehört, nahm diese aber
nicht wirklich wahr. Stattdessen sah er sich in seinem Büro um. Diesem Ort, den
er eigentlich nicht wirklich mochte. Hier war es, wo er so viel Verdruss erlebte und
an dem er täglich mit unzähligen Problemen konfrontiert wurde. Kurze Zeit später
saß er trotzdem oder vielleicht gerade deswegen hinter seinem Schreibtisch, blät-
terte durch die Akte eines Haftpflichtfalls und bemerkte dabei gar nicht, wie ihm
seine Sekretärin den allmorgendlichen Kaffee auf den Tisch stellte.
An die nächsten zwei Stunden erinnerte er sich fast nicht mehr, da seine Auf-
merksamkeit oberflächlich von einer Aufgabe auf die nächste gesprungen war.
Zudem wurde er immer wieder durch Telefonate und seine Mitarbeitenden unter-
brochen, die mit meist kleinen Problemen bei ihm vorstellig wurden. Mehrere
Dokumentstapel häuften sich auf der einen Seite seines Schreibtischs. Einige
davon lagen bereits mehrere Wochen dort, da er fast ausschließlich an den jeweils
vor ihm liegenden dringlichen Problemen zu arbeiten pflegte. Es schien, als ob er
niemals Zeit dafür hätte, seine Arbeitsorganisation zu hinterfragen und sie einmal
richtig durchzuplanen. Da setzte draussen der Schneefall wieder ein. Aus dem
Fenster seines Büros im zehnten Stock betrachtet, gaben das Schneegestöber und
die ruhig darnieder liegende Landschaft einen atemberaubenden Anblick ab. Man
sah einen glänzenden mit Eis bedeckten kleinen See, dichte Wälder dahinter und
fern im Hintergrund ein stolzes Bergmassiv. Hans sah aber selten von seinen vor
ihm liegenden Akten auf. Auch nicht, wenn er telefonierte. Wenn er dennoch das
eine oder andere Mal aus dem Fenster sah, waren seine Gedanken bei den aktu-
ellen Rechtsfällen. Zudem machte er sich Sorgen um seine Rückkehr am Abend.
Sollte es den ganzen Tag so weiterschneien, würden die Straßen auch am Abend
schneebedeckt und gefährlich sein.
Kurz vor zwölf Uhr trat Dieter Petzke, ein Senior Legal Counsel, mit hochro-
tem Kopf in Schmidts Büro. „Herr Schmidt, die Kanzlei sagt, sie könnten momen-
tan keinen Anwalt für die M&A-Pre Due Diligence abstellen und unsere eigenen
Mergers-Leute sind terminlich ebenfalls völlig dicht.“ „Verdammt!“, entfuhr es
Hans. „Ich hatte noch keine Zeit, mich damit zu beschäftigen. Mal schauen, ich
versuche trotzdem von der Kanzlei einen fähigen Anwalt zu bekommen. Notfalls
drohe ich denen mit der Kündigung des Rahmenvertrags, sollten sie nicht von sich
aus spuren. In der Zwischenzeit schauen Sie nochmals, ob wir nicht doch noch
intern jemanden dafür erübrigen könnten.“ Petzke verließ das Büro seines Vorge-
setzten. Man sah ihm an, dass er mit dem Gesprächsausgang nicht zufrieden war.
Im Büro von Hans schrillte gleichzeitig das Telefon. Er nahm den Hörer ab, ließ
sich in seinen Stuhl fallen und hörte nur, wie am anderen Ende der Leitung jemand
sagte: „Hans, ich habe ein echtes Problem hier. Die von dir zugesagte Vertrags-
prüfung für den Maschinendeal ist seit zehn Tagen überfällig. Die Jungs vom Ver-
kauf machen mir massiven Druck. Sie sagen, dass sie nicht mehr länger zuwarten
können. Ich brauche den Vertrag unbedingt noch heute. Wie sieht es aus? Konn-
test du dir die Unterlagen durchsehen?“ „Ähmm, ja“, erwiderte Hans mit einer
etwas unsicheren Stimme und streckte seinen Arm in Richtung eines der Unter-
lagenstapel auf der anderen Seite des Schreibtisches aus. „Prima, dann schick mir
den Vertrag doch so rasch wie möglich rüber. Und für die Zukunft würde ich mir
334 R.P. Falta

­ ünschen, dass du besser auf deine Abgabetermine achten würdest“, sagte die
w
Stimme am anderen Ende der Leitung. „Ja, schon gut“, gab Hans etwas ärgerlich
und eine Spur zu laut zurück.
Die Mittagspause verbrachte Hans in seinem Büro und arbeitete durch. Er mochte
es zwar nicht sonderlich, über Mittag zu arbeiten, aber er dachte, es sei oft einfach
nötig, um dadurch Zeit aufzuholen. Auch heute musste er – neben vielem anderen
– ja auch noch unbedingt den Kaufvertrag für die Maschinen durchsehen und das
Personalproblem mit der Kanzlei lösen. Trotzdem wurde er auch während der Mit-
tagspause immer wieder von anderen kleineren Problemen abgelenkt. Um Viertel
nach zwei hatte er in den beiden Angelegenheiten daher noch immer keine großen
Fortschritte erzielt. Da das Budgetmeeting mit der Geschäftsleitung auf 14:30 Uhr
anberaumt worden war, sprang er aus seinem Stuhl, raffte noch rasch einige Unterla-
gen zu den Abteilungsfinanzen zusammen und stürmte aus seinem Büro.
Als er den Meetingroom betrat, fühlte er sich unwohl und auch etwas ängstlich.
Er fühlte, dass die Geschäftsleitung ihm das höhere Budget wohl nicht bewilligen
würde. „Vielleicht werden sie sogar noch Abstriche vom letztjährigen Budget von
mir verlangen?“, schoss es ihm durch den Kopf. Seine Begrüßung der Geschäfts-
leitungsmitglieder spiegelte dann auch seine innere Verfassung wider und war
nur kurz und knapp. Die Anwesenden reagierten auf seine Begrüßung ebenfalls
ohne großen Enthusiasmus. Innert kurzer Zeit war die Atmosphäre im Raum ange-
spannt. Hans ließ sich davon aber nicht beirren und hielt eine eineinhalbstündige
Präsentation, wobei er mehrfach selbst bemerkte, dass sich einige seiner Argu-
mente für die Budgeterhöhung widersprachen und auch teilweise in sich nicht
konsistent waren. Auch auf einige Nachfragen aus dem Plenum war er nicht vor-
bereitet und es wurde ihm immer bewusster, dass er seine Hausaufgaben für dieses
wichtige Meeting nicht ordentlich erledigt hatte. Die, in ihm aufsteigenden, nega-
tiven Gefühle versuchte er, mit Überspielungen und Übertreibungen zu kaschie-
ren. In seiner Verzweiflung flüchtete er sich immer mehr auch in einen beinahe
schon leicht aggressiven Ton, mit dem er noch mit letzter Hoffnung versuchte, das
Budget durchzudrücken. Gleichzeitig bemerkte er, wie in seinem Kopf weitere
negative Gedanken auftauchten: „Weshalb hast du das jetzt bloß so gesagt? Jetzt
kannst du das Budget ganz vergessen? Riskiere ich hier momentan eigentlich mei-
nen Job? Oh nein, schon wieder ist mir etwas Unpassendes rausgerutscht! Reiß
dich zusammen, Mann!“ Gegen Ende seiner Präsentation fühlte sich Hans müde
und ausgelaugt. Auch die anwesenden Geschäftsleitungsmitglieder merkten dies
wohl, da sie damit begannen, negatives Feedback in einer etwas angenehmeren
und nicht so direkten Form abzugeben. Zusammenfassend sagten sie ihm, dass er
die Budgeterhöhung nicht genügend genau durchdacht und er ihnen nicht ausrei-
chend nachgewiesen hätte, weshalb eine solche auch wirklich nötig sei. Sie sagten
ihm auch, dass sie das Budget in der vorliegenden Form nicht genehmigen konn-
ten und empfahlen ihm, es noch einmal zu überarbeiten und in einer Woche erneut
vorzulegen. Entweder in einer abgespeckten Form oder mit einer besseren Begrün-
dung für die projektierten Mehrausgaben. Zu diesem Zeitpunkt war Hans bereits
nicht mehr richtig aufnahmefähig. Sein Kopf drehte sich in einer immer schneller
werdenden Spirale, bis aus dieser ein Gedanke wie ein Blitz hervorschoss: „Ich
27 Self Management für Unternehmensjuristen 335

habe versagt… Ich schaffe es einfach nicht, die Dinge richtig zu machen… Viel-
leicht bin ich hier auch einfach falsch.“ „Hans, du scheinst in der Rechtsabteilung
etwas chaotische Zustände zu haben. Keine Vision, keine genauen Zielvorgaben,
keine Guidelines oder dergleichen…“, hörte Hans den CEO wie durch einen weit
entfernten Filter sprechen und setzte sofort wieder seinen eigenen Gedankengang
fort: „Vielleicht ist die General Counsel-Position einfach eine Nummer zu groß für
mich. Was zum Teufel ist nur mit mir los?“
Das Meeting ging zu Ende. Hans war erschöpft, aber irgendwie auch glücklich,
dass es endlich vorbei war. Als die anderen Geschäftsleitungsmitglieder sich auf
den Weg machten, blieb der Chief Compliance Officer, der Hans wohl gesonnen
war, noch zurück und sagte zu diesem: „Hans, ich weiß noch aus meiner eigenen
Zeit als General Counsel genau, wie du dich fühlst. Ich habe damals gelernt, dass
es sich auszahlt, mehrmals über eine Budgetpräsentation drüber zu gehen. Auf
diese Weise können viele Fehler darin korrigiert werden, bevor du sie hältst. Du
solltest Dir auch wirklich Gedanken über die Organisation der Rechtsabteilung
machen. Da hatte der CEO schon recht. Du solltest viel besser vorausschauen und
die Legal Operations viel besser strategisch durchplanen.“ Hans erwiderte darauf-
hin nur knapp: „Ja, schon gut. Ich kann es mir aber einfach nicht erlauben, die
Zeit für solche Luftschlösser zu vergeuden.“ „Ehrlich gesagt, spart dir die erneute
Bearbeitung des Budgets auch nicht besonders viel Zeit“, meinte daraufhin der
Chief Compliance Officer mit einem Lächeln, das aufmunternd und freundschaft-
lich gemeint war. Ohne dem großen Wert beizumessen, verließ Hans den Meeting­
room in einem irritierten und verärgerten Gemütszustand.
Nachdem er noch einige Stunden in seinem Büro an verschiedenen Rechts-
fällen gearbeitet hatte, verließ er abends das Bürogebäude. In seiner Aktentasche
befanden sich einige weitere Problemfälle, die zu Hause seiner Aufmerksamkeit
bedurften. Für Hans war dies wieder ein schwieriger Tag gewesen, der so schlecht
verlaufen war, wie er sich das am Morgen ausgemalt hatte. Der Schnee hatte die
Landschaft weiter mit seinem weißen Kleid überzogen und glänzte um Hans
herum unter dem hellen Neonlicht der Straßenlaternen. Lachen war zu hören, als
eine kleine Gruppe von Mitarbeitenden sich fröhlich auf dem Parkplatz gegensei-
tig eine Schneeballschlacht lieferte. Hans beachtete sie nicht, er murmelte nur, als
er begann die Scheiben seines Wagens vom Schnee freizumachen: „Verdammter
Schnee, schon wieder alles voll.“

27.2.2 Ein Beispiel für positives Self Management

Nach der Schilderung des Tagesablaufs von Hans Schmidt wollen wir nun auch
mit Rita Müller einen typischen Bürotag verbringen. Sie hat sich – im Gegensatz
zu Hans Schmidt – seit einigen Monaten intensiv mit ihrem eigenen Self Manage-
ment auseinandergesetzt und versucht daher nun täglich, ihre Vorsätze proaktiv zu
leben und sich stetig weiterzuentwickeln:
„Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen für Ihr Feedback und Ihre Offenheit
gegenüber meinen neuen Ideen“, sagte sie zu den Anwesenden. Ritas Präsentation
336 R.P. Falta

vor der Geschäftsleitung war außerordentlich gut verlaufen. Sie war glücklich über
das Feedback, das sie von den Geschäftsleitungsmitgliedern erhielt, als sie die-
sen ihren erweiterten Budgetvorschlag präsentierte. Schließlich hatte sie ja auch
gute Arbeit geleistet: Eine Liste mit überzeugenden Argumenten erarbeitet und
den Budgetvorschlag nicht nur logisch, sondern auch nachvollziehbar mit aktuel-
len Zahlen und durchdachten Inhalten untermauert. Rita spürte, wie plötzlich eine
Welle der Zufriedenheit durch ihren Körper wogte. Sie war positiv überrascht, mit
welcher inhaltlichen Fokussierung und Aufrichtigkeit das Meeting durchgeführt
worden war. Das war genau die Art von Besprechungen, die sie so gerne mochte:
reflexiv, herausfordernd, und dennoch voller Offenheit und Flexibilität für Neues.
Voll des Überschwangs wollte sie gerade aufspringen, um ihrer Freude Luft zu
verschaffen… „Liebling, möchtest du noch etwas Kaffee?“, fragte ihr Ehemann,
worauf sie antwortete „Oh ja, sehr gerne. Könntest du mir den Kaffee bitte in die
Thermoskanne einfüllen? Ich muss gleich los.“ Während ihr Ehemann den Kaf-
fee in die Thermoskanne goss, fragte er Rita: „Du scheinst heute morgen ganz in
Gedanken vertieft zu sein. Was beschäftigt dich so sehr?“ „Ach, heute findet die
Besprechung des Budgets statt. Ich werde heute endlich die Gelegenheit bekom-
men, meine Anliegen und meine neuen Ideen vor der Geschäftsleitung zu präsen-
tieren. Das wird sicher nicht einfach, aber ich habe mich gut vorbereitet und ich
freue mich schon bereits ein bisschen darauf“, antwortete ihm Rita und lehnte sich
mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck in ihrem Stuhl zurück. „Na, das wird
wieder ein Tag“, dachte sie voller Vorfreude.
Nachdem sie draußen die vereisten Scheiben ihres Wagens freigemacht hatte,
warf sie noch einige Schneebälle auf einen nahestehenden Baum und dachte, als
sie in den Wagen stieg: „Es schneit so schön. Dieses Wochenende wäre ja perfekt,
um mit den Kindern schlitteln zu gehen.“ Vor ihrem inneren Auge stellte sie sich
dabei vor, wie sie mit ihrem Ehemann und den beiden Kindern im Schnee herum-
tollen würde. Kurze Zeit später war sie bereits auf der Autobahn. Auf dem Weg ins
Büro liefen die Nachrichten im Radio. Rita stellte daher auf einen anderen Kanal
um, auf dem schöne Musik lief. Sie hatte in der Vergangenheit festgestellt, dass
die morgendlichen Nachrichten, in denen oft über schreckliche Dinge berichtet
wurde, einen negativen Einfluss auf ihre Gedanken hatten. Im Moment wollte sie
sich daher nicht die gute Stimmung verderben. Zumal sie ja die Tageszeitung noch
später im Büro lesen würde. Stattdessen hörte sie Musik und betrachtete den wun-
derbaren Sonnenaufgang. Da sich die Straße staute, entschied sich Rita noch etwas
im Wagen zu arbeiten. Sie stellte das Radio aus und diktierte einige Memos in ihr
Smartphone, während sie langsam durch den Stoßverkehr glitt und ab und zu an
ihrem Kaffee aus der Thermoskanne nippte. Sie freute sich über das Glitzern des
neu gefallenen Schnees auf den Bäumen und über die zu ihr herüberwinkenden
und lachenden Schneemänner, die in den Vorgärten standen.
Als Rita ihren Wagen parkierte, fühlte sie sich ausgeglichen und bereit für
die Herausforderungen des Tages. Sie ging langsam auf das Bürohochhaus ihres
Unternehmens zu und genoss den Schnee und die frische kalte Luft der wunder-
baren Gartenlandschaft, welche den Bürokomplex umgab. Den Mitarbeitenden,
denen sie auf dem Weg in ihr Büro begegnete, lachte sie entgegen und grüßte sie
27 Self Management für Unternehmensjuristen 337

freundlich. Rita mochte die Kollegen im Unternehmen und fand es wichtig, sich
mit ihnen auszutauschen. Schon oft war sie dadurch auf neue Ideen gestoßen oder
hatte wichtige Informationen erhalten. Zudem war sie davon überzeugt, dass sol-
che Gespräche wichtig waren, um wertvolle Beziehungen aufzubauen, welche die
Zusammenarbeit vereinfachten, wenn sie auf die Hilfe anderer angewiesen war,
um ihre Arbeit als General Counselin zu erledigen. Bevor sie in ihr Büro eintrat,
hielt sie noch einen fröhlichen Schwatz mit ihrer Sekretärin und anderen Kollegen,
die gerade draußen zusammenstanden. Rita lächelte, als sie sich in ihrem Büro
umsah, das sie nach ihrem persönlichen Geschmack eingerichtet hatte. Sie mochte
diesen Ort, an dem sie sich täglich herausgefordert und trotzdem wohl fühlte. Für
Rita war es wichtig, dass die Arbeit ein bereichernder Teil ihres Lebens war. Kurze
Zeit später saß sie hinter ihrem Schreibtisch. Bevor sie jedoch mit der täglichen
Arbeit begann, dachte sie einige Augenblicke über die Tagesplanung nach, wäh-
rend sie entspannt in ihrem Bürostuhl wippte. In Gedanken machte sie eine Liste
mit den wichtigen Aufgaben, die aktuell zu erledigen waren. Erst als sie ganz
sicher war, welche Arbeiten heute auf ihrem Programm stehen sollten, öffnete sie
ihr Outlook und trug diese dort ein, damit auch das Sekretariat und ihre Mitarbei-
tenden genau wussten, was heute im Fokus der Chefin stand.
Die nächsten Stunden arbeitete Rita intensiv an den zuvor definierten prioritä-
ren Tagesaufgaben. Zudem hatte sie Zeit eingeplant, um ihre Budgetpräsentation
noch ein letztes Mal durchzugehen. In aller Ruhe wiederholte sie alle Argumente
für eine Budgeterhöhung, während sie sich die Besprechung in hellem, warmem
Licht visualisierte und sich vorstellte, wie diese positiv verlaufen würde. Wie
üblich hielt die Sekretärin ihr in dieser Zeit alle unwichtigen Anrufe fern und ließ
nur diejenigen durch, die wirklich wichtig waren. Rita hatte im Zuge ihrer Ausein-
andersetzung mit Self Management vor einigen Monaten beschlossen, solange sie
noch frisch im Kopf war, den Morgen jeweils zuerst für die Arbeitsplanung und
danach ausschließlich für die Bearbeitung der besonders wichtigen Aufgaben zu
reservieren. Es war ihr besonders wichtig, dabei nur ein Minimum an Ablenkung
zuzulassen, um bei den intensiven Arbeiten auch zügig voranzukommen. Nach
dem Mittagessen hatte sie sich hingegen jeweils eine zweistündige „Troubleshoo-
ting- und Kommunikationszeit“ reserviert, in der sie Probleme der Mitarbeiten-
den mit diesen persönlich zu besprechen pflegte und die Telefonliste durchging,
die sich während des Morgens angesammelt hatte. Ihr Sekretariat und alle ihre
Mitarbeitenden wussten genau, das Rita außerhalb dieser „Büroöffnungszeiten“
keine Störungen duldete, es sei denn, es würde sich dabei um echte Notfälle han-
deln. Natürlich empfand ihre nächste Umgebung den Ausschluss außerhalb die-
ses Zeitfensters am Anfang als Zurückweisung, da Rita zuvor stets eine open
door-Policy gepflegt hatte. Doch rasch betrachteten die Mitarbeitenden dies aus
einer anderen Perspektive. Sie sahen es mit der Zeit eher als ein Zeichen von Ritas
Vertrauen. Die Mitarbeitenden merkten auf einmal, wie viele Probleme sie selbst
lösen konnten, für die sie früher immer jeweils die Chefin hinzugezogen hatten.
Durch die Einführung dieses zweistündigen Zeitfensters wurde Rita nicht nur von
vielen kleinen Problemen befreit, auch das Selbstvertrauen und die Eigenständig-
keit ihrer Mitarbeiter waren in den vergangenen Monaten merklich gewachsen.
338 R.P. Falta

Zudem wusste jedes Mitglied des Legal Teams, dass Ritas Türe nach wie vor –
nun einfach nur noch nachmittags – offenstand, wenn sie die Meinung oder den
Rat der General Counselin einholen wollten. Zudem hatte sie ein gemeinsames
Ablagesystem in der Rechtsabteilung etabliert und auf einen möglichst papier-
losen Bürobetrieb umgestellt. Aktenstapel kamen zwar noch vor, doch äußerst
selten. Die meisten Dokumente lagen eingescannt in der Datenbank. Anstatt des
früher voll belegten Schreibtisches gab es nun viel Raum. Auch für einen kleinen
Wecker, der nach 65 min jeweils einen kurzen Ton von sich gab. Dies war für Rita
das Zeichen, die Arbeit für einige Augenblicke ruhen zu lassen, aufzustehen, im
Büro hin- und herzugehen, sich einmal richtig durchzustrecken oder sich an den
schönen an der Bürowand aufgehängten Bilder zu erfreuen. Diese hatte sie spe-
ziell ausgewählt: Sie zeigten fröhliche Szenen aus ihrer eigenen Vergangenheit
oder malerische Orte, an die sie irgendwann einmal noch gerne reisen wollte. Oft
blickte sie in solchen kurzen Pausen aber auch gerne für einige Augenblicke aus
dem Fenster und freute sich an dem herrlichen Ausblick aus dem zehnten Stock-
werk des Bürohochhauses. Gerade jetzt gefiel ihr die Aussicht besonders gut, da
es wieder angefangen hatte zu schneien. Sie sah einen glänzenden, mit Eis bedeck-
ten kleinen See, dahinter dichte Wälder und fern im Hintergrund ein stolzes Berg-
massiv. Manchmal träumte sie in diesen kurzen Pausen aber einfach nur vor sich
hin. Zum Beispiel erinnerte sie sich gerne daran, wie sie im vergangenen Winter
mit ihrer Familie zusammen vor dem offenen Kamin saß und sie gemeinsam einen
Kakao schlürften. Rita schätzte diese Momente des kurzen Glücks sehr, halfen
sie ihr doch dabei, sich zu entspannen, um danach wieder umso frischer an die
Arbeit gehen zu können. In einem Seitengestell stand eine kleine Plakette, auf der
zu lesen war: „There is nothing so powerful as the human mind well maintained
and purposefully set into motion.“ Als ihr Blick über diese Zeilen glitt, dachte
sie, als würde sie der Plakette antworten: „Ich sollte wirklich wieder einmal etwas
Zeit in meine persönliche Weiterentwicklung investieren. Auf dem Nachhauseweg
halte ich noch kurz bei der Bibliothek und hole mir dort ein Self Management-
buch, das ich noch nicht gelesen habe.“ Sie lächelte, als sie darüber nachdachte,
wie sehr sich ihr Leben in den letzten Monaten verbessert hatte. Plötzlich schnellte
ihre Aufmerksamkeit wieder zurück in die Gegenwart. Ihr war gerade eine tolle
Idee für eine Prozessveränderung gekommen. Sie hatte sich schon seit längerem
damit herumgeschlagen, die Effizienz der Rechtsabteilung zu erhöhen. In diesem
Moment sah sie das neue Prozessdesign so klar vor ihrem inneren Auge, als würde
es auf dem Tisch vor ihr liegen. Sofort zeichnete sie es auf ihrem Tablet nach,
machte sich Notizen dazu und murmelte für sich: „Das wird uns möglicherweise
einiges an Kosten einsparen.“ (Die Prozessveränderungen sollten sich im Nach-
gang tatsächlich als sehr wirksam erweisen. Sie führten dazu, dass bedeutende
Kosteneinsparungen in der Rechtsabteilung möglich wurden. Auch für Rita hat-
ten sie persönlich einen positiven Effekt, als es für sie darum ging, ihre höheren
Gehaltsforderungen zu rechtfertigen.)
Kurz vor zwölf Uhr trat Hermann Röhrich, ein Senior Legal Counsel, mit hoch-
rotem Kopf in Ritas Büro. „Frau Müller, die Kanzlei sagt, sie könnten momen-
tan keinen Anwalt für die M&A-Pre Due Diligence abstellen und unsere eigenen
27 Self Management für Unternehmensjuristen 339

Mergers-Leute sind terminlich ebenfalls völlig dicht.“ „Dann rufen Sie bitte Herrn
Dietrich an“, antwortete ihm Rita mit beunruhigter, aber kontrollierter Stimme.
„Wir hatten bereits einmal so eine unangenehme Situation mit der Kanzlei. Viel-
leicht kann er ja doch noch etwas machen. Ich rufe in der Zwischenzeit Albrecht
Thoma an und frage ihn, ob ich eventuell einen seiner Spezialisten ausborgen
könnte. Wir haben in der Vergangenheit immer gut zusammengearbeitet und ich
weiß, dass er mich nicht im Stich lassen würde, wenn es für ihn möglich ist.
Zudem wäre ich froh, Hermann, wenn du dir mit deinen Teamkollegen zusammen
eine Strategie überlegen könntest, wie wir in Zukunft mit solchen Personaleng-
pässen besser umgehen könnten. Es wäre zum Beispiel möglich, auch mit andern
Kanzleien zusammenzuarbeiten oder ein Frühwarnsystem einzurichten, damit sol-
che unangenehmen Situationen erst gar nicht entstehen. Wie wäre es zum Beispiel
mit einer besseren Verknüpfung zwischen der Aufgabenplanung der gesamten
Rechtsabteilung und eurem Transaction-Management-Team? Vielleicht fällt euch
aber noch etwas anderes ein. Lass mich einfach bis nächsten Freitag wissen, was
ihr am besten findet.“ Röhrich verließ das Büro seiner Vorgesetzten. Man sah ihm
an, dass er innerlich etwas ruhiger und sogar ein bisschen stolz war, dass er soeben
mit einer wichtigen Optimierungsaufgabe betraut worden war. Mit dieser würde
er endlich zeigen können, dass er zu mehr fähig war, als sich „nur“ um rechtliche
Probleme zu kümmern.
Natürlich lief nicht alles völlig rund in der Rechtsabteilung. Auch mit den posi-
tiven Veränderungen, die Rita eingeführt hatte, gab es immer wieder Konflikte,
akute Notfälle und problematische Situationen. Doch die Mitarbeitenden wussten,
dass sie vieles selbst in die Hand nehmen konnten. Sie wussten zudem: Sollte es
ganz schlimm kommen, war auf ihre Vorgesetzte stets Verlass. Rita ihrerseits ver-
suchte gar nicht mehr, sich überall einzumischen oder alles an sich zu reißen und
selbst machen zu wollen. Die Blicke der Mitarbeitenden, die sich seit einiger Zeit
immer mehr mit Selbstvertrauen und Entschlossenheit füllten, sprachen ein deutli-
ches Bild für die Eigenverantwortung, die diese unter Ritas Führung immer mehr
zu übernehmen begannen. Kurz bevor Rita in die Mittagspause ging, schaute sie
nochmals im Outlook die Pendenzenliste durch und war zufrieden, dass sie bereits
einen Großteil der für heute vorgesehenen wichtigen Arbeiten erledigt hatte.
Über Mittag traf sie sich mit zwei ihrer Mitarbeitenden zu einem gemütli-
chen Lunch. Die Stimmung war vergnügt, die drei sprachen über Themen, wel-
che die Rechtsabteilung betrafen. Sie tauschten sich aber auch über persönliche
und andere interessante Sachen aus. Für Rita war es wichtig, sich jede Woche
zwei Lunchtermine für Gespräche mit einer sich stetig abwechselnden Kombina-
tion von Mitarbeitenden offenzuhalten. Schließlich war dies eine gute Team-Buil-
ding-Maßnahme, die als Identity Happening ausgestaltet dazu führte, dass Rita
einen guten Draht zu ihren Mitarbeitenden hatte und bestens über Vorgänge im
Unternehmen und in ihrer eigenen Abteilung unterrichtet war, da sie sich selbst
nicht allzu sehr in den Flurfunk einlassen wollte. Zudem war ein Lunchtermin
pro Woche jeweils für interne oder externe Interaktionspartner bestimmt und zwei
weitere für ihren ausschließlich privaten Gebrauch, in denen sie oft spazieren ging
oder eine Sporteinheit über Mittag einlegte. Nach dem Lunch erledigte sie noch
340 R.P. Falta

einige Administrativaufgaben, für welche die leichte Trägheit nach dem Mittag-
essen genau richtig war, besprach zwei Anliegen direkt mit ihren Mitarbeitenden
und führte noch einige Telefonate. Die Zeit nach dem Mittagessen war gemeinhin
immer etwas hektisch, doch Rita versuchte auch hier ruhig zu bleiben und jeweils
eine Aufgabe nach der nächsten abzuarbeiten. Heute hatte sie ihre „Büroöffnungs-
zeiten“ etwas verkürzt, damit sie noch genügend Zeit hatte, um ihre Gedanken auf
das vorstehende wichtige Meeting zu fokussieren und die Budgetpräsentation ein
letztes Mal durchzugehen. Zuvor machte sie sich aber noch eine Liste mit denjeni-
gen Aufgaben und Telefonaten, die sie heute nicht mehr geschafft hatte und die sie
daher auf die morgigen Öffnungszeiten umlegen musste.
Als Rita den Meetingroom einige Minuten zu früh betrat, fühlte sie sich zwar
etwas nervös, insgesamt aber ausgeglichen, selbstbewusst und gut vorbereitet.
Sie begrüßte jedes einzelne Geschäftsleitungsmitglied mit Handschlag und eini-
gen freundlichen Worten. Sie freute sich über diese sich ihr heute bietende Gele-
genheit, um die neue Ausrichtung der Legal Operations und die dafür benötigten
Mittel denjenigen Personen vorzustellen, welche die stets knappe Geldbörse des
Unternehmens verwalteten. Und sie wollte in der kurzen Zeit, in der sie mit der
gesamten Geschäftsleitung zusammensaß, das Maximum für ihre Abteilung her-
ausholen. Die Präsentation dauerte nur rund 45 min und verlief so rund und ange-
nehm ab, wie es sich Rita am Morgen vorgestellt hatte. Auch einige Nachfragen
konnten zur vollsten Zufriedenheit der Anwesenden geklärt werden. „Ich verstehe,
dass sie den Nutzen der Budgeterhöhung hinterfragen. Deshalb habe ich folgendes
Chart erstellt, aus dem ersichtlich ist, dass die zusätzlichen Kosten durch Wert­
steigerungsmaßnahmen innert einer Frist von nur fünf Monaten wieder hereinge-
holt werden. Dadurch resultiert im Schnitt über die nächsten zwölf Monate ein net
cash flow von 1,5 Mio. EUR durch die Rechtsabteilung. Die Budgeterhöhung stellt
also ein sehr gutes Mittel dar, um dadurch – im Gegensatz zu der damit verbunde-
nen einmaligen Investition – bedeutend höhere Optimierungsgewinne über einen
Zeitraum von zwei Jahren einzubringen.“ „Das macht tatsächlich alles Sinn“,
gab darauf Gesine Bismarck, die CFO des Unternehmens zurück. „Unter den von
Ihnen zugrunde gelegten Annahmen sieht das wirklich vielversprechend aus.“ „Es
sieht so aus, als hättest du deine Hausaufgaben gemacht, Rita. Ich bin auch davon
beeindruckt, wie du die Rechtsabteilung in den vergangenen Monaten auf Vorder-
mann gebracht hast. Weiter so…“, fügte Roland Wüthrich, der CEO, hinzu, dem
man es ansah, dass er sich ehrlich freute. Ritas Budgeterhöhung wurde einstimmig
in der Form genehmigt, in der sie diese der Geschäftsleitung vorgelegt hatte. Was
aber noch viel wichtiger war, Rita hatte dieser Gruppe erfahrener Manager wie-
der in Erinnerung gerufen, dass das Legal Team eine wichtige und wertschöpfende
Funktion im Unternehmen war und stets auch das Finanzergebnis im Blick hatte,
anstatt wie früher fast ausschließlich ängstlich vor Rechtsrisiken zu warnen. Für
Rita bedeutete es persönlich, sich vor den einzelnen Mitgliedern der Geschäfts-
leitung professionell und ergebnisorientiert zeigen zu können und dadurch die
bereits guten Beziehungen zu diesen weiter zu vertiefen. Zudem freute sie sich
über das Lob, das sie erhalten hatte. Aber noch viel mehr freute sie sich darüber,
dass sie selbst auf sich stolz sein konnte, ein solch wichtiges Meeting erfolgreich
27 Self Management für Unternehmensjuristen 341

a­bgeschlossen zu haben. „Das ist erst der Anfang“, dachte sie. „Ich kann tat-
sächlich einiges bewegen. Ich werde auch in Zukunft dafür sorgen, dass mit der
Rechtsabteilung zu rechnen ist. Ich weiß, ich kann es schaffen, bald selbst Mit-
glied der Geschäftsleitung zu sein. Sofern ich den anderen weiterhin zeigen kann,
welchen echten Mehrwert sie durch mich erhalten.“
Nachdem sie noch einige Komplimente von verschiedenen Geschäftsleitungs-
mitgliedern für ihre Präsentation erhalten hatte, kehrte sie mit einem guten Gefühl
in ihr Büro zurück. Die nächsten Stunden verbrachte sie damit, die noch wichtigen
Tagesaufgaben fertigzustellen, auch wenn ihr dies heute aufgrund ihres Hochge-
fühls etwas schwerer fiel als sonst. Sie verließ am Abend das Büro ohne Arbeit
mit nach Hause zu nehmen. Sie nahm grundsätzlich keine Arbeit mit nach Hause,
wenn es nicht unbedingt nötig war, da sie es fast immer schaffte, ihre Arbeiten,
die sie nicht delegieren konnte oder wollte, innerhalb der Bürozeiten fertigzustel-
len. Trotzdem hatte sie zu Hause immer wieder ausgezeichnete Ideen zu Heraus-
forderungen in ihren Legal Operations, die besonders dann auftauchten, wenn sie
sich entspannte oder sich mit anderen Dingen beschäftigte. Sie hatte daher stets
irgendwo ein Tablet in ihrer Nähe, um solche Geistesblitze sofort aufzeichnen zu
können. Viele solcher Ideen bewahrten sie vor einem späteren großen Arbeitsauf-
wand im Büro. Heute Abend würde zu Hause aber Feiern auf der Tagesordnung
stehen. Rita ertappte sich dabei, dass sie eine bekannte Melodie, die aus dem
Radio kam, mitsummte, während sie sich in den Fahrersitz zurücklehnte und noch
einmal den ganzen Tag und ihre Erfolge Revue passieren ließ. Während sie durch
die Frontscheibe auf die verschneite Schneekulisse um sich blickte, dachte sie mit
einem Lächeln auf den Lippen: „Ich habe wirklich den besten Job der Welt. In ihm
kann ich meine Stärken voll ausleben und viel Positives für meine Kollegen und
das Unternehmen bewirken… So, jetzt aber ab nach Hause! Jetzt ist erst einmal
Feiern mit meinen Liebsten angesagt.“

27.2.3 Was wir aus den Beispielen lernen können

Beide Personen verfolgen unterschiedliche Extrembeispiele für Self Management


unter ansonsten fast identischen Bedingungen: Beide sind klug, fleißig, haben in
ihrem Leben bereits viele wichtige Erfahrungen gesammelt und beide versuchen,
das Beste für sich und andere zu machen. Der große Unterschied besteht jedoch
darin, dass bei Rita Müller, im Gegensatz zu Hans Schmidt, ein Umdenken statt-
gefunden hat. Seit einigen Monaten setzt sie auf ein positives Self Management,
das sie maßgeblich darin unterstützt, sich den Herausforderungen im Privaten
und vor allem auch im Arbeitsalltag mit einer positiven Grundhaltung zu stellen.
Sie verfolgt im Gegensatz zu Hans viele positive Strategien und Maßnahmen, die
sie auf ihre ganz spezifische Situation anzupassen gelernt hat: Sie kontrolliert in
dem Maße ihre Umwelt, in dem sie dazu in der Lage ist (zum Beispiel telefonfreie
Intensivarbeitszeit am Morgen oder die eingeschränkten „Büroöffnungszeiten“ am
Nachmittag). Es ist ihr bewusst geworden, dass sie selbst nur relativ wenig wirk-
lich beeinflussen kann. Die Aufregung von Hans über sehr viele Dinge von außen
342 R.P. Falta

(zum Beispiel das verschneite Auto morgens und abends) sind völlig überflüssig,
da er überhaupt nichts daran ändern kann. Eine positive Geisteshaltung lässt uns
dies erkennen und kann uns dabei helfen, diese vermeintlich negativen Aspekte
des Lebens in positiven Elan umzuwandeln. Hätte Hans auch einige Schneebälle
geworfen – wer hat das als Kind nicht gerne gemacht –, wäre er wohl schon mit
etwas weniger Verdruss in den Tag gestartet. Zudem übt sich Rita in Selbstkon-
trolle, indem sie klar ihr Tagespensum am Morgen vorausplant und es vor dem
Lunch nochmals auf die erzielten Fortschritte hin überprüft.
Auch die Hauptaufgabe, das Halten der Budgetpräsentation, geht Rita gewis-
senhaft an und tut alles dafür, dass diese möglichst gut verläuft. So, wie sie es
sich mehrfach vorgestellt hatte. Visualisierungen und positives Denken helfen Rita
dabei, sich in eine angenehme, lockere und dabei trotzdem selbstbewusste Stim-
mung zu versetzen. Obwohl sie, wie jeder andere, vor dem Meeting nervös ist, da
für sie und die Rechtsabteilung viel auf dem Spiel steht. Darin zeigt sich auch die
hauptsächliche Stärke ihres Self Management: Sie geht alles mit einer positiv-op-
timistischen und konstruktiven Haltung an und richtet ihr gesamtes Denken und
Handeln daran aus. Sie überlässt ihre positive Stimmung aber nicht dem Zufall,
sondern achtet genau darauf, dass sie selbstbestimmt diese beeinflussen kann (zum
Beispiel durch die Betrachtung der speziell dafür ausgewählten Bilder in ihrem
Büro, durch den Kanalwechsel am Radio oder durch „Mikrorealitätsfluchten“ –
die ganz kurzen für Rita aber enorm erfrischenden Tagträume).
Zudem erlaubt sie sich auch immer wieder „Mikrobelohnungen“, um weiterhin
hoch motiviert zu bleiben. Diese erfolgen in unterschiedlichen Formen: Einmal
mental (zum Beispiel durch „gesundes“ Eigenlob oder die Vorstellung positiver
Effekte ihrer Handlungen), das andere Mal auf physische Art und Weise (durch
das Genießen der Aussicht aus ihrem Bürofenster, durch Spaziergänge über Mit-
tag, um sich für die harte Arbeit des Morgens zu belohnen, oder durch das Fei-
ern der Budgeterhöhung zu Hause). Dabei hört sie genau auf ihren Körper und
weiß daher, dass ihre Aufmerksamkeitsspanne nur eine gewisse Zeit anhält (zum
Beispiel nutzt sie den Wecker, um zu wissen, wann es wieder Zeit ist, eine kurze
Pause einzulegen). Durch die Einhaltung dieses Rhythmus bleibt sie den ganzen
Tag über maximal produktiv und geistig fit. Zudem weiß sie, welcher chrono-bio-
logische Tagesrhythmus am besten für sie geeignet ist (zum Beispiel beschäftigt
sie sich morgens mit den intensivsten Arbeiten und erledigt kurz nach dem Mit-
tagessen „lockere“ Gespräche und Telefonate). Manchmal reflektiert Rita über
den Sinnbezug, den sie selbst durch ihre Arbeit erfährt (zum Beispiel durch die
Abendreflexion über die positiven Aspekte des Tages oder durch eine selbstver-
stärkende Konklusion darüber, dass sie den besten Job der Welt hat) und darüber,
welchen Sinn sie für ihre Mitarbeitenden und ihr Unternehmen stiftet.
Schließlich hat Rita auch gelernt, dass positives Self Management dazu animiert,
bewusste positive Denkmuster umzusetzen: Im Gegensatz zu Hans, für den der
Berufsalltag zur Qual geworden ist, da überall Probleme lauern und er die betrieb-
liche Realität durch einen fast ausschließlich negativen Wahrnehmungsfilter sieht,
steht bei Rita die Sichtweise im Vordergrund, die Probleme als H­ erausforderungen
27 Self Management für Unternehmensjuristen 343

zu verstehen und in ihnen die Möglichkeiten des Wachstums und der Sammlung
von Erfahrungen zu sehen. Dabei hat dies nichts mit einem „rosaroten Einfärben
der Welt“ zu tun oder einer naiv-optimistischen Haltung. Es geht vielmehr darum,
die Welt so zu sehen, wie sie ist, aber sich nicht von Problemen und Hindernis-
sen unterkriegen zu lassen. Es geht für Rita darum, sich ihre Zufriedenheit und
Freude zu erhalten, die mit der spezifischen Wahrnehmung ihres Lebens verknüpft
ist. Viele Menschen, wie wohl auch Hans Schmidt, vergessen gerade im hekti-
schen Berufsalltag allzu oft, dass unsere Lebenszeit nicht ewig währt und dass das
Leben, das wir zurzeit führen, kein Training und keine Vorbereitung auf etwas ist,
das irgendwann noch kommen soll. Unser Leben spielt sich im Hier und Jetzt ab.
Daher ist es auch so wichtig, dieses gegenwärtige Leben durch Self Management
positiv und angenehm zu gestalten. Nur so können die zwei Leitmaximen „Leis-
tungsfähigkeit“ und „Lebenszufriedenheit“, die aufs engste miteinander verknüpft
sind – das eine gibt es nicht ohne das andere – langfristig im eigenen Leben veran-
kert und jeden Augenblick gelebt werden. Wie Sie Ihr Leben gestalten, ob eher in
der Art, wie es Rita versucht, oder ob Sie sich wie Hans den Umständen ergeben,
ist nur davon abhängig, wofür Sie sich persönlich entscheiden. Das Tolle daran: Der
Entscheid zu einem positiven Self Management zu wechseln, kann jederzeit erfol-
gen. Auch während Sie diese Zeilen lesen. Aber er muss bewusst erfolgen und es
muss Ihnen Spaß machen, sich mit sich selbst zu befassen, sich selbst einmal in den
Mittelpunkt Ihrer Aufmerksamkeit zu stellen und sich das eigene künftige positive
Selbst in seiner ganzen Farbenpracht vorzustellen.

27.3 Ideen für Ihr eigenes Self Management-


Entwicklungsprogramm

Aus Rita's Geschichte lassen sich bereits einige Ideen für ein Self Manage-
ment-Entwicklungsprogramm ableiten. Sofern Sie die eigene Lebensgestaltung
aber noch mehr in Ihren Lebensmittelpunkt rücken möchten, gilt es, sich in einem
ersten Schritt zu überlegen, was „Spitzenleistung“ und „Lebenszufriedenheit“
eigentlich für Sie persönlich bedeuten. Bei beiden Worten handelt es sich bekannt-
lich um Begriffe, die unterschiedlich interpretiert werden können; genauso wie
„Lebenssinn“, „Lebensfreude“, ein „gutes Leben führen“, „Karriere machen“,
„gute Beziehungen haben“, „altern und sterben“ etc. Auch diese stellen individuell
attribuierte Konstrukte dar, über die es sich ebenfalls lohnt, aus der eigenen sub-
jektiven Perspektive heraus zu reflektieren. Ein ausgezeichnetes Instrument5, um
sich innert relativ kurzer Zeit einen Überblick über die eigenen Lebensziele zu
verschaffen, geben auch diverse Anleitungen in Self-help-Büchern.

5Beispiel
„Personal Elite Performance (PEP) SELF-ASSESSMENT – EINZELPERSONEN“,
www.septagon.ch/media/text-publikationen. Besucht 10. Mai 2017.
344 R.P. Falta

Sobald Sie sich intensiv mit sich und Ihren allgemeinen Lebenszielen ausein-
andergesetzt haben, gilt es, anhand dieser ein auf Ihre individuellen Bedürfnisse
zugeschnittenes Self Management-Entwicklungsprogramm zusammenzustellen.
Eine Individualisierung ist hierbei besonders wichtig, da ja auch Sie selbst abso-
lut einzigartig sind. Jeder Mensch verfügt über ein spezielles Persönlichkeits- und
Skillprofil, weist einen unterschiedlichen Werdegang auf, hat exklusive Erfahrun-
gen gemacht und verfügt daher über besondere Stärken und Schwächen in Hin-
blick auf sein eigenes Self Management. Aus diesem Grund funktionieren die
Ratschläge aus Self-help-Ratgebern oft nicht in der gewünschten Weise, da sie, um
sich an ein breites Publikum zu wenden, in der Regel zu allgemein gehaltene Stra-
tegien, Methoden und Tipps bereit halten. Dennoch lohnt sich, ab und zu auch ein
Blick in solche – meist nicht-wissenschaftliche – Literatur zu werfen, da sie dazu
inspirieren kann, eigene neue Wege einzuschlagen.

27.3.1 Die eigenen Zielsetzungen überdenken

Leistungsfähigkeit und Lebenszufriedenheit stellen die zwei „ewigen Ziele“ des


Self Management dar, auf deren Grundlage individuelle Bestandes- und Zwischen-
ziele definiert werden. Um etwas konkreter zu werden: Welche der folgenden Bei-
spielziele würden Sie gerne innert zwölf Monaten im Rahmen Ihres eigenen Self
Management-Entwicklungsprogramms verfolgen?

• Sich besonders oft produktiv, optimistisch und wohl fühlen.


• Eine hohe Zufriedenheit und Sinnstiftung durch das Arbeits- und Privatleben
erfahren.
• Gekonnt mit Hochstressphasen am Arbeitsplatz und im Privaten umgehen.
• Sich rasch wieder von Rückschlägen und Misserfolgen erholen und an ihnen
wachsen.
• Sich stets zielgerichtet und fokussiert mit den täglichen Arbeiten auseinander-
setzen können.
• Sich durch Bewegung sowie gutes und gesundes Essen wohl im eigenen Körper
fühlen.
• Ohne Probleme einschlafen und danach mindestens 7+ Stunden pro Nacht
durchschlafen.
• Genügend Qualitätszeit mit den wichtigen Menschen in Ihrem Leben verbringen.
• Sich vermehrt wieder auf die wichtigen Dinge im Leben konzentrieren.

Es gilt daher, sich intensiv zuerst mit den eigenen Zielsetzungen zu beschäftigen:
Was fehlt mir heute in meinem Leben? Welche der suboptimalen Bereiche möchte
ich zuerst angehen? Wo bin ich bereits gut und möchte dort noch besser werden?
Wo bin ich momentan kritisch unterwegs? Bedingt eines meiner Ziele als Grund-
lage, dass ich zuerst einige andere Punkte in meinem Leben ändere? Bis wann
27 Self Management für Unternehmensjuristen 345

möchte ich jedes der Ziele erreicht haben? Wer kann mich darin persönlich unter-
stützen? Wo finde ich inhaltliche Hilfestellung? Was mache ich bei Rückschlägen?
Wie stelle ich die Veränderungsmotivation für die nächsten zwölf Monate sicher?
Gibt es in meinem Umfeld jemanden, der an demselben Ziel arbeitet und sich mit
mir austauschen oder kooperieren würde beziehungsweise wir uns gegenseitig
motivieren könnten?

27.3.2 Elemente eines Self Management-


Entwicklungsprogramms

Wo befinden sich die einzelnen Stellschrauben, die für meine persönliche Weiter-
entwicklung nötig sind? In diesem Bereich lohnt sich ein Blick auf professionelle
Hochleistungsprogramme. So gibt es bei diesen keine unbegrenzt hohe Zahl an
Sachverhalten, die eine optimale Ausrichtung auf persönliches Wachstum ermög-
lichen. Zum Beispiel werden im PEP-Programm, wie in Abb. 27.1 dargestellt, vier
Lebensbereiche unterschieden, die für das Self Management von Spitzenleistern
und „Superstars“ in Sport, Kultur und Wirtschaft maßgeblich sind.

Abb. 27.1  Überblick SEPTAGON Personal Elite Performance (PEP)©-Programm 2016/2017.


(Quelle: SEPTAGON ANALYSIS GmbH)
346 R.P. Falta

Die Herausforderung besteht darin, die vier Lebensbereiche stetig in Balance


zu halten und diejenigen (Sub-)Bestandteile weiterzuentwickeln, die bereits stark
sind beziehungsweise die unterentwickelten (Sub-)Bereiche auf ein (zumindest)
nicht-schädliches Niveau anzuheben:6

• Neuro-Energetics – Alles, was sich in Ihrem Kopf abspielt: Wie wir bei
Rita gesehen haben, bestand die Grundlage für ihre Lebenszufriedenheit und
überdurchschnittliche Leistungsfähigkeit in der Art und Weise, wie sie dachte,
sich selber sah und mit welcher Haltung sie an die Dinge ihres Arbeitsalltags
heranging. Mithin liegen in der Beeinflussung der eigenen Wahrnehmung, der
eigenen Stimmungen, Einstellungen und dergleichen die größten Veränderungs-
potenziale für Ihr positives Self Management. Für Sie heißt das, sich mit der
Wahrnehmung der eigenen Vergangenheit (konstituierende Vergangenheit), den
Wünschen und Hoffnungen (antizipierende Zukunft), der meist unbewussten
(habituelle Gegenwart) sowie der bewussten Gegenwartsbewältigung (transmu-
tierende Gegenwart) auseinanderzusetzen.
• Bio-Energetics – Alles, was mit Ihrem Körper zu tun hat: Getreu dem latei-
nischen Bonmot mens sana in corpore sano spielt die körperliche Verfassung
ebenfalls eine entscheidende Rolle für die persönliche Leistungsfähigkeit und
Lebenszufriedenheit. Im Beispiel nimmt sich Rita alle 65 min Zeit für eine
kurze Pause und bewegt sich dabei regelmäßig. Besonders bewusst wird dieser
Lebensbereich, wenn es einer Person gesundheitlich nicht mehr gut geht (bei
Hans könnte das Zusammenziehen des Magens am Morgen eventuell auf eine
Erkrankung hindeuten). Sind Körper und Geist nicht in Ordnung, ist an echte
Zufriedenheit und Leistung nicht zu denken.
• Socio-Dynamics – Alles, was mit Interaktionen mit anderen Menschen zu
tun hat: Von den in der Regel engsten sozialen Beziehungen in der eigenen
Familie, über „echte“ Freunde, Kollegen bis hin zum Umgang mit Fremden.
Unser Bild von diesen und die Interaktionsmuster, die wir auf sie anwenden
(siehe dazu auch Kap. 31), haben ebenfalls einen wesentlichen Effekt auf
unsere Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit. Rufen Sie sich dazu nur den
Unterschied zwischen der Begrüßungsweise zwischen Hans und Rita mit den
Geschäftsleitungsmitgliedern in Erinnerung oder die Interaktionen mit ihren
jeweiligen Ehepartnern und Arbeitskollegen.
• Exo-Hypostatics – Alles, was mit der Welt und uns in ihr zusammen-
hängt: Selbstverständlich haben auch all unsere Fähigkeiten, Ressourcen und
Werkzeuge, mit welchen wir in der Welt gestaltend tätig sind, einen elemen-
taren Einfluss auf unsere Leistungsfähigkeit – und über diese auch auf unsere
Lebenszufriedenheit. Die meisten von uns konzentrieren sich bei ihren per-
sönlichen Weiterbildungsmaßnahmen jedoch fast ausschließlich auf zwei

6Die vier PEP-Lebensbereiche können hier aus Platzgründen nur oberflächlich wiedergegeben wer-
den. Weiterführende Informationen zur Nutzung der PEP-Bausteine für Ihr eigenes Self-Manage-
ment-Entwicklungsprogramm finden Sie unter www.septagon.ch. Besucht 10. Mai 2017.
27 Self Management für Unternehmensjuristen 347

Teilbereiche der Exo-Hypostatics: auf die Optimierung von Fähigkeiten und


Fertigkeiten sowie die Akkumulation von Vermögen und Sachmitteln. Dabei
geht leicht vergessen, dass wir uns oft der aktiven Nutzung von Raum und Zeit
nicht genügend bewusst sind, wie in unseren Beispielen positiv gezeigt (zum
Beispiel Ritas genussvolle Wahrnehmung der Aussicht aus dem Auto- und
Bürofenster oder die Zeit, die sie sich zweimal wöchentlich über Mittag aus-
schließlich für sich nimmt, um nach draußen zu gehen).

Falls eine weitere Hilfestellung bei der Implementierung einzelner Self Manage-
ment-Maßnahmen benötigt wird, finden Sie eine Fülle von Material dazu im Inter-
net oder Ihrer Buchhandlung.7 Das wichtigste am Self Management aber ist: Es
genügt nicht nur, die einzelnen Entwicklungselemente zu kennen. Sie müssen
diese auch tatsächlich auf Ihr Leben anwenden – Schritt für Schritt. Fangen Sie
noch heute damit an, es lohnt sich.

Literatur
Neck CP, Manz CC (2013) Mastering self-leadership – empowering yourself for personal excel-
lence, 6. Aufl. Pearson Education, New York

Weiterführende Literatur

Allen D (2015) Getting things done – the art of stress-free productivity. Revised edition. Penguin
Books, New York
Carter C (2015) The sweet spot – how to find your groove at home and work. Ballantine Books,
New York
Hall LM, Bodenhamer BG (2010) Mind-lines – lines for changing minds, 5. Aufl. Neuro-Seman-
tics Publications, Clifton
Kristeller J (2015) The joy of half a cookie – using mindfulness to lose weight and end the strug-
gle with food. Orion, London
Markman AB (2014) Smart change – five tools to create new and sustainable habits in yourself
and others. Penguin Books, New York

7Es gibt unterschiedliche Programme: Holistische, wie das PEP-Programm von SEPTAGON,
das speziell für die obersten 1 % der Spitzenleister aus Sport, Kultur und Wirtschaft entwickelt
wurde und aus dessen frei zugänglichen Informationen man ein hocheffektives Entwicklungspro-
gramm kostenlos für sich selbst zusammenstellen kann. Es gibt aber auch eine riesige Zahl von
Einzelprogrammen auf dem Büchermarkt, die oft einen einzigen Aspekt herausgreifen. Beispiele:
High Performance Workflow Management von Allen (2015), Verhaltensänderungsprogramm von
Markman (2014), Mind-Lines-Programm von Hall, Bodenhamer (2010), Achtsamkeits- und Pro-
duktivitätstraining von Carter (2015) oder das achtsamkeitsbasierte Ernährungsprogramm von
Kristeller (2015).
348 R.P. Falta

Über den Autor


Roman P. Falta, lic.iur.HSG – Professional Services Management Leader QUADRAGON
MANAGEMENT LLC, Zürich
Studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen HSG. Daneben
hält er Weiterbildungsdiplome der Harvard University, des MIT und der UC Berkeley in Sozio­
anthropologie und Psychologie. Seine Berufskarriere begann er in einer führenden Strategie-
beratung, welcher Berufsstationen bei Gericht, in der Finanzverwaltung und einer namhaften
Anwaltskanzlei folgten. Anschliessend war er für diverse Bereiche in Corporate Legal und in der
Compliance eines Global Fortune 500-Unternehmens verantwortlich. Als Professional Services
Management Leader verantwortet er heute unter anderem den Bereich Legal Operations Optimi-
zation bei QUADRAGON MANAGEMENT. Er gilt als einer der renommiertesten Experten für
Professional Services Optimization und Elite Performance Development im deutschsprachigen
Raum.
Team Management für
Unternehmensjuristen 28
Roman P. Falta und Robert Müller

28.1 Einführende Übersicht

Führungsverantwortung als „Team Leader“ zu übernehmen, heißt für einen Gene-


ral Counsel, wie in Abb. 28.1 dargestellt, in erster Linie, ein fähiges Legal Opera-
tions Team aufzubauen und für dieses Verantwortung zu übernehmen. Es ist für
den General Counsel daher wichtig, sich selbst als „Führungspersönlichkeit“ zu
entfalten und jedes einzelne Mitglied individuell, wie auch das ganze Legal Opera-
tions Team als Gruppe zu führen und zu fördern.
Das folgende Kapitel beschäftigt sich daher einerseits mit der Rolle und dem
Führungsverhalten des General Counsel, andererseits mit der Führung und För-
derung einzelner Mitarbeitender wie auch des gesamten Legal Operations Teams.
Hinsichtlich des Vorgehens beim Aufbau eines Legal Operations Teams sei auf die
Ausführungen in Kap. 41 verwiesen; im Zusammenhang mit konkreten Weiterbil-
dungsmaßnahmen juristischer Mitarbeitender auf diejenigen in Kap. 42.

28.2 Herausforderungen in der Führung von Juristen

Die Führung eines Legal Operations Teams ist insbesondere im Hinblick auf die
Spezifika seiner juristischen Teammitglieder, wie nachfolgend aufgezeigt, nicht
ganz einfach und kann für den General Counsel eine nicht zu unterschätzende

R.P. Falta (*) · R. Müller


Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC,
Zürich, Schweiz
E-Mail: falta@quadragon.ch
R. Müller
E-Mail: mueller@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 349


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_28
350 R.P. Falta und R. Müller

Vision Vision
formulieren Legal Opera ons Team Leader hochhalten
Team au auen Self Management

Leitlinien General Counsel


Leitlinien
formulieren als Team Leader einhalten

Einzelne Gesamtes
Mitarbeitende Legal Opera ons Team
Massnahmen Massnahmen
formulieren führen & fördern führen & fördern
umsetzen

Abb. 28.1  Aufgaben des General Counsel als Team Leader. (Quelle: QUADRAGON Manage-
ment LLC)

­ erausforderung darstellen, sofern er seine Mannschaft nicht einfach nur verwal-


H
ten möchte. Paralegals und Sekretariatspersonal sind in dieser Hinsicht regelmäßig
weniger problematisch. Die Führung eines Juristenteams verlangt ein etwas ande-
res Vorgehen, als dies in den meisten anderen Berufsgattungen der Fall ist. Daher
sind die Ratschläge aus der allgemeinen Teamführungspraxis für einen General
Counsel nur bedingt geeignet. Vielmehr hat er aufgrund der Eigenheiten seiner
Teammitglieder einen eigenen modus ducendi zu entwickeln, der es ihm erlaubt,
sowohl das Einzelmitglied als auch das Gesamtteam zu erfassen und im Sinne des
Unternehmens zu fördern und zu coachen. Für die Eigenheit in der Führung von
Juristen sind drei grundsätzliche Gründe zu beachten.1

28.2.1 Mangelnde Emotionalität und Empathie

Juristen wirken in der zwischenmenschlichen Interaktion für Außenstehende oft


distanziert und zurückhaltend. Ob dies damit zusammenhängt, dass die juristische
Profession bereits eher „kühle“ Charaktere anzieht, oder ob es bei der täglichen
juristischen Arbeit von Vorteil ist, Gefühle außen vor zu lassen und sich stattdes-
sen nüchtern auf die Faktenlage zu konzentrieren, sei dahingestellt. Die Erfahrung
zeigt, dass Außenstehende rechtliche Themen oft als langweilig empfinden. Sie
schließen daraus, dass es die juristischen Fachexperten daher auch sein müssen.
Sicher ist, dass Juristen gerne an materiellen Rechtsfragen arbeiten und dabei oft
nur wenig Zeit für den Aufbau und die Vertiefung von Beziehungen übrig bleibt.
Das kann dazu führen, dass Empathie und Emotionalität im zwischenmenschlichen

1Maister (2008, S. 229 ff.). Die nachfolgenden Beschreibungen sind Extrembeispiele und kom-
men in rein aggregierter Ausprägung eher selten vor.
28 Team Management für Unternehmensjuristen 351

Bereich für die Arbeit des Juristen eine weniger große Rolle spielt, als die in ihren
Augen hoch angesehene logisch-analytische respektive juristische Brillanz, mit
der sich Rechtsfälle vermeintlich gewinnen lassen. Das Zurückhalten oder gar Ver-
stecken eigener Gefühle wird jedoch mit einem negativen Tribut hinsichtlich der
Gestaltung der eigenen Interaktionen zu Kollegen, internen Interaktionspartnern
und oft auch im Privatleben erkauft. Oftmals sind Juristen, wie Dr. Bollmann im
Vorwort ausführt, sogar regelrecht stolz darauf, als etwas eigenbrötlerisch und dis-
tanziert wahrgenommen zu werden. Vertrauen und Zusammenhalt gedeihen in
einem solchen Umfeld daher beschwerlich und in der Regel nur langsam.

28.2.2 Mangelndes Vertrauen und Enthusiasmus für


Teamwork

Juristen tun sich im Allgemeinen schwer damit, anderen Menschen, besonders


wenn es um juristische Fragen geht, zu vertrauen. Das betrifft auch Vorgesetzte
und andere Mitarbeitende. Für sie gilt es, sich stets ein eigenes Bild eines Lebens-
sachverhalts zu machen, der Wahrheit auf die Spur zu kommen, indem immer wie-
der nachgefragt wird, um sicherzugehen, dass kein Detail übersehen worden ist.
Sie sind es gewohnt, vor allem individuell und autonom zu arbeiten. Teamarbeit
und Weisungsgebundenheit passen dabei weniger ins Weltbild des Juristen. Sie
werden bei der juristischen Arbeit oft sogar als hinderlich wahrgenommen.
All das hat seinen Ursprung in den Spezifika der anwaltlichen Profession, aus
welcher viele Legal Counsels stammen, bevor sie in einen Unternehmensrechts-
dienst gewechselt haben. Als Anwalt machen sie Karriere, wenn sie rechtlich
besonders versiert sind und die Gegenseite clever übertrumpfen können. Lei-
der immer noch sehr selten werden sie dafür gelobt, dass sie besonders gut mit
anderen zusammengearbeitet haben. Auch wenn sich in diesem Bereich im letz-
ten Jahrzehnt einiges getan hat, richtet sich der Fokus nach wie vor allzu oft nur
auf die eigene Person, die eigenen Mandate und die Erreichung eigener beruflicher
Milestones, was sich in Bezug auf die Organisation einer Anwaltskanzlei nicht nur
positiv auswirken kann. Aber auch schon während der universitären Ausbildung
stehen Vertrauen und Teamwork nicht wirklich im Mittelpunkt. Vielmehr orientiert
sich die Ausbildung daran, dass sich die Studenten der Jurisprudenz ein stetiges
Zweifeln und Hinterfragen aneignen und sich fast ausschließlich mit juristischen
Detailfragen auseinandersetzen. Nach abgeschlossenem Studium und erfolgreicher
Anwaltsausbildung kann ihnen dadurch eine pessimistische Realitätswahrneh-
mung in Fleisch und Blut übergegangen sein.

28.2.3 Stetiger Skeptizismus und berufsbedingte Paranoia

Nicht selten werden Vorgaben und Entscheidungen grundsätzlich angezweifelt. Wie


aus der rechtlichen Beratungspraxis bekannt ist, sind es jedoch genau diese kleinen
352 R.P. Falta und R. Müller

Widersprüche und Ungereimtheiten, die dazu führen, dass rechtlich gesehen ein
Fall, beispielsweise vor Gericht, gewonnen werden kann. Allerdings machen sich
viele Juristen – besonders diejenigen in Unternehmen – dadurch das Arbeitsleben
oft selbst schwerer als nötig. Sie werden von ihrer Umgebung durch dieses Verhal-
ten oft als „nörglerische“ Kollegen wahrgenommen, welche stets bemüht sind, das
„Haar in der Suppe“ zu finden, mit welchen jedes unternehmerische Handeln nun
einmal behaftet ist. Da das Suchen nach Schlupflöchern und Schwachstellen aber
zum Juristenberuf gehört, gehen viele Juristen in ihrer professionellen Wahrneh-
mung davon aus, dass nicht nur stets mit dem Schlimmsten zu rechnen sei, sondern
auch in den Vorschlägen der Gegenseite eine feindliche Gesinnung lauere.
Zudem werden neue Sachverhalt aufgrund dieser spezifischen Wahrnehmung
grundsätzlich immer als „Großrisiken“ eingestuft. Der Jurist tut sich schwer damit,
unternehmerische Chancen, welche durchaus risikobehaftet sein können (siehe dazu
auch Kap. 47), differenziert als solche wahrzunehmen. Risiken sind in seiner Wahr-
nehmung eigentlich immer red flags, welche er einfach nicht tolerieren kann/will.
Dies hat seinen Ursprung darin, dass in seiner Welt alles – egal, ob Stellungnahmen,
Verträge oder neue Geschäftskonzepte – bulletproof sein muss. Lernt ein Unter-
nehmensjurist jedoch, seine Schilde auch einmal herunterzufahren und sich darauf
einzulassen, dass Entscheidungen im Unternehmen auf Grundlage gültiger Prinzi-
pien und Leitlinien des Unternehmens getroffen wurden (siehe dazu auch Kap. 10),
gestaltet sich auch sein Arbeitsalltag bedeutend einfacher. Wenn er lernt, Risiken
nuanciert, und nicht nur mit der „juristischen Brille“, sondern auch mit der unterneh-
merischen zu betrachten, muss er nicht immer alles hinterfragen, seine Ratschläge
möglichst vage formulieren und sich immer eine Hintertüre offenhalten. Mithin ein
Verhalten an den Tag legen, welches genau die Grundlage für die oft monierte Wahr-
nehmung von Unternehmensjuristen als „Geschäftsverhinderer“ bildet.

28.3 Der General Counsel als Team Leader

Unter solchen Bedingungen kann es für einen General Counsel besonders schwie-
rig sein, die richtige Umgebung für eine Gruppe individualistischer, antiautoritärer
und von Berufs wegen skeptischer sowie risikoaverser Gefolgsleute zu schaffen.
Zumal er ja auch regelmäßig ein Mitglied dieser „Spezies“ darstellt. Dennoch ist
es gerade für General Counsels besonders wichtig, eine Umgebung zu schaffen, in
der nicht nur Vertrauen und Teamleistungen überhaupt möglich werden, sondern
auch ein Team entstehen kann, das gemeinsam Spitzenleistungen erbringt; das
sich zu einem advisory partner team entwickelt, welches in der ganzen Unterneh-
mung respektiert und hoch geschätzt wird. Besonders für „frisch gebackene“ Gene-
ral Counsels kann sich der Einstieg in die Rolle eines Team Leaders besonders
schwierig gestalten. Diese sind in der Regel noch nicht gewohnt, ihre Aufmerk-
samkeit auf die Ziele und den Erfolg anderer zu richten und ihren Einfluss auf Mit-
arbeitende auszuüben, ohne dabei dominant zu wirken. Schließlich soll ein Team
Leader als Katalysator wirken. Er soll seine Zeit also vor allem darauf verwenden,
28 Team Management für Unternehmensjuristen 353

für sein Team da zu sein, die einzelnen Mitarbeitenden zu Spitzenleistungen zu


motivieren und auf ihrem Berufsweg zu fördern. Die eigenen Ziele und die Erbrin-
gung eigener juristischer Leistungen haben dabei zumindest teilweise in den Hin-
tergrund zu treten.
Gerade das macht den Job eines General Counsel aber so spannend, wie kaum
eine andere Führungsposition im Unternehmen oder der Behörde: Der General
Counsel muss ein Team führen, welches über unterschiedliche Fähigkeiten, Erfah-
rungen, Arbeitsstile und oftmals auch über sich widersprechende Prioritäten sowie
Vorstellungen verfügt; mithin ein Team von Individualisten „zusammenzuraufen“,
um erfolgreich „zusammenzuspielen“. Während die Leistungserbringung der
Legal Operations das Ziel der Bemühungen des General Counsel darstellt, an wel-
chem sein eigener Erfolg gemessen wird, darf er nicht vergessen, dass er vorher
für etwas anderes zu sorgen hat: „(It) is the energy, drive, enthusiasm, excitement,
passion, and ambition of your people. Your primary skill (and the test of all your
activities) must be whether or not you are able to raise the level of commitment
and drive of those you influence.“2

28.3.1 Die Hauptaufgaben des General Counsel als Team


Leader

Die Hauptaufgabe eines General Counsel ist es, jedem Mitarbeitenden und dem
gesamten Team zu helfen, die verschiedenen Herausforderungen des Arbeitsalltags
zu meistern. Er muss zudem die Übersicht über sämtliche Geschäfte haben und die
einzelnen Aufgaben auch in Bezug auf ihre Schnittstellen zu anderen Abteilungen
überwachen. Schließlich ist er es, der dem Management zur Rechenschaft ver-
pflichtet ist. Diese Rolle unterscheidet sich fundamental von derjenigen des Legal
Counsel, also derjenigen Rolle, welche er selbst über lange Zeit hinweg ausgeübt
hat.3 Im Gegensatz zum Legal Counsel muss der General Counsel Enthusiasmus,
Energie und Optimismus am Arbeitsplatz verbreiten und seinen Mitarbeitenden
stets das Gefühl geben, dass sie nicht nur „reine Angestellte“ sind, sondern Mitun-
ternehmer, welche einen maßgeblichen Anteil zum Erfolg der Legal Operations
beitragen. Eine weitere Fähigkeit des General Counsel als Team Leader muss es
sein, sich gut mit Menschen auszukennen, um jedem einzelnen Teammitglied die
passende Rolle zuzuteilen. Diese sollte nicht nur perfekt auf den einzelnen Legal
Counsel passen, sondern ihn befähigen, zur spezifischen Zielerreichung der Legal
Operations und des gesamten Unternehmens maßgeblich beizutragen. Durch seine
Arbeit nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere Sinn zu stiften.

2McKenna und Maister (2005, S. 5).


3McKenna und Maister (2005, S. 3 ff.).
354 R.P. Falta und R. Müller

General Counsels haben daher nachfolgende (zugegebenermaßen sehr zei-


tintensive, aber durchaus lohnenswerte und unumgängliche) Hauptaufgaben
in ihrer Funktion als Team Leader:4
• Teammitglieder dazu ermutigen, ihre Effektivität, Effizienz und Arbeits-
qualität sowie Aufgabenerfüllung stets zu hinterfragen und zu verbessern.
• Dabei mitzuhelfen, Herausforderungen anzugehen und Hindernisse abzu-
bauen, damit es für die Mitarbeitenden einfacher wird, eigene Erfolge zu
erringen.
• Für die Mitarbeitenden gleichzeitig Mentor, Coach und Sounding Board
zu sein: Diesen helfen, eigene Lösungsvorschläge zu Problemstellungen
zu formulieren und umzusetzen.
• Als Vorgesetzte kreativ zu sein und andere zu kreativen Lösungen zu sti-
mulieren.
• Alle Teammitglieder zu motivieren und sie jeden Tag aufs Neue zu
begeistern.
• Sanften Druck auf Mitarbeitende ausüben, wenn bei diesen die Selbstdis-
ziplin nachlässt.
• Ein gemeinsames Teamwork ermöglichen und fördern.
• Ihren eigenen Prinzipien Nachdruck verschaffen und Widerhandlungen
rasch aber fair handhaben.
• Dem Team dabei helfen, Sinn und gemeinsame Genugtuung in der tägli-
chen Arbeit zu finden.

28.3.2 Die Merkmale eines General Counsel als Team Leader

Das Scheitern als Führungspersönlichkeit ist oft vorprogrammiert, wenn ein Gene-
ral Counsel seine Hausaufgaben nicht gemacht hat und nicht zu 100 % weiß, wie
er sein Team genau führen und ihm dabei helfen möchte, hochgesteckte individu-
elle und gemeinsame Ziele zu erreichen. Dabei muss der General Counsel fachlich
nicht besser sein als seine Mitarbeitenden, aber in Sachen Verhalten und Einstel-
lung als Vorbild vorangehen. Aus diesem Grunde sollten Sie als General Coun-
sel mit Ihrem Team zusammen definieren, welches Ihre Hauptpflichten als Team
Leader sind und welche Verantwortungsbereiche Sie an andere abgeben. Zudem
sollten Sie sich darüber Gedanken machen, wie Sie die Erreichung Ihrer Leader­
ship-Ziele messen und welches die Konsequenzen aus deren (Nicht-)Erfüllung für
Sie sein sollen. Zumal ein wichtiger Aspekt bei der Weiterentwicklung bestehen-
der Strukturen in Legal Operations die Fähigkeit des General Counsel ist, jeweils
mit gutem Beispiel voranzugehen. Dadurch, dass er sich für seine Führungsrolle
rechenschaftspflichtig zeigt, macht er es seinen Mitarbeitenden einfacher, es ihm
gleich zu tun, da sich in einer Rechtsabteilung nichts ändert, weder die Befolgung

4McKenna und Maister (2005, S. 6).


28 Team Management für Unternehmensjuristen 355

neuer Zielvorgaben, noch die Umsetzung von Strategien, solange diese den Mitar-
beitenden einfach nur „auf die Nase gedrückt“ werden.
Schließlich gilt es nicht „Wasser zu predigen und Wein zu trinken“, sondern bei
Mitarbeitenden dafür bekannt zu sein, dass man einmal gemachte Versprechen
auch einhält. Nichts ist vertrauensschädigender, als ein Vorgesetzter, auf dessen
Wort man sich nicht verlassen kann. Zumal sich Mitarbeitende von einem Vorge-
setzten wünschen, dass er:5

• nach den Grundsätzen und Vorgaben lebt, die er selbst aufgestellt hat und
nachdrücklich vertritt;
• als Vorbild dient, welches sie dazu inspiriert, es ihm gleich zu tun;
• durch seine Integrität auffällt und stets die Werte des Unternehmens sowie
der Abteilung hochhält;
• als integraler Bestandteil des Teams und nicht als davon losgelöster und
abgesonderter „Chef“ wahrgenommen wird;
• sie mit konstruktivem Feedback versorgt, welches ihnen hilft, ihre Leis-
tung zu verbessern;
• sie stets dazu motiviert, über sich hinauszuwachsen und weiterzuentwi-
ckeln;
• ihnen das Gefühl gibt, ein wichtiger Teil eines sinnvollen und wichtigen
Ganzen zu sein;
• anstatt Einzelkämpfertum, Kooperation und Teamwork fördert;
• sie an allen für sie wichtigen und für ihre Arbeit notwendigen Informatio-
nen aus dem Unternehmen teilhaben lässt;
• ihnen dabei hilft, wichtige Projekte für ihr berufliches Fortkommen zu fin-
den und umzusetzen;
• sich ihnen gegenüber stets fair und unterstützend verhält;
• ihnen beratend zur Seite steht und stets ein offenes Ohr für ihre Belange
hat;
• ihre Leistungen würdigt und diese auch intern an wichtige Personen kom-
muniziert.

Wenn wir die Vielzahl positiver Fähigkeiten und Fertigkeiten von Führungsper-
sönlichkeiten ansehen, fällt auf, dass fachlich-technische Kompetenzen von Vor-
gesetzten bei Mitarbeitenden keinen besonders hohen Stellenwert haben. Die
rechtliche Expertise mag für einen General Counsel durchaus entscheidend sein,
wenn er den Aufsichtsrat oder die Geschäftsleitung in rechtlichen Fragen berät
oder diesen als Sounding Board für die Diskussion strategischer Optionen dient.
Für die Führung und Entwicklung der Rechtsabteilung haben diese aber keine
besonders hohe Relevanz.

5Maister (2008, S. 174).


356 R.P. Falta und R. Müller

Interpersonelle, soziale und kommunikative Kompetenzen sind hier viel wichti-


ger: Die Mitarbeitenden schätzen es viel mehr, wenn sich der General Counsel
dafür interessiert, wie es ihnen geht und was sie beschäftigt – geschäftlich, aber
oftmals auch privat.6 Ihnen ist ein General Counsel wichtiger, der ehrlich stolz
darauf ist, wenn sie etwas Besonderes geschafft haben. Ein General Counsel, der
nicht eifersüchtig auf ihre Erfolge ist und der ihre Lorbeeren (womöglich noch
hinter ihrem Rücken) für sich beansprucht. Sowie ein Vorgesetzter, der ehrlich ist
und seinen Mitarbeitenden auch einmal etwas sagt, was diese vielleicht nicht
gerne hören. Natürlich auch einer, der sich schützend vor sie stellt, anstatt aus-
schließlich seine eigenen Interessen abzusichern. Jemanden, der zum Nachdenken
anregt und dazu, die Dinge aus anderen Perspektiven zu betrachten, anstatt ihnen
immer gleich seine eigene Meinung aufzudrücken. Jemanden, dem wirklich an
einer guten persönlichen Beziehung gelegen ist und der sich dafür auch die nötige
Zeit nimmt – besonders in stressigen Situationen. Mithin schätzen Mitarbeitende
einen General Counsel, bei dem die emotionale Intelligenz und die people skills
besonders gut ausgeprägt sind.7

28.3.3 Sich vom General Counsel zum Team Leader entwickeln

Verfügen Sie über sämtliche vorgenannten Charaktermerkmale und Fähigkei-


ten, welche aus einem General Counsel einen besonders guten „Team Leader“
machen? Falls nicht, sollten Sie nicht in Panik ausbrechen. Jeden einzelnen der
vorgenannten Punkte können Sie sich aneignen, sofern Sie dies möchten. In der
Praxis hat sich gezeigt, dass es am einfachsten ist, sich ausschließlich auf drei
Dinge gleichzeitig zu konzentrieren, die man an sich verändern möchte. Versu-
chen Sie daher, die drei erwünschten Fähigkeiten in den nächsten vier Monaten
zu kultivieren beziehungsweise sukzessive auszubauen. Zuerst in kleinen Schrit-
ten; Sie müssen ja selbst auch in diese hineinwachsen, bis Sie merken, dass Ihnen
die neuen Fähigkeiten in Fleisch und Blut übergegangen sind. Danach können Sie
mit einem weiteren Dreierset durchstarten. Falls Sie nicht wissen, wo Sie beginnen
sollten, hier die drei wichtigsten menschlichen Fähigkeiten, welche für den Erfolg
eines Team Leaders in Professional Services-Umfeldern maßgeblich sind:

• Rufen Sie sich immer wieder Ihre „Passion“ für Ihren Beruf in Erinnerung. Nur
wer als Führungspersönlichkeit mit Hingabe an seine Aufgaben herangeht, wird

6Wenn Ihnen private Gespräche mit Mitarbeitenden unangenehm sind, bedenken Sie: Die Leis-
tungsfähigkeit am Arbeitsplatz wird maßgeblich vom privaten Umfeld des Mitarbeitenden mit-
bestimmt. Krankheiten, Probleme mit Kindern oder Ehepartner etc. werden nicht am Eingang
abgegeben. Wenn Ihnen nicht nur eine gute Arbeitsatmosphäre, die Wahrnehmung als „guter
Chef“, sondern auch die Leistungserbringung Ihrer Rechtsabteilung am Herzen liegt, sollten Sie
sich auch für die privaten Probleme Ihrer Teammitglieder Zeit nehmen.
7Broderick (2011, S. 267 ff.).
28 Team Management für Unternehmensjuristen 357

sich stets verbessern und Neues ausprobieren wollen. So unterscheidet den


großartigen – vom einfach nur kompetenten – General Counsel, mit welchem
Enthusiasmus und mit welcher Hingabe er seine Mitarbeitenden bezüglich der
Legal Operations-Thematik anstecken und dadurch bei diesen Energie für
deren Optimierung freisetzen kann: „Give people just a goal, and little will be
accomplished. Leave it to them to find self-discipline, and most will fail to sus-
tain high intensity. But place them in an environment where they are well coa-
ched, with colleagues equally turned on, and – contrary to what cynics might
believe – the overwhelming majority of people of all backgrounds and educati-
onal levels will respond with enthusiasm and commitment.“8
• Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass die meisten Dinge, welche wir im
Leben anstreben, wie Anerkennung, Respekt und Sozialprestige, die Möglich-
keit an besonders spannenden und herausfordernden Projekten mitzuarbeiten,
sich auf ein loyales Umfeld und kooperative Arbeitskollegen verlassen zu kön-
nen, echte Freundschaft und großartige Beziehungen zu pflegen etc. in der Regel
mit anderen „Menschen“ zu tun haben. Erfolg, in welcher Form auch immer,
ist nur möglich, wenn Sie andere Menschen davon überzeugen können, ihnen
das zu geben, was Sie von diesen haben möchten. Daher ist es auch so wich-
tig, dass Sie als Team Leader Ihre Mitarbeitenden verstehen und sich in diese
hineinversetzen können. Gerade in diesem Punkt sehen wir in der Praxis immer
wieder, dass es einen großen Nachholbedarf bei General Counsels gibt, welche
in der Regel dazu tendieren, sich vor allem als „Counsel für die Chefetage“ zu
sehen und daher weiterhin vor allem ihre rationalen und analytischen Fähigkei-
ten schulen. Wie wäre es stattdessen damit, in den nächsten vier Monaten einen
Schwerpunkt auf die Optimierung Ihrer interpersonellen, sozialen oder emotio-
nalen Kompetenzen zu legen?
• Die stringente Anwendung eigener Prinzipien ist dafür verantwortlich, dass
Strategien umgesetzt und Ziele erreicht werden. Legal Operations funktionieren
nur dann optimal, wenn der General Counsel sein Verhalten nach Grundsätzen
und Werten ausrichtet, welche ihm besonders wichtig sind. Dadurch gelingt es
ihm einerseits viel besser, diejenigen Dinge umzusetzen, welche er sich selbst
vorgenommen hat. Andererseits wirken Prinzipien aber auch als lange wirkende
Motivatoren und stellen dadurch kurzfristige – zum Beispiel pekuniäre – Vor-
teile in den Schatten. Zudem sind Prinzipien eine notwendige Voraussetzung
für eine vertrauensvolle und gute Zusammenarbeit im Team. Mitarbeitende,
welche die Prinzipien ihres Vorgesetzten kennen, können ihn viel besser ein-
schätzen und entwickeln dadurch schneller eine nachhaltige Vertrauensbezie-
hung mit diesem.9 Schreiben Sie auf, nach welchen Prinzipien Sie sich
eigentlich richten respektive gerne richten würden und tauschen Sie sich hierzu
mit Ihren Mitarbeitenden aus. So können Ihre Führungsgrundsätze gemeinsam

8Maister (2008, S. 252).


9Maister (2008, S. 251 ff.).
358 R.P. Falta und R. Müller

festgelegt werden. Tun Sie dies unbedingt zusammen mit Ihren wichtigsten
Mitarbeitenden. Diese können einerseits wichtige Inputs beisteuern, anderer-
seits holen Sie sie durch deren Partizipation von Anfang an mit ins Boot.
Widerstehen Sie der Versuchung, diese Aufgabe irgendwo „im stillen Kämmer-
lein“ oder gar nicht zu machen (siehe dazu detailliert Kap. 11).

28.4 Die einzelnen Legal Operations Mitarbeitenden


führen

Wie wir zu Beginn dieses Kapitels gesehen haben, lassen sich Juristen nicht in der
gleichen Art und Weise führen, wie dies bei anderen Berufsgattungen in der Regel
möglich ist. Stattdessen bedienen sich herausragende General Counsels in der
Praxis vor allem des Coaching-Ansatzes, um einzelne Legal Counsel zu führen.
Dieser Ansatz ist genauso zielgerichtet, wie andere Führungsarten, weist aber den
großen Vorteil auf, dass er situativ und individuell besonders gut auf jedes einzelne
Teammitglied angepasst werden kann. Sofern Sie sich für den Coaching-Ansatz
bei Ihren Legal Counsels entscheiden, sollten Sie auch alle anderen Mitarbeiten-
den der Rechtsabteilung in dessen Genuss kommen lassen. Einerseits ist es für
Sie selbst auf die Dauer mühsam, zwischen zwei verschiedenen Führungsarten
hin- und herzuwechseln. Andererseits würde die klassische Führungsweise bei den
Paralegals und dem Sekretariatspersonal aus Gleichbehandlungsgrundsätzen mit
der Zeit auf Widerstand und Ablehnung stoßen.

28.4.1 Der General Counsel als Coach

Coaching ist die beste Methode, um Legal Counsels einzeln zu führen, da Sie
diese dadurch auch gleichzeitig fördern können. Sie ist zudem sehr gut mit der
individualistisch ausgerichteten, antiautoritären und skeptischen Persönlichkeit
von Juristen kompatibel. Von Ihnen als Coach wird dabei verlangt, dass Sie sich
auf Ihre Mitarbeitenden einlassen (gegenseitiger Respekt und Vertrauen sind das
hierfür nötige Fundament) und ein gutes Gespür dafür entwickeln, wann Ihre Hilfe
tatsächlich benötigt wird und wann nicht. Führen Sie auf keinen Fall Coachings
durch, wenn eine der Parteien besonders aufgeregt, erzürnt oder unter Zeitdruck
ist. In solchen Situationen ist eine Vertagung anzuraten. Dabei gilt es zwischen
spezifischen und regelmäßigen Coaching meetings zu unterscheiden: Regelmäßige
sollten mit jedem Legal Counsel ein- bis zweiwöchig für jeweils 30 min erfolgen.
Spezifische Coaching meetings sind hingegen immer dann nötig, wenn aktueller
Bedarf bei einem Ihrer Mitarbeitenden besteht. In der Regel ist dies der Fall:10

10McKenna und Maister (2005, S. 60).


28 Team Management für Unternehmensjuristen 359

• wenn dieser direkt um Ihren Rat, Ihre Hilfe, Unterstützung oder Ihr Feedback
nachsucht;
• wenn er Schwierigkeiten mit einer neuen Aufgabe oder mit neuer Verantwor-
tung hat;
• wenn er festgefahren ist, durcheinander, ausgelaugt oder frustriert wirkt;
• wenn er unregelmäßig performt oder seine Leistung unter Standard liegt;
• wenn er Verhalten an den Tag legt, welches seine oder die Arbeit anderer nega-
tiv beeinflusst.

Bevor Sie voller Enthusiasmus mit dem Coaching loslegen, sollten Sie den Mit-
arbeitenden hierzu jedoch jedes Mal einstimmen. Dies gelingt am einfachsten,
indem Sie diesen zu Beginn des Coaching meetings mit allgemeinen Einleitungs-
fragen abholen (Wie geht es dir? Wie lief das Meeting mit X? Bist du bereit, über
XYZ zu reden?). Erst, wenn Ihr Gegenüber bereit ist, sollten Sie damit beginnen,
Fragen zur eigentlichen Problemsituation zu stellen. Sobald der Mitarbeitende mit
der Darstellung des Sachverhalts beginnt, sollten Sie vor allem eins tun: zuhören.
Lassen Sie Ihr Gegenüber 90 % der Zeit reden. Unterbrechen Sie es nur, wenn Sie
spezifische Nachfragen haben, um die Situation zu verstehen. Sobald die gesamten
Umstände offen auf dem Tisch liegen und Ihr Gegenüber durch die Aussprache
nicht selbst auf mögliche Lösungsvorschläge gekommen ist (in der Regel findet
die gecoachte Person durch die offene Aussprache oft die Lösung selbst), ist Ihre
Zeit gekommen, um Ihre Sichtweise oder einen Perspektivenwechsel anzubringen.
Hierbei sollten Sie ehrlich Ihre Meinung aussprechen, nicht aber versuchen, den
Mitarbeitenden von einem bestimmten, von Ihnen favorisierten Lösungsweg zu
überzeugen. Er sollte sich stets im driver seat fühlen und selbst die Initiative für
Veränderungen ergreifen können. Wichtig ist danach eine gemeinsame schriftliche
Vereinbarung der nächsten Schritte, zu welchen Sie Ihre Hilfestellung anbieten
können. Schriftlichkeit deshalb, weil alles, was nicht schwarz auf weiß niederge-
schrieben wurde, nicht existiert.
Essenziell für ein zielführendes Coaching ist der Umstand, dass eine Vertrau-
ensbasis vorbestehen muss, damit sich Mitarbeitende gegenüber dem Coach öff-
nen können. Als Coach müssen Sie zudem jedes Mal wieder aufs Neue unter
Beweis stellen, dass Sie sich ehrlich für die Belange des anderen interessieren. Sie
müssen nicht nur das Potenzial in der anderen Person sehen, sondern dieser auch
mitteilen können, bis zu welchem Grad sie dieses momentan erreichen kann. In
der Praxis führt regelmäßiges Coaching dazu, dass sich Mitarbeitende selbstbe-
wusster fühlen und sich dadurch auch an immer größere Herausforderungen her-
antrauen. Zudem arbeiten sie länger und härter und fühlen sich motivierter sowie
enthusiastischer, was die eigenen Entwicklungsmöglichkeiten anbelangt. Dies
ist wichtig, da die persönliche Leistungsfähigkeit besonders stark vom eigenen
Selbstvertrauen und der intrinsischen Motivation abhängt. Sämtliche Maßnahmen,
welche die Entwicklungsmöglichkeiten unterstützen und mit klaren Zielen sowie
mit ehrlichem Feedback versehen sind, führen dazu, dass der entsprechende Mitar-
beitende versuchen wird, stets sein Bestes für die Legal Operations zu geben.
360 R.P. Falta und R. Müller

28.4.2 Der General Counsel als Leistungsmesser (Performance


Management)

Der Versuch, sein Bestes zu geben, genügt manchmal nicht. Als Team Leader ist
es Ihre Aufgabe, verbindliche Ziele mit Ihren Mitarbeitenden zu vereinbaren und
deren Erreichung zu kontrollieren. Hierzu bieten sich sogenannte regelmäßig
durchgeführte performance counseling meetings an. Bei ihrer Durchführung sind
folgende Punkte zu beachten:11

• Leistungskriterien genau vereinbaren: Bevor eine Leistungsevaluation durchge-


führt werden kann, müssen die gemeinsam zu vereinbarenden Leistungskriterien
festgelegt werden. Dabei teilen sich diese in Legal Operations in der Regel in fol-
gende quantitativen oder qualitativen Leistungskriterien (nicht abschließend12) auf:
– Leistungskriterien zur fachlichen Aufgabenerfüllung (Beispiele: Anzahl inter-
ner Beratungsmandate, kontrollierter Verträge, durchgeführter Verhandlungen);
– Leistungskriterien zur Kundenzufriedenheit (Beispiele: interne Kundenbe-
fragungen, Auswertung von Beratungsfeedbacks, Auswertung von Verhand-
lungsfeedbacks);
– Leistungskriterien zum persönlichen Abteilungsbeitrag (Beispiele: einge-
brachte Legal Operations Management (LOM)-Optimierungsideen, durchge-
führte LOM-Optimierungsprojekte oder -Maßnahmen);
– Leistungskriterien zur Teamentwicklung (Beispiele: durchgeführte Team-
work-Projekte, Teilnahme an aktiven Teambildungsmaßnahmen, eingebrachte
Teamideen);
– Leistungskriterien zur persönlichen Entwicklung (Beispiele: Verfolgung persön-
licher Karriere-Strategieplan, formelle und autodidaktische Weiterbildungen).
• Performance-Measurement-Prozess etablieren: Hierbei steht das Setzen
eigener Leistungsziele an erster Stelle, zumal Mitarbeitende bei der Leistungs-
verfolgung durch diese Möglichkeit um einiges stärker motiviert werden, als
dies bei „zugeteilten“ Zielvorgaben der Fall ist. Sind die Ziele erst einmal defi-
niert, erfolgt eine Selbstevaluation. Auch diese wird als klares Vertrauenszei-
chen vonseiten des Vorgesetzten verstanden. Die Mehrzahl der Menschen geht
in der eigenen Leistungsbeurteilung besonders hart mit sich selbst ins Gericht.
Daher sollte negative Kritik in diesem Stadium vonseiten des Vorgesetzten ver-
mieden werden, auch wenn sie gut gemeint ist. Sie führt aber meist nur dazu,

11McKenna und Maister (2005, S. 70 ff.).


12Sofern Sie sich selbst als General Counsel dem gleichen Performance-System unterstellen, was
wir dringend schon alleine aus einer Team-spirit-Perspektive heraus empfehlen, sollten Sie auch
„Leistungskriterien zum Coaching/Counseling von Mitarbeitenden“ miteinbeziehen. Hier können
Sie die Anzahl durchgeführter coaching meetings erfassen, die Zufriedenheit Ihrer Mitarbeiten-
den mit Ihrem Coaching oder die Anzahl der durch Ihre Mitarbeitende umgesetzten Coaching-
ziele. Solche Leistungskriterien eignen sich auch für andere Mitarbeitende, welche ihrerseits
Team Leader-Verantwortung in den Legal Operations wahrnehmen.
28 Team Management für Unternehmensjuristen 361

dass der Kritisierte defensiv auf diese reagiert und sich in Erklärungsgefechte
zurückzieht. Schließlich sollte jeder Mitarbeitende in der Selbstevaluation nicht
nur ausschließlich einen Vergleich zum letzten (Halb-)Jahr, sondern über seine
gesamte Arbeitszeit hinweg ziehen, um auch die großen Entwicklungen mit
einzubeziehen. Zu guter Letzt ist anzufügen, dass unter „guter Performance“
verstanden wird, dass sich jemand gegenüber der Ausgangslage verbessert hat,
und nicht einfach nur weiterhin auf gleichem Niveau verbleibt – egal wie hoch
dieses ist.
• Durchführen von performance counseling meetings: Diese beginnen damit,
dass der Mitarbeitende seine Selbstevaluation Ihnen gegenüber offenlegt und
seine eigene Sichtweise einbringen kann. Unterbrechen Sie ihn auf keinen Fall,
bis er alles gesagt hat. Nun ist die Zeit gekommen, Ihre eigene Beurteilung abzu-
geben: Wo sehen Sie die Evaluation gleich, wo nicht? Die Diskussion darüber
kann dem Mitarbeitenden dabei helfen, seine eigene Selbstwahrnehmung zu
überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Halten Sie alles schriftlich fest,
auch ungleiche Wahrnehmungen des Selbstbildes. Überlassen Sie die finale
Performance-Evaluation dann aber dennoch dem Mitarbeitenden selbst: Jeder
Mitarbeitende, der so behandelt wird, fühlt sich respektiert und wird seine Leis-
tungsbereitschaft weiterhin zu erhöhen versuchen. Sollte sich dennoch jemand
wiederholte Male völlig falsch (übermäßig positiv) einschätzen, so hat er in
Ihren Legal Operations keine Zukunft. Besprechen Sie mit dem Mitarbeitenden
aber nicht nur Leistungsziele, reservieren Sie sich auch genügend Zeit, um des-
sen Fähigkeiten zu besprechen. Wo steht er in Bezug auf die folgenden Berei-
che und wie hat er sich in diesen seit dem letzten Meeting entwickelt?
– Drive, Selbstmotivations- und Selbstregulationsfähigkeiten;
– interpersonelles Kooperationsverhalten und Teamwork innerhalb der Legal
Operations;
– Leadership-Fähigkeiten (Motivations-, Delegations- und Supervisionskompe-
tenzen);
– Planungs- und Organisationsfähigkeiten (Arbeiten und Projekte umsetzen);
– Kreativität und Innovationsfähigkeit (eigene Arbeit, Abteilung und Unterneh-
men optimieren);
– Self Management-Fähigkeiten (siehe dazu detailliert Kap. 27);
– Kommunikations- und Coaching-Fähigkeiten.
• Karriereplanung ansprechen und umsetzen: Die individuelle Karriereplanung
sollte im Rahmen der performance counseling meetings immer auch einen Platz
haben. In der Praxis hat es sich bewährt, die Besprechung der Karriereplanung
1–2 Wochen nach dem performance counseling meeting durchzuführen. Dies
ermöglicht es Ihnen als General Counsel einerseits, sich Gedanken zu möglichen
Aktionen und Programmen für den Mitarbeitenden zu machen. Der Mitarbeitende
andererseits hat durch die dazwischenliegende Zeit die Möglichkeit, die Eindrücke
des performance counseling meetings sedimentieren und eventuelle neue durch
Sie vermittelte Sichtweisen beziehungsweise Zielvorstellungen auf sich einwirken
362 R.P. Falta und R. Müller

zu lassen. Im Karriereplanungsgespräch geht es nun darum, zusammen heraus-


zufinden, welcher career track die besten Möglichkeiten bietet, damit der Mitar-
beitende sowohl für sich selbst, das Team und den Arbeitsmarkt besonders und
wertvoll bleibt. Dadurch soll dem Mitarbeitenden auch bewusst werden, seine
Karriere langfristig zu betrachten. Er soll sich darüber Gedanken machen, welche
beruflichen Ziele er hat und welche spezifischen Fähigkeiten, Fertigkeiten sowie
Erfahrungen ihm noch fehlen, um diese zu erreichen.
• Ziel- und Aktionsplanung erstellen: Da Ihre Aufgabe als Vorgesetzter nicht nur
darin besteht, Feedback zu geben, sondern Ihre Mitarbeitenden auch tatsächlich zu
unterstützen, damit diese ihre Leistungs- und Berufsziele erreichen, sollten Sie
diesen auch eine konkrete Umsetzungsunterstützung anbieten. Dies erfolgt am
besten, indem Sie den entsprechenden Mitarbeitenden dazu antreiben, persönliche
Ziel- und Aktionspläne für die nächste Evaluationsperiode zu erstellen, welche
nach SMARTIES-Vorgaben13 aufzubauen sind. Diese können dann wiederum als
Vergleichsbasis für die Selbstevaluation und das nächste performance counseling
meeting genommen werden. Drucken Sie daher die entsprechende Ziel- und Akti-
onsplanung aus und unterzeichnen Sie diese zusammen mit dem Mitarbeitenden.
Das Dokument wird Ihnen beiden nun als Kompass der Leistungs- und Persön-
lichkeitsentwicklung dienen, welcher bei Unklarheiten immer wieder konsultiert
werden kann.

28.5 Das gesamte Legal Operations Team führen

Als General Counsel führen und fördern Sie nicht nur jeden einzelnen Mitarbei­
tenden individuell, sondern haben auch die Aufgabe, Ihr gesamtes Team zu einer
gut funktionierenden „Einheit“ zu verbinden. Die Buchstaben des Wortes TEAM
­bedeuten denn auch „Tut Etwas Außergewöhnliches Miteinander“14. Natürlich
unterstützen Sie die Interaktion und Kooperation zwischen Ihren Mitarbeiten-
den bereits, wenn Sie die unter Abschn. 28.4 beschriebenen Coaching- und
performance-Maßnahmen umsetzen. Dennoch beinhaltet die Führung und Förde-
rung eines Legal Operations Teams noch einiges mehr. Es gilt, aus einer Gruppe
individualistischer Juristen (natürlich auch mit Einbezug der Paralegals und des
Sekretariatspersonals) ein Team zu formen, das nicht einfach nur „irgendwie“
zusammenarbeitet, sondern dies überdurchschnittlich gut tut. Also ein Team,
in welchem sich die Mitglieder gegenseitig unterstützen, anfeuern und sich

13SMARTIES-Vorgaben bedeuten, dass sie nicht nur SMART (specific, measurable, attainable,
relevant und time-bound) sind, sondern auch noch über die drei IES-Dimensionen implementa-
tion intentions, exceptions clarified sowie eine systemic perspective verfügen. Weiterführende
Informationen finden Sie unter https://mappalicious.com/2014/01/04/goals-why-smarties-are-
smarter-than-smart. Besucht 28. November 2016.
14Hermann und Mayer (2014, S. 25).
28 Team Management für Unternehmensjuristen 363

­darüber freuen, gemeinsam Erfolge zu erringen; vom Praktikant bis zum General
­Counsel.
Hinsichtlich der Methodik und der angewandten Mittel für Teamleistung gibt es
natürlich große Unterschiede. Je nachdem, ob Sie eine der besten Bundesliga-
Mannschaften, ein weltberühmtes Orchester, die Geschäftsleitung eines großen
europäischen Unternehmens oder eben die lokale Rechtsabteilung eines Mittel-
standsbetriebs respektive einer Kommunalverwaltung führen. Die Grundlagen sind
für alle jedoch dieselben. Wie bei den vorgenannten Hochleistungsteams, welche es
sich leisten können, zweijährige „Rolls Royce“-Programme zur Teamentwicklung15
durchzuführen, um aus „Prima Donnas“ ein kooperatives und absolut eingespieltes
Hochleistungsteam zu formen, basiert auch die Führung Ihres eigenen Legal Opera-
tions Teams auf denselben Grundbausteinen. Bevor wir uns mit diesen beschäftigen,
sollten wir vorher aber noch einen Blick darauf werfen, was Teamentwicklung
eigentlich bezwecken soll und weshalb es auch für Sie als General Counsel durch-
aus sinnvoll sein kann, in die Entwicklung Ihres Teams zu investieren.

28.5.1 Das Hochleistungsteam-Ideal als Zielvorgabe für das


Legal Operations Team

Die Grundlage sportlicher, künstlerischer und professioneller Höchstleistungen ist


zuerst einmal in jedem einzelnen Mitglied eines Teams selbst zu suchen. Sie wird
durch die individuelle Passion hinsichtlich der eigenen Arbeitsleistung, dem soge-
nannten „tätigkeitsbezogenen Anreiz“, gekennzeichnet. Zu diesem tritt in Hoch-
leistungsteams der „teambezogene Anreiz“ hinzu. Es wird nicht nur die
eigentliche berufliche Tätigkeit als attraktiv und besonders reizvoll empfunden,
sondern auch die Zusammenarbeit mit den anderen Teammitgliedern. Im professi-
onellen Kontext von Legal Operations kommt dem Aspekt der Leistungserbrin-
gung im Team ein etwas weniger hochstehender Stellenwert zu, zumal ein
Großteil der täglichen Arbeitszeit gerade nicht durch teambasierte Arbeit geprägt
ist. Dennoch gibt es auch hier Arbeitsbereiche, in welchen Teamwork besonders
wichtig ist. Eingedenk dessen ist es umso wichtiger, dass jeder einzelne Legal
Operations-Mitarbeitende blitzschnell vom Individual- in den Teammodus wechseln
kann, sobald dies nötig wird. Schließlich stellt die Mitgliedschaft in einem berufs-
bezogenen Team keinen Selbstzweck dar, hier stehen die gemeinsame Leistungser-
bringung und berufliche Leistungsfähigkeit im Mittelpunkt. Spitzenleistungen im
Team sind aber nur dann möglich, wenn jedes einzelne Mitglied die gemeinsame
Leistungserbringung auf höchstem Niveau attraktiv findet und es einen individuel-
len Beitrag dazu leisten kann, der von diesem auch als relevant für die gemeinsame
Zielerreichung angesehen wird.16

15Vgl. das „Team Elite Performance©-Programm“ unter www.septagon.ch. Besucht 28. Novem-

ber 2016.
16Hermann und Mayer (2014, S. 22 ff.).
364 R.P. Falta und R. Müller

Ein Hochleistungsteam, das mehr ist als nur die Summe seiner Teile und
s­ynergetisch zusammenwirkt, zeigt folgende Ausprägungen, welche für Legal
Operations als Idealziele für Teamentwicklungsmaßnahmen herangezogen werden
können:

• Jedes einzelne Teammitglied findet seinen Aufgaben- und Verantwortlichkeits-


bereich sowie das Umfeld, in welchem es seine Tätigkeiten ausführt, attraktiv
und spannend.
• Alle Teammitglieder verfolgen ein gemeinsames Ziel, welches nicht einfach
vom General Counsel vorgegeben wird. Vielmehr ist es so auszugestalten, dass
es in jedem einzelnen Teammitglied Begeisterung und dadurch auch ein hohes
Engagement auslöst; jeder Einzelne möchte es unbedingt erreichen. Zudem
muss jedes Mitglied einen individuellen Beitrag zur Zielerreichung leisten kön-
nen und es gemeinsam mit den anderen Teammitgliedern erreichen.
• Zwischen den einzelnen Teammitgliedern besteht ein ausgeprägtes Maß an
innerem Zusammenhalt. Das „Wir-Gefühl“ ist so stark ausgeprägt, dass sich
die einzelnen Mitglieder besonders auch in sehr schwierigen Zeiten füreinander
einsetzen.
• Die Teammitglieder tragen füreinander Verantwortung und stehen gleichbe-
rechtigt nebeneinander. Dies beinhaltet ein aufrichtiges gegenseitiges Verspre-
chen von Vertrauen, Engagement und gegenseitigem Beistand sowie dessen
ausnahmslose Einhaltung.
• Das Team bildet durch Schlüsselereignisse eine eigene Geschichte. Neben
Erfolgen sind vor allem Misserfolge, Niederlagen und schwierige Zeiten maß-
geblich dafür verantwortlich, dass die einzelnen Teammitglieder eng zusam-
menwachsen.

28.5.2 Die Grundbausteine von Spitzenleistung und


Teamerfolg

Alleine Ziele zu definieren genügt nicht, ohne diesen auch Taten folgen zu lassen.
Zudem müssen hierfür auch die entsprechenden Grundlagen gelegt werden. Wie wir
in der Einleitung von Abschn. 28.5 gesehen haben, sind diese bei allen Teams – egal
ob im Spitzensport, der Kultur, in obersten Unternehmensgremien oder in Legal
Operations – die Gleichen. Diese Grundlagen bilden nicht nur den Rahmen für
die Analyse des Status quo, sondern vielmehr die Landkarte für den Einsatz posi-
tiver Entwicklungsprozesse. Wenn wir also von „führen und fördern“ eines Legal
Operations Teams sprechen, meinen wir damit, die Arbeit an der vollständigen, in
Abb. 28.2 dargestellten, „Landkarte“ der Teamentwicklungsmöglichkeiten.
Die jeweils vier blauen und roten „TEP-Grundlagenbausteine“ bilden dabei die
Innenwelt eines Hochleistungsteams ab, während die vier gelben die Interaktions-
möglichkeiten und die grünen die Ressourcen in der Außenwelt darstellen. Nach-
folgend werden die 16 TEP-Grundbausteine kurz vorgestellt, damit General
28 Team Management für Unternehmensjuristen 365

Abb. 28.2  Überblick SEPTAGON Team Elite Performance (TEP)©-Programm 2016/2017.


(Quelle: SEPTAGON ANALYSIS GmbH)

Counsels einen Überblick über alle Facetten erhalten, welche für die Entwicklung
von Spitzenteams in Legal Operations maßgeblich sind.17

28.5.2.1 Der blaue TEP-Bereich: Team-Semantics


Dieser Bereich besteht aus mental-kognitiv-emotionalen Elementen, die einen
direkten Einfluss auf die Bildung eines Spitzenleistungsteams und die entspre-
chende Wahrnehmung seiner Mitglieder haben. Dabei steht einerseits die positive
Einflussnahme auf Biografiebildung/Abgrenzung sowie auf Linguistik/Symbo-
lik des Gesamtteams im Fokus. Andererseits aber auch das Aufdecken und Opti-
mieren sozio-psychologischer Denkvorgänge der einzelnen Mitglieder, ihrer
neurosemantischer Wahrnehmungsfilter, -programme etc. sowie motivations- und
volitionspsychologischer Potenziale.

28.5.2.2 Der rote TEP-Bereich: Team-Energetics


Nur ein energetisch optimal eingestelltes Team kann Spitzenleistungen vollbrin-
gen. „Energie“ wird hier als Grundvoraussetzung menschlicher Leistungsfähigkeit
angesehen und beinhaltet die Berücksichtigung von Aspekten des betrieblichen
Gesundheitsmanagements, der (Arbeitsplatz-)Ergonomik, einer ausgewogenen

17Die vier TEP-Bereiche können hier aus Platzgründen nur sehr oberflächlich wiedergegeben

werden. Weiterführende Informationen finden Sie unter www.septagon.ch. Besucht 28. Novem-
ber 2016.
366 R.P. Falta und R. Müller

Verpflegung und genügender Erholungsmöglichkeiten für jedes einzelne Mitglied


sowie im Rahmen gemeinschaftlicher Leistungserbringung für das Gesamtteam.

28.5.2.3 Der gelbe TEP-Bereich: Team-Dynamics


Der interpersonelle Austausch innerhalb der Gruppe – im Rahmen binominaler
oder multilateraler Interaktionen –, aber auch außerhalb mit anderen Unterneh-
menskollegen und Dritten, bilden einen weiteren besonders wichtigen Aspekt, auf
welchen in der Entwicklung von Hochleistungsteams vertieft eingegangen werden
muss. Hier spielen kommunikations- und sozial-psychologische Aspekte eine ent-
scheidende Rolle, welche dafür verantwortlich sind, ob die Zusammenarbeit im
Inneren und gegen außen optimal verlaufen kann.

28.5.2.4 Der grüne TEP-Bereich: Team-Hypostatics


Schließlich bilden die ressourcenlastigen Aspekte der einzelnen Teammitglieder
und deren Zusammenspiel im Rahmen der gemeinschaftlichen Leistungserbrin-
gung eine besonders wichtige Rolle sowohl in der Formierung als auch in der
operativen Tätigkeit von Spitzenleistungsteams. Zu denken ist hier an die Optimie-
rung und Weiterbildung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, an einen effektiven und
effizienten Einsatz diverser Hilfsmittel, an den bestmöglichen Umgang mit Infor-
mationen, Methoden/Modellen und Verfahren sowie mit einer optimalen Nutzung
von Raum und Zeit für die Leistungserbringung.

28.5.3 Erstellung eines individuellen


Teamentwicklungsprogramms

Auf Basis vorgenannter TEP-Bereiche von Hochleistungsteams können Sie als


General Counsel nun selbstständig respektive mit Unterstützung Dritter ein abso-
lut individuelles und auf Ihre spezifischen Bedürfnisse maßgeschneidertes Ent-
wicklungsprogramm für Ihr Legal Operations Team bilden:

1. Beschäftigung mit der Ausgangsituation: Machen Sie sich selbst – idealer-


weise danach auch noch mit Ihrem Vorgesetzten oder Mentor als Sounding
Board – Gedanken über die individuelle Ausgangssituation und die spezifischen
Umfeld- und Unternehmensbedingungen, in welchen sich Ihre Rechtsabteilung
und Ihr Team derzeit befinden. Sprechen Sie alle bewussten Problemstellungen
an, Stärken und Schwächen sowie die besonders ausgeprägten Fähigkeiten res-
pektive Nicht-Fähigkeiten Ihrer Teammitglieder. Danach setzen Sie sich vertieft
mit Ihren Erwartungen und Wünschen an eine ideale Teamentwicklung ausein-
ander: Welche der in Abschn. 28.5.1 aufgezeigten Idealziele möchten Sie errei-
chen? Was möchten Sie sonst noch in Ihrem bestehenden Team verändern? Wo
sehen Sie noch brachliegendes Potenzial beziehungsweise bestimmten Nach-
holbedarf?
2. Groben provisorischen Entwicklungsplan erstellen: Nun folgt auf Basis der
16 TEP-Grundlagenbausteine eine erste Skizzierung eines auf Ihre Bedürfnisse
28 Team Management für Unternehmensjuristen 367

zugeschnittenen Entwicklungsprogramms. Sie ermitteln diejenigen Bereiche,


welche Ihnen besonders wichtig und von denen Sie überzeugt sind, dass Sie
für den künftigen Erfolg Ihres Teams ausschlaggebend sein könnten. Ein inter-
ner oder externer Sparringpartner kann Ihnen in diesem Prozessschritt helfen:
Er kann weitere essenzielle Bereiche aufspüren, an die Sie nicht gedacht haben
oder aber Bereiche wieder ausklammern, welche eventuell gar nicht nötig
sind respektive in der zeitlichen Priorität nicht an erster Stelle stehen. Nach
Abschluss dieser Phase sollte Ihnen ein schriftlicher „grob-skizzierter proviso-
rischer Entwicklungsplan“ für Ihr Team vorliegen. Dieser sollte idealerweise
nicht nur die Ziele und Wünsche aus dem ersten Schritt beinhalten, sondern
auch aus einem individuell auf Ihr Team angepassten „Ablaufplan des Teament-
wicklungsprojekts“ und einem nach SMARTIES-Kriterien formulierten zeitli-
chen „Umsetzungsplan“ bestehen.
3. Feinen provisorischen Entwicklungsplan erstellen: Ihr grob-skizzierter Ent-
wicklungsplan wird nun auch mit den Teammitgliedern erörtert. Idealerweise
findet eine solche Erörterung unter der Leitung eines Moderators statt. Ein sol-
cher kann die Teammitglieder gezielt in diesem Prozess unterstützen und falls
nötig korrigierend eingreifen. Zudem sollte das Team unbeeinflusst von Ihrer
Gegenwart hier die Möglichkeit haben, die von Ihnen vorgeschlagene Wahl der
Bausteine, des Ablaufs und der Umsetzungsmaßnahmen einer kritischen Prü-
fung zu unterziehen, da es das Programm später umsetzen muss. Schließlich
sollte zwischen allen Teammitgliedern ein Konsens hinsichtlich der zu errei-
chenden Teamziele und die Übereinstimmung in den anderen Bereichen des
Entwicklungsprojekts gefunden werden. Sollte trotz der professionellen Unter-
stützung durch den Moderator kein Konsens zu den wichtigen Punkten erreicht
werden, muss der Prozess – mit dem Input des Teams – bei Schritt 2 wieder
aufgenommen werden. Wird hingegen ein Konsens erreicht, dann wird nun ein
„fein-skizzierter provisorischer Entwicklungsplan“ erstellt.
4. Analyse des feinen provisorischen Entwicklungsplans durchführen: Erst
nach übereinstimmendem Konsens im Gesamtteam – also zwischen allen
Teammitgliedern und Ihnen – ist es möglich, die effektiven Inhalte des Ent-
wicklungsplans anzugehen. Hierfür sollten Sie einen Fachmann für Teament-
wicklung beiziehen, sofern Sie in diesem Bereich nicht selbst bewandert sind.
Dieser kann die Außenperspektive für einen maßgeschneiderten Entwicklungs-
plan beisteuern, indem er alle relevanten teamspezifischen Leistungsbausteine
und die individuellen Potenziale Ihrer Teammitglieder ganz genau analysiert.
Möchten Sie hingegen nur unter sich bleiben, so können Sie diesen Prozess-
schritt aussetzen.
5. Definitiven Teamentwicklungsplan erstellen: Nun besprechen Sie mit Ihrem
Team die Ergebnisse der Außenperspektive aus Schritt 4 in einem Team-Work-
shop. In diesem sollte noch einmal kritisch hinterfragt werden, wo das Team
heute im Hinblick auf die definierten Ziele, seine besonderen Potenziale und
Ressourcen steht. Zudem sollten nochmals mögliche Hemmnisse in der Team­
entwicklung und Limitation einzelner Teammitglieder offen und ehrlich
368 R.P. Falta und R. Müller

besprochen werden. Oft ändert sich aufgrund dieser intensiven Auseinanderset-


zung mit der Teamthematik nochmals die individuelle Ausgestaltung des provi-
sorischen Entwicklungsplans. Sind diese bereinigt, folgt nun die Erstellung und
Verabschiedung des „definitiven Teamentwicklungsplans“.
6. Konkreten Aktionsplan erstellen: Ein interner oder externer Teament-
wicklungsexperte stellt nun – im Konsens mit Ihnen und Ihrem Team – einen
Aktionsplan auf. Dieser beinhaltet sämtliche chronologisch aufeinander abge-
stimmten Trainings sowie sonstigen Maßnahmen für die entsprechende Tea-
mentwicklung Ihrer Legal Operations-Mannschaft.
7. Aktions- & Umsetzungsphase starten: Nach langen Analyse-, Planungs- und
Findungsphasen startet Ihr Legal Operations Team in die Umsetzungsphase
Ihres Teamentwicklungsprogramms. Während dieser Phase sollten Sie und Ihr
Team immer wieder von Ihrem Teamentwicklungsexperten begleitet werden.
Sofern Sie keine externe Person zuziehen möchten, findet sich eventuell jemand
in der Personalabteilung, der Erfahrung mit der Umsetzung von Teament-
wicklungsmaßnahmen für Rechtsabteilungen hat. Er kann Sie und Ihr Team
während der ganzen Dauer des Entwicklungsprogramms mit Rat und Tat unter-
stützen, motivieren und dafür sorgen, dass Sie fokussiert bleiben, um die avi-
sierten Ziele innert gesetzter Frist zu erreichen. Zudem kann er bedarfsgerecht
eingreifen, wenn Entwicklungsmaßnahmen ersetzt, deren Reihenfolge geändert
oder der individuelle Entwicklungsmodus angepasst werden muss. Schließlich
finden die einzelnen Teamentwicklungsmaßnahmen als Team- und Individu-
al-Trainings statt.

28.5.4 Vor- und Nachteile verschiedener


Teamentwicklungsmöglichkeiten

In Tab. 28.1 werden die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Möglichkeiten
für die Teamentwicklung gegenübergestellt. Diese Übersicht soll Ihnen die Aus-
wahl etwas erleichtern, sofern Sie sich aktuell auf der Suche nach etwaigen Team­
entwicklungsangeboten befinden.
Aus dem jeweiligen Fazit der einzelnen Alternativen wird klar: Die eine
beste Lösung für alle gibt es nicht. Sie müssen sie aufgrund der individuellen
Umstände, in welchen sich Ihre Legal Operations befinden, für sich selbst heraus-
finden. Vergleichen Sie auf jeden Fall verschiedene Anbieter und wählen Sie nur
dasjenige Angebot aus, das Ihren Vorstellungen von Teamentwicklung am nächs-
ten kommt, und dessen Anbieter Ihnen von Anfang an sympathisch erscheint. Die
„Chemie“ zwischen Ihnen, Ihrem Team und Ihrer Teamentwicklungsbegleitung
muss stimmen.
Tab. 28.1  Vor- und Nachteile diverser Angebotsformen der Teamentwicklung (TE)
Kriterium Keine TE TE-Maßnahmen (einzeln) Externes Team-Coaching TE-Programm („light“) SEPTAGON TEP©-Pro-
gramm**
Nutzenerwartung: Keine (weiter wie bisher) Gering (gering bis Gering bis mittel; Mittel bis hoch; maß- Ausgezeichnet; für
mittel*); Wirkung hält maßgeblich vom Coach geblich vom Anbieter ໅-Teams aber nicht
in der Regel nur Tage/ abhängig abhängig geeignet
Wochen an
Umfang: Kein Punktuell, je nach Bedarf Punktuell bis mittel-um- Umfang nach Bedarf; Besonders umfangreich,
fassend; individuell in der Regel individuell absolut individuell
anpassbar anpassbar
Personal: Kein 1 TE-Experte 1 TE-Coach 1–2 TE-Experten 1–15 TE-Experten
Zeit: Kein Gering; in der Regel Individuell, je nach Vereinbart, vorab 2–3 Jahre pro Einzel-
Tages- oder 2-Tagesse- Bedarf bestimmbar durchlauf
28 Team Management für Unternehmensjuristen

minare
Kosten: Keine Gering bis mittel Gering bis mittel Mittel (bis hoch) Extrem hoch
Fazit: Sie haben bereits ein Gut, um den Team-Spi- Ein Top-Coach ist Sofern auf die indivi- Falls Kosten keine Rolle
absolutes Spitzenteam rit zu fördern und für relativ preiswert und duellen Kundenbedürf- spielen und die Ent-
oder möchten alles so gemeinsame Erinnerun- kann wahre Wunder nisse zugeschnitten und wicklung zum all star
belassen (ohne Leis- gen. Keine nachhaltige vollbringen. Es gilt hier Fokus auf Leistung; team ernst gemeint ist,
tungssteigerung), wie Wirkung, Spaßfaktor aber, die „Nadel im dann erste Wahl dann erste Wahl
es ist aber gegeben Heuhaufen“ zu finden;
dann erste Wahl
* Sofern einige Einzelmaßnahmen über eine bestimmte Zeitdauer verteilt werden, aber kein eigentliches Programm geschnürt wurde
** Einzelbeispiel, um das Maximum von TE-Maßnahmen aufzuzeigen (derzeit exklusivstes und teuerstes TE-Programm im DACH-Raum)
369
370 R.P. Falta und R. Müller

Literatur
Broderick M (2011) The art of managing professional services. Prentice Hall, New York
Hermann HD, Mayer J (2014) Make them go! Murmann, Hamburg
Maister DH (2008) Strategy and the fat smoker. Spangle Press, Boston
McKenna PJ, Maister DH (2005) First among equals. Free Press, New York

Weiterführende Literatur

Tuckman BW (2001) Developmental sequence in small groups. Group Facil Res Appl J 3:66–81
(Hrsg Schuman SP)

Über die Autoren


Roman P. Falta, lic.iur.HSG – Professional Services Management Leader QUADRAGON
MANAGEMENT LLC, Zürich
Studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen HSG. Daneben
hält er Weiterbildungsdiplome der Harvard University, des MIT und der UC Berkeley in Sozio­
anthropologie und Psychologie. Seine Berufskarriere begann er in einer führenden Strategie-
beratung, welcher Berufsstationen bei Gericht, in der Finanzverwaltung und einer namhaften
Anwaltskanzlei folgten. Anschliessend war er für diverse Bereiche in Corporate Legal und in der
Compliance eines Global Fortune 500-Unternehmens verantwortlich. Als Professional Services
Management Leader verantwortet er heute unter anderem den Bereich Legal Operations Optimi-
zation bei QUADRAGON MANAGEMENT. Er gilt als einer der renommiertesten Experten für
Professional Services Optimization und Elite Performance Development im deutschsprachigen
Raum.

Robert Müller, lic.iur. – Partner QUADRAGON MANAGEMENT LLC, Zürich


Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Zürich. Seit 35 Jahren Trainer und Berater
für Personal- und Unternehmensentwicklung. Seine Schwerpunktgebiete bilden die Führungs-
kräfteentwicklung sowie die unterschiedlichen Facetten der Teamentwicklung. Daneben führte er
erfolgreich Coachings und befasste sich im In- und Ausland mit Konfliktmanagement. Als Semi-
nar-Designer und -Leiter sowie als Berater für Performance Improvement begleitete er namhafte
Teams und Unternehmen auf dem Weg zu einer nachhaltigen Leistungssteigerung.
Legal Department Management –
der Umgang mit Komplexität 29
Alexander Fruehmann

Die Möglichkeiten der strukturell-organisatorischen Einordnung der Rechtsabteilung


und damit des General Counsel1 als dem Leiter der rechtlichen Business Unit inner-
halb einer Unternehmens- oder Konzernstruktur wurden bereits in vorangehenden
Kapiteln und werden auch im nächsten Abschnitt dieses Buches ausführlich behan-
delt. Ebenso werden vermeintliche soft skills, wie Selbst- und Teammanagement
oder Kommunikation, und auch die mannigfaltigen Aufgaben eines General Counsel
an anderer Stelle eingehend auf höchstem und praxisnahem Niveau diskutiert. Die
Gefahr, sich bei einem weiteren Beitrag über das Management der Funktion „Legal
Operations“ beziehungsweise der Funktion eines General Counsel inhaltlich zumin-
dest teilweise zu wiederholen, erscheint daher groß. Dem soll nicht so sein.
Dieses Kapitel möchte den Leser daher anregen, eine neue und für Juris-
ten womöglich ungewohnte Sichtweise auf die eigene Funktion und die von ihm
geführte rechtliche Einheit zu entwickeln. Die Rechtsabteilung soll einerseits
ganzheitlich als Teil eines „lebensfähigen sozialen Systems“ und andererseits als
für sich selbst stehender „Organismus“ erkannt werden. Welche Anforderungen
müssen der General Counsel, die Abteilungsleiter und auch die einzelnen Juristen
einerseits und die Rechtsabteilung und deren einzelne Einheiten andererseits erfül-
len, damit die rechtliche Unternehmenseinheit als solche effektiv und nachhaltig in
einer sich rasch ändernden Umwelt funktioniert – „lebensfähig“ ist? Beginnen wir,
indem wir – im Sinne der Managementkybernetik – die Rechtsabteilung nicht als
Organigramm von durch Linien miteinander verbundenen Textfeldern und Namen
verstehen, sondern als Kreislauf von Aktivitäten, Informationen, Beobachtungen,
Regeln, Rahmenbedingungen und Normen.

1DerBegriff „General Counsel“ soll in diesem Kapitel stellvertretend für sämtliche Führungskräfte
verwendet werden, die direkt oder indirekt eine leitende Stellung in Legal Operations wahrnehmen.

A. Fruehmann (*)
Wien, Österreich
E-Mail: office@fruehmann.eu

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 371


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_29
372 A. Fruehmann

29.1 Das Anforderungsdilemma – oder „die massive


Zunahme an Komplexität innerhalb von
Rechtsabteilungen“

Im Gegensatz zu anderen Funktionen innerhalb eines Unternehmens ist die


Rechtsabteilung und damit ultimativ der General Counsel seit einigen Jahren einer
immer größeren Zahl von einander teils widersprechenden Anforderungen ausge-
setzt. Der General Counsel als trusted advisor des Boards oder des Eigentümers:
Einerseits als ein jederzeit verfügbarer – über jedes Detailthema informierter –
Vertrauter, quasi der „Privatgelehrte“ und für jedes rechtliche Thema verantwortli-
che persönliche Ansprechpartner der Unternehmensführung, der er womöglich in
Personalunion auch noch angehört. Andererseits als Leiter einer hoch ausgebilde-
ten Abteilung, die von der Führungskraft Qualitäten wie fachliche Professionalität,
Verantwortungsbewusstsein und Leadership in umfassender Form erwartet. Dazu
kommen immer komplexere rechtliche „Umwelten“, die getrieben durch Wachs-
tum, Globalisierung, Wettbewerb, Innovation und technischen Fortschritt laufend
neue systemgefährdende Risiken entstehen lassen.2 Steigende Umweltkomplexitä-
ten lösen zwangsläufig zunehmende Systemkomplexität innerhalb der Abteilung
und die Notwendigkeit ständiger Anpassung auf die sich laufend ändernden Rah-
menbedingungen aus. Dem wiederum steht der Kostendruck innerhalb des Unter-
nehmens gegenüber. Die Rechtsabteilung wird in den meisten Fällen als reines
Cost Center angesehen3 und für den General Counsel rücken Aspekte des Con­
trollings und der Finanzoptimierung in den Vordergrund.
Eine aktive Bewältigung dieser wachsenden Komplexität und den damit entste-
henden Anforderungen an den General Counsel und die Funktion der Rechtsabtei-
lung als solcher lässt sich nicht bewerkstelligen, indem der Fokus allein auf der
„Bewahrung“ der bestehenden (oft fälschlich als bewährt wahrgenommenen)
Strukturen und Prozesse gelegt wird. Die organisatorische und mentale Abschir-
mung von rechtlichen Entscheidungsträgern gegen neue Entwicklungen und Inno-
vationen selbst innerhalb einer so traditionellen Domäne wie dem Rechtsgebiet
stellt mittel- bis langfristig eher eine ernste Gefährdung als eine Sicherung der
Lebensfähigkeit nicht nur der Abteilung, sondern des Gesamtunternehmens dar.4

2Es erübrigt sich, in diesem Rahmen auf die derzeit allgegenwärtigen Herausforderungen im
rechtlichen Bereich näher einzugehen, die von Themen des Datenschutzes über Compliance und
regulatorische Beschränkungen bis zu den eher internen Schwachstellen von Rechtsabteilun-
gen wie Key Performance Indicators, Knowledge Pools oder dem Aufbau von nachhaltigen IT
Lösungen hin reichen.
3Ein nach Ansicht des Autors oft „hausgemachtes“ Problem der Rechtsabteilung, das durch eine

professionell strukturierte strategische Positionierung durchaus nachhaltig geändert werden kann.


4Beispiele dieser Art von Verleugnung neuer Entwicklungen bzw. zu geringem Austausch mit den

Business Units (mit teils unternehmensgefährdenden Folgen) finden sich derzeit gerne im Wett-
bewerbs- und Kartellrecht, im Umgang mit externen Daten oder auch in (internen) Bereichen wie
dem Vertragsmanagement (Stichwort Repository).
29 Legal Department Management – der Umgang mit Komplexität 373

u Rechtsabteilungen sollten strukturell sowohl auf vorhersehbare wie


auch unvorhersehbare Ereignisse vorbereitet sein.

W. Ross Ashby hat mit seinem „Gesetz der Komplexitätsentsprechung“5 bereits


1956 eine zentrale Aussage zum systematischen Umgang mit Komplexität getrof-
fen – „Only variety can destroy variety“ (Vielfalt kann nur durch Vielfalt über-
wunden werden). Auf Rechtsabteilungen bezogen, könnte man Ashby‘s Regel so
verstehen, dass dem wachsenden komplexen Umfeld nur erfolgreich begegnet
werden kann, indem man diesem auch innerhalb der Organisation eine entspre-
chend komplexe Systemstruktur entgegensetzt. Aus praktischer Sicht sollte dies
eine Aufforderung an den General Counsel bedeuten, die Rechtsabteilung struktu-
rell so gut als möglich für vorhersehbare wie auch unvorhersehbare Einflüsse aus
der Umwelt aufzustellen. Wie Michael Mirow6 sehr treffend feststellt, wird eine
Organisation, die darauf vertraut, erst aus ihren Fehlern am Markt zu lernen, oft-
mals keine zweite Chance mehr bekommen.

29.2 Die Funktionen innerhalb der Funktion

Wenn man „Ashby’s Law“ als Anlass nehmen möchte, um über die eigene Posi-
tion als General Counsel und die funktionale Strukturierung der Rechtsabteilung
als Ganzes nachzudenken, so stellt sich in erster Linie die Frage: Welche Funk-
tionen haben die jeweiligen „Player“ innerhalb der Abteilung eigentlich wahr-
zunehmen? Wir sprechen hier nicht über die Bezeichnung des Einzelnen auf der
Visitenkarte (wie Contract Manager oder Senior IP Counsel), sondern über die
tatsächlichen Managementfunktionen. Für das leichtere Verständnis der weiteren
Ausführungen zunächst ein einfacher Vergleich: Stellen wir uns ein Orchester vor.
Es mag sein, dass sich das Orchester selbst verwaltet oder auch, dass es Teil eines
Eigentümerverbandes ist, wo es nur eines unter vielen spezialisierten Orchestern
ist. Es gibt einen Orchester-Vorstand (möglicherweise auch ein aus eigenen Rei-
hen gewähltes Exekutiv-Komitee), das den Tourplan, die allgemeinen Richtlinien
und die Auswahl der Dirigenten bestimmt. Das Orchester selbst besteht aus ver-
schiedenen Sektionen – Streicher, Bläser etc. –, diese wiederum aus Untergruppen,
wie etwa die Streicher aus Violinen, Violas, Celli, Bässe. Jede Untergruppe hat
einen Leiter, zum Beispiel der erste Geiger für die Violinen. Jeder Musiker steu-
ert für sich selbst wiederum seine eigenen Aktionen, hat sein Instrument, trainiert
seine Fertigkeiten, überprüft seine Qualität.

5„Law of requisite variety“, Ashby (1956).


6Mirow (2005, S. 29).
374 A. Fruehmann

Wenn man sich das Orchester in dieser Form vor Augen führt, sieht man,
dass jede Ebene (das Orchester, die Streicher, die Violinen-Sektion, der ein-
zelne Violinist)
• einen eigenen Zweck verfolgt,
• eine eigene Umgebung hat,
• über ein eigenes Management (sei es das Schaltzentrum im Gehirn des
Geigers für den einzelnen Musiker, der erste Geiger für die Violin-Sek-
tion, sei es der Dirigent für die Streicher oder das Orchester Management
für die Gesamtheit) verfügt,
• eine eigene operative Einheit (das Instrument für den einzelnen Musi-
ker, alle Geiger gemeinsam für die Violin-Sektion, alle einzelnen Strei-
cher-Sektionen [Violinen, Celli, Violas, Bässe] gemeinsam für die
Streicher-„Abteilung“, Streicher und Bläser gemeinsam für das Orchester
als Gesamtheit) beinhaltet,
• für sich selbst und in sich selbst (autonom, in gewisser Handlungsfreiheit)
effektiv funktionieren muss.

Und wie sieht es mit dem „juristischen Orchester“ einer Rechtsabteilung aus? Die
Übung nunmehr, jeder der obigen Ebenen ein Pendant im Sinne einer rechtlichen
Funktion zuzuordnen (die Rechtsabteilung als Orchester, der General Counsel als
Vorstand, die IP Abteilung als Streicher etc.), sei jedem selbst überlassen. Anhand
dieses Beispiels lassen sich aber in jedem Fall folgende grundlegende Erkennt-
nisse ableiten:

u Jede Ebene benötigt eine gewisse Selbstbestimmung,


alle Ebenen müssen für sich effizient funktionieren, und
jeder Einzelne erfüllt eine notwendige Funktion für die Gesamtheit.

Jede operationale Einheit besteht somit aus:

• einer operativen (ausführenden) Ebene,


• einer Steuerungsebene (Management) und
• einer spezifischen eigenen Umwelt,

innerhalb derer die Einheit funktioniert. Wir werden in Kürze sehen, warum diese
drei Ebenen gemeinsam ein einheitliches System (das sogenannte System 1) bil-
den (siehe Abb. 29.1).
Diese operationalen Management-Einheiten funktionieren allerdings nicht
vom Ganzen oder voneinander losgelöst, sondern finden sich in einem System
von checks and balances wieder. So bestimmt (und verantwortet) der Dirigent
etwa das zu spielende Programm (im Unternehmensbereich zum Beispiel ver-
gleichbar mit den strategischen Zielen für das kommende Jahr), die Zusammen-
setzung des Ensembles, die Orchestrierung, vor (vergleichbar mit den personellen
29 Legal Department Management – der Umgang mit Komplexität 375

MANAGEMENT

(Bsp.: Erster Geiger,


Leiterln IP Gruppe)
UMWELT OPERATIVE EINHEIT

(Bsp.: alle Violinisten innerhalb


der Violin-Sektion, die IP Anwälte der IP
Gruppe)
(Bsp.: die Streicher als Gesamtheit, die
Rechtsabteilung als Gesamtabteilung)

Abb. 29.1  Struktur eines System 1. (Quelle: Mark Lambertz, intelligente-organisationen.de)

und finanziellen Entscheidungen des General Counsel innerhalb der Rechtsabtei-


lung) und er übernimmt auch eine Steuerungs- und Kontrollfunktion, indem er die
Interpretation der Partitur (Piano, Forte, dynamisch, zurückhaltend) übernimmt
(ebenso, wie der General Counsel die Prioritäten der laufenden Projekte evalu-
iert). Im Gegenzug ist das Orchester dem Dirigenten für die Umsetzung vollin-
haltlich verantwortlich (accountable).
Wer würde die Organisation eines Orchesters grundlegend infrage stellen oder
fordern, dass der erste Cellist während des Konzerts auch die Trompeten-Sektion
anführt? Wer würde verlangen, dass die Flöte für das gesamte Orchester die Ein-
sätze vorgibt oder welche Stellen des Stückes besonders leise oder laut zu inter-
pretieren sind? Ebenso absurd erscheint es, sich vorzustellen, dass der Dirigent
plötzlich auch noch den Part der Harfinistin übernimmt und sich das Orchester in
der Zwischenzeit selbst leitet. Man möchte sich wundern, warum man aber genau
solche Konstellationen allzu oft in Rechtsabteilungen wiederfindet. Das Viable
System Model (VSM)7 des „Vaters der Management-Kybernetik“, Stafford Beer,
hat sich das komplexeste aller Systeme – das menschliche Nervensystem – zum
Vorbild genommen, um abzubilden, wie effektive Systeme funktionieren und wel-
che Voraussetzungen sie erfüllen.
Wir wollen in der Folge kurz die Annahmen des Viable System Model beschrei-
ben und versuchen das Modell praxisbezogenen und beispielhaft auf eine klassi-
sche Rechtsabteilung und deren Funktion anzuwenden. Im Sinne der Kürze dieses
Beitrages abstrahieren wir das Modell und erheben keinerlei Anspruch auf wissen-
schaftliche Genauigkeit. Vielmehr regen wir den Leser zu folgenden Fragen an:
Erfülle ich in meiner Funktion als General Counsel beziehungsweise erfüllt meine
Abteilung als Teil der funktionalen Unternehmensorganisation die notwendigen
Voraussetzungen eines lebensfähigen Systems? Sind meine Abteilung und ich in
meiner Position auf sich laufend ändernde Umwelten/Gegebenheiten strukturell

7Beer (1990, S. 15 ff.).


376 A. Fruehmann

vorbereitet? Versteht jeder Einzelne tatsächlich die ihm zukommenden Funktionen


und werden diese auch erfüllt?

29.3 Das Viable System Model in Anwendung auf


Rechtsabteilungen

Aus Sicht des Viable System Model ist eine Organisation nur lebensfähig, wenn
sie ein bestimmtes Set an Managementfunktionen aufweist. Diese spezifischen
und untereinander interagierenden Managementfunktionen werden innerhalb des
Viable System Model als „Systeme“ beschrieben. Das Viable System Model kennt
fünf Systeme, die in der Folge kurz erklärt werden. Wir wollen bei jedem System
zum leichteren Verständnis auch einen beispielhaften Bezug zu den Funktionen
innerhalb einer Rechtsabteilung vornehmen.

29.3.1 System 1: „Operative Ebene“

Das System 1 umfasst alle Tätigkeiten, die auf Umsetzung und Zweckerfüllung
gerichtet sind und in welchen die eigentliche Leistungserbringung stattfindet. Ver-
einfacht gesagt, sind dies die operativ tätigen Einheiten. Innerhalb einer größeren
Rechtsabteilung wären dies die unterschiedlichen Abteilungen (Intellectual Pro-
perty (IP), Tax, Regulatory, Contracts, Compliance etc.). Jede Abteilung erbringt
ihre Leistung in einem ihr eigenen Umfeld, ihrer eigenen Umwelt. So arbeitet zum
Beispiel die Steuerabteilung in einem Umfeld von steuerrechtlicher Gesetzgebung,
sie ist beeinflusst von Entscheidungen der Höchstgerichte oder auch steuerpo-
litischen Agenden nach einer Regierungsumbildung und arbeitet womöglich mit
einem eigenen IT Tax Programm. Die Umwelt der IP Abteilung sieht wiederum
ganz anders aus. Gleichzeitig braucht jede operative Einheit eine Steuerungsein-
heit, um die Leistungserstellung zu koordinieren. Diese Steuerungseinheit wäre
die operative Leitungsfunktion, zum Beispiel die Leiterin der IP Gruppe.

Rekursionsprinzip: Jedes System 1 besteht wiederum selbst aus lebensfähigen Systemen


erster Stufe. Gleichzeitig kann ein System 1 auch Teil anderer übergeordneter Systeme 1
sein.
Wir haben dies bereits anhand des Orchesterbeispiels verdeutlicht, wo die Streicher
(angeführt von einem Konzertmeister, bestehend aus Violin-, Cello-, Bass-Sektionen, und
innerhalb des Orchesterumfelds agierend) ein System 1 bilden würden, gleichzeitig aber
die Violin-Sektion für sich selbst auch wieder ein lebensfähiges System 1 bildet (mit ers-
tem Geiger als Management, den Violinisten als operative Einheit und den Streichern als
Umwelt).
Gleiches gilt für die einzelnen Abteilungen innerhalb des Legal Department oder auch
für die Rechtsabteilung selbst, die neben Marketing und Finanzabteilung wiederum nur
eines von mehreren Systemen erster Stufe innerhalb des Unternehmens bildet.

u Operative Einheit, Umwelt und operatives Management bilden gemein-


sam ein lebensfähiges System, das System erster Stufe (System 1).
29 Legal Department Management – der Umgang mit Komplexität 377

Abb. 29.2  Übersicht zu Systemen 1 und 2, welche durch System 3 (Mgmt) verbunden sind. (Quelle:
Mark Lambertz, intelligente-organisationen.de; in Anlehnung an Beers Viable System Model 1985)

29.3.2 System 2: „Koordination“

Dient als Unterstützung für alle auf gleicher Ebene nebeneinander bestehenden
Systeme 1. System 2 beinhaltet alles, was es braucht, um die verschiedenen Sys-
teme 1 miteinander zu koordinieren, ihnen Informationen untereinander und von
anderen Ebenen zur Verfügung zu stellen. Es dämpft Ungereimtheiten, fördert
Verständnis für Vorgaben und ermöglicht die Nutzung von Synergien innerhalb
der Systeme erster Stufe (siehe Abb. 29.2). Wenn wir uns eine aus verschiedenen
Abteilungen bestehende Rechtsabteilung vor Augen führen, so kann es sein, dass
die IP und die Vertragsabteilung laufend auf die gleichen Konferenzräume zugrei-
fen wollen oder die Hilfe der IT Abteilung primär für sich beanspruchen wollen.
Würde hier kein System 2 koordinierend eingreifen, wären Konflikte zwischen dem
System 1 (IP Abteilung) und dem System 1 (Vertragsabteilung) vorprogrammiert.

u Beachte: System 2 muss kein formaler Prozess sein. Es kann auch aus
informellen Abstimmungsmeetings, Gesprächen in der Mittagspause
oder der gemeinsamen Entwicklung eines Terminplans zur Nutzung der
Konferenzräume zwischen den Systemen 1 bestehen.

29.3.3 System 3: „Operative Gesamtleitung“,8 „Inside


and Now“

Die operative Gesamtleitung verbindet die Tätigkeiten aller Systeme erster Stufe zu
einem einheitlichen operativen Output und gewährleistet damit die Handlungsfähig-
keit des Gesamtsystems (in unserem Fall der Rechtsabteilung als G ­ esamteinheit).

8Adam (2001), S. 84.


378 A. Fruehmann

Laut Stafford Beer ist System 3 die für das Unternehmen entscheidende Führungs-
einheit („[…] System Three in practice really runs the enterprise.“9). Hier werden
Vorgaben an die Systeme 1 ausgegeben, Instruktionen, Guidelines und Policys
erstellt, Verantwortung von den Systemen 1 für ihre Aktivitäten eingefordert und
Ressourcen festgelegt (Budgets, Personalentscheidungen, Marketingaktivitäten,
Arbeitsinfrastruktur). Auf das Legal Operations Management umgelegt, befinden
wir uns hier im Kern der Funktion eines Leiters der Rechtsabteilung beziehungs-
weise eines General Counsel.10 Um es mit Stafford Beer zu beschreiben, muss
sich System 3 aller Aktivitäten bewusst sein, die innerhalb der operativen Gesamt-
heit (Rechtsabteilung, inside) zum aktuellen Zeitpunkt (now) stattfinden. Der
General Counsel ist angehalten, auf Entwicklungen innerhalb der einzelnen Abtei-
lungen zu reagieren, die Zuteilung von Personalressourcen und Budgets entspre-
chend zu gestalten und Synergien zwischen den Systemen zu erkennen und für die
gesamte Abteilung nutzbar zu machen.
Da eine rein vertikale Kontrollfunktion durch das operative Management nicht
immer ausreichend ist und auch die Gefahr eines Informationsdefizits von System
3 mit sich bringt, kennt das Viable System Model ein System 3* („System 3 Stern“,
„Audit“). Dieses nimmt eine Art informelle und spontane Monitoringfunktion ein,
die System 3 – neben den offiziellen Reportingmaßnahmen in der direkten Befehls­
achse – weiteren Einblick über die Effektivität (oder Ineffizienz) der Umsetzung
der gemachten Vorgaben ermöglicht. Hierbei kann es sich zum Beispiel um unge-
plant eingesetzte Spot-Audits der Systeme 1 handeln oder aber auch um rein per-
sönliche Gespräche, die sich bei Rundgängen oder vor Meetings ereignen.

u Auch, wenn operative Gesamtleitung und Kontrollfunktion in Personal­


union bestehen sollten, sind die Funktionen inhaltlich strikt voneinan-
der zu trennen.

Der General Counsel, der sich vor einer unternehmensinternen Veranstaltung mit der
Leiterin des Tax Departments unterhält oder der Leiter der Vertragsabteilung, der
sich von einem seiner Contract Manager unangekündigt ein Update über ein aktuel-
les Projekt geben lässt – beide Aktivitäten erfüllen die Funktion von System 3*.

29.3.4 System 4: „Strategisches Management“, „Outside


and Then“11

Während sich System 3 ausschließlich um das operative Management der internen


Aktivitäten und damit der Systeme 1 und 2 kümmert, hat System 4 eine Kontakt- und

9Beer (1979, 1994, S. 263).


10Wir nehmen an, dass der GC die Rechtsabteilung tatsächlich operativ leitet und nicht allein als
Mitglied des Vorstandes oder der Geschäftsführung ohne operative Leitungsfunktion agiert.
11Beer (1985, S. 115).
29 Legal Department Management – der Umgang mit Komplexität 379

Beobachterfunktion in Bezug auf die Umwelt der gesamten Einheit. Denn ebenso wie
jedes System 1 seine eigene Umwelt hat, in der es agiert (siehe oben zum Umfeld der
Steuerabteilung), so ist auch die Gesamtheit in ein umfassendes Umfeld gebettet – in
unserem Beispiel bewegt sich die Rechtsabteilung in einer Umwelt, die aus den gesam-
ten restlichen Business Units, den rechtlichen Risiken und Trends in den verschiede-
nen Märkten oder etwa aktuellen oder zukünftigen politischen Entwicklungen bestehen
kann. Aus den Beobachtungen dieser Gesamtumwelt entwickelt System 4 die strategi-
sche Planung für die gesamte Einheit – vorausschauend und gleichzeitig auf Basis der
aus den Systemen 1 gespeisten Notwendigkeiten.
Die Funktion des General Counsel im Rahmen des strategischen Managements
im Sinne des System 4 ist gleichsam die Zusammenfassung der an ihn über Sys-
tem 3 herangetragenen Bedürfnisse und Erwartungen der einzelnen Abteilungen
und die Verknüpfung dieser Erwartungen mit den Erkenntnissen, die er aus der
„Gesamtumwelt“ der Rechtsabteilung gewinnt. So macht es Sinn, sich als General
Counsel zum Beispiel über die Neuerungen von Contract Management Software
im Rahmen einer Konferenz zu informieren oder den politischen Entwicklungen
in Europa zu folgen, sofern das Unternehmen europaweit tätig ist. Genau dieses
vorausschauende Wissen um die Umwelt kann für die strategische Planung der
operativen Einheiten lebensnotwendig sein – etwa, wenn die Vertragsabteilung
aufgrund der Anforderungen aus den Business Units mit der Vertragsabwicklung
an ihre Grenzen stößt und eine Einführung neuer Technologien sinnvoll wird oder,
wenn kommende politische Entwicklungen Gesetzesänderungen erwarten lassen,
die unmittelbare Auswirkungen auf das Unternehmen selbst haben würden.
Um eine Verknüpfung des Wissens hinsichtlich des inside and now, also der
aktuellen operativen Aktivitäten, mit der Vorausschau auf das outside and then
möglich zu machen, stehen die Systeme aller Stufen im Informationsaustausch
(siehe Abb. 29.3).

Abb. 29.3  Wechselwirkung der Systeme 3–1 sowie 3–4. (Quelle: Mark Lambertz, intelligen-
te-organisationen.de; in Anlehnung an Beer [1985])
380 A. Fruehmann

Sowohl das strategische als auch das operative Management können nicht in
einem Vakuum agieren. Sie brauchen identitätsstiftende Bewertungskriterien und
Orientierungspunkte. Was als logical closure bezeichnet wird, ist die wohl am
schwierigsten zu identifizierende Funktion.

29.3.5 System 5: „Normatives Management“, „Policy Function“

System 5 setzt sich aus allen Elementen zusammen, die für das „Selbst-Bewusst-
sein“ – die Identität – der jeweiligen Gesamtheit als maßgebend angesehen werden
können (siehe dazu detailliert Kap. 9–13). In einem Unternehmenskontext mag
diese Identität unter anderem durch eine unternehmensweite Charter, ein Mission
Statement oder einen vom Vorstand ausgearbeiteten Ethikkatalog vorgegeben wer-
den. Ebenso könnten es aber auch die Eigentümerfamilie oder der CEO sein, die
in ihrer Gesamtheit und mit ihrer Dynamik einen erheblichen Teil der Identität
darstellen. In gleicher Weise ist es für System 5 essenziell, über die aktuelle Situa­
tion innerhalb der Systeme erster Stufe wie auch über die strategischen Vorhaben
informiert zu sein. Ein Rechtsvorstand, der lediglich von einem kleinen Berater-
stab mit Informationen versorgt wird und keine anderen Informationsquellen über
die tatsächliche Effektivität von Maßnahmen innerhalb seiner Rechtsabteilung
beziehungsweise die Situation in den verschiedenen Fachabteilungen hat, läuft
Gefahr, seine normative Funktion rein auf Basis von subjektiv (durch den Berater-
stab und möglicherweise durch dessen Eigeninteresse) gefilterten Quellen auszu-
üben. In welcher Form auch immer eine gemeinsame Atmosphäre für die gesamte
Einheit (in unserem Fall die Rechtsabteilung) und damit ein Selbstbewusstsein
als Einheit geschaffen wird, bildet System 5 als policy function die gesamtheit-
liche Abrundung eines in sich geschlossenen, nach außen offenen, lebensfähigen
Systems. Sofern der General Counsel die Funktion von System 5 (oder einen Teil
davon) einnimmt, so besteht die Aufgabe unter anderem im Monitoring des ope-
rativen und strategischen Managements, einem Eingreifen im Falle außerordent-
licher Problemfälle und der Vorgabe von bindenden Rahmenbedingungen. Ein
General Counsel oder Rechtsabteilungsleiter, der meint, dass ihm damit offen
stünde, jederzeit in die Arbeitsprozesse seiner Abteilungen und Manager (also der
Systeme 1) einzugreifen und deren Autonomie zu beschränken, hat seine Funktion
allerdings jedenfalls missverstanden.
Wenn wir eine sehr einfach strukturierte Rechtsabteilung nunmehr zunächst
als klassisches Organigramm und nachfolgend in Gesamtschau der 5 Systeme des
Viable System Model betrachten wollen, so ergibt sich das in den Abb. 29.4 und
29.5 dargestellte Bild.

29.4 Lebensfähigkeit in einer unberechenbaren Umwelt

Kein General Counsel kann vorhersehen, ob „sein“ Unternehmen morgen ver-


klagt wird und sich die Rechtsabteilung notgedrungen mit dem Fall befassen muss.
Ob über die dazu notwendigen Ressourcen so einfach verfügt werden kann, steht
29 Legal Department Management – der Umgang mit Komplexität 381

Abb. 29.4  Rechtsabteilung als „klassisches“ Organigramm

Abb. 29.5  In Abwandlung von Rechtsabteilung auf Basis des Viable System Model. (In Abwand-
lung von Quelle: Mark Lambertz, intelligente-organisationen.de)

auf einem anderen Blatt. Es gibt keine Glaskugel, in der man alle externen poli-
tischen oder internen geschäftspolitischen Entwicklungen und deren Auswirkun-
gen auf die Organisation (und damit direkt oder indirekt auf die Aktivitäten der
Rechtsabteilung) herauslesen kann. Dennoch beschreiben genau diese Situati-
onen die Umwelt der meisten Rechtsabteilungen punktgenau. Kaum eine andere
382 A. Fruehmann

­ rganisationseinheit bewegt sich ständig in einer so unberechenbaren Umwelt


O
wie das Legal Department unter der Leitung des General Counsel. Neben d­ ieser
­Unsicherheitskonstante ist auch kaum eine Abteilung derart angehalten, e­ inerseits
durch konservatives Handeln Risiken zu minimieren und andererseits ein
­proaktiver Business-Partner zu sein. Genau diese konfliktgeladene Umwelt macht
es unumgänglich, die Funktion der Legal Operations und das rechtliche Manage-
ment derselben nicht in Form eines starren Systems zu gestalten. Rechtliches
Funktionsmanagement braucht die Fähigkeit, im richtigen Moment mit den rich-
tigen Ressourcen in der notwendigen Geschwindigkeit auf ungeplante Ereignisse
effektiv reagieren zu können. Dazu ist es notwendig, dass die gesamte Einheit auch
im täglichen Echtzeitbetrieb lebens- und anpassungsfähig ist und jede Ebene ihre
eigene Managementfunktion erfüllt.
In diesem Beitrag konnte nur ein sehr kurzer Einblick in die Überlegungen des
Viable System Model gegeben werden. Wir konnten aber erkennen, dass reines
Bewahren von angeblich bewährten Strukturen und der Glaube eines Managers,
er müsse sich auf jeder Ebene einmischen beziehungsweise könne alles besser und
gleichzeitig, jedenfalls kontraproduktiv ist. Aus proaktiver Sicht wurde aufgezeigt,
dass effektive Organisationen alle entscheidenden Voraussetzungen der Systeme 1
bis 5 erfüllen müssen.

Eine Rechtsabteilung benötigt daher Einheiten,


• die operativ agieren (System 1),
• ein System 2, welches das Miteinander der operativen Einheiten unter-
stützt und koordiniert, und
• eine operative Gesamtleitung, die das Tagesgeschäft der Systeme 1 führt
und auch mithilfe von spontanen Checks kontrolliert.
• Die täglichen Operationen müssen vorausschauend gesteuert werden und
Entwicklungen aus der gesamten Umwelt mitsamt Risiken und Chancen
müssen durch die strategische Steuerung (System 4) in das Tagesgeschäft
einfließen,
• wobei sich all diese Funktionen in einen normativen Rahmen der Gesamt­
organisation einordnen (können) müssen, den System 5 identitätsstiftend
vorzugeben hat.

Es reicht aus, dass eines dieser Merkmale nicht vollständig vorhanden oder dysfunk-
tional eingesetzt ist, damit die Lebensfähigkeit der gesamten Einheit eingeschränkt
wird. Selbst, wenn die Mehrzahl von Rechtsabteilungen aus einer kleinen organi-
satorischen Einheit besteht, so ändert dies nichts an der Notwendigkeit sämtlicher
Funktionen, um effizient auf Herausforderungen der Umwelt reagieren zu können.
29 Legal Department Management – der Umgang mit Komplexität 383

Auf dieser Basis stellt sich eine Reihe von Fragen:


• Erfüllt die von mir geleitete Organisationseinheit sämtliche der genannten
Funktionen?
• Gibt es weniger effektive Abteilungen oder einzelne Manager unter mei-
ner Leitung?
• Welche Funktionen bestehen in Personalunion ohne korrekte Abgren-
zung?
• Welche Funktionen finden sich in meiner eigenen Position als General
Counsel?
• Ist die Abteilung ausreichend anpassungsfähig, um auf unerwartete Ent-
wicklungen und Anforderungen reagieren zu können?
• In welcher Umwelt bewegt sich meine Abteilung und woraus besteht
diese? In welcher Form beziehen wir Informationen über zukünftige Ent-
wicklungen und uns betreffende Gefahren?
• In welchem Ausmaß greifen Manager übergeordneter Einheiten in die
Aktivitäten der operativen Juristen vor Ort ein? Sind die operativen Ein-
heiten ausreichend selbstbestimmt und durch welche Maßnahmen ist
deren Kontrolle gewährleistet?
• Sind wir uns der Prozesse innerhalb unserer Abteilung überhaupt bewusst?
• Gibt es derzeit fehlende Funktionen, die durch bestehende Einheiten sinn-
voll besetzt und abgedeckt werden könnten?

Die Liste könnte zweifellos lange fortgesetzt werden. Ideen zur weiteren Analyse
der oben gestellten Fragen könnte dieser Beitrag geliefert haben. Damit wäre auch
dem Ziel dieser Ausführungen entsprochen, nämlich dem Leser ein Organisations-
modell vorzustellen, das aus meiner Erfahrung in höchst effektiver Form für die
Diagnose, Entwicklung und Gestaltung gerade von Rechtsabteilungen als Systeme
besonderer Komplexität herangezogen werden kann. Es ist selbstverständlich, dass
auf diesen wenigen Seiten nur eine sehr vereinfachte Darstellung des Viable Sys-
tem Model möglich war und eine Vielzahl an effizienten, hier nicht beschriebenen,
Wegen besteht, um die mittels der VSM-Analyse aufgedeckten Verbesserungs-
potenziale in der Praxis zu nützen und umzusetzen. Ich bin aber überzeugt, dass
jeder General Counsel durch ein gewisses Grundverständnis für die notwendigen
Funktionsmechanismen effektiver Systeme und grundlegende Überlegungen, ob
die eigene Rechtsabteilung diese Mechanismen tatsächlich vollständig erfüllt,
einen wesentlichen Beitrag und sinnvollen Schritt zur Verbesserung der eigenen
Position wie auch des gesamten Legal Department leisten kann.

Literatur
Adam M (2001) Lebensfähigkeit sozialer Systeme: Stafford Beer’s Viable System Model im Ver-
gleich. Dissertation, Universität St.Gallen
Ashby WR (1956) An introduction to cybernetics. Chapman & Hall, London
384 A. Fruehmann

Beer S (1979) The heart of enterprise. Wiley, Chichester (Erstveröffentlichung 1994)


Beer S (1985) Diagnosing the system for organizations. Wiley, Chichester
Beer S (1990) The viable system model. In: Espejo R (Hrsg) Systems Practice Vol 3 No 3. The
viable system model. Plenum, New York, S 219–221
Mirow M (2005) Wie praktisch ist eine gute Theorie? In: Krieg W, Galler K, Stadelmann P
(Hrsg) Richtiges und gutes Management: vom System zu Praxis, Festschrift für Fredmund
Malik. Haupt, Bern

Weiterführende Literatur

Beer S (1966) Decision and control, the meaning of operational research and management cyber-
netics. Wiley, Chichester (Erstveröffentlichung 1994)
Bröker JJ (2005) Erfolgreiches Management komplexer Franchisesysteme auf Grundlage des
Viable System Model. Dissertation, Universität St.Gallen. Difo-Druck GmbH, Bamberg
Capaul R, Steingruber D (Hrsg) (2013) Betriebswirtschaft verstehen – Das St. Galler Manage-
ment-Modell, 2. Aufl. Cornelsen, Berlin
Crisan Tran CI (2006) Beers Viable System Model und die Lebensfähigkeit von Jungunter-
nehmen – Eine empirische Untersuchung. Dissertation, Universität St.Gallen. Difo-Druck
GmbH, Bamberg
Espejo R, Harnden R (Hrsg) (1989) The viable system model – interpretations and applications
of Stafford Beer’s VSM. Wiley, Chichester
Espejo R, Schwaninger M (1993) Organisational fitness. Corporate effectiveness through
management cybernetics. Campus, Frankfurt a. M.
Flood RL, Carson ER (1988) Dealing with complexity – an introduction to the theory and appli-
cation of systems science, 2. Aufl. Plenum, New York (Erstveröffentlichung 1993)
Frese E, Graumann M, Theuvsen L (2012) Entscheidungsorientiertes Konzept der Organisations-
gestaltung, 10. Aufl. Gabler, Wiesbaden
Grösser SN, Zeier R (2012) Systemic management for intelligent organizations, concepts,
models-based approaches and applications. Springer, Berlin
Krieg W, Galler K, Stadelmann P (Hrsg) (2005) Richtiges und gutes Management: vom System
zu Praxis, Festschrift für Fredmund Malik. Haupt, Bern
Pruckner M (2002) Warum arbeiten Organisationen effektiv? Das Naturgesetz der lebensfähigen
Organisation. Essay, Cwarel Isaf Institute, St.Gallen
Rios JP (2012) Design and diagnosis for sustainable organizations, the viable system method.
Springer, Berlin
Schwaninger M (2006) Design for viable organizations: the diagnostic power of the viable sys-
tem model. Kybernetes 25/2006(7/8):955–966
Schwaninger M (2007) Developing a viable organization: the crucial role of the meta-system. In:
Christopher WF (Hrsg) Holistic management – managing what matters for company success.
Wiley, Hoboken, S 102–107
Schwaninger M (2009) Intelligent organizations, powerful models for systemic management, 2.
Aufl. Springer, Berlin
Tschugmell J (2008) Das bionisch-kybernetische Systemmodell VSM von S. Beer – Ein Ver-
gleich mit Netzwerkmodellen. Diplomarbeit, Universität, Wien
Wilms FEP (2009) Management-Cockpits zur Entscheidungsvorbereitung. Arbeitsbericht, FH
Vorarlberg Forschungszentrum Prozess- und Produkt-Engineering
29 Legal Department Management – der Umgang mit Komplexität 385

Über den Autor


Dr. Alexander Fruehmann, LL. M. (Yale) – Gründer und Managing Partner FRUEH-
MANN LEGAL MANAGEMENT, Wien; ex-Head of General Legal Matters Europe,
Russia & CIS bei RED BULL
Studium und Doktorat der Rechtswissenschaften an der Universität Wien (1995–1999, 2002),
Masterstudium Yale Law School (2002–2003), Management Executive Program Malik Center
St.Gallen/SMBS Business School (2010–2011), Zulassung als Rechtsanwalt in Österreich (2006)
und als Attorney and Counselor at Law in New York (2005), Zulassung als Unternehmensberater
(2005), Rechtsanwalt Baker & McKenzie Kerres & Diwok/Partner bei Kerres Partners (2003–
2008), Counsel bei Wolf Theiss Rechtsanwälte (2006–2010), Head of General Legal Matters
für Europa, Russland und GUS bei Red Bull (2010–2014), Gründer und Managing Partner der
rechtlichen Strategieberatung FRUEHMANN LEGAL MANAGEMENT mit Sitz in Wien (frueh-
mann.eu) (seit 2015).
Strategieentwicklung für General
Counsels 30
Roman P. Falta

30.1 Strategisches Legal Operations Management

Eine Strategie zu haben, heißt nichts anderes, als genau zu wissen, wie ich „von A
nach B“ gelangen will. Mithin beinhaltet die Ausarbeitung von Strategien die Aus-
arbeitung von Handlungsoptionen. Durch die anschließende Auswahl der besten
Handlungsoption weiß ich wiederum, was ich wann, wie, mit wem, welchen Mit-
teln und wozu machen werde und natürlich auch, welche Handlungsoptionen eben
nicht umgesetzt werden. In der Praxis findet in vielen Rechtsabteilungen zwar Pla-
nung statt, echtes „strategisches Management“ von Legal Operations wird aber in
der Regel nur in internationalen Großunternehmen (und selbst dort nicht überall)
eingesetzt. Ich vermute, die mangelnde strukturierte „Strategisierung“ der Rechts-
funktion fußt auf dem Umstand, dass die hierfür benötigten Werkzeuge und Vorge-
hensweisen nicht ausreichend bekannt sind und dass das strategische Management
für viele General Counsels nicht im Vordergrund steht, da ihre Rechtsabteilungen
vorwiegend defensiv ausgerichtet sind. Solange nur an die Rechtsabteilung heran-
getragene Rechtsfälle abgearbeitet werden und sich das Legal Team nicht proaktiv
im Unternehmen positionieren muss, benötigen die Legal Operations in der Regel
auch kein professionelles Strategiemanagement.
Dabei folgt aus der Erstellung der Legal Operations Vision und den Legal
Operations Guidelines (siehe dazu auch Kap. 10) die Notwendigkeit eines stra-
tegischen Legal Operations Management. Dieses knüpft nahtlos an die bei-
den identity change tools an. Die dreiteilige Einheit aus Zielen, Strategien und
Maßnahmen wird fortgesetzt. Zudem profitiert die Strategieplanung der Legal

R.P. Falta (*)


Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC,
Zürich, Schweiz
E-Mail: falta@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 387


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_30
388 R.P. Falta

Operations bereits von der Erstellung der vorgenannten identitätsstiftenden Instru-


mente, indem viele der dort gesammelten Informationen auch in ein strategisches
Management mit einfließen.
Die Werkzeuge und Vorgehensweisen des strategischen Legal Operations
Management sind ähnlich denjenigen der Gesamtorganisation (Unternehmen oder
Behörde). Sie unterscheiden sich aber in manchen Bereichen grundlegend, da
Strategic Development in der Gesamtorganisation sehr viel weiter geht. Dort wird
es nicht nur vertikal (mehr Tools), sondern vor allem auch horizontal viel breiter
eingesetzt, um die vielen Bereiche der Gesamtorganisation miteinbeziehen zu kön-
nen.1 Im Gegensatz dazu beschlägt strategisches Legal Operations Management
„nur“ die Rechtsfunktion, bringt dieser aber eine Reihe bedeutender Vorteile:

• Konsistenz und stetige Verbesserung in der hochqualitativen Leistungserbringung,


• Bildung einer optimalen Positionierung und Reputation inner- und außerhalb
der Organisation,
• absolut klare Fokussierung auf die Zielverfolgung und Maßnahmenumsetzung,
• Weiterentwicklung der eigenen Ressourcen und systematische Sammlung
wichtigen Wissens über die eigene Organisation, die eigenen Leistungen und
die Interaktionsgestaltung zu internen und externen Interaktionspartnern.

Nachfolgend wird die Vorgehensweise eines Planungszyklus des strategischen Legal


Operations Management anhand dreier Phasen, wie in Abb. 30.1 dargestellt, erläutert.

30.2 Die Strategieanalyse-Phase im strategischen Legal


Operations Management

Strategie heißt, wie gesagt, von A nach B zu kommen. Daher ist es besonders
wichtig zu wissen, wo A und B liegen. Es geht darum, den Ist- und den Sollzu­
stand zu ermitteln, in dem sich die Legal Operations hinsichtlich der verschiede-
nen Ziele, die vor allem aus der Vision und den Guidelines – aber auch aus den
anderen identity change tools – abgeleitet werden, genau befinden. Wir haben
bereits im Rahmen der Positionierungsdiskussion in Kap. 14 die verschiedenen
Umweltsphären und die internen sowie externen Tätigkeitsumfelder der Legal
Operations, wie in Abb. 30.2 dargestellt, kennengelernt. Sie bilden die Aus-
ganglage für das strategische Legal Operations Management.

30.2.1 Die Umweltsphären- und Umfeld-Analytik

Die Umwelt- und Umfeldstrategie-Analytik befasst sich mit einer möglichst sinn-
vollen und akkuraten Abbildung des Istzustand der Welt, in der sich die Legal

1Vgl. Müller-Stewens und Lehner (2005, S. 158 ff.).


30 Strategieentwicklung für General Counsels 389

Abb. 30.1  Die drei Phasen des Strategic Legal Operations Management. (Quelle: QUADRA-
GON Management LLC)

Abb. 30.2  Positionierung im Kontext des QUADRAGON Legal Operations Management-­


Modells©. (Quelle: QUADRAGON Management LLC)
390 R.P. Falta

Operations jeweils aktuell befinden. Dabei werden die verschiedenen Umwelt-


sphären- und Interaktionspartner systematisch inventarisiert und deren Ein-
flussmöglichkeiten auf die Rechtsabteilung antizipierend ermittelt. Dabei ist es
wichtig, sich folgende Fragen zu stellen:

• Umweltsphäreneinflüsse:2 Welche Umweltsphären sind für uns besonders


relevant? Wie wirken diese auf die Rechtsabteilung und auf die einzelnen Mit-
glieder des Legal Teams? Welche größeren Veränderungen sind in den nächsten
ein bis drei Jahren aus den Umweltsphären zu erwarten? Welche Elemente aus
den Umweltsphären können zusammenwirken und ihren Impact dadurch dras-
tisch auf uns verstärken? Welche Umweltveränderungen werden direkt auf die
Legal Operations einwirken, welche indirekt über die internen und externen
Interaktionspartner? Wie stellen wir ein Frühwarnsystem auf, um gravierende
Veränderungen frühzeitig zu entdecken? Welche Größen wollen wir in den
Umweltsphären überwachen? Haben wir Verantwortlichkeiten und Prozesse
zum Screening, Monitoring und zum Umgang mit solchen Veränderungen
intern klar definiert? In welchen Zeitabständen werden Umwelt-Monitorings
durchgeführt?
• Interaktionspartnereinflüsse:3 Welche Anspruchsgruppen haben einen Ein-
fluss auf die Legal Operations und qualifizieren sich dadurch als Interaktions-
partner? Welche sind dem inneren und welche dem äußeren Tätigkeitsumfeld
der Rechtsfunktion zuzuordnen? Welche haben einen direkten Einfluss, welche
nur einen mittelbaren? Wie sind deren spezifische Wirkungsart, Einflussstärke
und ihr Interaktionsgrad auf die Legal Operations ausgestaltet? Gibt es gegen-
läufige Interessen zwischen Interaktionsgruppen (Zielkonflikte)? Wie sind wir
auf künftige Entwicklungstrends bei unseren Interaktionspartnern (Änderungen
in der Leistungsnachfrage, der Interaktionsform, der Interaktionsintensität etc.)
vorbereitet? Wie stellen wir ein Frühwarnsystem auf, um gravierende Verände-
rungen bei Interaktionspartnern so rasch wie möglich zu entdecken? Welche
Größen wollen wir hierbei überwachen? Haben wir Verantwortlichkeiten und
Prozesse zum Screening, Monitoring und zum Umgang mit Veränderungen bei
Interaktionsgruppen intern klar definiert? In welchen Zeitabständen werden
Interaktionsgruppen-Monitorings durchgeführt?

Die genaue Kenntnis der Charakteristika und Bedürfnisse der Interaktionspartner


ist nicht nur für eine ideale Positionierung der Rechtsabteilung wichtig, sondern

2Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 88 f.) und die ausführliche Darstellung der Umweltsphären-
analyse bei Müller-Stewens und Lechner (2005, S. 205 ff.): strategische Frühaufklärung durch
systematisches Scanning des Umfelds, Monitoring relevanter Einzelphänomene und Situations-
analyse durch Szenariotechnik.
3Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 89 f.). und die ausführliche Darstellung der Interaktionsgrup-

penanalyse bei Müller-Stewens und Lehner (2005, S. 171 ff.): Ermittlung der Anspruchsgrup-
pen, deren Relevanz feststellen, Gegenüberstellung von Erwartungen und Nutzen, Überlegungen
zu Zielen, Strategien und Maßnahmen.
30 Strategieentwicklung für General Counsels 391

auch für deren strategisches Management insgesamt. Zur Beurteilung der Inter-
aktionsgruppenspezifika hilft ein einfacher Analyserahmen, der an die – in die-
sem Buch verwendete Modellsystematik für Legal Operations (siehe dazu auch
Kap. 1) – angelehnt ist:

• Fundamentalelemente: Jede Interaktionsgruppe verfügt über eine spezifische


Identitätsausgestaltung und verfolgt ihre individuellen Partikularziele. Zudem
versucht sie, sich ihrerseits optimal in ihrer Umwelt zu positionieren und weist
daher eine (in-)formelle Leitungsstruktur auf, welche die Gruppe insgesamt
oder einzelne ihrer Mitglieder führt.
• Strukturalelemente: Jede Interaktionsgruppe verfügt über eine eigene Organi-
sationsstruktur, über besondere Mittel, Ressourcen und Verfahren, um damit die
Erreichung ihrer Ziele zu ermöglichen.
• Operativelemente: Jeder Interaktionsgruppe stehen Umsetzungswerkzeuge zur
Verfügung: Mithin verfügt jede Interaktionsgruppe über Analyse-, Planungs-,
Umsetzungs- und Monitoring-Mittel.

Aus der Analyse der Umweltsphären und der diversen Interaktionspartner lässt
sich eine basic external gap map erstellen, die in Anlehnung an die SWOT-Analy-
sesystematik4 aufzeigt, wo die Risiken und Chancen in der Umwelt beziehungs-
weise die Stärken und Schwächen im Umgang mit Interaktionspartnern liegen.
Der große Vorteil dieser Istanalysen liegt darin, dass man verschiedene Parameter
der Umwelt und der Interaktionsgruppen – die man in der Regel verzerrt wahr-
nimmt – objektivieren und korrigieren kann. Zum Beispiel werden die Impacts
und Impact-Stärken von Umwelteinflüssen oft unterschätzt oder die Erwartungen
und der (entgangene) Nutzen, den sich Interaktionspartner versprechen, wenig rea-
litätsgerecht wahrgenommen. Vielfach merkt man aber auch, dass bisher zwar ein
Umweltsphären- und Interaktionsgruppen-Management betrieben wurde, dieses
aber falsch priorisiert war, indem man mit kaum beeinflussbaren Partnern viel Zeit
vergeudet oder sich ausschließlich auf solche fokussiert hat, die am einfachsten zu
bedienen waren.5
Eines der Ziele des strategischen Legal Operations Management ist es, die
ermittelten gaps zu schließen und die Zielvorgaben der Rechtsabteilung im Rah-
men der identity change tools in einem iterativen Strategieplanungs- und -aus-
wertungsprozess (durch weitere Analyserunden) stetig weiterzuentwickeln und zu
präzisieren. Mithin ist das strategische Management der Rechtsfunktion integral
mit der Identitätsbildung und -veränderung verbunden (siehe dazu detailliert Kap.
9–13). Trotz ausgefeilter Analytik ist zu beachten, dass diese immer nur ein Hilfs-
mittel darstellt, um Komplexität zu vereinfachen und die Welt, in der die Rechts-
abteilung agiert, logisch zu strukturieren. Die Analysen können nie so genau sein,
dass sie die Realität vollumfänglich abbilden würden. Die Ergebnisse sind daher

4SWOT: Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen), Threats


(Bedrohungen).
5Vgl. Müller-Stewens und Lechner (2005, S. 182).
392 R.P. Falta

immer mit gesundem Menschenverstand zu betrachten. Auch wenn Sie als Gene-
ral Counsel dadurch mit einer gewissen Unsicherheit und Unschärfe hinsichtlich
gewisser strategischer Entscheide leben müssen, sind profunde Analysen dennoch
für ein echtes strategisches Management der Legal Operations unverzichtbar.
In der Praxis ist es von Vorteil, das Screening und Monitoring der einzelnen
Umweltsphären und Interaktionsgruppen auf die einzelnen Mitglieder Ihres Legal
Teams zu verteilen. So sollten jedem Teammitglied ein bis zwei Umweltsphären
und eine entsprechende Zahl an Interaktionsgruppen zugeteilt werden, für welche
die entsprechende Person zuständig ist. Dadurch nimmt jedes Teammitglied
bewusst eine aktive Rolle im strategischen Management der Rechtsabteilung wahr.
Das fördert nicht nur das Selbstvertrauen der Mitarbeitenden, sondern entlastet
auch Sie als General Counsel maßgeblich von dieser Aufgabe, die regelmäßig wäh-
rend des ganzen Jahres durchzuführen ist. In jedem wöchentlichen Teammeeting
sollten dann jeweils mindestens zwei bis drei Mitarbeitende über ihre aktuellen
Beobachtungen und Erkenntnisse aus deren individuellem Umweltsphären- und
Interaktionsgruppen-Monitoring sowie ihrer Interpretation derselben berichten.6
Über die Schlussfolgerungen aus den jeweiligen Erkenntnissen für die Rechtsabtei-
lung und über die – bei wichtigen Veränderungen – zu ergreifenden Sofortmaßnah-
men lassen sich im Anschluss spannende und für jedes Mitglied lehrreiche
Teamdiskussionen führen.

30.2.2 Die Gesamtorganisations- und Legal Operations-


Analytik

Im nächsten Schritt geht es darum, den Analysefokus nach innen ins Unterneh-
men oder die Behörde (Gesamtorganisation) zu richten und hier ebenfalls eine
Bestandsaufnahme des Istzustands zu machen. Dabei geht es darum, das eigene
Unternehmen respektive die eigene Behörde auf deren Chancen und Gefahren,
Stärken und Schwächen sowie auf eine Vielzahl weiterer wichtiger Elemente zu
untersuchen. Diese Analysen brauchen Sie in der Regel nicht selbst durchzu-
führen. Oft erhalten Sie die Informationen von der Strategieabteilung (Strategic
Development) oder der Geschäftsleitung Ihrer Organisation. Gute Beziehungen
erleichtern das Nachfragen teilweise vertraulicher Informationen. Sollten keine
aktuellen strategischen Großlagebeurteilungen erhältlich sein, können Sie auch auf
ältere (ein bis zwei Jahre) ausweichen, die intern regelmäßig einfacher zugänglich
sind. Im schlimmsten Fall können Sie einen Teil der benötigten Informationen
aus den letzten Geschäftsberichten und der Wirtschaftspresse herauslesen. Falls

6Lassen Sie Ihre Mitarbeitenden anhand des Szenarioanalyse-Modells von Müller-Stewens


und Lechner (2005, S. 209) (1. Problemanalyse, 2. Umfeldanalyse, 3. Projektionen, 4. Annah-
mebündelung, 5. Szenario-Interpretationen, 6. Störfallanalyse, 7. Auswirkungsanalyse und 8.
Maßnahmenplanung) jeweils eine Beurteilung erstellen und lassen Sie Ihre Mitarbeitenden diese
vortragen. Dadurch eignen sich diese beiläufig ein unternehmerisch-strategische Denken und
Interpretieren an, das vielen Juristen heute in Unternehmen und Behörden oft noch fehlt.
30 Strategieentwicklung für General Counsels 393

auch dies nicht möglich sein sollte, führen Sie ausschließlich die Analyse des Ist-
zustands der Legal Operations durch. Zusammen mit den Informationen aus der
Umweltsphären- und Interaktionsgruppenanalytik sollten Sie ebenfalls über genü-
gend Informationen verfügen, um die professionelle Strategieplanung für Ihre
Rechtsabteilung an die Hand nehmen zu können.
Die Legal Operations-Analytik ihrerseits beschäftigt sich mit einer profunden
Statusanalyse Ihrer Rechtsabteilung. Dabei werden zuerst die für die Positionie-
rung wichtigen Bereiche des Leistungs- und Wertschöpfungsmanagements unter
die Lupe genommen, da dieses aufzeigt, welchen Beitrag die Legal Operations zur
Wertschöpfung der Gesamtorganisation beitragen. Bei der Auseinandersetzung mit
dieser Thematik kann die Beantwortung der nachstehenden Fragen helfen:7

• Leistungs- und Wertschöpfungsinventar: Welche Leistungen bieten wir an und


an welche Interaktionspartner sind diese jeweils ausgerichtet? Welche sollten/müs-
sen wir künftig anbieten? Welche können abgebaut oder an andere Abteilungen
beziehungsweise an externe Dienstleister outsourced werden? Wo besteht Hand-
lungsbedarf für Abgrenzungen gegenüber ähnlichen oder sogar redundanten Leis-
tungen durch andere Fachabteilungen (insbesondere business defense units, wie
Corporate Secretary Office, Compliance, Risk Management und Internal Audit)?
An welchen Wertschöpfungsketten sind wir in unserem Unternehmen/unse-
rer Behörde beteiligt? Wo beginnen die einzelnen Wertschöpfungsketten und wo
enden sie? Welche Glieder der Wertschöpfungskette sollten/müssen inhouse ange-
boten werden? Wo liegen unsere aktuellen Stärken und Schwächen? Was definie-
ren wir als Kernkompetenzen? Wie innovativ ist unser Wertschöpfungsangebot?
• Leistungs- und Wertschöpfungsunterstützung: Was möchten wir sein: Ein
umfassender one-stop-shop-Leistungsanbieter mit rechtlichen und ­ rechtsnahen
Dienstleistungen, eine hoch spezialisierte Boutique, die sich ausschließlich auf
einen eng gefassten rechtlichen Kernkompetenzbereich fokussiert, oder irgend-
etwas dazwischen? Sind wir die defensiv ausgerichtete „rechtliche Feuerwehr“
oder möchten wir als echter Legal Business Partner eingebunden werden, der
auch an betriebswirtschaftlichen Entscheiden beteiligt ist, um eine offensive
Wertschöpfungsleistung für das Unternehmen zu erbringen? Wie steht es mit
unseren Monitoring- und Screening-Fähigkeiten: Sind wir Teil des unternehme-
rischen Früherkennungssystems und steuern wir wichtige Inputs zur gesamtun-
ternehmerischen Wertschöpfungsstrategie bei? Sind die Leadership-, Struktur-,
Ressourcen- und Prozessstrategien und -maßnahmen optimal auf unser Leis-
tungsspektrum ausgerichtet? Wie funktioniert unser Wertschöpfungsmodell? Wel-
chen Anteil an der Wertschöpfung der jeweiligen Wertkette und in welcher Form
(einfach oder komplex, autark oder im Verbund mit anderen) steuern wir bei?

7Vgl. dazu auch die ausführlichen Erläuterungen bei Müller-Stewens und Lechner (2005,
S. 212 ff.) insbesondere zum Skill-Mapping, der Chancenmatrix, der Analyse von Skill-Clustern
und Wertketten, zum 7-S-Modell von McKinsey sowie zur Kernfähigkeitenanalyse, die etwas
abgewandelt einen ebenfalls interessanten alternativen Analyserahmen für den Legal Opera-
tions-Gebrauch ermöglicht.
394 R.P. Falta

Welchen Wertschöpfungsbeitrag leisten wir aus Sicht unserer Organisation und


unserer Interaktionspartner? Welchen Einfluss haben unsere Leistungen auf unsere
Gesamtorganisation? Wo bestehen kritische Anknüpfungspunkte zu internen und
externen Interaktionspartnern und wie gut werden diese Schnittstellen gemanagt?
Welche Bereiche können effizienter und effektiver von anderen erbracht werden?
• Leistungs- und Wertschöpfungserbringung: In welcher Form erbringen wir
unsere Leistungen? Wie steht es mit den interaktiven und kommunikativen Fähig-
keiten der Mitglieder des Legal Teams, wenn es um die Beratung, Schulung und
allgemeine Zusammenarbeit mit internen und externen Interaktionspartnern geht?
Sind unsere Mitarbeitenden ein Team juristisch qualifizierter Sachbearbeiter
oder ein Legal Project Team, das hochkomplexe interdisziplinäre Transaktionen
mit anderen Fachspezialisten aus dem Unternehmen führen oder begleiten kann?
Welches sind die Erfolgsfaktoren der Legal Operations, um die Wertschöpfungs-
ketten respektive Teile davon optimal zu bearbeiten? Sind diese Teile Push- oder
Pull-Aktivitäten, werden sie also autonom von uns zur Verfügung gestellt oder
müssen sie von Interaktionspartnern nachgefragt werden? Wie ressourcenintensiv
ist unser Teil der Wertschöpfung? Werden vor allem generelle oder spezialisierte,
uniforme oder diversifizierte Wertkettenteile erbracht? Wie hoch ist der Automa-
tisierungs- und wie hoch der Self-service-Grad unserer Wertschöpfung? Welche
Bereiche der Wertkette können wir upstream oder downstream durch value cap-
ture von anderen Interaktionspartnern in die Rechtsabteilung holen?

Danach werden die strukturalen Legal Operations Management-Bereiche (siehe


dazu auch Kap. 1) ebenfalls einer genauen Statusanalyse8 unterzogen und –
zusammen mit den Ergebnissen aus der Gesamtorganisationsanalyse und der
Durchleuchtung des Leistungs- und Wertschöpfungsmanagement – eine basic
internal gap map erstellt. Aus dieser sollten alle fehlenden und schwachen Berei-
che ersichtlich sein, die künftig von Grund auf aufgebaut, verbessert oder verstärkt
werden müssen.
Die Gesamtorganisations- und Legal Operations-Analyse sollte einmal jähr-
lich stattfinden. In der Regel genügt es in größeren Rechtsabteilungen zwei bis
drei fähige Mitarbeitende mit ihr zu betrauen. Die Analytik kann aber auch durch
den General Counsel oder einen Senior Legal Counsel gut selbstständig durchge-
führt werden, sofern sie darin geübt sind. Sollten hingegen zu wenig strategisch
erfahrene Mitarbeitende verfügbar sein, kann die Analyse (vor allem deren erst-
malige Erstellung) auch einem externen Legal Operations Optimization-Experten
übertragen werden. Aufgrund seiner Vorgaben können dann in den Folgejahren die
Analysen in der Regel auch durch ungeübtere Personen (bis zu einem bestimmten

8Auch hier gilt es, zuerst ein Inventar der drei Strukturaldimensionen von Legal Operations
(Strukturen, Ressourcen und Prozesse), ihrer einzelnen Elemente und deren entsprechender
Ausprägungen anzulegen. Danach ist jede der im Inventar verzeichneten Position genau auf ihre
entsprechende Vollständigkeit, ihre sinnvolle Ausgestaltung, ihre Zielkonformität mit überge-
ordneten Zielen (aus den identity change tools) und auf ihre einwandfreie Funktion respektive
Schnittstellenverknüpfung zu prüfen.
30 Strategieentwicklung für General Counsels 395

Grad) selbständig durchgeführt werden. Die Ergebnisse der Gesamtorganisations-


und der Legal Operations-Analyse bieten wiederum eine spannende Grundlage für
strategische Diskussionen innerhalb des Legal Teams – wiederum mit den bereits
erwähnten Vorteilen.

