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Falta
Christian Dueblin
Herausgeber
Praxishandbuch
Legal Operations
Management
Praxishandbuch Legal Operations
Management
Roman P. Falta · Christian Dueblin
(Hrsg.)
Praxishandbuch Legal
Operations Management
Herausgeber
Roman P. Falta Christian Dueblin
Professional Services Management Professional Services Management
QUADRAGON MANAGEMENT LLC QUADRAGON MANAGEMENT LLC
Zürich, Schweiz Basel, Schweiz
Ein Buchprojekt wie das vorliegende anzugehen, ist eine Herausforderung, die
wir als Herausgeber gerne angenommen haben. Mit der Herausgabe dieses Wer-
kes ist eine mehrjährige Arbeit abgeschlossen, die sehr intensiv, aber auch enorm
interessant und lehrreich war. Ich möchte mich deshalb an dieser Stelle bei
Roman P. Falta für seine Initiative, dieses Projekt in Angriff zu nehmen, bedan-
ken. Er hat mit seinem profunden beruflichen Wissen als versierter Jurist und
Unternehmensberater zum Thema Legal Operations Management wesentlich zum
Gelingen dieses Buchprojektes beigetragen.
Das Buchprojekt war zudem nur möglich, weil viele Fachexperten rund um
Legal Operations Management und dessen Schnittstellen dafür zu begeistern
waren. Die Zusammenarbeit mit den am Buch beteiligten Personen war in ver-
schiedener Hinsicht sehr bereichernd. Mein Dank gilt deshalb insbesondere auch
den vielen Autorinnen und Autoren, die sich bereit erklärt haben, ihre persönlichen
Erfahrungen in das Buch einzubringen, sowie den Interviewpartnern, die sich die
Zeit genommen haben, Fragen zum Thema Legal Operations Management kritisch
zu beantworten.
Mein Dank gilt auch Prof. Dr. Heinz Riesenhuber, der in seinem Vorwort auf
wichtige Zusammenhänge rund um das Thema Recht hinweist. Sein Erfahrungs-
schatz, nicht nur als Politiker, sondern auch als Aufsichtsrat, Wissenschaftler und
international unternehmerisch denkende Persönlichkeit, ist sehr wertvoll. Sein
Vorwort ist ein Appell an die Mitarbeitenden von Rechtsabteilungen, vernetzt
zu denken. Gerade der General Counsel muss sich nicht nur mit rechtlichen Fra-
gen, sondern auch mit wirtschaftlichen Zusammenhängen auseinandersetzen, um
zusammen mit seinen Mitarbeitenden für das Unternehmen bestmögliche Resul-
tate erzielen zu können.
Ferner möchte ich mich bei Dr. Hans Bollmann bedanken, Autor des Buches
„Es kommt drauf an!“ und profunder Kenner des anwaltlichen Berufsstandes. Ich
habe ihn als Sparring Partner erlebt, der wichtige Inputs geben konnte.
Mein persönlicher Dank gilt auch dem 2012 verstorbenen Robert A. Jeker, der
diesem Buch gegenüber von Anfang an sehr positiv eingestellt war. Er war mir
großer Motivator, dieses Projekt anzugehen.
Dank gebührt schließlich auch Lisbeth Schellenberg, die sich freundlicherweise
bereit erklärt hat, das Buch zu korrigieren. Als Juristin war sie dazu geradezu prä-
destiniert.
V
VI Vorwort 1: Christian Dueblin
Zum Schluss möchte ich allen weiteren Personen danken, die offiziell und
inoffiziell zu diesem Buch beigetragen haben, ganz besonders auch meiner Frau,
Aglaja Dueblin, die das Projekt mit großer Aufmerksamkeit und steter Hilfsbereit-
schaft als kritische Gesprächspartnerin begleitet hat.
Mit den Beiträgen der Autorinnen und Autoren, den Aussagen der Interview
partner sowie mit unseren eigenen Beiträgen rund um das Thema Legal Opera-
tions Management beleuchten wir einige für Rechtsabteilungen relevante Themen
und zeigen Schnittstellen zu andern Bereichen auf.
Christian Dueblin
Herausgeber
Vorwort 2: Prof. Dr. Heinz Riesenhuber MdB
VII
VIII Vorwort 2: Prof. Dr. Heinz Riesenhuber MdB
Verträge können sehr umfangreich sein, denn sie schließen oft kunstvoll
die denkbaren Eventualitäten aus oder ein, weil sie in sich stehen müs-
sen. Ein fruchtbares Feld für Anwälte und ihre Unternehmen. In Amerika
haben die Anwälte einen gewaltigen Wirtschaftssektor aufgebaut.
4. Schon die Festschreibung des Willens der Vertragspartner kann von herausfor-
dernder Komplexität sein. Eingefügt muss er werden in die Rahmenbedingun-
gen, die der Staat setzt, aus durchaus unterschiedlichen Gründen:
– Gesetze schützen das gemeinsame Gut Umwelt vor der Ausbeutung. Das alte
Problem der Allmende hat sich zu sehr hoher Komplexität entwickelt.
– Das Steuerrecht etwa sichert die Finanzierung des Staates, und es wird umso
komplizierter, je listiger tüchtige Juristen nach Lücken forschen.
– Gesetze bestimmen die Unternehmensverfassung, die Transparenz der Bilan-
zen, die sozialen Standards, die Bedingungen der Tarifpartnerschaft und vie-
les mehr.
5. Dies alles überschaut der General Counsel, und an der Grenze des J ustiziablen
hat er im Blick, was den guten Namen des Unternehmens ausmacht: Die Cor-
porate Social Responsibility, die Chancen für Frauen, für Minderheiten, für
Behinderte, die Corporate Governance und die entsprechende Compliance.
Dies alles zu begreifen, und im Sinne seines Unternehmens zu handeln,
das ist die Herausforderung an den General Counsel und andere Fachspezi-
alisten. Dazu gehört ein tiefes Verständnis für das Geschäftsmodell seines
Unternehmens, für die Firmenkultur und die Arbeitskultur, die er mitzuent-
wickeln hat.
6. Das vorliegende Buch zeigt in vielfältigen Facetten die Herausforderung,
– dass der Legal Counsel den Raum der unternehmerischen Entscheidung weit
offen hält, das ist ebenso essenziell wie seine Härte, wenn Grenzen über-
schritten werden könnten.
– In besonderer Weise ist er der Hüter des guten Namens des Unternehmens.
Der gute Name: Das ist wirtschaftlicher Erfolg. Aber das ist auch der Friede
mit den Mitarbeitenden und mit den Aktionären. Das ist die Vermeidung von
Streit. Aber wenn er streitet, dann muss der General Counsel gewinnen. Er
ist Partner des Unternehmens bei einem großen Ziel: Dass das Unternehmen
geachtet wird als good corporate citizen, soweit sein Name reicht.
7. Schließlich ist in unserer Rechtskultur der General Counsel Partner für die, die
das Recht weiterentwickeln. Die Parlamente bedürfen der Rückkoppelung in
die Wirklichkeit der Wirtschaft, wenn sie eine angemessene gesetzliche Gegen-
welt entwickeln wollen. Dabei vertritt das Unternehmen seine Interessen, und
anderes erwartet auch niemand. Aber entscheidend ist, das Ganze im Blick zu
behalten – entscheidend für die sinnvolle Weiterentwicklung des Rechts, aber
ebenso entscheidend für die Relevanz und den Erfolg vernünftiger Lobbyarbeit.
Das Ganze im Blick zu behalten, fair und vernünftig zu argumentie-
ren, das ist die Voraussetzung für eine Weiterentwicklung des Rechts unter
den Bedingungen immer neuer technischer, sozialer und wirtschaftlicher
Herausforderungen – ohne dass die Gesetze undurchschaubar werden dürfen
Vorwort 2: Prof. Dr. Heinz Riesenhuber MdB IX
XI
XII Vorwort 3: Dr. Peter Kurer
Einen gleichen Trend kann man zunehmend auch für die General Counsels mittel-
großer Unternehmen beobachten und ebenso für die obersten Verantwortlichen im
Compliancebereich.
Ein weiteres Zeichen für die dargestellte Entwicklung ist die Tatsache, dass die
Unternehmen mehr und mehr Geld für die internen Rechtsabteilungen und externe
Beratung ausgeben müssen. Dies ist zwischenzeitlich ein großes Problem gewor-
den, und die Unternehmensführer betreiben immer mehr ein scharfes Kosten-
management in diesem Bereich und verlangen „Mehr für Weniger“. Zunehmend
werden zu diesem Zweck neue Technologien wie vollständige Digitalisierung von
Beratungs- und Complianceprozessen, Big Data oder automatische Dokumenten-
bearbeitung eingesetzt. Verhaltenssteuerungen, die sich aus den Erkenntnissen der
Behavioral Economics und der Sozialpsychologie ableiten, kommen zum Einsatz,
um das Verhalten der Mitarbeiter in Richtung einer besseren Compliance zu beein-
flussen. Die Bearbeitung der rechtlichen Risiken wird in konvergenten Prozessen
in das gesamte Management der unternehmerischen Risiken eingebettet und ent-
sprechend gesteuert.
An der Bearbeitung von rechtlichen Risiken sind nun plötzlich nicht nur Juris-
ten beteiligt, sondern viele andere Experten wie Risikomanager, interne Reviso-
ren, forensische Analytiker, Projektmanager und Kommunikationsberater. Im Zuge
dieser Entwicklung verschiebt sich der Schwerpunkt der rechtlichen Tätigkeit für
Unternehmen zunehmend von den externen Anwälten zu internen Rechtsabteilun-
gen und Compliancefunktionen. Die Leiter dieser internen Abteilungen verstehen
sich nicht mehr als bloße Berater, sondern als Manager, die im Team und inter-
disziplinär mit anderen Managern zusammenarbeiten. Ihre Expertise besteht nicht
nur in traditionellen juristischen Fähigkeiten, sondern muss zwangsläufig vertiefte
Kenntnisse in Managementtechniken, Führung, Technologien und Verhaltenssteu-
erung umfassen.
Das vorliegende Buch wendet sich an diese modern ausgerichteten Manager
und Managerinnen von Rechtsfunktionen, die ihrer Aufgabe und den ständig stei-
genden Anforderungen genügen und sich entsprechend weiterbilden wollen. Es
behandelt aus verschiedenen Perspektiven die entsprechenden Strategien, Werk-
zeuge, Prozesse und Techniken. Es liefert einen zentralen Beitrag zum besseren
Management von rechtlichen Problemstellungen.
Gleich mehrere Vorworte zum gleichen Text im gleichen Kompendium, das mag
auf den ersten Blick etwas außergewöhnlich erscheinen. Auf den zweiten Blick ist
es immer noch außergewöhnlich, aber einleuchtend, denn, wie die Herausgeber
schreiben, richtet sich das vorliegende Werk an eine sehr vielseitige Leserschaft:
nicht nur an Legal und General Counsels, sondern auch an Aufsichtsräte, CEOs,
CFOs und weitere Führungskräfte von KMU, Großunternehmen und multinationa-
ler Konzerne sowie an Behörden. Dabei stapeln die Herausgeber noch tief, was an
sich sympathisch ist, sie lassen eine weitere Berufsgattung fast außen vor, welcher
das vorliegende Werk mindestens auszugsweise sehr zu empfehlen, wenn nicht gar
als Pflichtlektüre vorzuschreiben wäre. Gemeint sind die Anwälte – von denen der
hier Schreibende einer ist –, genauer diejenigen Anwälte, die mit Rechtsabteilun-
gen zu tun haben (und welche Anwälte haben das nicht oder möchten es nicht?).
Wieso sollten diese Anwälte das vorliegende Kompendium auch lesen, mindes-
tens auszugsweise?
Weil es zum kleinen ABC des Anwalts gehört, das Bedürfnis seines Klienten
genau zu kennen und das heißt zu analysieren. Know your Client (KYC) ist die
Devise und das bezieht sich nicht nur auf die unmittelbaren Bedürfnisse des Kli-
enten, sondern insbesondere beim „corporate client“ auch auf dessen Geschäft und
dessen Organisation, somit auch auf die Organisation und das Funktionieren seiner
Rechtsabteilung, deren Eingliederung in die Governance Struktur und die Schnitt-
stelle mit dem Outside Counsel. Womit wir mitten im Legal Operations Manage-
ment sind.
Es kann noch einen weiteren Grund geben, weshalb das vorliegende Werk für
Outside Counsels, sprich Anwälte, Pflichtlektüre sein kann: Der Fall nämlich, in
dem wir, und das heißt sinnvollerweise meist unsere ganze Kanzlei, die gar nicht
so seltene und zudem sehr schöne Aufgabe einer, horribile dictu, „outgesourcten“
Rechtsabteilung übertragen erhält. Von einem Klienten, der selber keine solche
interne Rechtsabteilung unterhalten kann oder will. Dann erst recht respektive spä-
testens dann müssen wir als Anwälte uns Gedanken machen, ähnlich denjenigen
eines General Counsel, wie die „outgesourcte“ Rechtsabteilung zu organisieren ist,
damit sie die Bedürfnisse des „corporate client“ effizient und zweckmäßig erfüllen
kann. Das aber sind Probleme, zu denen das vorliegende Werk mehr als nur einige
Anregungen enthält.
XIII
XIV Vorwort 4: Dr. Hans Bollmann
Vielleicht gibt es noch einen dritten Grund, weshalb Anwälte das vorliegende
Werk mit Gewinn lesen, sofern es denn der Nennung noch eines weiteren Grun-
des bedarf: Die Anwaltskanzleien im DACH-Raum haben in den letzten 20 Jahren
in Sachen Organisation und Management nolens volens eine wesentliche Wand-
lung durchgemacht. Auch und gerade bei Anwälten gilt eben der Gemeinplatz,
wonach die eigene persönliche Freiheit an der persönlichen Freiheit des Nachbarn,
auch Büronachbarn, seine Grenze findet und dass diese Grenze enger gezogen
wird, je mehr „Nachbarn“ einen umgeben. Mit anderen Worten: Wie groß auch
immer der Unabhängigkeitswille der einzelnen Anwälte und Partner ist und je grö-
ßer die Kanzleigemeinschaft wird, desto mehr organisatorische Beschränkungen
werden nötig. In den letzten 20 Jahren sind auch im DACH-Raum die Kanzlei-
größen weiter angewachsen, mit entsprechenden organisatorischen „Freiheitsbe-
schränkungen“. Dabei haben wir im DACH-Raum nur (wenn auch in kleinerem
Ausmaß) nachvollzogen, was man im angelsächsischen Raum schon länger beob-
achten konnte. Viele von uns wollten aber die Angelsachsen gar nicht so genau
beobachten, weil sie das, was sie sahen, für sich nicht für erstrebenswert hielten.
Auch heute noch sträuben sich viele Anwaltskanzleien gegen die Einführung
einer klarer definierten Organisation mit der Delegation von Kompetenzen an ein
Management. Sie führen eine Art Verzögerungskampf dagegen in dem Sinne, als
nur gerade so viel Delegation gestattet wird als unbedingt nötig zur Vermeidung
eines Chaos ist. Unter günstigen Umständen, sprich bei wenig Konkurrenz, kann
dieser Kampf durchaus auch noch länger geführt werden. Er genießt vermutlich
auch mindestens einen geheimen Teil unserer Sympathien. Ansonsten aber hat von
Wien über Zürich bis Bremen im DACH-Raum die Erkenntnis Einzug gehalten,
dass Legal Operations Management auch in der Anwaltskanzlei nicht nur ein not-
wendiges Übel, sondern – und das ist die eigentliche Erkenntnis – ein wesentlicher
Erfolgsfaktor geworden ist, ceteris paribus.
Die neue Erkenntnis ist insofern eine Wandlung, als wir Anwälte uns vor-
her doch als eine ganz besondere Spezies angeschaut haben, außerhalb des rein
Geschäftlichen. In Sachen geschäftliche Organisation und Management gab es
nach alter Überzeugung nicht so viel zu lernen. Eine besondere Spezies sind wir
immer noch und dürfen und sollen es auch sein (nebst anderen Spezies, die es
zugegebenermaßen auch noch gibt). Aber die gewandelte Spezies Anwalt erkennt
heute, dass eine Anwaltskanzlei doch mehr ein Unternehmen als ein Social Club
ist und dass – anders als man noch vor 20 Jahren glaubte – die besser geführte
Kanzlei mehr Erfolgschancen hat, ungeachtet der Eigenheiten einer Anwalts-
kanzlei. Zu diesen Eigenheiten zählen unter anderem die Eigentümerstellung der
Partner und damit einhergehend der mangelnde Druck von Aktionären auf das
Management, die Egalité, das heißt die grundsätzliche Gleichberechtigung der
Partner, bei gleichzeitiger starker Betonung der individuellen Freiheit, vielfach auf
dem Hintergrund einer Geschichte ähnlich derjenigen eines (Herren-)Clubs, mit
wehmütigen Erinnerungen an eine Clubatmosphäre fernab geschäftlicher Zwänge,
mit einer wenig effizienzfördernden „hourly-billing“-Kultur.