30.2.3 Die integrierende Analyseauswertung

Im nächsten Schritt gilt es, die Erkenntnisse aus den vorhergehenden Analysen
zusammenzufügen. Dazu können Sie sich der Tools aus der gesamtunternehmeri-
schen Strategieanalyse bedienen:9

• Globale SWOT-Analyse: Sie stellt die wichtigen Einflussfaktoren von


Umweltsphären- und Gesamtorganisations- respektive Legal Operations-Ana-
lysen komprimiert und im Überblick dar. Zudem ermöglicht sie durch eine
„Konfrontation“ der einzelnen Erkenntnisse die Ableitung einer Vielzahl strate-
gischer Handlungsoptionen.
• Kernfähigkeiten-Szenario-Analyse: Sie baut auf der Methodik der Segmen-
tierung und der Szenariotechnik auf und kann daher in – spezifisch auf Legal
Operations – angepasster Form gute Dienste leisten, die aus der SWOT-Ana-
lyse erhaltenen Handlungsoptionen weiter zu detaillieren und dadurch eine bes-
sere finale Auswahl zusammenzustellen.
• Spieltheoretische Überlegungen: Dieses Tool ist vor allem für naturwis-
senschaftsaffine Juristen besonders interessant, da man hier die Interaktionen
zwischen den Umweltsphärenelementen, den internen und externen Interakti-
onspartnern sowie den Legal Operations nach spieltheoretisch-mathematischen
Segmentierungsvorgaben (Anzahl Elemente/Partner oder Runden, Teilsys-
tem-Dynamiken, Variabilität/Konstanz, Information etc.) modellieren kann, um
dadurch bessere Voraussagen über deren Interaktions- und Impact-Verhalten
auf die Rechtsabteilung zu erhalten.
• Methodik des Vernetzten Denkens: Sie dient der Lösung komplexer Probleme
durch die Visualisierung verschiedenartig miteinander verbundener Wirkungs-
gefüge. Dabei liegt ihr Augenmerk darauf, mono-kausalen Lösungsansätzen
entgegenzuwirken, indem der nachhaltige und dynamische Systemgedanke bei
der Auseinandersetzung mit Herausforderungen im Vordergrund steht.

Egal, ob und für welche dieser Tools Sie sich entscheiden: Wichtig ist, sämtliche
Informationen aus den durchgeführten Analysen und den beiden gap maps zu kom­
binieren, um daraus wiederum eventuell neue – zuvor noch auf dem Level der
Einzel­analysen verborgene – Erkenntnisse über den Istzustand der Legal Operations
sowie möglicher Zukunftsszenarien zu ermitteln. Ebenfalls ein durchaus spannender
Vorgang, dessen Ergebnisse wiederum mit dem Legal Team diskutiert werden sollten.

9Vgl. Müller-Stewens und Lechner (2005, S. 224 ff.).


396 R.P. Falta

30.2.4 Definition der detaillierten Soll-Ziele

Schließlich gilt es, die Erkenntnisse aus den kombinierten Analysen nochmals
ganz genau mit den Metavorgaben aus der Legal Operations Vision und den Legal
Operations Guidelines (siehe dazu detailliert Kap. 10) zu vergleichen, sofern sol-
che bereits vorhanden sind. Sollten Sie in Ihrer Rechtsabteilung die beiden ent-
sprechenden identity change tools noch nicht eingeführt haben, können Sie die
detaillierte Soll-Zielerstellung als Grundlage für eine entsprechende Nachbesse-
rung nehmen. Es ist wichtig, für alle sechs Bereiche des QUADRAGON Legal
Operations Management-Modells© und dessen Subbereiche die genauen Kern-
ziele nach SMARTIES10-Vorgaben zu definieren:

• S für specific: Ziele müssen so spezifisch wie möglich formuliert werden. Je


präziser deren Beschreibung, desto leichter fällt es, sie zu visualisieren und
Maßnahmen aus ihnen abzuleiten.
• M für measurable: Ziele müssen quantifizierbar sein, da ohne Messbarkeit
keine Fortschrittskontrolle möglich ist. Dabei sollte die sinnvollste Kardinal-,
Ordinal- oder Nominalskala angewendet werden.
• A für attainable: Ziele müssen herausfordernd sein (Maximierungs- oder Satis-
fizierungsziele), sie müssen stets aber auch erreichbar bleiben. Unerreichbare
Ziele sind reine Wunschvorstellungen und bieten in der Regel keinen Antrieb,
diese längerfristig zu verfolgen – Gleiches gilt für zu einfache Ziele.
• R für relevant: Ziele müssen relevant sein. Das heißt, sie müssen aus der Pers­
pektive des Legal Teams wichtig und bedeutsam sein. Die hinter einem Ziel
stehenden Werthaltungen, Nutzenüberlegungen und deren Sinnhaftigkeit sind
stets zu hinterfragen.
• T für time-bound: Die Zielverfolgung muss einem klaren Zeitrahmen unterlie-
gen (Start- und Enddatum sowie deadlines für die Erreichung dazwischenlie-
gender Meilensteine).
• I für implementation: Ziele sollten sprachlich so geschickt formuliert sein,
dass sie die Mitglieder des Legal Teams dazu motivieren, sie so rasch wie mög-
lich anzugehen und zu erreichen.
• E für exceptions clarified: Bei der Zieldefinition sollte auch Rücksicht darauf
genommen werden, dass Rückschläge vorkommen können. Es ist daher sinn-
voll, festzulegen, welche Ausnahmen toleriert werden, ohne dass die Zielerrei-
chung als gefährdet oder gescheitert gilt.
• S für systemic fit: Jedes Ziel ist auf seinen systematischen Zusammenhang mit
den übergeordneten Werten und Prinzipien der Legal Operations hin zu über-
prüfen, bevor es formell abgesegnet wird.

Zudem sind sämtliche Ziele der Legal Operations auf deren mögliche Zielkon-
fliktpotenziale hin zu überprüfen. In der Praxis gibt es immer wieder erstaunliche

10Vgl. Hugentobler et al. (2012), S. 70 f. und www.lead-digital.de/aktuell/work/ziele_fuer_2014_

wie_ihnen_smarties_bei_der_umsetzung_helfen. Besucht 10. Mai 2017.


30 Strategieentwicklung für General Counsels 397

Kombinationen, wie unterschiedliche Ziele sich im Idealfall komplementär ergän-


zen oder zu konkurrierenden beziehungsweise indifferenten Zielbeziehungen füh-
ren, die für den Betrieb der Rechtsfunktion problematisch sein können.

30.3 Die Strategieplanungs-Phase im strategischen Legal


Operations Management

Durch die Analyse-Phase wird die Grundlage für eine professionelle Strategiepla-
nung des Legal Operations Management gelegt. Je besser und fundierter die Infor-
mationen sind, mit denen ein General Counsel und sein Team arbeiten können,
desto einfacher gestaltet sich die nachfolgende Umsetzungsplanung.

30.3.1 Strategieplanung vorbereiten

Im ersten Schritt werden nun sämtliche Informationen noch einmal kurz gesichtet,
um einen guten Überblick zu erhalten und sich in die komplex-vernetzte Modell-
welt der Legal Operations hineinzudenken. Danach sind sinnvolle „Planungsein-
heiten“ zu bilden. In der Regel können solche direkt aus der Struktur des für Ihre
Rechtsabteilung verwendeten Managementmodells abgeleitet werden. Falls Sie
zum Beispiel das in diesem Buch verwendete QUADRAGON Legal Operations
Management-Modell© verwenden, können Sie sich einfach an die inhaltlichen
Modellvorgaben aus Kap. 1 halten; dadurch können Sie bereits alle Haupt- und
Unterbereiche auflisten und die Unterbereiche bei Bedarf noch weiter verfeinern.
In einer tabellarischen Gegenüberstellung sind dann die jeweiligen Ist- und Soll-
zustände sowie die Meta-Ziele aus Vision und Guidelines für jede Planungseinheit
einzutragen. Ist die Tabelle mit den entsprechenden Informationen für jede einzelne
Planungseinheit versehen, erfolgt die weitere strategische Planungsarbeit jeweils
immer in einem einzelnen Planungsbereich, bevor der nächste zum Zuge kommt.

30.3.2 Strategieplanung durchführen

Aufgrund der Gegenüberstellung von Ist- und Sollzustand sowie den zugrunde
gelegten Werten, Normen und Prinzipien aus der Vision und den Guidelines ent-
steht ein objektiver Rahmen für die Ermittlung der besten strategischen Lösungsva-
rianten. Der General Counsel kann nun selbst oder zusammen mit einzelnen
Teammitgliedern respektive dem ganzen Legal Team in den nachfolgenden Kreativ-
prozess eintauchen. Schließlich gilt es, für jede Ist-Soll-Diskrepanz die beste strate-
gische Handlungsoption zu finden. Je mehr Personen an diesem Verfahren beteiligt
sind, desto besser sind in der Regel auch die Ergebnisse. Zumal die involvierten
Personen jeden Problembereich aus einer subjektiv unterschiedlichen Perspektive
betrachten und dadurch viele verschiedene Facetten desselben Sachverhalts aufzei-
398 R.P. Falta

gen können. Der Prozess der Ideenfindung im Hinblick auf die einzelnen strategi-
schen Handlungsoptionen verläuft dann immer nach dem gleichen Muster ab:11

1. Problematisierung: Diesen Schritt haben Sie bereits durch die Gegenüberstel-


lung von Ist- und Sollzustand erledigt, da erst durch den Vergleich der Informa-
tionen, die Sie aus den Analysen erhalten haben, die offenen und verdeckten
Diskrepanzen sichtbar werden. Zudem werden durch denselben Vorgang auch
diejenigen Probleme aufgedeckt, die in einem Zielkonflikt mit der Vision und
den Guidelines stehen.
2. Diskrepanzerforschung: Nun geht es darum, die Ist-Soll-Diskrepanzen mög-
lichst umfassend und aus verschiedenen Perspektiven zu erfassen. Durch dieses
Vorgehen, an dem wie vorhin erwähnt von Vorteil möglichst viele Mitarbeitende
der Rechtsabteilung zu beteiligen sind, wird eine Schicht nach der anderen,
einer Zwiebel gleich, abgelöst, bis der Kern der Diskrepanzen sichtbar wird.
3. Sedimentierung/Inkubation: Die Ideengenerierung für die besten strategi-
schen Handlungsoptionen wird nun für eine bestimmte Zeit auf die Seite gelegt.
In der Praxis ist ein Zeitraum von zwei Wochen pro Planungseinheit ausrei-
chend, damit die Ideensammlung zu den Diskrepanzen im Rahmen einer (unter-)
bewussten Auseinandersetzung diffundieren und verarbeitet werden kann.
4. Generierung von Lösungsideen: Nach Ablauf der Inkubationszeit gibt es zwei
Möglichkeiten: Entweder tauchen während der Sedimentierung unvermittelt
„Geistesblitze“, als Ergebnis des unterbewussten Befassens mit den Diskrepan-
zen, auf oder Sie und Ihre Mitarbeitenden sind so weit auf diese sensibilisiert,
dass nun mit unterschiedlichen Kreativitätstechniken aktiv nach Lösungsideen
gesucht werden kann. Dabei unterscheidet man vier unterschiedliche Kreativi-
tätstechniksysteme:
– Reduktion: Durch Zerlegen eines komplexen Grundproblems in seine einzel-
nen Bestandteile (Methodenbeispiele: Morphologie oder Funktionsanalyse).
– Assoziation: Durch die Bildung von Assoziationen im Sinne eines unge-
hemmten Hervorbringens möglichst vieler relevanter Ideen (Methodenbei-
spiele: Brainstorming, Brainwriting, Osborn-Checkliste).
– Abstraktion: Durch die Bildung von Vereinfachungen im Sinne eines Ein-
bezugs neuartiger Gesichtspunkte in die Lösungssuche (Methodenbeispiel:
Progressive Abstraktion).
– Analogie: Durch die Bildung von Analogien im Sinne ähnlicher oder ver-
gleichbarer Muster und Strukturen aus anderen Erfahrungsbereichen
(Methodenbeispiele: Syntektik, Reizwortanalyse, Bionik, TRIZ).
5. Screening von Lösungsideen: Nachdem die vielversprechendsten Ideen für die
strategischen Handlungsoptionen ermittelt wurden, gilt es, diese im Hinblick
auf ihre Brauchbarkeit, Realisierbarkeit und der mit ihnen zusammenhängenden
Konsequenzen für andere Planungseinheiten zu überprüfen. In der Praxis kön-
nen nicht alle Lösungsideen umgesetzt werden; dies betrifft oft auch die „attrak-

11Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 318 ff.).


30 Strategieentwicklung für General Counsels 399

tivsten“ der ermittelten Handlungsoptionen. Auf Grundlage der vorhandenen


Ressourcen sind daher nicht die „maximalen“ Handlungsoptionen, sondern dieje-
nigen zu ermitteln, die unter den gegebenen Umständen die „optimalsten“ Ergeb-
nisse hervorbringen. Dafür wird ein dreiteiliges Screening-Verfahren angewandt:
– Lösungsideen verstehen und identische Ideen in Ideen-Clustern zusammen-
fassen.
– Grobbewertung und Ausscheiden von nicht realisierbaren Ideen.12
– Priorisierung zwischen den einzelnen Ideen vornehmen.
6. Voranalysen durchführen: Die noch verbliebenen Ideen für strategische
Handlungsoptionen werden nun etwas detaillierter auf ihr Umsetzungspotenzial
hin überprüft. Es geht in diesem Schritt darum, weitere Erkenntnisse zu gene-
rieren, die eine zusätzliche Hilfestellung für die finale Auswahl bieten, und
nicht darum, professionelle „Studien“ zu den einzelnen Ideen zu verfassen. Ein
kurzer Kriterienkatalog, der die relevanten Dimensionen abdeckt, genügt.13
Dieser Prozessschritt wird von Vorteil durch eine Gruppe erfahrener Legal
Counsels oder nur durch den General Counsel selbst durchgeführt, da hierfür
gute Kenntnisse der Legal Operations und der Gesamtorganisation (Unterneh-
men oder Behörde) einerseits, andererseits aber auch eine realistische Einschät-
zung der strategischen Umsetzungsmöglichkeiten benötigt werden.
7. Lösungsideen auswählen: Schließlich gilt es, die besten strategischen Hand-
lungsoptionen aufgrund der Voranalysen auszuwählen. Das kann der General
Counsel wiederum im Team oder selbstständig erledigen. Die Auswahl durch
das Team hat den Vorteil, dass die verabschiedeten strategischen Sets von Anfang
an auf eine hohe Akzeptanz bei den Mitarbeitenden stoßen. Dadurch kann ihre
erfolgreiche Umsetzung maßgeblich vereinfacht und gefördert werden.
8. Projekte und Maßnahmen planen: Im letzten Schritt geht es nun darum, die
gewählten Lösungsideen konkret auszuarbeiten. Es werden nun strategische Pro-
jekte oder Einzelmaßnahmen definiert und mit den Vorgaben der vorbestehenden
Strukturen, Ressourcen und Prozessen der Legal Operations vereinheitlicht. Ziel
ist es, für jede Planungseinheit einen klaren strategischen Umsetzungsplan zu
erstellen, der genauen Aufschluss darüber gibt: Was, warum, (bis) wann, in wel-
cher Reihenfolge, wie, von wem, in welcher Art und Weise (Qualität und Quanti-
tät) und mit welchen Mitteln sowie Verfahren durchgeführt werden soll.

Aus strategischen Handlungsoptionen sind nun konkrete strategische Sets von


Handlungsmaßnahmen für jede einzelne Planungseinheit geworden – inklusive all-

12Mögliche Kriterien: Ist die Idee ansatzweise realistisch bei uns umsetzbar? Passt die Idee

grundsätzlich zur Abteilungsphilosophie und zur aktuellen strategischen Ausrichtung der Rechts-
abteilung? Bietet die Idee ein attraktives Wertschöpfungspotenzial für die Legal Operations?
Verfügen wir über die nötigen Ressourcen, um diese Idee umsetzen zu können? Bestehen grund-
sätzlich der Wille und die Motivation bei den Mitarbeitenden, diese Idee umzusetzen? Etc.
13Erste Einschätzungen zur Sicht der internen und externen Interaktionspartner auf die entspre-

chende strategische Handlungsoption. Dazu eine etwas tiefer gehende Auseinandersetzung mit
ihrem Wertschöpfungspotenzial, ihren struktur-, ressourcen- und prozessseitigen Anforderungen
sowie der Durchführbarkeit durch das Legal Team.
400 R.P. Falta

fälliger Alternativen, die bei Eintritt bestimmter im Voraus bestimmter Entwicklun-


gen und Szenarien umgesetzt werden können. Diese sind in der Folge in einzelne
strategische Projekte oder Einzelmaßnahmen aufzuteilen, gegebenenfalls mit dem
Legal Team sowie internen und externen Interaktionspartnern abzustimmen und
insgesamt nochmals einer kritischen Gesamtprüfung zu unterziehen. Es ist wichtig,
dass alle ausgewählten strategischen Handlungsmaßnahmen miteinander harmo-
nieren, sich nicht gegenseitig behindern, stören oder sogar gegenseitig aufheben.

30.4 Die Strategieumsetzungs-Phase im strategischen


Legal Operations Management

Die Umsetzung strategischer Projekte oder Einzelmaßnahmen erfolgt nun im


Tagesgeschäft der Legal Operations im Rahmen des strategischen Umsetzungs-
plans. Dabei unterscheidet man:

• Integration in Routinearbeiten: Strategische Einzelmaßnahmen werden in der


Regel in die bestehende Prozessarchitektur der Legal Operations integriert. Dabei
gilt es, die bestehenden Prozesse zu ergänzen oder gar vollständig neu zu gestal-
ten, um den neuen strategischen Zielvorgaben zu genügen. Der General Coun-
sel sollte mit den betroffenen Mitarbeitenden das nötige Process Reengineering
besprechen und mit ihnen zusammen umsetzen. Hierfür kann es in einigen Fällen
vorteilhaft sein, externe Unterstützung in Anspruch zu nehmen, da die Umset-
zung von Prozessmutationen in der Praxis manchmal problematisch sein kann.
• Durchführung strategischer Initiativen: Strategische Projekte, die aus Bün-
deln strategischer Einzelmaßnahmen bestehen, werden in der Praxis oft am ein-
fachsten durch die Lancierung strategischer Initiativen umgesetzt. Diese sind
insbesondere dann sinnvoll, wenn völlig neue strategische Ziele verfolgt wer-
den sollen oder ein Paradigmenwechsel in den Legal Operations ansteht. Stra-
tegische Initiativen signalisieren den Mitgliedern des Legal Teams sowie den
internen und externen Interaktionspartnern durch deren Ausgestaltungsschritte
(durch kick-off-Meetings, Workshops, interne Informationskampagnen etc.),
dass in der Rechtsabteilung momentan eine wichtige strategische Veränderung
stattfindet; mithin gehören sie durch ihre Außen- und Innenwirkung zu den
Mitteln des Identity Marketing (siehe dazu detailliert Kap. 12).

Schließlich gilt es, bei der Umsetzung strategischer Initiativen und der Inte­
gration strategischer Einzelmaßnahmen zu beachten, dass sie auf unterschiedli­
chen Annahmen basieren, die sich im Zeitverlauf auch verändern können. Da
nicht alles zeitgleich in Angriff genommen werden kann, sondern während eines
Umsetzungszyklus (in der Regel über ein ganzes Betriebsjahr verteilt) nach den
strategischen Prioritäten umgesetzt wird, ist auf eine sklavische Einhaltung der
verabschiedeten Umsetzungsweise zu verzichten. Vielmehr sind die getroffenen
Annahmen vor der Implementierung strategischer Projekte oder Einzelmaßnah-
men immer noch einmal auf ihre Aktualität hin zu prüfen.
30 Strategieentwicklung für General Counsels 401

30.5 Strategieperformance-Messung im strategischen


Legal Operations Management

Schließlich gehört zu einem professionellen strategischen Legal Operations


Management auch eine simultan und nicht etwa seriell ablaufende strategy per-
formance-Messung. Bei dieser handelt es sich um eine institutionalisierte Beob-
achtung und Messung strategischer Initiativen respektive der korrekten und
nachhaltigen Umsetzung strategischer Einzelmaßnahmen in die bestehende Pro-
zessarchitektur und ihrer Auswirkungen auf die Rechtsfunktion. Durch die Stra-
tegieperformance-Messung profitiert die Rechtsabteilung davon, dass die eigene
Entwicklung beobachtet, evaluiert und, falls nötig, an veränderte Gegebenhei-
ten angepasst werden kann. Auch die Strategy-performance-Messung kommt in
einem Regelkreislauf – in Analogie zum LOIC-Kreislauf (siehe dazu detailliert
Kap. 11) – daher. Auf der Basis der in Kap. 11 gemachten Aussagen kann mit den
nachfolgenden Informationen – hier soll noch auf einige besondere Aspekte der
Strategieperformance-Messung eingegangen werden – ein sinnvolles Prüfsystem
für das strategische Legal Operations Management entwickelt werden.

30.5.1 Kontrolldimensionen der Strategieperformance-


Messung

Sofern umgesetzte Strategien nicht die gewünschte Wirkung mit sich bringen, ist
dies immer ärgerlich. Es stellt sich dann die Frage, ob die Grundannahmen für
die gewählte Strategie falsch respektive zu ungenau waren (Analysefehler), ob
die Schlussfolgerungen aus den Analysen nicht richtig waren (Beurteilungsfehler)
oder ob die Umsetzungsmaßnahmen falsch oder nicht nachhaltig genug umgesetzt
wurden (Umsetzungsfehler). Aus diesem Grund sollte eine strategische Leistungs-
messung immer auf den drei nachfolgenden Kontrolldimensionen beruhen:

• Prämissenkontrolle: Die Auswahl der optimalen strategischen Handlungs-


optionen beinhaltet immer auch das Risiko, dass – aus welchen Gründen auch
immer – die falschen strategischen Projekte oder Einzelmaßnahmen ausgewählt
wurden. Mit einer stetigen Prämissenkontrolle kann dem entgegengewirkt wer-
den, indem man zum Beispiel hinterfragt: Gelten nach wie vor die dereinst
getroffenen Annahmen, auf denen unsere Legal Operations Strategien fußen?
Haben sich in der Zwischenzeit äußere Veränderungen in den Umweltsphären,
den Tätigkeitsumfeldern (vor allem hinsichtlich der Interaktionsgruppen) oder
der Gesamtorganisation ergeben? Haben sich in der Zwischenzeit unsere in­
ternen Wertvorstellungen, Normen und Prinzipien (Vision, Guidelines, Princip-
les etc.) im Legal Team verändert?
• Umsetzungskontrolle: Sie befasst sich mit der Untersuchung des jeweilig
aktuellen Planungsfortschritts und gibt Antworten auf Fragen, wie: Wurden die
beschlossenen strategischen Umsetzungsmaßnahmen auch tatsächlich ergrif-
fen? Wie weit wurden die strategischen Einzelmaßnahmen in die bestehende
402 R.P. Falta

Prozessarchitektur umgesetzt und wie sinnvoll wurden dabei die neuen Pro-
zessdesigns gewählt? In welchem Ausmaß wurden die strategischen Initiativen
umgesetzt? Wurden die jeweiligen strategischen Aktivitäten zur richtigen Zeit
gestartet, die einzelnen Meilensteine und der Abschluss innert Frist erreicht?
Waren sämtliche für die Strategieumsetzung benötigten Ressourcen (Finan-
zen, Mitarbeitende, Sachmittel/IT, Information und Zeit; siehe dazu detailliert
Kap. 39) vorhanden und wurden diese richtig beziehungsweise vollständig allo-
ziert? Auf welche Widerstände stieß man bei der Umsetzung und was waren
die Folgen? Wurden überhaupt die richtigen Umsetzungsmaßnahmen getroffen,
um die strategischen Projekte oder Einzelmaßnahmen zum Laufen zu bringen?
Wurden die Umsetzungsmaßnahmen von den Mitarbeitenden sowie von den
internen und externen Interaktionspartnern angenommen beziehungsweise die-
sen genügend transparent und umfassend vorgestellt? Wurden die strategischen
Projekte oder Einzelmaßnahmen zur rechten Zeit und in der entsprechenden
Qualität/Quantität erbracht? Etc.
• Wirksamkeitskontrolle: Schließlich sollte immer auch eine Wirksamkeitskon-
trolle zur Prämissenkontrolle hinzutreten, zumal beide Kontrolldimensionen
komplementär zueinander stehen. In diesem Zusammenhang stellen sich zum
Beispiel folgende Fragen: Verfolgen wir in den Legal Operations überhaupt noch
die richtigen Ziele? Falls ja, konnten wir dann mit den gewählten Strategien
unsere Ziele erreichen? Sind wir unserer Legal Operations Vision dadurch aus-
reichend näher gekommen? Haben wir auf die richtigen Annahmen und Erfolgs-
faktoren gesetzt? Falls die Annahmen und Erfolgsfaktoren weiterhin richtig sind,
kann es sein, dass wir bei der Herleitung der strategischen Umsetzungsmaßnah-
men inhaltlich die falschen Schlüsse gezogen haben? Wurden die relevanten
Fähigkeiten und Fertigkeiten unserer Mitarbeitenden erkannt und – wie auch die
anderen Legal Operations-Ressourcen – sinnvoll auf die strategische Maßnah-
menumsetzung angewandt? Haben wir Umweltveränderungen und das Verhalten
unserer Interaktionspartner richtig in unseren Strategien berücksichtigt?

30.5.2 Prüfindikatoren der Strategieperformance-Messung

Um den Erfolg oder Misserfolg einer strategischen Umsetzungsmaßnahme beur-


teilen zu können, müssen nicht nur der gesamte Input, Throughput und Output
überprüft werden, sondern ebenfalls die einzelnen Messgrößen des Prüfsystems.
Daher sollten Sie auch darauf achten, dass Sie neben den drei Kontrolldimensio-
nen auch genügend hohe Anforderungen an die einzelnen Messgrößen (soge-
nannte Prüfindikatoren) innerhalb Ihres Prüfsystems stellen. Jede einzelne
Messgröße sollte daher auf folgende Inhalte überprüft werden, bevor Sie zur Mes-
sung strategischer Veränderungen in Ihrer Rechtsabteilung eingesetzt wird:14

14Vgl. die GMN-Scorecard-Systematik bei Müller-Stewens und Lechner (2005, S. 722 f.).
30 Strategieentwicklung für General Counsels 403

• Adäquanz der Messgrößen: Sind die gewählten Prüfindikatoren überhaupt für


eine aussagekräftige Messung der Strategieumsetzung geeignet?
• Qualität der Messgrößen: Die angewandten Prüfindikatoren sollten möglichst
einfach aufgebaut sein und trotzdem die dazugehörigen Performance-Treiber
sehr gut abbilden können.
• Quantität der Messgrößen: Wie viele Prüfindikatoren sind pro strategische
Planungseinheit beziehungsweise strategisches Projekt oder Einzelmaßnahme
sinnvoll?
• Relevanz der Messgrößen: Wie hoch sind der jeweilige Feedbackgehalt und
der damit einhergehende Erklärungsbeitrag des verwendeten Prüfindikators?
• Integrierbarkeit der Messgrößen: Wie genau bilden die einzelnen Prüfindi-
katoren die Kausalkette von der Vision bis hinunter zur strategischen Umset-
zungsmaßnahme ab und sind diese sinnvoll?
• Eindeutigkeit von Messgrößen: Bereits der Name des Prüfindikators soll
möglichst genau dessen Zweck und Inhalt wiedergeben. Zudem sollte er sich
klar von anderen Messgrößen unterscheiden.
• Vergleichbarkeit von Messgrößen: Manche Prüfindikatoren ergeben im
Zusammenspiel mit anderen noch bedeutend bessere Resultate als für sich
alleine. Dies sollte beachtet werden, um vergleichbare Messgrößen miteinander
in Verbindung zu setzen.
• Stetigkeit von Messgrößen: Rein digitale Variablen (on/off) sind in der Regel
zu meiden. Stufenlose Prüfindikatoren, die über ein größeres Veränderungsspek-
trum Bescheid geben können, sind viel aussagekräftiger und daher vorzuziehen.
• Zuordnung von Messgrößen: Die Verknüpfung einzelner Prüfindikatoren zu
anderen internen Systemen (Management Information System [MIS], Bonus-
und Entlönungssystem etc.) ist vorteilhaft, da die Informationen über den
Beitrag von Einzel- oder Teamleistungen zur (positiven oder negativen) Stra-
tegieumsetzung direkt ohne Umwege und weitere Prozessierung weitergeleitet
beziehungsweise ausgetauscht werden können.
• Komplementarität von Messgrößen: Alle verwendeten Prüfindikatoren sollten
sich zu einem möglichst umfassenden, aber dennoch überschaubaren Messsys-
tem zusammenschließen lassen. Von einzelnen „Insellösungen“ ist abzuraten.
• Verfügbarkeit: Ideal sind Prüfindikatoren, die zu ihrer Erhebung nicht an eine
spezifische Zeit oder andere Konditionen gebunden sind. Dadurch steigt die
Flexibilität der Kontrolle maßgeblich.
• Selbstreflexivität: Auch Prüfindikatoren sind ihrerseits immer wieder auf ihre
Sinnhaftigkeit und Funktionalität hin zu überprüfen. Es ist zu verhindern, dass
mit Messgrößen von gestern Strategien von morgen in den Legal Operations
gemessen werden.

Wie bei jedem Konzept, so entscheidet auch bei der strategischen Performance-­
Messung die Art, wie sie eingeführt und umgesetzt wird, über ihren ­späteren
Erfolg/Nutzen. Die Leistungsmessung im Rahmen des strategischen Legal
Operations Management sollte daher nie zum Selbstzweck werden. Ihr Ziel
­
muss immer sein, unter minimalem Aufwand eine größtmögliche Zahl relevanter
404 R.P. Falta

­ eedback-Informationen zu generieren, um frühzeitig Lern- und Korrekturmaß-


F
nahmen einzuleiten. Diesen Spagat erfolgreich zu meistern, ist in der Praxis oft
nicht einfach. Mit jeder Kon­trollrunde wird ein anfänglich noch wenig effektives
Prüfsystem jedoch immer besser und genauer. Daher ist es ratsam, mit einem
simplen „Rumpfsystem“ zu starten und dieses mit der Zeit weiter zu detaillieren
beziehungsweise auszubauen, anstatt darauf zu warten, dass Sie irgendwo ein von
Beginn weg ideales Prüfsystem finden.

Interview mit Alfred N. Schindler (von Christian Dueblin)


Alfred N. Schindler, Jahrgang 1949, Spross einer bekannten Innerschweizer
Unternehmerfamilie, bekam wirtschaftliche Zusammenhänge schon seit frü-
her Kindheit mit. Später erwarb der Jurist (lic. iur. Universität Basel) seinen
MBA an der Wharton School of Finance, Pennsylvania. Wissen, das ihm für
seine industrielle Karriere von großem Nutzen sein sollte: Von 1985 bis 2011
als CEO von Schindler, seit 1995 als Verwaltungsratspräsident. Mit der vier-
ten Unternehmergeneration am Steuer der Schindler-Gruppe stieg die Börsen-
kapitalisierung von ca. CHF 250 Mio. auf ca. CHF 18 Mrd. (20. Mai 2015).
Schindler beschäftigt heute weltweit rund 55. 000 Mitarbeiter und gehört zu
den Weltmarktführern in der Aufzugs-Branche. Im Interview geht Alfred N.
Schindler auf die wachsende Bedeutung von Recht und Rechtsabteilungen in
Unternehmen ein. Er unterstreicht die Bedeutung juristischer Belange in inter-
national tätigen Konzernen und zeigt, wie eine moderne Rechtsabteilung proak-
tiv und defensiv eingesetzt wird.

Christian Dueblin: Herr Schindler, was waren damals, noch vor Ihrem
Eintritt bei Schindler, Ihre Beweggründe, ein Jurastudium anzugehen und
Wirtschaft zu studieren und nicht beispielsweise ein Ingenieurstudium zu
beginnen?
Alfred N. Schindler: Ich habe Recht und auch Wirtschaft studiert, weil ich in
einer Unternehmerfamilie aufgewachsen bin und die Sachzwänge des Unter-
nehmertums von klein auf kennengelernt habe. Am Tisch waren Gespräche
über Wirtschaft, unsere Firma und unternehmerische Herausforderungen alltäg-
lich. Bei diesen Diskussionen dominierten rechtliche und finanzielle Aspekte
weit mehr als technische. Das hat mich fasziniert, und so entschied ich mich,
Rechtswissenschaften zu studieren.

Christian Dueblin: Und, hat sich dieser Entscheid in der Praxis bestätigt?
Alfred N. Schindler: Mir wurde schon früh klar, dass rechtliches Wissen eine
relativ kurze Halbwertszeit hat. Ohne stete Weiterbildung wird das im Studium
erworbene Handwerk rasch obsolet. Nicht zuletzt wegen dieser Obsoleszenz ist
für mich das heute alles umfassende Recht ein sine qua non-Thema geworden.
In unserer exponentiell verrechtlichten und dirigistischen Welt gilt es, Risiken
rechtzeitig zu erkennen, richtig einzuschätzen und Schaden abzuwenden bzw.
zu mindern. Dafür sind wir auf das Spezialwissen unserer Rechtsabteilung
angewiesen. Ein Konzern ohne eine erstklassige Rechtsabteilung kommt heute
30 Strategieentwicklung für General Counsels 405

sehr schnell in die Bredouille – intern beschäftigen wir weltweit mehr als 60
Anwälte.

Christian Dueblin: Das Wachstum von Schindler in den letzten Jahr-


zehnten ist beachtlich. Was waren damals, als Sie bei Schindler eingestie-
gen sind, die grundsätzlichen Schritte und Maßnahmen für den heutigen
Erfolg des Unternehmens?
Alfred N. Schindler: Damals ging es vor allem darum, den Konzern auf das
Kerngeschäft zu fokussieren. Im Zeitraum 1985 bis ca. 1995 haben wir 15
branchenfremde Geschäftsbereiche veräußert. Man erinnert sich wohl noch an
den Ausstieg aus dem Waggonbau, aus dem Roboterbau (Digitron AG), aus
dem Maschinenbau (Hämmerle AG), aus dem Krangeschäft und zuletzt aus
dem IT-Geschäft. Diese „Spin-offs“ mussten schnell, sozialverträglich und
juristisch einwandfrei umgesetzt werden. Seit meinem Amtsantritt haben wir
zudem über 60 Akquisitionen im Aufzugsbau getätigt.
Da unsere Firma bahnbrechende Innovationen auf den Markt gebracht hat
(zum Beispiel Zielrufsteuerung, maschinenraumlose Aufzüge), verfügen wir
auch über hoch qualifizierte Spezialisten im Bereich des geistigen Eigentums.
Für den bisherigen Erfolg war zudem matchentscheidend, die Migration der
Märkte zu antizipieren und vom sogenannten „first mover advantage“ zu profi-
tieren. Schindler hat seinerzeit das erste Joint Venture überhaupt in China unter-
schreiben dürfen. Heute sind über zwei Drittel des Neuanlagengeschäftes im
Dreieck Bombay, Seoul und Hongkong angesiedelt. Dies setzt aber auch vor-
aus, dass wir die rechtlichen Spielregeln dieser Länder kennen und in den Griff
bekommen.

Christian Dueblin: Was sind Ihre persönlichen Erfahrungen mit der eige-
nen Rechtsabteilung?
Alfred N. Schindler: Wie bereits erwähnt beschäftigen wir über 60 Juristen.
Dazu kommen noch Paralegals und externe Spezialisten. Eine hochkarätige
juristische Abteilung ist in unserem Unternehmen nicht mehr wegzudenken.
Die Rechtsabteilung ist nicht nur ein defensives Instrument, sie sollte auch
proaktiv zur Unterstützung des operativen Geschäftes eingesetzt werden. Die
Größe der Rechtsabteilung ist letztlich auch auf die ebenfalls erwähnte, alles
umfassende Verrechtlichung zurückzuführen.

Christian Dueblin: Sie unterscheiden defensive und proaktive Arbeiten, für


die Sie die Rechtsabteilung einsetzen. Wie unterscheiden sich diese?
Alfred N. Schindler: In diesem Zusammenhang gibt es mindestens zwei ver-
schiedene Ebenen, die es zu unterscheiden gilt. Zu den defensiven Aufgaben
gehört vor allem die Vermeidung von Risiken im gesamten Vertragswesen. Hier
denke ich insbesondere an den Verkauf von Neuanlagen, an komplexe Moder-
nisierungsaufträge, an Wartungsaufträge, internationale Arbeitsverträge. Auch
Bußen und Zivilprozesse im Zusammenhang mit Kartellrechtsverstößen sind
hier anzusiedeln.
406 R.P. Falta

Bei proaktiven Aufgaben versuchen wir lauernde Risiken zu antizipieren.


So sind wir vor Jahren zum Beispiel zum Schluss gekommen, dass Spitzenge-
hälter politisch und medial brisant werden. Wir haben als erste börsenkotierte
Firma der Schweiz an der Generalversammlung konsultativ über die Saläre
abstimmen lassen. Dafür gab es nicht etwa Lob, sondern politische Schelte. Ein
Zeitungsartikel lautete sogar: „Schindler bricht ein Tabu.“ Die nicht zu Ende
gedachte Debatte mündete in die Minderinitiative, die von einer erdrückenden
Mehrheit der Bevölkerung angenommen wurde. Der heutige Vergütungsbericht
beschäftigt zahlreiche Stabsmitarbeiter in den Bereichen HR, Finanzen und
Recht und ist inzwischen so umfangreich wie der gesamte Geschäftsbericht bei
meiner Wahl in den Verwaltungsrat 1977.
Als weiteres Beispiel möchte ich die Angebotspflicht gemäß BEHG15 erwäh-
nen. Ab 1991 haben sich Prof. Hostetter und ich zum Schutz von Familiengesell-
schaften vehement für die Opting-out-Klausel eingesetzt. Nach mehreren Jahren
fanden wir schlussendlich Gehör. In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt,
dass es in den USA weder eine Angebotspflicht noch ein Kontrollprämienverbot
gibt. Last but not least haben wir auch bei verschiedenen Steuervorlagen, bezie-
hungsweise -initiativen, versucht, die Politik und die Öffentlichkeit auf Risiken
aufmerksam zu machen, teilweise mit Erfolg. Ohne hochkarätige Rechtsexperten
hätten wir diesen Beitrag niemals leisten können.

Christian Dueblin: Schindler hat sich schon sehr früh einen eigenen Code
of Conduct auferlegt. Auch hierfür bedurfte es viel juristischer Arbeit. Wie
kam es zum Code of Conduct und was hat er bewirkt?
Alfred N. Schindler: Meines Wissens waren wir 1993 die erste europäische
Aufzugsfirma, die einen ernst zu nehmenden Code of Conduct erarbeitete.
Nach langen Diskussionen auf verschiedenen Ebenen wurde er 1996 vom
Verwaltungsrat verabschiedet. Damals war der Compliance-Begriff für Mit-
telständer noch ein Fremdwort. Aufgrund meiner Ausbildung in den USA und
meiner Präsentation vor der Federal Trade Commission FTC (Übernahme von
Westinghouse Elevator) waren mir die Risiken im Kartellrecht vertraut. 2004
wurden wir in mehreren europäischen Ländern von einem sogenannten „Dawn
Raid“ der Kartellbehörde überrascht. Leider erhielten auch wir eine Buße, doch
es war mit Abstand die kleinste, und zwar vor einem Leniency Rabatt. Heute
führt unsere Rechtsabteilung jedes Jahr mindestens zwei sogenannte „Mock
Dawn Raids“ irgendwo im Konzern durch. Diese internen Manöver sind nicht
gerade beliebt, aber sie verdeutlichen die sogenannte „voice from the top“.

Christian Dueblin: Was sind weitere Bereiche im Geschäftsleben, die Sie


rechtlich gesehen täglich beschäftigen und denen Sie als Jurist und Unter-
nehmer besonderes Augenmerk schenken?

15(Schweizerisches) Bundesgesetz vom 24. März 1995 über die Börsen und den Effektenhandel

(Börsengesetz, SR 954.1).
30 Strategieentwicklung für General Counsels 407

Alfred N. Schindler: Produktehaftung, Steuerfragen und die Einhaltung börsen-


rechtlicher Vorschriften (zum Beispiel Ad-hoc-Publizität) gehören bestimmt dazu.
Absolute Priorität genießt aber die technische Sicherheit unserer Produkte und
damit auch die Sicherheit unserer Nutzer. Auf der gleichen Ebene ist die Sicher-
heit unserer Mitarbeiter im Bereich Unterhalt und Montage angesiedelt. In die-
sem Zusammenhang haben wir vor rund zehn Jahren erstmals eine Komponente
proaktiv aus dem Markt gezogen. Automobilhersteller können einen sogenannten
Recall öffentlich bekannt geben, was sich bei uns leider nicht so einfach bewerk-
stelligen lässt. Schindler-Aufzüge, die sich nicht mehr in unserem Wartungsport-
folio befinden, sind in diesem Fall eine große Herausforderung. Trotz vielseitigen
Widerständen, Ängsten und Hindernissen haben wir den Rückruf und Ersatz der
Komponente mit der Unterstützung der jeweiligen nationalen Aufzugsverbände
durchgeführt. Dieses Beispiel zeigt, wie Compliance nicht nur beschrieben, son-
dern tatsächlich umgesetzt wird.

Christian Dueblin: Sie haben von den proaktiven Tätigkeiten gesprochen,


bei denen die Rechtsabteilung eine wichtige Rolle spielen kann. Wo sehen
Sie die wichtigen defensiven Bereiche, die eine Rechtsabteilung im Griff
haben muss?
Alfred N. Schindler: Das Vertragswesen und die Compliance-Aktivitäten,
inklusive unangemeldete „Mock Dawn Raids“ habe ich bereits genannt. Erwäh-
nenswert sind auch die Product-Liability-Fälle in den USA. Nach einer auf-
wendigen Analyse durch unsere Rechtsabteilung haben wir ein dreistufiges
Vorgehen verabschiedet. In einer ersten Kategorie werden Forderungen kulant
behandelt, wenn diese unter dem Erwartungswert des sogenannten Nuisance
Value liegen (Prozessökonomie). In einer zweiten Kategorie werden Fälle
juristisch durchleuchtet und wenn möglich durch ein Out-of-court-Settlement
erledigt. In einer dritten Kategorie versucht man die Prozessrisiken präventiv
zu senken, zum Beispiel durch das Anbringen von CCTV-Kameras bei Fahr-
treppen – das wirkt Wunder bei der Beweisführung. Über die letzten 15 Jahre
konnte unsere amerikanische Rechtsabteilung die Product-Liability-Kosten in
etwa halbieren.

Christian Dueblin: Verstehe ich die proaktive Tätigkeit richtig, wenn ich
sage, dass dahinter eine Art Social Responsibility steckt, die das Unterneh-
men verfolgt?
Alfred N. Schindler: Bei allen proaktiven Aktivitäten geht es primär um das
Unternehmen. Das schließt aber nicht aus, dass sich der Konzern auch am poli-
tischen Meinungsbildungsprozess beteiligt. Wir alle wissen, dass der Weg zur
Hölle mit guten Absichten gepflastert ist. Deshalb ist es auch sehr wichtig, dass
unausgegorene Gesetzesinitiativen und/oder die Regulierungswut, der Heimat
zuliebe, nachhaltig bekämpft werden.
408 R.P. Falta

Christian Dueblin: Unterscheidet sich Ihres Erachtens Ihre Unterneh-


mensführung von der Führung anderer Unternehmen, denen kein Jurist
vorsteht?
Alfred N. Schindler: Im Gegensatz zum gesamten europäischen Recht sind die
Verantwortung und damit auch die Haftung der Schweizer Verwaltungsräte in
Art. 716a OR16 präzise umschrieben. Die Oberleitung und Oberaufsicht sind
sehr ernst zu nehmen und führen letzten Endes zur Eingriffspflicht des Verwal-
tungsrates. Eine lasche Aufsicht führt schnell zu einer vorwerfbaren Unterlas-
sung.
Prof. Peter Böckli hat die Verantwortung des Verwaltungsrates und seiner
Ausschüsse hervorragend auf den Punkt gebracht. In seinem Beitrag „Die
Schweizer Verwaltungsräte zwischen Hammer und Amboss“17 verweist er auf
fünf Hauptprobleme üblicher Führungsstrukturen. Bei einem typischen Arbeits-
aufwand eines nebenamtlichen Verwaltungsrates von rund 100 h per annum
werden folgende Hürden überzeugend dargelegt: das Zeitproblem, das Informa-
tionsbeschaffungsproblem, das Beschönigungsproblem, das Problem des Wis-
sensvorsprungs im Management und letztendlich die Verzettelung in
Ausschüssen. Böcklis Schrift ist äußerst lesenswert. In diesem Zusammenhang
versuchen wir die gesetzlichen Vorgaben (Art. 716a OR) durch einen vollamt­
lichen Verwaltungsratsausschuss zu erfüllen.

Christian Dueblin: Sie haben selber verfolgen können, wie sich die Bedeu-
tung einer Rechtsabteilung und auch eines General Counsel im Unter-
nehmen mit der Zeit verändert hat. Wo erkennen Sie die wichtigen
Veränderungen der letzten Jahre?
Alfred N. Schindler: Es gibt nach wie vor den klassischen General Counsel,
welcher ein operatives Instrument der Konzernleitung ist und die Firma vor
Fehltritten schützt. In den letzten Jahren ist man sich jedoch der strategisch rele-
vanten Rechtsrisiken viel bewusster geworden. Überregulierung, Compliance
und internationale Unterschiede haben das Rollenverständnis stark beeinflusst.
Der General Counsel ist nicht nur das Rechtsgewissen der Firma, er ist auch
ein „Guardian of the Shareholder Interests“. Er ist ein nicht mehr wegzuden-
kender Teil der unternehmerischen Risikoabdeckung geworden und sollte mei-
nes Erachtens entweder im Verwaltungsrat oder der Konzernleitung Einsitz
nehmen.

16(Schweizerisches) Bundesgesetz vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizeri-

schen Zivilgesetzbuches, Fünfter Teil: Obligationenrecht (SR 220).


17Böckli P (2010) Die Schweizer Verwaltungsräte zwischen Hammer und Amboss. Schweize-

rische Zeitschrift für Wirtschafts- und Finanzmarktrecht (SZW) 106/2010:1 ff. und 106/2010:
25 ff.
30 Strategieentwicklung für General Counsels 409

Christian Dueblin: Wie gehen Sie mit der Frage der Hierarchie um? Für
einen Legal Counsel, in der Regel eine Stabsstelle, ist es nicht immer ein-
fach, sich durchsetzen zu können.
Alfred N. Schindler: Das ist eine gute Frage. Es kann wohl zu Spannungen
zwischen der Linie und der Rechtsabteilung kommen und diese sind durch die
Führung zu schlichten. Bei echten Risiken gewinnt aber immer die Rechtsabtei-
lung.
Eine starke Stimme des Rechts ist wichtig und hier zeigt es sich, dass es
sinnvoll ist, den General Counsel im Verwaltungsrat oder in der Konzernleitung
zu haben. Ebenso wichtig ist, dass der lokale General Counsel in den Kapil-
laren des Unternehmens direkten Zugang zum lokalen CEO hat. Last but not
least zählt nicht nur die Qualität der Arbeit, sondern auch die Persönlichkeit.
Stimmt beides, muss sich die Rechtsabteilung nicht um Einfluss und Anerken-
nung sorgen.

Literatur
Hugentobler W, Schaufelbühl K, Blattner M (Hrsg) (2012) Integrale Betriebswirtschaftslehre, 4.
Aufl. Orell Füssli, Zürich
Müller-Stewens G, Lechner C (2005) Strategisches Management: Wie strategische Initiativen
zum Wandel führen, 3. Aufl. Schäffer-Poeschel, Stuttgart

Über den Autor


Roman P. Falta, lic.iur.HSG – Professional Services Management Leader QUADRAGON
MANAGEMENT LLC, Zürich
Studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen HSG. Daneben
hält er Weiterbildungsdiplome der Harvard University, des MIT und der UC Berkeley in Sozio­
anthropologie und Psychologie. Seine Berufskarriere begann er in einer führenden Strategie-
beratung, welcher Berufsstationen bei Gericht, in der Finanzverwaltung und einer namhaften
Anwaltskanzlei folgten. Anschliessend war er für diverse Bereiche in Corporate Legal und in der
Compliance eines Global Fortune 500-Unternehmens verantwortlich. Als Professional Services
Management Leader verantwortet er heute unter anderem den Bereich Legal Operations Optimi-
zation bei QUADRAGON MANAGEMENT. Er gilt als einer der renommiertesten Experten für
Professional Services Optimization und Elite Performance Development im deutschsprachigen
Raum.
Kommunikation für
Unternehmensjuristen 31
Roman P. Falta

31.1 Einführende Überlegungen

Kommunikation ist eines der Hauptwerkzeuge von Unternehmensjuristen. Durch


Kommunikation werden sinnvolle Interaktionen mit Rechtsdienstkollegen oder
internen und externen Interaktionspartnern erst möglich. Zu diesem Zweck wurden
in der Vergangenheit Dutzende Interaktions- und Kommunikationsmodelle1
entwickelt, hinter denen folgende „Grundwahrheiten“ über die zwischenmensch­
liche Interaktion/Kommunikation stehen:

• Kommunikation findet überall im Alltag, ständig und in unterschiedlichster


Ausprägung statt – getreu dem allbekannten Motto von Watzlawick: „One can-
not not communicate“.2
• Die Bedeutung von Kommunikation liegt in der Antwort, die wir vom Gegen-
über erhalten. Daher gibt es keine gute oder schlechte Kommunikation, sondern
ausschließlich Feedback.

1Die Bekannteren, zu denen es im Buchhandel eine große Literaturauswahl gibt, dürften sein:
Das Sender-Empfänger-Modell von Shannon & Weaver, die Kommunikations-Axiome von
Watzlawick, das Vier-Ohren-Modell von Schulz von Thun, das NLP-Kommunikationsmodell
von Grinder & Bandler, die Themenzentrierte Interaktion von Cohn & Klein, die fünf Kom-
munikationskategorien von Virginia Satir, die Relational Frame Theorie von Steven C. Hayes,
die Transaktionsanalyse von Eric Berne, die vier Kommunikationsmaximen von Paul Grice, die
Kommunikationsregeln nach Carl Rogers, die vier Kommunikationsstile nach David Merrill etc.
2Watzlawick et al. (1967, S. 51).

R.P. Falta (*)


Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC,
Zürich, Schweiz
E-Mail: falta@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 411


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_31
412 R.P. Falta

• Kommunikativer Widerstand resultiert aus einem Mangel an gegenseitiger ver-


baler und non-verbaler Übereinstimmung.
• Die Art, wie wir kommunizieren, ist von unserer Wahrnehmung und unseren
Gefühlen abhängig, gleichzeitig sind unsere Wahrnehmung und Gefühle auch
von der Art, wie wir kommunizieren, abhängig.
• Diejenige Person, die den Kontext der Kommunikation bestimmt oder zumin-
dest stark beeinflussen kann, kontrolliert die Interaktion.
• Diejenige Person, die am flexibelsten verschiedene Kommunikationsmittel
und -verfahren einsetzen kann, übt den größten Einfluss auf die zwischen-
menschliche Beziehungsgestaltung aus.

Kommunikation hat nur zu einem relativ kleinen Teil damit zu tun, welche Inhalte
kommuniziert werden, sondern vor allem damit, wie die Gesprächspartner ins-
gesamt miteinander interagieren. Deshalb ist es auch bei der Beschäftigung mit
Kommunikation in Legal Operations besonders wichtig, was in den Gesprächs-
partnern vor, während und nach dem Gespräch vorgeht. Gerade in der Beziehung
zwischen General Counsel und den Mitgliedern des Legal Teams, aber auch in
Interaktionen zwischen den einzelnen Mitarbeitenden untereinander beziehungs-
weise zu internen und externen Interaktionspartnern, kommen in der Praxis fol-
gende drei Kommunikationsfehler relativ häufig vor:

• Erster Kommunikationsfehler in Legal Operations – Zu wenig Kommu-


nikation: Findet zu wenig Kommunikation statt, öffnen sich Raum für Mut-
maßungen und Interpretationen, aus denen sich wiederum Unsicherheit,
Orientierungslosigkeit bis hin zu Angst entwickeln können.
• Zweiter Kommunikationsfehler in Legal Operations – Zu wenig genaue
Kommunikation: Jedes Wort (besonders auch das nicht gesagte), jede Geste,
Veränderungen der Mimik etc. können eine wichtige Bedeutung haben. Es ist
uns aber oft nicht bewusst, dass auch belanglos „Dahergesagtes“ eine enorme
Wirkung auf einen Empfänger haben kann.3
• Dritter Kommunikationsfehler in Legal Operations – Zu wenig Kontextbe-
zug in der Kommunikation: Aufgrund sozio-hierarchischer, situativer, kogni-
tiver und weiterer Kontexte besteht sehr oft eine Kommunikationsasymmetrie
zwischen den Kommunikationspartnern, die es jeweils zu bedenken gilt.

3Beispiel: Sie erhalten als General Counsel um 8:00 Uhr einen Anruf der Sekretärin des Auf-
sichtsratsvorsitzenden, die Ihnen ohne weitere Angaben mitteilt, dass Sie sich um 13:30 Uhr
unbedingt in seinem Büro einzufinden haben. Ohne weitere Angaben werden Sie nun unter-
schiedliche Szenarien durchspielen: Vom unverbindlichen Gespräch bis zu Ihrer Kündigung
ist nun vieles vorstellbar. Bereits eine kleine Zusatzinformation über den Inhalt des Gesprächs
würde nicht nur Ihre Nerven schonen, sondern auch Ihre Produktivität während des ganzen Mor-
gens erhöhen, da Sie nicht die ganze Zeit an den bevorstehenden Termin denken müssten.
31 Kommunikation für Unternehmensjuristen 413

In diesem Kapitel beschäftigen wir uns damit, wie diese drei Kardinalfehler der
Kommunikation in Legal Operations vermieden werden und wie wir unsere Kom-
munikationsfähigkeiten als Unternehmensjuristen weiter ausbauen können. Dabei
ist es wichtig, einerseits zu verstehen, dass unsere Wahrnehmung der Welt um
uns herum beziehungsweise die Bedeutung, die wir ihr zumessen, einen enormen
Einfluss auf unser Interaktionsverhalten hat und andererseits, wie wir mit anderen
Menschen in Beziehung treten und die Interaktionen mit ihnen optimal gestalten
sowie abschließen können.

u Drei Qualitäten außergewöhnlicher Kommunikatoren:4


• Identifizieren Sie klare und erreichbare Kommunikationsziele:
Ausgezeichnete Kommunikatoren nehmen eine Interaktion nie ohne
vorher genau durchdachte Ziele und Strategien auf.
• Beobachten Sie genau die Reaktionen Ihres Gegenübers: Ver-
schiedene Wahrnehmungskanäle sind während eines Gesprächs
simultan zu überwachen. Dadurch erhalten ausgezeichnete Kommu-
nikatoren das nötige Feedback, um den Fortschritt in der Erreichung
ihrer Ziele zu messen.
• Verändern Sie Ihr Kommunikationsverhalten je nach Situation:
Ausgezeichnete Kommunikatoren können ihr Verhalten situativ an
die Gesprächssituation anpassen und innerhalb dieser auch flexibel
verändern, um ihre Ziele zu erreichen.

31.2 Wahrnehmung, Denken und Handeln

Bevor wir uns vertiefter damit beschäftigen, wie unsere Kommunikationskom-


petenzen im Alltag der Legal Operations verbessert werden können, sollten wir
uns zuerst einmal damit auseinandersetzen, wie Wahrnehmung, Wahrnehmungs-
filter, Realitätsabbilder, Emotionen, Sprache, Handlungen etc. zusammenhängen.
Zu wissen, auf welcher Grundlage Kommunikation überhaupt stattfindet, ist für
deren Verbesserung bedeutsamer, als sich einzelne kommunikative Kniffe nach
dem Vorbild Schopenhauers eristischer Dialektik oder dergleichen anzueignen, mit
denen Sie in Gesprächssituationen vermeintlich immer recht behalten sollten. In
Abb. 31.1 sehen wir, wie aus Außenreizen zuerst unsere innere Realität und aus
dieser Aktionspotenziale entstehen, die dafür verantwortlich sind, dass und auf
welche Art wir mit der Welt interagieren. Stellt man sich zwei solcher Systeme
vor, die in einem Gespräch miteinander interagieren, wird rasch ersichtlich, dass
eine absolut exakte Kommunikation extrem selten stattfinden kann. Dafür gibt
es zu viele Faktoren, die den Informationsaustausch zwischen zwei Menschen in
unterschiedlichster Form beeinflussen.

4Vgl. Bodenhamer und Hall (2012, S. 89).


414 R.P. Falta

2 1
Wahrnehmungsfilter Physische Reize aus
P
löschen, verzerren der Aussenwelt:
d
oder verallgemeinern
externe Reize: Intuitiv-reflexives - Lichtwellen
Denken - Schallwellen
- Werte & Ziele - physischer Druck
- Wissen & Einsichten - Geruchsmoleküle
Rational-reflektives
- Erfahrungen Denken
- Geschmackmoleküle
- Ideologien
- Überzeugungen
- Neuro-Linguistik

3
Gehirn bildet aus
4
verbleibenden Interne Realitätsabbilder
Informationen werden zu
interne - emotionalen,
Realitätsabbilder: - kognitiven und
- physischen
- Bilder Aktionspotentialen.
- Geräusche
- Druckempfinden Diese werden wiederum zu
- Düfte äußerlich sichtbarem Verhalten
- Geschmack (Sprache, physische Handlung).

Abb. 31.1  Wie aus Außenreizen unsere Realität und unsere Handlungen entstehen – vereinfach-
tes Modell. (Quelle: SEPTAGON ANALYSIS GmbH)

31.2.1 Das menschliche Repräsentationssystem

Menschliche Wahrnehmung basiert ausschließlich auf dem, was wir sehen, hören,
physisch fühlen, riechen und schmecken (Repräsentationsmuster). Dabei bevorzugt
jeder Mensch ein bestimmtes „Repräsentationssystem“. Generell kann davon aus-
gegangen werden, dass in westlichen Industrieländern 60 % der Menschen sich vor
allem auf ihr Sehen, 20 % auf ihr Hören und der Rest auf die anderen Repräsentati-
onsmuster abstützen.5 Sie können das primäre Repräsentationssystem bei jedem
Menschen einfach ermitteln, indem Sie genau hinhören, welche Wortwahl dieser
(sogenannte „Prozesswörter“; meist Verben, Adjektive oder Adverbien) trifft. Kom-
men sprachliche Wendungen besonders häufig vor, die sich auf das Sehen beziehen
(wie „ich sehe, dass“, „lassen Sie uns das … betrachten“, „es scheint, dass“ etc.),
dann bevorzugt die Person sehr wahrscheinlich die visuelle Repräsentation. Bei
Wendungen wie „lassen Sie hören“, „ich bin ganz Ohr“, „das hört sich aber gut an“
etc. bevorzugt die Person hingegen vor allem eine auditive. Natürlich gibt es
Mischformen, kein Mensch benutzt ausschließlich ein einziges Repräsentationssys-
tem. Dennoch gibt es klare Prioritäten. Das heißt, jeder Mensch macht auf eine
ganz bestimmte Art und Weise davon Gebrauch, auf welche Art er die externe Rea-
lität hauptsächlich wahrnimmt und in seine interne Realität umwandelt. Mithin bil-
det die Kenntnis des Repräsentationssystems eines Gesprächspartners ein
ausgezeichnetes Mittel, um Kommunikation zu vereinfachen – indem ich mich in

5Vgl. Bodenhamer und Hall (2012, S. 5).


31 Kommunikation für Unternehmensjuristen 415

meinen Gesprächspartner hineinversetze, mich an seinen Repräsentationstypus


anpasse und wir dadurch schließlich die „gleiche Sprache“ sprechen.

31.2.2 Die menschlichen Wahrnehmungsfilter und


Realitätsabbilder

Wie Informationen in unserem Gehirn verarbeitet werden, hängt maßgeblich


davon ab, welche Filter auf sie angewendet werden. Es gibt eine ganze Reihe von
Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfiltern; zur Vereinfachung lassen sich diese in
drei Kategorien aufteilen:6

• Löschungen: Unser Gehirn löscht den weitaus größten Teil der Informationen,
die auf unsere Wahrnehmungsorgane treffen, aus. Ansonsten würden wir aufgrund
des information overload keine vernünftigen Gedanken mehr fassen können. Mit
der Auslöschung und der maximal möglichen Anzahl von Informationen, die wir
gleichzeitig pro Zeiteinheit verarbeiten können (sieben plus minus zwei Informa-
tionseinheiten)7 ist unsere bewusste Wahrnehmung geradezu massiv limitiert.
• Verallgemeinerungen: Verallgemeinerungen vereinfachen die Realität, indem
sie ähnliche Sachverhalte kategorisieren, organisieren, abstrahieren und dadurch
zum Beispiel zu Meta-Erfahrungen, wie „Glaubenssätzen“ (Meinungen oder
Überzeugungen), werden lassen. Glaubenssätze beinhalten Verallgemeine-
rungen zu gemachten Erfahrungen und zu Beziehungen zwischen gemachten
Erfahrungen. Beispielsweise führen mehrere negative Vorfälle (mehrmalige
Rüge wegen schlechter Vertragsprüfungen) dazu, dass der Gerügte zu glauben
beginnt, künftig in ähnlichen Situationen wieder zu versagen. Durch die Verall-
gemeinerung einiger weniger Vorfälle kann in ihm die Überzeugung entstehen,
dass er nicht in der Lage ist, einen Vertrag fehlerlos zu prüfen.
• Verzerrungen: Durch die komplexitätsreduzierende Vornahme von Modell-
bildungen entstehen Verzerrungen der Wirklichkeit in unserer Wahrnehmung.
Informationen, die in der Vergangenheit generalisiert oder gelöscht wurden,
führen dazu, dass unser Gehirn lernt, ähnliche Informationen künftig gleich zu
verarbeiten. Aus dieser Organisation von Gedanken (direkte Repräsentationen)
und Einstellungen, Glaubenssätzen, Werthaltungen etc. (höherstellige Reprä-
sentationen) entsteht nach und nach unsere individuelle Persönlichkeit.

Aus den Verallgemeinerungen, Löschungen und Verzerrungen von Informationen


bildet unser Gehirn im Laufe der Zeit sehr detaillierte „Landkarten“ der Realität,

6Vgl.Bodenhamer und Hall (2012, S. 318 ff.).


7Miller(1956, S. 89 f.), geht von gleichzeitig sieben plus minus zwei Informationseinheiten aus:
„There is a clear and definite limit to the accuracy with which we can identify absolutely the
magnitude of a unidimensional stimulus variable. I would propose to call this limit the span of
absolute judgment, and I maintain that for unidimensional judgments this span is usually some-
where in the neighborhood of seven.“
416 R.P. Falta

um uns die Navigation in ihr zu erleichtern. Jeder Mensch lebt daher in seinen
subjektiven Realitätsabbildern und nicht in der Realität selbst. Dies gilt es insbe-
sondere bei der Kommunikation zu berücksichtigen, da ja auch der Gesprächs-
partner befangen beziehungsweise „gefangen“ ist. Wenn wir die Aussagen und
Handlungen anderer Menschen verstehen möchten, müssen wir zuerst herausfin-
den, wie deren Interpretationsmuster der Realität aussehen und wie sie in ihrer
subjektiven Logik mit der Welt interagieren.

31.2.3 Interpretation der eigenen Realität und derjenigen des


Gesprächspartners

Es gibt unterschiedliche Dimensionen, die in die Interpretation der eigenen Reali-


tät und die des Gesprächspartners einbezogen werden sollten, um unsere Kommu-
nikationsfähigkeiten zu verbessern:8

• Einbezug des räumlichen Kontexts: Der priming effect veranlasst unser


Gehirn, diejenigen Informationen zuerst in unser Bewusstsein zu lassen, die
mit unserem räumlichen Kontext zusammenhängen. Was gerade um uns herum
passiert oder passiert ist, bestimmt maßgeblich, wie wir Sachverhalte, Objekte,
Handlungen, Vorschläge etc. interpretieren. Ob Sie in der Mitte der Abb. 31.2
eine Zahl oder einen Buchstaben als Erstes erkennen, ist davon abhängig, von
welcher Seite Sie die Grafik anschauen. Buchstabe und Zahl, beides ist grund-
sätzlich richtig, aber der Kontext macht aus, wie wir einen bestimmten Sach-
verhalt genau interpretieren.
• Einbezug des inhaltlichen Kontexts: Unser Gehirn ist darauf ausgelegt, dass
es vor allem diejenigen Inhalte in unser Bewusstsein lässt, mit denen wir uns
vor kurzem häufig befasst haben. Was in unser Bewusstsein gelangt, ist also
davon abhängig, welche Interessen wir gerade verfolgen, welche Erfahrungen
wir gerade gemacht haben und was uns insgesamt zurzeit beschäftigt.
• Einbezug des Motivationskontexts: Wenn Sie herausfinden möchten, wie Ihr
Interaktionspartner einen bestimmten Sachverhalt interpretieren wird, ist es
von Vorteil, seine Motivationslage zu kennen. Da intrinsische Motivation sehr
stark mit der Wahrnehmung eigener Stärken zu tun hat – was ich gut kann,
motiviert mich, es weiterhin zu tun –, spielt hier der sogenannte above-­average
effect eine wichtige Rolle. Die meisten Menschen, unabhängig von Rasse,
Geschlecht, Alter, sozialer Klassen, Geografie etc. denken, dass sie besser sind
als der Durchschnitt (bessere Autofahrer, bessere General und Legal Counsels,
weniger anfällig für Wahrnehmungsverzerrungen etc.).
• Einbezug des zeitlich-perspektivischen Kontexts: Sachverhalte, die weit in
der Vergangenheit oder in der Zukunft liegen, werden regelmäßig in einen grö-
ßeren Gesamtzusammenhang gesetzt. Wenn Sie sich zum Beispiel an Ihr

8Vgl. Gilovich und Ross (2016, S. 84 ff.).


31 Kommunikation für Unternehmensjuristen 417

Abb. 31.2  Welches Symbol


steht in der Mitte: Buchstabe
oder Zahl? (Quelle:
SEPTAGON ANALYSIS
GmbH)

Rechtsstudium zurückerinnern, war jene Zeit von Lernen und der Schaffung
einer guten Ausgangslage für Ihr weiteres Leben geprägt. Als aktueller Student
bedeutet Studium hingegen unter anderem, täglich stundenlanges Büffeln und
die Einhaltung von Abgabeterminen für Semesterarbeiten. Wenn wir möchten,
dass wir bei einer Entscheidung unsere Wertehaltung miteinbeziehen, ist es
daher sinnvoll, sich vorzustellen, diese Wahl aus einer entfernten Perspektive zu
treffen. Das Gleiche gilt für Kommunikationssituationen. Will man sich auf das
Wesentliche konzentrieren und die Diskussion komplizierter Details umgehen,
macht es Sinn, dem Sachverhalt eine entferntere Perspektive zu geben. Schließ-
lich gibt es fünf verschiedene Perspektiven, aus denen wir denselben Sachver-
halt betrachten können.9

Welchen Kontext und welche Perspektive wir in einem Gespräch einnehmen, hat
daher großen Einfluss auf unsere Argumentation und Wortwahl. Diese beiden
wiederum darauf, wie unser Gesprächspartner seinerseits uns selbst, die
Gesprächssituation und die Gesprächsinhalte wahrnimmt. Wir dürfen auch nicht
vergessen, welch wichtige Rolle situative Faktoren spielen, zumal die meisten
Menschen oft zu wenig realisieren, wie sehr diese unser und das Verhalten eines
Kommunikationspartners beeinflussen.10

9Gemäß Bodenhamer und Hall (2012, S. 55 ff.), können fünf perceptual positions unterschie-
den werden: 1. aus der Ich-Perspektive (mit eigenen Augen), 2. aus der Du-Perspektive (mit den
Augen des anderen), 3. aus der Zuschauerperspektive (mit den Augen eines Dritten), 4. aus der
Systemperspektive (mit den Augen des Systems, der Umgebung etc.) und schließlich 5. aus der
Universum/Gottes-Perspektive (aus vielen verschiedenen unter- und übergeordneten Perspektiven
gleichzeitig).
10Wir sind uns oft nicht bewusst, wie stark wir dazu tendieren, aus situativen Begebenheiten auf

die Persönlichkeit eines Gegenübers zu schließen. Wenn uns zum Beispiel jemand auf der Land-
straße mit einem modifizierten Sportwagen mit 150 km/h überholt, ist sofort klar: Unverantwort-
licher junger Raser (Mann), womöglich mit Migrationshintergrund. Dabei wird meist gar nicht
in Erwägung gezogen, dass es sich genausogut um eine Frau mittleren Alters hinter dem Steuer
handeln könnte, die so schnell wie möglich ihr schwerkrankes Kind ins Spital zu bringen ver-
sucht.
418 R.P. Falta

31.3 Wahrnehmungsprobleme

Menschliche Wahrnehmung ist somit immer von einer individuellen Perspek-


tive und den Umständen abhängig, wird aber noch durch weitere Faktoren ein-
geschränkt. Zu verstehen, dass diese ständig auf uns einwirken, ist ein weiterer
Schritt, um die eigenen Kommunikationskompetenzen zu verbessern, zumal wir
es täglich, wie nachfolgend an einigen Beispielen aufgezeigt, mit verschiedenen
Arten von Wahrnehmungsproblemen zu tun haben.

31.3.1 Wahrnehmungsproblem: False Consensus Effect und


Naïve Realism

Wie wir in Abschn. 31.2 gesehen haben, werden Reize aus der Außenwelt (zum
Beispiel duftende Blumen im Frühling) von uns wahrgenommen, als wären diese
tatsächlich echt, und nicht, als hätte unser Gehirn diese bloß aus den Sinneswahr-
nehmungen konstruiert. Wir sind so sehr an diesen Mechanismus gewöhnt, dass
wir die mentalen Modelle unserer Innen- und Außenwelt regelmäßig mit der Rea-
lität verwechseln. Da wir der Illusion erliegen, dass wir die Dinge vermeintlich
so sehen, wie sie wirklich sind, gehen wir logischerweise auch davon aus, dass
andere vernunftbegabte Menschen die Dinge in der gleichen, wie von uns betrach-
teten Weise sehen. Dieser Effekt ist als false consensus effect bekannt: Menschen
tendieren dazu zu glauben, dass ihre Meinungen, Überzeugungen und ihr Handeln
von einer Mehrheit der Menschen geteilt werden beziehungsweise eine überwie-
gende Zustimmung dafür erfahren. Unternehmensjuristen mit einem geschärften
Blick für rechtliche Problemstellungen gehen zum Beispiel davon aus, dass auch
viele andere Mitarbeitende die Bedeutung von Recht für das Unternehmen als
besonders hoch ansehen.
Wie stark sich der false consensus effect zeigt, ist davon abhängig, wie groß
der Interpretationsspielraum eines Sachverhalts ist, der ihm zugrunde liegt. Die
Frage nach der Wichtigkeit von Recht für das Unternehmen ist daher stärker
von ihm betroffen, als die Frage danach, ob ich lieber Weiß- oder Rotwein
trinke – und daraus auf die Wichtigkeit von Recht für andere Menschen
oder auf deren Weinvorliebe schließe. Dies wird zum Beispiel bei internen
Rechtsschulungen mit Nichtjuristen deutlich: Routinierte Dozenten wissen um
dieses Wahrnehmungsproblem und bereiten den Stoff entsprechend so vor, dass er
auch für Seminarteilnehmer zugänglich wird, die sich in einer „nicht-juristischen
Realität“ bewegen (siehe dazu detailliert Kap. 51).
Dazu kommt, dass Voreingenommenheit beziehungsweise Fehlbeurteilungen
fast nur beim Gegenüber ausgemacht werden können. Je mehr die Meinung des
anderen sich von meiner eigenen unterscheidet, desto stärker gehe ich davon aus,
dass seine Sichtweise auf einer „falschen“ Vorstellung beruht; anstatt davon auszu-
gehen, dass er ebenfalls von durchaus rationalen Begründungen ausgeht. Daraus
ergibt sich ein weiteres Problem: Weil eine inhaltliche Falschbewertung beim
31 Kommunikation für Unternehmensjuristen 419

anderen so einfach auszumachen ist, ist es um so schwieriger zu glauben, dass der


andere diese nicht auch selbst sieht. Daher empfinden wir andere, die nicht mit
unseren Meinungen übereinstimmen, oft nicht nur als bloß im Irrtum befindlich,
sondern als geradezu töricht, und sprechen ihnen jegliche Objektivität ab. Schließ-
lich führt die Wahrnehmung inhaltlicher Falschbeurteilungen auch noch dazu, dass
wir unsere eigene Sichtweise noch mehr akzentuieren und noch weniger bereit
sind, diese auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen.11
Der Komiker Goerge Carlin soll es einmal wie folgt auf den Punkt gebracht
haben, als er sein Publikum fragte: „Haben Sie auch schon bemerkt, dass jeder,
der langsamer als Sie [auf der Autobahn] fährt, ein Idiot ist, und jeder der schnel-
ler als Sie fährt, ein lebensmüder Wahnsinniger?“12 Das Spannende hinter dieser
Aussage: Jeder Mensch geht nicht nur davon aus, dass sich seine Wahrnehmung
mit der Realität deckt, sondern, dass seine Wahrnehmung sogar absolut objektiv
und besonders genau ist. Dieser Effekt ist als naïve realism bekannt. Aus einer
anderen Perspektive betrachtet, bestärkt uns naïve realism darin, zu glauben, dass
wir andere vernunftbegabte Menschen auf jeden Fall von unserer Meinung über-
zeugen könnten, wenn diese uns nur zuhören und unsere logisch-durchdachten
Argumente aufnehmen würden.
Wir nehmen an, dass nur unvernünftige Zuhörer nicht dieselben Schlussfolge-
rungen wie wir ziehen können, sobald die Fakten auf dem Tisch liegen. Daher sind
wir oft auch nicht bereit, unsere eigene Meinung anzupassen. Was aber für uns
gilt, gilt ebenfalls für die andere Seite. Echte Verständigung und Überzeugung hat
es dann aufgrund dieser psychologischen Mechanismen manchmal sehr schwer.
Möchten wir als Unternehmensjuristen besser kommunizieren, sollten wir das Vor-
handensein von naïve realism und false consensus effect im Hinterkopf behalten,
wenn wir zum Beispiel versuchen, jemanden von der Wichtigkeit des Rechts für
das Unternehmen zu überzeugen und in unsere Argumentation auch andere Sicht-
weisen zulassen; diese mindestens als gleichwertig, wenn nicht gar als höher-
wertig zu betrachten, da sie sich ausgezeichnet zur Überprüfung unserer eigenen
Argumente eignen.

31.3.2 Wahrnehmungsproblem: Confirmation Bias

Die Menge an Information, die uns im Allgemeinen zugänglich ist, um Entschei-


dungen zu treffen (zum Beispiel im Rahmen der Auswahl strategischer Hand-
lungsoptionen; siehe dazu auch Kap. 30), ist oft recht gering und zusätzlich durch
unsere Wahrnehmungsfilter getrübt. Möchten wir unser Kommunikationsverhalten
verbessern, müssen wir uns bewusst sein, dass der Mensch mit zwei unterschied­
lichen Denkprozessen ausgestattet ist:13

11Gilovich und Ross (2016, S. 26 ff.).


12Gilovich und Ross (2016, S. 14).
13Vgl. Siegel (2012, Kap. 36, S. 18 ff.).
420 R.P. Falta

• Intuitiv-reflexives Denken: Dieses entspricht dem Denken in der habituellen


Gegenwart (siehe dazu auch Kap. 27) und umschreibt einen neuro-kognitiven Pro-
zess, der ohne bewusste Lenkung auskommt und daher unbewusst abläuft. Er ist
impulsiv und viel schneller darin, Urteile abzugeben, wodurch Aktionspotenziale
wie Sprache oder physische Handlungen umgehend reflexiv umgesetzt werden.
• Rational-reflektives Denken: Dieses entspricht dem Denken in der transmu-
tierenden Gegenwart (siehe dazu auch Kap. 27) und umschreibt einen neu-
ro-kognitiven Prozess, der nur durch bewusste und fokussierte Lenkung unseres
Geistes möglich ist. Rational-reflektives Denken ist jedoch extrem langsam, da
es nur wenig Information gleichzeitig verarbeiten kann.14

Einen Großteil unseres Tages verbringen wir im „Autopilot-Modus“ (intuitiv-­


reflexives Denken), bei dem fast ausschließlich intuitive Denkprozesse ablaufen
(zum Beispiel Autofahren, Gehen, Suchen, Routinearbeiten). Nur wenn unsere
Aufmerksamkeit wirklich gefordert ist, weil wir uns mit etwas Neuem, etwas
plötzlich Auftretendem oder aufwendigeren Denkvorgängen beschäftigen, springt
die rational-reflektive Denkweise ein (schwierige rechtliche Vertragsprüfung,
strategisches Legal Operations Management planen etc.). Beide Denkprozesse
sind gleichwertig. Der eine ist nicht dem anderen vorzuziehen, da beide völlig
unterschiedliche Dienste in unterschiedlichen Situationen verrichten. Da intuitiv-­
reflexives Denken allerdings fast keine Rücksicht darauf nimmt, ob die große
Menge der unbewusst aufgenommenen Informationen auch tatsächlich vollstän-
dig und richtig ist – diese Aufgabe wird ausschließlich durch rational-reflektives
­Denken erbracht –, sollten wir uns stets bewusst sein, dass die meisten unserer
Entscheidungen und Einschätzungen sehr stark fehleranfällig sind.

31.3.3 Wahrnehmungsproblem: Confirmation Bias

Wenn Sie von einem Kollegen erfahren, dass der externe Anwalt, mit dem Sie
sich am Nachmittag treffen wollen, der Beste seines Fachgebiets ist, werden Sie
in der Regel eine positive Teststrategie anwenden, um in Erfahrung zu bringen, ob
die Fremdeinschätzung auch zutrifft. Wenn Sie hingegen von jemandem erfahren,
dass ein neuer Mitarbeitender sich an seinem letzten Arbeitsplatz furchtbar dane-
ben benommen hat, so werden Sie eine negative Teststrategie anwenden, um nach
negativen Hinweisen auf ähnliches Verhalten in Ihrem Unternehmen zu suchen.
Die Anwendung positiver und negativer Teststrategien basiert dabei aber auf
einer Wahrnehmungsverzerrung, die als confirmation bias bekannt ist. Bei beiden

14Seit Langem werden Verarbeitungsgeschwindigkeiten von 40–50 bit/s für das rational-bewusste

Denken und 11 Mio. bits/s für das unbewusst-intuitive Denken genannt, für die es jedoch keine
genügend wissenschaftlich fundierten Grundlagen gibt. Neuere Ergebnisse (Moscoso del Prado
Martín F [2009]) zeigen jedoch, dass die Verarbeitungsgeschwindigkeit des rational-bewussten
Denkens zumindest für spezifische Aufgabenstellungen tatsächlich bei maximal 60 bit/s liegt.
31 Kommunikation für Unternehmensjuristen 421

Teststrategien suchen Sie fast ausschließlich nach Hinweisen darauf, um die von
Ihnen getroffenen Annahmen (positiv oder negativ) zu untermauern. Dieses Ver-
halten gründet auf seiner subjektiven Logik: Wenn ich etwas als wahr/falsch oder
zumindest als sehr wahrscheinlich/unwahrscheinlich ansehe, dann muss es zu des-
sen Bestätigung auch positive/negative Hinweise geben.
Wenn wir herausfinden möchten, ob ein Sachverhalt wirklich wahr oder falsch
ist, müssten wir eigentlich gleichmäßig nach positiven und negativen Hinweisen
suchen. Unser Gehirn fokussiert sich jedoch fast ausschließlich auf die Suche nach
unterstützenden Hinweisen – je nachdem, ob wir unserer Untersuchung positive
oder negative Annahmen zugrunde legen. Kontradiktorische Hinweise werden
regelmäßig übergangen und tauchen oft erst in unserem Bewusstsein auf, nachdem
eine Entscheidung bereits gefällt wurde. Ein guter Ausweg aus der confirmation
bias besteht darin, sich vor einer Entscheidung bewusst mit entsprechenden
Gegenargumenten in einer „gutmütigen“ Art und Weise auseinanderzusetzen und
sich jeweils zu fragen: Weshalb könnte mein erster Eindruck falsch sein? Weshalb
könnte das Gegenteil dessen, was ich denke oder wie ich die Sachlage beurteile,
richtig sein? Suche ich fast nur bestätigende Hinweise dafür, was ich momentan
für richtig halte? Angenommen, meine Entscheidung stellt sich im Nachhinein als
falsch heraus, welche Informationen müsste ich jetzt suchen, um einen solch nega-
tiven Ausgang zu vermeiden? Wissenschaftler, die sich mit kognitiven Entscheid-
prozessen befassen, empfehlen ein solches Innehalten und kontradiktorisches
Befassen mit Gegenargumenten. Dadurch lässt sich die confirmation bias
abschwächen. In der Folge werden sehr viel exaktere Einschätzungen und Lagebe-
urteilungen möglich.15 Ein Umstand, den sich Unternehmensjuristen vor allem im
Rahmen von rechtlichen und strategischen Analysebewertungen zunutze machen
sollten.

31.3.4 Wahrnehmungsproblem: Fehleinschätzungen

Ein weiterer problematischer Aspekt der menschlichen Wahrnehmung, den wir uns
bewusst machen sollten, ist derjenige der „Fehleinschätzung“. Interessanterweise
sind Menschen sehr gut darin, Voraussagen darüber zu machen, wie uns andere
ganz generell sehen und einschätzen (zum Beispiel: tüchtiger Jurist, clever, aber
schlecht organisiert und etwas redselig) und wie es um unseren Sozialstatus in der
Hierarchie einer Gruppe (zum Beispiel im Legal oder einem interdisziplinären
Projektteam) bestellt ist. Führen wir uns zum Beispiel auf, als hätten wir mehr
Status, als uns tatsächlich zusteht, werden wir vom Kollektiv rasch zurückgestutzt;
ebenfalls werden wir darauf aufmerksam gemacht, wenn wir uns unter unserem
sozial statuierten Wert verhalten.

15Vgl. Gilovich und Ross (2016, S. 134 ff.).


422 R.P. Falta

Im Gegensatz dazu liegt die Vorhersagekorrelation zwischen vorgenannten


generellen Einschätzungen unserer Person und der Einschätzung durch ein ein-
zelnes spezifisches Individuum fast bei Null. Wir schätzen in der Regel völlig
falsch ein, wie wir von einer bestimmten anderen Person wahrgenommen werden.
Zudem tendieren wir dazu zu glauben, dass wir von anderen Menschen positiver
bewertet werden, als dies tatsächlich der Fall ist. Beide Umstände werden nach-
vollziehbar, wenn wir uns vor Augen halten, dass andere Menschen uns oft nicht
ihr „ganzes“ Bild über uns zugänglich machen, sondern meist nur den positiven
Teil offenlegen. Der negative wird aus Höflichkeit oder Angst, er könnte rachsüch-
tig auf sie zurückfallen, meist unterdrückt. Es gibt nur sehr wenige Menschen, die
uns tatsächlich einen „ungeschönten“ Spiegel vorhalten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt von Fehleinschätzungen, der vor allem für die
Arbeit im Legal Team wichtig sein kann, ist derjenige der pluralistic ignorance.
Diese tritt ein, wenn Teammitglieder nicht sämtliche Meinungen und Wertvorstel-
lungen in eine Diskussion einbringen (zum Beispiel im Rahmen der Besprechung
von Legal Operations Vision und Guidelines; siehe dazu auch Kap. 10), weil sie
davon ausgehen, dass diese von den anderen Teammitgliedern oder dem General
Counsel nicht goutiert würden, da sie ihnen selbst als zu negativ oder sonst wie
extrem erscheinen. Werden solche selbstzensurierten Inhalte jedoch nicht in die
Diskussion eingebracht, verbleibt die ganze Gruppe in der Folge unwissend, wie
die tatsächlichen Meinungen und Wertvorstellungen ihrer Mitglieder sind.
Ein weiterer Aspekt, der in eine ähnliche Richtung geht, ist der sogenannte
group think. In Gruppen entsteht oft ein Druck, sich sozio-dynamisch konform zu
verhalten. Das heißt, nicht negativ aufzufallen und auch nur Sachinhalte beizusteu-
ern, die von der Gruppe vermeintlich anerkannt werden. Dies führt dazu, dass
Gruppenentscheidungen oft auf zu einseitigen Informationen und Fehleinschät-
zungen beruhen. Um dies zu umgehen, sollten Teammitglieder in Meetings daher
nicht aufgefordert werden, reihum ihre Meinungen zu einem Thema beizusteuern.
Viel sinnvoller ist es, jedes Mitglied aufzufordern, seine Ideen, Meinungen und
relevante Informationen auf ein Blatt Papier zu schreiben und alle auf diese Weise
gesammelten Inhalte von einer einzigen Person vorlesen zu lassen. Eine andere
Möglichkeit besteht darin, ein größeres Legal Team in kleine Gruppen aufzuteilen,
die jeweils ein Brainstorming veranstalten und dann ihre gesammelten Ideen und
Informationen im Plenum vorstellen. Schließlich kann es auch helfen, einen Mitar-
beitenden zu bezeichnen, dessen Arbeit sich in Gruppendiskussionen ausschließ-
lich darauf beschränkt, als advocatus diaboli versteckte oder unangenehme
Informationen zu ermitteln, für die Diskussion aufzubereiten und entsprechend
einzubringen.16

16Vgl. Gilovich und Ross (2016, S. 150 ff.).


31 Kommunikation für Unternehmensjuristen 423

31.4 Grundsätze einer positiven


Kommunikationsgestaltung

Zwischenmenschliche Interaktion beziehungsweise Kommunikation bedeutet,


dass zwei oder mehr Personen versuchen, miteinander in Beziehung zu treten und
sich gegenseitig zu verstehen. Dabei bedienen sich die Protagonisten eines wech-
selseitigen Feedback-Prozesses, in dem Informationen gesendet und empfangen,
geprüft und verarbeitet werden.17 Im Laufe dieses Prozesses kommt es sehr oft zu
einer Diskrepanz zwischen gesendeter und empfangener Information. Neben
non-verbalen18 Diskrepanzen sind vor allem auch solche der verbalen Kommuni-
kation zu beachten, da Worte keine exakte Bedeutung haben, sondern ausschließ-
lich auditive Reize darstellen, die erst während der Verarbeitung durch den
Empfänger eine Bedeutung erhalten – siehe dazu Abschn. 31.2. Das heißt, Ihr
Gesprächspartner hört zwar Ihre Worte, doch weist er diesen erst durch seine sub-
jektive Verarbeitung eine spezifische Bedeutung zu, die oft nicht mit der von Ihnen
gemeinten und gesendeten übereinstimmt. Da jeder Mensch sein Leben aus-
schließlich in seiner eigenen symbolischen Wahrnehmungswelt verbringt, die er
für die objektive Realität hält, folgt daraus, dass es grundsätzlich auch keine Kom-
munikationsfehler, sondern nur Antworten, Resultate, positives beziehungsweise
negatives Feedback gibt. Kein Mensch nimmt Informationen, Signale oder Nach-
richten in ihrer ursprünglich „reinen“, vom Sender abgegebenen Form wahr.
Die Übereinstimmung in der zwischenmenschlichen Kommunikation ist maß-
geblich davon abhängig, wie gut oder schlecht wir unser Gegenüber durch unsere
kognitiven Werte-, Einstellungs- und Prozessierungsfilter wahrnehmen. Um einer
ideal-zielgerichteten Kommunikation möglichst nahe zu kommen, gibt es sechs
interaktionelle Ausprägungen, die Unternehmensjuristen anwenden können, um
ihr eigenes Kommunikationsverhalten zu verbessern:19

• Positive Formulierung in Bezug auf die Kommunikationsziele: Positive


Formulierungen motivieren Menschen mehr als negative, da unser Gehirn
nicht in der Lage ist, negative Formulierungen direkt zu verarbeiten.20 Es ist
ohne unser aktives Eingreifen nicht in der Lage, zwischen Realität und Vor-
stellung zu unterscheiden. Daher ist es sinnvoll, positive Formulierungen
dadurch zu verstärken, dass man sich selbst in das Bild hineinvisualisiert, das
man sich von einem idealen Gesprächsausgang macht. Zur Überprüfung dieser

17Vgl. Bodenhamer und Hall (2012, S. 99 ff.).


18Vgl. Mehrabian und Ferris (1967, S. 248 ff.).
19Vgl. Bodenhamer und Hall (2012, S. 91 ff.).

20Beispiel: „Denken Sie nicht an einen rosaroten Affen!“ Der negative Informationsgehalt des

Satzteils „Denken Sie nicht an (…)“ kann nicht ausgeblendet werden, da unser Gehirn sich trotz-
dem sofort ein entsprechendes Bild macht. Es muss die empfangene Information also mehrfach
bearbeiten, um aus ihr tatsächlich Sinn zu erhalten. Je einfacher jedoch Zielformulierungen abge-
fasst sind (positiv formuliert), desto einfach gestaltet sich deren Verarbeitung für unser Gehirn.
424 R.P. Falta

Kommunikationsausprägung können Sie sich jeweils folgende Fragen stellen:


Was möchte ich in diesem Gespräch spezifisch erreichen? Weshalb möchte ich
das jeweilige Ziel erreichen? Sind meine Ziele auch wirklich positiv formu-
liert? Sehe ich mich selbst im Bild eines erfolgreichen Interaktionsausgangs?
• Nutzung einer sprachsymbolischen Visualisierung: Wenn wir uns etwas
vorstellen, projiziert unser Gehirn ein fiktiv-plastisches Bild vor unser inne-
res Auge. Dieses Bild wirkt um so stärker, als es durch sensorisch anstatt aus-
schließlich rational wahrnehmbare Stimuli (interne Sprachsymbolik) unterstützt
wird: Was werde ich sehen, hören, fühlen, schmecken, riechen etc., wenn ich
mein Ziel erreicht habe? Durch den Gebrauch der plastischen Sprachsymbolik
wird auch gleichzeitig unsere Stimmung beeinflusst. Diese hat wiederum einen
maßgeblichen Einfluss auf unser Interaktionsverhalten. Schließlich führt ein
möglichst genaues Bild des idealen Interaktionsausgangs dazu, dass eine kog-
nitive Sogwirkung entsteht, indem ich die fiktive Vorstellung tatsächlich auch
erleben möchte. Zur Überprüfung dieser Kommunikationsausprägung können
Sie sich jeweils folgende Fragen stellen: Wodurch werde ich wissen, dass ich
meine Interaktionsziele erreicht habe? Was werde ich bei positivem Kommuni-
kationsausgang sehen, hören, fühlen etc.?
• Kommunikation selbstinitiiert und selbstkontrolliert gestalten: Wir kön-
nen ausschließlich unser eigenes Denken, Fühlen und Handeln lenken. Andere
Menschen hingegen direkt zu beeinflussen, ist nicht möglich. Wir können nur
hoffen, dass unser jeweiliger Gesprächspartner von sich aus auf unsere Argu-
mente, Informationen etc. eingeht und diese für sich übernimmt. Eine positive
Beeinflussung funktioniert daher nur indirekt durch eine entsprechende Ver-
haltensänderung in uns selbst, die dann (eventuell!) ebenfalls ihre Wirkung auf
die andere Person entfaltet. Daher ist es sinnvoll, die Gestaltung eines positi-
ven Interaktionsausgangs nicht ausschließlich der Gegenseite zu überlassen,
ansonsten diese automatisch versucht, ihre eigene Agenda durchzusetzen. Zur
Überprüfung dieser Kommunikationsausprägung können Sie sich jeweils fol-
gende Fragen stellen: Wer ist an der Erreichung meiner Kommunikationsziele
beteiligt? Wer kontrolliert den Ausgang der Interaktion? Kontrollieren beide
den Interaktionsausgang oder ich alleine?
• Sinnvolle Kontextbezogenheit herstellen: Kommunikation sollte möglichst
spezifisch und kontext-bezogen ablaufen, um Generalisierungen zu vermeiden.
Zumal Generalisierungen dazu führen, dass die Kommunikation ungenau wird
und große Interpretationsspielräume entstehen. Zur Überprüfung dieser Kommu-
nikationsausprägung können Sie sich jeweils folgende Fragen stellen: Wo, wann
und mit wem möchte ich ein entsprechendes Kommunikationsziel erreichen?
Vor welchem kontextuellen Hintergrund hat dies zu erfolgen? Ist ein spezifischer
Kontext besonders wichtig oder handelt es sich um ein eher generelles Ziel?
• Bereitstellung der benötigten Interaktionsressourcen: Um Kommunikations-
ziele zu verfolgen, benötigen wir Ressourcen: körperliche Verfassung/Energie/
Stimmung, Sprache/Artikulation, räumliche und zeitliche Interaktionsgelegen-
heiten etc. Die Wahl und Anwendung der richtigen und situationsadäquaten Res-
sourcen spielen eine wichtige Rolle für das Gelingen von Kommunikation.
31 Kommunikation für Unternehmensjuristen 425

Zur Überprüfung dieser Kommunikationsausprägung können Sie sich jeweils


­folgende Fragen stellen: Über welche Ressourcen verfüge ich derzeit und welche
benötige ich, um die gewünschten Kommunikationsziele zu verwirklichen? Habe
ich Interaktionsziele bereits einmal mit einem bestimmten Ressourcenset erzielt?
Kann ich die effektivsten und effizientesten Ressourcensets für bestimmte Interak-
tionskonstellationen auf irgendeine Weise für den Wiedergebrauch „archivieren“?
• Genügend Nutzen durch Kommunikation stiften: Da menschliches Verhal-
ten darauf ausgerichtet ist, positive Ergebnisse zu erzielen, sollte jede Interak-
tion einen ausreichenden Nutzen stiften. Anders ausgedrückt: Sofern ein
Verhalten nicht einen gewissen Nutzen stiftet, wird es rasch gegen ein anderes
vermeintlich effektiveres ausgetauscht. Verhaltensänderung ist oft schwierig, da
objektiv negatives Verhalten durchaus als subjektiv nutzenstiftend wahrgenom-
men wird.21 Um Kommunikation möglichst optimal zu gestalten, ist es wichtig,
die eigenen Nutzenvorstellungen genau zu kennen. Zur Überprüfung dieser
Kommunikationsausprägung können Sie sich jeweils folgende Fragen stellen:
Welchen Nutzen generiert die momentan stattfindende Interaktion für mich?
Was muss ich tun, um ein spezifisches Interaktionsziel für mich möglichst nut-
zenstiftend zu gestalten? Wie, wann, wo und mit wem wäre es grundsätzlich
auch OK, wenn ich ein Kommunikationsziel nicht erreiche und welchen alter-
nativen Nutzen würde ich dann daraus ziehen wollen?

31.5 Beziehungsaufbau und


Kommunikationsdurchführung

Ein positiver Beziehungsaufbau muss stattfinden, bevor gute Kommunikation mit


einem Interaktionspartner überhaupt möglich wird. Dabei gibt es verschiedene
Vorgehensweisen, die sich Unternehmensjuristen zunutze machen können.
Wir haben bereits in Abschn. 31.2.1 gesehen, welche Vorteile das Lesen des
Repräsentationssystems eines Gesprächspartners mit sich bringt. Weitere Merkmale
über die aktuelle Verfassung unseres Kommunikationspartners geben seine
Atemfrequenz, Hautfarbe, Bewegungen von Mund und Augen, gesamtkörperliche
Muske (ver) spannungen, die Stimme etc. Solche äußerlichen Anzeichen sollten
ebenfalls in unsere Beurteilung mit einfließen, bevor wir überhaupt ein Gespräch
beginnen, um von Anfang an „den richtigen Ton“ zu treffen.
Während des Gesprächs kann auf einer – für die andere Person meist unbe-
wussten – Ebene eine Menge getan werden, damit besonders gute Kommunikation
möglich wird. Menschen mögen andere Menschen, die ihnen ähnlich sind. Diesen

21Beispiel: Raucher wissen in der Regel, dass rauchen gesundheitsschädlich ist. Nikotin und

andere Inhaltstoffe wirken jedoch belohnend auf das menschliche Gehirn. Durch die chemischen
Verbindungen veranlasst, gaukelt das Raucherhirn durch Zweckrationalisierungen vor, dass es
dem Raucher einen echten Zusatznutzen verschafft (Beruhigung, Verdauungsunterstützung,
Zeitvertreib, soziales Schmiermittel etc.), der von diesem momentan höher gewertet wird, als der
Nutzen der Abwehr in der Zukunft liegender eventuell auftauchender Gesundheitsschäden.
426 R.P. Falta

Umstand können wir uns zunutze machen, indem wir im Gespräch wie die andere
Person werden. Dies erfolgt durch sogenanntes mirroring.22 Darunter wird das
gezielte Nachahmen verschiedener Verhaltensweisen des Gegenübers verstanden.
Sie können zum Beispiel dieselbe Körperhaltung, Sitzposition, Stimme, Wortwahl,
Kopfneigung, denselben Gesichtsausdruck, dasselbe Blinzeln etc. verwenden.
Dadurch synchronisieren Sie sich mit Ihrem Gesprächspartner und wirken auf die-
sen offener, vertrauenswürdiger, erfolgreicher und insgesamt sympathischer, als
wenn Sie es nicht tun.23 Physiologisch hat dies mit sogenannten „Spiegelneu­
ronen“ in unserem Gehirn zu tun.24 Übertreiben Sie es aber nicht. Allzu offen-
sichtliches „Nachäffen“ fällt auf, dezent angewandtes, teilweise auch leicht
zeitversetztes, mirroring hingegen fast nie. Sie können diesen Effekt überall beob-
achten, denn er passiert immer zwischen zwei Personen, die sich miteinander
unterhalten und sich mögen. Bereits nach kurzer Zeit ändern beide jeweils (unbe-
wusst) ihre Verhaltensweisen in gegenseitiger Synchronizität; daraus entsteht oft
ein spannend zu beobachtendes „Spiegelballett“. Ist erst einmal eine gute Bezie-
hungsbasis durch mirroring gelegt, geht es darum, diese weiter auszubauen und
dadurch die Kommunikation positiv zu gestalten. Dies kann zum Beispiel durch
folgende, weniger subtile Interaktionsmittel erfolgen:

31.5.1 Den Gesprächspartner nach Rat fragen

Jemanden in einem Gespräch nach seinem Rat oder seiner spezifischen Sichtweise
der Dinge zu fragen, hat nicht nur den Vorteil, in ihm ein Gefühl von Wertschät-
zung zu evozieren, sondern ihn dadurch auch für uns einzunehmen. Zudem führt
die Erteilung eines Ratschlags dazu, dass sich der Gesprächspartner in unsere
eigene Situation hineinversetzt und zumindest für einen Augenblick unsere Pers-
pektive einnehmen muss. Interessanterweise führt bereits die Erteilung eines einzi-
gen Ratschlags dazu, dass die ratgebende Person in der Folge geneigter ist, uns
weitere Ratschläge und Hilfestellungen anzubieten. Zudem entbehrt die Befürch-
tung, dass wir gegen außen weniger kompetent wirken, wenn wir andere um Rat
oder Hilfe anfragen, jeglicher wissenschaftlichen Grundlage. Ganz im Gegenteil:
Sobald wir von jemandem den Rat zu einem nicht allzu offensichtlich trivialen
Sachverhalt erbitten, fühlt sich unser Gesprächspartner in der Regel geschmei-
chelt. Er ist durch den ihm entgegengebrachten Respekt dann oftmals so mit sich
selbst beschäftigt, dass ihm eine Verbindung zwischen Frage und einer vermeint­
lichen Inkompetenz des Fragenden nur äußerst selten bewusst wird. Dies geschieht
in der Regel nur, wenn die Frage einen – aus subjektiver Sicht unseres Gesprächs-
partners – allzu trivialen Sachverhalt betrifft.25

22Vgl. Bodenhamer und Hall (2012, S. 48 ff.).


23Vgl. Galinsky und Schweitzer (2015, S. 215).
24Vgl. Siegel (2012, Kap. 11, S. 3 ff. und Kap. 19, S. 3 ff.); Aronson et al. (2013, S. 101).

25Vgl. Galinsky und Schweitzer (2015, S. 220 ff.).


31 Kommunikation für Unternehmensjuristen 427

31.5.2 Vertrauensbildende Maßnahmen anwenden

Vertrauen ist essenziell für eine offene und ehrliche Kommunikation. Daher ist
es auch wichtig, zu hinterfragen, wie Vertrauen zwischen Menschen überhaupt
entsteht, um in der Folge auch die eigenen Kommunikationsfähigkeiten weiter-
zuentwickeln. Eine sehr effektive Methode, innert kürzester Zeit Vertrauen im
Gesprächspartner hervorzurufen, ist das weiter oben erläuterte mirroring. Verbales
oder non-verbales mirroring kann weiter verstärkt werden, in dem man noch mehr
so wird, wie diejenige Person, der unser Gesprächspartner am meisten vertraut:
nämlich sich selbst. So werden wir noch vertrauenswürdiger eingeschätzt, wenn
wir nicht nur Verhalten spiegeln, sondern unserem Gesprächspartner durch äußere
Statussymbole, unser soziales Umfeld, gemeinsame Erfahrungen etc. besonders
ähnlich erscheinen.
Eine weitere gute Möglichkeit ist einfach mehr zu lächeln: Lächeln funktioniert
aber nur vertrauensbildend, wenn echte positive Emotionen dahinterstehen. Gewill-
kürtes Lächeln wird vom anderen rasch erkannt und wirkt dann kontraproduktiv.26
Forschungsergebnisse zeigen zudem, dass am meisten denjenigen Personen
vertraut wird, die zwei ganz bestimmte Charakterzüge aufweisen: menschliche
Wärme und Kompetenz. Wir vertrauen warmherzigen Personen, weil wir anneh-
men, dass wir ihnen wichtig sind, sie uns nicht „in den Rücken“ fallen werden
und sich daher auch um uns „sorgen“. Diese psychologische Tatsache nutzen zum
Beispiel Politiker ganz bewusst aus: Es gibt kaum ein stärkeres Bild für Warmher-
zigkeit als jemanden, der mit einem schwanzwedelnden Welpen herumtollt. Seit
es das Fernsehen gibt, werden daher alle amerikanischen Präsidenten mit „ihrem“
Hund abgebildet, um dadurch ihre (vermeintliche) Warmherzigkeit zu unterstrei-
chen. Auch Präsident Obama, der nie einen Hund besessen hat und dessen Tochter
Malia allergisch auf Hundehaare reagiert, hat sich nach Einzug ins White House
einen Hund zugelegt und wurde regelmäßig mit diesem gezeigt.
Auch vertrauen wir besonders kompetent erscheinenden Personen, weil wir sie
für glaubwürdiger, effektiver und effizienter halten.27 Hochkompetente Menschen
(insbesondere auch viele hervorragende Unternehmensjuristen) werden jedoch
meist als nicht besonders warmherzig angesehen. Dies lässt sich jedoch ändern,
indem solche Personen „vermenschlichende Strategien“ anwenden. Das heißt,
indem sie sich bewusst etwas bloßstellen und verzeihbare Schnitzer in ihr Verhal-
ten einbauen, um dadurch verletzbarer zu erscheinen. Ein gutes Beispiel stellt der
Stereotyp des „schrulligen Professors“ dar: Dieser wird aufgrund seiner Kompe-
tenz von jedermann hoch angesehen, gleichzeitig durch seine seltsame Kleidung

26Vgl. Keltner (2009, S. 97 ff.).


27Wenn wir mit jemandem zusammentreffen, suchen wir automatisch und sofort nach Kompe-
tenzhinweisen: Wir suchen einerseits nach offensichtlichen, wie zum Beispiel gesellschaftlichen
oder akademischen Titeln, Auszeichnungen, Publikationen, dem Gebrauch von Fachterminologie
etc. Wir suchen aber auch nach nicht so offensichtlichen Hinweisen, wie zum Beispiel der sozi-
aladäquaten Fahrzeugmarke, die jemand fährt, wo er seinen Urlaub verbringt, welche Kleidung
und Schmuck er trägt, mit welchen Leuten er sich umgibt etc.
428 R.P. Falta

und sein etwas komisches Verhalten aber auch als sympathisch und warmherzig
empfunden. Dieser psychologische Mechanismus funktioniert jedoch nur, wenn
Sie zuerst als kompetent angesehen werden und sich erst danach etwas Verletzbar-
keit dazugesellt. Eine andere gute Methode, um „menschlicher zu wirken“, besteht
darin, Informationen über die wichtigsten eigenen Beziehungen oder eine allge-
meine Besorgnis über das Schicksal anderer Menschen mit dem Gesprächspartner
zu teilen. Eine weitere Möglichkeit besteht zum Beispiel darin, innerbetrieblichen
Klatsch auszutauschen, da durch ihn nicht nur wichtige Informationen zirkulieren,
sondern auch die gegenseitige Beziehung gefestigt wird.
Meist weisen wir und die Personen unseres Umfelds vor allem die eine oder
andere Charakteristik auf. Wenn es aber darum geht, welche Personen wir gerne als
engste Freunde hätten – sprich, welchen wir am meisten vertrauen würden – wählen
wir regelmäßig diejenigen Menschen, bei denen sowohl die Warmherzigkeits-, als
auch die Kompetenzdimension besonders stark ausgeprägt sind.28 Überlegen Sie
daher auch für sich selbst, wie Sie in diesen beiden Bereichen abschneiden und
von außen wahrgenommen werden beziehungsweise an welcher der beiden
Dimensionen Sie vor allem noch arbeiten sollten.
Ein weiterer spannender verbal-psychologischer Aspekt der Vertrauensbildung
besteht darin, sich bei einer anderen Person zu entschuldigen. Dabei scheint es offen-
sichtlich nicht einmal relevant zu sein, wofür wir uns entschuldigen.29 Solange diese
Entschuldigung nur genügend warmherzig vorgetragen wird, evoziert sie im
Gesprächspartner automatisch Vertrauen. Dasselbe gilt auch für non-verbale körper-
liche Berührungen (zum Beispiel durch Händeschütteln, Umarmungen, Schulter-
klopfen, leichte Ellbogenberührung) oder besondere physische Nähe. Sie werden
unterbewusst als starke Vertrauenszeichen wahrgenommen. Um physischen Kontakt
möglich zu machen, muss ich meinem Gegenüber erlauben, sich in meiner nächsten
(räumlichen) Nähe aufzuhalten. Dies wirkt sich aber auch reflexiv aus, indem mein
Gehirn annimmt, dass jemand, der sich einige Zeit in meiner nächsten Nähe aufge-
halten hat, auch besonders vertrauenswürdig sein muss. Auch persönliche Besuche
und Besprechungen – im Gegensatz zu Telefonaten oder Videokonferenzen – werden
als ein Zeichen von Wertschätzung aufgenommen und führen zu Vertrauensbildung.

31.5.3 Umgang mit Täuschung und Lügen

Der Einsatz von Täuschung und Lügen kommt in der Kommunikation häufiger
vor, als uns lieb ist. Zumal wir grundsätzlich davon ausgehen, dass die Mehrheit
der Menschen ehrlich ist. Sehen wir uns Forschungsergebnisse dazu an, ergibt sich

28Vgl. Galinsky und Schweitzer (2015, S. 137 ff.).


29Brooks et al. (2013) haben nachgewiesen, dass eine Entschuldigung für „das schlechte Wetter“
(wie absurd!) dazu geführt hat, dass von den von ihnen angesprochenen Personen rund 400 %
häufiger dazu bereit waren, ihr Mobiltelefon für einen Anruf auszuleihen, als solche, die nur mit
einer „normalen“ Sachverhaltsansprache (ohne Entschuldigung) höflich angefragt wurden.
31 Kommunikation für Unternehmensjuristen 429

ein etwas anderes Bild: In einer Studie logen 60 % der Teilnehmer einen Fremden
innerhalb von 10 min an. Andere Studie zeigen, dass 86 % der Studenten regelmä-
ßig ihre Eltern belügen, 75 % der Menschen regelmäßig ihre Freunde, 73 % ihre
Geschwister und 69 % ihre Ehepartner. Oft belügen wir uns auch selbst. Dabei
lügen die meisten Menschen „nur ein bisschen“, da kleine Lügen einfacher zu recht-
fertigen sind. Große Lügen sind nicht nur schwieriger zu rechtfertigen, sie benöti-
gen auch viel mehr Energie im Sinne ihrer Entwicklung, Abstimmung, Durch- und
Aufrechterhaltung. Die Chance, damit erwischt zu werden, steigt und auch die
damit verbundenen negativen Konsequenzen für den Täuschenden. Dennoch gehö-
ren Lügen zur menschlichen Kommunikation, wie das Amen in der Kirche.
Manchmal ist es sogar von Vorteil zu lügen, wenn es dazu führt, dass Koopera-
tion dadurch erst möglich wird respektive weiterhin bestehen bleibt. Studien zei-
gen, dass Personen, die untereinander „prosoziale Lügen“ austauschen („Ich
konnte leider nicht zu Deinem Geburtstagsfest kommen, da ich Kopfweh hatte“),
als moralischer angesehen werden als solche, die in der gleichen Situation die
Wahrheit sagen („Ich hatte keine Lust, an Dein Geburtstagsfest zu kommen, da ich
lieber mit jemand anderem etwas unternehmen wollte“). In solchen Situationen
werden Täuschung und Lügen sogar zu einer speziellen Art der Respektsbekun-
dung. Studien zeigen zum Beispiel, dass über 55 % der Ärzte ihren Patienten
regelmäßig eine zu optimistische Prognose attestieren. Auch wenn Lüge und Täu-
schung oft dazu führen, dass wir uns wegen ihnen schlecht fühlen und unser Ver-
halten bedauern, zeigt die psychologische Forschung, dass dies nicht immer der
Fall ist. Manchmal tut es sogar richtig gut, „schlecht“ zu sein. Dies kann sogar
dazu führen, dass eine Person richtig stolz darauf ist, zu lügen und zu täuschen, sie
ein cheater’s high erlebt, in welchem negatives Verhalten erstrebenswerter
erscheint als positives.30
Wichtigstes Mittel gegen negatives Verhalten stellt Selbstkontrolle dar. Aller-
dings funktioniert sie nicht immer nach unseren Wünschen. Selbstkontrolle ist
einem Muskel ähnlich, der sich mit der Zeit durch Gebrauch erschöpft. So „sündi-
gen“ die meisten Menschen (zum Beispiel mit Schokolade, Essen, Alkohol) vor
allem in den Abendstunden, nachdem ihre täglich Portion Selbstkontrolle, die den
ganzen Tag über Versuchungen erfolgreich abgewehrt hat, abends erschöpft ist und
notgedrungen zulässt, dass negative Verhaltensweisen überhand nehmen können.31
Dass Täuschung und Lügen so erfolgreich sind, ist zwei Umständen geschul-
det: Erstens glauben wir, wie bereits erwähnt, dass Menschen grundsätzlich ehr-
lich sind. Solange wir keine direkten Beweise dafür haben, dass uns unser
Gesprächspartner belügt, glauben wir aufgrund der truth bias daran, dass alles von
diesem Gesagte auch tatsächlich der Wahrheit entspricht. Zudem erkennen wir
Anzeichen von Lügen nicht, auch wenn diese offensichtlich sind, wir sie aber

30Vgl. Galinsky und Schweitzer (2015, S. 168 ff.).


31Carter (2015, S. 65).
430 R.P. Falta

­einfach nicht wahrhaben wollen.32 Zweitens überschätzen wir unsere tatsächlichen


Fähigkeiten, Lügen zu entdecken, maßlos. In Wahrheit sind Menschen – ohne ein
spezifisches Training – extrem schlechte Lügendetektoren. Vor allem, wenn es
darum geht, Lügen aus dem nächsten Umfeld zu entdecken (zum Beispiel bei
Arbeitskollegen oder Ehepartnern). Drittens gibt es kein bestimmtes Anzeichen für
eine Täuschung per se. Keine Geste, kein Gesichtsausdruck und kein Muskelzu-
cken alleine sind ein Zeichen dafür, dass jemand lügt. Es gibt lediglich Hinweise
darauf, dass unser Gegenüber schlecht auf das Gespräch vorbereitet ist oder dass
seine Gefühle nicht mit dem von ihm Gesagten übereinstimmen.33 Um sich vor
Täuschung und Lügen im Gespräch mit anderen zu schützen, gilt es in Gesprächen
Folgendes zu beachten:

• Legen Sie vor einem Gespräch genau fest, was Sie grundsätzlich zu glauben
bereit sind und was nicht.
• Suchen Sie vor allem nach denjenigen Hinweisen, die Sie gerade nicht hören
möchten; auch wenn das oft unangenehm ist. Hinweise auf Täuschung und
Lüge findet man oft, wenn man ganz genau hinhört. Dabei können chrono-
logisch aus dem Zusammenhang fallende Fragen helfen oder Fragen nach
irrelevanten Details, die von einem Lügenden bei der Konstruktion seines
Lügengebildes nicht bedacht wurden.
• Halten Sie Ausschau nach spezifischen körperlichen Anzeichen für Lügen.
Auch die besten Lügner verraten sich durch physisch-abnormes Verhalten.34
Nur pathologische Lügner, die selbst völlig davon überzeugt sind, was sie
sagen, sind nicht über körperliche Signale überführbar.
• Stellen Sie offene Fragen, die negative Annahmen beinhalten, wie „Welches
rechtliche Problem kann aus diesem Sachverhalt erwachsen?“ Dadurch
vergrößern Sie den cognitive load, das heißt, die Informationsmenge, die Ihr
Gegenüber verarbeiten muss. Wenn jemand lügt, muss er viel stärker nachdenken.
Dadurch entstehen mehr Pausen und Verzögerungslaute (äh, ähm etc.),
Antworten kommen nicht mehr so rasch, die Gestikulation nimmt ab, Kopf- und
Handbewegungen werden mechanisch, Wortbetonungen werden falsch gesetzt,
rasche Nachkorrekturen treten ein („Ja – ich meinte eigentlich nein.“) etc.
• Beobachten Sie, ob Ihr Gesprächspartner nicht nur ungewöhnliches Verhalten
an den Tag legt, sondern vor allem auch nach „Fluchtmöglichkeiten“ Ausschau

32Bekannte Fälle dazu gibt es zuhauf: Von den Liebesbeteuerungen von Heiratsschwindlern bis

hin zu riesigen Betrugssystemen, wie dem Ponzi Scheme von Bernie Madoff, bei denen die
Getäuschten im Nachhinein bestätigen, sie hätten bestimmte Zeichen für den Betrug bereits vor
dessen Aufdeckung wahrgenommen, diesen aber keine Bedeutung zugemessen.
33Ekman (2011, S. 106).

34Professionelle Pokerspieler verwenden nach Galinsky und Schweitzer (2015, S. 180), sehr

viel Übungszeit darauf, ihre Gesichtszüge absolut unter Kontrolle zu bringen. Dass sie bluffen,
erkennt man aber zum Beispiel daran, dass sie die Chips in zickzack-Bewegungen auf den Tisch
legen, anstatt durch gerades Durchstrecken der Arme, was auf tatsächliches Selbstvertrauen hin-
deuten würde.
31 Kommunikation für Unternehmensjuristen 431

hält. Lügner sehen sich oft unbewusst nach Türen um, kontrollieren übermäßig
oft ihre Uhr und zeigen deutliche Zeichen von Ungeduld. Zudem versuchen sie
oft, zu überkompensieren, um ihrer Täuschung dadurch einen geradezu perfek-
ten Anstrich von Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Im Umgang mit problematischen Situationen, bei denen Sie nicht sicher sind,
ob Ihr Interaktionspartner Sie anlügt oder nicht, kann es auch sinnvoll sein, sich
anhand eines vorher angefertigten Leitfadens durch das Gespräch führen zu lassen.
Damit in Organisationen Verluste durch Täuschung so gering wie möglich gehal-
ten werden, wurden Policies, Regelwerke, spezifische Quality Management-Vor-
gehensweisen etc. geschaffen, deren Wirkungsweise auch für Teammeetings und
Einzelgespräche in den Legal Operations eingesetzt werden kann.

31.5.4 Gespräche gekonnt beenden

Gelungene Kommunikation hängt nicht nur davon ab, wie einzelne Interaktionen
begonnen und durchgeführt wurden, sondern auch davon, wie sie beendet werden.
Schließlich gilt es, eine möglichst optimale Anknüpfung zu ermöglichen bezie-
hungsweise eine möglichst ideale Ausgangslage für weitere Interaktionen mit dem
gleichen Gesprächspartner zu gestalten. Die Forschungsergebnisse des Nobel-
preisträgers Daniel Kahneman zeigen einen spannenden Sachverhalt:35 Das
menschliche Gehirn schließt aufgrund des Endes einer Interaktion überproportio-
nal stark darauf, wie diese insgesamt verlaufen ist. Wenn wir uns vergangene
Begebenheiten in Erinnerung rufen, unterdrückt unser Gehirn die anfänglichen
und mittigen Erinnerungen zu dieser Begebenheit und überbewertet diejenigen,
die am Schluss kommen. Wie also eine vergangene Begebenheit geendet hat,
beeinflusst maßgeblich, wie wir sie in Erinnerung behalten. Um welche Erinnerun-
gen es sich auch immer handelt, Sie sollten jegliche Handlungen in den Legal
Operations, die andere Personen miteinbeziehen (Vertragsverhandlungen, Team-
meetings, Einzelgespräche, Transaktionsprojekte etc.), mit einer positiven „End-
note“ abschließen.36
Da die Chance relativ groß ist, dass wir mit einem Interaktionspartner in der
Zukunft wieder zusammentreffen, wird sich die Art und Weise, wie die vorangegan-
gene Zusammenarbeit geendet hat, maßgeblich darauf auswirken, auf welcher
Grundlage eine erneute Kooperation stattfinden wird. Zudem dienen zufriedene
Interaktionspartner als Multiplikatoren, die – sofern sie „überzufrieden“37 mit unserer
Leistung sind – positives Marketing für uns und unsere Rechtsabteilung innerhalb
und außerhalb unserer Organisation machen. Dadurch animieren sie andere, ebenfalls
gerne mit uns zusammenarbeiten zu wollen. Schließlich kann heutige Zufriedenheit

35Vgl. Kahneman et al. (1993, S. 401 ff.).


36Vgl. Galinsky und Schweitzer (2015, S. 263 ff.).
37Vgl. Shaw (2007, S. 88).
432 R.P. Falta

dazu genutzt werden, um in Zukunft – falls die Zeiten es erforderlich machen – Kon-
zessionen von unserem Gesprächspartner einzufordern: „Weißt Du noch, wie ich Dir
damals das Geschäft mit meinem Rechtsrat gerettet habe? Heute komme ich zu Dir,
da ich nun von Dir etwas Unterstützung benötige…“.

Literatur
Aronson E, Wilson TD, Akert RM (2013) Social psychology, 8. Aufl. Pearson Education, New
Jersey
Bodenhamer BG, Hall LM (2012) Manual for the brain, Bd 1. Crown House, Wales
Brooks AW, Dai H, Schweitzer ME (2013) I’m sorry about the rain! Superfluous apologies
demonstrate empathic concern and increase trust. Soc Psychol Person Sci 5(4):467–474
Carter C (2015) The sweet spot: how to find your groove at home and work. Ballantine Books,
New York
Ekman P (2011) Ich weiß, dass Du lügst – Was Gesichter verraten, 2. Aufl. Rowohlt Taschen-
buch, Reinbek
Galinsky A, Schweitzer M (2015) Friend & foe – when to cooperate, when to compete, and how
to succeed at both. Random House Business Books, London
Gilovich T, Ross L (2016) The wisest one in the room – how to harness psychology’s most pow-
erful insights. Oneworld Publications, London
Kahneman D, Fredrickson BL, Schreiber CA, Redelmeier DA (1993) When more pain is prefer-
red to less: adding a better end. Psychol Sci 4(6):401–405
Keltner D (2009) Born to be good – the science of a meaningful Life. Norton, New York
Mehrabian A, Ferris SR (1967) Inference of attitudes from non-verbal communication in two
channels. J Couns Psychol 31(3):248–252
Miller GA (1956) The magical number seven, plus or minus two: some limits on our capacity for
processing information. Psychol Rev 63(2):81–97
Moscoso del Prado Martín F (2009) The thermodynamics of human reaction times. http://arxiv.
org/abs/0908.3170. Zugegriffen: 28. Nov. 2016
Shaw C (2007) The DNA of customer experience – how emotions drive value. Palgrave Macmil-
lan, Hampshire
Siegel DJ (2012) Pocket guide to interpersonal neurobiology – an integrative handbook of the
mind. Norton, New York
Watzlawick P, Beavin JH, Jackson DD (1967) Pragmatics of human communication. Norton,
New York

Über den Autor


Roman P. Falta, lic.iur.HSG – Professional Services Management Leader QUADRAGON
MANAGEMENT LLC, Zürich
Studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen HSG. Daneben
hält er Weiterbildungsdiplome der Harvard University, des MIT und der UC Berkeley in Sozio­
anthropologie und Psychologie. Seine Berufskarriere begann er in einer führenden Strategie-
beratung, welcher Berufsstationen bei Gericht, in der Finanzverwaltung und einer namhaften
Anwaltskanzlei folgten. Anschliessend war er für diverse Bereiche in Corporate Legal und in der
Compliance eines Global Fortune 500-Unternehmens verantwortlich. Als Professional Services
Management Leader verantwortet er heute unter anderem den Bereich Legal Operations Optimi-
zation bei QUADRAGON MANAGEMENT. Er gilt als einer der renommiertesten Experten für
Professional Services Optimization und Elite Performance Development im deutschsprachigen
Raum.
Verhandlungstechnik und -führung
für Unternehmensjuristen 32
Martin Heß

32.1 Einleitung: Das Bild des Juristen in der Öffentlichkeit

„Haben Sie Erfahrung mit Juristen?“ Wie oft in meinem Trainer- und Beraterleben
ist mir diese Frage wohl schon gestellt worden? Oft von Juristen selbst, meist
aber von Geschäftsführern oder Personalverantwortlichen, bei denen ich mich um
einen Trainings- oder Beratungsauftrag für diese Zielgruppe bewarb. Ob bei einer
der zahlreichen Wirtschaftskanzleien, für die ich im Lauf der Jahre Verhandler-
Coachings durchgeführt hatte oder bei einem der internationalen Konzerne, die zur
weiteren Qualifikation ihrer Legal Counsels einen Juristen-erfahrenen Trainer oder
Moderator suchten: Stets war die Antwort auf diese Frage wichtig, wenn nicht
gar entscheidend für die Auftragsvergabe. Und wenn ich sie dann bejaht hatte,
war die Antwort meist ein zufriedenes Nicken. Häufig auch verbunden mit leicht
verschwörerischem Lächeln oder kurzem Schnauben mit der Bedeutung: „Na
dann ist ja alles klar!“ Es geht um Juristen:

• Juristen sind besonders: Sie zeichnen sich zum Beispiel dadurch aus, dass sie
sich dieser Besonderheit auch in gewissem – manchmal hohem Maße bewusst
sind. Sie pflegen anderen, sowie sich selbst gegenüber – wie kein anderer
Berufsstand –, das Image des bad guy. Der Jurist ist streitbar, mit ihm ist nicht

M. Heß (*)
Personal- und Organisationsentwicklung, S.T.E.P. – Training + Coaching,
Butzbach/Hoch-Weisel, Deutschland
E-Mail: martin.hess@step-online.de

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 433


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_32
434 M. Heß

gut Kirschen essen und man möchte ihn weder zum Feind noch zum Mieter
haben und darauf ist er in gewissem Sinne meist auch recht stolz. Ob diese Nei-
gung und Fähigkeit zum Konflikt nun das Ergebnis oder aber Voraussetzung
des Studiums der Jurisprudenz sei, habe ich nun des Öfteren mit Juristen wie
Juristen-erfahrenen Nicht-Juristen in Pausengesprächen entsprechender Veran-
staltungen erörtern können. Der Tenor lautet: Vermutlich trifft beides zu.
• Juristen sind Kämpfer: Was wahr ist und was unwahr, wer Recht bekommt und
wer nicht, ist in ihrem Metier das Ergebnis eines geistigen Ringens. Im Kampf
um die Deutungshoheit über ein Geschehen obsiegt dabei der Stärkere, besser
Ausgebildete und häufig auch Erfahrenere. Argumente sind ihre Waffen und die
Rhetorik ist ihre Disziplin. Das Ideal ist der Einzelkämpfer als glorreicher, sieg-
reicher Held der Arena. „Ei Du drehst einem ja das Wort im Mund herum“, sagte
meine Großmutter bei einer entsprechenden Gelegenheit einmal zu mir, als ich
noch im Grundschulalter war, „willst Du etwa einmal Jurist werden?“
• Juristen sind Experten für Streit: Eine Gerichtsverhandlung zur Entschei-
dungsfindung bei widerstreitenden Interessen ist das Hochamt der Juristerei.
Eine solche für sich und seine Partei zu gewinnen oberstes Ziel, Sinn und Zweck
allen juristischen Tuns eines Prozessanwalts. Vor allem dafür werden Juristen
ausgebildet, darin sind sie qualifiziert, das beeinflusst ihr Denken, ihr Handeln
und ihr Lebensgefühl. Sie sind darauf geeicht und es gewohnt, die Dinge von
ihrem möglichen bitteren Ende her zu denken und sich und ihre Mandanten vor
der Niederlage zu schützen. Ihre Rolle darin ist eine hoheitliche, sie sind Organe
der Rechtspflege. Jurist zu sein ist eindeutig kein Beruf, sondern Berufung.

Für die sogenannte freie Wirtschaft scheinen die als typisch geltenden forensischen
Juristen damit allerdings zunächst einmal nur bedingt geeignet. Denn hier ist der
Streit zum Glück ja nicht die Regel, sondern der unangenehme Sonderfall. Eine
funktionierende Ökonomie gründet in erster Linie auf Kooperation und erst in
zweiter auf Konfrontation. Anders herum gesagt: Die Volks- und Betriebswirtschaft
könnte zur Not und unter Einbußen zwar auf den Wettbewerb zum Beispiel verzich-
ten, nicht jedoch auf die Zusammenarbeit der Menschen und Organisationen. Diese
Zusammenarbeit zu organisieren, ist Aufgabe des Managements. So ließe sich Füh-
rungsarbeit selbst definieren und in deren Dienst stehen die Unternehmensjuristen.

32.2 Verhandlungen und Verhandlungen sind zweierlei

Geht es in den Verhandlungen bei Gericht in aller Regel um die retrospektive


Bewertung von Handlungen oder Sachverhalten, so drehen sich Verhandlungen in
der Wirtschaft im Gegensatz dazu um die Zukunft. Die deutsche Vorsilbe „ver-“
kommt vom mittelhochdeutschen „vor“1 und so heißt „ver-handeln“ in diesem
Kontext auch „vor-handeln“, Absprache treffen, (sich) vereinbaren über das, was

1Drosdowski (1997, S. 777).


32 Verhandlungstechnik und -führung für Unternehmensjuristen 435

in der Zukunft liegt, sich darüber einigen, und zwar möglichst so, dass sich alle
Beteiligten auch nachhaltig an diese Absprachen und Einigungen gebunden fühlen
und halten. Diese Ausgangslage bei solchen prospektiven Verhandlungen ähnelt
damit allenfalls Vergleichsverhandlungen, wie sie im Rahmen der Gerichtsbarkeit
bisweilen vorkommen. Gleichwohl gehört das Verhandeln in Wirtschaftszusam-
menhängen zu den Haupt- und nicht den Nebentätigkeiten der Juristen, und wer
als Wirtschaftsjurist zumal in einem Unternehmen erfolgreich sein will, wird das
auch nur unter Zuhilfenahme einer hohen Verhandlungskompetenz können.
Die Spielfelder, auf denen verhandelt wird, lassen sich dabei grob in externe und
interne unterscheiden: Intern verhandelt der Legal Counsel zum Beispiel über den
Ressourceneinsatz mit anderen Unternehmensbereichen, über interne Verträge zu
diversen Finanz- und Versicherungsthemen, in Personalangelegenheiten bei Fehlver-
halten oder bei der Auflösung von Verträgen. Auch sind Verhandlungen der Legal
Counsels in eigener Sache dazuzuzählen, die zum Beispiel in Bezug auf Entgelt oder
Verantwortung mit Vorgesetzten geführt werden; auch wenn sie sich in Bezug auf
Zielsetzung, Auswirkung und daraus entstehender psychologischer Dynamik grund-
sätzlich von den typischen Verhandlungen der Juristen, in denen sie als Unterhändler
mit einem Mandat des oder der Auftraggeber ausgestattet auftreten, unterscheiden. Im
externen Kontext sitzen Legal Counsels typischerweise mit am Verhandlungstisch,
wenn es um die Gestaltung von Lieferverträgen auf der Einkaufs- oder Verkaufsseite
geht. Ebenso natürlich bei allen Themen, die mit Gewährleistung, Schadenregulierun-
gen oder auch dem An- und Verkauf von Firmenanteilen zu tun haben. Vertragsgestal-
tung und Vertragsänderung sind hier als die wohl häufigsten und wichtigsten Anlässe
zu nennen. Von Verlauf und Ergebnis solcher Verhandlungen hängt nicht selten das
Wohl und Wehe ganzer Unternehmen ab. Nicht selten obliegt den Juristen hierbei die
Verhandlungsführung als Leiter einer Delegation oder eines Projektteams und somit
die Gestaltung eines geordneten, systematischen Verhandlungsablaufs.

32.3 Systematischer Aufbau einer Verhandlung entlang


einzelner Phasen

Nachfolgend wird die spezifische Verhandlungstechnik und Verhandlungsführung


für Legal und General Counsels sowie anderes juristisches Fachpersonal anhand
des in der Praxis erprobten Aufbaus in zehn Einzelphasen aufgezeigt.

32.3.1 Verhandeln verunsichert jeden – besonders aber


Juristen

Verhandeln ist Gefühlssache, das gilt selbst für solche Juristen, die aufgrund von
Erfahrung und Persönlichkeit als quasi eiskalte Profis in diesem Geschäft gelten
mögen und möglicherweise auch einen Großteil ihrer Zeit mit der thematischen und
juristischen Vorbereitung von Verhandlungen befasst sind. Was exzellente ­Verhandler
436 M. Heß

am Tisch dann aber grundlegend von eher ungeübten und unerfahrenen unterschei-
det, ist ihr Gespür für eine Verhandlungssituation. Niemand weiß sicher – und prin-
zipiell kann auch niemand sicher wissen (selbst wenn er oder sie über alle zu einer
Situation theoretisch verfügbaren Informationen verfügte – was an sich bereits
unmöglich ist), ob es in einer bestimmten Verhandlungslage zum Beispiel Erfolg ver-
sprechender wäre, mehr Druck aufzubauen oder aber mehr auf die andere Seite zuzu-
gehen. Es können lediglich Wahrscheinlichkeiten beziehungsweise Risiken dafür
abgeschätzt werden, was in Folge eigenen Handelns dann geschehen wird, dies aber
wiederum nur auf dem Hintergrund vorangegangener Erfahrungen mit solchen oder
ähnlichen Situationen, und/oder mit solchen oder ähnlichen Verhandlungspartnern.
Man kann in Verhandlungen niemals genau wissen, was die andere Seite tun
wird, denn das Verhalten dieser anderen Seite wird ja eben eine Reaktion auf das
eigene sein, das ja noch zu erfolgen hat. Einer reagiert hier auf den anderen, der
auf den einen reagiert, der auf den anderen reagiert und so fort. Man erwartet
Reaktionen als Folge der Erwartung von Erwartungen von Erwartungen ad
infinitum. In einem Verhandlungssystem herrscht also Rückbezüglichkeit als
bestimmende Kraft, deren Eigenschaft es ist, jede reine Logik und lineare
Kausalität auszuhebeln. In logisch-mathematischer Betrachtungsweise verhält
das Gesamtsystem sich nicht-linear und sein Verhalten kann prinzipiell nicht
vorhergesagt werden. Es ist nicht von Linearität, sondern von Zirkularität
bestimmt, und damit in gewissem Sinne unberechenbar, genauer gesagt: chaotisch.
Das will von einem rationalen Geist erst einmal ausgehalten werden!
Dass sich sogar retrospektive Verhandlungen aus diesem Grund (und häufig auch
wegen der hohen Komplexität sich gegenseitig beeinflussender Faktoren) der Durch-
dringung mithilfe reiner Logik und der Planbarkeit entziehen und keine einseitige
Kontrolle gestatten, kennt der Jurist aus dem geflügelten Wort von „Gottes Hand“, in
die man sich vor Gericht „wie auf hoher See“ begebe. Um dies zu illustrieren, wird
immer wieder auf eine berühmte Studie verwiesen, die der amerikanische Rechts­
professor G. Williams in den 70er Jahren durchgeführt haben soll: Im Rahmen einer
wissenschaftlichen Verhandlungssimulation ließ er 40 praktizierende Anwälte in
einem simulierten Schadensersatzprozess nach dem Recht des Staates Iowa gegenei-
nander verhandeln. Die 20 Verhandlungsergebnisse hätten dabei zwischen 15.000
und 95.000 US$ mit erheblicher Streuung um den Mittelwert gelegen.2

32.3.1.1 Prospektives Verhandeln liegt dem „typischen“ Juristen


nicht
Der fertige Jurist muss das prospektive Verhandeln lernen, wie Rad fahren, schwimmen
oder ein Musikinstrument zu spielen. Es war nicht Gegenstand seiner akademischen
Ausbildung. Er ist nicht systematisch darauf vorbereitet worden, das Wissen, über das
er verfügt, so einzusetzen, dass Lösungen entstehen, die freiwillig von denjenigen getra-
gen werden, die verschiedene Interessen haben. Er wurde eher im Sinne eines Kämpfers
ausgebildet, weniger als Diplomat. Er mag gut darauf eingestellt sein, durch schlagende

2Williams (1983, S. 27).


32 Verhandlungstechnik und -führung für Unternehmensjuristen 437

Argumente zu überzeugen, sodass er Recht bekommt. Und so verhält er sich gelegent-


lich ja selbst seinem Auftraggeber gegenüber. Ein exzellenter Unterhändler dagegen
sieht sich von Anfang an in einem doppelten Verhandlungsprozess: zur Gegenpartei und
zum Mandanten. Hier muss der forensisch fokussierte Jurist umdenken, wenn er die für
Unternehmens- und Verwaltungsjuristen typischen Zielsetzungen erreichen will.
Prospektives Verhandeln heißt eben oft auch Neues zu entwickeln, unbekannte
Wege zu erforschen, zu sondieren, was geht oder gehen könnte, zu testen und zu
erproben, und sich so lange auf einen kreativen Suchprozess einzulassen, bis etwas
Tragfähiges entstanden ist. Es heißt, einen ergebnisoffenen Prozess zu gestalten, in
dem ein „Sieg“ nur mit dem Verhandlungspartner gemeinsam errungen werden kann,
nicht gegen ihn, denn am Ende braucht man dessen Zustimmung. Wäre die nicht
nötig, würde man ja nicht verhandeln – es sei denn natürlich, um den Schein zu wah-
ren oder aus quasi rituellen Gründen. Doch das ist ein anderes Kapitel und wird an
anderer Stelle behandelt. Notwendig sind eine Einstellung, eine Haltung und ein mind-
set, mit der „typische“ Juristen zunächst einmal nicht unbedingt ausgestattet sind. Zu
einer guten vertraglichen Vereinbarung muss das Gegenüber gewonnen werden – nicht
besiegt. Dafür also sind die Grundprägung des forensischen Juristen, seine Haltung
und sein Selbstverständnis sowie die daraus resultierenden Justierungen seiner Wahr-
nehmungsfilter und Interpretationen von sozialen Kontexten zunächst einmal eher
weniger geeignet, woraus dann auch eine ganze Reihe „typischer“ Verhandlungsfehler
von Juristen resultieren, die in der Praxis immer wieder zu beobachten sind, insbeson-
dere bei eher ungeübten und weniger erfahrenen Anwälten am Verhandlungstisch.

32.3.1.2 Eine Verhandlungssituation wird gar nicht als solche


erkannt
Verhandeln ist immer dann das erfolgversprechendste Verhalten, wenn zwei Perso-
nen beziehungsweise Parteien sowohl gemeinsame als auch unterschiedliche Inter-
essen haben, wenn also die Verhandlungspartner in Bezug auf den Gegenstand der
Verhandlung wechselseitig aufeinander angewiesen sind, um ihre Interessen zu
wahren. Man spricht in diesem Falle von Interdependenz, der optimalen psycholo-
gischen Voraussetzung für eine Einigung auf dem Verhandlungsweg. Gleichzeitig
muss aber auch ein Mindestmaß an Spielraum vorhanden sein, den die Beteilig-
ten nutzen können und wollen. Der Wille, aufeinander zuzugehen, hängt dabei
gewöhnlich davon ab, dass kein hochgradiger Machtunterschied vorliegt. Ist dies
der Fall, versucht in der Regel der Mächtigere, selbst wenn er den weniger Mäch-
tigen braucht, seine Vorstellungen durch Einsatz seiner Machtmittel und nicht
durch Verhandeln durchzusetzen. Und auch derjenige, der sich in einer ungleichen
Beziehung als machtlos erlebt, wird seltener den Verhandlungsweg beschreiten,
sondern eher versuchen, sich den anderen durch Zugeständnisse und Unterwer-
fung gewogen zu machen. Es sei denn, er rechnet sich Chancen aus, durch Bluff
und Vorspiegelung gar nicht vorhandener Macht, ein Zugeständnis zu erhalten.
Unter Umständen versucht er aber auch, den Mächtigeren durch irrationales Ver-
halten und die Demonstration von Unberechenbarkeit so zu bedrohen, dass dieser
nachgibt. Zahlreiche Varianten strategischer und taktischer Annäherung an eine
derartige Situation sind möglich und vorstellbar. Rechnet man nun die Anzahl
438 M. Heß

möglicher Gegenreaktionen der jeweils anderen Seite dazu, ergibt sich bereits auf
dem Anfangslevel einer solchen Verhandlung, in der Vorbereitungs- und Eröff-
nungsphase also, eine derart riesige Komplexität, dass diese durch eine rein ratio-
nale Analyse bereits nur noch sehr schwer umfassend durchdrungen werden kann.
Erfahrene Verhandler verlassen sich daher stark auf ihre Intuition, ihr „Bauch-
gefühl“, und fahren dabei nicht schlecht, wenn dieses Gespür auf vielen Refe-
renzerfahrungen beruht. Für Einsteiger ist die Komplexität meist in hohem Maße
beunruhigend und sie versuchen sie dann typischerweise durch eher weniger hilf-
reiche Interventionen wie Dominanz unter Kontrolle zu bringen. Die verschiedenen
psychologischen Spielarten und Mittel, mit denen Menschen versuchen, bereits die
Ausgangssituation einer Verhandlung zu beeinflussen, sind so zahlreich und kom-
plex, dass sie von einem nach Klarheit und Rationalität strebenden Akteur, wie
dem typischen Juristen eben, bereits als schiere Zumutung erlebt werden, bevor das
Verhandeln überhaupt begonnen hat. Sehr häufig werden solche Verhaltensweisen
anderer Akteure in der Organisation daher als unangemessen erlebt und zum Bei-
spiel mit Vokabeln wie „Kindergarten“ oder „Machtspielchen“ belegt.

32.3.2 Die systematische Vorbereitung einer Verhandlung

Wer sich hingegen an den Verhandlungstisch setzt, der signalisiert, dass er bereit
ist, der oder den anderen Parteien entgegenzukommen. Das Gefühl, im Recht zu
sein und den „Sieg“ zu verdienen, wie es den typischen Juristen aufgrund von
Ausbildung, Sozialisation und nicht zuletzt sorgfältiger Vorbereitung und Durch-
dringung eines Kontextes auf der Sachebene zu eigen ist, führt dann zu einer Ver-
zerrung der Wahrnehmung und unangemessen kämpferischem Auftreten. Wer sich
aufs Verhandeln einlässt, signalisiert damit hingegen, dass er bereit ist, Zugeständ-
nisse zu machen. Verhandlungen, wenn sie ehrlich geführt werden, und nicht nur
zum Schein – zum Beispiel um einen guten Willen zu demonstrieren, der in Wahr-
heit aber gar nicht vorhanden ist –, erfordern ein Mindestmaß an Bereitschaft zum
Entgegenkommen. Wer dazu nicht bereit ist, verweigert das Verhandeln. Es kann
natürlich andererseits durchaus eine sinnvolle taktische Vorgehensweise sein, das
Verhandeln – zunächst einmal – zu verweigern, um die andere Seite dazu zu brin-
gen, mit niedrigeren Forderungen in die Verhandlung einzusteigen. Wenn diese
Forderungen vor Beginn der geplanten Verhandlung bereits bekannt sind und die
andere Seite auch weiß, dass sie bekannt sind, würde man sonst durch den Ein-
stieg in die Verhandlung signalisieren, dass man die Plattform, von der aus die
andere Seite die Verhandlung beginnen will, in gewisser Weise akzeptiert und
im Bereich des Realistischen sieht, selbst wenn sie aus eigener Sicht überzogen
erscheinen. Und schließlich können auch emotionale Gründe der Suche nach einer
Einigung durch Verhandeln im Wege stehen. Wenn eine Beziehung durch Ereig-
nisse der Vergangenheit zum Beispiel emotional so belastet ist oder große Vorbe-
halte gegenüber der Aufnahme einer solchen bestehen, verweigern sich mögliche
Verhandlungspartner der Aufnahme von Kontakten und suchen andere Lösungen.
Sie versuchen, die Sache auszusitzen oder durch Kampf für sich zu entscheiden.
32 Verhandlungstechnik und -führung für Unternehmensjuristen 439

32.3.2.1 Man versucht zu kontrollieren, was sich nicht


kontrollieren lässt
Ein häufig anzutreffender Fehler besteht in diesem Zusammenhang auch darin,
dass versucht wird, die Situation zu kontrollieren, in dem bestimmte Positionen
und Themen von Anfang an aus der Verhandlung ausgeschlossen und als unab-
dingbar hingestellt werden. „Wir können ja über alles reden, aber nicht über xyz!
Das ist für uns ein No-go.“ Das Problem besteht hier vor allem darin, dass derar-
tige Statements in aller Regel keine echte Wirkung auf die andere Seite ausüben.
Wenn die über xyz reden will, dann wird sie das tun. Jedoch engt man den eigenen
Spielraum ein, und zwar von Anfang an und ohne Not, wegen des trügerischen
Gefühls, sich bereits bestimmte Positionen zu sichern, bevor die Verhandlung
überhaupt begonnen hat. Das ist höchst unklug. Viel gescheiter ist es, sogenannte
Muss-Ziele in der Vorbereitung zwar zu formulieren, dies aber dem Gegenüber
nicht mitzuteilen, sondern zunächst einmal alle Optionen offen zu halten.

32.3.2.2 Es verhandelt der Falsche


Was Verhandlungen im ökonomischen oder juristischen Kontext von Verhand-
lungen im Alltag unterscheidet, ist der Umstand, dass sie nicht in eigener Sache,
sondern für Auftraggeber geführt werden. Der Legal Counsel tritt als Unterhänd-
ler auf. Wenn in derartigen Verhandlungen allerdings der Auftraggeber mit am
Tisch sitzt, vergibt man dadurch einen wesentlichen taktischen Vorteil, nämlich die
Möglichkeit, in Gesicht wahrender Art und Weise – unter Verweis auf die Ableh-
nung durch den Auftraggeber – eine einmal bezogene Position wieder räumen zu
können. Zudem riskiert man, dass der Auftraggeber möglicherweise stark emoti-
onalisiert die Verhandlungsführung übernimmt, wenn sie einen für ihn scheinbar
ungünstigen Verlauf zu nehmen scheint.
Sehr ungünstig wirkt sich eine im deutschsprachigen Raum leider sehr ver-
breitete Verhandlungstaktik aus, bei der sich zwei Delegationen gegenüber sitzen,
in denen die jeweils ranghöchsten Manager die Verhandlungsführung inneha-
ben, miteinander eine unscharfe Einigung erzielen, um dann die Detailarbeit an
die Juristen in ihren Teams zu übergeben, als handele es sich dabei nun lediglich
noch um das Regeln von „juristische Formalien“. Juristen aber wissen, dass bei
der Ausgestaltung eines Vertragswerks der Teufel natürlich im Detail steckt. Die
für den wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg einer Unternehmung oder eines
Geschäfts, eines Business Case oder einer Kooperation entscheidenden Regelun-
gen und Vereinbarungen verbergen sich allzu häufig hinter Formulierungen, die
dem juristischen Laien unverständlich sind und deren Diskussion ihm wie kleinka-
rierte und persönlichkeitsbedingte Spiegelfechterei, Pedanterie und Rechthaberei
erscheinen mögen, in der Praxis aber dramatische Auswirkungen haben können.
Hier wäre das umgekehrte Vorgehen anzuraten; auch wenn – oder gerade weil – es
im deutschen Wirtschaftsraum eher unüblich ist. Der Legal Counsel wäre in die-
sem Falle in der Rolle des Verhandlungsführers zu sehen und hauptverantwortlich
mit der Vorbereitung und Leitung des Verhandlungsgeschehens betraut, während
sich der projekt- oder linienverantwortliche Manager, als eigentlicher „Inhaber“
oder „Auftraggeber“, während der Verhandlung zunächst im Hintergrund hält.
440 M. Heß

Ähnlich den Verhandlungsprozessen bei internationalen politischen Verhandlun-


gen, würden also zunächst „auf Arbeitsebene“ mögliche Lösungen ausgelotet,
verhandelt und schließlich vereinbart – unter dem Vorbehalt einer abschließenden
Gesamteinigung –, wobei völlig strittige und unvereinbar erscheinende Punkte
zunächst ausgeklammert und in die finalen Zusammenkünfte der Hauptverant-
wortlichen übertragen werden. Ein derartiges Vorgehen nach dem sogenannten
Kohai-Sempai-Prinzip entspricht der asiatischen Verhandlungstradition, und ist
dort auch in heutigen Wirtschaftskontexten durchaus üblich. Es bietet eine ganze
Reihe von taktischen Vorteilen, bedarf aber auch sorgfältiger Vorbereitung und
Absprache. Doch hier zeigt sich meist der nächste, typische Schwachpunkt:

32.3.2.3 Die Vorbereitung ist unzureichend


Verhandlungen sind „Spiele“ im Sinne der mathematischen Spieltheorie, mit deren
Hilfe Vorgänge beschrieben werden können, bei denen mehrere Akteure gegensei-
tig die Ergebnisse ihrer Entscheidungen beeinflussen. Leitsatz sollte das geflügelte
Wort sein: Wer in der Vorbereitung scheitert, bereitet sein Scheitern vor. Da erfah-
rene Verhandler um die Unvorhersehbarkeit eines Verhandlungsverlaufs wissen,
ziehen sie oft den falschen Schluss daraus und bereiten sich zu wenig vor. Dies ist
zu unterscheiden von der mangelhaften Vorbereitung unerfahrener Juristen. Auch
wenn die unzureichende Vorbereitung bei beiden mit den gleichen negativen Fol-
gen verbunden sind.

32.3.3 Vier Beschreibungsebenen: Interessen, Strategie,


Taktik und Methodik

Man kann das Geschehen an einem Verhandlungstisch natürlich aus ganz unter-
schiedlichen Perspektiven betrachten. Natürlich geht es immer um die Interessen
der Beteiligten. Auf einem sehr allgemeinen Level und relativ wenig konkret kann
man dabei zwischen eher kurz- und eher langfristigen Interessen unterscheiden. Es
stellt sich also die Frage, ob einer Partei eher an dem Ergebnis dieser einen Ver-
einbarung, dieses bestimmten Gesprächs beziehungsweise der aktuellen Verhand-
lungsrunde gelegen ist oder, ob ein langfristiges Interesse im Vordergrund steht.
Zu prüfen ist damit das Verhältnis zu der anderen Partei insgesamt, mit der man
vielleicht auch zukünftig zusammenarbeiten will oder muss, die man für weitere
Geschäfte braucht oder deren Bewertung und Beurteilung des Verhandlungsver-
laufs und des Verhaltens vielleicht in einem Markt oder einer Community kom-
muniziert werden – und einem daher nicht gleichgültig sind. Hat man also nur eine
einzige Sache miteinander auszuhandeln oder steht man in einer permanenten,
über die Verhandlung hinaus andauernden – möglicherweise sogar engen – Bezie-
hung zueinander (um die beiden Extremfälle zu nennen)? Wie also ist die Interes-
senkonstellation?
Je nach Priorität der kurz- oder langfristigen Interessen wird nun eine ratio-
nal agierende Partei eine dazu passende Verhandlungsstrategie wählen. Dies ist
die zweite Betrachtungsebene. Wichtig hierbei ist es, im ersten Schritt nur die
32 Verhandlungstechnik und -führung für Unternehmensjuristen 441

eigene Interessenlage abzuwägen, ohne zunächst das erwartete, vermutete oder


sogar bekannte Vorgehen der anderen Partei mit einzubeziehen. Dies ist erst der
zweite Schritt, der im Sinne einer Szenario-Analyse während der Vorbereitung
einer Verhandlung vollzogen werden soll, dann aber erst im Zuge des tatsächli-
chen Verhandlungsprozesses seinen „Realitätstest“ erfährt. Diese Trennung der
beiden Schritte der Strategieentwicklung (1. Eigene Interessenkonstellation, 2.
Szenario-Analyse) ist eine notwendige Methode, um zu einer Erfolg versprechen-
den, tragfähigen und rational begründeten Verhandlungsstrategie zu kommen. Sie
stellt gleichwohl in der Praxis meist eine enorme Hürde dar. Hier wäre es Aufgabe
des Juristen, als Moderator der Verhandlungsvorbereitung durch entsprechende
Fragestellung und Moderationsmethodik dafür zu sorgen, dass die Diskussion und
Absprache der entsprechenden, strategiegeleiteten Vorgehensweise in diesen zwei
sauber voneinander getrennten Schritten vor sich gehen.
Voraussetzung dafür wiederum wäre erstens ein klar definiertes Mandat, das
den Juristen in eben diese Rolle eines mit der Verhandlungsvorbereitung betrau-
ten Moderators bringt, und zweitens der Wille und die methodische Fähigkeit der
Juristen, solch einen Vorbereitungsprozess zu moderieren und dabei die Prinzi-
pien des strategiegeleiteten Verhandelns anzuwenden. In der weit überwiegenden
Anzahl von Rechtsabteilungen in Unternehmen, die ich im Verlauf einer über
zwanzigjährigen Trainings- und Beratungspraxis kennenlernen durfte, mangelte
es an beidem. Meist kam es zu überhaupt keiner ausreichenden Vorbereitung –
und wenn, dann nur in Bezug auf inhaltlichen Aspekte. Kein Wort zu Verhand-
lungsstrategie, -taktik oder -methodik, ganz zu schweigen von einer ordentlichen
Mandatierung des Juristen als Moderator eines Vorbereitungsmeetings und der
Absprache einer professionellen Rollenaufteilung während der Verhandlungs-
führung. Hier könnte in einem Unternehmen mit relativ geringem Aufwand viel
erreicht werden, wenn die Einsicht vorhanden wäre. Wenn also die Interessen-
lage bekannt ist beziehungsweise bestimmt werden kann, lässt sich für jede Partei
eine auf reiner Logik und eben dieser eigenen Interessenlage basierende passende
Strategie ableiten, und zwar unabhängig – zunächst jedenfalls – von der Strategie
der anderen Seite. Ob diese Strategie tatsächlich auch tragfähig ist und mit einer
gewissen Wahrscheinlichkeit ein angestrebtes Verhandlungsziel näher rücken lässt,
zeigt sich allerdings erst später im Laufe des Verhandelns. Dann nämlich, wenn
die Interaktion mit der anderen Seite beginnt und Strategie auf Strategie trifft.
Möglicherweise ist es dann an der Zeit, die zunächst gewählte durch eine aus-
sichtsreichere Strategie zu ersetzen. Diese Möglichkeit ist allerdings keineswegs
Grund genug, um mit überhaupt keiner Strategie auf gut Glück in die Verhandlung
zu gehen.

32.3.4 Typische Verhandlungstaktiken

Die dritte Betrachtungsebene für das Verhandlungsgeschehen ist schließlich die


taktische. Liefert eine Analyse der Interessen der Beteiligten relativ stabile, auch
längerfristig gültige Aussagen (Interessen ändern sich meist nicht so schnell), so
442 M. Heß

bezieht sich die Frage der Verhandlungsstrategien auf einen kürzeren Zeithorizont.
Strategien wählt man in Abhängigkeit von der Interessenlage und sie beschreiben
die grundsätzliche Haltung, die generelle Ausrichtung, mit der man dem Gegen-
über begegnen möchte, um die eigenen Interessen zu verfolgen (offensiv vs.
defensiv, aggressiv vs. kooperativ, starr vs. flexibel etc.). Verhandlungstaktiken
dagegen beschreiben die Gestaltung einer einzelnen Unterredung oder Verhand-
lungsphase: Soll man mit einem Angebot beginnen oder die andere Seite beginnen
lassen? Soll man zunächst noch einmal den Stand der Dinge zusammenfassen oder
die Sicht der anderen Seite sondieren? Soll man das stärkste Argument als Ers-
tes bringen oder mit einem schwächeren beginnen und sich langsam steigern? Soll
man einen Vorschlag per E-Mail vorab bekannt machen oder die andere Seite am
Verhandlungstisch damit überraschen? Das zum Beispiel sind taktische Fragen,
die sich auf relativ kurze Zeiträume beziehen und mit Blick auf die gewählte Stra-
tegie beantwortet werden müssen: Eine Strategie wählt man so, dass sie den Inter-
essen dient, und Taktiken stehen im Dienst einer Strategie.
Verhandlungsratgeber sind gewöhnlich voll von taktischen Ratschlägen, und
die wenigsten davon habe ich jemals einen Legal Counsel in der Praxis unter-
nehmerischer Verhandlungen anwenden sehen oder davon sprechen hören. Mit
Ausnahme vielleicht der altbekannten, aus US-Gangsterfilmen vertrauten Verhör-
methode good cop, bad cop, einer „psychologischen“ Verwirrungstaktik mit dem
Ziel, einen Gesprächspartner, der sich in einer abhängig-unterlegenen Situation
befindet, wie einen festgenommenen Verdächtigen eben, über seine Lage noch
weiter zu verunsichern, ihm somit Angst einzujagen und so zu Geständnissen zu
bewegen. Eine immer wieder „wirksame“ Methode in derartigen Kontexten, die
allerdings auch bereits mit erschreckend großer Häufigkeit zu falschen Geständ-
nissen und nachfolgenden Todesurteilen geführt hat, die labile Verdächtige able-
gen, um der angsteinflößenden Verhörsituation zu entkommen. Ob derartige
Vorgehensweisen zum Erzielen einer tragfähigen Vereinbarung in einem prospekti-
ven Verhandlungskontext geeignet sind, muss in den allermeisten Fällen allerdings
stark bezweifelt werden.

32.3.5 Die Begrüßungs- und Eröffnungsphase

Das Problem bei den Wirkungen aller Taktiken ist, dass sie absolut situationsab-
hängig sind. Ob eine bestimmte Vorgehensweise empfehlenswert erscheint oder
nicht, ob sie eine Partei den angestrebten Zielen näher bringt oder kontraproduktiv
wirkt, liegt niemals an der Taktik an sich, sondern hängt stets vom Kontext ab,
in dem sie angewendet wird. Das, was in einer bestimmten Situation bei einem
bestimmten Verhandlungspartner wirksam war und den angestrebten Zielen näher
gebracht hat, muss in einer anderen Situation – beim gleichen Partner oder in einer
gleichen Situation aber mit einem anderen Partner – längst nicht wirkungsvoll
sein, sondern kann durchaus das Gegenteil des Gewünschten provozieren.
Diese unbedingte Kontextabhängigkeit von taktischen Regeln, empfehlenswer-
ten Vorgehensweisen und Strukturmerkmalen gut geführter Verhandlungen macht
32 Verhandlungstechnik und -führung für Unternehmensjuristen 443

jedem Verhandler zu schaffen; nicht nur Juristen, doch diesen ganz besonders.
Entsteht doch daraus die Erfordernis, eher suchend, forschend, vorsichtig tastend,
ja häufig auch eher „um den heißen Brei herum“ redend, den Gegenstand einer
Verhandlung, mögliche Lösungen und gewünschte Ergebnisse Zug um Zug zu
erschließen oder zu erarbeiten, als fordernd aufzutrumpfen, die eigene Sichtweise
als einzig richtige darzustellen, deren Unumstößlichkeit zu behaupten und dafür
schlagkräftige Argumente, wenn nicht sogar Beweise, zu erbringen. Das Ideal
des Prozessanwalts als glanzvollem Rhetoriker, mutigem Kämpfer, der gelegent-
lich auch einmal mehr riskiert, als dem Laien eigentlich geraten scheint, doch der
dann auch das Rückzugsgefecht beherrscht, den dabei die eine oder andere Wunde
nicht weiter anficht und der dennoch strahlend, selbstgewiss und in diesem Sinne
auf jeden Fall als Sieger die Arena verlässt, dieses Ideal entspricht geradezu dem
Gegenteil dessen, was in prospektiven Verhandlungen gefordert ist: Diplomatie,
Raffinesse, Nachsicht, die Fähigkeit, auch einmal Umwege zu gehen, Sackgas-
sen auszuhalten oder zu erkunden, Geduld, Einfühlungsvermögen, Zuhören, dabei
zwischen den Zeilen lesen können und die richtigen Fragen stellen – also genau
das Wirkungsfeld eines modernen Legal Counsel.

32.3.5.1 Verhandlungstechnik wird nicht beherrscht


Und somit sind wir bei den methodischen Aspekten des Verhandelns angekom-
men, der kleinteiligen Betrachtung des Geschehens am Verhandlungstisch und im
Schriftverkehr. Unter Verhandlungsmethodik versteht man also im Unterschied
zu Strategie und Taktik die Anwendung bestimmter Planungs-, Auswertungs- und
Gesprächsführungsinstrumente bei der Vorbereitung und Durchführung professio-
nell geführter Verhandlungen. Unter den Steuerungsinstrumenten zur Gesprächs-
führung sind dabei auch beispielsweise all die Wirk- und Stilmittel der klassischen
Rhetorik sowie die Gesetze und Prinzipien der Logik zu verstehen, die es einem
Verhandler ermöglichen, zum Beispiel eine starke und wirkungsvolle Argumenta-
tion aufzubauen und vorzubringen. Natürlich lässt sich mit diesen Kompetenzen
alleine kein Verhandlungsziel erreichen, denn was nutzt das beste Instrumenta-
rium, wenn man keine Strategie und keinen Plan dafür hat, die es anzuwenden
gäbe, und kein Ziel, auf das man dabei hin arbeitet? Umgekehrt gilt natürlich aber
ebenso: Was nutzt die beste Strategie, wenn einem die Fähigkeiten und Werkzeuge
dafür fehlen, sie umzusetzen?
Unter der Überschrift „Methodik“ oder „Verhandlungstechnik“ werden also
Fragen behandelt wie: Was unterscheidet eine Behauptung am Verhandlungs-
tisch von einem Beweis? Welche Art von Argumenten gibt es? Welche Regeln der
Logik sind wirksam in der Rhetorik und welche kann man gegebenenfalls auch –
auf welche Weise? – außer Kraft setzen? Wie baut man eine zwingende Argu-
mentationskette auf? Wie beeinflusst man die Emotionen seiner Zuhörer? Welche
unfairen, manipulativen Tricks gibt es und wie erkennt man diese und wehrt sich
dagegen? Auf diesem Feld, so lässt sich sagen, sind typische Prozessanwälte eher
stark. Ihr Geist ist analytisch geschult, die Sprachkompetenz äußerst hoch und die
Waffen sind geschliffen. Zumindest aber entspricht es dem gängigen Ideal, dass
ein Jurist hier stark zu sein habe, und wenn er es (noch) nicht ist, danach streben
444 M. Heß

solle. Für den Erfolg in einer prospektiv geführten Verhandlung bedeuten derlei
Kompetenzen aber meist erst einmal nicht allzu viel. Hier sind ganz andere Fähig-
keiten gefragt.

32.3.5.2 Der Kommunikationsstil ist kontraproduktiv


Der sogenannte „suchend-fragende“ Stil, explorierend, tastend, versuchswei-
ses Sprechen in hingeworfenen Halbsätzen, mehr skizzenhaft, sozusagen „ins
Unreine“ sprechend, Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten abwägend, den
anderen ins Verfertigen der eigenen Gedanken und Formulierungen einbezie-
hend, entspricht in vielen Phasen der Verhandlung viel eher dem Charakter eines
„gemeinsam Such- und Findeprozesses“ als eine auftrumpfend zwingende Über-
wältigungsrhetorik, die bei Gericht durchaus am Platz sein mag und dort die
gewünschte Wirkung entfaltet. Natürlich kann es prinzipiell nie schaden, wenn
Legal Counsels Erfahrungen im argumentativen Gefecht besitzen und über eine
glanzvolle Rhetorik verfügen, die quasi in ihrem sprachlichen „Werkzeugkoffer“
zum Einsatz bereit liegt. Ist dies aber alles, was einer kann, unterliegt er allzu
leicht der Illusion des Mannes, der nur einen Hammer besitzt, und dem deshalb
jedes Problem als Nagel erscheint.
Um eine Lösungssuche sprachlich zu gestalten und dabei vielleicht sogar
eine Atmosphäre von konstruktiver Kreativität zu erzeugen, braucht es den Kon-
junktiv-Modus! „Könnte …“, „Wäre …“, „Würde …“, „Gäbe es vielleicht unter
Umständen eine Möglichkeit hier …“, „Wie ließe sich denn dieses eventuell …“,
„Möglicherweise könnten wir uns in diesem Punkt auch vorstellen …, wenn Sie
Ihrerseits in jenem Punkt …“ – das ist hilfreiche Verhandlungsrhetorik, wenn es
um die prospektive Gestaltung von Vereinbarungen geht! Vorschläge in der Mög-
lichkeitsform aufs Tapet (den sprichwörtlichen grün gedachten Bezug des Konfe-
renztisches, ähnlich der Bespannung eines Spieltisches) zu bringen, und zwar so
spät wie möglich und in jedem Fall erst nach einer gründlichen Sondierung der
Interessenlage. So wahrt man seine Flexibilität und arbeitet sich langsam, Zug um
Zug vorwärts. Häufig wird das angestrebte Ziel dabei längere Zeit quasi spiralför-
mig umkreist, bevor es schließlich getroffen wird. Dazu braucht es Geduld und
die Einsicht, dass es hier um eine höhere Form der Effektivität geht, bei der nicht
Geschwindigkeit, sondern Qualität in Form von Nachhaltigkeit der erzielten (Zwi-
schen-)Ergebnisse auf dem Spiel steht. Hoch professionelle Verhandler zeigen in
solchen Verhandlungsphasen ihre Ausdauer und ihr Können ja häufig durch eine
kunstvolle Art des „um den heißen Brei herum Redens“. Ist etwas denkbar, das
dem höchsten Ideal aller juristischen Bemühungen, nämlich dem um sprachliche
Präzisierung, mehr zuwider läuft?
Als typischer Jurist mag man es gewohnt sein, eigene Positionen auf mög-
lichst sicheren Fundamenten zu errichten, mit stichhaltigen Argumenten zu unter-
füttern und durch möglichst zwingende Argumentationsketten am besten gänzlich
wasserdicht zu machen. Wird eine solche Bastion dann durch die Gegenseite
angegriffen, ist er gerüstet, sie notfalls auch einmal durch waghalsige Bluffs
oder rhetorische Täuschungsmanöver, unter Umständen sogar mit Ausfällen und
Gegenangriffen, in jedem Fall aber „bis zum letzten Blutstropfen“ zu verteidigen.
32 Verhandlungstechnik und -führung für Unternehmensjuristen 445

Positionen, welche die Gegenseite bezieht, werden hingegen gnadenlos an ihren


Schwachstellen attackiert, unterminiert und demontiert. Gefangene werden keine
gemacht. Dieses Kämpfen und Ringen, mit anschließendem Feilschen um Positi-
onen, erschweren und verhindern allerdings in den allermeisten Fällen, in denen
es um prospektive Verhandlungen geht, dass die Parteien sich kreativ bewegen,
und zwar so lange und aufeinander zu, bis eine Einigung gefunden ist. Der typi-
sche Jurist sucht keine Einigung, sondern den Sieg. Dabei muss eine Einigung
ja gar nicht immer Kompromiss bedeuten, auch wenn diese zunächst einmal so
klingt. Mag sein, der eine setzt sich mehr durch. Vielleicht gibt es sogar mehrere
Sieger. Oder das Ganze scheitert. Man weiß es vorher nicht. Eben darum wird ja
verhandelt. Wüsste man es bereits, brauchte man keine Verhandlung. Es sei denn,
um den Schein zu wahren. Für die eigenen Leute zum Beispiel, in deren Auftrag
man „in den Ring“ geschickt wurde. Und das kann wirklich sinnvoll sein, denn
der Maßstab für die Qualität einer Verhandlung ist die anschließend daraus erfol-
gende Handlung. Verhandeln heißt also, sich auf einen ergebnisoffenen Prozess
einzulassen. Dem unvermeidlich damit verbundenen Risiko des möglichen Schei-
terns oder Unterliegens wollen viele – vor allem unerfahrene – Juristen dadurch
begegnen, dass sie versuchen, durch Dominanz von Anfang an Kontrolle auszu-
üben, wo doch gerade das Gegenteil hilfreich wäre.

32.3.6 Die Analyse- und Explorationsphase

Wenn ich nur ein einziges methodisches Defizit benennen dürfte, das mir in all
den Jahren des Coachens und Beratens von Juristen für Verhandlungssituationen
aufgefallen ist und das ein mit Verhandlungen befasster Legal Counsel aus meiner
Sicht als Erstes beheben sollte, so fiele mir die Antwort leicht: Ich würde ohne
auch nur eine Sekunde nachdenken zu müssen einen eklatanten Mangel an profes-
sioneller Fragetechnik beklagen, und für dessen sofortige Beseitigung plädieren.

u Juristen fragen in Verhandlungen in der Regel zu wenig und zu


unsystematisch.

Wir alle werden in dem Bewusstsein und mit dem Leitsatz erzogen „Wer nicht fragt,
bleibt dumm“. In dieser gut gemeinten pädagogischen Botschaft steckt jedoch eine
durchaus weniger positive Bedeutung, nämlich die, dass derjenige, der frage, eben
(noch) dumm sei. Der Frager setzt sich der Gefahr der Gegenfrage aus: „Ach – wis-
sen Sie das nicht?“ oder „Können Sie sich das nicht denken?“ Das ist für gewöhnli-
che Sterbliche schon schwer zu ertragen, doch für Juristen eine schiere Zumutung.
Nicht gänzlich ungern lässt sich der studierte Anwalt ja gelegentlich auch mal aller-
lei charakterliche Mängel anhängen oder attestiert sie sich in fröhlicher Juristen-
runde gleich selbst, sei es eine unüberwindbare Streitlust oder – wenn es sein muss
– auch mal Rechthaberei (sic!) oder Arroganz. Doch dumm sein, das geht gar nicht!
Das hat man schließlich durch die Bewältigung eines der anspruchsvollsten Studi-
enfächer überhaupt bereits bewiesen, in dem die „Einser“-Abschlüsse selten sind
446 M. Heß

wie schwarze Schwäne und eine Promotion als Nachweis zur Befähigung geradezu
übermenschlicher Lern- und Analysekompetenz – sprich: Intelligenz – gelten darf.
Und jetzt etwas nicht wissen oder wenigstens es sich denken können? Wie „unju-
ristisch“ wäre das denn? Doch Informationsgewinnung ist in Verhandlungen nur
eine von mehreren überaus nützlichen Eigenschaften geeigneter Fragen. Geschickte
Fragetechnik ist daher eines der wertvollsten methodischen Instrumente in Verhand-
lungsprozessen, wenn nicht sogar das wertvollste, und jeder Verhandler sollte es
eigentlich meisterhaft beherrschen.
In diesem Zusammenhang kann das nachfolgende Vorgehen zu einer besseren
Fragetechnik führen:

• Informationen gewinnen: Menschen konstruieren ihre eigenen Wirklichkei-


ten und die Illusion, man verstehe einander, nur weil man die gleichen Worte
verwendet, ist weit verbreitet. Auch juristische Definitionen sind keineswegs
immer fassbar und Motive von Verhandlern auf keinen Fall immer selbstver-
ständlich. Sowohl die inhaltliche, als auch die psychologische Ebene einer
Verhandlung profitiert enorm von Fragetechniken, die zur Präzisierung und
Erläuterung bestimmter inhaltlicher und psychologischer Aspekte von Aus-
sagen in professionell geführten Verhandlungen eingesetzt werden. Insbeson-
dere, wenn man im Anschluss an die Antwort das Gehörte dann mit eigenen
Worten zusammenfasst und auf den Punkt bringt. Aber es wird vom Juristen in
aller Regel auch viel zu wenig paraphrasiert und kaum einmal aktiv zugehört.
Daher lautet die methodische Empfehlung für den verhandelnden Legal Coun-
sel: Mithilfe des 4-Satzes, offene Frage, Präzisierungsfrage, geschlossene
Frage und Paraphrase, werden Visionen, Interessen, Strategien, Ziele und
Emotionen der anderen Partei allmählich zum Vorschein gebracht. Lösungs-
orientierte Fragen sind besonders wirkungsvoll, um die Denkmuster, Wün-
sche, Erwartungen und Vorhaben der Gegenseite heraus zu präparieren. Meist
werden hierbei dann auch schon deren Schwachpunkte und Empfindlichkeiten
deutlich.
Jede gut geführte Verhandlung sollte mit einer (wechselseitigen) Explora-
tion und Analyse von Interessen, Absichten, Zielen und Spielräumen beginnen.
Das Ausloten von Prioritäten und die Sondierung von möglichen Bereichen der
Übereinstimmung und der Gegensätze stehen dabei im Mittelpunkt. Die Kunst
des Verhandlers besteht hier darin, möglichst viel in Erfahrung zu bringen und
möglichst wenig von sich preiszugeben. Ein typischer Fehler, den unerfahrene
Verhandler, Juristen wie nicht-Juristen, in dieser Phase oft begehen, ist es, zu
versuchen, bereits Positionen zu sichern, indem bestimmte Themen von vorn-
herein als gesetzt oder vom Verhandlungsgeschehen ausgeschlossen dargestellt
werden. Dies engt den Gesprächsrahmen und die eigene Flexibilität vollkom-
men unnötig ein und hat auf eine Gegenpartei, wenn sie über eben diese The-
men reden möchte, keinerlei Einfluss.
Ebenso sinnlos ist es in aller Regel, mit dem Gegenteil – also irgendwel-
chen Zusagen oder Zugeständnissen – zu beginnen und darauf zu hoffen, dass
sich die andere Seite deshalb ebenfalls entgegenkommend zeigt. ­Verhandlungen
32 Verhandlungstechnik und -führung für Unternehmensjuristen 447

sind kein potlatch (ein Wettbewerb und Fest des Schenkens in der Tradition
nordwest-amerikanischer Indianer), aber auch kein rhetorisches „Armdrü-
cken“ oder „Fingerhakeln“, sondern der Versuch eines Interessenausgleichs
zwischen Verhandlungspartnern, von dem sich beide Seiten einen Vorteil ver-
sprechen. Das in den meisten Konstellationen einzig sinnvolle Vorgehen besteht
daher darin, eben diese Interessen zunächst einmal wechselseitig auszuloten
und anschließend in einen gemeinsamen Such- und Findeprozess einzustei-
gen, der dazu dient, ein eventuell mögliches Optimum zu finden. Die Methode,
diesen Prozess zu betreiben, ist eben das Fragenstellen in Verbindung mit akti-
vem Zuhören im suchenden Stil. Von eher unerfahrenen Verhandlern wird dies
oft verwechselt mit einem Aufgeben der eigenen Ziele und Interessen, dabei
bedeutet es lediglich, diese zwar fest im Blick zu haben, aber nicht vor sich her
zu tragen. Man muss beharrlich sein im Verfolgen der Ziele aber flexibel bei
der Suche des Weges dorthin.
• Aufmerksamkeit lenken: Fragen sind in ihrer Wirkung in Gesprächen nun
aber keineswegs schlichte, „unschuldige“, quasi neutrale Bitten um Informa-
tion, sondern Fragen transportieren auch etwas, werfen Themen auf, wirken als
Weichenstellungen und lenken die Aufmerksamkeit in die jeweils gewünschte
Richtung. Sie sind damit das bedeutsamste sprachliche Werkzeug, wenn es um
die Steuerung und Beeinflussung eines Gesprächsverlaufs geht. Es gilt der Satz:
Wer fragt, führt. Doch wohin?
Die menschliche Aufmerksamkeitsspanne umfasst eine Datenmenge von
maximal 100 Bit pro Sekunde.3 Das ist recht wenig und entspricht aller höchs-
tens etwa zehn einzelnen Informationspartikeln, derer man sich in einer
Sekunde bewusst werden kann. Allein durch die Nervenbahnen wird das
Gehirn aber gleichzeitig mit mehr als 100 Megabyte pro Sekunde aus der
Außenwelt versorgt4 und noch einmal ein Vielfaches davon wird zusätzlich
intern in Gedächtnisspeichern und allerlei emotionalen Verarbeitungszentren
erzeugt. Es gibt also jederzeit eine schier unermessliche Menge an Informatio-
nen, derer man sich bewusst sein könnte, aber mit nur einem winzigen Bruch-
teil davon befassen wir uns tatsächlich. Der füllt uns in diesem einen Moment
„Jetzt“ vollständig aus, den halten wir für relevant, der ist für uns die Welt und
er wird durch die Worte anderer Menschen, mit denen wir kommunizieren,
bestimmt. Ob wir wollen oder nicht: Worte unserer Sprache, die wir hören
oder lesen, rufen Vorstellungen hervor. Dabei sind die Worte alleine wirksam,
nicht der Satzbau oder die Absicht des Sprechers: Denken Sie einmal nicht an
ein weißes Kaninchen.
Erfahrene Verhandler sind sich dieses suggestiven Potenzials der Sprache
stets bewusst. Insbesondere dann, wenn sie Fragen stellen. Fragen sind die
geschickteste, weil indirekteste Art der Aufmerksamkeitslenkung und haben

3Legewie, Ehlers (1972, S. 66).


4Spitzer (2002, S. 172).
448 M. Heß

damit verdeckt unmittelbaren Einfluss auf das Denken und die Fantasie des
Verhandlungspartners. Inhaltlich macht es kaum einen Unterschied, ob man
danach fragt, warum etwas nicht akzeptabel erscheint, oder danach, was akzep-
tabel wäre. Im Kopf des Gegenübers jedoch entstehen andere Vorstellungen.
Im einen Fall werden Fantasien des Scheiterns erzeugt, im anderen solche des
Gelingens. Die Wirkung ist subtil und sicherlich nicht alleine entscheidend,
doch sind sich exzellente Verhandler vor allem auch der Auswirkungen auf ihr
Gegenüber im emotionalen Bereich bewusst, die eine lösungsorientiert geführte
Verhandlung im Unterschied zur problemorientierten hat. Erstere erlebt man
typischerweise eher als konstruktiv.
• Flexibilität und Initiative erhalten: Bei Verhandlungen kommt es weniger
darauf an, wer das erste – sondern eher wer das letzte Wort hat. Für zahlreiche
von Hierarchie geprägte Entscheidungssituationen gilt ja auch: Wer das Sagen
hat, wird als Letzter sprechen. Eine kluge Führungsperson hört sich zunächst
an, was die anderen meinen oder wollen; wägt ab, denkt nach, bildet sich ein
Urteil und spricht dann. Wer in Verhandlungen vorprescht, setzt sich dem Urteil
der anderen aus, macht sich angreifbar und gibt die Initiative aus der Hand.
Nun kann sich die andere Seite dazu positionieren, wie es ihr beliebt. Erfah-
rene Verhandler tun das genau nicht, sondern behalten ihre Karten vorerst auf
der Hand, während sie versuchen, mehr über die Gegenseite in Erfahrung zu
bringen. Denn die eigene Auffassung als Zweiter ins Verhandlungsgeschehen
einbringen zu können, birgt einen klaren taktischen Vorteil: Wenn die Posi-
tion der anderen Seite bekannt ist, kann man sich entscheiden, wie man sich
dazu stellen möchte. Man kann zustimmen oder ablehnen, teilweise zustimmen
oder teilweise ablehnen, Gegenforderungen oder Ergänzungen benennen, mög-
licherweise sogar die Fortführung der Verhandlung ablehnen, bis bestimmte
Bedingungen erfüllt sind. Wie auch immer – man behält jedenfalls das Heft des
Handelns in der Hand. Die so bewahrte Flexibilität ist eine wertvolle Ressource
in nahezu allen Verhandlungssituationen.
Wird man von der Gegenseite jedoch bereits zu Beginn aufgefordert, die
Karten auf den Tisch zu legen, so kann darauf – je nach Kontext, Thema, Ver-
handlungspartner, Beziehung, Strategie etc. – unterschiedlich reagiert werden:
Von einem spontanen, lauten Auflachen, das dem anderen signalisiert, man
habe das als gelungenen Scherz verstanden, über ein neugieriges „Warum?“,
respektive das Stellen einer Gegenfrage „Bevor ich Ihnen antworte, darf ich
Ihnen ein paar Fragen zu (…) stellen?“, bis zum „OK. Hier sind unsere Vorstel-
lungen …“ kann alles „richtig“ sein.
• Kooperationsbereitschaft signalisieren: Gelungene Verhandlungen sind
immer auch Emotionsmanagement. Für typische Juristen wie auch für andere
Verhandler, denen eine starke Orientierung an Rationalität und Logik nachge-
sagt wird oder die selbst an einem derartigen Image interessiert sind, zählen
Emotionen zu den Störfaktoren professioneller Interaktion und gehören nicht
an den Verhandlungstisch. Gleichwohl sind sie eine unabwendbare psychologi-
sche Realität, und nach heutigem Stand der neurologischen Forschung sogar
notwendige Vorbedingung bei der Erzeugung des menschlichen Bewusstseins
32 Verhandlungstechnik und -führung für Unternehmensjuristen 449

überhaupt. Menschen, bei denen sie aufgrund verschiedenster Umstände ausge-


schaltet sind, sind bewusstlos. Wachsein, Wahrnehmen, Denken, Handeln und
Entscheiden, wie es am Verhandlungstisch gefordert ist, funktionieren nur in
notwendiger Abhängigkeit und auf der Grundlage emotionaler Prozesse; mögen
diese nun bewusst oder unbewusst sein, auffällig oder unauffällig, wahrnehm-
bar oder nicht.5 Wer verhandelt, kann ihnen nicht entkommen, sondern muss
sich um sie kümmern, will er nicht deren Opfer werden. Appelle wie „Lassen
Sie uns das doch einmal ganz un-emotional betrachten“, wirken dabei oft
unfreiwillig komisch oder provokativ. Aussagen wie „Ich sehe das ganz emoti-
onslos“, mögen vielleicht in einem metaphorischen Sinne gemeint sein; nimmt
man sie aber wörtlich, sind sie schlicht falsch. Es ist niemals die Frage, ob ein
Mensch Emotionen hat oder nicht, sondern stets nur welche.
Emotionsmanagement ist Voraussetzung allen zivilisierten Verhaltens. Die
Fähigkeit des Menschen zu verhandeln und Vereinbarungen zu treffen, selbst
in Situationen äußerster Interessengegensätze und mächtiger Emotionen, ist
eine Zivilisations- und Kulturleistung sondergleichen und in ihrer sozialen
Bedeutung und ihrem Nutzen für die Menschheit der Entwicklung des Acker-
baus oder der modernen Medizin gleichzusetzen. Spektakuläre Erfolge der
Verhandlungskunst in jüngerer Zeit wären vor hundert oder gar zweihundert
Jahren völlig undenkbar gewesen, und zwar wegen des Mangels an Wissen
und Werkzeugen zur Verhandlungsführung. Die Kunst der Diplomatie entwi-
ckelt sich jedoch immer weiter. Deren Kern bildet das Verhandlungswissen zum
Umgang mit schwierigen negativen Emotionen wie Wut, Angst, Trauer und
Verachtung in all ihren Spielarten von Stolz, Ehrgefühl, nationaler, kultureller
und religiöser Identität sowie knallharten, materiellen Aspekten wie auch vor
allem Machtinteressen. Dies ist das wichtigste und wertvollste, was Verhand-
lungskompetenz für uns alle bedeutet: Negative Emotionen im Zaum halten zu
können. Ansonsten gibt es keine Einigung und keine Absprache, die auch nur
das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben stehen. Das war beileibe nicht
immer so. Noch im amerikanischen Bürgerkrieg wurden manche Verhandlun-
gen über Flüsse hinweg geführt. Ich habe einmal die Geschichte gehört, wie
im Mittelalter ein Fürst zum Zwecke der Friedensverhandlungen zwischen zwei
angrenzenden Fürstentümern – von deren Krieg er den Schaden hatte und die
er darum in seiner Burg anberaumt hatte – zwei große Holzkäfige bauen ließ,
in welche die beiden Delegationen der zerstrittenen Häuser eingesperrt werden
mussten, während sie sich durch die Gitterstäbe hindurch ihre Forderungen und
Vorschläge zuriefen.
Emotionen in Verhandlungen können nicht ausgeschaltet, wohl aber beein-
flusst werden. Dies als hilfreich – ja notwendig – für die sinnvolle Lösungs-
suche in prospektiven Verhandlungen anzuerkennen und auch nach dieser
Einsicht zu handeln, wird von „typischen“ Juristen ohne die notwendige Aus-
bildung und Erfahrung eher selten gesehen.

5Vgl. Damasio (2002, S. 1 ff.).


450 M. Heß

32.3.7 Angebote und Vorschläge

u Typische Juristen kümmern sich zu wenig um Emotionen.

Kommunikation in Verhandlungen, sei es per Medien oder im persönlichen Kon-


takt, ist alles andere als bloßer Transport von Informationen. Streng genommen
können Informationen auch gar nicht in diesem Sinne transportiert werden, wie
etwa Gegenstände oder Menschen. Was allenfalls gesendet und empfangen, und
mithin transportiert, wird, sind stets nur Zeichen, Signale und Daten, doch was
diese eigentlich erst zu Informationen macht, ihre Bedeutung nämlich, steckt nicht
in ihnen drin. Bedeutung wird nicht gesendet, nicht transportiert und nicht empfan-
gen, sondern verliehen, gegeben und von demjenigen „hinein“-interpretiert, der sie
empfängt. Dies wird zum Beispiel deutlich in dem im Guinness-Buch der Rekorde
zitierten „Kürzesten Briefwechsel der Welt“, als 1862 der französische Autor Vic-
tor Hugo nach Erscheinen seines neusten Buches aus dem Ausland nach Paris an
seinen Verleger schrieb: „?“ Worauf hin dieser ihm folgerichtig antwortete: „!“.6
Soll Kommunikation in Verhandlungen gelingen, muss der Absender eben
nicht nur an sich selbst, sondern auch daran denken, was der Empfänger mögli-
cherweise im Kopf hat. Bedeutung entsteht immer nur aus dem Zusammenhang,
kann also nicht hinterlegt werden, sondern wird einer Botschaft vom Empfänger
erst gegeben (siehe dazu detailliert Kap. 31). Die Illusion, dass gleiche Worte auch
gleiche Bedeutung transportieren, führt im Alltag dazu, dass permanent und quasi
als Normalfall aneinander vorbeigeredet wird. Dies fällt aber weder besonders auf,
noch verursacht es große Probleme, kann aber am Verhandlungstisch fatale Kon-
sequenzen haben. In gewissem Sinne gibt es ja gerade deshalb auch den Beruf des
Juristen; denn sprächen die Worte für sich selbst, bräuchte man niemanden, der sie
interpretiert. Doch gerade die Sorgfalt, die ihn bei der Erstellung eines Schriftsat-
zes dazu nötigt, jedes – auch eigene – Wort auf die sprichwörtliche Goldwaage zu
legen, lässt der typische Jurist im mündlichen Verhandlungsgeschehen leider allzu
oft vermissen oder beschränkt es auf die inhaltlichen Aspekte des Geschehens, als
ginge es stets nur um die Sachpositionen, und nicht um die Menschen, die sie ver-
handeln. In diesem Sinne kümmert er sich in der Regel zu wenig um Emotionen.
Missverstehen ist in der menschlichen Kommunikation häufig und geschieht
ganz von selbst. Verständigung dagegen erfordert Aufwand und hängt von den
Interpretationen der Empfänger ab. Gelingende Kommunikation ist deshalb stets
in einem hohen Maß auf das Wohlwollen des jeweiligen Empfängers angewiesen.
Kommt dieses abhanden, liegt eine Kommunikationsstörung vor, und die Verstän-
digung funktioniert nicht mehr richtig. Das sehen Juristen häufig anders. Für sie ist
fehlendes Wohlwollen auf Seiten von Kommunikationspartnern – und mithin der
Konflikt (siehe dazu detailliert Kap. 33) – ja auch keine Störung, die es zunächst
zu beheben gilt, bevor Verständigung oder gar Verständnis erreicht werden kann,

6Nørretranders (2000, S. 147).


32 Verhandlungstechnik und -führung für Unternehmensjuristen 451

sondern geradezu der Normalfall einer juristischen Verhandlungssituation. So


sehen sie in der Regel auch nicht die Notwendigkeit eines Emotionsmanagements,
um solche Konflikte zunächst zu entschärfen, bevor die (gemeinsame) Lösungssu-
che inhaltlich weiter vorangetrieben werden kann oder gar von Anfang an dafür zu
sorgen, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Konflikt eintritt und das Wohl-
wollen abhanden geht, grundlegend zu reduzieren. Das taktische und methodische
Arsenal professioneller Verhandlungskommunikation im Bereich Emotionsma-
nagement und Stimmungssteuerung wird vom typischen Juristen nicht nur nicht
gekannt, nicht beherrscht und somit auch nicht angewendet, sondern aus Unver-
ständnis nicht selten sogar abgewertet und mit Attributen wie „Zeitverschwen-
dung“, „unnützes Gehabe“ oder „Spielchen“ versehen.
Der typische Jurist neigt nicht zur Umschreibung. Ausbildung und der Kontext
juristischer Tätigkeit erziehen und prägen ihn vielmehr vor allem in Richtung des
Gegenteils, nämlich Prägnanz und Präzision. Der „treffende“ Ausdruck ist, nach-
dem er zu streben gelernt hat. Genauigkeit und Schärfe sollen seine Sprache aus-
zeichnen und sprachliche Eleganz zeigt sich dabei vor allem in ihrer Kürze. Alles
Unnütze, Ausschmückende, inhaltlich nichts Beitragende ist ihm Geschwafel und
ein Gräuel. Doch gerade das zeichnet wiederum den Diplomaten aus. Wer nicht
nur formuliert, um eigene Gedanken, Anliegen, Vorschläge oder Argumente in
möglichst treffende Worte zu fassen, sondern auch die emotionale Wirkung auf
das Gegenüber im Blick hat, verwendet am Verhandlungstisch mitunter eher vor-
sichtig-tastende, oft umschreibende Andeutungen, wenn es um für den anderen
empfindliche Themen geht. Hierbei handelt es sich um eine der wichtigsten rheto-
rischen Figur der Diplomatensprache: Die gezielte Deeskalation per Euphemismus.
Der typische Jurist neigt selten zur Untertreibung. Vielmehr ist es Sinn und
Zweck der Jurisprudenz, Texte systematisch begrifflich zu durchdringen und dabei
die Dinge „auf den Punkt“ zu bringen. Wer juristisch sauber arbeitet, muss „die
Dinge beim Namen nennen“, um die es geht, und nicht drum herum reden; gerade
auch bei empfindlichen Themen. Gleichzeitig weiß und erkennt der Jurist, dass
genau diese Formulierung wörtlich genommen in die Irre führt. Sie klingt, als hät-
ten „die Dinge“ einen Namen, den es zu nennen gälte. Doch wahr ist: Die Dinge
„haben“ keinen Namen als Eigenschaft wie etwa Farbe und Gewicht, sondern sie
erhalten einen durch den Menschen. Und darum eben gibt es Juristen. Sie sind die
Experten der Namensgebung und in dieser Fähigkeit wie Adam, der erste Mensch
(in christlich-jüdischer Überlieferung nach 1. Mose 2:20), von Gott selbst dazu
ermächtigt, allen Dingen einen Namen zu geben. Im Koran heißt es interessan-
terweise im Unterschied dazu in Sure 2,31, dass Gott Adam den richtigen Namen
der Dinge lehrte. Ist etwas „angemessen“ oder „unangemessen“? War es „zeitnah“
oder nicht? Handelt es sich um „Mord“ oder „Totschlag“? Wie Juristen Dinge
benennen, kann weitestreichende Folgen haben. Ob ein Rebell als „Terrorist“ oder
„Freiheitskämpfer“ bezeichnet wird, hängt bekanntermaßen nur davon ab, auf wel-
cher Seite man steht. Und am Verhandlungstisch – so muss man ergänzen – auch
davon, welche Wirkung man bei der Gegenpartei erzielen möchte. Der Diplomat
bemüht sich stets, die Wahrheit zu sagen, hält dabei aber den „Ball“ rhetorisch so
„flach“, dass keine Provokation daraus resultiert.
452 M. Heß

Eine gezielte Provokation verfolgt dagegen die Absicht, bei anderen Gefühls-
wallungen hervorzurufen und bei Verhandlern, die sich dieses Instrumentari-
ums bedienen, steht dahinter die Hoffnung oder das Kalkül, sich einen Vorteil zu
verschaffen. Sei es, dass die Gegenpartei darauf hin emotional vernebelten Sin-
nes leichtfertig Dinge preisgibt oder etwas tut, das zu ihrem Nachteil gereicht.
Sie kann sich auch durch Unbeherrschtheit blamieren und „das Gesicht verlie-
ren“, also Ansehen einbüßen. Solches Vorgehen ist riskant. Es birgt die Gefahr
des Scheiterns der Verhandlung. Natürlich sind zahllose Verhandlungssituationen
denkbar, in denen es von Vorteil für die provozierende Partei sein kann, wenn die
Verhandlung scheitert und die Verantwortung dafür bei der Partei gesehen wer-
den kann, die sich provozieren ließ und die Verhandlung abgebrochen hat. Wenn
es aber, wie in den allermeisten und gerade auch den typischen Verhandlungssi-
tuationen, so ist, dass eine Einigung auf dem Verhandlungswege tatsächlich für
beide Parteien besser wäre als keine Vereinbarung, dann sind emotional bedingte
Kontrollverluste als Verhandlungsunfall zu betrachten und zu vermeiden. Provo-
kationen scheiden somit als taktisches Mittel aus. Vielmehr muss man sich um das
Gegenteil bemühen, und nicht nur die absichtlichen, sondern auch die unabsicht-
lichen Provokationen zu vermeiden suchen. Auch das, was gar nicht provozierend
gemeint ist, aber dennoch provozieren könnte, gilt es zu vermeiden. Professionelle
Verhandler verhandeln stets gesichtswahrend.

32.3.8 Das Spannungsfeld zwischen Direktheit und


Diplomatie

Ob etwas in einer Verhandlung als blamabel erlebt wird oder nicht, wird sehr
stark vom kulturellen Kontext beeinflusst, der die Verhandler geprägt hat. Je zivi-
lisierter eine Gesellschaft, desto mehr Regeln und Vorschriften für angemessenes
Verhalten gibt es in ihr und desto klarer und zahlreicher die Normen dazu, wie
man sich in bestimmten gesellschaftlichen Situationen zu fühlen und zu verhal-
ten hat. Je höher entwickelt eine Kultur, je kultivierter das Verhalten deren Mit-
glieder, desto mehr Regelbrüche sind möglich und desto höher auch das generelle
Risiko, einen Gesichtsverlust zu erleiden. In solchen Umfeldern sind gleichzeitig
die Traditionen der gegenseitigen Rücksichtnahme, Vorsicht und Zurückhaltung
im kommunikativen Kontakt besonders ausgeprägt. So wird es im asiatischen Ver-
handlungskontext meist bereits als Gesichtsverlust erlebt, den Verhandlungspart-
ner zu einem klaren „Nein“ zu veranlassen (siehe dazu auch Kap. 7). Wer das tut,
blamiert sich, indem er zeigt, dass er etwas vorgeschlagen hat, ohne sich vorher
in den anderen hineinzuversetzen. Da dieser aber wiederum dem Anderen keinen
solchen Gesichtsverlust bereiten möchte – das wäre für ihn ein Gesichtsverlust –,
wird er, wenn er einen Vorschlag ablehnt, niemals das klare „Nein“ verwenden,
sondern es verklausulieren, zum Beispiel in der Formel „wir werden darüber nach-
denken“. Diese muss von der Gegenseite jedoch als „Nein“ verstanden werden,
und nicht etwa als „vielleicht“, will man mit asiatischen Verhandlungspartnern
nicht permanent in die Irre laufen.
32 Verhandlungstechnik und -führung für Unternehmensjuristen 453

Solcherart kulturelle Prägungen werden durch die Muttersprache vermittelt und


sind im Wertesystem eines Menschen tief verwurzelt. Sie werden quasi „mit der
Muttermilch“ verinnerlicht. Sie formen und bestimmen seine Wahrnehmungen
und Bewertungen, sein Denken und Fühlen über das Verhalten anderer Menschen
grundlegend. Das Ergebnis dieses Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesses ent-
zieht sich daher vollkommen einer rationalen Kontrolle und äußert sich am Ver-
handlungstisch direkt als Störgefühl oder darin, nicht „einer Wellenlänge“ zu sein,
„Antipathie“ oder „Sympathie“ zu verspüren oder darin „schlechtes Bauchge-
fühl“ oder „gutes Bauchgefühl“ zu haben. Verhandler mit einer Prägung aus dem
deutschsprachigen Wirtschaftsraum werden im internationalen Vergleich meist
eher als „direkt“, „unverblümt“ und „hart“ wahrgenommen, während am ande-
ren Ende der Skala der asiatische Wirtschaftsraum gesehen wird. Innerhalb des
deutschsprachigen Raumes sind es dann wiederum die Juristen, denen besondere
Direktheit zugeschrieben wird, im Unterschied zu allen Sozialberufen am anderen
Ende des Spektrums.

32.3.9 Diskussion und Lösungssuche

Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Erkenntnis, dass es sich bei all diesen
Attributen lediglich um Zuschreibungen durch andere handelt, die die Wirkung
des jeweiligen Verhandlungsstils auf sie selbst (auf dem Hintergrund des jewei-
ligen Kontextes) bezeichnen und nicht etwa um Eigenschaften eben dieses Stils
oder gar des Verhandlers, der ihn pflegt. Alles, was in dieser Hinsicht gesagt wird,
wird von Beobachtern gesagt und bezeichnet deren Bewertung; andere Beobachter
werten und benennen anders.
Was das eigene Gefühlsleben angeht, sollte ein professioneller Verhandler
natürlich stets gelassen, freundlich und höflich bleiben können, selbst wenn er bei
Verhandlungen unter großem Druck steht oder es mit sehr emotional agierenden
Verhandlungspartnern zu tun hat. Durch gelegentlich dosierte Lockerung der emo-
tionalen Kontrolle lässt er auch hin und wieder authentische Gefühle erkennen und
macht sich kurzzeitig transparent. Das ist psychologisch weit wirkungsvoller als
ein dauerndes poker face. Zum Beispiel bringt es nichts, bei wiederholten Provo-
kationen der Gegenseite, die einen ärgern, so zu tun, als habe man nichts gehört
und als sei das alles völlig normal. Hier wäre es in den meisten Fällen besser, den
eigenen Ärger in angemessener, authentischer, aber beherrschter Weise durch-
scheinen zu lassen und ihm „im Sonntagsanzug“ Ausdruck zu geben. Die meisten
Juristen haben in ihrer Ausbildung selten etwas über den Einsatz von Meta-Kom-
munikation oder anderen rhetorischen respektive dialektischen Methoden zur
Beeinflussung eigener oder fremder Emotionen gehört. Doch auch ohne dieses
eher fortgeschrittene Instrumentarium aus dem Werkzeugkoffer der Verhandlungs-
methodik wäre in vielen Fällen schon durch einen vernünftigen, taktischen Aufbau
der Verhandlung mithilfe entsprechender Szenarien viel gewonnen. Manch sinn-
lose und Zeit sowie Nerven kostende Eskalationen könnten so vermieden wer-
den; der Effizienzgewinn wäre beträchtlich. Man müsste die Emotionen „auf dem
454 M. Heß

Schirm“ haben und nicht versuchen, sie einfach auszublenden, zu ignorieren oder
zu exkommunizieren!
Emotionen sind kein mehr oder weniger schmückendes Beiwerk für inhaltliche
Kommunikation. Das limbische System im Gehirn, in dem sie entstehen, ist viel-
mehr maßgeblich am Konstruktionsprozess dessen beteiligt, das wir als Bewusst-
sein und Wirklichkeit erleben.7 Emotionen wirken entscheidend daran mit, ob wir
ein Verhandlungsergebnis für fair oder einen Kompromiss für tragfähig bezie-
hungsweise erträglich halten. Also: Starten Sie am besten mit einer ausführlichen
informellen Phase und lockerem warming-up. Überlegen Sie sich passende Fragen
für den Small Talk. Sprechen Sie gegebenenfalls auch einmal vermutete Emotio-
nen auf der Gegenseite an – und wahrgenommene Gefühle auf der eigenen. Erken-
nen Sie starke Diskrepanzen in Körpersprache, Lautstärke, Sprechtempo,
Wortwahl usw. zwischen den Parteien? Ist das Klima insgesamt allzu rau gewor-
den, signalisiert das Klärungsbedarf auf der psychologischen oder atmosphäri-
schen Ebene. Ohne entsprechende Metakommunikation geht es dann inhaltlich
meist nur schleppend oder gar nicht mehr weiter. Manchmal kann dann eine
Unterbrechung bereits hilfreich sein. Handelt es sich jedoch um echte Konflikte,
bedarf dies der Thematisierung, Klärung und eventuell Vereinbarung über die wei-
tere Behandlung des Themas, um weiter zu kommen.

32.3.10 Vereinbarung und Abschluss

Abschließend lässt sich sagen, dass der typische Unternehmensjurist aufgrund sei-
ner Ausbildung, seiner Position, seines Aufgabenfeldes und seiner Rollenzuschrei-
bung durch andere als Verhandler für sein Unternehmen in hohem Maße geeignet
und auch gefordert erscheint, wenn er entsprechend ausgebildet und erfahren ist.
Das Verhandeln gehört eigentlich zu seinen ureigenen Aufgaben und ist bei einer
Vielzahl der durch ihn zu lösenden Probleme auch die geeignetste Methode. Bei
den wichtigsten externen Verhandlungen, in denen sein Unternehmen durch ganze
Verhandlerteams oder Delegationen gegenüber Kunden oder Lieferanten, Schwes-
tergesellschaften, Ämtern oder Behörden vertreten werden muss, ist er geradezu
prädestiniert dafür, die Rolle des Verhandlungsführers einzunehmen. Dazu braucht
es allerdings in jedem Einzelfall die klare Mandatierung durch den verantwortli-
chen Executive, die klare Absprache während einer intensiven und genügend
langen Vorbereitungsphase darüber, wie diese Rollenaufteilung im Verhandlungs-
geschehen in Erscheinung treten soll, und last but not least: Eine gründliche und
systematische Aneignung des verhandlungsmethodischen Rüstzeugs in Bezug auf
Strategie, Taktik und Methodik. Das juristische Studium alleine befähigt ihn noch
nicht dazu, sondern legt im Gegenteil sogar etliche Fallstricke in Form von für das
prospektive Verhandeln eher ungünstigen Prägungen in Denk- und Wahrnehmungs-
gewohnheiten aus. Werden diese aber verstanden und durch brauchbarere ersetzt,

7Vgl. Damasio (2002, S. 1 ff.).


32 Verhandlungstechnik und -führung für Unternehmensjuristen 455

fehlt dann nur noch die letzte und vielleicht gewichtigste Zutat, die einen besonders
erfolgreichen Verhandler ausmacht und die sich – was tröstend sein mag – mit der
Zeit ganz von selbst einstellt: Erfahrung.

Literatur
Damasio AR (2002) Ich fühle, also bin ich: Die Entschlüsselung des Bewusstseins. List,
München
Drosdowski G (1997) Duden – Etymologie, Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, 2.
Aufl. Dudenverlag, Mannheim
Legewie H, Ehlers W (1972) Knaurs moderne Psychologie. Droemer Knaur, München
Nørretranders T (2000) Spüre die Welt, 3. Aufl. Rowohlt, Reinbek
Spitzer M (2002) Musik im Kopf. Schattauer, Stuttgart
Williams G (1983) Legal negotiations and settlement. West, St. Paul

Über den Autor


Martin Heß – Diplompsychologe S.T.E.P. – Training und Coaching, Butzbach
Ausbildung als Bankkaufmann und Diplompsychologe in klinischer sowie Arbeits- und Orga-
nisationspsychologie. Mehr als 20 Jahre Erfahrung als Management- und Verhandlungstrainer.
Zahlreiche Aus- und Weiterbildungen im Bereich der systemischen Psychologie, des Konfliktma-
nagements und der Kommunikation. Als Verhandlungscoach und -berater war Martin Heß u.a.
beteiligt im Bereich des „Bankenrettungsschirms“ FMSA und „Stuttgart 21“. Von den Top 10
der internationalen Wirtschaftskanzleien zählen 3 zu seinen Kunden. Außerdem haben zahlreiche
Rechtsabteilungen mittlerer und größerer Firmen bereits seine Dienste in Anspruch genommen
und professionelle Verhandlertrainings für ihre Juristen durchgeführt.
Konfliktmanagement für
Unternehmensjuristen 33
Markus J. Fischer

33.1 Einleitung, Begriffe und Definitionen

Konflikte sind Teil des Zusammenlebens und jeglicher Zusammenarbeit. Innerhalb


von Rechtsabteilungen ist vor allem der General Counsel – aber auch die Legal
Counsels in ihren Verantwortungsbereichen – mit Konflikten auf verschiedenen
Ebenen konfrontiert. Den juristischen Interessenvertretern eines Unternehmens
obliegt es, den Verlauf von (möglichen) Konflikten zu steuern, Schaden abzu-
wenden oder eine Position im Sinne des Unternehmens – letztlich auf juristischer
Ebene – durchzusetzen. Für kaum einen anderen Berufsstand gestaltet sich das
Konfliktmanagement so vielschichtig und anforderungsreich wie für Mitarbeitende
im juristischen Umfeld:

• Vertretung der Interessen des eigenen Unternehmens gegenüber Dritten, wie


Kunden, Lieferanten, Behörden, Regulatoren etc.;
• Vertretung von Interessen innerhalb des Unternehmens durch die Erstellung
von Richtlinien, Mustervorlagen, Rechtsberatung für Management, Verkauf,
Personal, Beschaffung etc.;
• Interaktion in der eigenen Organisationseinheit, gegenüber Partnereinheiten im
eigenen Unternehmen und mit vorgesetzten Stellen.

General und Legal Counsels sind innerhalb der „Legal Operations“ in beson-
derem Maße oft mit Fragen rund um die Konfliktentstehung und Konfliktbe-
wältigung konfrontiert. Darüber hinaus nimmt diese Berufsgruppe eine
Vorbildfunktion im Umgang mit Konfliktsituationen ein. Das Umfeld stellt in

M.J. Fischer (*)


Riehen/Basel, Schweiz
E-Mail: fischer@cc-consulting.ag

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 457


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_33
458 M.J. Fischer

Bezug auf das professionelle Konfliktverhalten implizit höhere Anforderungen.


Zweifelsohne sind persönliche Eigenschaften wie soziale Kompetenz maßgebend
in Bezug auf die Konfliktsouveränität. Neben Seniorität und Lebenserfahrung
sind hier Sozialisation, Empathie und Persönlichkeit die entscheidenden Ein-
flussfaktoren. Der konstruktive – und somit erfolgreiche – Umgang mit Konflik-
ten ist darüber hinaus lernbar. Voraussetzung dafür ist, sich der Entstehung und
des Wesens von Konflikten bewusst zu sein – vor allem in Bezug auf emotionale
Aspekte. Dies, um sich in die Lage zu versetzen, Konflikte sachlich und aus über-
geordneter Perspektive betrachten und steuern zu können.

33.1.1 Was ist ein Konflikt?

Von einem Konflikt (von lateinisch confligere, „zusammentreffen, kämpfen“)


spricht man, wenn Interessen, Zielsetzungen oder Wertvorstellungen von Perso-
nen, gesellschaftlichen Gruppen, Organisationen oder Staaten miteinander unver-
einbar sind oder unvereinbar erscheinen (Intergruppenkonflikt). Dabei lässt sich
zwischen der Konfliktstruktur, den Konflikt begleitenden Gefühlen (zum Beispiel
Wut) und dem konkreten Konfliktverhalten (zum Beispiel verbale oder tätliche
Aggression) unterscheiden. Idealtypisch lassen sich somit bei einem Konflikt drei
Komponenten ausmachen:

• Es besteht ein Widerspruch, das heißt eine Unvereinbarkeit von Zielen, Interes-
sen, Bedürfnissen, Werten oder Glaubenssätzen zwischen den Konfliktparteien.
• Es erwächst ein, den Konflikt anzeigendes und allzu oft verschärfendes, Verhal-
ten in Ausprägung von Konkurrenz, Aggression, Hass, Gewalt, Vermeidung etc.
zwischen den Konfliktparteien.
• Es entsteht eine auf den Konflikt bezogene und diesen – bewusst oder unbe-
wusst – rechtfertigende Einstellung/Haltung der Konfliktparteien. Diese ist eng
mit deren Wahrnehmungen und Annahmen in Bezug auf ihre eigene Stellung
im Konflikt verbunden.

33.1.2 Betriebsinterne Ressourcenbindung und Kosten


aufgrund von Konflikten

Gemeinhin werden Kosten-, Ressourcen- und Zeitaufwand zur Bewältigung von


Konflikten in Unternehmen (betriebsintern wie betriebsextern) stark unterschätzt.
Gemäß einer Studie von CPP Inc., Sunnyvale/Kalifornien1, erzeugen Konflikte
hohe Opportunitätskosten:

1CPP Inc. (2008, S. 3).


33 Konfliktmanagement für Unternehmensjuristen 459

Tab. 33.1  Negative und positive Aspekte von Konflikten


Negative Aspekte aus Konflikten Positive Aspekte aus Konflikten
1. Instabilität und Verwirrung 1. Entwicklung neuer Energien und Aktivitäten
2. Stress, Burn-out und Unzufriedenheit 2. Stimulation neuer Ideen und „Antreiber“
3. Störungen in Prozessen und beim 3. Überdenken der eigenen Standpunkte
Betriebsklima 4. Schaffung von Klarheit und Ausrichtung
4. Störungen in Kommunikation, Führung 5. Stabilisierung von Balance
und Zusammenarbeit 6. Abbau von Spannungen und „Energiefressern“
5. Verschwendung von Emotionalität

• 56 % aller Mitarbeitenden erleben Konflikte regelmäßig oder ständig.


• Zwischen 3–4 h pro Woche verbringen Mitarbeitende im Schnitt mit Kon-
fliktbewältigung.
• 20–40 % beträgt der Zeitanteil für Konfliktbewältigung bei Führungskräften.

Der konstruktiven und nachhaltigen Bewältigung von Konflikten kommt somit


eine hohe Bedeutung zu. Es geht unter anderem auch um die Reputation eines
Unternehmens und um die Wahrnehmung der Betriebskultur durch sämtliche Inte-
ressengruppen. Denn Konflikte führen zu Folgekosten in Unternehmen:2

• 67 % sind schon mal ihrem Konfliktgegner aus dem Weg gegangen.


• 25 % waren wegen Konflikten bereits krankheitsbedingt abwesend.
• 19 % aller Projekte scheitern wegen schlecht gemanagten Konflikten.

33.1.3 Konflikte und ihre Auswirkungen

Selbstverständlich haben aufkommende Konflikte, wie Tab. 33.1 zeigt, nicht nur
negative Auswirkungen:
Im Wissen, dass Konflikte im beruflichen wie privaten Umfeld unvermeidlich
sind, geht es darum, „konfliktkompetent“ – also konstruktiv und zielführend –
agieren zu können. Voraussetzung dafür ist eine Grundkenntnis, wie Konflikte
entstehen und, wie sie sich entwickeln sowie die Bereitschaft zur regelmäßigen
Selbstreflexion. Der Weg führt über die generelle Konfliktsouveränität und das kon-
krete Konfliktverhalten von Individuen und ganzen Organisationen.

33.1.4 Ursachen von Konflikten

Ursachen von zwischenmenschlichen Konflikten in Organisationen sind nach Lau-


rie J. Mullins:3

2CPP Inc. (2008, S. 4).


3Mullins (2010, S. 129).
460 M.J. Fischer

• Individuelle Wahrnehmungsunterschiede: Je nach individueller Vorge-


schichte, Kenntnisstand, Erfahrungen, Laune und Charakter wird eine Situation
unterschiedlich wahrgenommen oder verstanden.
• Seltene oder begrenzte Ressourcen: Wenn die Mittel (Zeit, Arbeitskraft,
Informationen etc.) zur Erreichung der jeweiligen Ziele von zwei oder mehr
Parteien benötigt werden, wird die Einschränkung der Verfügung durch andere
zum Konflikt führen.
• Zergliederung der Organisation: Die Zergliederung der Organisation durch
Abteilungsnamen, Verantwortlichkeiten, Weisungsbefugnisse usw. trennt die
Mitglieder der Organisation. Allein diese Trennung kann zu Konflikten führen,
da in einer Stellvertreterfunktion die Interessen dieser organisatorischen Einheit
gegenüber anderen vertreten werden.
• Voneinander abhängige Arbeit: Die Ausführung einer Arbeitstätigkeit hängt
häufig von der vorherigen Arbeit eines anderen ab.
• Rollenkonflikte: Ein Mensch übernimmt verschiedene Rollen, deren Aus-
übung mit den Rollen anderer in Konflikt treten kann (Beispiel: Spannungsfeld
zwischen Mitarbeitern in Verkauf und Produktion oder zwischen Verkauf und
Rechtsabteilung).
• Unfaire Behandlung: Unfaire Behandlung aus allen möglichen Gründen,
Geschlecht, Sprache, Aussehen, Alter, Gesundheit, Rasse, Religion, Herkunft,
Abstammung, kann zu Konflikten führen. Dabei ist es wesentlich zu erkennen,
dass Fairness und Gleichheit nicht austauschbar sind; ein Gehbehinderter kann
nicht gleich wie ein Nichtbehinderter behandelt werden, sehr wohl aber gleich fair.
• Verletzung des Territoriums: Jede wahrgenommene Verletzung von tatsäch-
lichem oder ideellem Territorium wird als Konflikt wahrgenommen. Wenn also
eine Person in den persönlichen Bereich einer anderen eindringt, zu dicht an
diese herangeht oder sich in deren ideellen Bereich begibt – „in meinem Artikel
wurstelt“ – dann ist ein Konflikt wahrscheinlich.
• Veränderung der Umwelt: Veränderungen der Umwelt führen zu Veränderun-
gen in der Organisation. Abgesehen von vorgenannten Konfliktursachen führt
die Veränderung der Umwelt zu Unsicherheit und Stress, der allein die Wahr-
scheinlichkeit von Konflikten in der Organisation erhöht.

Selten ist eine Ursache allein der Grund für einen ausgetragenen Konflikt. Oft
ergeben sich kumulative Effekte über die Zeit eines schwelenden Konfliktes hin-
weg, sodass die Analyse der Ursachen für die Konfliktlösung oder das Manage-
ment des Konfliktes wesentlich sein kann.

33.1.5 Konfliktarten

Das Bewusstsein, um welche Art es sich bei einem Konflikt handelt, relativiert in
vielen Fällen die Brisanz der Auseinandersetzung bei involvierten Parteien. Viel-
fach fühlen sich die an einem Konflikt beteiligten Personen persönlich angegriffen,
33 Konfliktmanagement für Unternehmensjuristen 461

obwohl sich die Fragestellung um generelle Denkhaltungen, Verfahren oder Objekte


dreht. Das Erkennen der jeweils vorliegenden Konfliktart ermöglicht in der Regel
eine „Versachlichung“ der Fragestellung. Dies begünstigt wiederum eine konstruk-
tive Herangehensweise und Bewältigung des Konflikts:

• Strukturkonflikte: Ungleiche Verteilung von Ressourcen, Macht etc.


• Wertekonflikte: Ideologien, Religionen oder alternative Lebenskonzepte.
• Sachverhaltskonflikte: Fehlende oder unterschiedliche Information und Inter-
pretation.
• Rollenkonflikte: Rolle nicht anerkannt, keine oder zu starke Identifikation,
Rollenzielkonflikte.
• Interessen- und Zielkonflikte: Real- oder Verfahrensinteressen, angenommene
oder reale Konkurrenz.
• Beziehungskonflikte: Affekte, Stereotypen und Vorurteile, Kommunikations-
störungen sowie soziale Distanz.

33.2 Persönliche Anforderungen an


Unternehmensjuristen, mögliche
Konfliktkonstellationen und Lösungsansätze

Tab. 33.2 fasst einige ausgewählte Konfliktkonstellationen und Lösungsansätze


zusammen – diese basieren auf eigener Beobachtung des Autors und auf verschie-
denen Gesprächen mit Legal Operations-Fachleuten –, welche typischerweise und
häufig bei General und Legal Counsels im Unternehmensalltag anzutreffen sind.

33.3 Konflikteskalationsphasen und -stufen

Gemäß Friedrich Glasl4, einem österreichischen Ökonomen und Konfliktforscher,


eskalieren Konflikte nicht allmählich, sondern stufenweise. Nach seinem Modell
lässt sich jeder eskalierende Konflikt gemäß Abb. 33.1 in drei Hauptphasen mit
jeweils drei Eskalationsstufen unterteilen, insgesamt existieren somit neun Eskala-
tionsstufen. In Tab. 33.3 erhalten Sie eine etwas detailliertere Beschreibung dieser
neun Eskalationsstufen.
Die Konflikte der Stufen 1–3 sind zwischen den Parteien noch friedlich lösbar.
Eventuell greift jemand vermittelnd ein (zum Beispiel der Vorgesetzte ersucht die
zerstrittenen Mitarbeiter, sich zu versöhnen). Ab Stufe 4 benötigen die betroffenen
Parteien Hilfe von außen, um ihren Konflikt lösen zu können. Glasl sieht folgen-
des Modell vor, um den Konflikt in den einzelnen Stufen zu deeskalieren:5

4Glasl (2013, S. 235).


5Glasl (2004, S. 313–347).
462 M.J. Fischer

Tab. 33.2  Konfliktkonstellationen und Lösungsansätze in Legal Operations


Anforderungen Mögliche Konfliktkonstella- Lösungsansätze
tionen
• Integrität • Spannungen zwischen • Klarer Auftrag (Holschuld)
• Sozialkompetenz Anwalt und Unternehmen in • Transparente Projektorga-
• Berufung; der Rolle gerecht Sachfragen nisation
werden • Änderungen im Laufe der • Offene Kommunikation
Projektarbeit • Vertrauenskultur, offene und
• Konkurrenzsituation zwi- direkte – Kommunikation
schen externem Anwalt und auch wenn es „weh tut“
General Counsel •B  egründungen konsequent
• Externer Anwalt wird ohne mit kommunizieren
Wissen des General Counsel •F  airness; Irrtümer und Feh-
beigezogen ler eingestehen können
• Auf Fehler unmittelbar
reagieren und diese anspre-
chen
•B  ewusste Trennlinie zwi-
schen Person und Funktion
• Besonnenheit • Entscheidungsträger/Vor- •Z
 wischen zulässigen Fach-
• Gemeinsinn gesetzter bevorzugt aus auskünften und unange-
• politisches Sensorium politischen oder persönlichen brachten bzw. unbotmäßigen
• Gestaltungswille Gründen andere Lösungen (politischen) Meinungsäuße-
• Dialogfähigkeit rungen unterscheiden
• Verhandlungsfähigkeit •E
 ntscheidungen gekonnt und
• Durchsetzungsvermögen gut vorbereitet, mit Überzeu-
• Verschwiegenheit gung vertreten
• Loyalität • Informationsvorsprung des • Rollenverständnis darlegen
• Integrität General Counsel und Aufgaben klären
• Fähigkeit des Vorausschau- • Abklärungsarbeiten bei Kun- • Probleme im Team antizipa-
ens den- und Auftragsakquisition tiv bearbeiten
können als „Bremsklotz“ • Loyalitätskonflikte im Auge
aufgefasst werden behalten und im Vorfeld
• Reibungsflächen zwischen adressieren
externem Anwalt und
Rechtsabteilung
• Vertrauenswürdigkeit • Geheimnisträger • Akzeptanz für den Umstand
• Überzeugungskraft • Erwartungen des Unter- schaffen, dass der Legal
nehmens, den rechtlichen Counsel nicht befugt ist,
Sachverhalt „zu biegen“ vertrauliche Informationen
• Loyalitätskonflikte – recht- unautorisiert zu teilen
liches Vorgehen gegenüber • Nicht nur „monieren“,
Personen (Rollen), welchen sondern Lösungsansätze
der General Counsel per aufzeigen
Definition verpflichtet ist • Konsultatives Element
• Risikomitigation als „Verhin- stärken
derung“
• Spannungsfeld zwischen
taktischen und strategischen
Entscheidungen

(Fortsetzung)
33 Konfliktmanagement für Unternehmensjuristen 463

Tab. 33.2  (Fortsetzung)
Anforderungen Mögliche Konfliktkonstella- Lösungsansätze
tionen
• Authentizität •E
 infordern von rechtlich • Proaktive Aufklärungsarbeit
• Abstraktionsvermögen – was relevanten Informationen über Ziele und Aufgaben der
ist wirklich wichtig? (z. B. beim Einkauf) Rechtsabteilung
•D
 okumente „abnicken“ vs. • Ausbildungsmodule anbieten
sorgfältige Prüfung derselben (zum Beispiel Claims
•G
 efahr, als „abgehoben“ Management), welche den
wahrgenommen zu werden Partnerabteilungen Mehr-
wert bringen
• Positive Kontakte zu den
Kollegen suchen und Pflegen

Abb. 33.1  Eskalationsphasen und Eskalationsstufen. (Quelle: nach Glasl 2004, S. 236 f.)

• Stufe 1–3: Selbsthilfe ist noch möglich.


• Stufe 2–3: Hilfe durch Freunde, Familie oder professionelle Moderation.
• Stufe 3–5: Hilfe durch externe professionelle Prozessbegleitung.
• Stufe 4–6: Hilfe durch externe sozio-therapeutische Prozessbegleitung.
• Stufe 5–7: Hilfe durch externe professionelle Mediation.
• Stufe 6–8: Hilfe durch ein freiwilliges oder verpflichtendes Schiedsgerichtsver-
fahren.
• Stufe 7–9: Hilfe nur noch durch einen Machteingriff von oben möglich.

Vor allem Führungskräfte, wie der General Counsel, sollten sich der neun Stu-
fen der Konflikteskalation bewusst sein. Konflikte können so von einem neutra-
len Standpunkt aus betrachtet werden und wenn nötig kann rechtzeitig Hilfe von
außen angefordert werden. Auch bei Konflikten, an denen man nicht selbst betei-
ligt ist, kann das wertfreie Erkennen der richtigen Konfliktstufe zu einer rascheren
Lösung des Konflikts führen.
464 M.J. Fischer

Tab. 33.3  Detaillierte Beschreibung der neun Eskalationsstufen. (Vgl. Glasl 2004, S. 236 f.)
ϭ͘ďĞŶĞ;tŝŶͲtŝŶͿ
^ƚƵĨĞϭʹ sĞƌŚćƌƚƵŶŐ <ŽŶŇŝŬƚĞďĞŐŝŶŶĞŶŵŝƚ^ƉĂŶŶƵŶŐĞŶ͕njƵŵĞŝƐƉŝĞů ŐĞůĞŐĞŶƚůŝĐŚĞƐƵĨĞŝŶĂŶĚĞƌƉƌĂůůĞŶǀŽŶ
DĞŝŶƵŶŐĞŶ͘ƐŝƐƚĂůůƚćŐůŝĐŚƵŶĚǁŝƌĚŶŝĐŚƚĂůƐĞŐŝŶŶĞŝŶĞƐ<ŽŶŇŝŬƚƐǁĂŚƌŐĞŶŽŵŵĞŶ͘
tĞŶŶĚĂƌĂƵƐĚŽĐŚĞŝŶ<ŽŶŇŝŬƚĞŶƚƐƚĞŚƚ͕ǁĞƌĚĞŶĚŝĞDĞŝŶƵŶŐĞŶĨƵŶĚĂŵĞŶƚĂůĞƌ͘Ğƌ
<ŽŶŇŝŬƚŬƂŶŶƚĞƟĞĨĞƌĞhƌƐĂĐŚĞŶŚĂďĞŶ͘
^ƚƵĨĞϮʹ ĞďĂƩĞ ďŚŝĞƌƺďĞƌůĞŐĞŶƐŝĐŚĚŝĞ<ŽŶŇŝŬƚƉĂƌƚŶĞƌ^ƚƌĂƚĞŐŝĞŶ͕ƵŵĚĞŶĂŶĚĞƌĞŶǀŽŶŝŚƌĞŶ
ƌŐƵŵĞŶƚĞŶnjƵƺďĞƌnjĞƵŐĞŶ͘DĞŝŶƵŶŐƐǀĞƌƐĐŚŝĞĚĞŶŚĞŝƚĞŶĨƺŚƌĞŶnjƵĞŝŶĞŵ^ƚƌĞŝƚ͘DĂŶ
ǁŝůůĚĞŶĂŶĚĞƌĞŶƵŶƚĞƌƌƵĐŬƐĞƚnjĞŶ͘^ĐŚǁĂƌnjͲtĞŝƘͲĞŶŬĞŶĞŶƚƐƚĞŚƚ͘
^ƚƵĨĞϯʹ ŬƟŽŶĞŶ ŝĞ<ŽŶŇŝŬƚƉĂƌƚŶĞƌĞƌŚƂŚĞŶĚĞŶƌƵĐŬĂƵĨĚĞŶũĞǁĞŝůƐĂŶĚĞƌĞŶ͕ƵŵƐŝĐŚŽĚĞƌĚŝĞĞŝŐĞŶĞ
DĞŝŶƵŶŐĚƵƌĐŚnjƵƐĞƚnjĞŶ͘'ĞƐƉƌćĐŚĞǁĞƌĚĞŶnjƵŵĞŝƐƉŝĞů ĂďŐĞďƌŽĐŚĞŶ͘ƐĮŶĚĞƚŬĞŝŶĞ
ǀĞƌďĂůĞ<ŽŵŵƵŶŝŬĂƟŽŶŵĞŚƌƐƚĂƩƵŶĚĚĞƌ<ŽŶŇŝŬƚǀĞƌƐĐŚćƌŌƐŝĐŚƐĐŚŶĞůůĞƌ͘ĂƐ
DŝƚŐĞĨƺŚůĨƺƌĚĞŶΗĂŶĚĞƌĞŶΗŐĞŚƚǀĞƌůŽƌĞŶ͘
Ϯ͘ďĞŶĞ;tŝŶͲ>ŽƐĞͿ
^ƚƵĨĞϰʹ <ŽĂůŝƟŽŶĞŶ Ğƌ<ŽŶŇŝŬƚǀĞƌƐĐŚćƌŌƐŝĐŚĚĂĚƵƌĐŚ͕ĚĂƐƐŵĂŶ^LJŵƉĂƚŚŝƐĂŶƚĞŶĨƺƌƐĞŝŶĞ^ĂĐŚĞƐƵĐŚƚ͘Ă
ŵĂŶƐŝĐŚŝŵZĞĐŚƚŐůĂƵďƚ͕ŬĂŶŶŵĂŶĚĞŶ'ĞŐŶĞƌĚĞŶƵŶnjŝĞƌĞŶ͘ƐŐĞŚƚŶŝĐŚƚŵĞŚƌƵŵĚŝĞ
^ĂĐŚĞ͕ƐŽŶĚĞƌŶĚĂƌƵŵ͕ĚĞŶ<ŽŶŇŝŬƚnjƵŐĞǁŝŶŶĞŶ͕ĚĂŵŝƚĚĞƌ'ĞŐŶĞƌǀĞƌůŝĞƌƚ͘
^ƚƵĨĞϱʹ 'ĞƐŝĐŚƚƐǀĞƌůƵƐƚ Ğƌ'ĞŐŶĞƌƐŽůůŝŶƐĞŝŶĞƌ/ĚĞŶƟƚćƚǀĞƌŶŝĐŚƚĞƚǁĞƌĚĞŶĚƵƌĐŚĂůůĞŵƂŐůŝĐŚĞŶ
hŶƚĞƌƐƚĞůůƵŶŐĞŶŽĚĞƌ ŚŶůŝĐŚĞƐ͘,ŝĞƌŝƐƚĚĞƌsĞƌƚƌĂƵĞŶƐǀĞƌůƵƐƚǀŽůůƐƚćŶĚŝŐ͘
'ĞƐŝĐŚƚƐǀĞƌůƵƐƚďĞĚĞƵƚĞƚŝŶĚŝĞƐĞŵ^ŝŶŶĞsĞƌůƵƐƚĚĞƌŵŽƌĂůŝƐĐŚĞŶ'ůĂƵďǁƺƌĚŝŐŬĞŝƚ͘
^ƚƵĨĞϲʹ ƌŽŚƐƚƌĂƚĞŐŝĞŶ DŝƚƌŽŚƵŶŐĞŶǀĞƌƐƵĐŚĞŶĚŝĞ<ŽŶŇŝŬƚƉĂƌƚĞŝĞŶ͕ĚŝĞ^ŝƚƵĂƟŽŶĂďƐŽůƵƚnjƵŬŽŶƚƌŽůůŝĞƌĞŶ͘^ŝĞ
ƐŽůůĞŶĚŝĞĞŝŐĞŶĞDĂĐŚƚǀĞƌĂŶƐĐŚĂƵůŝĐŚĞŶ͘DĂŶĚƌŽŚƚnjƵŵĞŝƐƉŝĞů ŵŝƚĞŝŶĞƌ&ŽƌĚĞƌƵŶŐ͕
ĚŝĞĚƵƌĐŚĞŝŶĞ^ĂŶŬƟŽŶǀĞƌƐĐŚćƌŌƵŶĚĚƵƌĐŚĚĂƐ^ĂŶŬƟŽŶƐƉŽƚĞŶnjŝĂůƵŶƚĞƌŵĂƵĞƌƚǁŝƌĚ͘
,ŝĞƌĞŶƚƐĐŚĞŝĚĞŶĚŝĞWƌŽƉŽƌƟŽŶĞŶƺďĞƌĚŝĞ'ůĂƵďǁƺƌĚŝŐŬĞŝƚĚĞƌƌŽŚƵŶŐ͘
ϯ͘ďĞŶĞ;>ŽƐĞͲ>ŽƐĞͿ
^ƚƵĨĞϳʹ ĞŐƌĞŶnjƚĞsĞƌŶŝĐŚƚƵŶŐ Ğŵ'ĞŐŶĞƌƐŽůůŵŝƚĂůůĞŶdƌŝĐŬƐĞŵƉĮŶĚůŝĐŚŐĞƐĐŚĂĚĞƚǁĞƌĚĞŶ͘Ğƌ'ĞŐŶĞƌǁŝƌĚŶŝĐŚƚ
ŵĞŚƌĂůƐDĞŶƐĐŚǁĂŚƌŐĞŶŽŵŵĞŶ͘ďŚŝĞƌǁŝƌĚĞŝŶďĞŐƌĞŶnjƚĞƌĞŝŐĞŶĞƌ^ĐŚĂĚĞŶƐĐŚŽŶ
ĂůƐ'ĞǁŝŶŶĂŶŐĞƐĞŚĞŶ͕ƐŽůůƚĞĚĞƌ^ĐŚĂĚĞŶĚĞƐ'ĞŐŶĞƌƐŐƌƂƘĞƌƐĞŝŶ͘
^ƚƵĨĞϴʹ ĞƌƐƉůŝƩĞƌƵŶŐ Ğƌ'ĞŐŶĞƌ ƐŽůůŵŝƚsĞƌŶŝĐŚƚƵŶŐƐĂŬƟŽŶĞŶnjĞƌƐƚƂƌƚǁĞƌĚĞŶ͘

^ƚƵĨĞϵʹ 'ĞŵĞŝŶƐĂŵŝŶĚĞŶďŐƌƵŶĚ ďŚŝĞƌŬĂůŬƵůŝĞƌƚŵĂŶĚŝĞĞŝŐĞŶĞsĞƌŶŝĐŚƚƵŶŐŵŝƚĞŝŶ͕ƵŵĚĞŶ'ĞŐŶĞƌnjƵďĞƐŝĞŐĞŶ͘

33.4 Konfliktsouveränität

Wie in Abschn. 33.1 kurz angedeutet sind persönliche Eigenschaften wie soziale
Kompetenz, Seniorität, Lebenserfahrung und Empathie entscheidende Faktoren
dafür, wie die Einzelperson auf (entstehende) Konfliktsituationen reagiert. Johan-
nes Czwalina, langjähriger Unternehmensberater, Coach und Mediator definiert
folgende Eigenschaften, die bei einzelnen Persönlichkeiten zu „Konfliktsouveräni-
tät“ führen:6

• Personale Kompetenz: Leadership-Kompetenz ist wichtiger als Management-


fähigkeit (siehe dazu auch Kap. 28). Es ist nicht die methodische, sondern die
personale Kompetenz, die langfristig Führungs- und Konfliktsouveränität ver-
leiht. Es geht darum, dass Werte nicht als Marketinginstrument missbraucht
werden (siehe dazu auch Kap. 12), sondern als übergeordnetes Prinzip unser
Denken und Handeln prägen.
• Intaktes Selbstwertgefühl: Arbeite ich, damit ich wertvoll bin oder weil ich
wertvoll bin? Menschen, die nur arbeiten, damit sie wertvoll sind, verfügen
nicht über ein intaktes Selbstwertgefühl und sie können Menschen nicht kon-
fliktsouverän führen. Woher speise ich mein Selbstwertgefühl? Durch Leistung
allein? Die Leistungskraft nimmt aber mit zunehmendem Alter kontinuierlich

6Czwalina (2013, S. 2–4).


33 Konfliktmanagement für Unternehmensjuristen 465

ab. Menschen, die durch ihren Arbeitsstil letztlich innere Minderwertigkeitsge-


fühle ausgleichen wollen, sind so oder so oft Konfliktträger. Gibt es ein Selbst-
wertgefühl außerhalb eines Leistungsnachweises?
• Authentizität: Übereinstimmung von Denken, Worten und Taten. Authentisch
ist ein Mensch, der sagt, was er denkt, und der tut, was er sagt. Mut ist dann
nichts anderes, als sich selbst zu bleiben, auch unter Druck und bei Gegenwind.
• Misstrauen gegenüber vorgegebenen „Landkarten“: Die Landkarten unse-
rer Wirtschaftswelt zeigen uns nur, wie es bergauf geht, sie zeigen uns aber
nicht, wie wir auch bergab kommen. Deswegen stürzen so viele runter und
erleben das als ziemlich schmerzhaft. Konfliktsouveräne Menschen vertrauen
ihrer eigenen authentischen Landkarte mehr als den reduzierten Landkarten, die
ihnen als Erfolgsanweisung vorgegeben werden: „Mehr Macht, mehr Erfolg,
mehr Geld = mehr Glück.“ Für sie ist die Definition von Erfolg eine andere:
Für sie bedeutet Erfolg Wohlergehen. Erfolg ohne Wohlergehen ist für sie Miss-
erfolg! Ihr Kompass heißt: Authentizität nicht preisgeben!
• Sie sehen sich nur als Beauftragte: Macht ist im Gegensatz zu Machtmiss-
brauch etwas Geliehenes und Anvertrautes im Auftrag eines anderen. Macht
aber, die der Mensch für sich selbst in Anspruch nimmt, ist nach dieser Defi-
nition Machtmissbrauch. Unabhängig in welcher Position man sich befindet,
ist es wichtig, sich selbst allzeit nur als „Auftragnehmer“ (als rechenschafts-
pflichtiger Beauftragter) zu sehen. Wenn Verantwortungsbewusstsein an einen
Anspruch von Macht gekoppelt wird, folgt zwangsläufig irgendwann die Über-
forderung.

33.5 Konflikte durch Verhalten steuern

Unabhängig von Konfliktursache und Konfliktgegenstand wird der Verlauf eines


Konfliktes nachweislich direkt durch das Verhalten der Beteiligten beeinflusst. Das
Verhalten entscheidet, ob ein Konflikt gelöst wird, weiter schwelt oder eskaliert.
Das Eckerd College (St. Petersburg, Florida) hat sich mit dem Center for Conflict
Dynamics bereits Mitte der 90er-Jahre dieses Themas angenommen und verschie-
dene Untersuchungen durchgeführt:7 Das verbale und nonverbale Verhalten ist es,
das im Konflikt wahrgenommen wird. Insofern ist das Konfliktverhalten wie die
sichtbare Spitze des Eisbergs. Die darunter liegenden Einstellungen, Glaubens-
sätze, Werte und Interessen sind für Außenstehende nicht direkt zugänglich, sie
manifestieren sich aber im Verhalten einer Person.
Die Forscher am Eckerd College haben nach umfangreichen wissenschaftlichen
Studien in Unternehmen 15 Verhaltensweisen identifiziert, die – zumindest in
unserem westlichen Kulturkreis – den größten Einfluss auf einen Konflikt haben.
Einfluss insofern, als sich die Konfliktsituation entweder verbessert, weiter eska-
liert oder verlängert, sofern eine dieser Verhaltensweisen von einer Konfliktpartei

7Runde und Flanagan (2013, S. 9).


466 M.J. Fischer

gezeigt wird. Die Untersuchungsresultate belegen, dass Persönlichkeitsstile und


Ursachen für das Konfliktverhalten sekundär sind.8 Das Verhalten ist jedoch nicht
vorbestimmt, sondern veränderbar – vorausgesetzt, das Verhalten und die Alterna-
tiven werden bewusst reflektiert (siehe dazu detailliert Kap. 31). Viele der tägli-
chen Verhaltensweisen laufen unbewusst und unreflektiert ab. Dabei ist es
möglich, dass sich über Jahre hinweg Verhaltensweisen eingeschliffen haben, die
von Dritten als unangemessen betrachtet werden und somit konfliktverschärfend
wirken. Im Grundsatz gehen die Studien von konstruktivem, destruktivem, akti-
vem und passivem Konfliktverhalten aus. Im Gegensatz zu persönlichen Eigen-
schaften, lässt sich das Verhalten – auch in Konflikten – bewusst verändern, und
die Konfliktkompetenz damit verbessern.

33.6 Das Harvard-Konzept für Konfliktmanagement

Der Harvard-Ansatz ist die Methode des sachbezogenen Verhandelns für Juristen.
Im Jahr 1981 entwickelte der amerikanische Rechtswissenschaftler Roger Fisher
zusammen mit William L. Ury in dem Buch Getting to Yes (deutscher Titel: Das
Harvard-Konzept) das zugrunde liegende Prinzip hierzu. Das Konzept beruht
dabei auf dem Negotiation Project der Harvard-Universität9 und ist Teil des „Pro-
gram on Negotiation“ der Harvard Law School. Ziel der Methode ist eine kon­
struktive und friedliche Einigung in Konfliktsituationen mit einem
win-win-Ergebnis. Die Methode geht über klassische Kompromisse hinaus. Im
Vordergrund steht der größtmögliche beidseitige Nutzen, wobei über die sachliche
Übereinkunft hinaus auch für beide Verhandlungsseiten die Qualität der persönli-
chen Beziehungen gewahrt bleiben soll.
Die vier Prinzipien des Harvard Verhandlungskonzepts weisen einen hohen
Deckungsgrad mit den durch das Eckerd College erhobenen, konstruktiven Verhal-
tensweisen in Konflikten auf. Ein bewusstes Augenmerk auf die Verhandlungsprin-
zipien und Verhaltensweisen erhöhen die konstruktive Konfliktbewältigung somit
auch gemäß wissenschaftlicher Studien:

• Sachbezogen Diskutieren: Trennung von Sach- und Beziehungsebene


• Konzentration auf die Interessen der Beteiligten: Positionen bewusst zurück
stellen
• Optionen suchen: Gemeinsames Entwickeln von Entscheidungsoptionen
• Objektive Entscheidungskriterien festlegen: Beispielsweise gesetzliche
Regelungen, ethische Grundsätze etc.

8Runde C E und Flanagan T A (2008, S. 29).


9Fischer und Ury (1983, S. 2).
33 Konfliktmanagement für Unternehmensjuristen 467

Literatur
CPP Inc. (2008) CPP Human Capital Report 2008 „Workplace conflict and how business can
harness it to thrive“. Sunnyvale
Czwalina J (2013) Konfliktsouveränität. Vortragsmanuskript, beim Autor bestellbar
Fischer R, Ury WL (1983) Getting to yes – negotiating agreement without getting in. Penguin
Group, London
Glasl F (2013) Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Bera-
ter, 11. Aufl. Haupt, Bern
Mullins LJ (2010) Management & organisational behaviour, 9. Aufl. Financial Times Prentice
Hall, Harlow
Runde CE, Flanagan TA (2008) Building conflict competent teams. Jossey-Bass, San Francisco
Runde CE, Flanagan TA (2013) Becoming a conflict competent leader: how you and your organi-
zation can manage conflict effectively, 2. Aufl. Jossey-Bass, San Francisco

Über den Autor


Markus J. Fischer – Managing Partner Czwalina Consulting, Basel
Markus J. Fischer hat seine kaufmännische Grundausbildung bei Swisscom absolviert und nahm
im Anschluss verschiedene Funktionen bei UBS AG wahr; zuletzt als Abteilungsleiter in der Cor-
respondent Banking Division im Range eines Managing Directors. Berufsbegleitend hat er sich
zum eidg. dipl. Organisator weitergebildet und das Advanced Management Programm an der
Wharton School, University of Pennsylvania, absolviert. Heute ist er geschäftsführender Partner
der CC Czwalina Consulting AG und begleitet Führungskräfte in anspruchsvollen Phasen.
Vom General Counsel zum Business
Partner und Leader 34
Alexander Zinser

34.1 Einführende Überlegungen

Die Aufgabenstellungen der Rechtsabteilungen haben sich im Laufe der Zeit ver-
ändert: Ursprünglich als Bindeglied zwischen den Unternehmen und externen
Rechtsanwälten angesiedelt, sind sie nun vollumfängliche Dienstleistungsabtei-
lungen, deren Mitglieder in alle Schlüsselentscheidungen involviert sind. Zudem
waren die Rechtsabteilungen in der Vergangenheit auch zum größeren Teil mit
Routinearbeiten betraut; wohingegen komplexere Aufgabenstellungen regelmäßig
an Rechtsanwaltkanzleien abgegeben wurden. Im Laufe der letzten beiden Jahr-
zehnte unterliefen die Rechtsabteilungen einer Veränderung in der Gestalt, dass
die Strukturen und Ziele an den Strategien der Unternehmen ausgerichtet und an
diese angepasst wurden. Daraus resultierend sind die erfolgreichsten Legal Coun-
sels heute in die Business Teams integriert und liefern täglich einen Mehrwert an
die Unternehmen.
Auch die Rolle des General Counsel durchlief eine entsprechende Entwick-
lung: Ursprünglich einzig als Experte auf juristischem Gebiet angesehen, wird
der General Counsel nun vermehrt als kritischer Business Partner geschätzt. Er ist
gehalten, auf den rechtlichen Kontext, die wirtschaftlichen Risiken und Nachteile
eines Sachverhaltes hinzuweisen, um zu einer sachgerechten und wirtschaftlich
sinnvollen Entscheidung zu gelangen. Darüber hinaus wird vom General Counsel
heutzutage erwartet, dass er seine eigene Sichtweise zu geschäftlichen Sachver-
halten beisteuert. Zudem wird von den anderen Kadermitarbeitern vorausgesetzt,
dass der General Counsel geschäftliche Vorschläge kritisch hinterfragt, insbeson-
dere wenn diese konzeptionell fehlerhaft erscheinen. Die erfolgreichsten General

A. Zinser (*)
Zürich, Schweiz
E-Mail: a.zinser@yahoo.com

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 469


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_34
470 A. Zinser

Counsels sind heute daher keine „reine“ Juristen mehr, sondern Business Partner
und schlussendlich auch Business Leaders: Sie durchdenken Sachverhalte aus
mehreren Perspektiven und zeigen Verantwortung für den kommerziellen Erfolg
ihrer Unternehmungen. Diese Wertketten-Entwicklung zeigt Abb. 34.1 auf.
Grundsätzlich haben der General Counsel und sein Team die Aufgaben, die
Interessen des Unternehmens zu wahren, die Reputation und die Assets des Unter-
nehmens zu schützen sowie die Strategien und die Zielsetzungen des Unterneh-
mens zu fördern. Sofern sich die Rechtsabteilung von diesen Aufgabenstellungen
abkoppelt oder ausschließlich mit der eigenen Bestandserhaltung beschäftigt ist,
kann sie leicht zum Opfer ihrer eigenen Destruktion werden. Es ist daher die Ver-
antwortung eines jeden General Counsel, ein Business Partner und schließlich
auch ein Business Leader zu werden, der seine Mitarbeitenden inspiriert und zur
gemeinsamen Zielerreichung anleitet. Eine enge Beziehung zu anderen operativen
Einheiten im Unternehmen ermöglicht es der Rechtsabteilung, einen Mehrwert für
das Unternehmen zu generieren. Schlussendlich führt die Leidenschaft, den maxi-
malen Mehrwert für das Unternehmen zu generieren, zu einer erfüllenden und
sinnstiftenden Berufsausübung.

 Bewahren Sie auf dem Weg zu einem strategischen Business Part-


ner und Leader Ihre Unabhängigkeit! Sie müssen jederzeit als
Behüter und Beschützer der Assets Ihres Unternehmens agie-
ren, während dessen Sie Ihr Unternehmen durch den rechtlichen
Dschungel – im Einklang mit den Gesetzen – führen.

Abb. 34.1  Wertketten-Entwicklung
34 Vom General Counsel zum Business Partner und Leader 471

34.2 Barrieren der Entwicklung zum Business Partner und


Leader

Dabei gilt es folgende, nicht abschließende Barrieren der Entwicklung zum Busi-
ness Partner und Leader abzubauen:

• Die Geschäftsleitung: Dem General Counsel muss die Möglichkeit eingeräumt


werden, ein Business Partner und Leader zu werden. Neben geschäftsrelevanten
Schulungen und einer diesbezüglichen Aus-/Weiterbildung kann es mitentschei-
dend sein, dass der General Counsel der Geschäftsleitung angehört und in alle
Schlüsselentscheidungen und -strategien eingebunden wird. Die Zugehörigkeit zur
Geschäftsleitung setzt ein Zeichen innerhalb und außerhalb des Unternehmens.
Allerdings kann argumentiert werden, dass die Mitgliedschaft in der Geschäfts-
leitung die Unabhängigkeit des General Counsel untergraben kann. Entscheidend
ist letztendlich die Frage, inwiefern er Zugang zu den Mitgliedern der Geschäfts-
leitung und relevanten Informationen hat. Sofern er diesen Zugang nicht hat, stellt
dies eine Barriere der Entwicklung zum Business Partner und Leader dar.
• Die Führungskräfte: Es ist entscheidend, dass die Führungskräfte des Unter-
nehmens gewillt sind, den General Counsel und sein Team auch in nicht-ju-
ristischen, kommerziellen Geschäftsangelegenheiten um Rat zu fragen, deren
Ratschläge anzunehmen und diese auch wertzuschätzen. Damit geht die Not-
wendigkeit einher, den General Counsel und sein Team möglichst frühzeitig in
Entscheidungsprozesse miteinzubeziehen.
• Der General Counsel und sein Team: Der General Counsel und sein
Team müssen danach streben, ein umfangreiches Wissen der geschäftlichen
Gegebenheiten im Unternehmen zu erwerben und die Komfortzone eines
Rechtsexperten zu verlassen. Bisweilen zögern sie mit der Übernahme der Mit-
verantwortung für den geschäftlichen Erfolg, auch mit der Begründung, ihre
Verantwortlichkeiten nicht in unerwünschter Weise erweitern zu wollen.
• Stellenbeschreibung: Die Stellenbeschreibung mag zu sehr auf die rechtlichen
Fähigkeiten fokussiert sein und nicht die Einbindung in kommerzielle Entschei-
dungen umfassen. Wenn sich die Jahresziele des General Counsel und seines
Teams nicht auch an der Unterstützung der Ziele und Strategien des Unter-
nehmens orientieren, kann dies eine Hürde darstellen. Falls rechtliche Risiken
nicht Teil des Risikomanagements sind, kann dies den business-relevanten
Ansatz der Rechtsabteilung gefährden (siehe dazu auch Kap. 47).
• Routinearbeit: Der General Counsel und sein Team sind mit Routinearbei-
ten ausgelastet, die aus Gründen der Effizienz oder anderen Gründen nicht an
Außenanwälte abgegeben werden können. Dies kann dazu führen, dass die zeit-
intensive Strategie-Entwicklung leidet. Gleichermaßen kann ein Mangel an finan-
ziellen und personellen Ressourcen eine Hürde darstellen.
• Mangel an Vertrauen: Das Vertrauen der jeweiligen Anspruchsgruppen im Unter-
nehmen zu gewinnen und zu erhalten ist entscheidend; es ist die Basis, um erfolg-
reich auf das Senior Management einschließlich der Geschäftsleitung einwirken zu
können. Allerdings kann auch eine solide Vertrauensbasis nicht weiter helfen, wenn
der General Counsel und sein Team keinen Mehrwert für das Unternehmen liefern.
472 A. Zinser

Abb. 34.2  Aspekte der


Entwicklung zum Business
Partner und Leader

34.3 Empfehlungen zur Entwicklung als Business Partner


und Leader

Die Entwicklung zu einem Business Partner und Leader mit einem größtmögli-
chen strategischen Mehrwert für das Unternehmen ist ein Prozess. Das Konzept ist
fließend und dynamisch – es gibt hierfür kein allgemeingültiges Rezept. Es hängt
von zahlreichen Faktoren ab wie die Rolle, die Fähigkeiten, die Persönlichkeit des
General Counsel und seiner Teammitglieder, die Unternehmenskultur, die Art und
Größe des Unternehmens und die wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Rah-
menbedingungen. Die Entwicklung zum Business Partner und Leader umfasst
hierbei die in Abb. 34.2 aufgeführten Aspekte.
Die folgende, nichtabschließende Liste enthält Empfehlungen1 der Entwicklung
zum Business Partner und schlussendlich zum Business Leader.

34.3.1 Entwicklungsaspekt „Fachwissen“

• Fachwissen der Branche, in welcher Ihr Unternehmen tätig ist: Lesen Sie
branchenbezogene Zeitschriften, Magazine und Newsletter. Besonders Literatur
mit einem Executive Summary schafft auf effiziente Weise einen Überblick; ver-
bunden mit der Gelegenheit, sich tiefer in die Materie einzulesen. Schreiben Sie
sich bei branchenbezogenen E-Mail-Newslettern ein. Nehmen Sie an geschäfts-
relevanten Treffen und Telefonkonferenzen teil. Sprechen Sie mit Mitgliedern
der Geschäftsleitung und Kunden, um sich einen aktuellen Überblick über die

1Die Empfehlungen sind nicht kategorisiert. Es kann Überschneidungen geben; einige Empfeh-
lungen passen auch in mehrere Kategorien.
34 Vom General Counsel zum Business Partner und Leader 473

gegenwärtige Wirtschafts- und Geschäftslage zu verschaffen. Terminieren Sie


Einzelgespräche mit Mitgliedern der Geschäftsleitung. In dieser Hinsicht ist es
ratsam, Mitgliedern der Geschäftsleitung spezifische Fragen zum Geschäftsgang
zu stellen, die Sie vorab übermittelt und genau recherchiert haben.
• Fachwissen über Ihr Unternehmen: Nutzen Sie verschiedene Quellen:
Geschäftsberichte, Webseiten, Marketingunterlagen etc. Werten Sie auch Infor-
mationen über die Produkte und Dienstleistungen, über die finanzielle Situation,
Kunden, Lieferanten, über Richtlinien, Herausforderungen und Prioritäten sowie
wirtschaftliche Gegebenheiten und Strategien Ihres Unternehmens aus. Ler-
nen Sie, wie die einzelnen Geschäftsbereiche, Abteilungen und Regionen Ihres
Unternehmens zusammenarbeiten. Interagieren Sie mit den Abteilungen Ihres
Unternehmens wie Produktion, Einkauf, Logistik etc. Unternehmen Sie jeg-
liche Mühen, um das Geschäft Ihres Unternehmens kennenzulernen, zum Bei-
spiel begleiten Sie einen Vertriebsspezialisten bei Kundenbesuchen, arbeiten Sie
einen Tag in der Produktion mit, unternehmen Sie regelmäßig Marktvisiten etc.
• Best Practices: Nutzen Sie die Erfahrungen interner und externer Kontakte,
um effektive Arbeitshilfen sowie Lösungen zu einem Problem zu finden. Ein
General Counsel Roundtable kann eine vertrauensvolle Umgebung und eine
geeignete Plattform für einen Erfahrungsaustausch bieten. Falls ein solcher
Roundtable in Ihrer Umgebung nicht existiert, gründen Sie einen mit Ihren
Kollegen. Ein solches Forum kann dazu beitragen, die Best Practices anderer
General Counsel und Unternehmen kennenzulernen. Diese Einblicke sind nicht
notwendigerweise branchenbezogen und können daher zum Beispiel Themen
wie den Erfahrungsaustausch über die optimale Steuerung externer Anwälte,
über besonders gute Schulungen in der Leadershipentwicklung, über neueste
Rechtsentwicklungen und ihre praktischen Anwendungen umfassen.
• Risiken eingehen: Überschreiten Sie Ihre eigene Komfortzone, erarbeiten Sie
sich neue Fähigkeiten und erweitern Sie Ihren Horizont. Dies beinhaltet die
Übernahme neuer Verantwortlichkeiten auf unbekannten Gebieten, die Mit-
arbeit in geschäftsrelevanten Projekten, die Erweiterung der derzeitigen Ver-
antwortlichkeiten um neue Bereiche. Denken Sie außerhalb Ihrer gewohnten
Denkmuster. Um innerhalb der Unternehmenshierarchie nach oben zu steigen,
müssen Sie gelegentlich auch kalkulierbare Risiken eingehen.
• Rechtliche Schulungen für Mitarbeiter Ihres Unternehmens: Schulen Sie die
Mitarbeitenden Ihres Unternehmens in rechtlichen Sachverhalten, um die Sensi-
bilität für rechtliche Risiken proaktiv zu fördern (siehe dazu auch Kap. 51).
Abhängig von den Gegebenheiten des jeweiligen Unternehmens bieten sich
Schulungen zum Verhaltenskodex, Kartellrecht, Datenschutz, FCPA2 und UK
Bribery Act an; ergänzt durch abteilungsspezifische Schulungen (siehe dazu
auch Kap. 32) wie beispielsweise zum Vertragsrecht und zur Verhandlungsfüh-
rung für die Einkaufsabteilung, zum gewerblichen Rechtsschutz und Lizenzrecht
für die Forschungs- und Entwicklungsabteilung, zum Transportrecht für die

2US-amerikanischer Foreign Corrupt Practices Act von 1977, 15 U.S.C. §§ 78dd-1 ff.
474 A. Zinser

Logistikabteilung etc. Neben der Heranführung an die rechtlichen Rahmenbe-


dingungen werden die Mitarbeitenden Ihres Unternehmens für kritische rechtli-
che Punkte sensibilisiert, die die Hinzuziehung der Rechtsabteilung hervorrufen.
Schulungen illustrieren die Wichtigkeit der Kontaktaufnahme mit der Rechtsab-
teilung, die ihrerseits signalisiert: „Wir sind für Sie da, um zu helfen.“
• Eigene Schulungen und persönliche Entwicklung: Identifizieren Sie Ihre
Schwächen, insbesondere mit Blick auf Ihr Verständnis für wirtschaftliche The-
menstellungen, und belegen Sie entsprechende Kurse an einer Wirtschaftshoch-
schule. Mit einer 360-Grad-Rückmeldung können Sie Ihre Schwächen effektiv
identifizieren, um darauf aufbauend Ihr persönliches Entwicklungsprogramm
maßzuschneidern.
• Kommunikative Fähigkeiten: Äußern Sie Ihre rechtliche Meinung auf über-
zeugende und wirtschaftlich nachvollziehbare Art und Weise. Kommunizieren
Sie rechtliche Prüfungsergebnisse in der Weise, dass diese auch für Laien ver-
ständlich sind. Nutzen Sie dafür deren Sprachjargon unter Vermeidung juris-
tischer Fachbegriffe. Interagieren und kommunizieren Sie mit Mitarbeitenden
in Ihrem Unternehmen in ihrer gewohnten Sprache (siehe dazu auch Kap. 31).
Bieten Sie praktikable, umsetzungsgerechte Lösungen unter Einbeziehung des
wirtschaftlichen Kontextes an. Bei der Abfassung rechtlicher Gutachten und
Empfehlungen beginnen Sie mit einer Zusammenfassung/Executive Summary,
gefolgt von detaillierteren Ausführungen.
• Art und Weise der Kommunikation: Denken Sie über den sinnvollen
Gebrauch elektronischer Kommunikation nach. Während E-Mails eine breite
Streuung von Informationen ermöglichen, kann ein Telefonat oder ein persön-
liches Gespräch ein besseres Verständnis zu rechtlichen und wirtschaftlichen
Gegebenheiten unter Einbeziehung der Hintergründe sowie ein „Lesen zwi-
schen den Zeilen“ ermöglichen. Missverständnisse können sofort ausgeräumt
werden. Als Leitlinie gilt: Greifen Sie spätestens nach dem dritten Austausch
einer E-Mail zum Telefonhörer oder suchen Sie das persönliche Gespräch.
• Rückmeldung: Holen Sie regelmäßig Rückmeldungen zu Ihrer Arbeit unter
Einschluss Ihres Business-Verständnisses bei Vorgesetzten und Mitarbeitenden
ein. Unternehmen Sie jegliche Mühe, sich Rückmeldungen sowohl aus infor-
mellen, als auch formellen Quellen einzuholen. Es ist zuweilen eine Heraus-
forderung, an offene und „ungefilterte“ Rückmeldungen zu gelangen. Eine
anonyme 360-Grad-Rückmeldung kann hierbei helfen. In diesem Zusam-
menhang ist es ratsam, dass die 360-Grad-Rückmeldung auch das Thema der
Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden sowie wirtschaftliches Verständnis
beinhaltet.
• Lob einholen: Es ist nicht jedermanns Sache, aktiv Lob einzuholen. Allerdings
sollten Sie bei geschäftsrelevanten Erfolgen keine Bescheidenheit an den Tag
legen. Das Herausstellen des Mehrwertes der Rechtsabteilung kann nicht nur
für deren Visibilität, sondern auch für Ihr eigenes Weiterkommen innerhalb des
Unternehmens von entscheidender Bedeutung sein. Stellen Sie bei Teamerfol-
gen aber klar, dass nicht Ihre eigenen Erfolge, sondern entsprechend diejenigen
des Teams im Vordergrund stehen.
34 Vom General Counsel zum Business Partner und Leader 475

• „Can Do“-Mentalität: Anstatt den Fokus auf rechtliche Unzulässigkeiten zu


legen, fokussieren Sie sich auf rechtlich gangbare Alternativen und Lösungen.
Sagen Sie nur dann „nein“, falls eine Angelegenheit gegen das Gesetz verstößt
und keine gangbaren rechtlichen Alternativen zur Verfügung stehen. Die Ein-
beziehung der Rechtsabteilung in einem frühzeitigen Stadium kann dazu bei-
tragen, dass Hindernisse, die zu einem „Nein“ führen, rechtzeitig abgebaut
werden können. Letztendlich ist es entscheidend, dass der General Counsel und
sein Team gangbare Lösungen anbieten und dadurch Ergebnisse erzielen.
• Zeitmanagement: Teilen Sie Ihre Zeit so ein, dass genügend Raum für wirt-
schaftlich relevante Diskussionen verbleibt. Delegieren Sie weniger busi-
ness-relevante Angelegenheiten an Dritte (siehe dazu auch Kap. 45).

34.3.2 Entwicklungsaspekt „Beziehungsmanagement“

• Team Player: Nehmen Sie Ihre Rolle als Mitglied eines Teams aktiv wahr. Sie
gelangen so zu entscheidungsrelevanten Informationen und beziehen alle maß-
geblichen Anspruchsgruppen mit ein. Hören Sie zu und verstehen Sie unter-
schiedliche Ansichten. Bringen Sie verschiedene Perspektiven ein, um das
bestmögliche Ergebnis zu erzielen.
• Mentor: Stellen Sie sich einen Mentor aus der oberen Führungsetage zur Seite,
um weitere Einblicke in Ihr Unternehmen und die wirtschaftlichen Zusammen-
hänge zu erhalten. Sie können auch eine Person Ihres Vertrauens aus Ihrem
Beziehungsnetz auswählen, mit der Sie sich regelmäßig austauschen. Sie haben
damit einen Sparringspartner für geschäftliche und karriererelevante Belange –
unter der Maßgabe, dass Sie keine vertraulichen Informationen preisgeben.
• Reaktionszeit: Beantworten Sie E-Mails innerhalb von 24 h; versenden Sie
zumindest deren Eingangsbestätigung innert dieser Frist. Mit der Bestätigung
des Erhalts geben Sie auch den Zeitrahmen der detaillierteren Beantwortung
an, falls diese nicht umgehend erfolgen kann. Rufen Sie so schnell wie mög-
lich zurück. Halten Sie vereinbarte Fristen ein; eine schnelle Reaktion schafft
Vertrauen. Ihre Mitarbeitenden schätzen es, wenn Sie sich zeitnah um deren
Angelegenheiten kümmern. Falls andere Personen im Unternehmen nicht die
Wahrnehmung haben sollten, dass Sie sich zeitnah und umfassend um deren
Anliegen kümmern, hat dies negative Auswirkungen auf die Zusammenarbeit.
• Beziehungsmanagement: Der General Counsel, der ein Business Partner
und Leader sein möchte, benötigt nicht nur ein entsprechendes Beziehungs-
netz, sondern muss dieses auch entsprechend pflegen. Nutzen Sie Ihre beson-
dere Position im Unternehmen, welche Sie mit einer großen Bandbreite von
Kontakten und Informationen zusammenbringt. Entwickeln und bewahren
Sie ein positives Beziehungsverhältnis zu anderen Personen in- und außerhalb
Ihres Unternehmens. Investieren Sie Zeit, um leitende Mitarbeitende aus allen
Bereichen Ihres Unternehmens – einschließlich den entsprechenden Teams
– kennenzulernen. Nehmen Sie auch an informellen Konversationen auf dem
Flur, an der Kaffeeecke etc. teil. Solche Gespräche können dazu beitragen,
476 A. Zinser

dass Sie wertvolle Informationen über die Herausforderungen im Unterneh-


men erfahren. Zudem können so Barrieren, die gelegentlich zur Rechtsabtei-
lung bestehen, abgebaut werden. Praktizieren Sie „management by walking“:
Ein regelmäßiger Rundgang durch Ihr Unternehmen kann Ihnen wertvolle
Einblicke öffnen. Ein einfaches „Hallo“ kann zu einem elementar wichtigen
Gespräch über geschäftsrelevante Angelegenheiten führen.
• Beziehungsnetz: Die Entwicklung Ihrer eigenen persönlichen „Marke“ bei
Ihren internen und externen Anspruchsgruppen erhöht Ihre Reputation als
kompetenter und wirtschaftlich denkender Berater. Bauen Sie sich ein breites
Beziehungsnetz mit internen und externen Kontakten auf: Mit Personen außer-
halb der Rechtsabteilung, mit Rechtsanwälten, mit Kontakten aus anderen
Industriezweigen etc. Dabei bieten sich zum Aufbau eines Netzwerks folgende
Möglichkeiten an: Anwaltskanzleien bieten Frühstücksanlässe, Workshops,
Seminare etc. an, die Ihnen den Kontakt mit Berufskollegen ermöglichen. Auch
die Mitgliedschaft in einem Business Club, einer Handelskammer, dem Alumni
Club Ihrer Universität oder einem Serviceclub eröffnet Ihnen neue Einblicke.
Denken Sie auch an eine Mitgliedschaft in einer berufsbezogenen Vereinigung.
Beispiele in der Schweiz sind: Vereinigung Schweizerischer Unternehmensju-
risten (VSUJ), Ethics and Compliance Switzerland (ECS), Swiss Association
of Compliance Officers (SACO). Beispiele in Deutschland sind: Bundesver-
band der Unternehmensjuristen (BUJ), Berufsverband der Compliance Mana-
ger (BCM), Netzwerk Compliance, Deutsches Institut für Compliance (DICO);
Bundesverband Deutscher Compliance Officer (BDCO). Beispiele auf interna-
tionaler Ebene sind: Association of Corporate Counsel (ACC), Global Leaders
in Law (GLL), International Trademark Association (INTA).

34.3.3 Entwicklungsaspekt „Strategische Positionierung“

• Mitentwicklung der Unternehmensstrategie: Verstehen Sie die Prioritäten


und Elemente der Unternehmensstrategie und nehmen Sie Einfluss darauf. Ent-
scheidend ist, dass der General Counsel – idealerweise unter diesem Aspekt ein
Mitglied der Geschäftsleitung – verschiedene strategische Möglichkeiten mit-
diskutiert und letztendlich zur Entscheidungsfindung beiträgt. Unternehmen Sie
jegliche Anstrengungen, um die Ziele und Strategien Ihres Unternehmens mit-
zuentwickeln und letztendlich darüber mitzuentscheiden. Stellen Sie sicher, dass
die Arbeitsabläufe und die Ausrichtung der Rechtsabteilung im Einklang mit den
strategischen Zielen Ihres Unternehmens stehen (siehe dazu auch Kap. 9 ff.).
• Fokus auf die wesentlichen Verantwortungsbereiche: Identifizieren Sie die
wesentlichen Verantwortungsbereiche der Rechtsabteilung – angepasst an die
Ziele und Strategien Ihres Unternehmens. Holen Sie dazu die Zustimmung der
Geschäftsleitung ein, und setzen Sie diese um. Besprechen Sie die Fortschritte
regelmäßig mit Ihrem Team und passen Sie Maßnahmen an sich verändernde
Umstände an. Es ist entscheidend, dass die Rechtsabteilung flexibel agiert und
sich schnell an die sich verändernden Bedürfnisse des Unternehmens anpasst.
34 Vom General Counsel zum Business Partner und Leader 477

• Proaktivität: Seien Sie proaktiv, anstatt reaktiv. Erhöhen Sie den strategi-
schen Mehrwert durch eine Zukunftsplanung und eine Identifizierung kreativer
Wege zur Erzielung geschäftlicher Ziele unter gleichzeitiger Einbeziehung der
Rechtsrisiken und zukünftigen Entwicklungen. Identifizieren Sie Problemstel-
lungen und erklären Sie, wie diese das Unternehmen in geschäftlicher Hinsicht
tangieren; bezogen auf das Risiko und den Einfluss auf den wirtschaftlichen
Erfolg und die langfristige strategische Ausrichtung des Unternehmens. Zeigen
Sie gangbare Alternativen und Lösungen auf.

34.3.4 Entwicklungsaspekt „Organisatorische Ausgestaltung“

• Struktur: Abhängig von der Struktur Ihres Unternehmens passen Sie die
Struktur der Rechtsabteilung in der Weise an, dass dadurch die Strategien und
Ziele des Unternehmens effektiv erzielt werden können. Denken Sie darüber
nach, ob die Rechtsabteilung nach Funktionen wie juristische Ansprechpart-
ner für Abteilungen, für Geschäftseinheiten oder für Regionen oder in einer
anderen Art und Weise strukturiert werden sollte. Überlegen Sie sich, ob die
Legal Counsels eine indirekte Berichtslinie an einen Business Manager und
eine direkte Berichtslinie innerhalb der Rechtsabteilung, die schließlich in den
General Counsel mündet, haben sollten (siehe dazu auch Kap. 36 ff.).
• Abteilungstreffen mit Business Manager: Halten Sie Treffen der Rechtsab-
teilung ab, zu denen Sie regelmäßig Business Manager einladen, die über ihr
Geschäft, die Herausforderungen, die Möglichkeiten und Strategien sprechen.
Die strategische Sichtweise der Business Manager trägt zum Verständnis der
Unternehmensstrategie bei und kann eine entsprechende Anpassung der Arbeit
der Rechtsabteilung hervorrufen. Diese Treffen stellen auch eine Möglichkeit
dar, um die Business Manager nach ihren Erwartungen an die Rechtsabteilung
zu befragen.
• Einstellungsprozess: Stellen Sie Juristen ein, die neben ihrer rechtlichen
Expertise auch ein kommerzielles Verständnis mitbringen. Stellen Sie in der
Stellenausschreibung heraus, dass ein kommerzielles Verständnis erwartet wird,
und prüfen Sie dieses im Einstellungsgespräch. Halten Sie auch Ausschau nach
Talenten, welche in ihrer bisherigen Tätigkeit über den Tellerrand geblickt
haben.
• Interne Kommunikation: Kommunizieren Sie den Mehrwert der Rechtsab-
teilung über interne Newsletters, Workshops, Schulungen etc. Sie können auch
eine regelmäßige Kommunikation auf dem Intranet schalten wie „Compliance
Issue of the Month“ oder „Legal Hot Topic of the Month“.
• Business Partnering Mission: Nehmen Sie den Gesichtspunkt des Business
Partnering in die Mission der Rechtsabteilung auf. Sobald dieser dort festge-
schrieben ist, kommunizieren Sie diesen an die Kader und implementieren Sie
ihn. Überprüfen Sie die Mission Ihrer Rechtsabteilung und ihre Umsetzung in
regelmäßigen Abständen.
478 A. Zinser

34.4 Implementierung

Konzentrieren Sie sich am Anfang auf ein paar wenige der oben genannten Emp-
fehlungen, insbesondere auf diejenigen, bei denen Sie die größten Entwick-
lungschancen für sich sehen, und die gleichzeitig sehr effektiv sind. Hernach
implementieren Sie weitere Empfehlungen; verbunden mit der Leidenschaft, uner-
müdlich einen Mehrwert für Ihr Unternehmen zu schaffen.
Ein Business Partner und Leader wird man nicht von einem Tag auf den ande-
ren: Es ist ein langfristiger Prozess. Dessen Umsetzung führt jedoch mittel- bis
langfristig nicht nur zu mehr Sinnhaftigkeit und Erfüllung im Berufsleben, son-
dern verbessert auch die Qualität der gesamten Rechtsabteilung und unterstützt die
Implementierung der Strategien des Unternehmens. Es trägt dazu bei, den wich-
tigsten Aspekt des Unternehmens zu bewahren: Die gute Reputation im Innen- und
Außenverhältnis.

Über den Autor


Dr. Alexander Zinser – Managing Counsel, Reynolds American Group, Zürich
Studium der Rechtswissenschaften in Passau, Birmingham, Wien und München (1990–1996),
Juristisches Referendariat, u. a. bei der Deutsch-Indischen Handelskammer, Mumbai und bei der
Kanzlei Beiten Burkardt Mittl & Wegener, Hongkong (1996–1998), Dr. iur (2000), LL.M. (2004),
Rechtsanwalt bei Graf von Westphalen Fritze & Modest, Büro Frankfurt (1998–2000), Senior
Attorney bei Agilent Technologies in Böblingen, DE (2000–2003) und Morges, CH (2004–2006),
Assistant General Counsel Europe bei Guardian Industries in Luxemburg (2006–2009), seit
2010 Managing Counsel bei der Reynolds American Inc.-Gruppe in Zürich, verantwortlich für
alle rechtlichen Belange in EMEA und APAC und Mitglied der Geschäftsleitung. Herr Zinser hat
Executive Ausbildungen am International Institute for Management Development (IMD) und an
der Hochschule St.Gallen (HSG) absolviert.
Vom General Counsel ins
Linienmanagement 35
Christian Dueblin

35.1 Einleitende Überlegungen

Im Verlauf der beruflichen Karriere stellt sich für viele Juristen, auch für den
General Counsel eines Unternehmens, die Frage, ob der Schritt in eine Lini-
enfunktion, das heißt zu einer operativen Tätigkeit gewagt werden soll. Dieser
Schritt ist für juristische Fachexperten oft nicht einfach, denn weder im Studium
der Rechtswissenschaften, noch in juristischen Zusatzausbildungen spielen Fragen
der Unternehmensführung, der Führung von Mitarbeitenden, der Finanzen oder
unternehmerisch-strategischer Art eine zentrale Rolle. Auch weitere betriebswirt-
schaftliche Themenschwerpunkte, wie der Verkauf von Produkten oder Dienst-
leistungen, Marketing, die kaufmännische Buchführung oder das Leiten und
Organisieren von Projekten, sind in aller Regel keine Inhalte juristischer Lehr-
gänge. Der Jurist ist ausschließlich mit „seiner“ Materie, dem Recht beschäftigt.
Er findet oft, auch aus zeitlichen Gründen, keine Gelegenheit, sich auch mit oben
genannten weiteren unternehmerischen Themen fundiert auseinanderzusetzen.
Rein juristische Standpunkte sind in einem Unternehmen jedoch selten für dessen
Erfolg ausschlaggebend. Bei allen Unternehmensentscheiden stellt die juristische
Dimension lediglich einen (teilweise sehr geringen) Teilaspekt der Entscheidungs-
grundlage dar.
Dem versierten General Counsel sind seine eigene Position in einem Unterneh-
men und die eben geschilderten Zusammenhänge bestens bekannt. Stets muss er
sich mit Schnittstellen zu anderen Unternehmensbereichen auseinandersetzen und
kann sich dadurch on the job Kenntnisse in anderen Gebieten aneignen. Genau
diese Schnittstellen zu anderen Unternehmensbereichen machen die Arbeit für ihn

C. Dueblin (*)
Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC, Basel, Schweiz
E-Mail: dueblin@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 479


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_35
480 C. Dueblin

und seine Rechtsabteilung besonders interessant: Die Einblicke in andere Abtei-


lungen und die Zusammenarbeit mit anderen Experten und Führungspersönlich-
keiten im Unternehmen können bei ihm den Wunsch entfachen, sich beruflich
weiterzuentwickeln und den Sprung aus der Rechtsabteilung in einen anderen inte-
ressanten Unternehmensbereich zu wagen oder gar ein Unternehmen zu leiten.

35.2 Herausfordernde Fragen zum anvisierten


Positionswechsel

Für den General Counsel, der den Wunsch hegt, in die Linie zu wechseln und ope-
rative Aufgaben zu übernehmen, stellen sich in Bezug auf seine berufliche Kar-
riere einige bedeutende Fragen und Herausforderungen. Operativ tätig zu sein,
bedeutet für die eigene Karriere, in Bezug auf den Einsatz seines rechtlichen Spe-
zialwissens in Zukunft große Abstriche in Kauf zu nehmen. Wie Professor Rolf
Dubs in Kap. 4 treffend beschreibt, ist eine zunehmende Spezialisierung in recht-
lichen Fachgebieten dafür verantwortlich, dass der Jurist für operative Tätigkeiten
heute zu wenig anderweitig professionell verwertbares Wissen mitbringt. Für eine
Linienposition bedarf es zweifelsohne noch anderer Qualitäten, als nur über recht-
liches Fachwissen zu verfügen. Das Resultat: Der Jurist wird vom Management
vorwiegend als Fachspezialist wahrgenommen und dabei nicht für den Einsatz in
anderen Fachbereichen vorgesehen. Mit anderen Worten: Er erscheint oft nicht
auf dem Radar der Unternehmensführung, wenn es darum geht, Mitarbeitende für
operative Funktionen zu fördern.
Der General Counsel, der sich entwickeln möchte, steht schon zu Beginn seines
Wunsches zur beruflichen Weiterentwicklung vor einer wichtigen Entscheidung:
Soll er sich weiterhin juristisch (zum Beispiel mit einem LL.M.-Lehrgang) oder
etwa betriebswirtschaftlich-unternehmerisch (zum Beispiel in einem MBA-Pro-
gramm) weiterbilden? Für denjenigen General Counsel, der keine Ambitionen
hegt, sich im Unternehmen anders als rechtlich zu betätigen, wird die Entschei-
dung einfach zu fällen sein. Er wird sich für die juristische Weiterbildung ent-
scheiden und trifft mit dem LL.M. in der Regel auch eine gute Wahl. Für den
General Counsel jedoch, der Lust verspürt, sich anderweitig in seinem Unter-
nehmen zu entwickeln und sich in andere Unternehmensbereiche einzubringen,
könnte beispielsweise die Wahl eines MBA-Programms strategisch vorteilhaf-
ter sein. Den wenigsten General Counsels wird es aus zeitlichen und finanziellen
Gründen möglich sein, sowohl einen LL.M.-, als auch einen MBA-Lehrgang in
Angriff zu nehmen.
Sollte sich der General Counsel also dafür entscheiden, den betriebswirtschaft-
lichen/unternehmerischen Weg einzuschlagen, stellen sich Fragen, die für den wei-
teren Berufsweg eine wichtige Rolle spielen:

• Wie interessiert und motiviert ist er, um sich der Managementweiterbildung


zu stellen? Wie gut ist er psychisch auf den universitären Betrieb vorbereitet
35 Vom General Counsel ins Linienmanagement 481

(erneut die Schulbank drücken, als Student an Prüfungen antreten, eventuell


misslungene Prüfungen wiederholen)?
• Wie sieht es mit seinem Durchhaltevermögen (persönlich, finanziell, Unterstüt-
zung durch das familiäre Umfeld etc.) aus, zumal betriebswirtschaftliche Wei-
terbildungen in der Regel ein bis zwei Jahre Zeit bedürfen und nicht selten sehr
kostenintensiv sind (Schulkosten, Reduktion Arbeitspensum mit Lohneinbußen,
Reise- und Verpflegungskosten etc.)?
• Schließlich stellt sich die Frage, ob er es tatsächlich wagen will, für eine
gewisse Zeit möglicherweise gar in einer hierarchisch tiefer angesiedelten Posi-
tion zu verweilen, sich dort erneut zu bestätigen und auf einem anderen als dem
rechtlichen Fachgebiet neues praktisches Know-how und wichtige Erfahrungen
zu sammeln, mit dem Risiko, dass er scheitern kann?

Sich diese Fragen zu stellen und schließlich den Mut zu haben, sich von seinem
angestammten Platz als General Counsel mittelfristig zu lösen, bedarf nebst Über-
zeugung auch Charakterstärke. In diesem Zusammenhang muss auf eine Entwick-
lung der letzten Jahre hingewiesen werden: In einem Gespräch zur Vorbereitung
dieses Buches meinte der ehemalige Politiker, Top-Manager und Multiverwal-
tungsrat Robert A. Jeker1 zurückblickend auf seine Karriere in diversen Unterneh-
men, dass es lange relativ einfach gewesen sei, mit einem Studium der
Rechtswissenschaften ins Management von Unternehmen einzusteigen. Dies habe
sich seiner Meinung nach in den letzten Jahren markant geändert. Senior execu­
tives seien heute in der Regel nicht Juristen, sondern vor allem Betriebs- und
Volkswirte, welche über fundiertes Wissen im Finanzbereich verfügten oder
Naturwissenschaftler, wie Ingenieure, Chemiker, Physiker etc., die in gefragten
Spezialbereichen der Industrie tätig seien und spezifisches Expertenwissen für das
Führen einzelner Unternehmenssparten mitbrächten.
Die Anforderungen, die sich heute an die Führung und Weiterentwicklung ein-
zelner Unternehmensbereiche stellen, natürlich auch an die Rechtsabteilung, sind
bedeutend größer und komplexer als sie es noch vor zwei oder drei Jahrzehnten
waren. Bereits einfachere Bereiche, wie der Jahresabschluss, können heute in
keiner Weise mehr mit demjenigen vor 30 Jahren verglichen werden. Gutes All-
gemeinwissen, gesunder Menschenverstand und ein soziales Netzwerk, in dem
man sich bewegt, reichen heute nicht mehr aus, um komplexe unternehmerische
Aufgaben anvertraut zu bekommen. Das gilt vor allem auch für Führungspositi-
onen in technisch hochkomplexen Bereichen von Unternehmen, die dem globali-
sierten Wettbewerb, den exponentiellen Sprüngen in der technischen Entwicklung
und den immer rascher werdenden Bedürfnisveränderungen im Markt genügen
müssen.

1Auf dem Höhepunkt seiner Karriere war Robert A. Jeker Aufsichtsratsvorsitzender von Feld-
schlösschen, Batigroup, Swiss Steel, Georg Fischer und der Messe Schweiz sowie Präsident der
Generaldirektion der Schweizerischen Kreditanstalt. Dazu kamen Aufsichtsratsmandate bei ABB,
Synthes-Stratec, der NZZ und weiteren Unternehmen. Robert A. Jecker ist am 4. Juli 2012 gestorben.
482 C. Dueblin

Beispiel
Unternehmer X hat jahrzehntelang Maschinen hergestellt und sich auf dem
Markt einen guten Namen geschaffen. Die Marktlage hat ihn jedoch dazu
gezwungen, nicht mehr nur einzelne Maschinen zu produzieren, sondern
gleichzeitig auch die entsprechende Steuerung der Maschinen anzubieten. Letz-
teres hat dazu geführt, dass er Elektrotechniker, IT- und Software-Spezialisten
einstellen musste, um den Geschäftsbereich aufbauen und anschließend vergrö-
ßern zu können. Grund für diesen Entscheid war die Tatsache, dass sich heute
mit dem ausschließlichen Verkauf von Maschinen kein Geld mehr verdienen
lässt. Der Unternehmer wurde dadurch vom Markt dazu gedrängt, vom Maschi-
nenhersteller zu einem umfassenden Systemlieferanten zu werden. Für diese
Transformation musste entsprechend auch das Linienmanagement des Unter-
nehmens angepasst werden.

Mit dem Entscheid, nicht mehr nur Produkte, sondern ganze Systeme anzubieten,
steigen auch die unternehmerischen Risiken, was sich auch in der Rechtsabteilung
niederschlägt. Die dort auszuarbeitenden Verträge sind seither ebenfalls komplexer
geworden. Die erhöhte Komplexität schlägt sich aber auch in allen anderen Berei-
chen eines Unternehmens nieder. So ist beispielsweise die Beschaffungsabteilung
gefordert. Sie muss vermehrt IT und Software besorgen. Der Unterhalt und die
Wartung der neuen Systeme stellen die Service-Abteilung eines Unternehmens vor
ganz neue Herausforderungen. Genauso steht es mit dem Management des Unter-
nehmens.
Der General Counsel in der Rechtsabteilung, in der Regel als Stabsstelle in
einem Unternehmen organisiert (siehe dazu auch Kap. 37), sollte versuchen, nicht
der in hohen Kaderpositionen hin und wieder anzutreffenden power bias2, aber
auch nicht einer milderen Form von Wahrnehmungsverzerrung zu erliegen, indem
er zu glauben scheint, dass er aufgrund seines unternehmensjuristischen Wissens
auch das gesamte restliche Geschäft seines Unternehmens bestens verstehe respek-
tive dadurch seine Funktion und Machtposition überbewertet. Sein juristisches und
praktisches Wissen ermöglichen ihm zwar, sich mit den Leitern anderer Unterneh-
mensbereiche auf (oder meist über deren) Augenhöhe zu bewegen, sofern rechtli-
che Sachverhalte diskutiert werden. Der General Counsel kann in der Regel jedoch
keinen entscheidenden operativen oder strategischen Diskussionsbeitrag einbrin-
gen, da er andere Unternehmensbereiche nicht auch von der zuweilen komplexeren
betriebswirtschaftlichen beziehungsweise technischen Seite versteht. Mitarbei-
tende, die ihre Stabsstellenfunktion und die damit verbundene Macht, die aufgrund

2Eine power bias kann entstehen, wenn eine Machtstellung (wie zum Beispiel die eines General
Counsel) dazu führt, dass die eigene Wahrnehmung in Bezug auf Position und Außenwelt ver-
loren geht. Die von der power bias betroffene Person beginnt in der Folge, erhaltene Auszeich-
nungen, die Macht über andere etc. ausschließlich auf individuelle Fähigkeiten und die eigene
Person zurückzuführen. Solches Verhalten kann dann dazu führen, dass diese Person ihre tatsäch-
lichen Fähigkeiten und ihre Position im Unternehmen missversteht und überschätzt.
35 Vom General Counsel ins Linienmanagement 483

der Nähe zum Management zweifelsohne oft vorliegt, überschätzen oder ihre
eigene Position im Unternehmen missverstehen, können sich mit diesem falschen
Verständnis leicht Ärger mit anderen Mitarbeitenden und Unternehmensbereichen,
auch der Unternehmensführung, einhandeln. In einem Gespräch zur Vorbereitung
dieses Buches meinte ein sehr bekannter Mehrfachverwaltungsrat, dass er in sei-
nem beruflichen Leben hin und wieder Mitarbeitende auf falsch verstandene
Machtpositionen hinweisen musste. Gerade Mitarbeitende von Stabsstellen – so
auch der General Counsel – müssten bei einer falsch verstandenen Machtposition,
„auf den Boden der Realität“ zurückgebracht werden.
Es muss betont werden, dass es für die Arbeit der Rechtsabteilung als Stabs-
stelle geradezu charakteristisch ist, dass der General Counsel Dienstleister für alle
anderen Unternehmensbereiche ist. Er wird bei rechtlichen Fragen im gesamten
Unternehmen hinzugezogen, wobei er auch rechtliche Fragestellungen nur bear-
beiten kann, wenn ihm technische und betriebswirtschaftliche Unterstützung von
anderen Experten geboten wird. Die Zusammenarbeit mit diesen Spezialisten, auch
mit der Geschäftsleitung, ermöglicht es dem General Counsel, ein breites Netz-
werk zu bilden. General Counsels, welche ihre juristische Dienstleistung in einem
größeren Zusammenhang sehen und es schaffen, ihre Fähigkeiten in einem umfas-
senderen unternehmerischen Rahmen aufzuzeigen, können in einem Unternehmen
einen besonders positiven Einfluss auf andere Personen und die sich stellenden
Herausforderungen ausüben, mit positiven Auswirkungen auf die eigene Karriere.
Nicht immer ist es in Unternehmen jedoch vom Aufsichtsrat und dem Management
erwünscht, dass der General Counsel über seinen eigenen Tellerrand hinausblickt
und sich im gesamten Unternehmen als wertschöpfender Macher und umsichtiger
team player profiliert. Für den General Counsel, der gerne ins operative Geschäft
einsteigen möchte, stellen sich in diesem Zusammenhang somit folgende Fragen:

• Wie kann er in einer zunehmend komplexeren Geschäftswelt mit seinem recht-


lichen Fachwissen den Einzug ins operative Geschäft schaffen?
• Wie soll er sich am besten positionieren, damit sein Vorgesetzter und natürlich
auch die anderen Geschäftsleitungs- beziehungsweise Aufsichtsratsmitglieder
seine Eignung für eine operative Führungsposition im Unternehmen erkennen?
• Wie erreicht er eine gute Balance zwischen seinen rechtlichen Aufgaben und
anderen Tätigkeiten, die ihm den Weg ins operative Geschäft ebnen könnten?
• Wie geht er mit anderen Spezialisten im Unternehmen um, die seine Einfluss-
nahme auf andere Geschäftsbereiche möglicherweise als störend empfinden
können?

35.3 Die Positionierung zur Führungsspitze

Es geht nachfolgend nicht darum, Unternehmer, Aufsichtsräte oder senior execu-


tives sowie deren tatsächliche Kompetenzen zu hinterfragen. Diese sind, wie bei
allen Menschen und Unternehmen, teilweise ausgezeichnet, meist durchschnitt-
lich und manchmal auch ungenügend. Anhand der praktischen Erfahrungen des
484 C. Dueblin

Autors im Umgang mit Führungsspitzen soll aufgezeigt werden, welche Punkte


regelmäßig eine Rolle spielen, sofern ein General Counsel in eine Führungsposi-
tion der Linie wechseln möchte. Wer die konkrete Person des Vorgesetzten ist, der
den abschließenden Entscheid darüber trifft, spielt nachfolgend keine Rolle. Wich-
tig ist nur, dass diese Person die Geschicke des Unternehmens maßgeblich beein-
flussen kann und für die strategische Führungskräftebesetzung des Unternehmens
zuständig ist.
Um sich gegenüber solchen Persönlichkeiten möglichst optimal positionieren zu
können, sollte sich der General Counsel zuerst einmal einige Fragen dazu stellen,
was die Führungsspitze eines Unternehmens genau anstrebt und wie sie funktioniert:

• Hat sie besonderen Ehrgeiz und möchte das Unternehmen überdurchschnitt-


lich erfolgreich machen? Ist sie übermäßig kompetitiv und performance-ori-
entiert? Welche performance measures liegen ihr besonders am Herzen (ROI,
gross profit, EBIT/EBITDA, profit margin etc.)? Steht für sie der Imperativ
der Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit oder der des Shareholder-Value im
Vordergrund? Die Antworten auf solche Fragen geben dem General Counsel
interessante Ansatzpunkte für die strategische Wahl der optimalen Selbstver-
marktungsoptionen.
• Ist sie daran interessiert, dass das Unternehmen nachhaltig wirtschaftet und als
verlässlicher Partner wahrgenommen wird? Welche anderen Werte sind ihr im
Zusammenhang mit dem Unternehmen wichtig? Auch daraus lassen sich inte-
ressante Ansatzpunkte für die individuelle Positionierungsstrategie des General
Counsel ableiten.
• Hat sie Geld investiert und ist dadurch Risiken eingegangen, welche sie so
rasch wie möglich wieder ausgleichen muss? Möchte sie mit dem Einsatz von
möglichst wenigen Ressourcen eine hochwertige Leistung anbieten? Falls ja,
kommt in einem solchen Unternehmen ein Positionswechsel momentan wohl
eher nicht infrage.
• Will sie das Unternehmen nachhaltig weiterentwickeln und ist sie dafür auch
bereit, die nötigen Investitionen zu tätigen? Will sie soziale Verantwortung
übernehmen und hat sie ein Interesse, dass auch Mitarbeitende vom Erfolg
profitieren? Erkennt sie, dass das sinnvolle Fördern von Mitarbeitenden einen
positiven Impact auf das Unternehmen haben kann? Dann ist eventuell die Zeit
ideal dafür, den Wunsch des General Counsel hinsichtlich eines Positionswech-
sels mit ihr anzusprechen.
• Fördert sie ausschließlich, was einen unmittelbar positiven Einfluss auf die
Geschäftsergebnisse hat oder ist sie an einem eher langfristigen Gedeihen des
Unternehmens interessiert? Das ist ein sehr wichtiger Punkt: So ist es für den
General Counsel nicht einfach, ausschließlich kurzfristig denkenden Führungs-
spitzen die Investition in einen MBA-Lehrgang oder eine ähnliche Ausbildung
schmackhaft zu machen. In der Regel wird, wenn überhaupt, die Investition in
einen LL.M.-Lehrgang aufgrund des direkten Gegenwerts für die tägliche juris-
tische Arbeit verstanden, währenddessen ein MBA-Lehrgang, oder eine ähnli-
che Ausbildung, für einen Juristen eher auf Ablehnung stößt. Anders hingegen
35 Vom General Counsel ins Linienmanagement 485

bei langfristig aufgestellten und entwicklungsorientierten Unternehmen, welche


über die nötigen Einsichten und finanziellen Bildungsressourcen verfügen und
natürlich auch bereit sein müssen, in die Weiterbildung des General Counsel
zu investieren. Es darf an dieser Stelle nicht vergessen gehen, dass es oft auch
Sympathien sind, die ausschlaggebend für eine Förderung oder Beförderung
sein können.

Damit ein Unternehmen die von seiner Führungsspitze erwarteten Leistungsziele


überhaupt erfüllen kann, ist es auf gutes Personal angewiesen. In diesem Zusam-
menhang stellen sich für den wechselwilligen General Counsel in Bezug auf die
inhaltlichen Erwartungen wichtige Fragen:

• Welche fachlichen Kompetenzen werden im delegierten Verantwortungsbereich


verlangt und in welcher Qualität müssen sie vorliegen?
• Welche Kenntnisse über unternehmerische Zusammenhänge, Abläufe und Pro-
zesse im Unternehmen werden besonders interessant sein?
• Welche detaillierten Kenntnisse über unternehmerische Leistungen, wie Pro-
dukte und Dienstleistungen, werden besonders wichtig sein?
• Welche Rolle werden spezifische Kenntnisse über den Markt und die Kunden-
kulturen, mit denen sich das Unternehmen auseinandersetzen muss, in Zukunft
spielen?
• Wie angesehen wird der Wille, Verantwortung zu übernehmen, zukünftig im
Unternehmen sein?
• Wie wichtig wird die Begabung eingestuft, übergeordnet, das heißt auch strate-
gisch und bereichsübergreifend denken zu können?
• Welche Rolle werden Fähigkeiten wie Durchsetzungskraft, Dynamik und Moti-
vation für das Führungspersonal des Unternehmens spielen?
• Wie wird in Zukunft die Fähigkeit bewertet, Visionen zu haben und diese auch
in die Tat umsetzen zu können?
• Wie wird künftig die Fähigkeit geschätzt werden, praktikable und unternehme-
rische Entscheide treffen zu können? Wie diejenige, eingeleitete Projekte zum
Erfolg bringen zu können?
• Welchen Stellenwert wird die Loyalität gegenüber dem Unternehmen und der
Unternehmensleitung in Zukunft haben?

Diese Fragen sind nicht abschließend, aber sie zeigen auf, was die obersten Ent-
scheidungsträger in Bezug auf die Auswahl der fähigsten Mitarbeitenden in ihrer
Führungsriege möglicherweise bewegt.

Beispiel
Firmeneigentümer X beklagt sich lauthals über sein Personal: Er delegiert
Aufgaben an operativ tätige Mitarbeitende und stellt dabei immer wieder ver-
blüfft fest, dass diese nicht lösungsorientiert arbeiten. Allzu oft erhält er von
diesen lediglich die Antwort, dass bei der Durchführung der Aufgabe Probleme
486 C. Dueblin

e­ ntstanden seien. Allerdings lege ihm nur selten ein Mitarbeitender auch einen
Vorschlag vor, wie das Problem gelöst und die Aufgabe umgesetzt werden
könne. Mit anderen Worten: Der Unternehmer delegiert und wird lediglich mit
Problemen zurückkonfrontiert.

Das Beispiel zeigt auf, was Unternehmer, Firmeneigentümer und andere oberste
Führungskader von ihren Mitarbeitenden generell, und insbesondere von ihren
Geschäftsleitungsmitgliedern und anderem Führungspersonal erwarten. Sie möch-
ten sich schließlich – wie das der General Counsel auch von seinen direkt unter-
stellten Legal Counsels und Paralegals erwartet – darauf verlassen können, dass
die delegierten Aufgaben mit der nötigen Vorsicht, aber auch mit einem gesunden
Maß an Flexibilität und Sinn für Opportunitäten lösungsorientiert ausgeführt wer-
den. Gründe, dass Projekte oft nicht im Sinne des Unternehmers umgesetzt wer-
den können, sind nebst vielen mehr:

• Die Lösung ist nicht umsetzbar, weil die Kostenfolge zu hoch wäre.
• Die Lösung ist nicht machbar, weil es an Ressourcen fehlt.
• Ein Projekt stagniert, weil es von den verantwortlichen Personen nicht richtig
überwacht und gefördert wird.
• Ein Projekt scheitert, weil man sich zu viele Ziele auf einmal gesetzt hat.
• Die Lösung ist nicht unter Berücksichtigung des gesamtunternehmerischen
Kontexts angedacht worden.
• Es stellt sich heraus, dass eine Lösung nicht funktioniert, weil diverse Schnitt-
stellen zu anderen Unternehmensbereichen nicht beachtet wurden.
• Eine Lösung ist nicht umsetzbar, weil sie zu viele Risiken für ein Unternehmen
mit sich bringt.
• Eine Lösung ist nicht realisierbar, weil sie von verschiedenen Unternehmens-
bereichen nicht unterstützt wird, da diese die Sinnhaftigkeit der Lösung nicht
verstehen (wollen).
• Ein Projekt scheitert, weil die damit betraute Person überfordert ist.

Nachfolgend ein Beispiel aus der Praxis, welches exemplarisch die nachhaltige
und strategische Denkweise einer fähigen Führungsspitze aufzeigt. Es handelt
sich um eine häufig anzutreffende Problemstellung aus dem Aufgabenbereich des
Top-Managements:

Beispiel
Der Leiter der Technik bringt in der Geschäftsleitung den Vorschlag ein, sich
künftig nicht mehr nur im Produktebereich A zu bewegen, sondern auch einen
weiteren Bereich B aufzubauen. Aus technischer Sicht erkennt die Führungs-
spitze, dass sich dadurch tatsächlich lukrative Geschäftsmöglichkeiten erge-
ben könnten. Sie erkennt jedoch auch, dass es für einen zukünftigen Bereich B
ein neues Vertriebskonzept braucht, da dasjenige des Bereichs A hierfür nicht
35 Vom General Counsel ins Linienmanagement 487

ausreichen würde, zumal der weltweit organisierte Vertrieb des Bereiches A


aufgrund der Kundenlage nicht auch noch den Vertrieb des Bereichs B abde-
cken könnte. Würde das Unternehmen in den Bereich B einsteigen, müsste es
somit gleichzeitig auch eine neue Vertriebsstruktur schaffen, was das Unter-
nehmen jedoch finanziell vorderhand in den Ruin treiben könnte.

Ein General Counsel bietet sich, wie wir bereits gesehen haben, nicht per se an,
um sich als Erstbesetzung für eine Führungsaufgabe in der Linie zu empfehlen. Es
sei denn, er habe entsprechende Fähigkeiten bereits zuvor in der Führungsspitze
unter Beweis gestellt. In Situationen, wie im vorangehenden Beispiel dargestellt
und bezüglich der aufgelisteten Punkte, die oft zum Scheitern von Projekten und
Lösungen in einem Unternehmen führen, kann er jedoch auf sich aufmerksam
machen, sofern er über den grundlegenden Sinn für unternehmerische Zusammen-
hänge verfügt. Er kann versuchen, Erkenntnisse aus der Zusammenarbeit mit Spe-
zialisten und Topkadern einzubringen.
Folgende aufgelistete Eigenschaften des Legal Counsel können für die Füh-
rungsspitze interessant sein und ihn für eine leadership position in der Linie emp-
fehlen. Der General Counsel verfügt in der Regel über

• eine hohe Sensibilität in Bezug auf Schnittstellen im Unternehmen;


• eine logisch-strukturierte Denkweise, die es ihm erlaubt, auch kritische Fragen
zu stellen;
• ein breites Allgemeinwissen, das ihm hilft, seine eigene Tätigkeit in einem grö-
ßeren Kontext zu sehen;
• eine Denkweise, die nicht zu sehr von technischen oder kaufmännischen All-
tagsproblemen überschattet ist, und somit für übergeordnetes Denken prädesti-
niert ist;
• ein gutes Gespür für Risiken und eventuell auch für Möglichkeiten/Chancen,
die sich im Markt bieten;
• ein gutes Gefühl für Sprache und Kommunikation, was sich im Umgang mit
anderen Mitarbeitenden, aber auch mit Vertragspartnern sehr positiv nieder-
schlägt.

35.4 Self Marketing bedeutet in erster Linie: Aus der


Masse herausragen

Wie kann es einem General Counsel nun gelingen, auf sich und sein Begehren
für einen Positionswechsel aufmerksam zu machen? Wie schafft er es, sofern er
die Hausaufgaben gemacht und sich optimal auf sein Unterfangen vorbereitet hat,
auf dem „Radar“ des Firmeneigentümers, des Aufsichtsratsvorsitzenden, des CEO
oder etwa eines Divisions-CEO zu erscheinen? Auch hier nachfolgend ein Katalog
von Anregungen für General Counsels, welche auf den persönlichen Erfahrungen
des Autors beruhen:
488 C. Dueblin

• Auch wenn „nur“ juristisch zugearbeitet wird, kann der General Counsel versu-
chen, Einfluss auf Geschäfte und Projekte in anderen Unternehmensbereichen
oder an Schnittstellen zur Rechtsabteilung zu nehmen. Das kann beispielsweise
dadurch geschehen, dass er bei Verkaufsgesprächen und Verhandlungen mit
dabei ist und sich im Sinne des eigenen Unternehmens verhält. Wichtig dabei
ist, dass er von anderen Mitarbeitenden als Gewinn und Entlastung wahrge-
nommen wird und nicht als Konkurrent oder Verhinderer.
• Projekte, die an den General Counsel herangetragen werden und die möglicher-
weise sonst niemand bearbeiten möchte, nicht per se ablehnen.
• Der General Counsel sollte der Mitarbeit vor allem in bereichsübergreifenden
Projekten, welche in der obersten Führungsriege auf Resonanz stoßen, den Vor-
rang geben, indem er seinen Teil überdurchschnittlich gut erledigt, auch wenn
dieser mit der Rechtsabteilung nichts oder nur am Rande zu tun hat.
• Der General Counsel muss Verantwortung übernehmen: Erfahrungsgemäß ist
dies einer der folgenreichsten, aber schwierigsten Punkte für Unternehmens-
juristen. Jede Person an der Spitze eines Unternehmens schätzt es, wenn der
General Counsel für seine Entscheide Verantwortung übernimmt. Es muss ihm
dabei gelingen, das richtige Verhältnis zwischen Risiko und Möglichkeiten, die
sich bieten, zu finden und er sollte darauf achten, auf keinen Fall als „Verhinde-
rer“ im Unternehmen wahrgenommen zu werden.
• Der General Counsel sollte nicht in erster Linie auf Missstände im Unterneh-
men aufmerksam machen, sondern sich ausschließlich auf die entsprechenden
Lösungen zum Vorteil seines Unternehmens fokussieren.
• Interesse für unternehmerische Zusammenhänge bekunden: Das kann auch
darin bestehen, sich unternehmerisch in-house weiterzubilden, sofern das
Unternehmen solche Möglichkeiten anbietet.
• Sich fundiertes Wissen über die Kunden und Leistungen, aber auch über Pro-
zesse und Abläufe des Unternehmens aneignen: Der General Counsel muss
versuchen, technisch oder betriebswirtschaftlich schwierige Sachverhalte zu
verstehen. Dafür muss er aktiv andere Mitarbeitende bitten, ihm die Zusammen-
hänge zu erklären. Es erstaunt hin und wieder, wenn im Gespräch mit einem
General Counsel ersichtlich wird, dass dieser noch nie die Produktionsanlage
gesehen hat, das eigene Endprodukt nicht kennt oder nach Jahren der Arbeit für
das Unternehmen in gewissen Abteilungen noch nie gesehen worden ist.
• Der General Counsel muss im Umgang mit Mitarbeitenden und Führungska-
dern anderer Unternehmensbereiche offen sein, indem er die Schnittstellen der
Rechtsabteilung zu anderen Abteilungen nutzt und diese sukzessive zu beiderlei
Vorteil ausbaut.
• Mitarbeitenden mit dem nötigen Respekt und lösungsorientiert begegnen: Der
General Counsel muss mit der nötigen Vorsicht abwägen, wann es nötig ist, auf
eine Nachlässigkeit eines Mitarbeitenden aufmerksam zu machen oder nicht.
Geht es um die Besetzung von Linienfunktionen, spielen andere Mitarbei-
tende eine wichtige Rolle. Ein Hinweis eines Spezialisten bei der Firmenfüh-
rung, dahin gehend, dass der General Counsel gute Resultate erzielt hat, kann
35 Vom General Counsel ins Linienmanagement 489

dazu führen, dass er auf dem Radar der Firmenführung erscheint und diese
andere Kompetenzen erkennt, die ihn auszeichnen und für andere Arbeiten und
­He­rausforderungen empfehlen.
• Krisenfälle meistern: Gerade Krisenfälle führen dazu, dass der General Counsel
eine wichtige Rolle in einem Unternehmen spielt und im Fokus des Manage-
ments steht. Gelingt es ihm, einen Krisenfall umfassend anzugehen, also nicht
nur mit der „juristischen Brille“, sondern mit unternehmerischem Feingefühl
auch für andere Fragen, die sich im Krisenfall stellen, führt dies unweigerlich
zu positiver Aufmerksamkeit: „Da ist einer, der mehr kann, als wir erwartet
haben. Den müssen wir uns merken.“

Der vorstehende Katalog von Möglichkeiten, um sich im eigenen Unternehmen


bemerkbar zu machen, ist selbstverständlich nicht abschließend. Er zeigt aber
exemplarisch auf, dass es eine Vielzahl unterschiedlicher Wege in die „Teppich­
etage der Linie“ gibt. Auch gilt es eine Vielzahl weiterer Kriterien zu berücksich-
tigen, welche Einfluss auf die berufliche Weiterentwicklung auch eines General
Counsel haben: Zu denken ist vor allem an real existierende Netzwerke. So kann
ein General Counsel sich aufgrund sozialer Kontakte auch außerhalb des Unter-
nehmens bei der Führungsspitze des eigenen Unternehmens (oder bei anderen
Entscheidträgern) positiv bemerkbar machen, indem er es versteht, seine Kon-
takte gekonnt zu pflegen. Hier ist vor allem an karitative und soziale Engage-
ments (zum Beispiel durch Vorstandsarbeit in einer gemeinnützigen Stiftung), an
eine gepflegte Teilnahme in Logen, Studentenverbindungen oder Service Clubs,
an eine aktive Involvierung in Sport- und Interessenvereinen oder ganz allgemein
auch an gezielte Aktivitäten in Wirtschaftsverbänden zu denken. Ein Jurist, der
neben seinen rechtlichen Aufgaben auch noch andere Lebensinhalte und -interes-
sen aufweist, wird von seinem Umfeld anders wahrgenommen. Nicht selten sind
es andere Betätigungen oder auch Hobbys, die über rechtliche Belange hinweg zu
Gesprächen, Interessen und sozialen Kontakten führen können. Wie Frau Stefanie
Luckert in Kap. 22 feststellt, kann ein General Counsel auch sehr elegant Auf-
merksamkeit auf sich ziehen, indem er in einem Verband, aber auch für eine Fach-
hochschule, Hochschule oder innerhalb eines MBA-Lehrganges zu bestimmten
Themen doziert oder sich als Fachexperte zur Verfügung stellt. Für die Führungs-
spitze kann es interessant sein, wenn der General Counsel als Vertreter des eigenen
Unternehmens positiv auf andere Personen und Unternehmen einwirkt.
Schließlich benötigt man, wie überall im Leben, auch eine gehörige Portion
„Glück“, um seine beruflichen Wünsche erfüllen zu können. Es werden Menschen
bekanntermaßen nicht nur aufgrund ihrer hervorragenden Fähigkeiten befördert
und gefördert. Der wechselwillige General Counsel braucht nebst einem soliden
fachlichen Fundament, offene Augen und Ohren, um gute sich bietende Gelegen-
heiten zu erkennen. Der General Counsel muss daher auch zur richtigen Zeit am
richtigen Ort sein und den Entscheidträger mit der richtigen Antwort begeistern
können.
490 C. Dueblin

Über den Autor


Christian Dueblin, lic. iur., Executive MBA Universität St.Gallen (HSG) – Partner QUAD-
RAGON MANAGEMENT LLC, Basel
Studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Fribourg/Basel und bildete sich anschlie-
ßend betriebswirtschaftlich mit einem Executive MBA-Lehrgang in General Management an
der Universität St.Gallen (HSG) weiter. Er hat mehrere Jahre als nebenamtlicher Bezirksrichter
gearbeitet, Rechtsabteilungen bekannter international tätiger Mittelstandsbetriebe aufgebaut und
als General Counsel geleitet. Als Partner von QUADRAGON MANAGEMENT verantwortet er
die Bereiche Interim Legal Counseling und Legal Education. Christian Dueblin ist langjähriger
Experte und Fachdozent für Recht von procure.ch. Er ist zudem Gründer und Betreiber des Kul-
tur- und Management-Netzwerkes Xecutives.net.
Teil VI
Praxis zu Strukturen von Legal
Operations
Einführende Übersicht Strukturen
von Legal Operations 36
Roman P. Falta

36.1 Die Strukturen von Legal Operations

Teil VI dieses Buches fokussiert, wie in Abb. 36.1 dargestellt, auf den ersten
Bereich der strukturellen Legal Operations Management-Gestaltungsmöglich-
keiten (Strukturen, Ressourcen und Prozesse). Durch organisatorische Strukturen
erhält die Rechtsfunktion nicht nur eine genaue Zuordnung in der Gesamtorga-
nisation, sondern auch Stabilität, Komplexitätsreduktion, Verlässlichkeit sowie
einen Zugewinn an Effizienz und Effektivität im Inneren. Die Gestaltung optima-
ler Strukturen ist für Legal Operations daher nicht ganz trivial, auch wenn dieser
Bereich für die meisten General Counsels auf den ersten Blick wenig Spannendes
bereitzuhalten scheint. So benötigen Anpassungen in der äußeren Gesamtorgani-
sation relativ lange, bis sie umgesetzt sind und ihren Nutzen freisetzen können.
Andererseits besteht die Gefahr, den Einfluss optimaler interner Strukturen auf die
Identitätsstiftung, die Umsetzung des Leistungsprogramms und die Positionierung
gegenüber internen Interaktionspartnern zu unterschätzen. Strukturen von Legal
Operations werden in der Praxis denn auch relativ selten verändert; zum Leidwe-
sen der Möglichkeiten und Chancen, welche eine optimal strukturierte Rechtsab-
teilung mit sich bringt.

R.P. Falta (*)


Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC,
Zürich, Schweiz
E-Mail: falta@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 493


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_36
494 R.P. Falta

Abb. 36.1  Strukturen im Kontext des QUADRAGON Legal Operations Management-Modells©.


(Quelle: QUADRAGON Management LLC)

36.2 Die Elemente und Inhalte der Legal Operations-


Strukturen

Aus der Perspektive der Legal Operations lassen sich die Gestaltungsoptionen hin-
sichtlich der Strukturen der Rechtsfunktion in zwei große, inhaltlich voneinander
getrennte Themenbereiche unterteilen:

• Außenstrukturierung: Der Bereich Außenstrukturierung befasst sich mit der


idealen organisatorischen Anknüpfung der Rechtsfunktion in der sie umgeben-
den Gesamtorganisation (Unternehmen oder Behörde). Dieser Bereich ist vom
General Counsel nicht beeinflussbar, um einseitig Veränderungen durchzuset-
zen. Die Führungsspitze bestimmt in der Regel durch die Verabschiedung der
Struktur- und Organisationspolitik, wo einzelne Unternehmensjuristen bezie-
hungsweise eine Rechtsabteilung organisatorisch „angehängt“ werden. Auch
wenn die Beeinflussungsmöglichkeiten für den General Counsel in diesem
Bereich maßgeblich eingeschränkt sind, gibt es dennoch einige Möglichkei-
ten, um gewünschte Umgestaltungen mittel- bis langfristig herbeizuführen. Im
Rahmen eines solchen Veränderungsprozesses kommen Sie als General Coun-
sel nicht darum herum, sich folgende Fragen zu stellen: Wie kann die Orga-
nisations- und Strukturpolitik der Gesamtorganisation beeinflusst werden?
Welches Vorgehen ist am besten dafür geeignet, um Strukturänderungen in der
Gesamtorganisation zu beschleunigen? Und überhaupt, wo sollte die Rechts-
funktion in der Organisation künftig idealerweise angehängt sein? Wie sollte
36 Einführende Übersicht Strukturen von Legal Operations 495

die Rechtsfunktion buchhalterisch erfasst werden (integrierte oder eigenstän-


dige Kostenstelle)? Wen möchte ich als direkten Vorgesetzten haben? An wen
möchte ich künftig direkt/indirekt rapportieren? An welche anderen Organi-
sationseinheiten sollten meine reports auch noch gehen? Wo wären weitere
dotted reporting lines nötig, wo sind die heute bestehenden nicht sinnvoll und
daher abzubauen? Wie grenze ich meine Rechtsabteilung zu anderen Professio-
nal Services Units organisatorisch ab? Wo macht eine abteilungsübergreifende
Zusammenarbeit aus organisatorischer Sicht Sinn? Welche hierarchisch-orga-
nisatorische Stellung habe ich gegenüber anderen nicht der Rechtsabteilung
zugeordneten Juristen im Unternehmen (Beispiel Arbeitsrechtler in der Perso-
nalabteilung, Steuerexperten in der Finanz- oder Steuerabteilung, Datenschutz-
und IT-Rechtsexperten in der Informatikabteilung etc.)? Welche strukturellen
Verknüpfungen in der Gesamtorganisation könnten für die Aufgabenerfüllung
der Legal Operations wichtig sein? Etc.
• Innenstrukturierung: Die Innenstrukturierung befasst sich mit der inneren
organisatorischen Ausgestaltung der Rechtsfunktion, in die der General Coun-
sel direkt eingreifen kann. Die Auseinandersetzung mit diesem Bereich gehört
regelmäßig zu seinem Pflichtenheft als „Abteilungsleiter“. Im Vordergrund
steht die optimale Ausrichtung der Legal Operations-Arbeitsorganisation auf
die spezifische Leistungserstellung und Zielerreichung für die sie umgebende
Organisation. In diesem Zusammenhang stellen sich folgende Fragen: Wie
kann die Rechtsabteilung hierarchisch/informell noch besser ausgestaltet wer-
den? Durch welche Gliederung der Rechtsfunktion würde internen Interakti-
onspartnern noch besser thematisch, geografisch und personell gedient? Wie
viele Hierarchiestufen sind wirklich nötig? Macht das heutige Reportingsystem
noch Sinn? Wie verläuft der Informationsfluss in meiner Rechtsabteilung (vor
allem auch informell)? Etc.

36.3 Kapitelübersicht – Strukturen in Legal Operations

Durch eine umsichtig gewählte Strukturierungsstrategie kann der General Coun-


sel nicht nur die Positionierung seiner Rechtsabteilung in der Gesamtorganisation
verbessern, sondern vor allem die interne Organisation auch in Bezug auf die aktu-
ellen und künftigen Herausforderungen optimal ausrichten. Die beiden nachfol-
genden Kapitel zur Außen- und zur Innenstrukturierung versuchen auf einige der
vorstehenden Fragen eine Antwort zu finden und dem General Counsel dadurch
eine praktische Hilfestellung an die Hand zu geben:

• Roman P. Falta beschäftigt sich daher in Kap. 37 mit den formellen und
informellen Außenstrukturen von Legal Operations. Er stellt zuerst die Krite-
rien und Gesichtspunkte dar, die es bei der Einführung einer neuen Rechtsab-
teilung im Rahmen ihrer gesamtorganisatorischen Ansiedlung in Unternehmen
oder Behörden zu beachten gilt. Danach geht er auf die Änderungen der
496 R.P. Falta

­ ußenstruktur einer Rechtsabteilung ein, indem er auf zwei Aspekte der Neu-
A
ausrichtung eingeht: Wenn der General Counsel Mitglied der erweiterten
Geschäftsleitung wird und wenn er Mitglied der obersten Geschäftsleitung
werden möchte. Im Anschluss bietet das Interview mit Prof. Dr. Rolf Watter
Einblicke in verschiedene Organisations- und Interaktionsfragen rund um das
Thema Legal Operations Management.
• Zudem setzt sich Roman P. Falta in Kap. 38 mit den formellen und infor-
mellen Innenstrukturen von Legal Operations auseinander. Er fokussiert sich
zu Beginn auf die Organisationsfaktoren, die für eine ideale innere organisa-
torische Ausgestaltung der Rechtsabteilung relevant sind. Dann geht er auf die
Organisationsausgestaltung (Grundbausteine, Primär- und Sekundärstrukturen)
ein, bevor er neue Organisationskonzepte für Rechtsabteilungen vorstellt. Am
Schluss zeigt er das Vorgehen bei einer organisatorischen Reorganisation von
Legal Operations auf.

Über den Autor


Roman P. Falta, lic.iur.HSG – Professional Services Management Leader QUADRAGON
MANAGEMENT LLC, Zürich
Studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen HSG. Daneben
hält er Weiterbildungsdiplome der Harvard University, des MIT und der UC Berkeley in Sozio­
anthropologie und Psychologie. Seine Berufskarriere begann er in einer führenden Strategie-
beratung, welcher Berufsstationen bei Gericht, in der Finanzverwaltung und einer namhaften
Anwaltskanzlei folgten. Anschliessend war er für diverse Bereiche in Corporate Legal und in der
Compliance eines Global Fortune 500-Unternehmens verantwortlich. Als Professional Services
Management Leader verantwortet er heute unter anderem den Bereich Legal Operations Optimi-
zation bei QUADRAGON MANAGEMENT. Er gilt als einer der renommiertesten Experten für
Professional Services Optimization und Elite Performance Development im deutschsprachigen
Raum.
Formelle und informelle
Außenstrukturen 37
Roman P. Falta

37.1 Einführende Übersicht

Das Ziel, das mit einer sinnvollen Ausgestaltung der Rechtsfunktion im Rahmen
der sie umgebenden Gesamtorganisation verfolgt wird, liegt darin, dass die Legal
Operations einen noch besseren Beitrag zu deren Zweck- und Zielerreichung bei-
tragen (siehe dazu auch Kap. 9 und 10). Dabei kann der Strukturbegriff der
Rechtsfunktion aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden:1

• Institutioneller Strukturbegriff: Er beschreibt die Legal Operations als ein


relativ starres und auf eine lange Dauer ausgelegtes soziales System, das über
rechtlich institutionalisierte organisatorische Abgrenzungen im Inneren und
gegen außen verfügt (zum Beispiel das eher „statische“ Corporate Legal Depart-
ment mit seinen diversen regionalen Ablegern in den Ländergesellschaften).
• Funktionaler Strukturbegriff: Er beschreibt die Legal Operations als Summe
der – im Gegensatz zum Institutionsbegriff – flexibel gestaltbaren Maßnah-
menbündeln, die durch die Rechtsabteilung bearbeitet werden, um daraus ihre
Daseinsberechtigung abzuleiten und ihre Tätigkeitsgebiete klar zu definieren
(zum Beispiel durch die Kernkompetenzen [Hauptaufgaben] und Zusatzaufga-
ben der Rechtsabteilung).
• Instrumenteller Strukturbegriff: Er beschreibt die Legal Operations als Gesamt-
heit der Ressourcen-, Beziehungs- und Prozessstrukturen, die zur E
­ rreichung der

1Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 880 f.).

R.P. Falta (*)


Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC,
Zürich, Schweiz
E-Mail: falta@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 497


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_37
498 R.P. Falta

Legal Operations-Ziele eingesetzt werden. Formelle und informelle2 Strukturen


stehen daher in einem besonders engen Zusammenhang mit den beiden anderen
Aspekten der strukturalen Betrachtungsebene des Legal Operations Management:
den Ressourcen und Prozessen. Zu dritt bilden sie die notwendigen Elemente für
ein sinnvolles Funktionieren und für eine Weiterentwicklung der Rechtsfunktion.

u Unter Bezugnahme auf die drei erläuterten Blickwinkel befassen


sich „Außenstrukturen von Legal Operations“ mit ihrer institutio-
nalisierten, funktionalen und instrumentalen Einordnung in den
aufbauorganisatori­schen Kontext der sie umgebenden Gesamtor-
ganisation.

Die Aufgabe der Außenstrukturierung der Legal Operations obliegt in der Regel
der Führungsspitze eines Unternehmens oder einer Behörde. Diese erlässt und
verabschiedet ein rechtlich verbindliches Organisationsreglement für sämtliche
von ihr überwachten Makrostrukturen. Mithin sind auch der CEO (beziehungs-
weise die Geschäftsleitung in corpore) oder der Minister, Departementschef etc.
in erster Linie für die Außenorganisation der Legal Operations verantwortlich.
­Da­raus ergibt sich auch der Umstand, dass der General Counsel in der Regel eben
keine Möglichkeit hat, auf die Ansiedlung seiner Fachabteilung in der Gesamt­
organisation Einfluss zu nehmen, sobald diese erst einmal verabschiedet wurde.
Von dieser Regel gibt es jedoch zwei Ausnahmen, die wir nachfolgend etwas
detaillierter betrachten möchten: Einerseits, wenn eine Rechtsabteilung zum ers-
ten Mal in einer Gesamtorganisation eingeführt und aufgebaut wird (siehe dazu
Abschn. 37.2), und andererseits, wenn im Rahmen von gesamtorganisatorischen
Restrukturierungsmaßnahmen ein bereits etablierter General Counsel diese zum
Vorwand nehmen kann, um sich in die erweiterte oder gar oberste Geschäftslei-
tung zu befördern (siehe dazu Abschn. 37.3).

37.2 Außenstrukturen bei einem Legal Operations-


Neuaufbau

Die einzige wirklich gute Möglichkeit, die Ansiedlung der Rechtsabteilung im


Unternehmen oder in einer Behörde als Unternehmensjurist maßgeblich mitzube-
stimmen, ist bei deren Neugründung. Die Geschäftsleitungsmitglieder werden in
den meisten Fällen bereits eigene Ideen haben, dennoch werden sie offen für gute
Vorschläge sein, sofern es der erste Legal Counsel versteht, klar darzulegen, wes-
halb die von ihm vorgeschlagene Organisationsanknüpfung besonders sinnvoll sei.

2Die Herausbildung informeller Strukturen lässt sich nicht unterbinden, deutet sie doch immer
auf einen konzeptionellen beziehungsweise umsetzungsbezogenen Fehler in den formellen Struk-
turen (Außen- und Innenstrukturen) hin. Als General Counsel ist es daher besonders wichtig,
genau auf etwaige Ausbildungen informeller Strukturen inner- und außerhalb Ihrer Rechtsabtei-
lung zu achten und entsprechende Reorganisationsmaßnahmen in die Wege zu leiten, um die frü-
her oder später auf jeden Fall entstehenden Strukturfehler zu bereinigen.
37 Formelle und informelle Außenstrukturen 499

In der Praxis der Großunternehmen wird die Rechtsfunktion in der überwiegen-


den Zahl nicht als eigenständiges Vorstandsressort geführt, sondern einem
Geschäftsleitungsmitglied unterstellt. In fast drei Vierteln aller großen deutschen
Unternehmen wird die Rechtsabteilung direkt dem Vorstand Geschäftsleitung
(CEO) unterstellt. Am zweithäufigsten ist die Unterstellung unter den Chief Finan-
cial Officer (CFO).3 Der Trend der letzten fünf Jahre zeigt, dass den Legal Opera-
tions zumindest in deutschen Großunternehmen immer mehr Gewicht zugemessen
wird, indem nicht nur die organisatorische Unterstellung unter den CEO markant
zugenommen hat, sondern auch eine bedeutende Zunahme in einer weiterreichen-
den Autonomie des General Counsel – als Mitglied der obersten Geschäftsleitung
mit eigenem Vorstandsressort – zu verzeichnen ist. Ob die Rechtsabteilung auch in
KMU unbedingt als eigenständiges Vorstandsressort oder zumindest dem
Geschäftsführer unterstellt sein sollte, ist nicht per se zu beantworten. Zumal eine
bestimmte Ansiedlungsoption, die für alle Organisationsgrößen und -situationen die
idealste darstellen würde, nicht existiert. Es ist aber auf jeden Fall davon abzuraten,
diese einfach bei demjenigen Vorstand anzusiedeln, der gerade am wenigsten zu tun
hat und daher noch über freie Kapazitäten verfügt, um eine weitere reporting line
überwachen zu können. Vielmehr ist zu berücksichtigen, wie die vorbestehende
organisatorische Konfiguration der Gesamtorganisation bereits ausgestaltet ist.
Auf Basis einfach zu ermittelnder Informationen des organisatorischen Istzu-
stands der Gesamtorganisation kann unter Berücksichtigung der nachfolgenden
bipolaren Kriterien sehr gut abgeschätzt werden, wo die ideale organisatorische
Anknüpfung der Legal Operations in der Gesamtorganisation am besten zu erfol-
gen habe:4

• Personen- oder Inhaltsorientierung: Für die Ansiedlung ist relevant, ob die


Legal Operations vor allem personen- oder inhaltsbezogen in der Gesamtorga-
nisation wahrgenommen werden sollen. Steht der Vorstand respektive der neue
erste Legal Counsel im Mittelpunkt oder aber vor allem die Aufgabe, welche
die Rechtsabteilung durchzuführen hat? Wird die neu zu gestaltende Rechtsab-
teilung vor allem personenbezogen betrachtet, so stehen bei deren Ansiedlung
Motivations- und Machtverteilungsgesichtspunkte im Vordergrund. Wird sie hin-
gegen vor allem inhaltsorientiert wahrgenommen, so stehen Optimierungs- und
Funktionalitätsgesichtspunkte an erster Stelle; die Ansiedlung erfolgt dann regel-
mäßig nach objektiveren Kriterien.

3Die Ansiedlung beim CEO hat sich bei Großunternehmen in den letzten fünf Jahren, gemäß
Otto Henning GmbH (2015, S. 48 f.), stark akzentuiert (2011: 56 %, 2013: 63 %, 2015: 71 %).
Dagegen ist die Unterstellung unter den CFO markant rückläufig (2011: 29 %, 2013: 21 %, 2015:
13 %). Auch die Ansiedlung unter dem Personalvorstand ist rückläufig (2011: 10 %, 2013: 8 %,
2015: 6 %). Schließlich ist in deutschen Großunternehmen seit mehreren Jahren keine einzige
Rechtsabteilung mehr beim Chief Operating Officer angehängt (2011: 0 %, 2013: 0 %, 2015:
0 %). Schließlich ist der Anteil der eigenständigen Vorstandsressorts Recht von 2013–2015 von
10 % auf insgesamt 16 % angewachsen.
4Vgl. Müller-Stewens, Lechner (2005, S. 453 f.).
500 R.P. Falta

• Institutionalisierungs- oder Projektorientierung: Wie dauerhaft, flexibel


oder starr soll das neue Gebilde sein? Wie stark besteht der Wunsch, mit der
Rechtsfunktion noch Erfahrungen zu sammeln, diese vorerst noch möglichst
flexibel auf Veränderungen in der Umwelt und im Unternehmen offen zu hal-
ten? Werden die Legal Operations vorerst einmal als „Testballon“ geführt oder
ist der Entscheid bereits gefallen, dass man Recht in der Gesamtorganisation als
Kernkompetenz auch personell stets (zumindest zu einem Teil) besetzt halten
möchte? Was bedeutet diese Entscheidung im Hinblick auf die Zeitressourcen
des entsprechend verantwortlichen Vorstands zur Überwachung der Rechtsab-
teilung respektive für die Führungsverantwortung des ersten Legal Counsel?
• Monolithische oder polyzentrische Orientierung: Bei monolithischen Orga-
nisationsstrukturen liegt die Macht vor allem bei der hierarchisch zuoberstste-
henden Person. Bei polyzentrischer Orientierung hingegen wird sie nach unten
delegiert, indem diejenigen Personen Entscheidungsbefugnisse erhalten, die
auch über die größte Sachnähe und das entsprechende Fach-Know-how verfü-
gen. Dabei stellt sich also die Frage, ob die ausschließliche oder hauptsächliche
Entscheidungsgewalt über die Legal Operations beim Geschäftsleitungsmit-
glied liegen soll, das für die Rechtsabteilung zuständig ist, oder ob der Gene-
ral Counsel beziehungsweise der erste Legal Counsel mit einer größeren und
umfassenderen Machtfülle ausgestattet werden sollte?
• Fremd- oder Eigengestaltungsorientierung: Fremdgestaltung liegt vor,
wenn die Strukturierung der Legal Operations von „oben herab“, zum Bei-
spiel ausschließlich durch Vorgaben aus der Geschäftsleitung, dirigiert wird.
Im Gegensatz dazu werden dem ersten Legal Counsel durch Eigengestaltungs-
kompetenzen eine hohe Autonomie und ein Aufbau „von unten nach oben“
ermöglicht. Zum Letzteren gehört dann zum Beispiel aber auch, dass er mit
sämtlichen benötigten Ressourcen auszustatten ist. Zudem muss er selbst über
das benötigte Know-how verfügen, um die Aufgabe des Rechtsabteilungsauf-
baus rasch und professionell umsetzen zu können.

Aus der Anwendung der vier bipolaren Kriterienpaare auf die Gesamtorganisation
und das anstehende Ansiedlungsprojekt „Legal Operations“ wird dann ziemlich
rasch klar, wo die künftige Rechtsabteilung am vorteilhaftesten anzugliedern ist.
Danach gilt es:

• diese in der Gesamtorganisation zu verankern (wie wird die Rechtsabteilung


inhaltlich und hierarchisch gegenüber anderen business defense units [Compli-
ance, Risk Management, Internal Audit etc.] abgegrenzt?),
• die relevanten direkten reporting lines (zum verantwortlichen und an den den
ersten Legal Counsel direkt beaufsichtigenden Vorstand) festzulegen, etwa-
ige dotted reporting lines einzurichten (zu welchen anderen Vorständen oder
Fachabteilungen sollen legal reports gehen?) und
• die buchhalterische Erfassung zu regeln (ist die Rechtsabteilung aus Finanz-
sicht an einer anderen Abteilung angehängt, ist sie als eigenständige interne
Kostenstelle aufgeführt oder gar als „unabhängiges“ Profitcenter ausgestaltet?).
37 Formelle und informelle Außenstrukturen 501

Schließlich ist bei der Ansiedlung der ersten Rechtsabteilung nicht nur Wert auf
eine bestmögliche Strukturierung zu legen, sondern auch auf die entsprechende
Definition des Aufgaben- und Stellenbeschriebs sowie auf die Suche, Auswahl,
Instruktion, Überwachung und vor allem das onboarding des ersten Legal Coun-
sel, sofern dieser nicht schon im Betrieb ist (siehe dazu detailliert Kap. 41).

37.3 Außenstrukturen bei einer Legal Operations-


Neuausrichtung

Eine außenstrukturelle Neuausrichtung der Rechtsabteilung wird immer dann zum


Thema, wenn der aktuelle General Counsel den Wunsch verspürt, sich stärker aus
einer reinen Fachfunktion in Richtung Geschäftsleitungsmitglied weiterzuentwi-
ckeln (siehe dazu detailliert Kap. 16 und 34). Gerade wenn ein General Counsel in
seinem eigenen Netzwerk feststellt, dass immer mehr seiner Berufskollegen in die
oberste Geschäftsleitung befördert werden oder sie sich zumindest in der erweiter-
ten Geschäftsleitung positionieren können, stellt sich zwangsläufig die Frage, wie
schaffe ich das auch? Die beiden Fälle (erweiterte Geschäftsleitung und oberste
Geschäftsleitung) sind jedoch sinnvollerweise getrennt voneinander zu betrachten,
da für die beiden andere Grundlagen bestehen und daraus auch unterschiedliche
Konsequenzen abgeleitet werden müssen.

37.3.1 Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung werden

Die Beförderung zu einem Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung hat in den


meisten Fällen keine direkten Konsequenzen auf die Außenstrukturen der Rechts-
abteilung. Solche Beförderungen sind fast immer nomineller Natur, um die Bedeu-
tung einer spezifischen Unternehmensfunktion für die Gesamtorganisation zu
unterstreichen und innerhalb dieser ein Zeichen zu setzen. In der Regel werden an
leitende Fachspezialisten, wie den General Counsel, bei dessen Berufung in die
erweiterte Geschäftsleitung daher auch keine weiteren inhaltlichen Anforderungen
(betriebs- und volkswirtschaftliches Know-how, erweiterte Führungserfahrung,
politisch-lobbyistische Fähigkeiten etc.) gestellt. Je nach Organisation gibt es indi-
viduelle Unterschiede, ob die Nominierung in die erweiterte Geschäftsleitung als
reine Statussymbolik ausgestaltet ist5 oder ob hierfür auch fachliche Gründe aus-
schlaggebend sind. Beispielsweise möchte man das Know-how der Rechtsabteilung
noch mehr in die Nähe der Geschäftsleitung bringen, um so die Informationswege

5Zum Beispiel als Ehrung eines langjährigen loyalen General Counsel. Eine Beförderung in
die erweiterte Geschäftsleitung stellt regelmäßig die einzige noch mögliche Art einer Beförde-
rung dar, da jeder Abteilungsleiter einer Fachabteilung bereits an der Spitze seiner Fachspezia-
listen-Laufbahn steht. Die damit einhergehende Symbolik ist nicht zu unterschätzen (siehe dazu
detailliert Kap. 13) und kann sich sehr positiv auf das Unternehmen und die Rechtsabteilung aus-
wirken.
502 R.P. Falta

zu verkürzen (dies ist in der Praxis oft nach einem teuren Rechtsfall oder hohen
Compliance-Bußen der Fall). Es kann aber auch sinnvoll sein, allen Mitgliedern der
Geschäftsleitung den Zugang zum General Counsel zu erleichtern, indem diese
durch die Geschäftsleitungssitzungen Informationen von diesem auf regelmäßiger
Basis erhalten, anstatt sie jeweils durch das entsprechend verantwortliche Vor-
standsmitglied „vorgefiltert“ zu beziehen.
Als General Counsel, der Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung geworden
ist, stehen einem viele Türe offen, die vorher halb-offen oder teilweise sogar ver-
schlossen waren (oft auch zum Aufsichtsratsvorsitzenden und den Mitgliedern des
Audit Committee sowie zu deren Sitzungen). Er erhält dadurch einen ausgezeich-
neten Einblick in vorher unzugängliche Bereiche, wie zum Beispiel gesamtunter-
nehmerische Detailziele, Strategien, interne Regularien, Problemstellungen oder
die Entwicklungsagenda des Unternehmens. Zudem ist besonders bei kleineren
Unternehmen auch die Übernahme der Doppelfunktion General Counsel/Corpo-
rate Secretary interessant, um sich noch näher am Aufsichtsrat zu positionieren
(siehe dazu detailliert Kap. 53). Mithin ist ein vorerst temporär-befristeter Verbleib
in der erweiterten Geschäftsleitung eine ausgezeichnete Gelegenheit, um sich bei
Aufsichtsräten, Vorständen und anderen Senior Managers positiv bemerkbar zu
machen, wichtige neue Kontakte zu knüpfen, bestehende weiter zu vertiefen und
Erfahrungen im Umgang auf Senior Management-Level zu sammeln. Ein Verbleib
von drei bis fünf Jahren in der erweiterten Geschäftsleitung tut auch denjenigen
General Counsels gut, die Ambitionen auf eine Weiterbeförderung in die oberste
Geschäftsleitung hegen (siehe Abschn. 37.3.2).

37.3.2 Mitglied der obersten Geschäftsleitung werden

Den aufgrund der Wichtigkeit von Recht in der heutigen Unternehmenswelt6 ver-
ständlichen Wunsch, so rasch wie möglich auch ein Mitglied der obersten
Geschäftsleitung zu werden,7 sollte sich jeder ambitionierte General Counsel reif-
lich überlegen. Auch wenn das viele General Counsels nicht gerne hören, so verfü-
gen sie in der Regel nicht über das nötige Rüstzeug, um in der Führungsspitze
eines größeren Unternehmens zu bestehen und einen – über die reinen Rechts-
dienstleistungen hinausgehenden – Mehrwert für die Gesamtorganisation zu schaf-
fen (siehe dazu auch Kap. 42).8 Den meisten fehlen ein profundes Finanz- und
Strategiewissen, umfassende weitere Betriebs- und Volkswirtschaftskenntnisse,
mathematisch-statistisches Know-how für die Durchführung von risk management
analytics sowie ein tiefes Produkt-, Dienstleistungs- sowie Technologieverständ-
nis, um von den anderen Senior Managers auch tatsächlich als ernst zu nehmender
unternehmerischer Sparringpartner wahrgenommen zu werden.

6Vgl. Staub (2006, S. 37).


7Vgl. Hambloch-Gesinn et al. (2010, S. 142).
8Vgl. Staub (2006, S. 154 ff.).
37 Formelle und informelle Außenstrukturen 503

Diese Kenntnisse und Fähigkeiten, die für eine sinnvolle Tätigkeit in der obers-
ten Führungsspitze nötig sind, können jedoch von jedem General Counsel erlernt
werden. Den einen oder anderen Bereich bringen die meisten bereits mit, den feh-
lenden Rest können sie sich in unterschiedlichen Weiterbildungen aneignen. Nur
erfolgt dies nicht von heute auf morgen. Dazu sollte man einen Planungs- und
Umsetzungshorizont von mindestens zwei bis fünf Jahren veranschlagen. Denn
es geht nicht nur darum, zum Beispiel einen MBA-Lehrgang zu absolvieren, son-
dern sich vor allem zu Beginn, ernsthaft mit seinen eigenen Wünschen und Zielen
(siehe dazu detailliert Kap. 27) sowie den familiären, finanziellen und zeitlichen
Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Schließlich sind auch eine Menge fachlicher
und – im Rahmen der Selbstvermarktung – positionierungstechnischer Fragen zu
stellen (siehe dazu detailliert Kap. 35).
Diese Investition in sich selbst wird sich für die meisten ambitionierten General
Counsels aber auf jeden Fall lohnen: Einerseits profitieren diese davon, dass sie
ihren primär juristischen Fokus auch für andere sehr wichtige Perspektiven öffnen,
die im Unternehmen mindestens genauso wichtig sind, wie die rechtliche (siehe
dazu auch das nachfolgende Interview mit Prof. Dr. iur. Rolf Watter). Andererseits
werden sie durch die sich angeeigneten interdisziplinären Fähigkeiten zu besonders
wertvollen Vorständen, da sie dann nicht nur über das profunde unternehmerische
Wissen verfügen, das sie mit ihren Vorstandskollegen gemein haben, sondern auch
noch ihren rechtlich-analytischen Sachverstand mit einbringen. Dadurch können
„unternehmerische“ General Counsels auch ihren eigenen Marktwert bedeutend
steigern, da sie zu einer relativ kleinen Elite unter den General Counsels gehören,
deren Zahl auch heute noch relativ übersichtlich ist.9 Schließlich profitieren auch
die anderen Vorstandskollegen und das Unternehmen insgesamt, indem ein fachlich
hervorragend ausgebildeter interdisziplinärer Fachspezialist in der obersten Füh-
rungsspitze zur Verfügung steht, der nicht nur sein ursprünglich rechtliches Fach-
handwerk versteht, sondern der auch auf gleicher Augenhöhe mit Vorständen und
Aufsichtsräten argumentieren, diskutieren und mitentscheiden kann. Mithin einen
wichtigen Beitrag zur positiven Weiterentwicklung des Unternehmens beisteuert.

Interview mit Prof. Dr. iur. Rolf Watter (von Christian Dueblin)
Prof. Dr. Rolf Watter studierte und promovierte an der Universität Zürich und
erwarb 1986 das zürcherische Anwaltspatent. Seit 1994 ist er Partner von Bär
& Karrer, einer der größten Schweizer Anwaltskanzleien, und doziert seit vie-
len Jahren als Titularprofessor an der Universität Zürich. Zu seinen bevorzug-
ten Tätigkeiten gehören unter anderem Übernahmen und Unternehmenskäufe,
gesellschaftsrechtliche Fragen, aber auch Sanierungen. Prof. Dr. Rolf Watter ist
des Weiteren auf Corporate Governance-Fragen spezialisiert und gehört bedeu-
tenden Verwaltungsratsgremien in der Schweiz an (unter anderem Chairman

9Vgl. Otto Henning GmbH (2015, S. 48).


504 R.P. Falta

bei der PostFinance AG). Er war auch Chairman von Nobel Biocare und lang-
jähriger Verwaltungsrat von Syngenta sowie der Zurich Insurance Group. Prof.
Watter zeigt im Interview praxisnah auf, wie sich Rechtsabteilungen in diversen
Industriebereichen in den letzten Jahren entwickelt und verändert haben, wie
sie aufgebaut sind und beleuchtet Schnittstellen der Rechtsabteilungen und des
General Counsel zu anderen Bereichen im Unternehmen, so auch die Schnitt-
stelle zum Verwaltungsrat.

Christian Dueblin: Sehr geehrter Herr Professor Watter, Sie sind an


der Universität Zürich als Professor tätig und arbeiten als Anwalt sowie
Senior Partner von Bär & Karrer, einer der größten Anwaltskanzleien
in der Schweiz. Zudem kennt man Sie als Verwaltungsrat und Verwal-
tungsratspräsident diverser bekannter Firmen. Welche Entwicklungen
in Sachen Recht und Legal Management in Unternehmen erkennen Sie,
wenn Sie den Banken-, Pharma- und Industriesektor der letzten Jahre
betrachten?
Prof. Dr. Rolf Watter: Diese drei Branchen sind mit völlig verschiedenen Pro-
blemfeldern konfrontiert, die sich auf das Legal Management auswirken. In
den letzten Jahren ist es in allen Bereichen zu großen Veränderungen gekom-
men. Seit der Finanzkrise sind etwa die Banken einem dauernden und massi-
ven Strom von neuen Regelungen ausgesetzt. Man spricht ja auch von einem
„Regulierungs-Tsunami“, ein Begriff, der treffend ist und eine Entwicklung
umschreibt, welche Finanzdienstleister enorm fordert. Die Rechtsabteilungen
der Banken und des gesamten Finanzsektors müssen diese Regulierungsflut in
ihren Unternehmen umsetzen, was das „Gewicht“ der Rechtsabteilungen stark
erhöht hat.
In der Pharmaindustrie ist das teilweise auch der Fall, jedoch nicht ganz so
stark ausgeprägt wie im Finanzsektor. Bei der Pharmaindustrie geht es mehr
um Regulierungen, die mit dem Verhalten dieser Unternehmen am Markt zu
tun haben. In verschiedenen Ländern gibt es zum Beispiel sogenannte Sunshine
Acts, mit denen sich diese Industrie auseinandersetzen muss, weil die Produkte
der Pharmaunternehmen, aber auch der Medtech-Industrie, oft über Ärzte ver-
schrieben, abgegeben und von Krankenkassen oder einem staatlichen Gesund-
heitssystem finanziert werden. Lange Zeit war es beispielsweise mehr oder
weniger unproblematisch, dass diese Firmen Ärztinnen und Ärzte an Kongresse
einluden oder Bildungsreisen veranstalteten, um für ihre Produkte zu werben.
Heute wird dieser Industrie genau vorgegeben, wie sich Unternehmen bei-
spielsweise gegenüber Ärzten verhalten sollen. Das führt zu Herausforderungen
im Umgang mit Behörden und Regulatorien, mehr als das in anderen Industrie-
zweigen der Fall ist, die in Sachen Verkauf ihrer Produkte weit freier handeln
können.
Die restliche Industrie hat im Vergleich zu diesen genannten Branchen
am wenigsten Neues erfahren. Sie muss sich heute sicher vermehrt mit Kor-
ruptions- und Kartellfragen auseinandersetzen. Letztere stellen sich bei vie-
len dieser Unternehmen, weil sie viel konzentrierter funktionieren als die
37 Formelle und informelle Außenstrukturen 505

­ inanzwelt. Nicht selten hat ein Industrieunternehmen 30 % oder mehr Markt-


F
anteil; solche Marktstellungen gibt es in der Finanzbranche nicht.

Christian Dueblin: Welche Konsequenzen beobachten Sie bei Ihrer Arbeit


als Verwaltungsrat/Verwaltungsratspräsident in Bezug auf den Aufbau
und die Organisation der Rechtsabteilungen der Unternehmen in diesen
Bereichen?
Prof. Dr. Rolf Watter: Festzustellen ist, dass die Anzahl der Rechtsdienstmit-
arbeitenden, im Verhältnis zu den weiteren Arbeitnehmenden, in den Banken
am höchsten ist, was sich durch die genannte Regulierungsdichte erklären lässt.
In der Industrie ist die Zahl der Juristen sicher am tiefsten und die Pharma-
und Medtech-Industrie finden sich irgendwo in der Mitte. In der Bankenwelt
können wir feststellen, dass die Trennung zwischen Rechtsabteilung und der
Compliance-Abteilung stark verbreitet ist. In der Industrie ist dagegen die
Rechtsabteilung oft auch für Fragen der Compliance zuständig. Ein wichtiger
Aspekt ist hier die schon genannte Eindämmung der Korruption. Den Markt-
teilnehmenden, allen voran den Verkaufsabteilungen in den Unternehmen,
müssen beispielsweise Regeln in Bezug auf Einladungen und Geschenke an
potenzielle Kunden auferlegt und erklärt werden, da bei deren Nichtbefolgung
heute mit rigorosen Maßnahmen gerechnet werden muss.
Zur Aufwertung des Rechtsdienstes trägt heute die Tatsache bei, dass der
General Counsel in vielen Unternehmen Mitglied der Konzernleitung geworden
ist, was zu begrüßen ist.
Generell kann der General Counsel dem CFO oder direkt dem CEO unter-
stellt sein. Beides hat seine Vor- und Nachteile. Gehört der General Counsel
der Geschäftsleitung an, werden damit natürlich die ganze Rechtsabteilung
und ihre Funktionen aufgewertet. Ich selber bin der Meinung, dass der Gene-
ral Counsel in der Geschäftsleitung vertreten sein sollte. Wo dem nicht so ist,
ist die Konzernleitung gut beraten, ihn bei Besprechungen mindestens punktu-
ell beizuziehen, zum Beispiel dann, wenn über Geschäfte diskutiert wird, die
rechtliche Risiken beinhalten. Ist der General Counsel, der nicht der Unter-
nehmensleitung angehört, Verwaltungsratssekretär, ist auch das eine prakti-
kable Lösung. Beides hat den positiven Effekt, dass der Rechtsdienst von der
Verkaufsfront ernster genommen wird. Dessen Aufgaben und Tätigkeiten
bekommen mit seiner höheren hierarchischen Ansiedlung im Unternehmen ein
anderes Gewicht, wodurch die Umsetzung der Aufgaben besser durchsetzbar
wird. Der Nutzen für Firmen, die der Rechtsabteilung ein größeres Gewicht
beimessen, ist meines Erachtens groß und ich glaube, dass Rechtsabteilungen
auch in Zukunft weiter an Einfluss gewinnen werden.

Christian Dueblin: Viele Unternehmen trennen die Rechtsabteilung von der


Compliance-Abteilung. Was spricht dafür, diese Trennung vorzunehmen?
Prof. Dr. Rolf Watter: Die Anforderungen an beide Aufgabenbereiche sind
verschieden. Compliance hat in einem Unternehmen eine Art Polizei- und
Regulierungsfunktion. Es geht darum, dafür zu sorgen, dass ein U
­ nternehmen
506 R.P. Falta

Regulierungen befolgt, um Schäden zu vermeiden. Der Umgang mit die-


sen Regulierungen ist nur zum Teil eine juristische Angelegenheit. Den-
ken Sie etwa an Regulierungen der Food and Drug Administration (FDA).
Der Umgang mit diesen Bestimmungen setzt technischen Sachverstand
voraus. Darum sind nicht selten Techniker, Chemiker und Physiker in
­
­Compliance-Abteilungen tätig. Ein Unterschied zwischen der Rechtsabteilung
und der Compliance-Abteilung besteht auch darin, dass es in der Compliance
darum geht, existierende Regelwerke umzusetzen, wogegen die Rechtsabtei-
lung mehr im Tagesgeschäft, beispielsweise beim Abschluss von Geschäften,
beim Erstellen von Verträgen oder beim Bearbeiten von Stör­ fällen, gefragt
ist. Ich denke jedoch nicht, dass es einen institutionellen Grund gibt, die
beiden Bereiche trennen zu müssen. Es ist vielmehr oft eine rein prak­
tische Frage, die sich stellt, nämlich die Frage der Größe eines Unterneh-
mens und damit auch die Frage der Ressourcen, die für diese Arbeiten
zur Verfügung gestellt werden können. Nicht jedes Unternehmen kann sich eine
eigene selbstständige Compliance-Abteilung leisten.

Christian Dueblin: Die Schnittstelle Verkauf und Rechtsabteilung in der


Industrie ist besonders anforderungsreich. Die Rechtsabteilung muss Risi-
ken minimieren helfen und die Verkaufsabteilung muss das Budget errei-
chen und sie will Geschäfte abschließen. Wie verhält es sich in Bezug auf
kritische Schnittstellen zwischen dem Verkauf und der Rechtsabteilung im
Finanzsektor?
Prof. Dr. Rolf Watter: Es stellen sich überall dieselben Herausforderungen.
Von der Rechtsabteilung wird, wie Sie richtig sagen, erwartet, dass sie Risi-
ken erkennt und auf Risiken beim Abschluss von Geschäften hinweist. Will
ein Kundenberater in einer Bank einen neuen Kunden anwerben, wird dieser
heute von den Banken und ihren Rechts- oder Compliance-Abteilungen sehr
genau durchleuchtet. Es stellen sich zahlreiche Fragen, beispielsweise dahin
gehend, woher der Kunde kommt, wie solvent er ist, woher sein Geld stammt
und was seine Bedürfnisse sind. In der Industrie sind es vielleicht mehr die Ver-
kaufstechniken in Bezug auf Korruptions- und Kartellfragen oder Fragen der
Risikotragung, die von der Rechtsabteilung im Auge behalten werden müssen.
So unterschiedlich sind diese Aufgaben aber nicht.
Im Bankengeschäft ist es zusätzlich so, dass man neben den Kunden- auch
Handelsabteilungen unterhält, die überwacht werden müssen. Der Rechtsdienst
und die Compliance-Abteilung sind hier beispielsweise gefordert, Insiderde-
likte oder Manipulationen zu verhindern.

Christian Dueblin: Was sind die persönlichen Voraussetzungen juristischer


Fachexperten in Rechtsdiensten, auch des General Counsel, die Sie persön-
lich als wichtig empfinden?
Prof. Dr. Rolf Watter: Nebst dem rechtlichen Know-how, über das eine Rechts-
abteilung und ihre Mitarbeitenden verfügen müssen, gibt es eine Vielzahl wei-
terer Eigenschaften, die wichtig sind. Ganz grundsätzlich stelle ich fest, dass
37 Formelle und informelle Außenstrukturen 507

Rechtsabteilungen, die das Geschäft nicht verstehen, weniger erfolgreich sind,


als Rechtsabteilungen, die sich mit dem eigenen Unternehmen nicht nur auf
der juristischen Ebene intensiv auseinandersetzen. Das Wissen über das eigene
Unternehmen, die Märkte und die eigenen Produkte machen ja auch den Unter-
schied zwischen der Rechtsabteilung und dem externen Anwalt aus. Darum
schätze ich es, mit Rechtsabteilungen zusammenzuarbeiten, die ihr Unterneh-
men und die Märkte, in denen sie tätig sind, verstehen. Wo solches Wissen
besteht, kann eine Rechtsabteilung nicht nur für rechtliche Probleme hinzuge-
zogen werden, sondern auch für strategische Fragen. Sie kann mit einschätzen,
ob ein Geschäft überhaupt Sinn macht oder nicht.
Auch die Frage, ob ein Unternehmen Risiken eingehen kann oder nicht,
muss die Rechtsabteilung gegenüber der Front beantworten können. Die
Rechtsabteilung muss dabei oft sehr schnell entscheiden und sollte nicht als
Bremsklotz wahrgenommen werden. Der externe Anwalt dagegen kann solche
Fragen oft nicht beantworten, weil ihm das Geschäft weniger vertraut ist oder
weil er das Unternehmen, seine Prozesse und die internen Abläufe nicht kennt.
Er wird deshalb in der Regel um eine rechtliche Einschätzung eines konkreten
Problemfalls und um eine Analyse eines konkreten rechtlichen Sachverhaltes
gebeten und nicht um seine Meinung in Bezug auf einen taktischen oder strate-
gischen Entscheid. Die Rechtsabteilung kann also, wenn sie das Unternehmen
kennt, aufgrund ganz anderer Entscheidungskriterien handeln, was ihre Ein-
schätzung für die Unternehmensführung interessant macht.

Christian Dueblin: Welches sind die Aufgaben, für die ein Unterneh-
men gerne einen externen Anwalt beizieht, auch wenn es über eine eigene
Rechtsabteilung verfügt?
Prof. Dr. Rolf Watter: Der externe Anwalt hat grundsätzlich zwei Aufgaben: Er
muss diejenigen Bereiche abdecken, die nicht das Tagesgeschäft der Rechtsab-
teilung betreffen. Der externe Anwalt muss dort eingesetzt werden, wo es sich
nicht lohnt, Know-how aufzubauen, also beispielsweise dort, wo einmalige
rechtliche Fragen auftauchen, die im Tagesgeschäft keine große Rolle spielen.
Es sind somit auch ökonomische Überlegungen, die über den Beizug eines
externen Anwaltes entscheiden. Es gibt auch Rechtsentwicklungen, für die ein
externer Anwalt besser geeignet ist als die eigene Rechtsabteilung, weil er mit
derselben Fragestellung als Experte schon mit verschiedensten Kunden zu tun
hatte. Für die Schweiz kann man hier die Umsetzung der „Minder-Initiative“10
als Beispiel nennen. Die Umsetzung dieser Initiative hat viele Unternehmen vor
spezielle und einmalige Herausforderungen gestellt, für die es sich lohnt, auf
externes Fach-Know-how zurückzugreifen. Der Beizug eines externen Anwal-
tes ist effizienter und kostet über das ganze Umsetzungsprojekt hinweggesehen
weniger Geld als der Aufbau des entsprechenden Know-hows im eigenen

10www.abzockerinitiativeja.ch/. Besucht 10. Mai 2017.


508 R.P. Falta

Unternehmen, das s­päter gar nicht mehr angewendet werden kann respektive
nicht mehr angewendet werden muss.

Christian Dueblin: Sie sind selber seit vielen Jahren als Anwalt tätig. Wo
sehen Sie allfällige Probleme und Reibungsflächen, die zwischen der
internen Rechtsabteilung sowie ihrem General Counsel und externen
­juristischen Fachpersonen entstehen können und was kann ein Unterneh-
men beitragen, um diese Schnittstelle erfolgreich und wirksam zu gestalten?
Prof. Dr. Rolf Watter: Es gibt hier tatsächlich viele Fettnäpfchen, in die beide
Parteien treten können. In der Regel kommt der Auftrag an externe Anwalts-
kanzleien aus dem Rechtsdienst, der auch kompetent ist, einen externen Anwalt
zu instruieren. Wichtig ist es, sich von Anfang an über das Rollenverständnis
und die Aufgaben, die es zu bewältigen gibt, einig zu werden. Dabei muss das
Wissen des Unternehmens über das Produkt oder den Markt einfließen, was
viel Kommunikation auf beiden Seiten voraussetzt. Wenn schließlich beide
Parteien fähig sind, gemeinsam im Team ein Problem zu bearbeiten, funkti-
oniert die Zusammenarbeit mit externen Fachkräften in der Regel sehr gut.
Eine Fragestellung kann theoretisch angegangen werden oder praktisch: Das
Geschäft muss funktionieren und oft kann man im Tagesgeschäft nicht jedes
Risiko abdecken, so wie das ein externer Anwalt vielleicht tun möchte, weil
im Unternehmen andere Punkte als nur die rechtlichen berücksichtigt werden
müssen. Die Rechtsabteilung ist gefordert, den externen Anwalt richtig und
umfassend zu instru­ieren. Es muss ihm mitgeteilt werden, wo der Schuh drückt
und wo man vielleicht bereit ist, gewisse Risiken in Kauf zu nehmen und wo
nicht, um ein Geschäft nicht zu gefährden. Zur Instruktion gehört auch, dass
man dem Anwalt Auskünfte über die eigene Verhandlungsposition erteilt. Es
gilt zu kommunizieren, ob man eine Maximallösung anstrebt und wo nicht. Nur
dann kann der Anwalt im Sinne des Unternehmens tätig werden und nur damit
kann verhindert werden, dass am Ende eine zu theoretische Lösung vorliegt,
die für das konkrete Geschäft nicht förderlich ist oder es gar verunmöglicht.
Der Anwalt selber muss aktiv Fragen stellen, sich in Bezug auf ein Unterneh-
men und dessen Produkte informieren und herauszufinden versuchen, was die
Treiber für ein angedachtes Geschäft oder einen angestrebten Vertragsschluss
seines Kunden sind. Der externe Anwalt ist erfahrungsgemäß dann besonders
gefordert, wenn es um Transaktionen geht, die für ein Unternehmen neu oder
fremd sind. Das können Probleme rund um ein Rechtsgebiet sein, mit dem ein
Unternehmen nicht oder nicht genügend vertraut ist. Das zeigt sich in der Pra-
xis beispielsweise bei M&A-Transaktionen, die, um erfolgreich zu sein, sehr
viel Erfahrung bedürfen. In solchen Fällen muss der externe Anwalt fähig sein,
strategisch nützliche und zielorientierte Werkzeuge aufzuzeigen und auf Risi-
ken aufmerksam zu machen, die ein Unternehmen nicht erkennt oder mangels
Erfahrung nicht erkennen kann.
37 Formelle und informelle Außenstrukturen 509

Christian Dueblin: Sie haben als Anwalt und Vertreter diverser Ver-
waltungsräte sehr viele Störfälle aller Art in Ihrer beruflichen Karriere
behandelt und mitbekommen. Wie hoch würden Sie, über alle Störfälle
hinweg gesehen, den Anteil der juristischen Komponente in diesen Stör-
fällen einschätzen, sprich, wie wichtig waren Rechtsabteilungen, General
Counsels und das Recht an und für sich, um diese Störfälle im Sinne eines
Unternehmens managen zu können?
Prof. Dr. Rolf Watter: Die „Juristerei“ ist in den meisten Fällen nur ein Teil des
Problems, aber auch nur ein Teil der Lösung. In den meisten Krisenfällen sind
viele andere Punkte auch wichtig oder viel wichtiger. Geht es um einen Ver-
trag, sind selbstverständlich juristische Fragen von Bedeutung. Man schließt im
Geschäftsalltag aber selten einen Vertrag ab, um rechtliche Sicherheit zu haben,
sondern um im Tagesgeschäft eine sinnvolle Basis zu haben, auf Grundlage
derer man arbeiten und ein Geschäft abwickeln kann.
Es gibt Fälle, wo der juristische Anteil, um ein Problem zu lösen, im ein-
stelligen Prozentbereich liegt. Nehmen wir einen Produktrückruf in der
Industrie als Beispiel: Hier stellen sich nebst den rechtlichen Problemen Kom-
munikationsfragen, Fragen der Kundenbeziehung und technische Fragen oder
Versicherungsüberlegungen, für die man Lösungen finden muss und die nicht
im Kompetenzbereich der Rechtsabteilung liegen. Die Rechtsabteilung muss
solche Störfälle rechtlich begleiten und mit ihren Kompetenzen dazu beitragen,
dass der Schaden gering ist. In diesen Fällen muss aber auch richtig mit dem
Kunden umgegangen werden, es müssen technische Fragestellungen beantwor-
tet werden und je nach Fall ist auch eine Kommunikationsabteilung gefordert,
beispielsweise im Umgang mit Medien, die solche Fälle gerne aufnehmen.
Landet ein Fall vor Gericht, sind natürlich die Rechtsabteilung und die externen
Anwälte von größerer Bedeutung.

Christian Dueblin: Was sind für Sie spezielle Erwartungen, die Sie an die
Rechtsabteilung oder an einen General Counsel haben, auch beispielsweise
in Bezug auf Loyalität und Integrität?
Prof. Dr. Rolf Watter: Die Frage der Loyalität und Integrität einer Rechtsabtei-
lung und eines General Counsel ist ein zentraler Punkt. Die Aufgaben bringen
es mit sich, dass sie oft früh um Rat und Unterstützung angefragt werden. Von
beiden wird erwartet, dass sie vertrauenswürdig sind. Sie müssen aber auch das
Kerngeschäft verstehen und die Fähigkeit haben, im Sinne des eigenen Unter-
nehmens vorausschauend zu handeln. Diese Fähigkeit des Vorausschauens,
damit man sich auch strategisch und taktisch richtig verhalten kann, ist von
großer Bedeutung und sie gibt der Rechtsabteilung und dem General Counsel
Gewicht im Unternehmen. Beide müssen über breites Wissen verfügen und im
Tagesgeschäft, gerade auch in Bezug auf den Kontakt mit Kunden, flexibel und
lösungsorientiert arbeiten. Sind sie dazu fähig, sinkt die Wahrscheinlichkeit,
dass sie als „Geschäftsverhinderer“ oder „Bremsklötze“ wahrgenommen wer-
den. Ein noch größerer Schaden würde aber resultieren, wenn sie nicht vertrau-
enswürdig wären.
510 R.P. Falta

Christian Dueblin: Immer wieder stellt sich in Unternehmen die Frage, ob


ein allfälliger Verwaltungsratssekretär extern besetzt werden soll, oder ob
der Rechtsdienst, beispielsweise der General Counsel, für diese Aufgabe
herbeigezogen werden soll. Welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich
gemacht?
Prof. Dr. Rolf Watter: Wenn der General Counsel zusammen mit dem Verwal-
tungsrat an einem Tisch sitzt, ist das eine durchaus praktikable Lösung und ich
habe damit gute Erfahrungen gemacht, denn es ist für einen Verwaltungsrat
­interessant, vom Verwaltungsratssekretär, der gleichzeitig auch General Coun-
sel ist und das Unternehmen kennt, punktuell beraten zu werden. Er kennt die
Abläufe, die Besonderheiten und ist über laufende Projekte in der Regel gut
informiert. Die Besetzung des Amtes des Verwaltungsratssekretärs durch den
General Counsel kann aber auch zu Problemen führen. Bekommt er als Verwal-
tungsratssekretär beispielswiese heikle Interna vom Verwaltungsrat über den
CEO und die Geschäftsleitung mit, kann es beim General Counsel zu Loyalitäts-
konflikten kommen. Er könnte in Versuchung geraten, dem CEO gewisse Infor-
mationen oder Gegebenheiten aus dem Verwaltungsrat zu signalisieren. Das kann
ein Grund sein, die Funktionen des General Counsel und des Verwaltungsratsse-
kretärs zu trennen, was viele, vor allem große Unternehmen, auch tun. Hier stellt
sich aber wieder die Frage der Ressourcen und der Praktikabilität. Das Amt des
Verwaltungsratssekretärs umfasst in der Regel keine Vollzeitstelle. Es kommt
also vor, dass Unternehmen für diese Funktion einen externen Fachspezialisten,
beispielsweise einen Anwalt aus einer Kanzlei, herbeiziehen. Für mich sind beide
Vorgehensweisen vertretbar und es gilt, für jedes Unternehmen die beste und
praktikabelste Lösung zu finden.

Christian Dueblin: Wann kann es in der Praxis passieren, dass der Verwal-
tungsrat/Verwaltungsratspräsident oder der CEO an der eigenen Rechts-
abteilung oder am eigenen General Counsel vorbei externe juristische
Fachpersonen beizieht und was gilt es in diesen sehr besonderen Situatio-
nen beachten?
Prof. Dr. Rolf Watter: Dies ist selten, kann aber tatsächlich nicht ausgeschlos-
sen werden. Die Regel ist jedoch, dass die Rechtsabteilung sich um den Kontakt
zum externen Anwalt kümmert. Sie ist geeignet, juristische Sachverhalte ein-
zuordnen und externe Fachkräfte richtig zu instruieren und zu überwachen. Es
kann jedoch, beispielsweise bei sehr heiklen Fusionsfragen, tatsächlich passie-
ren, dass man über den Rechtsdienst hinweg einen Fachspezialisten beizieht, um
erste Abklärungen zu einem strategisch brisanten und geplanten Unterfangen
vornehmen zu lassen. Der Verwaltungsrat/Verwaltungsratspräsident kann damit
gewisse Fragen im Vorfeld einer Transaktion von einem Externen abklären las-
sen, vielleicht weil das Management dieser Strategie gegenüber nicht offen ist
oder man verhindern will, dass Informationen nach außen treten. Dann gibt es
Fälle, in denen sich ein Verwaltungsrat/Verwaltungsratspräsident beispielsweise
vom CEO trennen möchte und man weiß, dass der Rechtsdienst beziehungs-
weise der General Counsel in einen Loyalitätskonflikt geraten könnte.
37 Formelle und informelle Außenstrukturen 511

Wird der Rechtsdienst auf diese Weise außen vor gelassen, kann das auch
ein Indiz dafür sein, dass das Vertrauensverhältnis zum Rechtsdienst und Gene-
ral Counsel nicht optimal ist oder dass man Zweifel am fachlichen Know-how
der eigenen Rechtsabteilung hat. Hat ein CEO aber solche Vorbehalte, muss er
sich meines Erachtens einen neuen General Counsel suchen.

Literatur
Hambloch-Gesinn S, Hess B, Meier AL, Schiltknecht R, Wind C (2010) IN-HOUSE COUNSEL
in internationalen Unternehmen. Helbing Lichtenhahn, Basel
Hugentobler W, Schaufelbühl K, Blattner M (Hrsg) (2012) Integrale Betriebswirtschaftslehre, 4.
Aufl. Orell Füssli, Zürich
Müller-Stewens G, Lechner C (2005) Strategisches Management: Wie strategische Initiativen
zum Wandel führen, 3. Aufl. Schäffer-Poeschel, Stuttgart
Otto Henning GmbH – Management Consultants (2015) General Counsel Benchmarking-Report
(VI) 2015/16. Otto Henning GmbH, Frankfurt a. M.
Staub L (2006) Legal Management – Management von Recht als Führungsaufgabe, 2. Aufl. Ver-
sus, Zürich

Über den Autor


Roman P. Falta, lic.iur.HSG – Professional Services Management Leader QUADRAGON
MANAGEMENT LLC, Zürich
Studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen HSG. Daneben
hält er Weiterbildungsdiplome der Harvard University, des MIT und der UC Berkeley in Sozio­
anthropologie und Psychologie. Seine Berufskarriere begann er in einer führenden Strategie-
beratung, welcher Berufsstationen bei Gericht, in der Finanzverwaltung und einer namhaften
Anwaltskanzlei folgten. Anschliessend war er für diverse Bereiche in Corporate Legal und in der
Compliance eines Global Fortune 500-Unternehmens verantwortlich. Als Professional Services
Management Leader verantwortet er heute unter anderem den Bereich Legal Operations Optimi-
zation bei QUADRAGON MANAGEMENT. Er gilt als einer der renommiertesten Experten für
Professional Services Optimization und Elite Performance Development im deutschsprachigen
Raum.
Formelle und informelle
Innenstrukturen 38
Roman P. Falta

38.1 Einführende Überlegungen

Im Gegensatz zu den Außenstrukturen einer Rechtsabteilung, deren Ausgestaltung


maßgeblich vom Gespür und den Fähigkeiten der obersten Führungsspitze abhän-
gig ist, ist die Gestaltung von Innenstrukturen der Rechtsfunktion regelmäßig
Bestandteil des General Counsel-Stellenprofils und gehört somit zu dessen origi-
nären und meist auch ausschließlich ihm zustehenden Führungsaufgaben. Bei der
konkreten Ausgestaltung der Organisationsstrukturen spielt das der Rechtsfunktion
zugrunde gelegte Management-Modell eine wichtige Rolle. Es zeigt auf, ob die
Ausgestaltung sinnvoll, vollständig, individuell und optimal durchgeführt werden
kann. Da sämtliche Gestaltungselemente des in diesem Buch verwendeten QUA-
DRAGON Legal Operations Management-Modells© sich wechselseitig bedingen
und beeinflussen, iterativ miteinander interagieren und sich zusammen weiter-
entwickeln, können daraus alle sechs maßgeblichen Dimensionen herangezogen
werden, um die in Abb. 38.1 dargestellten relevanten Faktoren für eine optimale
Innenstrukturierung zu ermitteln.
Die jeweiligen Organisationsfaktoren – diese sind für jede Rechtsabteilung
anders konfiguriert – sind dafür verantwortlich, welche strukturelle Ausgestaltung
für die aktuelle Situation der Rechtsabteilung tatsächlich ideal ist. Verändern sich
einzelne Faktoren, so kann der General Counsel situativ darauf reagieren und die
Strukturen maßgeschneidert „nachjustieren“. Dies ist vor allem dann wichtig, wenn
sich informelle Strukturen zu bilden beginnen. Denn Fehler in der Organisation der
Rechtsabteilung werden immer dann besonders gut sichtbar, wenn sich informelle

R.P. Falta (*)


Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC,
Zürich, Schweiz
E-Mail: falta@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 513


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_38
514 R.P. Falta

Abb. 38.1  Organisationsfaktoren und Organisationsausgestaltung einer Rechtsabteilung. (Quelle:


QUADRAGON Management LLC)

Strukturen und Prozessabläufe herausbilden. Auf diese sollte ein General Counsel
stets achten und entsprechendes Gegensteuer geben.