Für beide, Inhouse und Outside Counsel, ist es gewiss hilfreich, sich über die
jeweils andere Verantwortung und Tätigkeit ein paar Gedanken zu machen, im
Vorwort 4: Dr. Hans Bollmann XV
und zwar nicht nur im eigentlichen anwaltlichen Arbeitsgebiet. Wer Fehler macht,
verstößt gegen diesen Grundsatz. Im Minimum wollen die Anwälte die Risiken defi-
nieren und eingrenzen, um dann den Entscheid darüber, das heißt über das Einge-
hen oder Nichteingehen, dem Klienten zu überlassen. Das ist auch richtig so, denn
das wird von ihnen erwartet. Anwälte werden nicht bezahlt für die Risikoübernahme.
Anwälte sind zudem im Wesentlichen Stabsleute. Sie sind es weder gewohnt, selber
weitreichende Entscheidungen zu treffen, noch tun sie es gern (was sie wiederum
allerdings nicht gern zugeben).
Die eben gemachte Beschreibung der Anwälte und ihrer Einstellung zum
Risiko trifft aus Sicht mancher Geschäftsleitung mutatis mutandis auch für
Inhouse Counsels zu. Auch deren Aufgabe ist es, Risiken zu definieren und auf-
zuzeigen. Mit anderen Worten: Wie beim Thema „Unabhängigkeit“ ist auch die
Einstellung zum Risiko letztlich bei Inhouse und Outside Counsels nicht ganz so
verschieden. Wir haben sehr ähnliche Aufgaben und jeweils eine sehr ähnliche
oder gleiche Ausbildung und somit „natürliche Auslese“ hinter uns. Der Unter-
schied zwischen Inhouse und Outside Counsel wäre deshalb gar nicht so groß,
wenn nicht doch noch ein entscheidender Unterschied dazu käme: Der Inhouse
Counsel erteilt den Auftrag, der Outside Counsel empfängt ihn und führt ihn aus.
Daraus ergeben sich bei allen Gemeinsamkeiten doch fundamentale Unterschiede
bei den Verantwortlichkeiten.
Als außenstehender Anwalt werde ich durch den Inhouse Counsel teilweise
entlastet bei der Problemanalyse; der Inhouse Counsel hat diese vielfach schon
gemacht respektive war an dieser Analyse im Rahmen der Geschäftsleitung mit-
beteiligt. Verschiedene Akteure (wie zum Beispiel Buchhalter oder die Kommuni-
kationsabteilung) haben ihre Aufträge erhalten und der Auftrag an uns, die Outside
Counsels, ist schon einigermaßen klar umrissen und abgegrenzt. Das erleichtert
uns die Arbeit (kann sie allerdings auch weniger spannend machen). Weil der
Inhouse Counsel Auftraggeber ist, entscheidet er auch, ob er überhaupt einen Auf-
trag erteilen soll, und hierin liegt oft ein Entscheid über das einzugehende Risiko.
Beispiel: Soll die Gesellschaft mit den eigentlich nur terminologisch angepassten
AGB des Konzerns arbeiten oder soll sie eigene landestypische erarbeiten? Letz-
teres wäre ein kostspieliger Auftrag an den Outside Counsel. Lohnt sich der Auf-
wand oder soll das Risiko in Kauf genommen werden, dass in einem zukünftigen
Rechtsstreit sich eine landestypische Besonderheit gegen die Gesellschaft auswir-
ken könnte? Solche Risikoentscheide können nur inhouse getroffen und verant-
wortet werden – im Rahmen des Legal Operations Management.
Vor zwanzig Jahren habe ich begonnen, mich intensiv mit der Frage nach den Hin-
tergründen dauerhafter Spitzenleistung von Einzelpersonen und Teams auseinan-
derzusetzen. Zuerst im Hochleistungssport und in militärischen Elite-Einheiten, in
der Folge immer mehr auch im „zivilen“ Umfeld. Dabei standen für mich Fragen
im Vordergrund, wie: Weshalb gelingt einigen Individuen und Teams – zumindest
von außen betrachtet – fast alles, während andere, egal wie sie sich abmühen, nicht
weiterzukommen scheinen? Was sind die Bausteine von Leistungsfähigkeit und
Lebenszufriedenheit? Wie ist das Verhältnis zwischen diesen beiden wichtigen und
sinnstiftenden Bausteinen ausgestaltet? Können sie von jedermann erlernt werden?
Vor rund zehn Jahren begann ich mich auf dieser Basis immer mehr auch mit
Fragen der Optimierung von Professional Service Firms – wie Anwaltskanzleien,
Executive Search, Business Consulting etc. – und Professional Services Units –
wie Legal, Compliance, Risk, Audit etc. – von Unternehmen und Behörden aus-
einanderzusetzen. In diesen spielen die vorgenannten Fragen (auf Ebene der
Mitarbeitenden) ebenfalls eine wichtige Rolle. Es treten aber noch weitere Fra-
gen hinzu: Wie können wir das Potenzial, das in unseren Organisationseinheiten
schlummert, innert nützlicher Frist entfalten? Wie schaffen wir es, nicht nur unsere
Ziele zu erreichen, sondern dauerhaft als Hochleistungsteam über uns hinauszu-
wachsen? Welche Stellschrauben existieren, um Spitzenleistung im Professional
Services-Umfeld zu etablieren und langfristig sowie nachhaltig aufrecht zu erhal-
ten?
Im Laufe der Zeit habe ich in der Wissenschaft und Praxis viele interdiszipli-
näre Antworten auf diese Fragen gefunden. Ich musste natürlich ab und zu auch
Rückschläge erleiden, wenn vermeintlich verheißungsvolle Modelle und Theorien
in der Praxis nicht die gewünschten Resultate zeitigten. Mit jeder neuen Erkennt-
nis ist jedoch nicht nur meine Freude an der intensiven Auseinandersetzung mit
der Materie, sondern auch an deren Weitergabe an andere gewachsen. Insbeson-
dere ist mir das Legal Operations Management – wohl auch aufgrund meiner
„juristischen Wurzeln“ und meiner eigenen Tätigkeit als Legal Counsel – als Teil-
bereich der Professional Services Units-Optimierung ans Herz gewachsen und zu
einer regelrechten Passion geworden.
Als Christian Dueblin und ich uns über die Möglichkeiten eines Buchprojek-
tes zum Thema Legal Operations Management austauschten, wurde uns rasch klar,
XVII
XVIII Vorwort 5: Roman P. Falta
dass es sich um ein Themengebiet handelt, das bisher nur von wenigen Fachex-
perten beleuchtet worden war. Es war uns daher ein Anliegen, unsere eigenen
Erfahrungen, aber auch die Erfahrungen weiterer Experten, in ein Praxishand-
buch einfließen zu lassen. Das Buch-Konzept stieß rasch auch bei bedeutenden
Wirtschaftsführern und anderen erfahrenen Experten in Sachen Legal Operations
Management auf Interesse. In der Folge ist aus einer spannenden Projektidee ein
umfangreiches Werk entstanden, an dem insgesamt 36 Autorinnen und Autoren
aus fünf Ländern und sechs Interviewpartner mitgewirkt haben.
Uns war von Anfang an bewusst, dass ein Werk zu einem solch komplexen
Themengebiet, wie es das Legal Operations Management in seiner Gesamtheit
darstellt, nur eine begrenzte Anzahl konkreter Lösungsvorschläge für Einzelpro-
bleme bieten kann. Dafür ist die Vielfalt unterschiedlicher Problemstellungen in
der Praxis zu groß. Dessen eingedenk war unsere Intention als Herausgeber, eine
Inspirationsquelle zu schaffen, die dem Leser Anhaltspunkte und neue Ideen für
die Entwicklung eigener kreativer Lösungen an die Hand geben kann. Die Auto-
rinnen und Autoren wurden daher angehalten, sich durch die Niederschrift per-
sönlicher Erfahrungen – sowie in der Praxis wirklich umsetzbarer Theorien und
Modelle – an den Praktiker zu wenden: Aus der Praxis, für die Praxis. Aus diesem
Grund wurde jeder Autorin/jedem Autor die Freiheit belassen, den Beitragsinhalt
frei nach den persönlichen Vorstellungen und gemäß den eigenen Erfahrungen zu
gestalten. Auch in den diversen Interviews mit besonders erfahrenen Wirtschafts-
führern ging es darum, direkte Erfahrungswerte zum Legal Operations-Umfeld zu
erhalten, welche in jahrzehntelanger Berufserfahrung gesammelt wurden. Daraus
entstand eine äußerst spannende Vielfalt persönlicher Eindrücke.
Der Zugang zu solch praktischen Informationen gestaltet sich oft schwierig. Sie
werden sehr selten in Büchern oder Journals publiziert. Meist bleibt nur der Weg
über eigene try and error-Versuche. Manchmal hat man aber Glück und kommt im
Rahmen persönlicher Gespräche in deren Genuss, wenn sie zum Beispiel von
erfahrenen Seniors – von Aufsichtsräten, Senior Managers, General Counsels – an
jüngere Kollegen weitergegeben werden. Als Herausgeber wollten wir solche
Erfahrungen einem breiteren Publikum zugänglich machen. Wir wünschen Ihnen
daher viele interessante Eindrücke bei der Lektüre dieses Werkes und natürlich
viel Erfolg bei der Weiterentwicklung Ihrer eigenen Legal Operations.1
Schließlich möchte ich mich bei denjenigen Menschen bedanken, die dieses
Buch in der vorliegenden Form überhaupt erst möglich gemacht haben: Mein
Dank gilt in erster Linie meinem Co-Herausgeber, Christian Dueblin, der mit sei-
nem breiten fachlichen Know-how als Jurist und Legal Counsel, seinem sprach-
lichen Gespür und seinen ausgezeichneten Netzwerkfähigkeiten eine echte
condition sine qua non dieses Buchprojekts war; ohne seine Unterstützung, sein
ehrliches Feedback und seinen unermüdlichen Einsatz wären die vielen Arbeiten
rund um das Buchprojekt nicht umsetzbar gewesen. Dann möchte ich mich auch
den wir uns sehr freuen. Senden Sie uns einfach eine E-Mail mit Ihrem Feedback an:
feedback@legaloperationsmanagement.de.
Vorwort 5: Roman P. Falta XIX
nochmals ganz herzlich bei allen Autorinnen und Autoren für die höchst ange-
nehme Zusammenarbeit und die vielen grundlegenden Einblicke ins Legal Ope-
rations Management bedanken, die sie während der Entstehung dieses Werkes mit
uns geteilt haben.
Mein Dank gilt auch dem Team des Springerverlags – Dr. Brigitte Reschke,
Julia Bieler, Manuela Schwietzer, Dipti Dange und Anna Dittrich – die mit ihren
wichtigen Inputs ebenfalls einen entscheidenden Beitrag zum Gelingen dieses
Buchprojekts geleistet haben. Schließlich möchte ich mich auch bei Prof. Dres.
h.c. Rolf Dubs und bei Dr. Peter Kurer bedanken, die unserem Buchprojekt von
Anfang an wohl gesonnen gegenüberstanden und wichtige Inputs eingebracht
haben. Allen ein herzliches Dankeschön!
Roman P. Falta
Herausgeber
Inhaltsverzeichnis
XXI
XXII Inhaltsverzeichnis
Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811
Abkürzungsverzeichnis
Abs. Absatz
Art. Artikel
Aufl. Auflage
ca. circa
CEO Chief Executive Officer
CFO Chief Financial Officer
COO Chief Operating Officer
et al. et alii/et aliae („und andere“)
etc. et cetera
f. folgende
ff. fortfolgende
GC General Councel
GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung
HR Human Resources
Hrsg. Herausgeber
IT Informationstechnik
KMU Kleine und mittlere Unternehmen
lit. litera (Buchstabe)
LOM Legal Operations Management
M&A Mergers and Acquisitions
MBA Master of Business Administration
N Note/n
Q&A Questions and answers
RA Rechtsanwalt/Rechtsanwältin
Rz Randziffer
S. Seite
SAV Schweizerischer Anwaltsverband
SBB Schweizerische Bundesbahnen
vgl. vergleiche
VIP very important person
vs. versus
VSM Viable System Modell
XXV
Teil I
Einführung in das Legal Operations
Management (LOM)
Definition Legal Operations
Management (LOM) 1
Roman P. Falta
1Die Abkürzung „KMU“ steht für „kleine und mittlere Unternehmen“, beschlägt somit den klas-
sischen Mittelstandsbetrieb.
selten wird auch auf jegliche Beratung verzichtet, in der Hoffnung, dass schon
nichts passieren werde.
• In großen lokalen KMU: Aufgrund der benötigten Professionalisierung der
Rechtsfunktion kommt es in diesen zur Anstellung eines ersten, noch recht
generell agierenden Juristen. Je nach Größe und Komplexität des Unterneh-
mens arbeitet er auf Teil- oder Vollzeitbasis. In einem solchen Fall existieren
aber noch keine echten Rechtsabteilungen. Zumal ein „Einzelkämpfer“ von sei-
ner Unternehmensumwelt in der Regel nicht als eigenständige Abteilung wahr-
genommen wird. Vielmehr wird die hauptsächliche Aufgabe dieses ersten Legal
Counsel darin liegen, sich nach und nach optimal in die Unternehmensprozesse
zu integrieren. Mit der Zeit wird er es (vielleicht) schaffen, das Unternehmen
für rechtliche Sachverhalte zu sensibilisieren und schließlich den Mehrwert
einer aktiv besetzten Rechtsfunktion untermauern können.
• In international operierenden KMU und in lokalen Großunternehmen:
Diese verfügen in der Regel bereits über „echte“ Rechtsdienste, in welchen ein
General Counsel ergebnisverantwortlich mehrere ihm unterstellte Juristen und
Paralegals sowie Sekretariatspersonal führt. Allerdings gehört es in bestimmten
Branchen immer noch zum Standard, dass nur ein Legal Counsel die Rechts-
abteilung verkörpert. Dieser arbeitet aufgrund der breiten Aufgabenabdeckung
dann aber oft eng mit outsourced Rechtsanwälten und anderen Fachspezialisten
zusammen, welche ihn nach Bedarf punktuell mit aktuellem rechtlichem, tech-
nischem oder betriebswirtschaftlichem Know-how versorgen.
• In international operierenden Großunternehmen und Konzernen: Diese
bilden schließlich das obere Ende des Spektrums der Rechtsfunktionsausge-
staltung ab. Sie verfügen fast ausschließlich über große und umfassend aus-
gestattete Rechtsorganisationen, mit Dutzenden bis zu Hunderten von hoch
spezialisierten Legal Counsels und Paralegals, welche in der Regel von einem
international erfahrenen General Counsel geführt werden.
1.2 Definitionen
1.3 Grundüberlegungen
2Unter Professional Services Units verstehen wir hoch spezialisierte Gruppen von Mitarbeiten-
den, welche in der Regel sehr individualistisch ausgerichtet sind und als akademische Wissensar-
beiter komplexe Aufgaben für die Gesamtorganisation durchführen. Neben Legal Operations gilt
dies zum Beispiel auch für Teams in den Bereichen Strategic Development, Risk Management,
Controlling, Compliance etc.
6 R.P. Falta
3Weiterführende Informationen, Checklisten etc. finden Sie auf der Website www.quadragon.ch.
1 Definition Legal Operations Management (LOM) 7
4Gestaltungsmaßnahmen können in der Regel durch die Anpassung der täglichen Routinear-
beitsabläufe umgesetzt werden. Die Veränderung des Tagesgeschäfts eignet sich überall dort, wo
keine spezifischen Change-Gefäße eingesetzt werden, welche die Veränderung gegenüber Mitar-
beitenden, internen Schnittstellen und externen Partnern besonders herausstreichen sollen.
5Solche spezifischen Change-Gefäße eignen sich besonders gut für einmalige, nicht-alltägliche
C. Dueblin (*)
Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC, Basel, Schweiz
E-Mail: dueblin@quadragon.ch
Rechtsabteilungen werden vor allem dort aufgebaut und betrieben, wo die unter-
nehmerische Risikolandschaft erhebliche Schadenpotenziale für ein Unternehmen
birgt. Für große Unternehmen stellt eine Rechtsabteilung aufgrund stetig wach-
sender Komplexität von Geschäften, immer mehr Regulatorien und Gesetzen, die
es einzuhalten gilt, einer Vielzahl von oft höchst komplexen Transaktionen, des
Hanges hin zu steter Standardisierung und der vielseitigen grenzüberschreitenden
Tätigkeiten, jeweils verbunden mit den entsprechenden Haftungsrisiken, heute ein
Muss dar. Kaum ein großes Unternehmen verfügt nicht über eine eigene Rechts-
abteilung. Nicht nur das: In der Regel beschäftigt es auch eine ganze Anzahl
weltweit agierender Kanzleien, die der Rechtsabteilung fallweise zudienen, ins-
besondere bei M&A-Transaktionen, Unternehmensgründungen und bei Fragen in
Bezug auf Contract Management. Große Unternehmen setzen für ganze juristische
Geschäftsbereiche eigene juristische Fachexperten ein. Sie unterhalten beispiels-
weise eine eigene Compliance-Abteilung, verfügen über Corporate Governance-
Experten, über Claims Management- und M&A-Spezialisten, aber auch über
juristisch ausgebildetes Personal, das sich ausschließlich mit Arbeitsrecht, Gender-
Fragen und Social Responsibility-Themen auseinandersetzt.
Für viele kleinere und mittlere Unternehmen, oft sehr technisch und dienstleis-
tungsorientiert handelnd und denkend, mit knappen Ressourcen ausgestattet, oft
regional verankert, mit Geschäftsbereichen, die oft nur wenig von anderen abge-
grenzt werden können, stellen sich in Bezug auf Legal Operations Management
ganz grundlegende Fragen. Die grundlegendste Frage lautet: Soll sich ein solches
Unternehmen mit Legal Operations Management auseinandersetzen und etwa eine
eigene Rechtsabteilung aufbauen?