38.2 Die Organisationsfaktoren für Legal Operations-


Strukturen

Wie sieht die ideale Organisationsstruktur für Legal Operations aus? Diese Frage
ist nicht so schwierig zu beantworten, wenn man sich bewusst ist, dass es „die“ ide-
ale Organisationsstruktur für alle Zwecke, Unternehmensgrößen und für alle Zeiten
nicht gibt, sondern dass die Strukturierung und Organisation von Legal Operations
einen stetigen Prozess darstellen und nicht etwa einen fixierten Zustand, der nur
alle paar Jahre auf dessen Passform zu überprüfen ist. Zudem sollten Organisations-
strukturen keinen Selbstzweck, sondern bestmöglich die Ziele und Vorgaben der
Gesamtorganisation verfolgen und sämtliche wichtigen ­Gestaltungselemente der
Rechtsfunktion unterstützen. Mithin muss die Organisationsstruktur in mehrfacher
Hinsicht auf die Realität der Legal Operations „passen“:1

1Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 905).


38 Formelle und informelle Innenstrukturen 515

• Sie muss zum Leistungsprogramm, der Größe, der Rechtsform und den Eigen-
tumsverhältnissen der Gesamtorganisation passen, in denen die Rechtsabteilung
integriert ist.
• Sie muss zur Geschichte der Rechtsabteilung, der Art ihrer Entstehung und
ihrem aktuellen Entwicklungsstadium passen.
• Sie muss zur allgemeinen Situation passen, in der sich die Gesamtorganisation
und die Rechtsabteilung aktuell befinden.
• Sie muss zur Strategie passen, mit der die Rechtsabteilung die Zukunft bewälti-
gen möchte.

Um die ideale Passform respektive die ideale Organisationsstruktur für die eigene
Rechtsabteilung zu ermitteln, ist es nötig, dass man sich vertieft mit den folgenden
Fragen zur spezifischen Konfiguration der Organisationsfaktoren auseinandersetzt:2

• Umweltsphären-Einflussfaktoren: Welchen Einfluss haben die für uns rele-


vanten Umweltsphären auf die strategische Ausrichtung von Gesamtorgani-
sation und Rechtsdienst in den nächsten drei bis fünf Jahren? Wie sollte die
Rechtsabteilung bereits heute organisatorisch ausgerichtet sein, um die ange-
nommenen künftigen Entwicklungen bestmöglich vorwegzunehmen? Gibt es
Reorganisationsbedarf, der aber nicht aktuell, sondern in nächster Zeit anfällt?
Was sollte dann wie organisiert oder optimiert werden?
• Tätigkeitsumfeld-Einflussfaktoren: Welchen Einfluss haben die für uns relevan-
ten internen und externen Interaktionspartner in den nächsten ein bis zwei Jahren
auf die Legal Operations? Wie sollte die Rechtsabteilung heute organisatorisch aus-
gerichtet sein, um die Interaktionen (Umgang und Zusammenarbeit mit internen
Schnittstellen und externen Zulieferern) bestmöglich zu gestalten? Zeichnen sich
Veränderungen bei unseren Interaktionspartnern ab, die bereits heute eine Reorga-
nisation beziehungsweise im Laufe der nächsten zwei Jahre nötig machen werden?
• Identität-Einflussfaktoren: Welchen Einfluss üben die verschiedenen Ziele
der Gesamtorganisation und der Rechtsfunktion auf die Organisationsgestal-
tung der Rechtsabteilung aus? Welche Ziele, Werte, Prinzipien und Maßnah-
men aus Vision, Guidelines, Leadership Principles und des Identity Controlling
Cycle haben einen direkten Einfluss auf die Organisationsgestaltung? Sind
größere Projekte oder bedeutende Tagesgeschäftsänderungen durch Identity
Marketing, Design, Symbolism oder Happenings geplant und ist hierfür eine
Anpassung der Organisation nötig?
• Leadership-Einflussfaktoren: Welchen Einfluss haben das Self Manage-
ment des General Counsel, das Team Management und das Legal Departement

2Vgl. die einschlägigen Themenkapitel dieses Buches zu den nachfolgend aufgeführten Katego-
rien von Einflussfaktoren auf die organisatorische Ausgestaltung der Legal Operations: Umwelt-
sphären- & Tätigkeitsumfeldereinflüsse (in den Kap. 30 sowie 14–25), Identitätseinflüsse (in den
Kap. 9–13), Leadershipeinflüsse (in den Kap. 26–35), Ressourceneinflüsse (in den Kap. 39–45)
und Prozesseinflüsse (in den Kap. 46–55).
516 R.P. Falta

Management auf die Organisation der Rechtsabteilung? Welchen Einfluss üben


die Self und Team Management-Entwicklungsfortschritte der Mitarbeitenden
auf die Legal Operationsstrukturen aus? Wie können wir heute und in Zukunft
die erhöhte Selbstständigkeit, die vermehrte Übernahme von Verantwortung
und die höhere Leistungsfähigkeit des Legal Teams möglichst optimal in die
Organisationsstruktur umsetzen?
• Ressourcen-Einflussfaktoren: Welche Ressourcen (Finanzen, Mitarbeiter,
Arbeitsplätze, Sachmittel, IT-Infrastruktur, Know-how, Informationen, Skill-
Sets und zeitliche Ressourcen) stehen der Rechtsabteilung heute und künftig
zur Verfügung, um einen Einfluss auf die Ausgestaltung der Organisation haben
zu können? Welche sollten/können aufgestockt oder abgebaut werden? Wel-
ches ist die ressourcenseitige Minimalkonfiguration, welches die Optimalkon-
figuration der Organisationsstrukturen, um einen sinnvollen und zielgerichteten
Rechtsbetrieb sicherzustellen?
• Prozess-Einflussfaktoren: Welchen Einfluss übt die Durchführung der Haupt-
aufgaben (Legal Risk Management, Legal Counseling, Transaction Management,
Litigation & Arbitration und Legal Education) auf die Organisationsstruktur aus?
Welche Zusatzaufgaben (Corporate Secretary Services, Compliance Manage-
ment, Corporate Social Responsibility [CSR] & Integrity Management, Political
Lobbying, Document Management, Assurance, Tax, Safety Regulations etc.) hat
die Rechtsabteilung auch noch durchzuführen? Welche Aufgaben gehören zu den
Kernkompetenzen und welche zu Nebenkompetenzen beziehungsweise zu den
Administrativaufgaben innerhalb der Rechtsorganisation (Controlling, Qualitäts-
management, Strategie-, Ressourcen-, Prozessoptimierung etc.)?3 Welche Aufga-
ben müssen künftig insourced und welche können outsourced beziehungsweise
offshored4 werden? Wie sieht die genaue Wertschöpfungs- und Prozessarchitek-
tur der Rechtsabteilung aus und wie kann auf deren Grundlage eine möglichst
optimale ­Organisationsstruktur (auch mit Bezug zu externen Interaktionspartnern
im Rahmen von Outsourcing und Offshoring) aufgebaut respektive ausgestaltet
werden? Wo sind bewusste Redundanzen eingebaut und welchen Einfluss übt die
Organisationsstruktur auf die Leistungserbringung aus? Bieten wir tatsächlich

3Vgl. Hambloch-Gesinn et al. (2010, S. 117 f.).


4Unter Offshoring wird das outsourcen einfacher Arbeiten aus dem Unternehmen – über die
direkte regionale Umgebung hinaus – in Niedriglohnländer verstanden (zum Beispiel Präsenta-
tions- und Texterstellung oder einfache Textkorrekturen in der Slowakei, Costa Rica, Indien etc.).
Hambloch-Gesinn et al. (2010, S. 113), stehen dieser angelsächsischen Praxis für Deutschland
sehr skeptisch gegenüber. Ich bin mir da nicht so sicher, zumal der Kostendruck auf Rechtsab-
teilungen weiterhin stetig zunehmen wird und sich die deutschsprachigen Angebote für rechts-
dienstunterstützende Leistungen in offshore-Ländern ebenfalls weiterentwickeln und qualitativ
verbessern werden. So ist es vorstellbar, dass in einigen Jahren offshoring-Angebote erhältlich
sind, die auch in punkto Qualität und Verlässlichkeit – gemessen am zentraleuropäischen Stan-
dard – nichts zu wünschen übrig lassen. Ein Umstand, der heute von solchen Angeboten jedoch
oft noch zu wenig gut erfüllt wird.
38 Formelle und informelle Innenstrukturen 517

eine gleichbleibende und einheitlich-hochstehende Leistungsqualität über die


gesamte Rechtsorganisation hinweg an?

38.3 Die Organisationsausgestaltung von Legal


Operations-Strukturen

Nachdem die Organisationsfaktoren ermittelt, ihre Einflüsse bestimmt und bewer-


tet sowie alle Resultate daraus in den Gesamtzusammenhang mit den Zielen und
Identitätsgrundlagen der Gesamtorganisation (wie auch der Rechtsfunktion)
gesetzt wurden, folgt deren Zuordnung zu den Grundbausteinen, aus denen jede
Organisationsstruktur aufgebaut wird, den Aufgaben, Kompetenzen (Verantwor-
tungen) und den einzelnen (Plan-)Stellen.

38.3.1 Grundbausteine der Legal Operation-Organisation

Die übergeordneten Ziele der Gesamtorganisation geben vor, welche „Aufgaben“


beziehungsweise Soll-Leistungen die Rechtsfunktion durchzuführen hat. Ein
dynamischer Aufgabenbegriff bezeichnet daher eine bestimmte prozessuale
Abfolge von Aktivitäten, die durch die Legal Operations zur Erfüllung der
Soll-Leistung erbracht werden müssen, wobei sie nach unterschiedlichen Kriterien
weiter unterteilt werden können, zum Beispiel:5

• nach Funktionsbereichen, wie zum Beispiel nach inhaltlichen Rechts-, Com-


pliance-, Corporate Governance- oder CSR-Sachverhalten;
• nach Unterfunktionsbereichen, wie im Rahmen der Rechtssachverhalte: Ver-
tragsrecht, gewerblicher Rechtsschutz, Mergers & Acquisitions, Immobilien-
und Baurecht, Kartellrecht, Datenschutzrecht, Gesellschaftsrecht, Aktien- und
Konzernrecht, IT-Recht etc.;
• nach Auftretenshäufigkeit, im Rahmen repetitiver Arbeiten des juristi-
schen Geschäftsalltags oder innovativer neuer Projekt-, Programm- oder
­Initiativaufgaben;
• nach Mitarbeiterfunktionen, in Bezug auf Führungs-, Fachspezialisten-,
Administrativ- oder sonstige Ausführungsarbeiten.

Nachdem die Aufgaben klar umrissen sind, ist auf deren Grundlage eine Kom-
petenzordnung zu erstellen. „Kompetenzen“ stellen Handlungsrechte dar, die es
einem einzelnen Mitarbeitenden oder dem ganzen Legal Team beziehungsweise
einzelnen Subgruppen erlauben, tätig zu werden und Aufgaben umzusetzen. Man
unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen Führungs-, Entscheid-, Mit-
sprache- und Vertretungskompetenzen. Da sämtliche Kompetenzen beim General

5Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 884 f.).


518 R.P. Falta

Counsel liegen, dieser aber selbst nicht alle Aufgaben der Rechtsfunktion aus-
führen kann, ist er darauf angewiesen, bestimmte Aufgaben (und die mit ihnen
zusammenhängenden Kompetenzen) an seine Mitarbeitenden zu delegieren. Über-
nimmt ein Mitglied des Legal Teams eine delegierte Aufgabe, so verpflichtet es
sich, diese nach Treu und Glauben sowie nach den fachlich spezifischen Sorgfalts-
regeln durchzuführen, mithin für sie „Verantwortung“ zu übernehmen.
Stimmen sowohl Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung überein, so spricht
man von „organisatorischer Kongruenz“.6 Diese sollte ein General Counsel immer
sicherzustellen versuchen. Zudem hat er im Rahmen seiner Gesamtverantwortung
zu gewährleisten, dass er über geeignete Führungs-, Zielsetzungs-, Informations-
und Kontrollmöglichkeiten innerhalb der Rechtsabteilung verfügt. Schließlich
muss er auch dafür besorgt sein, dass Mitarbeitende über die nötigen Ressourcen
und Interaktionsmöglichkeiten mit internen und externen Partnern verfügen.
Sind die Aufgaben, die organisatorische Kongruenz, die Ressourcen und Inter-
aktionswege bestimmt und geeignete Instrumente zur Wahrung der Gesamt-
verantwortung durch den General Counsel festgelegt, erfolgt eine detaillierte
Planstellenzuordnung. Unter einer „Planstelle“ wird die kleinste organisatorische
Einheit verstanden, die für eine Aufgabendurchführung herangezogen werden kann.
Planstellen sind zwar nicht direkt mit Arbeitsplätzen oder Mitarbeitenden gleichzuset-
zen, doch können sie in der Praxis dennoch als entsprechende „Planstellenprozente“
einzelnen Mitarbeitenden zugewiesen werden. Die Mitarbeitenden können wiederum
wählen, an welchem Arbeitsplatz in den Legal Operations (Teamarbeitsplatz, feste
oder variable Arbeitsplätze, diffuse Arbeitsplätze etc.) sie diese durchführen möchten.
Planstellen kommen in zwei unterschiedlichen Formen vor, welche ihrerseits
wiederum über jeweils zwei unterschiedliche Ausprägungen verfügen: Linienstellen
(in der Ausprägung als Leitungs- oder Ausführungsstellen) und unterstützende Stel-
len (in der Ausprägung als Stabs- oder [zentrale] Dienstleistungsstellen).7 Weiter
können Planstellen auch nach deren Umfang unterteilt werden: Ist zum Beispiel nur
ein einziges Teammitglied nötig, um die Planstelle ordnungsgemäß umzusetzen,
spricht man von einer „Ein-Personen-Stelle“. Müssen hingegen mehrere Mitarbei-
tende gleichzeitig mit der Aufgabendurchführung beauftragt werden, spricht man
von einer „Kollegienstelle“, da bei ihr mehrere Aufgabenträger zu einer „organisa-
torischen Konvergenzeinheit“ (Aufgaben-, Kompetenz- und Verantwortungseinheit)
zusammengefasst werden. Zur Festlegung und Beschreibung der Aufgaben, Kom-
petenzen, Verantwortungen und einer Reihe anderer Bestimmungen (hierarchische
Einordnung, Stellvertretungsregelungen, Vergütungssätze etc.) werden dann die in
der Praxis bekannten „Stellenbeschreibungen“ oder „Stellenprofile“ verwendet.
Auch wenn die hier vorgenommene Aufzählung aufgrund der dahinterstehen-
den Theorie etwas wissenschaftlich-abstrakt wirkt, spielt sie für die Praxis eine
bedeutende Rolle, zumal auf ihrer Grundlage die makrofunktionale Ausgestaltung

6Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 885).


7Für eine vertiefte Auseinandersetzung und weitere Hinweise zu den Spezifika dieser Aufteilung
siehe Hugentobler et al. (2012, S. 886).
38 Formelle und informelle Innenstrukturen 519

der Rechtsabteilung basiert. Es lohnt sich daher für jeden General Counsel, sich
mit den organisatorischen Grundbausteinen der Legal Operations vertieft ausei-
nanderzusetzen, um daraus eine optimale Organisationsstruktur für die eigene
Rechtsabteilung ableiten zu können. In der Regel muss diese Grundlagenarbeit
auch nicht oft durchgeführt werden, sondern nur dann, wenn neue Aufgabenstel-
lungen an die Legal Operations herangetragen werden.

38.3.2 Makrofunktionale Ausgestaltung der Legal Operations


durch Primärstrukturen

Die Primärstruktur einer Rechtsabteilung bildet deren organisatorische Ausgestal-


tung auf makrofunktionaler Ebene ab. Das heißt, durch sie wird die gesamte Stel-
lenzuordnung innerhalb der Legal Operations vorgenommen. Eine solche kann
dann gut durch ein Organigramm – eine statische Momentaufnahme einer Organi-
sation – sichtbar gemacht werden. Die Umsetzung von Primärstrukturen erfolgt
dabei in zwei unterschiedlichen Formen: nach dem Primat der Aufgabengliede-
rung oder demjenigen der Struktursystem-Gliederung. Beide Arten bieten eine
stark begrenzte Zahl von Gestaltungsmöglichkeiten, aus denen – respektive aus
deren Kombination – sich alle traditionellen Formen der Aufbauorganisation einer
Rechtsabteilung ableiten lassen. Aus der Kombination der Varianten dieser beiden
primären Gliederungsformen, also aus der spezifischen Kombination eines Struk-
tursystem-Typs mit einer Form der Aufgabengliederung, entsteht die aktuell ideal
passende Organisationsstruktur der Legal Operations.8

38.3.2.1 Primärstrukturen nach der Aufgabengliederung


Bei der Aufgabengliederung werden Aufgaben nach bestimmten Gesichtspunkten
auf die einzelnen Planstellen verteilt, damit sinnvolle Aufgabenbündel entstehen.
Diese Aufgabenzuordnung zu bestimmten Planstellen wird als „Zentralisation“
bezeichnet. Da es in einer Rechtsabteilung aber verschiedene Möglichkeiten der
Zentralisation gibt, entstehen oft Zentralisationskonflikte. Zumal die Aufgaben-
zuteilung nach einem bestimmten Merkmal immer auch eine Ausschließung
(„Dezentralisation“) anderer Merkmale nach sich zieht. Organisiert man nach
einer bestimmten Kategorie (zum Beispiel nach von der Rechtsabteilung zu bedie-
nenden Kundensegmenten), schließt man automatisch eine andere Möglichkeit der
Kategorisierung (zum Beispiel nach Rechtsgebieten) aus.
Organisationen wie die Rechtsabteilung sind daher immer gleichzeitig zentralisiert
und dezentralisiert. Die Vorteile, die der General Counsel aus einer ­Aufgabenzuteilung
nach einem bestimmten Merkmal zieht, werden teilweise durch die Nachteile kom-
pensiert, indem nach allen anderen Merkmalen nicht mehr zentralisiert werden kann
und die mit diesen zusammenhängenden Frage- und Problemstellungen nur nachran-
gig (zum Beispiel im Rahmen von Sekundärstrukturen; siehe dazu Abschn. 38.3.3)

8Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 898).


520 R.P. Falta

Abb. 38.2  Aufgabengliederung nach Rechtsgebieten, Rechtsobjekten und Rechtskreisen.


(Quelle: QUADRAGON Management LLC)

behandelt werden können.9 In Abb. 38.2 werden die Möglichkeiten dargestellt, nach
denen die Aufgabenorganisation in einer Rechtsabteilung gegliedert, auf die Planstel-
len verteilt und dadurch die Organisationsstrukturen konkret ausgestaltet werden
­können.10

Aufgabengliederung nach Rechtsgebieten Diese Form ist besonders gut für


kleine Rechtsdienste geeignet, die über ein überschaubares Leistungsprogramm
verfügen und in einem relativ stabilen Unternehmen oder einer Behörde angesiedelt

9Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 888).


10Die „klassische“ Einteilung nach einzelnen oder allen Gesichtspunkten der Aufgabengliede-
rung sind gemäß Otto Henning GmbH (2016), S. 67, bei großen deutschen Unternehmen seit
einiger Zeit konstant oder gar rückläufig: Ausschließliche Strukturierung nach Rechtsgebieten
(2013: 27 %; 2015: 23 %), nach Kundensegmenten (2013: 19 %; 2015: 20 %) oder nach Regio-
nen (2013: 4 %; 2015: 0 %). Rückläufig ist auch die Strukturierung nach allen drei Gliederungs-
punkten (Rechtsgebiete/Kundensegmente/Regionen; 2013: 37 %; 2015: 28 %). Dagegen liegen
Mischformen mit zwei Komponenten wie folgt im Trend: Vor allem die Mischformen Rechtsge-
biete/Kundensegmente (2013: 12 %; 2015: 20 %), aber auch Kundensegmente/Regionen (2013:
2 %; 2015: 8 %) und Rechtsgebiete/Regionen (2013: 0 %; 2015: 3 %) werden immer beliebter.
38 Formelle und informelle Innenstrukturen 521

sind. Der Vorteil liegt in den einfachen, für den General Counsel leicht überschau-
baren Strukturen und in klar abgegrenzten und somit gut kontrollierbaren Organisa-
tionseinheiten. In ihr nimmt der General Counsel die zentrale Rolle ein, er gibt
direkt Anweisungen und deadlines vor, steht in sehr engem Kontakt zu seinen Mit-
arbeitenden und nimmt die alleinige Führungs- und Kontrollverantwortung wahr.11
Da Unternehmensjuristen oft bereits mit entsprechenden Rechtsspezialisierungen
angestellt werden, ermöglicht diese Struktur ihren produktiven Einsatz im Tagesge-
schäft vom ersten Tag an. Die Vor- und Nachteile stellen sich wie folgt dar:

• Die Vorteile: Durch die Spezialisierung und den damit verbundenen Aufbau
funktionsspezifischer Fähigkeiten können sich die einzelnen Teilbereiche aus-
schließlich auf die ihnen gestellten Teilaufgaben konzentrieren und ihr Wissen
dort ständig auf dem aktuellsten Stand halten. Dies führt zu Lern- und Erfah-
rungskurveneffekten, denn je mehr Teilaufgaben routinemäßig und repetitiv
erbracht werden, desto mehr spielen sich Abläufe ein, können Verbesserungs-
potenziale erkannt und genutzt werden. Schließlich wird dadurch die operative
Effizienz gesteigert.
• Die Nachteile: Der Hauptnachteil der Gliederung nach Rechtsgebieten besteht
darin, dass stets Koordinationsprobleme auftauchen, da diese Struktur zu einer
Vielzahl an Schnittstellen zu internen und externen Interaktionspartnern führt.
Auch wirkt in ihr ein „Kamineffekt“, der auftretende Probleme, besonders an
den Schnittstellen, nach oben zum General Counsel verschiebt und diesen mit
Abstimmungs- und Koordinationsaufgaben belastet. Zudem kann diese Struk-
turform, in der das Spezialistentum überbetont wird, die Gefahr von Fachegois-
men fördern und dadurch Ineffizienz und Ineffektivität Vorschub leisten
beziehungsweise das Risiko der (teilweisen) Handlungsunfähigkeit der Rechts-
abteilung erhöhen, wenn einzelne Mitarbeitende ausfallen. Weitere problemati-
sche Punkte bei dieser Gliederungsform sind der oftmals herrschende Mangel
an Kundenorientierung und die begrenzten Karriereperspektiven für Legal
Counsels, da Beförderungsmöglichkeiten innerhalb eines Rechtsgebiets in der
Regel äußerst beschränkt sind. Als Alternative zur Aufgabengliederung nach
Rechtsgebieten eignet sich daher sehr gut diejenige nach Rechtsobjekten.12

Aufgabengliederung nach Rechtsobjekten In der Regel steht bei der Glie-


derung nach Rechtsobjekten diejenige nach Haupt- und Zusatzaufgaben im Vor-
dergrund. Andere mögliche Rechtsobjekte, nach denen die Legal Operations
strukturiert werden können, sind nach internen und externen Interaktionspart-
nern (­Kunden- und Kooperationspartnersegmentierung) oder nach strategischen
­Planungseinheiten. Die Gliederung nach Rechtsobjekten war bisher vor allem den
größeren Rechtsabteilungen vorbehalten, die in Großunternehmen – mit einem
sehr heterogenen Leistungsangebot, in unterschiedlichen Absatzmärkten und in

11Vgl. Müller-Stewens, Lechner (2005, S. 445 f.).


12Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 889 f.).
522 R.P. Falta

einer sehr dynamischen Umwelt – angesiedelt waren. Heute bietet sich der Über-
gang von einer O ­ rganisation nach Rechtsgebieten zu einer nach Rechtsobjekten
jedoch auch immer mehr für kleinere Rechtsabteilungen an, sofern sich diese von
der klassisch-defensiven Leistungserstellung immer mehr zu einem proaktiv unter-
stützenden und dadurch vermehrt wertschöpfend tätigen business partner wandeln
(siehe dazu auch Kap. 34). In einem solchen Fall treten die Schwachstellen der
rechtsgebietsorientierten Strukturierung immer mehr zutage, während ihre Vorteile
gleichzeitig immer weniger zum Tragen kommen.

• Die Vorteile: Der große Vorteil einer Aufgabengliederung nach Rechtsobjekten


liegt in der „Absenkung“ der Entscheidungskompetenzen vom General Counsel
auf die einzelnen Rechtsobjektbereiche. Führen erfahrene Senior Legal Coun-
sels oder Legal Counsels einzelne dieser kleinen, kundennahen und teilauto-
nomen Einheiten, so entlasten sie dadurch den General Counsel maßgeblich.
Durch die Entlastung vom Tagesgeschäft kann er sich vermehrt mit identi-
tätsstiftenden, strategischen oder den vielfältigen optimierungstechnischen
Fragestellungen der Rechtsfunktion auseinandersetzen. Die einzelnen Rechts-
objektbereiche hingegen profitieren durch die Teilautonomie von einem schnel-
leren und flexibleren Agieren im Zusammenhang mit ihrer Leistungserstellung
für interne beziehungsweise in ihrer Zusammenarbeit mit externen Interakti-
onspartnern. Das schafft Raum für eine gezieltere Bearbeitung der Haupt- und
Zusatzaufgaben und führt zu mehr unternehmerischen Initiativen sowie zu
einem vermehrt unternehmerischen Denken und Handeln bei Unternehmensju-
risten (besonders auch bei jüngeren Legal Counsels, die erste unternehmerische
Erfahrungen sammeln und sich dadurch persönlich weiterentwickeln können).
Zudem ruft die Tätigkeit im Zusammenhang mit Rechtsobjekten regelmäßig
eine höhere Zufriedenheit, Motivation und Sinnhaftigkeit im Legal Team her-
vor. Weitere Vorteile liegen darin, dass die Beiträge der einzelnen Rechtsob-
jekte zum Abteilungs- und Gesamtorganisationserfolg exakter beurteilt werden
können und die Gefahr der (teilweisen) Handlungsunfähigkeit der Rechtsabtei-
lung durch den Ausfall einzelner Mitarbeitender (key people) stark abnimmt.
• Die Nachteile: Die Nachteile liegen in einem eventuellen Aufkommen von
Bereichsegoismen, wenn die Belange des Rechtsobjektbereichs über diejenigen
der gesamten Rechtsabteilung gestellt werden. Zudem verstärken sich die Ten-
denzen des Auseinanderdriftens des gesamten Legal Teams. Damit geht ein
erhöhter Koordinationsbedarf einher, insbesondere zur Vorbeugung suboptima-
ler Prozessabläufe, wenn verschiedene Rechtsobjektbereiche notwendigerweise
nachrangig behandelt werden müssen. Dieser Umstand führt dann wiederum
dazu, dass nicht einfach nur Juristen „ab der Stange“ rekrutiert werden können,
sondern besonders unternehmerisch denkende und handelnde anzustellen13
beziehungsweise intern auszubilden sind (siehe dazu detailliert Kap. 41 und
42). Zudem können Probleme bei der internen Abstimmung zwischen einzelnen

13Vgl. Staub (2006, S. 115 ff.).


38 Formelle und informelle Innenstrukturen 523

Rechtsobjekten entstehen, was dazu führt, dass Synergiepotenziale nicht genü-


gend genutzt werden. Schließlich gehen mit einer Generalisierung der Legal
Counsel-Skills immer auch Know-how und Spezialisierungsvorteile aus einzel-
nen Rechtsgebieten verloren.14
Aufgabengliederung nach Rechtskreisen Bei der Strukturierung nach Rechts-
kreisen stehen rechtssoziologische Gesichtspunkte im Vordergrund. Unter
„Rechtskreis“ wird denn auch eine Gruppe von verwandten Rechtsordnungen ver-
standen, zum Beispiel diejenigen der USA und vieler Länder des Commonwealth
of Nations, die auf einer gemeinsamen Rechtskultur, in diesem Fall auf der an­glo-
sächsischen aufbauen oder einen gemeinsamen Rechtsstil pflegen (zum Beispiel
das common law-System; siehe dazu detailliert Kap. 6). Rein formal stellt die
Strukturierung nach Rechtskreisen daher auch einen Spezialfall der Aufgabenglie-
derung nach Rechtsobjekten dar. Da diese in der Praxis aber häufig bei großen
und sehr großen, in der Regel multinational tätigen Unternehmen vorkommt, kann
sie als eigenständige Kategorie betrachtet werden. Sie bietet sich überall dort an,
wo zwischen den einzelnen Absatzgebieten des Unternehmens große sprachliche,
mentale und rechtssystematische Unterschiede respektive Unterschiede in den
technischen Spezifikationen der Produkte herrschen. Die Aufgabengliederung nach
Rechtskreisen kann aber nicht nur im globalen Zusammenhang sinnvoll sein, son-
dern auch auf Länder- oder Regionen-Ebene, wenn vorgenannte Unterschiede auch
auf lokaler Ebene bestehen (zum Beispiel in der Schweiz, wo vier unterschiedliche
Sprachgruppen [deutsch, französisch, italienisch und rätoromanisch] und mit die-
sen entsprechend homogene interne und externe Tätigkeitsumfelder existieren).

• Die Vorteile: Der wesentliche Vorteil dieser Gliederungsart liegt in der Nähe und
dem besseren Eingehen (flexibler, rascher, maßgeschneiderter und dadurch schließ-
lich kundenfreundlicher) des Legal Teams auf die Wünsche seiner internen und
externen Interaktionspartner, sofern sich diese durch Sprache, Mentalität oder geo-
grafisch-zeitliche Erreichbarkeit unterscheiden. Zudem lässt sich mit dieser Struktur
sehr einfach ein institutionalisierter, strategischer Screening- und Monitoring-Pro-
zess etablieren (siehe dazu detailliert Kap. 30), der die vielfältigen Informationen
über veränderte Tätigkeitsumfeld-Einflüsse und andere Marktentwicklungen konse-
quent nutzt, um daraus Vorteile für die Strategieplanung und Identitätsverankerung
(siehe dazu detailliert Kap. 9 ff.) der Legal Operations zu ziehen.
• Die Nachteile: Die Nachteile einer Rechtskreisgliederung sind ähnlich denen
der Rechtsobjektgliederung: Bereichsegoismen, Auseinanderdriften der Rechts-
kreisbereiche, Bildung dominanter Subkulturen mit einer Verwässerung der
Identität des gesamten Legal Teams etc.15

14Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 890 f.), und Müller-Stewens, Lechner (2005, S. 448 ff.).
15Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 891 f.); Müller-Stewens, Lechner (2005, S. 447).
524 R.P. Falta

Abb. 38.3  Ein- und mehrdimensionale Modelle der Struktursystem-Gliederung in Rechtsabtei-


lungen. (Quelle: QUADRAGON Management LLC)

38.3.2.2 Primärstrukturen nach der Struktursystem-Gliederung


Grundsätzlich lassen sich, wie in Abb. 38.3 dargestellt, ein- und mehrdimensionale
Modelle der Struktursystemgliederung16 unterscheiden, bei denen eine organisato-
rische Kompetenzzuteilung im Vordergrund steht.
Bei den eindimensionalen Modellen der Struktursystem-Gliederung erfolgen
Auswahl, Instruktion, Auftragserteilung, Kommunikation und Erfolgskontrolle
ausschließlich zwischen zwei vertikal-hierarchisch miteinander verbundenen Stel-
len; zwischen vorgesetzter und untergebener Stelle. Im Gegensatz dazu erfolgen
die Auswahl, Instruktion etc. bei mehrdimensionalen Modellen über mehrere verti-
kal- oder horizontal-hierarchisch miteinander verknüpfte Stellen hinweg.

Struktursystem-Gliederung nach dem Ein-Linien-System Beim Ein-Linien-­


System (auch „reine Linienorganisation“ genannt) steht die Einheit der Auftragser-
teilung im Vordergrund, das heißt, dass eine Stelle in der Rechtsabteilung nur von

16Auch „Strukturtypen“, „Strukturformen“, „Modelle der Kompetenzzuteilung“ oder – eher ver-

wirrend – als „Organisationsformen“ bezeichnet.


38 Formelle und informelle Innenstrukturen 525

einer einzigen anderen, ihr übergeordneten Stelle Anweisungen erhalten soll. Mit-
hin läuft die Kommunikation nur über „den Dienstweg“ zwischen diesen beiden
Stellen ab. Zwischeninstanzen dürfen dabei weder übersprungen noch umgangen
werden.17

• Die Vorteile: Ein einfaches und leicht überschaubares Leistungssystem, klare


hierarchische Verhältnisse, klare und eindeutige Regelung der organisatorischen
Kongruenz (Übereinstimmen von Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung),
wenig Kompetenzkonflikte und ausgezeichnete Kontrollmöglichkeiten für den
General Counsel.
• Die Nachteile: Aus „Dienst nach Vorschrift“ kann eine Lähmung der gesamten
Rechtsorganisation resultieren, zudem Schwerfälligkeit durch lange Weisungs-
und Kommunikationswege, Informationsfilterung durch Zwischeninstanzen,
Förderung des Hierarchiedenkens mit starker Abhängigkeit der Mitarbeiten-
den von ihren Vorgesetzten. Bei den Vorgesetzten führt das wiederum zu einer
Überlastung hinsichtlich Instruktions-, Koordinations- und Kontrollaufwand.

Struktursystem-Gliederung nach dem Mehrlinien-System Das Mehrlini-


en-System bildet die Abkehr von der Einheit der Auftragserteilung dar und bildet
dadurch das genaue Gegenstück zum Ein-Linien-System. Hier stehen die Prinzi-
pien der Mehrfachunterstellung, der Spezialisierung und des direkten Kommuni-
kationswegs im Vordergrund. Dadurch ist jeder Mitarbeitende mehreren
Vorgesetzten unterstellt. Diese sind in der Regel keine „Manager“, sondern
(„Meister“-)Fachspezialisten. Das erlaubt es ihnen, Aufgaben und Kompetenzen
auf ihre Mitarbeitenden zu verteilen und auftretende Probleme direkt und ohne
Zwischeninstanzen anzugehen.18

• Die Vorteile: Da beim General Counsel oft seine juristische Fachspezialisie-


rung im Vordergrund steht, führt dies dazu, dass Senior Legal Counsels ver-
mehrt zu Führungs- und Überwachungsaufgaben zugezogen werden. Aber
auch bei diesen steht die Fachautorität meist an erster Stelle. Dadurch entste-
hen zwischen Mitarbeitenden und Vorgesetzten sehr direkte Weisungs- und
Informationswege, eine hohe inhaltliche Spezialisierung sowie eine überdurch-
schnittliche strukturbedingt-fachliche Problemlösungskompetenz in den ganzen
Legal Operations.
• Die Nachteile: Der größte Nachteil besteht in der Abgrenzung von Weisungs-
befugnissen, von Zuständigkeiten und der Verantwortung zwischen dem Gene-
ral Counsel und den Senior Legal Counsels. Wird diese nicht sauber gelöst, so
können daraus Kompetenzkonflikte entstehen, widersprüchliche Weisungen an
Mitarbeitende erfolgen oder ein besonders großer Abstimmungsaufwand zwi-
schen den Führungskräften der Rechtsabteilung resultieren.

17Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 892 f.).


18Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 893 f.).
526 R.P. Falta

Struktursystem-Gliederung nach dem Stab-Linien-System Das Stab-Lini-


en-System baut zwar auf dem Ein-Linien-System auf, versucht aber gleichzeitig
dessen Vorteile, insbesondere die klare Regelung von Kompetenzen und Verant-
wortung, mit denen des Mehrlinien-Systems, vor allem der Spezialisierung des
Legal Operations-Kaders, zu kombinieren. Dazu wird die Organisation des Ein-Li-
nien-Systems durch Stabsstellen ersetzt. Dies kann in einer Rechtsabteilung idea-
lerweise durch eine feste Zuordnung junger Legal Counsels, versierter Paralegals
oder erfahrener juristischer Sekretariatsmitarbeitender erfolgen, die dem General
Counsel und den Senior Legal Counsels – in der Form von persönlichen Stabsmit-
arbeitenden – an die Seite gestellt werden. Aufgrund der Kosten und des Auf-
wands, der mit einem Stab-Linien-System verbunden ist, eignet sich diese
Organisationsform vor allem für große bis sehr große Rechtsabteilungen. In klei-
nen Legal Operations kann sie in vereinfachter Form eingeführt werden, indem
ausschließlich der General Counsel durch einen juristischen „Personal Assistent“
maßgeblich entlastet wird, der für ihn die notwendige Arbeits- und Entscheidvor-
bereitungen übernimmt und das Informationsmanagement sicherstellt, für dessen
Sammlung und Auswertung dem General Counsel selbst die Zeit fehlen würde.19

• Die Vorteile: Das Leitungssystem bleibt einfach und übersichtlich, es beste-


hen klare Kommunikations- und Weisungsbeziehungen innerhalb der Rechts-
abteilung. Durch die Zuordnung von Stabsmitarbeitenden bleiben der General
Counsel und die Senior Counsels besser informiert, werden aber auch maßgeb-
lich unterstützt und können sich somit besser auf ihre Fach- und Führungsauf-
gaben konzentrieren.
• Die Nachteile: Stabsstellen können sich aufgrund ihres Informationsvorsprungs
und ihrer Vernetzung innerhalb einer Organisation zu informellen Autoritäten
entwickeln. Dadurch stellen sie einen ständigen Verstoß gegen das Gebot der
organisatorischen Kongruenz dar. Zudem sind die Akzeptanz sowie der Grad
der Zusammenarbeit zwischen Linien- und Stabsstellen maßgeblich von den
Sozialkompetenzen der jeweiligen Stabsmitarbeitenden abhängig. Bei deren
Rekrutierung ist daher neben der fachlich-juristischen Eignung, der Analyse-
und Projektmanagementerfahrung vor allem auch die empathisch-kommunika-
tive Seite einer genauen Prüfung zu unterziehen.20

Struktursystem-Gliederung nach dem Zentralbereichssystem Zentralbe-


reichssysteme sind eine Sonderform der Stab-Linien-Organisation. Sie unterstüt-
zen – im Gegensatz zu Stabsmitarbeitenden – nicht einzelne Vorgesetzte, sondern

19Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 894 f.).


20Vgl. dazu Abbildung 29 bei Staub (2006, S. 125), dessen Anforderungsprofil für die Leitung
des legal controlling in Bezug auf die fachliche Eignung (Fachkompetenz), die charakterliche
Eignung (Persönlichkeitskompetenz) und die Führungseigenschaften (Sozial- und Führungskom-
petenz) auch in den meisten Punkten für Stabsmitarbeitende im Rechtsdienst übernommen wer-
den kann.
38 Formelle und informelle Innenstrukturen 527

erbringen ihre Stabsstellenleistung für das gesamte Legal Team. Diese Legal Ope-
rations-Organisationsform kommt daher fast ausschließlich bei sehr großen
Rechtsabteilungen zum Einsatz, die auch über die entsprechende Mitarbeiterres-
sourcen verfügen. Zudem kommt sie häufig im Zusammenhang mit der „Aufga-
bengliederung nach Rechtsobjekten“ beziehungsweise nach Rechtskreisen (siehe
dazu Abschn. 38.3.2.1) vor, zumal sich Rechtsobjekte durch Zentralbereiche noch
besser koordinieren und dadurch bestimmte Synergiepotenziale ausschöpfen las-
sen. So können zum Beispiel alle Aktivitäten, die mit Verträgen zusammenhängen
wie Vertragserstellung, Vertragsgestaltung und Vertragsprüfung, für das ganze
Legal Team von einem darauf spezialisierten Zentralbereich „Schuldrecht“ (in der
Schweiz: Zentralbereich „Obligationenrecht“) erbracht werden. Nicht nur die Ver-
arbeitungsgeschwindigkeit wird erhöht, sondern auch eine gleichbleibende Quali-
tät sichergestellt, indem jeder einzelne Legal Counsel „seine“ Verträge nicht mehr
selbstständig bearbeiten muss.21

• Die Vorteile: Zu nennen sind auf jeden Fall die hohe und gleichbleibende Qua-
lität sowie Arbeitsgeschwindigkeit, die durch Know-how-Bündelung sowie
Spezialisierung in den Zentralbereichen erzielt wird. Zudem erlaubt der offene
Zugang zu den Zentralbereichen für alle Linienmitarbeitenden eine maßgeblich
Arbeitserleichterung, da sich diese auf die Arbeiten in ihrem eigenen Aufga-
benbereich konzentrieren und bestimmte Abgaben aus ihrer Wertschöpfungs-
kette an die Zentralbereiche auslagern können. Dies fördert und beschleunigt
die Ausbildung eines legal business partner-Modells, in dem es üblich ist, zwi-
schen front office- und back office-Funktionen zu unterscheiden. Mithin stellt
das Zentralbereichssystem eine praktische Übergangsform zu den mehrdimen-
sionalen Organisationsformen dar.
• Die Nachteile: Der hauptsächliche Nachteil liegt im Konfliktpotenzial zwi-
schen Linienvorgesetzten respektive den Rechtsobjektverantwortlichen und den
Zentralbereichen hinsichtlich Entscheidkompetenzen und der Übernahme von
Verantwortung. Geht in der Rechtsabteilung etwas schief, so wird diese gerne
zwischen Rechtsobjekts- und Zentralbereich hin- und hergeschoben. Zudem ist
ein „System der Balance“ zu etablieren, damit nicht einer der beiden Bereiche
Überhand gewinnt. Schließlich kann hinsichtlich der Nachteile auch auf dieje-
nigen der „Aufgabengliederung nach Rechtsobjekten“ verwiesen werden.

Struktursystem-Gliederung nach dem Matrix- oder Tensor-System Mehrdi-


mensionale Organisationsformen stellen zwei („Matrix-System“) beziehungsweise
drei und mehr („Tensor-System“) Gliederungsarten gleichberechtigt nebeneinan-
der. Für sie ist also charakteristisch, dass es zu einer bewussten Überkreuzung von
Zuständigkeiten zweier Matrixstellen in einer Matrixschnittstelle kommt. Sie stel-
len daher eine Sonderform des Mehrlinien-Systems dar, bei dem Rechtsgebiete
und Rechtsobjekte (inklusive eventueller Rechtskreise) so miteinander kombiniert

21Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 896).


528 R.P. Falta

werden, dass nachgeordnete Stellen nicht nur von einer, sondern von zwei oder
mehr übergeordneten Matrixstellen Anweisungen erhalten. Dadurch können beide
(oder im Falle des Tensor-Systems mehrere) Matrixstellen ihr Wissen in das
bewusst geschaffene Spannungsfeld der Matrixschnittstelle einbringen und mög-
lichst optimale Lösungen kooperativ erarbeiten. Dieses System hat den großen
Vorteil, dass Zentralisationskonflikte und viele der bei eindimensionalen Systemen
immanenten Probleme zumindest „auf dem Papier“ gelöst werden können. Kom-
plexe Matrix-Struktursysteme eignen sich aber fast ausschließlich für sehr große
Rechtsdienste, bei denen eine parallele Abwicklung verschiedener Projekte für
interne Interaktionspartner eine wichtige Rolle spielt.22

• Die Vorteile: Kurze und direkte Kommunikationswege (auch auf Vorgesetzten­


ebene), umfassende Betrachtung von Umwelt- und Binnenkomplexität, von
Aufgaben und Problemstellungen sowie die Kombination von Wissen und
Erfahrung zweier oder mehrerer Fach- und Führungsspezialisten je Matrix-
schnittstelle führen unter anderem zu einer systemimmanenten Etablierung
institutionalisierter checks and balances. Durch die Abkehr von hierarchischen
Strukturen resultieren positive Auswirkungen auf die Mitarbeitermotivation.
Der General Counsel wird durch die Spezialisierung der Senior Legal Counsels,
die sich die Matrixstellen untereinander aufteilen, von seinen Führungsaufgaben
entlastet. Zudem können Konflikte zwischen den verschiedenen Gliederungskri-
terien durch Doppel- oder Mehrfachbeteiligung (co-sharing) der Matrixstellen
rasch ausgetragen und gelöst werden. Dadurch eignet sich diese Organisati-
onsform besonders gut für problemlösungs- und innovationsfokussierte Umge­
bungen, sofern im Matrix- oder Tensor-System der Vorrang von Sachkompetenz
gegenüber der hierarchischen Stellung in der Organisation gegeben wird.
• Die Nachteile: Konflikte in den Schnittstellen können, sofern ein positives
Arbeitsklima und eine feste Identitätsstiftung durch die Legal Operations nicht
bereits genügend verankert sind, dazu führen, dass sie eskalieren und nicht inner-
halb der Matrixschnittstelle gelöst werden können. Dadurch muss der General
Counsel als Schiedsrichter bemüht werden oder die beteiligten Matrixstellen
schließen aus Bequemlichkeit oder Angst vor weiterer Eskalation, „faule“ und
dadurch für die Legal Operations suboptimale Kompromisse. Zudem stellt dieses
Organisationssystem einen erhöhten Bedarf nach sachlich und emotional-kom-
munikativ fähigen Unternehmensjuristen, die mit dem erhöhten Koordinations-
und Sitzungsaufwand sowie den dadurch verlängerten Entscheidprozessen gut
umgehen können. Schließlich kann das co-sharing von Verantwortung und der
Verlust einer einheitlichen Leitung zu Verunsicherungen bei den Mitarbeitenden
führen. Aus diesen Gründen kommen reine Matrix- oder Tensor-Systeme in der
Praxis sehr selten vor. Meistens dominiert auch bei ihnen eine Dimension die
andere und kann Entscheide fällen, die vor allem in ihrem Sinne sind.

22Vgl. Müller-Stewens, Lechner (2005, S. 449 f.); Hugentobler et al. (2012, S. 897 f.).
38 Formelle und informelle Innenstrukturen 529

38.3.3 Makrofunktionale Ausgestaltung der Legal Operations


durch Sekundärstrukturen

Nach der Entscheidung für eine Primärstruktur – durch die Wahl einer sinn­vollen
Aufgabengliederung und deren Kombination mit einer spezifischen Struktur-
system-Gliederung – ist es bei eindimensionalen Strukturtypen oftmals sinnvoll,
diese durch Sekundärstrukturen zu ergänzen. Die Primärstruktur wird somit um
eine weitere Strukturschicht erweitert, mit der diejenigen Nachteile oder Probleme
behandelt werden können, die durch die Gliederung in der Primärstruktur in den
Hintergrund gerückt sind. Sekundärstrukturen sind dabei in der Regel nur tem-
porär wirksam, da durch sie oft zeitlich befristete Aufgaben wahrgenommen und
diese wieder aufgelöst werden, nachdem sie erfolgreich bewältigt wurden. Zudem
eigenen sich Primärstrukturen für immer wieder gleiche („Routinearbeiten des
Tagesgeschäfts“) oder zumindest ähnliche („abteilungsinterne Sonderaufgaben“)
Aufgabenstellungen, da diese in ihnen sehr effizient und effektiv abgearbeitet wer-
den. Für die Bewältigung neuartiger und innovativer Aufgaben (Initiativen, Pro-
gramme und Projekte) sind sie jedoch oft nicht die beste Wahl.

38.3.3.1 Sekundärstrukturen nach Projektgesichtspunkten


Das bekannteste Beispiel für eine temporäre Sekundärstruktur ist das „Projekt“.
Hierbei handelt es sich um einen zeitlich befristeten, innovativen Aufgabenkom-
plex. Mithin ist nicht jede abteilungsinterne Sonderaufgabe als Projekt zu bezeich-
nen, sondern ausschließlich diejenigen Aufgabenkomplexe, die:23

• über klar definierte Aufgaben- und Zielsetzungen verfügen;


• einen klar definierten zeitlichen Rahmen mit Projektbeginn und -abschluss
­aufweisen;
• ein begrenztes und genau definiertes Budget haben;
• besonders umfangreich und komplex sowie
• in der Regel einmalig, neuartig und innovativ für die Legal Operations sind,
• bei denen verschiedene Stellen der Legal Operations zur Zielerreichung zusam-
menarbeiten (müssen).

Weisen Projekte eine gewisse Größe und Komplexität auf, ist es sinnvoll, diese in
eine eigenständige Sekundärstruktur auszugliedern, die durch einen „Projektmana-
ger“ (PM) geleitet wird. Das von ihm erbrachte Projektmanagement umfasst in der
Folge sämtliche Analyse-, Planungs-, Umsetzungs- und Kontrollmaßnahmen im
Zusammenhang mit seinem Projektportfolio. Auch ist es die Aufgabe des Projekt-
managers, die bestmögliche Struktur für die Projektorganisation zu ermitteln und
mit dem General Counsel hinsichtlich möglicher Organisationskonflikte mit der
Primärstruktur abzustimmen. Dabei können, wie in Abb. 38.4 dargestellt, drei

23Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 899).


530 R.P. Falta

Abb. 38.4  Die drei Grundformen der Projektorganisation in Rechtsabteilungen. (Quelle: QUA-


DRAGON Management LLC)

Grundformen der Projektorganisation nach der Stellung des Projektmanagers in


ihr unterschieden werden:24

Projektgliederung nach dem Projektkoordinations-System Dieses System


stellt organisatorisch die einfachste Projektgliederungsmöglichkeit dar. Die Ent-
scheidkompetenzen und damit die Verantwortung für die Zielerreichung innert
Frist und Budget verbleiben bei ihr vollumfänglich bei den Linieninstanzen der
Primärstruktur. Der Projektmanager – hier ausschließlich als „Projektkoordinator“
bezeichnet – ist allein für Organisations- und Koordinationsaufgaben zuständig.
Er übernimmt auch keine Weisungsbefugnis gegenüber Projektmitarbeitenden,
sondern arbeitet mit einzelnen Mitgliedern des Legal Teams aus der Primärstruk-
tur zusammen. Somit ist die Projektkoordination gut für kleinere Projekte in der
Rechtsabteilung geeignet, bei denen unterschiedliche Mitglieder des Legal Teams
temporär zusammenarbeiten.

Projektgliederung nach dem Task-Force-System Das Task-Force-System ist eine


reine Projektorganisation und stellt somit genau das Gegenteil der Projektkoordination
dar. Ein Projektmanager koordiniert hier nicht nur seine Projekte, sondern ist völlig
aus der Grundstruktur herausgelöst, er übernimmt Verantwortung, ist in seiner Projekt­
organisation weisungsbefugt und kontrolliert die Zielerreichung der Projekte eigen-
ständig nach Umsetzungs-, Zeit- und Budgetvorgaben. Die Projektmitarbeitenden sind

24Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 900 ff.).


38 Formelle und informelle Innenstrukturen 531

für ein Projekt in der Regel von ihrem angestammten Tagesgeschäft vollzeitlich frei-
gestellt und in die Projektorganisation integriert. Das Task-Force-System eignet sich
daher vor allem für große Projekte mit entsprechend hoher Bedeutung für die Rechts-
abteilung. Die Mitglieder der Projektorganisation können sich dabei ausschließlich auf
das Projekt konzentrieren, ohne dabei Loyalitätskonflikten mit der Primärstruktur aus-
gesetzt zu sein. Schließlich sollte die Projektgliederung ausgehend vom Projektkoor-
dinations-System zum Task-Force-System als ein Kontinuum verstanden werden, auf
dessen Achse verschiedene Kombinationen zwischen den beiden Extrembeispielen
möglich sind.
Projektgliederung nach dem Matrix-Projekt-System Müssen in einer Rechts-
abteilung viele verschiedene Projekte abgewickelt werden, zum Beispiel wäh-
rend einer großen Gesamtorganisations-Reorganisation, kann es sinnvoll sein,
die Sekundärstruktur temporär nach dem Matrix-Projekt-System auszugestalten.
Dabei wird eine Projektmatrix mit mehreren Projektmanagern über die Primär-
struktur gezogen. Hat in den Legal Operations bereits eine Struktursystem-Glie-
derung nach dem Matrix-System vorgelegen, kann diese einfach im Rahmen einer
Tensor-Systemerweiterung durch die Projektdimension erweitert werden. Zudem
kann diese Projektgliederungsform interessant sein, wenn für interne Interaktions-
partner vor allem größere Transaction-Management-Projekte (siehe dazu detail-
liert Kap. 49) erbracht werden müssen.

38.3.3.2 Sekundärstrukturen nach
Sonderfunktionsgesichtspunkten
Neben der Ausgliederung von Projekten, denen auch die Ausgliederung von Ini-
tiativen und Programmen ähnlich ist, da diese ebenfalls nach einer der erläuterten
drei Projektgliederungsarten organisiert werden können, werden weitere Formen
von Sekundärstrukturen in Legal Operations verwendet. Sekundärstrukturen nach
„Sonderfunktionsgesichtspunkten“ werden im Gegensatz zu Projekten nicht nur
temporär und für einmalige, neuartige oder besonders innovative Aufgabenkom-
plexe erstellt, sondern sollen gezielt einzelne Schwächen der Primärstruktur über
einen langen Zeitraum hinweg ausgleichen. Die Bekanntesten sind:

• Rechtsleistungsmanagement: Hier werden die Hauptaufgaben der Legal Ope-


rations (siehe dazu Kap. 47–51) gebündelt und einheitlich durch ein kleines
legal business partner-Team als (single) point of contact (PoC) zwischen der
Rechtsfunktion und internen Interaktionspartnern ausgestaltet.
• Funktionsmanagement: In diesem Fall übernehmen einzelne Mitarbeitende
Zusatz- oder Administrativaufgaben (siehe dazu detailliert Kap. 46) in der
Rechtsabteilung, sofern diese nicht in der Primärstruktur ausreichend wahrge-
nommen respektive ordnungsgemäß durchgeführt werden können. Beispiele
dafür sind Legal Operations Controlling, Legal Operations Quality Manage-
ment, Legal Operations Accounting & Billing etc.
• Prozessuales Case-Management: In Rechtsabteilungen, in denen noch keine
konsequente Ausrichtung nach Wertschöpfungs- und ­Prozesskettengesichtspunkten
532 R.P. Falta

erfolgt, kann ein Case Management in der Sekundärstruktur als temporäres Kor-
rektiv eingesetzt werden, das es nach und nach aufzulösen und in die Primärstruk-
tur zu überführen gilt.
• Change Management: Schließlich können auch einzelne Problemstellungen
aus Restrukturierungs- und Optimierungsmaßnahmen nach einer organisato-
rischen Institutionalisierung verlangen, die (noch) nicht in die Primärstruktur
umgesetzt werden kann. Diese sollten jedoch so rasch wie möglich in die Pri-
märstruktur überführt werden, damit die organisatorische Kongruenz mit der
Zeit nicht verwässert wird und sich die strukturelle Wirklichkeit nicht immer
weiter von ihrer Abbildung im Organigramm entfernt.

38.3.4 Makrofunktionale Ausgestaltung der Legal Operations


durch (De-)Zentralisierung

Neben Primär- und Sekundärstrukturen stellt sich besonders in größeren Rechtsab-


teilungen die Frage nach der Zentralisierung beziehungsweise Dezentralisierung
von Rechtsaufgaben innerhalb der Gesamtorganisation.25 Je größer das Unterneh-
men ist, das heißt je mehr Mitarbeitende es aufweist, je mehr Märkte es global
bedient und je komplexer die Aufgabenstellungen werden, desto dringender wird
die Frage nach Rechtsablegern, welche die Rechtsabteilungszentrale als Satelliten
sinnvoll in der Gesamtorganisation erweitern.26 Zudem stellt sich bei solchen
Rechtsablegern die Frage, wo sie am besten eingesetzt, in welcher Stärke und in
welcher Konfiguration sie ausgestaltet werden sollen.27

38.3.5 Mikrofunktionale Ausgestaltung der Legal Operations

Die Mikrofunktionale Ausgestaltung der Strukturen von Legal Operations


beschäftigt sich mit der weiteren Organisation der Primär- und Sekundärstrukturen
und fügt diesen jeweils noch eine weitere organisatorische Dimension hinzu. Mit-
hin geht es zum Beispiel um die Beantwortung folgender Fragen:

25Vgl. Hambloch-Gesinn et al. (2010, S. 39 und 107 f.).


26Die großen deutschen Unternehmen wiesen 2015 gemäß Otto Henning GmbH (2016, S. 52),
zum Beispiel nur in 10 % (2013: 17 %) der Fälle eine ausschließlich zentrale Rechtsabteilung
ohne Rechtsableger aus. Eine Konzernrechtszentrale mit Rechtsablegern in Tochtergesellschaften
und Niederlassungen wiesen hingegen 20 % (2013: 23 %) der Unternehmen in einer Mischform
(sowohl teilweise nur fachlich, wie auch teilweise fachlich und disziplinarisch geführte dezen-
trale Einheiten), 28 % (2013: 17 %) mit dezentralen, gleichzeitig fachlich und disziplinarisch
sowie 38 % (2013: 38 %) mit dezentralen, aber nur fachlich geführten Rechtsablegern, auf.
27So nimmt die Bedeutung von Rechtsablegern in Tochtergesellschaften und Niederlassun-

gen von großen deutschen Unternehmen gemäß Otto Henning GmbH (2016, S. 53), vor allem
weltweit zu. Waren 2013 noch 43 % aller Unternehmensjuristen in globalen Rechtsablegern ein-
gesetzt, so waren es 2015 bereits 57 %. Hingegen ist der Einsatz von Unternehmensjuristen in
inländischen Rechtsablegern in etwa gleich geblieben (2013: 25 %; 2015: 26 %).
38 Formelle und informelle Innenstrukturen 533

• Anzahl Hierarchiestufen: Wie viele Hierarchiestufen sind in Legal Operations


sinnvoll? Natürlich hängt das in erster Linie von der Rechtsabteilungsgröße und
deren Ausgestaltung auf Primär- und Sekundärebene, vom Eigenständigkeits-
und Skill-Level der Mitarbeitenden, der Anzahl der durch die Rechtsabteilung
erbrachten Haupt- und Zusatzaufgaben und vor allem auch der Führungsspanne
ab.28 Außer in ganz großen Rechtsabteilungen genügen in der Praxis in den
meisten Fällen maximal zwei Hierarchiestufen – zuzüglich des General Coun-
sel an der Spitze der Rechtsabteilung.
• Führungsspanne in den Legal Operations: In der Praxis kann meiner Erfah-
rung nach eine Führungsperson nicht mehr als zwölf bis fünfzehn Mitarbei-
tende gleichzeitig professionell führen und überwachen. Niemand, auch nicht
der fähigste General Counsel, kann daher zeitgleich mehr als fünfzehn Mitar-
beitenden professionell vorstehen. Noch viel weniger, wenn er nicht nur sein
Team zu führen hat, sondern auch dem Aufsichtsrat und der Geschäftsleitung
als sounding board zur Verfügung stehen muss. So reduziert sich die empfoh-
lene Anzahl professionell führbarer Mitarbeitender in einem hälftigen Pensum
(50 % Führungsaufgaben, 50 % Fachaufgaben), wie das bei General Counsels
oft der Fall ist, auf maximal vier bis acht unterstellte Mitarbeitende. Sofern der
General Counsel zu mehr als 50 % fachlich tätig sein will/muss, reduziert sich
die Zahl noch entsprechend weiter. Werden die vorgenannten Grenzen erreicht,
sollte jeweils eine weitere Hierarchiestufe mit entsprechenden Führungs-,
Kontroll- und Reporting-Verpflichtungen eingeführt werden, da ansonsten
die Führungsaufgabe des General Counsel oder einer anderen übergeordneten
Hier­archiestufe (in der Regel Senior Legal Counsels) kompromittiert wird.
• Anzahl Unternehmensjuristen: Wie viele Unternehmensjuristen sollten in
einer Rechtsabteilung angestellt sein? Diese Frage ist weniger von der Struktu-
rierung abhängig, als vielmehr davon, was für ein Volumen von Haupt- und
Zusatzaufgaben die Rechtsabteilung durchzuführen hat, welchem Wirtschafts-
zweig das Unternehmen angehört und mit welchem geografischen Fokus es
tätig ist. In der Praxis gilt in KMU als Daumenregel durchschnittlich ein Jurist
auf 250 bis 500 Mitarbeitende, in Großunternehmen kommt ein Jurist durch-
schnittlich auf 1000 bis 4000 Mitarbeitende.29 Diese Daumenregeln sollten aber
mit größter Vorsicht angewandt werden. Um wirklich verlässlich die Anzahl von
Unternehmensjuristen bestimmen zu können, ist ausschließlich auf die realen

28In großen deutschen Unternehmen ist gemäß Otto Henning GmbH (2016, S. 67), die Organi-

sation mit einer einzigen Hierarchieebene rückläufig (2011: 20 %; 2013: 8 %; 2015: 8 %), die
meisten Unternehmen weisen zwei bis drei Hierarchiestufen auf (2011: 63 %; 2013: 64 %; 2015:
64 %) und immer mehr Unternehmen bauen ihre Rechtsabteilungen auf vier oder mehr Hierar-
chiestufen aus (2011: 17 %; 2013: 28 %; 2015: 28 %).
29Dies entspricht in etwa der in großen deutschen Unternehmen gemäß Otto Henning GmbH

(2016, S. 55), durchschnittlichen Anzahl von Legal Counsels (branchen- und größenübergrei-
fend) im medianen (2011: 2.5; 2013: 2.5; 2015: 3.6) und im arithmetischen Mittel (2011: 3.7;
2013: 4.1; 2015: 4.7) je 1 Mrd. EUR Umsatz.
534 R.P. Falta

Faktoren (Aufgabenvolumen, Unternehmensbranche, geografische Absatz-


märkte) abzustellen. Zudem, je geringer die Komplexität, desto weniger Juristen
sind unbedingt nötig.
• Relation Unternehmensjuristen zu Supportkräften: Die Leistungsfähigkeit
einer Rechtsabteilung und ihrer Unternehmensjuristen ist, besonders in Zeiten
hoher Auslastung, maßgeblich davon abhängig, über welches Supportumfeld
diese verfügen. Daher stellt sich die Frage, wie viele Paralegals (Rechtsanwalts-
oder Notariatsfachangestellte, juristische Sachbearbeiter etc.) sowie Sekretari-
atsmitarbeitende (Sekretär, Personal Assistant etc.) je Unternehmensjurist zur
Verfügung stehen sollten, damit er seine Arbeit optimal durchführen kann? Ein
angemessen dotiertes Supportumfeld sollte in der Praxis etwa durchschnittlich
2,5 Paralegals-Stellen und eine Sekretariats-Stelle pro zehn Unternehmensjuris-
ten umfassen. Diese Zahlen können aber ebenfalls je nach individueller Ausge-
staltung einer Rechtsabteilung höher oder tiefer angesetzt sein. Maßgeblichen
Einfluss haben hierauf das Volumen besonders repetitiver Arbeiten, das Volu-
men fachlich weniger anspruchsvoller Einzelarbeiten, die optimale Ausnutzung
des Leverage-Struktureffekts30 sowie der interdisziplinäre Skill-Level, sowohl
der Unternehmensjuristen, als auch der Support-Mitarbeitenden.
• Solid und dotted Reporting Lines: Die Unterscheidung zwischen solid und
dotted reporting lines ist eine Frage, die jeweils im Zusammenhang mit Dezen­
tralisierungsmaßnahmen auftaucht. Beide Begriffe stammen aus der Darstellung
in Organigrammen, wo eine solid line zwischen einer hierarchisch über- und
einer untergeordneten Stelle eine direkte disziplinarische Unterordnung bedeu-
tet (zum Beispiel innerhalb des Rechtsdienstes zwischen dem General Counsel
und einem Senior Legal Counsel). Im Gegensatz dazu kommen dottes lines vor,
wenn juristische Mitarbeitende nicht in der zentralen Rechtsabteilung angesie-
delt sind. Zum Beispiel bei einem in der Personalabteilung tätigen „Arbeits-
rechtler“: Sein disziplinarisch direkter Vorgesetzter kann entweder der Head of
HR oder der General Counsel, sein fachlicher wird aber fast immer der General
Counsel sein. Da er beiden gleichzeitig unterstellt ist und an beide rapportiert,
wird je nach fachlicher (dotted line) oder disziplinarischer (solid line) Unterord-
nung eine andere Linienart verwendet. Ein Auseinanderfallen von fachlicher
und disziplinarischer Unterstellung kommt nicht nur bei einzelnen Unterneh-
mensjuristen vor, sondern auch im Rahmen ganzer Legal Teams, die in corpore
als Rechtsableger des zentralen Rechtsdienstes fungieren. Dies ist zum Beispiel

30Für Maister (2003, S. 4 ff.), stehen die „Fähigkeiten der Mitarbeitenden“ bei der organisatori-

schen Ausgestaltung (von Anwaltskanzleien!) im Vordergrund. Er stellt drauf ab, wie groß das
jeweilige volume ratio an senior-, middle- und junior-level-Arbeiten im Rahmen der Klientenauf-
träge ist. An dessen Verhältnis sollte sich auch die Anzahl der Mitarbeitenden je Hierarchiestufe
bemessen, zumal es keinen Sinn macht, da es einer Ressourcenverschwendung gleichkommt,
dass zum Beispiel senior-level-Mitarbeitende middle- oder junior-Stufenarbeiten durchführen.
Das Abstellen auf die Leverage-Struktur, das heißt auf diejenige Struktur, die das Skill-Level der
Mitarbeitenden genau auf die Aufgabenstellungen anpasst, macht durchaus auch für Legal Ope-
rations in Unternehmen und Behörden Sinn.
38 Formelle und informelle Innenstrukturen 535

bei Unternehmen der Fall, die eine starke Präsenz im Ausland haben. So sind
die meisten dezentralen Länderrechtsabteilungen disziplinarisch dem Country
Head oder einer vergleichbaren Position unterstellt, fachlich werden sie aber
vom Corporate General Counsel geführt.31 Der Kontakt, der Wissenstransfer
und die Zusammenarbeit zwischen Rechtsablegern und dem zentralen Konzern-
rechtsdienst können dabei auf unterschiedliche Weise gestaltet werden.32
• Inhousing, Outsourcing & Offshoring: Im Zusammenhang mit der Prozess­
organisation stellt sich auch in jedem Rechtsdienst die Frage danach, welche
Aufgaben beziehungsweise Wertschöpfungsanteile inhouse gehalten werden
sollen und was outsourced respektive was offshored werden kann. Dabei geht
es darum, welches die Kernkompetenzen der Rechtsabteilung sind und wel-
che fachlich (weniger) anspruchsvollen Nicht-Kernkompetenzen andere besser
(schneller, qualitativ höherwertiger oder billiger) erledigen können (siehe dazu
auch Kap. 14 und 30).

38.4 Neue Organisationskonzepte für Legal Operations

Sämtliche eindimensionalen Organisationsformen der Primärstruktur basieren auf


einer „Pyramidenform“, die dem menschlichen Verständnis (betriebsbedingter) Hier­
archien gewohnheitsmäßig nahesteht. Obwohl sie eine ganze Reihe von Vorteilen
gerade in schwierigen und komplexen Situationen aufweist, dürfte mittlerweile hin-
länglich bekannt sein, dass starre Hierarchiepyramiden nicht immer die beste Form
der Kooperation darstellen.33 Reorganisationsmaßnahmen (siehe dazu Abschn. 38.5)
haben in der Vergangenheit versucht, vor allem die hierarchischen Pyramidenformen
in Rechtsabteilungen zu optimieren, anstatt sich grundlegend mit arbeitspsychologi-
schen Soziodynamiken auseinanderzusetzen (siehe dazu detailliert Kap. 28).
Die meisten alternativen Modelle (sogenannte „Modular-Systeme“),34 denen
eine Abkehr von der Hierarchiepyramide und ein bedeutender Einsatz von Infor-
mations- und Kommunikationstechnologie gemein ist, eignen sich nicht für die
Organisation der Legal Operations in der Primärstruktur:

31Vgl. Hambloch-Gesinn et al. (2010, S. 142).


32Vgl. Otto Henning GmbH (2016, S. 52), die für deutsche Großunternehmen folgende Koope-
rationsarten angibt: anlassbezogen von Fall zu Fall (2013: 56 %; 2015: 70 %), regelmäßiger
Austausch (zum Beispiel auf Leitungsebene, in Expertengremien etc.: 2013: 56 %; 2015: 68 %),
regelmäßig (halb-)jährlich stattfindende legal counsel get-together-Veranstaltungen (2013: 52 %;
2015: 53 %), innerhalb gemeinsamer Projekte (2013: 48 %; 2015: 48 %), innerhalb übergrei-
fender Praxis-Gruppen zur Know-how-Bündelung (2013: 29 %; 2015: 43 %) oder durch regel-
mäßiges Reporting (2013: 38 %; 2015: 30 %). Schließlich fand 2015 in keinem Unternehmen
überhaupt keine Aktivität zwischen Zentrale und Rechtsablegern mehr statt, 2013 fanden noch
bei 2 % der deutschen Grossunternehmen keine Aktivitäten statt.
33Vgl. Galinsky, Schweitzer (2015, S. 63 ff.) mit vielen weiteren Hinweisen darauf, wann Hierar-

chien „gewinnen“ und wann sie „verlieren“.


34Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 915).
536 R.P. Falta

• Die Team- und Netzwerkorganisation werden jedoch oft nutzenstiftend in der


Sekundärstruktur der Rechtsabteilung umgesetzt.
• Die Cluster- und Stundenglasorganisation machen für Legal Operations nur
Sinn, wenn das gesamte Unternehmen nach diesen strukturiert ist; als Insellö-
sung sind sie für das Legal Team nicht geeignet.

Dennoch ist es interessant, sich die Vorteile alternativer Struktursysteme genauer


anzuschauen. So können die nachfolgenden Vorteile für Rechtsabteilungen durch-
aus interessant sein:35

• nicht-hierarchische Koordination zwischen den einzelnen Stellen (zum Beispiel


nach marktähnlichen Koordinationsmechanismen, wie der internen Verrechnung);
• dezentrale Entscheidkompetenzen und Ergebnisverantwortung vom General
Counsel weg und hin zu den grundwertschöpfenden Mitarbeitenden;
• Orientierung an kleinen Teams fördert Flexibilität, Kundennähe und eine
höhere Arbeitszufriedenheit;
• integrierte Aufgabenumsetzung dient dem Ziel, zu viele Schnittstellen mög-
lichst zu vermeiden und für die internen Interaktionspartner nach Möglichkeit
immer eine One-stop-shop-Lösung anzubieten;
• eine konsequente „Kundenorientierung“ bedeutet, dass sich die Planstellen
immer an den Bedürfnissen der internen Interaktionspartner ausrichten sollen;
• eine konsequente Prozessorientierung bedeutet, dass sich Planstellen immer
nach den Wertschöpfungs- und -prozessketten ausrichten sollen.

Auf dieser Grundlage kommen für Legal Operations nur zwei alternative Struktur-
systeme als Primärstrukturen in Betracht. Die virtuelle und die Eidgenossen-Orga-
nisationsstruktur:

Virtuelle Organisationsstruktur Virtuelle Organisationen eignen sich vor allem


für kleine und kleinste Rechtsabteilungen und sind durch eine weitgehende Auflö-
sung fester Strukturen charakterisiert. Die gesamte Rechtsabteilung wird outsour-
ced und an eine virtuelle Organisation übertragen, die aus einer Reihe temporär
geschickt verknüpfter, interagierender und selbstständiger Rechtsdienstleister
besteht (Rechtsanwälte, Interim Legal Counsels, Paralegals, Treuhänder, Steu-
erexperten, M&A-Berater etc.). Dabei werden die verschiedenen rechtlichen
und rechtsnahen Arbeitsprozesse zeitlich und räumlich von der Gesamtorganisa-
tion entkoppelt. Die Leistungserstellung der Legal Operations findet nicht mehr
inhouse statt, sondern wird vollständig durch die legal team members der virtu-
ellen Organisation in ihren home offices oder von mobilen Telearbeitsplätzen
beziehungsweise aus einem business hub heraus erfüllt. Für jede rechtliche oder

35Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 920).


38 Formelle und informelle Innenstrukturen 537

rechtsnahe Arbeit werden im Inter- oder Intranet (über eine Verfügbarkeits- und
Profildatenbank) die jeweils besten momentan zur Verfügung stehenden Fachper-
sonen gebucht und nach Abschluss ihrer Arbeit bewertet. So kann auch in einer
virtuellen Organisation ein hochstehendes Qualitätsmanagement sichergestellt
werden.
Die Grundform der virtuellen Organisation in Legal Operation – ohne die heu-
tigen technischen Möglichkeiten – ist seit Jahrzehnten wohlbekannt: Nämlich im
Grundmodell der meisten KMU, die keine eigenen Unternehmensjuristen beschäf-
tigen, sondern alle Rechtsfälle oder Rechtsprobleme jeweils an ihre „Hauskanzlei“
oder mehreren Anwaltskanzleien outsourcen. Die Vorteile der virtuellen Organisa-
tionsstruktur liegen in der Reduktion und Verteilung von Haftungsrisiken, in einem
steten Wissens- und Fähigkeitszuwachs sowie in der Erhöhung der Flexibilität der
Legal Operations durch eine dynamische Re- und Neukonfiguration der virtuellen
legal team members. Nachteilig wirken sich die fehlende Beibehaltung rechtlicher
Kompetenzen im Unternehmen und die damit verbundene Abhängigkeit von
Zulieferern aus. Zudem dürften die Kosten regelmäßig höher liegen, da externe
Dienstleister jeweils eine Gewinnmarge aufrechnen werden. Schließlich ist die
Vertrauensbildung, auf der jede Kooperation basiert, schwierig umzusetzen, wenn
immer wieder mit anderen virtuellen Partnern zusammengearbeitet wird.36
Eidgenossen-Struktur Die „Eidgenossen“-Struktur eignet sich besonders gut
für große und sehr große Rechtsabteilungen, da sie im Kern keine Abkehr vom
Hierarchiedenken darstellt, sondern dieses im Rahmen der Legal Operations
modifiziert, indem die Position des „alleinig regierenden“ General Counsel obso-
let wird. An die Stelle eines einzigen obersten Vorgesetzten der Rechtsabteilung
tritt ein Kollektivgremium aus fünf langjährigen und besonders erfahrenen Senior
Legal Counsels, welche die Rechtsabteilung gemeinsam und gleichberechtigt
führen. Daher auch die Namensgebung aus der Schweizerischen „Eidgenossen-
schaft“. Diese wird seit 1848 von einem Kollektivgremium von sieben Bundes-
räten geführt. Nach deren Vorbild verantwortet jeder Senior Legal Counsel einen
der fünf Hauptaufgabenbereiche der Rechtsabteilung: Legal Risk Management,
Legal Counseling, Transaction Management, Litigation & Arbitration sowie Legal
Education, wie in Abb. 38.5 dargestellt. Zusatzaufgabenbereiche können entweder
gleichmäßig unter die Senior Legal Counsels verteilt oder im Rahmen von Zent-
ralbereichen innerhalb der Legal Operations geführt werden.
Der große Vorteil dieser Strukturform liegt in der verteilten Fach- und Führungs-
rolle und in den schnellen Kommunikationswegen innerhalb der fünf Hauptaufga-
benbereiche. Um die Überlastung des General Counsel gar nicht erst entstehen zu
lassen, wird die Führungs- und Repräsentationslast bei der Eidgenossen-Struktur

36Vgl. Müller-Stewens, Lechner (2005, S. 452); Hugentobler et al. (2012, S. 919 ff.).
538 R.P. Falta

Abb. 38.5  Das „Eidgenossen“-System für große Rechtsabteilungen. (Quelle: QUADRAGON


Management LLC)

von Anfang an auf fünf Schultern verteilt.37 Ein weiterer Vorteil dieser Strukturform
liegt darin, dass Legal Counsels einen Motivationsanreiz erhalten, sich gleichzeitig
fachlich und führungstechnisch weiterzubilden, da eine Beförderung auf eine von
fünf Topstellen in den Legal Operations wahrscheinlicher von Erfolg gekrönt ist,
als die Bewerbung auf eine einzige General-Counsel-Position. Auch der fachliche
Austausch im Führungskollektiv wird verbessert, da jeder einzelne Senior Legal
Counsel vier besonders erfahrene Kollegen an seiner Seite hat, die er in problemati-
schen Situationen um Rat anfragen kann. Da die fünf Führungsspitzen der Legal
Operations hierarchisch gleichwertig sind, wird falscher Stolz oder Angst davor,
sich eine Blöße zu geben, bei der Bitte um Rat oder Unterstützung minimiert.
Nachteilig am Eidgenossen-System ist dessen langsame Entscheidfindung und
Abstimmung zwischen den fünf Senior Legal Counsels als Führungsgremium.
Zudem stellt sich die Frage, wer das Kollegium zum Beispiel in der obersten
Geschäftsleitung vertreten soll und wie dies zu geschehen hat: Soll jeweils ein
Senior Legal Counsel rotierend, temporär oder fixiert als princeps inter pares
eingesetzt werden? Zudem wird bei der Umstellung auf das Eidgenossen-System

37Besonders in großen und sehr großen Rechtsabteilungen nimmt der General Counsel sowohl

Managementaufgaben gegenüber dem Legal Team wahr, wie auch rechtsberatende und repräsen-
tative Aufgaben gegenüber der Geschäftsleitung und dem Aufsichtsrat. Um zumindest einer die-
ser Aufgaben wirklich professionell nachzukommen und nicht ständig hin- und hergerissen zu
sein, müsste er sich jedoch ausschließlich auf das eine oder andere konzentrieren können. Natür-
lich gelingt ein solcher Spagat zwischen Führung und Fachleistung für einige Zeit, führt aber mit
der Zeit zu Überlastungen, die sich nicht nur negativ auf den General Counsel, sondern vor allem
auch auf die Rechtsabteilung auswirken. Auf lange Zeit kann sich ein dauerhaft überlastetes
Führungs- und Fachleistungssystem nicht halten, sofern der General Counsel nicht durch seine
zweite Hierarchiestufe maßgeblich in seinen Aufgaben unterstützt wird. Mithin etabliert sich in
der Regel über kurz oder lang eine „informelle“ Eidgenossen-Struktur, die nicht mehr dem offizi-
ellen hierarchischen Organigramm entspricht.
38 Formelle und informelle Innenstrukturen 539

oftmals eine Trennung vom aktuellen General Counsel nötig sein, da dieser mög-
licherweise nicht gewillt ist, seine Machtfülle abzugeben und sich in ein Kollektiv
ehemaliger Untergebener einzuordnen. Schließlich kann die Aufgliederung nach
Hauptaufgaben dazu führen, dass sich die Mitarbeitenden mehr ihrem spezifischen
Aufgabenbereich verpflichtet fühlen als der gesamten Rechtsabteilung – was wie-
derum zu Separationstendenzen innerhalb des gesamten Legal Teams führt.

38.5 Reorganisationsdurchführung in Legal Operations

Möchte Sie von der bestehenden Organisationsstruktur zu einer neuen übergehen,


die den aktuellen Gegebenheiten in Ihren Legal Operations besser angepasst ist, so
geschieht dies im Rahmen eines Reorganisationsprojekts. Da in einen Wechsel der
Organisationsstruktur regelmäßig große Erwartungen vonseiten des Legal Teams,
aber auch von internen und externen Interaktionspartnern, gesetzt werden, soll
nachfolgend ein Reorganisationsvorgehen aufgezeigt werden, das sich für den
Organisationswechsel von Rechtsfunktionen in der Praxis bewährt hat. Der nach-
folgend dargestellte Reorganisationsablauf basiert dabei wie so viele andere
Modelle auf dem bereits in den 1940er Jahren von Kurt Lewin entwickelten
Ansatz des Dreiphasenmodells38: Durch das „unfreezing“ wird die bestehende
Organisation aufgetaut, durch „moving“ wird sie verändert und schließlich durch
„refreezing“ wieder re-stabilisiert.

1. Schritt – Problemerkennung und Auslösung des Reorganisationsprojekts:


Im ersten Schritt sollte die Unzufriedenheit mit dem bestehenden Organisati-
onsmodell hinterfragt werden. Meist liegt der Auslöser für Veränderungswün-
sche in internen Problemstellungen, so zum Beispiel indem Aufgaben unerledigt
bleiben, wenn zu viele Redundanzen lähmen, oder bei einem gehäuften Auf-
tauchen von Konflikten zwischen Mitgliedern des Legal Teams und den daraus
entstehenden Reibungsverlusten, die immer von Ineffizienz und Ineffektivität
begleitet sind. Andererseits können aber auch äußere Gründe für eine Reorgani-
sation sprechen: Zum Beispiel anlässlich einer strategischen Neuausrichtung der
Gesamtorganisation, bei wichtigen Wechseln in der Führungsspitze von Gesamt­
organisation oder Legal Operations oder der Einführung neuer Technologien.
  Ist erst einmal ein Handlungsbedarf erkannt, gilt es eine Vorstudie zu erstel-
len, die Aufschluss darüber gibt, ob die prinzipielle Umsetzung eines Reorga-
nisationsprojekts möglich ist und wie viel Zeit respektive Kosten und sonstige
Ressourcen hierfür notwendig wären. Zudem ist abzuklären, ob das Reorganisati-
onsprojekt an externe Spezialisten vergeben werden sollte oder ob inhouse genü-
gend freie und erfahrene Kapazitäten vorhanden sind. Sinnvollerweise werden
in diesem ersten Schritt bereits Ideen entwickelt, wie nicht nur sämtliche Mit-
glieder des Legal Teams, sondern auch die hauptsächlich von der R­ eorganisation

38Vgl. dazu auch Hugentobler et al. (2012, S. 910 ff.).


540 R.P. Falta

betroffenen internen und externen Interaktionspartner informiert und für die Ver-
änderungen gewonnen werden können. Abschluss der ersten Phase bildet der
Entscheid darüber, ob die Reorganisation überhaupt sinnvoll ist und innert der
Vorgaben umgesetzt werden kann. Mögliche Entscheidalternativen bestehen in
der Genehmigung der Reorganisation, in der nochmaligen Projektüberarbeitung
oder einer Nichtanhandnahme beziehungsweise einer Verschiebung des Projekts
auf einen späteren Zeitpunkt.
2. Schritt – Informieren und Involvieren der Betroffenen: Im nächsten
Schritt39 geht es darum, alle involvierten Parteien zu informieren und einer
resistance for change proaktiv vorzugreifen. Reorganisationen sind immer mit
Befürchtungen, Unsicherheiten, Ärger und Ängsten behaftet. Diesen ist mög-
lichst rasch mit einer absolut offenen und ehrlichen Aufklärung entgegenzutre-
ten. So ist möglichst rasch über die Chancen und Risiken des Projekts, über die
geplanten Veränderungen sowie die Einfluss- und Beteiligungsmöglichkeiten
aller Akteure Aufschluss zu geben. Auch der Abbau von Arbeitsplätzen – so
schwer er für direkt Betroffene ist – kann nur „menschenwürdig“ abgewickelt
werden, indem auch für diese nachvollziehbar dargestellt wird, weshalb die
getroffenen Maßnahmen nötig sind. Zudem sind ihnen alternative Beschäfti-
gungsmöglichkeiten oder falls nicht möglich, großzügige Entschädigungspa-
kete auszurichten, um zu verhindern, dass sich allzu große Frustration in
negativen Handlungen wie Sabotage, Stimmungsmache etc. niederschlägt. Aber
auch gegenüber allen anderen unmittelbaren Akteuren (Mitarbeitende, Interak-
tionspartner und eventuell auch Betriebsräte; siehe dazu detailliert Kap. 18) ist
es wichtig, offen und ehrlich zu informieren und diese in das Reorganisations-
projekt zu involvieren. Tragen sämtliche Akteure zum Projekt mit bei, so sind
bei dessen Umsetzung weniger Probleme zu erwarten, es kann dadurch regel-
mäßig schneller und kostengünstiger umgesetzt werden.
3. Schritt – Organisationsanalyse der bestehenden Strukturen: Nun wird eine
Organisationsanalyse durchgeführt, die als Grundlage für alle nachfolgenden
Maßnahmen dient und die konsequent alle Schwachstellen sowie informellen
Organisationsmissstände auflistet. Hierbei empfiehlt es sich, alle Mitglieder des
Legal Teams zu involvieren, damit jeder einzelne seine persönliche Sichtweise
mit einbringen kann. Zudem empfiehlt es sich auch, externe Spezialisten mit-
einzubeziehen, da diese die Außensicht beisteuern und mit ihrer Erfahrung ver-
steckte Schwachstellen aufspüren können. Neben der Schwachstellenanalyse
sollten auch die internen und externen Rahmenbedingungen sowie die Ziele,
die mit der Reorganisation verfolgt werden, nochmals genau geprüft und nach

39Sobald eine Vorstudie in Auftrag gegeben wird, beginnt die „Gerüchteküche zu kochen“. Die-

sem Umstand sollte daher idealerweise bereits während der ersten Phase begegnet werden, indem
die in Schritt zwei vorgestellten Maßnahmen etwas zeitversetzt bereits während der Erstellung
der Vorstudie greifen, soweit dies eine gesicherte Informationslage erlaubt. Das Informationskon-
zept sollte sich daher von allgemeinen Informationen zu Beginn eines Reorganisationsprojekts zu
immer spezifischeren Informationen im Verlaufe des Projekts „zuspitzen“.
38 Formelle und informelle Innenstrukturen 541

den SMARTIES-Vorgaben formuliert werden (siehe dazu detailliert Kap. 30).


Die allgemeinen Zielvorgaben aus der Vorstudie genügen in der Regel nicht,
um das Reorganisationsprojekt professionell umzusetzen. Dadurch soll sicher-
gestellt werden, dass die Diskrepanzen zwischen den Reorganisationszielen
der Rechtsabteilung und denjenigen der Mitarbeitenden ersichtlich werden
und man diese im Dialog miteinander lösen kann. Ansonsten können unausge-
sprochene Zielwidersprüche die Akzeptanz und dadurch auch eine erfolgreiche
Umsetzung des Projekts gefährden.
4. Schritt – Organisationsgestaltung der neuen Struktur: Sind die Analysen
abgeschlossen und mögliche Widerstände, Unklarheiten oder Zielwidersprü-
che bereinigt, so erfolgt die Modellierung der neuen Organisation „auf dem
Reißbrett“. In dieser Phase ist Kreativität gefragt, gilt es doch aufgrund der
Ergebnisse aus den Analysen die bestmögliche Primär- und eventuell Sekun-
därstrukturform zu ermitteln. In dieser Phase ist es besonders wichtig, alle Mit-
glieder des Legal Teams in den Kreativprozess zu integrieren, um gemeinsam
herauszufinden, welche Systeme und Strukturformen am geeignetsten erschei-
nen. Dadurch wird nicht nur abermals die Akzeptanz für die daraus resultie-
rende Organisationsstruktur erhöht, sondern vor allem auch das enorme Wissen
der Mitarbeitenden sinnvoll für das Projekt verfügbar gemacht. Schließlich
wird aus der Vielzahl der Konzeptvarianten diejenige ausgewählt, die den
Anforderungen am ehesten zu genügen scheint und dann in einem Detailorga-
nisationskonzept zu einer finalen Lösung konkretisiert. Neben der Erstellung
des Entwurfs der neuen Organisationsstruktur sind flankierende Maßnahmen
(Mitarbeiterschulungen, Einsatz neuer Technologien etc.) zu planen, sofern sol-
che mit der Reorganisation notwendig werden.
5. Schritt – Implementierung der neuen Organisationsstruktur: Nach der
Genehmigung des Organisationsentwurfs und des Maßnahmenplans durch die
Geschäftsleitung kann die Implementation der neuen Organisationsstruktu-
ren beginnen. Die hierzu benötigten Organigramme, Stellen-, Interaktions- und
Funktionsbeschreibungen sowie Informationsmedien sind zu erstellen und an alle
Mitarbeitenden aber auch an andere wichtige Akteure abzugeben und die nötigen
flankierenden Maßnahmen zeitgerecht umzusetzen. Können alle vorgenannten
Umsetzungsmaßnahmen auf den festgelegten Termin hin fertiggestellt werden,
so tritt die neue Organisationsstruktur ab diesem Datum offiziell in Kraft.
6. Schritt – Anlaufphase unter der neuen Struktur: In den meisten Fällen
funktioniert die neue Organisationsstruktur nicht von Beginn weg völlig rei-
bungslos, da sich die Mitarbeitenden sowie die internen und externen Interakti-
onspartner an die neuen Abläufe, Ansprechpartner etc. gewöhnen müssen.
Zudem zeigt sich hier, wie sorgfältig während der vorangegangenen Phasen
gearbeitet wurde. Oft werden auch erst durch die Inbetriebnahme der neuen
Strukturen und Prozesse Schwachstellen ersichtlich, die auch bei der umsich-
tigsten Planung nicht erkannt werden konnten. In dieser Phase gilt es, flexibel
auf auftretende Probleme zu reagieren, Ruhe zu bewahren und sie bestmöglich
zu lösen, ohne das ganze Reorganisationskonzept jeweils infrage zu stellen. Bis
sich die neuen Organisationsstrukturen eingespielt haben und sich die Akteure
542 R.P. Falta

darin „heimisch“ fühlen, dauert es in der Regel zwei bis drei Monate. In dieser
Zeit ist es wichtig, dass jeder Akteur auftretende Schwierigkeiten und
Schwachstellen der Projektleitung meldet, damit diese entsprechende Nachjus-
tierungen vornehmen kann. Eine Besonderheit gilt es im Hinblick auf informa-
tionstechnische Umstellungen zu beachten, die oft mit Reorganisationen
verbunden sind. Hier können keine langen Anlaufzeiten toleriert werden.40
7. Schritt – Nachjustierung und Erfolgskontrolle: Im Nachgang jeder Reorga-
nisierung sind in der Praxis weitere Nachjustierungen nötig. Innerhalb der ers-
ten sechs Monate nach der Implementierung sollten sämtliche Schwachstellen
der neuen Primärstrukturen ersichtlich und behoben worden sein. Zu diesem
Zeitpunkt sollte auch eine abschließende Erfolgskontrolle durchgeführt werden,
bei der es zu prüfen gilt, ob noch weitere leichte oder tief greifende Verände-
rungen nötig sind, ob die neuen Organisationsstrukturen in der Primärstruktur
grundsätzlich halten, was sie versprechen oder ob diese durch Maßnahmen in
der Sekundärstruktur behoben werden können. Neben dieser direkten sollte
auch eine „erweiterte“ Erfolgskontrolle stattfinden, in der aus dem laufenden
Reorganisationsprojekt Lehren für zukünftige Vorhaben gezogen werden. So
sind Erfahrungswerte zu Kosten, zur Dauer sowie zum Verhalten von direkt und
mittelbar betroffenen Mitarbeitenden zu sammeln und auszuwerten. Interes-
sant sind auch immer Rückmeldungen von internen und externen Interaktions-
partnern, die Aufschluss über die Nah- und Fernwirkung der neuen Strukturen
geben. Es ist insgesamt zu prüfen, ob die Erwartungen in die neuen Organi-
sationsstrukturen der beteiligten Akteure erfüllt respektive nicht erfüllt werden
konnten, wo sie übertroffen und wo sie nicht realistisch genug eingeschätzt
waren. Das Reorganisationsprojekt endet schließlich mit der Auswertung beider
Erfolgskontrollen.

Literatur
Galinsky A, Schweitzer M (2015) Friend & foe – when to cooperate, when to compete, and how
to succeed at both. Random House Business Books, London
Hambloch-Gesinn S, Hess B, Meier AL, Schiltknecht R, Wind C (2010) IN-HOUSE COUNSEL
in internationalen Unternehmen. Helbing Lichtenhahn, Basel
Hugentobler W, Schaufelbühl K, Blattner M (Hrsg) (2012) Integrale Betriebswirtschaftslehre, 4.
Aufl. Orell Füssli, Zürich
Maister D (2003) Managing the professional service firm. Simon & Schuster, London
Müller-Stewens G, Lechner C (2005) Strategisches Management: Wie strategische Initiativen
zum Wandel führen, 3. Aufl. Schäffer-Poeschel, Stuttgart

40Ein neues IT-System muss nach seiner Einführung sofort eingesetzt werden, ohne noch lange

Übergangszeiten notwendig zu machen. Um dennoch auf eventuelle Fehler reagieren zu können,


werden solche Systeme daher in der Regel über das Wochenende oder in der Urlaubszeit instal-
liert, getestet und in Betrieb genommen.
38 Formelle und informelle Innenstrukturen 543

Otto Henning GmbH – Management Consultants (2015) General counsel benchmarking-report


(VI) 2015/16. Henning, Frankfurt a. M.
Staub L (2006) Legal Management – Management von Recht als Führungsaufgabe, 2. Aufl. Ver-
sus, Zürich

Über den Autor


Roman P. Falta, lic.iur.HSG – Professional Services Management Leader QUADRAGON
MANAGEMENT LLC, Zürich
Studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen HSG. Daneben
hält er Weiterbildungsdiplome der Harvard University, des MIT und der UC Berkeley in Sozio­
anthropologie und Psychologie. Seine Berufskarriere begann er in einer führenden Strategie-
beratung, welcher Berufsstationen bei Gericht, in der Finanzverwaltung und einer namhaften
Anwaltskanzlei folgten. Anschliessend war er für diverse Bereiche in Corporate Legal und in der
Compliance eines Global Fortune 500-Unternehmens verantwortlich. Als Professional Services
Management Leader verantwortet er heute unter anderem den Bereich Legal Operations Optimi-
zation bei QUADRAGON MANAGEMENT. Er gilt als einer der renommiertesten Experten für
Professional Services Optimization und Elite Performance Development im deutschsprachigen
Raum.
Teil VII
Praxis zu Ressourcen von Legal
Operations
Einführende Übersicht Ressourcen
von Legal Operations 39
Roman P. Falta

39.1 Die Ressourcen von Legal Operations

Die Gestaltung von Ressourcen stellt ein wichtiges Instrument des strukturellen
Legal Operations Managements dar. Ressourcen, wie in Abb. 39.1 dargestellt,
ermöglichen überhaupt erst die Umsetzung von Handlungsoptionen in Bezug auf
die Zielerfüllung der Rechtsfunktion. Dabei beschlägt der Ressourcenbegriff im
Zusammenhang mit Legal Operations nicht nur die „klassischen“ drei Ressourcen
des Wirtschaftens wie Kapital, Menschen und Maschinen, sondern beinhaltet einen
– auf die spezifischen Bedürfnisse der modernen Rechtsfunktion – erweiterten
Begriffshorizont. Im QUADRAGON Legal Operations Management-Modell©
werden die Mittel, die der Rechtsfunktion für ihre Aufgabenerfüllung zur
Verfügung stehen, auf fünf Dimensionen aufgespaltet: „Finanzen“, „Mitarbeitende“,
„Arbeitsplatz, Sachmittel und IT-Infrastruktur“, „Informationen“ und „Zeit“.

39.2 Die Elemente und Inhalte der Legal Operations-


Ressourcen

Die fünfdimensionale Gliederung umfasst sämtliche für die Rechtsfunktion


maßgeblichen Ressourcen. Diese gilt es möglichst optimal, sprich haushälterisch,
auf die verschiedenen Aufgabenbereiche aufzuteilen und dort nicht nur sinnvoll
einzusetzen, sondern auch im Rahmen eines zielgerichteten und kontrollierbaren
Legal Operations Management-Prozesses zu entfalten. Daher dürften in der

R.P. Falta (*)


Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC,
Zürich, Schweiz
E-Mail: falta@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 547


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_39
548 R.P. Falta

Abb. 39.1  Ressourcen im Kontext des QUADRAGON Legal Operations Management-


Modells©. (Quelle: QUADRAGON Management LLC)

Auseinandersetzung mit den einzelnen Ressourcendimensionen regelmäßig


folgende Fragen auftauchen:

39.2.1 Die Finanzdimension in Legal Operations

Finanzen spielen auch in Legal Operations eine bedeutende Rolle. In der Regel mehr
als Pflicht, denn als Gestaltungsmittel empfunden, werden Budgetprozesse und die
finanzwirtschaftliche Führung der Rechtsfunktion beziehungsweise deren Kontrolle
von General Counsels oft etwas vernachlässigt. Dabei stellen sich hier besonders
interessante Fragen zur Optimierung der Legal Operations, wie zum Beispiel:
Welche Höhe soll das Budget der Rechtsabteilung betragen beziehungsweise
wie viel Geld wird tatsächlich benötigt, um sämtliche Rechtsfunktionsaufga-
ben minimal/optimal zu erfüllen? Wie viel Investitionskapital sollte daher in den
nächsten eins bis drei Jahren für den Betrieb und die Optimierungsmaßnahmen zur
Verfügung stehen? Welche Investitionen fallen wann im Jahresverlauf an und wie
können diese effizienter geplant respektive durchgeführt werden? Welche Investiti-
onen sind einmalig, welche wiederkehrend, welche fallen ständig als Fixkosten an
und wie ist deren Kadenz? Welchen Betrag muss die Rechtsabteilung erwirtschaf-
ten – positiv: zum Beispiel durch interne Vergütung von Beratungs- oder Transak-
tionsleistungen; negativ: zum Beispiel durch Einsparungen, welche sich aufgrund
eines besonders effektiven Legal Risk Management-Systems erzielen lassen?
Wie können Budgetgrenzen bei der Geschäftsleitung erweitert ­beziehungsweise
39 Einführende Übersicht Ressourcen von Legal Operations 549

­ udgetkürzungen bei gleichzeitigem Kostenanstieg vermieden werden? Wie posi-


B
tioniert man sich als General Counsel optimal in der zahlenbasierten Welt der
Geschäftsleitung? Mit welchen Zahlen kann die Geschäftsleitung beeindruckt wer-
den? Wie sieht ein optimales Management-, Monitoring- und Controlling-System
für die Finanzen der Rechtsabteilung aus? Wie ist ein solches mit den gesamtorga-
nisatorischen Vorgaben in Unternehmen und Behörden verlinkt? Etc.

39.2.2 Die Mitarbeiterdimension in Legal Operations

Eine der wichtigsten, wenn nicht gar die wichtigste Ressource in den Legal Ope-
rations überhaupt. Nicht nur der General Counsel, sondern auch die anderen Mit-
glieder des Legal Teams wie Legal Counsels, Paralegals, Volontäre/Praktikanten,
Sekretariats- und Assistenzpersonal etc. stehen hier im Fokus der Betrachtung. In
Zusammenhang mit der Mitarbeiterdimension sollten zum Beispiel folgende Fra-
gen beantwortet werden:
Wie viel Personal wird benötigt, um die in der jeweiligen Organisation benötig-
ten Leistungen bereitzustellen? Wie viele sind minimal/optimal nötig? Wie sollte
das Legal Team zusammengesetzt sein? Wie sieht das ideale generelle und stel-
lenspezifische Profil jeder der oben genannten Personalkategorien in den Legal
Operations aus? Welche fachlichen, sozialen, charakterlich-persönlichen Fähig-
keiten und Fertigkeiten werden benötigt? Welche Erfahrungen und Kenntnisse sol-
len neue Mitarbeitende mitbringen? Welche Art von Führungsverhalten und wie
viel Führungserfahrungen sollte ein General Counsel aufweisen? Wie sieht es mit
seinen Leadership-Fertigkeiten aus? Soll eng fokussierten juristischen Fachspezia­
listen oder aber breiter aufgestellten Generalisten der Vorzug bei der Anstellung
gegeben werden? Wie stellt man sicher, dass man an die besten Kandidaten im
Auswahlprozess herankommt? Wie soll der Bewerbungsprozess ablaufen, um die
besten Kandidaten zu evaluieren? Wie stellt man ein möglichst optimales onboar-
ding und die erste Phase der Einarbeitung bei neuen Mitarbeitenden sicher? Wie
wird die Zusammenarbeit im Tagesgeschäft ausgestaltet? Welche Weiterbildungs-
und Weiterentwicklungsmöglichkeiten werden den Mitarbeitenden angeboten?
Wie sieht die Praxis hinsichtlich Beförderungen oder job enrichment-Maßnahmen
aus? Wie gestaltet man den Abschied wechselwilliger Mitarbeitender und von
Teammitgliedern im Übergang zur Rente? Etc.

39.2.3 Die Arbeitsplatz-, Sachmittel- und


IT-Infrastrukturdimension in Legal Operations

Ohne einen sinnvoll eingerichteten Arbeitsplatz und ohne die richtigen Sachmittel
(Mobiliar, Büroartikel, Büroelektronik, Bibliothek, Office-Räumlichkeiten, Pau-
sen- und Entspannungsmöglichkeiten etc.) ist eine effektive und effiziente Arbeits-
weise der Mitarbeitenden nicht möglich. In der Praxis trifft man denn auch oft auf
zwei Extreme: Einerseits den modern-technologieaffinen Unternehmensjuristen, der
stets auf dem Laufenden ist, was die neuesten Gadgets, Tools und online-Angebote
550 R.P. Falta

anbelangt oder den klassisch-genügsamen, der noch immer am liebsten alles in


Papierform vorliegen hat und sich damit begnügt, diejenige Infrastruktur zu nut-
zen, die ihm vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wird. Dabei stellen sich auch
in diesem Bereich sehr wichtige Fragen, die es zu beantworten gilt, wenn man ein
optimal aufgestelltes Legal Team haben möchte, wie zum Beispiel:
Wie sollten unsere Arbeitsplätze nach arbeitspsychologischen, ergonomischen
und sonstigen gesundheitsrelevanten Gesichtspunkten ausgestaltet sein? Soll-
ten diese zentralisiert sein oder möchten wir auch Telearbeitsplätze, Homeoffices
etc. zulassen? Wie kann sichergestellt werden, dass sich jeder Mitarbeitende an
seinem eigenen Arbeitsplatz und an denjenigen Orten, an denen Teamwork statt-
findet, wohl fühlt? Wie können „triste Büroschluchten“ zu einem inspirierenden
Ort der rechtlichen Spitzenleistung verändert werden? Welche Sachmittel benut-
zen wir in der Rechtsabteilung und wie benutzen wir diese? Gäbe es eventuell
Alternativen, die jeden Einzelnen nicht nur produktiver, sondern auch zufriedener
machen? Was gilt hinsichtlich privater Nutzung der Office-Infrastruktur? Wie wird
der Einkauf geregelt? Wie könnte ein professionelles Legal Operations Procure-
ment aussehen (Einzelbedarfseinkäufe bis zum Strategic Sourcing)? Wie wird die
zeit- und mengenmäßige Logistik sichergestellt? Welche IT-Infrastruktur läuft bei
uns im Hintergrund? Ist diese zeitgemäß und erfüllen die genutzten Software- und
Hardwaremittel tatsächlich die Anforderungen an unseren Arbeitsalltag? Gäbe es
nicht auch in diesem Bereich bessere Optionen? Wie gut passen die Systeme auf
die Arbeitsweise unserer Mitarbeitenden – oder müssen sich die Arbeitsprozesse
immer noch an die vorgegebene IT-Infrastruktur anpassen? Etc.

39.2.4 Die Informationsdimension in Legal Operations

Insoweit sich die IT-Infrastruktur mit der Automatisierung von Informationsverar-


beitung beschäftigt, geht es im Bereich der Informationsdimension in Legal Ope-
rations um den Umgang mit Wissen und dem Management der unterschiedlichsten
Informationen, die täglich in, aus und durch die Rechtsabteilung fließen. Mithin
stellen sich hier beispielsweise folgende Fragen:
Welche Informationen benötigen wir in der Rechtsabteilung, damit wir unsere
Aufgaben professionell und zeitgerecht erfüllen können? Welche Informatio-
nen benötigen unsere Interaktionspartner von uns und in welcher Geschwindig-
keit, Form und Qualität sind ihnen diese zu erbringen? Wie stellen wir sicher,
dass jedes Mitglied des Legal Teams jederzeit und rasch auf benötigte Informa-
tionen zugreifen kann? Wie stellen wir sicher, dass jeder Mitarbeitende weiß, wo
er die für seine Arbeitsleistung nötigen Informationen herbekommt? Aus welchen
Quellen bezieht die Rechtsabteilung ihre Informationen und wie wird mit die-
sen umgegangen? Welche internen und externen Datenbanken und Knowledge
Management-Tools werden angewendet? Wie rasch, wie oft und in welchen
Zyklen erneuert sich das Wissen in den verschiedenen Wissensbereichen der
Legal Operations? Wie stellen wir Informations- und Meinungsaustausch bei uns
inhouse sicher? Welche bewussten Redundanzen existieren, um bei einem Ausfall
von key knowledge people keine gravierenden Risiken einzugehen? Wie werden
39 Einführende Übersicht Ressourcen von Legal Operations 551

Teammitglieder geschult und wie wird Legal Education der Mitarbeitenden in der
Gesamtorganisation sichergestellt? Etc.

39.2.5 Die Zeitdimension in Legal Operations

Zeit ist ein entscheidender Erfolgsfaktor für Legal Operations. Einerseits sind
Juristen gewohnt, rechtliche Fristen zu beachten, andererseits müssen sie aber
auch mit den viel häufigeren deadlines des Geschäftsalltags zurechtkommen. Zu
diesen treten sämtliche anderen Aspekte eines effektiven und effizienten Legal
Operations Time Management hinzu. Insgesamt geht es darum, eine optimale Nut-
zung durch einen sinnvollen Umgang mit der Abteilungs-, Team- sowie der eige-
nen Arbeitszeit sicherzustellen. Auch in diesem Bereich stellen sich eine Reihe
von Fragen, zum Beispiel:
Wie erfolgt die Zeiterfassung in der Rechtsabteilung? Wie stellt jeder Mitarbei-
tende für sich selbst und wir im Team sicher, dass nicht unnötig Zeit verschwendet
wird? Wie stark sind die Mitarbeitenden auf das Thema Zeit und Zeitverschwen-
dung sensibilisiert? Wie können wir ein sinnvolles Time Management etablieren?
Wo sind die größten „Zeitfresser“ zu finden und wie können diese neutralisiert
werden? Wofür wird in den Legal Operations bewusst wenig/viel Zeit eingesetzt?
Wie viel Zeit steht jedem Mitarbeitenden für wiederkehrende Tätigkeiten, wie
viel für Projekte und Ruhepausen zur Verfügung? Wie effektiv und effizient wer-
den bei uns Meetings abgehalten? Gibt es bei uns eine spezifische Meetings- und
Zeitkultur? Wie sieht ein „normaler“ Arbeitstag im Zeitverlauf aus? Wissen die
Mitarbeitenden überhaupt, welche Zeitanteile in ihren unterschiedlichen Arbeits-
ergebnissen liegen? Wird die Arbeitszeit von jedem sinnvoll strukturiert und wenn
ja, wie? Wird bei der Arbeitsplanung auch auf den eigenen Biorhythmus und die
Gesundheit Rücksicht genommen? Werden durch den Tag hindurch genügend
regenerierende Pausen eingestreut? Wie sieht es mit der Verfügbarkeit von Mitar-
beitenden nach Feierabend und in den Ferien aus? Gibt es entsprechend verein-
barte „Todzeiten“, in welchen auch vonseiten des Arbeitgebers keine Interaktion
erwünscht ist? Etc.

39.3 Kapitelübersicht – Ressourcen in Legal Operations

Eine Autorengruppe hat sich intensiv mit den Gestaltungsmöglichkeiten der fünf
Dimensionen der Ressourcenthematik in Legal Operations auseinandergesetzt.
Jeder Autor hat sich dabei aus seiner ganz persönlichen Perspektive dem von ihm
bearbeiteten Ressourcenthema genähert und diejenigen Inhalte ausgearbeitet, die
ihm im Hinblick auf den Praxisbezug besonders wichtig schienen:

• Lukas Grimm beschäftigt sich in Kap. 40 mit den Finanzen in Legal Operations.
Er gibt zuerst einen Einblick in die optimale Einbindung der Rechtsfunktion
(auch gegenüber Management und Controlling) und beschäftigt sich mit dem Ein-
fluss von Legal Operations auf die gesamtunternehmerische Strategieumsetzung.
552 R.P. Falta

Danach gibt er einen detaillierten Überblick über Controlling-Systeme und bildet


am Beispiel des strategischen Ziels „Legal Education zum Thema ‚Verträge‘ ver-
stärken“ illustrativ einen ganzen Balanced Scorecard-Prozess ab. Zum Schluss
setzt er sich auch mit der Key Performance Indicators-Thematik für Legal Opera-
tion auseinander.
• Boris Vassella setzt sich in Kap. 41 mit dem Definieren, Suchen und Integ-
rieren neuer Mitarbeitender in Legal Operations auseinander. Im Definieren-­
Abschnitt zeigt er die Vielfalt und den Nutzen eines Unternehmensjuristen auf,
geht auf die Aufgaben eines ersten Legal Counsel im Unternehmen ein, erläutert,
welche Fähigkeiten und Erfahrungen für Legal Counsels besonders wichtig sind
und geht danach auf das Anforderungsprofil von Legal Counsel-Positionen ein.
Im Suchen-Abschnitt beschäftigt sich der Autor mit den Unterschieden zwischen
der direkten Kandidatensuche durch das Unternehmen und einer solchen durch
externe Spezialisten. Den Abschluss des Kapitels bildet der Integrieren-Abschnitt,
in dem die Vorarbeiten durch HR und Geschäftsleitung beim onboarding und
konkrete Einführungsmaßnahmen für Legal Counsels besprochen werden.
• Dr. Bruno Mascello geht in Kap. 42 auf die Entwicklungs- und Karrieremög-
lichkeiten für Legal Counsels ein. Er beginnt mit einer Erörterung der Relevanz
nicht-juristischer Fähigkeiten für Juristen und zeigt den traditionellen Weg der
juristischen Weiterbildung auf. Danach beschäftigt er sich mit der Weiterbil-
dung in Betriebs- und Volkswirtschaft sowie mit der Verbesserung von Soft
Skills. Zudem beschäftigt sich der Autor intensiv mit unternehmensinternen
und -externen Entwicklungsmöglichkeiten für Legal Counsels, bevor er das
Kapitel mit Erläuterungen zum unternehmerischen Interesse an der Mitarbeiter-
entwicklung abschließt.
• Marc H. Dieluweit fokussiert sich in Kap. 43 auf den Arbeitsplatz, Sachmit-
tel und die IT-Infrastruktur. Dabei nähert er sich diesem Thema aus der Lean
Management-Perspektive: Er gibt zuerst einen detaillierten Überblick über
Lean Management, dessen Ziele, Tools und Methoden. Danach zeigt er anhand
von Beispielen vertieft einzelne Prozessoptimierungen in der Rechtsabteilung
auf (Tagesstruktur, Termin- und Fristenmanagement, Vertragsmanagement und
IT-Infrastruktur). Im Abschluss des Kapitels werden auch noch weitere prakti-
sche Ressourcenoptimierungen aufgezeigt.
• Dr. Carolin Kühne nimmt in Kap. 44 Bezug auf das Knowledge Manage-
ment in Legal Operations. Dabei geht sie zuerst auf die Bedeutung von Wis-
sensmanagement in Legal Operations ein. Im Anschluss erörtert sie mögliche
Organisationsmodelle für Wissen, deren praktische Ausgestaltung sowie Hin-
derungsgründe für ein erfolgreiches Wissensmanagement in Rechtsabteilun-
gen. Zudem zeigt sie auf, wie eine Wissenskultur in Legal Operations gefördert
werden kann und woran man erkennt, dass das eigene Knowledge Management
funktioniert. Zum Schluss setzt sie sich noch mit der individuellen Ausgestal-
tung von Wissensmanagement in der Rechtsabteilung auseinander.
• Aglaja Dueblin beschäftigt sich in Kap. 45 mit Time Management in Legal
Operations. Zuerst geht sie auf die generelle Time Management-Thematik für
die gesamte Rechtsabteilung ein. Danach setzt sie sich mit dem individuellen
39 Einführende Übersicht Ressourcen von Legal Operations 553

Time Management eines Unternehmensjuristen auseinander und beantwortet


die Frage danach, was passiert, wenn ein gutes Time Management nicht mehr
ausreicht. Den Abschluss bilden Erörterungen über die negativen Folgen ständi-
ger Überlastung.

Über den Autor


Roman P. Falta, lic.iur.HSG – Professional Services Management Leader QUADRAGON
MANAGEMENT LLC, Zürich
Studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen HSG. Daneben
hält er Weiterbildungsdiplome der Harvard University, des MIT und der UC Berkeley in Sozio­
anthropologie und Psychologie. Seine Berufskarriere begann er in einer führenden Strategie-
beratung, welcher Berufsstationen bei Gericht, in der Finanzverwaltung und einer namhaften
Anwaltskanzlei folgten. Anschliessend war er für diverse Bereiche in Corporate Legal und in der
Compliance eines Global Fortune 500-Unternehmens verantwortlich. Als Professional Services
Management Leader verantwortet er heute unter anderem den Bereich Legal Operations Optimi-
zation bei QUADRAGON MANAGEMENT. Er gilt als einer der renommiertesten Experten für
Professional Services Optimization und Elite Performance Development im deutschsprachigen
Raum.
Finanzen in Legal Operations
Lukas Grimm
40

40.1 Einleitende Übersicht

Die finanzielle Unternehmensführung und der Legal Counsel: Gibt es da Zusam-


menhänge? Kann er die Ergebnisse und Zahlen in einem Unternehmen direkt
beeinflussen? Ja, er kann! In diesem Kapitel wird beispielhaft aufgezeigt, wo und
wie der General Counsel in einem Unternehmen direkt auf den finanziellen Erfolg
seines Unternehmens Einfluss nehmen kann. Ob und wie die Rechtsabteilung in
die Organisation einer Firma eingebunden werden soll, entscheidet das verant-
wortliche Management. Ich empfehle aufgrund meiner Erfahrungen dringend, eine
Einbindung des General Counsel in die Linienprozesse anzustreben und ihn mit
operativer Verantwortung auszustatten (siehe dazu auch Kap. 37). Es ist klar, dass
die entsprechende Vorgehensweise auch stark von der Größe des Unternehmens,
der Art seiner Geschäfte und natürlich auch vom Pensum und dem Aufgabenbe-
reich des General Counsel abhängt. Sofern der Unternehmensjurist operativ Ver-
antwortung tragen soll, muss sein Arbeitspensum entsprechend angepasst werden.
Dieses Kapitel wird sich daher mit folgenden Fragen beschäftigen:

• Wie binde ich den General Counsel oder einen Legal Counsel optimal in die
Organisation des Unternehmens, mit all seinen Aufgaben und Herausforde­
rungen, ein?
• Wie stelle ich sicher, dass er zielgerichtet an der Umsetzung der Strategie mit-
arbeitet und die definierten Ziele ergebnisorientiert verfolgt?
• Wie priorisiere ich seine Projekte und Aktionen?

L. Grimm (*)
Basel, Schweiz
E-Mail: lukas.grimm@doetschgrether.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 555


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_40
556 L. Grimm

• Wie stelle ich sicher, dass sich diese Projekte und Aktionen an der definierten
Unternehmensstrategie orientieren?
• Und schließlich: Wie messe ich den Erreichungsgrad der definierten Ziele?

Zudem sollen Möglichkeiten, aber auch Grenzen der strategischen und operativen
Einbindung von Unternehmensjuristen in einer Unternehmung aufgezeigt werden.

40.2 Optimale Einbindung der Legal Operations in die


Unternehmensorganisation

Die Rechtsabteilung in einem Unternehmen darf man nicht lediglich als „Anwalts-
büro“, oder als „Anwaltsabteilung“ verstehen, in welcher der Unternehmensjurist
erst auf Anfrage, punktuell und projektbezogen bei Rechtsfällen der Organisation
aktiv wird. Auch der Unternehmensjurist soll Teil des unternehmerischen Prozes-
ses sein und proaktiv eine operative (Finanz- und Ergebnis-)Verantwortung über-
nehmen. Um welche Prozesse und Verantwortungsbereiche es sich dabei genau
handeln soll, muss einerseits im Organigramm und der Stellenbeschreibung doku-
mentiert werden. Andererseits muss in den standard operating procedures (SOP)
des Unternehmens definiert werden, wo der Jurist integriert sein muss. Er soll
Rahmenbedingungen schaffen, die mithelfen, damit mögliche Risiken (regula-
torische und vertragliche) vorausschauend aus dem operativen Geschäft erkannt,
bewertet und minimiert werden können.
Aus meiner Erfahrung sehe ich die Rolle des Legal Counsel ähnlich der des
Controllers, dementsprechend müssen diese zwei Stellen auch ganz eng zusam-
menarbeiten, sich gemeinsam regelmäßig austauschen und abstimmen. Der Jurist
weist auf Gefahren und Risiken hin, der Controller kann die möglichen Auswir-
kungen in Zahlen und Ergebnisveränderungen darstellen. Gemeinsam coachen sie
das Management in der Steuerung und Lenkung des Unternehmens und stellen
damit optimale gleichwertige Sparringpartner für das Management dar.

40.3 Management, Controlling und Legal Operations

Der Controller und der Legal Counsel sollten sich im Unternehmen in einem ähn-
lichen Umfeld bewegen: Idealerweise sind sie im KMU-Bereich direkt dem CEO
unterstellt, handeln in seinem Auftrag und können so auch mit der nötigen Akzep-
tanz und mit genügend Kompetenzen ausgestattet agieren. In Großunternehmen
gibt es dagegen eigenständige Rechts- und Controllingabteilungen, die aufgrund
der Komplexität nicht direkt vom CEO geführt werden. Hier müssen andere orga-
nisatorische Voraussetzungen geschaffen werden, beispielsweise in Form eines
„Strategieausschusses“, damit der CEO trotzdem direkt Einfluss nehmen kann. Es
braucht zwingend den direkten Kontakt und Einfluss des CEO zu den Bereichen
Legal Operations und Controlling.
40 Finanzen in Legal Operations 557

Tab. 40.1  Unterschiedliche Rollen von Management, Controlling und Legal Operations.


(Deyhle 1996, S. 177 f.; Grafiken Quelle: Dr. Albrecht Deyhle, Management Service Verlag)
Management Controlling Legal Operations
Der Manager betreibt das Der Controller hat das Der Legal Counsel hat das
Geschäft. Er ist verantwortlich betriebswirtschaftliche Ver- Rechtsverständnis. Er ist
für das Ergebnis. ständnis. verantwortlich für die
• Zusammen mit dem Control- Er ist verantwortlich für die Risikotransparenz.
ler stellt er das Controlling Ergebnistransparenz.
sicher.
• Zusammen mit dem Legal

Management
Counsel stellt er das Legal

Legal
Legal

Controlling
Management sicher. Counsel
Manager
Controller Manager

Leider wird die Funktion des Controllers häufig falsch definiert und verwendet.
So werden beispielsweise accounting specialists, welche reportings verschiedener
subsidiaries konsolidieren, ebenfalls als „Controller“ bezeichnet, was mit Control­
ling aber nichts zu tun hat. Controlling kommt nicht von „Kontrolle“, sondern von
to control (lenken, steuern). Der Controller ist daher immer zukunftsorientiert aus-
gerichtet und versteht sich als beratende Funktion des Managements: Er unter-
stützt dieses bei der Definition von strategischen und operativen Zielen, bereitet
transparent das Zahlenmaterial auf, überwacht die Zielerreichung, zeigt Abwei-
chungen auf und coacht das Management in der Definition von Korrekturmaßnah-
men und Aktionen. Der Controller handelt ergebnisorientiert und trägt dadurch
eine Mitverantwortung an der Zielerreichung.1 Ganz ähnlich sollte auch der Gene-
ral Counsel zielorientiert handeln können: Die Vertragsgestaltung, die Einhaltung
der Vereinbarungen, die laufende Optimierung der Verträge im Bereich Kosten und
Risiken und die möglichen Auswirkungen von Abweichungen auf das Ergebnis
sollten von ihm ebenfalls transparent aufgezeigt werden. Der Legal Counsel hat
wie der Controller eine proaktive Rolle im operativen Geschäft, wie in Tab. 40.1
dargestellt, unterstützen und beraten ja beide das Management in dessen täglichen
Herausforderungen.
Controller und Unternehmensjurist sind sozusagen das „schlechte Gewissen“
des Managements. Sie weisen auf Risiken und Hemmnisse, aber oft auch auf
Chancen und Potenziale hin. Sie schaffen Transparenz, Strukturen, Prozesse und
Vorgaben bei betriebswirtschaftlichen aber auch rechtlichen Fragen. Ein gutes
Zusammenspiel von Legal Operations und Controlling ist somit zentral für die
erfolgreiche Umsetzung von definierten Unternehmensstrategien und in der Folge
für die Erreichung definierter Ergebnisziele.

1Deyhle (1996, S. 9 ff.).


558 L. Grimm

40.4 Einfluss von Legal Operations auf die


Strategieumsetzung

In der Regel sind es der Aufsichtsrat und die Geschäftsleitung, welche eine Vision,
ein Leitbild und die Strategie definieren, wobei die Verantwortung dazu schließlich
beim Aufsichtsrat liegt. Es ist durchaus denkbar, dass auch der General Counsel
in diesen Prozess integriert wird, vor allem, wenn in der Definition der Strategie
rechtliche oder rechtsnahe Sachverhalte (zum Beispiel das Risiko- und Vertrags-
management) eine zentrale Rolle spielen. Konkret muss der General Counsel aber
spätestens bei der Umsetzung und Operationalisierung der Strategie integriert wer-
den, in der Folge auch in der operativen Planung und Budgetierung. Wo genau
seine Hauptverantwortung in diesen Prozessen liegt, kann nicht pauschal gesagt
werden. Das hängt sehr stark vom einzelnen Unternehmen und dessen Zweck
sowie den definierten strategischen Zielen ab. Nachfolgend soll anhand der Stei-
gerung des Unternehmenswerts als häufig definiertem, übergeordnet-strategischem
Ziel beispielhaft aufgezeigt werden, wie und wo ein General Counsel in seinem
„Rechtsbereich“ gezielt Einfluss auf die erfolgreiche Umsetzung der Unterneh-
mensstrategie nehmen kann und muss. Zur Vorbereitung beschäftigen wir uns aber
zunächst einmal mit Systemen zur Messung des Unternehmenswerts und den ent-
sprechenden Werttreibern.

40.5 Systeme zur Messung des Unternehmenswerts

Methoden zur Messung des Unternehmenswerts gibt es einige. In der Praxis trifft
man in der Regel Folgende an:

• discounted cash flow-Methode (DCF-Methode2);


• economic value added-Methode (EVA-Methode3);
• Substanzwert, Ertragswert oder Kombinationen daraus;
• Bewertung mittels multiples, beispielsweise durch Umsatz, Ergebnis oder cash
flow.

Mit keiner dieser Methoden werden wir jedoch „DEN“ Wert eines Unterneh-
mens berechnen können. Es sind Methoden, die Argumente für die Höhe eines
Unternehmenswerts liefern. Sie resultieren bei ihrer Anwendung lediglich in
Indikatoren. Aus meiner Erfahrung ist der Wert eines Unternehmens am Ende
so hoch, wie der Markt oder ein interessierter Investor dafür zu bezahlen bereit
ist – nicht mehr und nicht weniger. Dabei sind momentane (wirtschaftliche oder
politische) Umstände aufseiten beider Parteien und eine gute Taktik sowie das

2Damodoran (2001, S. 750 ff.).


3Damodoran (2001, S. 812 ff.).
40 Finanzen in Legal Operations 559

lösungsorientierte Verhandlungsgeschick die wirklich zentralen Erfolgsfakto-


ren für einen positiven Ausgang einer M&A-Verhandlung, wie die Durchführung
einer fundierten due diligence als deren Vorbereitung. Und dennoch helfen die
vorgenannten Methoden und Modelle dabei, strukturiert und zielorientiert den
Unternehmenswert positiv zu beeinflussen. Zentral ist, dass sich der Aufsichtsrat
und die Geschäftsführung zur wertorientierten Unternehmensführung bekennen
und die entsprechende Methode definieren. Das zukünftige Handeln (strategisch
und operativ) wird sich dann im Laufe der Zeit entsprechend nach den definierten
Werttreibern orientieren.

40.5.1 Einflussfaktoren auf den Unternehmenswert


(Werttreiber)

Abb. 40.1 gibt einen groben Überblick über die wichtigsten Werttreiber in Unter-
nehmen und deren gegenseitige Beeinflussung im Rahmen von Ursache-Wir-
kungszusammenhängen.
Der Unternehmenswert wird einerseits durch die Ergebnisentwicklung, je nach
Bewertungsmethode EBIT4 (eher unüblich), cash flow oder NOPAT5 beeinflusst.
Das operative Ergebnis sollte durch die Umsetzung der Strategie mithilfe eines
entsprechenden Tools (beispielsweise balanced scorecard) systematisch und ziel-
gerichtet nach strategischen Grundsätzen erreicht werden. Die Summe zukünftiger
Gewinne ergibt grob gesagt den Wert des Unternehmens oder der Investition.
Die zweite wichtige Komponente des Unternehmenswerts sind die Kapitalkos-
ten. Mithin stellt sich die Frage: Was kosten die bereits getätigten und die zukünf-
tigen Investitionen? Die Kapitalkosten setzen sich zusammen aus Eigenkapital
(beispielsweise Aktienkapital) und Fremdkapital (beispielsweise Bankdarlehen).
Dieses Kapital muss dabei durch Dividende oder Fremdkapitalzinsen finanziert
werden. Die Höhe dieser Kapitalkosten richtet sich vor allem danach, wie hoch
der Kapitalgeber die Unternehmensrisiken beurteilt (ratings). Je höher die Risiken,
desto höher wird die Zins- oder Dividendenforderung sein, zumal der Investor für
das eingegangene Risiko entschädigt werden möchte. In der Unternehmensbewer-
tung werden mit den Kapitalkosten (in Prozent des Investments) die zukünftigen
Ergebnisse abgezinst, das heißt reduziert. Je tiefer also die Risiken in einem Unter-
nehmen sind, desto tiefer werden die Kapitalkosten sein und entsprechend höher
wird der Unternehmenswert ausfallen. Pauschal und oberflächlich betrachtet,
führen somit eine nachhaltige und positive Entwicklung der zukünftigen Ergeb-
nisse sowie tiefere Risiken und Kapitalkosten zu einer Maximierung des Unterneh-
menswerts.

4Earnings Before Interest and Taxes.


5Net Operating Profit after Tax: EBIT-Abschreibungen zuzüglich Steuern.
560 L. Grimm

Abb. 40.1  Einflussfaktoren auf den Unternehmenswert. (In Anlehnung an Gleissner 2004,


S. 37.)

40.5.2 Strategisches Performance Management

Nach der Definition der strategischen Ziele (beispielsweise der besprochenen


Steigerung des Unternehmenswerts) müssen diese auch durch entsprechende
Maßnahmen umgesetzt werden. Aus Erfahrung ist eine solche Umsetzung in der
Praxis aber sehr komplex. Was muss zum Beispiel organisatorisch an Vorausset-
zungen geschaffen werden, damit die verschiedenen Bereiche (also auch die Legal
Operations) eines Unternehmens dazu beitragen können, die definierte Strate-
gie strukturiert und erfolgreich umzusetzen? Welche Tätigkeiten führen zu einer
Wertsteigerung, welche nicht?
Es braucht ein gemeinsames Verständnis für die Strategieumsetzung und somit
eine gemeinsame Priorisierung der Projekte und Aktionen für die kommenden
Perioden. Eine klare Aufteilung der Verantwortlichkeiten in diesem Prozess sowie
die Messung der Zielerreichung durch logische Kennzahlen, ist eine zentrale Füh-
rungsaufgabe. Es braucht hierfür zwingend ein Tool, das die Performance und Ziel­
erreichung hinsichtlich der Strategieumsetzung misst und transparent ausweist. Im
Bereich „Performance Management“ wurden in der Literatur schon verschiedene
Methoden und Modelle beschrieben, welche helfen können, die gesteckten Ziele zu
erreichen. Ein prominentes System, das bestens dafür geeignet ist, eine definierte
Strategie zielorientiert umzusetzen und den Erfolg zu messen, ist die „Balanced
Scorecard“ – sofern effizient und richtig angewendet.
40 Finanzen in Legal Operations 561

40.6 Die Balanced Scorecard

Eine Balanced Scorecard6 besteht klassischerweise aus vier Perspektiven: der


Finanz-, Kunden-, Prozess- und Lern- sowie Potenzialperspektive, welche alle
zusammen auf die strategische Ausrichtung des Unternehmens (beispielsweise
Steigerung des Unternehmenswerts) gerichtet sind. Um das übergeordnete strate-
gische Ziel des Unternehmens zu erreichen, werden je Perspektivebene diverse
untergeordnete strategische Ziele definiert. Diese untergeordneten Ziele müssen in
einem Ursache- und Wirkungszusammenhang stehen und sollen schließlich die in
der Finanzperspektive definierten Kennzahlen positiv beeinflussen. Wenn also bei-
spielsweise in der Lern- und Potenzialperspektive ein bestimmtes strategisches
Ziel verfolgt wird, sollte dieses auch ein Ziel zum Beispiel in der Prozessebene
positiv beeinflussen. Dieses wiederum muss dann ein strategisches Ziel in der
Kundenperspektive beeinflussen. Schließlich sollte das Ganze in der Finanzper­
spektive die definierten key performance indicators (KPIs) verbessern.
Entsprechen die erreichten Ergebnisse pro Perspektive den Planzahlen, hat man
in den vorgelagerten Perspektiven die richtigen strategischen Ziele verfolgt7 und
die richtigen Projekte oder Aktionen umgesetzt. Richtig angewendet, stellt dieses
System also sicher, dass die positive Entwicklung der finanziellen Kennzahlen wie
beispielsweise Umsatz, Deckungsbeitrag oder cash flow systematisch und über
alle Perspektiven hinweg ausgewogen – also balanced – entwickelt werden. Wenn
finanzielle Ziele nicht erreicht werden, kann auf der Ursache-Wirkungskette
zurückverfolgt werden, wo vorgelagerte Ziele und Kennzahlen (beispielsweise auf
der Prozessebene) nicht erreicht wurden. Wurden definierte Projekte oder Aktio-
nen nicht umgesetzt oder haben sie die nötige Wirkung nicht erzielt? Wie kann die
Situation korrigiert werden? Durch so geschaffene Transparenz und Erfahrung
können Fehlentscheide, falsche Projekte oder falsche Prioritäten korrigiert werden.
Der Prozess wird dadurch transparent und kann gesteuert werden. Wurden aber in
den vorgelagerten Ebenen alle Ziele und Kennzahlen erreicht und diese Ergebnisse
verfehlen die Wirkung in den Finanzzahlen, dann sind die falschen Ursache- und
Wirkungsmechanismen definiert worden. Offensichtlich korrelieren in diesem Fall
die einzelnen strategischen Ziele nicht miteinander. Eine dringende Überarbeitung
der Balanced Scorecard wird somit erforderlich!
Der große Vorteil der Balanced Scorecard ist, dass ausgehend von einer überge-
ordneten „Hauptscorecard“ pro Bereich spezifisch angepasste „Unterscorecards“
definiert werden können, die dann nur diejenigen Ziele oder Teilziele beinhalten,
die im entsprechenden Bereich auch beeinflusst werden können. Das bedeutet,
dass auch für die Legal Operations spezifische, strategische Ziele, Aktionen und
Kennzahlen definiert werden können.

6Kaplan und Norton (1997, S. 9).


7Kaplan und Norton (2001, S. 69 ff.).
562 L. Grimm

Tab. 40.2  Balanced Scorecard-Perspektiven und strategische Zielsetzungen


WĞƌƐƉĞŬƟǀĞ ^ƚƌĂƚĞŐŝƐĐŚĞƐŝĞů
&ŝŶĂŶnjƉĞƌƐƉĞŬƟǀĞ sĞƌďĞƐƐĞƌƵŶŐĚĞƐhŶƚĞƌŶĞŚŵĞŶƐǁĞƌƚƐ

− /dͬEKWd
− ĂƐŚ&ůŽǁ
− <ĂƉŝƚĂůŬŽƐƚĞŶ
<ƵŶĚĞŶƉĞƌƐƉĞŬƟǀĞ − ƌĂƌďĞŝƚƵŶŐĞŝŶĞƐ>ĞŐĂůWƌŽnjĞƐƐĞƐĨƺƌsĞƌƚƌĂŐƐǁĞƐĞŶ
− ƵĩĂƵǀŽŶ^ƚĂŶĚĂƌĚǀĞƌƚƌćŐĞŶ
− ƵĩĂƵƵŶĚhŵƐĞƚnjƵŶŐĞŝŶĞƐůĂŝŵDĂŶĂŐĞŵĞŶƚͲWƌŽnjĞƐƐĞƐ
WƌŽnjĞƐƐƉĞƌƐƉĞŬƟǀĞ − <ŽŶƟŶƵŝĞƌůŝĐŚĞƌŐĞďŶŝƐĞŶƚǁŝĐŬůƵŶŐ
− ZĞĚƵŬƟŽŶĚĞƌ<ĂƉŝƚĂůŬŽƐƚĞŶ
− KƉƟŵŝĞƌƵŶŐ ĚĞƌŽƉĞƌĂƟǀĞŶ<ŽƐƚĞŶ
>ĞƌŶͲ ƵŶĚWŽƚĞŶnjŝĂůƉĞƌƐƉĞŬƟǀĞ − ŝŶĨƺŚƌƵŶŐĞŝŶĞƐnjǁĞĐŬŵćƘŝŐĞŶŽĐƵŵĞŶƚDĂŶĂŐĞŵĞŶƚͲ^LJƐƚĞŵƐ
− >ĞŐĂůĚƵĐĂƟŽŶŚŝŶƐŝĐŚƚůŝĐŚdŚĞŵĂͣsĞƌƚƌćŐĞ͞ǀĞƌƐƚćƌŬĞŶ

40.7 Strategische Ziele für die Legal Operations

Aus meiner Erfahrung möchte ich in Tab. 40.2 beispielhaft und nicht abschließend
einige mögliche strategische Ziele für die Legal Operations aufzeigen, welche sich
an der generellen Zielsetzung des „Führens eines professionellen Vertragswesens“
orientieren und welche dadurch einen direkten Einfluss auf die Steigerung des
Unternehmenswerts aufweisen.
Nachfolgend werde ich beispielhaft auf die vier strategischen Ziele aus der
Lern- und Potenzialperspektive sowie der Prozessperspektive eingehen, welche
in diesem Zusammenhang in der betrieblichen Praxis von Legal Operations eine
wichtige Rolle spielen.

40.7.1 Strategisches Ziel: Legal Education hinsichtlich Thema


„Verträge“ verstärken

Vor allem die Mitarbeiterausbildung in rechtlichen Themen sehe ich hier als ganz
zentralen Punkt, auf den Wert eines Unternehmens einzuwirken. Er wirkt präven-
tiv zur Verhinderung oder Abschwächung von Konflikten und Rechtsfällen und
hat eine sehr breite Wirkung, indem viele Mitarbeitende auf Risiken aufmerksam
gemacht werden. Ein paar Beispiele:

• Schulungen im Vertragswesen (Durchführen eines jährliches Schulungspro-


gramms);
• ein klar strukturierter Vertragsprozess (Definition und Überwachung der SOP);
• professionelle Abwicklung von Konflikten und Streitfällen (Unterstützung bei
Konflikten);
• geschickte Kommunikation nach innen und nach außen (Entwickeln und
Umsetzen eines Kommunikationskonzeptes mit dem Management);
• Erkennen von Chancen und Risiken, die das Geschäft mit sich bringt.
40 Finanzen in Legal Operations 563

Die Rechtsabteilung sollte ein umfassendes internes Schulungsprogramm (Ver-


tragsrecht, Claims Management, Risikomanagement etc.) aufbauen und gezielt
umsetzen. Wenn der Kapitalgeber das Vertrauen gewinnt und erkennt, dass das
Management und die Mitarbeitenden für diese Themen sensibilisiert und darin fit
sind, steigt das Vertrauen dahin gehend, dass in heiklen Situationen nicht fahrlässig
und unüberlegt gehandelt wird. Sie können sich darauf verlassen, dass Vertragsrisi-
ken und drohende Konflikte im Unternehmen professionell gemanagt werden.

40.7.2 Strategisches Ziel: Einführung eines zweckmäßigen


Document-Management-Systems

Eine wichtige Voraussetzung für die effiziente Arbeit eines Legal Counsel ist ein
professionelles und transparentes Vertragsablagesystem (siehe dazu detailliert
Kap. 52). Es ist dabei irrelevant, ob das System vom Legal Counsel selbst oder
mithilfe einer Assistenz geführt wird. Er trägt die Verantwortung für das Projekt
und gibt die Strukturen vor. In der Folge werde ich wichtige Aspekte eines sol-
chen Ablagesystems aufzeigen, die aus meiner Erfahrung nur in den wenigsten
Fällen beachtet werden. Dass Verträge nach den üblichen Kriterien wie beispiels-
weise Name und Adresse des Vertragspartners, Art des Vertrages, Laufzeit, Kündi-
gungsfrist und Zeitpunkt einer möglichen Kündigung, Gerichtsstand, anwendbares
Recht etc. in einem Ablagesystem indexiert werden sollten, muss ich nicht näher
erläutern. Das gehört zum Standard. In Ablagesystemen sollten Verträge aber, wie
in Tab. 40.3 dargestellt, auch nach finanziellen Kriterien indexiert und selektiert
werden können:

Tab. 40.3  Finanzielle Kriterien zur Indexierung von Verträgen im Document-Management-Sys-


tem

&ĞůĚďĞnjĞŝĐŚŶƵŶŐ &ĞůĚďĞƐĐŚƌĞŝďƵŶŐ ŝŶŐĂďĞĂƌƚ

sĞƌƚƌĂŐƐǁĞƌƚƉƌŽ:ĂŚƌ tĞůĐŚĞ<ŽƐƚĞŶŽĚĞƌƌƚƌćŐĞĞŶƚƐƚĞŚĞŶƉƌŽ ŝŶŐĂďĞŶƵŵŵĞƌŝƐĐŚŝŶĞŝŶĞƌtćŚƌƵŶŐ͘


:ĂŚƌĚƵƌĐŚĚŝĞƌĨƺůůƵŶŐĚĞƐsĞƌƚƌĂŐĞƐ͍/ĐŚ
ƐĞůďƐƚŶĞŶŶĞĚĂƐͣsĞƌƚƌĂŐƐǁĞƌƚ͘͞

tćŚƌƵŶŐ /ŶǁĞůĐŚĞƌtćŚƌƵŶŐǁĞƌĚĞŶĚŝĞ ƵƐǁĂŚůƺďĞƌƉƵůůͲĚŽǁŶͲDĞŶƺ͘ŝĞ


sĞƌƚƌĂŐƐůĞŝƐƚƵŶŐĞŶďĞnjĂŚůƚ͍ DƂŐůŝĐŚŬĞŝƚĞŶǁĞƌĚĞŶnjĞŶƚƌĂůƺďĞƌĚŝĞ
^ƚĂŵŵĚĂƚĞŶŐĞƉŇĞŐƚ͘

ƵƐĂƚnjŝŶĨŽƌŵĂƟŽŶnjƵŵ tŝĞƐĞƚnjƚƐŝĐŚĚĞƌtĞƌƚnjƵƐĂŵŵĞŶ͍ &ƌĞŝĞŝŶŐĂďĞŵƂŐůŝĐŚ͕ĐĂ͘ ϱϬĞŝĐŚĞŶ͕


sĞƌƚƌĂŐƐǁĞƌƚ ĞŝƐƉŝĞůƐǁĞŝƐĞ&ŽƌĚĞƌƵŶŐ,LJƉŽƚŚĞŬ͗hZ ĂůƉŚĂŶƵŵĞƌŝƐĐŚ͘
ϭ ϬϬϬ ϬϬϬnjƵ ϮйŝŶƐ͘

ĂŚůƵŶŐƐŬŽŶĚŝƟŽŶĞŶ ĞŝƐƉŝĞůƐǁĞŝƐĞϯϬdĂŐĞŶĞƩŽ͕ϭϱdĂŐĞ^ŬŽŶƚŽ ƵƐǁĂŚůƺďĞƌƉƵůůͲĚŽǁŶͲDĞŶƺ͘ŝĞ


ĞƚĐ͘ DƂŐůŝĐŚŬĞŝƚĞŶǁĞƌĚĞŶnjĞŶƚƌĂůƺďĞƌĚŝĞ
^ƚĂŵŵĚĂƚĞŶŐĞƉŇĞŐƚ͘

ĂŚůƵŶŐƐǁĞŝƐĞ :ĂŚƌĞƐŐĞďƺŚƌ͕ƋƵĂƌƚĂůƐǁĞŝƐĞ͕ŵŽŶĂƚůŝĐŚĞƚĐ͘ ƵƐǁĂŚůƺďĞƌƉƵůůͲĚŽǁŶͲDĞŶƺ͘ŝĞ


DƂŐůŝĐŚŬĞŝƚĞŶǁĞƌĚĞŶnjĞŶƚƌĂůƺďĞƌĚŝĞ
^ƚĂŵŵĚĂƚĞŶŐĞƉŇĞŐƚ͘
564 L. Grimm

Warum die Hinterlegung der finanziellen Kriterien als Voraussetzung für die
Wertsteigerung eines Unternehmens wichtig ist, werde ich in der Folge darstellen.

40.7.3 Strategisches Ziel: Optimierung der operativen Kosten

Um zu verstehen, wo der General Counsel die „operativen Kosten“ beeinflussen


kann, müssen wir zuerst verstehen, wo diese entstehen. Im Gegensatz zu den außer-
ordentlichen Kosten, die beispielsweise durch Abgrenzungen oder Rückstellungen
entstehen, stehen die operativen Kosten immer im Zusammenhang mit dem opera-
tiven Geschäft, also mit dem Erbringen einer Marktleistung für einen Kunden.
Dabei wird zwischen den „direkten Kosten“, die im Zusammenhang mit einem
Kundenauftrag oder der Herstellung eines Produktes und den „Gemeinkosten“
unterschieden, die durch den Betrieb der nötigen Infrastruktur entstehen8.

• Direkte Kosten sind beispielsweise Fremdleistungen oder Material- oder


Produktionskosten für die Herstellung oder den Einkauf von Produkten oder
Dienstleistungen.
• Gemeinkosten sind beispielsweise Reparatur- und Unterhaltskosten für
Gebäude und Maschinen oder auch Miet- oder Leasingkosten.
• Löhne können entweder den direkten- oder auch den Gemeinkosten zugeordnet
werden, je nach Funktion der entsprechenden Person (Produktion oder Verwaltung).

Fast alle Kosten in einem Unternehmen werden über einen Vertrag geregelt
(Lieferantenverträge für Rohstoffe, Wartungsverträge für Maschinen und Anla-
gen, Energielieferungsverträge, Mietverträge, Versicherungen, Kreditverträge,
Personalverträge etc.). Diese Tatsache zeigt uns, wie stark Verträge und deren
Ausgestaltung die finanzielle Steuerung des Unternehmens beeinflussen. Es gibt
unzählige Dienstleistungen, die in einem Unternehmen extern zugekauft und mit
einem Vertrag geregelt werden. Solche Verträge laufen aber nicht ewig. Sie haben
in der Regel eine bestimmte Laufzeit, mit anschließender Verlängerung oder
anschließendem Kündigungsrecht und einer entsprechenden Kündigungsfrist. Es
lohnt sich, diese Verträge nach Ablauf nicht einfach blindlings weiterzuführen,
sondern sie zu jeder Zeit kritisch zu hinterfragen.
Im Budgetprozess für das Folgejahr sollte der General Counsel bei der Opti-
mierung dieser Verträge durchaus operativ den Lead übernehmen, da alle Verträge
oftmals zentral von der Rechtsabteilung verwaltet werden. Die Legal Counsels selek-
tieren über das Vertragsablagesystem alle Verträge, die in der Budgetperiode aus-
laufen. Sie erstellen hierfür eine Liste, welche nach „Vertragswert pro Jahr“ sortiert
wird, weil im Budgetprozess der Vertragswert als primäres Kriterium für die Fest-
legung der Prioritäten hinzugezogen wird. Danach sollten alle fälligen Verträge auf

8DieDefinition dieser Kostenblöcke kann in der Praxis je nach Unternehmen etwas abweichen;
zum Beispiel Horngren et al. (2006, S. 26 ff. und 30 ff.).
40 Finanzen in Legal Operations 565

mögliche Potenziale für Kosteneinsparungen hin analysiert werden. Dazu suchen


die Legal Counsels das Gespräch mit den Controllern und den verantwortlichen
Vertrag-owners. Da der Controller in der Regel die Hauptverantwortung im Bud-
getprozess hat, bespricht er mit dem Legal Counsel das Vorgehen zur Optimierung
der Verträge. Zusammen erstellen sie vorbereitend für die Gespräche mit den Ver-
trag-owners eine Checkliste, nach welcher die Verträge analysiert werden sollen:

• Braucht es den vorliegenden Vertrag überhaupt noch?


• Kann auf eine bestimmte Dienstleistung in diesem Vertrag verzichtet werden
(beispielsweise bei Wartungsverträgen von Anlagen: Reaktionszeit im Stö-
rungsfall von 6 h: Vielleicht reichen auch 12 h oder mehr…)?
• Ist die vertraglich geregelte Leistung und Vergütung überhaupt noch relevant
für das aktuelle Geschäft?
• Stimmen die vereinbarten Leistungen und Vergütungen aktuell noch?
• Wurden Teuerungsanpassungen aufgrund von offiziellen Indexen richtig ge­­rechnet?
• Bei Mietverträgen: Hat sich die benutze Fläche verändert? Benutzt die Firma
aktuell mehr oder weniger Fläche als dies zum Zeitpunkt des Vertragsabschlus-
ses vereinbart wurde? Wurden die neuen Verhältnisse im Mietvertrag ange-
passt?
• Haben wir generell eine Verhandlungsposition, um die Kosten für den Vertrag
zu senken?
– Generelle Kostensenkungen (Argumente definieren, Konkurrenzangebote ein­
holen!).
– Reduktion von Kosten durch Verzicht auf unnötige/unwichtige Leistungen.
– Erbringen von Eigenleistungen und Reduktion der Fremdleistungen.
– Ist möglicherweise eine Neuausschreibung der Dienstleistung am Markt sinn-
voll?

In der Praxis trifft man hierbei immer wieder eigenartige Problemstellungen an:

Beispiel 1
Ein Unternehmen reduzierte aus Kostengründen die Fertigungstiefe in einem
bestimmten Bereich. Ein spezifischer Wertschöpfungsteil wurde zugekauft
und nicht mehr selbst ausgeführt. Deshalb wurde eine größere Anlage still-
gelegt. Das Personal, welches für die Bedienung der Anlage zuständig war,
wurde abgebaut. Aus Kostengründen blieb die Anlage bis auf Weiteres aber
stehen. Durch ein mangelhaftes Vertrags-Ablagesystem hat man vergessen, den
Unterhaltsvertrag für das jährliche Software-Update der Anlagensteuerung zu
kündigen. Die jährliche Gebühr für den Wartungsvertrag wurde über ein Last-
schriftverfahren abgebucht und die gelieferte CD zum Einspielen des Soft-
ware-Updates landete ungeöffnet irgendwo in der Produktion, da sich niemand
mehr für die stillgelegte Anlage verantwortlich fühlte.
566 L. Grimm

Beispiel 2
Im gleichen Unternehmen wurden in der Produktion verschiedene Wäge-Sys-
teme benötigt, die eine jährliche Kalibrierung erforderten. Über einen War-
tungsvertrag wurde sichergestellt, dass der Hersteller immer im Frühling
vorbeikam und die Kalibrierung vornahm. Durch die Restrukturierung in der
Produktion wurden einige dieser Wäge-Systeme nicht mehr benötigt. Niemand
dachte aber daran, die Geräte aus dem Wartungsvertrag zu streichen und die
Kosten neu zu verhandeln. Daher wurden die nicht mehr benutzen Wäge-Sys-
teme jedes Jahr gegen eine nicht unbedeutende Gebühr nutzlos kalibriert.

Erst durch eine Zentralisierung des Vertragsablagesystems und der Analyse der
Unterhaltsverträge (wie oben beschrieben) können unnötige Ausgaben gestoppt
und die obsolet gewordenen Verträge angepasst oder gekündigt werden. Zudem
analysieren die Legal Counsels alle Verträge auch auf juristische Inhalte und Ver-
besserungspotenziale hin, welche individuell auf die aktuellen Bedürfnisse des
Unternehmens angepasst werden sollen:

• Kündigungsfrist, Kündigungszeitpunkt etc.;


• Gerichtsstand, anwendbares Recht, Risiken daraus;
• Veränderungen der aktuellen Rechtsprechung in Abweichung zum Zeitpunkt,
als der Vertrag abgeschlossen wurde;
• Logik und Sinnhaftigkeit des bestehenden Vertrags sowie die Durchsetzbarkeit
von Forderungen oder Abwehr von Gegenforderungen;
• Möglichkeiten zur Stärkung der eigenen Position, beispielsweise Haftungsbe-
schränkungen;
• generelle Risiken und mögliche Auswirkungen (beispielsweise drohende
Rechtsfälle);
• Festlegung einer Strategie für das Vorgehen im Streitfall – Chancen und Risiken.

Nach der Vorbereitung der Checklisten werden mit den verantwortlichen Ver-
trag-owners Meetings vereinbart, um mit diesen zusammen intern die Einspa-
rungspotenziale zu evaluieren. Wenn der beschriebene Prozess das erste Mal
durchgeführt wird, werden die möglichen Einsparungen sehr deutlich ausfallen.
Zudem wird der Aufwand nach der ersten intensiven Überarbeitung aller Verträge
für die Folgeperioden immer kleiner werden. Mit den gefundenen Erkenntnissen
werden die Vorgehensweise für die Planungsperiode pro Vertrag definiert und die
gefundenen Einsparungen in das operative Budget eingerechnet. An den effek-
tiv erreichten Einsparungen im laufenden Jahr kann der General Counsel dann
gemessen werden. Er leistet mit seinem Team somit in der Zusammenarbeit mit
den Controllern und dem Management einen wichtigen Beitrag zur Reduktion
der operativen Kosten, was sich in der Folge wertsteigernd auf das Unternehmen
auswirkt. Diese Sichtweise wird von Juristen oft übersehen. Für eine optimale
Positionierung gegenüber der Führungsspitze würde diese aber ausgezeichnete
Argumente liefern, welche nicht nur den defensiven Wert von Legal Operations,
sondern auch deren Nützlichkeit im proaktiven Bereich herausstreicht.
40 Finanzen in Legal Operations 567

40.7.4 Strategisches Ziel: Reduktion der Kapitalkosten

Die Kapitalkosten werden neben marktüblichen Kaptalzinsen in erster Linie durch


eine Risikoeinschätzung der Kapitalgeber beeinflusst, da die Kapitalkosten steigen,
je höher das Risiko des Investments beurteilt wird. Daher ist ein etabliertes Risk
Management im Unternehmen ein wesentlicher Faktor (siehe dazu detailliert
Kap. 47), der die Kapitalkosten beeinflusst. Und genau hier kann der General Coun-
sel eine führende Rolle übernehmen. Aus meiner Erfahrung werden die Risiken aus
laufenden Verträgen vor allem in KMU regelmäßig unterschätzt. Zumal für Risiken
mit drohenden Verlusten entsprechende Rückstellungen in der Bilanz gebildet wer-
den müssen (Art. 960e OR9) und deren Bewertung nachvollziehbar sein muss. In
der Praxis sehe ich es deshalb als zentral an, zuerst eine Analyse der laufenden Ver-
träge durchzuführen. Welche Risiken sind überhaupt vorhanden? Diese Analyse soll
nach einer Checkliste erfolgen, die zwischen dem Management und dem General
Counsel abgesprochen wird. Wahrscheinlich wird es ganz verschiedene Checklisten
geben, da diese je nach Vertragstyp unterschiedlich ausfallen.

Beispiel
• Art des Vertrages (Distributor, Lizenz, Beschaffung, Werbung, Unterhalt etc.)
• Vertragspartner, genaue Anschrift
• Land, Märkte
• Vertragswert (ganz wichtig! Wie hoch könnte der streitbare Wert des Ver-
trages sein?)
• Konditionen
• Anwendbares Recht, Gerichtsstand
• Vertragsbeginn
• Gewährleistungsmodalitäten
• Laufzeit
• Kündigungsfrist
• Möglicher Kündigungstermin
• Besonderes

Der General Counsel führt eine Liste, in der die Ergebnisse seiner Analyse doku-
mentiert werden. Zusammen mit dem Management respektive den Vertrag-owners,
eventuell auch zusammen mit einem Controller, sollten die Risiken in der Folge
pro Position bewertet werden. Das Resultat ergibt am Ende denjenigen Rückstel-
lungsbetrag, der in der Bilanz erscheint.
Aus meiner Erfahrung werden bei diesem Prozess die Risiken in Verträgen, die
aufeinander abgestimmt werden sollten, oft zu wenig beachtet. Dazu zwei Bei-
spiele aus der Praxis:

9(Schweizer) Bundesgesetz vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizerischen
Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) (SR 220).
568 L. Grimm

Beispiel 1
Für das Erstellen eines Werkes werden einige Gewerke selbst produziert, andere
werden bei Subunternehmen bestellt. Mit dem Kunden werden Zahlungs-
konditionen und Gewährleistungs- oder Garantieansprüche vereinbart. Diese
Vereinbarungen müssen unbedingt auch bei den Verhandlungen mit dem Subun-
ternehmen beachtet werden. Es muss dafür gesorgt werden, dass dieses ebenfalls
gewisse Risiken trägt, sodass das eigene Unternehmen im Störfall auf den Sub-
unternehmer zurückgreifen kann. Zu denken gilt es etwa an die Geschwindigkeit
der Ein- und Auslagerungen bei Förderanlagen, an die Gewährleistungs-/Garan-
tiefristen der Anlage oder der einzelnen Komponenten sowie an die vereinbarten
Zahlungskonditionen. In Bezug auf letzteren Punkt gilt es Liquiditätsrisiken zu
vermeiden.

Beispiel 2
Ein bestimmter Handelsartikel wird von einer Schweizer Firma nach Deutsch-
land verkauft. Der Lieferant des Artikels liefert aus Spanien. Der Artikel soll
nun von Spanien an das Distributionslager nach Deutschland geliefert werden,
von wo aus dann die Feinverteilung in Deutschland erfolgt. Vertraglich wurde
als Lieferbedingung ex works vereinbart. Die Schweizer Firma muss die Arti-
kel aus Spanien also selbst respektive durch einen Logistikpartner abholen und
zum Distributionslager in Deutschland bringen. Das Transportunternehmen ist
schnell gefunden und die Ware wird von Spanien nach Deutschland transpor-
tiert. Abgemacht wird der Incoterm DDP, das heißt ohne Transportversiche-
rung. Kein Problem, denkt sich daher das Schweizer Unternehmen, da es ja
eine Transportversicherung abgeschlossen hat, welche auch über die Schweiz
hinaus gilt. Das Problem ist aber, dass diese nur für internationale Transporte
aus der Schweiz oder in die Schweiz gilt. Transporte, die aber komplett außer-
halb der Schweiz stattfinden, sind darin nicht versichert. Daher muss entweder
die Versicherungspolice angepasst oder die Transporte müssen einzeln versi-
chert werden. Schließlich kann auch versucht werden einen für die eigene Seite
besseren Incoterm zu vereinbaren.

Mit den gewonnenen Erkenntnissen muss pro Risikoposition eine Strategie ent-
wickelt werden, wie mit den Risiken umgegangen werden soll: Dies kann durch
Reduktion (Anpassung der Verträge oder der prozessualen Praxis), durch Delega-
tion (Abschließen oder Erweitern von Versicherungen) oder durch das bewusste
Eingehen von Risiken mit entsprechender Rückstellungsbildung erfolgen. Durch
das Managen der beschriebenen Vertragsrisiken können die Rückstellungen mit
der Zeit reduziert werden, was einerseits das operative Ergebnis verbessert, ande-
rerseits aber auch die Kapitalgeber dahin gehend überzeugt, dass das betriebene
Geschäft weniger Risiken aufweist und somit für die Bewertung des Unterneh-
mens auch ein geringerer Risikoabschlag eingerechnet werden muss. Wie schon
beschrieben, spielen in diesem Zusammenhang Schulungen eine große Rolle.
40 Finanzen in Legal Operations 569

Der Legal Counsel kann mit Schulungen und Seminaren viele Mitarbeitende auf
vertragliche Risiken hin sensibilisieren (siehe dazu auch Kap. 51).

40.7.5 Strategisches Ziel: Kontinuierliche


Ergebnisentwicklung

Tiefe Unternehmensrisiken beeinflussen den Wert eines Unternehmens positiv.


Hohe Schwankungen von Markt- und Unternehmensrenditen (Unternehmenser-
gebnisse oder cash flows; vor allem, wenn sie negativ ausfallen) führen aufgrund
der Volatilitäten von Markt- und Unternehmensrenditen bei Investoren (Private
Equity Firms, Finanzinstituten und Banken) zu einem schwächeren Rating.10 Ob
nun als Kleininvestor eines KMU oder als Großinvestor: Die Kriterien für das
Rating bleiben dieselben. Die ausgewiesenen Ergebnisse sollten eine Kontinuität
aufweisen und sich möglichst im Bereich der Voraussagen (Budget und Forecast)
bewegen. Darum ist auch die Vertragsabschlussgestaltung ein zentraler Punkt beim
Risk Management. In der Schweiz gibt es zudem Möglichkeiten, Ergebnisse über
die Jahre hinweg zu glätten und nebenbei auch Steueroptimierungen zu betreiben.
Bei der Bewertung der Rückstellungen bestehen nämlich gewisse Ermessensspiel-
räume, dahin gehend wie hoch Risiken und somit deren Rückstellungen bewertet
werden. Daraus ergeben sich gewisse Möglichkeiten, Ergebnisse zwischen den
Jahren zu glätten; zum Beispiel durch die Bildung/Auflösung von „stillen Reser-
ven“,11 durch Bildung/Auflösung von Rückstellungen (auch als Teil der stillen
Reserven), durch Anpassung der Bewertungsmethoden von Rückstellungen/
Abgrenzungen12 sowie durch vorausschauende Steuerung von Lieferungen und
Leistungen.
Das Unternehmen darf sich zwar nicht fahrlässig verhalten, indem beispiels-
weise Rückstellungen bewusst viel zu tief angesetzt werden, nur um ein Ergebnis
zu verbessern. Sofern Risiken im Folgejahr dann tatsächlich eintreten, würden die
gebuchten Rückstellungen unter Umständen nicht ausreichen, um den eintretenden
Verlust zu decken. Das führt zu ungeplanten Belastungen. Werden Rückstellungen
jedoch nicht gebraucht, da Risiken nicht eingetreten sind, ist man nach Art. 960e
OR nicht verpflichtet, diese wieder aufzulösen. Wenn es das Ergebnis zulässt,
kann man Rückstellungen als „stille Reserven“ stehen lassen und erst in einer
späteren Periode auflösen, wenn dadurch eine Ergebnisverbesserung zur Glättung
der Ergebnisse oder zur Verhinderung eines Verlustes erreicht werden soll. Wie
beschrieben, bieten vor allem bestehende Verträge viel Spielraum für die Bildung
von Rückstellungen aufgrund drohender Risiken durch vereinbarte Garantieleis-
tungen im Projektgeschäft oder drohenden Pönalen bei Produktentwicklungen,

10Damodaran (2001, S. 151 ff.).


11Boehmle (2001, S. 161 ff.).
12Boehmle (2001, S. 126 ff. und 363 ff.).
570 L. Grimm

sofern argumentiert werden kann, dass ein reales Risiko besteht, die vereinbarten
Leistungen nicht (innert Frist) zu erhalten.
Der General Counsel kann seinen Einfluss auf die Abschlussgestaltung des
Gesamtunternehmens zusätzlich bei der Bewertung von laufenden und dro-
henden Rechtsfällen einbringen: Viele Unternehmen sehen sich im Laufe ihrer
Geschäftstätigkeit mit Rechtsfällen konfrontiert, die enorme Dimensionen anneh-
men können. Zu denken gilt es beispielsweise an Klagen aus den USA (siehe dazu
detailliert Kap. 6). Sind solche Rechtsfälle bei der Erstellung der Jahresrechnung
noch nicht abgeschlossen, müssen je nach Art der Rechnungslegung der Stand
dieser Rechtsfälle und die damit verbundenen, zukünftigen drohenden Verluste
bewertet werden. Werden Rechtsfälle sehr kritisch bewertet und wird daher eine
große Rückstellung gebildet, so wird das Unternehmensergebnis in der Folge stark
belastet. Ist der General Counsel in seiner Bewertung dagegen sehr optimistisch
und die Rückstellungen fallen entsprechend tief aus, wird das Unternehmenser-
gebnis schwächer belastet.
Andererseits kann der General Counsel aber auch durch eine vorausschau-
ende Steuerung von Lieferungen und Leistungen maßgeblichen Einfluss auf das
Gesamtunternehmen ausüben: Vor allem im Projektgeschäft gibt es gute Mög-
lichkeiten, die Ergebnisse zwischen den Jahren zu steuern. Ist die Auslastung sehr
gut, muss man bestrebt sein, Leistungen möglichst auf das neue Jahr zu verlegen,
während bei schlechter Auslastung im alten Jahr, Leistungen für laufende Projekte
möglichst vorgezogen werden sollten, um über die Ware in Arbeit das Betriebser-
gebnis „aufbessern“ zu können (window dressing). Der General Counsel kann
daher zusammen mit dem Management versuchen, vorausschauend auf die Ver-
tragsgestaltung Einfluss zu nehmen, indem er eine kontinuierliche Ergebnisent-
wicklung anstrebt.

40.8 Key Performance Indicators für Legal Operations

Ob die strategischen Ziele und durchgeführten Aktionen zu einer Verbesserung


der strategisch gewünschten Performance geführt haben, kann pro Balanced Sco-
recard-Perspektive durch geeignete key performance indicators (KPI) dokumen-
tiert werden. Verbessern sich die KPI, hat man die richtigen Projekte und Aktionen
definiert oder priorisiert. Haben sie sich nicht verbessert, wurden die definierten
Projekte oder Aktionen nicht oder nicht erfolgreich genug umgesetzt. Die Ziele
konnten somit nicht erreicht werden. Das Nicht-Erreichen von KPI kann aber
durchaus auch andere Gründe haben, obwohl alle geplanten Projekte und Aktionen
erfolgreich umgesetzt wurden: Einerseits können die KPI falsch definiert worden
sein, indem zum Beispiel die Veränderung von deren Werten nicht in Korrelation
zu den dazu definierten Aktionen stehen oder aufgrund fehlerhafter Ursache-/
Wirkungszusammenhänge (zum Beispiel hat eine Aktion nicht die gewünschte
Wirkung in einer anderen Balanced Scorecard-Perspektive erbracht und sich der
dortige KPI nicht verbessert).
40 Finanzen in Legal Operations 571

Für Legal Operations können nach Maßgabe der Balanced Scorecard-Perspek-


tiven daher – beispielhaft pro strategisches Ziel – die Kennzahlen in Tab. 40.4
eingesetzt werden:
Wenn der General Counsel sowohl strategisch als auch operativ auf definierte
Ziele hin zuarbeiten soll, muss er auch an den definierten KPI gemessen werden.
Um für die Zielerreichung einen Anreiz zu schaffen, kann daher ein Teil seiner
Vergütungen durchaus erfolgsabhängig – gemessen an erreichten KPI – definiert
werden. Bei der Definition von KPI möchte ich aber davor warnen, diese zu kom-
plex zu gestalten. Je schlechter man eine Kennzahl versteht, desto tiefer ist ihre
Aussagekraft und somit ihr Nutzen. Das bringt nur unnötigen Aufwand, führt zu
einer überflüssigen intellektuellen oder mathematischen Übung, die jedoch kei-
nen Sinn ergibt. Auch muss klar unterschieden werden, welche Kennzahlen nur
einen bestimmten Bereich betreffen (beispielsweise die Legal Operations) oder
in einem übergeordneten management reporting erscheinen sollen. Auf obers-
ter Managementstufe soll das Unternehmen nur mit wenigen – rund zehn, aber
dafür den wichtigsten – Kennzahlen geführt werden. Ich empfehle zudem, KPI
aus Unter-Scorecards oder einzelnen Bereichen in die individuellen Zielverein-
barungen von General und Legal Counsels zu integrieren und diese dann jährlich
oder halbjährlich zu ermitteln und zu besprechen. Die Ursache-Wirkung-Zusam-
menhänge einer Unter-Scorecard, mit den Aktionen und KPI des entsprechenden
Bereichs, sollten wie in Abb. 40.2 dargestellt, immer im Gesamtkontext zu den
übergeordneten Unternehmenszielen stehen.

Tab. 40.4  Kennzahlen nach Maßgabe der Balanced Scorecard-Perspektiven


WĞƌƐƉĞŬƟǀĞ ^ƚƌĂƚĞŐŝƐĐŚĞƐŝĞů <ĞŶŶnjĂŚůĞŶĞŝƐƉŝĞůĞ
&ŝŶĂŶnjƉĞƌƐƉĞŬƟǀĞ sĞƌďĞƐƐĞƌƵŶŐĚĞƐhŶƚĞƌŶĞŚŵĞŶƐǁĞƌƚƐ ± ^ƚĞŝŐĞƌƵŶŐĚĞƐhŶƚĞƌŶĞŚŵĞŶƐǁĞƌƚƐŝŵ
sĞƌŐůĞŝĐŚnjƵŵsŽƌũĂŚƌŶĂĐŚĞŝŶĞƌŬůĂƌ
− /dͬEKWd ĚĞĮŶŝĞƌƚĞŶĞƌĞĐŚŶƵŶŐƐŵĞƚŚŽĚĞ
− ĂƐŚ&ůŽǁ ± /dŽĚĞƌEKWd;,&ͬhZ dŽƚĂůŽĚĞƌŝŶ
− <ĂƉŝƚĂůŬŽƐƚĞŶ йǀŽŵhŵƐĂƚnjͿ
± ĂƐŚ&ůŽǁ;,&ͬhZ dŽƚĂůŽĚĞƌŝŶйǀŽŵ
hŵƐĂƚnjͿ
ϭ
± <ĂƉŝƚĂůŬŽƐƚĞŶ;dŽƚĂů,&ͬhZ͕t ŝŶ
йǀŽŵ'ĞƐĂŵƚŬĂƉŝƚĂůͿ
<ƵŶĚĞŶƉĞƌƐƉĞŬƟǀĞ − ƌĂƌďĞŝƚƵŶŐĞŝŶĞƐ>ĞŐĂůWƌŽnjĞƐƐĞƐĨƺƌ ± >ĞŐĂůͲ^KWĞƌƐƚĞůůƚƵŶĚĞŝŶŐĞĨƺŚƌƚ ʹ
sĞƌƚƌĂŐƐǁĞƐĞŶ :ĂͬEĞŝŶ͍
− ƵĩĂƵ ǀŽŶ^ƚĂŶĚĂƌĚǀĞƌƚƌćŐĞŶ ± ŶnjĂŚůĞƌƐƚĞůůƚĞ^ƚĂŶĚĂƌĚǀĞƌƚƌćŐĞŝŵ
− ƵĩĂƵƵŶĚhŵƐĞƚnjƵŶŐĞŝŶĞƐůĂŝŵ sĞƌŐůĞŝĐŚnjƵŵsŽƌũĂŚƌ
DĂŶĂŐĞŵĞŶƚͲWƌŽnjĞƐƐĞƐ ± ŶnjĂŚůŝƐƚƌŝďƵƚŽƌĞŶŵŝƚĞŝŶĞŵsĞƌƚƌĂŐ
njƵƌŐĞƐĂŵƚĞŶŶnjĂŚůŝƐƚƌŝďƵƚŽƌĞŶ;ŝŶйͿ͘
WƌŽnjĞƐƐƉĞƌƐƉĞŬƟǀĞ − <ŽŶƟŶƵŝĞƌůŝĐŚĞƌŐĞďŶŝƐĞŶƚǁŝĐŬůƵŶŐ ± sĞƌćŶĚĞƌƵŶŐĚĞƌŽƉĞƌĂƟǀĞŶ<ŽƐƚĞŶnjƵŵ
− ZĞĚƵŬƟŽŶĚĞƌ<ĂƉŝƚĂůŬŽƐƚĞŶ sŽƌũĂŚƌŝŶ,&ͬhZ ŽĚĞƌй;dŽƚĂůŽĚĞƌ
− KƉƟŵŝĞƌƵŶŐ ĚĞƌŽƉĞƌĂƟǀĞŶ<ŽƐƚĞŶ ĨƺƌďĞƐƟŵŵƚĞĞƌĞŝĐŚĞͿ
± ŶnjĂŚů>ŝĞĨĞƌĂŶƚĞŶŵŝƚĞŝŶĞŵ
ZĂŚŵĞŶǀĞƌƚƌĂŐnjƵĚĞƌŐĞƐĂŵƚĞŶŶnjĂŚů
>ŝĞĨĞƌĂŶƚĞŶ;ŝŶйͿ
± фsŽůĂƟůŝƚćƚĚĞƌŽƉĞƌĂƟǀĞŶƌŐĞďŶŝƐƐĞ
ĚĞƌůĞƚnjƚĞŶϱ:ĂŚƌĞ
>ĞƌŶͲ ƵŶĚ − ŝŶĨƺŚƌƵŶŐĞŝŶĞƐnjǁĞĐŬŵćƘŝŐĞŶŽĐƵŵĞŶƚ ± ƵĩĂƵĞŝŶĞƐsĞƌƚƌĂŐƐĂďůĂŐĞƐLJƐƚĞŵƐ
WŽƚĞŶnjŝĂůƉĞƌƐƉĞŬƟǀĞ DĂŶĂŐĞŵĞŶƚͲ^LJƐƚĞŵƐ ;ƌŐĞďŶŝƐ͗ƌƌĞŝĐŚƚͬEŝĐŚƚĞƌƌĞŝĐŚƚͿ
± >ĞŐĂůĚƵĐĂƟŽŶŚŝŶƐŝĐŚƚůŝĐŚdŚĞŵĂ ± ŶnjĂŚůĚƵƌĐŚŐĞĨƺŚƌƚĞ ^ĐŚƵůƵŶŐĞŶ
ͣsĞƌƚƌćŐĞ͞ǀĞƌƐƚćƌŬĞŶ ;&ŽƌŵƵůĂƌ ŵŝƚ^ĐŚƵůƵŶŐƐŶĂĐŚǁĞŝƐͿ

ϭ
tĞŝŐŚƚĞĚǀĞƌĂŐĞŽƐƚŽĨĂƉŝƚĂů͖ĚƵƌĐŚƐĐŚŶŝƩůŝĐŚ<ĂƉŝƚĂůŬŽƐƚĞŶŝŶйĚĞƐŝŶǀĞƐƟĞƌƚĞŶ<ĂƉŝƚĂůƐ͖ĂŵŽĚĂƌĂŶ[ϮϬϬϭ]͕^͘ϱϳϱī͘Ϳ͘
572 L. Grimm

Abb. 40.2  Kontextuale Betrachtung von Zielen im Unternehmen

40.9 Der General Counsel im Mittelpunkt von


Unternehmenszielen und -strategien

Aus meiner jahrelangen Zusammenarbeit mit Rechtsabteilungen unterschiedlicher


Unternehmen, in denen ich leitend tätig war, kann ich mit Bestimmtheit sagen,
dass dem General Counsel eine zentrale Rolle mit viel Einfluss auf die Umsetzung
der Unternehmensziele und -strategien zukommt. Er ist auch maßgeblich an der
Unternehmenswertsteigerung beteiligt, sofern er richtig in die Organisation seines
Unternehmens eingebunden ist und wichtige finanzielle Zusammenhänge versteht,
wie sie teilweise in diesem Kapitel besprochen wurden. Der General Counsel ist
dabei gut beraten, eine enge Zusammenarbeit mit dem Controlling anzustreben.
Beide Funktionen sind aufeinander angewiesen und können sich daher sehr gut
gegenseitig unterstützen. Zudem sollte der General Counsel eine Balanced Sco-
recard für die Legal Operations einführen, da diese – sofern richtig erstellt und
implementiert – ein bestens dafür geeignetes Tool darstellt, um Strategien erfolg-
reich umzusetzen und alle Ressourcen strukturiert und zielgerichtet auf deren
Umsetzung auszurichten.

Literatur
Boehmle M (2001) Der Jahresabschluss, 4. Aufl. SKV AG, Zürich
Damodaran A (2001) Corporate finance, 2. Aufl. J. Wiley, New York
Deyhle A (1996) Controller-Praxis Band 2, 11. Aufl. Management Service Verlag, Gauting bei
München
Gleissner W (2004) Auf nach Monte Carlo. Risk News 2004(1):37
40 Finanzen in Legal Operations 573

Horngren CT, Datar SM, Foster G (2006) Cost accounting, 12. Aufl. Pearson Prentice Hall,
Upper Saddle River
Kaplan RS, Norton DP (1997) The Balanced scorecard. Schäffer-Poeschel, Stuttgart
Kaplan RS, Norton DP (2001) Die strategiefokussierte Organisation. Schäffer-Poeschel, Stuttgart

Über den Autor


Lukas Grimm – Chief Financial Officer Doetsch Grether, Basel
Lukas Grimm absolvierte eine höhere technische Ausbildung und spezialisierte sich immer mehr
in den Bereichen Kalkulation, betriebliches Rechnungswesen, operatives und strategisches Con-
trolling sowie Reporting und Finance. Dabei hat er sich nebenberuflich zum SIB Controller wei-
tergebildet und die postgraduate studies zum Executive Master of Controlling sowie zum Master
of Advanced Studies in Corporate Finance abgeschlossen. Während seiner Laufbahn konnte er
Erfahrungen in der Elektro-, der Förder- und Lagertechnik-, der Fahrzeug-, der Kunststoff-, der
Chemie-, der Pharma- und der Kosmetikbranche sammeln.
Er war unter anderem Financial Controller bei der SF-Chem AG in Pratteln (heute CABB)
und Group Controller bei der Firma Stöcklin Logistik AG in Dornach. Als CFO begleitete er
zwei Sanierungsfälle. Heute ist er CFO der Doetsch Grether AG in Basel.
Legal Counsel im Unternehmen:
Definieren, suchen, integrieren 41
Boris Vassella

41.1 Definieren – Weshalb einen Legal Counsel im


Unternehmen und mit welchen Fähigkeiten

41.1.1 Legal Counsel – eine Tätigkeit über alle


Geschäftsbereiche und Hierarchien hinweg

Wer sich mit den Aufgaben eines Legal Counsels im Unternehmen (umgangs-
sprachlich auch „Unternehmensjurist“) schon befasst hat, weiss, dass kaum eine
andere Funktion die Zusammenarbeit mit so vielen Mitarbeitenden auf allen Ent-
scheidungsebenen beinhaltet. Nicht selten ist der erste Legal Counsel im Unter-
nehmen aufgrund seiner besonderen Vertrauensstellung zusätzlich Sekretär des
Verwaltungsrates und dient gelegentlich dessen Präsidenten oder dem CEO auch
in nicht-juristischen Belangen als Sparringpartner. Als erster oder einziger Legal
Counsel sowie als Sekretär des Verwaltungsrates erhält man nebst den Mitgliedern
der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrates den wohl umfassendsten Einblick
in alle wichtigen Vorhaben eines Unternehmens. Ein Legal Counsel sollte daher
nicht nur mit unterschiedlichen Charakteren klarkommen, kommunikationsstark
sein und über das Juristische hinaus denken können, sondern auch mit Geheim-
nissen aller Art professionell umzugehen wissen. Dies verlangt eine gefestigte und
absolut integre Persönlichkeit, die sich im und außerhalb des Unternehmens jeder-
zeit ihrer besonderen Vertrauensstellung und der damit verbundenen Verantwor-
tung bewusst ist. Diese Charakterzüge gilt es stets sehr sorgfältig abzuklären.
Weil Juristen heutzutage immer stärker spezialisiert sind, sollten nach Auffas-
sung von Personalverantwortlichen namhafter Unternehmen zur tatsächlichen

B. Vassella (*)
Zürich, Schweiz
E-Mail: boris.vassella@legaljob.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 575


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_41
576 B. Vassella

Feststellung der fachlichen Qualität eines Kandidaten die mit der Rekrutierung
beauftragten internen oder externen Personen ebenfalls über eine juristische Aus-
bildung verfügen. Selbst Unternehmen, welche einen eigenen Rechtsdienst haben
und so in der Lage wären, die fachliche Qualität eines Bewerbers selbst abzuklä-
ren, bevorzugen bei der externen Vergabe der Rekrutierung fallweise einen juris-
tisch erfahrenen Personalberater. Ein maßgeblicher Grund dafür sei die fachlich
fundiertere Vorselektion und damit einhergehend die von Beginn weg enger am
Stellenprofil ausgerichtete Kandidatenauswahl. Für das Unternehmen würde so
zudem das Risiko vermindert, dass aufgrund von fehlendem Berufsverständnis
gewisse Aspekte der Funktion bei den Kandidaten im Rekrutierungsprozess nicht
angesprochen worden sind. Kommen diese erst nach Vertragsunterzeichnung zur
Sprache, könnten unliebsame und teure Konsequenzen die Folge sein. So ist es für
ein nachhaltiges Verbleiben des ersten Legal Counsels im Unternehmen beispiels-
weise relevant, ob er darauf fixiert ist, direkt dem CEO rapportieren zu wollen,
obschon die Stelle beim CFO angehängt ist, oder ob er primär die Rechtsberatung
des Managements am Hauptsitz im Auge hat, obschon die Stelle zur Unterstüt-
zung des operativen Tagesgeschäfts geschaffen wurde, oder ob sich jemand als
M&A-Spezialist bewirbt, obschon das Unternehmen in seiner Strategie ein organi-
sches Wachstum definiert hat und der Kandidat seine fundierten M&A-Kenntnisse
dadurch kaum je nutzbringend wird einsetzen können. Ein juristisch erfahrener
Personalberater klärt solche für die Nachhaltigkeit der Anstellung relevante Ein-
flussfaktoren unaufgefordert ab und vermeidet dadurch unliebsame Überraschun-
gen im ersten Vorstellungsgespräch des Kandidaten beim Unternehmen oder gar
erst nach erfolgter Vertragsunterzeichnung.

41.1.2 Weshalb einen eigenen Legal Counsel im Unternehmen

Ob ein Unternehmen einen Legal Counsel einstellen soll, ist nicht eine Frage von
Umsatz oder Mitarbeiterzahl, sondern der rechtlichen Risiken, die ein Unterneh-
men im Rahmen seiner geschäftlichen Aktivitäten eingeht. Auch das jährlich benö-
tigte Budget für externe Anwaltskosten kann ein Grund sein, einen eigenen Legal
Counsel einzustellen. Das rechtliche Wissen kann so inskünftig im Unternehmen
aufgebaut und abgerufen werden, statt dieses wiederholt extern einkaufen zu müs-
sen.
Neben der Rechtsberatung und Mitwirkung in Rechtsprojekten gibt es auch
indirekt juristische Themen, deren Bearbeitung nicht selten durch den Legal Coun-
sel erfolgen. Dabei kann es sich um die Evaluation eines gruppenweiten Contract
Management-Systems in Abstimmung mit bestehenden IT-Systemen handeln, die
Sichtung jahrzehntelang gesammelter Geschäftsakten und deren professionelle
Vernichtung, oder als Company Secretary um die technische Modernisierung des
Sitzungsraumes des Verwaltungsrates im Rahmen des vorgegebenen Budgets.
41 Legal Counsel im Unternehmen … 577

41.1.3 Der typische Legal Counsel ist kein klassischer


Kanzleianwalt

Der klassische Kanzleianwalt insbesondere in einer international ausgerichteten


Kanzlei muss auf einige wenige Rechtsgebiete fokussieren, um seine Beraterquali-
tät permanent hoch halten zu können. Der typische Legal Counsel weist hingegen
ein breites, nur noch sehr punktuell in die Tiefe gehendes Fachwissen auf. Ergänzt
wird dieses jedoch mit praktischer Erfahrung, die er ausschließlich in Unterneh-
men erwerben konnte. Wechselt der Kanzleianwalt erstmals in ein Unternehmen,
muss er sich diesen Wissensschatz aus der Praxis zuerst aneignen.
So gehört für den Legal Counsel im Gegensatz zum Kanzleianwalt der direkte,
vielseitige Kontakt im Unternehmen über verschiedene Hierarchien hinweg
ebenso zum Berufsalltag wie die täglich wechselnde Fachberatung von Verkauf,
Einkauf, Produktion, HR oder Finanzen. Der berufserfahrene Legal Counsel hat
on-the-job gelernt, wie ein Unternehmen funktioniert oder, wie seine Stellungnah-
men abgefasst sein müssen, damit sie auch vom Nicht-Juristen zu Ende gelesen
und als hilfreich empfunden werden. Er kennt das Instruieren und Kontrollieren
von Kanzleianwälten aus Sicht des Auftraggebers und hat internationale Rechts­
projekte konzipiert und geleitet sowie einer Geschäftsleitung oder einem Verwal-
tungsrat für weitere Entscheidungen allenfalls präsentieren müssen. Dieses Wissen
wird an keiner Universität gelehrt. Wer über solches Wissen verfügt, ist deutlich
rascher effektiv und effizient für das Unternehmen. Zu einem im Unternehmen
gerne gesehenen Legal Counsel gehört auch, dass er sich und seine juristische
Leistung nicht jeweils noch extra hervorhebt. Der Applaus nach erfolgreich ver-
laufenen Verhandlungen und Geschäftsabschlüssen gehört in der Regel anderen
im Unternehmen, obschon der Legal Counsel mit seinem Fachwissen und seiner
Erfahrung entscheidend zum Erfolg beigetragen haben kann.
Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem Kanzleianwalt ist,
dass der typische Legal Counsel dank täglichem Einblick in das Unternehmen
auch Erfahrung aufweist bezüglich Lösungsvorschlägen ohne direkten juristi-
schen Bezug. Klassische Kanzleianwälte sind hingegen darauf trainiert, sich bei
der Beratung konsequent an juristisch relevanten Fakten zu orientieren und ent-
lang diesen zu beraten. Ratschläge außerhalb der eigenen Fachkompetenz sollen
dabei möglichst vermieden werden, um das Haftungsrisiko tief zu halten. Daher
ist eine wichtige Charaktereigenschaft des Legal Counsels, dass er gewillt ist, auch
bei noch teilweise unklarer Rechtslage dem Ratsuchenden eine erste Empfehlung
abzugeben und dafür die Verantwortung zu übernehmen. Tut sich ein Jurist mit
dieser Vorgehensweise schwer, so ist er als Legal Counsel in einem Unternehmen
nur beschränkt geeignet.
Der klassische Kanzleianwalt bildet eine Art juristisches Gegenstück zum
typischen Legal Counsel, wobei sich die beiden in der fachlichen Arbeit für ein
Unternehmen hervorragend ergänzen. Der Kanzleianwalt ist regelmäßig auf
wenige Rechtsgebiete fokussiert und kann Fragestellungen entsprechend vertief-
ter beantworten. Dazu erhält er vom Legal Counsel jedoch meist nur diejenigen
578 B. Vassella

Informationen offengelegt, welche zur Klärung der Fragen notwendig sind. Hat
der Kanzleianwalt seine Rechtsanalyse dem Unternehmen übermittelt, erfährt er
vielfach nicht mehr, wie dort auf seine Stellungnahme reagiert wurde und welche
Maßnahmens diese ausgelöst hat.
Diese limitierte Einsicht in Gesamtzusammenhänge ist einer der Gründe, wes-
halb Anwälte nach einiger Zeit in der Kanzlei interessiert sein können, in ein
Unternehmen zu wechseln. Klargestellt ist damit auch, dass die Gesamtverantwor-
tung für ein Rechtsprojekt beim Unternehmen respektive dessen Legal Counsel
verbleibt. Dies übersehen junge Juristen oft, wenn sie vor der Berufswahl stehen.
Ein Kanzleianwalt erhält kaum je die Gelegenheit, ohne die Mitsprache eines Part-
ners eine komplexe Projektleitung übernehmen zu dürfen. Für einen Legal Coun-
sel gehört dies zum täglichen Handwerk.
Die übliche Arbeitsteilung zwischen einem Unternehmen und einer Kanzlei ist
es, sofern nicht einer der Kanzleipartner persönlich involviert wird, dass der von
ihm delegierte Kanzleianwalt vom Legal Counsel oder einer anderen Person aus
diesem Unternehmen instruiert wird. Einen Einblick in das Zusammenspiel der
verschiedenen Funktionen und Bereiche des Unternehmens erhält der Kanzleian-
walt dabei selten bis nie. Diesbezüglich einen Wissensvorsprung haben diejenigen
Kanzleianwälte, welche von ihren Kanzleien in ein Unternehmen entsandt wurden
(sogenanntes „secondment“).
Die weitaus häufigsten Kontaktpersonen eines klassischen Kanzleianwaltes in
den ersten Berufsjahren sind die ihm vorstehenden Kanzleipartner, seine Anwalts-
kollegen sowie Mitarbeitende aus dem administrativen Bereich. Diese drei Funk-
tionen stehen zueinander in der Regel in einem hierarchisch klar gegliederten
Weisungs- und Unterstellungsverhältnis. Rechtsdienste in Unternehmen in der
Schweiz sind zwar auch hierarchisch gegliedert, pflegen jedoch üblicherweise
einen bewusst kameradschaftlichen Umgang über die Führungsstufen hinweg. Der
gemeinschaftliche Hauptzweck des Rechtsdienstes ist die prompte und adäquate
interne Rechtsberatung, während in der Kanzlei der erwirtschaftete Umsatz pro
Anwalt die interne Stellung und das Ansehen maßgeblich beeinflussen.
Kanzleianwälte ohne Vorkenntnisse aus Unternehmen müssen zahlreiche Erfah-
rungswerte nach einem Wechsel in ein Unternehmen zuerst on-the-job sammeln
und verinnerlichen. Ist der vormalige Kanzleianwalt in dieser ausgeprägten Lern-
phase gleichzeitig der erste Legal Counsel im Unternehmen, kann er sich nicht
ersatzweise auf die Berufserfahrung weiterer Legal Counsels im Unternehmen
abstützen. Er wird in unternehmenstypischen Situationen aus dem Bauch her-
aus reagieren müssen statt erfahrungsbasiert agieren zu können. Das mit diesem
Erfahrungsdefizit verbundene Risiko für intern ungeschicktes Verhalten gegenüber
Mitarbeitenden und suboptimale Rechtsberatung trägt das Unternehmen. In der
Regel bleibt dies im Unternehmen unerkannt, weil insbesondere beim ersten Legal
Counsel die Erfahrungswerte intern fehlen, was von ihm vom ersten Arbeitstag an
tatsächlich erwartet werden kann und soll.
Eine von den Auswirkungen her oft unterschätzte, aber sehr wichtige Aufgabe des
ersten Legal Counsels ist es, durch seine Art, wie er Mitarbeitenden im Unterneh-
men begegnet, Goodwill und Vertrauen für die interne Rechtsberatung zu schaffen.
41 Legal Counsel im Unternehmen … 579

Gelingt ihm dies nicht, wird er zunehmend gemieden und bringt so nicht den benö-
tigten Mehrwert für das Unternehmen. Nicht selten wird dann sein Nachfolger einen
von starken Vorurteilen geprägten Einstieg in das Unternehmen erleben. Für eine
rasche und breite interne Akzeptanz ist es daher ein maßgeblicher Vorteil, wenn der
erste Legal Counsel fundierte Unternehmenserfahrung bereits einbringt. Auf Juristen
spezialisierte Personalberater werden keine Mühe haben, veränderungsinteressierte,
lokal ansässige Unternehmensjuristen jederzeit präsentieren zu können.