Es sind erfahrungsgemäß verschiedene Gründe, die dazu führen, dass sich
auch KMU mit Legal Operations Management auseinandersetzten und einen
Legal Counsel einstellen möchten oder müssen. Nachfolgend findet sich ein nicht
abschließender Katalog von Gründen, die gerade in KMU in Bezug auf den Ent-
scheid, sich mit Legal Operations Management zu befassen, erfahrungsgemäß
wichtig sind:
• Der Eintritt von Schadenfällen und Störfällen: Sie kosten Geld und sind
zeitintensiv. Hat ein Unternehmen einmal Schmerzensgeld oder Lehrgeld auf-
grund eines eingetretenen Störfalls bezahlt, kann dieser Umstand dazu füh-
ren, dass die Unternehmensführung den Aufbau einer Rechtsabteilung ins
Auge fasst oder sich Gedanken darüber macht, mit einem externen Anwalt zu
2 Sinn und Unsinn einer Rechtsabteilung 13
k ooperieren, mit dem Ziel, ähnliche Fälle und Schäden in Zukunft abwenden zu
können.
• Die Erschließung neuer Märkte: Dieser Schritt ist oft mit der Ahnung ver-
bunden, dass rechtliche Fragen der unternehmerischen Tätigkeit im Ausland
nicht nachlässig angegangen werden sollten. Was schon im eigenen Land oft
unklar ist an rechtlichen Zusammenhängen, wird in einem anderen Land nicht
einfacher sein.
• Die steigende Komplexität von Geschäften: Sie führt dazu, dass beispiels-
weise auch Verträge immer komplexer werden. Mit zunehmender Komplexität
nehmen die Risiken zu, die es in den Griff zu bekommen gilt, auch und gerade
mithilfe eines optimal eingestellten Legal Operations Management.
• Die Marktmacht großer Unternehmen und Konzerne: Die Größe und
Marktmacht der großen Unternehmen und Konzerne sowie beispielsweise Fra-
gen der Submission in Bezug auf die öffentliche Verwaltung bringen es mit
sich, dass diese vor allem auch in Bezug auf rechtliche Aspekte der Geschäfts-
tätigkeit über mehr Wissen verfügen als die kleineren und mittleren Unter-
nehmen. Das erlaubt es ihnen in der Regel, der Gegenpartei ihre rechtlichen
Wünsche und Anforderungen aufzuzwingen. Mit einer eigenen Rechtsabteilung
sind KMU jedoch in der Lage, diesen Nachteil wett zu machen oder zumindest
Gegensteuer geben zu können.
Aus meiner eigenen Tätigkeit in der Beratung, im Aufbau und dem Führen solcher
Rechtsabteilungen sind mir nur wenige Fälle bekannt, in denen ohne Schadenfall
und finanziellen Verlust an eine eigene Rechtsabteilung respektive die Einstellung
eines Legal Counsel gedacht worden wäre. Die Auseinandersetzung mit Anwälten,
welche KMU rechtlich beraten, zeigt ein ähnliches Bild. Sie erklären im Gespräch,
dass sie in der Regel erst dann hinzugezogen würden, wenn der Schadenfall
bereits eingetreten sei. Dann würde von ihnen verlangt, das Beste aus einem Stör-
fall zu machen – mit der Einsicht, dass das eigene technische und kaufmännische
Wissen nicht mehr genügte, um diesen selbstständig bearbeiten zu können.
Der Entscheid, sich intern und extern juristisch beraten zu lassen, hängt somit
auch ganz wesentlich von der Schmerzgrenze ab, die in einem Unternehmen
erreicht werden muss, damit organisatorische Veränderungen herbeigeführt wer-
den. Diese Schmerzgrenze kann erfahrungsgemäß sehr hoch sein, so hoch, dass
mit den Kosten aufgrund eines Störfalles eine Rechtsabteilung über Jahre hinweg
hätte finanziert werden können. In seltenen Fällen werden in KMU diese organisa-
torischen Veränderungen, also beispielsweise der Aufbau einer eigenen Rechtsab-
teilung im Unternehmen, schon vorher ins Auge gefasst.
Ist die Schmerzgrenze für die Auseinandersetzung mit Legal Operations ein-
mal erreicht oder will ein Unternehmen vorbeugend tätig sein, stellt sich für
das Management von KMU auch die Frage, ob man sich extern oder intern
14 C. Dueblin
u nterstützen lassen will. Beide Wege können absolut sinnvoll und zielführend sein.
Es kommt für das Gelingen von Legal Operations Management in erster Linie auf
die beratende Person, den Legal Counsel selbst oder den externen Anwalt oder
Interim Legal Counsel an. Wird die externe Lösung gewählt, also die Kooperation
mit einer Kanzlei oder einem Interim Legal Counsel, stellen sich unter anderem
folgende Fragen, mit denen sich das Unternehmen auseinandersetzen muss:
• Wie findet man den passenden externen Anwalt oder Interim Legal Counsel? Er
sollte ein team player sein und gut zum Unternehmen passen, auf keinen Fall
umgekehrt. Dabei gilt es auch, emotionale Aspekte zu beachten. Es fragt sich,
ob er sympathisch rüberkommt und fähig ist, zu den vielen unterschiedlichen
Mitarbeitenden des KMU einen guten Draht aufzubauen.
• Verfügt der externe Anwalt oder Interim Legal Counsel nicht nur über ein
breites juristisches Beratungsspektrum, sondern auch über Vertragsvorlagen,
Muster und Checklisten, die für das Unternehmen wichtig sind? In der Regel
werden diese externen Spezialisten nicht nur für einen Fachbereich hinzugezo-
gen, sondern sie sollen während einer bestimmten Zeit ein Unternehmen auf
breitem juristischem Feld begleiten, ähnlich einem internen Legal Counsel.
• Verfügt er bereits über Erfahrungen in einem Unternehmen? Sind ihm die Pro-
zesse und Abläufe in einem KMU bekannt?
• Verfügt er über die zeitliche Flexibilität, auch sehr zeitnah zudienen zu können?
• Kann er Störfälle und weitere juristische Arbeiten in einem größeren Zusam-
menhang erkennen oder lediglich punktuell zudienen, was gewisse Rechts-
fragen betrifft? Diese Frage hängt, nebst den beruflichen Erfahrungen und
persönlichen Charaktermerkmalen des externen Anwalts, die eine Rolle spie-
len, auch sehr davon ab, wie gut es einem Unternehmen gelingt, ihn zu infor-
mieren und zu instruieren.
• Verfügt er über weitere Qualifikationen als nur juristische? Hat er beispiels-
weise noch Spezialkenntnisse in Bezug auf Steuerrecht oder spricht er eine
Fremdsprache, die für das Unternehmen sinnvoll sein könnte?
• Versteht der externe Anwalt oder Interim Legal Counsel die Produkte und
Dienstleitungen des Unternehmens? Kennt er den Kundenkreis – auch grenz
überschreitend – und beispielsweise auch die Gefahren, die von Produkten des
Unternehmens ausgehen?
• Wer ist im Unternehmen sein Ansprechpartner? An wen kann er sich wenden,
wenn er Fragen hat, und wer bedient ihn mit Informationen, die er für das Bear-
beiten eines Rechtsfalles benötigt?
• Mit welchen Kosten des externen Anwalts oder Interim Legal Counsels ist zu
rechnen?
Selbstverständlich stellen sich diese Fragen auch, wenn ein Unternehmen einen
eigenen internen Legal Counsel einstellt. Hier gilt es zudem folgende Fragen und
Punkte im Speziellen zu beachten:
2 Sinn und Unsinn einer Rechtsabteilung 15
• Verfügt der Legal Counsel über genügend Wissen, was die Schnittstellen im
eigenen Unternehmen anbelangt? Sind ihm die einzelnen Unternehmens-
bereiche bekannt oder hat er noch nie mit einer Verkaufsabteilung, einer
Beschaffungsabteilung, einer Service-Abteilung, einem Controller oder einer
Finanzabteilung und deren Personal zusammengearbeitet, um nur einige wich-
tige Bereiche in einem Unternehmen zu nennen?
• Verfügt er über grundlegende Erfahrungen und Kenntnisse in Bezug auf
Abläufe, Prozesse und auch die Denkweise der verschiedenen Abteilungen und
deren Mitarbeitenden?
• Hat er sich mit dem Ausbildungsstand der Mitarbeitenden in den verschiedenen
Fachbereichen eines Unternehmens bereits auseinandergesetzt? Dieser Punkt
ist erheblich für seine Arbeit, da er mit dem entsprechenden Wissen schnel-
ler erkennen kann, wo er mit Schulungen, Seminaren und weiterer rechtlicher
Unterstützung zur Sensibilisierung und somit zur Fehlerreduktion sowie Risiko
minimierung in den einzelnen Bereichen beitragen kann. Dem versierten Legal
Counsel ist bekannt, wer welche rechtlichen Schwächen und Stärken im Unter-
nehmen aufweist und wo somit Risiken lauern.
• Ist er fähig, bei Mitarbeitenden Vertrauen zu schaffen und als lösungsorientier-
ter team player, Macher und Unterstützer wahrgenommen zu werden? Ist er
fähig, aktiv auf Mitarbeitende zuzugehen oder gehört er zu denjenigen Juristen,
die darauf warten, bis sie einen Fall auf den Tisch gelegt bekommen, der dann
im „stillen Kämmerlein“ juristisch und im „Gutachterstil“ geprüft wird? Ist
er fähig, Lösungsvorschläge abzugeben, die anderen Mitarbeitenden und dem
Unternehmen wirklich weiterhelfen?
• Verfügt der Legal Counsel über ein breites juristisches Wissen oder war er bis-
her nur als Spezialist auf nur wenigen Rechtsgebieten tätig? Ersteres wird sich
im Unternehmen positiv auswirken. Mit seinem generelle Wissen in verschie-
denen Rechtsgebieten kann er stets eine erste Drainage vornehmen, wenn es
beispielsweise darum geht, einzuschätzen, ob beispielsweise für einen Scha-
den- oder Störfall ein Berater/Experte hinzugezogen werden muss oder ein Fall
selber intern bearbeitet werden kann.
• Verfügt der Legal Counsel über ein Netzwerk, das er in der Vergangenheit auf-
gebaut und gepflegt hat und das dem Unternehmen nun nützlich sein könnte?
Der versierte Legal Counsel hat im Verlaufe seiner Karriere möglicherweise
auch international mit rechtlichen Sachverhalten zu tun gehabt und dabei mit
einer Vielzahl von Anwälten, aber auch mit Handelskammern und Verbänden,
zusammengearbeitet, die er ebenfalls für das neue Unternehmen einsetzen
kann.
• Kann der Legal Counsel nicht nur rechtliche, sondern auch unternehmerische
Verantwortung übernehmen? Es wird von ihm gerade in einem KMU, oft mit
kurzen Entscheidwegen organisiert, nicht nur erwartet, dass er rechtlich berät,
sondern seine beratende Tätigkeit in einem größeren unternehmerischen Kon-
text mit der nötigen Kreativität zur Verfügung stellt und sinnvolle Urteile fällen
16 C. Dueblin
kann. Kann er das nicht und stellt er sich nur als „Gutachter“ dar, besteht die
Gefahr, dass er als „Verhinderer“ und „Bremsklotz“ wahrgenommen wird.
• Ist der Legal Counsel seinen Vorgesetzten gegenüber integer und loyal einge-
stellt? Ist er eine Vertrauensperson, der man jederzeit schwierige und wichtige
Fälle vorlegen kann? Dieser Punkt ist in der Praxis ebenfalls von eminenter
Bedeutung; dann, wenn beispielsweise für einzelne Personen, Unternehmens-
bereiche oder die ganze Belegschaft unangenehme und ungünstige Entscheide
getroffen werden müssen. Gerade in solchen Situationen sind die Vorgesetz-
ten auf viel Loyalität, Integrität und Vertrauen des Legal Counsel angewiesen.
Dieser muss fähig sein, seine eigene, möglicherweise abweichende Einstellung
einem Lebenssachverhalt gegenüber zurückstellen zu können.
• Ist der Legal Counsel gewillt, im Teilzeitpensum zu arbeiten?
Aber auch für das Management stellen sich bedeutende Fragen, wenn es darum
geht, Legal Operations Management zu betreiben:
Diese und weitere Fragen stellen sich auch bei der Zusammenarbeit mit Anwäl-
ten und Interim Legal Counsels, mit denen das Unternehmen kooperieren möchte.
Deren Beantwortung ist entscheidend, wenn es darum geht, ob die juristischen
Fachexperten sinnvoll und effizient arbeiten können oder nicht. Boris Vassella
macht in seinem Beitrag in Kap. 41 zum Thema „Legal Counsel im Unterneh-
men: definieren, suchen, integrieren“ auf weitere Punkte aufmerksam, die für ein
Unternehmen auf der Suche nach einem geeigneten Legal Counsel dienlich sein
können.
2 Sinn und Unsinn einer Rechtsabteilung 17
Die Frage der Auslastung von Personal ist in kleineren und mittelständischen
Unternehmen ein Dauerthema, eine regelrechte unternehmerische Herausfor-
derung. Das KMU ist auf Spezialisten angewiesen, erkennt jedoch, dass diese in
gewissen Fällen mangels Unternehmensgröße nicht ausgelastet werden können.
KMU stellen Spezialisten ein, betrauen diese jedoch nicht selten mit anderen
Aufgaben, um sie auszulasten. Wie wir in der Folge in Sachen Arbeitsweise eines
Legal Counsel in einem KMU erkennen werden, hat dieser Umstand einen großen
Einfluss auf seine Arbeit. Er ist in mittelständischen Betrieben weit weniger mit
den Arbeitsresultaten von Spezialisten konfrontiert als das beim Legal Counsel in
einem großen Unternehmen oder einem Konzern der Fall ist. Es sind erfahrungs-
gemäß die Nichtspezialisten, die in KMU für Störfälle und das Entstehen ungüns-
tiger Situationen verantwortlich sind.
Der Legal Counsel eines KMU muss sich somit schon von Anfang an damit
abfinden, dass manches, das auch eine juristische Dimension aufweist, wie zum
Beispiel die Ablage von Dokumenten, von einem Nichtspezialisten weit weni-
ger optimal erledigt werden kann als von einem Spezialisten. Mit dem Entscheid,
keinen Spezialisten für gewisse Arbeiten einzusetzen, muss er sich abfinden. Er
selber kann aber seine Arbeitsweise anpassen und helfen, dass Schaden- oder Stör-
fälle mit einer rechtlichen Dimension minimiert werden. Der Legal Counsel muss
Gegenmaßnahmen ergreifen können, wofür er ein Auge für das Personal, seinen
Ausbildungsgrad und die Schnittstellen, somit für die Prozesse und Abläufe im
Unternehmen, haben muss. Der Legal Counsel in einem KMU muss sich aber
auch stets darüber bewusst sein, dass er selber in vielen rechtlichen Bereichen kein
Spezialist ist.
Es geht bei Legal Operations Management, soweit es nicht einfach um ganz
konkrete rechtliche Fragenstellungen geht, die es natürlich auch gibt, oft um die
übergeordnete Sicht. Rechtliches Tätigsein des Legal Counsel muss gerade in
KMU im besonderen Maße auf die einzelnen Bereiche und ihre Mitarbeitenden
abgestimmt werden.
Mit diesen Beispielen soll aufgezeigt werden, dass die juristische Arbeit im Unter-
nehmen in der Regel nicht einfach alleine für sich betrachtet werden kann. Das gilt
im besonderen Maße für KMU. Spezialisten in großen Unternehmen und Konzer-
nen haben es oft etwas einfacher. Von ihnen wird in der Regel nicht erwartet, dass
sie sämtliche Abläufe und Prozesse ihres eigenen Unternehmens bei ihrer juris-
tischen Spezialarbeit verstehen und dieses Wissen in ihre Gutachten und Urteile
einfließen lassen. Vom Legal Counsel in einem überschaubaren KMU hingegen,
in denen der Legal Counsel nicht selten direkt dem CEO oder CFO zudient, und
in denen die Entscheidwege oft sehr viel kürzer sind als in großen Unternehmen,
wird strategisches und bereichsübergreifendes unternehmerisches Mitdenken von
Beginn weg erwartet. Das stellt für den Legal Counsel in diesen Unternehmen eine
Herausforderung dar, die er „anpacken“ sollte. Denn gelingt es ihm, sein recht-
liches Wissen gepaart mit unternehmerischem und strategischem Verständnis „an
2 Sinn und Unsinn einer Rechtsabteilung 19
den Mann“ zu bringen, kann er unmittelbaren Einfluss auf den Erfolg eines Unter-
nehmens ausüben, was seine Tätigkeit sehr interessant und spannend macht.
Dr. h.c. Henri B. Meier auf die Frage, was ihn in Sachen Recht und Ver-
träge in den letzten Jahrzehnten beeindruckt hat:
Der nach dem 2. Weltkrieg ausgebildete Wirtschaftsstudent mit Interesse
an Rechtsphilosophie (Wahlfach Doktoratsprüfungen) verstand das an der
Universität vermittelte Recht als Basis zur Klärung zwischenmenschlicher
Konflikte. Er empfand Recht auch als „Gerechtigkeit“, konnte sich mit vielen
rechtlichen Prinzipien identifizieren – vor allem mit dem zentralen Prinzip des
Schweizer Rechts, dem Grundsatz von „Treu und Glauben“. In den darauffol-
genden Jahrzehnten entwickelten sich unter dem Einfluss des amerikanischen
Rechts Vorschriften und Gesetze, die unser traditionelles Rechtsempfinden
verletzten. In vielen Fällen wurde ein weiterer Grundsatz, „in dubio pro reo“,
missachtet, was dazu führte, dass Bürger ihre Unschuld beweisen mussten und
nicht umgekehrt die Unschuld vermutet wurde bis die Schuld bewiesen war.
Immer mehr Gesetze mächtiger Nationen, mit unterschiedlichen Grundwerten
und Absichten, verdrängten das traditionelle Schweizer Rechtsempfinden.
Dr. h.c. Henri B. Meier über seine erste Erfahrungen mit unterschiedli-
chen Rechtsempfindungen:
Meine erste Erfahrung mit der Konfrontation unterschiedlicher Rechtsempfin-
dungen datiert aus der Zeit, als ich in der Weltbank für die Darlehensvergabe an
die damals sogenannten „unterentwickelten Länder“ – ein Ausdruck, der heute
unter der Fuchtel der „political correctness“ verpönt ist, obwohl die alte Defi-
nition den relevanten Tatbestand in den meisten Fällen besser beschrieb – ver-
antwortlich zeichnete. Basis der Verträge der Weltbank war angelsächsisches,
vor allem aber amerikanisches Recht. Die Mehrzahl der Darlehensnehmer
unterstand Gesetzen, die sie von den Kolonialherren aufgepfropft bekommen
hatten und selten Ausdruck ihres Rechtsempfindens, ihrer Überzeugungen,
geschweige denn sonst wie in ihrem Sinne ausgearbeitet waren. Im Dialog
20 C. Dueblin
vor und während den Verhandlungen zeichnete sich bereits ab, dass hier zwei
Welten aufeinander prallten, allerdings in der Regel auch im gegenseitigen
Bewusstsein aller Beteiligten, dass es gar keine Alternativen zu dieser Vorge-
hensweise gab. Am Ende des Tages waren die einzelnen Artikel und Bedingun-
gen auch gar nicht so wichtig. Man hielt sich als Schuldner – so schien es – an
die Auflagen, weil man sonst die Chance auf weitere Darlehen verspielt hätte.
Dr. h.c. Henri B. Meier auf die Frage nach aktuellen Erfahrungen mit
unterschiedlichen Rechtssystemen:
Diese Erfahrungen betreffen zum Beispiel die Finanzierung von zukunftsträch-
tigen Schweizer Jungunternehmen an der Spitze des technologischen Fort-
schritts. Der größere Teil dieser Finanzierungen erfolgt durch ausländische
Venture Capital Gesellschaften/Fonds, nicht weil die Schweiz zu wenig Erspar-
nisse hätte: In der Schweiz wird 30 % des Einkommens gespart! Nein, die für
die kollektiven Schweizer Ersparnisse zuständigen Beamten glauben zu wis-
2 Sinn und Unsinn einer Rechtsabteilung 21
sen, was sicher ist und investieren in Staatsschulden und andere Schuldverbrie-
fungen, so auch die Deutschen und die Österreicher! Das führt mit dazu, dass
Jungunternehmen aus diesen Ländern bei der Beschaffung von „Risikokapital“
regelmäßig mit „angelsächsischen“ Verträgen konfrontiert und damit vollkom-
men überfordert sind; eine denkbar schlechte Startposition für ein Start-up-
Unternehmen.
Dr. h.c. Henri B. Meier stellt heute rückblickend in Bezug auf seine
Geschäftstätigkeit fest:
Es war einfacher, Verhandlungen mit kontinentaleuropäischen Juristen und
Anwälten zu führen, weil sie mit klaren Begriffen und Prinzipien operierten, die
wohl auch den Römern zu verdanken sind.
Natürlich muss ich mich auch fragen, ob diese heutige Einsicht nicht auch
das Resultat eines über die Jahrzehnte veränderten Rechtsempfindens ist.
Sicher aber haben sich Rechtsvorschriften in allen Formen für heute tätige
Unternehmen verhundertfacht und stellen die Verantwortlichen, so auch die
Rechtsabteilungen und andere juristische Fachexperten, vor große Herausfor-
derungen.
Dr. h.c. Henri B. Meier auf die Frage nach der Entwicklung der Beziehung
„Recht und Bürger“ im Laufe seines Lebens:
Am meisten verändert hat sich im Laufe meines Lebens und meiner Ansicht
nach das Verhältnis demokratischer Staaten zu seinen Bürgern, das in einer
unerhörten Gesetzesexplosion zum Ausdruck kommt.
Hatte der Staat ursprünglich die Aufgabe, Leib und Gut vor fremden Mäch-
ten und Kriminellen zu schützen, ist er in den letzten 80 Jahren mehr und
mehr zum Verantwortlichen für Ausbildung, Gesundheit, Altersbeschwerden
und Schutzpatron gegen Dummheit geworden, mit Vorschriften wie Angur-
ten, Helmtragen sowie Hygiene, um nur einige zu nennen. In gewissen Län-
dern ist dieser Trend so weit fortgeschritten, dass der Bürger vom Staat in erster
Linie als Steuersubjekt wahrgenommen wird, der auch im Ausland steuerlich
verfolgt wird, ohne dass der entsprechende Staat irgendwelche Gegenleis-
tungen erbringt. Oder im inzwischen stark expandierten Straßenverkehr, wo
ursprünglich die Regel galt, dass die Geschwindigkeit flexibel den Umständen
(Witterung, Sicht, Fußgänger) anzupassen sei, entstanden mehr und mehr fixe
Schilder mit Radarfallen – als reichlich fließende Steuerquelle.
Freiheit und Menschenwürde sind der Preis für diese Schutzfunktion. Je
mehr der Bürger von seinem Staat fordert, desto mehr wird er zum Sklaven
desselben. Diese Entwicklungen müssen wir kritisch im Auge behalten.
22 C. Dueblin
• Fortschritt durch technologischen Wandel schlägt sich auf die Rechtsfunktion nie-
der, indem Bereiche, wie Datenschutz, IT-unterstützte Arbeitsplätze, Knowledge
Management-Infrastruktur etc. auch für Legal Operations immer wichtiger werden.
• Schließlich auch die immer weiter voranschreitende Globalisierung der Wirt-
schaft, die dazu führt, dass sich Unternehmensjuristen vertieft mit fremden
Märkten, Rechtsordnungen und Rechtssystemen auseinandersetzen müssen.
Es scheint so, als würden die „guten alten Zeiten“, in welchen sich der General
Counsel und seine juristischen Mitarbeitenden ausschließlich auf ein solides Legal
Counseling der Interaktionspartner im Unternehmen und auf verwandte Aufgaben-
gebiete konzentrieren konnten, definitiv der Vergangenheit angehören. Offenbar
sind diese findings allgegenwärtig: Zu ähnlichen Resultaten kommt auch die reprä-
sentative JUVE-Inhouse-Umfrage 2016, die prophezeit, dass „[sich] mit dem ver-
änderten Arbeitsumfeld (…) auch die Rolle der Syndizi in den Unternehmen
[wandelt]: Vom internen Dienstleister werden sie zum Risikomanager. Doch längst
nicht alle Inhousejuristen wollen diese neue Rolle annehmen.“1 Im Bereich der
Großunternehmen kommt die Beratungsgesellschaft Otto Henning ebenfalls zu
ähnlichen Ergebnissen. So steht „die Rechtsabteilung (…) in den kommenden Jah-
ren vor massiven Veränderungen: Sie gerät zunehmend in den Fokus des unterneh-
merischen Handelns. Knapp die Hälfte der Befragten sieht in den nächsten fünf
Jahren einen weiteren Kostendruck auf sich zurollen (45 %), neue rechtliche und
technische Herausforderungen erwarten 40 %, einen höheren Einsatz von Wis-
sensmanagement und Technologie prognostizieren 35 %. Die Auswirkungen sind
die Folgen zunehmender Globalisierung, Regulierung und neuer Geschäftsmo-
delle.“2 Des Weiteren werden die interne Profilierung der Legal Operations im
Unternehmen (20 %) und der sogenannte war for talents (15 %) mit Implikationen
auf die work-life-Balance, flexible Arbeitszeitmodelle sowie Weiterbildungen als
große künftige Herausforderungen in Rechtsabteilungen angesehen.3
1www.juve.de/nachrichten/namenundnachrichten/2016/02/rolle-der-rechtsabteilung-herausforde-
• Prof. Dres. h.c. Rolf Dubs setzt sich in Kap. 4 mit den aktuellen Herausforde-
rungen von Legal Operations in der Privatwirtschaft auseinander. Er zeigt auf,
wie Veränderungen in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwelt –
insbesondere die Überregulierung – einen wichtigen Einfluss auf die Rechts-
funktion als rechtlicher Unterstützungsprozess des Unternehmens haben.
Weiter setzt er sich mit strategischen Überlegungen zur Positionierung von
Unternehmensjuristen auseinander. Schließlich hinterfragt er kritisch die aktu-
elle juristische Ausbildung und zeigt mögliche Berufschancen von Unterneh-
mensjuristen auf.
• Regula Mader geht in Kap. 5 auf die aktuellen Herausforderungen der Legal
Operations in Behörden und Verwaltung ein und nimmt dabei direkt Bezug auf
die Aufgaben und Besonderheiten von Verwaltungsrechtsdiensten. Weiter zeigt sie
auf, welche speziellen Anforderungen an Juristen in der öffentlichen Verwaltung
gestellt werden und wie die Zusammenarbeit zwischen Unternehmensjuristen
und Behörden optimal ausgestaltet werden kann. Im Anschluss gibt das Interview
mit Prof. Dr. Heinrich Koller Einblicke in dessen persönliche Erfahrungen im
Zusammenhang mit Herausforderungen von Verwaltungsrechtsdiensten.
• Thomas Soseman beschäftigt sich in Kap. 6 mit Herausforderungen für
Unternehmensjuristen im Geschäftsverkehr mit den Vereinigten Staaten von
Amerika. Er zeigt zuerst die Besonderheiten des US-amerikanischen Recht-
systems und des common law auf. Danach erläutert er den wichtigen Bereich
„Produkthaftung und Rechtsstreit“ und geht auf die kulturellen sowie quantita-
tiven Aspekte bei Geschäften in den USA ein.
• Lukas Zuest fokussiert sich in Kap. 7 auf die Herausforderungen für Unter-
nehmensjuristen im Geschäftsverkehr mit China. Er gibt einen Einblick in die
chinesische (Rechts-)Kultur und setzt sich vertieft mit dem Umgang westlicher
Unternehmensjuristen mit chinesischen Entscheidungsträgern (Beamten, Anwäl-
ten und Geschäftsleuten) auseinander. Weiter beschäftigt er sich mit der staatli-
chen Mitwirkung in Bezug auf Bewilligungs- und Registrierungspflichten, dem
28 R.P. Falta
Umgang mit der chinesischen Sprache und mit „Company Chops“. Schließ-
lich folgen Erläuterungen über chinesische Spezifika betreffend staatlicher
Gerichts- sowie Schiedsverfahren und praktische Tipps zum Umgang mit chi-
nesischem Recht.
• Nicolas Brehmer nimmt in Kap. 8 Bezug auf die Herausforderungen für
Unternehmensjuristen im Geschäftsverkehr mit dem Nahen und Mittleren
Osten sowie Nordafrika (MENA-Region). Er gibt einen Überblick über die
Geschäftskultur in der arabischen Welt, über die Rechtssysteme und Rechts-
kulturen in der MENA-Region und weist auf Besonderheiten hin, die für Legal
Counsels wichtig sind. Dabei geht er vertieft auf einzelne Aspekte ein, wie den
Einfluss des islamischen Rechts, auf Zinsverbote, gesellschafts- und beteili-
gungsrechtliche Verhältnisse, Freizonen etc. Schließlich widmet er seine Auf-
merksamkeit auch der Streitbeilegung durch Schiedsverfahren in der arabischen
Welt.
Literatur
Otto Henning GmbH – Management Consultants (2015) General counsel benchmarking-report
(VI) 2015/16. Otto Henning GmbH, Frankfurt a. M.
Noch nie hat sich die Welt dermaßen rasch verändert wie in den letzten zehn Jah-
ren. Verantwortlich dafür sind vier Erscheinungen:
R. Dubs (*)
School of Management, University of St.Gallen HSG, St.Gallen, Schweiz
E-Mail: rolf.dubs@unisg.ch
Der Begriff Regulierung steht für sämtliche Gesetze, Vorschriften und Regeln,
welche von einem Staat oder einer überstaatlichen Organisation erlassen wer-
den. Durch die Regulierung soll ganz allgemein das Zusammenleben der
Menschen gelenkt und vereinfacht werden. Konkret spielen je nach Regulierungs-
bereich viele verschiedenartige Faktoren eine Rolle: Im Finanzsektor sollen über
Regulierungen die Folgen von Informationsasymmetrien kontrolliert werden.
Bedeutsamer ist auch der Vertrauensschutz geworden (Machtmissbrauch, Ver-
trauensmissbrauch) und der Systemschutz (Sicherstellung der Stabilität im Wirt-
schaftsbereich) in allen Bereichen. Allerdings bedeutet jede Regulierung meistens
auch eine Einschränkung der unternehmerischen oder der persönlichen Hand-
lungsfreiheit. Die Regulierung ist immer ein Balanceakt zwischen notwendigen,
gut durchdachten Maßnahmen und Beschränkungen der Freiheit der Wirtschaft
und der Menschen. Notwendig und durchdacht sind Regulierungen, wenn sie
Leider entwickelt sich weltweit eine Regulierungswut, die auf die folgenden Ursa-
chen zurückzuführen ist:
Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit.
Denn die Form hält dem Versucher, der die Freiheit zur Zügellosigkeit verleiten sucht, das
Gegengewicht, sie lenkt die Freiheitssubstanz in feste Bahnen, dass sie sich nicht zersplit-
tern, und kräftigt sie dadurch nach innen und schützt sie nach außen. Feste Formen sind
die Schule der Zucht und Ordnung und damit der Freiheit selber und andererseits eine
Schutzmauer gegen äußere Angriffe, – sie lassen sich nur brechen, nicht biegen.1
Diese Gedanken von Rudolf von Jhering machen die Bedeutung der Regulierung
deutlich. Leider entspricht aber die Entwicklung der Regulierung nicht mehr sei-
nem Ideal. Die Regulierung wird in Zukunft noch umfassender werden und die
unternehmerische Freiheit weiter beschränken, für Unternehmungen hohe, zum
Diese drei für viele Unternehmungen neuen Anforderungen an die Legal Coun-
sels machen es also nötig, deren Tätigkeit stärker auf die Ganzheit der unterneh-
merischen Tätigkeit auszurichten und sie nicht mehr nur als Rechtsberater zu
verstehen. Je nach Größe der Unternehmung, der juristischen Probleme, die sich
mit ihrer Produktion oder Dienstleistung ergeben, der geografischen Breite der
Geschäfte, der in Zukunft zu erwartenden Herausforderungen im Zusammenhang
mit dem normativen Management sowie der Eigenarten der Regulierung, ist die
Position des Legal Counsel breiter zu umschreiben. Mit anderen Worten ist eine
betriebsindividuelle, auch etwas stärker betriebswirtschaftlich geprägte Aufga-
benumschreibung ins Auge zu fassen. Bei deren Ausgestaltung sind die folgenden
Fragen zu beantworten:
• Sollen dem Legal Counsel nur Rechtsfragen oder weitere Aufgaben (Risk
Management, Compliance, Beratung aller Mitarbeitenden, Sekretär des Verwal-
tungsrats) übertragen werden?
• Soll er sich auch mit den Fragen der Social Corporate Responsibility und Fra-
gen fremder Kulturen beschäftigen?
• Soll sich der Legal Counsel mit allen Rechtsfragen der Unternehmensleitung
und der Mitarbeitenden beschäftigen (Früherkennung von Problemen und Ent-
wurf von Maßnahmen sowie Bearbeitung aktueller Rechtsfragen) oder soll er
sich nur auf Spezialfragen konzentrieren, für welche keine externen Anbieter
verfügbar sind? Oder soll er sich auf das Legal Management konzentrieren, das
heißt externe Anwaltskanzleien beauftragen und betreuen (was und wie viel ist
intern zu bearbeiten und was wird extern vergeben; wie viel Generalistenarbeit
und wie viel Spezialistenarbeit ist intern zu leisten)?
• Welche weiteren Aufgaben (Compliance, Qualitätsmanagement, Unterstützung
im Human Resource Management, Beratung aller Mitarbeitenden, Sekretariat
des Verwaltungsrats) sollen in welchem Umfang dem Legal Counsel und allen-
falls seinen Mitarbeitenden zugeteilt werden?
• Schließlich sind die Unterstützungsprozesse des Legal Counsel festzulegen.
Wann muss oder darf er in der Unternehmung von wem beigezogen werden?
Darf er selbst Initiativen ergreifen, und in welchen Bereichen ist er dazu ver-
pflichtet?