41.1.4 Muss ein Legal Counsel auch Rechtsanwalt sein

Die Bezeichnungen Rechtsanwalt, Advokat oder Fürsprecher sind die in der


Schweiz gebräuchlichen Fachtitel, welche es einem Juristen erlauben, von Beru-
fes wegen Klienten vor Schweizer Gerichten zu vertreten. Heutzutage werden
gerichtlich relevante Vorfälle von den Unternehmen jedoch meist an spezialisierte
Kanzleianwälte delegiert. Der Legal Counsel spricht dann mit der Kanzlei die Pro-
zessstrategie ab, überwacht die Umsetzung in terminlicher und kostenmässiger
Hinsicht, stellt die unternehmensinterne Beschaffung von Dokumenten sicher und
verantwortet das Reporting an Geschäftsleitung und Verwaltungsrat.
Nach unserer Erfahrung muss ein Legal Counsel nicht zwingend auch Rechts-
anwalt sein, um allseits geschätzte juristische Arbeit in einem Unternehmen leisten
zu können. Basierend auf der fachlichen Kompetenz sind weitere Aspekte wichtig
wie unternehmerisch geprägtes Mitdenken, der Wille, klare Handlungsempfeh-
lungen abzugeben, Kenntnis der vom Management verwendeten Fachbegriffe, die
Fähigkeit zur Erteilung klar abgegrenzter Aufträge an Kanzleianwälte und deren
Führung, das Interesse an den Produkten des Unternehmens oder das Konzipieren,
Präsentieren und budgetgerechte Umsetzen eines Rechtsprojektes über verschie-
dene Jurisdiktionen hinweg.

41.1.5 Im Zweifelsfall zuerst einen berufserfahrenen Interim-


Legal Counsel

Unternehmen sollten aus Kosten- und Effizienzüberlegungen heraus regelmäßig


prüfen, ob sich aufgrund der jährlich anfallenden externen Anwaltskosten und den
sich dabei öfters wiederholenden oder sehr ähnlichen Fragestellungen die Anstel-
lung eines eigenen Legal Counsel finanziell rechnen könnte. Die Erfahrung zeigt,
dass es weitaus mehr juristische und heutzutage insbesondere compliance-re-
levante Arbeiten in Unternehmen gibt, als man auf den ersten Blick vermuten
würde.
Im Zweifelsfall lohnt es sich, einen unternehmenserfahrenen Interim-Legal
Counsel zu engagieren. Dieser kann verlässlich abklären, welche Arbeiten im
Unternehmen sinnvollerweise von einem Legal Counsel auf Voll- oder Teilzeit-
basis erledigen werden sollten. Darüber hinaus kann der Interim-Counsel drin-
gende Arbeiten gleich selbst an die Hand nehmen, weil er über die notwendige
580 B. Vassella

­ rfahrung als Unternehmensjurist verfügt. Mit den gewonnenen Einsichten kann


E
er das Pflichtenheft für den ersten Legal Counsel kompetent aufbereiten. Ein
solcher Interim-Legal Counsel wäre auch in der Lage, das Unternehmen bei der
Beurteilung von Kandidaten in den Bewerbungsgesprächen zu unterstützen.
Ist die Rekrutierung des ersten Legal Counsels im Unternehmen erfolgreich
verlaufen, kann der Interim-Legal Counsel diesen direkt in die Aufgabenfelder
einführen und so die reibungslose Übergabe von Arbeiten und Projekten sicher-
stellen. Er kann den Legal Counsel den Schlüsselpersonen im Unternehmen vor-
stellen und gleichzeitig den Vorgesetzten oder das HR von dieser zeitaufwendigen,
aber notwendigen Arbeit entlasten. Später kann der Interim-Legal Counsel erneut
befristet beim Unternehmen einspringen, zum Beispiel bei Mutterschaftsurlaub,
als Ferienablösung des Legal Counsels oder für ein Projekt, welches vorüberge-
hend zusätzliche juristische Ressourcen erfordert.

41.1.6 Die Unternehmensstrategie beeinflusst das


Anforderungsprofil eines Legal Counsels

Bei der Definition des Anforderungsprofils gilt es, die Strategie des Unterneh-
mens so herunterzubrechen, dass sich daraus die relevanten Fachkenntnisse für
den zukünftigen Legal Counsel ergeben. Die zunehmende Spezialisierung bei den
Juristen führt dazu, dass das über Jahre aufgebaute Fachwissen eines M&A-, IP-,
Litigation- oder Competition-Lawyers so unterschiedlich ausfällt wie zwischen
einem Augenarzt, Herzchirurgen, Neurologen oder Rückenspezialisten. Darum
empfiehlt es sich, bei der Ausarbeitung des Anforderungsprofils insbesondere beim
ersten Legal Counsel eine Fachperson mit juristischem Hintergrund beizuziehen,
die dank persönlicher Berufskenntnis die Erfahrung hat, wie eine Unternehmens-
strategie in juristisches Wissen zu übersetzen ist und welche Herausforderungen
zusätzlich auf den ersten Legal Counsel zukommen können.
So stellt es für die Wahl des fachlich geeigneten Legal Counsels einen erhebli-
chen Unterschied dar, ob das Unternehmen beabsichtigt, inskünftig organisch oder
aber mittels gezielter Akquisitionen zu wachsen oder ob man mittels patentrecht-
lich zu schützender Hightech-Produkte oder durch eine Kostenführerschaft im
Commodity-Bereich zusätzliche Marktanteile gewinnen möchte. Jede dieser Aus-
richtungen verlangt nach anderen juristischen Erfahrungswerten in Bezug auf den
zukünftigen Legal Counsel.
Soll darüber hinaus ein mit noch wenig unternehmensjuristischer Erfahrung
ausgerüsteter Legal Counsel ein gruppenweites Compliance-Programm kon-
zipieren, implementieren und schulen, stößt er mangels praktischer Erfahrung
zwangsläufig bald an seine Grenzen. Im Unternehmen wird dieser Zustand vorerst
unbemerkt bleiben. Werden die Probleme bei der Umsetzung aber erst mal offen-
sichtlich, ist für das Unternehmen der Nachteil bereits entstanden.
Erwarten Sie keine Wunder vom Legal Counsel! Ein Unternehmen sollte bei
der Einstellung eines Legal Counsels nicht darauf spekulieren, dass mit dessen
Einstellung die rechtlichen Probleme vom Tisch sind oder der Legal Counsel alle
41 Legal Counsel im Unternehmen … 581

Rechtsfragen ohne externe Anwälte bearbeiten kann. Auch ein berufserfahrener


Legal Counsel benötigt fallweise externen Support, insbesondere bei Rechtsfragen
im Ausland. Es ist jedoch eine Frage der Erfahrung, wie häufig und vertieft er auf
externe Rechtsberatung zurückgreifen muss und wie er dank geschickter Auftrags-
erteilung diese Kosten tief hält.

41.1.7 Ein ausformuliertes Anforderungsprofil verhindert


Missverständnisse

Ein wichtige Vorarbeit beim Erstellen des Anforderungsprofils des ersten Legal
Counsels ist es, potenzielle interne Kunden nach deren Rechtsberatungsbe-
dürfnissen zu befragen. Alle, ob Präsident des Verwaltungsrates, Mitglieder der
Geschäftsleitung und sonstige Verantwortliche aus HR, Finanzen, Einkauf, Ver-
kauf oder Produktion, sollten ihre Erwartungen formulieren dürfen. Denn ihnen
allen soll der Legal Counsel inskünftig als erste Anlaufstelle bei Rechtsfragen die-
nen. Mit dieser Vorgehensweise wird im Unternehmen zudem frühzeitig signali-
siert, dass die Suche nach einem eigenen Legal Counsel begonnen hat. Basierend
auf den eruierten Rechtsbedürfnissen erfolgt schließlich der Feinschliff des Anfor-
derungsprofils in Abstimmung mit der Unternehmensstrategie. Daraus ergeben
sich wiederum die Fachkenntnisse, die ein Legal Counsel beherrschen muss, um
den internen Erwartungen und Bedürfnissen möglichst gerecht werden zu können.
Dabei gilt es bei der Selektion potenzieller Kandidaten stets zu bedenken, dass
Legal Counsels aus den Bereichen Industrie, Dienstleistung und Handel hinsicht-
lich dem Tagesgeschäft grundlegend andere rechtliche Erfahrungen mitbringen
als Legal Counsels aus den Branchen Bank oder Versicherung. Möchte ein Legal
Counsel von der Bank oder Versicherung in eine der drei erstgenannten Bran-
chen und vice versa wechseln, so beginnt er fachspezifisch praktisch bei Null. Ein
solcher Branchenwechsel ist zwar für den Legal Counsel spannend und heraus-
fordernd. Für das Unternehmen bedeutet es, dass es während der Lern- und Einar-
beitungszeit des branchenfremden Legal Counsels nur beschränkten Nutzen aus
dessen bisheriger Berufserfahrung schöpfen kann.

41.2 Suchen – Wie findet ein Unternehmen den fachlich


geeigneten Legal Counsel

41.2.1 Direkte Suche von Kandidaten durch das Unternehmen

Die Direktsuche durch das Unternehmen macht vor allem dann Sinn, wenn das
Fachwissen intern vorhanden ist, um die juristische Qualität der eingehenden
Bewerbungen beurteilen zu können.
Entscheidet sich ein Unternehmen für die Direktsuche via Inserat, sollte man
sich im Klaren sein, dass eine überwiegende Mehrheit der angestellten Legal
Counsels und Kanzleianwälte loyal zu deren Arbeitgeber steht und dadurch trotz
582 B. Vassella

potenzieller Offenheit für eine neue berufliche Herausforderung ein ausgeprägtes


Bedürfnis nach Diskretion hat. Sie werden sich daher nur ungern unter Offenle-
gung ihres Namens auf ein Inserat bewerben. Besonders stark trifft diese Haltung
auf Legal Counsels aus derselben Branche wie das direkt inserierende Unter-
nehmen zu. Der Respekt, dass branchenintern etwas zum eigenen Unternehmen
durchsickern könnte, ist vielfach zu groß. Nachdem Unternehmen manchmal
wochenlang erfolglos inseriert haben, vergeben diese den Rekrutierungsauftrag
schließlich extern. Daraufhin gezielt angesprochene Kandidaten bestätigen immer
wieder, dass sie das betreffende Stelleninserat gelesen haben und ihr Interesse
geweckt worden sei. Aber erst die Ansprache durch eine neutrale Person, welche
ihre Anonymität sicherstellen und die wichtigsten Fragen vorab fundiert beant-
worten konnte, habe sie zur Bewerbung motiviert. Die Bewerberauswahl aufgrund
eines Inserates entspricht erfahrungsgemäss bei weitem nicht dem effektiven
Potenzial an interessierten Kandidaten mit dem passenden Erfahrungsprofil.
Um das Risiko einer Fehlbesetzung zu minimieren, müssen die eingehenden
Bewerbungen im Unternehmen in fachlicher Hinsicht fundiert beurteilt werden
können. Ein Lebenslauf fasst zwar die beruflichen Stationen und die damit verbun-
denen Aufgaben übersichtsmässig zusammen. Was ein Kandidat aber tatsächlich
an Fachlichem persönlich geleistet und verantwortet hat, lässt sich nur selten direkt
ableiten und muss gezielt nachgefragt werden. Dies wiederum verlangt das spezi-
fische Wissen, welche Besonderheiten ein juristisches Thema überhaupt beinhaltet.
So ist es ein maßgeblicher Unterschied für eine spätere, effiziente Implementie-
rung im Unternehmen, ob ein Bewerber das im Lebenslauf erwähnte Complian-
ce-Programm tatsächlich eigenverantwortlich konzipiert und geschrieben hat oder
ob er basierend auf bestehenden Compliance-Unterlagen einzelne Kapitel für sei-
nen Vorgesetzten überarbeiten und diesem zur Kontrolle vorlegen musste.
Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist die von General Counsels wie-
derholt aufgebrachte Diskrepanz zwischen der fachlichen Beurteilung von Bewer-
bungsdossiers durch diese selbst respektive die Vorselektion durch eine juristisch
unerfahrene Person. Die häufig zu wenig kritische Haltung bezüglich des tatsäch-
lich vorhandenen Fachwissens eines Bewerbers hat dazu geführt, dass einige die-
ser General Counsels trotz des Mehraufwandes die Vorselektion der eingehenden
Bewerbungen wieder selber vornimmt.
Aus Unternehmenssicht ist die von diesen General Counsels aufgeworfene Dis-
krepanz bei der internen Vorbeurteilung von Bewerbungen bedenklich. Denn ein
zwischenmenschlich überzeugender, fachlich jedoch ungenügender Legal Counsel
kann durch sein mangelhaftes Wissen später kostenrelevante Probleme im Unter-
nehmen verursachen, statt solche eben zu vermeiden.

41.2.2 Empfehlung von Kandidaten durch Mitarbeitende oder


die Hauskanzlei

Kandidaten, welche von Mitarbeitenden des Unternehmens, die selber keine juris-
tische Erfahrung haben, für eine ausgeschriebene Stelle empfohlen werden, sind
41 Legal Counsel im Unternehmen … 583

besonders kritisch auf deren fachliche Qualität zu prüfen. Es steht auch der Ruf
des empfehlenden Mitarbeitenden auf dem Spiel, wenn es später wegen ungenü-
gender Fachkenntnisse zur Trennung von diesem Kandidaten kommt. Auf eine
Stelle fachlich tatsächlich passende Spontanempfehlungen sind nach meiner
Erfahrung ein Glücksfall.
Mehr Erfolg kann die Vermittlung eines unternehmenserfahrenen Juristen durch
die „Hauskanzlei“ des Unternehmens bringen. Diese hat einen konkreten fachli-
chen Bezug zu den Rechtsbedürfnissen des Unternehmens und kann so eine fun-
diertere Vorselektion treffen. Aufgrund der bereits erwähnten vielschichtigen
Herausforderungen an einen Legal Counsel ist eine kritische Prüfung des Kandi-
daten aber auch hier zu empfehlen. Schlägt die „Hauskanzlei“ einen der eigenen
Kanzleianwälte als ersten Legal Counsel im Unternehmen vor, so sei auf die Aus-
führungen zu den Unterschieden zwischen einem Legal Counsel und einem Kanz-
leianwalt hingewiesen. Den dort dargelegten Aspekten sollte bei der Beurteilung
eines solchen Kandidaten besondere Beachtung geschenkt werden.

41.2.3 Kandidatensuche über Personalberater ohne klare


Spezialisierung auf Juristen

Selbst bei latenter Veränderungsbereitschaft bewerben sich Juristen in ungekün-


digtem Arbeitsverhältnis erfahrungsgemäss zurückhaltend auf ein Stelleninserat.
Ein maßgeblicher Grund dafür ist die Befürchtung, dass etwas an den eigenen
Arbeitgeber durchsickern könnte. Dieser Bewerbungshürde wird mit dem Beizug
eines Personalberaters als neutralem Dritten entgegengewirkt. Dieser kann unter
eigenem Namen das Stelleninserat platzieren und, sofern er Einblick in den juris­
tischen Kandidatenmarkt hat, parallel Unternehmensjuristen direkt ansprechen
respektive Kanzleien nach veränderungsinteressierten Anwälten absuchen. Unge-
löst bleiben dabei für das auftraggebende Unternehmen jedoch zwei Herausforde­
rungen. Wer bereitet das Anforderungsprofil für den Legal Counsel fachlich auf
und wer prüft fundiert die juristische Qualität der eingereichten Bewerbungen,
wenn der beigezogene Personalberater selber kein Jurist ist?
Es liegt auf der Hand, dass unter solchen Voraussetzungen ein massgeblicher
Teil der eigentlichen Rekrutierungsarbeit, wie die Erarbeitung des Anforderungs-
profils oder die fachlich fundierte Auswahl der Bewerbungen, letztlich am HR
oder am Vorgesetzten dieser Position hängen bleiben. Die Vorteile des Beizugs
eines nicht auf Juristen spezialisierten Personalberaters sind nach meiner Erfah-
rung als vormaliger General Counsel und dem wiederholten Aufbau von Rechts-
diensten unter Kosten-Nutzen-Aspekten sehr limitiert. Wer den juristischen
Kandidatenmarkt nicht aus der täglichen Arbeit heraus kennt und die Besonder-
heiten der einzelnen juristischen Fachrichtungen nicht versteht, schafft nur sehr
beschränkt einen Mehrwert für den Kunden. Denn es bleibt letztlich am Unterneh-
men hängen, trotz bezahltem Support durch den Personalberater die eigentliche
Knacknuss einer juristischen Rekrutierung – nämlich die Prüfung der tatsächlich
vorhandenen fachlichen Eignung eines Kandidaten – selber beurteilen zu müssen.
584 B. Vassella

Ein nicht zu unterschätzender Einflussfaktor bei extern vergebenen Rekru-


tierungen ist, dass Juristen es gewohnt sind, in Umgebungen mit einer qualitativ
hohen Erwartungshaltung zu arbeiten. Diese Haltung überträgt sich gelegentlich
auch auf die Erwartungen an die Auskunftsfähigkeit eines Personalberaters zu der
von ihm präsentierten Stelle. So werden Personalberater, die lediglich das publi-
zierte Inserat oder ein vorgegebenes Anforderungsprofil zitieren können, rasch
einmal abgewimmelt. Es könne doch nicht sein, so Kandidaten, dass ein Personal-
berater nicht in der Lage sei, auch fachlich relevante Fragen zu einer Stelle beant-
worten zu können. Von solchen Reaktionen erfährt der Auftraggeber jedoch kaum
je etwas. Insbesondere Juristen mit langjähriger Berufserfahrung empfinden es
teilweise als geradezu unseriös vom auftraggebenden Unternehmen, wenn dieses
die Suche einem Personalberater ohne juristische Kenntnisse übertrage. Da werde
man als Jurist in diesem Unternehmen doch nicht wirklich ernst genommen, wenn
es bei der Wahl des Personalberaters offenbar schon keine Rolle spiele, ob dieser
von der Position fachlich etwas verstehe oder nicht.

41.2.4 Kandidatensuche über Personalberater mit


ausdrücklicher Spezialisierung auf Juristen

Der Beizug eines auf Juristen spezialisierten Personalberaters verschafft dem auf-
traggebenden Unternehmen optimale Entlastung bei qualitativ überdurchschnitt-
lichem Suchergebnis. Um dies gewährleisten zu können, befasst sich der wahre
Spezialist täglich mit juristischen Kandidaten und pflegt diese Kontakte auch ohne
einen Kundenauftrag. Allein so kann er sicherstellen, für beinahe jedes juristische
Anforderungsprofil jederzeit mehrere bestens qualifizierte Kandidaten präsentieren
zu können.
Was den auf Juristen spezialisierten Personalberater von anderen Personalbe-
ratern grundsätzlich unterscheidet, ist dessen juristische Ausbildung und seine
Berufserfahrung als vormaliger Jurist idealerweise in Kanzlei und Unternehmen.
Darauf basiert sein maßgeblicher Zusatznutzen für den Auftraggeber, indem er den
Stellenbeschrieb fachlich fundiert erstellen sowie Kandidaten qualitativ verlässlich
vorselektionieren und dem Auftraggeber über das Juristische hinausgehende Ein-
satzmöglichkeiten des Legal Counsels aufzeigen kann.
Der spezialisierte Personalberater findet potenzielle Kandidaten ohne Inserat
dank seiner eingehenden Kenntnis des Juristenmarktes und einer fortlaufend aktu-
alisierten Datenbank. Ein Inserat platziert er allenfalls aus Gründen des Eigenmar-
ketings oder spezifisch auf Kundenwunsch hin.
Mit dem Beizug von Personalberatern ist das Problem gelöst, dass Kandida-
ten deren Namen nicht direkt dem eigentlichen Auftraggeber offenlegen müssen.
Darüber hinaus kann der auf Juristen spezialisierte Personalberater vermeintlich
nebensächliche Aspekte einer Legal-Position dank seiner Erfahrung gleich beim
ersten Kontakt mit einem Interessenten klären. So erkennt er rasch, ob tatsächlich
eine Veränderungsbereitschaft besteht, ohne den Namen des Unternehmens offen-
gelegt zu haben. Dieses Herantasten an einen Kandidaten schützt auch die Vertrau-
lichkeit und Reputation des Auftraggebers.
41 Legal Counsel im Unternehmen … 585

Den wohl wichtigsten Beitrag für seinen Auftraggeber leistet der auf Juristen
spezialisierte Personalberater, indem er die fachliche Qualifikation jedes Bewer-
bers eingehend abklärt, bevor er dessen Dossier an den Auftraggeber weiterreicht.
Seine Erkenntnisse hält er in einem Report fest, dessen inhaltliche Qualität es dem
Auftraggeber erlaubt, innert kürzester Zeit sämtliche Bewerbungsdossiers verglei-
chen und entscheiden zu können, welchen der Kandidaten er zuerst kennenlernen
möchte. Durch die fundierte Vorarbeit des Spezialisten verschafft sich der Auftrag-
geber zudem mehr Zeit im ersten persönlichen Interview mit dem Kandidaten, um
nebst fachlichen auch zwischenmenschliche und unternehmenskulturelle Aspekte
in Ruhe erörtern zu können.
Der auf Juristen spezialisierte Personalberater kann zur Überbrückung einer
temporären juristischen Vakanz oder eines kurzfristigen Ressourcen-Engpasses
in der Regel auch erfahrene Interim-Legal & Compliance Counsels präsentie-
ren. Dabei sollte jedoch beachtet werden, dass der betreffende Personalberater
oder die sich direkt anbietenden Interim-Counsels über alle hierzu erforderlichen
Verleih-Bewilligungen verfügen. So muss etwa in der Schweiz eine sehr hohe
Verleih-Kaution zur vorsorglichen Absicherung sozialversicherungsrechtlicher
Ansprüche bei den kantonalen Behörden hinterlegt sein. Ansonsten riskiert der
Auftraggeber, später hierfür noch Nachzahlungen leisten zu müssen, wenn der
Interim-Counsel die Zahlung der Sozialabgaben unterlassen hatte.
Als Auftraggeber empfiehlt es sich, ebenfalls zu klären, ob der beauftragte
Personalberater alleine agiert oder zusätzlich in ein auf Legal & Compliance
Recruitment spezialisiertes Netzwerk eingebunden ist. In letzterem Fall kann der
vernetzte Personalberater bei Bedarf rasch qualifizierte Kandidaten auch aus dem
Ausland für eine lokale Stelle präsentieren. Muss das Unternehmen eine juristi-
sche Stelle im Ausland besetzen, kann derselbe Personalberater über sein professi-
onelles Netzwerk die juristische Rekrutierung im Ausland koordinieren. In beiden
Fällen spart sich das Unternehmen maßgeblich Zeit und Aufwand, weil es die Ins-
truktion der Beteiligten und die Überwachung der Rekrutierung auch im Ausland
nun seinem mit dem Unternehmen bereits vertrauten lokalen Personalberater über-
lassen kann.
Der auf Juristen spezialisierte Personalberater kann alle zur Besetzung eines
Rechtsdienstes notwendigen Fachpositionen vom General Counsel bis zum Para-
legal aus einer einzigen Hand und mit der notwendigen juristischen Fachkenntnis
rekrutieren und bietet dadurch einen klaren Mehrwert.

41.3 Integrieren – Wie findet der erste Legal Counsel im


Unternehmen rasch Akzeptanz

41.3.1 Wichtiger Integrationsfaktor – die Vorarbeit von


Human Resources und der Geschäftsleitung

Die Gefahr gegenseitig enttäuschter Erwartungen und Hoffnungen sowie das


damit verbundene vorzeitige Ausscheiden des ersten Legal Counsels aus dem
586 B. Vassella

Unternehmen ist nie auszuschließen, kann aber insbesondere auf Seite des Unter-
nehmens durch vorbeugende Maßnahmen reduziert werden.
Bereits im ersten Interview mit Kandidaten für die Legal Counsel Position
sollten die Grundwerte des Unternehmens inklusive die Erwartungen an das Ver-
halten der Mitarbeitenden in Sachen Compliance klar zum Ausdruck gebracht
werden. Idealerweise gehören diese Ausführungen zum festen Bestandteil der vom
HR betreuten Themen. Dazu gehört auch, basierend auf vorbereiteten Complian-
ce-Musterfällen, die Beurteilung der persönlichen Einstellung eines Kandidaten
in solchen Situationen sowie dessen konkreten Verhaltensempfehlungen. Dieser
Check ist umso bedeutsamer, als Geschäftsleitung und Mitarbeitende später in
compliance-kritischen Situationen erfahrungsgemäss den Legal Counsel um Rat
angehen werden. Er wird maßgeblichen Einfluss auf das interne Verhalten haben
und muss daher klar auf einer Linie mit den Vorgaben im Unternehmen sein.
Ebenso sollten im ersten Interview die internen Erwartungen insbesondere
an den ersten Legal Counsel sowie allfällige kritische Voten oder gar Vorbehalte
gegen die Anstellung eines Legal Counsels offen dargelegt werden. Kandidaten,
welche sich von solch kritischen Stimmen nicht sichtlich positiv herausgefordert
fühlen, sind erfahrungsgemäss keine „Aufbau-Typen“ und nur beschränkt für eine
solche Position geeignet.
Alleine mit diesen wenigen Maßnahmen kann das HR einen wesentlichen Bei-
trag für eine nachhaltige Anstellung leisten. Der vorzeitige Abgang insbesondere
des ersten Legal Counsels hinterlässt im Unternehmen vielfach einen schalen Bei-
geschmack und den Eindruck, dass es schwierig sei, einen Juristen zu integrieren.
Wird später erneut ein Legal Counsel angestellt, so muss dieser nebst der Bewäl-
tigung der aufgelaufenen juristischen Arbeiten auch noch gegen diese Vorurteile
ankämpfen. Dies kann eine rasche und erfolgreiche Integration spürbar verzögern.
Wenn nicht bereits erfolgt, sollten spätestens zu diesem Zeitpunkt die Mitglieder
der Geschäftsleitung den Mehrwert eines eigenen Legal Counsels in deren Berei-
chen klar kommunizieren und die Mitarbeitenden zur wohlwollenden Kooperation
mit dem neuen Legal Counsel auffordern.
Wurden die Grundwerte und Prinzipien des Unternehmens oder das Verhalten
in heiklen Situationen mit dem Kandidaten nicht im Rekrutierungsprozess ein-
gehend besprochen, so sollte dies spätestens zu Beginn der Probezeit nachgeholt
werden. Beispielsweise muss sich ein Legal Counsel vor der erstmaligen internen
Beratung eines Verkaufsvertrages schon im Klaren sein, wie umfassend Haftungs-
risiken übernommen werden dürfen, ohne gegen interne Vorgaben zu verstoßen.
Diese Risikovorgaben hat er im entsprechenden Verkaufsvertrag auch gegen all-
fällige Widerstände aus den eigenen Reihen sicherzustellen. Kennt er solche
Vorgaben des Unternehmens hingegen nicht, wird die Formulierung der Haftungs-
klauseln von seiner persönlichen Risikobereitschaft abhängen, die weit über das
hinausgehen kann, was die Geschäftsleitung zu akzeptieren bereit gewesen wäre.
Weitere vorsorgliche Maßnahmen des HR für eine nachhaltige Integration des
ersten Legal Counsels im Unternehmen können sein: Das Einholen eines Straf-
und Betreibungsregisterauszuges, das Arrangieren eines Gesprächs des ­Kandidaten
41 Legal Counsel im Unternehmen … 587

mit dem Vorgesetzten des Vorgesetzten für diese Position, das direkte Einholen
von Referenzauskünften bei Drittpersonen, aber auch die gezielte Durchsicht der
Arbeitszeugnisse nach seltsamen Formulierungen und auffälligen Stellenwechseln.

41.3.2 Die Einführung des Legal Counsels an Meetings der


Geschäftsbereiche

Der erste Legal Counsel im Unternehmen bearbeitet vielfach Rechtsfragen aus


allen Geschäftsbereichen. Daher ist es wichtig, dass er deren Schlüsselpersonen
rasch kennenlernt. Dazu eignen sich persönliche Vorstellungen an Meetings der
Geschäftsbereiche besonders gut. Der vom Leiter Beschaffung, vom Leiter Ver-
kauf oder von CEO und CFO präsentierte Legal Counsel kann so innert kürzester
Zeit wertvolle Direktkontakte knüpfen und Vorurteilen gegenüber seiner Funktion
oder seiner Person aktiver entgegenwirken.

41.3.3 Der wichtigste Sparringpartner des Legal Counsels –


sein Vorgesetzter

In den ersten Monaten der Anstellung besteht für den Legal Counsel eine der
­Herausforderungen darin, unterscheiden zu lernen, welche der ihm übertragenen
Aufgaben tatsächlich in seinen Verantwortungsbereich fallen und welche Arbeiten
an ihn in der stillen Hoffnung delegiert werden, dass er sich als Neuling nicht dage-
gen wehre, obschon es nicht seine Aufgabe wäre. Dabei kann es sich beispiels-
weise um den von einem Verkäufer seit Wochen unbearbeiteten Auftrag handeln,
alle original unterzeichneten Verkaufsverträge einer bestimmten Region zusam-
menzustellen. Weil die Abgabefrist unmittelbar bevorsteht, delegiert der Verkäufer
kurzerhand den Auftrag an den neuen Legal Counsel. Als Grund gibt er an, weil
es sich um Verträge handle, sei dies eine Aufgabe der Rechtsabteilung. In solchen
Situationen muss ein Legal Counsel mit sicherem Gefühl entscheiden können, ob
er den Auftrag annimmt oder an den betreffenden Verkäufer zurückweist.
Daher ist es wichtig, dass ein Vorgesetzter besonders in der Probezeit und in
den Wochen danach regelmäßig mit dem Legal Counsel dessen Aufträge und Mit-
arbeit in Projekten bespricht und sich die gesetzten Prioritäten begründen lässt.
Er sollte dem Legal Counsel aufgrund seiner Kenntnisse der Gegebenheiten im
Unternehmen helfen, Wichtiges von Unwichtigem und Dringliches von weniger
Dringlichem unterscheiden zu können. Dazu gehört auch, beim Legal Counsel ein
Gefühl dafür zu entwickeln, wann dieser zu einem Auftrag Nein sagen darf oder
sogar muss.
Der Sparringaufwand des Vorgesetzten fällt deutlich geringer aus, wenn der
neue Legal Counsel bereits über Berufserfahrung aus einem Unternehmen verfügt
und daher weiss, wie ein solches funktioniert.
588 B. Vassella

41.3.4 Ein Einführungsplan, begleitetes Vorstellen und ein


vorbereiteter Arbeitsplatz

Für die rasche und erfolgreiche Integration des ersten Legal Counsels im Unter-
nehmen ist ein durchdachter Einführungsplan von zentraler Bedeutung. Dieser
sollte zwischen dem Vorgesetzten des Legal Counsels sowie dem HR abgespro-
chen sein. Als besonders effektiv erwiesen hat es sich, wenn der Vorgesetzte sei-
nen Legal Counsel persönlich zu den Schlüsselpersonen begleitet und diese
miteinander bekannt macht. Idealerweise geschieht dies in den ersten zwei
Wochen nach Arbeitsantritt.
Es klingt belanglos, aber ein vorbereiteter Arbeitsplatz mit Schreibutensilien,
funktionierender Telefonnummer, einem angeschlossenen Computer, richtiger
Passwortzuteilung sowie Visitenkarten mit der korrekten Funktionsbezeichnung
schaffen enorm Goodwill. Denn eigentlich wünscht sich der Legal Counsel ja
nichts anderes, als raschmöglichst mit seiner Arbeit beginnen zu können.

41.3.5 Der eigene Legal Counsel im Unternehmen – ein


Mehrwert

Erhält ein Legal Counsel schon kurz nach seiner Einstellung rechtliche Anfragen
aus den Geschäftsbereichen und wird als Rechtsberater in deren Projekte einge-
bunden, dann ist dies ein gutes Zeichen dafür, dass er es schafft, das Vertrauen der
Mitarbeitenden für sich zu gewinnen. Es bedeutet aber auch, dass Mitarbeitende
von eigenen, oft zeitraubenden Rechtsabklärungen nunmehr entlastet sind und
wieder mehr Zeit für deren eigentliche Kernaufgaben haben. Ein wichtiger Mehr-
wert ist so für das Unternehmen bereits erzielt. Und wer weiss, vielleicht wird
gelegentlich noch ein zweiter Legal Counsel eingestellt. Spätestens dann darf der
erste Legal Counsel mit gutem Gewissen behaupten, dass sein Unternehmen den
Mehrwert eines eigenen Legal Counsels erkannt hat.

Über den Autor


Boris Vassella – Geschäftsführer Legaljob GmbH, Zürich
lic. iur., Universität Zürich 1991. Zusatzausbildungen in Unternehmensführung und Controlling.
Wiederholter Aufbau der Bereiche Legal & Compliance als General Counsel sowie Company
Secretary in international tätigen Konzernen und KMU. Generalsekretär in börsenkotiertem
Unternehmen mit Verantwortung u. a. für HR. Geschäftsführer einer Schweizer Grosskanzlei.
Heute spezialisiert auf das Rekrutieren von Fachkräften in den Bereichen Legal, Compliance &
Tax für ­börsenkotierte und private Unternehmen, Kanzleien sowie Family Offices. Gründer der
Kandidatenplattform LEGALPEOPLE.ch.
Legal Counsel im Unternehmen:
Entwicklungsmöglichkeiten und 42
Karriere
Bruno Mascello

42.1 Einleitende Überlegungen

Die im Jahr 2015 in Deutschland durchgeführte azur-Associate-Umfrage bei jun-


gen Juristen aus Kanzleien, Unternehmen und der Verwaltung zeigt, dass gut 40 %
der Teilnehmer ihren Arbeitgeber für mehr Freizeit oder eine bessere Vereinbarkeit
von Beruf und Familie wechseln würden. Den Juristen ist auch eine anspruchsvolle
Arbeit wichtig. Bessere Aufstiegschancen haben nur für jeden sechsten Befragten
Priorität. Ebenfalls nur jeder Sechste nannte die Partnerschaft in einer Kanzlei als
oberstes Karriereziel, und selbst im sechsten Berufsjahr geben nicht einmal ein
Drittel der Befragten dieses Ziel an. Wichtiger ist den Associates vielmehr ein
ordentliches Gehalt, eine gute Aus- und Weiterbildung und eigenverantwortliche,
interessante Arbeit.1 Aufgrund dieses Ergebnisses stellt sich die Frage, ob eine
Karriere in einem Unternehmen diese Bedürfnisse der Juristen besser befriedigen
kann, und ob dort andere Fähigkeiten gefragt sind. Nachfolgend sollen insbeson-
dere zwei Punkte adressiert werden: die Relevanz nicht-juristischer Fähigkeiten im
heutigen Arbeitsumfeld eines Juristen und dessen Auswirkungen auf die Entwick-
lungsmöglichkeiten für einen Legal Counsel in einem Unternehmen.

1JUVE Rechtsmarkt 05/2015, S. 6.

B. Mascello (*)
Executive School of Management, Technology and Law, Universität St.Gallen HSG,
St.Gallen, Schweiz
E-Mail: bruno.mascello@unisg.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 589


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_42
590 B. Mascello

42.2 Zur Relevanz nicht-juristischer Fähigkeiten für


Juristen

Martin Luther wird folgendes Zitat zugeschrieben: „Der Jurist, der nicht mehr
ist als ein Jurist, ist ein arm Ding.“ Daran anknüpfend soll hier untersucht wer-
den, welche Erwartungen ein Kunde heute an einen Legal Counsel und General
Counsel stellt und welche neuen Entwicklungsmöglichkeiten für den Juristen
damit verbunden sind. Um als Legal Counsel bzw. General Counsel die an eine
interne Rechtsabteilung gestellten Erwartungen erfolgreich und zur Zufrieden-
heit des internen Kunden erfüllen zu können, reicht es nicht mehr aus, sich auf
die bloße Beantwortung rechtlicher Fragestellungen aus fachlich-juristischer Sicht
zu beschränken. Denn der Legal Counsel ist gleichzeitig immer beides: juristi-
scher Berater und Mitglied eines business teams. Und insbesondere in der zweiten
Rolle sind andere als rein juristische Fähigkeiten gefragt. Die Problemstellungen
des Kunden sind heute überdies nicht nur vielfältiger, sondern auch internationa-
ler, komplexer und differenzierter geworden, und die juristischen Berater müssen
sich dieser Dynamik anpassen. Die wechselnden Einflüsse bei den Kunden sind in
ihrer täglichen Beratung mit zu berücksichtigen. Schließlich wird zusehends lauter
gefordert, dass die Rechtsabteilungen vermehrt auch unter betriebswirtschaftlichen
und operativen Gesichtspunkten richtig geführt werden und ihren Beitrag an die
Effizienzsteigerung des gesamten Unternehmens leisten müssen.
Die steigende Komplexität und Verquickung von wirtschaftlichen mit recht­
lichen Fragestellungen führt dazu, dass an die Rechtsberater höhere Erwartungen
gestellt werden. Eine wirkungsvolle Beratung kann nur derjenige Jurist erbringen,
der die wirtschaftlichen Unternehmenszusammenhänge kennt, diese in den recht-
lichen Kontext zu setzen weiß und auf diese Weise dem Kunden eine Nutzen
stiftende und wertschöpfende Dienstleistung erbringt. Dies erfordert neben der
juristischen Expertise auch zunehmend betriebs- und volkswirtschaftliches Know-
how, vor allem jedoch die Fähigkeit, wirtschaftliche und juristische Sachverhalte
und Problemstellungen integrativ zu betrachten und effizient zu managen. Hierzu
gehört auch der Anspruch, die eigene Leistung in Form von Zahlen, zum Beispiel
key performance indicators (siehe dazu auch Kap. 40), ausdrücken zu können. Der
Legal Counsel wird im Unternehmen neben seiner fachlichen Beratung in Rechts-
fragen zunehmend auch als Manager gefragt.2 Überdies wird dem General Coun-
sel vermehrt auch „ein Platz am Tisch“ der Geschäftsführung angeboten und er
muss seine Leistungen dem Verwaltungs- und Aufsichtsrat – unter Berücksichti-
gung der Unternehmensstrategie – präsentieren können.3 Entsprechend hat sich
das Anforderungsprofil an Legal Counsel und General Counsel verändert. Dieses
verlangt nicht nur nach Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an Veränderungen,
sondern eröffnet insbesondere auch neue Chancen und Karrieremöglichkeiten.

2Henning (2011, S. 37 und 45).


3Umgangssprachlich wird das als sogenanntes „Board Standing“ umschrieben.
42 Legal Counsel im Unternehmen: Entwicklungsmöglichkeiten und Karriere 591

Abb. 42.1  Traditioneller Aus- und Weiterbildungsweg

42.3 Der traditionelle Weg der juristischen Weiterbildung

Schaut man sich den klassischen Aus- und Weiterbildungsweg eines Anwalts „mit
voller Kriegsbemalung“4 an, folgt dieser wie in Abb. 42.1 dargestellt, regelmäßig
eindimensional der fachlich-juristischen Achse.
Nach einer universitären Basisausbildung (Bachelor/Master; in Deutschland
1. Staatsexamen) wird oft – in der Regel nach Absolvierung einer Praktikumszeit
bei Gerichten, in der Verwaltung und/oder in einer Anwaltskanzlei – die Zulassung
als Anwalt (in Deutschland 2. Staatsexamen) angestrebt. In akademischer Hinsicht
folgt, sofern dies nicht bereits vorher gemacht wurde, oft noch eine Promotion
und/oder ein Masterstudium im Ausland (Master of Laws, LL.M.). Das Erforder-
nis und der Wert von Letzterem werden insbesondere angesichts der damit verbun-
denen hohen Kosten regelmäßig diskutiert. Ist dieses ganze Programm absolviert,
folgen anschließend fachliche Weiterbildungen auf Kongressen und Seminaren
sowie Spezialisierungen in einem juristischen Fachbereich. In Ausnahmefällen fin-
det zum Beispiel eine Vertiefung als Steuer- oder Wirtschaftsexperte statt. Einen
Glücksfall bezüglich der breiteren Ausbildung stellen all jene „spätberufenen“
Juristen dar, die das Studium der Rechtswissenschaften erst nach Ablegen eines
anderen Erststudiums (zum Beispiel als Ingenieur oder Mediziner) angehängt
haben.
Dieser klassische Aus- und Weiterbildungsweg für Juristen wird von den Kun-
den immer mehr herausgefordert, weil er den künftigen Rechtsanwalt oder Legal
Counsel nicht optimal auf den Verkehr mit Mandanten und internen Kunden (vor
allem auf Vorstandsniveau) vorbereitet. Zudem kommen in der Regel wichtige

4Dazu zählen ein juristisches Studium mit erstklassigem Abschluss (Prädikat), die Zulassung als
Anwalt (in Deutschland: zweites Staatsexamen), die Promotion und ein juristischer Masterab-
schluss an einer angelsächsischen Universität.
592 B. Mascello

Bereiche, wie die Lösung interdisziplinärer Fragestellungen und ganz allgemein


die Befähigung für Führungsaufgaben, zu kurz. Es stellt sich deshalb die Frage,
welche Fähigkeiten noch erforderlich sind, um als Anwalt in einer Kanzlei oder
als Legal Counsel im Unternehmen die Arbeit heute (besser) ausführen und gegen-
über dem kritischen Urteil des Kunden bestehen zu können.

42.4 Weiterbildung in Betriebs- und Volkswirtschaft und


Verbesserung der Soft Skills

Fragt man heute Klienten und Kunden, die Rechtsdienstleistungen bei Anwälten
und anderen juristischen Dienstleistern einkaufen, was sie von diesen erwarten,
erscheinen regelmäßig betriebswirtschaftliche und Branchenkenntnisse im Anfor-
derungsprofil. Auf die Frage an General Counsel in Deutschland, welche Rolle
ihre Rechtsabteilung im Unternehmen einnimmt, wurde unter anderem geantwor-
tet, dass Legal Counsels allgemeine Problemlöser jenseits juristisch-fachlicher
Aufgaben sein müssen und laufend höhere Anforderungen an ihre wirtschaftlichen
Qualifikationen gestellt werden.5
Auf die Frage, welche Maßnahmen die externen Kanzleien ergreifen soll-
ten, um die Qualität der Zusammenarbeit mit den Rechtsabteilungen zu stärken,
nannten die General Counsel bereits an zweiter und dritter Stelle (nach der nicht
überraschenden Nennung der Kostenreduzierung) die „Verbesserung des Bran-
chen-Know-hows, wirtschaftlich und juristisch“ und ein „besseres Verständnis
der wirtschaftlichen Anforderungen“.6 Das hat zur Folge, dass sich Juristen über
die ursprünglich eindimensionale Konzentration auf juristisch-fachliche Kennt-
nisse auch in anderen Bereichen aus- und weiterbilden müssen, wenn sie den
heutigen Kundenanforderungen genügen wollen. Gefordert wird deshalb eine
Wissenserweiterung in die Breite, wie sie in Abb. 42.2 durch die „T-Form“ abge-
bildet wird.
Diesem Kundenwunsch haben sich einige Universitäten bereits angenommen.7
Auch einige der größten Anwaltskanzleien sind dem Ruf gefolgt und bilden vor
allem ihre jungen Anwälte systematisch in nicht-juristischen Fächern wie Betriebs-
wirtschaft (BWL) und Volkswirtschaft (VWL) weiter. Darüber hinaus wird ein
Schwerpunkt auf die Verbesserung von Soft Skills gelegt, was diesen vor allem bei
Verhandlungen und im Kundenkontakt, respektive bei der Mandatsarbeit Nutzen

5Henning (2013, S. 44 f. und 46 f.); Henning (2015, S. 40 und 42).


6Henning (2013, S. 154 f.); vgl. auch Henning (2015, S. 32).
7So bietet zum Beispiel die Universität St.Gallen (HSG) dem interessierten Juristen den Wei-

terbildungslehrgang „Management for the Legal Profession (MLP-HSG)“ an, in welchem Fra-
gen in den Bereichen Strategie, Kundenorientierung, Leadership, Geschäftsmodelle, Legal Risk
Management, Soft Skills, Accounting und Finance – mit Blick auf Rechtsdienstleister – behan-
delt werden (vgl. www.lam.unisg.ch/mlp. Besucht 10. Mai 2017).
42 Legal Counsel im Unternehmen: Entwicklungsmöglichkeiten und Karriere 593

Abb. 42.2  Wissenserweiterung und T-Form

stiften soll.8 Darüber hinaus wäre es meines Erachtens auch wichtig, die Fähigkei-
ten als Projektmanager zu verbessern. Ferner sollten die nicht mehr ganz jungen
Anwälte nicht nur im Umgang mit neuen Management- und Führungsmethoden,
sondern auch im Umgang mit neuen Technologien geschult werden. All diese
Anstrengungen streben insbesondere das Ziel an, die Kunden und deren Probleme
aus nicht-juristischer Sicht besser kennenzulernen (know your customer) und damit
die Leistungen als Rechtsberater kunden- und lösungsorientierter (sprich: mehr
„auf den Punkt“) erbringen zu können. Von Legal Counsels in Rechtsdiensten eines
Unternehmens darf erwartet werden, dass sie diesen breiteren Anforderungen schnel-
ler genügen werden, weil sie aufgrund ihrer regelmäßigeren und größeren Integra-
tion in die internen Prozesse und Teams ihrer internen Kunden die Notwendigkeit
nicht-juristischer Kenntnisse schneller erfahren werden und umsetzen müssen.

42.5 Unternehmensinterne Entwicklungsmöglichkeiten

42.5.1 Übersicht über interne Entwicklungsmöglichkeiten

In einer Umfrage bei General Counsel der größten deutschen Unternehmen gaben
56 % der Befragten an, dass die Aufstiegschancen der Legal Counsels innerhalb

8In der Schweiz kann zum Beispiel die Anwaltskanzlei Bär & Karrer genannt werden, die für alle
Associates in Zusammenarbeit mit der Universität St.Gallen (HSG) das Bär & Karrer College
(BKC) betreibt. In diesem werden insbesondere betriebs- und volkswirtschaftliche Kenntnissen
und Soft Skills vermittelt und diese Ausbildung mit einem universitären Diplom abgeschlossen
(www.baerkarrer.ch/recruiting/br-und-karrer-college.html. Besucht 6. April 2016). In Deutsch-
land hat zum Beispiel Hengeler Mueller dasselbe Ziel mit ihrer HM Akademie St.Gallen umge-
setzt (www.hengeler.com/karriere/hm-akademie-st-gallen. Besucht 6. April 2016). Freshfields
Bruckhaus Deringer führt jedes Jahr eine Summer School in Management mit demselben Zweck
durch (www.freshfields.com/de/germany/Step_Into_The_Circle/Smart_learning_and_develop-
ment. Besucht 12. April 2016). Linklaters haben die Linklaters Law & Business School gegrün-
det (www.linklaters.com/Careers/JoinAsTrainee/Pages/DevelopmentAndTraining.aspx. Besucht
12. April 2016) und ermöglichen ihren Managing Associates, ein Executive MBA-Programm an
einer der führenden Business Schools im deutschsprachigen Raum zu absolvieren (http://career.
linklaters.de/karriere-bei-linklaters/careerhouse.html. Besucht 12. April 2016).
594 B. Mascello

Abb. 42.3  Entwicklungsquadranten

und außerhalb der Rechtsabteilung nicht identisch sind mit jenen der Fachabtei-
lungen.9 Es lohnt sich deshalb an dieser Stelle der Frage nachzugehen, welches
denn mögliche Karrierewege sein könnten.
Für einen Legal Counsel bestehen vielfältige Möglichkeiten, um seine Karriere
in verschiedene Richtungen zu entwickeln, vorausgesetzt, das Unternehmen kennt
und fördert die vertikale und horizontale Durchlässigkeit. Dabei können der Ein-
fachheit halber, wie aus Abb. 42.3 ersichtlich, grundsätzlich zwei Kriterien zur
Positionierung der Entwicklungsmöglichkeiten dienen:

• Die Art der Tätigkeit einerseits (juristische oder nicht-juristische Arbeiten).


• Die Art der Aufgaben beziehungsweise der Rollen (Spezialist oder Generalist
mit Managementaufgaben).

Sieht man einmal von einer Karriere als reiner Fachspezialist ohne Führungsver-
antwortung ab, stellt man wie in Abb. 42.4 dargestellt fest, dass das Anforderungs-
profil mit zunehmender Erfahrung und Verantwortung wechselt.
Aktuelle Rechtskenntnisse haben nicht mehr den gleichen Stellenwert und es
werden stattdessen vermehrt Managementfähigkeiten verlangt. In jedem Fall – das
gilt auch für Spezialisten – sind gereifte und stärkere Persönlichkeiten gefragt.
Diese Eigenschaften können mit entsprechenden Weiterbildungen und im prakti-
schen Einsatz an der Front auch noch nachträglich erworben und anschließend im
Tagesgeschäft weiter ausgebaut und verfeinert werden. Für Legal Counsels beste-
hen jedoch auch weitere Möglichkeiten zur breiten beruflichen Weiterentwicklung.
Diese werden in Abb. 42.5 übersichtlich dargestellt und nachfolgend im Detail
weiter untersucht (Abb. 42.6, 42.7, 42.8, 42.9 und 42.10).

9Henning (2011, S. 60).


42 Legal Counsel im Unternehmen: Entwicklungsmöglichkeiten und Karriere 595

Abb. 42.4  Juristische und nicht-juristische Optionen für Legal Counsels

Abb. 42.5  Karriereentwicklungsmöglichkeiten für Legal Counsels


596 B. Mascello

Abb. 42.6  Juristische Laufbahn in der Rechtsabteilung

42.5.2 Karriere im Rechtsbereich

Die klassische juristische Laufbahn in einer Anwaltskanzlei verläuft idealerweise


über die Praktikumsstelle, zum Mitarbeiter (Associate) bis hin zum Partner. Das-
selbe Bild lässt sich auch in einer Rechtsabteilung zeichnen, in welcher juristische
Mitarbeiter als Legal Counsels beginnen und – je nach Grösse der Abteilung über
die eventuelle Zwischenstufe eines Teamleiters – schließlich als General Counsel
die Leitung der Rechtsabteilung übernehmen. Heute besteht vermehrt auch die
Tendenz, dass der General Counsel einen „Platz am Tisch“ der Geschäftsleitung
einnimmt. In großen und international ausgerichteten Unternehmen kann überdies
die Leitungsebene der Rechtsfunktion noch weiter unterteilt werden in General
Counsel eines Landes, einer Region oder der ganzen Unternehmensgruppe
(Abb. 42.6, siehe dazu auch Kap. 37).
Diese für Generalisten von Management- und Führungsaufgaben geprägte Karri-
ere hat den Nachteil, dass sie in einer von flacher Hierarchie geprägten Organisation
oft nicht genügend Vakanzen für interessierte und geeignete Mitarbeitende zur Ver-
fügung stellen kann. Deshalb, und um Vollblutjuristen auch Entwicklungsmöglich-
keiten zu bieten, bei der sie sich auf die Lösung juristischer Probleme konzentrieren
können, wird heute – analog zu den Entwicklungen in Anwaltskanzleien – auch in
42 Legal Counsel im Unternehmen: Entwicklungsmöglichkeiten und Karriere 597

Abb. 42.7  Tätigkeit in einer der Rechtsabteilung nahen Funktion

Rechtsdiensten eine spezialisierte Fachkarriere ermöglicht, bei der zum Teil auch
eine fachliche Führungsverantwortung eine Rolle spielen kann. In jedem Fall bilden
auf beiden Karrierepfaden sowohl Aus- und Weiterbildung als auch Erfahrung zent-
rale Säulen für den Erfolg.
Je nach Organisation der Unternehmung sind weitere Matrix-, beziehungsweise
Querschnittrollen denkbar: Ist eine Rechtsabteilung nach Fachgruppen organisiert,
hilft die Bereitschaft und Möglichkeit zur Durchlässigkeit zwischen den einzelnen
Fachgruppen, die breit interessierten Mitarbeitenden durch Wechsel motiviert zu
halten (Job Enrichment). Ferner können regelmäßige Wechsel in den Teams (Job
Rotation) auch dazu dienen, Abhängigkeiten von einzelnen Personen zu reduzie-
ren. Solche Karrierewege mit wechselnden Herausforderungen sind deshalb vor
allem für geeignete, flexible und neugierige Generalisten interessant, die später
gerne eine Management-Karriere anstreben.
Wenn ein internationales Unternehmen ausländische Tochtergesellschaften
mit eigenen lokalen Rechtsabteilungen besitzt, kann geeigneten Mitarbeitenden
zusätzlich eine Tätigkeit im Ausland angeboten werden. Bedingung hierfür sind
unter anderem das Interesse an einer Karriere als Legal Manager (weniger als
Fachspezialist), die Bereitschaft für einen längeren Auslandaufenthalt, Sprach-
kenntnisse, Flexibilität und ein bestimmter Grad an Führungserfahrung und
598 B. Mascello

Durchsetzungsvermögen. Der Kandidat sollte Interesse am Kennenlernen anderer


Kulturen, Rechtskreise und der ganzen Unternehmensgruppe haben. Und um hier
den oben erwähnten Punkt bezüglich Erforderlichkeit eines ausländischen Master-
studiums aufzugreifen: Ein Aufenthalt in einer ausländischen Unternehmung (ana-
log zur Tätigkeit in einer ausländischen Anwaltskanzlei) kann durchaus als eine
echte Alternative zu einer LL.M.-Ausbildung an einer ausländischen Universität
betrachtet werden.

42.5.3 Tätigkeit in einer der Rechtsabteilung nahen Funktion

Eine erste Tätigkeit in der Rechtsabteilung kann breit interessierten Juristen als
gute Ausgangsbasis dienen, um später zum Beispiel in die Compliance-Abteilung
zu wechseln oder die Rolle eines Sekretärs des Verwaltungsrats zu übernehmen.
In einer Compliance-Abteilung können vergleichbare Stufen wie die bereits oben
für die Rechtsabteilung genannten Stufen absolviert werden: Vom Compliance
Officer, über den Leiter eines Teams, zum Chief Compliance Officer eines Landes,
einer Region oder der ganzen Gruppe (Abb. 42.7).

42.5.4 Tätigkeit in einer der Rechtsabteilung ferneren


Funktion

Sofern ein Legal Counsel zwar den Wunsch verspürt, das ihm bekannte Umfeld
einer Rechtsabteilung und den diesem nahe stehenden Bereich wie zum Beispiel
Compliance oder Corporate Secretary Services zu verlassen, aber (noch) nicht
ganz in einen Geschäftsbereich wechseln will, bieten sich hierfür Stationen zum
Beispiel beim Risikomanagement an. Solche Funktionen haben den Vorteil, dass
sie noch immer zum Kreis der sogenannten Assurance-Funktionen zählen, die aus
Sicht des Unternehmens zum Teil vergleichbare Ziele wie die Rechtsabteilung ver-
folgen, und deshalb einem Legal Counsel nicht ganz fremd sind (Abb. 42.8).

42.5.5 Wechsel in einen Geschäftsbereich (die „Linie“)

Ein Wechsel in den Geschäftsbereich eines Unternehmens (Abb. 42.9, siehe dazu
detailliert Kap. 35), umgangssprachlich auch „in die Linie“ genannt, fällt einem
General Counsel oder Legal Counsel in der Regel leichter als externen Anwälten,
weil Erstere regelmäßig bereits im Tagesgeschäft involviert und als Manager und Pro-
jektleiter gefordert sind. Förderlich für einen Wechsel in die Linie bildet sicher der
Umstand, dass sich die Geschäftsverantwortlichen bereits im Zuge der Tagesarbeit ein
erstes Bild über die Arbeitsweise des interessierten Counsel, seine Fähigkeiten und
seine Persönlichkeit machen konnten. Der an einem Wechsel interessierte Jurist kann
sich somit bei seinem künftigen Vorgesetzten bereits positionieren und von seiner bes-
ten Seite zeigen. Deshalb betrachtet die Linie die Rechtsabteilung manchmal sogar
42 Legal Counsel im Unternehmen: Entwicklungsmöglichkeiten und Karriere 599

Abb. 42.8  Tätigkeit in einer der Rechtsabteilung ferneren Funktion

Abb. 42.9  Karriere in der Linie beziehungsweise im operativen Bereich


600 B. Mascello

als eigentlichen Inkubator, in welchem die künftigen Talente vom Markt zunächst
aufgenommen und weiterentwickelt werden, bevor sie für das Unternehmen in die
Linie übernommen und erfolgversprechend weiter eingesetzt werden.10
Ein solcher nicht-juristischer Karriereweg und die entsprechenden Entwick-
lungsmöglichkeiten hängen aber nicht nur von den Voraussetzungen und Fähigkei-
ten des einzelnen Kandidaten ab, sondern auch von der Größe des Unternehmens,
von der Verfügbarkeit geeigneter Vakanzen und nicht zuletzt von der gelebten
Durchlässigkeit zwischen den Bereichen und Funktionen. Beim interessier-
ten Juristen werden nicht nur der Wille für eine Tätigkeit im nicht-juristischen
Bereich, sondern auch Wirtschaftskenntnisse vorausgesetzt. Eine entsprechende
betriebswirtschaftliche Zusatzausbildung wie zum Beispiel ein Master of Business
Administration (MBA) oder ein Executive MBA sind für diese neue Tätigkeit des-
halb sicher von Vorteil.
Will ein Legal Counsel den juristischen Pfad verlassen und eine Alternativkar-
riere in der Linie anstreben, und zeigt er überdies Interesse und das Gespür für
operative Aufgaben, bietet sich als Zwischenschritt an – sofern es die Größe der
Rechtsfunktion zulässt –, eine entsprechende Tätigkeit in der operativen Organisa-
tion des ihm bekannten Umfelds der Rechtsabteilung zu starten (zum Beispiel als
Manager Legal Operations oder als COO Legal).11 Dies bietet den Vorteil, dass ein
Jurist in einem ihm bereits bekannten („geschützten“) Umfeld erste Erfahrungen
mit nicht-juristischen Tätigkeiten sammeln kann, bevor er allenfalls den vollstän-
digen Wechsel in die Linie wagt.

42.6 Externe Entwicklungsmöglichkeiten

Schließlich besteht für einen General Counsel und Legal Counsel stets auch die
Möglichkeit, das eigene Unternehmen zu verlassen und eine neue Herausforde-
rung in einem anderen Rechtsdienst oder in einer anderen Funktion eines ande-
ren Unternehmens zu suchen. Zudem besteht auch oft die Option, in eine externe
Anwaltskanzlei, in eine öffentliche Behörde oder eine Gerichtsinstanz zu wech-
seln oder sich eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufzubauen (Abb. 42.10).

10Dem Autor ist zum Beispiel der Fall eines externen Anwalts bekannt, der zunächst in die
Rechtsabteilung eines international tätigen Unternehmens als Legal Counsel eintrat und nach
einer zusätzlichen betriebswirtschaftlichen Weiterbildung und zusätzlichen wenigen Jahren in der
Linie schließlich die Leitung einer Tochterunternehmung als Geschäftsführer übernahm. Ferner
gibt es zahlreiche Beispiele von General Counsel, welche die Funktion eine Verwaltungsratsprä-
sidenten übernommen haben.
11Zum operativen Management einer Rechtsabteilung, dem Arbeitsfeld eines COO und die ver-

schiedenen operativen Tätigkeiten vgl. die Ausführungen bei Mascello (2014, S. 29 ff.).
42 Legal Counsel im Unternehmen: Entwicklungsmöglichkeiten und Karriere 601

Abb. 42.10  Externe Entwicklungsmöglichkeiten

42.7 Unterschiede zur Anwaltskanzlei und zur


öffentlichen Verwaltung bzw. den Gerichten

Schaut man sich die Karrieremöglichkeiten in einer Anwaltskanzlei an, liegt es in


der Natur der Sache, dass dort die oben genannte in Unternehmen und Rechtsab-
teilungen angebotene Breite von Entwicklungsmöglichkeiten kaum zu finden sein
wird. Eine reine Managementkarriere ist kaum denkbar, und die Anwälte streben
regelmäßig eine fachliche Spezialisierung an. Das in großen Wirtschaftskanzleien
noch oft anzutreffende Pyramidenmodell unter Anwendung eines Hebel-Mecha-
nismus mit vielen Associates (sogenanntes leverage) und das up-or-out-Karrie-
remodell erlauben keine Alternativkarrieren. Das zeigt sich zum Beispiel auch in
der Schwierigkeit, wie die Positionierung eines sogenannten „Counsel“ akzep-
tabel umgesetzt werden kann, der in Anwaltskanzleien regelmäßig irgendwo
zwischen einem Associate und einem Partner angesiedelt wird. Auch der Partner-
werdungsprozess in großen Anwaltskanzleien hat sich in den letzten Jahren aus
wirtschaftlichen Gründen als eher schwierig herausgestellt. Hingegen ist hier eine
Karriere als reiner Fachspezialist ohne Fachverantwortung, beziehungsweise ohne
Management- und Führungsaufgaben, eher denkbar, weil Kanzleien – mehr noch
als Rechtsabteilungen – spezielles Fachwissen als Kernkompetenz ihrer Arbeit
602 B. Mascello

verstehen (müssen). Wohl ist auch hier ein Wechsel in andere Fachbereiche denk-
bar, aber dies wird nicht so oft wie in Rechtsabteilungen erfolgen. Schließlich sind
auch rein operative Aufgaben nicht regelmäßig und nur isoliert anzutreffen. Diese
werden je nach Größe der Kanzlei oft auf die Partner verteilt und auch der Mana-
ging Partner übt seine Rolle in der Regel nur zeitlich-partiell aus.
Was einem Anwalt in einer Anwaltskanzlei offen steht und bei Abgängen
manchmal auch aktiv unterstützt wird, ist der Wechsel in eine Rechtsabteilung
oder in eine andere Funktion von Unternehmen. Um eine möglichst schnelle Inte-
gration zum Beispiel in die Rechtsabteilung eines Unternehmens zu ermöglichen,
wird empfohlen, sich frühzeitig bei erfahrenen Legal Counsels über das zu erwar-
tete Rollenverständnis zu informieren, weil dies zwischen externen Anwälten und
Legal Counsels durchaus abweichen kann.
In der öffentlichen Verwaltung scheint die horizontale und vertikale Durch-
lässigkeit vermehrt vorhanden zu sein und gelebt zu werden (siehe dazu auch
Kap. 5). Auch hier besteht die Möglichkeit, insbesondere auch von Gerichten
kommend, den Wechsel in die Privatwirtschaft zu finden, insbesondere in Anwalts-
kanzleien. Eine in der Verwaltung erarbeitete Spezialisierung wird für einen Wech-
sel hilfreich und zur späteren Positionierung von Vorteil sein.

42.8 Abschließende Gedanken zur Karriereplanung für


Unternehmensjuristen

Die vorgenannten Ausführungen haben gezeigt, dass Unternehmensjuristen heute


mehr und breitere Entwicklungsmöglichkeiten besitzen, als dies noch früher der
Fall war. Das bedeutet aber auch, dass eine entsprechende (realistische) Karrie­
replanung erforderlich ist. Damit zusammenhängend hat ein Legal Counsel regel-
mäßig Standortbestimmungen zu machen und die eigenen Wünsche, Erwartungen
und Rahmenbedingungen zu prüfen (siehe dazu detailliert Kap. 27). Eine gewisse
Neugier, die Offenheit für Neues und eine Portion Flexibilität werden sicherlich
helfen, neue Chancen zu erkennen und zu ergreifen. Ferner ist zu beachten, dass
der spezielle Lebenslauf eines Juristen nicht von allen Personalverantwortlichen,
respektive von der Linie, auf Anhieb verstanden und richtig gelesen werden kann.
Man sollte sich deshalb nicht scheuen, entsprechende Erklärungen mitzuliefern.
Zudem ist bei der Karriereplanung auch etwas Geduld nötig, insbesondere bei
flachen Hierarchien, wie diese in Rechtsabteilungen oft vorkommen, und wegen
den oft nur beschränkt zur Verfügung stehenden Vakanzen. Schließlich sollte, vor
lauter Konzentration auf den eigenen Karriereplan sowie den Aufbau des eigenen
Lebenslaufs (in Sachen Ausbildung und Erfahrung), der Spaß und die Befriedigung
an der Arbeit nicht vergessen werden. Denn nur dies verspricht letzten Endes den
höchsten Einsatz, das volle Engagement und als Ergebnis davon eine exzellente
Leistung.
Ob man mit der Karriere zuerst als Anwalt in einer Anwaltskanzlei startet
oder in der Rechtsabteilung, ist Dank der heute gebotenen Durchlässigkeit zwi-
schen den verschiedenen Optionen nicht mehr so relevant. Karrieregewillte
42 Legal Counsel im Unternehmen: Entwicklungsmöglichkeiten und Karriere 603

Mitarbeitende sollten jedoch nicht darauf warten, ob und bis sie vom Arbeitge-
ber be-, beziehungsweise gefördert und weiterentwickelt werden. Vielmehr gilt es
heute, das Schicksal für das eigene berufliche Fortkommen selbst in die Hand zu
nehmen. Das gilt auch für den Fall, dass man in einem Unternehmen als soge-
nanntes förderungswürdiges Talent qualifiziert und entsprechenden Talentpools
zugeordnet wird. Auch diese Programme ersetzen nicht die Eigeninitiative eines
jeden Einzelnen und die Selbstverantwortung für die eigene berufliche Karriere.
Insbesondere die Pflege von Netzwerken und der persönlichen Beziehungen im
und außerhalb des Unternehmens bleiben weiterhin eine wichtige Aufgabe, welche
jeder für sich verantworten muss.

42.9 Unternehmerische Interessen an der


Mitarbeiterentwicklung

Die Rahmenbedingungen zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen haben sich


über die Zeit hinweg verändert. Der Wettbewerb ist gestiegen, die Ansprüche
der internen Kunden haben sich verändert (more for less) und sie haben erhöhte
Erwartungen entwickelt. Sowohl interne als auch externe Rechtsdienstleister müs-
sen sich diesen neuen Rahmenbedingungen stellen und ihren Leistungserstellungs-
prozess entsprechend anpassen. Diese Veränderungen und Entwicklungen eröffnen
für Unternehmensjuristen aber gleichzeitig auch nie dagewesene neue Tätigkeits-
bereiche und Karrieremöglichkeiten.
Fachlich-juristische Kenntnisse erlauben es heute noch, als juristische Aus-
kunftsstelle zu handeln und daher auch nur so wahrgenommen zu werden. Sie
reichen alleine aber nicht mehr aus, um die wachsenden und neuen Herausforde-
rungen der Kunden zufriedenstellend zu bewältigen. Hierfür ist es erforderlich,
dass die Juristen und Anwälte sich in nicht-juristischen Fächern weiterbilden
und zusätzliche Erfahrungen sammeln, allen voran in Bereichen wie den unter-
nehmensrelevanten Betriebs- und Volkswirtschaftslehren, sowie ihre Soft Skills
verbessern. Erst der auf diese Weise in die Breite erweiterte Horizont und eine
abgerundete Persönlichkeit ermöglichen es ihnen, die internen Kunden besser
zu verstehen und diesen – unter Berücksichtigung der maßgeblichen juristischen
Rahmenbedingungen – eine für deren Bedürfnisse maßgeschneiderte wirtschaftli-
che Lösung anzubieten. In diesem Sinne wird der Legal Counsel nicht mehr bloß
als legal advisor, sondern vermehrt wieder als trusted advisor wahrgenommen und
akzeptiert.
Die Arbeitgeber und Vorgesetzten treffen – in ihrem Eigeninteresse – die Ver-
antwortung und Pflicht, für eine entsprechende Weiterbildung ihrer Mitarbeiten-
den zu sorgen und sie karrieremässig weiterzuentwickeln. Legal Counsel sind
in ihren Bestrebungen, eine bessere Leistung für ihre Kunden und Klienten zu
erbringen, zu motivieren, zu unterstützen und zu fördern. Das Erteilen von Rechts-
rat hat keinen Selbstzweck; eine Rechtsdienstleistung muss selbstverständlich
nicht nur juristisch richtig erteilt werden, sondern sie muss dem Kunden für sein
Geschäft nützlich sein und den erhofften Mehrwert schaffen. Können Arbeitgeber
604 B. Mascello

das Weiterbildungsangebot selber nicht anbieten oder abdecken, können sie auf
externe Dienstleister wie zum Beispiel Universitäten zurückgreifen, welche genü-
gend erprobte Programme anbieten, die hierfür auch direkt berücksichtigt werden
können. Das Ermöglichen von Weiterbildung hat für einen Arbeitgeber zudem den
angenehmen Nebeneffekt, dass er ein solches Angebot als Rekrutierungs- und Bin-
dungsmittel für neue Mitarbeitende nutzen kann. Denn von diesen wird Weiterbil-
dung regelmäßig – erst recht von der gern genannten Generation Y, die bis ins Jahr
2020 bereits die Hälfte der Belegschaft ausmachen wird – als Bereicherung und
Motivationsspritze erachtet.

Literatur
Henning O (2011) Der Rechtsabteilungs-Report 2011/12 (IV. General Counsel Benchmarking
Report), Organisation und Strategie der Rechtsabteilung im Fokus von Qualität und Effizienz.
Recht und Wirtschaft, Frankfurt a. M.
Henning O (2013) Der Rechtsabteilungs-Report 2013/14 (V. General Counsel Benchmarking
Report), Organisation und Strategie der Rechtsabteilung im Fokus von und Effizienz. Recht
und Wirtschaft, Frankfurt a. M.
Henning O (2015) Der Rechtsabteilungs-Report 2015/16 (VI. General Counsel Benchmarking
Report), Organisation und Strategie der Rechtsabteilung im Fokus von und Effizienz. Recht
und Wirtschaft, Frankfurt a. M.
Mascello B (2014) Qualitätsmanagement für Rechtsdienstleister – mit einer Einführung ins ope-
rative Management einer Rechtsabteilung. Schulthess, Zürich

Über den Autor

Dr. Bruno Mascello, Rechtsanwalt und Vice Director Executive School HSG,
St.Gallen
Studium der Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen HSG (1995 Dr.
iur. HSG). 1996 Zulassung als Rechtsanwalt und 1999 LL.M. (Master of Laws in
Comparative Jurisprudence) an der New York University School of Law. Zudem
2009 Executive Diploma in Management for the Legal Profession (MLP-HSG)
und 2011 Executive MBA – beides an der Universität St.Gallen HSG. 1992–1993
Wissenschaftlicher Assistent Juristische Fakultät. 1996–2000 Rechtsanwalt in
Wirtschaftskanzlei. 2000–2011 diverse Rollen, u. a. als Chief Operations Officer
(COO) Group Legal und Regional General Counsel Middle East der Zurich Finan-
cial Services. Seit 2012 selbständig als Rechtsanwalt und Berater sowie Vice
Director der Executive School of Management, Technology and Law (ES-HSG) an
der Universität St.Gallen.
Lean Management am Legal
Operations-Arbeitsplatz 43
Marc H. Dieluweit

43.1 Einführende Betrachtungen

Dieser Beitrag zeigt auf, wie in Legal Operations noch besser mit den spezi-
fischen Ressourcen am Arbeitsplatz, der IT-Infrastruktur und anderen Sach-
mitteln umgegangen werden kann. Abschn. 43.1 befasst sich dabei mit den
theoretischen Grundlagen von Lean Management, während sich Abschn. 43.2 mit
der grundlegenden Beschreibung erforderlicher Lean Management-Tools befasst.
Abschn. 43.3 gibt schließlich einen exemplarischen Überblick über Veränderungs-
möglichkeiten zu mehr Effektivität/Effizienz und weniger Ressourcenverschwen-
dung in Rechtsabteilungen.

43.1.1 Definition Lean Management

Lean Management wird häufig auch mit den Worten „weniger ist mehr“ umschrie-
ben. Übertragen auf die Rechtsabteilung heißt das nichts anderes als: All jene
Aktivitäten, die aus Sicht unserer Auftraggeber/interner Kunden nicht wertschöp-
fend sind und für die ein externer Kunde nicht bereit wäre zu bezahlen, sollten
aus der Tätigkeit der Rechtsabteilung eliminiert werden. Mithin werden vom
Lean Management all jene Methoden, Denkweisen und Werkzeuge erfasst, wel-
che der Rechtsabteilung eines Unternehmens oder einer Behörde zur Verfügung
stehen, um ihre Prozesse und Ressourcen zu optimieren. Lean Management zielt
folglich darauf ab, eine prozessorientierte Abteilungsführung mit höchstmöglicher
Effizienz sowie eindeutig definierten Abläufen zu gestalten. Verantwortlichkeiten

M.H. Dieluweit (*)


Solingen, Deutschland
E-Mail: marc.dieluweit@dielu-law.com

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 605


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_43
606 M.H. Dieluweit

und Kommunikationswege sollen dabei logisch gestaltet werden, wobei die zwei
bedeutendsten Aspekte des Lean Management-Ansatzes die „Kundenorientie-
rung“ und die „Kostensenkung“ sind. Diese Schwerpunkte können sich sowohl auf
interne als auch auf unternehmensübergreifende Prozesse und Strukturen beziehen.
Bezogen auf die Rechtsabteilung eines Unternehmens geht es mithin darum, sich
hinsichtlich interner Kunden sowie abteilungsbezogener Kosten zu verbessern –
und hier kommen die Ressourcen des Arbeitsplatzes, der IT-Infrastruktur und der
sonstigen Sachmittel der Legal Operations zum Zuge.

43.1.2 Lean Management und seine Ziele

Als Weiterentwicklung des von Daniel T. Jones und Daniel Roos geprägten
Begriffes der Lean Production1, liegt das Hauptziel des Lean Management darin,
Verschwendung zu minimieren, Überflüssiges auszuschließen sowie Prozesse und
Ressourcen derart zu optimieren, dass sie perfekt miteinander harmonieren.
Infolge dessen besteht die Aufgabe eines „Lean Management der Rechtsabteilung“
darin, den Fokus auf die abteilungsinternen Abläufe zu legen, die zur Wertschöp-
fung des Gesamtunternehmens beitragen. Auf diese Art und Weise erfolgt eine
Verschlankung – werden wir lean, können sowohl Kosten als auch Zeit einsparen
und dadurch zu mehr Effizienz und Effektivität beitragen. Dabei ist es wichtig,
sich zu vergegenwärtigen, dass der ganze Ansatz seinen Ursprung in der Produk-
tion und Organisation hat und die gesamte Wertschöpfungskette dadurch auf eine
just in time-Effizienz hin optimiert wird.
Daneben fußt Lean Management auf einem weiteren Ansatz: der Personalfüh-
rung und Motivation. Die Führungsphilosophie bezieht Mitarbeiter in die Prozesse
der Verschlankung mit ein und nutzt so die vorhandenen Kompetenzen, zumal die
Arbeitsqualität der Mitarbeiter im Mittelpunkt steht. Schließlich sind nur gute Mit-
arbeiter in der Lage, gute Leistung zu erbringen. Toyota drückte dies etwa so aus:
„Die meisten Automobilhersteller bauen gute Autos. Wir 'bauen' gute Leute und die
bauen gute Autos.“2 Damit ist eine besondere Art und Weise der Integration der Mit-
arbeiter verbunden. Sie werden in Entscheidungen und Veränderungen eingebunden,
wodurch Mitarbeitermotivation gefördert und das Bewusstsein der Mitarbeiter für
Lean Management in allen Bereichen verstärkt wird (siehe dazu auch Kap. 28).
Nicht nur die Mitarbeiter profitieren von einem schlanken Management der
Rechtsabteilung, sondern auch die internen Kunden – und über diese schließlich
auch die externen Unternehmenskunden. Sie dürfen sich auf eine ausgezeichnete
Beratung in kürzester Zeit bei bestem Service verlassen, da auf ihrer Seite zum
Beispiel weniger Zeitverschwendung anfällt. Toyota gilt mit dem Toyota Produc-
tion System (TPS) als Benchmark für Lean Production, also die schlanke Produk-
tion, das schlanke Management. Im Wesentlichen basiert TPS auf:

1Siehe dazu ausführlich das gesamte Buch von Womack et al. (2007).
2Keith (2013, S. 35 ff.).
43 Lean Management am Legal Operations-Arbeitsplatz 607

• der Synchronisierung und Standardisierung von Prozessen,


• der Fehlervermeidung,
• dem Verbessern der Produktionsanlagen und
• der systematischen Qualifizierung der Mitarbeitenden.

Bei näherer Betrachtung steckt hinter diesen Kernelementen die kaizen-Idee, das
Ziel der kontinuierlichen Verbesserung. In der Unternehmensphilosophie von
Toyota wird das auch so formuliert: „Wir wollen langfristig als Unternehmen
überleben, indem wir verbessern und weiterentwickeln, wie wir gute Produkte für
den Kunden produzieren.“3 Legen wir diese Aussage zugrunde, so muss das Credo
für die Rechtsabteilung wie folgt lauten: „Wir wollen, dass unsere Rechtsabteilung
langfristige Akzeptanz im Unternehmen erfährt, unsere Existenzberechtigung mit-
hin dauerhaft sichern, indem wir uns stetig verbessern und uns dergestalt weiter-
entwickeln, dass wir für unsere internen Kunden hervorragende Leistungen
erbringen und damit einen entsprechenden Mehrwert generieren.“

43.1.3 Lean Management – nur Tools und Methoden?

Lean Management bezeichnet die Gesamtheit der Methoden, der Denkprinzipien,


der Verfahrens- und Verhaltensweisen, um die Wertschöpfung so effizient wie
möglich zu gestalten. Wie oben bereits beschrieben, geht es bei Lean Manage-
ment darum, sich am Kunden auszurichten, gepaart mit einer unnachgiebigen
Reduzierung der Kosten in der Wertschöpfung, also in der Erbringung der Dienst-
leistungen der Rechtsabteilung. Dabei liegt der Fokus auf der Problemlösung –
einhergehend mit einem „kontinuierlichen Verbesserungsprozess“ (KVP). Somit
erfordert die Umsetzung von Lean Management, dass wir uns größerer „Trans-
parenz“ in der Rechtsabteilung stellen sollten. Transparenz bedeutet dabei, Feh-
ler sichtbar zu machen, zu Fehlern zu stehen und auch, Mitarbeiter für Fehler zu
„belohnen“ beziehungsweise für deren Aufdeckung.
Ist das aber nicht gefährlich? Kann ein solches Ergebnis tatsächlich zum Erfolg
führen oder ist das alles nicht etwa gar kontraproduktiv und von vornherein zum
Scheitern verurteilt? Nein, genau das ist gewollt und macht Lean Management so
erfolgreich, denn dem Ansatz liegt zugrunde, dass wir eine Kultur schaffen, die
fehlerverzeihend ist und nicht Fehler verurteilt. Aufgedeckte Probleme werden als
Chance verstanden. Sie ermöglichen es, dass wir uns als Legal Counsel und als
Rechtsabteilungsteam stetig weiterentwickeln und verbessern. Verschwendung
wird dabei vermieden und Wertschöpfung wird mithilfe der Lean Manage-
ment-Methoden und deren Werkzeugen gesteigert. Damit verbunden ist ein „neues
Denken“, eine neue Einstellung zur Arbeitsweise in Rechtsabteilungen und damit
einhergehend eine neue Führungskultur durch den General Counsel. So, wie es der

3Keith (2013, S. 35 ff.).


608 M.H. Dieluweit

US-Amerikaner Mike Rother, der das Buch „Die Kata des Weltmarktführers:
Toyotas Erfolgsmethoden“4 geschrieben hat, beschreibt, kann durchaus eine Ana-
logie zwischen den anzuwendenden Tools des Lean Managements und der „Eis-
berg“-Theorie gezogen werden. Die Lean Management-Tools und Methoden
stellen den sichtbaren Bereich eines Eisbergs dar, während die Philosophie hinter
Lean Management den größeren, unsichtbaren Teil darstellt. Eben jener Teil liegt
unter der Wasseroberfläche. Wenn Sie Lean Management in Ihrer Abteilung ein-
führen, lassen Sie den unsichtbaren Teil des Eisbergs nicht außer Acht und ver-
schieben Sie auch nicht seine Bearbeitung: Es geht darum, aufgeschlossen zu sein.
Bereit zu sein, sich selbst und die Rechtsabteilung sowie die angewandten Verhal-
tensweisen zu hinterfragen, zu überdenken und möglicherweise zu ändern.
Dadurch kann ein grundlegendes Umdenken, gegebenenfalls ein richtiger Kultur-
wandel in den Legal Operations und vielleicht sogar im gesamten Unternehmen
herbeigeführt werden.
„Weniger ist mehr“ bedeutet also, dass es hierbei weniger um die Tools und
Methoden, sondern vielmehr um die dahinterstehende Philosophie und die Einstel-
lung geht, Lean Management in der Rechtsabteilung zu etablieren. Stellen Sie Ihre
Mitarbeitenden dabei in den Mittelpunkt: Diese müssen Sie für ein Überprüfen
und gegebenenfalls Revidieren von Einstellungen und Gewohnheiten gewinnen.
Diese müssen Sie davon überzeugen, die eventuell seit vielen Jahren praktizierten
Verhaltensweisen zu überdenken. Deshalb ist es Ihre Aufgabe als General Coun-
sel, das mindset, das Verhalten Ihrer Mitarbeiter genau festzustellen und zu ana-
lysieren. Es sind neue, flexible und angepasste Verhaltensweisen zu verankern.
Eine große und schwierige Aufgabe, erst recht in einem ständig anspruchsvolleren
Unternehmensalltag. Doch basierend auf neuen Einstellungen dieser Philosophie
und der damit verbundenen Personalführung können aus der Anwendung des Lean
Management mehr Fokussierung auf die Wünsche und Bedürfnisse der Mitarbei-
tenden und interner Kunden, mehr Flexibilisierung sowie eine Steigerung der Pro-
duktivität und des Erfolgs Ihrer Rechtsabteilung einhergehen.
Falls Sie Lean Management einführen möchten, müssen Sie sich bewusst sein,
dass das nur dann funktioniert, wenn Sie beherzigen, Fehler zuzulassen und Pro­
bleme sichtbar zu machen, anstatt diese zu vertuschen. Dadurch wird der entschei-
dende Schritt getan, der sowohl Ihr Verhalten wie auch das Ihrer Mitarbeitenden
und gegebenenfalls auch das Ihrer Vorgesetzten verändert. Deshalb sollten Sie Ihre
Vorgesetzten und Mitarbeitenden davon überzeugen, dass es bei einer Umstel-
lung auf Lean Management nicht nur bloß um ein kurzfristiges Managementpro-
jekt handelt, das irgendwann angefangen und irgendwann wieder abgeschlossen
sein wird. Es geht um mehr, es geht um Führung, es geht um die Art des Mitei-
nanders, es geht um Respekt, es geht um Transparenz, es geht um nachhaltigen
Erfolg. Sie sollen sich schließlich auf ständig verändernde Anforderungen in Ihrer
Fachabteilung, in der Geschäftsführung und im Vorstand einstellen, welche den
Veränderungen des Marktes unterliegen, um hierauf schnell, flexibel und effektiv

4Rother (2013) gesamtes Werk.


43 Lean Management am Legal Operations-Arbeitsplatz 609

reagieren zu können. Auf diese Art und Weise sind Sie frei, aus Fehlern zu lernen
und Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen, welche stets als unverrückbar galten.
Sie werden daraus eine Selbstverständlichkeit entwickeln, sich ständig weiterzu-
entwickeln und zu verbessern.

43.2 Lean Management-Elemente und die dazugehörigen


Tools

Die jeweiligen Elemente des Lean Management für die Rechtsabteilung leiten sich
aus denen eines Lean Production-Systems ab. Sie stellen sich für die Rechtsabtei-
lung wie folgt dar:

• Fokussierung auf den internen Kunden;


• Verschwendung eliminieren;
• Fehler vermeiden;
• Prozesse synchronisieren;
• Beratung nivellieren;
• Prozesse standardisieren;
• Software optimieren;
• Mitarbeiter befähigen;
• Prozesse kontinuierlich verbessern.

43.2.1 Kundenorientierung

Starten Sie vor Bearbeitung eines neuen Projekts, einer neuen Anfrage, damit,
nachzudenken, was Ihr interner Kunde von Ihrer Abteilung eigentlich genau
erwartet? Was für eine Dienstleistung will er tatsächlich von Ihnen? Für welche
Leistungen werden Sie durch Ihre Kunden beauftragt? Wie können Sie Ihre inter-
nen Kunden mit Ihren üblichen Mitteln und Wegen möglichst zufrieden stellen?
Stellen Sie sich vor, Sie würden direkt für die erbrachte Leistung bezahlt; dann
würde die Frage lauten: Für welche Leistung bezahlt mich mein Kunde? Nut-
zen Sie die Antworten auf diese Fragen als Basis dafür, Ihre Abteilungs- und
Beratungsleistungen genau zu definieren. Nur diejenigen Tätigkeiten, für wel-
che Ihre Kunden auch bereit sind zu bezahlen respektive die für die Erbringung
Ihrer typischen Leistungen erforderlich sind, werden künftig als „wertschöp-
fend“ betrachtet. Alle anderen Tätigkeiten gelten im besten Fall als wertschöp-
fungsunterstützend oder gar als Verschwendung. Diese gilt es zu eliminieren oder
zumindest maßgeblich zu reduzieren. Dem Vorgehen liegen dabei fünf Prinzipien
zugrunde, die Sie beachten sollten:

• Definieren Sie die verschiedenen Wertströme aus Kundensicht.


• Identifizieren Sie alle Prozessschritte, die zur Leistungserbringung getätigt wer-
den, und eliminieren Sie Verschwendung.
610 M.H. Dieluweit

• Organisieren Sie die verbleibenden Vorgänge hin zu einem synchronisierten


Fluss.
• Lassen Sie Ihren Kunden entscheiden, was er benötigt, und liefern Sie es ihm
zur rechten Zeit.
• Streben Sie nach Perfektion durch kontinuierliche Verbesserung.

43.2.2 Verschwendung eliminieren

Wallace J. Hopp definiert „Verschwendung“ als jede menschliche Aktivität, die


Ressourcen verbraucht, ohne dabei einen Wert zu erzeugen.5 Dem liegen nach der
Vorstellung des Lean Management sieben Verschwendungsarten zugrunde:

• Verschwendung durch Überproduktion: Bezogen auf die Rechtsabteilung


wäre das zum Beispiel das Beraten zu einer falsch verstandenen Aufgabenstel-
lung.
• Verschwendung durch Warte- und Liegezeiten: Bezogen auf die Rechtsab-
teilung könnten das zum Beispiel belegte Telefone, nicht verfügbare Arbeits-
mittel, fehlende Informationen oder veraltete Computer sein.
• Verschwendung durch lange Wege: In der Rechtsabteilung könnten das bei-
spielsweise zu lange Wegstrecken sein, weil die Arbeitsplätze zu weit vonein-
ander entfernt sind.
• Verschwendung durch unangemessene Mittel und Verfahren: Hierunter fal-
len in der Rechtsabteilung zum Beispiel nicht optimal genutzte Einrichtungen,
unklare Aufträge, mangelnde Qualifikation, zu viele Prüf- und Abstimmungs-
vorgänge.
• Verschwendung durch zu lange Aufbewahrung: In der Rechtsabteilung sind
damit zum Beispiel veraltete Ablagevorgänge oder Mehrfachablagen respektive
die Aufbewahrung veralteter Unterlagen gemeint.
• Verschwendung durch unnötige Bewegung: Hierunter könnte bei der Rechts-
abteilung die ergonomisch ungünstige Gestaltung der Arbeitsplätze verstanden
werden oder ein wiederholtes Einarbeiten aufgrund vieler Unterbrechungen.
• Verschwendung durch fehlerhafte Beratung: Dies mag sich in Rechtsabtei-
lungen auf unlesbaren Fax-Nachrichten, Memos oder Notizen beziehen.

„Wertschöpfung“ steht bei Lean Management im Fokus, welche das Gegenteil von
Verschwendung darstellt. Die tatsächliche Wertschöpfung im Unternehmen liegt
nach allgemeiner Lean Management-Ansicht jedoch nur bei einem Drittel aller
ausgeführten Tätigkeiten. Deshalb ist die Eliminierung von Verschwendung in den
Fokus zu rücken. Logischerweise steht damit die Steigerung des Anteils der Wert-
schöpfung in der Abteilung an erster Stelle.

5Hopp und Spearman (2011, S. 357).


43 Lean Management am Legal Operations-Arbeitsplatz 611

43.2.3 Fehler vermeiden

„Aus Fehlern wird man klug!“ Auf den ersten Blick hört sich dieses alte Sprichwort
vernünftig an. Indes kann dieser Satz Sie respektive Ihr Unternehmen nicht nur viel
Geld, sondern sogar den guten Ruf kosten. Daher sollten Sie nicht nur aus Fehlern
lernen, sondern sich darauf fokussieren, diese erst gar nicht entstehen zu lassen.
Verfolgen Sie in der Erbringung von Dienstleistungen durch Ihre Rechtsabteilung
das aus der Produktion abgeschaute zero defect-Prinzip. Entwickeln Sie dabei die
Fähigkeit, das aus Fehlern Gelernte auf andere Bereiche in Ihrer Abteilung zu über-
tragen, um ähnlichen Fehlern in Zukunft von Beginn weg vorzubeugen.

43.2.4 Prozessanalyse

„Synchronisierung“ im Rahmen von Lean Management bedeutet, das zeitliche


„Aufeinander-Abstimmen“ verschiedener Vorgänge. Es sorgt dafür, dass
bestimmte Aktionen in einer bestimmten Reihenfolge zeitgleich ablaufen können.
Um diesem Postulat nachzukommen, können beispielsweise die Prinzipien der
Wertstromanalyse6 beigezogen werden.

43.2.5 Prozesse standardisieren

Mit einer „Standardisierung“ von Prozessen wird erreicht, dass die anfallende
Arbeit stets in der gleichen Weise durchgeführt wird; unabhängig von den han-
delnden Personen oder der Zeit. Solche Standards sind in vielfältiger Weise
in anderen Fachabteilungen Ihres Unternehmens vorhanden. Hierunter fallen
Arbeitsanweisungen, Arbeitsunterweisungen, Visualisierungen und Aufzeich-
nungsvorlagen. Erfahrungsgemäß gibt es in der Rechtsabteilung relativ wenig
derartig standardisierte Prozessvorgaben, obwohl gerade hier erheblicher Hand-
lungsbedarf bestände. So kann der Prozess zur Erstellung bestimmter Verträge
ebenso standardisiert werden wie der Prozess zu Handelsregisteranmeldungen
oder M&A-Transaktionen. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Zielsetzung in
den Legal Operations dahin gehend definieren, dass die Arbeitseffizienz durch
verschwendungsarme Tätigkeiten und durch die Kontrolle sowie Vermeidung von
Verweilzeiten in den Abläufen erhöht werden soll. Der Prozessstandardisierung
liegen die Grundsätze zugrunde, wonach die Realisierung einer kontinuierlichen
Verbesserung nur durch Standardisierung erfolgen kann. Folglich gibt es keine
Verbesserung ohne Standardisierung.
Sollten Sie nachfolgende Fragen ehrlich mit einem ja beantworten können, so
liegt eine Möglichkeit zur Standardisierung in der Rechtsabteilung vor:

6Erlach (2010, S. 37).


612 M.H. Dieluweit

• Gibt es bereits einen Standardprozess für diese Tätigkeit?


• Ist der Standard noch aktuell und zielführend?
• Kennen alle betroffenen Personen diesen Standard in- und auswendig?
• Wird auch tatsächlich in jedem Fall nach diesem Standard gearbeitet?

Per Definition liegt ein optimaler „standardisierter Prozess“ nur dann vor, wenn
jede offensichtliche Verschwendung – das kann Wissen und Zeit, aber auch jegli-
che anderen Ressourcen der Rechtsabteilung betreffen – vollständig ausgeschlos-
sen ist, die aufgedeckte Verschwendung auf ein Minimum reduziert wurde und die
Ausführung der entsprechenden Tätigkeit dem derzeit „besten Weg“ entspricht.

43.2.6 Die 5S-Methode

Die 5S-Methode ist ein strukturiertes Programm, um eine standardisierte Arbeits-


platzorganisation einzuführen. Die Arbeitseffizienz wird durch diese maßgeblich
verbessert, die Produktivität erhöht und die entsprechenden Suchzeiten verringert.
Im Ergebnis führt die Methode auch zu einer verbesserten persönlichen Mitar-
beiterorganisation, sofern deren Arbeitsplatz bereits standardisiert wurde. Somit
können mit wenig zeitlichem und finanziellem Aufwand Fehler leichter verhindert
respektive Abweichungen vom optimalen Weg transparent gemacht werden, bevor
diese etwaige Fehler verursachen.
Dabei steht die Abkürzung „5S“ für:

• Selektieren – „Altlasten“ entsorgen und nicht benötigtes entfernen.


• Sortieren – geeigneten Platz zwecks schneller Wiederbenutzung und sachge-
rechter Aufbewahrung definieren.
• Säubern – den Arbeitsplatz sauber und aufgeräumt halten.
• Standardisieren – Ordnung durch standardisierte Abläufe sicherstellen und
• Selbstdisziplin – die 5S sollen den Mitarbeitenden in „Fleisch und Blut“ über-
gehen.

43.2.7 Problemlösungsmethoden

Hierbei geht es um das systematische Lösen etwaiger Probleme. Problemursachen


sollen pragmatisch beseitigt werden, damit Fehler präventiv vermieden werden
können. Mithilfe sogenannter Regelkreise, beispielsweise durch „Planen – Umset-
zen – Überprüfen – Absichern“, sollen Problemlösungen vorangetrieben werden:

• Planen: Wo stehe ich derzeit und mit welcher Priorität gehe ich die Dinge an?
• Umsetzen: Wie setze ich meine Arbeiten und erforderlichen Maßnahmen um?
• Überprüfen: Prüfe ich auch, ob die eingeleiteten Maßnahmen den gewünsch-
ten Erfolg bringen?
43 Lean Management am Legal Operations-Arbeitsplatz 613

• Absichern: Sichere ich den erreichten Zustand ab, nachdem die Ursachen von
Fehlern ausgeschlossen wurden?

Damit die Problemlösung erfolgreich ist, ist eine gemeinsame Teamarbeit erfor-
derlich, um klare Standards zum Problemlösungsprozess zu finden und die jeweili-
gen Prozesskenntnisse sowie die einzuwendenden Methoden zu definieren. Zudem
sind die einzelnen Problemlösungsschritte zu durchlaufen und die Ergebnisse zu
visualisieren respektive bekannt zu machen.

43.3 Beispiele für einzelne Prozessoptimierungen in der


Rechtsabteilung

Wie in Abschn. 43.1 beschrieben, ist das Ziel des Lean Management, mehr Über-
sichtlichkeit in die Rechtsabteilung zu bringen, um Fehler zu vermeiden und
dadurch kundenfreundlicher und effizienter zu arbeiten. Durch eine effizientere
Organisation aller abteilungsinternen Prozesse werden nicht nur Ihre tägliche
Arbeit, sondern auch die Ihrer Mitarbeitenden maßgeblich erleichtert. So können
die Geschäftsprozesse der Rechtsabteilung, auf Basis einer teambasierten Metho-
dik und unter Berücksichtigung der in Abschn. 43.2 beschriebenen Werkzeuge,
verbessert werden.
Nachfolgende Beispiele sollen Ihnen weitere Anregung geben, wie Sie die
Struktur und Organisation Ihrer Rechtsabteilung und der Arbeitsabläufe – unter
Berücksichtigung individueller Umstände, des anwaltlichen Berufsrechts sowie
des Datenschutzes – angehen können. Es handelt sich nachfolgend nur um Bei-
spiele, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr sollen Hinweise und
Anregungen gegeben werden, wie die Umsetzung in der Praxis erfolgreich funk-
tionieren kann. Vergegenwärtigen Sie sich dazu zuerst einmal den Alltag in Ihrer
Rechtsabteilung: Sicherlich setzt er sich oftmals auch aus Aktensuche, Telefonter-
ror, Termindruck, Technikstreik, wechselnden Prioritäten und fehlendem Büroma-
terial zusammen. Die Kernelemente möglicher Optimierungen in Ihrer Abteilung
dürften sich wie folgt zusammensetzen:

• Ablaufplanung (von Beginn bis zum Ende des Auftrags);


• einheitliche Aktenführung;
• klare Kompetenzverteilung und Vertretungsregelung;
• Personalplanung und Verwaltung;
• Fortbildungskonzepte;
• Finanzplanung und Controlling;
• Vertragsmanagement;
• Materialbeschaffung und Investitionsplanung;
• Betreuung interner Mandanten.
614 M.H. Dieluweit

43.3.1 Tagesstruktur

Sofern Sie nun noch Ihre Tagesstruktur in einzelne Schritte (Prozessabläufe) zer-
legen, werden Sie in der Regel zu folgender groben zeitlichen Gliederung Ihrer
Tagearbeitszeit gelangen:

• die Zeit gleich nach Arbeitsbeginn;


• die Zeit der Arbeitsvorbereitung und -umsetzung;
• Zeitpunkte zur Auffüllung von Energiereserven;
• die Zeit gegen Ende des Arbeitstages.

Unter Zugrundelegung dieser vier Gliederungspunkte könnten sich dann nach-


folgende Überlegungen anschließen, und zwar bei „Arbeitsbeginn“: Verschaffen
Sie sich einen Überblick über jene Aufgaben (Termine, Fristen, Wiedervorlagen,
Telefonate, Meetings etc.), die heute zur Bearbeitung anstehen. Möglicherweise
arbeiten Sie mit einer Software, aus der Sie genau diese Punkte entnehmen kön-
nen, anderenfalls könnte es eventuell Sinn machen, dass Sie entsprechende Pla-
nungslisten erstellen. Sodann sollte hier jeweils eine kurze Tagesbesprechung
zwischen Ihnen und Ihrer Assistenz erfolgen, sodass eine Aufgabenverteilung
nach Priorisierung stattfinden kann. Versehen Sie Ihre to do-Liste mit einer realis-
tischen Zeitplanung und überlegen Sie sich, ob und wann bestimmte Aufgaben an
einen Paralegal, einen Auszubildenden oder eine Aushilfe delegiert werden können
(siehe dazu auch Kap. 45).
Hinsichtlich „Arbeitsvorbereitung und -umsetzung“ gilt es, sich folgende Fra-
gen zu stellen: Genügt mein Arbeitsplatz den Anforderungen des technischen
Arbeitsschutzes? Habe ich darüber hinaus genügend Raum, Licht und Luft, um
mich wohl zu fühlen? Habe ich den Kabelsalat auf oder unter dem Schreibtisch
im Griff (wenn nicht, besteht Optimierungsbedarf, um Unfall- und Verletzungs-
gefahren zu minimieren)? Ist meine PC-Technik in Ordnung? Wie sieht mein
Schreibtisch aus? Verfolge ich eine clean desk-Philosophie? Falls nicht, könnte es
eventuell sinnvoll sein, meinen Schreibtisch nach dem ABC-Prinzip in Ordnung zu
bringen:

A – sehr wichtig, dringend, sofortige Bearbeitung erforderlich;


B – wichtig, Bearbeitung muss im Laufe des Tages erfolgen;
C – weniger wichtig, aber erforderlich; ist eine Delegation möglich?

Stellen Sie sich dabei stets die Frage, ob sich im Vertretungsfall (zum Beispiel bei
Urlaub oder Krankheitsabsenz) eine fremde Person an Ihrem Arbeitsplatz schnell
zurechtfinden würde.
Hinsichtlich der über den ganzen Arbeitstag verteilten „Auszeiten für die Auf-
füllung von Energiereserven“ ist auf jeden Fall zu beachten, dass Ihre abnehmende
Konzentrationsfähigkeit nicht unterschätzt werden sollte. Achten Sie deshalb stets
auf kurze (!) Pausen zwischen zwei Arbeitsvorgängen und auf regelmäßige Mit-
tagspausen mit ausgewogenem Essen. In diesen Pausen ist sicherzustellen, dass
43 Lean Management am Legal Operations-Arbeitsplatz 615

der Telefondienst sichergestellt ist. Das kann durch einen Anrufbeantworter, Ihre
Assistenz oder einen Kollegen erfolgen. Möglicherweise kann es in der Rechtsab-
teilung auch Sinn machen, ein organisiertes Gesundheitsmanagement einzuführen:
Ein solches kann einfach durch die Möglichkeiten leichter Gymnastik, von Atem-
übungen oder auch durch den Einsatz mobiler Physiotherapeuten erfolgen.
Schließlich gilt es, gegen „Ende des Arbeitstages“ zu kontrollieren, ob Sie
Ihren Tagesplan erfüllt haben. Wurden insbesondere alle fristrelevanten Arbeiten
abgeschlossen sowie der Posteingang und der Postausgang bereinigt? Soweit nicht
alles erledigt wurde, ist festzustellen, was noch übrig geblieben ist und zu bestim-
men, wann offene Punkte in Angriff genommen werden. Ferner könnte die Vor-
planung für den nächsten Tag oder die nächste Woche erledigt werden, bevor Sie
das Ende Ihres Arbeitstages erreicht haben und in den wohlverdienten Feierabend
entschwinden. Schließlich könnte auf Ihrer to do-Liste am Freitagnachmittag die
Aufgabe der Datensicherung sowie des Schreibtischaufräumens stehen (Stichwort:
clean desk policy).
An den hier genannten Beispielen zur Tagesstruktur ersehen Sie, dass es unzäh-
lige Möglichkeiten gibt, Prozessabläufe zu definieren, zu optimieren und zu stan-
dardisieren. Sie finden in Ihrem Umfeld neben den hier beschriebenen sicherlich
noch viele weitere Möglichkeiten, um Ihren Arbeitsplatz noch besser zu organisie-
ren und Ihren Arbeitstag dadurch angenehmer und produktiver zu gestalten (siehe
dazu detailliert Kap. 27).

43.3.2 Termin- und Fristenmanagement

Ähnlich verhält es sich mit dem Termin- und Fristenmanagement als Teilbereich
der Organisation von Legal Operations. Vorab nehmen Sie die aktuellen Prozesse
in diesem Bereich Ihrer Rechtsabteilung auf und fragen sich, wie diese zurzeit
genau ausgestaltet und geregelt sind. Es mag sein, dass ein zentraler Kalender
auf Papier für alle Mitarbeitenden geführt wird. Das hat gewiss den Vorteil, dass
aus der vorgenommenen Dokumentation (weil schriftlich) die jeweilige Person
erkennbar ist, welche den Eintrag vorgenommen hat. Vielleicht nutzen Sie aber
auch eine gemeinsame EDV-Lösung oder eine Anwaltssoftware in der Rechts-
abteilung, bei welcher wiederum die Frage zu beantworten wäre, was bei einem
etwaigen Stromausfall oder dem Auftreten sonstiger technischer Probleme pas-
siert? Eine weitere Möglichkeit könnte darin bestehen, dass Sie einen eigenen,
persönlichen Kalender (elektronisch oder auf Papier) führen. Hierbei stellt sich
dann jedoch die Frage der Synchronisation mit Smartphone, der EDV und dem
zentralen Kalender der anderen Mitarbeitenden. Auch die Fristen selbst lassen sich
nach ihrer Art sinnvoll untergliedern, nämlich danach, ob es sich um gesetzliche
Notfristen handelt, die niemals verlängerbar sind, um richterliche Fristen, die nur
auf Antrag vor Fristablauf veränderbar sind, oder um Fristen zur Stellungnahme
gegenüber der Gegenseite respektive internen Kunden, welche schon aus Kollegia-
litätsgründen zu beachten sind. Auch dieser Punkt lässt sich anhand eines Prozess­
ablaufs darstellen, der inhaltlich beispielsweise wie folgt aussehen könnte:
616 M.H. Dieluweit

• Blick in den Papierkalender: Was steht heute an (Abgleich mit EDV)?


• Vorlage des Vorgangs an den zuständigen Legal Counsel zur Bearbeitung.
Gegebenenfalls Vorfristen setzen und klären, wer was wann macht.
• Verlängerungsantrag möglich und notwendig? Eventuell Abstimmung mit Drit-
ten (Gericht, interner Mandant etc.).

Sodann im Sinne einer doppelten Kontrolle:

• Blick in Papier- und EDV-Kalender.


• Alle Fristen, gegebenenfalls auch Vorfristen, des Tages erledigt? Postausgangs-
kontrolle, Kontrolle Fax-Sendeberichte etc.
• Erledigungsvermerk oder Vermerk, ob und wie lange die Frist verlängert wurde.

43.3.3 Vertragsmanagement

Auch hinsichtlich des Vertragsmanagements ist der aktuelle Prozess seriös zu ana-
lysieren und zu prüfen. Möglicherweise ergibt sich, dass bei Ihnen die geschlosse-
nen Verträge dezentral, das heißt in der jeweiligen Abteilung aufbewahrt werden.
Vielleicht werden diese uneinheitlich in einer EDV-Lösung oder aber in Papier-
form aufbewahrt. Teilweise werden die Verträge gegebenenfalls gar nicht gema-
nagt, sodass das Risiko besteht, nicht zu wissen, wie lange die Vertragslaufzeit ist,
welche Haftungsregelungen oder welche Regelungen zum Gewerblichen Rechts-
schutz getroffen wurden. In einem solchen Fall bietet es sich an, ein Dokumen-
tenmanagementsystem einzuführen (siehe dazu detailliert Kap. 52). Eine Vielzahl
von Softwarelösungen werden hierzu angeboten, sodass Sie – gemeinsam mit Ihrer
Einkaufs- und IT-Abteilung – einen konkreten Anforderungskatalog erstellen kön-
nen. Möglicherweise hält Ihre IT für solche Fälle, in denen eine Fachabteilung eine
neue Softwarelösung einführen möchte, ein standardisiertes Anforderungsmuster
bereit. Nachdem Sie sich über das für Sie relevante Leistungsportfolio einig gewor-
den sind, können zielgerichtet Angebote eingeholt und bewertet werden, sodass die
Entscheidung für ein Softwareprodukt sachgerecht getroffen werden kann.
Unabhängig davon, ob Sie ein Vertragsmanagement einführen beziehungsweise
reorganisieren möchten, das zentralisiert oder dezentralisiert eingesetzt werden
soll, bedarf es der Erarbeitung eines konkreten Vertragsprozesses, aus dem sich
der Lebenslauf des Vertrags ergibt. Sie müssen abbilden, welche Abteilungen und
Funktionen (Personen) beratend, vertragsfreigebend oder entscheidend einzubin-
den sind. Basierend auf diesen Feststellungen können Sie sodann eine Berechti-
gungsmatrix erarbeiten, um Ihre Softwarelösung auf Ihre Bedarfe hin erstellen
zu lassen, sodass nur jene Abteilungen – und dort auch nur bestimmte Funktio-
nen (Personen) – lesenden, schreibend ergänzenden oder schreibend ändernden
Zugriff erhalten. Nach erfolgreicher Einführung Ihrer Vertragsmanagement-Soft-
ware sollten Sie einen Zustand erreichen, welcher ein rechtssicheres Vertragsma-
nagement zulässt und somit in erheblichem Maße zur Fehlervermeidung in der
Rechtsabteilung beiträgt. Ab diesem Zeitpunkt werden Sie in der Lage sein, bei
43 Lean Management am Legal Operations-Arbeitsplatz 617

Ihren Verträgen stets all jene Vertragsparameter kontrollieren zu können, die für
Sie wichtig sind und zugleich zu mehr Rechtssicherheit in Ihrem Unternehmen
beitragen.

43.3.4 IT-Infrastruktur

Vielleicht ergibt sich aus Ihrer Leistungsbeschreibung der Bedarf, die bestehende
IT-Infrastruktur zu verändern oder zu erweitern: Beispielsweise erwächst der
Bedarf nach leistungsfähigeren Scannern, Druckern oder Computern oder nach
besseren Softwarelösungen – neben dem zuvor beschriebenen Vertragsmanage-
ment – für Ihre Rechtsabteilung, welche anzuschaffen sind, sodass Sie auch hierzu
sachgerechte Angebote einholen sollten.

43.3.5 Sonstige Ressourcenoptimierung

Auf die gleiche Art und Weise wie die vorherigen beispielhaften Themen lassen
sich die Prozessschritte für folgende Inhalte ableiten:

• Aktenanlage, Aktenführung und Ablage;


• Verschwiegenheit und Datenschutz;
• Umgang mit Kommunikationsmitteln und Kommunikation untereinander;
• Grundlagen der Zusammenarbeit innerhalb der Rechtsabteilung;
• die Art und Weise der Postverteilung und des E-Mail-Managements;
• die interne Aufgabenverteilung, Wiedervorlagen Ihrer Vorgänge;
• das Erstellen und Aktualisieren von Stellenbeschreibungen;
• die Betreuung interner Mandanten und das Beschwerdemanagement.

Allein die hier aufgeführten Beispiele mögen erste Anregungen und Ideen bieten,
wie Sie sich, Ihre Mitarbeitenden und die gesamte Rechtsabteilung weiter optimie-
ren können. Sie werden bei konsequenter Umsetzung der hier vorgeschlagenen
(und natürlich auch Ihrer eigenen) Ideen nicht nur mehr Zeit auf das Tagesgeschäft
und auf die wirklich wichtigen Dinge verwenden können, sondern auch Ihre beste-
henden Ressourcen schonen. Schließlich führt der Einsatz des Lean Management
und der darauf aufbauenden Optimierung Ihrer Legal Operations dazu, dass die
Rechtsdienstmitarbeiter motivierter am Arbeitsplatz erscheinen und dadurch zu
einer weitergehenden Akzeptanz für Ihre Lean Management-Bemühungen im
Unternehmen beitragen.

Literatur
Erlach K (2010) Wertstromdesign. Der Weg zur schlanken Fabrik, 2. Aufl. Springer, Berlin
Hopp WJ, Spearman ML (2011) Factory physics, 3. Aufl. Waveland Press, Long Grove
618 M.H. Dieluweit

Keith D (2013) Vom Probleme lösen und den Problemen damit. technologie & management
2013(4):35 ff.
Rother M (2013) Die Kata des Weltmarktführers Toyotas Erfolgsmethoden, 2. Aufl. Campus,
Frankfurt a. M.
Womack JP, Jones DT, Roos D (2007) The machine that changed the world. Free Press, New
York

Über den Autor


Marc H. Dieluweit – Rechtsanwalt Rechtsanwaltsbüro DIELUWEIT, Düsseldorf
Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum sowie an der
Johannes Kepler Universität Linz an der Donau, Österreich gründete Herr Rechtsanwalt Die-
luweit das Rechtsanwaltsbüro DIELUWEIT in Solingen und arbeitete als of Counsel bei einer
indischen Rechtsanwaltssozietät in Ahmedabad. Dort war er mit der vertrags- und haftungs-
rechtlichen Betreuung europäischer Mandanten aus der Automobilindustrie und chemischen
Industrie befasst. Nachfolgend bekleidete er bei Unternehmen aus der Automobil- und Flug-
zeugzulieferindustrie sowie aus dem Dienstleistungssektor Positionen als Leiter Recht, Versiche-
rung und Compliance und war dort zusätzlich als Geschäftsführer und Aufsichtsrat tätig bis er
sich ausschließlich auf seine anwaltliche Tätigkeit konzentrierte. In seiner Kanzlei (Düsseldorf
und Solingen) berät er in- und ausländische klein- und mittelständische Unternehmen in den
Bereichen Arbeits-, Gesellschafts- und Vertragsrecht sowie Unternehmensnachfolge und Inte-
rimsmanagement. Er ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Handels- und Gesellschaftsrecht im
Deutschen Anwaltsverein sowie in der Deutschen Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnach-
folge (DVEV).
Knowledge Management in Legal
Operations 44
Carolin Kühne

44.1 Zur Bedeutung von Wissensmanagement in Legal


Operations

Eine zentrale Motivation zur Etablierung eines funktionierenden Wissensmanage-


ments in Legal Operations lässt sich mit folgendem kurzen Praxisbeispiel vor
Augen führen: Wenige Minuten vor Dienstschluss spricht der Leiter des Rechts-
bereichs eines Unternehmens sein Team von Legal Counsels an. Eine dringende
Anfrage der unternehmensinternen Abteilung für strukturierte Finanzierungen sei
gerade eingegangen. Die Besicherung eines über Leasing finanzierten Flugzeugs,
insbesondere der Triebwerke, müsse noch am selben Tag geprüft werden. Ein
Kollege, der sich gerade im Urlaub befindet, hatte die in diesem Zusammenhang
bestehenden rechtlichen Fragestellungen kürzlich in einem anderen, aber ähn­
lichen Fall geprüft. Da er glücklicherweise sein Gutachten in die – eigens für die
Abteilung ins Leben gerufene – Wissensdatenbank eingepflegt hatte, gelingt die
fristgerechte Beantwortung der Anfrage problemlos. Dieses Beispiel lässt sich in
verschiedenen Varianten beliebig weiterführen. Ihnen allen gemeinsam ist zum
einen die hohe Bedeutung ad hoc abrufbaren Wissens über technische Datenban-
ken und Strukturen. Zum anderen ist die Erwartungshaltung der Fachbereiche an
„ihre“ Rechtsabteilung, möglichst effizient zu arbeiten und vorhandenes Wissen ad
hoc abrufbar zu halten, hoch.

Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Meinung der Autorin wieder.

C. Kühne (*)
Frankfurt am Main, Deutschland

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 619


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_44
620 C. Kühne

44.1.1 Ad hoc abrufbares komplexes Wissen

Nicht nur in diesen vergleichsweise einfachen Konstellationen ist gelungenes Wis-


sensmanagement unverzichtbar. Auch in einer Transaktionsstruktur, die – etwa durch
neue Regularien oder cross border-Aspekte wie beispielsweise im oben genannten
Recht der Sicherheiten – zusätzlich komplex wird, muss hierauf zurückgegriffen
werden können. Kommen weiter ein gewisser Kostendruck und das enge Zeitfens-
ter hinzu, potenziert sich der Bedarf des Legal Counsel, auf Wissen zurückgreifen
zu können, das in seinem Bereich zu dem jeweiligen Thema schon einmal erstellt
wurde. Dies gilt umso mehr als die Fluktuation von Mitarbeitern in Unternehmen
zugenommen hat: Das im Unternehmen vorhandene Wissen solcher „Wissensträger“
sollte erhalten bleiben. Ziel ist es daher, das Wissen der Wissensträger zu erfassen,
zu systematisieren und jederzeit verfügbar zu halten. Dazu wird das Wissen in der
Abteilung idealerweise bei einer zentralen Stelle für Wissensmanagement gesammelt
und strukturiert, damit es über eine Datenbank für alle Teammitglieder abrufbar ist.

44.1.2 Interdisziplinärer Nutzen

Eine solche zentrale Stelle für Wissensmanagement in einer größeren Abteilung


kann verhindern, dass mehrere Legal Counsels gleichzeitig an derselben Fragestel-
lung arbeiten, die an sie von mehreren Seiten herangetragen wurde. Darüber hinaus
können von dort auch interdisziplinäre1 Hinweise auf Entwicklungen aus verschie-
denen Rechtsgebieten gegeben werden, die sich nicht ohne weiteres aus der Pers-
pektive des einzelnen spezialisierten Legal Counsel ergeben würden. Der
Gesellschaftsrechtler mit Spezialisierung auf das Konzernrecht könnte beispiels-
weise einen Hinweis aus dem Bank- und Finanzaufsichtsrecht erhalten, wonach der
Einfluss neuer EU-Vorgaben für Banken (zum Beispiel die Bankenabwick-
lungs-Richtlinie) auf Unternehmensverträge zu überlegen ist.2 Das Gleiche gilt,
wenn Gesetze zur Umsetzung von EU-Richtlinien zum Gesellschaftsrecht gleich-
zeitig neue regulatorische Vorschriften beinhalten, wie die Anti-Geldwäschebestim-
mungen in der Aktienrechtsnovelle 2016. Mit zunehmender Informationsdichte
gewinnt dieser interdisziplinäre Ansatz noch an Bedeutung. Der „Blick fürs
Ganze“ – gerade über den eigenen Arbeitsbereich hinaus – wird immer wichtiger.
Dieser Erkenntnis ist global auch durch Lehrstühle für interdisziplinäre Fachberei-
che begegnet worden.3 Eine der Voraussetzungen, Verbindungen zu anderen

1Mit „interdisziplinär“ ist in der Literatur im Zusammenhang mit Wissensmanagement meist nur
die technische Ebene angesprochen, die die IT-Struktur und das Knowledge zusammenbringt.
Hierzu näher unter www.computer.org/csdl/mags/ex/2001/01/x1024.pdf. Besucht 10. Mai 2017.
2Lutter (2014, S. 910).

3So wurde beispielsweise am King’s College in London ein Bereich „interdisciplinary research“

geschaffen und Fachbereiche untereinander vernetzt, mit Blick darauf, dass interdisziplinäres
Agieren für die Zukunft entscheidend ist: www.kcl.ac.uk/innovation/groups/interdisciplinary.
aspx. Besucht 26. November 2016.
44 Knowledge Management in Legal Operations 621

­ issensbereichen herstellen zu können, ist jedoch, die Zeit zu haben, diese Dinge
W
recherchieren zu können.

44.1.3 Der Charme der Standardisierung

Der Nutzen von Standardverträgen ist eine wichtige Maßnahme, um Rechtsrisiken


zu minimieren: „Lawyers are required to use fixed-form agreements that have
been carefully crafted in anticipation of well-known legal problems and pitfalls.“4
Darauf weist Professor Richard Susskind in seinem Buch Tomorrow’s Lawyers
hin. Über das Erstellen von Standardverträgen und deren regelmäßige Aktualisie-
rung kann zum einen der Prozess des Wissensteilens verwirklicht werden, zum
anderen könnten die Fachabteilungen in ihren Verhandlungen angehalten werden,
von den Klauseln nur mit ausdrücklicher Zustimmung ihrer Anwälte abweichen zu
dürfen. Weiter prognostiziert Susskind, dass sich in Zukunft auch die Rechtsberei-
che der Unternehmen vermehrt dem IT-gestützten Wissensmanagement widmen
werden müssen.5 Das haben unternehmensinterne Rechtsabteilungen erkannt und
sehen das Wissensmanagement als einen wichtigen Bereich für Innovationen mit
der Vertragsverwaltung als Anwendungsgebiet: Je eher Verträge standardisiert
sind, desto geringer sind Risiken durch Altverträge.6

 „Legal risk management and knowledge management will be key


strategic issues for tomorrow’s in-house lawyers.“7

Standardisierung von Wissen kann aber auch die systematische Erfassung rele-
vanter Aspekte bedeuten, etwa in Form von Checklisten, die sich in der Pra-
xis bewährt haben. Hilfreich sind weiter vorformulierte Bausteine gleichsam als
Werkzeugkasten für einen Vertrag (Gerichtsstandsklausel oder auch „increa-
sed costs“-Klausel etc.). Einen gewissen Standardisierungsgrad enthalten kom-
primierte Übersichten, respektive Leitfäden zu bestimmten Themen, etwa zum
Ablauf bei einem Unternehmenskauf. Der Charme solcher Vorlagen besteht darin,
dass aktuelle Rechtsentwicklungen direkt in das jeweilige Papier eingepflegt und
verlinkt werden können. Diese Guides stellen schließlich auch eine wertvolle Ori-
entierung für die Newcomer einer Abteilung oder Kollegen dar, die sich schnell
in die Praxis eines neuen Rechtsgebiets einarbeiten müssen. Ist ein solcher Guide
einmal erstellt, nimmt die Aktualisierung wie oben erwähnt nur vergleichsweise
wenig Zeit in Anspruch. Zudem kann ein solcher komprimierter Überblick als
Ausgangsbasis für weitere Wissensprojekte motivieren.

4Susskind (2013, S. 64).


5Susskind (2013, S. 65).
6Zander (2015, S. 28 f.).

7Susskind (2013, S. 68).


622 C. Kühne

44.1.4 Gesetzliche Motivation zum Wissensmanagement


in Legal Operations

Geschäftsleiter sind für die ordnungsgemäße Geschäftsorganisation des Unterneh-


mens verantwortlich, die insbesondere ein angemessenes und wirksames Risiko-
management umfasst. Daher sind unter Compliance-Gesichtspunkten etwa die
Beachtung aktueller Rechtsentwicklungen und die Beschäftigung mit der Etablie-
rung eines juristischen Wissensmanagements in der Rechtsabteilung meist sinn-
voll. Beispielsweise schreiben das Aktien-8 und das GmbH-Gesetz9 vor (§§ 91, 93
AktG, § 43 GmbHG), alles zu tun, um wirtschaftlichen Schaden vom Unterneh-
men abzuwenden. Dies gilt umso mehr mit Blick auf die jüngere Rechtsprechung
zur verschärften Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat.10 Auch auf Gesetzge-
bungsebene sind Überlegungen in diesem Zusammenhang erkennbar: Bislang
waren besondere organisatorische Anforderungen beispielsweise an Kreditinsti-
tute (§ 25a KWG11) in weiten Teilen in normkonkretisierenden Rundschreiben
(Mindestanforderungen an das Risikomanagement, MaRisk) geregelt. Diese
haben keinen Rechtsnormcharakter und können nicht direkt als Grundlage für Ver-
waltungsakte herangezogen werden – heißt es in der Gesetzesbegründung zum
AbwMechG12 – und es erscheint „erforderlich und angemessen, die Möglichkeit
zu eröffnen, die zur Begründung derartiger Sanktionen dienenden Regelungen auf
die Basis einer Rechtsverordnung zu stellen“ (vgl. § 25a Abs. 4 KWG).

44.2 Mögliche Organisationsmodelle

Die Bezeichnung „Wissensmanagement“ wirft die Frage auf, was sich hinter dem
Begriff „Management“ verbirgt.13 Wer Wissen „managen“ will, muss sich Gedan-
ken über eine Erfolg versprechende Struktur machen.14 Das aus der eigenen

8(Deutsches) Aktiengesetz vom 6. September 1965 (BGBl. I S. 1089), das zuletzt durch Artikel 5

des Gesetzes vom 10. Mai 2016 (BGBl. I S. 1142) geändert worden ist (AktG).
9(Deutsches) Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung in der im Bundesgesetz-

blatt Teil III, Gliederungsnummer 4123-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch
Artikel 8 des Gesetzes vom 10. Mai 2016 (BGBl. I S. 1142) geändert worden ist (GmbHG).
10Vgl. Landgericht (LG) München I, Urteil vom 10. Dezember 2013, 5 HKO 1387/10, NZG

2014:345.
11(Deutsches) Kreditwesengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. September 1998

(BGBl. I S. 2776), das zuletzt durch Artikel 3 u. 4 des Gesetzes vom 30. Juni 2016 (BGBl. I
S. 1514) geändert worden ist.
12Vgl. (Deutsches) Gesetz zur Anpassung des nationalen Bankenabwicklungsrechts an den Ein-

heitlichen Abwicklungsmechanismus und die europäischen Vorgaben zur Bankenabgabe (Abwick-


lungsmechanismusgesetz, AbwMechG), RegE, BT-Drs. 18/5009, S. 73; BGBl. I 2015, S. 1864.
13Hierzu von Rosenstihl (2004, S. 24, 26 ff.); siehe auch Dückert (2007, S. 16 ff.).

14Als Kardinaltugend nennt Schneider (2001, S. 41) das Erfordernis, sich zunächst intensiv mit

dem Konzept des Wissensmanagements auseinanderzusetzen.


44 Knowledge Management in Legal Operations 623

Praxiserfahrung entstandene Wissen ist hierbei unverzichtbar. Allerdings muss die


Struktur nicht besonders komplex oder verschachtelt sein. Im Gegenteil: Orientiert
man sich eher an der Maßgabe „keep it simple“, ist dies meist sogar hilfreicher.
Dies gilt insbesondere dann, wenn die Abteilungsmitglieder der neuen Struktur
skeptisch gegenüber stehen. Nur wenn sie sich vom gemeinsamen Nutzen begeis-
tern lassen, können sie zum Wissensteilen nachhaltig motiviert werden.

44.2.1 Wissen: Definition und Arten

 Die Gesellschaft für Wissensmanagement15 definiert Wissen als:


• das Ergebnis der Verknüpfung neuer Informationen mit beste-
hendem Vorwissen;
• Schaffung von Mehrwert für jeden persönlich, für Organisatio-
nen und Unternehmen;
• eine Ressource; und zwar die einzige, die sich durch Nutzung
vermehren lässt.

Es gibt zahlreiche Aspekte, die unter diesen Wissensbegriff in einem Unternehmen


eingeordnet werden können, wie die Verwaltung von Kundendatenbanken, das
systematische Erfassen administrativen Wissens oder von Branchenwissen. Im
Rahmen des Wissensmanagements in Rechtsabteilungen jedenfalls steht daneben
das reine Fachwissen im Fokus. Ob innerhalb der Begriffsdefinition „Wissen“ eine
klare Unterscheidung zwischen expliziten und impliziten Wissen16 auch im Rah-
men des juristischen Wissensmanagements sinnvoll ist, wird in der Fachliteratur
hinterfragt.17 Diesterer unterscheidet stattdessen zwischen analytischem Wissen,
also Wissen, das durch persönliche Teilnahme an Situationen aufgebaut wird
(„Erfahrungswissen“), zweitens dem prozeduralen Wissen, das heißt, eine
bestimmte Information verknüpft mit Erfahrung („Know-how“) und drittens
deklarativem Wissen. Letzteres umfasst nach seiner Ansicht das Wissen über das
Recht und die Rechtsprechung in einem juristischen Fachgebiet.18

 „Es ist die Kunst, das Erfahrungswissen in den Köpfen von Mitarbei-
tern für das Unternehmen zu nutzen. Darin biete sich die Möglich-
keit, ältere Mitarbeiter stärker zu motivieren und ihre Erfahrungen
abzuschöpfen.“19

15Vgl. www.gfwm.de/fachlich. Besucht 10. Mai 2017 (mit weiterem Nachweis).


16Also dem sozusagen verbrieften Wissen in Dokumenten und Vermerken (explizites Wissen)
und dem nicht artikulierten Wissen, das etwa in bestimmten Denkmustern verankert ist oder in
der Art der Zusammenarbeit übertragen wird (implizites Wissen).
17Disterer (2003, S. 191).

18Disterer (2003, S. 192 f.).

19Deutsche Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis, www.mana-

ger-magazin.de/finanzen/artikel/a-74817.html. Besucht 10. Mai 2017.


624 C. Kühne

Insgesamt sollte – einmal abgesehen von der unterschiedlichen Klassifizierung


von Wissen – für die Etablierung eines erfolgreichen Wissensmanagements maß-
geblich sein, welches Wissen das tägliche Handwerkszeug bildet, das ad hoc
abrufbar sein und laufend aktuell gehalten werden muss. Vorab ist daher zwingend
zu überlegen, welches Wissen innerhalb der Abteilung zentral gesammelt und zur
allgemeinen internen Weitergabe verfügbar gemacht werden soll. Im Rahmen des
„keep it simple“-Prinzips ist es hilfreich, hier zu priorisieren und Wissensmanage-
ment-Ziele zu definieren.

44.2.2 Erfassen und Weitergabe von Wissen

44.2.2.1 Die geeignete Plattform für gute Wissenskommunikation


Eines der Kernthemen im Wissensmanagement ist die uneingeschränkte Verfüg-
barkeit von Wissen. Das bedeutet, dass das vorhandene Wissen „jederzeit“ für alle
Teammitglieder abrufbar sein muss. Dies kann recht einfach über eine gemeinsame
IT-gestützte Plattform, auf die alle Abteilungsmitglieder Zugriff haben, umgesetzt
werden. Ideal ist es, wenn die Legal Counsels das von ihnen erstellte Wissen in
Form von Präsentationen (Slides), Einzelfalldokumenten (gegebenenfalls ano-
nymisiert) oder in der Form von Memoranda selbstständig und einfach in diese
Datenbank einfügen können. Bei umfassenderen Wissenssammlungen kann einer
der Legal Counsels die Funktion eines „Wissensmanagement-Beauftragten“ – als
zentrale Stelle – übernehmen.
Die technische Dokumentation des Wissens beinhaltet eine „gebräuchliche
Technologie in Form eines Dateibaums“, also einer Struktur von öffentlichen Ord-
nern auf der Festplatte.20 Wichtig ist es, sich dabei zu überlegen, wie die Suchfunk-
tion in dieser Struktur und die Auffindbarkeit von Dokumenten gewährleistet
werden, wenn die Datenmenge stetig anwächst. Die Bedeutung der technischen,
respektive IT-basierten Lösungen bei umfassenderen Datenmengen wird spätestens
dann deutlich, wenn beispielsweise ein bestimmter Dokumententyp (Vermerk oder
Vortrag) mit einem Thema (zum Beispiel Geschäftsleiterhaftung) verknüpft wer-
den muss, und die Suche mithilfe der Booleschen Operatoren durchgeführt werden
kann.21 Manche große Rechtsabteilungen gehen weiter: Zum Beispiel mit Plattfor-
men wie „Share Point“, mit der man Dokumente teilen und kommentieren kann.22
Für eine Rechtsabteilung mit einem nur kleinen Mitarbeiterteam kann hingegen

20ManagerMagazin, 5. Oktober 2015, Der Kollege mein Lehrer, www.manager-magazin.de/


unternehmen/karriere/wissen-teilen-unternehmen-unterstuetzen-lernen-vom-kollegen-a-1054521.
html. Besucht 10. Mai 2017.
21Das heißt, die Verknüpfung von Begriffen (UND/ODER/NICHT) zur Bildung einer Schnitt-

menge.
22ManagerMagazin, 5. Oktober 2015, Der Kollege mein Lehrer, www.manager-magazin.de/

unternehmen/karriere/wissen-teilen-unternehmen-unterstuetzen-lernen-vom-kollegen-a-1054521.
html. Besucht 10. Mai 2017.
44 Knowledge Management in Legal Operations 625

bereits der Weg über regelmäßige Meetings zum Wissensaustausch sehr wirkungs-
voll sein, in denen etwa ein Vormittag ausschließlich der Auswahl des zu teilenden
Wissens im Vordergrund steht. Zu weiteren praktischen und theoretischen Model-
len zum systembasierten Teilen von Wissen kann auch auf das von der Gesellschaft
für Wissensmanagement entwickelte Wissensmanagement-Modell verwiesen
werden.23 Die Gesellschaft für Wissensmanagement bietet auf ihrer Website zudem
Hinweise zu Wikis und Wissensdatenbanken.24

44.2.2.2 Ordnungsstrukturen
Ein kleines Detail mit großer Wirkung ist die Überlegung im Vorfeld, ob die
Sammlung nach dem jeweiligen Dokumententyp (Präsentationen, Aktenvermerke,
Notizen, Verträge etc.) oder besser nach Themen gegliedert werden soll (Aktien-
recht, Wertpapierrecht etc.). Das hört sich zuerst sehr simple an, kann aber schon
zu Beginn der Sammelaktion über Erfolg oder Misserfolg des gesamten Systems
entscheiden. Um zukünftig die Akzeptanz der Datenbank und die Motivation zum
Wissenssammeln nachhaltig zu entwickeln, ist es Erfolg versprechend, im gemein-
samen Kreis darüber zu diskutieren und zu entscheiden, wie die Struktur einer
gemeinsamen Datenbank aussehen soll.

Beispiel
Wenn Sie nach Dokumententypen sammeln, können Sie folgende Unter-
scheidung treffen:
• Vorträge/Präsentationsslides;
• Aktenvermerk/Gutachten;
• Vertragsbeispiele/Musterklauseln;
• Checklisten;
• Best Practices;
• usw.

Die Entscheidung ist sicherlich nicht nur Geschmackssache. Sie richtet sich auch
nach der Thematik. Handelt es sich beispielsweise um ein sehr neues Thema, zu
dem es noch kein oder nur wenig Wissen in der Abteilung gibt, könnte es sich
anbieten, erst einmal nach dem Dokumententyp zu sammeln. Damit erhält man
einen Überblick, was vorhanden ist. In einem späteren zweiten Schritt kann dann
nach einzelnen Themenpunkten beziehungsweise Unterpunkten gegliedert werden.
Besteht dagegen bereits eine umfassende Sammlung, bietet sich die Gliederung

23Das Modell, so Simon Dückert (www.gfwm.de/fachlich/gfwm-wm-modell.   Besucht 10. Mai


2017), ist kompatibel mit dem prozessorientierten, mehrsprachigen Management-System-Stan-
dard ISO 9000, der weltweit bei mehr als einer Million Organisationen im Einsatz und kostenfrei
unter Open-Content-Lizenz verfügbar ist, vgl. auch http://archiv.gfwm.de/files/GfWM-Artikel_-_
Grundlagen-des-GfWM-WM-Modells.pdf. Besucht 10. Mai 2017.
24Vgl. www.gfwm.de. Besucht 10. Mai 2017.
626 C. Kühne

nach Themenpunkten als der von Anfang an geeignete Weg an. Zudem kann es zu
besonders komplexen neuen Regularien hilfreich sein, eine Art internen Kommen-
tar oder Leitfaden zu erstellen, indem man das in der Abteilung vorhandene Wis-
sen jeweils thematisch unter einzelnen gesetzlichen Regelungen einsortiert.
Möglicherweise sind hier sogar Querverweise auf die betreffende Rechtsprechung
oder die Gesetzgebungsentwicklung hilfreich. Ein Beispiel zu einer solchen Struk-
tur ist im Internet bei der „European Banking Authority“ (EBA) zu finden. Die
EBA hat mit ihrem „Interactive Single Rulebook“ diese Systematik durch ein
interaktives Online-Tool zu neuen EU-Regularien im Bankaufsichtsrecht (Capital
Requirement Regulation) beispielhaft vorgemacht.25

44.2.2.3 Externe juristische Wissensquellen – Hinweise und Tipps


Externe juristische Wissensquellen spielen in der täglichen Praxis von Rechtsab-
teilungen eine wichtige Rolle: Neben der anspruchsvollen Auswertung juristischer
Fachzeitschriften, juristischer Datenbanken mit Gerichtsentscheidungen und der
möglichen kursorischen Durchsicht verschiedener juristischer Blogs, sind auch die
zahlreichen Online-Angebote juristischer Verlage einzubeziehen.
Das Aufgabengebiet eines mit dem Wissensmanagement betrauten Legal
Counsel wird maßgeblich von dem jeweiligen juristischen Fachgebiet bestimmt,
in dem er arbeitet. Man kann dabei feststellen, dass bestimmte Rechtsberei-
che regulierungsintensiver sind als andere. Ganz offensichtlich lässt sich das
aktuell im Zusammenhang mit der zunehmenden Digitalisierung der Gesell-
schaft beobachten. Aktuelle gesetzgeberische Vorgaben, die mit der Digitali-
sierung zusammenhängen, sind beispielsweise die neuen EU-Regularien zur
Online-Streitschlichtung, welche die Prozessführung betreffen. Das Arbeitspro-
dukt, in dem jeweils die Änderungen für das nationale Recht herausgefiltert wer-
den, die in der Praxis wesentliche Bedeutung erlangen könnten, darf dabei nicht
unterschätzt werden. Weiter ist zu klären, inwieweit auf bereits vorhandene arten-
verwandte interne Strukturen, wie etwa aus dem Bibliotheksbereich, sowie externe
Sammlungen, wie beispielsweise auf die im Internet vorhandenen Datensamm­
lungen, unterstützend zurückgegriffen werden kann.
Die Erstellung einer Übersicht über externe, allgemein zugängliche Quellen,
wie Websites zu Gerichtsdatenbanken, kostenpflichtigen Fachzeitschriften juris-
tischer Verlage sowie die Datenbanken und Publikationen öffentlicher Behörden
(Europäische Union, Bundesnotarkammer, BaFin oder auch – insbesondere mit
Blick auf Fragen zum ausländischen Recht – nationale und internationale Han-
delskammern) hört sich unspektakulär an. Eine regelmäßige kontinuierliche Aus-
wertung der dort zur Verfügung gestellten Informationen kostet zwar einiges an
Zeiteinsatz, kann sich aber durchaus langfristig auszahlen. Zudem gibt es von vie-
len im Internet präsenten Unternehmen spezifische „Know-how“-­Sammlungen,
wie Ad-hoc-Informationen, Briefings, Newsletter, Portale, Blogs etc., die auf
deren Websites allgemein zugänglich sind.

25Abrufbar unter: www.eba.europa.eu/regulation-and-policy/single-rulebook/interactive-sing-


le-rulebook/-/interactive-single-rulebook/toc/504. Besucht 10. Mai 2017.
44 Knowledge Management in Legal Operations 627

 Externe juristische Quellen im Internet (Auszug):


• Entscheidungssammlungen (BGH, OLGs, LGs etc.), die nach
zuständigen Senaten und damit Themen (Insolvenzrecht, Bank-
recht etc.) sortierbar sind;
• Vorankündigung höchstrichterlicher Entscheidungen (BGH-
Pressemitteilung „Vorschau auf Entscheidungen des Bundesge-
richtshofs“);
• Übersichten und Updates zu Fachinformationen bei Verbänden
(zum Beispiel zum Bank- und Kapitalmarktrecht beim Deutschen
Anwaltsverein) sowie entsprechende Blogs;
• Studien und Broschüren im Web von Kanzleien und Unterneh-
mensberatern.

Wachsamkeit zahlt sich hier oft aus, wenn man beispielsweise praxisrelevante –
in nächster Zeit anstehende – Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) im
Rahmen der BGH Pressemitteilungen schon vorab verfolgt. Weiter kann auch die
einfache Information über die Rechtskraft eines instanzgerichtlichen Urteils oder
eben dessen mögliche Anhängigkeit in der nächsthöheren Instanz schon hilfreich
sein.

44.2.2.4 Woran erkennt man das für Rechtsabteilungen


geeignete Wissen?
Welches Wissen für Legal Operations im Rahmen des Wissensmanagements
gesammelt wird, ist individuell vom entsprechenden juristischen Arbeitsfeld
abhängig. Es lassen sich aber einige allgemeine Kriterien identifizieren, die mög­
licherweise bei der Auswahl des „relevanten“ Wissens hilfreich sein können:

• Mögliche Kriterien für die Auswahl: Wonach am meisten gesucht wird, ist
bei dem mit Wissensmanagement beauftragten Legal Counsel schnell auszuma-
chen. Denn er übernimmt eine zentrale Funktion, indem bei ihm idealerweise
alle Suchanfragen eingehen. So kann er leicht herausfiltern, wo beispielsweise
für ein bestimmtes Dokument oder Muster aktueller Bedarf besteht. Eine wei-
tere Möglichkeit kann darin bestehen, Inhalte oder gute Vertragsvorlagen aus
der Gesamtdokumentation nach abgeschlossenen Transaktionen zu identi-
fizieren und für das Wissensmanagement aufzubereiten (Dokumente näher
beschreiben, gegebenenfalls Besonderheiten hervorheben – wie beispielsweise
spezielle Klauseln etc.). Vorteilhaft ist für diese Tätigkeit, dass der mit dem
Wissensmanagement betraute Legal Counsel über eine langjährige Berufserfah-
rung in Unternehmensrechtdiensten und in der Bearbeitung rechtlicher Sach-
verhalte verfügt.
• Wissensmanagement – Legal Counsels als Trendscout: Es kann von Vorteil
sein, wenn der Aufgabenbereich des für das Wissensmanagement zuständigen
Legal Counsel nicht zu stark eingegrenzt ist. Die Vorteile bestehen darin, dass
er so auf aktuelle Rechtsentwicklungen flexibel und kreativ reagieren kann.
628 C. Kühne

Er sollte die Möglichkeit und den Freiraum haben, um aktuelle Gesetzesent-


wicklungen so zu verfolgen, dass die Ideen des Gesetzgebers vertieft von ihm
recherchiert werden können.
Dieses Wissen kann er dann ad hoc an die anderen Mitglieder des Teams
weiterleiten. Hierunter fallen beispielsweise auch vermeintlich oberflächliche,
aber zeitintensive Fragen zum Stand von Gesetzgebungsvorhaben, die vom
Gesetzgeber zunächst vorgeschlagen wurden, dann aber aus unterschiedlichen
Gründen nicht umgesetzt werden. Entsprechendes Hintergrundwissen kann
auch aufgrund konkreter Anfragen der anderen Legal Counsels der Rechtsab-
teilung entstehen. Es kann aber auch eher zufällig aus einer Recherche zu ver-
wandten Themen generiert werden. Um sicherzugehen, dass vertiefte Aspekte
im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens aufgespürt werden, ist es sinnvoll,
hierfür Entfaltungsmöglichkeiten zu geben: Ein Legal Counsel, der sich expli-
zit mit Wissensmanagement-Themen beschäftigt, kann so zum Beispiel aktuelle
Gesetzgebungsentwicklungen, die Rechtsprechung oder andere Marktentwick-
lungen mit großer Nachhaltigkeit recherchieren und verfolgen. Im Einzelfall ist
abzuwägen, ob diese Tätigkeit – in Abhängigkeit ihrer Komplexität – von dem
für Wissensmanagement zuständigen Legal Counsel oder von einem erfahrenen
Paralegal erfüllt werden kann.

Abgesehen von diesen speziellen Aspekten, ist es – unabhängig von der Größe
der Rechtsabteilung des Unternehmens oder der zentralen, respektive dezentralen
Organisationsstrukturen – für jeden Legal Counsel unerlässlich, seine Neugier auf
Rechtsänderungen zu bewahren und zu aktuellen Rechtsentwicklungen in seinem
Fachgebiet auf dem Laufenden zu bleiben. Dieser Anspruch wird jedoch – neben
dem Tagesgeschäft des Legal Counsel – aufgrund der starken Regulierungsdyna-
mik und durch die Umsetzungspflicht zahlreicher EU-Regularien zu einer immer
größeren Herausforderung. Denn gerade wegen der großen Informationsflut im
juristischen Bereich muss der Überblick für das interdisziplinäre „Ganze“ bei-
behalten werden. Letztlich nimmt der Legal Counsel damit aber die Rolle eines
juristischen Trendscouts ein: Dieser filtert aktuelle Entwicklungen danach, ob
eine Information in naher Zukunft praktische oder theoretische Relevanz für ein
Rechtsgebiet bekommen kann. Eine sinnvolle Maßnahme kann es daher sein, in
der Rechtsabteilung zu überlegen, wie der benötigte Freiraum geschaffen wer-
den kann. Denn der Zeitaufwand, der mit dem Monitoring, das heißt dem Ver-
folgen und Auswerten relevanter Informationen einhergeht, ist erheblich. Jeder
Legal Counsel, der im Tagesgeschäft arbeitet, ist in der Regel jedoch dankbar, auf
bereits vorbestehende Sammlungen – sei es intern oder auch von externen Anbie-
tern erstellt – zurückgreifen zu können. Möglich ist auch, dass eine solche extern
erstellte Übersicht von einem Legal Counsel aus dem Team zunächst ausgewertet,
und dann erst intern verteilt wird.
44 Knowledge Management in Legal Operations 629

44.3 Hinderungsgründe für erfolgreiches


Wissensmanagements in Rechtsabteilungen

44.3.1 Psychologie des Wissensmanagements: Wissen ist


Macht vs. Wissen teilen

Das Geheimnis eines erfolgreichen Wissensmanagements in Rechtsabteilungen


ist, die darin investierte Zeit nicht als Zusatzarbeit zu betrachten, sondern in das
Tagesgeschäft mit einzubeziehen. Ist eine Abteilung nachhaltig zum Wissenstei-
len motiviert, zeigt sich dies unter anderem wie folgt: Bei der Erstellung eines
Gutachtens überlegt der Legal Counsel idealerweise auch, ob dieses Gutachten
möglicherweise für einen anderen Kollegen in einer vergleichbaren Sachverhalts-
konstellation noch mal Verwendung finden könnte. Dieser Effizienzgedanke gilt
umgekehrt genauso für denjenigen Legal Counsel, der das von anderen erarbeitete
Wissen dann konkret auch nutzen kann.

44.3.1.1 Die Eule der Minerva


Es gibt jedoch auch einige Hindernisse, die das gelungene Wissensmanagement
schon länger vor typische Herausforderungen stellen. Die Disziplin des Wissens-
managements ist nicht neu. Gedanken zur Verwertung von Erkenntnissen finden
sich bereits in der griechischen Philosophie. Schon damals bestand die Einsicht,
dass Dinge oft nur dann erkannt werden, nachdem sich ihre „Wirklichkeit“ entfal-
tet hat, was mit folgendem Zitat von Hegel Verdeutlichung findet: „Wenn die Phi-
losophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und
mit Grau in Grau lässt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der
Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.“26 Dieses
Zitat bringt zum Ausdruck, dass eine Erkenntnis meist erst aus einem gewissen
zeitlichen Abstand möglich ist.27 Übertragen auf das Wissensmanagement von
Rechtsabteilungen bedeutet dies, dass die Inhalte in Wissensdatenbanken erst dann
richtig geschätzt werden, wenn sie von vielen verwendet wurden, und nicht schon
bei der Erstellung unmittelbar im Einzelfall. Das ist aus psychologischer Sicht in
der Praxis jedoch fatal: Der einzelne Legal Counsel erkennt den Nutzen erst dann,
wenn er selbst auf vorhandenes Wissen zurückgreifen muss, das von einem seiner
Kollegen bereits beigesteuert wurde. Ein Phänomen, aus dem die Schwierigkeit
folgt, den Legal Counsel von der Bedeutung seines individuellen Beitrags zu über-
zeugen.28 Er wird möglicherweise zum Schluss kommen, dass das gerade bearbei-
tete Dokument gar nicht geeignet ist, es mit den anderen Legal Counsels zu teilen,
da beispielsweise nur er sich mit der Thematik befasst. Der Gedanke, dass das
Dokument zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal Verwendung finden könnte,

26Hegel (1821, S. XXIV).


27Vgl. Petersen (2015, S. 23) mit weiteren Hinweisen.
28Siehe zu dem interessanten Zusammenhang zwischen der Bereitschaft, Wissen zu teilen, und

den persönlichen Annahmen des Menschen, Schütz und Schröder (2004, S. 133, 137).
630 C. Kühne

ist im Augenblick des Erstellens möglicherweise nicht präsent. Daher kann es hilf-
reich sein, einen Legal Counsel in der Abteilung zu bestimmen, der „den Meta-
blick“ für häufig verwendete Dokumente hat, und gezielt solche „einsammeln“
kann. Regelmäßige „Werbung“ für die Unterstützung des Wissensmanagements ist
ebenfalls nicht schädlich. Hierzu ist auch auf den Konflikt zwischen Eigen- und
Gruppeninteressen hinzuweisen: Einerseits die Wahl, sich kooperativ zu verhalten,
also das Wohl der Gruppe zu maximieren. Andererseits sich wettbewerbsorientiert
zu verhalten, also den eigenen Vorteil im Vergleich zu anderen zu maximieren.
Schon in den 90iger Jahren wurde in diesem Zusammenhang festgestellt, dass eine
Arbeitsgruppe, die kooperiert und Wissen austauscht, langfristig konkurrenzfähi-
ger und erfolgreicher ist.29

44.3.1.2 Paradoxien und Gefangenendilemma


Das Dilemma des betrieblichen Wissensmanagements kann darin bestehen, dass
die Mitarbeitenden bei langfristiger Einführung – trotz der Kenntnis des hohen
Nutzens – nicht miteinander kooperieren. Solche „Paradoxien“ sind auch aus
anderen Bereichen bekannt.30 Ohne hier in die Tiefe psychologischer Beiträge
gehen zu können, welche im Zusammenhang mit Barrieren im Wissensmanage-
ment und beim Wissensteilen übrigens auch das sogenannte Gefangenendilemma
der Spieltheorie anführen31, ist es schon hilfreich, sich Aspekte wie etwa die feh-
lende Motivation mit folgendem Beispiel kurz vor Augen zu führen, das auf Paul
Watzlawicks Episode zum Leihen eines Hammers zurückgreift:32 Der Mitarbeiter
eines Unternehmens zögert, dem Kollegen eine fachliche Frage zu stellen. Ihm
kommen Zweifel, dass der Kollege ihm wirklich helfen würde. Ohne ihn darauf
anzusprechen, steigert sich der Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum in eine
eigene subjektive Wirklichkeit hinein, etwa, dass der Kollege neulich ohnehin
unfreundlich grüßte und bestimmt sein Wissen für sich behalten will, usw. Irgend-
wann kann der Mitarbeiter sich nicht mehr zurückhalten und stürzt aufgebracht in
das Büro seines – verständlicherweise – verdutzten Kollegen und ruft: „Behalten
Sie doch Ihr Wissen für sich!“33

44.3.1.3 Der Irrtum mit der Wirklichkeit


Selbst aber wenn die Teammitglieder bereit sind, zu kooperieren und Wissen zu
teilen, kann es andere Gründe geben, welche das erfolgreiche Wissensmanage-
ment in einer Abteilung behindern. Wie oft etwa ist man im Alltag oder Beruf
erstaunt, wenn im Gespräch deutlich wird, dass das, was man berichtet, unerwarte-
terweise sehr individuelles Wissen ist und der Gesprächspartner dieses daher nicht

29Schütz und Schröder (2004, S. 133, 135) mit weiteren Nachweisen.


30Siehe beispielsweise im Zusammenhang mit der Einführung des Mediationsverfahrens, de Palo
(2012).
31Schmidt und Kunzmann (2013, S. 8 ff.).

32Watzlawick (2008, S. 37 ff.) „Die Geschichte vom Hammer“. Die Idee zu diesem anschauli-

chen Vergleich stammt aus Schütz und Schröder (2004, S. 133) mit weiteren Nachweisen.
33Zum Beispiel ausführlich bei Schütz und Schröder (2004, S. 133).
44 Knowledge Management in Legal Operations 631

kennt? Geht der einzelne Wissensträger aber davon aus, dass „sein“ Wissen ohne-
hin schon allen anderen Teammitgliedern bekannt ist, sieht er natürlich zu Recht
keinen Anlass, dieses Wissen zu teilen und entsprechend in eine Wissensdatenbank
einzupflegen.

44.3.2 Wie kann man eine Wissenskultur in Legal Operations


fördern?

Die Ausführungen lassen erahnen, dass zum Aufbau und Erhalt einer erfolgreichen
Wissensmanagementstruktur – unabhängig von der technischen Umsetzung – eine
bestimmte Unternehmenskultur wichtiges Erfolgsmerkmal ist. Die Unternehmens-
kultur wird maßgeblich auch vom General Counsel geprägt (siehe dazu detailliert
Kap. 9, 10, 11, 12 und 13). In ihrer Vorstellung wird Wissensmanagement jedoch
nicht selten als eine Art Dokumentenverwaltung und Informationsmanagement
eingeordnet. Das ist riskant: Für erfolgreiches Wissensmanagement sind neben
den äußeren technischen Voraussetzungen insbesondere auch Anreize und Vorbil-
der für die Legal Counsels erforderlich, ihr Wissen jeweils mit ihren Kollegen zu
teilen.

44.3.2.1 Anreizsysteme
Schon vor rund zwanzig Jahren, als das Wissensmanagement in den Fokus der
Öffentlichkeit rückte, wurde über Anreize zur Förderung der Wissenskultur und
des Wissensteilens diskutiert und auf Bonussysteme, Incentive etc. verwiesen.34
Diskutiert wird hierbei oft die schwierige Frage der „Messbarkeit“ von Beiträgen
zum Wissensmanagement. Weniger im Zentrum der Diskussion stehen jedoch die
„Soft Skills“ und die Frage nach der inneren Haltung der Teammitglieder zum
Wissensmanagement.

44.3.2.2 Unternehmenskultur, Soft Skills und innere Haltung


Besonders in Rechtsabteilungen kann die Gefahr bestehen, dass sich der Erfolg
des Wissensmanagements zu sehr nur auf die Einrichtung der fachlichen Struktur
stützt. Denn die besten Datenbanken, Wikis etc. helfen nicht, wenn es an der Moti-
vation der Teammitglieder in der Rechtsabteilung fehlt, ihr individuelles Wissen
beizusteuern und die Datenbanken auch stetig damit zu „füttern“. Fehlende Moti-
vation kann auch dadurch begründet sein, dass das Unternehmen nicht weiß, was
genau seine Mitarbeitenden motiviert – was möglicherweise nicht immer Geld
sein muss und durchaus auch individuell sehr unterschiedlich sein kann. Nachfol-
gend werden einige Hinweise gegeben, was es benötigt, damit das interne Wis-
sensmanagement von Rechtsabteilungen optimal umgesetzt werden kann.

34Siehe zu weiteren Infos die Zeitschrift Wissensmanagement für Führungskräfte, www.wissens-

management.net; ManagerMagazin, 3. Mai 2000, Geteiltes Wissen ist doppeltes Wissen, www.
manager-magazin.de/finanzen/artikel/a-74817.html. Besucht 10. Mai 2017.
632 C. Kühne

• Kooperative Abteilungskultur etablieren: Selbst wenn der General Counsel


von der Bedeutung des Wissensteilens für die Abteilung im Grundsatz über-
zeugt ist, muss weiter sichergestellt werden, dass die Überzeugung zum Nutzen
des Wissensmanagements „aktiv vorgelebt“ wird. Er kann seine Wertschätzung
für das Wissensmanagement und diejenigen, die dazu beitragen, beispielsweise
in Teammeetings zeigen und damit die Akzeptanz fördern, indem er wertschät-
zend auf neue Wissensprodukte hinweist, oder story telling betreibt, wofür sich
beispielsweise das eingangs erwähnte Beispiel zum Recht der Sicherheiten eig-
nen würde. Ein dem Wissensteilen ehrlich zugewandter General Counsel moti-
viert die gesamte Abteilung, dies zu leben und „im Dialog über ihr Wissen“ zu
bleiben. Hilfreich ist insbesondere auch die wertschätzende Hervorhebung von
Beiträgen zum Wissensmanagement des einzelnen Legal Counsel sowie regel-
mäßige Feedback-Runden, in denen priorisiert wird und gegebenenfalls Lücken
in der Sammlung aufgedeckt werden.
• Möglichkeiten für Wissensaustausch etablieren: Ein weiterer Schritt ist es,
Raum für den Austausch von Wissen zu geben, wie etwa Neuankömmlingen
von dem in der Rechtsabteilung betriebenen Wissensmanagement direkt in den
ersten Gesprächen positiv zu berichten und sie aufzufordern, sich hieran künf-
tig aktiv zu beteiligen. Dieser psychologische Baustein motiviert nachhaltig,
wenn der General Counsel auch mit seiner „inneren Haltung“ tatsächlich vom
Nutzen des Wissensmanagements überzeugt ist. Denn besonders Neuankömm-
linge in einer Abteilung haben meist feine Antennen dafür, wer von etwas
berichtet, hinter dem er steht oder, wer letztlich nur einen Tagesordnungspunkt
pflichtbewusst abhakt.
• Empathie und gute Kommunikation etablieren: Empathie gehört zu den wich-
tigen Anwaltstugenden.35 Viele Anwälte sehen für sich den Bedarf, ihre kommu-
nikativen Fähigkeiten („Soft Skills“) in Trainings weiterzuentwickeln. Dazu
haben sie unter anderem die Fortbildung zum Mediator entdeckt, die neben dem
stringenten Verfahrensablauf einer Mediation auch vertiefend auf Kommunikati-
onstechniken auf Basis der Erkenntnisse aus dem Harvard-Konzept36 eingeht.
Die Bedeutung kommunikativer Fähigkeiten wurde mit Blick auf ein verändertes
Selbstverständnis der Legal Counsels in Rechtsabteilungen bereits andernorts in
diesem Buch hervorgehoben: Weg vom Rechtsanwender, hin zum Konfliktmana-
ger, der in Kenntnis der Produktentwicklung im operativen Bereich frühzeitig
eingreifen kann, um möglicherweise Konflikte im Vorfeld zu verhindern.37 Die
erlangten kommunikativen Fähigkeiten sind zudem hilfreich im Gespräch mit
internen Kunden. Auch kann man den mentalen beziehungsweise meditativen
Ansatz überdenken, der Professor Riskin38 vorschwebt. Ziel ist es im Kern, sich
gedanklich selbst so weit zu ordnen, um dann umfänglich auf das Anliegen des

35Vgl. Norouzi (2013, S. 6).


36Fisher und Ury et al. (2004).
37Ebenso: Loosen und Klowait (2012, S. 26; vgl. auch Kühne (2016), S. 57).

38Riskin (2002, S. 53).


44 Knowledge Management in Legal Operations 633

Mandanten eingehen zu können. Das Gleiche gilt, wenn der Legal Counsel dasje-
nige explizite, aber insbesondere implizite Wissen aufspüren muss, das für die
Datenbank besonders wertvoll ist. Denn auch hier sind Präsenz und die Fähigkeit
zum Zuhören unerlässlich, um die für die Bearbeitung des Sachverhalts relevan-
ten Aspekte herauszufiltern. Dies sind alles Fähigkeiten, die für ein gelungenes
Wissensmanagement hilfreich sind.

Konkret ist zu überlegen, ob ein spezielles Kommunikationstraining für die


Rechtsabteilung hilfreich sein kann, um Techniken zu erlernen oder zu vertiefen,
die zum Wissensaustausch nützlich sind. Hierzu gehört etwa das aktive Zuhören
nach dem Prinzip des „Kommunikationsquadrats“ von Schulz von Thun.39 In die-
sem Rahmen ließen sich auch diejenigen Hindernisse aufdecken, die funktionie-
rendes Wissensmanagement verhindern und die im einfachen Gespräch nicht ohne
weiteres zutage treten. Also warum nicht auch einmal einen Trainer oder Coach
für die Rechtsabteilung engagieren, mit dem konkreten Auftrag zur Förderung
einer Kultur des Wissensteilens? Dadurch könnte man die Teammitglieder dazu
anleiten, sich zu überlegen, was ihr Beitrag zur Etablierung einer guten Wissens­
teilenskultur in der Abteilung sein könnte.40 Möglicherweise gibt es aber auch
Konfliktpotenzial, wodurch das Teilen von Wissen verhindert wird, was eventuell
durch eine abteilungsinterne Mediation gelöst werden könnte. In der Tat, der psy-
chologisch-kommunikative Baustein für funktionierendes Wissensmanagement
wird oft unterschätzt, und nicht selten stehen nur die technischen Voraussetzungen
im Fokus. Fehlt es aber an einer Kultur des Wissensteilens, kann die Gefahr beste-
hen, dass sich die mit viel Geld und Arbeit erstellten Datenbanken schnell zu
„Datenfriedhöfen“ entwickeln.

44.3.2.3 Gelungene Kommunikation ist eine Kernkompetenz im


Wissensmanagement
Last but not least ist eine positive Fehlerkultur gerade beim Aufbau eines guten
juristischen Wissensmanagements sehr hilfreich.41 Funktioniert eine Maßnahme
oder ein Ansatz nicht, etwa das Monitoring aktueller Branchennews, das aufgrund
der Fülle der Informationen und fehlenden Auswahlkriterien nicht gelingt, muss
gewährleistet sein, dass der Mut zu einem neuen Ansatz Wertschätzung erfährt.
Hierbei hilft es, sich nachfolgende Fragen zur Kultur des Wissensteilens in der
Rechtsabteilung zu stellen (Befragung der Teammitglieder):

39Abrufbar unter www.schulz-von-thun.de. Besucht 10. Mai 2017; Henninger (2004, S. 291 ff.),
stellt ein mögliches Trainingskonzept auf Basis des Kommunikationsquadrats von Schulz von
Thun vor.
40Mit wenig Zeitaufwand und nachhaltiger Wirkung gibt es etwa – auch wenn es ungewöhnlich

klingt – pferdegestützte Coachings, zum Beispiel www.eahae.org/. Besucht 10. Mai 2017. ­Henninger
(2004, S. 291 ff.).
41Vgl. auch den Hinweis bei von Rosenstihl (2004, 35): „Lasst die Ideen sterben, aber nicht den

Menschen“, mit weiteren Nachweisen; siehe auch Keese (2014, S. 135 ff.), der in seinem Buch
eine positive Fehlerkultur beschreibt.
634 C. Kühne

• Was sind Ihre Vorstellungen von Wissensmanagement?


• Was brauchen Sie, um mit gutem Gefühl Ihr Wissen teilen zu können?
• Was würde Sie konkret davon abhalten, Ihr Wissen innerhalb der Abteilung zu
teilen?
• Woran würden Sie erkennen, dass in Ihrer Abteilung eine gute Wissensmanage-
mentkultur herrscht?
• etc.

44.3.3 Woran erkennt man funktionierendes


Wissensmanagement?

Die Frage, woran man erkennen würde, dass Wissensmanagement in der Rechts-
abteilung funktioniert, ist nicht einfach zu beantworten. Um eine Antwort zu fin-
den, kann man auch einmal provokativ vorgehen: „Was müsste passieren, damit
das Wissensmanagement in unserer Abteilung komplett scheitert?“ Eine solche
Umkehrfrage ist ein typisches Element im Rahmen von Kreativitätstechniken,
um von fernliegenden Hypothesen leichter auf geeignete Lösungen beziehungs-
weise Antworten zu kommen. Eines der ersten offensichtlichen Anzeichen für
nicht gelungenes oder fehlendes Wissensmanagement ist zum Beispiel das Auf-
treten extremer Reibungsverluste durch ein ständiges „Rad-neu-Erfinden“. Den-
noch wären selbst in diesem Fall die Chancen, doch noch ein gutes
Wissensmanagement zu etablieren, nicht schlecht. Das ständige „Rad-neu-Erfin-
den“ kann rasch behoben werden, solange die Motivation zum Wissenssammeln
noch nicht beschädigt ist. Anders sieht es hingegen aus, wenn Wissensmanage-
ment betrieben und bereits eine gehörige Portion Motivation der Mitarbeitenden
in das Sammeln von Wissen gesteckt wurde. Stellt sich dann heraus, dass zahlrei-
che Inhalte in der Datenbank „ruhen“ und nicht (mehr) aktualisiert werden, kann
das problematisch werden.42 Zentraler Aspekt gelungenen Wissensmanagements
stellt deshalb „gelebtes Wissen“ dar, wie in Abb. 44.1 dargestellt, welches insbe-
sondere für das Wissensmanagement im Rechtsbereich und dessen Regulierungs-
flut Bedeutung hat.
Es versteht sich von selbst – wird aber oft schnell übersehen: Vorab müssen
die konkreten Vorstellungen und Erwartungen an das Wissensmanagement in der
Rechtsabteilung erfasst werden. Das Scheitern ist möglicherweise vorprogram-
miert, sofern hier unterschiedliche Vorstellungen existieren, und das Ergebnis dann
daran gemessen wird (Soll-Ist-Vergleich). Tatsächlich ist der Begriff des Wissens-
managements für jede Abteilung individuell zu bestimmen.

42Siehe auch Schneider (2001, S. 85 ff.): Wissensmanagement by Eichhörnchen.


44 Knowledge Management in Legal Operations 635

Abb. 44.1  Dynamik des Wissens: Wissen ist nicht statisch

44.4 Individuelle Ausgestaltung von Wissensmanagement

Es gibt viele Wege, um ein erfolgreiches Wissensmanagement in der eigenen


Rechtsabteilung einzurichten und zu bewahren. Was in dem einen Fall erfolgreich
ist, muss nicht zwingend auf andere Bereiche übertragbar sein. Wie die Aufgaben
im Wissensmanagement in der Rechtsabteilung konkret umgesetzt werden,43 bei-
spielsweise ob Klauseln einfach aus hausinternen Vertragsbausteinen oder doch über
ein spezielles IT-Programm automatisiert44 abgerufen werden können, entscheidet
nicht über die Qualität des Wissensmanagements: Jeder Rechtsbereich muss sein
auf ihn zugeschnittenes System finden. Wichtig ist, dass die Motivation der Team-
mitglieder, ihr Wissen miteinander zu teilen, immer lebendig gehalten wird.
Die provokante Frage: „Suchst Du noch oder arbeitest Du schon?“, die vor eini-
ger Zeit in einer Fachzeitschrift zum Wissensmanagement gestellt wurde,45 wird in
Zukunft wohl mit wachsender Datenflut („Big Data“) an Bedeutung gewinnen. In
diesem Zusammenhang wurde kürzlich weiter festgestellt, dass das Wissensma-
nagement für die Zukunft eine gefragte Qualifikation sei.46 Die Funktionen der

43Siehe etwa die unterschiedlichen Bezeichnungen „Projektjuristen“, „Legal Management“,

„Paralegals“; zum Thema „Temporäre/wertvolle Entlastung“, „Effizienz steigern“ in Rechtsabtei-


lungen beim Jahreskongress für Unternehmensjuristen 2015 Programm www.buj.net/resources/
Server/Veranstaltungen/Unternehmensjuristen-Kongress/2015/ujk2015.pdf. Besucht 26. Novem-
ber 2016.
44Zander (2012, 30). Diese Leseproben der Zeitschrift sind im Internet abrufbar.

45Foitzik (2015, 36).

46ManagerMagazin, 22. Oktober 2015, Was jetzt und in 10 Jahren gefragt ist?, 3. Teil: Wissen

managen, Daten interpretieren: Die gefragtesten Hard Skills Soft Skills, Die meistgefragten
sozialen Fähigkeiten, abrufbar unter: www.manager-magazin.de/finanzen/artikel/karriere-die-
se-skills-sollten-sie-haben-oder-rasch-erwerben-a-1058766-2.html. Besucht 10. Mai 2017.
636 C. Kühne

Legal Counsels werden im Zuge der modernen Welt möglicherweise dann auch
immer mehr ausgeweitet werden, beispielsweise als Legal Know-how-Providers,
eine unternehmensjuristische Tätigkeit mit zusätzlichen Aufgaben. Dass die
Anforderungen an Juristen in Rechtsabteilungen mit Blick auf Compliance und
Risikoabwägung steigen werden, wurde zuletzt Anfang 2016 auf dem Rechtsmarkt
hervorgehoben.47 Einer der Erfolgsfaktoren für Unternehmen wird – wie in der
Fachpresse nachzulesen – daher auch sein, inwieweit eine professionelle Wissens-
managementstruktur in ihren Legal Operations etabliert worden ist.48 Daher ist es
nur konsequent, dass eines der künftig großen Potenziale im Bereich der innerbe-
trieblichen Prozess-Innovationen beim Qualitäts- und Wissensmanagement gese-
hen wird.49

Literatur
Disterer G (2003) Ansätze zum Wissensmanagement bei Anwälten durch Klassifikation juristi-
schen Wissens. AnwBl 2003(4):189–193
Dückert S (2007) Grundlagen des GfWM-Wissensmanagement-Modells, Gesellschaft für Wis-
sensmanagement, dok.magazin 2007(11):16–19. http://archiv.gfwm.de/files/GfWM-Arti-
kel_-_Grundlagen-des-GfWM-WM-Modells.pdf. Zugegriffen: 26. Nov. 2016
Fisher R, Ury W et al (2004) Das Harvard-Konzept. Campus, Frankfurt a. M.
Foitzik O (2015) Big data: Suchst du noch oder arbeitest du schon? Wissensmanagement
2015(5):36–38
Hegel GWF (1821) Grundlinien der Philosophie des Rechts. Naturrecht und Staatswissenschaft
im Grundrisse Zum Gebrauch für seine Vorlesungen. Nicolaische Buchhandlung, Berlin
Henninger M (2004) Kommunikationstraining zur Unterstützung von Wissensmanagement. In:
Reinmann G, Mandl H (Hrsg) Die Psychologie des Wissensmanagements. Hogrefe, Göttin-
gen, S 291–299
Keese C (2014) Silicon Valley, Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt. Knaus,
München
Kühne C (2016) Mediation – eine rechtsvergleichende und interdisziplinäre Skizze. jM/AnwBl
2016(1):51–58
Loosen C, Klowait J (2012) Zusammenführen statt Spalten. Unternehmensjurist 2012(3):24–27
Lutter M (2014) Eine neue europäische Rechtsfigur zur wechselseitigen finanziellen Unterstüt-
zung in Bankenkonzernen. ZIP 2014:910–911
Macfarlane J (2008) The new lawyer: how settlement is transforming the practice of law. UBC
Press, Vancouver
Neumann A, Nünemann C (2016) Tanz auf dem Hochseil. Juve Rechtsmarkt 2016(2):74–81
Norouzi AB (2013) Zitiert in: Das Recht ist für die Wachen da, Symposium. BRAKMagazin
44/2013(5):6–7
Palo G de (2012) The EU Civil and Commercial Mediation paradox… and a possible solution,
Rede vom 7. Dezember 2012. http://fra.europa.eu/sites/default/files/wgv_de-palo-speech.pdf.
Zugegriffen: 26. Nov. 2016
Petersen J (2015) Die Eule der Minerva in Hegels Rechtsphilosophie, 2. Aufl. de Gruyter, Oldenburg

47Neumann und Nünemann (2016, S. 74 ff.).


48Vgl. für die anwaltliche Tätigkeit: Internationaler Rechtsanwaltstag, Frankfurt, 2013; Susskind
(2013, S. 124); Macfarlane (2008, S. 12).
49Zander (2015, S. 28 f.); siehe auch Unternehmensjurist 2013(6):28 und 2014(3):28 mit weite-

ren Nachweisen.
44 Knowledge Management in Legal Operations 637

Riskin LL (2002) The contemplative lawyer: on the potential contributions of mindfulness medit-
ation to law students, lawyers, and their clients. Harvard Negotiation Law Review 1 (Spring
2002):1–66. http://scholarship.law.ufl.edu/facultypub/420. Zugegriffen: 26. Nov. 2016
Rosenstihl L von (2004) Management und Führung aus psychologischer Sicht. In: Reinmann G,
Mandl H (Hrsg) Die Psychologie des Wissensmanagements. Hogrefe, Göttingen, S 24–40
Schmidt A, Kunzmann C (2013) Barrieren in der Wissensentwicklung- und Weitergabe. http://
publications.andreas.schmidt.name/2013-BarrierenWissensentwicklungWissensweitergabe.
pdf. Zugegriffen: 26. Nov. 2016
Schneider U (2001) Die 7 Todsünden im Wissensmanagement, Kardinaltugenden für die
Wissens­ökonomie. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Verlagsbereich Buch, Frankfurt a. M.
Schütz A, Schröder M (2004) Die Rolle des Selbst im Wissensmanagement Psychologie des Wis-
sensmanagements. In: Reinmann G, Mandl H (Hrsg) Die Psychologie des Wissensmanage-
ments. Hogrefe, Göttingen, S 133–145
Susskind R (2013) Tomorrow’s lawyers, an introduction to your future. Oxford University Press,
Oxford
Watzlawick P (2008) Anleitung zum Unglücklichsein, 9. Aufl. Piper, München
Zander H (2012) Klauseln aus dem Rechner. Unternehmensjurist 2012(2):30–31
Zander H (2015) Innovationsmanagement: Arbeit muss sich veränderten Marktbedingungen
anpassen. Unternehmensjurist 28/2015(1):28–29. www.unternehmensjurist.net/resources/Ser-
ver/unternehmensjurist-Cover-Leseproben/Artikel/uj_2015_01_Leseproben.pdf. Zugegriffen:
26. Nov. 2016

Über den Autor


Dr. Carolin Kühne – Master en Droit – Rechtsanwältin / Knowledge Lawyer, Freshfields,
Frankfurt
Studium der Rechtswissenschaften in Bonn, Saarbrücken und DHV Speyer. Master-/Aufbaustu-
dium in England, Italien und Frankreich. Wiss. Assistentin am Lehrstuhl für Europäisches Zivil-
recht, Univ. Saarbrücken. Promotion über ein rechtsvergleichendes Thema (deutsch-italienisches
Vertragsrecht). Heute arbeitet Carolin Kühne als Rechtsanwältin / Senior Knowledge Lawyer im
Bank- und Finanzrecht bei Freshfields Bruckhaus Deringer in Frankfurt, davor war sie als Syn-
dikusanwältin im Bankwesen tätig. Ausbildung zur Mediatorin und systemischen Businesscoach;
Vorträge zu den Schnittstellen Jura und Kommunikation.
Time Management in Legal
Operations 45
Aglaja Dueblin

45.1 Einleitende Überlegungen

Wer kennt ihn nicht, den Zeitdruck? In der heutigen wirtschaftlichen Umgebung
müssen vielerorts die Kosten gesenkt werden. Oft werden deshalb die Ressourcen
gekürzt, ohne dass gleichzeitig die Arbeitslast abnehmen würde. Im Gegenteil, so
nimmt beispielsweise die Flut an Gesetzen und Regulatorien, die von den Mitar-
beitenden einer Rechtsabteilung zu berücksichtigen sind, ständig zu. Erschwerend
kommt hinzu, dass gerade in Rechtsabteilungen oft gerichtliche oder behörd­liche
Fristen eingehalten werden müssen, die nicht oder nur beschränkt verlänger­
bar sind. Auch die heutige ständige Erreichbarkeit trägt nicht gerade dazu bei,
die Situation zu entspannen. Unter solchen Voraussetzungen ist ein gutes Time
Management, das dabei hilft, die anstehenden Aufgaben innerhalb der zur Verfü-
gung stehenden Zeit in guter Qualität zu bewältigen, unerlässlich.
Ein allgemeingültiges Rezept gegen Zeitdruck existiert leider nicht. Wer hofft,
in diesem Beitrag ein solches zu finden, wird deshalb enttäuscht werden. Was es
hingegen gibt, sind verschiedene Strategien, um in der zur Verfügung stehenden
Zeit möglichst effizient gute Resultate zu erzielen. Im Rahmen dieses Kapitels
sollen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige solcher Strategien aufge-
zeigt werden. Dabei wird der Fokus zuerst auf mögliche Maßnahmen in Bezug
auf das Time Management der ganzen Rechtsabteilung gelegt. Danach werden
einige Maßnahmen beleuchtet, die den einzelnen Mitarbeitenden einer Rechts-
abteilung (inklusive dem General Counsel) bei ihrem eigenen Time Management
helfen können. Um keine Doppelspurigkeiten zu schaffen, werden die einzelnen
möglichen Maßnahmen jeweils nur an einer Stelle besprochen; auch wenn es

A. Dueblin (*)
Sympany Services AG, Basel, Schweiz

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 639


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_45
640 A. Dueblin

Maßnahmen gibt, die an beiden Orten eine Daseinsberechtigung haben. Am Ende


des Kapitels werden mit wenigen Worten auch noch die Grenzen eines guten Time
Managements und die Folgen einer ständigen Überlastung beleuchtet.

45.2 Time Management für die Rechtsabteilung

Nicht selten gelangen Anfragen an den Rechtsdienst, die zwar eine rechtliche
Komponente enthalten, aber deren Erledigung vom Inhalt her eigentlich in den
Aufgabenbereich einer anderen Abteilung gehört. Solche Aufgaben können (vor-
läufig) zurückgegeben werden, mit dem Hinweis, dass die Rechtsabteilung das
Arbeitsresultat in Bezug auf den rechtlichen Bestandteil gerne nach Fertigstel-
lung durch die zuständige Abteilung noch prüfen oder ergänzen wird. Wenn die
Rechtsabteilung solche Aufgaben selber zu erledigen versucht, ist das in der Regel
sehr zeitaufwendig, weil oft die erforderlichen Informationen fehlen und diese
entsprechend zuerst beschafft werden müssen. So kann es beispielsweise bei der
Erstellung einer Mängelrüge durchaus Sinn machen, wenn die IT-Abteilung das
Schreiben aufsetzt und darin beschreibt, inwiefern das gekaufte Tool mangelhaft
ist. Dem Rechtsdienst fehlt dazu in der Regel das erforderliche technische Know-
how. Er wird dann aber die von der IT-Abteilung verfasste Mängelrüge aus rechtli-
cher Sicht überprüfen und falls nötig überarbeiten.
In Bezug auf diejenigen Aufgaben, die wirklich vom Rechtsdienst zu bearbei-
ten und entsprechend auf seiner To-do-List (vgl. dazu nachfolgend unter 45.3)
stehen, muss der Leiter des Rechtsdienstes, der General Counsel, entscheiden,
welche davon er selber erledigen muss und welche er ganz oder allenfalls auch nur
teilweise an einen Mitarbeitenden delegieren kann.
Bei einer Delegation ist darauf zu achten, dass die entsprechende Aufgabe an
diejenige Person delegiert wird, welche die besten Voraussetzungen dafür mit-
bringt. So ist in der Regel am besten sichergestellt, dass das Arbeitsresultat mög-
lichst schnell und in der geforderten Qualität vorliegt. Dabei ist es wichtig, dass
klare Zielvorgaben gemacht und alle zur Erledigung des Auftrags erforderlichen
Informationen weitergegeben werden. Ferner müssen Meilensteine gesetzt wer-
den, deren Erreichung regelmäßig kontrolliert wird. Dadurch wird vermieden, dass
allfällige Zielabweichungen, die aus verschiedenen Gründen entstehen können,
erst bei der Endkontrolle entdeckt werden und das Arbeitsresultat zeitaufwendig
überarbeitet werden muss. Außerdem müssen auch die Kompetenzen und die Ver-
antwortung klar definiert sein. Idealerweise verfügt der Mitarbeitende, an den eine
Aufgabe delegiert wird, über die zur Erledigung der Aufgabe erforderlichen Kom-
petenzen und die dazugehörige Verantwortung. Derjenige Vorgesetzte, der über
jeden Schritt informiert sein und jeden Brief vor dem Versand sehen will, kann die
Aufgabe auch gleich selber erledigen. Es resultiert für ihn dann aus der Delegation
kein Zeitgewinn. Ganz abgesehen davon wird ein Mitarbeitender, der selbstverant-
wortlich arbeiten kann und über Handlungsspielraum verfügt, generell engagierter
und damit auch effizienter sein (siehe dazu detailliert Kap. 28).
45 Time Management in Legal Operations 641

Damit effizient gearbeitet werden kann, müssen auch klare Prozesse bestehen.
Das gilt insbesondere dort, wo es Schnittstellen zu anderen Bereichen gibt (siehe
dazu detailliert Kap. 17). Es muss unmissverständlich geregelt sein, wer wofür
verantwortlich ist. Sonst besteht die Gefahr, dass Aufgaben unendlich hin und her
geschoben werden, was sehr zeitraubend ist. Auch das stete Pflegen der Schnitt-
stellen zu anderen Unternehmensbereichen trägt im Übrigen dazu bei, zeitinten-
sive Redundanzen zu vermeiden.
Sitzungen müssen gut vorbereitet sein, damit sie zielführend, effizient und zeit-
sparend durchgeführt werden können. Das gilt insbesondere auch bei bereichs-
übergreifenden Sitzungen. Die Sitzungen beginnen pünktlich und sind auch
pünktlich zu beenden. Bereits vor der Sitzung muss klar sein, was in der Sitzung
erreicht werden soll beziehungsweise welches die Ziele der Sitzung sind und wer
welche Rolle hat. Eingeladen wird nur, wer auch etwas zum Thema beitragen
kann. Während der Sitzung werden keine Mails und SMS geschrieben und es wird
auch nicht telefoniert. Fragen Sie sich nach jeder Sitzung, ob die gesetzten Ziele
erreicht wurden. Falls nicht, suchen Sie den Grund dafür und versuchen Sie, es
beim nächsten Mal besser zu machen.
Das Lesen und Bearbeiten der täglichen Mail-Flut ist ebenfalls ein enormer
Zeitfresser. Angeschrieben werden soll nur, wer etwas zum Thema beitragen kann
beziehungsweise wer unbedingt durch den Absender informiert werden muss. Vie-
lerorts besteht die Unsitte, jede Mail an die verschiedensten Personen in Kopie zu
schicken. Oft ist diesen Personen dann aber nicht klar, ob von ihnen etwas erwar-
tet wird und gegebenenfalls was. Das führt zu Rückfragen und damit zu weiterem
Zeitaufwand. Es lohnt sich daher, Regeln für den Mailverkehr aufzustellen, die
definieren, in welchen Fällen wer anzuschreiben respektive ins „cc“ zu nehmen ist.
Auch ein organisiertes Ablagesystem (siehe dazu detailliert Kap. 52) kann im
Rahmen des Time Managements Gold wert sein. Wenn frühere Arbeitsresultate
ohne großen Aufwand durch sämtliche Mitarbeitenden des Rechtsdienstes abge-
rufen werden und für weitere Arbeiten als Muster dienen können, kann das eine
erhebliche Zeitersparnis bedeuten, weil man das Rad nicht jedes Mal neu erfinden
muss.