4 Herausforderungen der Legal Operations in der Privatwirtschaft 35
Der rasche Wandel in der Wirtschaft und im Recht sowie das sich immer wieder
verändernde Verständnis der Führung einer Unternehmung erfordern ein systema-
tisches, aber flexibles Konzept für das Legal Management und im Interesse dessen
Wirksamkeitssteigerung eine klare Organisation mit gezielten Funktionsbeschrei-
bungen (Stellenbeschreibungen) für alle Bereiche und Personen, welche sich in
einer Unternehmung mit Rechtsfragen zu beschäftigen haben.
Seit langem wird versucht, das Verhältnis von Wirtschaftsentwicklung und Rechts-
system theoretisch zu beschreiben. Beachtung gefunden haben dabei die Kausa-
litätstheorien und die Systemtheorien. Die Kausalitätstheorien untersuchen die
kausalen Wirkungen des Wirtschaftswandels auf den Rechtswandel und umge-
kehrt, die kausale Rolle des Rechts auf den Wirtschaftswandel. Die System-
theorien bestreiten, dass es sinnvoll und möglich ist, das Wechselspiel von zwei
dermaßen komplexen Bereichen wie Wirtschaft und Recht in einem Kausalver-
hältnis zu sehen. Sie gehen davon aus, dass sich die beiden Systeme gegenseitig
beeinflussen und damit Teil eines Transformationsprozesses sind.
Hier wird eine Mittelposition bezogen, indem bei neuen gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Entwicklungen zusätzlich zum Wechselspiel zwischen Wirtschaft
und Recht ein Transformationsprozess entsteht, denn um eine allseits erwünschte
neue wirtschaftliche Idee voranzutreiben, bedarf es einer darauf abgestimmten
rechtlichen Ordnung, welche der Wirtschaft für den Erfolg die notwendigen Rah-
menbedingungen setzt. Weil aber wirtschaftliche Innovationen in der Komplexität
unserer Zeit immer mehr Zielkonflikte beinhalten, lassen sich mit noch so guten
rechtlichen Rahmenbedingungen – neben allen Vorteilen – Nachteile häufig nicht
vermeiden, die kausale Wirkungen für die weitere Gestaltung der rechtlichen Vor-
schriften haben. Dabei verstärkt der zunehmende Dogmatismus vieler Institutio-
nen und Personen die durch die Zielkonflikte entstandenen Spannungsfelder, die
zu politischen Kompromissen führen, welche die Regulierung noch komplizierter
werden lassen. Verschärft wird die Regulierung durch die Tendenz, jedes und alles
juristisch anzufechten, was zu einer immer detaillierteren Regulierung zwingt und
allmählich die Bürokratie größer und größer werden lässt.
Dieser schleichende Prozess wird die Regulierung in hoch entwickelten Gesell-
schafts- und Wirtschaftssystemen weiterhin beschleunigen. Zu begegnen ist ihm
nur, wenn das systemische Denken Eingang in die Rechtsetzung findet. Systemi-
sches Denken heißt Probleme nicht einseitig aus beispielsweise politischer und
rechtstheoretischer Sicht anzugehen, sondern bewusst ihre Vernetzung oder ganz-
heitliche Betrachtung anzustreben, um mögliche Zielkonflikte mit den erwarteten
und unerwünschten Nebenwirkungen bewusst werden zu lassen.
Mir will scheinen, dass man im Recht im Hinblick auf die Systemorientie-
rung in den letzten Jahren kaum Fortschritte erzielt hat, nicht zuletzt unter dem
Eindruck, dass sich die Rechtswissenschaft immer noch zu sehr am traditionel-
len Rechtsverständnis orientiert, das zu sehr disziplinenbezogen und zu wenig
36 R. Dubs
Bis in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts hat sich das Studium des Rechts
nicht wesentlich verändert. Die Lehrpläne waren auf die Disziplin aller traditio-
nellen Rechtsgebiete ausgerichtet und ohne unmittelbaren Praxisbezug für die
spätere juristische Tätigkeit in Kanzleien, in der Verwaltung oder in der Wirtschaft
ausgestaltet. Erst die zunehmende Bedeutung des Rechts für die Wirtschaft veran-
lasste in den achtziger Jahren beispielsweise die Universität St.Gallen zur Einfüh-
rung eines Lehrgangs für „Wirtschaftsrecht“ mit einer grundlegenden volks- und
betriebswirtschaftlichen sowie einer vertieften wirtschaftsrechtlichen Ausbil-
dung. Geplant war dieser Lehrgang für Studierende, welche rechtliche Aufgaben
in Unternehmungen übernehmen wollten, aber mit der vertieften wirtschaftswis-
senschaftlichen Ausbildung später auch Führungspositionen in Unternehmungen
4 Herausforderungen der Legal Operations in der Privatwirtschaft 37
hätten übernehmen können. Der Versuch mit diesem Lehrgang ist damals jedoch
aus mehreren Gründen gescheitert: Die Absolvierenden wurden in Juristenkreisen
nicht als voll ausgebildete Juristen anerkannt, und die Zulassung zum Anwaltsexa-
men wurde sehr erschwert oder verunmöglicht. Auch konnten sich viele Rechts
professoren mit dem Modell nicht identifizieren. Sie hätten lieber an einer vollen
juristischen Fakultät unterrichtet. Mangels hochschuldidaktischen Interessen kam
es auch zu keinen Innovationen im Unterricht. Die fachbezogenen Rechtsvorlesun-
gen mit den dazugehörenden Seminaren wurden im herkömmlichen Verständnis
fortgeführt. Dieses Konzept des wirtschaftsjuristischen Lehrgangs wird heute im
Rahmen der Bologna-Reform von verschiedenen Fachhochschulen weitergeführt.
Diese Studiengänge „Wirtschaftsrecht“ kombinieren eine betriebswirtschaftliche
und juristische Ausbildung und sind auf das nationale und internationale Wirt-
schaftsrecht fokussiert. Es dauert bei Vollzeitstudien sechs und bei Teilzeitstudien
acht Semester und wird als Studium der Zukunft bezeichnet, das die Brücke zwi-
schen Recht und Betriebswirtschaft schlägt. Bisher ist die Nachfrage nach Studien
plätzen groß. Noch ist es zu früh zu beurteilen, ob dieser Weg erfolgreich sein
wird. Opposition seitens der Rechtsfakultäten und Anwaltsverbänden ist latent
vorhanden.
An den Universitäten wurde das juristische Studium im Gefolge des Bologna-
Abkommens neu strukturiert. Leider haben sich die Reformarbeiten an den
meisten Universitäten stärker auf organisatorische Aspekte (wie Gliederung in
Bachelor- und Masterstufe, Studienpläne, Prüfungen, Punktesystem) und weniger
auf eine Modernisierung der Ausbildung anhand neuer juristischer Berufsbilder
konzentriert, wie etwa die folgende generelle Umschreibung für ein klassisches
Rechtsstudium zeigt.
• Das verfügbare juristische Wissen ist viel größer. Die Reflexionsfähigkeit ist
aber häufig geringer, was sicher auf die noch zu sehr auf die bloße Wissensori-
entierung der vielen Prüfungen und das „Punktesammeln“ im Bologna-System
zurückzuführen ist.
• Der Umgang mit rechtlichen Verfahrensproblemen ist höher entwickelt als frü-
her. Dies könnte allerdings zur Folge haben, dass junge Juristen für Formalis-
mus und letztlich für Regulierungen noch anfälliger werden.
• Problemlösetechniken und Methoden der Bearbeitung von Rechtsfällen in den
traditionellen Rechtsgebieten sind besser geworden.
• Im Umgang mit dem internationalen Recht sind die Studierenden gewandter.
Literatur
Jhering Rv (1858) Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung.
Teil 2, Bd 2. Breitkopf und Härtel, Leipzig
Weiterführende Literatur
5.1 Einleitung
Die nach wie vor gegenüber Angestellten der öffentlichen Verwaltung benutzte
Bezeichnung „Beamte“ wird oft herabschätzend gebraucht und steht für ein von
wenig Engagement und fehlendem Einsatz geprägten Bild der öffentlichen Ver-
waltung, das längst nicht mehr gilt, beziehungsweise in diesem Sinne nie gegolten
hat. Die mangelnde Flexibilität, welche den in der öffentlichen Verwaltung tätigen
Juristen immer wieder unterstellt wird, hat mit der Realität wenig zu tun und ist
teilweise damit zu erklären, dass diese – im Gegensatz zu Legal Counsels – an
klare gesetzliche Vorgaben und Abläufe gebunden sind, welche sie einhalten müs-
sen. Nicht immer besteht Ermessensspielraum für Entscheidungen; zwingende
gesetzliche Vorgaben können nicht interpretiert, sie müssen umgesetzt werden.
Hier fehlt seitens der Privatwirtschaft oftmals das Verständnis für die unterschied-
lichen Rollen und Aufgaben, welche in der öffentlichen Verwaltung tätige Juristen
innehaben.
Die sogenannten „Rechtsabteilungen“ in der öffentlichen Verwaltung haben je
nach Gemeinwesen unterschiedliche Namen beziehungsweise sind die mit Rechts-
fragen befassten Verwaltungseinheiten unterschiedlich organisiert. So wird von
Rechtsabteilung, Rechtsamt, Rechtskonsulat, Rechtsberatung oder Ähnlichem
gesprochen. Der Einfachheit halber wird in diesem Beitrag hierfür der neutrale
Begriff „Rechtsabteilung“ verwendet. Die nachfolgenden Ausführungen verweisen
zudem ausschließlich auf Schweizer Recht. Es kann davon ausgegangen werden,
dass die grundsätzlichen Aussagen auch für Deutschland und Österreich gelten,
wobei die entsprechenden rechtlichen Grundlagen für das jeweilige Land beizuzie-
hen und die Aussagen zu verifizieren sind.
R. Mader (*)
Wohnheim Riggisberg, Riggisberg, Schweiz
Der Begriff der Verwaltung wird oft sehr pauschal verwendet. „Die“ Verwaltung
ist jedoch ein sehr komplexes Konstrukt, welches je nach Staatsebene sehr unter-
schiedlich ausgestaltet ist und im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben unterschied-
lich funktioniert. Das spezifische rechtliche Fachwissen ist je nach Größe des
Gemeinwesens entsprechend verteilt und nicht überall gleich vorhanden. All dies
gilt es als Legal Counsel bei der Zusammenarbeit mit staatlichen Rechtsabteilun-
gen zu beachten.
• Rechtliches Fachwissen auf Bundesebene: Das Bundesamt für Justiz1 ist die
wohl größte „Rechtsabteilung“ in der öffentlichen Verwaltung der Schweiz.
Hier arbeiten rund 200 Juristen mit ausgeprägtem spezialisiertem Fachwissen.
Sie sind für Stellungnahmen in allen Bereichen des Rechts auf Bundesebene
zuständig, erarbeiten Gesetzesvorgaben, beraten Bundesrat und Parlament.
Dazu nehmen sie noch weitere Aufgaben wahr (siehe Interview mit Prof. Dr.
iur. Heinrich Koller am Ende dieses Kapitels, welcher dem Bundesamt für Jus-
tiz während achtzehn Jahren vorstand). Daneben gibt es in der Bundesverwal-
tung weiteres juristisches Fachwissen: Die einzelnen Departemente haben
oftmals eigene Rechtsabteilungen, welche auf Ebene des Departements tätig
sind. Diese sind auf juristische Fragen ihres Departements spezialisiert; zum
Beispiel die Rechtsabteilung des Generalsekretariats des Eidgenössischen
Departements des Innern (EDI) oder die Rechtsberatung im Direktionsstab des
Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV)2. Gleichzeitig arbeiten in der
Bundesverwaltung weitere hoch spezialisierte Juristen, welche nicht direkt in
einer Rechtsabteilung tätig sind. Diese sind in den Stabsabteilungen der Depar-
temente angesiedelt, in einzelnen Bundesämtern, in den Amts- und Abteilungs-
leitungen etc.
• Rechtliches Fachwissen in kantonalen und kommunalen Verwaltungen: Kan-
tone und große Gemeinden in der Schweiz haben häufig eigene Rechtsabteilun-
gen. Diese sind unterschiedlich organisiert, an verschiedenen Orten a ngesiedelt
Auch die öffentliche Verwaltung kann nicht alle juristischen Fragen selbststän-
dig lösen und beantworten. So gibt es immer wieder juristische Fragestellungen,
welche bewusst an externe Anwaltskanzleien oder Beratungsfirmen vergeben
werden. Dies macht Sinn, wenn in der öffentlichen Verwaltung das spezifische
Fachwissen nicht vorhanden ist oder es sich um komplexe, zeitaufwendige Rechts-
abklärungen handelt und die Zeit drängt. Immer wieder werden auch in heiklen
Situationen rechtliche Untersuchungen an Dritte in Auftrag gegeben. So wurde
im Kanton Genf beispielsweise eine Untersuchung zur Tötung einer Mitarbeiterin
des Strafvollzugs durch einen Strafgefangenen auf begleitetem Urlaub durch einen
externen unabhängigen Experten (ehemaligen Generalstaatsanwalt) durchgeführt.
In spezifischen Situationen kann – jedoch nur in Ausnahmefällen – auch die
Aufsichtsbehörde für eine Abklärung angefragt werden. Dies ist nur möglich,
wenn diese im konkreten Fall nicht gleichzeitig Beschwerdeinstanz ist. So habe
ich in meiner Funktion als Regierungsstatthalterin – und in dieser Funktion Auf-
sichtsbehörde über die Gemeinden – beispielsweise eine rechtliche Untersuchung
zur Überprüfung von Sozialhilfedossiers in der Stadt Bern geführt, für welche ich
gezielt zusätzliches juristisches Fachwissen einbezogen habe.
Neben der Verwaltung selbst gibt es jedoch noch eine Vielzahl von verwaltungsna-
hen und/oder ausgelagerten Institutionen und Betrieben, welche über spezifisches
rechtliches Fachwissen verfügen. Betriebe und Institutionen wie die Post, die Bun-
desbahnen, die Kantonalbanken etc. führen in der Regel eigene Rechtsabteilungen,
welche wiederum über spezialisiertes juristisches Fachwissen verfügen, das auch
für den Legal Counsel hilfreich sein kann.
4Siehe Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101).
5 Herausforderungen der Legal Operations in Behörden und Verwaltung 45
Abklärung oftmals mehr Zeit in Anspruch nimmt, als dies externe Kundinnen und
Kunden in der Regel abschätzen können. Nachfolgend werden daher einige zen
trale verfassungsmäßige Grundprinzipien kurz dargestellt, auf welchen das Ver-
waltungshandeln basieren:
5Siehe als Beispiele: BGE 117 Ia 257, 121 I 102, 105 V 280 unter www.bger.ch. Besucht 10. Mai
2017.
6Siehe als Beispiel: BGE 138 I 305.
Die Tätigkeit im politischen Umfeld setzt hohe Ansprüche an die in der öffentlichen
Verwaltung tätigen Juristen. Dies übersehen Legal Counsels aus der Privatwirtschaft
oftmals, weil ihnen zu wenig bewusst ist, unter welchen Rahmenbedingungen ihre
48 R. Mader
Nicht zu unterschätzen ist die Rolle der Öffentlichkeit und der Medien für die
Tätigkeit im Bereich der Politik sowie der öffentlichen Verwaltung. Zumal in der
Verwaltung als Grundsatz das Öffentlichkeitsprinzip8 gilt. Dieses ermöglicht Per-
sonen – unabhängig von Nationalität und Wohnsitz – den Zugang zu amtlichen
Dokumenten. Dieser Zugang muss gegeben sein, soweit nicht überwiegende pri-
vate oder öffentliche Interessen entgegenstehen. Auf Bundesebene berät der Eid-
genössische Öffentlichkeitsbeauftragte Privatpersonen zu den Modalitäten des
Zugangs; zudem die Behörden in der Umsetzung des Öffentlichkeitsgesetzes.
Können sich die Behörde und die ersuchende Person nicht über den Zugang eini-
gen, kann beim Öffentlichkeitsbeauftragten ein Schlichtungsverfahren beantragt
werden. Bringt dieses nicht die angestrebte Einigung, gibt der Öffentlichkeitsbe-
auftragte eine Empfehlung ab. Wenn die Beteiligten damit nicht einverstanden
sind, erlässt die zuständige Behörde eine beschwerdefähige Verfügung. Auf Ebene
der Kantone und Gemeinden gibt es hingegen unterschiedliche Ansprechpersonen,
welche für die Bearbeitung von Fragen der Herausgabe von amtlichen Dokumen-
ten zuständig sind. Hier ist im Einzelfall beim entsprechenden Kanton abzuklären,
wer zuständig ist. Oftmals sind es die Öffentlichkeitsbeauftragten der zuständigen
Staatsebenen.
immer zu klären, an wen sich externe Personen wenden sollten, wenn sie Aus-
künfte benötigen. In juristischen Fragestellungen können hingegen die jeweiligen
Rechtsabteilungen direkte Ansprechpartner sein. Handelt es sich jedoch um ein
sensibles juristisch-politisches Thema, so werden die Öffentlichkeitsbeauftragten
beziehungsweise Medienstellen einbezogen, um gegen außen zu kommunizieren.
Grundsätzlich ist und bleibt Öffentlichkeitsarbeit aber Chefsache! Die vorgesetzte
Person entscheidet, was, wann und wie gegen außen kommuniziert wird. Gerade
in sensiblen politischen Fragen muss die zuständige, politisch verantwortliche Per-
son öffentlich auftreten und gegen außen kommunizieren. Sie kann dazu das juris-
tische Fachwissen der Rechtsabteilung beiziehen, wenn es sich um eine juristische
Fragestellung handelt.
5.5.3.2 Informationspreisgabe an Medien
Medienschaffende sind in der Regel an kurzfristigen „Geschichten“ interessiert.
Sie möchten etwas aufzudecken, das noch nicht bekannt ist und dadurch politische
Prozesse beeinflussen. Immer wieder werden daher auch in der öffentlichen Ver-
waltung vertrauliche Informationen preisgegeben. Die Rechtsabteilungen werden
daher bei sensiblen politischen Fragestellungen sehr zurückhaltend mit der Infor-
mationspreisgabe an Medien vorgehen. Hier werden in der öffentlichen Verwal-
tung die zuständigen verwaltungsinternen Öffentlichkeitsarbeitsstellen beigezogen.
Interview mit Prof. Dr. iur. et lic. oec. HSG Heinrich Koller (von Christian Dueblin)
Prof. Dr. iur. et lic. oec. HSG Heinrich Koller, Fürsprech und Notar, war von
1979 bis 1988 Rechtskonsulent der Ciba-Geigy AG in Basel (zuletzt als Direk-
tionsmitglied) und nebenamtlicher Richter am Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt. 1988 wurde er zum Direktor des Bundesamtes für Justiz berufen,
dem er bis 2006 vorstand. Nebst seiner beruflichen Tätigkeit als Justizdirektor
war Heinrich Koller Professor für öffentliches Recht an der Juristischen Fakul-
tät der Universität Basel. Heinrich Koller arbeitet heute wieder als Anwalt in
einer renommierten Basler Anwaltskanzlei.
Im Interview zeigt er auf, was die berufliche Tätigkeit eines Juristen in der
Verwaltung, in der Privatwirtschaft und in der Advokatur grundsätzlich unter-
scheidet. Er streicht Fähigkeiten heraus, die für eine Karriere als Verwaltungs-
jurist, als Wirtschaftsjurist oder Anwalt vorteilhaft sein können. Heinrich Koller
beschreibt den Einfluss der Politik auf die Arbeit von juristischen Fachexperten,
die für die Verwaltung arbeiten, und zeigt Unterschiede zu den anderen Berufs-
gattungen auf. Anhand von Beispielen beschreibt er die Besonderheit des Rol-
lenverständnisses und beleuchtet Konfliktpotenziale, die insbesondere bei der
Arbeit in der Verwaltung lauern.
54 R. Mader
Christian Dueblin: Sehr geehrter Herr Professor Koller, Sie waren von
1988 bis 2006 Justizdirektor des Bundes, zuvor waren Sie in leitender Stel-
lung in der Privatindustrie als Rechtskonsulent tätig. Was fiel Ihnen damals
beim Wechsel in eine verantwortungsvolle Position in der Verwaltung auf,
nachdem Sie jahrelang für die Privatindustrie juristisch tätigt waren?
Prof. Dr. Heinrich Koller: Zu erwähnen sind wohl vorerst die Größenver-
hältnisse. In der Ciba-Geigy Rechtsabteilung war ich in der Gruppe „Gesell-
schafts-, Konzern- und Steuerrecht“ mit rund einem Dutzend Mitarbeitenden
tätig und vor allem mit Akquisitionen in jeweils wechselnden Projektgruppen
beschäftigt. In der Bundesverwaltung stand ich von Anfang an einem großen
Apparat vor, mit rund 300 Mitarbeitenden, wovon mehr als 200 Juristinnen und
Juristen. Das Bundesamt für Justiz verfasst in allen Bereichen des Rechts Stel-
lungnahmen, ist gleichzeitig in mehreren Dutzend Gesetzesvorhaben engagiert,
vertritt die Schweiz in internationalen Organisationen und berät Bundesrat und
Parlament in Rechtsfragen. Ohne eine klare Abgrenzung der Fach- und Verant-
wortungsbereiche, den verwaltungstypischen hierarchischen Aufbau des Amtes
und unentbehrlichen Stabsdiensten ist ein solches Gebilde nicht zu führen.
Die Erfahrungen, die ich als Kommandant und Generalstabsoffizier im Militär
gemacht hatte, kamen mir dabei sehr zu Hilfe.
Der breite Aufgabenbereich des Amtes (das früher den Namen „Dienst
für Gesetzgebung und Rechtspflege“ trug) und die starke Einbindung in den
politischen Entscheidungsprozess waren die augenfälligsten Merkmale des
Berufswechsels. Anders als bei der Tätigkeit als Rechtskonsulent standen jetzt
Führungsaufgaben im Vordergrund. Dabei sind zwei Besonderheiten der Ent-
scheidfindung in der Bundesverwaltung hervorzuheben. Zum einen sind die
weitgehend formalisierten Entscheidungsabläufe in der Bundesverwaltung
zu erwähnen: regelmäßige Briefings mit Vorgesetzten und Untergebenen, der
Einbezug der involvierten Bundesämter im Ämterkonsultationsverfahren, das
Mitberichtsverfahren im Vorfeld der wöchentlichen Bundesratssitzungen, die
Vernehmlassungsverfahren bei wichtigen Gesetzesvorlagen, die zwingende
Teilnahme an Sitzungen der parlamentarischen Kommissionen, Pressekonferen-
zen und Vortragstätigkeit. Hinzuweisen ist zum anderen auf die im Vergleich
zur Privatwirtschaft längeren Entscheidungswege. Das Ringen um Lösungen
setzt sich über viele Stufen hinweg fort, von der verwaltungsinternen Mei-
nungsbildung über den Entscheidungsfindungsprozess in der Regierung bis hin
zur politischen Auseinandersetzung in Parlament und Öffentlichkeit.
Der Amtsvorsteher muss dabei im Wesentlichen auf Entscheidungsgrundla-
gen aufbauen, die ihm die Mitarbeitenden liefern. Seine Aufgabe besteht des-
halb weniger in der eigenen Erarbeitung, als vielmehr in der sachkundigen und
überzeugenden Vertretung der verwaltungsintern erarbeiteten Lösungen nach
außen. Bemerkenswert ist, mit welch hoher Loyalität und beeindruckendem
Fachwissen die Mitarbeitenden ihre Arbeit verrichten. Sämtliche Aufträge sind
terminiert; und dennoch (oder vielleicht gerade deswegen) war es schon Ende
der achtziger Jahre möglich, dass mehr als die Hälfte der Angestellten in Teil-
zeit arbeitete und der Frauenanteil auf allen Stufen sehr hoch war.
5 Herausforderungen der Legal Operations in Behörden und Verwaltung 55
Nun aber noch zum Atmosphärischen: Der Einstieg in das neue Amt wurde
mir durch ein vorbestehendes loyales Team von Kadermitarbeitenden enorm
erleichtert. Aber auch später hatte ich in den fast zwanzig Jahren Bundesbern
kaum je ernsthafte interne Führungsprobleme. Die hohe Sach- und Führungs-
kompetenz der Kader und die Fokussierung auf die Projekte waren ausgeprägt.
Anders verhielt es sich im politischen Umfeld. Ich war kaum vier Monate im
Amt, als die Auseinandersetzungen um den erzwungenen Rücktritt von Frau
Bundesrätin Kopp und später um die „Fichen“-Affäre begannen. Als Direktun-
terstellter ist man von solchen Ereignissen unmittelbar betroffen. Man gerät als
Chefbeamter dann unweigerlich in den Sog von Gruppierungen, die einen ver-
einnahmen wollen. Gleiches habe ich Jahre später dann wieder erlebt bei der
Abwahl von Frau Bundesrätin Metzler und beim Amtsantritt von Herrn Bun-
desrat Blocher. Das sind schwierige Momente, die man nur überwinden kann,
wenn man sich der Loyalität der Mitarbeitenden sicher ist und vor Augen hält,
dass man im Staatsdienst vorab einer Sache dient und nicht einer Person.
Christian Dueblin: Wie Professor Rolf Dubs, von der Universität St.Gallen, in
seinem Beitrag (siehe dazu auch Kap. 4) feststellt, haben sich Juristen in den
letzten Jahrzehnten immer mehr zu Fachexperten weiterentwickelt. Gleich-
zeitig kann festgestellt werden, dass es Juristen in der Privatindustrie nur
noch selten in operative Positionen schaffen, dort weitgehend von Ökonomen
und Technikern abgelöst worden sind, einmal abgesehen von stark regulierten
Bereichen der Wirtschaft, wie dem Bankenwesen oder der Pharmaindustrie.
Erkennen Sie solche und ähnliche Tendenzen auch in der Verwaltung?
Prof. Dr. Heinrich Koller: Das stimmt meines Erachtens nur teilweise. Richtig
ist, dass heute als Jurist nur noch bestehen kann, wer sich spezialisiert und sich
wenigstens in einem Bereich durch besonderes Expertenwissen auszeichnet. Der
Allrounder hat meines Erachtens ausgedient. Unabdingbar sind jedoch „Metho-
densicherheit“ und die Fähigkeit, sich rasch in neue Gebiete einzuarbeiten. Hin-
gegen teile ich die Auffassung nicht, dass es die Juristen heute weniger schaffen,
sich in verantwortungsvolle operative und strategische Positionen hinaufzuarbei-
ten. Die Frage nach einem Berufswechsel stellt sich fast jedem engagierten Wirt-
schaftsjuristen nach spätestens zehn bis fünfzehn Jahren. In der Verwaltung ist
56 R. Mader
spezifisches Fachwissen erst recht gefragt: Man denke an die Erarbeitung eines
Gesetzes im Bereich des Erwachsenenschutzes, der Gentechnologie, des Steu-
errechts oder des Ausländerrechts. Wer aber dabei stehen bleibt und nicht in der
Lage ist, sich auch auf anderen Gebieten Gehör zu verschaffen, sich durchzu-
setzen sowie seine Meinung schriftlich und mündlich überzeugend darzulegen,
der wird es kaum „in die Ränge“ schaffen.
Christian Dueblin: In der Verwaltung spielen Gesellschaft und Politik eine viel
größere Rolle als in der Privatindustrie, wir sprechen auch vom Service Pub-
lic. Welchen Einfluss hat dieser Service-Public-Aspekt Ihres Erachtens auf die
Arbeit und das Funktionieren einer Rechtsabteilung in der Verwaltung?
Prof. Dr. Heinrich Koller: Der Staatsdiener muss überzeugt sein vom Wert seiner
Aufgabe und vom Nutzen seiner Tätigkeit für die Herstellung einer gerecht(er)
en Gesellschaft. Er holt seine Motivation einerseits aus dieser Einsicht und ande-
rerseits aus der Freude an seinem Arbeitsgebiet. Es braucht Gemeinsinn, soziales
Engagement, politischer Gestaltungswille und Verantwortungsbewusstsein. Wer
nur des Einkommens oder der Karriere willen eine Staatsstelle anstrebt, wird
dort nicht glücklich werden. Insofern gehören der Dienst an der Gemeinschaft
und die Freude an der politischen Gestaltung zu den grundsätzlichen Vorausset-
zungen einer erfüllten „Beamtenlaufbahn“. Ich erwarte solches freilich auch von
den Richtern und Professoren, was nicht im Widerspruch stehen darf zu einer
freiheitlichen und wirtschaftsfreundlichen Gesinnung.
gesellschaftsrechtlichen Projekten der Fall war. Man erinnert sich dann gerne
an Paragrafen, Absätze und Sätze aus der eigenen Feder – und den politischen
Kampf um solche Passagen. Ebenso groß schätze ich jedoch die Machtbefug-
nisse ein, die mit dem kritischen Hinterfragen von Vorschlägen, dem Ausloten
von Varianten, der Korrektur von einseitigen Lösungen und insbesondere mit
der Beratungstätigkeit verbunden sind. Die Mitwirkung bei der politischen Mei-
nungsbildung in der Verwaltung und in den parlamentarischen Kommissionen
gehört zu den anspruchsvollsten und bedeutsamsten Aufgaben eines Chefbeam-
ten im Bereich der Gesetzgebung und Rechtspflege.
Christian Dueblin: Mehr als bei anderen Berufen stellt sich beim Legal Coun-
sel die Frage des Vertrauens. Aufgrund seiner Aufgaben weiß er in der Regel
mehr über Interna als andere Arbeitnehmende. Gibt es in Bezug auf die Anfor-
derungen an Integrität, Loyalität und Vertraulichkeit zusätzliche Aspekte, wel-
che verglichen mit der Privatindustrie, eine besondere Rolle spielen?
Prof. Dr. Heinrich Koller: An sich nicht, doch spielen in der Politik die
Medien eine viel bedeutsamere Rolle. Diese sind beständig auf der Suche nach
irgendwelchen „Primeurs“ und Informationslecks. Deshalb gehören Vertrau-
enswürdigkeit und absolute Verschwiegenheit zu den unabdingbaren Wesens-
merkmalen eines Chefbeamten. Er erlebt die Magistratspersonen von ganz nahe,
als Menschen mit Stärken und Schwächen, in guten und schlechten Zeiten. Dar-
über zu reden, sei es während oder nach der Amtszeit, verbietet der Anstand,
auch wenn ein Interesse der Medienöffentlichkeit daran bestehen sollte. Wesent-
lich schwieriger ist es jedoch, bei sich und seinen Untergebenen Zurückhaltung
gegenüber den Medien in politischen Belangen zu fordern und durchzusetzen.
Während in der Privatwirtschaft eine unbedachte Äußerung zu großen Schäden
und zum Verlust des Arbeitsplatzes führen kann, gibt es in der Verwaltung und
in der Politik immer wieder Personen, die zwecks Beeinflussung des Entschei-
dungsprozesses vertrauliche Informationen vorzeitig preisgeben. Diese Leute
ausfindig zu machen, ist angesichts der vielen involvierten Personen häufig
schwierig. Zudem meinen alle, dafür ein Interesse der Öffentlichkeit geltend
machen zu können.
58 R. Mader
Christian Dueblin: Ein Legal Counsel in der Privatindustrie ist nur in sel-
tenen Fällen im Fokus der Öffentlichkeit. Ein Verwaltungsjurist hingegen
muss sich mit der Öffentlichkeit auseinandersetzen, beispielsweise auch
aufgrund des herrschenden Öffentlichkeitsprinzips in der Verwaltung.
Was stellt das für besondere Anforderungen an den juristischen Fachex-
perten der Verwaltung?
Prof. Dr. Heinrich Koller: Der juristische Fachexperte muss zwischen zuläs-
sigen Fachauskünften und unangebrachten, beziehungsweise unbotmäßigen
politischen Meinungsäußerungen unterscheiden können. Von der politischen
Behörde einmal getroffene Entscheide muss er jedoch gekonnt und mit Über-
zeugung vor der Öffentlichkeit vertreten können. Einiges kann man den
Medienverantwortlichen überlassen; für wichtige Projekte, bedeutsame poli-
tische Entscheide und Krisenfälle jedoch hat der Chef hinzustehen. Wer dazu
nicht in der Lage ist, kann seinen politischen Vorgesetzten nicht ausreichend
entlasten. Abgesehen davon, dass Öffentlichkeitsarbeit, Vorträge, politische
Debatten, Medienkonferenzen etc. zum Pflichtheft jedes Chefbeamten gehören.
Literatur
Häfelin U, Müller G, Uhlmann F (2010) Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. Schulthess,
Zürich
6.1 Einführung
Das Rechtssystem der Vereinigten Staaten ist ein föderalistisches System, welches
zwei Ebenen von Gesetzen und Bestimmungen kennt: einmal die des Bundes und
zum andern die der jeweiligen Bundesstaaten. Das US-amerikanische Rechts-
system ist daher, mit gewissen Einschränkungen, demjenigen der Schweiz sehr
ähnlich, steht damit aber in Kontrast zu den eher einheitlichen Rechtssystemen,
wie man sie in Deutschland und Österreich findet, wo viele Gesetze mit Bezug
T. Soseman (*)
Chicago, IL, USA
E-Mail: tsoseman@sosemanlaw.com
auf Geschäftsregeln hauptsächlich auf dem Recht der Europäischen Union basie-
ren und entweder direkt oder durch Umsetzung in das jeweilige nationale Recht
Gesetzeskraft erhalten.
Für ein typisches kleines oder mittelständisches Unternehmen (KMU), das in
den Vereinigten Staaten unternehmerisch tätig sein möchte, hat diese Dualität im
Allgemeinen jedoch keine allzu großen Auswirkungen auf das tägliche Geschäft.
Zu Beginn der Präsenz in den Vereinigten Staaten werden die meisten anwend-
baren Gesetze und Bestimmungen die desjenigen Bundesstaates sein, in dem das
Unternehmen registriert wurde und/oder in welchem es seine Geschäfte betreibt.
Geschäftsbezogene Gesetze wie diejenigen über Firmengründung, Handelsrecht,
Vertragsrecht, Arbeitsrecht, Verkauf und Erwerb von Waren oder Eigentumsrecht
liegen zumeist innerhalb des Regelungsbereichs der Bundesstaaten. Sollte ein
KMU beispielsweise vorhaben, in den USA ein Tochterunternehmen aufzubauen,
wird es dieses nach den Vorschriften des Wirtschaftsrechts eines der fünfzig Bun-
desstaaten, etwa dem des Bundesstaates Delaware gründen, dessen Gründungsfor-
malitäten im Verhältnis zu anderen Bundesstaaten sehr effizient und kostengünstig
gestaltet sind, um so einen Anreiz zur Gründung neuer Unternehmen zu schaffen.