45.3 Time Management für den Unternehmensjuristen

Für ein gutes persönliches Time Management ist eine weitsichtige Planung (Jah-
resplanung, Monatsplanung, Wochenplanung und Tagesplanung) unerlässlich. Zu
einer solchen gehört als Erstes das Erstellen einer To-Do-List mit den zu erledi-
genden Aufgaben. Die Aufgaben müssen nach Wichtigkeit und Dringlichkeit prio-
risiert werden. Dabei handelt es sich um eine Daueraufgabe, denn Wichtigkeit und
Dringlichkeit einer Aufgabe können sich durch sich ändernde Umstände und das
Dazukommen weiterer Aufgaben verändern.
Bei der Vereinbarung von Erledigungsfristen mit internen oder externen
Ansprechpersonen ist darauf zu achten, dass diese realistisch angesetzt werden,
um unnötigen Druck zu vermeiden.
642 A. Dueblin

Manchmal neigen wir dazu, aufwendige Arbeiten immer wieder zu verschie-


ben und zwischendurch Dinge zu erledigen, die (noch nicht) dringlich sind, aber in
relativ kurzer Zeit erledigt werden können. Das ist verlockend, weil dann eine oder
sogar mehrere Aufgaben von der Pendenzenliste gestrichen werden können. Ein
solches Vorgehen führt aber nicht selten dazu, dass die verschobene Arbeit immer
dringlicher wird und der Druck entsprechend steigt.
Störfaktoren am Arbeitsplatz sollten – soweit möglich – eliminiert werden. So
können beispielsweise Sprechzeiten für Rechtsauskünfte eingeführt werden. Diese
sind planbar und man vermeidet dadurch, dass man bei einer Arbeit immer wieder
unterbrochen wird und sich danach jedes Mal neu einarbeiten muss. Gerade bei
der Erledigung von Aufgaben, die ein großes Maß an Konzentration erfordern, wie
beispielsweise die Durchsicht eines anspruchsvollen Vertrags, sollte man – sofern
vorhanden – auch die Möglichkeit nutzen, das Telefon für eine gewisse Zeit auf
einen Kollegen umzuleiten und/oder diese Arbeit auf einen Tag zu legen, an dem
man sich im home office befindet. Letzteres bietet sich vor allem dann an, wenn
man in einem Großraumbüro arbeitet, in dem es nicht immer einfach ist, sich zu
konzentrieren. Wenn die Möglichkeit, einen home office-Tag einzulegen, nicht
besteht, kann auch ein Sitzungszimmer reserviert werden, in dem man ungestört
arbeiten kann.
Sofern man bei der Bearbeitung einer Aufgabe versucht, gleich auf Anhieb
alles so gut wie möglich zu erledigen, kann dadurch oft vermieden werden, dass
das Resultat noch einmal überarbeitet werden muss. Allerdings ist nicht bei allen
Aufgaben der gleiche Perfektionsgrad erforderlich. Das allgemein bekannte Pare-
to-Prinzip besagt, dass in 20 % der Zeit 80 % des Ergebnisses erreicht wird. Die
letzten 20 % sind hingegen am aufwendigsten und am schwierigsten zu erreichen.
Also fragen Sie sich, bei welchen Fällen dieser Aufwand nötig ist und wo darauf
verzichtet werden kann. Es sollte also nicht unbedingt bei einer internen E-Mail
stundenlang an der Formulierung herumgefeilt, sondern die Sache möglichst kurz
auf den Punkt gebracht werden. Bei einer Präsentation sind die Inhalte und die
grobe Form wichtig. Optische Feinheiten sind zwar schön, man kann darauf aber
meistens verzichten, wenn nicht genügend Zeit zur Verfügung steht. Allerdings
sind der Anwendung des Pareto-Prinzips auch Grenzen gesetzt. Denn für ein
100 %iges Ergebnis braucht es in der Regel auch 100 % der Zeit. Und gerade in
der Rechtsabteilung müssen viele Arbeitsresultate hieb- und stichfest sein.
Wann immer möglich sollten Arbeitsresultate in einem Guss fertiggestellt
werden. Es bewährt sich nicht, den letzten Schliff auf den nächsten Tag oder die
nächste Woche zu verschieben. Oft kommt dann noch einmal etwas dazwischen
und es vergeht einige Zeit, bis man sich den Schlussarbeiten widmen kann. Dies
bedeutet, dass man sich erneut in die Aufgabe einarbeiten muss – was wiederum
unnötig Zeit kostet.
Last but not least ist zu erwähnen, dass es die Konzentration fördert, wenn
während der Arbeit kurze Pausen eingeschaltet werden (siehe dazu detailliert
Kap. 27). Vor lauter Arbeit werden die Pausen manchmal vernachlässigt. Wenn
man aber kurz den Kopf und den Körper ausruht, lässt es sich nachher wieder viel
effizienter weiterarbeiten. Kleine Pausen zwischen der Arbeit zahlen sich also aus,
45 Time Management in Legal Operations 643

zumindest solange, als damit nicht übertrieben wird. Es liegt dabei auch am Gene-
ral Counsel, eine entsprechende Pausenkultur in seiner Abteilung zu schaffen.

45.4 Was, wenn ein gutes Time Management nicht


ausreicht?

Wie eingangs erwähnt ist in der heutigen Zeit ein gutes Time Management uner-
lässlich. Deshalb lohnt es sich unter Umständen auch, den Beizug eines Time
Management-Coachs ins Auge zu fassen, der allenfalls noch vorhandenes Verbes-
serungspotenzial orten kann. Aber auch ein noch so gutes Time Management kann
nicht Unmögliches möglich machen. Wenn trotz optimiertem Time Management
wichtige Aufgaben nicht in der zur Verfügung stehenden Zeit oder nicht mit der
genügenden Sorgfalt erledigt werden können, müssen andere Maßnahmen wie die
Anstellung weiterer Mitarbeitender oder die Übertragung gewisser Aufgaben an
eine externe Anwaltskanzlei geprüft werden (siehe dazu auch Kap. 19 und 20).

45.5 Folgen ständiger Überlastung

Ständige Überlastung führt zu Ineffizienz und Fehlern. Es entsteht ein Teufels-


kreis, da Fehler dazu führen, dass das Arbeitsresultat noch einmal überarbeitet
werden muss. Dadurch steht dann für andere Aufgaben noch weniger Zeit zur
Verfügung und die Gefahr für weitere Fehler steigt an. Außerdem kann aus einem
Fehler für das Unternehmen ein mehr oder weniger schwerwiegender Schadenfall
resultieren, der dann auch wieder bearbeitet werden muss.
In persönlicher Hinsicht kann eine andauernde Überlastung schlimmstenfalls
gesundheitliche Folgen für den Betroffenen haben – was in niemandes Interesse
liegt. Denn Arbeitsausfälle kommen auch den Arbeitgeber teuer zu stehen, ganz
abgesehen davon, dass es dessen Aufgabe ist, im Rahmen seiner Fürsorgepflicht
dafür zu sorgen, dass seine Mitarbeitenden nicht aufgrund ständiger Überlastung
am Arbeitsplatz krank werden.
Diese Folgen andauernder Überlastung zeigen abschließend noch einmal
die Bedeutung eines guten Time Management auf, wobei aber – wie bereits
erwähnt – nicht vergessen werden darf, dass dem menschlichen Leistungsver-
mögen naturgemäß Grenzen gesetzt sind.

Über die Autorin


Aglaja Dueblin – Leiterin Rechtsdienst Sympany Services AG, Basel
Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Zürich (1991–1998), Tätigkeit in verschie-
denen Funktionen am Bezirksgericht Zürich, zuletzt als Juristische Sekretärin mit nebenamt­
licher Ersatzrichterkompetenz (1998–2004), Anwaltsprüfung (2003), Rechtsanwältin bei SSPLaw
(2004–2006).
Teil VIII
Praxis zu Prozessen von Legal Operations
Einführende Übersicht Prozesse
von Legal Operations 46
Roman P. Falta

46.1 Die Prozesse von Legal Operations

Der dritte Aspekt der strukturellen Betrachtungsebene des Legal Operations


Managements befasst sich, wie in Abb. 46.1 dargestellt, mit der optimalen Pro-
zessgestaltung in der Rechtsfunktion. Unter einem „optimalen Prozess“ wird dabei
die zielgerichtete Erstellung einer Leistung verstanden, die auf einer Abfolge
sinnvoller, effektiver und effizienter Einzelschritte basiert und nach bestimmten
Prozessdimensionen (Input- und Output-Inhalte, Prozessierungsregeln, Personal­
bindung, Kosten, Quantität, Qualität, Ort und Zeit) durchgeführt wird.
Ganze Prozessbündel bilden in der Folge die spezifische Erbringung von Leis-
tungen der Rechtsfunktion ab und sind daher aufs engste mit den ihnen zugrunde
liegenden Aufgabenstellungen verknüpft (siehe dazu auch Kap. 14). Grundsätzlich
kann zwischen drei Prozessarten unterschieden werden, den Haupt-, den Zusatz-
und den Support- respektive Administrativprozessen.

46.2 Die Elemente und Inhalte der Legal Operations-


Prozesse

Eine optimale Durchführung von Haupt- und Zusatzaufgaben ist nur dann gewähr-
leistet, wenn die den Aufgabengebieten zugrunde liegenden drei Prozessarten
nicht nur friktionsfrei ablaufen, sondern insgesamt sinnvoll konzipiert und effi-
zient beziehungsweise effektiv im täglichen Arbeitsbetrieb umgesetzt werden
können. Es ist daher besonders wichtig, diese nicht nur ständig zu kontrollieren,

R.P. Falta (*)


Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC,
Zürich, Schweiz
E-Mail: falta@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 647


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_46
648 R.P. Falta

Abb. 46.1  Prozesse im Kontext des QUADRAGON Legal Operations Management-Modells©.


(Quelle: QUADRAGON Management LLC)

sondern auch zu hinterfragen und stets nach etwaigen Optimierungsmöglichkeiten


Ausschau zu halten. Schließlich sind Prozesse – aufgrund der ihnen übergeordne-
ten Aufgabengebiete – ebenfalls ein elementarer Bestandteil der Legal Operations
Identity. Die Erfahrung zeigt, dass der Beschäftigung mit Prozessen in den Legal
Operations, der ständigen Verbesserung des Prozessdesigns und der Wertschöp-
fungsstärkung durch Prozessoptimierung in der Praxis noch nicht der Stellen-
wert zugeordnet wird, der ihnen in einem optimal aufgestellten Legal Operations
Management eigentlich gebührt.

46.2.1 Hauptaufgaben und Hauptprozesse in Legal


Operations

Hauptprozesse können in fünf unterschiedliche Prozessgruppen unterteilt werden.


Sie bestehen, wie in Abb. 46.2 dargestellt, aus den Prozess- und Wertschöpfungs-
gruppen: Legal Risk Management, Legal Counseling, Transaction Management,
Litigation & Arbitration sowie Legal Education und deren jeweiligen drei Subbe-
reichen. Für eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Prozessthema in den Legal
Operations sollten zum Beispiel folgende Fragen beantwortet werden:
Welche Aufgaben führt unsere Rechtsabteilung durch und wie sehen die mit
ihnen zusammenhängenden Prozesse beziehungsweise Wertschöpfungsketten aus?
Wie sieht es mit der Identitäts- und Strategiekonformität unserer Prozesse aus?
Wie oft wird bei uns eine Analyse rechtlicher Wirkungsverläufe durchgeführt und
welche Ergebnisse zeigt sie? Welche einzelnen Prozessbündel existieren pro Auf-
46 Einführende Übersicht Prozesse von Legal Operations 649

Abb. 46.2  Hauptaufgaben und -prozesse in Legal Operations. (Quelle: QUADRAGON Manage-


ment LLC)

gabengebiet beziehungsweise Subbereich? Aus welchen Einzelprozessen bestehen


die Prozessbündel? Wie ist jeder einzelne Prozessschritt im Hinblick auf die Pro-
zessdimensionen (vgl. Abschn. 46.1) ausgestaltet? Wie werden unterschiedliche
Prozessvarianten geprüft? Wo gibt es Prozessschnittstellen zwischen Mitarbeiten-
den der Rechtsabteilung? Wo befinden sich Input- und Output-Schnittstellen zu
internen und externen Interaktionspartnern? Wie effektiv, effizient und sinnvoll
sind die Prozessketten ausgestaltet? Wie messen wir die Prozesserfolge respektive
-misserfolge? Haben wir Monitoring- und Kontrollmöglichkeiten für die Messung
und Optimierung der verwendeten Prozessdesigns eingerichtet? Wo arbeiten wir
mit einem ausschließlichen, wo mit einem redundanten Prozessdesign? Wie stellen
wir ein funktionierendes Qualitätsmanagement über unsere Prozesse sicher? Wie
reagieren wir auf gaps in unserer Prozessleistung, dem Prozessdesign oder der
Prozessarchitektur? Existiert eine Prozessoptimierungskompetenz in der Rechts-
abteilung? Wie weit setzen sich das Legal Team oder einzelne Mitarbeitende mit
Operations Research- oder Lean Management-Methoden und Praktiken auseinan-
der? Werden solche überhaupt auf die Legal Operations angewandt? Etc.

46.2.2 Zusatzaufgaben und Zusatzprozesse in Legal


Operations

Der Begriff „Zusatzaufgaben“ beschreibt diejenigen Leistungen, die aufgrund


ihrer rechtlichen oder inhaltlichen Nähe oft durch die Rechtsabteilungen erbracht
werden. Die Erfüllung von Zusatzaufgaben muss aber nicht zwangsläufig durch
die Rechtsabteilung erfolgen, sondern kann auch durch andere Abteilungen, durch
eigens dafür erstellte Organisationseinheiten oder durch externe Anbieter durchge-
führt werden. Je größer und entwickelter die Organisation ist, sowohl in der Privat-
wirtschaft als auch in der Öffentlichen Verwaltung, desto weniger werden etwaige
Zusatzaufgaben der Rechtsabteilung überbunden. Im Gegensatz dazu ist der von
den Zusatzaufgaben abgeleitete Begriff „Zusatzprozesse“ etwas irreführend: Im
650 R.P. Falta

Abb. 46.3  Zusatzaufgaben und -prozesse in Legal Operations. (Quelle: QUADRAGON Manage-


ment LLC)

Gegensatz zu Support- beziehungsweise Administrativprozessen sind auch die


Zusatzprozesse „echte Hauptprozesse“, die jedoch die Durchführung von Zusatz-
aufgaben zum Inhalt haben. Unabhängig der mangelnden sprachlichen Präzision
können Zusatzprozesse, wie in Abb. 46.3 dargestellt, unterschiedlichste Aufgaben-
gebiete betreffen. Aufgrund ihrer Hauptprozesscharakteristik stellen sich bei der
vertieften Auseinandersetzung mit Zusatzprozessen die gleichen Fragen wie im
Abschn. 46.2.2.

46.2.3 Administrativaufgaben und -prozesse in Legal


Operations

Neben der Durchführung von Haupt- (Kernkompetenzen von Legal Operations)


und Zusatzaufgaben gehören auch Support- beziehungsweise Administrativauf-
gaben zum täglichen Betrieb einer Rechtsabteilung. Daher kommt auch den mit
diesen zusammenhängenden Prozessen eine wichtige Bedeutung zu. Support-
beziehungsweise Administrativprozesse stehen nicht im direkten Zusammenhang
mit dem nach außen gerichteten Leistungsprogramm der Rechtsfunktion, sondern
wirken vielmehr nach innen. Auch wenn sie nicht die direkten Kernkompeten-
zen der Rechtsabteilung betreffen, handelt es sich bei ihnen trotzdem um wich-
tige Prozesse. Es handelt sich dabei um Aufgaben wie zum Beispiel die Führung
der Abteilungsbuchhaltung, die Durchführung von Maßnahmen des Controllings,
des Qualitätsmanagements, der Strategie-, Ressourcen- und Prozessoptimierung,
der Durchführung von Jahres-, Monats- und Wochenplanungen, von Self-Manage-
ment- und Teambildungsmaßnahmen etc.
Da Administrativprozesse nicht zu den juristischen Hauptaufgaben einer
Rechtsabteilung gehören, bieten sie regelmäßig Gesprächsstoff für Outsourcing –
an andere Abteilungen oder an externe Dienstleister – respektive geben gute
Kandidaten für Automatisierungsbestrebungen ab. Aus diesem Grunde werden
sie auch nicht explizit in diesem Buchteil erörtert, sondern (teilweise) in den
entsprechenden Kapiteln über die ihnen übergeordneten Aufgaben.
46 Einführende Übersicht Prozesse von Legal Operations 651

46.3 Kapitelübersicht – Prozesse in Legal Operations

Die Autoren der ersten Prozesse-Gruppe haben sich vertieft mit der Ausgestaltung
der ursprünglichen rechtlichen Kernkompetenzen von Legal Operations
auseinandergesetzt. Dabei haben sie aus ihrer Erfahrung heraus die wichtigsten
Inhalte aus den fünf Hauptaufgaben der Rechtsfunktion ausgewählt und in
interessanten Beiträgen zusammengestellt:

• Assoc. Prof. Dr. Michael Falta beschäftigt sich in Kap. 47 mit dem Legal
Risk Management der Rechtsfunktion. Er fokussiert sich dabei auf die
Risikoanalyse operativer Aktivitäten und zeigt anhand zweier praktischer
Beispiele, wie ein qualitatives und quantitatives Legal Risk Management-
Analysesystem praktisch in einer Rechtsabteilung umgesetzt werden kann: Im
ersten Beispiel zeigt er dies anhand der „statistischen Aktivitätskostenanalyse
(SACA-Ansatz)“, danach nimmt er sich der „Risikoanalyse unter Abhängigkeit
von Optionen“ an und zeigt auch hier das Vorgehen anhand eines detaillierten
praktischen Beispiels.
• Dr. Christian Wind setzt sich in Kap. 48 mit dem Legal Counseling der
Rechtsfunktion auseinander. Zuerst geht er auf die Ziele und das Zielpublikum
der internen Rechtsberatung ein (von den Hauptaktionären, über den
Aufsichtsrat bis zu den Mitarbeitenden). Danach beschäftigt er sich ausführlich
mit den relevanten Rechtsgebieten des Legal Counseling und erörtert
umfassend, wie die „Nachhaltigkeit“ der organisationsinternen Rechtsberatung
verbessert wird. Auf breite Erfahrung in Sachen Legal Operations abstützend
zeigt der Autor immer wieder anhand praktischer Tipps, wie ein besseres Legal
Counseling-Ergebnis erzielt werden kann.
• Heiko Wendel fokussiert sich in Kap. 49 auf den Bereich Transaction Manage-
ment in Legal Operations. Er gibt zuerst einen Überblick über die verschiede-
nen Transaktionsarten und befasst sich danach mit „transaktionsspezifischem
Vertragsmanagement“. Im Anschluss setzt er sich detailliert mit M&A-Trans-
aktionen auseinander (Management externer Berater, Beraterbriefing, typischer
Transaktionsablauf, Durchführung von Due-Diligence-Prüfungen, Gestaltung
des M&A-Vertrags und dessen Verhandlungen). Am Schluss des Kapitels geht
er noch auf „Product Stewardship“ ein.
• Dr. Rainer Füeg geht in Kap. 50 auf das Litigation & Arbitration Management
in Legal Operations ein, indem er sich vor allem mit Arbitration-Verfahren
beschäftigt und deren Vorteilen gegenüber den anderen Verfahrensoptionen
(Mediation und Gerichtsverfahren vor staatlichen Gerichten) im Detail
aufzeigt. Danach erörtert er die Wahl der Schiedsordnung, die Kosten der
Schiedsgerichtsbarkeit und die Ausgestaltung von Schiedsklauseln. Den
Abschluss bildet die Auseinandersetzung mit den einzelnen Prozessschritten
eines Schiedsgerichtsverfahrens (Einleitung des Verfahrens, Hauptverfahren,
Weiterzug sowie Vollstreckung von Schiedsurteilen).
652 R.P. Falta

• Christian Dueblin nimmt in Kap. 51 Bezug auf die Legal Education-Aufga-


ben innerhalb der Legal Operations. Er fokussiert sich zuerst auf die Vorausset-
zungen und den Impact von Legal Education sowie die Vermittlung juristischer
Denkweisen im Unternehmen. Danach geht er ausführlich auf die Dozententä-
tigkeit von Unternehmensjuristen und die Organisation von Inhouse-Seminaren
ein. Er zeigt, basierend auf viel Erfahrung im Umgang mit Schnittstellen zwi-
schen der Rechtsabteilung und anderen Unternehmensbereichen, wie Seminare
eine größtmögliche Wirkung erzielen können und erläutert unterschiedliche
Konfliktsituationen. Das Kapitel schließt er mit einer Diskussion über Teilneh-
merkreis und Methodik in der rechtlichen Ausbildung ab.

Die Autoren der zweiten Prozesse-Gruppe haben sich mit der Ausgestaltung derje-
nigen Zusatzaufgaben auseinandergesetzt, die in Unternehmen und Behörden am
häufigsten an die Rechtsabteilung übertragen werden:

• Hans Peter Heimsch beschäftigt sich in Kap. 52 mit dem Zusatzprozess


Document Management in Legal Operations. Er gibt zuerst einen Überblick
über die DMS-Thematik (Document Management System) und deren Aus-
gangslage in der Rechtspraxis, bevor er sich mit den DMS-Leistungen als
Basisfunktionen für Vertragsmanagement auseinandersetzt. Zudem geht er
detailliert darauf ein, was ein modernes Vertragsmanagement leisten muss und
wie Unternehmen unterschiedlicher Größen ein Vertragsmanagement ausnutzen
können. Am Schluss gibt er Tipps zur optimalen Auswahl eines DMS, zur Vor-
gehensweise bei dessen Einführung und zu Hemmnissen und Vorteilen, die mit
einem solchen System zusammenhängen.
• Roger Schoch setzt sich in Kap. 53 mit dem Zusatzprozess Corporate Secre-
tary Services auseinander. Er beschäftigt sich zuerst mit den Herausforde­
rungen und Hauptaufgaben eines Corporate Secretary, bevor er auf das
benötigte Beziehungsnetz und die Mindestanforderungen an das Profil eines
Corporate Secretary eingeht. Zudem nimmt er sich vertieft den Themen Cor-
porate Governance und der Führung des Aufsichtsratsbüros an. Den Abschluss
bilden Erörterungen über die Dynamik zwischen Aufsichtsrat/Geschäftsleitung,
die Doppelrolle von General Counsel/Corporate Secretary und praktische Tipps
zur Protokollführung in einer Aktiengesellschaft.
• Manuela Mackert geht in Kap. 54 auf den Zusatzprozess Compliance
Management in Legal Operations ein. Den Anfang machen Erläuterungen über
die Bedeutung und Organisation von Compliance im Unternehmen. Danach
zeigt die Autorin detailliert die Ausgestaltung eines Compliance Manage-
ment-Systems anhand verschiedener Elemente (Compliance Risk Assessment,
Compliance-Richtlinien, Compliance-Trainings und Compliance-Kommuni-
kation) auf. Zudem geht sie darauf ein, wie Compliance in Unternehmenspro-
zesse, die Strategieentwicklung und internationale Projekte integriert werden
kann. Gegen Ende beschäftigt sie sich mit whistle blowing, Case Management
und Compliance Reporting, bevor sie am Schluss kritisch hinterfragt, wie viel
Compliance notwendig ist.
46 Einführende Übersicht Prozesse von Legal Operations 653

• Schließlich fokussiert sich Prof. Dr. Stephan Grüninger in Kap. 55 auf den
Zusatzprozess Corporate Social Responsibility (CSR) & Integritätsmanage-
ment. Er setzt sich zu Beginn ausführlich mit einer genauen Begriffsdefinition
von Unternehmensverantwortung, CSR, social compliance und Compliance
auseinander, bevor er auf die verschiedenen Rahmenwerke (UN Global Com-
pact, ISO 26000, OECD-Leitsätze), auf die themenbezogenen CSR Manage-
ment Systemstandards (Guiding Principles on Business and Human Rights und
SA8000) sowie auf das CSR-soft law eingeht. Der Autor schließt mit einem
detaillierten Überblick über Social Compliance Risk Management und Unter-
nehmensintegrität.

Über den Autor


Roman P. Falta, lic.iur.HSG – Professional Services Management Leader QUADRAGON
MANAGEMENT LLC, Zürich
Studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen HSG. Daneben
hält er Weiterbildungsdiplome der Harvard University, des MIT und der UC Berkeley in Sozio­
anthropologie und Psychologie. Seine Berufskarriere begann er in einer führenden Strategie-
beratung, welcher Berufsstationen bei Gericht, in der Finanzverwaltung und einer namhaften
Anwaltskanzlei folgten. Anschliessend war er für diverse Bereiche in Corporate Legal und in der
Compliance eines Global Fortune 500-Unternehmens verantwortlich. Als Professional Services
Management Leader verantwortet er heute unter anderem den Bereich Legal Operations Optimi-
zation bei QUADRAGON MANAGEMENT. Er gilt als einer der renommiertesten Experten für
Professional Services Optimization und Elite Performance Development im deutschsprachigen
Raum.
Hauptprozess Legal Risk
Management 47
Michael Falta

47.1 Legal Risk Management

Langfristig erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich durch stetige Innovation,


Marktanpassung sowie Investitionen in Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit aus.
Die Umsetzung dieser Erfolgskonzepte ist jedoch schwierig und Zahlen aus den
USA1 und Europa2 bestätigen: Die Hälfte aller Unternehmen muss bereits inner-
halb der ersten fünf Jahre wieder schließen; weniger als ein Drittel überleben die
ersten zehn Jahre. Diese Statistiken gelten für sämtliche Wirtschaftslagen, Indus­
trien und sind auch für KMUs repräsentativ, die in diesen Ökonomien den weitaus
größten Prozentsatz (>90 %) aller Unternehmen ausmachen. Die Gründe für
Unternehmensschließungen sind vielfältig, jedoch führen meistens finanzielle
Schwierigkeiten und beschädigtes Ansehen in den Ruin. Dies könnte mit imple-
mentierten Risikoanalysen und -strategien – insbesondere auch durch ein gutes
Legal Risk Management – in vielen Fällen verhindert werden.
Kommt es zu komplexen Entscheidungssituationen, beeinflussen unsere intuiti-
ven Gehirnprozesse die analytischen Regionen.3 Durch die asymmetrische Wahr-
nehmung von Gewinn und Verlust sowie bei der generell schwierig empfundenen
statistischen Risikosituationsverarbeitung ist der Mensch vielen, einander konkur-
rierenden Gedankenprozessen ausgesetzt. Bereits ein einfaches Beispiel zeigt auf,

1US Bureau of Labour Statistics, www.bls.gov/bdm/us_age_naics_00_table7.txt. Besucht 10.


Mai 2017.
2OECDiLibrary, Survival of employer enterprises, http://www.oecd-ilibrary.org/industry-and-ser-

vices/entrepreneurship-at-a-glance_22266941. Besucht 10. Mai 2017.


3Weiterführende Literatur über Logik, Rationalität, Intuition und Emotion bei der Entscheidungs-

findung Kahneman (2011).

M. Falta (*)
University of Canterbury, Christchurch, Neuseeland
E-Mail: michael.falta@canterbury.ac.nz

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 655


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_47
656 M. Falta

Tab. 47.1  Entscheidungs- Alternative Ertrag Wahrscheinlichkeit (%)


situation bei unsicherem
Auskommen A Erfolg 20 99
Misserfolg 15 1
B Erfolg 21 86
Misserfolg 14 14

wie trügerisch sich Sachverhalte darstellen, wenn zwischen zwei Alternativen A


und B (vgl. Tab. 47.1) die vorteilhaftere bestimmt werden soll. Alternative A hat,
im Gegensatz zur Alternative B, ein fast sicheres Erfolgsauskommen (99 %), wel-
ches jedoch beim Ertrag um einen Punkt tiefer liegt, als jenes für B. Bei der Ent-
scheidung müssen natürlich auch die Werte für den Ertrag bei Misserfolg
berücksichtigt werden. Man kann dieses Beispiel als mögliche Kapitalabfindungen
aus zwei verschiedenen rechtlichen Strategien interpretieren. Welche würden Sie
wählen, A oder B?4
Jedes Unternehmen schützt sich verschiedenartig gegen Störfälle, rufschädi-
gende Zwischenfälle und rechtliche Sachverhalte5 sowie die damit im Zusammen-
hang stehenden finanziellen Belastungen.6 Grundsätzlich ist zu unterscheiden, ob
und wie viel man oben an der Klippe in den Zaun investieren möchte, oder unten
an der Klippe in den Rettungsdienst – worin sich das in Tab. 47.1 präsentierte Pro-
blem widerspiegelt. Unternehmensstrategien zur Eindämmung der Wahrschein-
lichkeit des Auftretens eines Problems beinhalten vorbeugende Maßnahmen, wie
zum Beispiel Prozessverbesserungen, verbesserte Sicherheitsvorkehrungen oder
Mitarbeiterschulung. Der Fokus liegt bei diesem proaktiven Ansatz auf der opera-
tiven Risikoplanung und den damit verbundenen rechtlichen Strategien. Die Maß-
nahmen- und Rechtskosten werden dabei im Rahmen der finanziellen
Risikoplanung abgeschätzt und gesteuert. Auf der anderen Seite werden bei reakti-
ven Strategien (zum Beispiel Versicherungslösungen) bezüglich antizipierter Prob-
leme die rechtlichen Konsequenzen abgeschätzt und das eigentliche Ereignis
durch Notfallpläne gesteuert. Der Fokus liegt hier bei der operativen Schadensein-
dämmung. Die zu erwartenden Kosten der möglichen Handlungsstrategien werden
auch durch eine finanzielle Risikoplanung abgeschätzt.

4Der Erwartungswert ist die Summe aller möglichen Erträge, multipliziert mit der zugehörigen
Wahrscheinlichkeit. Für Alternative A ergibt sich ein Erwartungswert von 19,95 = 20 * 99 % +
15 * 1 %, welcher tiefer liegt als jener für Alternative B (20,02). Alternative B liefert demnach
ein besseres Auskommen als Alternative A unter der gegebenen Risikosituation.
5Rechtliche Sachverhalte stehen immer im direkten Zusammenhang mit Unternehmensaktivitä-

ten (zum Beispiel Klagen, die aufgrund von Unfällen oder irreführenden Marketingkampagnen
erhoben werden) und können daher als direkte Attribute der Unternehmensaktivität betrachtet
werden.
6Die Unterscheidung zwischen den operativen/rechtlichen Sachbeständen und der finanziellen

Dimension ist wichtig, denn Entscheidungen auf einer Ebene beeinflussen die anderen. Dieser
Punkt wird weiter unten in Abschn. 47.2 und 47.3 im Detail aufgegriffen.
47 Hauptprozess Legal Risk Management 657

Eine weitere Dimension der Entscheidungsfindung liegt darin, welches


Maßnahmenbündel aus der normalerweise gegebenen Auswahl von vor- und
nachsorglichen Optionen geschnürt werden soll. Auf welcher Erfolgsebene sich
ein Unternehmen durch die tägliche Entscheidungsfindung positioniert, hängt
davon ab, wie intelligent Informationen, basierend auf Erfahrung, Expertise
und Daten, zur Entscheidungsfindung herangezogen werden. Je stärker die Phi-
losophie des täglichen Geschäftsablaufes auf Vertrauensbasis basiert, anstatt
auf bewusst-kontrolliert geführtem Risikobewusstsein, desto eher muss sich das
Unternehmen mit überraschend auftretenden Schwierigkeiten auseinandersetzen.

u Ein Legal Risk Management System ist ein Werkzeug für Legal
Counsels, um juristische Sachverhalte mit operativen Unterneh-
mensaktivitäten zu verknüpfen und zu quantifizieren, um das
Unternehmen vor Rechtsrisiken optimal zu schützen.

Das Verhältnis zwischen Kosten K (Zeit, Energie, Kapital) und dem damit erreich-
ten Schutzniveau S vor unternehmensschädigenden Ereignissen und rechtlicher
Risiken verhält sich wie in Abb. 47.1 dargestellt. Je umfassender das Schutzni-
veau,

• desto größer werden die marginalen Investitionen in die Risikovorsorge; einge-


denk dessen, dass eine 100 % ige Abdeckung aller operativen und rechtlichen
Risiken nie erreicht werden kann;
• desto kleiner werden die erwarteten Folgekosten, wie zum Beispiel Reparatur-
und Rechtskosten sowie Abfindungszahlungen.

Falls, auf der anderen Seite, wenig in vorsorgliche Maßnahmen investiert wird und
das Schutzniveau leidet, muss man mit hohen Folgekosten rechnen. Die Summe
der Vorsorge- und Folgekosten wird konsequenterweise eine U-Form haben und

Abb. 47.1  Kostenkurven
für unternehmensweite
Risikovorsorge
und Zahlungen bei
Folgeereignissen
658 M. Falta

damit auch ein Minimum, welches für ein Unternehmen zu bestimmen von Inter-
esse ist. Sinngemäß sollte Ihr einleitender Gedanke als General Counsel bei einer
Legal Risk Management-Präsentation vor der Unternehmensführung lauten:

Unter Berücksichtigung der getätigten Investition KV1 in die Risikovorsorge kann das
Schutzniveau S1 hinsichtlich der Problemabdeckung unserer operativen Aktivitäten erwar-
tet werden. Auf dem S1-Niveau erwarten wir jedoch Folgekosten der Größe KF1.

Wenn Sie dann noch aufzeigen können, wie zuverlässig die berechneten Zahlen
sind und wie der Entscheidungsspielraum durch konstruktive Darlegung verschie-
dener Optionen erweitert werden kann, haben Sie Ihr Gehalt bereits mehr als
gerechtfertigt. Unter der Annahme, dass sich Ihr Unternehmen zurzeit im Zustand
(K1, S1) befindet:

Um die durch Probleme zu erwartenden Totalkosten auf ein Minimum zu reduzie-


ren, betragen die notwendigen und zusätzlichen Ausgaben in die Risikovorsorge
∆KV = KV V
2 − K1 . Diese Investitionen bringen die vorsorgliche Risikoabdeckung auf das
Schutzniveau S2 der Problemabdeckung und eine Reduktion ∆K = K1 – K2 der erwarte-
ten Totalkosten;

oder:

Unter der Einschränkung eines Budgets KV (>KV


1 ): Welches Maßnahmenbündel liefert das
höchstmögliche Schutzniveau S?

Nachfolgend wird dieses Kapitel aufzeigen, wie man die Größen K und S berech-
nen kann und wie Legal Counsels maßgebend durch den Aufbau sowie Unterhalt
von effektiven und effizienten Legal Risk Management-Systemen dazu beitragen
können, ein Unternehmen in den in Abb. 47.1 dargestellten minimalen Totalkos-
tenbereich zu führen. Zudem erhalten Sie das Rüstzeug zur Implementierung
zweier analytischer Risk Management-Systeme mit Schwerpunkt auf operative
Unternehmensprozesse, Recht und Entscheidungsfindung.
Beide Risikoanalysesysteme sind dazu in der Lage, Unsicherheiten und Korrela-
tionen zu berücksichtigen und zu quantifizieren, welche durch das Zusammenspiel
von operativen, rechtlichen und entscheidungsfindenden Unternehmensaktivitä-
ten bereits bestehen oder entstehen können. Beide Risikoanalysesysteme können
sowohl numerische wie auch qualitative Daten zusammen verarbeiten. Beide Risi-
koanalysesysteme können komplementär genutzt werden und beide erlauben durch
die errechneten Resultate den Gegenwartszustand der Unternehmensaktivitäten zu
beurteilen und Vergleiche zwischen verschiedenen Optionen zu ermöglichen. Die
Fähigkeit, Informationen zur Verfügung zu stellen, welche die Unternehmensfüh-
rung bei der Entscheidungsfindung zu Strategien der Erfassung und Vorbeugung
von rechtlichen Problemen bestmöglich unterstützen, zeichnet die beiden hier
erläuterten Risikoanalysesysteme schließlich ebenfalls aus.
Der erste Ansatz (statistische Aktivitätskostenanalyse) veranschaulicht, wie
man eine Risikoanalyse des Schutzniveaus und der dazugehörenden finanziellen
Mittel, also das derzeitige Schutzniveau und die dafür benötigten Investitionen
47 Hauptprozess Legal Risk Management 659

eines Unternehmens, durchführen kann. Das diskutierte Beispiel untersucht hierzu


betriebliche Unfälle und deren Konsequenzen. Der zweite Ansatz (Risikoanalyse
unter Abhängigkeit von Optionen) erläutert hingegen, welche Kombination von
Maßnahmen die beste Risikolösung liefert.7 Beide Ansätze setzen moderne und
grundlegende Prinzipien der informierten Geschäftsführung voraus: Entschei-
dungsträgern ist bewusst, dass Unsicherheiten mit in die Planungs- und Bewer-
tungsaktivitäten des Unternehmens einbezogen werden müssen. Deterministische
Weltsichten, absolute Annahmen und Vorhersagen erlauben keine vergleichende
und wahrheitsgetreue Risikoanalyse! Je besser die Fülle der Unsicherheiten von
und die Korrelationen zwischen Unternehmensaktivitäten ausgearbeitet sind, desto
eher kann deren stochastische Natur in den Entscheidungsprozess miteinbezogen
werden. Die in Abb. 47.1 dargestellten Punkte sind daher als Erwartungswerte zu
interpretieren. Die Abweichung von diesen Erwartungswerten, die sogenannte
Standardabweichung, ist nicht in der Abb. 47.1 dargestellt. Sie wird jedoch durch
die zentrale Rolle, die sie in der Risikoanalyse spielt, in den Beispielen verwendet.

47.2 Risikoanalyse operativer Aktivitäten

Unternehmen aller Größen und Industrien sind aus konzeptioneller Sicht identisch:
Jedes Unternehmen führt Aktivitäten aus, um bestimmte wirtschaftliche Ziele zu
erreichen. Nexus of contracts ist dafür eine weitverbreitete und anerkannte Unter-
nehmensumschreibung. Jeder dieser Verträge ruft eine ökonomische Aktivität
hervor beziehungsweise eine gegenseitige Verschuldungsbeziehung (exklusive ein-
seitiger Verträge), in welcher sich zwei Parteien zu einem bestimmten Zeitpunkt
oder für eine bestimmte Dauer zu einem Austausch von (finanziellen respektive
Arbeits-)Leistungen oder Handelswaren verpflichten. Arbeitsleistung, Energie,
Maschinen, Werkanlagen und Handelswaren dienen als Input in die Arbeits- und
Produktionsprozesse, welche schlussendlich als Output greifbare Waren oder
nichtgreifbare Dienstleistungen erzeugen. Die wertebestimmenden Größen dieser
ökonomischen Aktivitäten sind die vereinbarten Transaktionskosten.
Dieser Ansatz, welcher der Statistical Activity Cost Analysis (statistische Akti-
vitätskostenanalyse), kurz SACA, zugrunde liegt, ist hervorragend zur Risikoana-
lyse bestehender und geplanter Aktivitäten sowie deren gegenseitiger
Abhängigkeiten geeignet.8 Schematisch in Abb. 47.2 dargestellt, kann man das
SACA Grundgerüst in allen Unternehmen wiederfinden, sofern Ressourcen
(Inputs) zu Outputs wie Produkten, Arbeits-, Kreativ-, Forschungs- oder Dienst-
leistungen kombiniert werden. Jede Input- und Output-Komponente in einem
SACA-Prozessnetzwerk ist mit operativen, umweltbelastenden, sicherheitsrelevan-
ten und rechtlichen Teilaspekten assoziiert, welche jeweils durch zwei Variablen

7Dabei ist zu berücksichtigen, dass technische Aspekte der zugrundeliegenden Berechnungen aus
Platzgründen nicht eingehend diskutiert werden können und die begleitenden Beispiele gezielt
einfach gehalten wurden. Weiterführende Literatur ist jedoch an geeigneter Stelle angegeben.
8Weiterführende Literatur zu SACA: Willett (1991, S. 117 ff.).
660 M. Falta

Abb. 47.2  SACA Input-


Output-Struktur

(Kosten und Dauer) bestimmt sind. Die Konfiguration des Netzwerks und die
Dauer beschreiben dabei die physikalischen Dimensionen der Aktivität; deren
Kosten jene der sozioökonomisch-finanziellen Dimension.
Dadurch, dass die Kosten und die Dauer im Allgemeinen nicht deterministisch
bestimmbaren Einflüssen (z. B. Abhängigkeit von Ölpreisen, Inflation, dem Wetter
oder anderen saisonalen Fluktuationen) ausgesetzt sind, ist die statistische Wahr-
scheinlichkeitsverteilungen das naheliegende und angebrachteste Konstrukt für eine
quantitative Beschreibung dieser Variablen. Falls genügend historische Daten zur
Verfügung stehen, können diese verwendet werden, um die repräsentative Vertei-
lungsform zu bestimmen. Für seltene Ereignisse oder Aktivitätsaspekte, für welche
keine oder wenige Daten vorhanden sind, muss der Experte – wie bei rechtlichen
Sachverhalten Sie als Legal Counsel – eine Abschätzung liefern. Eine oft zutref-
fende Verteilung für solche Expertenmeinungen ist die in Abb. 47.3 dargestellte
Dreiecksverteilung: Ob für die Kosten oder die Dauer; die beiden Extremwerte (das
Minimum und das Maximum) sowie der Modalwert können oft mit zufriedenstel-
lender Genauigkeit bestimmt werden. Zwischen diesen drei Werten wird dann linear
interpoliert. Die Kostenabschätzung für das Engagement eines externen Anwalts
kann für fehlende in-house Expertisen zum Beispiel zwischen € 15 und € 20 liegen,
jene des konkurrierenden Anwaltsbüros zwischen € 14 und € 21 – womit der Gene-
ral Counsel nun vor einer etwas komplexeren Variante der in Tab. 47.1 vorgestellten
Entscheidungssituation angelangt ist.9 Er muss nun den erkauften Qualitätsbereich
und die zugehörige Preisunsicherheit in beiden Fällen abschätzen.
Bezüglich der SACA-Eingabeinformationen gilt, dass diese immer entweder
auf Experteneinschätzungen beruhen, welche für selten vorkommende Ereignisse
unabdingbar sind oder auf historischen Werten aus einer Datenbank. Im besten

9Ein fixer Betrag als Kostenvoranschlag, wie bereits erwähnt, ist für die Risikoanalyse nur
bedingt nützlich. Viel wichtiger ist die Bestimmung der Kostenunsicherheit, denn bei rechtlichen
Dienstleistungen ist der Arbeitsaufwand selten von vornherein bekannt. Zudem kann die erkaufte
Qualität der Expertise nie ex ante deterministisch bestimmt werden und wird dadurch viel glaub-
würdiger durch die Dreiecksverteilung widerspiegelt.
47 Hauptprozess Legal Risk Management 661

Abb. 47.3  Dreiecksverteilung

Fall werden beide Informationsquellen kombiniert und zur Kontrolle sowie zur
gegenseitigen Ergänzung genutzt. Wie detailliert die Aktivitäten eines Unter-
nehmens modelliert werden, ist Ermessenssache und nur durch Zeit und Kos-
tenaspekte limitiert. Auch von Vorteil ist, dass jede SACA-Analyse gänzlich in
herkömmlicher Tabellenverarbeitungssoftware, wie zum Beispiel MS Excel, aus-
geführt werden kann und keine teure Spezialsoftware oder Expertenprogrammier-
kenntnisse benötigt.
Zusammenfassend liegt der Schwerpunkt beim SACA-Ansatz in der wahrheits-
getreuen Unsicherheits- und Risikoanalyse des Zusammenspiels operationeller,
rechtlicher und finanzieller Aspekte der wirtschaftlichen Unternehmensaktivitä-
ten. Durch Variation der Input- und Outputinformationen sowie der internen Pro-
zessvernetzung können dann Alternativen oder sogenannte „what-if“-Szenarien
untersucht werden. Jede Variation, die eine der realen Optionen des Unterneh-
mens darstellt, kann modelliert und dann mit dem aktuellen Zustand oder anderen
„what-if“-Szenarien verglichen werden, um für das Unternehmen die Basis einer
Legal Risk Management-Strategie zu entwickeln. Mit dieser kondensierten Ein-
führung vorab, wird nun im Beispiel 1 das SACA-Konzept anhand einer ökonomi-
schen Aktivität aufgezeigt.

47.2.1 Beispiel zur statistischen Aktivitätskostenanalyse


(SACA-Ansatz/Beispiel 1)

Das Produktionsunternehmen FullAware AG hat mit einem Kunden periodische


Produktlieferungen vereinbart. Um der Leistungsverpflichtung nachzukommen,
bedienen FullAware-Angestellte eine Maschine, welche die Rohstoffe A und B
zum Produkt C verarbeitet.

47.2.1.1 Schritt 1a: Ausarbeitung des SACA-Basismodels


Abb. 47.4 stellt die Aktivität „Produktion von Ware C mittels Maschine, Arbeiter
und Rohstoffen“ dar. Übersetzt in das generische SACA Input-Output-Modell,
662 M. Falta

Abb. 47.4  Produktionsprozess bei der FullAware AG

haben wir als Input 1 den jeweiligen Angestellten (seine Arbeitszeit und Fähigkei-
ten), als Input 2 die Maschine, als Input 3 und 4 die Rohstoffe A und B und als
Output 1 das Produkt C.10 Die assoziierten Kosten für die Inputs sind der Lohn
sowie die Maschinenbetriebs- und Materialkosten. Auf die Produktionszeit T kom-
men wir in Schritt 2 zu sprechen.
Das in Abb. 47.4 dargestellte Basismodel entspricht einem reibungslosen,
jedoch nicht realitätsgetreuen Produktionsprozess. Das heißt, dass ein Aufaddieren
aller geplanten Kosten für Inputs und Outputs sowie der geplanten Produktions-
zeit keine sonderlich wertvollen Informationen für die Entscheidungsfindung lie-
fern und daher eine informative Risikoanalyse nicht besonders gut unterstützen. In
der Praxis bestimmen vielmehr die intrinsischen Eigenschaften jeder Komponente
im Produktionsprozess, wie auch die Art und Weise, wie die verschiedenen Inputs
durch den Produktionsprozess verknüpft werden, die Eigenschaften des ganzen
Systems. Im nächsten Schritt erarbeiten wir daher einige dieser Eigenschaften.

47.2.1.2 Schritt 1b: Ausarbeitung aller operativen und rechtlichen


Unsicherheiten und Konsequenzen, die in Assoziation
mit dem SACA-Basismodels auftreten können
Die Ausarbeitung von operativen und rechtlichen Problemen, ob erwartet oder uner-
wartet, und die Benennung ihrer Eigenschaften ist nun den involvierten Produkti-
onsexperten und Ihnen als Legal Counsel (für den Rechtsbereich) überlassen. Bei
der Erweiterung des Basismodels sind Erfahrungen aus früheren Ereignissen zu

10Um zu verdeutlichen, wie flexibel der SACA-Ansatz ist, können die Inputs und Outputs auf

einem Makrolevel zum Beispiel den Piloten (Input 1), das Flugzeug (Input 2) und den Service
zufriedene Passagiere von Berlin nach Zürich transportiert zu haben (Output 1) darstellen. Auf
einem Mikrolevel können hingegen Schrauben (Input 1) und Schraubenmuttern (Input 2) durch
einen Roboter (Input 3) an einem Fahrzeugchassis fixiert werden (Output 1).
47 Hauptprozess Legal Risk Management 663

Abb. 47.5  Erwartete und unerwartete Zwischenfälle bei der FullAware AG

berücksichtigen, aber auch die Herausarbeitung antizipierter Ereignisse. Abb. 47.5


stellt die durch das Zusammenspiel von Mensch (Input 1) und Maschine (Input 2)
erwarteten und unerwarteten problematischen Ereignisse bei FullAware dar. Wie in
der Abb. 47.5 dargestellt, leiten sechs verschiedene Vorfälle zu möglichen operati-
ven, gesundheitlichen und rechtlichen Problemen, die alle wiederum zu Produkti-
onsverzögerungen und schließlich zu einem Reputationsverlust des Unternehmens
führen können. Jeder Pfeil beinhaltet somit gewisse juristische Sachverhalte, die
mit der jeweiligen Problemaktivität assoziiert sind. Die mit dem §-Zeichen verse-
henen schwarzen Blitze repräsentieren dabei die am offensichtlichsten auftretenden
Rechtsprobleme.
Die Eigenschaften der Rohstoffe A und B (Inputs 3 und 4) sowie die Bedingun-
gen, wie diese den Produktionsprozess sowie die Qualität des Produktes C (Output
1) beeinflussen, müssen bei einer voll entwickelten SACA-Analyse auch mitbe-
rücksichtigt werden. Aus Platzgründen fokussieren wir uns nachfolgend, wie in
Tab. 47.2 dargestellt, nur auf gewisse Elemente der SACA-Analyse:
Der nächsten Aufgabe in der SACA-Risikoanalyse kommt nun eine zent-
rale Bedeutung zu: Die Bestimmung der Wahrscheinlichkeiten w, mit welcher
bestimmte Aspekte (U1 bis U6) in den Produktionsprozess mit hineinspielen. In
der Praxis lohnt es sich, dass der Legal Counsel an dieser Stelle mit Leitern der
entsprechenden operativen Unternehmensabteilungen zusammenarbeitet. Die
angesprochenen Wahrscheinlichkeiten sind durch die intrinsische Aktivitätsei-
genschaften sowie jene extrinsischen Eigenschaften bestimmt, welche die ande-
ren Inputs in Kombination mit dem Input 1 hervorrufen. Es gibt nun verschiedene
Möglichkeiten, die eintreten können, und Abb. 47.6 stellt jene dar, die mit dem
Input 1 assoziiert sind:
664 M. Falta

Tab. 47.2  Schadenfälle bei der FullAware AG U1–U6


U1: Abnützung und Ausfälle als Folge von Maschinenbetrieb sind zu
erwarten; die technische Dokumentation des Herstellers ist bekannt.
Basierend darauf bestimmt und plant der Produktionsingenieur die
Unterhaltsstrategie: Reparaturen und der Unterhalt heben den Zuverlässig-
keitsverlust der Maschine wieder auf. Abweichungen von den gegebenen
Erwartungswerten können jedoch auftreten. Zusätzlich muss berücksichtigt
werden, dass die Gesamtheit der geplanten Unterhaltsaktivitäten selten alle
Wartungsarbeiten auflistet: Notwendige Reparaturen werden erst ersicht-
lich, wenn die Maschine bereits in der Wartung ist. Eine ungenügende
(oder unerfahrene) Risikoanalyse des Ausmaßes einer Wartungsarbeit führt
daher oft zu Produktionsverzögerungen. Juristische Aspekte kommen dann
zum Tragen, wenn die Ausfälle außerhalb der Garantie und Qualitätserwar-
tungen liegen
U2: Unfälle, welche durch Maschinendefekte herbeigeführt werden, sind
finanziell meist kostspielig. Direkte Kosten (zum Beispiel Ambulanz- und
Spitalkosten) eines Unfalls sind dabei nur die Eisbergspitze im Verhältnis
zu jenen, die beim Unternehmen durch Zeiteinbußen und indirekte Kosten
(zum Beispiel Verwaltungs-, Gerichts- oder Ersatzkosten) anfallen. Dies ist
eines der Hauptgebiete, in welchem der General Counsel das Unternehmen
vorsorglich und nachträglich schützen kann (und ist deswegen mit einem
schwarzen Blitz in Abb. 47.5 versehen)
U3: Unerwartete Krankheitsfälle können durch den Maschinenbetrieb
verursacht werden (zum Beispiel durch Atemwege aufgenommene
Lösungsmittel, Abgase oder Staub). Diese Erkrankungen werden oft erst
nach Jahren entdeckt, sind dann aber meistens nicht nur auf eine Person
limitiert. Wiederum ist hier der Rechtsexperte gefragt. Beispiele, die zur
Schließung von Betriebsstätten, teuren Vergleichen und Reputationsver-
lusten führten, gibt es in der Praxis viele (zum Beispiel Atemwegs- und
Krebserkrankungen durch Asbest)
U4: Maschinendefekte und Störfälle, herbeigeführt durch unsachgemäße
Handhabung, ob fahrlässig oder durch ungenügende Schulung, sind
in erster Linie eine interne Schulungs- (siehe dazu auch Kap. 51) und
Qualitätskontrollangelegenheit. Diese ungeplanten Ereignisse führen zu
Produktionsverzögerungen
U5: Unfälle, herbeigeführt durch unsachgemäße Handhabung, ob fahr-
lässig oder wegen ungenügender Schulung der Mitarbeiter. Ähnlich dem
vorhergehenden Punkt sind hier die interne Schulung und Einhaltung
von Vorsichtsmaßnahmen ausschlaggebend. Das Unternehmen ist jedoch
immer potenziellen Rechtsverfahren ausgesetzt, die durch den Geschädig-
ten oder geschädigte Drittpersonen und deren Vertreter eingeleitet werden
können
U6: Krankheitstage der Arbeiter werden erwartet und durch den Arbeits-
vertrag geregelt. Der Zeitpunkt und die Dauer sind aber schwer vorhersag-
bar. Sofern keine Redundanzstrategien vorliegen, vor allem für nicht oder
schwer zu ersetzende Fachkräfte, kann dies zu Produktionsverzögerungen
führen. Dieser Punkt ist mit den weitaus seriöseren Todesfällen oder
Invaliditätsfolgen von Eigentümern verwandt, welche besonders KMUs vor
Nachfolgeprobleme stellen
47 Hauptprozess Legal Risk Management 665

Abb. 47.6  Erweitertes SACA-Aktivitätennetzwerk

• Idealfall: Der reibungslose Produktionsprozess tritt mit Wahrscheinlichkeit w0


(<1) auf.
• Störfall: Mit Wahrscheinlichkeiten w4 bis w6, wird der Produktionsprozess
durch die Schadensereignisse U4 bis U6 unterbrochen. Wenn einer dieser sub-
optimalen Fälle auftritt, bestimmen wiederum die Prozesseigenschaften von
U4 bis U6, mit welcher Wahrscheinlichkeit wi,0 (i = 4,5,6) der Output 1 ohne
weitere Vorkommnisse generiert werden kann; oder aber, ob weitere unterneh-
mensschädliche Aktivitäten zur Produktion des Outputs 1 hinzu treten, respek-
tive mit welcher Wahrscheinlichkeit wx,1,1, überhaupt kein Output 1 zustande
kommt.

Nehmen wir als Beispiel das Schadensereignis U5, bei welchem der Output C
erst nach weiteren Problemen generiert werden kann (in Abb. 47.6: der durch
dicke Pfeile markierte Produktionsprozess mit Wahrscheinlichkeit w5). Zudem
gilt: Mitarbeiter bei FullAware sind durch eine Haftpflichtversicherung gegen
80 % der Unfallarten versichert; 20 % der Unfallarten werden jedoch nicht abge-
deckt. Als Legal Counsel bestimmen Sie nun, ob es sich lohnt, für die – mit
Wahrscheinlichkeit w5 * 20 % auftretenden – Unfälle und die damit verbunde-
nen weiteren rechtlichen Kosten Zusatzversicherungen abzuschließen. Der zweite
Schritt ist bei FullAware etwas leichter zu bestimmen, da die Wahrscheinlichkeit
w5,1 von weiteren Problemen aufgrund von U5-Ereignissen viel größer ist als
w5,0: Eine Feststellung, die leicht aus der Datenbank für Unfalldokumentationen
ersichtlich ist. Es eröffnen sich nun viele Möglichkeiten, um w5,1 zu verkleinern.
Da sich grundsätzlich w5,1 proportional zu w5 verkleinert, können vorsorgliche
Maßnahmen in Betracht gezogen werden, was in diesem Fall einer vermutlich
666 M. Falta

rationalen Entscheidung entsprechen würde. Möchte man jedoch w5,1 oder die damit
zusammenhängenden Rechtskosten direkt minimieren – ohne Einfluss auf w5 –,
dann müssen Sie als Legal Counsel alle juristischen Problemfälle mit einbeziehen,
welche im Bereich Technik, Umwelt und Sicherheit auftreten können. Sofern Sie
dann – im folgenden Schritt 2 – noch die entsprechenden rechtlichen Kosten hier-
für abschätzen, erhalten Sie den anhand von Abb. 47.1 diskutierten Zustand (K1,
S1). An dieser Stelle wird ersichtlich, warum die Wahrscheinlichkeitsverteilung die
­bestmögliche Beschreibung aller Produktionsdauern und -kosten ist: Jede Größe
ist von den Unsicherheiten der möglichen, im Produktionsprozess auftauchenden,
Ereignisse abhängig. Mit welchen Zahlen nun die Komponenten des SACA-Pro-
duktionsnetzwerkes versehen werden, diskutieren wir im nächsten Schritt 2.

47.2.1.3 Schritt 2: Datenanforderungen
Im Rahmen des von Input 1 generierten Aktivitätennetzwerks benötigen wir also
für jeden möglichen Prozessweg die zugehörige Realisationswahrscheinlichkeit w
und die Verteilungsfunktionen für die Dauer T sowie die damit verbundenen Kos-
ten K.
Zum Beispiel liefert die Datenbank für Produktionsprozesse von FullAware
eine genaue Verteilung der registrierten Dauern für alle produzierten Outputs 1
(siehe Abb. 47.7). Aus dieser Verteilung können nun w0 und T abgeleitet werden:
Hierbei wird ermittelt, dass 94 % aller Produktionsprozesse innerhalb der akzep-
tablen Produktionsdauer von T = [8 h, 8 h 12 min] liegen und daher keinen weite-
ren Ereigniseintrag aufweisen. Die festgestellte Variation von 12 min basiert dabei
auf tagesbestimmenden Umständen, welche bei FullAware erwartet und deshalb
akzeptiert sind. In allen anderen Fällen – den restlichen 6 % – sind Ereignisein-
träge vorhanden, welche auf Schadensfälle U1 bis U6 zurückzuführen sind.
Wichtiger Bestandteil der Ereigniseinträge sind Querverweise zu anderen
Informationsquellen, wie Unfallberichten, Maschinendefekten sowie Daten zu
­
Reparaturen und Genesungsumständen von Mitarbeitenden. Bei FullAware wer-
den diese jedoch nicht nur auf verschiedenen Medien, sondern auch in diversen

Abb. 47.7  Verteilung der Produktionsdauer


47 Hauptprozess Legal Risk Management 667

Abteilungen aufbewahrt. Das mühsame Zusammentragen der nötigen Daten ist


hier jedoch ein unabdingbarer Bestandteil der Risikoanalyse. Gleiches gilt für
Ereignisse mit rechtlichen Konsequenzen: Um die notwendigen rechtsspezifischen
Informationen einzubringen, kann der General Counsel auf seinen rechtlichen
Fundus (eigene Berufsexpertise, Informationen aus der Datenbank der Rechtsab-
teilung oder aus Vergleichsfällen externer rechtlicher Datenbanken) zurückgreifen,
um die zeitlichen und finanziellen Folgen der vergangenen Unfälle zu analysieren
und daraus hypothetische Szenarien für die Zukunft abzuschätzen.
Welche Daten11 wirklich nützlich sind, ist situationsabhängig. Zu fragen ist
jedoch immer, ob (Existenz), wie (Papier, elektronisch) und wo (geografisch,
intern oder extern) diese bereits abgespeichert wurden oder ob diese fehlen. Behal-
ten Sie dabei aber immer im Hinterkopf, dass vollständige Angaben zu Dauer und
Kosten für alle im SACA-Model ausgearbeiteten Komponenten benötigt werden.

47.2.1.4 Schritt 3: Analyse und Auswertung


Nachdem die Inputs (Rohstoffe, Maschine, Arbeiter) und Outputs (Produkt C,
Unfälle und juristische Problemstellungen) sowie deren Charakteristiken zusam-
mengetragen wurden, kann eine ganzheitliche SACA-Analyse durchgeführt wer-
den. Bei FullAware hat der interne Analyst als Grundlage für die dynamische
Modellierung der Aktivitäten sogenannte Ereignisankunftsprozesse12 gewählt und
diese mit folgenden Annahmen versehen:

• Der unfallfreie Produktionsprozess kann anhand der in Abb. 47.7 gezeigten


Zeitverteilung modelliert werden. Bei FullAware sind die Lohn-, wie auch
Maschinenbetriebskosten proportional zu T.
• Bezüglich der Unfälle sind in den vergangen drei Jahren 50 U5-Ereignisse (wir
beschränken uns hier auf diese Ereignisklasse) registriert worden. Da keine sys-
tematischen Unfallquellen identifiziert wurden, kann man annehmen, dass der
Zeitpunkt eines Unfalles rein zufällig und unabhängig vom vorhergehenden ist.
Die 50 Ereignisse können dabei in zwei Gruppen aufgeteilt werden:
– Gruppe 1 sind Unfälle, 45 an der Zahl, die Produktionsverzögerungen herbei-
geführt haben, aber nie zu Rechtsfällen führten. 45 ist eine genügend große
Zahl, um durch Frequenzverteilungen (Histogramme) die Zeitabstände zwi-
schen den Vorfällen, die Produktionsverzögerungen und die Ausfalltage der
involvierten Arbeiter darzustellen.

11Das „Big Data“-Thema spielt in vielen KMUs keine Rolle, denn für die Verarbeitung der
Datenmenge und -komplexität reichen herkömmlichen PCs aus. Beruht die Datenerfassung der
Lagerbestände oder Unternehmensaktivitäten nicht mehr auf Strichkodierung, sondern auf Echt-
zeitkontrolle, wie zum Beispiel bei der RFID (radio frequency identification) Technologie, so
werden große Datenmengen generiert. Deren Verarbeitung stellt dann keine triviale IT-Angele-
genheit mehr dar, um nützliche Informationen herauszufiltern.
12Ereignisankunftsprozesse sind in der angewandten Statistik weitverbreitet. Wegen der Komple-

xität des Zusammenspiels von Faktoren, welche zu Unfällen führen, werden die Zwischenzeiten
oft sehr gut durch einfache Exponentialgesetze und sogenannte Poisson-Prozesse der voneinan-
der unabhängigen Ereignisse beschrieben.
668 M. Falta

– Gruppe 2 sind Unfälle, fünf an der Zahl, die einen juristischen Prozess nach
sich gezogen haben. Jeder dieser Unfälle ist einzigartig. Fünf ist zwar eine
kleine Zahl an Ereignissen, trotzdem gibt es für die Modellierung von Grup-
pe-2-Unfällen in der Statistik besondere Methoden für Extremereignisse.

Eine andere, weitverbreitete Methode, um Unfälle zu modellieren, ist, die Grup-


pen 1 und 2 zusammenzunehmen und den Ereignisankunftsprozess mit den für
Gruppe 1 verfügbaren Daten zu bestimmen. Dabei wird der Schweregrad des
Unfalls durch ein Potenzgesetz13 dargestellt.
Die Datenbank bei FullAware hat für Gruppe-1- und 2-Unfälle lediglich direkte
Kosten gespeichert. Die Eigenschaften der Kostenverteilungen können in der Pra-
xis durch die Zusammenarbeit mit den Entscheidungsträgern in jedem Spezialge-
biet eruiert werden: Für den FullAware-Fall gilt eine einfache Annahme, wonach
Gruppe-1-Unfallskosten proportional zur Produktionsverzögerung und der Num-
mer an beteiligten Arbeitern sind. Gruppe 2-Unfallkosten hängen hingegen von
der rechtlichen Komplexität ab, welche wiederum im Verhältnis zum Schweregrad
des entsprechenden Unfalls steht. Zusätzlich zu den in der Vergangenheit aufgetre-
tenen Rechtsfällen sollten auch jene, welche in der Zukunft möglicherweise auf-
treten könnten, durch den General Counsel identifiziert und deren Kosten durch
eine Dreiecksverteilung abgeschätzt werden.
Basierend auf dem Aktivitätennetzwerk (Schritte 1a und 1b) und der Datener-
mittlung (Schritt 2), liefert die SACA-Risikoanalyse die in Abb. 47.8 und 47.9
dargestellten Kostenkurven. In der nun qualitativ geführten Diskussion berück-
sichtigen wir, dass die in Abb. 47.8 dargestellten erwarteten Unfallkosten durch
direkte (zum Beispiel Spitalkosten) und indirekte Anteile (zum Beispiel Rechts-
und Verwaltungskosten) separat dargestellt werden können. Wie zu erwarten,
sind geringere Kosten (einzelne Punkte, die auf den Kostenkurven liegen) eher zu
erwarten als höhere. Zudem sind die Kostenunsicherheiten von indirekten Kosten
(durch die Dreiecksverteilung dargestellt) größer als jene der direkten Kosten.
Die in Abb. 47.9 dargestellte finale Kostenverteilungskurve setzt sich daher aus
zwei Bestandteilen zusammen: Erstens haben wir die rein operativen Ausgaben
bei unfallfreien Produktionsprozessen, die durch die Proportionalität zur Produk-
tionsdauer (siehe Abb. 47.7) berechnet wurden. Zweitens haben wir Produktions-
prozesse, welche Unfälle beinhalten, die durch die Kombination von Wartungs-,
Rechts- und Unfallkomplikationen (siehe Abb. 47.8) entstehen und die erhöhten
Kosten repräsentieren.

13Buchanan (2000) diskutiert in seinem Buch, warum Lawinen, Erdbeben, Sonnenstrahlungs-

aktivität, Wettervorhersagen oder Preisänderungen finanzieller Instrumente schwer vorhersag-


bare Ereignisse sind. Nicht nur wegen der vielen Faktoren, die man messen müsste, aber auch
darum, weil kleine Einflüsse diese Systeme in komplett verschiedene Richtungen führen können.
Diese Erkenntnis hat zur Formulierung von Chaostheorien geführt. Wissenschaftler haben auch
erkannt, dass die Größe oder Stärke des eigentlichen Ereignisses durch einfache Potenzgesetze
oft sehr gut beschrieben werden können (ein Potenzgesetz beschreibt dabei die nicht-lineare
Beziehung zwischen der Wahrscheinlichkeit des Auftretens und der Stärke/Größe des entspre-
chenden Ereignisses).
47 Hauptprozess Legal Risk Management 669

Abb. 47.8  Verteilung von direkten und indirekten Unfallkosten

Abb. 47.9  Verteilung der Gesamtkosten für Produktion

Die auf diesen Informationen herausgearbeitete Gesamtkostenkurve beschreibt nun


die komplexe operative und rechtliche Kostentopografie für den momentanen Zustand
des Produktionsprozesses – unter Berücksichtigung von U5-Ereignissen, welche der
Legal Counsel der Geschäftsführung unterbreiten kann. Der Erwartungswert für die
Gesamtkosten K1 halbiert dabei die unter der Kurve liegende Fläche in zwei gleich
große Teile (den weißen Teil und die beiden markierten Teile). Die Kostenunsicher-
heit, ausgedrückt durch die Standardabweichung, ist von der Verteilungsform abhän-
gig. Des Weiteren ist in der Abb. 47.9 auch das 5 % „value-at-risk“-Szenario (karierte
5 %-Risikozone) dargestellt: Diese zeigt den Toleranzwert des Schutzniveaus, der bei
FullAware all jene Kostenszenarien beinhaltet, welchen man unter Berücksichtigung
des gewählten Prozentsatzes (5 %) ungeschützt ausgesetzt sein darf.
Mit „what-if“-Analysen kann jetzt untersucht werden, wie gewisse Entschei-
dungen und Maßnahmen auf die erwarteten Produktionszeiten, Unfallraten und
670 M. Falta

Kosten wirken und vor allem, wie die Unsicherheiten (die diese Größen charakte-
risieren) die Gesamtkostenkurve in Abb. 47.9 verändern. Die Güte dieser Änderun-
gen bestimmt dann, wie sich bei gleichbleibendem Risikotoleranzwert von 5 % die
value-at-risk-Werte Kmax verändern. Nehmen wir zum Beispiel an, dass eine alter-
native SACA-Analyse eine vorsorgliche Maßnahme mitberücksichtigt, welche das
Vorkommen (w5) von U5-Unfällen um 10 % vermindert. Das heißt, dass für alle
unfallfrei generierten Output-Einheitskosten, wie in Abb. 47.10 dargestellt, kon­
stante Maßnahmenkosten KMaßnahme addiert werden müssen; die Kostenverteilung
also um diesen Betrag nach rechts verschoben wird. Da der erwartete Effekt der
Maßnahme jedoch die zweite, mit U5-Unfällen beschriebene Kostenverteilungs-
komponente hauptsächlich beeinflusst, also eine Verminderung der Anzahl von
Unfällen und der damit zusammenhängenden rechtlichen Problemkosten erwartet
wird, wird die Kostenverteilungskurve nun dort nach unten gedrückt, sodass sich der
erwartete Maßnahmeneffekt in einer 10 % igen Flächenverminderung widerspiegelt.
Beide diese Effekte verändern die Gesamtkostenverteilungskurve, dadurch auch den
Erwartungswert K1 (auf K’1) sowie die value-at-risk-Kennzahl und die maximal
zu erwartenden Kosten Kmax. Ob die Maßnahme implementiert werden soll, hängt
dann natürlich davon ab, ob nun K’1 nach links (wie es in der Abb. 47.10 der Fall
ist) oder nach rechts von K1 zu liegen kommt; und wie sich dabei die Kostenunsi-
cherheiten (Standardabweichungen) verhalten. Dieses Szenario beschreibt, wie der
Legal Counsel der Geschäftsführung einfach aufzeigen kann, welche Maßnahmen
das Schutzniveau S um wie viel erhöhen und/oder um wie viel die Kosten des Pro-
duktionsprozesses verkleinert werden – womit wir wieder bei dem in Abb. 47.1 dis-
kutierten Ziel eines nützlichen Legal Risk Management-Systems angelangt sind.

47.2.2 Schlusswort zum SACA Ansatz

Das auf SACA basierende Legal Risk Management-System stellt operative Unter-
nehmensaktivitäten und deren assoziierte rechtliche Problemaspekte repräsentativ

Abb. 47.10  Änderung der Kostenverteilung aufgrund einer implementierten Maßnahme


47 Hauptprozess Legal Risk Management 671

und wahrheitsgetreu durch Prozessnetzwerke dar. Zudem erlaubt es, „what-if“-Sze-


narien zu Vergleichszwecken anzuwenden, sodass dem General Counsel ein flexi-
bles Instrument zur Verfügung steht, mit welchem er alle erdenklichen rechtlichen
Aspekte in die Risikoanalyse von Unternehmensaktivitäten miteinbeziehen kann.

47.3 Risikoanalyse unter Abhängigkeit von Optionen

Ein Unternehmen hat verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, um die Wahr-


scheinlichkeit von Rechtsrisiken zu reduzieren. Um eine optimal-umfassende
Legal Risk Management-Lösung bei gegenseitiger Abhängigkeit von Optionen
oder bei gegebenem Budget zu finden, ist es jedoch wichtig, jene Korrelationen zu
berücksichtigen, die zwischen den Maßnahmen und deren Konsequenzen bestehen.
Dieser Punkt entspricht dem Standardproblem der Portfolioanalyse: Wie verteilt
man ein zur Verfügung stehendes Kapital – unter Berücksichtigung eines gewähl-
ten Risikoniveaus – am besten auf verschiedene Anlagen, um den höchstmöglichen
Ertrag zu erhalten. Dieses Prinzip, auf die operative und rechtliche Risikoanalyse
umgesetzt, wird anhand Abb. 47.11 erklärt: Gegen die Rechtsrisiken 1 bis 4 und
deren Konsequenzen, die vermieden werden sollen, kann das Unternehmen unter-
schiedliche Maßnahmenpakete aus den einzelnen Maßnahmen 1 bis 3 schnüren.
Die Größe der Rechtsrisiko- und Maßnahmenflächen in Abb. 47.11 repräsen­
tiert dabei die zu erwartenden Kosten. Das Schutzniveau ist daher durch die
Hüllenkurve bestimmt, welche die Rechtsrisikoflächen abdeckt. Das heißt, das
Schutzniveau ist abhängig vom gewählten Maßnahmenbündel und der Höhe der
getätigten Investitionen in jede einzelne Maßnahme. Komplette Abdeckung der
Rechtsrisiken, wie in Abb. 47.1 bereits dargestellt, ist dabei natürlich unange-
messen kostspielig. Eine weitere Schwierigkeit ist der Umgang mit redundanten
Ineffizienzen, welche entstehen, wenn zwei (oder mehrere) Maßnahmen gegen

Abb. 47.11  Rechtsrisiken und diese abdeckende Maßnahmen


672 M. Falta

das gleiche Rechtsrisiko eingesetzt werden können (in der Abb. 47.11 decken
die Maßnahmen 1 und 3 etwa 80 % der Fläche des Rechtsrisikos 1 ab und wei-
sen dabei eine große Überschneidungsfläche auf). Ein anderes Problem haben wir,
wenn eine Maßnahme Elemente enthält, die gegen keine zu erwartenden rechtli-
chen Risiken beiträgt (die Maßnahme weist eine Fläche außerhalb der Rechtsrisi-
kofläche auf). Zum Beispiel ist es naheliegend zu untersuchen, ob bei Maßnahme
1 eingespart werden kann, um die Leerfläche außerhalb aller Rechtsrisiken und die
große Überschneidungsfläche mit Maßnahme 3 zu minimieren. Allerdings muss
die so erzielte Einsparung gegen die resultierende kleinere Abdeckung des Rechts-
risikos 4 abgewogen werden.
Die Aufgabe des General Counsel ist es oft, eine Auswahl von Maßnahmenbün-
deln aufgrund deren Investitionskosten so zu wählen, dass diese effektiv (Abde-
ckung der wichtigsten oder möglichst vieler Rechtsrisiken) und effizient
(Minimum an Überschneidungen und Leerflächen) gegen die bestehenden Rechts-
risiken schützen. Um diese Aufgabe optimal lösen zu können, wird im folgenden
Beispiel der Ansatz von Colin et al., welcher auf der Markowitz-Portfolioselekti-
onsidee beruht, auf das Legal Risk Management-System erweitert.14

47.3.1 Beispiel zur Risikoanalyse unter Abhängigkeit von


Optionen (Beispiel 2)

Angenommen, die bereits aus Beispiel 1 bekannte FullAware AG hat folgende


Maßnahmen zur Auswahl, um die Wahrscheinlichkeit ungewollter rechtserhebli-
cher Ereignisse (Unfälle U2, U3 und U5) zu beeinflussen:

• Weiterbildung der Mitarbeiter: Erhöht die persönlichen Kompetenzen und


mindert das Auftreten von Unachtsamkeit. Zur Auswahl stehen Kurse, deren
Umfang und Qualität bestimmt werden können. Anfallende Kosten liegen dabei
zwischen € 3000 bis € 4000.
• Aufrüstung der Maschinen mit Sicherheitsvorkehrungen: Verschiedene Alter-
nativen stehen zur Verfügung, wobei die Qualität der zusätzlich einzubauen-
den Komponenten gewählt werden kann. Die Kosten belaufen sich bei dieser
Option (je nach Komponenten) auf € 5000 bis € 5400.
• Beratung für sicherere Betriebsstätten: Ein Spezialist für optimale Betriebskon-
figuration bietet seinen Rat an, um rechtliche Kosten zu senken. Je nach Bera-
tungsumfang kostet diese Option zwischen € 2000 bis € 3000.
• Versicherungslösung: Ein Versicherungsunternehmen bietet zusätzliche Haft-
pflichtversicherungen gegen allfällige Rechtsstreitigkeiten für Unfälle aufgrund
fahrlässigen Verhaltens. Je nach Versicherungsumfang sind zwischen € 2000
und € 3000 fällig.

14Colin et al. (2010, S. 95–113); vgl. auch gesamtes Werk von Markowitz, Todd (1987).
47 Hauptprozess Legal Risk Management 673

Tab. 47.3  Statistiken der Maßnahmenkosten


Kostenabschätzung für Kosten der Maßnahme
Dreiecksverteilung Schulung (€) Maschine (€) Beratungswesen (€) Versicherung (€)
Minimum 3000 5000 2000 1000
Modalwert 3600 5200 2800 2000
Maximum 4000 5400 3000 3000
Standardabweichung 205 82 216 408

Die Kosten der vorgenannten Optionen sind in Tab. 47.3 wiedergegeben. FullAwa-
re-Experten nehmen an, dass die Optionskosten gut durch die Dreiecksverteilung
beschrieben werden. Zudem haben sie zusätzlich die am häufigsten zu erwarten-
den (Modalwert-)Kosten bestimmt.15
Für welche Maßnahmen man sich bei FullAware entscheiden soll, ist daraus
aber noch nicht ersichtlich, sofern ausschließlich die Kosten betrachtet werden.
Zusätzlich müssen sowohl die Gewichtung der potenziellen Konsequenzen (recht-
liche und andere), als auch der erhoffte Effekt der entsprechenden Investitionen
abgeschätzt werden. Diese Information wird in Tab. 47.4 dargestellt.
Zum Beispiel wurden die durch Angestellte verursachten Unfälle (U5) auf einer
Skala16 von 1 (niedrig) bis 5 (hoch) – und in Anbetracht aller anderen Problem-
quellen – mit dem Gewichtungswert 4 bewertet. Die Effekte der Schulungsbemü-
hungen mit Schwerpunkt Sicherheitsbewusstsein und die Einholung der externen
Beratungsexpertise für unfallfreiere Produktionsstätten wurden beide um Rechts-
probleme und andere unfallbedingte Konsequenzen im Rahmen von U5 zu mini-
mieren, am effektivsten („Hoch“) eingestuft, da beide Optionen die FullAware
vorsorglich schützen. Bei den Effekten der Maßnahmen, dargestellt in Spalten 3
bis 6 in Tab. 47.4, können die qualitativen Bewertungen (niedrig-mittel-hoch)
anschließend auf einer Skala von 1 (niedrig) bis 3 (hoch) in numerische Werte
transformiert werden. Zum Beispiel hat man sich hinsichtlich der Option Haft-
pflichtversicherung darauf geeinigt, dass eine zusätzliche finanzielle Eindämmung
von Unfallkosten nützlich sei. Daher wurde dieser Option ein Wert von 2 („Mit-
tel“) zugeordnet. Der Nutzen des Maschinenausbaus mit Sicherheitskomponenten
wurde – im Vergleich zu den anderen drei Optionen – hingegen am niedrigsten
(„Niedrig“) bewertet.

15Die Annahme, dass die Kostenunsicherheit durch die Dreiecksverteilung repräsentiert werden

kann, trifft auch oft in der Praxis zu. Zum Beispiel, wenn Leistungen auf Zeit basieren, wenn
diese verhandelt werden können, sie von nicht vorhersehbaren Ereignissen abhängen oder indi-
rekten Kostenanteile beinhalten. Falls gewisse Maßnahmenkosten vertraglich festgesetzt werden
können, bevor Leistungen erbracht werden, wird die Kostenunsicherheit eliminiert. Ob solche
Maßnahmeneigenschaften mit dem Markowitz-Ansatz verarbeitet werden können und wie sie die
Resultate beeinflussen, ist Gegenstand aktueller Forschungen.
16Numerische Werte für die (Likert-)Skalen sind beliebig wählbar, bestimmen aber, wie die

Resultate interpretiert werden sollen.


674 M. Falta

Tab. 47.4  Gewichtung und erhoffter Effekt von Maßnahmen


Problem Gewichtung des Effekt der Maßnahme
potenziellen Schulung Maschine Beratungswesen Versicherung
Problems
1 Niedrig (1) Hoch (3) Niedrig (1) Niedrig (1)

5 Niedrig (1) Mittel (2) Mittel (2) Hoch (3)

5 Mittel (2) Hoch (3) Niedrig (1) Mittel (2)

3 Hoch (3) Mittel (2) Niedrig (1) Hoch (3)

4 Hoch (3) Niedrig (1) Hoch (3) Mittel (2)

2 Niedrig (1) Mittel (2) Mittel (2) Niedrig (1)

Total 39 42 35 45

Tab. 47.5  Erkaufter Schutz durch verschiedene Maßnahmen


Faktor Schulung Maschine Beratungswesen Versicherung
Schutzwerte 39 42 35 45
Kosten (Modalwert) € 3600 € 5200 € 2800 € 2000
Schutz pro € 100 1,083 0,808 1,25 2,25

Mit den in Tab. 47.4 verzeichneten Werten kann jetzt das Total des erhofften
Gesamtschutzes einer einzelnen Maßnahme gegen das entsprechende Rechtsrisiko
berechnet werden, indem man die Gewichtung des potenziellen Rechtsproblems
mit dem Effekt der Maßnahme multipliziert und diese Werte aufaddiert. Zum Bei-

(=1 ⋅ 1 + 5 ⋅ 1 + 5 ⋅ 2 + 3 ⋅ 3 + 4 ⋅ 3 + 2 ⋅ 1). Im nächsten Schritt berechnen wir,


spiel erhalten wir für die Maßnahme „Schulung“ den totalen Schutzwert von 39

wie viel Schutz man mit einer bestimmten Maßnahme für 100 € erkaufen kann:
Diesen Wert erhält man durch die Multiplikation der Kosten aus Tab. 47.3 mit dem
Total des erhofften Gesamtschutzes aus Tab. 47.4. Die Resultate für diese Berech-
nung sind in Tab. 47.5 wiedergegeben.
Nun müssen wir die Korrelationen zwischen den verschiedenen Maßnahmen
berechnen, welche uns eine Korrelationsmatrix liefert.17 Mit der Korrelationsmat-
rix, den pro € 100 erwarteten Schutzwerten und den Standardabweichungen der

17Details zur Berechnung dazu sind bei Colin et al. (2010, S. 95–113), beschrieben.
47 Hauptprozess Legal Risk Management 675

Abb. 47.12  Effizienzgrenze und sub-optimale Maßnahmenbündel

Kosten, kann nun eine auf der Markowitz-Optimierungsmethode18 basierende Risi-


koanalyse durchgeführt werden. Matlab hat den Algorithmus durch die Funktion
frontcon implementiert, welche auch hier benutzt wurde, um die in Abb. 47.12
dargestellten 1000 zufälligen, jedoch sub-optimalen Maßnahmenbündel zu erhal-
ten. Das auf der y-Achse dargestellte Schutzniveau entspricht also dem pro € 100
erkauften Schutzwert. Der numerische Wert ist daher abhängig von den Skalen, die
für die Problemgewichtung und Maßnahmeneffekte in Tab. 47.4 gewählt wurden.
In diesem Zahlenbeispiel müssen sich also alle Schutzniveaus zwischen 0,808 und
2,25 befinden. Diese entsprechen den tiefst- und höchstmöglichen Verhältnissen
zwischen den erhofften Schutzwerten und den entsprechenden Kosten. Auf der
x-Achse werden die entsprechenden Kostenunsicherheiten dargestellt.
Die Hülle zu den 1000 Punkten ist die sogenannte Effizienzgrenze, welche jene
Maßnahmenbündel repräsentiert, die das maximale Schutzniveau, bei konstanter
Kostenunsicherheit erzielen. Als General Counsel sind Sie daran interessiert, jene
Maßnahmenbündel bestimmen zu können, welche optimalerweise auf der Effizi-
enzgrenze liegen. In Tab. 47.6 sind einige dieser Punkte dargestellt. Um zum Bei-
spiel das Schutzniveau 1,01 zu erreichen, muss 8 % des zur Verfügung stehenden
Kapitals in Schulung, 66 % in Maschinen, 18 % in Beratung und 7 % in die Ver-

18Die mathematischen Verhältnisse der Markowitz-Portfolioselektion unterliegen bestimmten

Annahmen: Zum Beispiel können Finanzmittel zu beliebigen Anteilen auf die verschiedenen
Optionen verteilt werden. Diese Kontinuitätsannahme ist bei Aktien aufgrund der kleinen Ein-
heitskosten und des großen verfügbaren Volumens sehr gut erfüllt. Bei diskreteren Einheitskos-
ten mit weniger Spielraum (wie dies im Fall von Maßnahmen gegen Rechtsrisiken der Fall sein
kann) können gewisse Lösungen jedoch nicht umgesetzt werden.
676 M. Falta

Tab. 47.6  Optimale Maßnahmenbündel 1


Kostenunsi- Schutzniveau Maßnahmenbündel
cherheit Beitrag zur Beitrag zur Beitrag zur Beitrag zur
(in € 100) Schulung Maschine Beratung Versicherung
(%) (%) (%) (%)
0,59 1,01 8 66 18 7
0,64 1,14 3 55 28 14
0,76 1,27 0 42 37 21
0,95 1,40 0 27 46 27
1,17 1,53 0 12 54 34
1,41 1,66 0 0 59 41
1,84 1,79 0 0 46 54
2,42 1,92 0 0 33 67
3,06 2,05 0 0 20 80
3,74 2,19 0 0 7 93
4,08 2,25 0 0 0 100

sicherungslösung investiert werden. Diese Option hat von allen in Tab. 47.6 dar-
gestellten Maßnahmenbündeln das niedrigste finanzielle Risiko. Soll hingegen ein
höheres Schutzniveau erzielt werden, nimmt die Schulung ziemlich schnell als
effektive Maßnahme ab, da sie – relativ zum generierten Schutzwert – zu hohen
Kosten führt. Aus Tab. 47.6 ist ebenfalls ersichtlich, dass jedes höhere Schutzniveau
mit zunehmenden Kostenunsicherheiten verbunden ist. Das höchste zu erzielende
Schutzniveau (2,25) ist damit auch mit der höchsten Kostenunsicherheit verbunden.
Die prozentualen Verteilungen in Tab. 47.6 geben Aufschluss darüber, inwie-
weit eine bestimmte Maßnahme berücksichtigt werden sollte. Das heißt jedoch
nicht, dass alle Varianten umsetzbar sind! Ist zum Beispiel das Budget auf € 5000
beschränkt, kann die Schulung unter den ersten zwei Optionen (erste und zweite
Datenzeile in Tab. 47.6) nicht implementiert werden, denn weder 8 % * € 5000 noch
3 % * € 5000 liegen im Bereich der realen Schulungskosten (€ 3000 bis € 4000).
Möchte FullAware das Schutzniveau zum Beispiel auf 1,14 bringen (zweite Daten-
zeile in Tab. 47.6), sollten 55 % des Kapitals in die Maschinen investiert werden.
Falls ein Vertrag in der Höhe des Modalwertes von € 5200 vereinbart werden
kann, bedeutet dies, dass € 2647 ([28 %/55 %] * € 5200) in Beratung und € 1323
([14 %/55 %] * € 5200) in die Versicherung investiert werden sollten. Die Schulung,
wie bereits erwähnt, ist in dieser Option nicht umsetzbar. Beide Werte für Beratung
und Versicherung liegen nahe dem Modalwert, sind also umsetzbar. Je weiter weg
die Investitionen für Beratung und Versicherung von der Effizienzgrenze erlaubt
würden, egal, ob über oder unter den oben berechneten Werten, desto ineffizienter
würden die finanziellen Mittel von FullAware für die Risikovorsorge eingesetzt.
Um zu demonstrieren, wie sensibel die prozentualen Verteilungen der Investiti-
onskosten auf das Maßnahmenbündel reagieren, nehmen wir an, dass FullAware
47 Hauptprozess Legal Risk Management 677

Tab. 47.7  Statistiken der Maßnahmenkosten


Kostenabschätzung für Kosten der Maßnahme
Dreiecksverteilung Schulung (€) Maschine (€) Beratungswesen (€) Versicherung (€)
Minimum 1000 5000 2000 1000
Modalwert 1300 5200 2800 2000
Maximum 1500 5400 3000 3000
Standardabweichung 103   82 216 408

Tab. 47.8  Erkaufter Schutz durch verschiedene Maßnahmen


Faktor Schulung Maschine Beratungswesen Versicherung
Schutzwerte 39 42 35 45
Kosten (Modalwert) € 1300 € 5200 € 2800 € 2000
Schutz pro € 100 3,0 0,808 1,25 2,25

eine kostengünstigere Schulung erarbeiten könnte: Die € 3600 teure, externe Schu-
lung (Tab. 47.3) wurde durch ein billigeres, internes Seminar (Tab. 47.7) ersetzt.
Erwartungsgemäß nimmt dabei auch die Kostenunsicherheit deutlich ab (von über
€ 200 auf € 103). Um diesen Fall isoliert studieren zu können, nehmen wir des
Weiteren an, dass sich die Problemgewichtungen und Maßnahmeneffekte (siehe
Tab. 47.4) nicht ändern.19
Unter Berücksichtigung der neuen Schulungskosten ändert sich der erwar-
tete Schutzertrag für die Schulungsmaßnahme pro € 100 von 1,083 auf 3,0 (vgl.
Tab. 47.8).
Tab. 47.8, wie schon Tab. 47.5, zeigt ausgewählte Punkte auf der Effizienz-
grenze der Markowitz-Risikoanalyse: Wie erwartet stellt die Schulung unter den
neuen Bedingungen eine nicht zu vernachlässigende Option dar. Durch die Bei-
behaltung der Effektgrößen (Tab. 47.4) sind die Schutzniveauwerte in beiden
Beispielen vergleichbar, und liegen hier deutlich höher als im ersten Beispiel
(Tab. 47.6).
Als General Counsel können Sie nun zum Beispiel einfach herausfinden, wel-
ches Schutzniveau durch das in der vorhergehenden Diskussion benutzte Budget
von € 9170 erkauft werden kann: Die einzig umsetzbare Gewichtung, welche
Schulungskosten (13 % * € 9170 = € 1192) in den erlaubten Kostenbereich
bringt (€ 1000 – € 1500), ist auf der zweiten Datenzeile in Tab. 47.9 wiedergege-
ben. Der Beitrag für Maschinenoptimierung (20 % * € 9170 = € 1834) ist dabei
deutlich unter den notwendigen Investitionen (€ 5000 – € 5400) und damit nicht

19Falls bei der Kostensenkung eine Qualitätseinbuße in Kauf genommen wird, kann der neu zu

erwartende Effekt der Schulung durch eine Änderung der Gewichtung in Tab. 47.3 ausgedrückt
werden.
678 M. Falta

Tab. 47.9  Optimale Maßnahmenbündel 2


Kostenunsi- Schutzniveau Maßnahmenbündel
cherheit Beitrag zur Beitrag zur Beitrag zur Beitrag zur
(in € 100) Schulung Maschine Beratung Versicherung
(%) (%) (%) (%)
0,37 1,58 5 23 37 35
0,38 1,73 13 20 33 34
0,42 1,88 21 17 29 33
0,46 2,03 30 14 24 32
0,53 2,18 38 11 20 31
0,59 2,33 46 8 16 30
0,67 2,48 55 5 11 29
0,75 2,63 63 2 7 28
0,83 2,78 72 0 2 26
0,93 2,93 90 0 0 10
1,03 3,0 100 0 0 0

durchführbar. Die Werte für Beratung (33 % * € 9170 = € 3026) und Versiche-
rung (34 % * € 9170 = € 3118) sind beide knapp über € 3000 und damit Nahe
dem Maximum. Die theoretisch absolut optimale Kostenverteilung auf alle vier
Maßnahmen wäre in diesem Fall also nicht durchführbar.20 Sie können sich
jedoch von der Effizienzgrenze her auf einen dieser nahestehenden, durchführba-
ren Punkt hin bewegen. Mithin könnten Sie zum Beispiel die Investition von
€ 1192 in Schulung sowie je € 3000 in Beratung und Versicherung mit Gesamt-
kosten von € 7192 wählen, wofür ein etwas vermindertes Schutzniveau vom theo-
retisch absolut optimalen Wert von 1,73 resultiert. Damit lägen Sie immer noch
deutlich höher als im vorhergehenden Beispiel, bei welchem der Wert bei 1,14
lag.

47.3.2 Schlusswort zur Risikoanalyse unter Abhängigkeit von


Optionen

Auch in diesem Legal Risk Management-Systemansatz können „what-if“-­Szenarien


getestet werden, um herauszufinden, wie die qualitativen Problemgewichtungen
und Maßnahmeneffekte in Tab. 47.4 die Schutzniveauwerte beeinflussen. Alle Ein-
gabewerte können, wie im SACA-Ansatz, auf historischen Daten aus Datenbanken
beruhen oder wie oben gezeigt, von Experten abgeschätzt werden. Als General

20Dies würde auch darauf hindeuten, dass ein anderes Budget gewählt werden soll.
47 Hauptprozess Legal Risk Management 679

Counsel haben Sie somit eine weitere Grundlage, um den optimalen Einsatz von
Investitionen in die Vorsorge vor rechtlichen Risiken vorschlagen zu können; und
dies auf Basis quantifizierbarer finanzieller Gesichtspunkte, aufgrund welcher Sie
bei Ihren Geschäftsleitungskollegen auf gleicher Augenhöhe wahrgenommen wer-
den.

Literatur
Buchanan M (2000) Ubiquity. Crown, New York
Colin A, Willett RJ, Lambrineas P (2010) Optimizing budget allocations in naval configuration
management. In: Amadi-Echendu JE, Brown K, Willett R, Mathew J (Hrsg) Definitions, con-
cepts and scope of engineering asset management. Springer, London
Kahneman K (2011) Thinking, fast and slow. Lane, London
Markowitz HM, Todd GP (1987) Mean-variance analysis in portfolio choice and capital markets.
Fabozzi & Associates, New Hope
Willett RJ (1991) Transaction theory, stochastic processes and derived accounting measurement.
Abacus 27(2):117–134

Über den Autor


Assoc. Prof. Dr. Michael Falta – University of Canterbury, Christchurch (NZ)/CPA Australia
Studium interdisziplinärer Naturwissenschaften (ETH Zürich, 1994–2000), Doktorat in BWL
(QUT und UQ, Brisbane, Australien, und Oxford University, UK; 2001–2005), gefolgt von ange-
wandter industrieller Vertragsforschung für Regierungsorgane (Qld Building Services Authority
und Qld Department of Public Works, Australia; 2006–2007), für das Militär (Australian Defense
Material Organization und Defence Science & Technology Organization; 2005–2008), und für
verschiedene Firmen aus Wirtschaftssektoren wie Unternehmensberatung, Lebensmittelverar-
beitung, Wasserverteilungsnetzwerke und Bergbau (BHP Billiton, Olympic Dam Tagbauerwei-
terung; 2012–2015). Von 2009–2015 Dozent an der University of Otago (NZ) in den Bereichen
BWL, IFRS, Unternehmensbewertung und Innovationsmanagement. Seit 2015 Associate Profes-
sor in Financial Accounting an der University of Canterbury. Forschungsschwerpunkte: Big Data
und Risk Management, Capital Markets Research, Ökonometrie, Patent Valuation und Innovation
Transfer.
Hauptprozess Legal Counseling
Christian Wind
48

48.1 Einleitende Überlegungen

Die eigentlichste und vornehmste Aufgabe des Legal Counseling durch Mitglieder
der Rechtsabteilung besteht darin, die eigene Tätigkeit auf den nachhaltigen
Schutz des wichtigsten Assets des Unternehmens auszurichten, nämlich auf den
Schutz seiner Reputation. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, ist der Legal
Counsel im Vergleich zu anderen Fachrichtungen in einer privilegierten Position,
da er wohl nicht nur über die meisten Schnittstellen im Unternehmen verfügt,1
sondern je nach Fall auch früher oder später mit allen Hierarchien und Abteilun-
gen innerhalb des Unternehmens in direkten Kontakt kommt. Nicht von ungefähr
spricht man – falls vorhanden – von der Rechtsabteilung als eine der Kernfunktio-
nen im Unternehmen.2 Bei den verschiedenen möglichen Anspruchsgruppen im
Unternehmen empfiehlt es sich als Legal Counsel, offen und korrekt zu sein, mit
einer gewissen natürlichen Neugier aktiv auf sie zuzugehen3 und klare rules of
engagement festzulegen (zum Beispiel wer sich alles direkt an den Legal Counsel
wenden darf und in welchen Fällen der Legal Counsel zwingend beizuziehen ist;
siehe dazu detailliert Kap. 17).
Im Unternehmen ist sicherlich zu Beginn der Tätigkeit und danach aber auch
periodisch zusammen mit den Anspruchsgruppen eine umfassende rechtliche
Risiko- und Bedürfnisanalyse durchzuführen, um festzustellen, welche Rechtsberei-
che überhaupt tangiert und als Kernbereiche abzudecken sind. Dies ist anschließend

1Vgl. Wilke (2012, S. 52) Rz 20.


2Kurer (2015, S. 132).
3Leigh Dance (2015, S. 92), mit Bezug auf Joost Maes, wonach inskünftig vier Elemente relevant

sein werden: „curiosity, insight, engagement and determination“.

C. Wind (*)
Zürich, Schweiz
E-Mail: christian.wind@bratschi-law.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 681


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_48
682 C. Wind

mit der Geschäftsleitung und dem Aufsichtsrat zu diskutieren, zu priorisieren und so


abzustimmen, dass es für das gesamte Unternehmen klar und verbindlich ist, welche
Rechtsbereiche intern und durch wen behandelt werden, respektive welche durch
die Rechtsabteilung an Externe abgegeben werden können (siehe dazu detailliert
Kap. 19). Nachhaltiges Legal Counseling kann schließlich nur dann erreicht werden,
wenn gewisse Kriterien in der Zusammenarbeit zwischen dem Legal Counsel und
den verschiedenen Anspruchsgruppen im Unternehmen sowie die dafür notwendi-
gen Eigenschaften in der Person des Legal Counsel und der optimalen organisatori-
schen Eingliederung des Rechtsfunktion erfüllt sind (siehe dazu auch Kap. 37).

48.2 Die Ziele des Legal Counseling

Beim Legal Counseling handelt es sich auf der einen Seite um die Tätigkeit der
Rechtsabteilung, in einem Unternehmen, dessen strategische und operative
Geschäftstätigkeit sowie verwandte Gebiete wie Corporate Governance, Legal
Risk, Krisenmanagement etc.4 aus rechtlicher Sicht zu begleiten und dadurch zum
nachhaltigen Erfolg des Unternehmens durch den Schutz seines wichtigsten Gutes,
nämlich seiner Reputation5, beizutragen. Gemäß Thomas Kremer hat sich die
Arbeit der Rechtsabteilung am Gesellschaftsinteresse zu orientieren.6 Auf der ande-
ren Seite gilt es sicherzustellen, dass die geltenden Gesetze (externe Compliance)
und internen Richtlinien des Unternehmens (interne Compliance) eingehalten
sowie in präventiver Hinsicht mögliche vertragliche, rechtliche oder regulatorische
Risiken im besten Fall vermieden oder mindestens gemindert werden.7 Oder wie es
Ben W. Heinemann, Jr. ausgedrückt hat, nicht nur ob es legal, sondern auch ob es
richtig ist.8 Leo Staub sieht einen Wandel in der Rolle des Legal Counsel „vom
juristischen Sachbearbeiter zum Lösungsanbieter mit juristischem Sachverstand“.9
Dies bedeutet, dass nicht nur wie früher ausschließlich juristische Expertise auf
eine eher reaktive Art und Weise, sondern ganz besonders auch spezifische Unter-
nehmens- und Industriekenntnisse (Märkte, Wettbewerber, Anbieter, Nachfrager,
Produktion, Forschung, Finanzen, Rekrutierung etc.) je länger je mehr von

4Wohlmann (2010, S. 12).


5Vgl. dazu auch Heinemann (2010, S. 30), welcher vom guardian of the company spricht.
6Kremer (2010, S. 125 f.); auch Hofstetter (2010, S. 136), hält fest, dass „the GC’s primary

loyalty obligation is to the company and not to any management members“; ähnlich ACC Asso-
ciation of Corporate Counsel (2009, S. 9): „The primary role of the general counsel is to provide
legal services to the corporation, not to the corporation’s officers and directors“.
7Vgl. auch Wohlmann (2010, S. 12), welcher die Meinung vertritt, dass Transaktionen und Com-

pliance ineinander verzahnt sind und die geschickte Betreuung des gleichen Juristen mit Aufga-
ben im einen als auch im anderen Bereich oft sinnvoll erscheint.
8Heinemann (2010, S. 24): „The essence of being a lawyer-statesman is to move beyond the first

question – ‚is it legal?‘ – to the ultimate question – ‚is it right?‘.“


9Staub (2010, S. 39).
48 Hauptprozess Legal Counseling 683

entscheidender Bedeutung sind und werden10 – vom Legal Counsel eine zuneh-
mend proaktive, antizipierende Mitwirkung verlangt wird.

48.3 Zielpublikum des Legal Counseling

Kaum ist man als Legal Counsel der Rechtsabteilung eines Unternehmens beige-
treten, wird man feststellen, dass verschiedene Anspruchsgruppen des Unterneh-
mens versuchen, das für ihre jeweiligen Bedürfnisse geeignetste Legal Counseling
zu erhalten, – bewusst oder unbewusst – gar zu vermeiden oder zu umgehen, was
jedoch gerade in der heutigen Zeit glücklicherweise zunehmend eher die Aus-
nahme als die Regel ist. Als Anspruchsgruppen können daher infrage kommen:

• Allein-/Hauptaktionäre: Insbesondere bei Familienunternehmungen – sofern


das Unternehmen über eine eigene Rechtsabteilung verfügt – kann es durch-
aus vorkommen, dass sich die Familie als Allein- oder auch Hauptaktionärin
das Recht herausnimmt oder die Erwartungshaltung hat, die rechtlichen Dienste
nicht nur für rein geschäftliche, sondern durchaus auch für private Zwecke
jederzeit in Anspruch nehmen zu können. Hier gilt es von Anfang an unter Ein-
bezug der Familie, dem Aufsichtsrat und der Geschäftsleitung klarzustellen, ob
das zum Aufgabenbereich der Rechtsabteilung gehört und wenn ja, wer aus der
Familie Aufträge erteilen kann, welchen Tätigkeiten bei Dringlichkeit Vorrang
einzuräumen und wie bei sich widersprechenden Interessen zwischen der Fami-
lie und dem Unternehmen vorzugehen ist. Meiner Meinung nach sind solche
Arrangements jedoch strikt zu vermeiden. Der Legal Counsel kann nur einem
Herrn dienen und sollte deshalb auch nur gegenüber dem Unternehmen als sol-
ches verpflichtet sein.
• Aufsichtsrat: Der Aufsichtsrat wird früher oder später die Dienste der Rechts-
abteilung in Anspruch nehmen (siehe dazu detailliert Kap. 15). Sei es, dass zum
Beispiel
– der General Counsel gleichzeitig als Corporate Secretary amtet,
– im Vorfeld und Nachgang der Hauptversammlung alles mit der Rechtsabtei-
lung vorbereitet und umgesetzt wird,
– neu gewählte respektive austretende Aufsichtsratsmitglieder im Handelsregis-
ter einzutragen respektive zu löschen sind,
– allgemeine Fragen der Corporate Governance (committee charters, Organisa-
tionsreglement, Funktionendiagramm, Berichterstattung etc.) zu klären und
zu regeln sind,
– mit externen Anwälten Kapitalerhöhungen oder -herabsetzungen durchge-
führt oder Prozesse als Kläger oder Beklagter geführt werden müssen.

10Bagley (2015, S. 19): „The firm’s lawyers need to understand the firm’s value proposition,

resources, industry, customers, business plan and overall strategy“.


684 C. Wind

Sollte der General Counsel gleichzeitig als Corporate Secretary amten, sind mit
dem Linienvorgesetzten und dem Aufsichtsratsvorsitzenden die Funktionen,
Berichterstattungen und jeweiligen Kompetenzen genau und klar abzusprechen
(siehe dazu detailliert Kap. 53).
• Chief Executive Officer (CEO): Sofern die Rechtsabteilung nicht direkt dem
CEO angehängt ist, was nicht best practice entsprechen würde, sollte sie unbe-
dingt darauf hinarbeiten, ein gutes Einvernehmen und Vertrauensverhältnis mit
dem CEO aufzubauen. Das heißt nicht, dass man jede Idee und jeden Vorschlag
des CEOs vorbehaltlos unterstützen muss. Gerade bei rechtlich riskanten The-
men sollte man selbst eine klare und dezidierte Meinung haben, diese unmiss-
verständlich, offen und begründet kundtun und diese mit Rückgrat – unter
Hinweis auf das Wohl des Unternehmens – auch vertreten.
• Geschäftsleitung: Bei der Geschäftsleitung sollte man darauf hinwirken, dass
zumindest der General Counsel, wenn nicht als Corporate Secretary so doch
zumindest als ständiger Gast an den entsprechenden Sitzungen teilnimmt. Dies
ermöglicht ihm, zum Beispiel bei Fragen der Strategie, von neuen Projekten,
möglichen Akquisitionen, Marketingmaßnahmen, einem Beitritt zu Verbänden
oder Eintritt in neue Märkte (Produkte, Länder) sich unmittelbar und vor allem
rechtzeitig einzubringen und sicherzustellen, dass von Anfang an die Weichen
aus rechtlicher Sicht richtig gestellt und mögliche Risiken ausgeschaltet respek-
tive zumindest erheblich reduziert sind oder Alternativen gesucht werden kön-
nen (siehe hierzu auch detailliert Kap. 16).
• Linienvorgesetzte: Es bewährt sich sehr, wenn es einem Unternehmensjuris-
ten über die Zeit gelingt, mit den relevanten Linienvorgesetzten im Business
oder in anderen Fachbereichen, mit denen man regelmäßig zu tun hat, ein gutes
Vertrauensverhältnis aufzubauen. Dazu können Mittagessen oder gelegentli-
che bilaterale Gespräche dienen, anlässlich derer man sich ganz allgemein über
den Geschäftsverlauf, die momentanen Herausforderungen, geplante neue Pro-
jekte und Veränderungen im Personal informieren lässt (siehe dazu detailliert
Kap. 17). Des Weiteren ist es von Vorteil, bei laufenden Projekten die entspre-
chenden Verantwortlichen regelmäßig über Fortschritte, Friktionen, technische
Entwicklungen, wirtschaftliche Trends, Tätigkeiten von Wettbewerbern oder
die Art der Projektführung zu informieren und mögliche Probleme pro-ak-
tiv und konstruktiv anzusprechen. Es kann auch durchaus Sinn machen, kom-
merzielle Berechnungen zu überprüfen oder zu versuchen, das Rationale der
Geschäftstätigkeit zu plausibilisieren und bei allfälligen Unstimmigkeiten oder
Unklarheiten bei den sachverständigen Experten nachzufragen, um es in der
ganzen Tragweite vollumfänglich zu verstehen respektive die Verantwortlichen
oder deren Vorgesetzte darauf anzusprechen.
• Mitarbeiter: Hier sollte mit den jeweils zuständigen Linienvorgesetzten klar
geregelt werden, welche ihrer Mitarbeiter direkt mit dem General Counsel
oder dessen rechtlichen Mitarbeitern Kontakt aufnehmen dürfen. Es könnte
auch empfehlenswert sein, gewisse Mitarbeiter, welche zum Beispiel regel-
mäßig Vertragsverhandlungen führen, mit einer Vertragspolicy auszustat-
ten und mittels spezifischen Trainings regelmäßig zu schulen oder die Hilfe
48 Hauptprozess Legal Counseling 685

von Paralegals in Anspruch zu nehmen, um sich selber als Rechtsabteilung,


insbesondere bei Ressourcenknappheit, etwas zu entlasten und nur noch bei
vordefinierten Fragestellungen (zum Beispiel Abweichungen bei Regeln der
Haftung, Exklusivität, Schiedsklausel, des Gerichtsstands und des anwendbaren
Rechts) miteinbezogen zu werden.

48.4 Die relevanten Rechtsgebiete des Legal Counseling

In einem ersten Schritt empfiehlt es sich, ausgehend vom Businessmodell, der


Strategie und der risk map des Unternehmens (siehe dazu detailliert Kap. 47),
zusammen mit den Anspruchsgruppen eine umfassende rechtliche Bedürfnisana-
lyse durchzuführen, um festzustellen, welche Rechtsbereiche überhaupt tangiert
sind und in welcher Priorität sie abgedeckt werden müssen.11 Daraus resultiert ein
Vorschlag, der mit der Geschäftsleitung und allenfalls dem Aufsichtsrat abzuglei-
chen ist. Das heißt, er ist definitiv so festzulegen, dass am Ende im Unternehmen
alle das gleiche Verständnis und die gleiche Erwartungshaltung haben. Hier ist es
von entscheidender Bedeutung, dass die relevanten Anspruchsgruppen und Ent-
scheidungsträger im Unternehmen angehört wurden und eine Möglichkeit hatten,
sich zu äußern, respektive dann nach der Genehmigung durch die Geschäftsleitung
(und idealerweise auch durch den Aufsichtsrat) die entsprechenden Personen aus
erster Hand sofort zu informieren und ihnen die Hintergründe zu erklären, welche
Rechtsgebiete in den abgedeckten Kernbereich fallen und welche nicht.
Schaut man die üblichen Tätigkeitsbereiche in einem Unternehmen an, so kön-
nen sich auf den ersten Blick folgende Rechtsgebiete/-tätigkeiten für das Legal
Counseling aufdrängen:12

• Corporate: Corporate Governance13, Gesellschaftsrecht, Kapitalmarktrecht,


Verantwortlichkeitsrecht, bei börsenkotierten Unternehmen Insiderrecht, Mel-
depflichten (inklusive ad hoc), Managementtransaktionen etc.
• Human Resources (HR): Arbeitsrecht, Kündigungen, Arbeitszeugnisse, Mob-
bing, Datenschutz etc.
• Informationstechnologie: Datenschutzrecht, Zugriffsrechte, Verwendung für
geschäftliche und private Zwecke, Passwörter, Archivierung, Einsichtsrecht bei
Verstößen etc.
• Finanzen: Rechnungslegungsrecht, Geldwäscherei, Betrug (Fraud), Steuern,
Versicherungen etc.

11Staub (2010, S. 36), spricht hier von der Sortimentsbreite, Sortimentstiefe und Wertschöpfungs-
tiefe.
12Vgl. auch die Aufstellung bei Wilke (2012, S. 47 Rz 9).

13Siehe zur zunehmenden Bedeutung der Corporate Governance in der Zukunft; Cova (2015,

S. 71–86).
686 C. Wind

• Business Units & Marketing/Sales: Vertragsrecht, M&A, Kartellrecht, Lau-


terkeitsrecht, Exportkontrolle etc.
• Produktion: Produktehaftpflicht, Gewährleistungen, Umweltrecht, Qualität,
REACH14 etc.
• Forschung und Entwicklung (F&E): Forschungskooperationen, Lizenzen,
Patente etc.
• Einkauf (Procurement): Geschäftspartnerprüfung, Rahmenverträge, Haftung,
Einkaufsgemeinschaften/-plattformen etc.
• Unterstützung in Prozessen und administrativen Verfahren: Einzelfallbe-
handlung, Early Case Assessment, Budgetierung, Outside Counsel Manage-
ment, Berichterstattung und Kommunikation sowie Nachbearbeitung.15
• Legal Risk Management: In der Schweiz ist gemäß Art. 663b Ziff. 12 OR16
Risk Management von Gesetzes wegen explizit als Aufgabe des Managements
aufgeführt, wodurch sich für den Legal Counsel ein wichtiges unterstützendes
Tätigkeitsfeld, welches sich in Form von Abwägung von Chancen und Risiken,
was schon immer Teil seiner Tätigkeit war, akzentuiert und verstärkt.17
• Compliance: Der Aufsichtsrat und die Unternehmensführung haben mit geeig-
neten Maßnahmen dafür zu sorgen, dass ein funktionierendes, adäquates Com-
pliance Management-System eingerichtet wird.18 Es liegt auf der Hand, dass
gerade in kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) ein Teil der Aufgaben
dem Legal Counsel übertragen oder outsourced wird.
• Koordination von externen Anwälten und Kostenkontrolle.19
• Mitwirkung in Verbänden und Organisationen.

Tipp: „Jahrestätigkeitsübersicht“
Es empfiehlt sich, auf irgendeine Art und Weise die Tätigkeiten des Legal Counse-
ling über das Jahr aufzuzeichnen. Eine qualitative Aufzeichnung kann in Form einer
einfachen Liste geführt werden, in der pro Person und Monat aufgezeichnet wird,
welche Fälle/Projekte in dem Monat abgearbeitet und erledigt wurden und welche
noch pendent respektive neu dazugekommen sind. Kleinstsachen, die sich mit ein
zwei Telefonaten, einer E-Mail oder einer Besprechung erledigen lassen, sollten
nicht aufgeführt werden. Zusätzlich kann man jedoch diejenigen größeren Arbei-
ten, die insgesamt eine Woche oder mehr effektive Arbeitsbetreuung erfordern,

14Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember
2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH):
http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:02006R1907-20150601. Besucht 8.
April 2016.
15Vgl. zu den einzelnen Bereichen ausführlich Henrich (2010, S. 171–177).

16(Schweizerisches) Bundesgesetz vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizeri-

schen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) (SR 220).


17Vgl.Wohlmann (2010, S. 8); Hofstetter (2010, S. 143); Biedenkopf (2010, S. 145–154); Nützel

(2010, S. 165–170); vgl. auch mit weiteren AusführungenKurer (2015, S. 103 f.).
18Vgl. Swiss Holdings, economie suisse (2014).

19Ausführlicher dazu Wohlmann (2010, S. 9).


48 Hauptprozess Legal Counseling 687

noch drucktechnisch, zum Beispiel fett, hervorheben. Es genügt, wenn man einfach
mit Stichworten die Arbeit umschreibt, zum Beispiel Name Drittpartei oder interne
Business Unit plus Thema. So verfügt man am Ende des Jahres über eine gute und
einfache Übersicht, was alles abgearbeitet wurde und in welchen Bereichen man
tätig war. Dies kann übrigens auch helfen, die eigenen Bedürfnisse zu belegen,
wenn es um die Anforderung zusätzlicher Ressourcen geht. Selbstverständlich kann
das ausgebaut werden (excel sheet, spezielle Software), indem man aufzeichnet, für
welchen Bereich (Einkauf, Verkauf, Forschung, Produktion, HR, Corporate etc.)
wie viel Zeit aufgewendet wurde, was einem für eine optimale Ressourcenalloka-
tion sehr dienlich sein kann.
Falls man möchte, kann das Ganze durch eine quantitative Liste ergänzt werden, in
der man ganz einfach aufzeichnet, wie viele Verträge (zum Beispiel Non-­Disclosure
Agreement [NDA], Distribution, Agency, Maintenance, Supply, Licence, Purchase,
Research and Development [R&D], Letter of intent [LOI], Joint centure [JV] etc.),
Prozesse (als Klägerin oder Beklagte), Transaktionen, Schulungen etc. über das ganz
Jahr hinweg durchgeführt respektive erledigt wurden. Über die Jahre lässt sich dann
mit fundierten Daten die Entwicklung aufzeigen.
In einem zweiten Schritt klassifiziert man die Gebiete für das Legal Counse-
ling in solche, die von sehr hoher, hoher, mittlerer und ohne Bedeutung für das
Unternehmen sind und ob man dabei eine Generalisten- oder Spezialistenrolle aus-
übt. Dieser Schritt dient in erster Linie dazu, aufzuzeigen, wo effektiv Bedarf ist
und wo es sinnvoll ist, noch entsprechende Ressourcen zu allozieren. Danach folgt
in einem dritten Schritt die Zuteilung, in welcher abgestimmt werden muss, ob
eine zentrale oder dezentrale Anbindung20 erfolgt. Mithin geht es hier um die
Frage, was intern dem General Counsel, dem Corporate Secretary, den einzelnen
Legal Counsels, Paralegals und Assistenten oder anderen Fachabteilungen im
Unternehmen zugewiesen und was an externe Anwälte vergeben wird.
Zur Unterstützung, das heißt, damit zum Beispiel juristisch relevante Sachver-
halte überhaupt oder zumindest einfacher zum Legal Counsel kommen und zielge-
richteter und effizienter bearbeitet werden, können diverse Hilfsmittel beigezogen
und eingeführt werden, wie zum Beispiel:

• Festlegung interner Prozesse, Richtlinien, zum Beispiel ein Legal & Compli-
ance Governance Rahmen21, Richtlinie Recht22, Contract Policy,
• Zweitunterschrift durch den Legal Counsel unter jeden Vertrag,
• Schulungen neuer Mitarbeiter oder zu besonderen Themen,
• Sprechstunde Recht,

20Hambloch-Gesinn (2010, S. 107 f.).


21Vgl. die möglichen Punkte eines solchen Frameworks bei Kurer (2015, S. 121 ff.).
22Vgl. Wilke (2012, S. 51 Rz 18 f.); Hambloch-Gesinn (2010, S. 108), spricht von einer „Richt-

linie Recht“, welche die Rolle und Funktion des Rechtsbereichs erläutert, die Vision des Rechts-
bereichs aufzeigt, Handlungsanweisungen gibt und den Rechtsbereich unterstützt, das heißt die
Effektivität und Effizienz des Rechtsbereiches erhöht und Transparenz schafft.
688 C. Wind

• Beiträge in der Unternehmenszeitung,


• Contract-/Corporate-Records-Managementsysteme oder
• Intranet (zum Beispiel Zuständigkeiten/Stellvertretungen in der Rechtsabtei-
lung, Musterverträge/-dokumente, Richtlinien, Schulungsunterlagen, Links).

Es versteht sich, dass dem Legal Counsel nicht nur rechtliche, sondern unter
Umständen durchaus auch operative, administrative und/oder projektmäßige Auf-
gaben übertragen werden,23 wie zum Beispiel die Mitwirkung bei der Strategie-
festlegung des Unternehmens, Entwicklung von Businessplänen oder das
Betreiben von Frühwarnsystemen betreffend aufkommender Rechts- und Compli-
ance-Risiken.24 Constance E Bagley spricht bei den General Counsels gar von den
swiss army knifes der rechtlichen Berufe.25
Auch ist im Sinne eines möglichst unkomplizierten und einfachen Zugangs
zum Legal Counsel von einem Profit Center-Ansatz abzuraten, das heißt, dass die
beanspruchten Rechtsdienstleistungen aus Gründen der Kostentransparenz und
gemäß dem Verursacherprinzip direkt der nachfragenden Abteilung belastet wer-
den.26 Meiner Meinung nach geht es beim Legal Counseling in erster Linie um
Prävention und Compliance, und nicht darum, aus der Rechtsabteilung Profit zu
generieren. Aus der Sicht des Unternehmens und der bottom line ist es sowieso ein
Nullsummenspiel. Es sollte auch klar geregelt und kommuniziert werden, wer
alles und zu welchen Fragestellungen an den Legal Counsel gelangen darf.27 Hier
hat sich eine klare open door-Policy sehr bewährt. Das heißt, es kann grundsätz-
lich jeder, allenfalls mit Rücksprache des jeweiligen Vorgesetzten, direkt mit
einem Legal Counsel in Kontakt treten. Denn vielfach ist es vorteilhafter, den
Sachverhalt direkt vom Betroffenen als in einer vom Vorgesetzten „übersetzten“
Version zu hören. Auch hilft dies wiederum, die Mitarbeiter im Unternehmen bes-
ser und authentischer kennenzulernen, was sich langfristig sehr auszahlt und sich
dann über zum Teil ganz unerwartete Kanäle verbreitet.28

Tipp: Auskünfte in privaten Rechtsangelegenheiten29


Es kann durchaus vorkommen, dass nach einer gewissen Zeit, in der Regel nach
zwei bis drei Jahren, wenn es einem General Counsel gelungen ist, einen guten

23Vgl. Wilke (2012, S. 43 Rz 5); Staub (2010, S. 37), welcher auch von professioneller Projekt-

leitung in komplexen, ja gar interdisziplinären Projekten spricht.


24Kurer (2015, S. 36).

25Bagley (2015, S. 18).

26Vgl. dazu auch die Ausführungen von Mukhopadhyay (2015, S. 51 ff.).

27Vgl. Staub (2010, S. 38).

28So hatte ich in einem Unternehmen, in dem ich früher im Rechtsdienst tätig war, einem Mit-

arbeiter des Sicherheitsdienstes (ich kannte alle mit Vor- und Nachnamen) beim Eingang quasi
beim Vorbeigehen auf eine rechtliche Frage eine ganz kurze Antwort gegeben und wurde etwa
ein halbes Jahr später von einer Mitarbeiterin der Kantine angesprochen, dass sie ein rechtliches
Problem hätte und ein Herr vom Sicherheitsdienst mich ihr wärmstens empfohlen hätte.
29Vgl. dazu auch Staub (2010, S. 38).
48 Hauptprozess Legal Counseling 689

Ruf, eine starke Vertrauensbasis und ein entsprechendes Standing seiner Rechts-
abteilung im Unternehmen aufzubauen, nicht nur der Aufsichtsratsvorsitzende,
Mitglieder der Geschäftsleitung oder des mittleren Kaders, sondern auch andere
Mitarbeitende versuchen, die Dienste der Rechtsabteilung für private Rechtsange-
legenheiten in Anspruch zu nehmen. Sei es, um schnell einen Grundstückkaufs-
oder Mietvertrag überprüfen zu lassen, familien- oder erbrechtliche Fragen zu
beantworten, wegen einer Bewilligung oder in einem Nachbarstreit Unterstützung
zu holen oder eine Antwort erhält, was man im Falle einer Buße wegen zu schnel-
lem Fahrens unternehmen könne.
Es empfiehlt sich, im Unternehmen eine klare Regelung hierzu zu treffen:
Möchte man eine Art „private Rechtsauskunft“ anbieten oder nicht – und dies
dann auch aktiv im Unternehmen kommunizieren. Falls man eine private Rechts-
auskunft anbietet, was durchaus sinnvoll sein kann und auch nebst Schulungen ein
sehr gutes und probates Mittel ist, um auf eine andere Art und Weise das Vertrauen
von Mitarbeitern zu erlangen, müssen die Rahmenbedingungen klar festgelegt und
kommuniziert werden, zum Beispiel:

• Jeder hat Anspruch auf maximal eine Stunde unentgeltliche persönliche Rechts-
beratung pro Jahr.
• Man hat sich anzumelden, den Sachverhalt schriftlich vorzubereiten und allfäl-
lige Dokumente mitzubringen.
• Es gibt nur eine allgemeine erste grobe Einschätzung und dann je nach Fall
eine Empfehlung, einen externen Anwalt beizuziehen.
• Der Legal Counsel wird nie einen Fall persönlich übernehmen und vor Gericht
vertreten.
• Im Falle von Empfehlungen von externen Anwälten hat sich bewährt, dass man
mindestens zwei oder drei Anwälte angibt und die definitive Auswahl dann dem
Mitarbeiter überlässt.

Auf der einen Seite ist es für den Legal Counsel selbstverständlich eine gute Mög-
lichkeit, sich mit Auskünften zu privaten Rechtsangelegenheiten im Unternehmen
noch weiter zu profilieren und natürlich auch ein gutes Gefühl, wenn man spürt,
dass einem die Mitarbeiter auch das Vertrauen aufgrund der Mitteilung teilweise
sehr persönlicher Rechtsprobleme schenken. Auf der anderen Seite hat man in der
Regel nur limitierte Ressourcen und ist, wie bereits schon mehrfach erwähnt, pri-
mär für das Unternehmen da.

48.5 Nachhaltiges Legal Counseling

Nachhaltiges Legal Counseling kann nur dann erreicht werden, wenn gewisse Kri-
terien in der Zusammenarbeit zwischen dem General Counsel/den Legal Counsels
und den verschiedenen Anspruchsgruppen im Unternehmen sowie Eigenschaften
in der Person und der organisatorischen Eingliederung des Counsel erfüllt sind. In
der Zusammenarbeit im Unternehmen ist es daher unabdingbar, dass der Legal
690 C. Wind

Counsel aktiv und explizit die Erwartungshaltungen und Bedürfnisse der beteilig-
ten counterparts auf den Tisch bringt, diese bespricht, begründet und danach ein
Konsens über die Art und Weise der Zusammenarbeit erreicht wird.30 So kann der
Legal Counsel zum Beispiel nur dann einen maximalen Beitrag leisten, wenn er
früh- oder zumindest rechtzeitig ins Boot geholt und umfassend sowie wahrheits-
getreu informiert wird.31 Für den counterpart hingegen spielt es eine entschei-
dende Rolle, dass der Legal Counsel verfügbar ist, rasch auf Fragen antwortet,
sich durch Pragmatismus und Lösungs- sowie Businessorientierung auszeichnet,
indem er das Geschäft des Unternehmens versteht, eine auch für „Nicht-Juristen“
verständliche Sprache spricht und als kritischer Sparringspartner auftritt.32
Entscheidend ist, dass der Legal Counsel durch regelmäßige Interaktionen mit
den verschiedenen Unternehmensbereichen nicht nur das Verständnis und eine
Steigerung der Sensibilität für seine eigenen rechtlichen Anliegen verbessern
kann, sondern gleichzeitig die Bedürfnisse und Anliegen seiner Ansprechpartner
direkt, authentisch und persönlich erfährt. Dies trägt ganz erheblich dazu bei, über
die Zeit ein gegenseitiges von Respekt getragenes Vertrauensverhältnis aufzu-
bauen. Letztendlich führt es dazu, dass die Ansprechpartner ihre natürliche
Zurückhaltung gegenüber juristischen Fragestellungen verlieren und im Unterneh-
mensjuristen einen geschätzten und wertvollen Teamplayer sehen,33 der sie in
ihren wirtschaftlichen Bestrebungen versteht und wesentlich unterstützt. Je besser
die Vernetzung und das Vertrauensverhältnis, umso mehr Fragen mit rechtlichem
Inhalt werden in Zukunft an den Legal Counsel herangetragen.
Abschließend und der Vollständigkeit halber sind auch

• Zuverlässigkeit (das heißt, vereinbarte Termine sind einzuhalten und bis dann
ist zu liefern),
• eine bestimmte und klare Linie (das heißt nicht einmal so und das andere Mal
anders),
• eine immer ehrliche, offene und direkte Meinung und
• vertrauensvolles, verschwiegenes und loyales Verhalten

ebenfalls von größter Bedeutung für eine erfolgreiche, langfristige partnerschaft­


liche Zusammenarbeit.
Um das oft gehörte Image des „Verhinderers“ loszuwerden und vorzugsweise
als team player oder vor allem als business enabler34 wahrgenommen zu werden

30Heinemann (2010, S. 30): „They [General Counsel, sic!] should clarify the conception of the
chief legal officer held by those executives“.
31Vgl. Wilke (2010, S. 52 Rz 20): „[…] haben Juristen immer wieder damit zu kämpfen, dass

ihr Rat im letzten Moment oder gar zu spät eingeholt wird und sie nur noch als „Feuerwehr“ mit
dem „Bekämpfen unnötiger Brände“ beschäftigt sind“.
32Vgl. dazu auch Staub (2010, S. 42).

33Vgl. Wilke (2012, S. 43 Rz 6).

34Frick (2010, S. 75), spricht von „Business Partners und nicht legal advisors“.
48 Hauptprozess Legal Counseling 691

(siehe dazu auch Kap. 34), empfiehlt es sich sehr, dass der Legal Counsel wenn
immer möglich eine Auswahl von rechtlich möglichen Optionen vorlegt, auf deren
unterschiedliche Risikopotenziale hinweist, die Vor- und Nachteile aufzeigt und
sich auch das Recht vorbehält, bei zu risikobehafteten, insbesondere bei wider-
rechtlichen Optionen, sein klares und unmissverständliches Veto einzulegen35 oder
gar an die nächste Stufe zu eskalieren. Wenn es sein muss bis zum Aufsichtsrats-
vorsitzenden.36

Tipp: Visibilität erhöhen, Netzwerk pflegen


Vernetzen Sie sich als General oder Legal Counsel so gut wie möglich auf allen
Stufen im Unternehmen und schaffen Sie sich Alliierte. Wenn immer möglich,
gehen Sie persönlich zu Ihren internen Klienten. Besuchen Sie diese in ihren
Büros, in ihrem Labor oder in ihrer Werkstatt. Sie werden mit der Zeit so viele
zusätzliche Informationen über die andere Person gewinnen und diese dadurch
besser in ihrer Ganzheitlichkeit erfassen und spüren können (siehe dazu detailliert
Kap. 31). Dies wird es Ihnen erlauben – je nach Situation und Gelegenheit – zum
Beispiel über neue Produkte oder Trends in der Industrie, Verkäufe, die wich-
tigsten Wettbewerber, Hobbys, Sport, Familie oder andere Bereiche zu sprechen.
Durch ehrliches Interesse wird über die Zeit echtes Vertrauen aufgebaut, was lang-
fristig der Schlüssel des Erfolgs eines General oder Legal Counsel ist: Das heißt,
ob der eigene Rat aktiv gesucht, ob er gehört, respektiert und geschätzt wird.
Bei den Fähigkeiten des Legal Counsel werden fachliche, soziale37 und charak-
terliche Eigenschaften unterschieden:38
• Fachliche Eigenschaften: Zu den fachlichen Eigenschaften zählen an erster
Stelle solide und umfassende Kenntnisse des nationalen Rechts, kombiniert zum
Beispiel mit dem Anwaltspatent oder einem Nachdiplomstudium (LL.M.) als
Zusatzqualifikation.39 Hilfreich sind sicherlich in internationalen Unternehmen
auch ein gewisses Grundverständnis anderer Rechtsordnungen oder Rechts-
kreise, wie zum Beispiel EU-Recht oder Rechte aus dem anglo-amerikanischen

35Vgl. Heinemann (2010, S. 30).


36So habe ich einmal während meiner Tätigkeit als Legal Counsel auf die Frage eines Region
Heads, ob man in diesem konkreten Fall nicht von der Compliance-Klausel im Agency Agree-
ment absehen könne, geantwortet, dass er das approval des CEOs einholen müsse. Damit war der
Fall erledigt und die Klausel blieb im Vertrag.
37Vgl. Wohlmann (2010, S. 11).

38Vgl. dazu auch Hess (2010, S. 14 ff.), welcher auf folgende Punkte verweist: 1. Remain modest

and humble, 2. Be polite, 3. Get your priorities right and deliver on time, 4. „C’est le ton qui fait
la musique“, 5. Respect your colleagues, 6. Don’t compromise, 7. Accept new challenges and
then enjoy meeting them, 8. Take the ball and 9. Look after yourself; Wind (2010, S. 261) (Sicht
des Verwaltungsrats); Leigh Dance (2015, S. 87 ff.).
39Meier (2010, S. 53), spricht von einer soliden juristischen Ausbildung als Kernkriterium für

den Unternehmensjuristen und auf S. 57 von breitgefächerten juristischen Kenntnissen als Basis
für den General Counsel.
692 C. Wind

Kontext (siehe dazu auch Kap. 6–8). Bei den Sprachen ist verhandlungssicheres
Englisch das Minimum.40 Jede weitere Sprache ist sicherlich ein zusätzlicher
Vorteil. Als Legal Counsel in einem Unternehmen hilft es ebenfalls, wenn man
über ein gewisses Wirtschaftsverständnis41 respektive über Grundlagen der
Unternehmensführung42 (zum Beispiel durch eine MBA-Ausbildung) verfügt
und in etwa nachvollziehen kann, wie eine doppelte Buchhaltung mit Bilanz
und Erfolgsrechnung funktioniert. Weitere fachliche Fähigkeiten, wie zum Bei-
spiel im Bereich Projektmanagement oder Führungserfahrung, schaden sicher-
lich auch nicht43 und können gar helfen, das eigene Einsatzgebiet zu vergrößern
oder auch andere Aufgaben zugeteilt zu bekommen: Wie zum Beispiel interi-
mistisches Führen einer Tochtergesellschaft oder Leiter eines Projektes oder
Geschäftsleitungsmitglied zu werden (siehe dazu detailliert Kap. 35).

u Als Legal Counsel sollte man sich stets bewusst sein, welches die
momentan fünf größten rechtlichen Risiken und Herausforde­
rungen im Unternehmen sind und welche fünf es in fünf Jahren
sein könnten.

• Soziale Eigenschaften: Entscheidend bei den sozialen Eigenschaften ist die


Kommunikation (siehe dazu detailliert Kap. 31).44 Nämlich, dass der Legal
Counsel in erster Linie fragt und dann aktiv im wirklichen Sinn zuhört und sich
entsprechend artikuliert. Das heißt, dass er für seine Position jeweils überzeu-
gende Argumente liefern kann. Aus diesem Grund sind seine überdurchschnitt-
lichen Fähigkeiten hinsichtlich Gesprächs- und Verhandlungsführung (siehe
dazu detailliert Kap. 32) sowie Konfliktlösung (siehe dazu detailliert Kap. 33)
sehr wichtig. Zudem steht es einem Legal Counsel, der nicht zuletzt auch
wegen der typischen juristischen Ausbildung eher als analytischer Typ gilt,
nicht schlecht an, zumindest zu versuchen, sich in die Position des anderen hin-
ein zu fühlen und nicht davor zurückzuschrecken, die entsprechend kritischen
Fragen zu stellen. Dies erlaubt es ihm besser nachzuvollziehen, was den ande-
ren antreibt, wieso er sich so verhält, wieso er so entscheidet und in welchen
Abhängigkeiten/Beeinflussungsmöglichkeiten er inner- oder außerhalb des
eigenen Unternehmens steht. Darüber hinaus sollte der Legal Counsel auch in
der Lage sein einzuschätzen, ob es vielleicht nicht besser ist, wenn er oder sie
zu einem gewissen Zeitpunkt eher im Hintergrund agiert, statt sich ins Rampen-
licht zu begeben.

40Meier (2010, S. 54); Suckale (2010, S. 82).


41Vgl. z. B. Wind (2008, S. 248 f.); Suckale (2010, S. 83); Werlen (2010, S. 88), spricht von
„Business Acumen“ als Voraussetzung für die Ausübung des Berufs.
42Wohlmann (2010, S. 11).

43Vgl. z. B. für weitere Fähigkeiten auch Groß und Vaagt (2015, S. 7).

44Vgl. Suckale (2010, S. 83).


48 Hauptprozess Legal Counseling 693

• Charakterliche Eigenschaften: Bezüglich der charakterlichen Eigenschaften


stechen nach meiner Erfahrung persönliche Integrität, Mut, eine gewisse innere
Unabhängigkeit,45 die Fähigkeit Konflikte zu lösen,46 Flexibilität, Stand- und
Durchsetzungsfähigkeit47 sowie eine proaktive Haltung heraus.
– Integrität bedeutet in diesem Zusammenhang, dass man sich seiner Rolle als
General oder Legal Counsel stets bewusst ist, das heißt stets seinen eigenen
Ansprüchen gerecht bleibt und im besten Interesse des Unternehmens han-
delt.48 Die eigene Verantwortung sollte so wahrgenommen werden, dass man
offen und transparent ist und dass vor allem vertrauliche Informationen nur
dorthin gelangen, wo sie hin müssen, und sonst eben vertraulich bleiben.
– Mut erfordert, das Interesse des Unternehmens in bestimmten Situationen
gegenüber allfälligen gegenläufigen Interessen bestimmter Personen oder
Personengruppen klar, dezidiert und gut begründet zu verteidigen, und sich
nicht einschüchtern zu lassen.
– Dazu gehört auch eine gewisse innere Unabhängigkeit, das heißt, dass man
das eigene Legal Counseling unter die Einhaltung gewisser ethischer Postu-
late wie Gewissenhaftigkeit, Ehrlichkeit und Fairness stellt. Man sollte mög-
lichst unbeeinflussbar und unbeeinflusst durch persönliche Vorteile agieren,
möglichst ohne Sympathie oder Antipathie und ohne Rücksicht auf eigene
Interessen, nach bestem Gewissen und pflichtgemäßem Ermessen. Schließ-
lich sollten gleich gelagerte Sachverhalte in der Regel auch gleich beurteilt
werden.49

Dies bedeutet aber auch in letzter Konsequenz, dass durchaus Konstellationen


denkbar sind, bei denen man trotz objektiv berechtigten Vorbehalten als Legal
Counsel übergangen oder ignoriert wird und sich dann reiflich überlegen muss, ob
man noch am richtigen Platz ist.50

u Integrität ist das allerwichtigste asset des General und der Legal
Counsels. Vertrauliche Informationen bleiben anvertraut respek-
tive werden nur an diejenigen weitergegeben, die es zwingend
wissen müssen. In Bezug auf die Integrität darf es keine Kompro-
misse geben. Man darf als Unternehmensjurist nie der Versuchung
erliegen, sich durch gezieltes content dropping im Unternehmen
interessant machen zu wollen.

45Vgl. zur Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Unabhängigkeit, Wind (1998, S. 75 ff.);

Heinemann (2010, S. 30), spricht von strong degree of independence.


46Suckale (2010, S. 83); Wind (2010, S. 261).

47Meier (2010, S. 59); Wind (2010, S. 261).

48Hess (2010, S. 21), spricht an dieser Stelle von your shareholders’ best interests, was meiner

Meinung nach zu kurz greift.


49Vgl. Wind (1998, S. 260).

50So auch Heinemann (2010), S. 31; Cova (2015, S. 83).


694 C. Wind

Um zum frühestmöglichen Zeitpunkt involviert sein zu können, wäre es aus rein


organisatorischer Sicht optimal, wenn der Bereich Recht direkt in der Geschäfts-
leitung vertreten wäre51 oder zum Beispiel der General Counsel als Corporate
Secretary an den Aufsichtsrats- und Geschäftsleitungssitzungen52 teilnehmen
beziehungsweise zumindest direkt an den CEO rapportieren würde.53 Der General
Counsel sollte zudem einen Ansprechpartner, Alliierten oder Coach auf Stufe Auf-
sichtsrat haben, idealerweise ebenfalls einen Juristen, mit dem er auf vertraulicher
Basis Entwicklungen beurteilen, Fälle besprechen, Einschätzungen oder eine
Zweitmeinung einholen, Maßnahmen erörtern oder ihn als zusätzliche Unterstüt-
zung im Unternehmen in spezifischen Fällen beiziehen kann. Und zu guter Letzt
stützen idealerweise alle, der Aufsichtsrat, die Geschäftsleitung sowie insbeson-
dere der CEO, die umschriebenen Aufgaben des General Counsel im Unterneh-
men54 und kommunizieren dies bei sich bietenden Gelegenheiten entsprechend
regelmäßig und dezidiert nicht nur intern, sondern auch extern.

Literatur
ACC Association of Corporate Counsel (2009) Role of the general counsel. Washington
Bagley CE (2015) Integrating law and strategy: the value of legal astuteness. In: Vaagt CH, Groß
W-P (Hrsg) im Namen der International Bar Association General Counsel in the 21st Century.
Globe law and business, Horsell, S 11–34
Biedenkopf S (2010) Risiko- und Issues Management als Aufgabe auch der Rechtsabteilung. In:
Hambloch-Gesinn S, Hess B, Meier AL, Schiltknecht R, Wind C (Hrsg) In-House Counsel in
internationalen Unternehmen. Helbing Lichtenhahn, Basel, S 145–154
Cova B (2015) Corporate governance issues. In: Vaagt CH, Groß W-P (Hrsg) im Namen der
International Bar Association General Counsel in the 21st Century. Globe law and business,
Horsell, S 71–86
Frick HP (2010) Mitarbeitermotivation und -entwicklung: Talent Management; Karriere Planung.
In: Hambloch-Gesinn S, Hess B, Meier AL, Schiltknecht R, Wind C (Hrsg) In-House Coun-
sel in internationalen Unternehmen. Helbing Lichtenhahn, Basel, S 73–78
Groß W-P, Vaagt CH (2015) Introduction: challenges and opportunities for general counsel in the
21st century. In: Vaagt CH, Groß W-P (Hrsg) im Namen der International Bar Association
General Counsel in the 21st Century. Globe Law and Business Horsell, S 5–10
Hambloch-Gesinn S (2010) Effizienz und Erfolg (einer Rechtsabteilung). In: Hambloch-Gesinn
S, Hess B, Meier AL, Schiltknecht R, Wind C (Hrsg) In-House Counsel in internationalen
Unternehmen. Helbing Lichtenhahn, Basel, S 107–114
Heinemann B Jr (2010) The general counsel as lawyer-statesman: A U.S. perspective. In:
Hambloch-Gesinn S, Hess B, Meier AL, Schiltknecht R, Wind C (Hrsg) In-House Counsel
in internationalen Unternehmen. Basel, Helbing Lichtenhahn, S 23–31
Henrich M (2010) Litigation Management im Internationalen Unternehmen. In: Hambloch-Gesinn S,
Hess B, Meier AL, Schiltknecht R, Wind C (Hrsg) In-House Counsel in internationalen Unter-
nehmen. Helbing Lichtenhahn, Basel, S 171–177

51Vgl.Wilke (2012, S. 49 Rz 14); Kurer (2015, S. 36 mit weiteren Hinweisen und S. 109).
52Wohlmann (2010, S. 11).
53Hofstetter (2010, S. 142); Kurer (2015, S. 110).

54Heinemann (2010, S. 30).


48 Hauptprozess Legal Counseling 695

Hess B (2010) Observations on the role of in-house counsel in a global corporation. In: Ham-
bloch-Gesinn S, Hess B, Meier AL, Schiltknecht R, Wind C (Hrsg) In-House Counsel in
internationalen Unternehmen. Helbing Lichtenhahn, Basel, S 13–21
Hofstetter K (2010) The role of general counsel in the era of modern corporate governance. In:
Hambloch-Gesinn S, Hess B, Meier AL, Schiltknecht R, Wind C (Hrsg) In-House Counsel in
internationalen Unternehmen. Helbing Lichtenhahn, Basel, S 131–143
Kremer T (2010) In wessen Interesse arbeitet die Rechtsabteilung eines Konzerns? In: Ham-
bloch-Gesinn S, Hess B, Meier A L, Schiltknecht R, Wind C (Hrsg.) In-House Counsel in
internationalen Unternehmen. Helbing Lichtenhahn, Basel, S 125–129
Kurer P (2015) Legal and compliance risk. Oxford University Press, Oxford
Leigh Dance E (2015) New competencies expected of today’s general counsel. In: Vaagt CH,
Groß W-P (Hrsg) im Namen der International Bar Association General Counsel in the 21st
Century. Globe law and business, Horsell, S 87–98
Meier AL (2010) Anforderungsprofil einen Unternehmensjuristen und eines General Counsels.
In: Hambloch-Gesinn S, Hess B, Meier AL, Schiltknecht R, Wind C (Hrsg) In-House Coun-
sel in internationalen Unternehmen. Helbing Lichtenhahn, Basel, S 53–59
Mukhopadhyay A (2015) The difference between carrying out legal work and adding value. In:
Vaagt CH, Groß W-P (Hrsg) im Namen der International Bar Association General Counsel in
the 21st Century. Globe law and business, Horsell, S 47–56
Nützel R (2010) Die Rolle des Unternehmensjuristen im Bereich des Legal Risk Managements.
In: Hambloch-Gesinn S, Hess B, Meier AL, Schiltknecht R, Wind C (Hrsg) In-House Coun-
sel in internationalen Unternehmen. Helbing Lichtenhahn, Basel, S 165–170
Staub L (2010) Ausblick: der In-House Counsel und die Rechtsabteilung im Jahre 2020. In:
Hambloch-Gesinn S, Hess B, Meier AL, Schiltknecht R, Wind C (Hrsg) In-House Counsel in
internationalen Unternehmen. Helbing Lichtenhahn, Basel, S 33–49
Suckale M (2010) In-house Counsel oder Verantwortung außerhalb der Rechtsabteilung. In:
Hambloch-Gesinn S, Hess B, Meier AL, Schiltknecht R, Wind C (Hrsg) In-house Counsel in
internationalen Unternehmen. Helbing Lichtenhahn, Basel, S 79–85
SwissHoldings, economiesuisse (Hrsg) (2014) Grundzüge eines wirksamen compliance manage-
ments. http://www.economiesuisse.ch/sites/default/files/downloads/compliance_d_20140926.
pdf. Zugegriffen: 5. Apr. 2016
Werlen Z (2010) Karriere in einer Anwaltskanzlei oder in einem Unternehmen? In: Ham-
bloch-Gesinn S, Hess B, Meier AL, Schiltknecht R, Wind C (Hrsg) In-House Counsel in
internationalen Unternehmen. Helbing Lichtenhahn, Basel, S 87–93
Wilke M (2012) § 3 Aufgabenfelder des Syndikus. In: Lenz T (Hrsg) Die Rechtsabteilung. Sprin-
ger Gabler, Wiesbaden, S 43–56
Wind C (2010) Der General Counsel aus der Sicht des Verwaltungsrates. In: Hambloch-Gesinn
S, Hess B, Meier AL, Schiltknecht R, Wind C (Hrsg) In-House Counsel in internationalen
Unternehmen. Helbing Lichtenhahn, Basel, S 257–261
Wind C (2008) Als General Counsel wieder auf die Schulbank? Schweizerische Juristenzeitung
(SJZ) 2008(10):248–250
Wind C (1998) Die Unabhängigkeit der Revisionsstelle gemäß Art. 727c Abs. 1 OR. Dissertation
St.Gallen. Treuhand-Kammer, Zürich
Wohlmann H (2010) Wandlungen des Berufsbildes des Unternehmensjuristen in der Industrie.
In: Hambloch-Gesinn S, Hess B, Meier AL, Schiltknecht R, Wind C (Hrsg) In-House Coun-
sel in internationalen Unternehmen. Helbing Lichtenhahn, Basel, S 3–12

Über den Autor


Dr. Christian Wind – Rechtsanwalt & Partner bei Bratschi Wiederkehr & Buob, Zürich
Dr. iur. HSG (1998); LL.M. in internationalem Wirtschaftsrecht an der Universität Zürich mit
Auszeichnung für das beste Ergebnis des Spezialisierungskurses Immaterialgüter-, Technologie-
696 C. Wind

und Informationsrecht (2002); EMBA IMD Lausanne (2007); Zertifizierter Auditor für Compli-
ance Management Systeme gemäß ISO 19600 und ONR 192050 (2014); Functional Partner für
Corporate Secretary/Compliance am International Center for Corporate Governance der Uni-
versität St.Gallen, über 17 Jahre Erfahrung als In-house Counsel (Revisuisse Price Waterhouse
(1993–1996); F. Hoffmann-La Roche AG (1996–2001); Secretary of the Board of Directors &
Legal Counsel Holcim Ltd (2001–2006); General Counsel & Corporate Secretary Hilti Aktien-
gesellschaft/Liechtenstein (2006–2011)); Partner bei Bratschi Wiederkehr & Buob AG seit 2011
und seit 2013 zusätzlich Office Manager; diverse Publikationen, Lehrtätigkeiten an den Univer-
sitäten St.Gallen und Zürich und Referate an Seminaren und internationalen Konferenzen zum
Thema Compliance, Governance oder Kartellrecht.
Hauptprozess Transaction
Management 49
Heiko Wendel

49.1 Das Management von Transaktionen

Der Begriff Transaktion ist naturgemäß nicht legal definiert, er umfasst in der
unternehmens-juristischen Praxis eine Vielzahl unterschiedlicher Vorgänge:

• Erwerb und Verkauf von Unternehmensanteilen (share deals);


• Erwerb und Verkauf von materiellen und immateriellen Unternehmensteilen
(asset deals);
• Vorgänge nach dem Umwandlungsrecht (Verschmelzen, Abspalten, Liquidation
von Unternehmen etc.);
• Emissionen von Finanzinstrumenten (beispielsweise Börsengang, Kapitalerhö-
hung, Aktiensplitting);
• das Begeben oder der Rückerwerb eigener Aktien und anderer handelbarer
Papiere;
• Bilden und Auflösen von Konsortien und Joint Ventures;
• Neuordnung der Konzernfinanzierung oder der Rechnungslegung;
• die Lancierung neuer Produkte oder Dienstleistungen.

Transaktionen weisen häufig einen Projektcharakter auf, sie haben einen sichtba-
ren Anfang und ein definiertes Ende. Zudem weisen sie eng vernetze Abläufe auf;
Ziel und Inhalt einer Transaktion können sich während ihrer Abarbeitung dennoch
ständig weiterentwickeln und verändern. So kann aus einem zunächst geplanten
share deal ein asset deal respektive aus einem zunächst verfolgten Joint Venture
ein Vollerwerb von Unternehmensanteilen werden. Die Veränderung des Projekt-
ziels hat in aller Regel umfangreiche Auswirkungen auf die rechtliche Begleitung

H. Wendel (*)
Rolls-Royce Power Systems AG, Friedrichtshafen, Deutschland
E-Mail: heiko.wendel@yahoo.de

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 697


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_49
698 H. Wendel

einer Transaktion. Je größer ein Unternehmen, desto größer sind auch die Anzahl
und die Vielfalt seiner Transaktionen. In sehr großen Unternehmen hat dieser
Umstand zur Folge, dass sich Unternehmensjuristen oder ganze Abteilungen auf
bestimmte Arten von Transaktionen spezialisiert haben. Die größte Abwechslung
an Transaktionen als Teil des Tagesgeschäfts dürften Unternehmensjuristen aber
wohl in internationalen Unternehmen mittlerer Größe erleben.

49.1.1 Transaction Management: Die Königsdisziplin der


Legal Operations

Führen und Begleiten der vom Unternehmen durchzuführenden Transaktionen


aller Art gehören zu den Königsdisziplinen der Legal Operations. Die dabei zu
erledigenden Aufgaben sind an Vielfalt und Komplexität kaum zu überbieten. Sie
fordern von den Legal Counsels nicht nur die ganze Bandbreite des rechtlichen
Wissens ab, sondern vor allem auch ihre Fähigkeiten und den Mut, sich gemein-
sam mit anderen Unternehmensverantwortlichen zeitgenau zu organisieren und
abzustimmen. Hier kann der Unternehmensjurist die Vorzüge seiner Funktion
gegenüber den außerhalb des Unternehmens tätigen Anwaltskollegen voll aus-
spielen: Er kennt das Unternehmen, seine Produkte und Dienstleistungen in- und
auswendig. Er kennt die internen Strukturen und auch die zugehörigen und verant-
wortlichen Fachbereiche sowie Personen sehr gut.

49.1.2 Der frühzeitige Einbezug der Legal Operations

Das „Management von Transaktionen“ bedeutet insoweit also vor allem kommu-
nizieren und organisieren. Daher muss die leider immer noch verbreitete Juris-
tenkrankheit bei der Mitwirkung an Transaktionen vollständig abgelegt werden.
Der Legal Counsel kann nicht einfach nur – wie so oft im Tagesgeschäft – eine
passive Rolle einnehmen und nur diejenigen Sachverhalte rechtsgutachterlich und
risikobasiert betrachten, welche er sich zuvor mundgerecht auf dem Schreibtisch
zurechtgelegt hat. Gleiches gilt für die typische Juristeneigenschaft, erkannte und
beurteilte Risiken im berühmt berüchtigten „Hätte-könnte-würde-Stil“ – ohne
klare Entscheidungsempfehlung – an den Auftraggeber zurückzuspielen. Vielmehr
muss der Legal Counsel gerade bei Transaktionen am Erreichen des angestrebten
Ziels und damit an der Erarbeitung des damit verbundenen Lebenssachverhalts
von Anfang an sehr aktiv mitwirken. Da die vorbeschriebenen Juristenkrankhei-
ten in den Unternehmen allseits bekannt sind und manche Führungskraft die Pas-
sivität und Unentschlossenheit ihrer Legal Counsels sogar ausnutzt, dürfen sich
diese auch nicht in eine solch passive Rolle zurückdrängen lassen. Vielmehr müs-
sen sie darauf bestehen, in allen zur Transaktion gehörenden Besprechungen und
im gesamten Informationsaustausch von Anfang an und umfassend einbezogen zu
werden.
49 Hauptprozess Transaction Management 699

49.2 Transaktionsspezifisches Contract Management

Unabhängig von der konkreten Transaktion nehmen Verträge aller Art eine ent-
scheidende Rolle im Transaction Management ein. Deshalb ist der Unterneh-
mensjurist bei diesen stets besonders mit seinen kautelarjuristischen Fähigkeiten
gefordert. Je nach Art der Transaktion müssen bereits sehr früh im Prozess die
Weichen für den später zu formulierenden Vertragstyp gestellt werden.

49.2.1 Vertragsmuster, Checklisten und Contract Handling

Erste Checklisten der während des Projektverlaufs relevant werdenden Prüfungs-


punkte sind mithilfe der aus der Literatur mannigfach vorhandenen Vertragsmus-
ter zu erstellen. Solche Vertragsmuster dienen als wichtige Orientierungshilfe und
erleichtern die Arbeit in aller Regel. Bei dieser Arbeit sollte man das Rad nicht neu
erfinden. Für Kreativität ist an anderen Stellen noch mehr als genug Raum. Das
sklavische Festhalten an der Struktur eines bestimmten Vertragsmusters ist jedoch
ebenso fehl am Platz. Zumal man bei den meisten Transaktionen Elemente aus ver-
schiedenen Vertragsarten benötigt. Somit hat der Unternehmensjurist gerade beim
Erstellen von transaktionsbezogenen Vertragsentwürfen anhand der konkreten
Umstände der jeweiligen Transaktion die richtige Mischung aus vielfach erprob-
ten Musterklauseln und eigenen Formulierungen zu finden. Die eigene Kreativität
sollte jedoch im Zweifel stets den Vorrang vor dem sklavischen Abarbeiten formu-
larmäßiger Vertragsmuster bekommen. Dies kann vom Legal Counsel durchaus
viel Mut abverlangen, weil er oft noch nicht ausgetretene Pfade betreten muss und
dabei vermeintliche Vertragsmuster, die ihm von einer beteiligten Partei als angeb-
licher Standard vorgeschlagen werden, auch mit eigenen Kreationen versehen oder
je nach Spezialität einer Transaktion das Muster als vollständig ungeeignet insge-
samt ablehnen muss.
Der Umgang mit den transaktionsrelevanten Vertragsinhalten endet aber nicht
mit der Unterzeichnung der Transaktionsverträge. Mindestens sind die vertraglich
vereinbarten Rechtsansprüche (Gewährleistungs- und Garantiekatalog, Haftungs-
regime etc.), deren Voraussetzungen und Verjährungsfristen im Blick zu behal-
ten. Dies gilt aber auch für vertraglich vereinbarte aufschiebende oder auflösende
Bedingungen und für eingeräumte Sicherheiten. Man kann die Sorge um und die
Erinnerung an diese Themen zwar auch an externe Berater abtreten. Externe Bera-
ter übernehmen diese Aufgaben aus Haftungsgründen aber nur sehr ungern. Zumal
diese in der Regel viel zu weit von der Organisation entfernt sind und deshalb
nicht rechtzeitig oder gar überhaupt keine Kenntnisse vertragsrelevanter Themen
erhalten.
Das Organisieren und sich Kümmern um relevante Vertragsthemen innerhalb
der eigenen Organisation und gegebenenfalls die Abstimmung mit externen
Experten ist und bleibt auch nach dem Inkrafttreten des Vertrags die ureigenste
Aufgabe des Legal Counsel. Er muss alle Kernpunkte, die nach Vertragsschluss
700 H. Wendel

weiterhin im Blick zu behalten sind, extrahiert und konzentriert zusammenfassen


und in den zuständigen Stellen bekannt machen, damit sich jede Stelle rechtzei-
tig mit ihm darüber austauschen kann. Typische Stellen, mit denen solche Aus-
tausche erfolgen müssen, sind die Finanzabteilung und das Controlling (siehe
dazu detailliert Kap. 40). Aber auch die Abteilungen Vertrieb und Einkauf sowie
Investor und Public Relations sind je nach dem konkreten Inhalt der relevanten
Vertragsklausel detailliert einzubeziehen.

49.2.2 Die Beraterauswahl

Trotz der notwendigen Anpassung jedes Vertrags an die jeweilige Transaktion


halten die meisten Kanzleien für viele Transaktionstypen erprobte und bewährte
Vertragsmuster bereit, die der Legal Counsel als Grundlage für die weitere Ver-
tragsgestaltung verwenden kann. Sofern man sich dazu entscheidet, die Hilfe
externer Rechtsexperten in Anspruch zu nehmen, gehört die Frage nach dem
Vorhandensein entsprechend geeigneter Vertragsvorlagen daher zu den ersten
Fragen, die bei der Auswahl des Rechtsberaters zu stellen sind. Ohne mindestens
kursorisch solche Vertragsmuster bei den in Betracht kommenden Kanzleien ein-
gesehen zu haben, kann eine Beauftragung sinnvollerweise nicht erfolgen. Diese
Arbeit darf man sich auch bei vermeintlich sehr großen und internationalen Kanz-
leien nicht sparen. Denn der externe Berater muss zum Unternehmen passen und
nicht umgekehrt. Also muss er auch solche Vertragsmuster vorhalten, die für
das Kundenunternehmen als brauchbar zu bezeichnen sind. Anhand der Auswahl
der zur Einsicht übermittelten Vorlagen erkennt man zudem sehr schnell, ob der
Ansprechpartner der Kanzlei das Thema aufgenommen und verstanden hat und
die Kanzlei tatsächlich über die konkret benötigte Expertise verfügt. Ein erfolg-
reiches Vertragsmanagement bei Transaktionen hängt also ganz wesentlich mit der
Auswahl der richtigen Kanzlei zusammen (siehe dazu detailliert Kap. 19). Auch
die Eignung von Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern, die zum Beispiel bei
M&A-Transaktionen eine sehr wichtige Rolle spielen, kann man an deren Zur-
verfügungstellung geeigneter Unterlagen erkennen.

49.3 M&A-Transaktionen und Due-Diligence-Prüfungen

Die Führung und Begleitung von M&A-Transaktionen gehören für die meisten
Legal Counsels heute zum Standardrepertoire. Die zentralen Weichenstellungen
bei einer M&A-Transaktion stellen die Durchführung einer „Due Diligence“ und
die nachfolgenden Vertragsverhandlungen dar. An diesem Punkt sind die Unter-
nehmensjuristen ganz besonders gefordert. Sowohl als Sachbearbeiter als auch als
Manager. Denn in der Regel benötigt man für die erfolgreiche Durchführung einer
M&A-Transaktion die Hilfe externer Experten, und es ist Aufgabe des Unterneh-
mensjuristen, jedenfalls die externen Rechts- und Steuerexperten zu managen.
49 Hauptprozess Transaction Management 701

49.3.1 Das Management externer Berater

Die Beschäftigung mit dem Einbezug externer Experten muss zu einem sehr frü-
hen Zeitpunkt des Transaktionsprojekts erfolgen, idealerweise sofort nachdem der
Legal Counsel die ersten Informationen zum Projekt ausgewertet hat. Dies zum
einen, weil es Zeit braucht, die richtigen Experten für das jeweilige Projekt zu fin-
den: Bei der Auswahl sind nicht nur fachliche und kapazitative Kriterien heranzu-
ziehen. Es ist auch zu prüfen und einzuschätzen, ob und wie gut die Mitarbeiter
der externen Berater mit den intern handelnden Personen zusammenpassen. Das
Einbinden neuer Berater in eine Transaktion kann aber auch deshalb längere Zeit
in Anspruch nehmen, weil die zunächst bevorzugte Beratungsgesellschaft auf-
grund eines möglichen Interessenkonflikts plötzlich nicht mehr mitwirken darf.
Eine andere – mit dem Unternehmen bislang nicht vertraute – Beratungsgesell-
schaft oder Kanzlei muss sich dann nicht nur mit den Transaktionsdetails, sondern
erst einmal auch mit ihren eigenen Kapazitäten auf das Transaktionsprojekt ein-
stellen. Schließlich muss sie das Unternehmen und die handelnden Personen erst
einmal kennenlernen, was in der Praxis oft einiges an Zeit in Anspruch nimmt.
Ist der General Counsel aufseiten des übernehmenden Unternehmens tätig, hat
er von Anfang an die wichtige Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich das Unterneh-
men nur so weit rechtlich bindet, wie dies von der Geschäftsleitung ausdrücklich
gewünscht ist. Deshalb muss er die Geschäftsleitung rechtzeitig über den recht-
lichen Grad der jeweiligen Bindungswirkung einer Erklärung oder Maßnahme
informieren. Dies setzt voraus, dass er immer über den aktuellsten Stand der
Transaktion informiert ist. Der Legal Counsel muss insbesondere verhindern,
dass das Unternehmen zu früh rechtlich bindende Zusagen macht, die im Falle
des Scheiterns des Erwerbs zu einem Schadensersatzanspruch führen könnten.
Dabei darf er allerdings nicht zu ängstlich agieren, weil er dadurch seine eigene
Position im Projektteam gefährden könnte. Er benötigt somit zwingend das not-
wendige Gespür für das richtige Maß seiner eigenen Beratung.

49.3.2 Das Beraterbriefing

Das Briefing neuer Rechts- und Steuerberater gehört zu den Aufgaben des Unter-
nehmensjuristen. Der Umfang der Informationen muss nicht nur die konkrete
Transaktion umfassen, sondern ebenso alle notwendigen Details des eigenen
Unternehmens beinhalten. Hierzu gehören die Darstellung der gesellschaftsrecht-
lichen Organisation und der internen Strukturen (Wer macht was, wer ist wofür
verantwortlich?) sowie die Beschreibung des operativen Geschäfts. Natürlich
haben heute alle Unternehmen viele eigene Informationen ins Internet gestellt.
Diese reichen für die richtige Beratung der konkreten Transaktion jedoch meist
nicht aus. Es ist zudem nicht davon auszugehen, dass externe Berater immer
702 H. Wendel

s­ämtliche öffentlich zugänglichen Informationen kennen. Insbesondere sind


die mit der Transaktion bezweckten Zielsetzungen und die mit ihr verbundenen
Motivationen sowie Informationen zur aktuellen rechtlichen Beschlusslage an
­
die Berater zu kommunizieren. Hierzu gehören zum Beispiel auch Informationen
hinsichtlich der bislang im Unternehmen bekannten wirtschaftlichen Auswirkun-
gen der Transaktion auf das Unternehmen sowie auf die künftige Organisation und
die Strategie des Unternehmens (Wie könnte sich das Unternehmen durch die
Transak­tion verändern? Wer profitiert davon und wer verliert?). Dabei sind stets
größtmögliche Transparenz und Offenheit gegenüber den Beratern geboten. Nur
dann kann man eine erfolgreiche Beratung erwarten und sicherstellen.

49.3.3 Typischer Ablauf einer M&A-Transaktion

Die einzelnen Prozessschritte einer M&A-Transaktion folgen zwar in einer logi-


schen Reihenfolge. Manche Schritte, wie zum Beispiel die Abgabe eines ver-
bindlichen Übernahmeangebots, erfolgen je nach Verlauf des konkreten Projekts
aber an einer anderen Stelle des Prozesses. Nachfolgend wird daher ein typischer
Prozessablauf einer M&A-Transaktion (hier am Beispiel eines außerbörslichen
Unternehmenserwerbs als share deal) dargestellt:

• Sichtung und Bewertung des Verkaufsprospekts (Teaser);


• erste unverbindliche Gespräche zwischen Verkäufer und Käufer;
• Abschluss einer Vertraulichkeitsvereinbarung („Non-Disclosure Agreement
[NDA]“ oder eines „Confidentiality Agreement [CA]“);
• Abschluss eines „Memorandum Of Unterstanding (MOU)“;
• Abgabe eines rechtlich unverbindlichen Kaufangebots;
• Vereinbarung der Due-Diligence-Inhalte mit dem Management des Zielobjekts;
• Durchführung der einzelnen Due-Diligence-Prüfungen;
• Vorbereitung der kartellrechtlich notwendigen Prüfungen;
• Abgabe eines verbindlichen Kaufpreisangebots (gegebenenfalls mit Bedingun-
gen);
• Vertragsverhandlungen;
• Signing (Abschluss des Kaufvertrages mit allen zugehörigen sonstigen Abreden –
gegebenenfalls mit aufschiebenden und auflösenden Bedingungen);
• Closing (Zahlung des Kaufpreises und Erledigung aller notwendigen gesell-
schaftsrechtlichen und registerrechtlichen Übertragungsakte sowie Anforde­
rungen);
• Auflösung gegebener Sicherheiten und Rückbehalte nach Zeitablauf.
49 Hauptprozess Transaction Management 703

49.3.4 Due Diligence-Prüfungen zur Minderung der


Haftungsrisiken

Due-Diligence-Prüfungen1 können je nach Ziel der beabsichtigten Transaktion sehr


verschiedene Umfänge und Inhalte aufweisen. Bei einem share deal ist der Prüfungs-
aufwand in der Regel größer als bei einem asset deal. Dies ist insbesondere dann der
Fall, wenn nicht nur einzelne Maschinen, Grundstücke oder der Inhalt eines Warenla-
gers, sondern auch Teile des damit verbundenen Geschäfts mit erworben werden sol-
len. Es müssen daher folgende praktischen Umfeldbedingungen vor und während
Due-Diligence-Prüfungen in Betracht gezogen werden. Das Zielunternehmen hat
regelmäßig große Schwierigkeiten damit, sich in der vom Interessenten gewünschten
Offenheit zu zeigen und alle geforderten Unterlagen und Informationen offenzulegen.
Das gilt auch dann, wenn ein sehr strenges Confidentiality Agreement existiert. Ande-
rerseits macht die Due Diligence Prüfung für den Interessenten nur dann Sinn, wenn
das Zielobjekt seine Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse vollständig offenlegt. Die
Schwierigkeiten sind umso größer, wenn es sich beim Interessenten um einen Konkur-
renten des Zielunternehmens handelt. Das richtig formulierte Confidentiality Agree-
ment gibt hier zwar formal Schutz, dennoch kann man es naturgemäß nicht verhindern,
dass die an der Due Diligence beteiligten Mitarbeiter des Interessenten ihr Wissen im
Falle eines Abbruchs des Projekts nicht wieder aus ihren Köpfen löschen können.
Es bietet sich daher eine gestufte Offenlegung der Unternehmensinformationen
an. Die Informationen werden dabei von Stufe zu Stufe konkreter. So entsteht ein
Dialog und das Vertrauen zwischen den Beteiligten wächst stetig. Die Unterneh-
mensjuristen beider Seiten haben in diesem Stadium des Projekts die Aufgabe, die
Inhalte der jeweiligen Stufe kritisch, aber konstruktiv mitzugestalten. Oft müssen
sie dabei eine vermittelnde Rolle einnehmen, damit das Projekt von diesem Punkt
aus konstruktiv fortgesetzt wird. Dieses Vorgehen sollte auch die Verkäuferseite
stets akzeptieren; insbesondere dann, wenn es sich um einen strategischen Interes-
senten handelt. Bei reinen Finanzinvestoren kann die Gefahr des Missbrauchs der
offen gelegten Informationen hingegen in den Hintergrund treten.

49.3.5 Inhalte und Formen von Due-Diligence-Prüfungen

Es ist der Verkäuferseite freigestellt, wie sie die zu prüfenden Due-Diligence-Do-


kumente und Informationen zur Einsichtnahme zur Verfügung stellt. Sowohl
Papierform als auch der elektronische Datenraum haben ihre Berechtigung.
Wichtig ist dabei zum einen, die Einsicht von Dokumenten und Daten, gestuft
nach selbst zu wählenden Prioritäten, auch im jeweiligen Original zu verlangen

1Eine Due Diligence besteht aus der Prüfung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
des oder der Zielobjekte sowie der beim Zielobjekt vorhandenen kaufmännischen, technischen
und rechtlichen Risiken. Bei richtiger Vorgehensweise beinhaltet sie auch die Eruierung jeweils
vorhandener Chancen.
704 H. Wendel

und zum anderen, überhaupt genügend Zeit zur Durchsicht zu erhalten. Macht
die Verkäuferseite an dieser Stelle auffallend viel Druck und führt gegebenenfalls
Kostengründe hierfür an, dann sind diese zumeist vorgeschoben und sie hat viel-
mehr etwas zu verbergen.
Die wichtige Arbeit des Unternehmensjuristen bei der Durchführung einer
Due-Diligence-Prüfung besteht darin, alle Punkte zu erkennen, die aus recht-
licher Sicht konkret prüfungsrelevant sind. Er benötigt also den Blick für das
richtige Maß und die richtigen Schwerpunkte beziehungsweise die konkret rele-
vanten Risikofelder aufseiten des Zielobjekts. Dazu müssen bereits zu Beginn
des Projekts möglichst viele Detailinformationen über das Zielobjekt in Erfah-
rung gebracht werden. Typische Informationsquellen sind neben dem hoffentlich
vorhandenen Werbeprospekt (teaser) alle öffentlich zugänglichen Quellen, ein-
schließlich der jüngsten Bilanzen und Unternehmensabschlüsse. Üblicherweise
sammelt die Käuferseite alle sie interessierenden Prüfungsthemen und Fragen in
einer sogenannten Due-Diligence-Liste, deren Inhalt sie im weiteren Prüfungspro-
zess strukturiert abarbeitet. In der Literatur existieren unzählige Checklisten mit
empfohlenen Prüfungsinhalten, die als erste Orientierungshilfe sicherlich sinn-
voll sind. Anpassungsaufwand besteht allerdings bei jeder Transaktion. Die für
die konkrete Transaktion erforderliche finale Liste muss rechtzeitig fertig gestellt
sein und sie muss in jedem Fall schnellstmöglich mit dem Zielobjekt geteilt wer-
den, damit es die benötigten und meist sehr umfangreichen Informationen und
Antworten rasch zusammenstellen kann. Der zeitliche Aufwand hierfür beträgt oft
mehrere Wochen. Die Formulierungen und Fragen in der Liste sind daher so zu
wählen, dass auch die Empfänger sie möglichst leicht verstehen können. Mithin
besteht eine Due-Diligence-Liste bei weitem nicht nur aus rechtlichen Prüfungs-
punkten. Vielmehr enthält sie mindestens genauso viele wirtschaftliche und techni-
sche Prüfungspunkte und Fragen, die von anderen Fachbereichen eingefügt und
später gewürdigt werden müssen.
Das Erstellen der finalen Due-Diligence-Liste ist also eine essenzielle Teamar-
beit der verschiedenen Fachbereiche. Passgenau wird eine Liste dadurch, dass man
alle zum Zielobjekt vorliegenden Informationen sichtet und diese streng daraufhin
prüft, ob sich aus einer der vorhandenen Informationen das Zielobjekt betreffend
prüfungswürdige Inhalte ergeben, die mit geeigneten Dokumenten und Fragen
geklärt werden müssen. Eine Due-Diligence-Liste ist somit eine „lebende“ Liste
und kann sich im Laufe der Projektdurchführung entsprechend ändern. Je mehr
man über das Zielobjekt erfährt, desto mehr Fragen können sich stellen. Ebenso
gut können im Projektverlauf aber auch bislang gelistete Themen wegfallen, weil
sie im konkreten Projekt als nicht (mehr) relevant erkannt worden sind. Wichtig
dabei ist jedoch, die Gründe für den Wegfall von Prüfungspunkten stets und unver-
züglich zu dokumentieren.
Naturgemäß dürfen heutzutage Compliance-Themen in keiner Due-Diligen-
ce-Liste fehlen (siehe dazu auch Kap. 54): Gibt es ein Compliance Management
System? Welche Compliance-Felder werden damit auf welche Art und Weise
abgedeckt? Welche Compliance-Vorfälle gab es in den vergangenen Jahren und
wie wurden diese jeweils bearbeitet? All diese notwendigen Fragen sind längst
49 Hauptprozess Transaction Management 705

nicht alle hinreichenden Prüfungspunkte. Mit weiteren Fragen und schriftlichen


Nachweisen sind darüber hinaus auch die Qualität des Risikomanagements und
die Wirksamkeit der tatsächlich implementierten Compliance-Maßnahmen zu
hinterfragen. Je nach Größe und Branche des Zielobjekts muss für eine effiziente
Bearbeitung gegebenenfalls eine gesonderte „Compliance Due Diligence“-Liste
erstellt werden. Diese dient der Übersichtlichkeit und hilft, Rechts- und Compli-
ance-Themen an den richtigen Stellen voneinander abzugrenzen und vermeidet
damit doppelte Arbeit.
Einen wichtigen Teil jeder Due-Diligence-Prüfung stellen sodann Gesprä-
che mit dem Management und den relevanten Führungskräften beim Zielob-
jekt dar. Meist finden sie entweder parallel zur Dokumentensichtung oder aber, je
nach Stand des Prozesses, im unmittelbarem Anschluss daran statt. Eine logische
Reihenfolge existiert hier nicht. So, wie man die Dokumente als Grundlage für
sinnvolle Fragen betrachten kann, muss man umgekehrt die Dokumentinhalte zur
Bestätigung der im Gespräch erhaltenen Aussagen nachträglich heranziehen. Die
aus Käufersicht zu stellenden Fragen ergeben sich außerdem nur zum Teil aus den
Erkenntnissen der bereits zuvor gesichteten Dokumente. Beide Seiten werden ihre
mit der Transaktion verfolgten Ziele ohnehin nur dann erreichen und nachträgli-
cher Streit ist ohnehin nur dann zu vermeiden, wenn sich alle Beteiligten bis zum
Schluss flexibel zeigen; also auch mehrere Fragerunden zu unterschiedlichen Zeit-
punkten des Prozesses zulassen. Jedenfalls muss man die Management-Gesprä-
che explizit und ausführlich vorbereiten und für eine vollständige Dokumentation
der Gesprächsinhalte sorgen; hierbei sind externe Experten sehr hilfreich.
Am Ende einer Due-Diligence-Prüfung steht ein aussagefähiger „Due Dili-
gence-Bericht“, der die Grundlage für die Entscheidung über das weitere Vor-
gehen und letztlich auch über die Höhe des angebotenen Kaufpreises bildet. Da
der Bericht zudem noch jahrelang Relevanzen entfalten kann, ist der Maßstab an
die Sorgfalt seiner Erstellung nicht hoch genug anzusetzen. Bei der Erstellung des
Berichts ist sowohl auf die Darstellung aller Fakten als auch auf eine sehr klare
Sprache zu achten. Es müssen auch diejenigen Themen, die nicht hinreichend
geprüft werden konnten, und die Fragen, die nicht hinreichend beantwortet wur-
den, im Bericht klar benannt werden. Der Legal Counsel muss in seinem Bericht
zudem eine klare Empfehlung für das weitere Vorgehen abgeben. Sonst kann das
Management mit seinem Bericht nichts anfangen. Dabei kann er selbstverständlich
auch seine Bedingungen nennen, unter denen die nächsten Schritte erfolgen sollen.
Wichtig ist dabei jedoch stets, dass er sich beim Verfassen des Berichts mit dem an
der Universität erlernten „Gutachtenstil“ merklich zurückhält und stattdessen den
„Urteilsstil“ verwendet.

Zusammenfassende Überlegungen zur Durchführung einer Due-Diligence-­


Prüfung:
• alle Maßnahmen unterlassen, die das Risiko einer zu frühen rechtlichen
Bindungswirkung bezüglich einer Erwerbspflicht in sich tragen;
706 H. Wendel

• rechtliche Bindungswirkung bezüglich der Vertraulichkeit frühzeitig


sicherstellen;
• gegenseitige Glaubwürdigkeit und wechselseitiges Vertrauen entwickeln;
• auf das Zielobjekt angepasste ausführliche Due-Diligence-Liste mit allen
relevanten Prüfungsthemen (einschließlich des Themas Compliance) im
Team ausarbeiten und frühzeitig an Zielobjekt senden;
• gestufte Offenlegung von Dokumenten und Informationen je nach Fort-
schritt der Annäherung vorsehen beziehungsweise akzeptieren;
• Management-Gespräche anhand bereits gewonnener Erkenntnissen
detailliert vorbereiten und Gesprächsergebnisse anhand vorgelegter Doku-
mente verifizieren;
• rechtlicher Due-Diligence-Bericht mit klaren und eindeutigen Entschei-
dungsempfehlungen zum weiteren Vorgehen versehen.

49.3.6 Die Gestaltung des M&A-Vertrags

49.3.6.1 Der Vertragsentwurf
Gleichgültig, ob der Legal Counsel aufseiten des Interessenten oder des Zielob-
jekts tätig ist, muss er den ersten Vertragsentwurf möglichst frühzeitig erstel-
len. Diejenige Partei, die hier den ersten Schritt macht und der Gegenseite ihren
Entwurf zuerst vorlegt, kann den weiteren Projektverlauf aktiver mitgestalten und
besser beeinflussen und verschafft sich dadurch Vorteile bei den späteren Ver-
tragsverhandlungen (siehe dazu detailliert Kap. 32). Bei einem Ausschreibungs-
verfahren ist es in der Praxis zumeist die Verkäuferseite, die den ersten Entwurf
vorlegt. Sie hat schlichtweg mehr Zeit zur Vorbereitung und ist auch in der ersten
Phase der Transaktion regelmäßig die aktivere Partei. Hierbei darf sich der Unter-
nehmensjurist zwar einer der zahlreich vorhandenen Musterentwürfe bedienen.
Bevor er diesen Entwurf jedoch der Gegenseite vorlegt, muss er ihn mit den bis
dahin vorliegenden konkreten Projektinformationen versehen. Die Übersendung
eines lediglich allgemein gehaltenen Vertragsmusters ist Gift für den Erfolg der
Transaktion, weil der Empfänger dann zu Recht den Eindruck gewinnt, die Gegen-
seite verfolge kein wirklich ernsthaftes Interesse.

49.3.6.2 Zentrale Vertragsinhalte
In jedem M&A-Vertrag sind passgenau die Themenpakete betreffend Art und
Weise des Anteilsübergangs und der Zahlungsmodalitäten, der Gewährleis-
tungs-, Garantiekataloge und Haftungsumfänge sowie der Rechtswahl und des
Gerichtsstands zu formulieren und detailliert zu verhandeln. Ab und zu erlebt
man, dass Transaktionen aufgrund der Uneinigkeit der Parteien über einen der
vorgenannten Punkte scheitern. Die nachfolgenden Ausführungen geben daher
praktische Überlegungen zu denkbaren Regelungsmöglichkeiten wieder. Der Fan-
tasie sind in der Praxis insoweit fast keine Grenzen gesetzt, hier können die Legal
Counsels ihre Kreativität vollständig einbringen.
49 Hauptprozess Transaction Management 707

49.3.6.3 Anteilsübergang und Zahlungsmodalitäten


Wenn man Vereinbarungen zu Eigentumswechsel und Kaufpreiszahlung treffen
möchte, dann stößt man unabhängig von Größe und Charakter der beteiligten Par-
teien stets auf das wiederkehrende und scheinbar unauflösbare Grundproblem, wie
man beiden Seiten gleichermaßen Rechtssicherheit verschaffen kann. Der Ver-
käufer möchte seine Eigentümerstellung erst dann verlieren, wenn er den verein-
barten Kaufpreis erhalten hat. Umgekehrt möchte der Käufer den Kaufpreis erst
dann bezahlen, wenn sein Eigentumserwerb gesichert ist. Da Geschäftsanteile
oder Aktien heute längst nicht mehr auf physische Weise den Eigentümer wech-
seln und Kaufpreise weder bar noch mit Scheck, sondern elektronisch bezahlt
werden, müssen Regelungen vereinbart werden, die beiden Seiten die notwen-
dige Rechtssicherheit verschaffen. Die hierbei rechtlich sicherste Methode ist die
Vereinbarung eines neutralen und von allen Seiten mit den entsprechenden Voll-
machten ausgestatteten Treuhänders, der alle Übertragungsvoraussetzungen
überwacht, gegebenenfalls notwendige Umschreibungen vornimmt und der auch
für den punktgenauen Transfer des Geldes sorgt. Möchte man sich den oft teuren
Treuhänder jedoch sparen, dann bleibt nur, sich einen praktikablen Mechanismus
zu überlegen, der auch die beteiligten Banken und Register mit einbezieht.
Die einzelnen Prozessschritte eines solchen Transfermechanismus bedürfen
einerseits eines sehr hohen Dokumentationsaufwands, andererseits müssen sie
nach einer äußerst strengen Struktur erdacht und ebenso stringent durchgeführt
werden. Nicht zuletzt bedarf es für einen erfolgreichen Transfer eines sehr ver-
trauensvollen Zusammenwirkens der handelnden Personen auf beiden Seiten.
Sofern nach langen aber erfolgreichen Verhandlungen zwischen signing und clo-
sing plötzlich Schwierigkeiten auftreten, sind diese in der Regel nicht durch das
Androhen oder Wahrmachen der Geltendmachung von Rechtsansprüchen und
mithilfe rechtlicher Argumentationsschlachten aus der Welt zu schaffen, sondern
nur durch ein enges und authentisch vertrauensvolles Zusammenarbeiten. Gerade
hier kann der Legal Counsel sehr hilfreich sein, wenn er es im Verlauf des Pro-
jekts geschafft hat, sich bei der Gegenseite dieses Vertrauen zu erwerben. Neben
dem Beherrschen der vielfältigen rechtstechnischen Anforderungen hat der Unter-
nehmensjurist also auch die Aufgabe, eine Vertrauensstellung einzunehmen, die
es ihm ermöglicht, bei der Gegenseite jederzeit glaubwürdig aufzutreten und auf
diese Weise deeskalierend zu wirken.
Insbesondere bei mittelständischen Zielunternehmen möchten die Käufer
das Wissen und die Erfahrungen, welche im übernommenen Unternehmen liegen,
auch nach der Transaktion noch für einen gewissen Zeitraum nutzen, die Know-
how-Träger also auch weiterhin im erworbenen Unternehmen halten. Dazu ver-
einbaren die Vertragsparteien nicht selten eine sogenannte earn-out-Klausel, nach
der die Eigentümer des übernommenen Unternehmens einen Teil des Kaufpreises
erst nach Ablauf einer gewissen Zeit oder gestaffelt respektive erst nach Eintritt
bestimmter Parameter erhalten. Jeder Legal Counsel muss sich mit den vielfältigen
Konstruktionsmöglichkeiten einer solchen Klausel beschäftigen, weil sie an Kom-
plexität kaum zu überbieten ist. Kaufleute und Controller bringen den Unterneh-
mensjuristen gerade bei der Formulierung dieser Klausel regelmäßig zur Weißglut,
708 H. Wendel

weil sie es schaffen, die Klausel finanztechnisch und buchhalterisch so komplex


auszugestalten, dass sie am Ende nicht mehr rechtssicher umgesetzt werden kann.
Der Unternehmensjurist hat hier die wichtige Aufgabe, eine Lösung zu formulie-
ren, die allen beteiligten Parteien gerecht wird.
Bei einem asset deal bereitet der Erwerb von Immobilien oder der Transfer von
GmbH-Anteilen aufgrund der zwingenden Einbindung eines Notars die gerings-
ten Schwierigkeiten (siehe dazu detailliert Kap. 21). Je nach anzuwendender
Rechtsordnung kann es aber beispielsweise notwendig sein, die Eigentümerstel-
lung entweder aller oder aber bestimmter Arten von mobilen Vermögensgegen-
ständen (beispielsweise Maschinen) in Register eintragen zu lassen. Auch hierzu
ist regelmäßig die Mitwirkung beider Seiten erforderlich. Mit entsprechend kla-
ren Vertragspflichten kann man die nach Vertragsschluss entstehenden Probleme
sicher vermeiden. Sofern der Eigentümerwechsel hingegen ohne Notar und Treu-
händer erfolgt, aber dennoch durch eine anderweitig gesetzlich verlangte Doku-
mentation zu belegen ist, wird die Verkäuferseite die von ihr vorzunehmende
Unterzeichnung und die Herausgabe der notwendigen Dokumente nur unter der
Bedingung des Kaufpreiseingangs auf ihrem Konto leisten. Es bleibt den Parteien
dann in den meisten Fällen nichts anderes übrig, als sich zum closing, also zum
Fälligkeitszeitpunkt der Kaufpreiszahlung, physisch zu treffen und gemeinsam
die bankseitigen Bestätigungen der Kaufpreisgutschrift auf den Verkäuferkonten
abzuwarten. Direkt danach können die notwendigen Dokumente übergeben wer-
den. In diesem Fall muss die Käuferseite darauf achten, dass sie ihre Bank zwar
rechtzeitig, aber erst dann dazu veranlasst, den Kaufpreis auszuzahlen, wenn sie
sicher sein kann, die notwendigen Dokumente vollständig erhalten zu haben.
Legal Counsels beider Seiten müssen diesen Prozessschritt also entsprechend pla-
nen und derjenige der Käuferseite muss die Vollständigkeit der Dokumentation
vorab geprüft haben. Da das Kontoclearing der Bankkonten normalerweise erst
über Nacht erfolgt, der Geldeingang auf den Verkäuferkonten also erst am Tag
nach der erfolgten Anweisung sichtbar wird, muss die Prüfung und Sicherstellung
des Vorliegens aller notwendigen Erwerbsdokumentationen zeitlich gesehen vor
der Zahlungsanweisung erfolgt sein. Ist das Geld erst einmal angewiesen, dann ist
ein Anhalten oder Zurückholen kaum mehr möglich.
Mit entsprechender Vorbereitung und Abstimmung mit den beteiligten Ban-
ken kann es ausnahmsweise trotzdem gelingen, das Geld untertägig und mit nur
kurzem zeitlichem Verzug zu transferieren. Doch auch in diesem Fall muss man
zeitlich vor der Zahlungsanweisung sicherstellen, dass alle zum Eigentümerwech-
sel notwendigen Voraussetzungen geschaffen sind. Dies gilt auch für den Eintritt
gesetzlich zwingender oder vertraglich vereinbarter aufschiebender Bedingun-
gen wie beispielsweise der Freigabe durch betroffene Kartellbehörden oder das
Vorliegen bestimmter behördlicher oder umwelt- oder zertifizierungstechni-
scher Freigaben und Bestätigungen. Im Regelfall erstellen die Parteien gemein-
sam eine Checkliste, die als Anlage dem Kaufvertrag beigefügt werden sollte. Mit
dieser stellen die Parteien beim closing ausdrücklich das Vorliegen jeder einzelnen
zur Rechtswirksamkeit der Transaktion notwendigen Voraussetzung und Bedin-
gung fest und bestätigen diese schriftlich.
49 Hauptprozess Transaction Management 709

49.3.6.4 Gewährleistung, Garantie, Haftungsumfänge und


Sicherheiten
Das deutsche Zivilrecht hält, wie wohl die meisten Rechtsordnungen, für den
Erwerb von Unternehmen keine spezifischen gesetzlichen Regelungen vor. So muss
man sich bei der notwendigen Gestaltung von Gewährleistungen, Garantien und
Haftungsumfängen zwar an den einschlägigen gesetzlichen Grundsätzen orientie-
ren, ist aber bei der Ausgestaltung der konkreten Inhalte auf die im Büchermarkt
und bei Kanzleien zahlreich vorrätigen Mustervorschläge sowie letztlich auf die
eigene Kreativität angewiesen. Deshalb hat sich international die Strukturierung
und Durchführung von M&A-Transaktionen und also auch die Gestaltung der zuge-
hörigen Verträge nach den anglo-amerikanischen Vorbildern etabliert. Zumindest
sind einige Teile dieser Vertragskonstruktionen heute auch zum internationalen
Standard in Transaktionsverträgen geworden. Dies gilt vor allem für die Ausgestal-
tung des Gewährleistungs- und Garantiekatalogs sowie für das Haftungsregime.
Der kontinentaleuropäische Unternehmensjurist muss bei der Formulierung
der vertraglichen Regelungen immer das nationale Recht im Hinterkopf behalten,
um nicht Regelungen zu formulieren, die sich bereits aus dem gesetzten Recht
ergeben. Entscheidend ist das richtige Maß an Regelungen. Hierfür trägt der
Legal Counsel die Verantwortung. Kanzleien, insbesondere solche mit englischer
und US-amerikanischer Herkunft, neigen dazu, ihre anglo-amerikanischen Ver-
tragsmuster auch im europäischen Rechtsraum anzubieten. Hiergegen sollte sich
der Legal Counsel von Anfang an zur Wehr setzen, sofern es keine zwingenden
Gründe gibt, diese doch anzuwenden. Die Zeit, die man benötigt, um ein solches
Vertragsmuster an kontinentaleuropäische Verhältnisse anzupassen, verwendet
man besser darauf, einen völlig neuen und passgenauen Vertragsentwurf zu erstel-
len. Diese anfänglichen Schwierigkeiten stellen sich für den Kontinentaleuropäer
spätestens bei den Vertragsverhandlungen als wichtiger Vorteil heraus, weil der
Vertrag auf das Wesentliche reduziert ist und Verträge immer so gestaltet sein soll-
ten, dass sie von den nationalen Gerichten ausgelegt werden können. Bei interna-
tionalen Transaktionen außerhalb des kontinentaleuropäischen Rechts muss man
dagegen wieder auf die anglo-amerikanischen Vertragsstrukturen zurückgreifen.
Der Vereinbarung genügend langer Fristen kommt ebenfalls eine bedeutsame
Rolle zu. Der Käufer muss besonders darauf achten, eine ausreichend lange Zeit
für die Geltendmachung von Sach- und Rechtsmängeln vorzubehalten. Gege-
benenfalls sind unterschiedlich lange Fristen je nach dem Inhalt der spezifischen
Garantie zu vereinbaren. Hier ist der Legal Counsel nur dann hilfreich, wenn er
alle Teile der Due-Diligence-Prüfung selbst miterlebt und zudem die geschäft­
lichen Risiken des Zielunternehmens sehr gut kennengelernt hat. Denn nur dann
weiß er, für welche Zeiträume die Verkäuferseite bereit ist, Gewährleistungen und
Garantien zu übernehmen. Die Verkäuferseite wird dagegen sehr bemüht sein, ihre
Haftung in zeitlicher Hinsicht weitestgehend zu reduzieren. Die in der Fachlitera-
tur vorhandenen Musterklauseln bieten ausreichende Anhaltspunkte für die Erstel-
lung eines sinnvollen Garantiekatalogs.
710 H. Wendel

In der Praxis haben sich Vereinbarungen von Mindest-und Höchstgrenzen für


geltend zu machende Schadensersatzansprüche sowie bestimmte Mindest-
schwellen für quantifizierbare Schadenshöhen durchgesetzt. Man kann auch
den Eintritt oder den Nichteintritt bestimmter Ereignisse oder Umstände klar als
ersatzpflichtigen Mangel definieren und daraus die hieraus folgenden und betrags-
mäßigen Schadenshöhen im Transaktionsvertrag regeln. Zudem kann auch eine
befristete Zurückhaltung eines Kaufpreisteils, entweder neben oder anstatt dem
Begeben von Bürgschaften und Patronatserklärungen, als Sicherheit für ein-
getretene Schäden vereinbart werden. Die Überlegungen zu den Garantie- und
Haftungsumfängen können jedoch noch viel weiter reichen. Jede Rechtsordnung
knüpft an den rechtswirksamen Eigentumsübergang von Unternehmens(an)teilen
eigene Voraussetzungen. Oft sind hierzu jenseits von Beurkundungserfordernissen
bestimmte weitere lokalgesetzliche Formalitäten zu beachten, zu deren Erfüllung
die Mitwirkung beider Seiten notwendig ist. Diese aktive Mitwirkung beider Sei-
ten an solchen Übertragungsakten, beispielsweise das Mitteilen der notwendigen
Informationen oder das einvernehmliche Ausfüllen, Unterzeichnen und Einreichen
der erforderlichen Dokumente, darf im Kaufvertrag nicht nur als reine Obliegen-
heit im Sinne einer „Bemühensklausel“, sondern muss als echte und verschul-
densunabhängig sanktionsfähige Vertragspflicht geregelt sein.

49.3.6.5 Rechtswahl und Gerichtsstand


Von der Wahl des anzuwendenden Rechts hängt sehr viel ab. Kommen die Par-
teien aus verschiedenen Staaten, muss man sich bereits zu Beginn des Projekts
ausführlich darüber Gedanken machen, welches Recht man dem späteren Vertrag
letztlich unterlegt. Sind auf einer Seite überdies Privatpersonen beteiligt oder wer-
den Immobilien mitverkauft, dann sind die Freiheiten hinsichtlich der Rechtswahl
ohnehin deutlich eingeschränkt. Aus praktischer Sicht ist es sinnvoll, das Recht
desjenigen Staates als anwendbares Recht zu vereinbaren, in dem das Zielobjekt
seinen Hauptsitz hat. Auch wenn es immer Ausnahmen geben mag, weshalb man
sich für das Recht eines anderen Landes entscheiden sollte, wird der Käufer sich
jedenfalls in aller Regel mit der Anwendung seines Rechts nicht durchsetzen kön-
nen. Argumentative Luftsprünge der Käuferseite, es dennoch zu versuchen, sind
zumeist ein überflüssiger Kraftaufwand und dienen höchstens dazu, der Gegen-
seite an anderer Stelle etwas abzuringen. Seine Kraft sollte man stattdessen viel-
mehr in das Finden der passenden lokalen Berater und in die Abstimmung mit
diesen investieren.
Können sich die Parteien nicht auf das Recht einer der beiden Seiten einigen
und droht die Transaktion deshalb zu scheitern, dann versuchen die Beteiligten
nicht selten, als Ausweg den Kompromiss in einem vermeintlich „neutralen“
Recht zu suchen. Damit wird der Versuch unternommen, eine Art Waffengleich-
heit herzustellen, weil sich keine der Parteien hinreichend gut damit auskennt. So
wird am Ende tatsächlich häufig das Schweizer Recht als Vertragsrecht verein-
bart. Solche Kompromisse taugen jedoch bei Lichte betrachtet nicht. Zum einen
erhöht sich dadurch der Beratungsaufwand noch weiter, weil man in diesem Fall
zusätzlich Schweizer Rechtsberater benötigt. Diese Anwälte wiederum sind von
49 Hauptprozess Transaction Management 711

den zugrunde liegenden Sachverhalten sehr weit entfernt und müssen je nach Art
des Problems ihrerseits auf Anwälte im Land des Zielobjekts oder der Verkäufer
zurückgreifen. Solche Umständlichkeiten sollten im Sinne des Käuferinteresses
vermieden werden. Zum anderen werden dadurch auch die Vertragsverhandlungen
selbst ungleich aufwendiger und merklich komplizierter.
Bei späteren Auseinandersetzungen mag man eine solche Lösung vielleicht als
befriedendes Element betrachten, weil die Motivation, Rechtsansprüche geltend
zu machen, aufgrund der großen Unsicherheit im Umgang mit einem fremden
Recht deutlich gemindert wird. Der Legal Counsel muss sich mithin aber immer
im Klaren darüber sein, dass er es ist, der die finale Empfehlung für die Entschei-
dung geben muss, ob ein Rechtsanspruch gerichtlich geltend gemacht werden
soll oder nicht. Je mehr Rechtsordnungen in die Prüfung mit einzubeziehen sind,
desto unschärfer und desto weniger überzeugend wird am Ende die Empfehlung
des Unternehmensjuristen sein. Folglich kann die Frage der Rechtswahl sich
also sogar auf die Reputation des Legal Counsel auswirken. Diese Auswirkungen
darf man nicht unterschätzen, weil der Unternehmensjurist ausschließlich von der
Überzeugungskraft seiner Empfehlungen lebt. Aus all diesen Gründen ist die Ver-
einbarung eines neutralen Rechts in der Regel keine praktisch sinnvolle Lösung.

49.3.7 Die Vertragsverhandlungen

Die Verkäuferseite verlangt in der Regel schon vor Beginn der Due Diligence-Prü-
fungen ein zumindest nicht-bindendes Kaufpreisangebot (non-binding offer).
Nach Abschluss der Prüfungen, aber noch vor Beginn der eigentlichen Vertrags-
verhandlungen, muss das Angebot dann in der Regel mit rechtlicher Bindungswir-
kung abgegeben werden, damit die Vertragsverhandlungen überhaupt beginnen
können. Infolgedessen haben sich die Parteien häufig schon vor Beginn der Ver-
tragsverhandlungen über den Kaufpreis bereits geeinigt. Aus rechtlicher Sicht ist
dieser Umstand als sehr misslich zu bezeichnen, weil der Inhalt des noch zu ver-
handelnden Vertrags ja durchaus noch Auswirkungen auf den späteren Kaufpreis
haben kann. Um nicht voreilig eine Kaufpflicht entstehen zu lassen, muss der
Legal Counsel der Käuferseite deshalb auch bei einem als bindend bezeichneten
Angebot stets entsprechende Bedingungen formulieren, welche die Voraussetzung
für das Entstehen der rechtlichen Bindungswirkung sind. Dies schafft Transpa-
renz und gestaltet die späteren Vertragsverhandlungen mithin effizienter. Denn
beide Seiten wissen schon frühzeitig, worauf es der Gegenseite am Ende wirklich
ankommt und worauf sie sich einzustellen haben.
Der Unternehmensjurist weiß aber auch, dass er mit einem Angebot, welches er
unter einer Bedingung abgibt, die Wirksamkeit einer rechtlichen Bindung beein-
flusst beziehungsweise deren Entstehung verhindern kann. Deshalb sind normaler-
weise auch die sogenannten legally binding offers jedenfalls nach deutschem Recht
in Wahrheit ohne rechtliche Bindungswirkung. Je nach einschlägiger Rechtsord-
nung ist dies aber durchaus anders zu beurteilen. Bereits bei der Ausgestaltung der
non-binding offers ist deshalb stets größte juristische Sorgfalt notwendig.
712 H. Wendel

Die Vertragsparteien sind sich solcher Risiken zumeist bewusst. Der Erfolg der
Transaktion hängt dann ganz wesentlich vom nicht justiziablen Vertrauen ab, das
sich beide Seiten bis zum Projektende entgegenbringen müssen, weil nicht jeder
Schritt für beide Seiten rechtssicher geregelt werden kann. Aufgrund der bereits
zu einem sehr frühen Zeitpunkt bestehenden faktischen Einigkeit über den Kauf-
preis muss sich der Legal Counsel im Klaren darüber sein, dass bereits bei Beginn
der Vertragsverhandlungen schon viele weitere Parameter de facto festgelegt sind,
obwohl sich diese auf einige im Vertrag erst noch zu verhandelnde rechtliche Sach-
verhalte beziehen. So können zum Beispiel der Umfang des Garantiekatalogs und
des Haftungsregimes durchaus Kaufpreisrelevanz aufweisen. Wenn die Verkäufer-
seite zum Beispiel so gut wie keine Haftungsrisiken zu tragen bereit ist oder nur
geringfügig Garantien geben will, dann ist dies bei der Kaufpreisgestaltung min-
dernd zu berücksichtigen. Dies gilt natürlich auch umgekehrt, sofern die Käufer-
seite bei den Verhandlungen sehr umfangreiche Haftungsregelungen und Garantien
verlangt. Insoweit darf sich der Unternehmensjurist nicht scheuen, die Diskussion
um die Kaufpreishöhe auch während der Vertragsverhandlungen erneut zu führen.

Kontrollfragen zum Umgang mit transaktionsbezogenen Vertragsthemen:


• Liegen dem Legal Counsel alle jeweils bekannten Informationen zur
Transaktion vor?
• Existieren bei den Beratern passende Vertragsmuster (auch für MOUs,
NDAs, Konsortial- und Finanzierungsverträge, gesellschaftsrechtliche
Verträge etc.), die man kostenlos einsehen kann?
• Ist der erste Vertragsentwurf spätestens bei Beginn der Due-Diligen-
ce-Prüfung erstellt?
• Sind alle Erkenntnisse aus der Due-Diligence-Prüfung im Vertragsentwurf
berücksichtigt?
• Können alle an der Transaktion Beteiligten die relevanten Vertragsthemen
mitgestalten?
• Sind alle einzubeziehenden Organisationsteile mit den relevanten Ver-
tragsinformationen versehen und ist die rechtzeitige und durchgängige
Kommunikation sichergestellt, um vertragliche Ansprüche rechtzeitig
geltend machen zu können?
• Können und wollen die externen Berater Überwachungspflichten hinsicht-
lich der vertraglichen Ansprüche nach dem Vertragsschluss mittragen?

49.4 Product Stewardship

Die routinemäßige Einbeziehung der Legal Counsels in den Prozess der Pro-
duktentwicklung sowie bei der Festlegung und Weiterentwicklung der Markt-
strategien und auch der Produktvermarktung ist in vielen Unternehmen bei den
49 Hauptprozess Transaction Management 713

hierfür technisch und kaufmännisch Verantwortlichen nach wie vor noch nicht als
Pflichtaufgabe vorgesehen. Dabei finden sich bei all diesen Aufgaben sehr wich-
tige Weichenstellungen, die dem Unternehmen ohne die genügende Betrachtung
der rechtlichen Risiken großen Schaden zufügen können. Die Prüfung der recht-
lichen Möglichkeiten kann die Chancen des Unternehmens bei der Vermarktung
seiner Produkte aber deutlich erhöhen. Der Unternehmensjurist darf deshalb nicht
davor zurückschrecken, sich auch in diese fachfremden Themen mit Nachdruck
einzumischen und seine Beratung anzubieten.

49.4.1 Produktentwicklung

Bereits im Rahmen der Produktentwicklung stellen sich einige entscheidende


Rechtsfragen rund um die Bereiche der Produktsicherheit, der Produkthaftung
und des Versicherungsrechts. Der Legal Counsel muss die mit den Produkten
zusammenhängenden Risiken so genau wie möglich kennen. Dazu muss er die
Abläufe der Entwicklungsprozesse verstehen, sich über die Labor-, Versuchs- und
Testverfahren und vor allem über die Schwachstellen der Produkte informieren.
Nur wenn er diese Kenntnisse besitzt, kann er in Vertragsverhandlungen angemes-
sene Haftungsrisiken vereinbaren, sein Unternehmen vor Haftungsfällen schützen
und es bei geltend gemachten Haftungsansprüchen bestmöglich verteidigen. Die
Rechtsabteilung muss darauf hinwirken, dass nur solche Produkte vertrieben wer-
den, deren Entwicklung die Fachleute guten Gewissens als abgeschlossen bezeich-
nen. Auch wenn sich die Erkenntnisse über das Verhalten von Produkten im Laufe
ihrer Anwendung im Feld ständig erweitern und die Produktentwickler deshalb
ständig darum bemüht sind, die Produkte zu optimieren und deren Schwachstellen
zu minimieren, sind perfekte Produkte selbst in den ausgereiftesten Entwicklungs-
verfahren nur selten zu finden. Trotzdem geht das Gesetz davon aus, dass Produkte
mangelfrei sind und das Produktsicherheitsrecht verlangt von den Herstellern, dass
die im Verkehr befindlichen Produkte weder Personen noch andere Gegenstände
schädigen.
Der Unternehmensjurist muss deshalb auch die potenziellen Schädigungs-
risiken der Produkte kennen und darauf hinwirken, dass diese Risiken im Ent-
wicklungsprozess explizit Berücksichtigung finden. Insoweit kommt dem Legal
Counsel in diesem Bereich eine vorbeugende Compliance-Aufgabe zu. Zudem
muss er die drei typischen Gruppen von Fehlerursachen, also Konstruktionsfeh-
ler, Produktionsfehler und Instruktionsfehler, jeweils zuordnen und im kon-
kreten Fall voneinander unterscheiden können. Eine weitere Aufgabe des Legal
Counsel besteht hierbei in der Durchsicht und Prüfung der technischen Daten-
blätter und Produktbeschreibungen sowie auch der Gebrauchsanweisungen
im Hinblick auf Gesetzeskonformität und auf rechtlich relevante Risiken. Der
Unternehmensjurist wird bei diesen sehr technischen Themen allerdings nur dann
als hilfreiches Mitglied des Teams wahrgenommen und akzeptiert, wenn er seine
Beratung nicht auf die Wiedergabe des abstrakten Gesetzes und das Rezitieren von
vermeintlich zutreffenden Gerichtsentscheidungen beschränkt, sondern er auf das
714 H. Wendel

jeweils konkrete Problem bezogene ganz konkrete Hilfestellungen und Lösungs-


möglichkeiten anbietet. Er darf gerade bei den produkttechnischen Themen die
Subsumtion nicht den Technikern überlassen.

49.4.2 Marktstrategien, Produktmarketing und Kartellrecht

Der unternehmensjuristische Rat hilft dem Unternehmen auch bei der Ausarbei-
tung und Entscheidung über die richtigen Marktstrategien und der Produkt-
vermarktung. Gleichgültig wie man Märkte definiert, können sie nie ohne den
Bezug zu einer Rechtsordnung gedacht werden. Der Legal Counsel muss insoweit
neben Fragen zu nationalen Zulassungserfordernissen vor allem kartellrechtliche
Fragestellungen im Blick behalten. Das Kartellrecht erhält bereits bei der Frage
Relevanz, aus welchen Quellen und auf welche Art und Weise das Unternehmen
diejenigen Informationen und Zahlen sammelt und erfasst, die es als Grundlage
für die spätere Marktstrategie verwendet. Hier führen Kontakte zu Wettbewerbern
sehr schnell zu Grenzüberschreitungen, die der Unternehmensjurist verhindern
muss. In diesem Zusammenhang hat der Unternehmensjurist den Verantwortlichen
zu vermitteln, unter welchen Voraussetzungen sich das Unternehmen an Markt­
umfragen beteiligen darf.
Der Unternehmensjurist muss auch hinsichtlich der operativen Fragen, auf wel-
che Art und Weise die Produkte in den Zielmärkten vertrieben werden sollen,
kartellrechtliche Prüfungen anstellen. Sollen die Produkte direkt, ausschließlich
oder auch indirekt über Zwischenhändler, Vertragshändler oder Distributoren
vertrieben werden, dann setzt das Kartellrecht insbesondere bei der Preis- und
Kundenstrategie – zum Beispiel hinsichtlich Preisbindungen, Kundenauftei-
lungen und Exklusivitätsabreden – bestimmte Grenzen, die nicht nur vertraglich
korrekt zu regeln sind, sondern die vor allem von den verantwortlichen Vertriebs-
kollegen auch bei der täglichen Arbeit strikt zu beachten sind. Nicht zuletzt müs-
sen auch die Risiken möglicher Marktmissbräuche konkret betrachtet werden.
Die notwendigen kartellrechtlichen Verhaltensregeln und Grenzen muss der Legal
Counsel der Organisation verlässlich vermitteln können (siehe dazu auch Kap. 51).
Dies kann er jedoch nur dann leisten, wenn er die relevanten Zielmärkte sowie die
verfolgten Marktstrategien kennt.
Schließlich muss bei der Entscheidung über die Vergabe von Lizenzen stets
auch entschieden werden, welches Lizenzmodell vereinbart werden soll. Da die
Anzahl an möglichen Lizenzmodellen vielfältig ist, hat der Unternehmensjurist
hier seine kreativen kautelarjuristischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Hier-
bei spielen auch kartellrechtliche Überlegungen eine wichtige Rolle. Denn nicht
jedes Lizenzmodell hält den kartellrechtlichen Grenzen stand. Im Rahmen des
Produktmarketings muss der Unternehmensjurist nicht zuletzt auch prüfen, ob
die wettbewerbsrechtlichen Spielregeln eingehalten werden und welche Haftungs-
risiken mit den jeweils gewählten Werbemaßnahmen verbunden sind. Erkennt er
konkrete Risiken, muss er Lösungen zu deren Minimierung vorschlagen können
und auch in diesem Bereich als business enabler wahrgenommen zu werden.
49 Hauptprozess Transaction Management 715

Über den Autor


Heiko Wendel – Chief Integrity & Compliance Officer, Rolls-Royce Power Systems, Fried-
richshafen
Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Heidelberg; Zweites Staatsexamen und
Zulassung zur Rechtsanwaltschaft im Jahr 2000; Tätigkeit als Anwalt in Frankfurt/Main; 2001
bis 2013 General Counsel und Chefsyndikus der LEONI AG, Nürnberg; seit 2014 Chief Inte-
grity & Compliance Officer der Rolls-Royce Power Systems AG, Friedrichshafen. Mitglied in
Fachbeiräten; Referent auf Fachveranstaltungen sowie Autor und Mitautor von Büchern und
Fachbeiträgen zu Rechts- und Compliance Themen, z. B. Rechtsabteilung in mittelständischen
Unternehmen, Deutscher Corporate Governance Kodex für börsennotierte Unternehmen, Aufbau
von Compliance Organisationen, Compliance-Risikoanalysen im Kartellrecht mit Schwerpunkt
Automobilindustrie sowie Aspekte zum Arbeitsvertrag des Compliance Officers.
Hauptprozess Litigation &
Arbitration Management 50
Rainer Füeg

50.1 Einleitende Überlegungen

Mit der in den vergangenen zwanzig Jahren verstärkten Globalisierung hat auch
die Zahl internationaler Verträge markant zugenommen. Bei weitem der größte
Teil der damit geregelten Geschäftstätigkeiten läuft glücklicherweise mehr oder
weniger so ab, wie es dem Willen der Parteien entspricht. Oder es werden für
beide Seiten akzeptable Lösungen gefunden, sobald Probleme auftauchen. Für die
übrigen Fälle bedarf es Mechanismen zur Streiterledigung, welche entweder durch
die Parteien selbst (beispielsweise mit einer Bestimmung wie: „Any disputes bet-
ween the buyer and seller shall be settled by amicable negociation and friendly
discussions…“) oder mit Unterstützung eines außenstehenden Dritten (beispiels-
weise eines Mediators) erfolgt, um eine einvernehmliche Lösung zu finden.
Schließlich besteht auch noch die Möglichkeit, den Sachverhalt einer judikativen
Instanz zu unterbreiten, welche einen verbindlichen Entscheid darüber trifft, wie
der entsprechende Vertrag auszulegen und der Streitfall zu lösen ist. In Binnenfäl-
len werden in der Regel staatliche Gerichte angerufen. Bei internationalen Rechts-
fällen hat sich dagegen die Schiedsgerichtsbarkeit als favorisierte Lösung
durchgesetzt. Eine weltweit durchgeführte Studie bei Unternehmensjuristen1 hat
ergeben, dass knapp drei Viertel der Befragten die internationale Schiedsgerichts-
barkeit als „sehr geeignet“ für ihre Branche beurteilen und dass 52 % sie als ihre
präferierte Methode zur Streitbeilegung bezeichnen.

1PriceWaterhouseCoopers (2013) Corporate Choices in International Arbitration – Industry Per-


spectives.

R. Füeg (*)
Borisat GmbH, Pratteln, Schweiz

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 717


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_50
718 R. Füeg

50.2 Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit gegenüber


anderen Verfahrensoptionen

Gegenüber staatlichen Gerichten haben Schiedsgerichte einige typische Vorteile,


welche im internationalen Kontext ins Gewicht fallen, nämlich die Vertraulichkeit
der Verhandlungen, die Freiheiten der Parteien bei der Auswahl der Schiedsrich-
ter oder die Möglichkeit, die Verhandlungssprache und den Schiedsort zu wählen.
Vor staatlichen Gerichten gelten dagegen die jeweilige nationale Prozessordnung
und die jeweilige Landessprache als Verfahrenssprache. Der Fall wird nach den
internen Regeln des jeweiligen Gerichts einem Richter oder Tribunal zugewie-
sen, ungeachtet allfälliger spezieller Fachkenntnisse. Die marktmächtigere Partei
versucht daher in der Regel, als Gerichtsstand einen Ort im eigenen Land zu ver-
einbaren. Dieser bietet ihr erhebliche Vorteile bei einer allfälligen rechtlichen Aus-
einandersetzung.
Auch gegenüber einer Mediation hat die Schiedsgerichtsbarkeit einige Vor-
züge aufzuweisen, insbesondere das Vorliegen eines – nach Abschluss des Verfah-
rens – vollstreckbaren Rechtstitels. Die Mediation bietet sich hingegen an, wenn
zwei oder mehrere Parteien eine dritte Person (den Mediator) anrufen möchten, um
ihnen bei der Beilegung eines Streitfalls zu helfen oder einen zukünftigen Konflikt
noch vor der Eskalation zu lösen. Der Mediator fördert dabei den Meinungsaus-
tausch zwischen den Parteien und ermutigt sie, nach für beide Seiten akzeptablen
Lösungen zu suchen. Im Gegensatz zum „Sachverständigen“ teilt er seine eigene
Meinung bezüglich der Streitsache nicht mit. Im Gegensatz zum „Schlichter“
macht er keine Lösungsvorschläge, und er trifft auch keine Entscheidungen wie
ein Schiedsrichter. Zudem besteht der Vorteil eines Mediationsverfahrens darin,
dass dieses zu jeder Zeit beendet werden kann, sofern die Parteien keine einver-
nehmliche Lösung finden oder wenn eine der Parteien das Verfahren abzubrechen
wünscht.

50.2.1 Vorteil: Vertraulichkeit

Bei Verfahren vor dem staatlichen Richter gilt in der Regel das Öffentlich-
keitsprinzip, was unbeteiligten Konkurrenten gerade bei Patentfragen, aber auch
bei anderen rechtlichen Sachverhalten interessante Einblicke in die Geschäftsge-
heimnisse der streitenden Parteien geben kann. Internationale Schiedsgerichts-
barkeit ist dagegen vertraulich, was in verschiedenen Schiedsordnungen auch
entsprechend formuliert ist. So halten etwa die Swiss Rules of International
Arbitration (Swiss Rules) in Art. 44.1 fest: „Haben die Parteien schriftlich nicht
ausdrücklich etwas anderes vereinbart, so verpflichtet sich jede Partei, über alle
Schiedssprüche und Verfügungen sowie alle von anderen Parteien im Rahmen
des Schiedsverfahrens eingereichten Unterlagen, die nicht in anderer Weise zum
Gemeingut gehören, Stillschweigen zu bewahren (…). Diese Verpflichtung gilt
auch für die Mitglieder des Schiedsgerichts, die vom Schiedsgericht ernannten
sachverständigen Personen, den oder die Sekretär(in) des Schiedsgerichts, die
50 Hauptprozess Litigation & Arbitration Management 719

Organe der Swiss Chambers’ Arbitration Institution, die Mitglieder des Gerichts-
hofs und des Sekretariates sowie die Angestellten der einzelnen Kammern.“
Ähnliche Bestimmungen sind in den Regeln der Deutschen Institution für
Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) in Art. 43 enthalten, während die Regeln der Inter-
national Chamber of Commerce (ICC) oder des Vienna International Arbitration
Center (VIAC) dies als selbstverständlich voraussetzen. Mit Ausnahme zwingen-
der Situationen (zum Beispiel bei Offenlegungspflichten) verpflichten sich die
Parteien damit zu absolutem Stillschweigen. Es ist sogar die Tatsache vertraulich
zu behandeln, dass überhaupt ein Schiedsverfahren stattfindet! Es sei denn, dass
im Rahmen von Auseinandersetzungen im Schiedsverfahren oder nach dessen
Abschluss ein staatliches Gericht angerufen wird (zum Beispiel für die Vollstre-
ckung des Schiedsurteils) oder dass das Vorhandensein eines Schiedsverfahrens
aus börsenrechtlichen Gründen offengelegt werden muss.

50.2.2 Vorteil: Möglichkeit zur Bestimmung des


Schiedsgerichts

Anders als vor einem staatlichen Gericht können die Parteien in einem Schieds-
verfahren ihren Schiedsrichter selbst auswählen. Sie haben es damit in der Hand
sicherzustellen, dass dieser nicht nur über das notwendige juristische Sachwissen,
sondern auch über die entsprechenden Fachkenntnisse in der verhandelten Mate-
rie verfügt. Es ist dabei keineswegs zwingend, einen Juristen als Schiedsrichter zu
benennen. Falls eine Partei es für zweckmäßig erachtet, kann sie durchaus auch
einen Fachexperten benennen (zum Beispiel Architekten, Ingenieure, Techniker,
Fachpersonal). Dies kann insbesondere bei Dreierschiedsgerichten in Baufragen
oder bei komplexen technischen Fragen angezeigt sein. Das juristische Fachwissen
wäre dann insbesondere bei der Wahl des Vorsitzenden zu berücksichtigen.
In internationalen Fällen benennen die Parteien in der Regel zudem meist einen
Schiedsrichter, der mit dem anwendbaren Recht vertraut ist, insbesondere wenn es
nicht dasjenige des eigenen Landes ist. So können sich beispielsweise eine öster-
reichische und eine deutsche Partei auf Schweizer Recht als anwendbares Recht
beim Vertragsabschluss einigen. Damit kann vermieden werden, dass das Schieds-
gericht an seinem Standort allenfalls entsprechend teure ausländische Rechtsex-
perten zuziehen muss.
Während einige Schiedsinstitutionen eine Liste akkreditierter Schiedsrichter
führen, aus denen die Parteien eine Wahl treffen können, lassen andere Institutionen
den Parteien bezüglich der Nomination vollständig freie Wahl; behalten sich aber
oft ein Vetorecht vor. Die Swiss Rules beispielsweise bestimmen in Art. 5.1: „Alle
Mitglieder des Schiedsgerichts, welche von den Parteien oder von anderen Mit-
gliedern des Schiedsgerichts bezeichnet werden, bedürfen der Bestätigung durch
den Gerichtshof. Mit dieser Bestätigung wird die Ernennung zum Mitglied des
Schiedsgerichts wirksam.“ Können sich die Parteien nicht auf einen Einzelschieds-
richter (oder die beiden von den Parteien nominierten Schiedsrichter in einem Drei-
erschiedsgericht nicht auf den gemeinsam zu ernennenden Vorsitzenden) einigen,
720 R. Füeg

trifft die Institution den Entscheid, immer aber unter Berücksichtigung der von den
Parteien genannten Kriterien.

50.2.3 Vorteil: Schiedssprache

Ebenso entscheidend ist bei internationalen Streitfällen die Möglichkeit der Par-
teien, die Verhandlungssprache selbst festzulegen. Englisch setzt sich in inter-
nationalen Verträgen mehr und mehr als Verhandlungs- und Vertragssprache
durch, kann aber längst nicht überall auch vor Gericht verwendet werden (siehe
dazu auch Kap. 7 und 8). Dies erfordert teilweise kostspielige Übersetzungen
von Dokumenten und die Wahl von Anwälten, welche der Verhandlungssprache
mächtig sind. In der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ist Englisch dagegen
die weitaus am häufigsten verwendete Verfahrensprache (unter den Swiss Rules
werden beispielsweise 70 % der Fälle in Englisch verhandelt). Dabei wird die
Verfahrenssprache vom Schiedsgericht festgelegt. Unter den Swiss Rules können
Verfahren in Englisch, Deutsch, Französisch oder Italienisch eingereicht werden.
Die Schiedsregeln der ICC, der DIS oder die Swiss Rules sind zudem in vielen
Sprachen verfügbar, was insbesondere für Unternehmen und Legal Counsels hilf-
reich sein kann, welche nicht aus dem englischsprachigen Raum stammen.

50.2.4 Vorteil: Wahl des Schiedsorts

Von noch größerer Bedeutung für die Wahl des Schiedsgerichtsverfahrens ist die
Wahl des Schiedsorts. Das heißt, des Sitzes des Schiedsgerichts, wo der Schieds-
fall „offiziell“ verhandelt und das Urteil gefällt wird. Die Hearings können
dagegen an beliebigen Orten stattfinden und brauchen keineswegs am Sitz des
Schiedsgerichts abgehalten zu werden. Die Swiss Rules sagen dazu in Art. 16.2:
„Ungeachtet der Festlegung des Sitzes des Schiedsverfahrens kann das Schieds-
gericht entscheiden, wo Verfahrenshandlungen durchzuführen sind.“ Die Wahl des
Schiedsorts hat weitreichende rechtliche Konsequenzen auf die Rechtsmittel, wel-
che gegen einen Entscheid des Schiedsgerichts ergriffen werden können und auf
die Vollstreckbarkeit des Schiedsurteils. Die lex arbitri – das jeweilige nationale
Schiedsrecht – bestimmt, wo und unter welchen Voraussetzungen ein Schiedsurteil
oder eine andere Verfügung eines Schiedsgerichts angefochten werden kann. Diese
Bestimmungen sind von Land zu Land sehr unterschiedlich und können erhebliche
Konsequenzen sowohl auf die Dauer eines Verfahrens als auch auf dessen Kos-
ten haben. Wenn mehrere Instanzen bis zum obersten Gericht durchlaufen werden
müssen, kann die Verfahrensdauer nach Abschluss des Schiedsverfahrens bis zur
Vollstreckung in der Regel ein Mehrfaches der Dauer des eigentlichen Schieds-
verfahrens ausmachen. Auch die Kosten können sich noch einmal wesentlich
erhöhen. So kann es in Indien angesichts der Überlastung der dortigen Gerichte
beispielsweise bis zu zwanzig Jahre dauern, bis das oberste Gericht einen Fall end-
gültig entscheidet.
50 Hauptprozess Litigation & Arbitration Management 721

50.2.5 Vorteil: Individuelle Verfahrensgestaltung

Internationale Schiedsordnungen gewähren ihren Schiedsgerichten bezüglich der


Gestaltung der Verfahrensabläufe mehr oder weniger große Freiräume. Damit kön-
nen auch die Parteien Einfluss auf die zeitliche Dauer und die Kosten des Schieds-
verfahrens nehmen. Die Swiss Rules halten zum Beispiel in Art. 15 diesbezüglich
fest: „Vorbehaltlich dieser Schiedsordnung kann das Schiedsgericht das Schieds-
verfahren nach seinem freien Ermessen durchführen, vorausgesetzt die Gleichbe-
handlung und das rechtliche Gehör der Parteien sind gewahrt.“ Typische Fragen in
diesem Zusammenhang sind etwa die Zahl der Rechtsschriften, welche ausgetauscht
werden können, ob und welche Zeugen einvernommen werden, ob Expertisen ein-
geholt werden sollen und wie viele interne Dokumente vorzulegen sind. Während
im anglo-amerikanischen Umfeld umfangreiche disclosures häufig sind und bei den
Parteien oft einen immensen Aufwand in der Prozessvorbereitung auslösen (siehe
dazu auch Kap. 6), ist dies in civil law-Ländern ungewöhnlich bis verpönt.
Die Parteien sind frei, jede Person als Zeuge oder Sachverständigen zu nennen,
welche nach ihrer Ansicht dazu beitragen kann, den Sachverhalt zu beweisen. In
der Regel sollen die Zeugen oder Sachverständigen, auf deren Aussagen sich eine
Partei stützen will, bereits in der Klageschrift respektive der Klageantwort auf-
geführt werden. Im Gegensatz zu angelsächsischen Gepflogenheiten ist es unter
den Swiss Rules dabei nicht unstatthaft, potenzielle Zeugen oder parteiernannte
Sachverständige zu befragen (Art. 25.2 Swiss Rules). Auch das Schiedsgericht
kann – nach Konsultation der Parteien – Experten bestellen, die ihm über genau
bezeichnete Punkte schriftlich zu berichten haben. Die Parteien sind verpflichtet,
diesen Experten alle sachdienlichen Auskünfte zu erteilen oder alle verlangten
erheblichen Schriftstücke beziehungsweise Waren auszuhändigen. In der Regel
sind es die Parteien, welche dem Schiedsgericht auf dessen Verlangen mögliche
Experten vorschlagen, da sie diesbezüglich über ein umfassenderes Netzwerk ver-
fügen als das Schiedsgericht. Solche Experten müssen allerdings ebenso wie die
Schiedsrichter zu jeder Zeit unparteiisch und von den Parteien unabhängig sein –
und dies auch bleiben.
Ob sich die Parteien in einem Streitfall vor dem Schiedsgericht vertreten (oder
beistehen) lassen oder, ob allenfalls der General Counsel oder einer seiner Legal
Counsels selbst auftritt, bleibt den Parteien überlassen (Art. 15.6 Swiss Rules). In
internationalen Fällen und bei größeren Streitwerten überwiegt allerdings die Ver-
tretung durch einen auf Schiedsverfahren spezialisierten externen Prozessanwalt
bei weitem (siehe dazu auch Kap. 20).

50.2.6 Vorteil: Beschleunigte Verfahren

Justice delayed is justice denied ist eine altbekannte Maxime, über deren Herkunft
allerdings unterschiedliche Quellenangaben vorliegen. Während vor einem staat-
lichen Gericht – vor allem wenn das Urteil weitergezogen wird – ohne Weiteres
722 R. Füeg

drei bis fünf Jahre vergehen können, bis ein vollstreckbares Urteil vorliegt, dauert
dies in der Schiedsgerichtsbarkeit in der Regel weniger lang. Der London Court
of International Arbitration (LCIA) gibt für seine Fälle eine mittlere Dauer von
16 Monaten, die Swiss Chambers’ Arbitration Institution eine von 11 Monaten
an. Zudem werden von verschiedenen Schiedsregeln „beschleunigte Verfahren“
angeboten, unter denen ein Urteil noch rascher gefällt werden kann. Die Swiss
Rules sehen beispielsweise für Fälle mit einem Streitwert von bis zu einer Mil-
lion Schweizer Franken zwingend ein beschleunigtes Verfahren vor einem Ein-
zelschiedsrichter vor; mit nur einmaligem Schriftenwechsel und einem einzigen
hearing (Art. 42.2 Swiss Rules). Auf das hearing kann sogar ganz verzichtet wer-
den, wenn die Parteien dies aus Zeitgründen wünschen, sodass der Fall nur auf-
grund von Dokumenten entschieden wird. Bei diesem beschleunigten Verfahren
liegt das Urteil spätestens nach sechs Monaten seit der Übermittlung der Fallakten
an das Schiedsgericht vor. Die Parteien können aber durchaus auch für Fälle mit
einem größeren Streitwert für ein beschleunigtes Verfahren optieren; was in der
Praxis hin und wieder getan wird.

50.3 Die Wahl der Schiedsordnung

Bei einem Entscheid für die Schiedsgerichtsbarkeit als Methode zur Streitbewälti-
gung kann grundsätzlich zwischen einem „ad-hoc-Verfahren“ oder der „institutio-
nellen Schiedsgerichtsbarkeit“ gewählt werden. Internationale Nutzer bevorzugen
in aller Regel die institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, weil die gewählten Ins-
titutionen die meisten allfälligen Probleme eines Schiedsverfahrens selbst lösen
können. Bei einem Ad-hoc-Verfahren müssen diese eventuell vor einen staatlichen
Richter gebracht werden, beispielsweise wenn ein Schiedsrichter abgelehnt oder
ersetzt werden soll. Die Swiss Rules legen dazu in Art. 1.4 fest: „Indem die Par-
teien ihre Streitigkeit dieser Schiedsordnung unterstellen, übertragen sie, soweit
nach dem auf das Schiedsverfahren anwendbaren Recht zulässig, alle ansonsten
einer richterlichen Behörde zustehenden Aufsichtsbefugnisse über das Schieds-
verfahren auf den Gerichtshof, einschließlich der Befugnis, die Amtsdauer eines
Schiedsgerichts zu verlängern und über die Ablehnung von Mitgliedern des
Schiedsgerichts aus in dieser Schiedsordnung nicht aufgeführten Gründen zu ent-
scheiden.“ Zudem bietet eine Institution klare Vorteile in Bezug auf die Quali-
tätskontrolle. So überprüft der ICC-Gerichtshof beispielsweise jedes Urteil eines
Schiedsgerichts sowohl in formeller als auch in inhaltlicher Hinsicht. Unter den
Swiss Rules muss das Schiedsgericht seine Kostenentscheide vom Gerichtshof
absegnen lassen, während bei ICC und LCIA der Gerichtshof das Schiedshonorar
festlegt, nicht das beauftragte Schiedsgericht.
In den vergangenen zwanzig Jahren sind viele neue internationale Schiedsord-
nungen entstanden, und die Wahlmöglichkeiten sind entsprechend vielfältig. Zwar
entwickeln sich die bedeutendsten Schiedsordnungen inhaltlich aufgrund der welt-
weiten Erfahrungen tendenziell aufeinander zu. Sie weisen aber durchaus Unter-
schiedlichkeiten auf, welche für den Wahlentscheid eine erhebliche Rolle spielen
50 Hauptprozess Litigation & Arbitration Management 723

können: Weltweit ist die bedeutendste Institution im Bereich der Schiedsgerichts-


barkeit die ICC in Paris. In Europa sind daneben auch die Regeln des LCIA, die
Swiss Rules und im deutschsprachigen Raum auch jene der DIS und der VIAC
von Bedeutung. Bei Verträgen mit chinesischen Partnern werden dagegen häufig
die Institutionen in Singapur (SIAC) oder Hongkong (HKIAC) vereinbart.

50.4 Kosten der Schiedsgerichtsbarkeit

Bei jeder Form der Streitbewältigung, egal ob diese vor einem staatlichen Richter,
in einem schiedsgerichtlichen ad-hoc-Verfahren oder vor einem institutionellen
Schiedsgericht ausgetragen wird, sind die Parteikosten2 wesentlich höher als die
Gerichtskosten, respektive das Honorar der Schiedsrichter. Dieses wird – außer bei
Fällen unter den LCIA-Rules, wo ein fester Stundensatz gilt – in Abhängigkeit
vom Streitwert festgelegt. Die jeweiligen Schiedsregeln legen dabei die Ober- und
Untergrenzen fest, welche vom Schiedsgericht nur in Ausnahmefällen und mit
Bewilligung des Gerichtshofs über- oder unterschritten werden dürfen. Daneben
fallen noch die Einschreibegebühren und Administrationskosten der Institution an,
welche allerdings – sowohl im Vergleich mit den Parteikosten, als auch mit den
Schiedsrichterhonoraren – vernachlässigbar sind. Die meisten Institutionen bieten
auf ihren Websites Kostenrechner für Legal Counsels an, mit denen die ungefähren
Kosten des Schiedsgerichts und der Institution leicht abgeschätzt werden können.
Auch bei Schiedsgerichten gilt: Die Kosten trägt im Normalfall die unterlegene
Partei (zum Beispiel Art. 40.1 der Swiss Rules), wobei das Schiedsgericht durch-
aus berücksichtigen kann, dass eine Partei durch trölerisches Verhalten oder man-
gelnde Kooperation das Verfahren unnötig verteuert hat.

50.5 Schiedsklauseln als Anknüpfungspunkt

Die entscheidende Weichenstellung bezüglich der Methode zur Streitbewältigung


erfolgt bereits in den Vertragsverhandlungen. Bei der Redaktion der Gerichts-
standsklausel respektive der Schiedsklausel wird festgelegt, ob staatliche Gerichts-
barkeit, ein Ad-hoc-Verfahren oder institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit zur
Streitbeilegung gewählt wird.
In der Schiedsklausel sollte der Legal Counsel dann auf jeden Fall den Schieds­
ort, die Zahl der Schiedsrichter, die Sprache sowie die Schiedsordnung bestimmen
und welche Abweichungen davon die Parteien allenfalls vornehmen wollen. Ein
gutes Beispiel für solche spezielle Regelungen, welche jene der gewählten
­Schiedsinstitution ergänzen oder ersetzen, stellen für den Praktiker die Financial

2Unter Parteikosten werden hier die Kosten und Aufwendungen für die Prozessvorbereitung und
die Prozessführung, zuzüglich der Kosten der eigenen Rechtsvertretung, addiert.
724 R. Füeg

Services Expedited Arbitration Prodecure des London Arbitrator Club3 dar. Um


das Schiedsverfahren noch mehr zu beschleunigen, können die Parteien zusätzlich
zur Wahl des beschleunigten Verfahrens beispielsweise entscheiden, dass die Fris-
ten für das Einreichen der Einleitungsantwort, für das Klagebegehren oder die
Klageantwort gegenüber den vom Schiedsgericht festgelegten Fristen weiter ver-
kürzt werden (zum Beispiel auf 7 oder 15 Tage) oder dass auf disclosures und hea-
rings verzichtet wird.
In der unternehmerischen Praxis der Vertragsverhandlungen wird das Thema
„Streiterledigung“ allerdings nur allzu oft „stiefmütterlich“ und in letzter Minute
behandelt. In der Regel geschieht dies, nachdem alle anderen das Geschäft betref-
fende Fragen – welche die Parteien naturgemäß weit stärker interessieren – gere-
gelt, die Verhandlungsteams müde und/oder euphorisch sind und eigentlich lieber
zum gemütlichen Teil übergehen würden. Leider ist dies vielen Schiedsklauseln
nur allzu deutlich anzusehen: Wichtige Fragen (zum Beispiel die Zahl der
Schiedsrichter, des Gerichtsstands oder der Verfahrenssprache) sind oft nicht gere-
gelt; die Klauseln sind widersprüchlich oder sogar pathologisch.4 Die Schiedsins-
titutionen stellen daher sorgfältig formulierte Schiedsklauseln zur Verfügung, mit
denen derartige Probleme von vorneherein vermieden werden können.5

50.6 Der Ablauf des Schiedsgerichtsverfahrens

50.6.1 Einleitung des Verfahrens

Kommt es in einem Streitfall dazu, dass eine Partei den Rechtsstreit von einem
Schiedsgericht beurteilen lassen will, so hat sie gemäß den Vorgaben der gewähl-
ten Schiedsordnung eine „Einleitungsanzeige“ an die Schiedsinstitution einzu-
reichen. Diese enthält in der Regel neben den Angaben zu den Streitparteien und
deren Rechtsvertretern eine Beschreibung des Sachverhalts, den Verweis auf die
vereinbarte Schiedsklausel, das Klagebegehren und – bei Verfahren vor einem
Dreierschiedsgericht – auch bereits die Bezeichnung eines der beiden von den Par-
teien zu nominierenden Schiedsrichters (Art. 3.3.h Swiss Rules).
Mit der Einreichung der Einleitungsanzeige ist in der Regel auch die Regis­
trierungsgebühr zu bezahlen. Die Institution prüft sodann prima facie, ob eine
gültige Schiedsvereinbarung vorliegt, respektive gibt der Gegenpartei Gelegen-

3London Arbitrator Club 2015.


4So beispielsweise in einem Fall, der bei der Schiedsinstitution des Autors eingereicht wurde,
in welchem die Schiedsklausel wie folgt lautete: „All disputes in connection with this cont-
ract or the execution thereof shall be settled amicably. If no settlement can be reached, the case
shall be settled by conciliation and arbitration in Switzerland as per the international laws of
IC.“ Aus dieser Klausel geht weder hervor, welche Schiedsinstitution zuständig ist, noch ob ein
ad-hoc-Verfahren oder ein institutionelles Verfahren stattfinden soll. Die zitierten international
laws of IC existieren ebenfalls nicht. Der Fall musste daher abgelehnt werden.
5Zum Beispiel www.swissarbitration.org/sa/en/clause. Besucht 18. April 2016.
50 Hauptprozess Litigation & Arbitration Management 725

heit, sich dazu zu äußern. Wenn nicht ganz offensichtlich keine Schiedsabrede
vorhanden ist, akzeptiert sie den Fall (Art. 3.12 Swiss Rules). Nach Eingang der
Einleitungsantwort leitet die Institution das Verfahren zur Ernennung der Schieds-
richter ein. Unter den Swiss Rules haben die Parteien nun 30 Tage Zeit, gemein-
sam einen Vorschlag für einen Einzelschiedsrichter einzureichen, falls ein solcher
vereinbart oder aufgrund von Art. 42.2 zwingend vorgeschrieben ist. Können
sich die Parteien nicht auf einen Einzelschiedsrichter einigen – oder wollen sie
die Ernennung von vorneherein der Institution überlassen, was häufig vorkommt,
weil die Parteien voraussehen, dass sie sich im Streitfall auf gar nichts mehr ver-
ständigen können oder wollen – so ernennt die Institution den Schiedsrichter. Bei
einem Dreierschiedsgericht nominieren die Parteien jeweils einen Schiedsrichter.
Die beiden Schiedsrichter nominieren danach innerhalb von 30 Tagen den dritten
Schiedsrichter, der gleichzeitig der Vorsitzende des Schiedsgerichts wird. Mit der
Bestätigung des Einzelschiedsrichters oder des Dreierschiedsgerichts durch die
Institution endet die Konstituierungsphase. Die Akten gehen ans Schiedsgericht
und das Verfahren beginnt inhaltlich zu laufen.

50.6.2 Das eigentliche Verfahren vor dem Schiedsgericht

Grundsätzlich läuft das Verfahren vor dem Schiedsgericht gemäß der gewählten
Schiedsordnung ab und umfasst das Einreichen der Klageschrift und der Klage-
antwort, allfällige Repliken und Dupliken, die Durchführung von Zeugeneinver-
nahmen, die Anhörung von Experten, ein oder mehrere hearings und schließlich
die Eröffnung des Schiedsurteils. Unter den Swiss Rules hat das Schiedsgericht
beispielsweise – in Absprache mit den Parteien – eine hohe Autonomie in der Ver-
fahrensgestaltung: In einem frühen Stadium des Verfahrens beruft es daher nor-
malerweise zuerst eine „Organisationskonferenz“ ein, an welcher spezifische
Verfahrensfragen geklärt werden. Anschließend erlässt es die spezifischen Verfah-
rensregeln für den Fall, welche auch einen provisorischen Terminplan enthalten.
Dieser ist insbesondere beim beschleunigten Verfahren zentral, da hier das Urteil
spätestens nach sechs Monaten seit der Konstitution des Schiedsgerichts gefällt
sein muss. Die Schiedsinstitution erhält diesen Terminplan ebenfalls und überprüft
dessen Einhaltung im Sinne des Qualitätsmanagements.
Mit dem Erlass des Schiedsspruchs endet das Schiedsverfahren, es sei denn, dass
auf Verlangen einer Partei Korrekturen oder Ergänzungen des Urteils zu machen
sind. Längst nicht alle Verfahren werden allerdings durch einen Schiedsspruch been-
det. Gerade im deutschsprachigen Raum besteht eine lange Tradition – auch beim
staatlichen Richter – dass die Parteien zu einem Vergleich ermuntert werden, sofern
dies Sinn macht. Im Gegensatz zu vielen anderen Schiedsordnungen fordern die
Schiedsregeln der DIS in Art. 32.1 das Schiedsgericht auf, „(…) in jeder Lage des
Verfahrens auf eine einvernehmliche Beilegung des Streits oder einzelner Streit-
punkte bedacht [zu] sein“. Auch die Swiss Rules erlauben dem Schiedsgericht in
Art. 15.8 ausdrücklich, Schritte zu einer einvernehmlichen Beilegung des Streitfalls
einzuleiten. Sie schützen das Gericht aber auch davor, dass dem Schiedsrichter –
726 R. Füeg

nach einem gescheiterten Vergleich – nicht der Vorwurf mangelnder Unparteilichkeit


gemacht werden kann. So ist es auch nicht überraschend, dass unter den Swiss Rules
nur knapp die Hälfte der eingereichten Fälle durch ein Schiedsurteil abgeschlossen
werden, während über ein Viertel mit einem Vergleich beendet wird. Der Rest der
Fälle wird von der klagenden Partei während des Verfahrens zurückgezogen.

50.6.3 Der Weiterzug eines Schiedsurteils

In vielen Fällen verzichten die Parteien ausdrücklich auf einen möglichen Weiter-
zug des Schiedsurteils, indem sie in der Schiedsklausel beispielsweise festhalten
„Si les deux parties contractuelles ne peuvent pas s’arranger à l’amiable, tous dis-
sensus sont soumis à la décision du tribunal arbitral sous exclusion de la voie judi-
ciaire ordinaire.“ Ist der Sitz des Schiedsgerichts in der Schweiz, so profitieren die
Parteien von einer sehr schiedsgerichtsfreundlichen Gesetzgebung. Im Gegensatz
zu anderen Ländern, wo die üblichen Instanzen zu durchlaufen sind, werden
Rekurse gegen ein Schiedsurteil in der Schweiz direkt und abschließend vom
obersten staatlichen Gericht (Bundesgericht) behandelt. Es gibt zudem nur wenige
Gründe, bei denen ein Rekurs vor Bundesgericht überhaupt zugelassen wird; zum
Beispiel, wenn das rechtliche Gehör vom Schiedsgericht nicht gewährt wurde.
Zudem entscheidet das Bundesgericht in Rekursen gegen Schiedsurteile rasch: Im
Durchschnitt innerhalb von sechs Monaten. Dabei entscheidet es nur darüber, ob
ein Schiedsurteil insgesamt kassiert wird; nicht aber über inhaltliche Fragen. Die
Chancen, ein Schiedsurteil in der Schweiz erfolgreich anzufechten, sind daher sehr
gering. In den vergangenen Jahren wurden vom Bundesgericht denn auch mehr als
90 % aller Rekurse abgewiesen.6

50.7 Die Vollstreckung eines Schiedsgerichtsurteils

Das Urteil des Schiedsgerichts ist im Prinzip endgültig und kann sofort voll-
streckt werden. In der Regel funktioniert dies auch problemlos. Sofern die unter-
legene Partei nicht kooperiert, muss das Urteil allerdings am Sitz der säumigen
Partei durchgesetzt werden. Internationale Schiedsurteile sind – vorausgesetzt,
sie sind von einem in der Sache zuständigen, richtig konstituierten und korrekt
handelnden Schiedsgericht gefällt worden – in jedem Land vollstreckbar, wel-
ches der New York Convention von 1958 beigetreten ist. Anfangs 2016 waren
dies 156 Staaten, darunter alle OECD-Staaten, aber auch alle anderen wesentli-
chen Handelspartner europäischer Unternehmen. In diesem Zusammenhang kann
allerdings nicht ganz verhehlt werden, dass nicht alle afrikanischen oder asiati-
schen Staaten bei der Vollstreckung ausländischer Schiedsurteile gleich korrekt

6Dasser und Roth 2014.


50 Hauptprozess Litigation & Arbitration Management 727

v­ orgehen, insbesondere wenn die unterlegene Partei ein Staatsbetrieb oder eine
eigene Regierungsstelle ist.

Literatur
Dasser F, Roth D (2014) Challenge of Swiss arbitral awards – selected statistical data as of 2013.
Conference Papers, ASA Conference 2015
DIS Deutsches Institut für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. (1998) DIS Schiedsordnung 1998. http://
www.dis-arb.de/de/16/regeln/dis-schiedsgerichtsordnung-98-id2. Zugegriffen: 15. Apr. 2016
ICC International Chamber of Commerce (2012) 2012 Arbitration rules. http://www.iccwbo.org/
Products-and-Services/Arbitration-and-ADR/Arbitration/Rules-of-arbitration/ICC-Rules-of-
Arbitration/. Zugegriffen: 15. Apr. 2016
London Arbitrator Club (2015) Financial services expedited arbitration procedures. http://arbitra-
tionclub.org.uk/financial-sector/eplaunch. Zugegriffen: 22. Nov. 2016
London Court of International Arbitration (2015) Tools to facilitate smart and informed choices.
www.lcia.org/News/lcia-releases-costs-and-duration-data.aspx. Zugegriffen: 18. Apr. 2016
PriceWaterhouseCoopers (2013) Corporate choices in international arbitration – industry perspectives.
www.pwc.com/gx/en/arbitration-dispute-resolution/assets/pwc-international-arbitration-study.pdf.
Zugegriffen: 18. Apr. 2016
Swiss Chambers’ Arbitration Institution (2012) Swiss rules of international arbitration. https://
www.swissarbitration.org/files/33/Swiss-Rules/SRIA_german_2012.pdf. Zugegriffen: 18. Apr.
2016
Swiss Chambers’ Arbitration Institution (2016) Arbitration statistics 2012–2015. www.swissar-
bitration.org/sa/en/news.php. Zugegriffen: 19. Febr. 2016
VIAC (2013) Wiener Regeln 2013 Deutsch. http://www.viac.eu/de/schiedsverfahren/wiener-
regeln/93-schiedsverfahren/wiener-regeln/146-aktuelle-schiedsordnung-wiener-regeln-2013.
Zugegriffen: 15. Apr. 2016

Über den Autor


Rainer Füeg – Geschäftsführer Borisat GmbH, Pratteln
Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Basel, Doktorat in Betriebswirtschaft.
Assistent am Betriebswirtschaftlichen Institut der Universität Basel. 1992–2012 Geschäftsführer
der Handelskammer beider Basel, und in dieser Funktion verschiedene nationale und internati-
onale Mandate. Aufbau verschiedener Institutionen, unter anderem der Swiss Chambers’ Arbi­
tration Institution, Präsident von 2004–2013 und Geschäftsführer 2013–2015. Seit 2003 zudem
Geschäftsführer der Borisat GmbH in Pratteln, welche Management-Services für KMU’s und
internationale Vereinigungen wahrnimmt.
Hauptprozess Legal Education
Christian Dueblin
51

51.1 Einleitende Überlegungen

Dieses Kapitel zum Thema „Legal Education“ beruht auf der langjährigen Erfah-
rung des Autors in Sachen Organisation und Abhalten von Schulungen zu rechtli-
chen Themen im In- und Ausland. Weder wird mit diesem Beitrag ein Modell
beschrieben, noch eine Lehrmeinung wiedergegeben. Der Beitrag soll als Inspira-
tionsquelle dienen, um eine sehr dankbare Tätigkeit auf allen Ebenen zum Erfolg
zu führen – für den Dozenten, die Teilnehmenden eines Seminars und schließlich
das Unternehmen selbst, das mit Seminaren bedient werden möchte.1

51.1.1 Rechtsabteilung und Legal Education

Eine Rechtsabteilung in einem Unternehmen trägt als interne Dienstleisterin wesent-


lich zum Gelingen eines funktionierenden Risikomanagements bei. Legal Educa-
tion, in der Regel in Form von Schulungen und Seminaren zu rechtlichen Themen,
ist einerseits den defensiven Tätigkeiten einer Rechtsabteilung zuzuordnen; geht es
doch in der Regel darum, den Mitarbeitenden Instrumente und Werkzeuge an die
Hand zu geben, sich bei Störfällen im Sinne des eigenen Unternehmens gegenüber

1Nachfolgend wird für Schulungen, Seminare, Referate und Vorträge – der Einfachheit halber – der
Begriff „Seminar“ verwendet. Die schulenden Personen, also die jeweiligen juristischen Fachex-
perten, seien es interne oder externe, werden als „Dozenten“ bezeichnet und Beispiele, die aufge-
zählt werden, beziehen sich, weil das Thema von besonderer Wichtigkeit ist, fokussiert auf das
Vertragsmanagement (oft auch contract management genannt); wobei sämtliche Aussagen auch
auf andere Rechtsgebiete, die an Seminaren vermittelt werden, zutreffen.

C. Dueblin (*)
Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC, Basel, Schweiz
E-Mail: dueblin@quadragon.ch

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 729


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_51
730 C. Dueblin

Vertragspartnern durchsetzen zu können. So sollen beispielsweise unberechtigte


Forderungen abgewiesen oder berechtigte Forderungen durchgesetzt werden. Sie
verfolgen aber auch ein proaktives Ziel: Mitarbeitenden soll aufgezeigt werden, wie
sie sich im Arbeitsprozess rechtlich nachhaltig verhalten können, damit Geschäfte
zum Nutzen des eigenen Unternehmens angebahnt und abgewickelt werden können,
ohne dass Stör- und Schadenfälle eintreten. Viele Rechtsabteilungen bieten daher zu
diversen rechtlichen Themen bedarfsbezogen interne Seminare an. Andere Rechts-
abteilungen sind in dieser Hinsicht jedoch untätig. Sei das aus Zeitgründen, mangels
Einsicht des Managements oder, weil es sich um rechtliche Spezialgebiete handelt,
bei welchen die eigene Rechtsabteilung nicht über genügend Know-how verfügt und
sich nicht zutraut, zu diesen Themen selber Weiterbildungen durchzuführen.

51.1.2 Voraussetzungen für Legal Education im Unternehmen

Generell machen Seminare zu rechtlichen Themen nur dort Sinn, wo auch Risiken
lauern, die zu Schäden in Unternehmen führen können und sich mit rechtlichem
Wissen eingrenzen oder gar verhindern lassen. Daher sind Störfälle oft Ursache
für die Organisation eines Seminars zu einem rechtlichen Thema, was wiederum
eine interessante Einsicht und Erkenntnis für den Dozenten ist. Sie zeigt, dass
Unternehmen und deren Geschäftsleitungen einen gewissen Grad an Leidensdruck
erfahren müssen, bevor sie einsehen, dass sich rechtliche Seminare (sofern richtig
organisiert und abgehalten) sehr lohnend auf das Gesamtunternehmen auswirken
können. Ein solcher Störfall kann dazu führen, fest verankerte Abläufe, Prozesse,
Irrtümer und Nachlässigkeiten zu hinterfragen. Dies erklärt auch eine gewisse,
sich regelmäßig einstellende, Dynamik an Seminaren, wenn der Dozent es schafft,
rechtliche Zusammenhänge richtig und praxisnah zu vermitteln.

u Der Störfall darf immer auch als Chance gesehen werden, es in


Zukunft besser zu machen. Störfälle mit großer Auswirkung auf ein
Unternehmen sind nicht selten sogar Anlass, eine eigene Rechtsab-
teilung im Unternehmen aufzubauen oder sich von einem externen
Fachexperten rechtlich begleiten zu lassen.

Was in einem Unternehmen als riskant betrachtet wird, muss mit einer Risikoana-
lyse der Schwachstellen im Unternehmen jeweils genau beleuchtet werden. Das ist
in der Regel nur dann möglich, wenn man das Geschäft versteht. „Das Geschäft
verstehen“ heißt nicht nur, die Rechtsabteilung und ihren Einfluss auf ein Unter-
nehmen zu verstehen, sondern die internen Abläufe, die Prozesse und Schnitt-
stellen zwischen den verschiedenen Unternehmensbereichen zu durchschauen.
Erst mit einem umfassenden Blick auf diese Zusammenhänge und die damit ver-
bundenen Herausforderungen sowie Risiken kann die Rechtsabteilung bedürf-
nisorientiert Schulungen anbieten oder Seminare von externen Fachspezialisten
durchführen lassen.
51 Hauptprozess Legal Education 731

51.1.3 Seminare – sofortiger Impact im Sinne des


Unternehmens

Seminare, fachmännisch und ansprechend durchgeführt, müssen zu einem sofor-


tigen positiven Impact für das eigene Unternehmen führen. Dies wird dadurch
erzielt, dass die Belegschaft direkt auf wichtige Punkte im Arbeitsalltag aufmerk-
sam gemacht werden kann, bei denen besondere Vorsicht an den Tag gelegt wer-
den muss. Ein Seminar, mit Praxisbezug vorbereitet und interaktiv abgehalten,
erlaubt es den Teilnehmenden zudem, diejenigen Fragen zu stellen, deren Beant-
wortung oft im besonderen Maße Klarheit erzeugt. An Seminaren stellen Dozen-
ten oft fest, dass gewisse Fragestellungen zu rechtlichen Themen offenbar schon
lange unbeantwortet im Raum standen und Seminarteilnehmende Antworten
oft mit großer Erleichterung und Freude entgegennehmen. Nicht selten werden
mit guten Antworten auch Missverständnisse aus dem Weg geräumt und es kann
Mythen und Irrtümern entgegnet werden, die sich im Verlaufe einer Karriere ange-
häuft haben.

 Noch nachteiliger als etwas über rechtliche Zusammenhänge nicht


zu wissen, ist die irrige Meinung, etwas Falsches sei richtig.

Folgendes Beispiel aus der Praxis soll einen Irrtum aufzeigen, der für das betrof-
fene Unternehmen fatale Auswirkungen haben kann.

Beispiel
In einem Seminar zum Thema Gewährleistung stellt ein leitender Techniker
fest, dass es bei der Lieferung von elektronischen Komponenten zwischen
offensichtlichen Mängeln und versteckten Mängeln zu unterscheiden gäbe. Für
versteckte Mängel sei sein Unternehmen gemäß Gesetz verdammt, während
zehn Jahren unentgeltlich Reparaturen zu leisten.

Dieses Verständnis für die Regeln der Gewährleistung ist gemäß schweizerischer
Rechtsordnung falsch. Die zehnjährige Frist ist ein Mythos. Diese und ähnliche
Irrtümer sind in der Praxis jedoch leider nicht selten und zeigen auf, welche finan-
ziellen Schäden aus solch irrtümlichen Annahmen resultieren können. Es ist Sache
des Dozenten, diese wunden Punkte im mindset der Mitarbeitenden aufzuspüren
und Klarheit über die gesetzlichen Vorgaben zu schaffen. Falsche Meinungen und
Irrtümer haben dabei verschiedenste Ursachen: Es kann sich um unterschiedliche
Rechtsgrundlagen in anderen Ländern handeln, um veraltetes Wissen der Mitar-
beitenden oder Halbwissen, welches im Ansatz zwar richtig ist, schließlich aber
doch zu keinem guten Resultat führen kann. Von besonderer Bedeutung für den
Dozenten ist die Erkenntnis, dass viele Nichtjuristen für die juristische Denkweise,
die sich in einem Störfall auch vor Gericht im besonderen Maße zeigt, nicht genü-
gend sensibilisiert sind.
732 C. Dueblin

51.1.4 Das Vermitteln der juristischen Denkweise

Im Seminar muss den Nichtjuristen in kürzester Zeit aufgezeigt werden, welche


Bedeutung die juristische Denkweise im Berufsalltag des Unternehmens hat,
beispielsweise in einem Störfall. Das ist schon für juristische Fachexperten eine
­Herausforderung. Ein anschauliches Beispiel ist die Einhaltung von Fristen.

Beispiel
Unternehmen X hat Ware angeliefert bekommen. Der für die Warenannahme
zuständige Mitarbeiter verweilt in den Ferien. Eine interne Stellvertretung gibt
es nicht. Die Wareneingangskontrolle wird darum erst nach zwei Wochen vor-
genommen und es werden zu diesem Zeitpunkt erhebliche offensichtliche Män-
gel an der Ware erkannt.

Eine verpasste Rügefrist, aus der Sicht eines Nichtjuristen vielleicht nur als kleine
Nachlässigkeit empfunden, kann oft auch durch die Rechtsabteilung oder einen
externen juristischen Fachexperten nicht mehr zum Guten gewendet werden. Der
juristische Fachexperte weiß, wie ein Richter in einem solchen Fall verfahren
muss. Er hat sich an das Gesetz zu halten oder an die vertraglichen Vereinbarun-
gen; und es liegt nicht in seinem Ermessen, eine verwirkte Frist zu heilen. Den
Seminarteilnehmenden muss aufgezeigt werden, dass ein Fall nur aufgrund einer
Frist zuungunsten des eigenen Unternehmens scheitern kann. Mit solchen Beispie-
len aus der Praxis kann überzeugend dargestellt werden, welche Konsequenzen
Nachlässigkeiten rechtlicher Art haben können. Ein guter Dozent schafft es, auf
die wichtigsten Punkte, deren Nichtbeachtung fatale Folgen für das eigene Unter-
nehmen haben kann, aufmerksam zu machen, sodass Mitarbeitende dafür sensibi-
lisiert werden, Organisationsverschulden zu erkennen.

51.2 Legal Education und die eigene Dozententätigkeit

51.2.1 Erste Schritte im Rahmen der Verbandsarbeit

Die meisten Wirtschafts- und Branchenverbände bieten für ihre Mitglieder bran-
chen- und fachspezifische Seminare an; auch zu rechtlichen Spezialthemen (siehe
dazu auch Kap. 22). Können Verbände gewisse Spezialthemen nicht mit eige-
nem Know-how abdecken, greifen sie nicht selten auf Fachspezialisten aus den
Reihen ihrer Mitgliedsunternehmen zurück. Das macht Sinn, denn im Verband
sind ja Unternehmen zusammengeschlossen, welche alle mit ungefähr denselben
­He­rausforderungen konfrontiert sind, um auf dem Markt bestehen zu können. Von
der Symbiose zwischen Verband und Unternehmen können auch Rechtsabteilungen
und ihre Mitarbeitenden profitieren. Der General Counsel und die Legal Coun-
sels erhalten nicht nur die Möglichkeit, sich neue Erkenntnisse bei der Teilnahme
an Seminaren anzueignen, sondern auch gleichzeitig eine Bühne, auf welcher
51 Hauptprozess Legal Education 733

sie sich präsentieren können, um die eigenen Erfahrungen einem größeren Pub-
likum weiterzugeben. Einerseits können sich der General Counsel und die Legal
Counsels durch Referate und Vorträge zu Spezialthemen sehr gut im Markt und
in ihrer Branche bemerkbar machen. Andererseits bieten ihnen solche Plattformen
aber auch die Möglichkeit, sich Dozentenerfahrung anzueignen und sich für Schu-
lungen und Seminare im eigenen Unternehmen inspirieren zu lassen. Diese Gele-
genheit bieten oft auch Fachhochschulen, Hochschulen sowie Berufsverbände,
Fachverbände und oft auch Handelskammern.

51.2.2 Der Typus des „guten“ Dozenten

Erfahrungsgemäß ist es nicht jedermanns Sache, vor einer fremden Gruppe von
Menschen über einen bestimmten Sachverhalt zu sprechen; noch schwieriger ist
es, dann auch noch gleich über juristische Themen zu referieren. Das ist nicht
selten Grund dafür, dass die Mitarbeitenden von Rechtsabteilungen selbst keine
internen Schulungen durchführen möchten, auch wenn diese für das Unternehmen
sehr sinnvoll wären. Nebst Fachverstand und Erfahrung im Umgang mit Menschen
bedarf es einer Vielzahl von weiteren Punkten und Charaktermerkmalen, die einen
Dozenten zu einem sehr guten Seminarleiter machen:

• Nicht abgehoben wirken und in Bezug auf seine eigene Person die nötige
Zurückhaltung an den Tag legen: Dazu kann es durchaus gehören, je nach Situa­
tion auch einmal auf Anzug und Krawatte zu verzichten, die zu Distanz zum
Publikum führen können.
• Bewusstsein, dass Recht nur ein ganz kleiner Bestandteil dessen ist, was ein
Unternehmen zusammenhält, erfolgreich macht und zur Lösung eines Problems
oder Störfalles beiträgt.
• Bewusstsein, dass man Teilnehmende vor sich hat, die alle auf ihrem Fachge-
biet mehr wissen als der Dozent.
• Das nötige Feingefühl für die Gratwanderung zwischen Fachaussagen und
Entertainment: Beides in einem Gleichgewicht zu behalten, ist eine Heraus-
forderung, ein Balanceakt. Zu fachlich ausgerichtet, kann ein Dozent als lang-
weilig empfunden werden, setzt er jedoch zu sehr auf Entertainment, kann die
Ernsthaftigkeit darunter leiden.
• Der Dozent muss über die soziale Kompetenz verfügen, Seminarteilnehmende
aus unterschiedlichsten Unternehmensbereichen an ein rechtliches Thema her-
anzuführen. Weil rechtliche Themen oft ohnehin schon kompliziert sind, soll-
ten in einem Seminar höchste Ansprüche an die systematische Vorgehensweise
eines Dozenten gestellt werden.
• Die juristische Denkweise mit klaren Beispielen untermalen, wozu der Dozent
über fundiertes Wissen in Bezug auf die Produkte, Leistungen und Abläufe in
einem Unternehmen verfügen muss.
• Der Dozent ist gut beraten, sich von Kollegen und anderen Dozenten beobach-
ten zu lassen und sich vom ehrlichen Feedback dieser Personen inspirieren zu
lassen. Diese Personen, mit dem nötigen Fachverstand ausgestattet, sind eine
734 C. Dueblin

Art Spiegel, den der Dozent, der immer etwas noch besser machen kann, nicht
leichtfertig ablehnen sollte. Der Dozent wird vor allem durch konstruktive Kri-
tik wachsen.

Das Auftreten des Dozenten spielt somit nebst dem juristischen Know-how eine
bedeutende Rolle. Gelingt es dem Dozenten, sachkompetent, verständlich, sympa-
thisch und mit der nötigen Praxisnähe des zu vermittelnden Stoffes aufzutreten, so
sind das gute Voraussetzungen, von den Teilnehmenden eines Seminars gut bewer-
tet zu werden.

51.2.3 Der Typus des „schlechten“ Dozenten

Im Gegensatz dazu fällt der schlechte Dozent dadurch auf, dass folgende Stich-
worte auf Bewertungsbogen erscheinen, die nach Abschluss eines Seminars ausge-
wertet wurden:

• Kein Bezug zum Geschäftsalltag.


• Kein System oder keine Methode.
• Wenig strukturiertes Vorgehen.
• Wenig Erkenntniswert, weil zu theoretisch.
• Gereiztes, schulmeisterliches Auftreten.
• Nicht eingehen auf Fragen.
• Zu wenig Fachkompetenz in Bezug auf das Alltagsgeschäft der Seminarteilneh-
menden.

Fehler passieren jedem Dozenten. Die meisten können auch ohne Probleme beho-
ben werden, da sie ja direkt aufzeigen, woran der entsprechende Dozent noch
arbeiten sollte, damit er in Zukunft als „guter“ Dozent wahrgenommen wird.
Schließlich gilt auch hier der Satz, dass niemand unfehlbar ist. Lassen Sie sich
daher von negativen Bewertungen nicht ins Bockshorn jagen, verstehen Sie diese
vielmehr als wertvollen Input für die Weiterentwicklung Ihres persönlichen Weges
als Dozent.

51.3 Die Organisation eines Inhouse-Seminars

51.3.1 Bedarfsanalyse und Anbieterauswahl

Es gilt, den Weiterbildungsbedarf und die Entwicklungspotenziale im Unter-


nehmen genau zu analysieren. Wie einleitend festgehalten, bedarf es in Sachen
rechtlicher Seminare auch einer eingehenden Risiko- und Bedarfsanalyse, zu der
durchaus auch die Mitarbeitenden beigezogen werden können. Seminare sollen
dort greifen, wo mithilfe des Dozenten ein direkter Impact auf den Unterneh-
mensbetrieb erzielt werden kann. Das Unternehmen, welches rechtliche Schulung
51 Hauptprozess Legal Education 735

sucht, muss daher seine Ziele genau definieren. Ziel kann es sein, einen gewissen
Wissensstand zu erreichen, ein gewisses Entwicklungsniveau herbeizuführen oder
aber auch nur, punktuelle Störfälle zu verhindern, respektive auf gewisse wichtige
rechtliche Punkte hin zu sensibilisieren. Dabei fragt es sich, welche Eigenschaften
der Mitarbeitenden gefördert werden sollen.
In einem nächsten Schritt gilt es zu prüfen, ob es Institutionen gibt, die das
rechtliche Thema bereits öffentlich anbieten. Wie bereits festgehalten, sind Wirt-
schafts- und Berufsverbände interessante Plattformen für Unternehmen. Gerade
Unternehmen, die aufgrund ihrer Größe auf das Selbsterarbeiten rechtlicher Semi-
nare aus Kostengründen verzichten müssen, können von Verbänden das nötige
Know-how erlangen. Viele Verbände, aber auch Hochschulen, Fachhochschulen,
Handelskammern und Branchenvereinigungen kennen den Markt und sie ken-
nen die Experten, die sich mit Seminaren, Büchern und Fachartikeln bemerkbar
gemacht haben. Nebst Verbänden gibt es zudem eine immer größer werdende Zahl
von Anwaltskanzleien, die sich auf spezifische rechtliche Themen spezialisieren
und sich solche Marktnischen zunutze machen. Solche Kanzleien bieten ebenfalls
Kurse auf sehr hohem Niveau an. Insgesamt sollten Unternehmen beim Beizug
von externen rechtlichen Seminaren folgende Punkte beachten:

• Qualifikation des Dozenten (guter Mix aus Theorie und Praxis)?


• Hat sich der Dozent selber weitergebildet?
• Branchen- und Seminarerfahrungen des Dozenten?
• Bewertungen des Dozenten in anderen Kursen?
• Kosten-Nutzen-Analyse?

Für Unternehmen ab einer gewissen Mitarbeiterzahl lohnt es sich in der Regel jedoch
bereits aus Kostengründen, intern eigene Seminare durch die Rechtsabteilung zu
organisieren; mit dem zusätzlichen Vorteil eines maßgeschneiderten Angebots. Semi-
nare zu diversen rechtlichen Themen sollten denn auch keine freiwillige Aktion
darstellen. Wer mit verantwortungsvollen Aufgaben betraut ist, soll auch verantwor-
tungsbewusst weitergebildet und entwickelt werden. So wäre contract management
für eine Verkaufsabteilung als Pflichtfach anzusehen, weil es dort darum geht, Risiken
und Schäden aus dem Verkaufsprozess für das eigene Unternehmen zu verhindern.

51.3.2 Gute Vorbereitung – Branchen-Know-how und


Praxisbezug

Allein gutes Auftreten, Sachverstand und Sympathie reichen nicht aus, um ein
eigenes internes Seminar erfolgreich zu machen. So ist es vorteilhaft, wenn Sie
folgende praktischen Tipps mit in Ihre Planung einbeziehen, sofern Sie selbst ein
Inhouse-Seminar anbieten möchten:

• Die Teilnehmenden nach der Sprache fragen, in der doziert werden soll.
• Die Sitzordnung gleich am Anfang klären.
736 C. Dueblin

• Die Teilnehmenden über den Ablauf des Seminars informieren, auch über den
Zeitpunkt der Pausen und das Ende des Seminars.
• Namenschilder verteilen, sodass die Teilnehmenden korrekt angesprochen wer-
den können.
• Von Anfang an klarstellen, ob die Sie- oder Du-Form eingehalten werden soll.
• Gleich zu Beginn einen generellen Überblick über das Seminar vermitteln:
Themen, Pausen, Dauer, Möglichkeit, Fragen zu stellen etc.
• Bereits am Anfang Weisungen erteilen, die für Sie als Dozent persönlich wich-
tig sind: Abschalten des Smartphones, keine Getränke und Esswaren auf dem
Tisch, keine Gespräche, die andere stören etc.

Seien Sie sich zudem bewusst: Den rechtlichen Themen werden viele Nichtju-
risten zunächst mit Skepsis begegnen. Das hat unter anderem damit zu tun, dass
rechtliche Zusammenhänge sehr vielen Mitarbeitenden unklar sind und sie deren
Nutzen für ihren Arbeitsalltag nicht richtig verstehen (wollen). Dem Dozenten
muss es daher gelingen, das rechtliche Thema in einen realen Arbeitsbezug zu
bringen. Hierfür eignen sich Beispiele aus der Praxis oder dem Alltag ganz hervor-
ragend:

Beispiel
Dozent X erklärt den Seminarteilnehmenden, wie ein Raucher beim Bezug von
Zigaretten an einem Zigarettenautomat einen Kaufvertrag abschließt oder er
beschreibt, wie es sich mit Angebot und Annahme beim Kauf eines Produktes
in einem Warenhaus verhält.

Der Seminarteilnehmende, vielleicht selber Raucher, erkennt sich in der sehr ver-
trauten Situation wieder, was seine Aufmerksamkeit erhöht. Er begreift bei den
oben genannten Beispielen, dass es in seinem Privatumfeld vielerlei Bezüge zum
Recht gibt. Er hat sich vielleicht noch nie bewusst darüber Gedanken gemacht,
dass beim Bezug von Zigaretten an einem Automaten ein Kaufvertrag abgeschlos-
sen wird und damit Rechte und Pflichten begründet werden.

u Schulung ist nicht gleich Schulung: Sie muss jeweils konkret auf
die Mitarbeitenden angepasst und auf ihre täglichen Herausforde­
rungen hin vermittelt werden.

Je vielseitiger ein Unternehmen tätig ist und je umfassender die Organisation und
Struktur eines Unternehmens sind, desto mehr sind die Rechtsabteilung und im
ganz besonderen Maße der externe Fachspezialist, respektive der Dozent gefor-
dert. Seminare müssen maßgeschneidert angeboten werden, um einen maximalen
Erkenntniswert für die Teilnehmenden zu erzielen. Sie dürfen den Seminarteil-
nehmenden durchaus auch einen persönlichen Nutzen bringen. Gelegentliche
Hinweise auf persönliche rechtliche Angelegenheiten werden von Seminarteilneh-
menden oft sehr geschätzt. All dies bedarf einer gewissen Methodik. Mit Hilfe von
51 Hauptprozess Legal Education 737

Beispielen kann der Dozent Parallelen zu Spezialfällen im Unternehmen herstellen.


Die Folge daraus ist, dass in aller Regel auf das Zitieren von Gesetzen und Arti-
keln verzichtet werden kann. Gesetze oder einzelne Gesetzespassagen können kurz
genannt, in ihrem Detailgrad jedoch Skripten und Handouts überlassen werden.

u Gelingt es dem Dozenten, rechtliche Themen mit der Selbsterfah-


rung der Seminarteilnehmenden schlüssig zu verbinden, so kann
ein maximaler Erkenntnisgewinn aus einem Seminar resultieren.

Der Praxisbezug rechtlicher Themen ist für eine interne Rechtsabteilung viel
schneller und besser herstellbar als für einen externen Dozenten. Letztere sind
deshalb gut beraten, sich als Dozent im Unternehmen kundig zu machen und sich
über die Abläufe, Produkte und Probleme ausreichend zu informieren. Rechtsab-
teilungen, die externe Dozenten beiziehen, müssen diese deshalb proaktiv über
wichtige Abläufe und Herausforderungen in Kenntnis setzen. Ansonsten riskieren
sie, dass ein Seminar nicht den maximalen Nutzen erzielen wird.

51.3.3 Gute Vorbereitung – Verständnis für Nichtwissen im


rechtlichen Bereich

Sowohl die Mitarbeitenden der Rechtsabteilung wie auch der externe Fachexperte
müssen sich darüber im Klaren sein, dass rechtliche Themen während der allge-
meinen Schulausbildung wenig anzutreffen sind und viele rechtliche Themen, die
in Unternehmen eine Rolle spielen, erst on-the-job verstanden werden können.
Der Dozent kann einleitend, wenn es um das Thema Recht geht, zum Beispiel auf
das Römische Recht verweisen und einen Exkurs in die Rechtsgeschichte unter-
nehmen. Dabei ist es nicht nötig, auf Details einzugehen. Der Hinweis jedoch,
dass unser Rechtsdenken weitgehend von den Römern geprägt ist, findet bei Semi-
narteilnehmenden erfahrungsgemäß großen Anklang. Vielen sind diese Zusam-
menhänge überhaupt nicht klar. Wichtig für den Dozenten (egal ob intern oder
extern) ist es, sich darüber bewusst zu sein, dass allzu konkrete Fälle von invol-
vierten Mitarbeitenden auch falsch aufgenommen werden können.

u Erkennen Seminarteilnehmende Fälle, an denen sie selber beteiligt


waren, besteht bei der gemeinsamen Analyse eines solchen Falles
die Gefahr, dass Teilnehmende das Gefühl bekommen, an den Pran-
ger gestellt zu werden.

Dieses Gefühl und diese Assoziationen müssen vom Dozenten verhindert werden,
vor allem dann, wenn auch Vorgesetzte am Seminar teilnehmen. Er hat für genü-
gend persönlichen Abstand in Bezug auf einen zu behandelnden Sachverhalt zu
sorgen, damit negative Assoziationen von Seminarteilnehmenden unwahrschein-
lich werden. Auch dann, wenn dem Dozenten von einem Vorgesetzten mitgeteilt
738 C. Dueblin

wird, er solle einen ganz konkreten Fall akribisch vermitteln, um ähnliche Stör-
fälle in Zukunft verhindern zu können. Auf keinen Fall ist es Sache des Dozenten,
mit zu praxisnahen Beispielen Druck auf Seminarteilnehmende auszuüben. Sollte
Druck anstelle von Überzeugung überhaupt die richtige Vorgehensweise sein, um
einen Störfall zu besprechen, so ist es Aufgabe des Vorgesetzten, den Mitarbeiten-
den zurechtzuweisen und nicht die des Dozenten.

51.4 Konflikte in Seminarsituationen

51.4.1 Wahrnehmung negativer interner Sachverhalte

Aus Aussagen der Teilnehmenden lassen sich oft erkenntnisreiche Schlüsse über
ein Unternehmen ziehen. Dem Dozenten ist es angeraten, bei solchen Erkenntnis-
sen mit einer gewissen Zurückhaltung zu reagieren. Es liegt in der Regel nicht am
Dozenten, nebst dem Vermitteln von Fachwissen, organisatorisch oder anderweitig
in ein Unternehmen einzugreifen, obwohl sich ein solches Vorgehen aufdrängen
würde. Insbesondere sollte der Dozent bei folgenden Informationen über interne
Missstände Zurückhaltung an den Tag legen:

• Generelles Fehlen eines Risikomanagements oder eines risikobewussten Ver-


haltens in einem Unternehmen, damit auch Fehlen der nötigen Sensibilität auf
Führungsebene für rechtliche Themen, was sich auf die Mitarbeitenden und ihr
Verhalten negativ auswirkt.
• Mangelhafte Führung eines Unternehmens, damit verbunden mangelhafte
Koordination und Kontrolle einzelner Geschäftsbereiche. Daraus resultieren
unklare Verantwortlichkeiten, die sich bei rechtlichen Fragestellungen und
­He­rausforderungen negativ bemerkbar machen.
• Fehlen einer Rechtsabteilung oder fehlender Zugang zu externen Rechtsspezialis-
ten; sei dies aus finanziellen Gründen, aus Nachlässigkeit oder gar aus Ignoranz,
mit dem Resultat, dass sich Mitarbeitende nicht genügend informieren können.
• Fehlen eines Contract-Management-Systems und damit verbunden Fehlen von
Vertragsvorlagen und Checklisten, die von Mitarbeitenden hinzugezogen wer-
den sollten, um präventiv grundlegenden Fehlern beim Abschluss von Verträ-
gen vorbeugen zu können.
• Nach falschem oder unvollständigem Kriterienkatalog rekrutierte Mitarbeitende,
bei denen der Fokus zu sehr auf einen Fachbereich gesetzt worden ist, ohne zu
beachten, dass weitere Kenntnisse über den eigenen Bereich hinaus, beispiels-
weise rechtliche und kaufmännische, für das Unternehmen wichtig wären.
• Keine oder mangelhafte Möglichkeiten, sich intern oder extern in rechtlichen
Angelegenheiten weiterbilden zu können.
• Mangelhafte persönliche Einstellung von Mitarbeitenden in Unternehmen, die
nicht einsehen können oder wollen, dass sie Teil eines ganzen Organismus sind
und ihre Arbeit daher immer auch rechtliche Auswirkungen auf die Organisa-
tion hat.
51 Hauptprozess Legal Education 739

Für interne Dozenten bieten sich solche Informationen an, um diese intern zu
diskutieren und damit einen positiven Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsat-
mosphäre zu leisten. Dabei sollten aber die gemachten Wahrnehmungen immer
mit dem General Counsel oder einer anderen entsprechend vorgesetzten Person
besprochen werden. Eine allgemeine Informationsstreuung ist tunlichst zu ver-
meiden. Externe Dozenten hingegen, insbesondere solche, welche unternehme-
risch denkend sind oder selber als Unternehmer tätig sind, müssen sich darauf
einstellen, hin und wieder in solchen Situationen gegen ein gewisses Frustpoten-
zial ankämpfen zu müssen. Solche Situationen stellen sich insbesondere dann ein,
wenn der Dozent erkennt, dass der Erkenntnisgewinn aus dem Seminar keinen
Einfluss haben wird auf den Geschäftsgang eines Unternehmens, da Fehler und
Schäden sowieso eintreten werden.

51.4.2 Unternehmen mit ausschließlichem Fokus auf Technik

Besonders technisch orientierte Unternehmen kranken oft daran, dass sie sich
einerseits in Sachen Technik auf sehr hohem Kenntnisstand, andererseits jedoch in
Sachen rechtlichen Wissens auf sehr tiefem Niveau bewegen.

Beispiel
Techniker X wird bei einer Wartungsarbeit bei einem Kunden auf einen defek-
ten Motor aufmerksam gemacht. Der Kunde will den Motor ersetzt haben. Tech-
niker X ist sich über die vertragliche Ausgestaltung des Geschäftes nicht im
Klaren. Er weiß nicht, ob Gewährleistungsfristen möglicherweise bereits abge-
laufen sind und ist sich nicht bewusst, wie gemäß Vertrag, dem Drehbuch für das
Geschäft, vorgegangen werden sollte. Allzu schnell lässt er sich überreden, den
Motor unentgeltlich auszutauschen, um das Problem „technisch“ zu erledigen.

Mit einem Kurzseminar wäre es hier sehr gut möglich, alle Techniker mit Kunden-
kontakt auf wichtige rechtliche Punkte in Bezug auf Gewährleistung und Garan-
tie hin zu sensibilisieren. Sie müssen wissen, was rechtlich gesehen ein Mangel
ist und müssen beispielsweise die Gewährleistung von der Kulanz unterscheiden
können. Ein weiteres Beispiel soll die Konsequenzen für mangelndes rechtliches
Wissen zeigen:

Beispiel
Unternehmen Y macht auf eine Funktionsstörung eines Gerätes aufmerksam,
um sich mit der Mängelrüge die Gewährleistungsansprüche sichern zu können.
Techniker X erkennt den gerügten technischen Fehler und teilt mit, dass es tat-
sächlich immer wieder zu solchen Störungen komme und man der Sache nun
nachgehen wolle.
740 C. Dueblin

Techniker X hat sich „technisch“ gesehen richtig verhalten; er denkt technisch-


lösungsorientiert. Es fehlen ihm jedoch rechtliche Kenntnisse, um diese Situa-
tion im Sinne seines Unternehmens richtig angehen zu können. Er hat mit seiner
Reaktion möglicherweise die rechtliche Ausgangslage des eigenen Unternehmens
wesentlich verschlechtert, indem er darauf hinweist, dass offensichtlich ein Man-
gel vorliegt und dieser offenbar auch schon länger bekannt war.

51.4.3 Kritik und Vorbehalte gegenüber dem Dozenten

Dozenten müssen sich hin und wieder auch Kritik anhören. Es wird von Teil-
nehmenden, die einem juristischen Seminar oder der juristischen Berufsgattung
gegenüber schon von vornherein negativ eingestellt sind, oft versucht, an der Pra-
xisrelevanz von Themen zu zweifeln und dadurch einer Schulung die Berechti-
gung zu entziehen. Das kann für den Dozenten zu schwierigen Situationen führen.
Der Dozent kann in solchen Momenten Gegensteuer geben und Überzeugungsar-
beit leisten, wenn er das Praxisgeschäft versteht und er sich mit Störfällen ausei-
nandergesetzt hat, die den Sinn juristischer Unterstützung in einem Unternehmen
klar machen.

Beispiel
Dozent X spricht vor einer Verkaufsabteilung zunächst auf theoretischem
Niveau über die Wichtigkeit der Vertragsklauseln in Bezug auf das anwendbare
Recht und den Gerichtsstand. Verkäufer Y will den Dozenten auf die Probe stel-
len. Er ist Juristen gegenüber generell skeptisch, wenn nicht sogar negativ ein-
gestellt. Er behauptet, dass es in den letzten zehn Jahren noch nie einen Fall im
Unternehmen gegeben habe, bei dem das anwendbare Recht oder der Gerichts-
stand eine Rolle gespielt hätten. Dozent X hat sich im Vorfeld beim Manage-
ment des Unternehmens kundig gemacht und kann schnell und elegant einen
Fall schildern, bei dem diese beiden wesentlichen Vertragspunkte eine außeror-
dentliche Rolle gespielt haben.

u Setzen Rechtsabteilungen externe Dozenten für Seminare ein, tun


sie gut daran, einen Vertreter der eigenen Rechtsabteilung am
Seminar teilnehmen zu lassen. Der interne Fachexperte kann in
schwierigen Situationen sofort eingreifen und den Dozenten mit
praxisrelevanten Hinweisen unterstützen.

51.4.4 Mangelndes Verständnis für unternehmerische


Zusammenhänge

Nicht jedem juristischen Fachexperten können unternehmerische Zusammenhänge


klar sein. Um ein Pharmaunternehmen auch aus juristischer Sicht zu verstehen,
51 Hauptprozess Legal Education 741

muss ein Legal Counsel jahrelang in einem Pharmaunternehmen gearbeitet haben.


Selbst das reicht in einer Rechtsabteilung nicht, um auch kaufmännische und tech-
nische Punkte vollends zu verstehen. Legal Counsels müssen sich daher hin und
wieder anhören, dass sie im Unternehmen als „Fachidioten“ wahrgenommen wer-
den. Dies gilt im gleichen Maße aber auch beispielsweise für Techniker oder Buch-
halter. Damit wird auf pejorative Art und Weise ausgedrückt, dass eine Person nicht
fähig ist, fächerübergreifend und unternehmerisch denken zu können. Solches Wis-
sen kann sich die entsprechende Person allerdings on-the-job aneignen, indem sie
sich mit anderen Abteilungen im Unternehmen auseinandersetzt oder sich weiter-
bildet, mit Seminaren zu Finanzthemen, gar einem Master of Business Administ-
ration (MBA) oder einer ähnlichen Weiterbildung (siehe dazu detailliert Kap. 42).

 Der Dozent sollte nicht nur über rechtliche Zusammenhänge, son-


dern auch über unternehmerisches Wissen verfügen, insbesondere
dort, wo die rechtlichen Erkenntnisse eine Rolle im Unternehmen
spielen.

51.5 Teilnehmerkreis und Methodik

Aus Kostengründen werden Teilnehmende aus unterschiedlichen Unternehmens-


bereichen oft zusammen in die gleichen Seminare gesandt. Dies muss im Vorfeld
gut überlegt sein. Werden etwa Teilnehmende aus Verkauf und Einkauf für ein
Seminar zu einem rechtlichen contract management-Thema zusammen gemischt,
da ja beide Abteilungen vordergründig mit Verkaufsverträgen zu tun haben, sind
Probleme und Missverständnisse bereits vorprogrammiert. Im Einkauf und Ver-
kauf, um an diesem Extrembeispiel festzuhalten, läuft im Tagesgeschäft alles mit
umgekehrten Vorzeichen ab. Auch Seminare, an denen Vorgesetzte und ihre Mitar-
beitenden teilnehmen, können problematisch sein, da sich Mitarbeitende in gewis-
sen Fällen aus Angst vor Versagen oder negativ aufzufallen, nicht trauen, Fragen
zu stellen und aktiv mitzumachen. Auch länderübergreifende Seminare können
für einen Dozenten heikel sein, weil unterschiedliche Rechtsordnungen zu unter-
schiedlichen Beurteilungen eines Sachverhaltes führen können.
Der Dozent wird daher unterschiedliche Methoden wählen müssen, um dem
Teilnehmerkreis seines Seminars gerecht zu werden:

• Handelt er als Vortragender, kann er auf die Beantwortung von Zwischenfragen


verzichten und gezielt seinen Ausführungen folgen.
• Er kann aber auch die Rolle eines Vermittlers übernehmen, wenn Seminarteil-
nehmende einen Fall diskutieren.
• Er kann als Beobachter tätig sein, wenn es darum geht, eine Gruppenarbeit zu
überwachen.
• Er kann als Moderator agieren, wenn verschiedene Meinungen in Einklang zu
bringen sind.
• Auch ist es ihm überlassen, Rollenspiele zu organisieren oder Gruppenarbeiten
in Auftrag zu geben.
742 C. Dueblin

• Er kann die Rolle eines Mitarbeitenden eines anderen Unternehmensbereiches


oder eines Kunden einnehmen.
• Er kann die Rolle eines Richters übernehmen, um aufzuzeigen, wie ein Gericht
mit einem Störfall umgehen würde.

Ein guter Mix dieser Rollen und Methoden, abgestimmt auf die Bedürfnisse im
Unternehmen und auf den Teilnehmerkreis, macht ein gutes Seminar aus. Hierzu
ein Beispiel, wie es nicht gemacht werden sollte: Der Dozent organisiert ein Rol-
lenspiel mit gestandenen und altgedienten Verkäufern eines Unternehmens. Diese
langweilen sich, weil der Erkenntnisgewinn aus dem Rollenspiel gering ist und
ihm Verkäufer darlegen, dass die vorgegebene Situation zu theoretisch sei und
in der Praxis nicht vorkomme. Der Dozent ist daher gut beraten, sich im Vorfeld
eines Seminars genau mit dem Teilnehmerkreis, ihrem Umfeld und der Aufgaben-
stellung auseinanderzusetzen.
Der Dozent wird feststellen, dass diejenigen Teilnehmenden, welche mit kri-
tischen und berechtigten Fragen aufwarten, auch diejenigen Mitarbeitenden im
Unternehmen sind, die bereits über rechtliche Problemstellungen und deren Ein-
fluss auf das Tagesgeschäft Bescheid wissen oder diesbezügliche Probleme orten.
Dafür muss der Dozent Interaktivität zulassen, jedoch gleichzeitig dafür sorgen,
dass die Systematik des Seminars nicht verloren geht. Wichtig ist es daher, jeder-
zeit Fragen zu- und sich auf diese entsprechend einzulassen; Fragen aber auch
abzulehnen, wenn sie das Themenfeld zu arg strapazieren. Spezialfragen können
in der Pause oder nach dem Seminar beantwortet werden. Oft sind diese wiederum
Inputs für neue Seminarthemen. Geht der Dozent so vor, empfindet der Fragen-
stellende insbesondere bei einer vernünftigen Antwort Wertschätzung. Wertschät-
zen kann der Dozent Fragen, indem er diese wohlwollend aufnimmt und praxisnah
beantwortet. Selbst dann, wenn einem juristisch Sachkundigen eine Frage als naiv
erscheinen mag. Nicht auszudenken, wie dumm ein juristischer Fachspezialist
bei gewissen trivialen technischen Fragen dastehen würde! Wertungen sind daher
möglichst zu unterlassen.
Naiv empfundene Fragen kann der Dozent wohlwollend in berechtigte Fragen
umwandeln, indem er einen Sachverhalt mit eigenen Worten leicht verändert oder
auf einen gewissen Fall anpasst. Dieser Fall bekommt besondere Bedeutung, wenn
Vorgesetzte zugegen sind und diese mit einer vielleicht naiven Fragestellung ihr
Unwissen belegen. Auch hier muss es dem Dozenten gelingen, dem Vorgesetzten
zu helfen, sein Gesicht zu wahren, indem er beispielsweise erklärt, dass die geäu-
ßerte Ansicht in der Vergangenheit zwar richtig war, es sich aufgrund von Geset-
zesänderungen heute jedoch anders verhält. Oder indem der Dozent klarstellt,
dass eine Ansicht gemäß einem Landesrecht zwar stimme, im vorliegenden Falle
jedoch, auf das Heimatland bezogen, nicht ganz richtig sei.
Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass auch juristische Fachexperten
nicht alles wissen können. Mit jahrelanger Dozententätigkeit werden gewisse Fra-
gen zum Standard. Der Dozent ist aber immer wieder mit besonderen Konstellati-
onen konfrontiert, auf die er im einen oder andern Fall auch keine direkte Antwort
geben kann. Hier ist dem Dozenten zu empfehlen, nicht mit „Ich weiß das nicht“
51 Hauptprozess Legal Education 743

zu reagieren, sondern darauf hinzuweisen, dass eine Antwort detailliert abgeklärt


werden müsse und nach dem Seminar nachgereicht werde. Jeder weiß vieles nicht;
es ist aber Aufgabe des juristischen Fachexperten, eine Antwort zu finden, nötigen-
falls mit fremder Unterstützung.

Über den Autor


Christian Dueblin, lic. iur., Executive MBA Universität St.Gallen (HSG) – Partner QUAD-
RAGON MANAGEMENT LLC, Basel
Studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Fribourg/Basel und bildete sich anschlie-
ßend betriebswirtschaftlich mit einem Executive MBA-Lehrgang in General Management an
der Universität St.Gallen (HSG) weiter. Er hat mehrere Jahre als nebenamtlicher Bezirksrichter
gearbeitet, Rechtsabteilungen bekannter international tätiger Mittelstandsbetriebe aufgebaut und
als General Counsel geleitet. Als Partner von QUADRAGON MANAGEMENT verantwortet
er die Bereiche Interim Legal Counseling und Legal Education. Christian Dueblin ist langjähri-
ger Experte und Fachdozent für Recht von procure.ch. Er ist zudem Gründer und Betreiber des
Kultur- und Management-Netzwerkes Xecutives.net.
Zusatzprozess Document
Management 52
Hans Peter Heimsch

52.1 Document Management als ganzheitliche Lösung

Ein umfassendes Vertragsmanagement (VTM) bildet, wie in Abb. 52.1 dargestellt,


den ganzen Vertragslebenszyklus von der Anbahnung, über die Vertragslaufzeit,
bis zur Kündigung ab. Es muss also nicht nur das eigentliche Vertragsdokument
umfassen, sondern alle Dokumente, die mit einem Vertrag in Verbindung stehen.
Das sind außer den Papierdokumenten auch E-Mails, Word- und Excel-Dateien bis
hin zu Grafiken, CAD-Zeichnungen etc. Die klassische Vertragsakte in Papierform
ist ohne Medienbruch1 heute gar nicht mehr möglich. Deshalb bietet sich als Basis
für das Vertragsmanagement ein Dokumenten Management System (DMS) an.
Um diese Fülle von Dokumenten zu managen, sind deren Inhalte von zen-
traler Bedeutung. Erst diese ermöglichen es, Auswertungen, automatisierte
Überwachungen und die nachfolgenden Mehrwerte zu realisieren, welche ein Ver-
tragsmanagementsystem heute für Rechtsabteilungen generieren sollte:

• finden statt suchen;


• Versionierung (übereinander statt nebeneinander);
• ausgefeilte Berechtigungen;
• zentraler Zugriff (Selfservice für Fachabteilung, Einkauf, Buchhaltung etc.);
• Basis für eine Zusammenarbeit zwischen den Fachbereichen;
• Nachvollziehbarkeit (wer hat was erstellt, geändert, angesehen etc.);
• Genehmigungsprozesse mit integrierten Workflows;

1EinMedienbruch entsteht, wenn die Weiterverarbeitung einer Information aufgrund des Medi-
enwechsels von Papier auf elektronische Medien und umgekehrt erschwert ist. Im Falle des VTM
bedeutet dies, dass die Informationen an unterschiedlichen Orten vorgehalten werden müssen.

H.P. Heimsch (*)


Stuttgart, Deutschland
E-Mail: hpheimsch@softmate.de

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 745


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_52
746 H.P. Heimsch

Abb. 52.1  Der Lebenszyklus eines Vertrages aus Sicht des Vertragsmanagements

• Reporting-Möglichkeiten;
• automatische Benachrichtigungen;
• Wiedervorlagen;
• klare Strukturvorgaben anstatt organisatorische Anweisungen;
• Verbindungen zwischen verschiedenen Verträgen visualisieren.

52.2 Ausgangslage in der Rechtspraxis

Verträge werden in Unternehmen und der öffentlichen Verwaltung auch heute


noch vor allem in Papierform aufbewahrt. Meist dezentral in den Fachabteilungen.
Schriftwechsel zu den Verträgen werden entweder gar nicht oder an einer anderen
Stelle als der zugrunde liegende Vertrag archiviert. Wenn überhaupt ein Dokumen-
ten Management stattfindet, dann in Form von Excel-Sheets, welche Verträge auflis-
ten und die wichtigsten Spalten wie Vertragspartner, Zuständigkeiten, Fristigkeiten
etc. beinhalten. Oft ist jedoch auch bereits ein Teil der Verträge digitalisiert und im
Filesystem gespeichert. Im besten Fall in derselben Struktur beziehungsweise unter
der gleichen Bezeichnung wie in Excel erfasst. Allerdings ist hierbei die Pflege sehr
umständlich und fehleranfällig. Sie hinkt somit meist hinterher. Die Excel-Über-
sicht und die im Filesystem gespeicherten Dokumente stimmen dann nicht mehr
überein und sind unvollständig; Auswertungen sind dadurch nur bedingt sinnvoll.
Aus diesem Grund ist ein DMS-gestütztes Vertragsmanagementsystem zu
wählen, welches die vorgenannten Schwachpunkte nicht aufweist. Dieses soll
52 Zusatzprozess Document Management 747

dazu beitragen, dass die Rechtsabteilung, falls sie die Zusatzaufgabe Document
Management durchzuführen hat, möglichst wenige Ressourcen an diese Tätig-
keit binden muss. Ein effizientes und effektives Vertragsmanagementsystem einer
Rechtsabteilung sollte daher folgenden Merkmale aufweisen:

• Vollständigkeit: Die Rechtsabteilung hat alle (relevanten) Dokumente im Griff.


• Ganzheitlicher Dokumentenansatz: Alle vertragsrelevanten Zusatzdokumente
eines Vertrags findet man problemlos im Überblick. Über die Vollständigkeit
der rechtlich relevanten Dokumente hinaus sollten alle Dokumente von der
Vertragsentstehung bis zum Ende der Vertragswirkung archiviert werden. Dazu
zählen auch zum Beispiel der zugehörige Schriftverkehr und die internen Stel-
lungnahmen.
• Transparenz: Die Rechtsabteilung weiß, welche Verträge von den Fachberei-
chen mit welchen Vertragspartnern abgeschlossen wurden.
• Genehmigungsprozesse: Dokumentenprozesse können von der Vertragsentste-
hung bis zur Kündigung über Workflows abgebildet und dokumentiert werden.
• Reporting: Von der Geschäftsleitung vorgegebene Reportingverpflichtungen
können einfach und voll ausgeschöpft werden.
• Fristenüberwachung: Es findet eine automatische Erinnerung an Kündigungs-
möglichkeiten, an Vertragsablauf, Gewährleistungsende etc. statt. Das VTM
sollte bei allen Arten der Überwachung von Fristigkeiten hilfreiche Werkzeuge
bieten.
• Suche: Eine leistungsfähige Volltextsuche kann genutzt werden.
• Publizieren: Es können einfach Berechtigungen für den Zugriff für Fachberei-
che wie Einkauf, Controlling, Buchhaltung etc. im Betrieb oder auch standor-
tübergreifend vergeben werden.
• Compliance: Eine Nachvollziehbarkeit ohne DMS ist aufgrund der unterschied-
lichen Speicherorte von E-Mail, digitalen und Papierdokumenten kaum möglich.

52.3 Leistungen des DMS als Basisfunktionen für das


Vertragsmanagement

Basis eines DMS bildet die rechtssichere Archivierung von Dokumenten. Verände-
rungen an Dokumenten sollten in Form von Versionen übersichtlich und nachvoll-
ziehbar verwaltet werden. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um Word-Dateien,
gescannte Dokumente, E-Mails oder andere Formate handelt. Die Ablage von
Dokumenten kann meist ganz einfach per drag and drop erfolgen. Die Office-In-
tegration für die komfortable Archivierung sollte ebenfalls selbstverständlich sein.
Jedes Dokument kann mit Verschlagwortungs- beziehungsweise Metadaten verse-
hen werden, die das Dokument näher beschreiben. Außerdem lassen sich Akten-
strukturen in Form von Ordnern bilden. Eine der wichtigsten Funktionen ist die
komfortable Suche über den Dateinamen hinaus. So kann in der Verschlagwortung
und sogar im Dokumenteninhalt, dem sogenannten Volltext, gesucht werden. Der
Volltext kann auch aus gescannten Dokumenten per Optical Character Recognition
748 H.P. Heimsch

(OCR) gewonnen werden. Im Gegensatz zur gewohnten Suche im Internet, wo mit-


unter sehr viele Treffer zu einem Suchwort erscheinen, ist es beim DMS möglich,
die Suche gezielt auf bestimmte Vertragspartner, Vertragsarten, den Zeitraum oder
auch auf andere Merkmale einzuschränken. Das DMS bietet auch stets eine kom-
fortable Dokumentenvorschau, unabhängig vom Dateiformat. So können Akten
virtuell schnell durchgeblättert werden. Dateien müssen nicht mehr umständlich
geöffnet werden.
Idealerweise beinhaltet das DMS auch weitergehende Funktionen wie Wieder-
vorlage, Workflow, Vergabe einer Retention-time für die Festlegung einer Mindest-
oder Höchstaufbewahrungsdauer, Abonnementfunktionen für die automatische
Benachrichtigung bei Veränderungen von Dateien oder Ordnern, Dokumentenver-
gleich, automatische PDF-Konvertierung und vieles mehr. Ein besonders benut-
zerfreundliches Merkmal ist die Möglichkeit, bei PDF und TIF-Dokumenten
mit Haftnotizen und Textmarkern zu arbeiten, wie man das aus der Papierwelt
gewohnt ist. Alle Dokumentenzugriffe oder Manipulationen im DMS sind nach-
vollziehbar. So wird festgehalten, wer das Dokument angelegt, verändert, in der
Struktur verschoben, wer und wie sich die Verschlagwortung geändert oder wer
das Dokument auch nur angesehen hat. Das DMS garantiert die Unveränderbarkeit
von Dokumenten beziehungsweise hält jede noch so kleine Veränderung fest. Der
mobile Zugriff auf ein DMS ist heute natürlich auch über eine App für iOS oder
Android möglich. So bekommen Rechtsdienstmitarbeiter auch unterwegs über das
Smartphone oder ein Tablet schnellen Zugriff auf Vertragsinhalte. Bei der Aus-
wahl eines DMS sollte darauf geachtet werden, dass nicht alle Systeme den hier
beschriebenen Leistungsumfang vollständig enthalten.

52.4 Was muss ein Vertragsmanagement leisten?

Das Vertragsmanagement ist jedoch mehr als nur reine Archivierung. Zu jedem
Vertrag sollten die wesentlichen Merkmale erfasst werden. Fristen sind sicher die
wichtigsten Merkmale: Vertragsbeginn und -ende, Laufzeit, automatische Verlän-
gerung, Mindestlaufzeiten und Kündigungsmöglichkeiten. Eine Klassifizierung
nach Vertragsarten ist zudem Voraussetzung für eine sinnvolle Strukturierung
und Auswertung. Vertragspartner und Zuständigkeiten im eigenen Hause sind für
Auswertungen ebenfalls wichtig. Mit einem DMS können mit diesen Daten auch
übersichtliche Aktenstrukturen gebildet werden. Ein Vertrag wird im Ordner des
Vertragspartners und bei der jeweiligen Vertragsart dargestellt. Eine weitere Sicht
könnte zum Beispiel die Sicht auf die, für den Vertrag zuständige, Fachabteilung
im eigenen Hause sein. Die verschiedenen Struktursichten auf ein und denselben
Vertrag werden in Abb. 52.2 veranschaulicht. Der mit einem roten Pfeil gekenn-
zeichnete Vertrag wird einmal als Original unter der Vertragsart Softwarepflege
abgelegt, aber auch als Referenz (Kopie) unter dem Punkt Vertragspartner.
Eine weitere Kernfunktionalität ist die automatisierte Wiedervorlage oder der Ver-
sand einer Erinnerungsmail für auslaufende Verträge oder rechtzeitig vor einer Kündi-
gungsmöglichkeit. Je nach System können der zeitliche Vorlauf, der Empfängerkreis
52 Zusatzprozess Document Management 749

Abb. 52.2  Screenshot einer beispielhaften Ablagestruktur

und sogar Vertretungsregelungen hinterlegt werden. Über die Nutzung entsprechender


Workflows können auch Genehmigungsprozesse vor Vertragserstellung, bei der Ver-
längerung oder der Kündigung nahtlos mit dem Vertragsmanagement abgebildet und
rechtssicher dokumentiert werden. Sind die zuständigen Personen beziehungsweise
Abteilungen hinterlegt, kann ein solcher Workflow automatisiert abgearbeitet werden.
Bei Überschreiten einer internen Fristvorgabe greift entweder eine Vertretungsrege-
lung oder eine Eskalation zu einem Vorgesetzten oder einem Dispatcher. Der Legal
Counsel hat dadurch immer eine Übersicht, bei welchen Workflows eine kritische
Zeitüberschreitung droht oder bereits eingetreten ist.
Außer der manuellen Ablage von Dokumenten können auch Automatismen
eingesetzt werden. So erfolgt die automatisierte Ablage von Ausgangsdokumen-
ten oder unterschriebenen Verträgen anhand eines Barcodes automatisch in die
Akte. E-Mails können ebenfalls anhand eines Regelwerks oder über Vertragsnum-
mern vollautomatisch zugeordnet werden. Über einen hinterlegten Workflow kann
auch noch eine lückenlose Qualitätskontrolle vorgenommen werden. Auch wenn
ein DMS die Unveränderbarkeit von Dokumenten garantieren kann, so werden
doch zumindest die Verträge selbst weiterhin zusätzlich im Original aufbewahrt.
Das DMS kann natürlich helfen, indem der physische Ablageort vermerkt wird.
Dadurch kann auch eine Ausleihverwaltung der Originaldokumente realisiert
werden. Wobei Originale nur noch äußerst selten nachgefragt werden, da alle
Beteiligten Zugriff auf die elektronische Fassung haben sollten. Zugriff auf Ver-
träge sollten außer der Rechtsabteilung auch die Fachabteilung, die die Leistung
benötigt, und der Einkauf haben, vielfach auch die Buchhaltung und die Revision.
Unnötigerweise werden heutzutage von allen Beteiligten noch zahllose Kopien
angefertigt.
Mit dem Vertragsmanagement können Vertragsakten auch leicht mit Liefe-
rantenakten, Kundenakten, Fahrzeugakten etc. verknüpft werden. Auf Basis der
erfassten Daten können interessante Auswertungen gemacht werden. Hier ein paar
typische Auswertungsmöglichkeiten:
750 H.P. Heimsch

• Verträge je Fachabteilung;
• Verträge je Vertragspartner;
• Verträge je Anlage/Objekt/Werk/Fahrzeug (Equipment);
• Laufzeitstruktur der Verträge innerhalb einer Vertragsart (zum Beispiel Mobil-
funkverträge);
• alle erforderlichen Dokumente bei einem Vertrag vorhanden?
• Verpflichtungen vollständig darstellen (sonstige Verbindlichkeiten);
• Vergabedokumentation/Ausschreibungsunterlagen zu jedem Vertrag vorhanden?
• Auflistung der Intracompany-Verträge, getrennt nach Leistungsempfänger und
Leistungsbezieher, wenn die Verträge den Mandanten (Gesellschaften) zuge-
ordnet sind.

Schnittstellen zu den relevanten IT-Systemen wie ERP, CRM etc. sind auf jeden
Fall sinnvoll. Das Vertragsmanagement sollte keine Insellösung darstellen. Ein
gutes Vertragsmanagementsystem ermöglicht es, auf die Stammdaten sämtlicher
Geschäftspartner direkt zuzugreifen. Die Zuordnung der Verträge wird damit
eindeutig. Weitere typische Standardfunktionen sind außerdem unterschiedliche
Aktenstrukturen je nach Vertragsart und die Vollständigkeitsprüfung („Liegen zu
einer Vertragsart bestimmte definierte Dokumente vor?“).

u Tipp Das Vertragsmanagement muss nicht zwingend nur Verträge


umfassen. Auch einseitige Willenserklärung und Verwaltungsakte kön-
nen hierüber verwaltet werden, wie zum Beispiel: Baulasten, Genehmi-
gungen und Bewilligungen, bis hin zu Grundbuchauszügen. Auch diese
Dokumente können ein Ablaufdatum (zum Beispiel befristete Geneh-
migungen) oder zumindest ein Datum enthalten, das über eine Wieder-
vorlage überwacht werden sollte.

Das Vertragsmanagement kann optional um weitere Module, wie in Abb. 52.3 dar-
gestellt, erweitert werden: Die Klauselverwaltung dient der professionellen Ver-
tragserstellung. Mit der Patentverwaltung werden Patente von der Beantragung bis
zum Ablauf verwaltet. Hier interessieren vor allem auch die Gebietsabhängigkei-
ten der Patente. Fristen müssen auch hier effizient verwaltet werden. Ein weiteres
Modul ist das Ausleihsystem für Originaldokumente. Wird von der Fachabteilung,
Gerichten oder Behörden die Vorlage eines Originaldokuments verlangt, kann
über die Ausleihverwaltung komfortabel und sicher der Verbleib der Dokumente
getrackt werden. Bei der Ersterfassung eines Vertrages wird eine Barcodenummer
aufgebracht und anschließend erfasst. Bei der Ausleihe wird diese gescannt und
die Ausleihe erfasst sowie ein Rückgabetermin hinterlegt. So können überfällige
Rückgaben leicht angemahnt werden.
52 Zusatzprozess Document Management 751

Abb. 52.3  VTM-Kernfunktionen sowie Erweiterungen und Schnittstellen zu Fremdsystemen

52.5 Können nur Großunternehmen ein


Vertragsmanagement nutzen?

In der Praxis wird das Vertragsmanagement von Unternehmen der unterschied-


lichsten Größenordnungen genutzt. Die Ausrichtung ist jedoch jeweils ganz
anders. Egal, ob es gar keine, eine sehr kleine oder eine sehr große Rechtsabtei-
lung gibt, Vertragsmanagement ist für alle Unternehmensgrößen erforderlich und
realisierbar, was folgende Beispiele aufzeigen:

• Eine Lotteriegesellschaft: Es werden nur die rund 300 wichtigsten Verträge


selbst als Dokumente mit den wesentlichen Eckdaten für die Möglichkeit von
Wiedervorlagen verwaltet.
• Ein großer Automobilzulieferer: Hier werden vorwiegend Gesellschafts-
verträge und Dokumente, die für Firmenübernahmen und -verkäufe erforder-
lich sind, verwaltet. Der Fokus liegt hier insbesondere auf Berechtigungen und
Zugriffskontrolle, da es sich um hochsensible Themen handelt. Das Vertrags-
management ist für diese Aufgabenstellung optimal im Rahmen eines Projekts
angepasst worden.
• Ein Flughafenbetreiber: Eine hohe Anzahl von Verträgen (>10.000) wird
dezentral durch die Fachbereiche verwaltet. Die relativ kleine Rechtsabteilung
kann aber so den Überblick behalten. Das Vertragsmanagement ist mit dem
ERP SAP verzahnt.
• Ein internationaler Konzern im Chemiebereich: Verwaltung aller nationa-
len und internationalen Gesellschaften. Erfassung aller weltweiten Händlerver-
träge. Die zentrale Rechtsabteilung soll einen Überblick über die bestehende
Vertragslandschaft erhalten und in der Lage sein, über die Gesellschaften ad
hoc zu berichten. Aufgrund der internationalen Nutzung ist das VTM mehrspra-
chig aufgebaut.
752 H.P. Heimsch

52.6 Ist Vertragsmanagement auch mit kleinem Budget


umsetzbar?

Die Lizenzkosten von Document-Management-Softwarelösungen hängen über-


wiegend von der Anzahl der Nutzer ab. Hauptkostentreiber sind dabei jedoch
meist die individuellen Anpassungen an den Standardprodukten. Der Implemen-
tierungs- und Schulungsbedarf kann sich auch leicht addieren. Wer hier mit den
am Markt erhältlichen Produkten auskommt, kann sein Budget gering halten. Als
Alternative bietet es sich auch an, ein eventuell vorhandenes DMS zu benutzen
und hier mit Bordmitteln eine einfache Vertragsverwaltung aufzubauen.
Ist kein DMS im Unternehmen vorhanden, kommen für kleinere und mitt-
lere Unternehmen (KMU) auch Einsteigerprodukte für wenige hundert Euro in
Betracht. Diese Produkte sind jedoch meist auf die Nutzung für bis zu 10 Benut-
zer begrenzt. Da sie meist Ableger professioneller Lösungen darstellen, ist ein
späterer Umstieg zu einer Unternehmenslösung möglich. Die Umsetzung des
Vertragsmanagements mit einem solchen KMU-Produkt liegt aber sicher mehr
auf den reinen DMS-Funktionen. Durch die Nutzung der Ablagestrukturen, Nut-
zung der Verschlagwortung und geschicktem Einsatz der Suche kann ein einfaches
Vertragsmanagement aufgebaut werden. Insbesondere Reports und dynamische
Wiedervorlagen, die sich aus der nächstmöglichen Kündigungsmöglichkeit erge-
ben, sind hier natürlich nicht möglich. Ein solider Einstieg in das Thema, mit der
Möglichkeit des Ausbaus, ist aber allemal gegeben. Beachten Sie bei der Budget-
findung, dass der Kostenseite auch die Nutzenseite und vor allem die Risikoseite
gegenüber gestellt werden. Eine zentrale Frage für die Budgetfindung ist, wie
hoch das Risiko und der Effizienzverlust ohne Vertragsmanagement sind.
Praxiserfahrung In einem Projekt des Verfassers hatten sich die Projektkosten
in kürzester Zeit für den Kunden amortisiert. Allein durch die Ersterfassung der
Verträge und Auswertung der Zuständigkeiten konnten obsolete Wartungsverträge
identifiziert werden. Durch die übersichtliche Auflistung der Verträge je Abteilung
konnten Einsparungen von fast dem doppelten der Projektkosten realisiert werden.
Es ist immer wieder in Projekten zu beobachten, dass zum Beispiel Wartungs-
verträge durch intransparente Zuständigkeiten und mangelnde Fristüberwachung
einfach nicht gekündigt werden. Besonders fatal kann sich dies bei Großanlagen
wie zum Beispiel einer Abfallverwertungsanlage auswirken. Die mangelnde Wie-
dervorlage zur Vertragskündigung kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass der
millionenschwere Wartungsvertrag ein weiteres Jahr bezahlt werden muss, obwohl
die Altanlage bereits durch eine neue Anlage ersetzt wurde. Denken Sie bei der
Einführung des Vertragsmanagements auch daran, dass selbst kleinere Unter-
nehmen leicht mehrere hundert aktive Verträge zu verwalten haben. Denken Sie
nur an Fahrzeugleasingverträge, Telefon-, Internetprovider- und Homepagehos-
ting-Verträge, Softwarepflegeverträge, Hardwarewartung, Bürogeräteleasing und
-wartung, Maschinen- und Anlagenleasing und -wartung, Beraterverträge, Dienst-
leistungsverträge, Werbevereinbarungen, Händlerverträge, Provisionsvereinbarun-
gen, Kooperationsverträge, Gesellschaftsverträge etc. Es müssen natürlich nicht
52 Zusatzprozess Document Management 753

alle Verträge aufgenommen werden. Arbeitsverträge gehören beispielsweise zum


Thema digitale Personalakte beziehungsweise zum HR-System.

Kundenbeispiel: Kreditverträge generieren


Wie kann man die Rechtsabteilung entlasten? Dies kann man erreichen, indem man zum
Beispiel die Vertragserstellung durch Einsatz einer Klauselverwaltung standardisiert:
Ein Kunde aus der Kreditwirtschaft muss jährlich über 70. 000 Kreditverträge erstel-
len. Einheitsvordrucke zu verwenden, ist nicht möglich, da es viel zu viele Varianten
gibt. Außerdem muss es möglich sein, individuelle Ergänzungen und Zusatzvereinba-
rungen einzufügen. Speziell bei Kreditverträgen muss auch sichergestellt sein, dass Ver-
braucherschutzinformationen an den Kunden übergeben wurden. Diese vorvertraglichen
Informationen müssen gleichlautend mit dem späteren Vertrag sein. Eine manuelle Über-
einstimmungsprüfung ist hier gar nicht mehr möglich. Dies kann letztlich wirtschaftlich
nur softwaregestützt sichergestellt werden.
Die umgesetzte Lösung sieht vor, dass Daten aus den Vorsystemen, wie Kreditneh-
merdaten, Sicherheiten und die Zinskalkulation, an Microsoft Word übergeben werden. Je
nach Kredittyp wird dann eine der rund 20 Grundvorlagen angesteuert. Mittels eines Word
Assistenten können diese Daten entsprechend der hinterlegten Geschäftslogik bearbeitet
werden und dadurch werden die entsprechenden Klauseln (Textbausteine) automatisch
eingefügt. Textänderungen sind nur an definierten Stellen möglich.
Im Ergebnis erstellen Sachbearbeiter rechtssichere Verträge und schonen so die Res-
sourcen der Rechtsabteilung. Es müssen im Vorfeld lediglich rechtliche Grundsatzfragen
geklärt werden, die in der Geschäftslogik des Softwareassistenten abgebildet werden kön-
nen. Dadurch werden dann immer die passenden Klauseln aufeinander abgestimmt kom-
biniert.

52.7 Welches DMS ist das Richtige?

Der Markt für DMS ist sehr unübersichtlich: Über 400 Anbieter offerieren derzeit
DMS-Lösungen. Seit einiger Zeit vielfach auch unter dem Begriff ECM – Enter-
prise Content Management. Aber welches dieser unzähligen Systeme ist das Rich-
tige? Die notwendigsten Basisleistungen bieten fast alle Systeme. Sobald es aber
über die Basis hinausgeht und auch die Benutzerfreundlichkeit eine Rolle spielt,
muss man genau hinsehen. Vergleichen Sie genau die Leistungsmerkmale. Im Ide-
alfall ist das zentrale DMS für alle Bereiche einsetzbar. Es sollte darauf geach-
tet werden, dass der Hersteller des DMS auch Themen wie Digitale Personalakte,
Anbindung an das ERP-System für die Kunden- und Lieferantenakte, Workflow
etc. in einem ausbaufähigen, skalierbaren System anbietet. Die Softwarebasis
muss stimmen – aber mindestens genauso wichtig ist der Berater, der das System
implementiert. Hat er Erfahrung mit dem Thema Vertragsmanagement, kann er auf
Kundenwünsche kompetent eingehen? Versteht er, was der Kunde will? Lassen sie
sich ein konkretes Projekt des Anbieters vorstellen. Entscheidend ist nicht unbe-
dingt genau dieselbe Branche, sondern die Vorgehensweise und das Verständnis
für Ihre Problemstellungen.
Nachfolgend finden Sie die wichtigsten Fragen, die Sie dem Anbieter stellen
sollten:
754 H.P. Heimsch

• Basiert das DMS auf technischen Standards?


• Bildet eine gängige Datenbank die Basis?
• Werden die Daten im Originalformat und nicht in irgendwelchen proprietären
Formaten gespeichert?
• Gibt es technische Limitierungen bezüglich Dokumenten- oder Benutzerzahl?
• Sind die Dokumente auch eines Tages wieder problemlos (massenhaft) expor-
tierbar?
• Bietet der Hersteller einen Pflegevertrag, damit die Aktualität der Software
gewährleistet ist?
• Wie hoch ist der Schulungsaufwand?
• Bestehen Integrationsmöglichkeiten in Ihr ERP (zum Beispiel SAP?).
• Läuft das Vertragsmanagement auch noch, wenn Sie das ERP eines Tages wechseln?
• Fragt der Anbieter auch nach den Anforderungen und den Zielen oder will er
nur sein Produkt vorstellen?
• Wird ausreichend Zeit für ein Konzept eingeräumt?

52.8 Empfehlung zur Vorgehensweise bei der Einführung

Die Einführung sollte nicht nur vom Legal Counsel und seinen Mitarbeitern geschul-
tert werden; die IT sollte hier auch maßgeblich unterstützen. Durch genaue Kennt-
nis der technischen Infrastruktur und der Erfahrungen bei der Softwareauswahl und
-einführung kann die IT die Rechtsabteilung auch bei der Projektvorgehensweise
unterstützen. Ganz am Anfang der Einführung eines Vertragsmanagements steht die
Definition der Ziele. Geht es um Transparenz, Fristenüberwachung, Vertragserstel-
lung, Konditionenoptimierung, Vereinheitlichung der Verträge, Dokumentation der
Genehmigungsprozesse mittels elektronischem Workflow, standortübergreifenden
Zugriff? Oder welches sind die wichtigsten Gründe? Die Ziele und Anforderun-
gen sollten wie bei jedem Projekt definiert und dann priorisiert werden. Eine lange
Wunschliste mit Nice-to-have-Anforderungen verschlingt nur unnötig Budget.
Die künftigen Key-User sollten schon früh in die Systemauswahl eingebunden
werden. Dies erhöht die Akzeptanz und deren Erfahrung kann genutzt werden. Min-
destens zwei Vertragsmanagementsysteme in intensiven Präsentationen kennenzu-
lernen, hilft zu vermeiden, erst am Tag der echten Systemeinführung zu sehen, was
das System wirklich kann oder eben nicht kann. Die Entscheidung, ob das Vertrags-
management zentral oder dezentral eingesetzt werden soll, ist für die Einführung
ebenfalls besonders wichtig. Bei dezentralem Einsatz sind viel mehr Benutzer mit
dem System befasst. Dementsprechend sind der Lizenzumfang und die Schulung
bei dezentralem Einsatz erheblich höher. Ein zentraler Einsatz ist aber nur bei ent-
sprechender personeller Ausstattung der Rechtsabteilung möglich. Die dezentrale
Erfassung auf Abteilungsebene verteilt die Aufwände auf viele Schultern. Dafür ist
aber ein hohes Qualitätslevel bei zentralem Einsatz erheblich leichter zu erreichen.
Wie immer ist es sinnvoll, ganz am Anfang zu beginnen. Also bei der Ver-
tragsentstehung, und nicht erst beim Einscannen fertiger Verträge. So lässt sich
eine vollständige Vertragsakte aufbauen. Überlegen Sie vorher, welche Sichten,
52 Zusatzprozess Document Management 755

­ ktenstrukturen und Berechtigungen erforderlich sind. Typische Dimensionen


A
hierfür sind: Vertragspartner, Vertragsarten, Abteilungen, Geschäftsbereiche,
Gesellschaften (Buchungskreise). Die Einteilung der Vertragsarten sollte sich
nicht unbedingt streng nach juristischen Kriterien orientieren. Vielmehr sollte sie
sich am Sprachgebrauch im Unternehmen, an den Auswertungsmöglichkeiten und
den Zuständigkeiten im Hause orientieren. Ein schönes Beispiel hierfür sind Wer-
beverträge. Die Nutzung einer Plakatwand ist in der Regel juristisch gesehen ein
Mietvertrag, für die eigenen Mitarbeitenden jedoch in ihrem Sprachgebrauch als
Werbevertrag verstanden.
Eine klare Regelung der Zuständigkeiten für jeden Vertrag ist Voraussetzung
für die Durchführung erfolgreicher Prozesse. Es muss klar hinterlegt sein, wer
für die Pflege der Vertragsdaten, für die Genehmigungen etc. verantwortlich ist.
Ganz wichtig ist die Abgrenzung, ab wann ein Vertrag überhaupt erfasst wird,
damit nicht jeder kleine Kaufvertrag unnötig Arbeitslast erzeugt. Das Vertragsma-
nagement soll ja kein Bestellsystem ersetzen. Eine mögliche Abgrenzung könnte
möglicherweise sein: Verträge die weniger als sechs Monate laufen und keiner
Kündigung bedürfen, werden nicht im System erfasst.

Praxisbeispiel
Internationales Chemieunternehmen zentralisiert alle Verträge:
Ein international tätiges Chemieunternehmen wählt hier den Zentralisie-
rungsansatz. Es gilt über 200 Ländergesellschaften dazu zu bewegen, ihre
Händlerverträge über eine webbasierte Workflowlösung dem Corporate Legal
Service aufzuliefern. Die Verträge müssen gescannt und mit den wichtigsten
Daten versehen ins zentrale Archiv hochgeladen werden. Findet die Rechtsab-
teilung im Rahmen einer Qualitätsprüfung noch Mängel oder falls Rückfragen
entstehen, können diese über einen elektronischen Workflow geklärt werden.
Die Ländergesellschaften können per Selfservice auch wieder auf das Vertrag-
sarchiv im unternehmensweiten Intranet zugreifen. Natürlich sind im Archiv
entsprechende Berechtigungen vergeben, damit die einzelnen Gesellschaften
nur die Verträge einsehen können, die sie auch betreffen. Der Mehrwert die-
ser Lösung liegt insbesondere darin, dass über die gewählte Ablagestruktur und
die erfassten Daten zu den Verträgen eine ganz neue Transparenz entsteht. Die
Auskunftsfähigkeit und die Vergleichbarkeit werden gesteigert, die Grundlage
für die Überwachung einheitlicher Standards wird geschaffen und länderüber-
greifende Compliance ermöglicht. Und noch ein ganz wesentlicher Punkt:
Erstmalig ist so ein länderübergreifender Überblick über die Vertragspartner
geschaffen worden, der es erlaubt, auch Vertrags- beziehungsweise Konditio-
nenoptimierung länderübergreifend zu ermöglichen.

Rahmenvertrag – Varianten der Verträge


Mit Rahmenverträgen sind hier nicht reine Abrufaufträge (Lieferpläne) gemeint, die für
ein bestimmtes Volumen ausgehandelt wurden und es erlauben, im Zeitverlauf Einzellie-
ferungen abzurufen. Vielmehr sind Konditions- und Bedingungsrahmen gemeint, auf die
sich weitere Einzelverträge beziehen.
756 H.P. Heimsch

Ein generelles Problem ist, wie sich ein Geflecht von unterschiedlichsten Verträgen, die sich
aufeinander beziehen, visualisiert beziehungsweise übersichtlich verwaltet werden können: Mit
dem DMS können Verträge auch referenziert werden. Das heißt, es können sogenannte logi-
sche Kopien erstellt werden. Dabei können zum Beispiel Kopien der Einzelvertragsordner beim
Hauptvertrag (Rahmenvertrag) eingefügt werden. So sind Verbindungen und Abhängigkeiten auf
einen Blick erkennbar. Vorteil gegenüber einer Papierablage ist, dass diese Verknüpfungen nur
einmal erstellt werden müssen. Die Pflege entfällt, da sich diese Ordner automatisch aktualisie-
ren (es sind ja die identischen Ordner). Da es sich um Referenzen handelt, wird auch nahezu kein
Speicherplatz für diese Funktion verbraucht.

52.9 Hemmnisse und Vorteile der Einführung eines


Vertragsmanagements

Die Tab. 52.1 zeigt die Vorteile der Einführung eines Vertragsmanagements und
geht gleichzeitig auf mögliche Barrieren oder Hemmnisse ein, welche in der Pra-
xis häufig vor Einführung eines solchen Systems anzutreffen sind.

52.10 Zukünftige Entwicklungen im Document


Management

Für die Zukunft des Vertragsmanagements gibt es zwei Haupteinflüsse: Einer-


seits besteht die Tendenz zu immer höheren Compliance-Anforderungen.
Andererseits bringt die IT-technische Entwicklung selbst ständig neue

Tab. 52.1  Argumente für und wider die Einführung eines Document-Management-Systems


WƌŽͲƌŐƵŵĞŶƚĞͬsŽƌƚĞŝůĞ͗ ŽŶƚƌĂͲƌŐƵŵĞŶƚĞͬ,ĞŵŵŶŝƐƐĞ͗
ʹ ĞƌŐƌƂƘƚĞsŽƌƚĞŝůďĞƐƚĞŚƚĚĂƌŝŶnjƵĞƌŬĞŶŶĞŶ͕ǁŽ ʹ ŝĞŬnjĞƉƚĂŶnjŝŶĚĞƌZĞĐŚƚƐĂďƚĞŝůƵŶŐŬƂŶŶƚĞŐĞƌŝŶŐ
sĞƌƚƌćŐĞǀĞƌĞŝŶŚĞŝƚůŝĐŚƚ͕ƐƚƌƵŬƚƵƌŝĞƌƚƵŶĚŽƉƟŵŝĞƌƚ ƐĞŝŶ͕ƐƚĞůůƚŵĂŶƐŝĐŚĚŝĞmďĞƌĨŽƌĚĞƌƵŶŐǀŽƌƵŐĞŶ͕
ǁĞƌĚĞŶŬƂŶŶĞŶ͘mďĞƌŚĂƵƉƚĞŝŶĞŶmďĞƌďůŝĐŬĚƵƌĐŚ ŶĞďĞŶĚĞŵdĂŐĞƐŐĞƐĐŚćŌĂƵĐŚŶŽĐŚĚĞŶĞƌŐ
ĂŐŐƌĞŐŝĞƌƚĞZĞƉŽƌƚƐnjƵŐĞǁŝŶŶĞŶ͘ƌƐƚĚŝĞ^ŝĐŚƚĂƵĨĂůůĞ ͣƚĂƵƐĞŶĚĞƌsĞƌƚƌćŐĞ ŶĂĐŚĚŝŐŝƚĂůŝƐŝĞƌĞŶƵŶĚŬůĂƐƐŝĮnjŝĞƌĞŶ
sĞƌƚƌćŐĞĞŝŶĞƌsĞƌƚƌĂŐƐĂƌƚƐĐŚĂŏĚŝĞŚĂŶĐĞ͕ njƵŵƺƐƐĞŶ͘͞
KƉƟŵŝĞƌƵŶŐĞŶŝŵƵƐĂŵŵĞŶŚĂŶŐŵŝƚĚĞƌ
ƵĩĞǁĂŚƌƵŶŐƵŶĚĞǁŝƌƚƐĐŚĂŌƵŶŐǀŽŶŽŬƵŵĞŶƚĞŶ ʹ ŝĞƵƐƐŝĐŚƚĂƵĨƵƐĞŝŶĂŶĚĞƌƐĞƚnjƵŶŐĞŶŵŝƚĚĞŶ
njƵĞƌƌĞŝĐŚĞŶ͘ &ĂĐŚĂďƚĞŝůƵŶŐĞŶ͕ǁĞůĐŚĞĚŝĞǀŝĞůĞŶŶŽĐŚŶŝĐŚƚ
ǀĞƌnjĞŝĐŚŶĞƚĞŶsĞƌƚƌćŐĞǀŽůůƐƚćŶĚŝŐŝŶĚĂƐ
ʹ ŝŶǁĞŝƚĞƌĞƌsŽƌƚĞŝůŝƐƚĞƐ͕EĂĐŚǁĞŝƐĞĨƺƌ ĚŝĞƌĨƺůůƵŶŐ sĞƌƚƌĂŐƐŵĂŶĂŐĞŵĞŶƚƐLJƐƚĞŵĞŝŶƉŇĞŐĞŶŽĚĞƌnjƵŵŝŶĚĞƐƚ
ǀŽŶŽŵƉůŝĂŶĐĞͲŶĨŽƌĚĞƌƵŶŐĞŶnjƵƐĐŚĂīĞŶ͗ĞŝƐƉŝĞů͗ ĚĞƌZĞĐŚƚƐĂďƚĞŝůƵŶŐŐĞŽƌĚŶĞƚnjƵƌsĞƌĨƺŐƵŶŐƐƚĞůůĞŶ
'ŝďƚĞƐnjƵũĞĚĞŵ/d^ĞƌǀŝĐĞͲsĞƌƚƌĂŐĂƵĐŚĞŝŶĞ ŵƺƐƐĞŶ͘
ĂƚĞŶƐĐŚƵƚnjǀĞƌĞŝŶďĂƌƵŶŐ͍,ĂďĞŶĂůůĞ>ŝĞĨĞƌĂŶƚĞŶĞŝŶĞ
'ĞŚĞŝŵŚĂůƚƵŶŐƐǀĞƌĞŝŶďĂƌƵŶŐƵŶƚĞƌƐĐŚƌŝĞďĞŶ͍ ʹ KŌŵĂůƐďĞƐƚĞŚĞŶĂƵĐŚZĞƐƐĞŶƟŵĞŶƚƐŐĞŐĞŶƺďĞƌĚĞƌnjƵ
ĞƌǁĂƌƚĞŶĚĞŶĞŶƵƚnjĞƌĨƌĞƵŶĚůŝĐŚŬĞŝƚ͘
ʹ ŶŽƌŵĞƌďĞŝƚƐĞƌůĞŝĐŚƚĞƌƵŶŐŬĂŶŶĂƵĐŚĚƵƌĐŚ ĚĂƐ
dƌĂŶƐĂĐƟŽŶDĂŶĂŐĞŵĞŶƚĚĞƌZĞĐŚƚƐĂďƚĞŝůƵŶŐŵŝƚ
ĂŶĚĞƌĞŶ&ĂĐŚĂďƚĞŝůƵŶŐĞŶ͕ǁŝĞnjƵŵĞŝƐƉŝĞůĚĞŵŝŶŬĂƵĨ
ďƌŝŶŐĞŶ͘ĞŝĚĞƌsĞƌƚƌĂŐƐĞŶƚƐƚĞŚƵŶŐƐŝŶĚŝŵŵĞƌ
ŵĞŚƌĞƌĞŝŶƚĞƌŶĞďƚĞŝůƵŶŐĞŶďĞƚĞŝůŝŐƚ͘ͲDĂŝůWŝŶŐͲ
WŽŶŐ͕ƵŶnjćŚůŝŐĞ<ŽƉŝĞŶƵŶĚƵŵƐƚćŶĚůŝĐŚĞ
ďƐƟŵŵƵŶŐƐǁĞŐĞŬƂŶŶĞŶƐŽǀĞƌŵŝĞĚĞŶ͕ĚĞƌWƌŽnjĞƐƐ
ŝŶƐŐĞƐĂŵƚĞƌŚĞďůŝĐŚĞĸnjŝĞŶƚĞƌĚƵƌĐŚŐĞĨƺŚƌƚǁĞƌĚĞŶ͘
52 Zusatzprozess Document Management 757

­ erausforderungen mit sich. Bezogen auf das Vertragsmanagement geht es


H
bei der Erfüllung der Compliance-Anforderungen darum, Verträge nicht nur
einfach aufzubewahren, sondern diese bereits mit ihrer Entstehung nachvoll-
ziehbar zu dokumentieren. Dazu zählt auch, die Vollständigkeit aller erforder-
lichen Dokumente sicherzustellen. Darüber hinaus müssen auch die Prozesse,
die zur Vertragserstellung geführt haben, dokumentiert werden. Hier den
Nachweis, ohne ein DMS und Freigabeworkflows zu führen, ist sehr aufwen-
dig und kostenintensiv – oder es wird schlichtweg nicht gelingen. Und alle
diese Anforderungen sind nicht nur im eigenen Land, sondern bei internatio-
naler Tätigkeit, auch noch mit einem globalen Ansatz zu erfüllen.
Der Vertrag in der klassischen Papierform wird ergänzt um elektronische Ver-
tragsdokumente oder sogar rein online geschlossene Verträge. Generell wird die
Akzeptanz elektronischer Dokumente weiter steigen. Diese originär elektronisch
entstandenen Dokumente müssen auch elektronisch archiviert werden, analog zu
den Vorgaben der Finanzverwaltung für elektronische Rechnungen.
Schon heute steigt täglich die Anzahl der E-Mails. Alle handels- und steu-
errechtlich relevanten E-Mails müssen sachbezogen(!) elektronisch archi-
viert werden. Die reine E-Mail-Archivierung ist eine relativ einfach zu lösende
IT-Aufgabe. Die sachbezogene Archivierung erfordert einen deutlich höheren
Aufwand. Außerdem müssen alle E-Mails vorher zumindest gelesen oder bear-
beitet werden. Zur Beherrschung dieser E-Mail-Flut gewinnt die automatisierte
Ablage und Verarbeitung von E-Mails an Bedeutung. Mit einem DMS kann heute
schon eine automatisierte Zuordnung einer E-Mail in eine Vertragsakte anhand
deren Absender oder eines Betreffs respektive Textkörpers mit einer eindeutigen
Vertragsnummer realisiert werden. Auf die Frage, ob sich Vertragsnummern im
E-Mail-Verkehr nicht durchsetzen lassen, sollte man überlegen, dass es diese im
Briefverkehr schon immer mit Aktenzeichen oder Kürzel gab, welche im Kopf
angegeben wurden. Warum soll das also nicht auch bei der Mehrzahl der E-Mails
erreichbar sein?
Die Themen Cloud Computing und Mobilität sind weitere Herausforderungen.
Die vollständigen Vertragsbeziehungen eines Unternehmens inklusive hochver-
traulicher Vertragsdetails sollen standortübergreifend und sogar am besten glo-
bal jederzeit verfügbar sein. Die Nutzung von Smartphones und Tablets wird als
selbstverständlich vorausgesetzt. Technisch ist dies für die IT heute kein wirkli-
ches Problem mehr. Aus rechtlichen und vor allem sicherheitstechnischen Über-
legungen ist die Cloud hochkritisch. Verträge stellen schließlich das Herzstück
wichtiger Unternehmensdaten dar. Aus heutiger Sicht kommt nur eine On-premi-
se-Lösung beziehungsweise eine private Cloud in Betracht.
Integration ist die zentrale Anforderung. Das Vertragsmanagement muss sich in
die Kunden- und Lieferantenakte integrieren. Wartungsverträge müssen aus dem
Maintenance Modul des ERP abrufbar sein. Mietverträge aus dem Real Estate
Modul etc. Das heißt, die Integration in die führenden Systeme muss möglich sein.
Das DMS ist die zentrale Plattform für eine Vertragsmanagementlösung. Eine iso-
lierte Lösung hat keine langfristige Zukunft.
758 H.P. Heimsch

Über den Autor


Hans Peter Heimsch, Gründer und Geschäftsführer SoftMate GmbH Intelligent Software
Solutions, Stuttgart
Diplom-Kaufmann Universität Mannheim. 1984 Gründung eines Softwarehauses für individu-
elle Softwareentwicklung. Seit 1994 hat sich SoftMate auf Dokumentenmanagement fokussiert.
Als ältester Business Partner des führenden DMS/ECM Hersteller ELO Digital Office GmbH hat
SoftMate über 800 erfolgreiche DMS Projekte abgeschlossen. Herr Heimsch kümmert sich um
das Produktmanagement und zeichnet verantwortlich für die Projektleitung der meisten größeren
Projekte.
Zusatzprozess Corporate Secretary
Services 53
Roger Schoch

53.1 Herausforderung Corporate Secretary Services

Die Dynamik von Informationsaustausch sowie Interaktion zwischen der Geschäfts-


leitung und dem Aufsichtsrat (in Deutschland und Österreich) respektive dem Ver-
waltungsrat (in der Schweiz) spielen in allen Unternehmen eine bedeutende Rolle.1
Da der Weitergabe von formellen, aber vor allem auch informellen, Informationen
eine zentrale Bedeutung zukommt (siehe dazu auch Kap. 31), spielt der Corporate
Secretary2 eine entscheidende Rolle. Er ist der Dreh- und Angelpunkt zwischen den
wichtigsten Gremien eines Unternehmens und fungiert bisweilen auch als Vermitt-
ler bei Konflikten. Er ist gleichzeitig Sparringpartner für den Aufsichtsratsvorsitzen-
den, als auch für den Chief Executive Officer (CEO) und berät beide nicht nur
hinsichtlich der Geschäftsplanung und Erstellung der Vorstandsagenda, sondern
auch in anderen sensitiven Fragestellungen. Die Durchführung der Corporate Secre-
tary Services sollte daher von einem General Counsel nie leichtfertig angenommen
werden. Neben dem bereits vollen Pflichtenheft des General Counsel kommen mit
dieser Zusatzaufgabe noch weitere zeitintensive Aufgabenstellungen hinzu. Aller-
dings ermöglicht die Doppelposition als General Counsel und Corporate Secretary
auch besonders tiefe Einblicke in die Funktion einer Unternehmung, welche in

1Hinweis zur Nomenklatur: Nachfolgend wird einheitlich vom „Aufsichtsrat“ gesprochen; kann
unter Berücksichtigung verschiedener Abweichungen dem „Verwaltungsrat“ in der Schweiz
gleichgestellt werden. Ebenfalls entspricht unter Berücksichtigung verschiedener Abweichungen
die „Hauptversammlung“ des Aktionariats in Deutschland und Österreich der Schweizer „Gene-
ralversammlung“ im Aktienrecht.
2Je nach Unternehmen auch company secretary, Aufsichtsratsassistent, Sekretär des Aufsichtsrats

etc. genannt.

R. Schoch (*)
Lausanne, Schweiz
E-Mail: roger.schoch@alpiq.com

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 759


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_53
760 R. Schoch

d­ ieser Form keiner anderen Person im gesamten Unternehmen (auch nicht den ein-
zelnen Vorständen und Geschäftsleitungsmitgliedern) zugänglich sind.

53.2 Hauptaufgaben eines Corporate Secretary

Grundsätzlich bildet der Corporate Secretary die Schnittstelle zwischen Geschäfts-


leitung (Geschäftsleitung) und dem Aufsichtsrat. Er stellt die Qualität des
Informationsflusses sicher und sorgt für Transparenz als Grundlage für die Entschei-
dungsfindung. Er trägt wesentlich zur Versachlichung des Meinungsbildungsprozes-
ses bei und stimmt sich nicht nur mit den Geschäftsleitungs-Mitgliedern, sondern
auch mit den weiteren, für die Geschäfts- und Fachbereiche (zum Beispiel Business
Unit Heads, Legal, Kommunikation, HR) zuständigen Führungs- und Fachkräf-
ten ab. Er stellt zudem sicher, dass die dem Aufsichtsrat eingereichten Unterlagen
in Einklang mit den Entscheiden des Aufsichtsrats stehen und diesen nicht wider-
sprechen. Zudem leitet er spezifische Projekte, führt Arbeitsgruppen und nimmt
an sämtlichen Workshops auf Geschäftsleitungs- und Aufsichtsratsebene teil. Idea­
lerweise wird er permanent in die Geschäftsführungsprozesse einbezogen. Somit
wird sichergestellt, dass die Unternehmensführung auf strategischer und operativer
Ebene proaktiv unterstützt und ihr in Bezug auf organisatorische und administrative
Belange der Rücken freigehalten wird. Auf diese Weise können sich Geschäftslei-
tung und Aufsichtsrat auf die Inhalte konzentrieren und ihren operativen Füh-
rungsaufgaben respektive Aufsichtspflichten ungehindert nachkommen. Ein guter
Corporate Secretary hört sozusagen „das Gras wachsen“: Er ist Drehscheibe sämtli-
cher Informationen, die zwischen Aufsichtsrat und Geschäftsleitung fließen, mischt
sich aber nicht in die Unternehmenspolitik ein. Er verhält sich neutral und nimmt
dann inhaltlich Stellung, wenn seine Meinung erfragt wird.

53.2.1 Im Dienste der Aufsichtsrats- und Komitee-Sitzungen

Der Corporate Secretary berät den Aufsichtsrat in Fragen zur Corporate Gover-
nance. Er erstellt im Rahmen der Geschäftsberichtserstattung den Corporate
Governance-Bericht. Er pflegt das Organisationsreglement sowie weitere Füh-
rungsdokumente des Aufsichtsrats, macht nötigenfalls Anpassungsvorschläge und
überwacht dessen Einhaltung (Compliance; siehe dazu detailliert Kap. 54). Er
prüft die dem Aufsichtsrat eingereichten Vorlagen auf die Einhaltung entsprechen-
der Vorgaben. Der Corporate Secretary übt vielfältige und spannende Aufgaben
aus, wie folgender Überblick zeigt:

• Er unterstützt den Aufsichtsratsvorsitzenden bei der Planung und


Durchführung der Sitzungen. Insbesondere ist er mit der Erstellung der
Traktandenliste auf Grundlage der Geschäftsplanung und den Vorschlä-
gen der Geschäftsleitung betraut (agenda setting).
53 Zusatzprozess Corporate Secretary Services 761

• Er erstellt in Absprache mit der Geschäftsleitung die Geschäftsplanung


(rolling agenda).
• Er führt die Liste der Beschlüsse sowie Aufträge des Aufsichtsrats an
die Geschäftsleitung und/oder an das erweiterte Management und über-
wacht zusammen mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden die Umsetzung der
Beschlüsse und Ausführung der Aufträge.
• Er unterbreitet proaktiv Vorschläge für die Traktandierung aufsichtsratsre-
levanter Themen. Hierfür führt er ein separates Drehbuch pro Aufsichts-
rats- respektive Komitee-Sitzung.
• Er schlägt Themen vor, die sich bei Aufsichtsratsklausuren als Schwer-
punktthema eignen können (Stichworte: Corporate Governance, Corpo-
rate Social Responsibility etc.).
• Er stimmt sich mit dem Head Communications und/oder Public Affairs
über die interne und externe Kommunikation ab.
• Er ist Anlaufstelle für Fragen im Zusammenhang mit der Ad-hoc-Publizi-
tätspflicht.
• Er ist verantwortlich für die Orientierung von Aufsichtsrat und Manage-
ment zu Handelssperrzeiten (black-out periods).
• Er bringt proaktiv Themen ein, die von rechtlicher, finanzieller oder stra-
tegischer Bedeutung für das Unternehmen sind.
• Er prüft die eingereichten Anträge des Managements auf Einhaltung der
einschlägigen Führungsdokumente (Organisationsreglement, Reglemente
der Komitees etc.).
• Er ist verantwortlich für das Protokoll der Aufsichtsratssitzungen, sorgt
für dessen Versand und informiert in Absprache mit dem CEO die inter-
nen Organisationseinheiten über die Beschlüsse des Aufsichtsrats.

53.2.2 Im Dienste des Aufsichtsratsvorsitzenden

Der Corporate Secretary unterstützt den Aufsichtsratsvorsitzenden bei der Vorbe-


reitung und Durchführung seiner Aufgaben. Er

• ist Sparringpartner sowie Sounding Board für sensitive Themen,


• unterstützt den Aufsichtsratsvorsitzenden bei taktischen Fragestellungen und in
personellen Angelegenheiten,
• bereitet, wo erforderlich, die Mitteilungen des Aufsichtsratsvorsitzenden zuhan-
den des Aufsichtsrats vor (speaking notes),
• unterbreitet Vorschläge zu Themen, die im Rahmen einer Aufsichtsratsausspra-
che behandelt werden können (Aufsichtsrat unter sich ohne Management res-
pektive ohne CEO),
• analysiert die Unterlagen im Hinblick auf die Aufsichtsratssitzungen sowie der
Sitzungen der Komitee,
762 R. Schoch

• weist den Aufsichtsratsvorsitzenden auf Themen hin, welche für das Verhältnis
von Aufsichtsrat und Geschäftsleitung von Bedeutung sind,
• macht dem Head Communications Vorschläge bezüglich interner und externer
Orientierung über Aufsichtsrat-relevante Themen,
• unterstützt den Aufsichtsratsvorsitzenden bei Nachfolgeregelungen (Auswahl
Headhunter, externe Kommunikation).

53.2.3 Im Dienste der Hauptversammlung

Der Corporate Secretary bereitet die Hauptversammlung vor. Er

• ist Gesamtprojektleiter und führt die verschiedenen Teilprojekte wie:


– Kommunikation (Media Relations, Ansprachen Aufsichtsratsvorsitzender/
CEO, eventuell CFO, Präsentationen, Vorbereitung und Steuerung Q&A),
– Legal (Expertenbüro, Stimmenzähler, Drehbuch, Unabhängiger Stimm-
rechtsvertreter, Votantenschalter),
– Finance (Treasury, Consolidation, International Financial Reporting Stan-
dards [IFRS]),
– Shareholder (Aktienregister, Elektronische Stimmabgabe),
– Technik, Branding, Print;
• erstellt in Absprache mit Management (insbesondere Finanzabteilung) und Auf-
sichtsrat die Agenda und bereitet die Anträge des Aufsichtsrats vor;
• stellt sicher, dass die vorgebrachten Anträge in Einklang mit aktienrechtlichen,
statutarischen sowie organisationsrechtlichen Vorgaben stehen;
• berücksichtigt allfällige Aktionärsbindungsverträge;
• stellt die Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen in sämtlichen die Haupt-
versammlung betreffenden Angelegenheiten sicher;
• lädt zusammen mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden zur Hauptversammlung ein,
• erstellt das Drehbuch der Hauptversammlung zuhanden des Aufsichtsratsvorsit-
zenden;
• berät Präsident und CEO bei kommunikationsrelevanten Fragen (Medienmittei-
lung, Aktionärsbrief);
• führt das Protokoll.

53.3 Corporate Governance-Bericht

Im Hinblick auf den – im Geschäftsbericht enthaltenen – Corporate Governan-


ce-Bericht führt der Corporate Secretary eine Umfrage zu den Aufsichtsrats- und
Beratermandaten der Aufsichtsrat-Mitglieder und der Geschäftsleitung durch.
Hierzu erstellt er einen Fragebogen, den er den betroffenen Personen per Ende
Jahr zur Beantwortung zustellt. Generell wacht er über die Einhaltung der Stim-
menthaltungs- und Ausstandsregeln bei Interessenkonflikten.
53 Zusatzprozess Corporate Secretary Services 763

53.4 Abläufe im Aufsichtsrat

Der Corporate Secretary stellt die Einhaltung formeller gesetzlicher Vorgaben


(Aktien- und Gesellschaftsrecht) sowie von Statuten und Reglementen sicher.
Zudem macht er den Aufsichtsrat auf besondere juristische Probleme aufmerksam
und berät ihn bei deren Lösung. Er treibt die verschiedenen Dossiers konsequent
voran und stellt sicher, dass diese weder bei der Geschäftsleitung noch beim Auf-
sichtsrat „liegen bleiben“. Er unterstützt den Aufsichtsratsvorsitzenden darin, die
„Bälle in der Luft zu halten“. Er übt eine entscheidende Scharnierfunktion aus und
ist das sogenannte „Öl im Getriebe“.

53.5 Mindestanforderungen an das Profil eines Corporate


Secretary

• Ausbildung, Fach- und Sprachkenntnisse:


– Abschluss in Rechts- oder Wirtschaftswissenschaften,
– erforderliche Sprachkenntnisse in Wort und Schrift,
– Weiterbildung im juristischen Bereich von Vorteil (LL.M. oder vergleichbare
Abschluss);
• Berufserfahrung sowie Erfahrung in besonderem Arbeitsgebiet:
– Erfahrung als Sekretär eines Aufsichtsrats in Tochter- und Beteiligungsge-
sellschaften,
– Erfahrung im Umgang mit komplexen Führungsstrukturen und Hierarchien;
• Weitere besondere Fähigkeiten und Eigenschaften:
– hohes Sensorium für heikle Fragen im Schnittstellenbereich von Aufsichtsrat
und Geschäftsleitung,
– genaues und gewissenhaftes Arbeiten,
– Loyalität gegenüber Vorgesetzten und Diskretion im Umgang mit vertrauli-
chen Informationen,
– kommunikatives Verhalten,
– hohe Einsatzbereitschaft und Zuverlässigkeit,
– korrekter, sachlicher und lösungsorientierter Umgang mit Bedürfnissen der
Kunden und Kundinnen,
– konstruktive, pragmatische und rasche Lösungsfindung.

53.6 Beziehungen/Kontakte

Der Corporate Secretary ist idealerweise vernetzt mit:

• Aktionariat/institutionellen Stimmrechtsvertreter/unabhängige Stimmrechtsver-


treter;
• Aufsichtsratsvorsitzender;
• Aufsichtsrat;
764 R. Schoch

Tab. 53.1  Spannungsfelder zwischen Aktionariat, Aufsichtsrat und Geschäftsleitung


Verhältnis zum Aufgaben des Auf- Interne Organisation Zusammenarbeit
Aktionariat sichtsrats Aufsichtsrat/Geschäfts-
leitung
Klärung der Zustän- Nicht übertragbare Strukturierung und Delegation Geschäfts-
digkeiten Aufgaben Konstituierung führung an Geschäftslei-
tung oder CEO
Klärung der Verant- Unentziehbare Auf- Ausschüsse/Ad-hoc- Kontakt des Aufsichtsrat
wortlichkeiten gaben Arbeitsgruppen zu Geschäftsbereichen
Rollenverteilung Delegation Geschäfts- Sitzungskadenz Berichterstattung an
führung Aufsichtsrat
Auswahl (Einheitliche) Leitung Klausuren Information/Kommuni-
Tochtergesellschaften kation
Wahlverfahren Präsident/Vizepräsi- Strategietage Zusammenarbeit zwi-
dent/Sekretär schen Aufsichtsratsvor-
sitzender/CEO

• Chief Executive Officer;


• Mitglieder der Geschäftsleitung;
• Top-Kader (Head HR, Head Legal, Head Compliance, Head Accounting &
Controlling, Head Communications, Head Public Affairs, Head Internal Audit);
• Behörden/Ämter (zum Beispiel Handelsregisteramt, Steuerbehörde, bran-
chenspezifische Ämter und Departemente);
• Externe Anwaltskanzleien;
• Externe Revisionsstelle.

53.7 Corporate Governance

Eine zentrale Aufgabe des Corporate Secretary besteht in der permanenten


Überwachung (Monitoring) der Corporate Governance-Anforderungen sowie
der Information von Geschäftsleitung und/oder Aufsichtsrat im Falle eines
Anpassungsbedarfs. Im Spannungsfeld zwischen Aktionariat, Aufsichtsrat und
Geschäftsleitung ist der Corporate Secretary, wie in Tab. 53.1 dargestellt, verant-
wortlich für die Unterbreitung von Vorschlägen zur Schaffung optimaler orga-
nisatorischer (zum Beispiel zu Management- und Shareholder-Meetings) und
struktureller Rahmenbedingungen (interne Organisation, optimale Strukturierung
und Konstituierung von Komitee) verantwortlich.
Vor diesem Hintergrund ergeben sich verschiedene Themenblöcke. Dabei gilt
es zu unterscheiden:

• Verhältnis zum Aktionariat: Das Verhältnis der Gesellschaft und insbe-


sondere des Aufsichtsrats zum Aktionariat hängt maßgeblich von dessen
Struktur ab. Gemäß dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Aktionären
53 Zusatzprozess Corporate Secretary Services 765

sind grundsätzlich alle Aktionäre gleich zu behandeln (equal treatment of


shareholders). Dennoch hat die Vertretung der Aktionäre im Aufsichtsrat
einen erheblichen Einfluss auf deren Stellung in der Gesellschaft. Je nach
Ausgestaltung des Aktionariats stellen sich verschiedene Fragen zu den
Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten sowie zur Rollenverteilung zwischen
Aktionariat und Aufsichtsrat: Handelt es sich um einen einzigen Hauptak-
tionär? Handelt es sich um einen Familienbetrieb? Bestehen verschiedene
Hauptaktionäre, die über einen Aktionärsbindungsvertrag untereinander ver-
bunden sind oder ist der Streubesitz entsprechend hoch?
• Aufgaben des Aufsichtsrats: Erhebliche Bedeutung kommt ebenfalls den
Aufgaben des Aufsichtsrats zu. Diese werden weitgehend in Statuten und
Organisationsreglementen geregelt. Dabei kann sich ein Aufsichtsrat auf die
unentziehbaren und unübertragbaren Aufgaben beschränken. Er kann jedoch –
je nach Ausgestaltung der Bedürfnisse an eine wirksame Aufsicht – bestimmte
Aufgaben bewusst an sich ziehen (Kompetenzattraktion). In diesem Kontext ist
es ihm überlassen, konkrete Aufgaben (zum Beispiel über die Festlegung von
Schwellenwerten) für sich zu beanspruchen und im Organisationsreglement
entsprechende powers reserved-Klauseln einzubauen. Diese Kompetenzattrak-
tion kann im Extremfall so weit gehen, dass der Aufsichtsrat von einer Delega-
tion der Geschäftsführung an eine Geschäftsleitung absieht.
• Interne Organisation: In Bezug auf die interne Organisation lässt der Swiss
Code of Best Practice bewusst einen großen Spielraum für den Aufsichtsrat
offen. Es steht dem Aufsichtsrat unter Berücksichtigung allfälliger gesetzli-
cher Vorgaben frei, die Anzahl an Komitees festzulegen. Je nach Bedarf kann er
verschiedene Ausschüsse bilden und sie mit der Vorberatung von spezifischen
Geschäften betrauen. Praxisgemäß und in Übereinstimmung mit dem Swiss
Code of Best Practice for Corporate Governance ist es empfehlenswert, einen
Rechnungsprüfungs- sowie gegebenenfalls einen Risiko-Ausschuss (audit and
risk commitee) zu bilden. Denkbar ist ebenfalls die Einsetzung eines Strate-
gie- oder Sounding-Komitees. Dabei darf aber nicht außer Acht gelassen wer-
den, dass diesen Komitees jeweils nur eine beratende Funktion zukommt. Die
Zuweisung von Entscheidungskompetenzen ist durch allfällige nicht übertrag-
bare Aufgaben eingeschränkt.
• Zusammenarbeit Aufsichtsrat/Geschäftsleitung: Der Zusammenarbeit zwi-
schen dem Aufsichtsrat und der Geschäftsleitung kommt eine entscheidende
Bedeutung zu. Die jeweils wahrzunehmenden Aufgaben und Verantwort-
lichkeiten sind im Organisationsreglement klar festzulegen. Grundsätzlich
gilt, dass der Präsident den Aufsichtsrat und der CEO die Gesellschaft führt
(„the president runs the board, the CEO runs the company“). Nach außen
und unternehmensintern tritt der CEO in Erscheinung. Der Aufsichtsratsvor-
sitzende bleibt im Hintergrund und kommuniziert nur dann, wenn es unaus-
weichlich ist („The president sticks the nose in but keeps the hands off!“) oder
der Geschäftsgang eine entsprechende Krisenkommunikation des Aufsichts-
rats erfordert (zum Beispiel bei Krisen oder personellen Themen auf Stufe Top
Management).
766 R. Schoch

53.8 Aufsichtsratsbüro

Übernimmt ein General Counsel die Durchführung des Aufsichtsratsbüros, wird


er mit verschiedenen Prozessen und Abläufen konfrontiert, die ihm neu sein wer-
den und welche in der Regel jedoch fundierte Kenntnisse erfordern. Diese müs-
sen zuerst erarbeitet werden, um in der Folge den Aufsichtsratsvorsitzenden sowie
den CEO im Rahmen der Corporate Secretary Services wirksam unterstützen zu
können. Es ist deshalb ratsam, Prozesse und Abläufe im Aufsichtsratsbüro einer
vertieften Analyse zu unterziehen. Dabei sind folgende Punkte von Bedeutung
(Auswahl):

• Prozesse (zum Beispiel Kommunikation, HR, Legal);


• organisatorische Einbettung;
• Staffing und Ressourcen;
• Reporting (Notwendigkeit und Vollständigkeit);
• Zusammenspiel Assurance-Funktionen (Customer Relationship Management
[CRM], Internes Kontrollsystem [IKS], Compliance);
• gelebte Corporate Governance;
• Administratives (Assistenz, Auftragscontrolling, Zirkularbeschlüsse, außeror-
dentliche Aufsichtsratssitzungen, Videokonferenzen etc.).

Als zentraler Erfolgsfaktor eines gut integrierten und vernetzten Corporate


Secretary kommt der Mission eine hohe Bedeutung zu. Zur professionellen
Unterstützung des Aufsichtsrats zur Bewältigung der unternehmerischen Heraus­
forderungen unter Berücksichtigung und gegebenenfalls Anpassung der ver-
schiedenen Aufsichtsratsprozesse, ist eine von Aufsichtsrat und Geschäftsleitung
akzeptierte Mission wesentlich. Diese sollte darin bestehen, dass der Corporate
Secretary in einem anspruchsvollen Umfeld den Zugang zu allen wesentlichen
Informationen und Sitzungen erhält, um seine Aufgabe eines quality gates leben
zu können. Der Corporate Secretary muss sich daher als professionelle Anlauf-
stelle an der Schnittstelle zwischen Aufsichtsrat und Geschäftsleitung etablieren
können. Er ist frei, sich ein entsprechendes Image zu geben, um sich insbesondere
gegenüber dem Aufsichtsrat und dem Aufsichtsratsvorsitzenden möglichst optimal
positionieren zu können:

• Proaktiv und speditiv (bereits in der Arbeit als General Counsel ein Muss).
• Qualitativ hochwertige Arbeit (bereits in der Arbeit als General Counsel ein
Muss).
• Belastbar und lösungsorientiert (bereits in der Arbeit als General Counsel ein
Muss).
• Diskret und loyal (sehr wichtig für einen vertrauensvollen Umgang mit infor-
mellen Informationen).
• Hohe zeitliche Verfügbarkeit (teilweise auch an Wochenenden und in Rand-
zeiten).
53 Zusatzprozess Corporate Secretary Services 767

Um Erfolg haben zu können, braucht ein Corporate Secretary verschiedene


Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen. Es sind dies folgende zentrale
Erfolgsfaktoren:

• regelmäßige Besprechungen mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden;


• direkte reporting line zum Aufsichtsratsvorsitzenden;
• Einführungsprogramm für den Umgang mit stakeholders;
• Einsitznahme in Ausschüssen, private meetings und Aufsichtsratssitzungen
(idealerweise auch in der Geschäftsleitung);
• Sitzordnung;
• Coaching (zum Beispiel durch einen Senior-Aufsichtsrat);
• Budget.

Ein Corporate Secretary braucht nicht nur einiges zur optimalen Aufgabenerfül-
lung, sondern bringt auch einiges mit. Er verfügt über ein ausgeprägtes Gespür
für heikle Fragen im Schnittstellenbereich von Aufsichtsrat und Geschäftsleitung
und ist erfahren im Umgang mit Prozessen in Großbetrieben. Er verfügt über die
Fähigkeit zur Erarbeitung konstruktiver und pragmatischer Lösungsansätze und
zeichnet sich durch eine gut strukturierte und effiziente Arbeitsweise aus. Dadurch
wird er auch für die Gesellschaft und die darin agierenden Personen ein sehr wich-
tiger und gern gesehener Interaktionspartner.

53.9 Dynamik zwischen Aufsichtsrat und Geschäftsleitung

Wie eingangs erwähnt, fällt dem Corporate Secretary bei der Sicherstellung eines
effizienten und dynamischen Informationsflusses zwischen Aufsichtsrat und
Geschäftsleitung eine gewichtige Rolle zu. Er ist nicht nur Dreh- und Angelpunkt
zwischen diesen beiden Gremien, sondern vielfach auch Vermittler und Berater.
Ein in sich schlüssiger und logisch nachvollziehbarer sowie sachlich korrekter
Antrag gilt auf Aufsichtsratsebene zu Recht als Selbstverständlichkeit. Wann und
mit wem der entsprechende Antrag vorbesprochen und zu welchem Zeitpunkt er
dem Aufsichtsrat oder einem vorberatenden Ausschuss unterbreitet wird, kann
zuweilen jedoch eine ebenso große Rolle spielen. Auch die formelle Verpackung
eines Antrags an den Aufsichtsrat oder die Hauptversammlung ist nicht zu unter-
schätzen. Sind die eingereichten Unterlagen in sich zwar brilliant, die Anträge
aber unklar oder unvollständig formuliert, besteht die Gefahr, dass sich der Auf-
sichtsrat nicht mit dem Inhalt, sondern vielmehr mit der Form der Vorlage aus-
einandersetzen muss. Dabei kann viel an Dynamik eingebüßt und nicht zuletzt
unnötig Vertrauen verspielt werden. Es ist für eine Geschäftsleitung daher von gro-
ßem Belang, dass neben dem Inhalt, der unbestritten im Zentrum der Diskussionen
zu stehen hat, auch der Form beziehungsweise Verpackung (zum Beispiel Über-
setzung) ausreichend Rechnung getragen wird. Dies bedeutet, dass die Versand-
prozesse und Einreichungsfristen so gestaltet sein müssen, dass ausreichend Zeit
768 R. Schoch

zur Verfügung steht, um die erforderliche Qualität der einzureichenden Unterlagen


sicherzustellen.
Die den Aufsichtsräten vorgelegten Unterlagen werden von diesen analysiert
und kritisch hinterfragt. Dies ist ein umsichtiger und verantwortungsvoller Auf-
sichtsrat seiner Geschäftsleitung schuldig. Der Vorsitzende des Rechnungsprü-
fungsausschusses arbeitet dabei Hand in Hand mit dem CFO, der Vorsitzende des
Nominations- und Remunerations-Ausschusses mit dem Head of Human Resour-
ces, und der Aufsichtsratsvorsitzende mit dem CEO. Es ist daher wichtig, dass
diese Beziehungen von gegenseitigem Respekt und Vertrauen geprägt sind. Gerade
der Beziehung zwischen dem Aufsichtsratsvorsitzenden und dem CEO kommt
in einem Unternehmen eine zentrale Rolle zu. Das Führungsgespann sollte dabei
nicht nur an einem Strick, sondern auch in die gleiche Richtung ziehen. Andern-
falls besteht die Gefahr, dass die Führung geschwächt und das Unternehmen insbe-
sondere bei Aktionären, Investoren, Banken, institutionellen Anlegern, Gläubigern
und Rating-Agenturen an Durchschlagskraft verliert. Für die Gewährleistung einer
positiven Dynamik zwischen den beiden Gremien kommt dem Anforderungspro-
fil von Präsident und Mitgliedern des Aufsichtsrats einerseits und der Auswahl der
Geschäftsleitung, allen voran des CEO, andererseits eine große Bedeutung zu.
Mit den drei A’s (Auswahl, Anweisung und Aufsicht) kann der Aufsichtsrat
einen entscheidenden Beitrag zur Unternehmensführung und nachhaltigen Siche-
rung der Zukunft eines Unternehmens beitragen. Dies setzt jedoch voraus, dass
die Informations-Asymmetrie zwischen Aufsichtsrat und Geschäftsleitung durch
kompetente und erfahrene Aufsichtsratsmitglieder wettgemacht wird. Das Wis-
sen auf der einen und die Informationshoheit auf der anderen Seite sind Synonym
für die Machtposition in den Führungsorganen und spielen somit bei der Ent-
wicklung und Umsetzung der Strategie eine entscheidende Rolle. Die Dynamik
zwischen Aufsichtsrat und Geschäftsleitung (hoher Sitzungsrhythmus, sich wider-
sprechende Beschlüsse, unklare prozessuale Abläufe in Krisenzeiten etc.) kann
bisweilen zu anspruchsvollen Situationen führen. Der Corporate Secretary kann
in solchen Momenten einen wertvollen Beitrag leisten, indem er die Übersicht
behält und optimale rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen für Auf-
sichtsrat und Geschäftsleitung schafft. Er unterstützt nicht nur den Informations-
fluss zwischen Management und Aufsicht, sondern beflügelt diesen im Bedarfsfall
auch. Er ist „im Auge des Sturms“ und gleichzeitig „Fels in der Brandung“ eines
anspruchsvollen Umfelds.

53.10 Die Doppelrolle von General Counsel und Corporate


Secretary

Sowohl der General Counsel als auch der Corporate Secretary verfügen – sofern
die Funktionen nicht vom General Counsel ausgeübt werden – über fundierte
Kenntnisse des internen Regelwerks, der Corporate Governance sowie der bran-
chenspezifischen Regularien. Beide Rollen dienen der Unterstützung des Auf-
sichtsrats, der Geschäftsleitung sowie der Geschäfts- und Funktionsbereiche in
53 Zusatzprozess Corporate Secretary Services 769

rechtlichen Fragestellungen (insbesondere im Bereich Gesellschaftsrecht, Ver-


tragsrecht, Organisationsrecht, Corporate Governance, Compliance sowie Wettbe-
werbsrecht). Zudem gibt es verschiedene thematische Schnittstellen zwischen den
beiden Positionen (Handelssperrzeiten, Ad-hoc-Publizitätspflicht etc.).
Die dem Aufsichtsrat eingereichten Anträge respektive Kenntnisnahmen soll-
ten im Vorfeld einer rechtlichen Prüfung unterzogen worden sein. Hierfür trägt der
General Counsel die Hauptverantwortung. Sobald die Unterlagen aber in die Nähe
eines Komitees respektive des Aufsichtsrats gelangen, übernimmt automatisch
der Corporate Secretary eine wichtige Rolle bei der Abklärung von (rechtlichen)
Fragestellungen. Oft ist die Zeit vor dem fristgerechten Versand von Unterlagen
äußerst knapp und es fehlen zuweilen die relevanten Ansprechpartner. In solchen
Situationen ist der Corporate Secretary auf sich alleine gestellt und muss in kür-
zester Zeit entscheiden, ob eine Aufsichtsratsdokumentation noch eingereicht oder
gegebenenfalls zurückbehalten werden soll. Hier braucht es ein hohes Maß an
Sachverstand und Intuition. In welchem Fall wird der CEO bemüht, in welchem
Fall gar der Vorsitzende? Gibt es Alternativen? Kann gegebenenfalls eine externe
Stelle die Antwort liefern? Kann die Frage überhaupt an das Management gerich-
tet werden? Was ist aus taktischen Überlegungen am besten?
Das Ziel muss darin bestehen, dass die dem Aufsichtsrat eingereichten Unterla-
gen auf Einhaltung der organisationsrechtlichen Vorgaben überprüft wurden. Hier
ist insbesondere auch sicherzustellen, dass allfällige Interessenkonflikte der Auf-
sichtsratsmitglieder rechtzeitig adressiert werden. In spezifischen Fällen muss es
zudem möglich sein, dass der Corporate Secretary die Möglichkeit hat, auf externe
Stellen zuzugreifen (namentlich externe Anwaltskanzleien). Dies ist insbesondere
dann der Fall, wenn vonseiten Management oder Aktionariat Rechtspositionen
aufgebaut werden, die aus Sicht des Aufsichtsrats oder des Aufsichtsratsvorsitzen-
den einer second opinion bedürfen.

Zum Beispiel stellen sich oft Fragen:


– zu Vergütungen des Managements;
– zum Ausstand oder zur Stimmenthaltung auf Stufe Aufsichtsrat respektive Aus-
schüssen;
– rund um die Entlastung von Aufsichtsrats- und/oder Geschäftsleitungsmitglie-
dern;
– Rechtsfragen auf Auskunft und Einsicht, auf Sitzungsunterbruch sowie rund
um kapitalstärkende Maßnahmen;
– börsenrechtliche Fragestellungen und rund um die Ad-hoc-Publizitätspflicht bei
Mutationen auf Geschäftsleitungsebene.

Ein Rückgriff auf die internen Stellen (namentlich die Rechtsabteilung, aber auch
weitere Fachabteilungen, wie Compliance, Controlling etc.) ist in solchen oder
vergleichbaren Fällen aufgrund von chinese walls unter Umständen nicht möglich.
Der Corporate Secretary muss somit in spezifischen Fällen die Möglichkeit haben,
Rat von Dritten einzuholen (selbstverständlich in Abstimmung mit dem Aufsichts-
ratsvorsitzenden). Dies ist auch gleichzeitig der Grund, warum eine Personalunion
770 R. Schoch

zwischen General Counsel und Corporate Secretary in gewissen Situationen pro­


blematisch sein kann.
Um effizient und wirksam agieren zu können, sollte der Corporate Secretary nicht
mehrerer Damen resp. Herren (das heißt Aufsichtsratsvorsitzendem und CEO) gleich-
zeitig dienen müssen. Dies trifft namentlich auf allfällige Krisensituationen zu (zum
Beispiel bei einer bevorstehenden Absetzung des CEO respektive anderer Mitglieder
des Top Management). Er sollte seine Rolle frei von Interessenbindungen ausüben
können. Auf diese Weise kann er die Arbeit effizient und wirksam für den Aufsichts-
rat sowie den Aufsichtsratsvorsitzenden ausüben. Selbstverständlich ist es je nach
Unternehmensgröße nicht möglich, diese hier vertretene Rollenteilung durchzuhalten.
In solchen Fällen ist durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass gerade für den
Fall von Krisensituationen eine Struktur besteht, die eine klare Trennung der Auf-
gabenbereiche ermöglicht (zum Beispiel Doppelunterstellung mit getrennten Zielver-
einbarungs- und Zielerreichungsgesprächen).

53.11 Protokollführung in der Aktiengesellschaft

Von den unterschiedlichen Aufgaben, welche auf einen General Counsel zukom-
men, falls er das Aufgabengebiet des Corporate Secretary mitübernimmt, ist die
Protokollführung in der Regel etwas für ihn völlig Neues. Die Bedeutung von Pro-
tokollen wird in der Praxis jedoch oft unterschätzt. Aus diesem Grund wird hier
vertieft darauf eingegangen, um dem General Counsel einen optimalen Start in das
Amt des Corporate Secretary zu ermöglichen. Zumal im deutschsprachigen Raum
die Pflicht zur Protokollierung auf Stufe Aufsichtsrat sowie Hauptversammlung
gilt,3 und Protokolle nicht nur den einzelnen Sitzungsteilnehmern, sondern auch
der gesamten Gesellschaft sowie Dritten Nutzen stiften respektive eine entschei-
dende Bedeutung in Verantwortlichkeitsprozessen erhalten.