Das Verfahren ähnelt hierbei dem in der Schweiz, in welchem die Gründung eines
neuen Unternehmens ebenfalls auf Kantonsebene vonstattengeht, obgleich sie
nach dem gesamtschweizerischen Gesellschaftsrecht erfolgt. Im Gegensatz dazu
steht in Deutschland der einheitliche Eintragungsantrag an das Handelsregister
oder an das Firmenbuch in Österreich.
Der Gründungsprozess in den Vereinigten Staaten ist jedoch auch ein gutes
Beispiel für die Schwierigkeiten, im Rahmen des Wirtschaftsrechts eines födera-
listischen Systems zu operieren: Theoretisch könnte man eine „XYZ Inc.“ unter
dem Gründungsgesetz jedes der fünfzig Bundesstaaten gründen, sofern der ent-
sprechende Namen nicht bereits im entsprechenden Bundesstaat verwendet wird.
Dies kann in Ländern, in denen es eine zentrale Einrichtung für den Gründungs-
eintrag gibt, wie etwa das Handelsregister in Deutschland oder das Firmenbuch
in Österreich, nicht geschehen. In der heutigen Zeit, in der Geschäfte zunehmend
keine Landesgrenzen mehr kennen, könnte die Tatsache, dass ein anderes Unter-
nehmen genau den gleichen Firmennamen wie Ihr Unternehmen auf dem US-ame-
rikanischen Markt führt, schweren Schaden verursachen. Um dies noch weiter zu
komplizieren, könnte man die „XYZ Inc.“ – nach dem Bundesgesetz der Verei-
nigten Staaten und dem Gesetz des Bundesstaates Delaware – in Delaware grün-
den, würde aber nicht gleichzeitig damit auch die Erlaubnis haben, unter diesem
Namen zum Beispiel im Bundesstaat Illinois tätig sein zu können, sofern ein
Unternehmen in Illinois bereits unter dem gleichen Namen existiert („Wer zuerst
kommt, hat das Vorrecht“). Es gibt zwar Möglichkeiten, ein solches Problem
abzumildern, dennoch zeigt dieses Beispiel exemplarisch auf, wie sich bisweilen
Probleme bei Geschäftstätigkeiten aufgrund des föderalistischen Systems der Ver-
einigten Staaten ergeben können.
Aufgrund von Konflikten – ähnlich dem vorhin beschriebenen – griff das Bun-
desrecht in einige Bereiche der Wirtschaftsgesetzgebung ein, die zuvor ausschließ-
lich durch Gesetze der Bundesstaaten geregelt waren. Diese Entwicklung erfolgte
6 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit den USA 63
durch eine große Zahl von Fällen verfeinert worden, über welche die Richter über
die Jahrhunderte hinweg immer wieder entscheiden mussten. Wegen der langen
Geschichte, die das common law-System in den Vereinigten Staaten hat, lassen
sich viele Streitfragen bereits anhand von Recherchen gut beantworten. Dennoch
können, wie dies in der Wirtschaft immer wieder der Fall ist, neue Streitfragen
auftauchen, die in früheren Fällen noch nicht behandelt wurden und gelegentlich
aufgrund deren Unbekanntheit zu Unsicherheiten hinsichtlich des richtigen Vorge-
hens führen.
Das common law ist einer der Gründe, weshalb rechtliche Vereinbarungen in
den Vereinigten Staaten dazu tendieren, sehr viel umfangreicher zu sein als es
ähnliche Verträge in Deutschland, Österreich oder der Schweiz sind. Im Rahmen
des common law wird das Vertragsrecht besonders durch die Interpretation neuer
Fälle (new cases interpretations) beeinflusst sowie zusätzlich durch das Faktum,
dass weder das Bundesrecht der Vereinigten Staaten noch das Wirtschaftsrecht der
einzelnen Bundesstaaten rechtliche Standardbestimmungen aufweisen, welche das
Vertragsrecht regeln würden. Daher müssen in allen US-amerikanischen Verträ-
gen ausdrücklich alle Vereinbarungen, Verständnisse und Geschäftsbedingungen
aufgeführt werden, die von den Parteien vereinbart wurden. Außerdem werden
die Parteien wegen der sich überschneidenden Regularien des föderalen Sys-
tems versuchen, Vereinbarungen und Bestimmungen abzufassen, die spezifische
Rechtsprechungen oder Interpretationen thematisieren, welche sie gezielt anspre-
chen, aufnehmen oder wegbedingen möchten. Als Ergebnis werden neue Inhalte
hinzugefügt, ohne irgendwelche der vorhandenen zu entfernen, wodurch immer
noch umfangreichere Vereinbarungen entstehen. Demgegenüber können Vertrags-
parteien in Deutschland auf die allgemeinen Regeln im Bürgerlichen Gesetzbuch
(BGB) – in Österreich auf diejenigen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs
(ABGB) und in der Schweiz auf diejenigen des Obligationenrechts (OR) – verwei-
sen, ohne im Vertrag deren Inhalt mit aufnehmen zu müssen.
verschüttete, als sie in ihrem geparkten Wagen saß.1 Die Fakten waren in die-
sem Fall ziemlich eindeutig: Die Frau erlitt Verbrennungen dritten Grades,
wobei die schweren Verbrennungen 16 % ihres Körpers bedeckten. Sie ver-
brachte daraufhin eine Woche im Krankenhaus und hatte deswegen Arztrech-
nungen in Höhe von 10.500 US$ zu bezahlen. Während des Rechtsstreits stellte
sich heraus, dass McDonalds die Standardtemperatur für seinen Kaffee von 82
auf 88 °C angehoben hatte, wobei bekannt war, dass der Kaffee bei dieser höhe-
ren Temperatur innerhalb von zwei bis sieben Sekunden zu Verbrennungen drit-
ten Grades führen kann. Weiter wurde bekannt, dass bei McDonalds in den dem
Fall vorangehenden zehn Jahren bereits über 700 Beschwerden von Menschen
eingegangen waren, die sich aufgrund des heißen Kaffees Verbrennungen mit
unterschiedlichen Schweregraden zugezogen hatten. Trotzdem hatte ein Leiter
der Qualitätskontrolle von McDonalds bescheinigt, dass diese Zahl von Verlet-
zungen nicht ausreiche, um eine Änderung bei den Richtlinien bezüglich der
Kaffeetemperatur von McDonalds zu veranlassen.
Die zwölfköpfige Jury des Bezirksgerichts entschied in der Folge zugunsten der
verletzten Frau und befand, der Warnhinweis auf der Tasse sei nicht groß genug
respektive ausreichend gewesen, um die Klägerin angemessen vor der Gefahr zu
warnen. Des Weiteren entschied die Jury, ihr einen Schadensersatzanspruch von
200.000 US$ zuzusprechen, welcher dann aufgrund des Mitverschuldens um
20 % auf 160.000 US$ reduziert wurde. Die Jury sprach der Klägerin zudem wei-
tere 2,7 Mio. US$ als Strafschadensersatz zu. Dies entsprach dem Kaffee-Umsatz
von McDonalds für zwei Tage. Diese 2,7 Mio. US$ Strafschadensersatz waren
es, welche danach sowohl in den US-Medien wie auch weltweit als Beispiel für
einen albernen Rechtsstreit und für unverständlich hohe punitive damages herum-
gereicht wurden und für Kopfschütteln bezüglich der Praxis US-amerikanischer
Gerichte sorgten. In den Medien wurde allerdings weder das wahre Ausmaß der
Verbrennungen der älteren Dame aufgezeigt noch auf die vorbestehenden Kennt-
nisse eingegangen, wonach man bei McDonalds wusste, dass deren Richtlinien
für heißen Kaffee zu gravierenden Verbrennungen führen können. Zudem wurde
in der Berichterstattung oft auch die Tatsache nicht erwähnt, dass der Richter des
Bezirksgerichts den Betrag des Strafschadensersatzes auf 480.000 US$ gesenkt
hatte oder dass McDonalds und die Klägerin den Streit schließlich für eine unge-
nannte Summe von insgesamt weniger als 600.000 US$ verglichen. Der Kaf-
fee-Fall von McDonalds gibt jedoch die Grundüberlegungen gut wieder, die hinter
der Zuerkennung von Strafschadensersatz stehen: Das Produkt von McDonalds
war nachweislich gefährlich und das Unternehmen hatte davon Kenntnis. Dennoch
setzte es seine Kunden weiterhin einem gefährlichen Produkt aus, und das ohne
eine angemessene Warnung über die Art und das Ausmaß dieser Gefahr.
Die Lehre aus diesem Fall: Sollte je bemerkt werden, dass ein Produkt Ihres
Unternehmens auf dem US-amerikanischen Markt gefährlich ist oder für Kun-
den gefährlich sein könnte (entweder wegen eines Konstruktions- oder eines
1Siehe Details zum Fall unter www.lectlaw.com/files/cur78.htm. Besucht 10. April 2017.
6 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit den USA 67
Die USA sowie die DACH-Länder weisen gegenseitig eine sehr starke kulturelle
Übereinstimmung aus: Viele deutsche, österreichische und Schweizer Einwande-
rer kamen während der letzten zwei Jahrhunderte in die USA und brachten ihre
Lebensweise und ihre spezifischen Kulturen mit. Sie hatten dadurch einen nach-
haltigen Einfluss auf die Entwicklung der USA – was bis heute Gültigkeit hat.
Amerikaner reisen daher gerne in die Länder ihrer Vorfahren und Europäer gerne
ferienhalber in die USA. Aber gerade diese Vertrautheit kann für europäische
Legal Counsels ein Problem darstellen, die in den USA Rechtsgeschäfte abzuwi-
ckeln haben: Aufgrund der vielen Ähnlichkeiten der Kulturen fühlen sie sich in
den USA ziemlich heimisch und fallen daher häufig auf ihre angestammten Wahr-
nehmungsgewohnheiten und Handlungsweisen zurück. Das kann zu Frustrationen
führen, wenn sie merken, dass ihre US-amerikanischen Pendants die Geschäfte in
einer unterschiedlichen Art und Weise verfolgen. Dieses Phänomen erleben euro-
päische Legal Counsels zum Beispiel nicht, wenn sie sich mit dem japanischen
oder dem chinesischen Markt beschäftigen, da sie hier bereits von Anfang an
davon ausgehen, dass die Kulturen unterschiedlich sind und sie daher auch rechtli-
che und interaktive Unterschiede zeigen (siehe dazu detailliert auch Kap. 7).
Einer der häufigsten, wenn nicht sogar der am weitesten verbreitete kulturelle
Unterschied, den viele europäische Geschäftsleute und ihre Rechtsberater bemer-
ken, ist der, dass amerikanische Geschäftsleute in ihrer Kommunikation häufig
nicht direkt sind. Außerdem ist es oft sehr schwierig, die richtige Person innerhalb
einer Organisation zu identifizieren, welche über die notwendige Autorität verfügt,
um eine Geschäftsbeziehung einen Schritt weiter zu bringen. Bei solchen Per-
sonen gilt es zudem viele interne gate keeper gekonnt zu umgehen. Selbst wenn
man den richtigen Ansprechpartner gefunden kann, ist es oft ziemlich schwierig,
ihr – sei es über Telefon oder via E-Mail – eine verbindliche Antwort zu entlo-
cken. Dies ist für viele Europäer nicht so recht nachvollziehbar, da amerikanische
Geschäftsleute gewöhnlich als sehr freundlich und offen erlebt werden. Es handelt
sich dabei aber um einen fast schon reflexartigen Wunsch, nett und nicht grob zu
sein, der dazu führt, dass Telefonanrufe oder E-Mails „höflich“ ignoriert werden.
Ein solches Verhalten stellt für Amerikaner eine weit weniger belastende Art dar,
als ein direktes Nein, wenn dem Gegenüber mitgeteilt werden soll, dass man nicht
an seiner Dienstleistung oder seinen Produkten interessiert ist. Selbst wenn man
Erfolg mit der Vereinbarung eines ersten Treffens mit einem potenziellen US-ame-
rikanischen Kunden hat, wird dieser in der Regel zwar sehr freundlich und oft
auch sehr enthusiastisch sein, doch dann wird man nach einem scheinbar erfolg-
reichen Treffen nie wieder etwas von ihm hören oder erst, nachdem ein längerer
Zeitraum verstrichen ist.
Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass amerikanische Geschäftsleute
regelmäßig preissensibler sind als ihre europäischen Kollegen. Den mit unter-
schiedlichen Preisen einhergehenden Qualitätsunterschieden wird keine so große
Bedeutung zugemessen. Oft bringen DACH-Unternehmen daher Produkte auf den
6 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit den USA 69
Ziel dieses Beitrages ist es, dem Legal Counsel eines Unternehmens, welcher
nicht regelmäßig mit China zu tun hat, Einblicke in die chinesische Rechtskultur
zu verschaffen und ihn auf mögliche Herausforderungen in rechtlichen Angelegen-
heiten zu sensibilisieren. Der Beitrag beruht auf den Erfahrungen des Autors, wel-
che er während seiner mehrjährigen beruflichen Tätigkeit in China gesammelt hat.
Nicht nur die Rechtssysteme und Kulturen der einzelnen asiatischen Länder
untereinander können stark divergieren. Auch innerhalb von China gelten nicht
ein Rechtssystem und eine Kultur. Hongkong ist eine Sonderverwaltungszone der
Volksrepublik China und verfügt nach dem Grundsatz „Ein Land – Zwei Systeme“
im Wesentlichen nach wie vor über ein mehrheitlich eigenständiges Rechtssystem,
welches historisch auf dem englischen Common Law basiert, auch wenn die Ein-
flüsse Beijings vermehrt zunehmen. Das gleiche Prinzip „Ein Land – Zwei Sys-
teme“ gilt auch für die Sonderverwaltungszone von Macao, mit dem Unterschied,
dass das Rechtssystem von Macao portugiesischen Ursprungs ist. Taiwan wiede-
rum hat ein eigenes unabhängiges Rechtssystem. Wenn nun im Folgenden auf die
chinesische Kultur und das chinesische Recht eingegangen wird, dann wird damit
auf die Volksrepublik China unter Ausschluss der beiden Sonderverwaltungszo-
nen Hongkong und Macao sowie Taiwan Bezug genommen. Dieser Hauptteil der
Volksrepublik China wird meist als „Festland China“ beziehungsweise „Mainland
China“ bezeichnet.
L. Züst (*)
VISCHER AG, Head China Desk, Zürich, Schweiz
E-Mail: lzuest@vischer.com
Was macht die chinesische Kultur aus und wie zeigt sich die chinesische Kultur im
Rechtsalltag? China ist ein Vielvölkerstaat. Den weitaus größten Anteil, das heißt
ca. 92 %, nehmen jedoch die Han-Chinesen ein. Sie dominieren die chinesische
Kultur, welche bekanntlich zu den ältesten Kulturen dieser Welt gehört. Die drei
Lehren Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus hatten großen Einfluss auf
deren Entwicklung. Im 20. Jahrhundert floss mit dem Kommunismus eine neue
und bis heute prägende Lehre in die chinesische Kultur ein.
In der chinesischen Kultur ist das Bestreben nach Harmonie zentral. Dieses Bestre-
ben wird nicht nur von der Zentralregierung propagiert, sondern ist auch in der chine-
sischen Bevölkerung stark verankert. Ferner basiert die chinesische Kultur stark auf
dem Konzept des Gruppendenkens. Innerhalb einer Gruppe oder der (Groß-)Familie
fühlen sich Chinesen in aller Regel sehr stark verbunden. Die Loyalität ist hier äußerst
groß. Hingegen nehmen Loyalität und Vertrauen gegenüber Personen außerhalb die-
ser nahestehenden Gruppe rapide ab. Vor diesem Hintergrund muss oft auch das als
zunächst unhöflich und nicht hilfsbereit aufgefasste Verhalten von Chinesen in der
Gesellschaft verstanden werden, wenn sie beteiligungslos an einem Hilfsbedürftigen
vorbeiziehen. Ein weiterer Grund für dieses Verhalten kann aber auch sein, dass man
sich nicht in die Angelegenheit anderer einmischen will, weil man sich selber keine
zusätzlichen Probleme (auch gegenüber dem Staat) schaffen möchte. Dass die Loya-
lität gegenüber Personen außerhalb der eigenen Gruppe grundsätzlich sehr beschei-
den ist, zeigt sich unter anderem auch in der hohen Fluktuation von Arbeitnehmern in
den Unternehmungen. Ferner ist das Hierarchiebewusstsein in der chinesischen Kul-
tur stark präsent. Der Vorgesetzte wird von seinen Untergebenen grundsätzlich nicht
hinterfragt. Vielmehr verlangt der Vorgesetzte, und die Untergebenen sind sich dies so
gewohnt, dass seine Anweisungen umgesetzt werden. Einen interessanten, tiefen und
differenzierten Einblick in das Wesen der Chinesen und deren Kultur hat Lin Yutang
im Buch My Country and My People geschaffen. Dieses im Jahre 1935 in den USA
erschienene Buch wollte „Westlern“ die chinesische Kultur näher bringen und fand
großen Anklang. Es ist auch heute noch eine empfehlenswerte Lektüre.