53.11.1 Nutzen der Protokollführung

Die Protokollführung ermöglicht die Nachvollziehbarkeit der Zusammenkunft.


Sie stellt Klarheit und Nachvollziehbarkeit hinsichtlich der Agenda, der getrof-
fenen Beschlüsse, über das weitere Vorgehen sowie die anwesenden Teilnehmer
sicher. Insbesondere bei Stimmenthaltungen sowie Ausständen ist auf eine genaue
Protokollierung zu achten. Dies ist insbesondere bei allfälligen Verantwortlich-
keitsprozessen von zentraler Bedeutung. Der Nutzen von Protokollen für die Akti-
engesellschaft liegt darin, dass diese das einzige Dokument darstellen, in welchem
die Willensbildung der Organe der Gesellschaft nachvollzogen werden kann. Es
stellt damit eine wichtige Grundlage für spätere Entscheide dar. Zudem dient es

3Die nachfolgenden Erläuterungen beziehen sich ausschließlich auf die Protokollierungspflicht


nach Schweizer Recht. Marginale Abweichungen der hier gemachten Aussagen für Deutschland
und Österreich sind möglich und separat zu prüfen.
53 Zusatzprozess Corporate Secretary Services 771

der Kontrolle der erteilten Aufträge an das Management des Unternehmens. Das
Protokoll dient weiter als Beleg für Handelsregistereintragungen und als wichtige
Grundlage für die Erstellung von Revisionsberichten sowie zur Testierung der Jah-
res- und Halbjahresabschlüsse durch die Revisionsstelle. Schließlich ist das Pro-
tokoll auch ein wichtiges Instrument für die Nachvollziehbarkeit und Begründung
von Geschäftsentscheiden bei einer allfälligen due diligence. Zudem stellt es ein
geeignetes Beweismittel in Zivil- und Strafprozessen dar.

53.11.2 Anforderungen an den Protokollführer

Neben persönlichen gibt es auch zahlreiche fachliche Anforderungen an einen Pro-


tokollführer. Der Protokollführer muss verschwiegen sein. Er muss über eine hohe
Loyalität verfügen und sehr exakt – namentlich auch unter hohem Termindruck
– arbeiten. Er behält die Übersicht auch in hektischen Situationen und überzeugt
durch seine fundierte Dossier- und Reglementkenntnis. Zu den fachlichen Anfor-
derungen zählen ausgezeichnete Sprachkenntnisse, Kenntnisse des regulatorischen
Umfelds und der Corporate Governance. Eine Personalunion von Protokollführer
und Teilnehmer im Aufsichtsrat ist grundsätzlich abzulehnen. Dies namentlich,
weil die Gefahr besteht, dass ein solcher die Protokollierung (un-)bewusst beein-
flussen könnte. Er wäre somit latent einem Interessenkonflikt ausgesetzt. Dies
namentlich dann, wenn er kontroverse Positionen protokollarisch festhalten muss.
Zur Wahrung der Unabhängigkeit ist die Funktion des Protokollführers somit von
einer allfälligen Funktion im Aufsichtsrat zu trennen. Mithin geht die Erstellung
von Protokollen in der Praxis fast ausschließlich auf den Corporate Secretary über,
da dieser den Sitzungen beiwohnt, ohne selbst Aufsichtsratsmitglied zu sein.

53.11.3 Drei grundsätzliche Arten von Protokollen

Beim Wortprotokoll wird jedes Wort aufgeschrieben (zum Beispiel Parlaments-


debatten). Die Sprache der Votanten wird Wort für Wort festgehalten. Das Pro-
tokoll wird dadurch sehr umfangreich und verliert an Übersichtlichkeit. Beim
Beschlussprotokoll werden nur die Beschlüsse respektive die Entscheide festgehal-
ten. Die Einzelvoten werden dabei nicht festgehalten. In der Praxis werden Proto-
kolle der Geschäftsleitung häufig als Beschlussprotokolle geführt. Zu guter Letzt
ist das Beratungsprotokoll zu erwähnen. Beim Beratungsprotokoll handelt es sich
um ein erweitertes Beschlussprotokoll. Auf die Protokollierung von Einzelvoten
wird bewusst verzichtet. Hingegen werden ausführliche Diskussionen im Vorstand
am Ende zusammenfassend festgehalten. Auf die Protokollierung repetitiver Dis-
kussionen wird hierbei bewusst verzichtet. Bei Beratungsprotokollen ist darauf
zu achten, dass immer Stimmenthaltungen, Ausstände und abweichende Voten
sowie Zusatz- und Gegenanträge (inklusive Namen) protokolliert werden. Wird
die Art des Protokolls vorgängig nicht festgelegt, ist im Zweifelsfall ein Bera-
tungsprotokoll durch den Corporate Secretary zu führen. In der Praxis werden bei
772 R. Schoch

Hauptversammlungen sowie auf Aufsichtsratsebene in der Regel denn auch fast


ausschließlich Beratungsprotokolle geführt.

53.11.4 Anforderungen an ein Protokoll

Werden erfahrene Corporate Secretary nach den empfohlenen Protokollinhalten


befragt, antworten diese in der Regel – etwas verklausuliert – wie folgt:

u Die Protokollführung darf in ihrer Bedeutsamkeit nicht unterschätzt


werden.

Da ein Protokoll herangezogen wird, wenn insbesondere in einem Verantwortlich-


keitsprozess Schuld- und Schuldausschlussfragen beurteilt werden, ist es emp-
fehlenswert (aber nicht erforderlich), wenn abweichende Meinungen, Vorbehalte
bezüglich gewisser Entscheidungen oder ausdrückliche Widersprüche gegen ein-
zelne Beschlüsse unter Angabe des Namens des Aufsichtsrats protokolliert werden.
Die Wiedergabe von Fragen und Beiträgen der Aufsichtsräte zu den trak­tandierten
Themen im Protokoll kann dabei aufzeigen, dass der entsprechende Aufsichtsrat
aktiv an den Sitzungen teilnimmt und die Geschäftsführung unterstützt, bezie-
hungsweise coacht, diese aber auch kritisch und konstruktiv hinterfragt. Selbst-
verständlich kann die Protokollführung beliebig über den minimal erforderlichen
Inhalt hinaus betrieben werden. Idealerweise sind in Aufsichtsratsprotokollen
lediglich die Kernaussagen festzuhalten; das heißt, wer gegebenenfalls gegen
einen Antrag gestimmt respektive einen Gegen- oder Änderungsantrag gestellt
hat. Ein Aufsichtsratsprotokoll soll die Diskussionen zusammenfassend und sum-
marisch wiedergeben. Die Voten sind dabei nicht explizit wiederzugeben, weder
wörtlich noch zusammenfassend (außer es wird ausdrücklich vom Teilnehmenden
gewünscht). Wenn die Voten ausufern und nichts zur Beschlussfassung beitragen
oder keine anderen Lösungsansätze beziehungsweise Meinungen aufzeigen, müs-
sen sie nicht protokolliert werden. Konkret gliedert sich das Protokoll wie folgt:

• Name der Gesellschaft;


• Art der Sitzung sowie des Protokolls;
• Datum, Zeit und Ort der Sitzung;
• Anwesende und ihre Funktionen;
• Traktanden;
• Anträge/Kenntnisnahmen;
• Verhandlungen und Beschlüsse des Aufsichtsrats (einschließlich Abstimmungs-
resultate und Wahlergebnisse);
• Unterschrift des Aufsichtsratsvorsitzenden und des Sekretärs;
• Verteiler.
53 Zusatzprozess Corporate Secretary Services 773

Hinsichtlich der Protokollführung ist schließlich auch besonders darauf zu ach-


ten, dass im Falle von Ausständen sichergestellt wird, dass die betroffenen
Aufsichtsratsmitglieder keinen Einblick in die – dem übrigen Aufsichtsrat nach-
gängig zugestellten – Unterlagen respektive in deren Diskussionen und Ent-
scheide erhalten.

Über den Autor


Roger Schoch – General Secretary der Alpiq Holding, Olten
Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Bern (Rechtanwaltspatent 1998). Execu-
tive Master im europäischem und internationalem Wirtschaftsrecht der Universität St.Gallen in
2006 (Executive M.B.L.-HSG). Bis zu seiner Wahl als Generalsekretär bei der Alpiq Holding
AG im Jahre 2013 war Herr Schoch während zwölf Jahren in verschiedenen Funktionen für die
Schweizerischen Bundesbahnen SBB tätig. Er war unter anderem stellvertretender Leiter des
Konzernrechtsdienstes sowie Chief Compliance Officer. Parallel dazu übte er neun Jahre lang die
Funktion als Sekretär des Verwaltungsrates der SBB AG aus.
Zusatzprozess Compliance
Management 54
Manuela Mackert

54.1 Weshalb ist Compliance für Juristen so wichtig?

Compliance bedeutet die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen und unterneh-


mensinterner Richtlinien. Im weiteren Sinne werden zusätzlich unternehmens-
kulturelle beziehungsweise ethische Aspekte einbezogen.1 Primärer Zweck ist
es, Haftungsrisiken sowie sonstige Rechtsnachteile und Reputationsschäden für
das Unternehmen, die Organe und seine Mitarbeitenden zu vermeiden. Compli-
ance und damit auch integres Verhalten sollen eigentlich eine Selbstverständlich-
keit sein, doch es werden immer wieder Fälle bekannt, die das Gegenteil zeigen.
Dies liegt unter anderem an der ständig steigenden Normenflut und der Globalisie-
rung der Märkte mit unterschiedlichen Kulturen und Wertesystemen. Dazu ist eine
zunehmende Verfolgung von Verstößen durch Behörden zu beobachten, die mit
hohen Strafen und Bußgeldern belegt werden. Geschäftsleitungen und gerade auch
in Deutschland Kontrollorgane, wie Aufsichtsräte, werden vermehrt in die Pflicht
genommen.2
Der Anspruch der Öffentlichkeit an das ethische und integre Verhalten von
Unternehmen steigt zusehend. Verstöße werden über Social Media schnell einem

1Auch die Kodexanpassungsvorschläge für den Deutschen Corporate Governance Kodex 2017
enthalten eine deutliche Leitbotschaft zum Thema ethisches Verhalten. „Der Kodex verdeutliche
die Verpflichtung von Vorstand und Aufsichtsrat im Einklang mit den ethsich ausgerichteten Prin-
zipien der sozialen Marktwirtschaft für den Bestand des Unternehmens und seine nachhaltige
Wertschöpfung zu sorgen (Unternehmensinteresse). Diese Prinzipien verlangen nicht nur Lega-
lität, sondern fragen darüber hinaus nach der Legitimität von Verhalten und von Entscheidungen
und fordern insoweit Verantwortung (Leitbild des Ehrbaren Kaufmann).“
2L03 – Compliance-Leitfaden für den Aufsichtsrat, Arbeitskreis Aufsichtsrat und Compliance,

DICO Deutsches Institut für Compliance, Berlin Stand März 2015.

M. Mackert (*)
Deutsche Telekom AG, Bonn, Deutschland

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 775


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_54
776 M. Mackert

breiten Publikum bekannt, oft sogar skandiert. Neben der Einhaltung von G­ esetzen
und klar definierten ethischen Grundsätzen wird damit die Etablierung einer
authentischen Compliance-Kultur notwendig. Eine normierte Rechtspflicht zur
Ausgestaltung eines Compliance Management-Systems, also die Definition und
konkrete Gestaltung der Instrumente der Compliance-Arbeit, gibt es jedoch nicht.
Die Notwendigkeit der Einrichtung einer Compliance-Organisation und des Auf-
baus eines Compliance Management-Systems resultiert zum einen aus den aktien-
rechtlichen Sorgfaltspflichten (vgl. für Deutschland § 93 Abs. 1 AktG3) und zum
anderen aus den haftungsrechtlichen Folgen des OWiG bei der Verletzung von
Aufsichtspflichten. Neben der persönlichen Haftung von Organen bei Verletzung
von Aufsichtspflichten kann es auch zu einer Unternehmenshaftung bei Straftaten
oder Ordnungswidrigkeiten durch Organe oder andere Leitungspersonen kommen
(vgl. §§ 30, 130 OWiG4). Das Erfordernis ergibt sich aber auch aus wirtschaft­
lichen Aspekten. Compliance-Verstöße wie zum Beispiel Korruption führen dazu,
dass Unternehmen zu teuer einkaufen, dass notwendige Investitionen nicht vorge-
nommen werden, falsche unternehmerische Entscheidungen getroffen werden und
langfristig die Wettbewerbsfähigkeit leidet. Auch ohne den Druck von hohen Stra-
fen, vergaberechtlichen Konsequenzen und Imageschäden sollte jeder Unterneh-
mensleitung daran gelegen sein, dass sich das Unternehmen und somit auch seine
Repräsentanten compliant verhält respektive verhalten.
Maßstäbe für die Erfüllung der Sorgfaltspflichten in Bezug auf ein effektives
Compliance Management-System wurden erstmalig in den US Federal Sentencing
Guidelines definiert. Sie finden sich in geringfügig variierender Form auch in den
adequate procedures des UK Bribery Act und im deutschen IDW Prüfungsstan-
dard 980 wieder. Unabhängig davon, an welchen dieser Standards man sich anleh-
nen möchte, haben sich folgende Elemente etabliert:

• Implementierung einer Compliance-Organisation,


• Identifikation von Compliance-Risiken und die Einführung eines Complian-
ce-Programms,
• Implementierung von Compliance-Richtlinien inklusive entsprechender Trai-
nings- und Beratungsangebote,
• Kommunikation von wesentlichen Compliance-Themen,
• Geschäftspartner-Prüfungen,
• die Implementierung eines Hinweisgeberportals inklusive eines vollumfäng­
lichen Case Managements,
• Berichterstattung,
• kontinuierliche Überwachung und Verbesserung des Prozesses.

3(Deutsches) Aktiengesetz vom 6. September 1965 (BGBl. I S. 1089), das zuletzt durch Artikel 1
des Gesetzes vom 22. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2565) geändert worden ist.
4(Deutsches) Gesetz über Ordnungswidrigkeiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.

Februar 1987 (BGBl. I S. 602), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 13. Mai 2015
(BGBl. I S. 706) geändert worden ist.
54 Zusatzprozess Compliance Management 777

54.2 Wie sollte Compliance organisiert sein?

Compliance ist eine wesentliche Leitungs- und Überwachungsaufgabe der Unter-


nehmensführung. Gemäß § 76 Abs. 1 AktG hat der Vorstand eine umfassende,
eigenverantwortliche Leitungsfunktion bei der Unternehmensführung und mithin
als Gesamtvorstand die Verantwortung für Compliance. Diese Aufgabenzuwei-
sung findet sich auch im Deutschen Corporate Governance Kodex wieder: „Der
Vorstand hat für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unter-
nehmensinternen Richtlinien zu sorgen und wirkt auf deren Beachtung durch die
Konzernunternehmen hin (Compliance).“ Wichtig ist, dass die Compliance-Or-
ganisation möglichst unabhängig ist. Dazu ist sie in der Organisation möglichst
hoch, idealerweise direkt unter der Geschäftsführungsebene anzusiedeln.
Um die Unabhängigkeit zu unterstreichen, kann es zielführend sein – soweit
rechtlich möglich – eine direkte Berichtslinie zum Vorsitzenden des Prüfungs-
ausschusses oder zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats, in Ermangelung eines
Prüfungsausschusses, zu haben. Die Compliance-Organisation an sich sollte mög-
lichst unabhängig von anderen Unternehmensbereichen sein. Das heißt eben nicht
mit anderen bereits bestehenden Abteilungen (zum Beispiel Rechtsabteilung, Per-
sonalbereich, Revision etc.) zusammengelegt werden, um insbesondere potenzielle
Interessenkonflikte zu vermeiden.
So ist für Wertpapierdienstleistungsunternehmen durch die MaComp (Min-
destanforderungen an die Compliance-Funktion und die weiteren Verhaltens-,
Organisations- und Transparenzpflichten nach §§ 31 ff. WpHG5 für Wertpapier-
dienstleistungsunternehmen) eine Anbindung an die Revision untersagt und eine
Zusammenlegung mit der Rechtsabteilung nur ausnahmsweise erlaubt und dann
zu begründen. Diese Regelungen gelten in Deutschland nur für Wertpapierdienst-
leistungsunternehmen. Trotzdem sollte immer reflektiert werden, wie sich die
Compliance-Organisation mit ihren unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern und Auf-
gabeninhalten (Vorbeugen, Erkennen, Reagieren) gegenüber den oben beispielhaft
aufgeführten Funktionen klar abgrenzt. Die Rechtsabteilung nimmt eine geschäfts-
begleitende Beratung vor und kann somit in Konflikt mit der unter anderem über-
wachungsorientierten und neutralen Compliance-Funktion geraten.
Von besonderer Bedeutung für die Compliance-Arbeit ist die Zusammenar-
beit mit der Internen Revision. Diese untersucht prozessanalytisch durch ad hoc
Audits Compliance-Fälle im Rahmen des sogenannten Case Managements. Zudem
werden von der Compliance-Abteilung Prüfungen im Rahmen des Jahresrevisi-
onsprogramms initiiert. So zum Beispiel Validierung von Anhaltspunkten aus Com-
pliance-Vorfällen oder dem Compliance Risk Assessment, die Fragestellungen zum
wirksamen internen Kontrollumfeld von bestimmten Geschäftsprozessen aufwei-
sen und somit auch auf eine kontinuierliche Verbesserung derselben zielen. Ferner

5(Deutsches) Wertpapierhandelsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Septem-

ber 1998 (BGBl. I S. 2708), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. November 2015
(BGBl. I S. 2029) geändert worden ist.
778 M. Mackert

prüft die Revision als third line of defence das Compliance Management-System im
Konzern bei ausgewählten Beteiligungsgesellschaften. Dies anhand von im Vorfeld
von der Compliance-Organisation klar definierten Mindestanforderungen. Ebenfalls
validiert die Revision die Umsetzung bestimmter Compliance-Prozesse, um die
Wirksamkeit des Compliance Management-Systems für den zentralen Complian-
ce-Bereich zu prüfen. Bei einer Zusammenlegung von Compliance und der Inter-
nen Revision wäre diese in ihrem Prüfauftrag nicht mehr unabhängig.

54.3 Das Compliance Management-System

54.3.1 Compliance-Risikobewertung (Compliance Risk


Assessment)

Wie ein Compliance Management-System ausgestaltet wird und wo es sei-


nen Fokus setzt, bleibt dem Unternehmen überlassen. Dies ist entscheidend,
da Compliance „unternehmensspezifisch“ ist, also sich an den individuellen
Geschäftsmodellen, -prozessen und -risiken sowie dem Marktumfeld und den
Branchenbedingungen auszurichten hat, um nachhaltig erfolgreich sein zu kön-
nen. Zentrale Grundlage des Compliance Management-Systems ist das Compli-
ance Risk Assessment (siehe dazu auch Kap. 47). Es dient der Identifikation und
Bewertung von Compliance-Risiken sowie der Definition von geeigneten Maßnah-
men zur Prävention. Nur wenn die unternehmensspezifischen Risiken transparent
sind, kann diesen wirksam begegnet werden.
Daraus ergibt sich ein erheblicher Mehrwert für die Unternehmensleitung.
Zunächst ist abhängig vom Geschäftsmodell festzulegen, welche Risiken entste-
hen können, das heißt es wird definiert, mit welchen Risiken sich das Compliance
Management-System auseinandersetzen soll. Je nach Schwerpunkt der Geschäfts-
aktivitäten kann beispielsweise ein Compliance Management-System in Betracht
kommen, das den Schwerpunkt auf Anti-Korruption legt. Es kann aber auch brei-
ter aufgestellt werden und sich mit Kartellrecht, Datenschutz, Betriebs- sowie
Geschäftsgeheimnissen etc. befassen. Dies hängt entscheidend davon ab, welche
Themen im Unternehmen relevant sind und ob diese bereits von anderen Bereichen
(respektive der Rechtsabteilung, des Personalbereichs etc.) abgedeckt werden.
Die Deutsche Telekom AG, auf welche sich die Erläuterungen des gesamten
Beitrags beziehen, hat zum Beispiel einen konzernweiten jährlich zu durchlaufen-
den toolbasierten Prozess aufgesetzt. Dadurch wurden Verantwortlichkeiten fest-
gelegt und klare Bewertungskriterien definiert, die nachvollziehbar dokumentiert
werden. Der Compliance-Bereich der Deutschen Telekom AG hat eine definierte
Konzern-Risikolandkarte implementiert, die eine umfassende und systematische
Basis an Risiken darstellt, die für das Unternehmen einen hohen Stellenwert haben
(siehe Abb. 54.1).
54
Zusatzprozess Compliance Management

Abb. 54.1  Compliance Risk Assessment. (Quelle: Deutsche Telekom, Stand 31. Dezember 2016)
779
780 M. Mackert

Diese Risikolandkarte ist breit aufgestellt, um die weltweit tätigen Toch-


tergesellschaften mit ihren Geschäftsmodellen in die Lage zu versetzen, eine
systematische Risikoanalyse vornehmen zu können. Konkret umfasst sie 27 Risi-
kokategorien. Jede Tochtergesellschaft kann geschäftsspezifisch weitere Katego-
rien definieren.

Beispielhafte Themen:
Korruption, Verstöße gegen Kartellrecht, Außenwirtschaft-/Embargoverstöße, Missbrauch
personenbezogener Kunden- oder Mitarbeiterdaten, Verstöße gegen Verbraucherrechte,
Verstöße gegen Patentrechte, Missbrauch von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, miss-
bräuchliche Nutzung von Insiderwissen, falsche oder verspätete Information des Kapital-
marktes.

In einem ersten Schritt ist die Relevanz zu bestimmen. Das bedeutet, dass jede
teilnehmende Tochtergesellschaft beurteilen muss, ob dieses Risikofeld für sie
relevant ist und damit näher analysiert werden muss. Um die Beurteilung zu
vereinfachen, wurden neben der Beschreibung des Risikos und der gesetzlichen
Regelungen dazu auch Szenarien hinterlegt. Diese Szenarien zeigen die praktische
Ausprägung des Risikos in der operativen Geschäftstätigkeit auf und werden fort-
laufend aktualisiert.

Beispiel
Aktive Korruption: Ein Vertriebsmittler/Berater verwendet einen Teil seines
Honorars zu Bestechungszwecken, um einen Auftrag zu akquirieren.

Wenn ein Risiko als relevant angesehen wird, ist im zweiten Schritt das Brut-
to-Risiko zu bewerten. Das Brutto-Risiko beschreibt die Bedrohung aus dem
Geschäftsmodell heraus, ohne die Berücksichtigung von risikominimieren-
den Maßnahmen. Dabei sind die Eintrittswahrscheinlichkeit und das mögliche
Schadensausmaß zu bewerten. Die Bewertung der Eintrittswahrscheinlich-
keit wird durch so genannte red flag-Fragen unterstützt, die speziell auf das zu
bewertende Risiko zugeschnitten sind und einen Warnhinweis auf ein erhöhtes
Risiko definieren.

Aktive Korruption: Hat das Unternehmen häufig Kontakt zu öffentlichen Auf-


traggebern?

In einem dritten Schritt werden die bereits umgesetzten Maßnahmen zur Ver-
ringerung des Ursprungsrisikos in die Betrachtung mit einbezogen. Diese
Maßnahmen beschreiben das Kontrollumfeld. Aus der Einschätzung des
Ursprungsrisikos und der Effektivität dieses Kontrollumfelds ergibt sich das
so genannte Netto-Risiko. Hier wurde eine Rechenlogik hinterlegt, die dazu
führt, dass bei bestimmten Ist-Risiken Aktivitäten zwingend erforderlich oder
Verbesserungen erforderlich sind. Bei einem niedrigen Ist-Risiko sind keine
Maßnahmen erforderlich. In Abhängigkeit des Ergebnisses sind im vierten
Schritt Maßnahmen zur Verbesserung des Kontrollumfelds zu definieren. Dazu
ist festzulegen, wer für die Maßnahme verantwortlich ist und bis zu welchem
54 Zusatzprozess Compliance Management 781

Zeitpunkt sie umzusetzen ist. Die Einschätzungen der Tochtergesellschaften


werden vom zentralen Compliance-Bereich plausibilisiert, das heißt sie werden
auf Sinnhaftigkeit und Konsistenz hin überprüft. Wichtig ist aber, dass die letzt-
endliche Verantwortung bei den Tochtergesellschaften bleibt. Deshalb wird die
Geschäftsführung der Tochtergesellschaften über die Ergebnisse des Compli-
ance Risk Assessments informiert. Aus diesem folgt das Compliance-Programm
des Folgejahres mit den definierten Maßnahmen und Verantwortlichkeiten, über
das die Geschäftsführung einen dokumentierten Beschluss zu fassen hat. Die
Maßnahmen aus dem Compliance-Programm sind konsequent zu monitoren.

54.3.2 Implementierung von Compliance-Richtlinien

Für ein Compliance Management-System ist es essenziell, dass neben einem Code
of Conduct auch Reglungen zu Anti-Korruption, zu Geschenken, Einladungen
und Events, Gewährung von Spenden- und Sponsoringleistungen, zum Umgang
mit Beratern und Vermittlern konzernweit implementiert werden. Abhängig von
der Risikolandkarte können weitere Richtlinien dazukommen. Zur rechtssicheren
Implementierung von Konzernrichtlinien sind diese zunächst auf Konzernvor-
standsebene vom Vorstand beziehungsweise vom zuständigen Vorstandsmitglied
und in einem zweiten Schritt – auch hier je nach Zuständigkeit – von der
Geschäftsführung oder einem Geschäftsführungsmitglied der jeweiligen Tochter-
gesellschaft zu beschließen. Im Ausland wird eine Anpassung der Richtlinie an
zwingendes lokales Recht in Betracht kommen. In einem weiteren Schritt ist die
gegebenenfalls angepasste Konzernrichtlinie den betroffen Beschäftigten nach-
weislich bekannt zu machen. Die Implementierung von Konzernrichtlinien wird
durch geeignete Kommunikations- und Trainingsmaßnahmen begleitet. In Zwei-
felsfällen müssen sich die Mitarbeiter an ein Beratungsportal wenden können.
Wichtig ist, dass die Mitarbeiter zeitnah eine Antwort erhalten, die Handlungssi-
cherheit verschafft und rechtssichere Handlungsspielräume eröffnet.

54.3.3 Compliance-Trainings

Mitarbeiter müssen geschult werden bezüglich der im Zusammenhang mit der


Implementierung eines Compliance Management-Systems stehenden Regelungen.
Grundlagen kann man im Rahmen eines e-Learnings gut und schnell einem brei-
ten Mitarbeiterkreis vermitteln. Für die im Rahmen des Compliance Risk Assess-
ments erkannten Risikobereiche müssen Präsenztrainings durchgeführt werden.
Dabei sind die Schulungen genau auf das Aufgabengebiet der zu schulenden Mit-
arbeiter zuzuschneiden und interaktiv zu gestalten. Eine Trainingskampagne, die
nachhaltig erfolgreich sein soll, ist aufwendig. An einer Präsenzschulung sollten
im Normalfall nicht mehr als 20 Personen teilnehmen. Werden 10.000 Mitarbei-
ter konzernweit im Rahmen einer Präsenzschulung trainiert, bedeutet dies für eine
Compliance-Organisation durchaus einen Kraftakt. Nur der direkte und interaktive
Dialog mit den Mitarbeitern kann dem Compliance-Bereich aber ein Gefühl dafür
782 M. Mackert

geben, ob das Thema verstanden und ernst genommen wird sowie am Arbeitsplatz
angewendet werden kann. Zudem gibt es inhaltlich einen nicht zu unterschätzen-
den Input für Folgeveranstaltungen sowie einen direkten künftigen Austausch mit
Mitarbeitern auf einer gewissen Vertrauensgrundlage. Hervorzuheben ist, dass bei
den Compliance-Experten aktuelle Themenstellungen in dieser „Kommunikations-
kette“ platziert werden können, welche es dem Compliance-Bereich ermöglichen,
als business enabler zu fungieren.

Beispiele
Besonders risikoreich ist der Einsatz von Vertriebsmittlern und Beratern, die
mit Behörden zusammenarbeiten. Für Mitarbeiter, die diese Leistungen einkau-
fen, hat die Telekom ein e-Learning konzipiert, das im Rahmen des Bestellpro-
zesses zu durchlaufen und mit diesem hart verdrahtet ist. Dadurch sollen den
Bestellern das Risikopotenzial und seine Rolle im Prozess aufgezeigt werden.
Gleichzeitig wurde für die Mitarbeiter im Einkauf, welche die Bestellungen
durchführen, ein Präsenztraining durchgeführt. Den Einkaufsmitarbeitern wer-
den vor allem das Präventionskonzept zur Vermeidung von Risiken sowie der
zu durchlaufende Prozess nähergebracht. Vertriebsmitarbeiter mit Kundenkon-
takt sollten zudem im Thema Anti-Korruption, Deal-Verantwortliche explizit
bezüglich wettbewerbsrechtlicher Risiken geschult werden. Verfügt Ihr Unter-
nehmen über eine Banklizenz oder hat Ihr Unternehmen eine Tochtergesell-
schaft, die über eine Banklizenz verfügt, müssen Sie außerdem das Thema
Geldwäscherei schulen.

Schwierig wird es, wenn sich im Unternehmen eine gewisse Trainingsmüdigkeit


entwickelt, insbesondere bei den bekannten Formaten. Ziel ist es, neue Formate
und Methoden zu entwickeln. Die Deutsche Telekom haben deshalb unter ande-
rem ein Compliance-Quiz oder einen kurzen Videoauftritt entwickelt. Dies ist
insbesondere zur Wissensauffrischung geeignet. Methodenvielfalt und Wiederho-
lung begünstigen, so lange anhaltendes Wissen zu vermitteln. Ein Präsenztraining
wird damit nicht ersetzt. Es setzt sich mittlerweile auch zunehmend durch, für
Geschäftspartner Präsenztrainings und e-Learnings mit Compliance-Inhalten anzu-
bieten. Dies eignet sich insbesondere als Unterstützung für kleinere Geschäftspart-
ner, die sich mit dem Thema noch nicht auseinandergesetzt haben.

54.3.4 Compliance-Kommunikation

Die Kommunikation muss zielgruppenspezifisch erfolgen. Dazu sind im Rah-


men eines jährlichen Kommunikationskonzepts die Kommunikationsziele und
die entsprechenden Maßnahmen festzulegen. Von essenzieller Bedeutung ist der
so genannte tone at the top beziehungsweise from the top. Die Geschäftsleitung
bekennt sich idealerweise eindeutig zur gewünschten Compliance-Kultur, kommu-
niziert sie und lebt diese vor. Diese Anforderung wurde bereits in den US Federal
54 Zusatzprozess Compliance Management 783

Sentencing Guidelines formuliert, nach denen sich die Implementierung eines


Compliance- oder Ethik-Programms als strafmindernd erweisen kann.
Als immer wichtiger wird die Bedeutung des Mittelmanagements angesehen,
durch das eine große Breitenwirkung erzielt werden kann. Mitarbeiter berichten
Fehlverhalten in der Regel zuerst an ihren Vorgesetzten, der im Idealfall auch
eine Vorbildfunktion innehält. Eine verantwortungsvolle Führung reduziert Com-
pliance-Risiken. Compliance kann besonders erfolgreich sein, wenn das mittlere
Management die Botschaften unterstützt. Dafür ist es erforderlich, die Bedürf-
nisse des Mittelmanagements zu kennen. Wie nimmt es Compliance wahr? Welche
Tools zum Umgang mit Compliance-Themen benötigt es? Zum Beispiel kann im
Rahmen von Mitarbeiter-Meetings sinnvollerweise fünf Minuten über Complian-
ce-Themen gesprochen werden. Darüber, wie mit Compliance-Fällen umzugehen
ist. Um hier ein Gefühl für diese Führungsebene zu erhalten, hat die Deutsche
Telekom AG konzernweit eine Umfrage zur Compliance-Wahrnehmung in deren
Arbeitsgebiet und -umfeld durchgeführt. Es konnte klar herausgearbeitet werden,
welche Unterstützung die Führungskräfte vom Compliance-Bereich erwarten und
welche Dilemma-Situationen und andere Herausforderungen sie zu bewältigen
haben. Für die allgemeine Mitarbeiterkommunikation ist wichtig, dass eine regel-
mäßige Kommunikation in „verdaulichen“ Dosen stattfindet.
Um die Wiedererkennung von Compliance zu stärken, ist es sinnvoll, ein eige-
nes Logo im Unternehmen zu etablieren und Kernbotschaften festzulegen, die
regelmäßig platziert werden. Eine Mitarbeiterkommunikation muss genau wie die
Schulungen alltagstauglich, verständlich und einfach sein. Damit tut man sich in
der Praxis gerade als Jurist nicht immer leicht. Compliance-relevante Sachverhalte
sind in der Regel komplex. Kommunikation trägt dazu bei, Komplexität zu redu-
zieren und die Dinge einfach und anschaulich zu erklären. So haben wir zum Bei-
spiel:

• ein Poster gestaltet, um die Transparenz der Struktur und den Nutzen von Com-
pliance für die Mitarbeiter zu erhöhen.
• ein neues Kommunikationsmittel entwickelt, das die Compliance-Risiken und
-Regeln kompakt und zielgruppenspezifisch darstellt. Für unsere Servicetech-
niker war dies eine mit einer „griffigen“ Compliance-Botschaft beschrifteten
Parkscheibe, und
• eine Broschüre aufgelegt, die die wichtigsten Compliance-Themen mitarbeiter-
orientiert erläutert.

Für andere Beschäftigungsgruppen bedarf es anderer zielgruppenorientierter Kom-


munikationsmittel. So erstellen wir für unsere Compliance Community einen
regelmäßigen Compliance Newsletter. Für die Internationale Community veran-
stalten wir einmal im Jahr einen International Compliance Day.
Auch die externe Kommunikation steigt in der Bedeutung. Investoren und
Ratingagenturen achten verstärkt auf Nachhaltigkeit mit starkem Fokus auf
Compliance. Der Nachweis der Existenz eines wirksamen Compliance Manage-
784 M. Mackert

ment-Systems wird bei Ausschreibungen immer häufiger verlangt. Dazu werden


Aktien zunehmend von Investoren gehalten, die zumindest teilweise SRI-Kriterien
(Socially Responsible Investment) bei Investment-Entscheidungen berücksichti-
gen. Von diesen Stakeholdern wird Transparenz in der externen Berichterstattung
zu Compliance-Kennzahlen verlangt. Im Kontext dieser Kennzahlen wird exemp-
larisch danach gefragt, wie viele Beteiligungsgesellschaften durch ein Compliance
Risk Assessment abgedeckt werden, wie viele Mitarbeiter an einer Complian-
ce-spezifischen Schulung (mit welchem Schwerpunkt) teilgenommen haben, ob
Joint Ventures des Unternehmens Code of Conduct eingeführt haben etc. Außer-
dem wird im Besonderen eine Berichterstattung über Fälle erwartet. Hinsicht-
lich der Kennzahlen-Darstellung und der oftmals daraus folgenden Interpretation
seitens Unternehmens-Dritter ergibt sich nachfolgende Herausforderung: Die
Kennzahlen müssen einerseits klar definiert und vergleichbar – trotz notwendiger
Unternehmensspezifika – sein, andererseits muss der Kontext beziehungsweise
Bezugsbereich, aus dem sich die Kennzahl ergibt, hinreichend transparent sein,
um konkrete und vor allem die richtigen Ableitungen treffen zu können.

Beispiel
Ein Unternehmen veröffentlicht nur die Anzahl der eingegangenen Complian-
ce-Verfehlungen (Hinweiseingänge), das andere veröffentlicht hingegen nur die
Anzahl bestätigter Compliance-Fälle.

Eine große Anzahl von Hinweiseingängen kann bedeuten, dass es im Unterneh-


men viele Missstände gibt, es kann aber auch aussagen, dass das Compliance
Management-System Früchte trägt. Ferner kann es Anhaltspunkt für eine etablierte
Compliance-Kultur sein und darauf hindeuten, dass Mitarbeiter den Mut haben,
auf Missstände hinzuweisen. Beleg für die tatsächliche Implementierung sowie
gelebte Compliance-Kultur ist, dass Mitarbeiter Indikatoren erkennen, die Rück-
schlüsse auf potenzielles Fehlverhalten aufzeigen, die sie wiederum im Unter-
nehmen adressieren können. Hervorzuhebender Mehrwert ist, dass durch diese
Achtsamkeit die als kritisch eingestufte Themenstellungen bereits in einer frü-
hen Phase analysiert und erfolgreich behoben sowie für die Zukunft ausgesteuert
werden können. Vorteil ist, dass ein Vorfall nicht durch Dritte, wie Medien oder
Behörden, in einem späten Stadium zur Kenntnis gebracht werden und es durch
Abwenden nicht zur Involvierung Dritter, wie beispielsweise der Behörden im
Rahmen von Ermittlungsverfahren, kommen muss.

54.4 Wie kann man Compliance in die


Unternehmensprozesse integrieren?

Ganz wichtig ist, dass Compliance nicht nur ein Theoriegebäude ist, sondern in
die bestehenden Geschäftsprozesse verankert wird und sich als business enabler
versteht. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten, so zum Beispiel bei Geschäfts-
54 Zusatzprozess Compliance Management 785

partnerprüfungen. Hier können Lieferantenprüfungen in die bestehenden Ein-


kaufsprozesse, bei Unternehmensprüfungen in den mergers & acqusitions-Prozess
implementiert werden. Ebenso die Prüfung von Vertriebspartnern und von Partner-
schaften können in bestehende Prozesse der jeweils verantwortlichen Abteilungen
integriert werden.

54.4.1 Compliance-Integration bei


Geschäftspartnerprüfungen

Ein Unternehmen kann für das Handeln seiner Geschäftspartner verantwortlich


gemacht werden. Begeht ein Geschäftspartner ein Bestechungsdelikt, so kann
ein Mitarbeiter des eigenen Unternehmens mit in die strafrechtliche Verantwor-
tung für eine Mittäterschaft, Anstiftung oder Beihilfe genommen werden, wenn
zum Beispiel ein kollusives Zusammenwirken vorliegt. Auch das Unternehmen
kann belangt werden, wenn die erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen unterlassen
wurden. Die Grundlagen dafür sind im OWiG, im FCPA und im UK Bribery Act
verankert. Daher ist das Auslagern beziehungsweise das Übertragen der vollen
Verantwortung von Compliance-Risiken auf den Geschäftspartner nicht möglich.
Dazu gibt es auch spezialgesetzliche Regelungen wie zum Beispiel § 4 (deutsches)
Geldwäschegesetz, in dem das know your Customer-Prinzip inklusive Ermittlung
des wirtschaftlich Berechtigten, also eine Legitimationsprüfung, vorgesehen ist,
die insbesondere von Kreditinstituten und Versicherungen zur Verhinderung von
Geldwäsche durchzuführen sind. Dem liegt die Idee zugrunde, dass diese Unter-
nehmen ihre Kunden genau kennen müssen, um Auffälligkeiten in deren Verhalten
feststellen zu können.
Ihren Kunden sollten Sie als Industrie- oder Dienstleistungsunternehmen
zumindest in „abgespeckter“ Form ebenfalls kennen.6 Ein Geschäftspartner
ist zunächst jeder Unternehmensexterner, der mit dem Unternehmen in einer
geschäftlichen Beziehung steht. Neben Kunden und Lieferanten sind dies auch
Berater, Vertriebsmittler, Entwicklungspartner und Joint-Venture-Partner. Klassi-
sche Risikofaktoren bei Vertriebspartnern sind

• Länderrisiken,
• Branchenrisiken,
• Vertragspartner hat Zugriff auf sensible Daten oder Technik des eigenen Unter-
nehmens,
• Vertragspartner, die im Namen des eigenen Unternehmens auftreten,
• Firmensitz oder Rechnungsadresse in offshore-Ländern,
• intensive Geschäftsbeziehungen,

6Die Auswirkungen der nationalen Umsetzung der 4. EU Geldwäsche-Richtlinie sind aktuell

noch nicht genau absehbar. Im Rahmen der Risikoanalyse ist an Abhängigkeit von den Kunden-
und Vertragspartnerstrukturen jedoch immer zu prüfen, ob und ggl. welche Auslösetatbestände
für Sorgfaltspflichten eintreten können.
786 M. Mackert

• Vertragsbeziehungen mit hohen Auftrags- oder Bestellvolumen,


• Erwerb von Vermögenswerten und/oder Personal durch das eigene Unterneh-
men.

Im Rahmen einer Geschäftspartnerprüfung muss zunächst danach differenziert


werden, wo die größten Risiken liegen. Dazu kann man vereinfachend wie folgt
kategorisieren:

• Erst-/Folgeauftrag,
• Länderrisiko: Herkunftsland des Geschäftspartners,
• Branchenrisiko: Warengruppe (angebotenes Produkt, Dienstleistung),
• Höhe des Bestellvolumens.

Nicht bei jedem Vertragsabschluss müssen Geschäftspartner mit der gleichen Inten-
sität geprüft werden. Sorgfältig sollte der Geschäftspartner zumindest bei einer
erstmaligen Vertragsanbahnung untersucht werden, weil er noch nicht aus einer
laufenden Geschäftsbeziehung bekannt ist. Zur Beurteilung von Länderrisiken kann
der Corruption Perceptions Index (CPI) von Transparency International (TI) ver-
wendet werden. Er listet Länder nach dem Grad auf, in dem dort Korruption bei
Amtsträgern und Politikern wahrgenommen wird. Je niedriger der Index ist, desto
höher ist das Korruptionsrisiko in dem betreffenden Land und desto intensiver
sollte eine Geschäftspartnerprüfung ausfallen. Auch für andere Risikofelder gibt es
anerkannte Indices, so zum Beispiel einen Wettbewerbsrechtsindex, der bewertet,
wie stark die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts in einzelnen Ländern ist.
Zur Beurteilung von Branchen eignet sich der Index on Bribery (BPI), ebenfalls
von Transparency International. Dieser listet 28 führende Exportnationen nach
der Neigung ihrer Unternehmen auf, Bestechungszahlungen im Ausland zu leis-
ten. Dabei werden auch die Bestechung von Unternehmen untereinander und die
relative Wahrscheinlichkeit aktiver Bestechung in verschiedenen Branchen unter-
sucht. Am schlechtesten schnitten bei der letzten Umfrage die Baubranche und der
Öl- und Gassektor ab. Auch hier sollten insbesondere Partner überprüft werden,
die in kritischen Branchen aktiv sind. Aus Compliance-Perspektive ist die Erbrin-
gung einer Beraterleistung immer risikobehaftet und im Speziellen, wenn diese
im Kontakt mit Behörden stehen oder das eigene Unternehmen beim Vertrieb von
Produkten oder dem Erschließen von Märkten unterstützen. Neben dem Risiko,
dass die Scheinbeauftragung von Beratern zu Bildung sogenannter schwarzer Kas-
sen genutzt wird, die später zu Bestechungszwecken verwendet werden, kann ein
Berater auch einen Teil seines Honorars verwenden, um einen Amtsträger zu beste-
chen. Vergaberechtliche Risiken können entstehen, wenn ein Berater von Auftrag-
geber und von Bieterseite beauftragt wird und somit ein Interessenkonflikt vorliegt
(siehe dazu detailliert Kap. 24). Schließlich ist auch eine Kosten-/Nutzenanalyse
vorzunehmen. Es kann zwar auch mit kleinen Summen zu Bestechungen kommen,
doch je größer das Vertragsvolumen, desto größer auch das Risikopotenzial.
Das bestehende Risiko kann jedoch durch die sorgfältige Auswahl von integren
Geschäftspartnern minimiert werden. Dazu gibt es diverse Instrumente, die man
idealerweise in die bereits bestehenden Prozesse integrieren kann. Am Beispiel
54 Zusatzprozess Compliance Management 787

des Einkaufs bedeutet dies: Der Einkauf führt standardmäßig bereits bestimmte
Lieferantenchecks durch. So wird in der Regel immer ein Bonitätscheck des Lie-
feranten durchgeführt werden, der die finanzielle Stabilität des potenziellen Liefe-
ranten prüft. Neben allgemeinen Kennzahlen und vergangenem Zahlungsverhalten
werden auch Information über Eigentümer- und Unternehmensstruktur bereitge-
stellt. Dazu ist ein Abgleich mit so genannten „Ausschlusslisten“ oder black lists
üblich. Im Minimum sollten Unternehmen einen Abgleich mit den Embargo-
beziehungsweise Antiterrorlisten durchführen. Ideal ist es, ein integriertes kon-
zernweites Ausschlusslistentool zu nutzen. Darin sollten Firmen enthalten sein, die
sich nicht regel- oder gesetzeskonform verhalten haben. Das kann die Nicht-Ein-
haltung der Vertrags- und Compliance-Vorgaben beinhalten. Aus diesem Grund
sollen sie für die Dauer ihrer Listung von Geschäftsbeziehungen ausgeschlossen
werden. Sorgfältig muss dabei auf die Einhaltung von datenschutz- und betriebs-
verfassungsrechtlichen Bestimmungen geachtet werden.
Bei großen Unternehmen sind auch Lieferantenselbstauskunftsbögen alltäg-
lich, die von den Lieferanten auszufüllen sind. Diese Elemente können genutzt
werden, um Compliance-Fragen zu integrieren. Bei der Ausgestaltung der Com-
pliance-Fragen sollte berücksichtigt werden, wer die vom potenziellen Lieferanten
ausgefüllten Compliance-Fragen inhaltlich prüft. Soll dies im Einkauf erfol-
gen, müssen die Compliance-Fragen um Bewertungshilfen ergänzt werden. Bei
Anzahl und Detaillierungsgrad der Compliance-Fragen sollte auch berücksichtigt
werden, dass es bei einer Lieferantenvertragsbeziehung nicht um das Risiko der
Übernahme aller Haftungsrisiken des Vertragspartners geht (wie zum Beispiel bei
einem Erwerb eines Unternehmens), sondern um die Reduzierung von Haftungs-
und Reputationsrisiken, die durch die Vertragsbeziehung mit den Lieferanten ent-
stehen können. Kann ein Lieferant Compliance-Fragen nicht positiv beantworten,
ist aber dennoch der Meinung, diese Themen anderweitig voll abzudecken, muss
dies im Einzelfall unter Einbindung von Compliance geklärt werden. Entsprechen-
des gilt, wenn der Lieferant zum Beispiel Verhaltenskodizes nicht akzeptieren will,
weil er eigene hat. Hat man nun besonders risikoreiche Geschäftspartner identifi-
ziert, sollte ein Compliance Check durchgeführt werden. Dieser sollte auf Basis
öffentlich zugänglicher Informationen die Unternehmensstruktur und Geschäfts-
leitung prüfen, aber auch, inwieweit der potenzielle Vertragspartner in der Ver-
gangenheit Compliance-Verstöße begangen hat. Vertiefend kann eine erweiterte
Überprüfung in Wirtschaftsdatenbanken durchgeführt werden. Diese sollte auch
erfolgen, wenn Hinweise auf unklare Eigentümerverhältnisse, nicht nachvollzieh-
bare Unternehmensbeteiligungen und intransparente Offshore-Strukturen vorlie-
gen oder der Eigentümer ein so genannter „PEP“ (polictical exposed person) ist.
Sollten sich hier Auffälligkeiten ergeben, darf ein Vertrag nur mit Zustimmung des
Compliance-Bereichs abgeschlossen werden.
Bei den bisher beschriebenen Elementen handelt es sich um Prüfungen, die in
der Regel Vertragsbeziehungen betreffen, die vom Einkauf geschlossen werden.
Es gibt aber auch Vertragsbeziehungen, die in anderen Unternehmensbereichen
entstehen. So sind für die Compliance-Beurteilung von strategischen Partner-
schaften im Rahmen des Verkaufs von Partnerprodukten unter dem Namen des
eigenen Unternehmens, für Joint Ventures, für Outsourcing-Deals sowie Mergers
788 M. Mackert

& Acquisitions-Transaktionen ebenfalls Compliance-Prozesse aufzusetzen und in


die bestehenden Prozessabläufe der verantwortlichen Abteilungen zu integrieren.

54.4.2 Compliance-Integration beim Kauf von Unternehmen

Das kaufende Unternehmen ist verantwortlich für eine sorgfältige Prüfung der
Zielgesellschaft zur Aufdeckung von Korruptionssachverhalten/Verstößen gegen
den Foreign Corrupt Practices Act (FCPA), die zeitlich vor der Akquisition lie-
gen, sowie für die Aufdeckung von Compliance-relevanten Sachverhalten in der
Zielgesellschaft. Unabhängig von dieser Verantwortung sollte es aber auch im
Interesse des Unternehmens liegen, die Risiken zu kennen, die sich aus der Trans-
aktion ergeben. Dringend zu empfehlen ist die Einbindung des Compliance-Be-
reichs ab Beginn der Due-Diligence-Phase. Es sollte ein Business Assessment
in der pre-contact-Phase über das potenzielle M&A-Target durchgeführt werden
und bestimmte Compliance-Fragen direkt in der Due Diligence platziert werden.
Neben landesbezogenen müssen auch geschäftsbezogene Korruptionsrisiken ana-
lysiert und die Compliance-Struktur des Targets analysiert werden. In Abhängig-
keit vom Ergebnis wird gegebenenfalls eine Anpassung an die Vertragsgestaltung
vorgenommen und die Entscheidung Kauf oder Nichtkauf getroffen. Nach der
Entscheidung zum Kauf wird eine Post Merger Integration durchgeführt.
Im Rahmen der Compliance Post Merger Integration geht es zum einen darum,
die neu erworbene Gesellschaft in das Compliance Management-System der auf-
nehmenden Gesellschaft zu integrieren, und zum anderen darum, die im Rah-
men der Due Diligence erkannten auffälligen Transaktionen aufzuarbeiten. Im
Allgemeinen werden bei einer Post Merger Integration die Prozesse und Struk-
turen des neu erworbenen Unternehmens an die bestehenden Unternehmens-
beziehungsweise Konzernstrukturen des Käufers angepasst. Bezogen auf den
Bereich Compliance bedeutet dies, dass das Compliance Management-System
der aufnehmenden Gesellschaft sukzessive in der neuen Gesellschaft implemen-
tiert werden muss. Sollte bereits ein Compliance Management-System existieren,
ist dieses mit den Mindestanforderungen des Käufers abzugleichen und allenfalls
entsprechend anzupassen. So müssen zum Beispiel ein Compliance Risk Assess-
ment durchgeführt werden, welches den Anforderungen des Käufers genügt, und
Compliance-Schulungen vorgenommen werden. Konzernrichtlinien des Käufers
sind zu implementieren und es muss eine Integration in den konzernweiten Com-
pliance-Reporting-Prozess erfolgen. Grundsätzlich ist jede Gesellschaft für die
Implementierung eines wirksamen Compliance Management-Systems selbst ver-
antwortlich. Der Käufer muss dennoch sicherstellen, dass die Compliance Manage-
ment-Systems in seinen Beteiligungsgesellschaften seine Anforderungen erfüllen.
Eine compliance post merger integration sollte sich nicht auf die Implementie-
rung eines Compliance Management-Systems in dem neu erworbenen Unterneh-
men an sich beschränken, denn mit dem Kauf des Unternehmens werden darüber
hinaus Haftungsrisiken für Compliance-Verstöße aus der Vergangenheit übernom-
men. Während Haftungsrisiken für bekannte Verstöße, die zum Beispiel bereits
54 Zusatzprozess Compliance Management 789

Gegenstand behördlicher Ermittlungen sind, im Kaufvertrag ausreichend abge-


sichert werden können, ist dies bei noch nicht bekannten Compliance-Verstößen
durchaus schwieriger. Ein Verkäufer wird nur Garantien oder Freistellungen im
Kaufvertrag gewähren, wenn dieser für ihn vom Volumen und der Zeitdauer her
überschaubar sind. Dies stellt den Käufer vor das Problem, dass er einerseits das
Ausmaß unbekannter Compliance-Verstöße nicht kennt und andererseits diese in
dem vereinbarten Zeitraum aufdecken muss, um sich beim Verkäufer einigerma-
ßen schadlos halten zu können.
In Rahmen der due diligence-Phase – also vor dem Kauf – ist die Datenlage
in der Regel nicht ausreichend, um Compliance-Verstöße aufzudecken. Es liegt
in der Natur der Sache, dass der Verkäufer kein Interesse hat, dem Käufer diese
offenzulegen. Somit findet im Rahmen der Compliance due diligence-Phase eher
eine Risikobetrachtung statt. Nach dem closing erhält der Käufer Zugriff auf alle
Daten und kann folglich identifizierte Risikobereiche tiefer gehend beleuchten.
Dies können zum Beispiel Verträge mit Geschäftspartnern sein, die aufgrund der
öffentlichen Recherche bereits als „Compliance-kritisch“ bekannt oder aufgrund
des Vertragsgegenstandes (zum Beispiel Einsatz von Vertriebsmittlern) als „Com-
pliance-kritisch“ einzustufen sind. Letztlich sind die im Detail durchzuführenden
compliance post merger integration-Maßnahmen immer vom Einzelfall abhängig.
Unabhängig davon ist die Implementierung des Compliance Management-Sys-
tems. Anzuraten ist, Compliance-Schulungen relativ kurzfristig nach dem Erwerb
der Gesellschaft durchzuführen, da dadurch eventuell vorhandene Wissenslü-
cken in Bezug auf korrektes Compliance-Verhalten der neuen Mitarbeiter schnell
geschlossen und somit das Risiko von unkorrektem Verhalten reduziert werden
kann. Zusätzlich kann dies den Effekt haben, dass Mitarbeiter aufgrund der Schu-
lungen motiviert werden, ihnen bekannte Compliance-Verstöße dem neuen Arbeit-
geber mitzuteilen. Erreicht den neuen Arbeitgeber diese Information noch im
Zeitfenster, in dem die im Kaufvertrag vereinbarten Garantien und Freistellungen
ihre Gültigkeit haben, können diese eventuell noch angewendet werden.

Fragebogen:
• Geschäftsführung
– Sind Mitglieder der Geschäftsleitung public officials?
• Kunden
– Wie hoch ist der Kundenanteil im öffentlichen Sektor?
– Werden Vertriebsmittler eingesetzt?
• Rechnungslegung
– Wie hoch sind die Aufwendungen für Geschenke, Lobbying, Spenden und
Sponsoring?
• Compliance-Struktur
– Gibt es ein Compliance-Management im Unternehmen?
– Seit wann gibt es ein Compliance Management-System?
– Ist das Compliance Management-System extern zertifiziert?
790 M. Mackert

54.5 Frühe Integration von Compliance in die


Strategieentwicklung und in internationale Projekte

Ein weiteres Betätigungsfeld in einem internationalen Dienstleistungsunterneh-


men, in dem Compliance nachhaltig zur Wertschöpfung beiträgt, ist die frühzeitige
Beteiligung von Compliance-Experten an der Entwicklung neuer Geschäftsmo-
delle und -prozesse. Im Zuge einer solchen Beratungstätigkeit können potenzielle
Compliance-Risiken, die den in solchen Projekten oft sehr technik- oder marketing-
getriebenen Verantwortlichen in ihrer Bedeutung oft gar nicht bewusst beziehungs-
weise erkennbar sind, durch das umfassende und praxiserprobte Erfahrungswissen
der Compliance-Experten frühzeitig minimiert und nach Möglichkeit weitgehend
ausgeschlossen werden. Richtig angewendet, ist Compliance hier nur sehr selten
ein show stopper, sondern vielmehr ein Motor. Sachgerechte Lösungen sind in den
allermeisten Fällen durch angemessene und frühzeitige Berücksichtigung der Com-
pliance-Vorgaben oder Empfehlungen ohne besondere Belastung beziehungsweise
Verwässerung der entsprechenden Geschäftsmodelle/-prozesse zu erzielen.
Eine wichtige Voraussetzung für die zielführende Einbeziehung von Compli-
ance ist eine zeitige, ernst gemeinte Prozessintegration „auf Augenhöhe“, die auf
der Basis eines bereits im Vorfeld bestehenden Vertrauensverhältnisses zu den
jeweils verantwortlichen Bereichen am nachhaltigsten funktioniert. Insbeson-
dere in größeren Unternehmen ist erfahrungsgemäß eine dezentrale und damit
eine dem operativen Geschäft nähere Compliance-Organisation, mit spezifischem
Geschäfts-Verständnis, sehr hilfreich.
Bei der Einführung eines neuen Geschäftsfeldes für elektronisches Wettge-
schäft beispielsweise begleitete unser Compliance-Bereich die überwiegend extern
rekrutierten, hoch spezialisierten Experten von der notwendigen Satzungsände-
rung des Unternehmens, über zahlreiche wettbewerbliche und lizenzrechtliche
Fragestellungen, bis hin zur Sicherstellung ethischer (zum Beispiel Minderjäh-
rigen- und Spielsüchtigenschutz) und reputationssichernder (zum Beispiel kein
Glücksspiel) Fragestellungen. In einem Fall der Ausweitung der Geschäftstätigkeit
des Unternehmens auf Venture Capital und Private-Equity-Aktivitäten beraten die
Compliance-Experten intensiv hinsichtlich der Notwendigkeit einer Vermeidung
von möglichen Interessenkonflikten beteiligter Unternehmensangehöriger. Auch
hier kann ein angemessener Ausgleich zwischen der angestrebten zusätzlichen
Dynamik und Flexibilität der business owners sowie den „Hütern“ von Compli-
ance- und Ethik-Aspekten erarbeitet werden.

54.6 Hinweisgeberportal und Case Management

Die besten Präventionsmaßnahmen werden nicht verhindern können, dass es im


Unternehmen zu Gesetzesverstößen und schwerwiegenden Pflichtverletzungen
kommt. Um solches Verhalten aufzudecken, sind Unternehmen auf Hinweise von
Mitarbeitenden, aber auch von Externen angewiesen. Üblich ist es mittlerweile,
dass ein Hinweisgeberportal (whistle blower portal) implementiert wird. Dies kann
im Unternehmen selber als interne Stelle eingerichtet oder an eine externe Stelle
54 Zusatzprozess Compliance Management 791

ausgelagert werden. Der Compliance-Bereich der Deutschen Telekom hat sehr


positive Erfahrungen mit einer internen Organisationseinheit gemacht, die de facto
eine Ombudsfunktion wahrnimmt. Dadurch hat man einen guten Überblick über
die eingehenden Themen und den direkten Kontakt zu den Hinweisgebern. Wich-
tig ist, dass Mitarbeiter immer ermutigt werden, Fehlverhalten zunächst beim Vor-
gesetzten zu adressieren. Erfolg kann das whistle blower portal nur haben, wenn
Hinweise konsequent untersucht, festgestelltes Fehlverhalten sanktioniert sowie
gleichzeitig aber auch im Rahmen der rechtlichen Bestimmungen die Vertraulich-
keit und die Anonymität des Hinweisgebers (falls gewünscht) gewahrt werden.
Die Deutsche Telekom hat sich klare Regeln für Untersuchungen gegeben und
geht Hinweisen nur dann nach, wenn eine hinreichend individualisierbare Sach-
verhaltsbeschreibung vorliegt und bei unterstellter Wahrheit ein Verstoß gegen
gesetzliche oder interne Vorschriften gegeben ist. Es kann sein, dass die berichte-
ten Informationen nicht ausreichen. Ideal ist es, wenn man dem Hinweisgeber wei-
tere Fragen zum Sachverhalt stellen kann. Dies ist jedoch nicht immer möglich.
Sollten die Informationen ausreichen, ist eine juristische Erstbewertung vorzu-
nehmen. Hierbei ist zu prüfen, ob ein strafrechtlicher Anfangsverdacht oder eine
grobe Pflichtverletzung vorliegen könnte. Erst wenn diese Prüfung positiv ausfällt,
kann eine interne Untersuchung eingeleitet werden, für die zuvor eine datenschutz-
rechtliche Freigabe erteilt wurde. Bei einer Untersuchung auf individuelles Fehl-
verhalten kann das Unternehmen schnell an seine Grenzen stoßen. Es stellt sich
die Frage, ob die Untersuchung intern durchgeführt werden kann oder externe
Experten hinzuzuziehen sind. Dies wird davon abhängen, ob intern ausreichende
Kapazitäten und Experten zur Verfügung stehen. Sollte sich der Hinweis auf eine
Tochtergesellschaft im Ausland beziehen, muss auch berücksichtigt werden, dass
man sich in einem anderen Rechtsraum befindet. Hier stellen sich unter anderem
die Fragen, ob personenbezogene Daten im Ausland verarbeitet werden dürfen, ob
E-Mails als Beweismittel verwertbar sind, welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen
gezogen werden dürfen und ob eine Anzeigepflicht bei den Strafverfolgungsbehör-
den besteht. Zusätzlich darf nicht vernachlässigt werden, dass es Sprachhindernisse
geben kann, da alle auszuwertenden Dokumente in der Landessprache vorliegen
werden. Es ist ratsam, sorgfältig ausgewählte Experten hinzuzuziehen.
Grundsätzlich ist die Untersuchung durch die Geschäftsleitung des betroffenen
Unternehmens per Beschluss zu beauftragen. Sollte ein Mitglied der Geschäftslei-
tung involviert sein, ist die Untersuchung durch das entsprechende Aufsichtsgre-
mium ebenfalls durch entsprechende Beschlussfassung zu beauftragen.
Im Rahmen der Untersuchung kann es notwendig werden, dass E-Mails gesi-
chert und analysiert werden müssen und Mitarbeiterinterviews beziehungsweise
-anhörungen durchzuführen sind. In diesem Zusammenhang bestehende Beteili-
gungsrechte der Arbeitnehmervertreter sind zu beachten. Die Analyse von E-Mails
durch den Arbeitgeber ist seit langem Streitgegenstand in der datenschutz-
rechtlichen Diskussion. Auf präventive und unangekündigte personenbezogene
Screenings zur Aufdeckung von erwarteten und potenziellen Fehlverhalten ist
grundsätzlich zu verzichten. Bei der Auswertung von E-Mails sind in Deutschland
die Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG), insbesondere § 32 BDSG
und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Ist eine Privatnutzung, wenn
792 M. Mackert

auch nur eingeschränkt, erlaubt, könnte in diesem Fall das Telekommunikations-


gesetz (TKG) einschlägig sein. Ist das TKG anwendbar, sind die Kontrollmöglich-
keiten noch erheblich eingeschränkter. Bei einer arbeitsrechtlichen Anhörung gilt:
Grundsätzlich muss ein Mitarbeitender an einer arbeitsrechtlichen Anhörung teil-
nehmen, da die Auskunftspflicht eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag ist. Aus
psychologischen Gründen sollte man den Teilnehmerkreis bei der Anhörung klein
halten. Für den Mitarbeitenden ist das eine besondere Situation, daher sollten die
Unternehmensvertreter im Umgang stets fair und angemessen agieren.
Bestätigen sich Hinweise durch die Untersuchung, muss es ein eindeutiges
und ein im Unternehmen bekanntes transparentes Konsequenzen-Management
geben. Dazu gehören arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur außerordent-
lichen Kündigung und bei einer Geschäftsführung auch bis hin zur Abberufung
aus der Organstellung. Resultierend aus der ARAG-Garmenbeck-Entscheidung
(BGH, Urteil vom 21.04.1997, ARAG/Garmenbeck) hat die Unternehmensleitung
in Deutschland aber auch die Pflicht zur Geltendmachung von Schadensersatzan-
sprüchen. Gefordert wird eine sogenannte zero tolerance und eine Einheitlichkeit
beziehungsweise Gleichförmigkeit der Sanktionierung bei ähnlich gelagertem
Fehlverhalten. Die Sanktionierung muss vor allem Tat- und Schuld-angemessen
sein. Damit hängt die individuelle Sanktionierung von diversen Faktoren ab, wie
zum Beispiel der Schwere des Fehlverhaltens, der Kooperationsbereitschaft, ob
der Mitarbeitende eigenmotiviert gehandelt hat oder auf Druck eines Vorgesetz-
ten. Trotzdem darf eine Gleichbehandlung nicht aus dem Blick verloren werden.
Über die individuelle Sanktionierung aus dem Arbeits- beziehungsweise Dienst-
verhältnis hinaus müssen in jedem Fall die Schwächen im internen Kontrollsystem
analysiert und abgestellt werden, die dazu geführt haben, dass das Fehlverhalten
überhaupt erst möglich war. Oftmals bietet sich im Nachgang eine Prozessanalyse
und -bewertung seitens der internen Revision zum konkret definierten scope an.
Sollte es zu einer geschickten, kollusiven Ausnutzung der Kontrollsysteme gekom-
men sein, kann dies einerseits folgern, dass anlass-unabhängige Compliance-Prü-
fungen durch Stichproben künftig erfolgen und andererseits, dass der tone from
the top sowie die Compliance-Kultur im Leadership Kontext (Integrität) gestärkt
werden muss.
Extrem wichtig ist, dass der Hinweisgeber (whistle blower) während und nach der
Untersuchung geschützt wird. Häufig kann ein Täter auf den Hinweisgeber schlie-
ßen, weil nur ein begrenzter Mitarbeiterkreis Zugang zu den Informationen hatte.
Wenn der Hinweisgeber bekannt ist, bleiben wir mit diesem nach der Untersuchung
in Kontakt, um uns zu vergewissern, dass ihm keine Nachteile entstanden sind.

54.7 Compliance Reporting

Jedes Quartal wird im Vorstand und im Prüfungsausschuss über den aktuellen Sta-
tus des Compliance Management-Systems und die aktuellen Compliance-Fälle
berichtet. Grundlage ist das zu Jahresbeginn im Vorstand präsentierte Ergebnis
aus dem Risk-Assessment mit dem daraus abgeleiteten Maßnahmenprogramm.
Im Vorfeld dazu bespricht der Chief Compliance Officer mit den Vorständen die
54 Zusatzprozess Compliance Management 793

Ergebnisse im jeweiligen Verantwortungsbereich, um hier ein einheitliches Ver-


ständnis zu schaffen. Gleichzeitig sind diese Termine dazu geeignet, den Mehrwert
von Compliance deutlich herauszustellen und sich immer wieder aktiv als Spar-
ringspartner für Fragestellungen sowie neue Themen anzubieten. Im persönlichen
Kontakt ist es sehr viel einfacher, die Einschätzung über Risiken, die gegensei-
tige Wertschätzung füreinander und für das Thema Compliance zu vermitteln. Des
Weiteren ist es die Chance, sich über Aufträge und aktuelle Themenstellungen zu
verständigen. Immer geht es dabei darum, den Vorständen aufzuzeigen, welchen
Mehrwert Compliance für das Unternehmen stiftet. Dies ist die vornehme Aufgabe
des Chief Compliance Officers, aber auch des Compliance Officer/ Beauftragten
auf Ebene der Konzerngesellschaft gegenüber der eigenen Geschäftsleitung.

54.8 Wie viel Compliance ist notwendig?

Beschrieben wurde bisher der Ansatz für ein Compliance Management-System


eines Großunternehmens. Ein international tätiges Großunternehmen benötigt
sicher ein anspruchsvolleres Compliance Management-System als ein Mittelstand-
sunternehmen oder ein Start-up.
Wir sind ein integrierter Telekommunikationsdienstleister, der in rund 50 Län-
dern vertreten ist. Unseren Kunden bieten wir Produkte und Dienstleistungen aus
den Bereichen Festnetz, Mobilfunk, Internet und Internet-Fernsehen an. Groß-
und Geschäftskunden finden bei uns auch Lösungen aus der Informations- und
Kommunikationstechnik. Die Deutsche Telekom ist nicht nur geprägt von vielen
Beteiligungsgesellschaften weltweit; es zählen rund 100 Tochtergesellschaften
unterschiedlicher Größe dazu, so dass wir in unterschiedlichen Geschäftsfeldern
aktiv sind. Einige Tochtergesellschaften sind Marktführer in ihren Ländern,
die dort eine starke Präsenz haben. Andere wiederum weisen einen deutlichen
Abstand zum Marktführer auf. Im Systemgeschäft sind wir international stark in
einem schwierigen Compliance-Umfeld vertreten. In allen diesen Gesellschaf-
ten besteht – insbesondere im Vertriebsbereich – ein latentes Compliance-Risiko.
Darum werden wir verstärkt neue Geschäftsfelder und Geschäftsideen erschlie-
ßen und gezielt Partnerschaften fördern und so gemeinsam ein breiteres Angebot
von Diensten und Produkten bieten. Dabei können sowohl der große, global auf-
gestellte Konzern als auch das kleine Start-up-Unternehmen Partner werden. Die
Telekom forciert dazu finanzielle Beteiligungen an interessanten Firmen aus dem
In- und Ausland über das corporate venturing.
In diesen Strukturen treten neuartige Problem- und Themenstellungen auf,
deren Risikorelevanz sich für den Compliance-Bereich oft nicht auf den ersten
Blick erschließt. Schnelligkeit und Flexibilität des operative doing spielen eine
große Rolle. So besteht praktisch keine Zeit, auf zentrale „Regelungen“ zu war-
ten. Eine Standardisierung der Zusammenarbeit in Form feststehender Prozesse
etc. wird nicht oder nur eingeschränkt gelingen. Die Mitarbeiter in diesen Einhei-
ten gehen häufig unkonventionell vor. Es müssen Modelle zum Einsatz kommen,
die der erhöhten Eigenständigkeit ein angemessenes Maß an Eigenverantwortung
gegenüber stellen. Diesen Realitäten muss sich Compliance stellen. Eine one size
794 M. Mackert

fits all-Lösung für die Vielzahl von Gesellschaften macht wenig Sinn. Wir gehen
einen Reifegrad-orientierten Ansatz mit dem wir eine maßgeschneiderte Betreu-
ungsform für unsere Gesellschaften finden.

Beispiel
Wir haben einen „Baukasten für eine Reifegrad-orientierte Compliance“ entwi-
ckelt: Die Aufgabe bestand darin, Anforderungen an ein Compliance Manage-
ment-System für die verschiedenen Konzerngesellschaften zu definieren und
dabei deren wirtschaftliche Entwicklung, sowie deren Geschäftsstrategien und
-risiken zu berücksichtigen. Hierzu ordneten wir unsere Tochterunternehmen
nach ihrer jeweiligen Lebenszyklusphase (vom Start-up bis zum Marktführer)
und ihrem spezifischen Compliance-Risiko in eine Matrix ein. Für die Ein-
gruppierung in die Lebenszyklusphase können quantitative Kriterien verwen-
det werden, wie zum Beispiel Finanzkennzahlen, Mitarbeiterzahl und Dauer
der Konzernzugehörigkeit. Compliance-Risiken mit externen Faktoren sind das
Länderrisiko, das Geschäftsmodell und die Compliance-Reife des Unterneh-
mens. Anhand ihrer Platzierung in der Matrix gruppierten wir die Gesellschaf-
ten nach verschiedenen Reifegraden, definierten fünf spezifische Gruppen und
legten für jede davon die Anforderungen für das jeweilige Compliance Manage-
ment-System fest. In der Auswirkung bedeutet das, dass kleine Gesellschaften
nur alle zwei Jahre ein Compliance Risk Assessment durchlaufen und einmal im
Jahr einen Compliance-Bericht erstellen. Es gibt einen bestimmten Mindestsatz
an Richtlinien, der implementiert werden muss. Bei auftretenden Fällen kann
der Compliance-Bereich der Zentrale anstehende Fälle managen. Große Unter-
nehmen dagegen führen jedes Jahr ein Compliance Risk Assessment durch und
erstellen einmal im Quartal einen Compliance-Bericht. Die Anzahl der zu imple-
mentierenden Richtlinien ist in der Regel höher und diese Gesellschaften mana-
gen ihre Compliance-Fälle bis zu einer gewissen Größenordnung selbstständig.

Über den Autor


Manuela Mackert, Chief Compliance Officer der Deutschen Telekom AG, Bonn
Manuela Mackert ist seit Juli 2010 Chief Compliance-Officer und Leiterin des Group Compli-
ance Managements der Deutschen Telekom AG. Des Weiteren sitzt Frau Mackert dem konzern­
internen Board zur Intensivierung der integrierten Governance, Risk und Compliance (iGRC)
vor. Sie ist Aufsichtsrätin bei der Konzern-Tochter T-Systems International GmbH, welche das
Großkundengeschäft der Deutschen Telekom verantwortet, und ist Mitglied in dessen Sicher-
heitsausschuss. Bis zum Merger der T-Mobile US mit MetroPCS war sie Mitglied des Audit
Commmittees der T-Mobile US. Darüber hinaus engagiert sie sich in nationalen und internatio-
nalen Gremien, um Standards für gute Unternehmensführung fortzuentwickeln und in der unter-
nehmerischen Praxis zu etablieren. Frau Mackert hält den Vorstandsvorsitz bei dem Deutschen
Institut für Compliance (DICO) inne als auch den Vorstandsvorsitz beim Forum Compliance &
Integrity (FCI). Zusätzlich ist sie Mitherausgeberin des Compliance Beraters.
Zusatzprozess CSR &
Integritätsmanagement 55
CSR in der Unternehmenspraxis – Management von Soft
Law und Unternehmensintegrität
Stephan Grüninger

55.1 Einleitende Überlegungen

Textil- und Schuhhersteller, Nahrungsmittelproduzenten, Unternehmen der Spiel-


zeugindustrie – sie alle und viele andere mehr haben seit geraumer Zeit ein
gemeinsames Problem: Die Verantwortung für Missstände in den Vorstufen der
Wertschöpfung werden zunehmend ihnen direkt zugerechnet. Dabei erfolgt die
Zurechnung nicht juristisch, sondern ökonomisch: Die mitunter unhaltbaren öko-
logischen und sozialen Zustände bei Lieferanten, Sub-Lieferanten und
Sub-Sub-Lieferanten werden den großen multinationalen Unternehmen (MNU)
beziehungsweise Markenartiklern deshalb zugerechnet, weil der nicht gänzlich fal-
sche Schluss gezogen wird, dass diese die ökonomischen Gewinner eben dieser
Zustände sind. So stehen zum Beispiel im Falle der Schokoladenproduktion nicht
„nur“ Kinderarbeit und die Verletzung von international anerkannten Arbeits- und
Sozialstandards im Raum, sondern gar schwerste Straftaten wie die Entführung,
Verschleppung und Ausbeutung von Kindern.1 Neben diesen Themen der supply
chain integrity werden unter dem nicht mehr ganz so neuen Schlagwort der Cor-
porate Social Responsibility (CSR) auch weit weniger dramatische, dennoch sehr
wichtige Sachverhalte rubriziert, die sich auf die Fairness im Wettbewerb, den
anständigen Umgang mit Mitarbeitern und Geschäftspartnern, die Sicherheit der
Produkte und der Produktion sowie auf die Nachhaltigkeit der Unternehmensstra-
tegie im Ganzen beziehen.

1Das sogenannte child trafficking betrifft viele Bereiche der Rohstoffgewinnung. Vgl. grund-
sätzlich www.unicef.org/protection/57929_58005.html, besucht 10. Mai 2017; zu dem trauri-
gen ­Beispiel aus dem Kakaobohnenanbau vgl. http://www.foodispower.org/slavery-chocolate,
besucht 10. Mai 2017.

S. Grüninger (*)
Konstanz, Deutschland
E-Mail: stephan.grueninger@htwg-konstanz.de

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 795


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9_55
796 S. Grüninger

 Für den Aufsichtsrat stellt sich damit unmittelbar die Frage, was
CSR für das eigene Unternehmen genau und konkret bedeutet?
Wie weit reicht unsere Verantwortung in der Wertschöpfung down-
stream und up-stream? Wer oder was befindet darüber?

Dieses Kapitel soll diesen Fragen nachgehen und dem mit diesem Thema betrau-
ten General oder Legal Counsels einen groben Leitfaden an die Hand geben, mit
welchem er den Prozess eines ernsthaften CSR- und Integritätsmanagements
beginnen und gestalten kann. Ein solcher Managementprozess ist jedoch nur dann
ernsthaft und glaubwürdig möglich, wenn ein grundlegendes Verständnis für die
praktische Gestaltung von CSR-Themen und deren Dilemmata vorhanden ist.
Zudem muss aufseiten des Unternehmens die Bereitschaft vorliegen, die Zusam-
menhänge zu verstehen und die Wahrnehmung bezüglich der Problemlagen zu
schärfen. Zudem muss die Akzeptanz für die eigene Rolle sowie die Bereitschaft,
die eigenen Handlungsmöglichkeiten umzusetzen, um dadurch Verantwortung zu
übernehmen, gegeben sein.

55.2 CSR, Compliance und social compliance

Die Vorstellungen zur sozialen beziehungsweise gesellschaftlichen Verantwor-


tung von Unternehmen haben sich in den letzten Jahrzehnten sehr stark verändert
und weiterentwickelt. Bis in die 1990er Jahre hinein dominierte die Ansicht, dass
Unternehmen und ihre Manager keine Verantwortung tragen, welche über die Ein-
haltung geltenden Rechts hinausginge. Und diese Ansicht hält sich – berechtigt
oder nicht – in weiten Teilen der Wirtschaft bis heute. Prominent steht dafür der
Ökonom und Nobelpreisträger Milton Friedman mit der etwas schlitzohrigen Aus-
sage: „The business of business is business.“ Damit hat er die in seinem berühm-
ten Artikel im New York Times Magazine vom September 1970 aufgestellte
These: „The social responsibility of business is to increase its profits“ noch zuge-
spitzt. Offensichtlich, um den Sozialromantikern seiner Zeit deutlich vor Augen
zu führen, dass die Unternehmen der Wirtschaft Geschäfte machen und Geld ver-
dienen sollen – und sonst nichts. Seither steht sein Zitat in der Welt der internatio-
nalen Wirtschafts- und Unternehmensethik (business ethics) quasi sinnbildlich für
ein nicht akzeptables neoliberales Wirtschaftsverständnis.
Wer sich allerdings die Mühe macht, den Artikel von Milton Friedman zu lesen,
wird ein differenzierteres Verständnis für die genannten programmatischen Äuße-
rungen dieses klugen Denkers gewinnen: Milton Friedman geißelt darin nämlich
im Wesentlichen eine soziale Verantwortung von Unternehmen, die darin bestehe,
das Geld anderer Leute für soziale Zwecke auszugeben beziehungsweise staatliche
Sozial­aufgaben ohne jede demokratische Kontrolle durch korporativ-privates soziales
Engagement zu ersetzen. Er betont dabei ausdrücklich, dass nichts dagegen einzu-
wenden sei, wenn Unternehmer als Privatpersonen (Teile ihrer) Gewinne für soziale
Zwecke spenden. Das, so stellt er allerdings richtigerweise klar, sei jedoch keines-
wegs die Sozialverantwortung der Unternehmen, sondern die Sozialverantwortung
55 Zusatzprozess CSR & Integritätsmanagement 797

Abb. 55.1  Reichweite der


Unternehmensverantwortung
(Corporate Responsibility
Spheres)

von Bürgern. In diesem Fall von Bürgern, die sich als Unternehmer betätigen. Da die
Frage der Sozialverantwortung damals wie heute vorwiegend die Manager-geführten
Unternehmen betreffe, könne in der Verwendung von Geldern für soziale Zwecke
nur ein Missbrauch gesehen werden, der letztlich sogar als Vermögensschädigung zu
interpretieren sei und darum auch juristisch geahndet werden müsse.
Dennoch reüssierte der Begriff der CSR, auch aufgrund einer seit den späten
1980er Jahre geführten Debatte um eine „nachhaltige Entwicklung“ (sustainable
development), die in der Anfangszeit insbesondere auf einen wirksamen Umwelt-
und Klimaschutz fokussierte.2 Die daraus abgeleitete gesellschaftliche Unterneh-
mens-, beziehungsweise Unternehmerverantwortung (CSR) bezieht sich also
gemäß Abb. 55.1

• zu allererst auf die Erfüllung des eigentlichen Unternehmenszweckes und damit


verbunden auf die Sicherstellung einer ausreichenden Gewinnerzielung; sofern
ein Unternehmen diese nicht erreicht, wird es aus dem Markt ausscheiden; damit
erübrigen sich dann auch alle weitergehenden sozialen Verantwortlichkeiten;
• auch auf Themenbereiche, in deren Zusammenhang von Unternehmen verlangt
wird, dass sie keine (gesellschaftlichen) Schäden anrichten sollen; der hippo-
kratische Grundsatz primum non nocere (zuerst einmal nicht schaden) gibt hier
den Maßstab vor, an dem sich auch Handlungen im unternehmerischen Kontext
auszurichten haben;3
• schließlich auf unternehmerische Aufgaben, die einen gesellschaftlichen Nut-
zen stiften, etwa indem Technologien entwickelt werden, mit denen Ressourcen
geschont werden oder durch das Erreichen neuer Kundenschichten (zum Bei-
spiel „Arme“) mit nützlichen Produkten. Dass ein Unternehmen soziale und/
oder ökologische Herausforderungen der Gesellschaft aufgreift und unterneh-

2Einen guten Überblick zum Thema bieten Günther, Ruter (2012). Zu den Begriffen vgl. ins-
besondere den dort enthaltenen Artikel von Rieckhoff, Klapper (2012, S. 9 ff.) Der Begriff
„Nachhaltigkeit“ wird seither richtigerweise auch in anderen Zusammenhängen diskutiert
(ökonomische und soziale Nachhaltigkeit) und betrifft sowohl Themenkomplexe, die mit der
Gewinnerzielungsabsicht kompatibel sind (Kosteneinsparung durch umweltschonenden Ressour-
ceneinsatz), als auch solche, die in dieser Hinsicht eher eine Bürde für die Unternehmen darstel-
len (Sicherstellung der Einhaltung von Menschenrechten und Arbeitsstandards in der Lieferkette).
3Es war der bekannte Management-Denker Peter Drucker, der dieses Verständnis über die gesell-

schaftliche Verantwortung von Unternehmen bereits früh ins Spiel gebracht hat. Vgl. Drucker
(1973) sowie Palazzo (2010).
798 S. Grüninger

Abb. 55.2  Corporate Responsibility: Hierarchie unternehmerischer Verantwortung. (Grafik in


Anlehnung an Carroll (1991), S. 42.)

merische Lösungen anbietet, wird heute auch als shared-value-Ansatz4


bezeichnet – das Unternehmen schafft Werte für sich und andere stakeholder
der Gesellschaft.

In diesem Sinne ist auch die frühe CSR Pyramide in Abb. 55.2 zu verstehen, wel-
che ebenfalls eine abgestufte Verantwortungshierarchie für Unternehmenspflich-
ten definiert; darüber hinaus jedoch noch eine weitere Stufe stellt, nämlich die der
sogenannten corporate philanthropy.
Neben den zwingenden Notwendigkeiten der Gewinnerwirtschaftung – unter Ein-
haltung von Recht und Gesetz – sollen Unternehmen nicht nur allgemein anerkannte
ethische Normen und Branchen- beziehungsweise Industriestandards einhalten,
sondern auch weitere eingehen, die über die gesetzlichen Verpflichtungen hinausrei-
chen. Wobei die Unternehmen immer noch in der Sphäre des Geschäfts und damit
im Bereich der Gewinnerwirtschaftung handeln sollen. Davon zu unterscheiden sind
Spenden für soziale Zwecke (im Rahmen der unternehmerischen Gewinnverteilung):
Solche Spenden dürfen in Maßen erfolgen, müssen aber analog zu der bereits weiter
oben geführten Diskussion immer einen klaren Unternehmensbezug haben. Mithin
bewegen sich solche nahe an dem, was man als corporate sponsoring bezeichnet.
Ist der Bezug zum Unternehmenszweck nicht gegeben und erfolgen Spenden in
unverhältnismäßigem Umfang, bei denen die Unternehmensführung nicht identisch
mit den Unternehmenseigentümern ist, so ist der Weg zur Veruntreuung von Vermö-
gen nicht weit. Darüber hinaus hat die Globalisierung der Wertschöpfung, wie oben
bereits angesprochen, zu einer Ausdehnung der – den Unternehmen zugerechneten –
Verantwortung geführt. Früher hat sich die Unternehmensverantwortung ausschließ-

4Vgl. Porter/Kramer (2011).


55 Zusatzprozess CSR & Integritätsmanagement 799

lich auf die eigene Wertschöpfung bezogen. Heute werden Unternehmen jedoch
immer mehr auch für Handlungen von Geschäftspartnern (Vertriebsmittlern, Lie-
feranten etc.) in die Verantwortung genommen: Was ein Dritter tut oder unterlässt,
wird damit zum Gegenstand der eigenen Unternehmensverantwortung.
Ein modernes Compliance Management5 bezieht sich darum auch auf Bereiche,
die jenseits der eigenen Unternehmensgrenzen liegen. Damit sind wir bei einem
zentralen Begriff angelangt, dem der „Compliance“ (siehe dazu detailliert Kap. 54).
Dieses Thema wird in der Praxis sehr häufig missverstanden und ausschließlich auf
legal compliance reduziert. Kern der Corporate Compliance sind sicherlich Berei-
che der legal compliance, wie die Korruptionsprävention sowie die Verhinderung
kartellrechtswidriger Preisabsprachen und damit Themen, die strafrechtlich oder
mittels hoher Bußen sanktioniert werden.6 Aber sachlich geht es beim modernen
Compliance Management weiter. Es geht darum, dass ein Unternehmen die Kompe-
tenzen und Mittel vorhält, um alle relevanten Normen einzuhalten (to comply with
bedeutet „einhalten“, „beachten“, „befolgen“). Dabei können diese Normen rechtli-
cher Natur gar strafrechtlich bewehrt sein, sie können ihre Quelle aber auch in nicht
rechtlich bindenden (internationalen) Standards (UN, OECD, ISO, DIN)7 haben, die
nicht selten als soft law bezeichnet werden.8 Schließlich können Compliance-rele-
vante Sachverhalte für ein Unternehmen aber auch in moralischen Selbstbindungen
liegen, die sich an allgemein akzeptierten ethischen Grundüberzeugungen orientie-
ren (zum Beispiel Fairness im Wettbewerb).
Unternehmen bündeln diese Normen in der Regel in einem Verhaltenskodex
(Code of Ethics oder Code of Conduct) und beschreiben darin, an welchen ethi-
schen Grundwerten, gesetzlichen Regelungen und internationalen Standards sie
sich orientieren, beziehungsweise welche sie im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit
einhalten wollen. So angewandt mutiert der Verhaltenskodex zu einem Verspre-
chen oder zu einer Reihe verschiedener Versprechen, und das Compliance
Management zu einem Mittel respektive Management Tool, das die Unternehmen
applizieren, um sich in die Lage zu versetzen, die gemachten Versprechen auch
tatsächlich einzuhalten.9
Der Begriff der social compliance hat sich insbesondere in Abgrenzung zu den
Themen der legal compliance etabliert. Allerdings kann man die Abgrenzung auch
schlicht sachlich-themenbezogen verstehen: Neben den Themen, die auf die Wirt-
schaftskriminalität in und von Unternehmen fokussieren, also der criminal compli-

5Vgl. dazu umfassend Wieland et al. (2014).


6Vgl. zur Wirtschaftskriminalität im Unternehmenskontext Grüninger (2014a, S. 43 ff.).
7UN (United Nations), OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development), ISO

(International Organization for Standardization), DIN (Deutsche Institut für Normung e. V.).
8Der Begriff des soft law scheint in sich widersprüchlich, da es ein „weiches Recht“ insofern nicht

geben kann, als Recht stets bindend ist und gerade nicht auf Freiwilligkeit abstellt. Genau dies ist
aber beim soft law der Fall: Es hat den Charakter einer mehr oder weniger dringenden Empfeh-
lung. Die Nichteinhaltung bleibt allerdings rechtlich folgenlos. Vgl. Schwarze (2011, S. 3 ff.).
9Zu den Anforderungen an ein CMS vgl. Grüninger (2014b).
800 S. Grüninger

ance10, der rechtlich fundierten – nicht aber strafrechtlich sanktionierten


Bereichen der sogenannten regulatory compliance (zum Beispiel durch behördli-
che Regulierung von Branchen wie Pharma, Telekom, Energie, Banken und Versi-
cherungen), der Einhaltung des Umweltrechts, das ja ebenfalls Straftatbestände
kennt – und entsprechender Standards, also der environmental compliance, tritt
mit der social compliance ein Bereich zum integrierten Compliance Management
hinzu, der die Einhaltung von Menschenrechten und von Sozial- sowie Arbeits-
standards in den Blick nimmt. Social compliance soll soziale Standards im
Bereich der eigenen Wertschöpfung sowie insbesondere auch in deren Vorstufen
bei Lieferanten, Sub-Lieferanten etc. sicherstellen.11 Die Abb. 55.3 stellt diese
Teilbereiche des Compliance Managements dar. Die gestrichelten Linien sollen
andeuten, dass sich einzelne Compliance-Themen überlappen können. So dürfte
der Umweltschutz für die Compliance eines Mineralölunternehmens nicht von
vornherein als criminal compliance angelegt sein. Dennoch kann (massives) Fehl-
verhalten in diesem Bereich zu strafbarem Verhalten führen.12
Je nach Branche und Geschäftstätigkeit werden für Unternehmen einzelne
Compliance-Themen relevanter sein als andere. Abb. 55.3 soll darüber hinaus dar-
auf hinweisen, dass der Anteil zwingenden Rechts im Bereich der criminal com-
pliance größer ist als beispielsweise im Bereich der social compliance, in welchem
vieles freiwillig bleibt – gerade in Bezug auf die Arbeits- und Sozialstandards bei
Geschäftspartnern. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass alle Compliance-Themen-
bereiche zwingendes Recht und freiwillige Standards enthalten. Auch im Bereich
der criminal compliance bleibt es einem Unternehmen etwa mit Blick auf die
unternehmerische Compliance freigestellt, ob es das interne „Compliance
Management-System“ (CMS) einer externen Überprüfung und Zertifizierung13
unterzieht oder nicht.14 Im Bereich der social compliance ist es zum Beispiel für
ein Schweizer Unternehmen gemäß Bundesverfassung15 zwingend, die Menschen-

10Als criminal compliance (vgl. zum Beispiel Bock (2011), S. 21) wird der Teil der legal com-

pliance verstanden, der strafrechtlich sanktioniert ist (zum Beispiel Korruption, Untreue); auch
Aufsichts- und Organisationspflichten können hierunter subsumiert werden.
11Die Einhaltung von Arbeits- und Sozialstandards in der eigenen Wertschöpfung gehört in der

Regel jedoch nicht zum Aufgabengebiet der Compliance-Abteilung, sondern wird in der Regel
durch die Personalabteilung abgedeckt. Insofern bezieht sich social compliance in der deutsch-
sprachigen Praxis meist ausschließlich auf Problemstellungen außerhalb der eigenen Wertschöp-
fung, insbesondere auf diejenigen der (ausländischen) Lieferkette. Es ist jedoch anzumerken,
dass sich in letzter Zeit die Verletzung derartiger Standards auch in der unternehmensinternen
Wertschöpfungskette zu häufen scheint (siehe unter anderem das Süddeutsche-Dossier zu Arbeit,
vom März 2015; www.sueddeutsche.de/wirtschaft/recherche-dossier-zu-arbeit-wenn-sie-keine-
broetchen-verdienen-sollen-sie-doch-kuchen-backen-1.2378869. Besucht 24. November 2016).
12Siehe nur den Fall Deepwater Horizon von BP; vgl. hierzu zum Beispiel www.spiegel.de/

thema/oelpest_im_golf_von_mexiko. Besucht 24. November 2016.


13Vgl. zum Beispiel ISO 19600 (2014) und IDW (2011) PS 980.

14Die Anteile zwingenden Rechts, von soft law und freiwilligen Ethikstandards in Abb. 55.3 wur-

den vom Autor geschätzt und erheben keinen Anspruch auf objektive Richtigkeit.
15Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101).
55 Zusatzprozess CSR & Integritätsmanagement 801

Abb. 55.3  Teilbereiche des


Compliance Managements

würde (Art. 7 BV) in den eigenen Betrieben zu wahren und zu schützen und das
aus diesem Verfassungsgrundsatz abgeleitete (Straf-)Recht zu beachten.

55.3 Internationale CSR-Standards und CSR-soft law

Wenn Unternehmer oder Manager sich Gedanken über die Gestaltung der CSR
beziehungsweise der social compliance im eigenen Unternehmen machen, ist es
wichtig, sich über deren Grundlagen bewusst zu werden. Dabei gilt es zu unter-
scheiden:

• Management-System-Standards (Rahmenwerke),
• themenbezogene CSR Management-System-Standards und
• sachlich-themenbezogene materielle Normen (CSR-soft law).16

55.3.1 CSR Management System-Standards (Rahmenwerke)

Die wichtigsten CSR Management-System-Standards, die erläutern, wie das CSR


Management aufgebaut sein soll und welche Themen es umfassen sollte, sind:

• UN Global Compact: „Der Global Compact der Vereinten Nationen ist eine
strategische Initiative für Unternehmen, die sich verpflichten, ihre Geschäftstä-
tigkeiten und Strategien an zehn universell anerkannten Prinzipien aus den
Bereichen Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbe-

16Die nachfolgend genannte Auflistung entsprechender Standards und Quellen ist selbstverständ-

lich nicht abschließend zu verstehen. Sie soll dem Praktiker lediglich eine Anregung für den
Einstieg in die Beschäftigung mit möglichen Vorgaben und potenziellen Anforderungen an das
eigene CSR-Management bieten.
802 S. Grüninger

kämpfung auszurichten. Damit kann die Wirtschaft als wichtige treibende Kraft
der Globalisierung dazu beitragen, dass die Entwicklung von Märkten und
Handelsbeziehungen, von Technologien und des Finanzwesens allen Wirt-
schaftsräumen und Gesellschaften zugutekommt.“17
• ISO 26000: „Die Internationale Norm ISO 26000 – in Deutschland als DIN
ISO 26000 veröffentlicht – ist ein freiwillig anzuwendender Leitfaden, der
Organisationen dabei unterstützt, gesellschaftliche Verantwortung wahrzuneh-
men. Sie wurde von der Internationalen Normungsorganisation (International
Organization for Standardization, ISO) unter Einbindung aller Interessensgrup-
pen und unter Mitwirkung von 450 Experten aus fast 100 Ländern in knapp
sechs Jahren entwickelt.“18
• OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen: „Bei den OECD-Leitsät-
zen für multinationale Unternehmen handelt es sich um Empfehlungen der
Regierungen an die multinationalen Unternehmen, die in oder von den Teilneh-
merstaaten aus operieren. Sie enthalten nicht rechtsverbindliche Grundsätze
und Maßstäbe für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln in einem
globalen Kontext, das dem geltenden Recht und international anerkannten Nor-
men entspricht. Die Leitsätze sind der einzige multilateral vereinbarte und
umfassende Kodex für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln, zu
dessen Förderung sich die Regierungen verpflichtet haben.“19

55.3.2 Themenbezogene CSR Management-System-Standards

Unter der Vielzahl themenbezogener CSR Management System-Standards sind


für eine erste Orientierung mit Blick auf die Probleme, die ein Unternehmen im
Bereich der social compliance in der Wertschöpfungskette haben könnte, insbe-
sondere die folgenden zwei bedeutsam:

• Guiding Principles on Business and Human Rights: Hierbei handelt es sich


um erst in jüngster Vergangenheit auf der Basis der UN-Menschenrechtscharta
entwickelte Leitlinien für Staaten und Unternehmen zur Sicherstellung der Ein-
haltung und des Schutzes von Menschenrechten. Mit Blick auf die Unterneh-
men ist hervorzuheben, dass die Guiding Principles sogenannte „grundlegende

17www.unglobalcompact.org/languages/german/. Besucht 10. Mai 2017. Die Leitsätze des UN


Global Compact können unter www.globalcompact.ch/images/unglobal/brochures/GC_bro-
chure_FINAL.pdf abgerufen werden. Besucht 10. Mai 2017.
18Vgl. Broschüre des deutschen Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (2011, S. 7); www.

bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a395-csr-din-26000.pdf?__blob=publi-
cationFile. Besucht 24. November 2016.
Darüber hinaus bietet Annette Kleinfeld einen guten und anwendungsorientierten Überblick zur
ISO 26000, Kleinfeld (2011).
19OECD (2011, S. 3).
55 Zusatzprozess CSR & Integritätsmanagement 803

Prinzipien“ und „operative Prinzipien“ enthalten. Während Erstere auf die


inhaltlichen Aspekte des Schutzes der Menschenrechte und auf die Notwendig-
keit abstellen, dass Unternehmen intern entsprechende Regelungen und Pro-
zesse in Abhängigkeit ihrer Größe, Komplexität und den vorhandenen
Geschäftsmodellen schaffen, sind die operativen Prinzipien auf das „Manage-
ment von Menschenrechten“ gerichtet. Hier ist die Rede von „Organisation“,
„Sorgfaltspflichten“ und „Risikomanagement“. Das Thema soll demnach in
vorhandene oder zu schaffende Managementsysteme (insbesondere in beste-
hende Compliance Management- und Risk Management-Systeme) integriert
werden, um es handhabbar, gestaltbar und überprüfbar zu machen. Der betrieb-
lichen Rechtsabteilung kommt hier freilich eine primäre, beratende Funktion
zu: einerseits und vor allem gegenüber dem Vorstand, aber auch gegenüber den
eventuell vorhandenen Abteilungen Risk Management, Compliance Manage-
ment und Interner Revision. Im einleitenden Text der Guiding Principles wird
der dreistufige Ansatz „protect – respect – remedy“20 erläutert: „Diese Leitprin-
zipien beruhen auf der Anerkennung
a) der bestehenden Verpflichtungen der Staaten, die Menschenrechte und
Grundfreiheiten zu achten, zu schützen und zu gewährleisten [protect];
b) der Rolle von Wirtschaftsunternehmen als spezialisierte Organe der Gesell-
schaft, die spezialisierte Aufgaben wahrnehmen, und als solche dem gesam-
ten geltenden Recht Folge zu leisten und die Menschenrechte zu achten
haben [respect];
c) der Notwendigkeit, Rechten und Verpflichtungen im Fall ihrer Verlet-
zung angemessene und wirksame Abhilfemaßnahmen gegenüberzustellen
[remedy].
Diese Leitprinzipien finden Anwendung auf alle Staaten und transnationale wie
sonstige Wirtschaftsunternehmen, ungeachtet ihrer Größe, ihres Sektors, ihres
Standorts, ihrer Eigentumsverhältnisse und ihrer Struktur. Diese Leitprinzipien
sind als geschlossenes Ganzes anzusehen und sowohl in einzelnen Teilen als
auch in ihrer Gesamtheit nach Maßgabe ihres Ziels auszulegen, die Standards
und Verfahrensweisen in Bezug auf Unternehmen und die Menschenrechte so
zu verbessern, dass greifbare Ergebnisse für betroffene Personen und lokale
Gemeinwesen erzielt werden und somit auch zu einer sozial-nachhaltigen Glo-
balisierung beitragen.“
• Social AccountAbility 8000: „The SA8000 Standard is the central document
of our work at SAI. It is one of the world’s first auditable social certification
standards for decent workplaces, across all industrial sectors. It is based on
the UN Declaration of Human Rights, conventions of the ILO, UN and natio-
nal law, and spans industry and corporate codes to create a common language
to measure social performance. It takes a management systems approach by

20Der Begriff remedy (deutsch „beheben“, „abhelfen“) bezieht sich auf die Schaffung von Abhil-

femaßnahmen.
804 S. Grüninger

setting out the structures and procedures that companies must adopt in order
to ensure that compliance with the standard is continuously reviewed. Those
seeking to comply with SA8000 have adopted policies and procedures that
protect the basic human rights of workers.“21
Der Standard SA 8000 enthält Regelungen zu folgenden Bereichen:22
– Verbot der Kinderarbeit (child labor);
– Verbot der Zwangsarbeit (forced or compulsory labor);
– Gesundheit und Sicherheit (health & safety);
– Versammlungs- und Verhandlungsfreiheit (freedom of association & right to
collective bargaining);
– Verbot der Diskriminierung (discrimination);
– keine unangemessenen disziplinarischen Praktiken; gemeint ist, dass es
keine physischen oder psychischen Bestrafungen geben darf (disciplinary
practices);
– Arbeitszeit (working hours);
– Lohnniveau (remuneration);
– Managementsysteme (management systems).

55.3.3 Sachlich-themenbezogene materielle Normen (CSR-soft


law)

Wesentliche CSR-soft law, also sachlich-bezogene, materielle Normen zur social


compliance stellen die UN-Menschenrechtscharta sowie die ILO-Arbeits- und
Sozialstandards23 (insbesondere die sogenannten „Kernarbeitsnormen“) dar. Es sei
an dieser Stelle nochmals betont, dass die eigentliche Herausforderung für Unter-
nehmen aus den Industrieländern wie Deutschland, Österreich und der Schweiz
darin besteht, Menschenrechte, Arbeits- und Sozialstandards auch dort sicherzu-
stellen, wo die Unternehmen keine direkte juristische Pflicht dazu haben. Es ist
selbstverständlich und realiter ja auch kein praktisches Problem, dass diese Unter-
nehmen Menschenrechte, Arbeits- und Sozialstandards in ihren eigenen Betrieben
sicherstellen (wobei es auch in eigenen Betriebsstätten mitunter zu Verstößen
kommen kann, insbesondere in Entwicklungsländern), sondern gerade auch dort,

21Die Abkürzung „SAI“ steht für die Organisation Social Accountability International, deren

Gründerin Alice Marlin Tepper den genannten Standard maßgeblich mitentwickelt hat; siehe
http://www.sa-intl.org/index.cfm?. Besucht 10. Mai 2017. Die Abkürzung „ILO“ steht für die
Internationale Arbeitsorganisation (International Labour Association; siehe www.ilo.org).
22Vgl. http://www.sa-intl.org/index.cfm?fuseaction=Page.ViewPage&pageId=1689. Besucht 24.

November 2016.
23www.ilo.org/berlin/arbeits-und-standards/lang--de/index.htm. Besucht 10. Mai 2017.
55 Zusatzprozess CSR & Integritätsmanagement 805

wo es eigentlich Aufgabe Dritter, zum Beispiel von Lieferanten und Sub-Lieferan-


ten ist, dies zu tun.24

55.4 Social Compliance Risk Management und


Unternehmensintegrität

Die vorgenannten Standards bieten Anhaltspunkte für ein unternehmensspezifi-


sches Social Compliance Risk Assessment (SCRA) mittels dessen identifiziert wer-
den kann,

• welche Themen für das eigene Unternehmen überhaupt relevant sind,


• welcher Maßstab an die Reichweite der Verantwortung sinnvoll anzulegen und
dem Unternehmen zumutbar ist,
• welche Compliance-Maßnahmen dazu passen beziehungsweise überhaupt
wirksam angewendet werden können.

Insofern sind die social compliance-Themen in das in vielen Unternehmen bereits


regelmäßig durchgeführte Compliance Risk Assessment (CRA) zu integrieren
(siehe dazu detailliert Kap. 54).25 Im Rahmen einer ersten Annäherung sollte es
relativ einfach zu identifizieren sein, ob und welche social compliance-Themen für
ein Unternehmen grundsätzlich relevant sind und ob sie in Vorstufen der eigenen
Wertschöpfung vorkommen können, respektive ob man hierfür sinnvollerweise die
Verantwortung zugerechnet bekommt oder akzeptiert. Denn auch die Ablehnung
von Verantwortlichkeit muss im rechtlich nicht zwingenden Bereich natürlich als
grundsätzliche Option möglich bleiben: Es ist in der Praxis mitunter schwer zu
überprüfen, welche Arbeitsbedingungen bei den Lieferanten des eigenen Lieferan-
ten tatsächlich herrschen. Andererseits kann es natürlich auch nicht akzeptiert wer-
den, Lieferketten aus Gründen der Kostenminimierung intentional so zu gestalten,
dass nichts anderes das logische Ergebnis sein kann als menschenunwürdige
Arbeitsbedingungen. Der Kontext bleibt also erheblich und damit die unternehme-
rische Entscheidung, welche „moralischen Risiken“ man im Bereich der social
compliance eingeht und welche man (aus ökonomischen beziehungsweise morali-
schen Gründen) definitiv ausgeschlossen oder zumindest substanziell reduziert
sehen möchte.

24In diesem Kontext ist unter anderem die Business Social Compliance Initiative (BSCI) rele-
vant, „eine führende Unternehmens-Initiative zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in glo-
balen Lieferketten. Sie umfasst weltweit 1400 Firmen, bildet ein Einkaufsvolumen von über
600 Mrd. EUR ab und erreicht weit über 2 Mio. Mitarbeitende in Zulieferbetrieben. In der
Schweiz nehmen über 70 Firmen teil.“ (www.bsci-ch.org. Besucht 24. November 2016).
25Vgl. zum Compliance Risk Assessment Otremba (2014) und zum Social Compliance Risk

Assessment Geiß (2014). Für eine risk based due diligence im Rahmen der obengenannten UN
Guiding Principles on Business and Human Rights vgl. Gentner (2014).
806 S. Grüninger

Wichtig ist, dass die Durchführung des CRA und des SCRA sowie das Compli-
ance Management des Unternehmens mit der Unternehmensintegrität verbunden
sind. Dazu muss zunächst der Unterschied zwischen „Compliance“ und „Integri-
tät“ dargelegt werden:

• Compliance: Compliance bedeutet die Konformität mit einer Regel (Spezifi-


kation, Richtlinie, Standard, Gesetz). Es geht demnach um die Einhaltung von
Normen und Regeln. Das englische Verbum to comply [with] bedeutet unter
anderem „einhalten“, „befolgen“, „sich nach etwas richten“, aber auch „sich
unterwerfen“, „sich schicken“, „sich fügen“ und „nachgeben“. Compliance
stellt also offensichtlich eine Handlungsbeschränkung dar und muss im Grunde
stets noch hinsichtlich der spezifischen Normen konkretisiert werden, die ein-
gehalten werden sollen, beziehungsweise welchen oder wessen Regeln man
sich genau unterwerfen will/muss. Der Begriff Compliance bezieht sich dabei
auf gesetzliche und regulatorische Anforderungen, auf das sogenannte soft law
sowie auf interne Regeln und Verhaltensstandards des Unternehmens. Interne
Regeln und Verhaltensstandards weiten – wie häufig behauptet wird – den
Gegenstand der Compliance meist nicht wesentlich aus, sondern sind vorwie-
gend, aber nicht ausschließlich, als Mittel der praktischen Konkretisierung und
damit zur Umsetzung externer Standards anzusehen. „Compliance Manage-
ment“ beinhaltet dabei alle Maßnahmen zur Sicherstellung der Einhaltung des
Rechts, von Regulierungen, Verordnungen sowie entsprechender organisations-
interner Regeln, Richtlinien und Verfahrensanweisungen. Abb. 55.4 zeigt, dass
das erwünschte Verhalten vorwiegend durch externen Druck ausgelöst und die
Frage fokussiert wird, welches Verhalten noch akzeptabel beziehungsweise
erlaubt ist.
• Integrität: Demgegenüber bezieht sich Integrität auf die Konsistenz von Han-
deln, Werten, Prinzipien, angewandten Methoden, Maßnahmen, Erwartungen
und Resultaten. Im Rahmen der Ethik wird Integrität als eine „eigenständige
Qualität“ aufgefasst, die durch ein intuitives Verständnis von Ehrlichkeit und
Aufrichtigkeit im Hinblick auf die Motive des eigenen Handelns bestimmt ist.
Integrität kann als Gegenteil von Heuchelei und Scheinheiligkeit verstanden
und individuell als „Tugend der innerlichen Konsistenz“ aufgefasst werden. Bei
ihr geht es darum, wie die Abb. 55.5 verdeutlicht, dass das richtige Verhalten
durch Einsicht gesteuert wird. Der handelnde Akteur wird durch die Überzeu-

Abb. 55.4  Begriffliche
Abgrenzung: Compliance –
was bestimmt das Verhalten?
55 Zusatzprozess CSR & Integritätsmanagement 807

Abb. 55.5  Begriffliche
Abgrenzung: Integrität – was
bestimmt das Verhalten?

gung der moralischen Richtigkeit seiner Handlungsabsicht intrinsisch motiviert


und kann sozusagen gar nicht anders, als sich entsprechend tugendhaft zu ver-
halten. Er fragt sich zwar auch, was erlaubt ist, aber eben auch, welches Ver-
halten (moralisch) richtig ist. Er kann gute Gründe dafür angeben, warum es
richtig ist, sich so zu verhalten, wie er es beabsichtigt. Auch für die Frage der
Integrität sind Recht und Gesetz entscheidende Referenzpunkte.

Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: Die Bestechung zur Auftragserlan-


gung im Auslandsgeschäft ist seit geraumer Zeit strafrechtlich sanktioniert. Nimmt
man den – in verschiedenen Ländern durchaus unterschiedlichen – investigati-
ven Druck von Staatsanwaltschaften hinzu, gibt es einen ausreichenden externen
Druck, dass sich Unternehmen und Mitarbeiter gleichermaßen an Anti-Korrupti-
onsspielregeln halten. Zusätzlich wird der intrinsisch Motivierte verstehen, dass
Korruption das (ethisch legitimierte) Wettbewerbsprinzip aushebelt, wonach der
Leistungsstärkste, beziehungsweise der Kostengünstigste einen Auftrag erhal-
ten soll. Er wird daher auch anerkennen, dass dadurch Innovation verhindert und
insbesondere die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit und Demokratisierung in
Entwicklungs- und Schwellenländern unterminiert wird. Dies sind alles „gute
Gründe“ um zu verstehen, dass Korruption schlecht ist. Diese Erkenntnis löst (bei
manchen Menschen) eine intrinsische Motivation zum Handeln aus, die auch unter
der Bedingung einer schwach ausgeprägten Rechtsdurchsetzung zum „richtigen
Verhalten“ führt. Bezogen auf das (Social) Compliance Management von Unter-
nehmen bedeutet eine „Integritätsorientierung“,

• dass neben der Einhaltung des Rechts auch solche Themen im Unternehmen
identifiziert werden, für die das Unternehmen eine moralische Verantwortlich-
keit akzeptieren muss, weil es dafür „gute Gründe“ gibt,
• diesen Bereich klar zu benennen und sowohl die Reichweite der Verantwort-
lichkeit sowie auch deren Grenzen zu definieren und schließlich
• den identifizierten Verantwortlichkeitsbereichen mit wirksamen Compli­ance-
Maßnahmen zu begegnen.

Es kann also nicht darum gehen, dass der örtliche Brötchenlieferant eines multina-
tionalen Unternehmens (MNU) den UN Global Compact unterschreibt oder Unter-
nehmen in vorauseilendem „CSR-Gehorsam“ neuerdings in ihre Verhaltenskodizes
808 S. Grüninger

aufnehmen, dass sie „alle UN-Konventionen“ einhalten wollen; auf Nachfrage


hin dann aber keine einzige benennen können. Genau dies geschieht aber zurzeit
in Unternehmen auf der ganzen Welt; sei es im Namen der Compliance oder der
CSR. Dabei handelt es sich um eine ziemlich scheinheilige und oberflächliche
Reaktion sowie einen stümperhaften Umgang mit ernsten Themen in und für die
Wirtschaft sowie unsere Gesellschaft. Es ist daher notwendig, dass im Rahmen der
Debatte um die CSR echte Erfordernisse identifiziert und umgesetzt, das Unmögli-
che hingegen klar benannt und selbstbewusst abgelehnt wird.
Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit sind für ein modernes Compliance-Ma-
nagement elementar. Das beinhaltet auch die Ehrlichkeit, dass man nicht alle Pro-
bleme aus der Welt schaffen und nicht alle Risiken von vorherein ausschließen
kann – auch nicht im Bereich der social compliance. Es ist gerade die unternehme-
rische Beurteilung der spezifischen Risikolage, die aus dem (Social) Compliance
Management einen lebendigen und nachhaltigen Steuerungsprozess im Sinne einer
good corporate governance machen kann.26

Literatur
Bock D (2011) Criminal compliance. Nomos-Verlags-Gesellschaft, Baden-Baden
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2011) Die DIN ISO 26000 „Leitfaden zur gesell-
schaftlichen Verantwortung von Organisationen“. Ein Überblick, Bonn
Carroll A (1991) The pyramid of corporate social responsibility: Toward the moral management
of organizational stakeholders. Business Horizons 1991 (July–August):39–48
Drucker P (1973) Management: Tasks, responsibilities, practices. HarperBusiness Edition, New
York
Friedman M (1970) The social responsibility of business is to increase its profit. The New York
Times Magazine, 13. Sept.
Geiß O (2014) Social Compliance Risk Assessment – Erfahrungen der Fraport AG. In: Wieland
J, Steinmeyer R, Grüninger S (Hrsg) Handbuch Compliance Management, 2. Aufl. Erich
Schmidt, Berlin, S 575–596
Gentner S (2014) Politisches Risiko & Risk-Based Due Diligence. In: Wieland J, Steinmeyer R,
Grüninger S (Hrsg) Handbuch Compliance Management, 2. Aufl. Erich Schmidt, Berlin, S
549–574
Grüninger S (2014a) Werteorientiertes Compliance-Management-System. In: Wieland J, Stein-
meyer R, Grüninger S (Hrsg) Handbuch Compliance Management, 2. Aufl. Erich Schmidt,
Berlin, S 41–70
Grüninger S (2014b) Empfehlungen für die Ausgestaltung und Beurteilung von Compliance-Ma-
nagement-Systemen. KICG CMS-Guidance 2014, Leitlinien 1 bis 4 2014, Annex 2014. In:
Grüninger S, Konstanz Institut für Corporate Governance (Hrsg), Konstanz, www.htwg-kons-
tanz.de/Compliance-Pflichten.6958.0.html. Zugegriffen: 20. Nov. 2016
Günther E, Ruter R (Hrsg) (2012) Grundsätze nachhaltiger Unternehmensführung. Erfolg durch
verantwortungsvolles Management. Erich Schmidt, Berlin
Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V (2011) IDW Prüfungsstandard: Grundsätze
ordnungsmäßiger Prüfung von Compliance Management Systemen (IDW PS 980). IDW,
Düsseldorf

26Für die Praxis des Compliance Managements vgl. Wieland et al. (2014).
55 Zusatzprozess CSR & Integritätsmanagement 809

International Standardization Organisation (2014) ISO 19600. Compliance management systems


– Guidelines
Kleinfeld A (2011) Gesellschaftliche Verantwortung von Organisationen und Unternehmen –
Fragen und Antworten zur ISO 26000. Beuth, Berlin
OECD (2011) OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, OECD Publishing. Abruf-
bar unter: www.oecd-ilibrary.org/governance/oecd-leitsatze-fur-multinationale-unterneh-
men_9789264122352-de. Zugegriffen: 10. Mai 2017
Otremba S (2014) Das Compliance Risk Assessment als Voraussetzung einer risiko- und bedarfs-
orientierten Compliance-Steuerung. In: Wieland J, Steinmeyer R, Grüninger S (Hrsg) Hand-
buch Compliance Management, 2. Aufl. Erich Schmidt, Berlin, S 527–547
Palazzo G (2010) Des Kaisers neue Kleider? Kritische Anmerkungen zum CSR-Boom. In:
Aßländer M, Löhr A (Hrsg) Corporate social responsibility in der Wirtschaftskrise. Hampp,
München
Porter ME, Kramer MR (2011) Creating shared value. Harvard Business Review 89(1–2):62–77
Riekhoff R, Klapper H (2012) Verorte nachhaltige Unternehmensführung. In: Günther E, Ruter
R (Hrsg) Grundsätze nachhaltiger Unternehmensführung. Erfolg durch verantwortungsvolles
Management. Erich Schmidt, Berlin, S 9–20
Schwarze J (2011) Soft law im Recht der Europäischen Union. EuR-Heft 2011(1):3–18
Wieland J, Steinmeyer R, Grüninger S (Hrsg) (2014) Handbuch Compliance Management, 2.
Aufl. Erich Schmidt, Berlin

Weiterführende Literatur

Spießhofer B (2017) Unternehmerische Verantwortung. Zur Entstehung einer globalen Wirt-


schaftsordnung. Nomos, Baden-Baden.
Forum Compliance & Integrity (FCI) (2016) Unternehmensintegrität & Compliance. Was wirk-
lich wichtig ist. Eine Handreichung für Führungskräfte. Abrufbar unter: http://www.dnwe.de/
fci-news.html Zugegriffen: 10. Mai 2017.

Über den Autor


Prof. Dr. Stephan Grüninger – Wissenschaftlicher Direktor KICG/CBCI, Konstanz
Promovierte 2001 bei Prof. Dr. Reinhard Pfriem an der Carl von Ossietzky-Universität Olden-
burg zum Thema „Vertrauensmanagement – Kooperation, Moral und Governance“. Von 2002
bis 2009 arbeitete er in der Unternehmensberatung und Wirtschaftsprüfung, insbesondere in den
Bereichen Anti-Fraud & Compliance Management sowie Fraud Investigation, zuletzt als Part-
ner der Ernst & Young AG. Seither ist er Wissenschaftlicher Direktor des Konstanz Institut für
Corporate Governance (KICG) und Inhaber der W3-Professur für Allgemeine BWL mit Schwer-
punkt Managerial Economics an der Hochschule Konstanz – Technik, Wirtschaft und Gestal-
tung (HTWG). Zudem leitet er das Center for Business Compliance & Integrity (CBCI) und
ist Direktor des Forum Compliance & Integrity (FCI) und des Forum Compliance Mittelstand
(FCM). Beim DICO – Deutsches Institut für Compliance e. V. leitet er den Ausschuss „Integrity
& Governance“.
Stichwortverzeichnis

5S-Methode, 612 Anglizismen, 167


Anlagenbetrügerei, 318
Anspruch, Abtretung, 97
A Anteilsübergang, 707
ABC-Prinzip, 614 Anti-Korruption, 781, 807
Abd Ar-Razzāq As-Sanhūrī, 92 Antragsdelikt, 319
Ablagestruktur, 749 Antrittsveranstaltung, 169
Abstraktion, 398 Anwaltskanzlei, 601
Abteilungsbesichtigung, periodische, 170 Seminare, 735
Abteilungssprache, 166 Anwaltszwang, 247
Abteilungssymbolik, 167 Arbeitgeberveband, 222
Abtretung von Ansprüchen, 97 Arbeitsbesprechung, regelmäßige, 170
Accounting specialists, 557 Arbeitsorganisation, 142, 495
Administrativaufgaben, 650 Arbeitspause, 642
Administrativprozesse, 650 Arbeitsplatzdimension, 549
Advisory partner team, 352 Arbeitsplatz, flexibler, 170
Advokat, 579 Arbeitsrecht, 221, 227, 283
Agenda setting, 760 MENA-Region, 102
Ägypten, Gerichtsverfahren, 89 Arbeitsteam, perfektes, 116
Ägyptisches Zivilgesetzbuch, 92 Arbeitsvorbereitung, 614
Akquisition, 198 Ashby‘s Law, 373
Aktiengesellschaft, Protokollführung, 770 Asset deal, 708
Aktiengesetz, 622 Assignment-Maßnahmen, 154
Aktionäre, 683 Assignment-Strategie, 153
Aktionariat, 764 Assoziation, 398
Aktionskreislauf, 9 Assurance-Funktionen, 598
Aktivitätskostenanalyse, statistische, 651, 658, Audit and risk commitee, 765
659 Aufmerksamkeit, 447
Basismodel, 661 Aufmerksamkeitsspanne, 447
erweiterte, 665 Aufsichtsbehörde, 44
All star teams, 116 Aufsichtsrat, 683, 764, 767
Analogienbildung, 398 Aufgaben, 765
Analyse, 157 Corporate-Secretary-Aufgaben, 763, 766,
Analyseauswertung, integrierende, 395 767
Analysten, 294 Unterstützung, 766
Anbindung, 300 Zusammenarbeit mit der
Anekdoten, 166 Geschäftsleitung, 765
Anforderungsdilemma, 372 Aufsichtsratsbüro, 766
Angebotspflicht, 406 Aufsichtsratsklausur, 761

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 811


R.P. Falta und C. Dueblin (Hrsg.), Praxishandbuch Legal Operations Management,
DOI 10.1007/978-3-662-50506-9
812 Stichwortverzeichnis

Aufsichtsratssitzung, Protokoll, 761 Best Practices, 473


Aufsichtsratsvorsitzender, Funktion des Cor- Beteiligungsverhältnisse, MENA-Region, 98
porate Secretary, 761 Betriebsbesichtigung, periodische, 170
Auftrag, öffentlicher, 307 Betriebsfeier, 171
Ausbildung Betriebsrat, 219, 221
betriebswirtschaftliche, 37 Rechte, 220
juristische, 36, 591 Wahlamt, 221
Fallmethode, 39 Zusammenarbeit mit dem Legal Councel,
Ausgangsdokument, automatisierte Ablage, 223, 225
749 Harvard-Verhandlungskonzept, 225
Auslandinvestitionsgesetz, chinesisches, 78 Betriebsratsvorsitzender, 224
Auslandstätigkeit, 283 Betriebsverfassungsgesetz, 219, 225
Ausschlusslistentool, 787 Betriebswirtschaft, 592
Ausschreibung, 308, 309 Beurkundung, öffentliche, 260
Außendienst-Mitarbeitende, 313 ausländischer Zielstaat, 263
Authentizität, 465 Begehren durch Dritte, 265
Dringlichkeit, 271
durch ausländischen Notar, 263
B Kosten, 262
Back office, 115 Verfahren, 261
Bahrain Chamber for Dispute Resolution, 106 gleichwertiges, 265
Balanced Scorecard, 561 Vorschriften, 264
Balanced Scorecard-Perspektive, 570 Beurkundungssubstitutionsfähigkeit, 265
Banken, Rechtsdienste, 505 Beurkundungswillen, 266
Basic external gap map, 391 Bewilligung eines Rechtsgeschäfts in China,
Basic internal gap map, 394 78
Basistage, 170 Bewilligungswesen, 305, 306
Beamte, 304 gesetzliche Grundlage, 306
chinesische, 74 Beziehung, persönliche, 87
Beglaubigung, 260 Beziehungsaufbau, 425
der Echtheit einer Unterschrift, 273 Beziehungskonflikt, 461
Behandlung, unfaire, 460 Beziehungsnetz, 476
Behaviour Branding, 300 Beziehungspflege, 294
Behörde, 27, 41, 304 Bieterverfahren, 228
anti-korruptionsadäquater Umgang, 313 Bio-Energetics, 346
arabische Welt, 88 Board of directors, 76
Kontakt mit Verbänden, 281 Bologna-Abkommen, 37
rechtliche Rahmenbedingungen, 303 Bonmot, 166
Verfahrensdauer, 307 Botschaft, 76
Berater, Compliance-Training, 782 Bottom up management, 139
Beraterbriefing, 701 Buchprüfer, 295
Beratung Budgetprozess, 564
fehlerhafte, 610 Bundesamt für Bauten und Logistik, Korrupti-
rechtliche, 47 onsbekämpfung, 312
Beratungsprotokoll, 771 Bundesdatenschutzgesetz, 791
Beratungsstelle, juristische, 43 Bundesverband Deutscher Compliance
Berufsgeheimnis, 248 Officer, 476
Berufszielplanung, 362 Bundesverwaltung
Beschaffungsrecht, öffentliches, 308 Entscheidungsabläufe, 54
Beschaffungswesen, öffentliches, 308 rechtliches Fachwissen, 42
Beschleunigung, 29 Bürokratie, arabische Welt, 88
Beschlussprotokoll, 771 Business defense units, 500
Beschwerde, 47 Business enabler, 690
Stichwortverzeichnis 813

Business judgement rule, 210 Compliance-Quiz, 782


Business Leader, 470 Compliance-Richtlinien, Implementierung,
Business Lunches, 170 781
Business Manager, 477 Compliance-Risiken, 776
Business Partner, 469 Compliance-Training, 781
Business Partnering Mission, 477 Compliance-Verstoß, Case Management, 790
Confirmation Bias, 420
Contract and Claims Manager, 104
C Contract Handling, 699
Cairo Regional Center for International Contract Management-System
Commercial Arbitration, 106 fehlendes, 738
Campaigning, 299 Contract Management, transaktionsspezifi-
Can Do-Mentalität, 475 sches, 699
Case-Management, prozessuales, 531 Controller, Funktion, 557
Cash flow, 558, 559 Controlling, 143, 209, 372, 556, 557
Casual Teamevent, 170 Convention on the Recognition and Enforce-
Change Managemen, 532 ment of Foreign Arbitral Award, 107
Charakteristika, chinesische, 72, 73, 78, 84 Corporate Communications, 288
Chief Communications Officer, 290 Corporate Controlling, 144, 209
Chief Executive Officer, 684 Aufgaben, 144
China, Geschäftsverkehr, 71 Corporate Governance, 683, 685, 760
Cloud Computing, 757 Überwachung, 764
Cluster-Organisation, 536 Corporate Governance-Bericht, 762
Coaching, 294 Corporate Identity, 114, 115, 158
Coaching-Ansatz, 358, 362 Verantwortlicher, 159
Coaching meeting, 170, 358 Corporate interieur, 158
Einzelmitarbeiter, 358 Corporate language, 166
Code of Conduct, 406 Corporate philanthropy, 798
Code of Ethics, 799 Corporate Responsibility Spheres, 797
Common Law-Rechtssystem, 63, 90, 91, 523 Corporate Secretary, 502, 759
Company chop, 75, 80 Corporate Governance-Überwachung, 764
Compliance, 25, 32, 140, 316, 747, 760, 775, Dienste
796, 799, 806 bei Hauptversammlung, 762
Geschäftsprozesse, 784 für Aufsichtsratssitzungen, 760
Hinweisgeberportal, 790 für den Aufsichtsratsvorsitzenden, 761
Logo, 783 Hauptaufgaben, 760
Newsletter, 783 Positionierung
Reifegrad-orientierte, 794 zum Aufsichtsrat, 766
Compliance Due Diligence-Liste, 705 zur Geschäftleitung, 766
Compliance Management, 652, 775, 801 Profil, 763
Compliance Management-System, 686, 704, Vernetzung, 763
776, 778, 788 Corporate Secretary Services, 652, 759
externe Überprüfung, 800 Corporate Social Responsibility, 33, 653,
Konzernrichtlinien, 781 795–797
Maßstäbe, 776 internationale Standards, 801
Compliance Post Merger Integration, 788 Management System-Standards, 801
Compliance Reporting, 792 sachlich-themenbezogene materielle
Compliance Risk Assessment, 778, 779 Normen, 804
Compliance-Kommunikation, 782 Corporate Social Responsibility-soft law, 804
Compliance-Kultur, 792 Corporate sponsoring, 798
Compliance-Organisation, 776, 781 Corruption Perceptions Index, 310, 786
Compliance-Prüfung, 792 County and city governmental entities, 63
814 Stichwortverzeichnis

Criminal compliance, 799, 800 Dokumententyp, Ordnungsstrukturen, 625


Cross examination, 89 Doppelvertretungsverbot, 267
Dotted reporting line, 534
Dozent
D Auftreten, 733, 734
DACH-Region, 85 externer, 739
Sprache, 166 guter, 733
DACH-Unternehmen, 61, 64 interner, 739
De-Eskalation, 451 Kritik, 740
Delegation, 207, 640 schlechter, 734
Dementi, 299 soziale Kompetenz, 733
Denken unternehmerisches Wissen, 741
intuitiv-reflexives, 420 Dozententätigkeit, 732
rational-reflektives, 420 Dubai International Arbitration Center, 106
unternehmerisches, 741 Due Diligence, 559
vernetztes, 395 Due Diligence-Bericht, 705
Denkmuster, positives, 342 Due Diligence-Liste, 704
Denkprozesse, unterschiedliche, 419 finale, 704
Denkweise, juristische, 732, 733 Due Diligence-Prüfung, 700, 703, 705, 789
Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbar-
keit, 719
Devestition, 198 E
Dienstleistungssortiment, 154 Earn-out-Klausel, 707
Digitalisierung, 291 Economic-value-added-Methode, 558
Diplomatie, 452 Eidgenossen-Struktur, 537
Direktheit, 452 Eingabefrist, 307
Discounted cash flow-Methode, 558 Einkauf, 686
Diskussion, 453 Ein-Linien-System, 524
Disruptive innovations, 291 Einschätzung der eigenen Person, 422
Disruptive technologies, 291 E-Mails, 757
Distanz, kritische, 289 Emotion, 453
Distribution-Maßnahmen, 154 Emotionalität, mangelnde, 350
Distribution-Strategie, 153 Emotionsmanagement, 448, 451
Dokument Empathie, 632
automatisierte Ablage, 749 mangelnde, 350
elektronisches, 757 Enterprise Content Management, 753
Verschlagwortung, 747 Entscheidungsträger, chinesische, 74
Dokumentenansatz, ganzheitlicher, 747 Entschuldigung, vertrauensbildende, 428
Dokumentenfälschung, 81 Entwicklung, 686
Dokumenten-Management s. auch Vertrags- Entwicklungsquadranten, 594
management, 652, 745, 746 Environmental compliance, 800
Entwicklungen, 756 Equal treatment of shareholders, 765
Dokumenten-Management-System, 563, 652, Erfahrungsaustausch, 282
745, 746 Ergebnisentwicklung, kontinuierliche, 569
Auswahl, 753 Ermessensspielraum, 46, 48
Basisfunktionen, 747 Ertragswert, 558
Berater, 753 Erzählungen, 166
Einführung, 754 Ethik, 775
Vertragsverwaltung, 752 Euphemismus, 451
weitergehende Funktionen, 748 European Banking Authority, 626
Zentralisierungsansatz, 755 Examination-in-chief, 89
Dokumentensammlung, 630 Exo-Hypostatics, 346
Dokumentenstempel, 155 Expectation management, 294
Stichwortverzeichnis 815

Expertenberatung, 294 Fürsprecher, 579


Experts, 85, 89
Golf-Staaten, 90
Expert-Verfahren, 90 G
Garantie, 709
Gate keeper, 294
F GC Leadership Principles, 142
Fachabteilung, interne, Arbeitsrecht, 223 GCC Convention for the Execution of Judg-
Fachsprache, juristische, 166 ments, Delegations and Judicial
Fachwissen, 472 Notification, 107
rechtliches, Bundeebene, 42 GCC Übereinkommen, 107
Fähigkeiten, kommunikative, 474 Gefühlsleben, Verhandler, 453
False Consensus Effect, 418 Gegendarstellung, 295
Fapiao chop, 80 Gegenpartei, Direktkontaktierung, 251
Federal government, 63 Geheimhaltung, 251
Fehleinschätzung, 421 Gemeinkosten, 564
Fernbeglaubigung, 273 Genehmigungsprozess, 747, 749
Finance chop, 80 General Cooperation Principles, 141
Financial Services Expedited Arbitration General Counsel, 26, 32, 117, 323
Prodecures, 723 als Coach, 358
Finanzen, 685 als Leistungsmesser, 360
Firmeneigentümer, Erwartungen an Mitrarbei- als Verwaltungsratssekretär, 193, 510
tende, 486 Anforderungen, 371
First Level Support, 217 Aufgaben, 186, 194
Folgeschaden, 96, 198 Aufsichtsratsbüro-Prozesse, 766
Foreign Corrupt Practices Act, 788 Bedeutungsveränderung, 408
Form, 31 Beziehungsmanagement, 475
Formalismus, 31, 76 Beziehungsnetz, 476
Forschung, 686 Eigenschaften, 190
Frage Einstellungsprozess, 477
geschlossene, 446 Entwicklung
offene, 446 zum Business Partner, 469
Fragetechnik, 445 zum Team Leader, 356
Frame of reference, 167 Entwicklungsmöglichkeiten, 327
Freiheit, 31 Erwartungen des Verwaltungsrat, 187
Freizonengesellschaft, 101 Führungskompetenz, 138
Freizonen, MENA-Region, 101 Hauptaufgaben als Team Leader, 353
Fristenmanagement, 615, 749 Kommunikation, 474
Fristenüberwachung, 747 interne, 293, 477
Front office, 115 kommunikative Fähigkeiten, 474
Führung, 138 Kompetenzen, 356
Führungsgrundsätze, 142 Konflikte, 457
Führungskommunikation, 293 Konkurrenzsituation, 242
Führungskräfte, 471 Krisenmanagement, 489
Führungspersönlichkeit, 355 Kundenerwartungen, 590
Kompetenzen, 356 Legal Counsel-Suche, 582
Scheitern, 354 Mitglied
Führungsposition, operative, 483 der erweiterten Geschäftsleitung, 501
Führungsspitze der obersten Geschäftsleitung, 502, 505
Erwartungen an Mitrarbeitende, 486 Positionierung
Leistungsziele, 484 im Verband, 283
Führungsstruktur, 227 strategische, 476
Führungsverantwortung, 349 zum externen Anwalt, 508
Funktionsmanagement, 531 zur Geschäftsleitung, 195
816 Stichwortverzeichnis

Positionswechsel ins Linienmanagement, arabische Welt, 86


479, 480, 498 MENA-Region, 86
Proaktivität, 477 Geschäftsleitung, 471, 684, 764
Rollenentwicklung, 469 Corporate Secretary-Position, 766, 767
Routinearbeit, 471 Interessenkonflikt mit dem
Rückmeldungen, 474 Verwaltungsrat, 192
Self Marketing, 487 Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat, 765
soziale Kontakte, 489 Geschäftsleitungssitzung, 187
Stellenprofil, 471, 513 Geschäftsleute, chinesische, 77
Stellung im Unternehmen, 189, 469 Geschäftspartner, 198, 785
Strategieentwicklung, 387 Bestechungsdelikt, 785
strategisches Management, 379 Geschäftspartnerprüfung, Compliance-Integ-
Team, 471 ration, 785
Team-Leader-Aufgaben, 350, 352, 356, Geschäftsplanung, 761
362 Geschäftspolitika, 251
Transaktionsmanagement, 701 Geschäftsprozess, Digitalisierung, 291
Umsetzung von Unternehmenszielen, 572 Geschäftsverkehr
unternehmerischer, 503 China, 71
unternehmerische Zusammenhänge, 487, Nahost, 85
488 USA, 61
Verantwortungsbereiche, 476 Geschlechtertrennung, 103
Verantwortungsübernahme, 488 Gesellschaftsanteile, asymmetrische Vertei-
Verhältnis lung, 99
zum CEO, 191 Gesellschaftsrecht
zum Verwaltungsratspräsidenten, 191 chinesisches, 73
Wechsel ins Linienmanagement, 327, 598 MENA-Region, 93, 98
Zeitmanagement, 475 Gesellschaftsstempel, 80
Zusammenarbeit mit externem Anwalt, 241 Gesetz
General Counsel/Corporate Secretary-Doppel- der Komplexitätsentsprechung, 373
funktion, 502, 768 Erarbeitung, 56
Generalkonsulat, 76 Gesetzgebungsorgan, 46
Gericht, 601 Gesetzmäßigkeit, 305
lokales, MENA-Region, 89 Gesichtsverlust, 452
Gerichtsstand, 83, 710 Gespräch beenden, 431
Gerichts- und Notarkostengesetz, 262 Get-togethers, 169
Gerichtsurteil Gewährleistung, 709, 731
ausländisches Gewalt, vierte, 296
Anekennung in MENA-Staaten, 107 Gewerkschaft, 222
Vollstreckung in China, 83 gharar-Grundsatz, 96
MENA-Region, 91 Globalisierung, 26, 29, 33, 290
Gerichtsverfahren GmbH-Gesetz, 622
Ägypten, 89 Golf-Staaten
China, 80, 82 Rechtsanwalt, lokaler, 91
staatliches Gericht, 81 Verfahrensgrundsätze, 89
Irak, 91 Gouvernement Procurement Agreement, 308
MENA-Region, 89, 91 Groß-Akquisition, 20
Gesamtheit, operative, 378 Große Juristische Staatsprüfung, 264
Gesamtleitung, operative, 377 Großkanzlei, 238
Gesamtorganisation, Analytik, 392 Senior Partner, 239
Geschäftsführer, 189 Großunternehmen, 26
Geschäftsführung international operierendes, 4
Einsetzung, 100 lokales, 4, 11
MENA-Region, 98, 100 Group norms, 116, 119
Geschäftskultur Group Think, 422
Stichwortverzeichnis 817

Gruppenbiographie, 119 Qualität, 165


Gruppe, virtuelle, 291 stützendes Hilfsmittel, 143
Gruppenentscheidung, 422 unterstützender Habitus, 170
Gruppennormen, 116, 119 Identitätsprüfung einer natürlichen Person,
Guideline, 130 268
Erstellung, 133 Identitätsstiftung, 117, 163
Implementierung, 133 Wirkung von Happenings, 168
individuell entwickelte, 131 Identity change tools, 123, 137, 391
Guidelines-Inhalt, dialektische Diskussion, Identity Controlling, 137, 147, 152
133 Identity Controlling Cycle, 137, 144, 145
Guideline-Themenbogen, 132 Identity Controlling-Meeting, 147
Guiding Principles on Business and Human Identity Design, 149, 158
Rights, 802 Dokumentenstempel, 155
Gulf Cooperation Council, 104 Implementierung, 159
Identity Design-Launch, 159
Identity development road map, 147
H Identity gaps, 146
Haftungsbegrenzung, MENA-Region, 96 Identity Happening, 164, 168
Haftungsrisiko, Schutz, 187 Ausgestaltung, 169
Haftungsumfang, 709 Planung, 171
Haltung, kooperative, 52 Identity Leadership, 137, 138
Handeln nach Treu und Glauben, 45 Identity Leadership Principles, 137, 138, 140
Handelsrecht, MENA-Region, 93 eigene Entwicklung, 140
Handelsregisterauszug, 270 Wirkungen, 139
ausländischer, 270 Identity Marketing, 149, 151, 152
Handelssperrzeiten, 761 Grundlagen, 151
Handelsvertreterrecht, 101 operativer Teil, 154
Handlungsbedarf, 251 Strategie, 151
Handlungsfähigkeit, 268 Identity Marketing Tools, 151
Happening, 168 Identity micro management, Maßnahmen,
feierlicher Charakter, 170 169, 170
Happening-Jahreskalender, 172 Identity Status Profile, 146
Harmoniestreben, 72 Identity Symbolism, 163, 164, 168
Harvard-Konzept, Konfliktmanagement, 466 ILO-Arbeits- und Sozialstandards, 804
Harvard-Verhandlungskonzept, 225 Image-Risiko, 299
Hauptscorecard, 561 Indexierung von Verträgen, 563
Hauptsprache, 166 Index on Bribery, 786
Hauptversammlung, Corporate-Secretary-Auf- Indiskretion, 296
gaben, 762 Informationen
Hierarchie, 409 gewinnen, 446
Hierarchiepyramide, 535 identitätsrelevante, 146
Hochleistungsteam-Ideal, 363, 365 Information Exchange Principles, 142
Home offices, 536 Informationsaustausch, 142
Honorierungsmodelle für externe Rechtsbera- Informationsdimension, 550
tung, 234 Informationslöschung, 415
HR-Audits, 146 Informationspreisgabe, 50
HR-Lifecycle-Interviews, 146 Informationstechnologie, 685
Human Resources, 221, 685 Inhalt, selbstzensurierter, 422
Inhouse-Kriminalität, 316
Inhouse-Seminar, 734
I Inhouse-Weiterbildungsseminar, 169
Identität, 113, 124 Inhousing, 535
Einfluss der Sprache, 166 Initiative, strategische, 400
818 Stichwortverzeichnis

Institut des Einspracheverfahrens, 304 wissenschaftliche Tätigkeit, 59


Institution, verwaltungsnahe, 44 Juristennetzwerk, globales, 197
Institutionalisierungsorientierung, 500 Justiz, 42, 46, 54
Integrität, 693, 806 Justizbehörde, 46
Integritätsmanagement, 653
Intellectual property, 316
Interactions-Maßnahmen, 154 K
Interactions-Strategie, 153 Kaffee-Fall von McDonalds, 66
Interaktionsgruppe Kanzleianwalt, 577
Fundamentalelemente, 179 Kapazitäteneinsatz, risikoorientierter, 210
Leitungsstruktur, 391 Kapitalkosten, 559
Monitoring, 392 Reduktion, 567
Operativelemente, 179, 391 Karriere
Strukturalelemente, 179, 391 juristische, 596
Interaktionsmuster, 119 nicht-juristische, 600
Interaktionspartner, 132 Karriereplanung, 361, 602
360°-Befragungen, 146 Kartellrecht, 714
Charakteristika, 179, 390 Kaufpreisangebot, nicht-bindendes, 711
Einflüsse auf die Rechtsabteilung, 178, 390 Kaufvertrag, 736
externe, 179 Kernfähigkeiten-Szenario-Analyse, 395
interne, 129, 179, 182 Kerngeschäft, 405
Wirkung der Identity Marketing Tools, 151 Key performance indicator, 561, 570, 590
Interaktionspartner-Management, 178 Key-User, 754
Interaktionsqualität, 165 Kick-off Meeting, 131, 169
Interaktionsressourcen, 424 Klatsch, innerbetrieblicher, 428
Interaktionsstandards, 139, 141 Klub-Modell, 300
Interdependenz, 437 KMU (kleines mittelständisches Unterneh-
Interessenkonflikt, 461 men), 3, 11, 12, 537
Interesse, öffentliches, 46 großes, lokales, 4
Interim-Legal Counsel, 14, 579 international operierendes, 4
International Chamber of Commerce, 106 Legal Counsel, 17
International Compliance Day, 783 Rechtsabteilung, 499
Interne Revision, 777 US-amerikanischer Markt, 62
Investition, Schlüsselfragen, 294 Vertragsmanagement, 752
Investor Relations, 294 Knowledge Management, 552, 619
Irak, Gerichtsverfahren, 91 Kohai-Sempai-Prinzip, 440
Irakisches Zivilgesetzbuch, 92 Kollektivgesellschaft, 88
ISO 26000, 802 Kommunikation, 287, 692, 761
Ist-Soll-Diskrepanz, 398 Beratung, 289
IT-Infrastruktur, 549, 552, 617 Compliance-Kultur, 782
digitale, 291
elektronische, 142, 474
J Fehler, 412
Jour Fixe-Termin, 224 gelungene, 633
Jurist Grundlage, 413
ägyptischer, 91 in Verhandlungen, 450
Bild in der Öffentlichkeit, 433 indirekte, 68, 86
Fähigkeiten in der Bundesverwaltung, 55 interne, 293, 477
generelle Anforderungen, 50 Kontext, 412
Golf-Staaten, 90 Kontextbezogenheit, 424
im politisch-gesellschaftlichen Umfeld, 47 nicht-verbale, 165
nicht-juristische Fähigkeiten, 590 optimale, 425
Spezialisierung, 55 selbstinitiierte, 424
Verwaltungstätigkeit, 59 selbstkontrollierte, 424
Stichwortverzeichnis 819

transparente, 191 Korruptionsindex, 310


Unternehmensjurist, 411 Korruptionsprävention, 310
Verantwortlicher, 289, 290, 298 Kosten
verbale, Diskrepanz, 423 direkte, 564
Kommunikationsfachmann, 293 operative, Optimierung, 564
Kommunikationsfähigkeit Kosten-Schutzniveau-Verhältnis, 657
Kontext Kostentransparenz, 688
inhaltlicher, 416 Kreativitätstechniksystem, 398
räumlicher, 416 Kreditvertrag, 753
zeitlich-perspektivischer, 416 Kriminalität, 316
Motivationskontext, 416 Modeströmungen, 318
Kommunikationsgestaltung, positive, 423 Kriminalitätsfall
Kommunikationsinhalt, 290 Anzeige, 317
Kommunikationsquadrat, 633 Nichtanzeige, 317
Kommunikationsstil, kontraproduktiver, 444 Krisenkommunikation, 297, 298
Kommunikationstraining, 633 Krisenmanagement, 297, 298, 489, 509
Kommunikationsziel, 423 Krisenprävention, 297
Kommunikator, Qualitäten, 413 Krisensituation, Corporate Secretary-Funk-
Kompetenz, 427 tion, 770
personale, 464 Krisenstab, 299
soziale, 458, 464, 733 Kultur
Komplexität, politische, 52 chinesische, 72
Komplexitätsreduktion, 126 japanische, 20
Komplexitätssteigerung, 25, 29, 372, 590 Kundenfokussierung, 115
Kompromiss, 445 Kundengeschenk, 311, 313
Konflikt, 58, 216, 457 innovative Substitution, 314
Auswirkungen, 459 Kundenkontakt, Kurzseminar, 739
Definition, 458 Kundenorientierung, 609
Folgekosten, 459 Kundenservice, 154
Konstellationen, 462 Kurzseminar, 739
kumulative Effekte, 460
Lösungsansätze, 461, 462
Minimierung, 210 L
Opportunitätskosten, 458 Laufbahn, juristische, 596
Reduzierung, 140 Leadership, 7
Seminarsituation, 738 Leadership-Kompetenz, 464
Ursache, 459 Lean Management, 613
US-amerikanisches Rechtssystem, 62 Definition, 605
zwischenmenschlicher, 459 Legal Operations-Arbeitsplatz, 605
Konflikteskalation, 209, 461 Tools, 609
Phasen, 327 Ziele, 606
Stufen, 464 Lean Production, 606
Konfliktmanagement, 327, 457 Legal business partner-Team, 531
Harvard-Konzept, 466 Legal compliance, 799
Konfliktsouveränität, 464 Legal Controlling, 209
Konfliktverhalten, professionelles, 458, 465 Legal Counsel, 14, 15, 17, 18, 323, 575
Kontrollfunktion, vertikale, 378 Anforderungen, 371, 580, 688
Kontrollwesen, behördliches, 305 Anforderungsprofil, ausformuliertes, 581
Konzern, international operierender, 4, 11 Anzahl, 533
Kooperationsbereitschaft, 448 Auswirkungen des Verfahrensrechts, 308
Kooperationsvereinbarung, 210 begleitetes Vorstellen, 588
Koordination, 377 Behördenkontakt, 304
Korruption, 82, 198, 780 Berufschancen, 39
Korruptionsbekämpfung, 305, 313 Beurkundungsbegehren an den Notar, 266
820 Stichwortverzeichnis

Coaching, 358 Zusammenarbeit, 225


Dokumentensammlung, 630 alternative, mit externem Rechtsanwalt,
Eigenschaften, 577 252
charakterliche, 693 mit dem Betriebsrat, 223, 225
für Leadership Position, 487 Harvard-Verhandlungskonzept, 225
soziale, 692 mit externem Rechtsanwalt, 245, 249,
Einführungsplan, 588 255
Einstellungsgründe, 576 Legal Counseling, 651, 681
Entwicklungsmöglichkeiten, 552, 589 nachhaltiges, 689
externe, 600 Rechtsgebiete, 685
unternehmensinterne, 593 Ziele, 682
erster, 501, 576 Zielpublikum, 683
Aufgabe, 578 Legal Department s. Rechtsabteilung
Integrationsfaktor, 585 Legal Education, 652, 729
Erwartungen der Geschäftsleitung, 230 Legal Operation s. Rechtsfunktion
fachliche Kompetenz, 577, 579, 691 Legal Operations-Riten, 169
Interaktionspartner, interne, 182 Legal Operations-Ritual, 170
Karriere im Rechtsbereich, 596 Legal Operations-Zeremonie, 170
Kenntnis Legal Reporting, 208
unternehmerischer Zusammenhänge, Legal Risk Management, 211, 651, 655, 686
741 Legal Team, 340, 534
von Bestimmungen, 306 Gruppenaufteilung, 422
Kommunikation, 326, 411, 692 Legal team members, 536
Konflikte, 457 Legalitätsprinzip, 45, 303, 305
Kundenerwartungen, 590 Legislative, 46
Meetings der Geschäftsbereiche, 587 Leistungsauszeichnung, zeremonielle, 171
Mehrwert, 588 Leistungserbringung, 180
Mitarbeit in der Verwaltung, 51 Leistungsinventar, 180
Nichtspezialist, 17 Leistungskriterien, 360
Option Leistungsmanagement, 180
juristische, 595 Leistungsspektrum, 180
nicht-juristische, 595 Leistungsverrechnung, 213
Positionierung Lieferantencheck, 787
zu externem Rechtsanwalt, 227 Lieferantenselbstauskunftsbögen, 787
zum Betriebsrat, 219, 221 Liegezeiten, 610
zum Notar, 259 Limited Liability Company, 98
zu Strafverfolgungsbehörden, 316 Linienmanagement, 479
Pragmatismus, 199 Linienvorgesetzte, 684
Relation zu Supportkräften, 534 Litigation & Arbitration Management, 651,
Rollenverständnis, 602 717
Self Management, 329 Litigation-Fall, 230
Suche, 581 Lob einholen, 474
Team Management, 349 Logistik, digitale, 292
temporäre Tätigkeit in externer Kanzlei, Löhne, 564
253 LOM-Modell (Legal Operations Manage-
Unterhändlerposition, 439 ment-Modell), 6
unternehmerische Verantwortung, 15 fundamentale Betrachtungsebene, 6
Verhalten bei Kriminalitätsfall, 318 operative Betrachtungsebene, 9
Verhandlungen in der arabischen Welt, 86 strukturelle Betrachtungsebene, 8
Verhandlungstechnik, 326 London Court of International Arbitration,
Wechsel in den Geschäftsbereich, 598 106, 722
Weiterbildung, nicht-juristische, 603 Lösungsidee, 398
Wissensmanagement, 626 Screening, 398
Zielsetzung, 33 Lösungssuche, 444, 453
Stichwortverzeichnis 821

Loyalität, 289, 509 Behörde, 88


Lüge, 428 Beteiligungsverhältnisse, 98
Schutz, 430 Free Zones, 101
prosoziale, 429 Gericht, lokales, 89
Gerichtsurteil, 91
Gerichtsverfahren, 89
M Geschäftsführung, 98
M&A-Transaktion, 700, 702 Geschäftskontakt, lokaler, 86
M&A-Vertrag, 706 Geschäftskultur, 86
Macht, 465 Gesellschaftsrecht, 93, 98
Machtmissbrauch, 465 Haftungsbegrenzung, 96
Machtposition, falsch verstandene, 483 Rechtsanwalt, lokaler, 91
MaComp, 777 Rechtskultur, 92
Make-or-Buy-Entscheid, 230 Rechtsordnung, 85, 93
Management, 306, 556, 557, 622 Rechtssystem, 92
normatives, 380 islamischer Einfluss, 94
operationale Einheiten, 374 Strafrecht, 105
strategisches, 378, 387 Streitbeilegung, 85, 105
Werkzeuge, 388 Zinsen, 95
Management by walking around, 170 zivile Gesellschaften, 88
Management reporting, 571 Zivilrecht, 92
Manager Legal Operations, 600 Mentor, 475
Manager, chinesische, 77 Methodik des Vernetzten Denkens, 395
Mängelrüge, 739 Mikrobelohnungen, 342
Marke, 300 Mikrorealitätsfluchten, 342
Entwicklung, 300 Mikrounternehmen, 3
Markenführung, integrale, 300 Mirroring, 426, 427
Markenschutz, 300 Mission statements, 115
Marketing, 150 Misstrauen, 465
Markt Mitarbeiter, 684
chinesischer, 71 Berufszielplanung, 362
Entscheidungsträger, 74 Compliance-Trainings, 781
US-amerikanischer, 61 falsch rekrutierte, 738
Kommunikation, 68 rechtliche Schulungen, 473, 734
kulturelle Aspekte, 68 Verhaltenskodex, 186
persönliche Vernetzung, 69 Wünsche, 355
quantitative Aspekte, 69 Mitarbeiterausbildung, 562
Marktmacht, 13 Mitarbeiterdimension, 549
Marktstrategie, 714 Mitarbeiterentwicklung, 603
Maschinenhersteller, 482 Mitarbeiterförderung, 141
Masterstudium, ausländisches, 598 Mitarbeiterkonferenz, 169
Matrix-Projekt-System, 531 Mitbestimmungsrecht, 220
Matrix-System, 527 Mithörkompetenz, wirtschaftliche, 38
Mediation, 718 Mittelmanagement, 783
Medien, 49, 295 Mittlere-Osten-Nordafrika-Region s.
als Richter, 296 Mena-Region
Medienarbeit, 295 Modular-System, 535
Medienbeobachtung, 287 Monatsgespräch, 219, 224
Medienwelt, digitale, 291 Monitoring, 9, 34
Meeting maker, 293 Monitoringeinheit, 6
Mehrlinien-System, 525 Muss-Vorschriften, 143
MENA-Region, 28
822 Stichwortverzeichnis

N People Development Principles, 141


Naïve Realism, 419 People’s High Court, 83
Negotiation Project, 466 People’s Supreme Court, 84
Netzwerkorganisation, 536 PEP-Programm, 345
Netzwerkpflege, 691 Perception is reality, 288, 298
Neuro-Energetics, 346 Performance Counseling Meetings, 146, 170
New Public Management, 36 Durchführung, 361
New Yorker Übereinkommen, 83, 107 Performance Management, 360
Nexus of contracts, 659 strategisches, 560
Non-binding offer, 711 Performance Measurement-Prozess, 360
Non-Disclosure-Agreements, 198 Performance Measures, 484
Non-Governmental Organizations, 299 Personalberater, 583
NOPAT, 559 Spezialisierung auf Juristen, 584
No surprise policy, 188 Personal-Elite-Performance-Programm, 345
Notar, 183, 259 Personalgesetz, 312
ausländischer Personalpolitik, 221
funktionale Gleichwertigkeit, 264 Persönlichkeitsverletzung, 295
Zulässigkeit von Beurkundungen, 263 Pluralistic ignorance, 422
Beurkundungskosten, 262 Policies, 73, 75
Entschädigungsanspruch, Haftung, 266 Polictical exposed person, 787
Notariatsausübung, funktionsentsprechende, Policy bei externer Rechtsberatung, 236
264 Positioning Analytics, 152
Prämissenkontrolle, 401
Präsenz, lokale, 87
O Präzisierungsfrage, 446
OECD-Leitsätze, 802 Presse, 183
Offenlegung, 67 Priming effect, 416
wesentliche, 67 Privatrecht, ägyptisches, 92
Öffentlichkeit, 49 Privatwirtschaft, 27, 29
Öffentlichkeitsarbeit, 49 Proaktivität, 477
Öffentlichkeitsbeauftragter, 49 Problemlösung, 612
Offizialdelikt, 319 Process of discovery, 67
Offshoring, 535 Product Stewardship, 712
One-stop-shop-Lösung, 536 Produktentwicklung, 713
Online publishing, 288 Produkthaftung, 32
Operations Identity, 115 US-amerikanischer Markt, 64
Operative Ebene, 376 Produktion, 686
Optical Character Recognition, 747 Produktionsdauer, 666
Orchesterleitung, 373 Produktionsgesamtkosten, 669
Ordnungsstrukturen, 625 Produktmarketing, 714
Organisation Produktsicherheit, technische, 407
interne Aufsichtsratfunktion, 765 Professional Service Group, Team Leader, 356
zergliederte, 460 Professional Services Unit, 5
Organisationsanalyse, 540 Projektgliederung, 530
Organisationshoheit, 208 Projektgruppe, 224
Outsourcing, 535 Projektkoordinations-System, 530
Projektorientierung, 500
Projektvertrag, MENA-Region, 103
P Protektionismus, 82
Paranoia, berufsbedingte, 351 Protokollführung in der Aktiengesellschaft,
Paraphrase, 446 770
Parteientschädigung, streitwertabhängige, 247 Provokation, 452
Patentfragen, 32 Prozessanalyse, 611
People Analytics Division, 116 Prozessoptimierung, 613
Stichwortverzeichnis 823

Prozessrisiko, 299 Arbeiten


Prozessstandardisierung, 611 defensive, 405, 407
Prüfung, juristische, 37 proaktive, 405
Psychological safety, 117 Aufgabengliederung, 519
Public exposure, 289 Aufgaben, vorbehaltene, 207
Public Relations, 287, 288 Aufgabenportfolio, 197
Kampagnen, 299 Außenpositionierung, 183
Punitive damages, 65 Bedeutungsveränderung, 408
buchhalterische Erfassung, 500
Definition, 4
Q Dokumenten-Management, 747
Qatar Financial Center, 101 Einbettung
QUADRAGON, 6, 7, 137, 145, 178, 396, 513, Chancen, 132
648 in die Gesellschaft, 132
Qualität, 213 Einheiten, 382
Qualitätsstempel, 155 Entlastung, 210
Qualitätsunterschied, 68 Erwartungen der Unternehmensleitung,
198
Führung, 499
R Hierarchie, 141
Rahmenbedingungen Identitätsstatus, globaler, 145
politische, 48 Identity Design-Implementierung, 159
rechtliche, 236, 303 Identity Marketing, 157
Rahmenvertrag, 755 in der Gesamtorganisation, 500
mit externem Rechtsanwalt, 233 Innenstrukturen, 513
Rahmenvertragsstrategie, 232 Integrität, 509
Ramadan, 103 Interaktionspartnereinflüsse, 178
Rat erbitten, 426 juristische Laufbahn, 596
Rating agencies, 294 kantonale, 42
Reaktionszeit, 475 kommunale, 42
Realität, Interpretation, 416 Kompetenzwahrnehmung, 207
Realitätsabbilder, 415 Legal Education, 729
subjektive, 416 Loyalität, 509
Recht Management, 325, 326, 371
ägyptisches, 92 Management-Modell, 177, 493
alles umfassendes, 404 Maßnahmenbündel, 497
amerikanisches, 19, 20 Neuaufbau, 498
angelsächsisches, 20, 21 No-Gos, 200
chinesisches, 72 öffentliche Verwaltung, 41, 42, 44, 47
Umgang, 84 operationale Einheiten, 374
internationales, 20 Organigramm, 380
islamisches, 92, 94 Organisationsausgestaltung, 477, 514
Rechtsschulen, 94 Organisationsfaktoren, 514
jordanisches, 97 persönliche Voraussetzungen der Mitarbei-
MENA-Region, islamischer Einfluss, 93 ter, 506
nationales, 709 Positionierung, 495
saudisches, 97 zu anderen Fachabteilungen, 203
Verhältnis zum Bürger, 21 zu Strafverfolgungsbehörden, 316
Wandel, 35 zur Geschäftsleitung, 195
Rechtsabteilungszentrale, 532 Pragmatismus, geschäftlicher, 198
Rechtsabteilung, 3, 115, 201, 405 Primärstruktur, 519
Analyse, 151 Prozessoptimierung, 613
Anforderungen, 215, 371 Reporting-lines-Festlegung, 500
824 Stichwortverzeichnis

Ressourcen, 516 prozessierender, 183


Riten, 169 Rechtsberater, US-amerikanischer, 63
Schnittstelle zum Verkauf, 506 Rechtsberatungsleistung, externe, 227
Schulungsprogramm, 563 Ad hoc-Einkauf, 233
Sprachsymbolik, 166 Einkauf, 231
Struktursystem-Gliederung, 524 Entscheid, 230
Supportumfeld, 534 Honorierungsmodell, 234, 256
Teamzusammenstellung, 198 Kostenplanung, 231
Time Management, 640 Policy, 236
Treffen mit Business Manager, 477 Rahmenbedingungen, 237
Umwelt, 381 Rahmenvertrag, 232, 233
Umweltanalytik, 388 Rechtsdienst, 288
unternehmenseigene, 4, 17, 32 der Banken, 505
Arbeitsweise, 11 Rechtsempfinden, 19, 21
Aufbau, 12 Rechtsetzung, 46, 47
Definition, 4 Rechtsetzungslehre, 39
Management, 16 Rechtsfunktion, 3, 556, 557
Vorteile, 201 Administrativaufgaben, 650
Verantwortung, 200 Aktionskreislauf, 9
Viable System Model, 376, 380 Analytik, 392
virtuelle Organisation, 536 Arbeitsorganisation, 495
zentrale, 205 Assignment-Maßnahmen, 154, 155
Zeremonien, 170 Assignment-Strategie, 153
Zuständigkeit, 205 Aufgabengliederung, 523
Klärung, 204 Außenpositionierung, 183, 495
Zuständigkeitskonflikt, 207 Außenstrukturierung, 494, 498
Rechtsänderung, 628 Neuaufbau, 498
Rechtsanfrage, 52 Definition, 4
Rechtsangelegenheit, private, 688 Dezentralisierung, 206, 532
Rechtsanwalt, 58, 579 Distribution-Maßnahmen, 154
chinesischer, 77 Distribution-Strategie, 153
externer, 14, 183, 201, 227, 507, 510 Eigengestaltungsorientierung, 500
Arbeitsdelegation, 254 eigenständiges System, 5
Arbeitsrecht, 222 Einfluss auf Strategieumsetzung, 558
Auswahl, 232 externe, 13, 32
Auswahlkriterien, 233 Finanzdimension, 548, 551, 555
Diskussion, 234 Fremdgestaltungsorientierung, 500
Honorierungsstruktur, 256 Führungsspanne, 533
Konkurrenzsituation, 242 fünfdimensionale Gliederung, 547
Management, 228 Funktionsbereiche, 517
Mandatsführung, 248 Gesamtorganisationsanalytik, 392
Rahmenvertrag, 233 Gestaltungsoptionen, 9
Richtlinie Recht, 208 Guidelines, 123
Secondment, 253 Erstellung, 133
Spezialisierung, 246 Implementierung, 133
Vorteile, 245 Hauptaufgaben, 648
Zusammenarbeit mit General Counsel, Hauptprozesse, 648
241, 508, 592 Herausforderungen, 25, 27
Zusammenarbeit mit Legal Counsel, Hierarchiestufen, 533
245, 255 Identität, 7, 113, 117
Honorar, 91 Identität-Einflussfaktoren, 515
MENA-Region, 91 Identitätsveränderung, 120
outsourced, 4 Identity Controlling, 152
Stichwortverzeichnis 825

Identity Controlling Cycle, 145, 148 Pyramidenform, 535


Identity Design, 158 Rechtsgebiete, 520
Identity Marketing Rechtskreise, 523
operativer Teil, 154 Rechtsobjekte, 521
Informationsdimension, 550 Regulationseinheit, 6
Inhaltsorientierung, 499 Reorganisationsdurchführung, 539
Innenpositionierung, 182, 185 Ressourcen, 8, 547, 551
Innenstrukturierung, 495, 496, 513 Risk Management, 651, 655
Institutionalisierungsorientierung, 500 Sekundärstrukturen, 529
Interactions-Maßnahmen, 154 Projektgesichtspunkte, 529
Interactions-Strategie, 153 Sonderfunktionsgesichtspunkte, 531
Interaktionsmöglichkeiten, 7 Services Analytics, 151
Interaktionspartner, 132 soziales System, 497
interne, 13, 32 Strategieentwicklung, 326
Kommunikation, 412 strategische Ziele, 562
Koordination verschiedener juristischer Strategisierung, mangelnde, 387
Einheiten, 207 Strukturen, 493
Leadership, 7, 323, 325 Tätigkeitsumfeld-Einflussfaktoren, 515
Leadership-Einflussfaktoren, 515 Teamführung, 349, 362
Lean Management, 605 Transaction Management, 698
Leistungsmanagement, 180 Umfeld-Interaktions-Einheit, 5
makrofunktionale Ausgestaltung, 519, 529, Umweltsphären-Einflussfaktoren, 515
532 Value Chain Analytics, 151
Management, 5, 6, 17, 26, 306 Vision, 123, 125, 387
strategisches, 387 Analyse, 127
strategisches, Strategieanalyse, 388 Entwicklung, 127
strategisches, Vorteile, 388 finale, 130
strategisches, Ziele, 391 Implementierung, 133
Management-Modell, 6, 513, 648 Wissensmanagement, 627
mikrofunktionale Ausgestaltung, 532 Zeitdimension, 551
Mitarbeiterdimension, 549, 552 Zentralisierung, 532
Mitarbeiterführung, 358 Zusatzaufgaben, 649
Mitarbeiterfunktionen, 517 Zusatzprozesse, 649
Modular-System, 535 Rechtsgeschäft, Bewilligung in China, 78
Monitoringeinheit, 6 Rechtsgleichheit, 45
Neuausrichtung, 501 Rechtsgrundlage, 306
Organisationsausgestaltung, 517 Rechtskultur
Organisationsfaktoren, 514 chinesische, 27, 72
Organisationshoheit, 208 MENA-Region, 92
Orientierung Rechtsleistungsmanagement, 531
monolithische, 500 Rechtsmittel, 307
polyzentrische, 500 Rechtsmittelsystem, 306
Outsourcing, 201 Rechtsphilosophie, 38
Personenorientierung, 499 Rechtsrisiko
Positionierung, 7, 150, 177, 182 abdeckende Maßnahmen, 671
Erfolgsfaktoren, 189 Effizienzgrenze, 675
optimale, 181 Maßnahmenbündel
zur Geschäftsleitung, 694 optimale, 676, 678
Positioning Analytics, 151 sub-optimale, 675
Projektorientierung, 500 Maßnahmenkosten, 673, 677
Prozesse, 8, 647, 651 Rechtsrisikofenster, 211
Prozess-Einflussfaktoren, 516 Rechtsschulen, islamische, 94
Prozessorientierung, 536 Rechtsschutz, gewerblicher, MENA-Region, 104
826 Stichwortverzeichnis

Rechtsschutzversicherung, 247 Risk Management, 57


Rechtssoziologie, 38 Riyadh Arab Convention on Judicial Coopera-
Rechtsstreit, US-amerikanisches Rechtssys- tion, 107
tem, 67 Riyad Übereinkommen, 107
Rechtssystem Rollenkonflikt, 460, 461
chinesisches, 72 Rolling agenda, 761
MENA-Region, 92 Rügefrist, verpasste, 732
US-amerikanisches, 61
common law-System, 63
Rechtsteam, Zusammenstellung, 198 S
Rechtsverhältnis, 305 Sachverhaltskonflikt, 461
Rechtswahl, 710 Sanktionssystem, 140
Red flags, 352 Säuberung, 612
Redirect examination, 89 Schadenersatzforderung, 18
Reduktion, 398 Schaden, indirekter, 96
Redundanz, 290 Schadensersatzanspruch, 710
Reflexionsfrist, 133 Schadensfall, 12
Regulationseinheit, 6 Schiedsgericht, 725
Regulatory compliance, 800 Schiedsgerichtsbarkeit, 718
Regulierung, 30 Kosten, 723
Bedeutung, 31 Schiedsgerichtsverfahren, 724
Beschleunigung, 35 China, 82
Monitoring, 34 MENA-Region, 105
Regulierungsbehörde, 36 Schiedsinstitut, 106
Regulierungsdichte, 30 Schiedsinstitution, 83
Reporting, 747 Schiedsklausel, 723
Repräsentationssystem, menschliches, 414, Schiedsordnung, 722
425 Schiedsorganisation in China, 83
Ressourcen, 460, 547 Schiedsort, 720
Optimierung, 617 Schiedssprache, 720
Ressourcenbindung, betriebsinterne, kon- Schiedsspruch, 83, 725
fliktbedingte, 458 ausländischer, 107
Revision, interne, 777 Schiedsurteil, 726
Reziprozität, 83 Anerkennung, 107
riba-Verbot, 95 MENA-Region, 107
Richter, 58 Weiterzug, 726
chinesischer, 81 Schneeballsystem, 318
Richtlinienkompetenz Schnittstellen- & Leistungsabreden, 210
dezentralisierte, 206 Gestaltung, 215
zentralisierte, 206 inhaltliche Dimension, 212
Richtlinie Recht, 208 Leistungsverrechnung, 213
Risikoanalyse, 659, 730 Managementeinbindung, 218
Abhängigkeit von Optionen, 671 Management-Sicht, 213
operativer Aktivitäten, 659 Strategieumsetzung, 211
Risikoanalysesystem, 658 Voraussetzungen, 216
Risiko-Ausschuss, 765 Vorteile, 213
Risikomanagement, 686 Workshops, 217
fehlendes, 738 Schnittstellenmanagement, 203
Risikoplanung Gestaltungsschwerpunkte, 205, 206
finanzielle, 656 Konflikteskalation, 209
operative, 656 Workshops, 217
Risikovorsorge, unternehmensweite, 657 Zuständigkeitskonflikte, 207
Schutzniveau, 657 Schnupperevent, 170
Stichwortverzeichnis 827

Schulung (s. auch Seminar), 729, 731 Sozialmaßnahmen, 170


Compliance-spezifische, 784 Sozialverantwortung, 796
interne, 733 Spannungssituation, 199
Vorbehalte der Teilnehmer, 740 Special Purpose Vehicle, 99
Ziele, 735 Spieltheorie, 395
Schutzfunktion, staatliche, 21 Spin doctor, 288
Schwellenwerte im öffentlichen Beschaffungs- Spitzenleistung, 364
recht, 308 Sponsor, 98
Secondment, 253, 578 Sprache, 165, 290
Selbstdisziplin, 612 chinesische, 79
Selbstevaluation, 361 suggestives Potential, 447
Selbstkontrahierungsverbot, 267 Staat, Schutzfunktion, 21
Selbstkontrolle, 429 Staatsprüfung, juristische, 264
Selbstreflexivität, 403 Stab-Linien-System, 526
Selbstwertgefühl, 464 Standardisierung, 612, 621
Selektion, 612 Standard operating procedure, 556
Self Management, 324, 325, 329 Standardverträge, 621
Entwicklungsprogramm, 343 State government, 63
negatives, 331 Statistical Activity Cost Analysis, 659
positives, 331, 341 Stellvertreter, gewillkürter, Vertretungsmacht-
Self Marketing, 487 prüfung, 268
Seminar (s. auch Schulung), 729, 731 Stellvertretung
externes, 735 gewillkürte, 267
Interaktivität, 742 Regelungen, 142
internes, 735 Steuerberater, US-amerikanischer, 63
Konflikt, 738 Stimmrechte, 100
Methodik, 736 Stimmungssteuerung, 451
Planung, 735 Störfall, 12, 17
Methodik, 741 als Chance, 730
Praxisbezug, 737 Mitarbeiterschulung, 729
Teilnehmerkreis, 741 Schutz, 656
Verbandsarbeit, 732 Wahrscheinlichkeit, 665
Verbindung mit Selbsterfahrung, 736 Strafrecht, MENA-Region, 105
Senior executives, 481, 483 Strafschadensersatz, 65, 66
Senior Legal Counsel, 537, 538 Strafverfolgungsbehörde, 315
Senior Partner, 239 Strategieanalyse, 388
Services Analytics, 151 Strategieperformance-Messgröße, 403
Sicherheitsstandards, 65 Strategieperformance-Messung, 401
Sinnstiftung, 126 Kontrolldimension, 401
Skeptizismus, 351 Prüfindikatoren, 402
SMARTIES, 396, 541 Strategieplanung, 397
Social AccountAbility 8000, 803 Strategieumsetzung, 400
Social compliance, 796, 799 Rechtsfunktionseinfluss, 558
CSR-soft law, 804 Streitbeilegung, 724
Social Compliance Risk Assessment, 805 MENA-Region, 85, 105
Social Compliance Risk Management, 805 Strukturbegriff
Socially Responsible Investment, 784 funktionaler, 497
Social Responsibility, 407 institutioneller, 497
Socio-Dynamics, 346 instrumenteller, 497
Solid reporting line, 534 Strukturkonflikt, 461
Soll-Zielerstellung, 396 Struktursystem-Gliederung, 524
Sortierung, 612 Matrix-System, 527
828 Stichwortverzeichnis

Mehrlinien-System, 525 Teamwork, mangelnder Enthusiasmus, 351


Stab-Linien-System, 526 Tensor-System, 527
System, 524 Terminmanagement, 615
Tensor-System, 527 Territoriumsverletzung, 460
Zentralbereichssystem, 526 Teststrategie
Studium, juristisches, 37 negative, 420
Stundenglasorganisation, 536 positive, 420
Submissionsrecht, 307 Themenführerschaft, 298
Submissionsverfahren, Behördenkontakt, 309 Time Management, 142, 640
Submissionsverordnung, 308 Optimierung, 154
Substanzwert, 558 Titel, akademischer, 167
Supply chain integrity, 795 Tochtergesellschaft, ausländische, 597
Swiss Code of Best Practice, 765 Traktandenliste, 760
Swiss Code of Best Practice for Corporate Transaction Management, 651, 697
Governance, 765 Berater, externer, 701
Swiss Rules of International Arbitration, 718 Beraterauswahl, 700
SWOT-Analyse, 391 Compliance-Maßnahmen, 705
globale, 395 Fristenvereinbarung, 709
Symbolik, 164 Gerichtsstand, 710
System Gewährleistung, 709
effektives, 375 Rechtsfunktion, 698
Komplexität, 372 Rechtswahl, 710
Struktur, 374 Vertragsverhandlungen, 711
Systemlieferant, 482 Kontrollfragen, 712
Transaktion, 697
registrierungspflichtige, in China, 79
T Transfer Pricing, 99
Tagesstruktur, 614 Transparency International, 310
Task-Force-System, 530 Transparenz, 298
Täuschung, 428 Treu und Glauben, 45
Schutz, 430 Trusted business advisors, 63
Team building, 160, 339
Team Leader, 349
Hauptaufgaben, 353 U
Team Management, 324, 325, 349 Überlastung, 643
Team Meeting, 170 Überproduktion, 610
Team Player, 475, 483, 690 Übersetzungsbüro, chinesisches, staatlich
Team Spirit, 141 anerkanntes, 82
Team Work Plan Principles, 142 UK Bribery Act, 776
Team-Coaching, externes, 369 Umfeld-Analytik, 388
Team-Dynamics, 366 Umgangsregeln, 141
Team-Energetics, 365 Umgangston, 167
Teamentwicklungsmöglichkeiten, 368 Umsetzungsevaluation, 152
Teamentwicklungsplan Umsetzungskontrolle, 401
definitiver, 367 Umweltsphären, 390
provisorischer, 366 Umweltsphären-Analytik, 388
Teamentwicklungsprogramm, 363, 366 Umweltsphären-Einflüsse, 178, 515
Teamerfolg, 364 Umweltsphären-Monitoring, 392
Teamevent, 170 Umweltveränderung, 460
Teamgedächtnis, 167 UN Global Compact, 801
Team-Hypostatics, 366 Unfallkosten, 669
Teammitglieder, juristische, 349 UN-Menschenrechtscharta, 804
Teamorganisation, 536 Unternehmen
Team-Semantics, 365 Abschlussgestaltung, 570
Stichwortverzeichnis 829

Fachwissen, 473 Erfahrungsaustausch, 282


Finanzierung, 20 Information der Mitgliedsunternehmen,
Missstände, 738 280
mittelständiges, kleines s. KMU Leistungsangebot, 278
technisch orientiertes, rechtliche Schulun- Organisation, 277
gen, 739 Seminare, 735
Verhältnis zu Behörden, 304 strategische Positionierung, 283
Ziele, 572 Wahlkriterien, 284
Unternehmensethik, 796 Verbandsarbeit, 732
Unternehmensführung, 144, 479 politische, 281
Erwartungen an die Rechtsabteilung, 198 Verbandsportfolio, 284
mangelhafte, 738 Vereinbarung, 454
Unternehmensjurist s. Legal Counsel Vereinigung, berufsbezogene, 476
Unternehmenskauf, Compliance-Integration, Verfahrensrecht, 307
788 Verfassungsänderung, 36
Unternehmenskommunikation, 288 Vergaberegister, 308
Unternehmenskultur, 631, 775 Vergütungsbericht, 406
Unternehmensorganisation Verhalten
General-Counsel-Einbindung, 555 integres, 775
Legal Counsel-Einbindung, 555 Konfliktbeeinflussung, 465
Rechtsfunktionseinbindung, 556 konfliktverschärfendes, 466
Unternehmenspublizität, 292 Verhaltenskodex für Mitarbeiter, 186, 799
Unternehmensstrategie Verhältnismäßigkeitsprinzip, 45
Anforderungsprofil des Legal Counsel, 580 Verhandeln
Compliance-Integration, 790 prospektives, 436
Mitentwicklung, 476 sachbezogenes, 466
Unternehmensverantwortung, 797 Verhandlung, 434
Unternehmenswert Abschluss, 454
Einflussfaktoren, 559 Aufbau, 435
Messung, 558 Aufmerksamkeit lenken, 447
Unternehmer, 483 Begrüßungsphase, 442
Unternehmung Beschreibungsebenen, 440
ausländische, 598 Diplomatie, 452
Unterstützungsprozess, 32, 34 Direktheit, 452
Unterschriftsbeglaubigung, 273 externe, 435
private Akte, 274 Flexibilität, 448
Urkunde, öffentliche, 260 Fragetechnik, 445
Errichtung, 261 Initiative, 448
Rechtswirkung, 263 Interessen, 440
Rekognition, 261 interne, 435
US Federal Sentencing Guidelines, 776, 782 Intuition, 438
USA, Geschäftsverkehr, 61 Kontextabhängigkeit, 442
Kooperationsbereitschaft, 448
kulturelle Prägung, 453
V retrospektive, 436
Value Chain Analytics, 151 Rückbezüglichkeit, 436
Venture Capital Gesellschaft, 20 Vorbereitung, 438
Verallgemeinerung, 415 unzureichende, 440
Verband, 183, 277, 489 Verhandlungsfehler, 437, 439
Ansprechpartner, 278 Verhandlungskommunikation,
Auslandstätigkeit eines professionelle, 451
Mitgliedsunternehmens, 283 Verhandlungskontext, asiatischer, 452
Ausrichtung, 278 Verhandlungsratgeber, 442
Beratungsleistung, 279 Verhandlungsstrategie, 441
830 Stichwortverzeichnis

Verhandlungstaktik, 441 kantonale, 42


Verhandlungstechnik, 326, 443 kommunale, 42
Vernetzung, interne, 293 öffentliche, 183, 602
Verschwendung, 610 Entscheidungswege, 44
Versicherung, 67 juristische Führungsperson, 51
Vertrag Kompetenz der Mitarbeiter, 50
Analyse, 565 Korruptionsprävention, 310
Archivierung, 746 Öffentlichkeitsprinzip, 49
automatisierte Ablage, 749 parlamentarische Aufsicht, 46
automatisierte Wiedervorlage, 748 personalrechtliche Prozesse, 51
Digitalisierung, 746 rechtliche Beratung, 47
Indexierung, 563 rechtliche Unterstützung, 43
logische Kopien, 756 Rechtsabteilung, 41, 42, 44, 47
Papierform, 746, 757 Schlüsselrolle im politischen Prozess,
Referenzierung, 756 56
standardisierter, 88 Service Public-Aspekt, 56
Zuständigkeit, 755 Zuständigkeit, 53
Vertragsablagesystem, Zentralisierung, 566 Verwaltungsjurist, 58
Vertragsdokument, chinesisches, 79 Verwaltungsrat, 185, 408
Vertragsgestaltung, arabische Welt, 87 Erwartungen an den General Counsel, 187
Vertragshändlerrecht, 101 Information über Rechtsstreitigkeiten, 191
Vertragsinhalt, transaktionsrelevanter, 699 Interessenkonflikt mit der Geschäftslei-
Vertragsmanagement s. auch Dokumen- tung, 192
ten-Management, 197, 616, 745 Präsident, 189, 191
abzulegende Dokumente, 750 Schutz vor Haftungsrisiken, 187
Anforderungen, 748 Sitzungsablauf, 188
Hemmnisse, 756 Verwaltungsratssekretär, 193, 510
Mobilität, 757 Verwaltungsrecht, 46
Module, 750 Verwaltungsrechtsdienst, 27
Unternehmensgröße, 751 Verwaltungstätigkeit, 46
Verknüpfungen, 749 Verwaltungsverfahrensgesetz, 304
Vorteile, 756 Verwendung öffentlicher Mittel, 308
Vertragsmanagementsystem, 745 Verzerrung, 415
Dokumenten-Management-System-ge- Viable System Model, 375, 376, 378
stütztes, 746 Virtually perfect self, 329
effektives, 747 Vision, 125, 387
Vertragsmuster, 699 finale, 130
Vertragsrecht, 686 Implementierung, 133
US-amerikanisches, 64 Visionsanalyse, 127
Vertragsrisiken, 568 Visualisierung, sprachsymbolische, 424
Vertragsverhandlungen, 711 Volkswirtschaft, 592
Streiterledigung, 724 Vollmacht, 269
Vertragswerkausgestaltung, 439 notarielle Beglaubigung, 269
Vertrauensbildung, 289, 427 Vollmachtsvorlage, 272
Vertrauensmangel, 351, 471 Vollzugsverordnung zum Personalgesetz, 312
Vertrauenswürdigkeit, 57 Vorgesetzte, 293
Vertreter juristischer Personen, 270 politische, 48
Vertretungsbefugnis, 266
Vertretungsmacht, 270
Vertriebsmittler, Compliance-Training, 782 W
Verwaltung, 36, 41, 304 Wahlamt, Betriebsrat, 221
Anforderungen an Juristen, 50 Wahrheiten, 298
ausgelagerte Abteilung, 44 Wahrnehmung, 413, 414
Gesetzmäßigkeitsprinzip, 303 individuelle Unterschiede, 460
Stichwortverzeichnis 831

öffentliche, 298 Dokumentation, 624


Wahrnehmungsfilter, 415 Dynamik, 635
Wahrnehmungsorientierung, 290 internes, Weitergabe, 298
Wahrnehmungsproblem, 418 prozedurales, 623
Walk of Shame, 297 Wissensdatenbank, 619
Warmherzigkeit, 427 Wissenskommunikation, 624, 632
Weiterbildung, 592, 593, 741 Wissenskultur, 631
juristische, 591 Wissensmanagement, 619, 622
Weiterbildungsbedarf, 734 Dilemma, 630
Weiterbildungsseminar, 169 funktionierendes, 634
Wertekonflikt, 461 gesetzliche Motivation, 622
Wertketten-Entwicklung, 470 interdisziplinärer Nutzen, 620
Wertschöpfung, 610 Paradoxien, 630
Wertschöpfungserbringung, 181, 394 Psychologie, 629
Wertschöpfungsinventar, 181, 393 Wissensquellen, juristische, 626
Wertschöpfungsmanagement, 180 Workshops, 217
Wertschöpfungsunterstützung, 181, 393 Wortprotokoll, 771
Wertvorstellungen, 124
what-if-Analyse, 669
Whistle blower, 792 Z
Whistle blower portal, 790 Zahlungsmodalitäten, 707
Whistleblowing, 296 Zeitdruck, 639
Willkürverbot, 45 Zeitmanagement, 475
Wirklichkeitsauffassung, 288 Zentralbereichssystem, 526
Wirksamkeitskontrolle, 402 Zeremonie, 171
Wirtschaft-Recht-Wechselspiel, 35 Zielkonflikt, 461
Wirtschaftsanwaltssozietät, 238 Zielsetzung, eigene, 344
Wirtschaftsentwicklung, 35 Zinsen, MENA-Region, 95
Wirtschaftsjurist, 59 Zivilprozess, chinesischer, 81
Wirtschaftskriminalität, 317 Zivilrecht
Wirtschaftsverband, 278 chinesisches, 73
Wissen, 623 MENA-Region, 92
abrufbares, 620 Zusammenarbeit, Optimierung, 210
analytisches, 623 Zusatzsprache, 166
deklaratives, 623 Zuständigkeitskonflikt, 209

Das könnte Ihnen auch gefallen