Das zeitgenössische chinesische Recht ist eine Mischung aus historisch
gewachsenem lokalen Recht, kontinentaleuropäischem Recht, US-amerikanischen
Einflüssen und den sogenannten „chinesischen Charakteristika“. Nach der Macht
übernahme der Kommunisten unter der Herrschaft von Mao Zedong wurden viele
Gesetze Chinas abgeschafft. Ein Gesellschaftsrecht oder Vertragsgesetz gab es
nicht mehr. Verwaltungsrechtliche und strafrechtliche Bestimmungen wurden hin-
gegen weiter ausgebaut. Als China unter Deng Xiaoping Ende der 1970er-Jahre
und zu Beginn der 1980er-Jahre die Politik der offenen Türen (open door policy)
einführte und umzusetzen begann, mussten in vielen Bereichen wieder neue
Gesetze geschaffen werden. In den vergangenen rund 35 Jahren erstellte, bezie-
hungsweise modernisierte China sein Rechtssystem, sodass China heute über ein
umfassendes Rechtssystem verfügt. Wie nachstehend noch darzulegen sein wird,
besteht jedoch vor allem in der Rechtsanwendung und -durchsetzung großes Ver-
besserungspotenzial.
7 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit China 73
Beispiel
Weil es vor wenigen Jahren in einer Provinz zu einigen verheerenden Fabrikun-
fällen gekommen war, die im Zusammenhang mit der Lagerung und Verarbei-
tung von gefährlichen Chemikalien standen, wurde von der Provinzregierung die
policy erlassen, dass bis auf Weiteres keine Bewilligungen für die Erweiterung
74 L. Züst
Wie muss man sich eine typische chinesische Beamtin, einen chinesischen Anwalt
oder Geschäftsmann oder eine Managerin vorstellen? Auch wenn jeder Entschei-
dungsträger in China seine eigene Art und Persönlichkeit besitzt, gibt es gewisse
Eigenschaften, welche auf eine Mehrzahl der Personen der jeweiligen Gruppe
zutreffen. Diese werden im Folgenden näher vorgestellt.
Behörden nehmen im chinesischen Alltag eine wichtige Rolle ein. Nach wie
vor ist es für viele Studienabgänger ein großes Ziel, Beamter zu werden, da die
Zulassung zum Beamten für viele einen sozialen Aufstieg darstellt und mit sozia-
lem Prestige verbunden wird. Die Behörden üben eine beträchtliche Autorität und
Macht aus und deren Ermessensspielraum ist groß. Entsprechend besteht in der
Beziehung zwischen den Behörden und den Privatrechtssubjekten ein erhebliches
Hierarchiegefälle. Obwohl China zur globalen Wirtschaftsmacht aufgestiegen ist
und auch die Informationstechnologie längst Einzug genommen hat, ist der Kon-
takt zwischen Privatrechtssubjekten und dem Staat immer noch stark von persön-
lichem Vorsprechen abhängig und die Verwaltung noch traditionell organisiert.
Eingaben und Anträge an Staatsstellen sind grundsätzlich persönlich einzureichen.
Mittlerweilen gibt es zwar öfters auch die Möglichkeit, Anträge online zu stellen.
Der Übergang zum e-Government hat in den letzten 18 Monaten an Geschwin-
digkeit zugenommen. Jedoch ist die dazu vorab vorzunehmende Registrierung in
vielen Fällen dermaßen aufwendig oder komplex, dass diese Möglichkeit in der
Praxis dann oftmals doch nicht wahrgenommen wird. Vielmehr wird weiterhin der
klassische Vorgang des persönlichen Vorsprechens gewählt.
Beim persönlichen Vorsprechen unterzieht der zuständige Beamte den Antrag
einer ersten Prüfung. Diese erste Prüfung fokussiert sich in im Allgemeinen auf
formelle Voraussetzungen (wie Vollständigkeit der Unterlagen, rechtsgenügende
Unterzeichnung und Legalisierung der Unterlagen). Der Beamte nimmt sich
jedoch meist auch das Recht, den Antrag einer summarischen materiellen Prüfung
zu unterziehen. Die summarische materielle Prüfung kann derweilen sehr spezi-
elle Ausmaße annehmen. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Bewilligung
werden grundsätzlich im Gesetz sowie den lokalen Ausführungsbestimmungen
genannt. In der Regel führen die lokalen Behörden auf ihren Websites zusätzlich
die konkret geforderten Unterlagen und Anforderungen an eine Bewilligung auf.
Standardantragsformulare werden ebenfalls auf deren Websites zur Verfügung
gestellt. Nicht überrascht werden darf der Antragsteller jedoch, wenn er vom
7 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit China 75
Beamten damit konfrontiert wird, dass zum Beispiel ein falsches Standardantrags-
formular benutzt worden sei (obwohl es von der Behörde online zur Verfügung
gestellt wurde). Dies vermag den Antrag zwar nicht zu vereiteln, jedoch verzögert
sich der ganze Prozess, weil ein anderes Formular nochmals vorbereitet und je
nach dem von einem Zeichnungsberechtigten unterzeichnet beziehungsweise mit
dem company chop abgestempelt werden muss.
Problematisch kann es vor allem dann werden, wenn der Beamte mitteilt, dass
gemäß einer lokalen policy weitere – strengere – Anforderungen bestehen, damit
eine Bewilligung erteilt werden könne. Diese policies sind – wie oben bereits
ausgeführt – gewöhnlich weder im Gesetz noch in den Regulierungen vorgese-
hen, und kommen für den Antragsteller meist sehr überraschend. Es stellt sich
die Frage, was dagegen unternommen werden kann. Auch wenn jeder Fall ein-
zeln zu beurteilen ist, kann Folgendes berücksichtigt werden: Sofern die strengere
Anforderung mit moderatem Aufwand erfüllt werden kann, lohnt es sich im All-
gemeinen aus rein pragmatischen Gründen, diese Anforderungen zu erfüllen. In
gewissen Fällen bieten die Beamten selbst Alternativen an, wie diese höheren vom
Gesetz nicht vorgesehenen Anforderungen erfüllt werden können. Ein einfaches
Beispiel soll dies illustrieren:
Beispiel
Ein in der Gründung befindliches, ausländisch-finanziertes Unternehmen hatte
sich bei einer Tochtergesellschaft einer befreundeten Unternehmensgruppe
zur Untermiete eingemietet. Die gesetzlichen Voraussetzungen an die Unter-
miete waren erfüllt. Die Gründung der Gesellschaft wurde von der zuständigen
Bewilligungsbehörde (MOFCOM) bereits bewilligt und die Untermiete wurde
von MOFCOM nicht infrage gestellt. Als nächster Schritt stand die Registrie-
rung der Gesellschaft bei der lokalen Industrie- und Handelskammer (AIC) an.
Bei der Registrierung wurde jedoch diese Untermiete nicht akzeptiert mit dem
Hinweis auf die lokale policy, dass Untermieten in dem betreffenden Indust-
riepark nicht zulässig seien. Der tatsächliche Grund dieser policy war, dass der
Industriepark noch freie Kapazität an Geschäftsräumlichkeiten hatte und bevor-
zugt hätte, seine Räumlichkeiten an das neue Unternehmen zu vermieten. Eine
Einigung mit den Behörden war nicht möglich, obwohl der Antrag rechtlich
einwandfrei war. Die Behörde stellte nach langen Gesprächen zwei Optionen
zur Auswahl: Eine zinsfreie Miete oder der Vermieter müsse seinen registrier-
ten business scope insofern ändern, dass dieser die Vermietung von Räumlich-
keiten ausdrücklich vorsehe. Die zweite Option kam für den Vermieter aus
diversen (insbesondere steuerrechtlichen) Gründen nicht infrage. Die erste
Option war jedoch für beide Parteien (Vermieter und Mieter) akzeptabel. Das
ausländische Unternehmen reichte den gleichen Mietvertrag erneut ein, fügte
jedoch beim Mietzins eine Null ein. Mit dieser „Formalität“ konnte der „Man-
gel“ aus Sicht der lokalen AIC geheilt und in der Folge die Gesellschaft von der
lokalen AIC gegründet werden.
76 L. Züst
Dieses einfache Beispiel zeigt gut auf: Erstens kann in vermeintlich einfachen
Fällen unvorhersehbar ein Problem auftauchen, welches einen Prozess massiv
stören und verzögern kann. Zweitens kann eine aus westeuropäischer Sicht for-
mal-juristisch unmögliche Lösung (zum Beispiel Mietvertrag ohne Mietzins) ein
Problem sehr rasch lösen. Drittens, Geduld ist im Umgang mit Behörden eine
wichtige Tugend. Viertens, beim Umgang mit chinesischen Beamten sind pragma-
tische Ansätze oft erfolgreich. Aber auch die chinesischen Behörden können sich
mit guter juristischer Argumentation überzeugen lassen und es kann auch zum Ziel
führen, auf dem eigenen Standpunkt zu beharren. Zu beachten ist dabei, dass der
gewöhnliche Beamte der ersten Stufe, welcher die Geschäfte behandelt, gewöhn-
lich einen tiefen Grad an Eigenkompetenz hat. Er hält sich grundsätzlich an die
internen Anweisungen und im Zweifel legt er sie sehr restriktiv aus, was dann
dazu führen kann, dass ein Antrag mit formalistischen Gründen abgelehnt wird.
Oft lässt sich in diesen Fällen der Beamte auf keine längeren Auseinandersetzun-
gen ein, und auf gute Argumente kann vonseiten des Beamten zuweilen auch mit
bloßem Schweigen reagiert werden. In solchen Fällen kann es erfolgsversprechend
sein, wenn innerhalb der Behörde ein ranghöherer Beamter oder der Amtschef ver-
langt wird. Dieser verfügt einerseits über eine größere Entscheidkompetenz. Ande-
rerseits hat er in der Regel mehr Erfahrung, was dazu führt, dass er eine Situation
gesamtheitlicher betrachtet.
Äußerst frustrierend für einen (ausländischen) Antragsteller kann der (über-
spitzte) Formalismus sein, welchen chinesische Beamte an den Tag legen können.
Dies kann selbst heute noch so weit gehen, dass nur die Unterschrift mit schwarzer
Tinte auf amtlichen Antragsdokumenten akzeptiert wird, jedoch eine solche mit
blauem Kugelschreiber nicht. Oder dass ein Beschluss des board of directors einer
chinesischen Gesellschaft, der rechtmäßig und zulässigerweise auf dem Zirkular-
weg erfolgt ist, für ein Gesuch nicht anerkannt wird, weil keine Angaben über Ort
und Zeit der Sitzung auf dem Dokument sind (die es bei einem Zirkularbeschluss
nicht gibt). Besonders mühsam und zeitintensiv kann es dann werden, wenn der
Beschluss des board of directors gemäß Vorschriften notariell beglaubigt und lega-
lisiert werden muss und sich die Mitglieder des board of directors in mehreren
Ländern beziehungsweise Kontinenten aufhalten.
In der Praxis tritt manchmal die Frage auf, ob die Botschaft, das Generalkon-
sulat oder die ausländische Handelskammer beizuziehen ist, wenn Probleme mit
Behörden auftauchen und ersichtlich ist, dass diese nicht nach dem geschriebenen
Recht zu handeln gedenken. Ausländische Handelskammern können meistens sehr
wenig erreichen, da sie gegenüber den Behörden nicht als Autorität wahrgenom-
men werden. Deshalb führt die Einschaltung von Handelskammern kaum zu Erfol-
gen. Die Unterstützung durch die Botschaft beziehungsweise das Generalkonsulat
kann im Einzelfall jedoch durchaus positive Wirkung erzielen. Die Botschaften
treten bei Konflikten wirtschaftlicher Natur gewöhnlich eher zurückhaltend auf,
sofern es sich nicht um eine offensichtliche und massive Ungerechtigkeit handelt.
Sofern persönliche Interessen von natürlichen Personen im Vordergrund stehen
(zum Beispiel Verweigerung der Ausreise eines Schweizers aus China), ist der
Einsatzwille üblicherweise größer. Das Hauptziel ist, eine gemeinsame Lösung
7 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit China 77
mit den Behörden zu erarbeiten. Streitigkeiten mit Behörden auf dem Amtsweg
(über die Aufsichtsbehörde) oder dem Gerichtsweg auszutragen, sind meist wenig
erfolgsversprechend.
Der Rechtsanwalt wird in China in der Regel als ein gewöhnlicher Dienstleis-
tungserbringer betrachtet, der im Einzelfall für Prozesse, rechtliche Abklärungen
oder Unterstützung bei Vertragsverhandlungen beigezogen wird. Der Anwalts-
stand genießt in der chinesischen Bevölkerung nicht das gleich hohe Ansehen
wie in Westeuropa, und Anwälte werden in China grundsätzlich nicht als Vertrau-
enspersonen wahrgenommen. Im Gegenteil: Oft besteht ein Misstrauen chinesi-
schen Anwälten gegenüber. Diesen teilweise eher zweifelhaften Ruf haben sich
chinesische Anwälte jedoch zu einem gewissen Teil auch dem eigenen Verhal-
ten zuzuschreiben. Obwohl diese von Gesetzes wegen auch dem Berufsgeheim-
nis unterstehen, nehmen chinesische Anwälte die Pflicht zur Geheimniswahrung
in der Praxis oft nicht so genau. Weiter ist die im deutschsprachigen Raum breit
abgedeckte Berufsethik in China viel weniger stark ausgeprägt. So darf es nicht
überraschen, wenn im Prozess ein Anwalt regelmäßig Behauptungen wider bes-
seres Wissens aufstellt. Da der Anwalt in der Regel keine (standesrechtlichen)
Konsequenzen zu befürchten hat und auch die Gerichte dies meist nicht negativ
beurteilen, werden Unwahrheiten in Prozessen oft bewusst eingesetzt.
Die Bandbreite an Fachwissen, Einsatzwille und Auftreten von chinesischen
Anwälten ist enorm groß, und selbstverständlich verfügt China auch über gut
gebildete, scharfsinnige, sprachgewandte und integre Anwälte. Die juristische
Qualität von Anwaltsdienstleistungen nimmt jedoch außerhalb der großen Metro
polen und wichtigsten Städten gemeinhin stark ab. Trotzdem lohnt es sich in vielen
Fällen, einen lokalen Anwalt vor Ort zusätzlich beizuziehen, da dieser mit den
lokalen Sonderheiten gut vertraut ist. Allerdings ist es meistens nicht ratsam, dem
lokalen Anwalt die Bearbeitung einer Angelegenheit selbstständig zu überlas-
sen. Eine erfolgsversprechende Strategie ist viel eher, wenn eine Kanzlei mit gut
ausgebildeten und einsatzwilligen Anwälten in einer der großen Metropolen die
juristische Arbeit erledigt. Für die Umsetzung wird dann je nach Fall eine lokale
Anwaltskanzlei beigezogen.
Der chinesische Staat wirkt im Geschäftsalltag mit. Selbst bei Transaktionen zwi-
schen Privatrechtssubjekten mischt sich der Staat ein, insbesondere dann, wenn die
Transaktion einen ausländischen Bezug aufweist. Das Motiv dieser Einmischung
ist klar: Die Ausübung staatlicher Kontrolle auch auf Privatrechtsgeschäfte. So
unterstehen zum Beispiel die Akquisition einer chinesischen Gesellschaft durch
einen ausländischen Investor oder in gewissen Fällen die Gründung eines Unter-
nehmens mit ausländischer Beteiligung der staatlichen Bewilligungspflicht. Dies
ist insofern von Bedeutung, als eine mangelhafte Bewilligung die Unwirksamkeit
eines Rechtsgeschäfts zur Folge hat. Hierzu ist anzufügen, dass im März 2015
ein Entwurf zu einem neuen Auslandinvestitionsgesetz veröffentlicht wurde, wel-
7 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit China 79
Beim Vertragsabschluss stellt sich in aller Regel die Frage, wie eine etwaige
Auseinandersetzung mit dem Vertragspartner gelöst werden kann, falls sich die
Parteien nicht einigen können. In den meisten Fällen steht die Wahl zwischen
staatlichen Gerichten oder Schiedsgerichten im Vordergrund. Was ist zu berück-
sichtigen, wenn mit einem chinesischen Vertragspartner eine Gerichtsstand-
klausel beziehungsweise Schiedsklausel vereinbart wird? Soll ein chinesisches
Schiedsgericht oder ein chinesisches staatliches Gericht akzeptiert werden? Soll
wenn immer möglich ein ausländisches staatliches Gericht oder eine auslän-
dische beziehungsweise internationale Schiedsorganisation bestimmt werden?
Diese Fragen sind essenziell und müssen in jedem Einzelfall unter Berück-
sichtigung der konkreten Umstände beantwortet werden. Im Folgenden wird
auf gewisse Aspekte von Prozessen vor chinesischen staatlichen Gerichten und
Schiedsgerichten eingegangen.
7 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit China 81
Weiter müssen von Gesetzes wegen alle Dokumente, die nicht auf Chinesisch
sind, von einem gerichtlich anerkannten Übersetzungsbüro übersetzt werden, um
als Beweismittel zugelassen zu werden. Diese Formvorschriften können im Ein-
zelfall je nach Umfang der Beweismittel einen nicht zu unterschätzenden admi-
nistrativen und finanziellen Aufwand verursachen. Da die ausländische Partei
meistens ausländische Beweismittel oder Dokumente, welche in einer anderen als
der chinesischen Sprache verfasst sind, vorbringen wird, geht diese Formvorschrift
entsprechend oft zulasten der ausländischen Partei.
Ein weiteres Problem stellt der lokale Protektionismus dar. Vor allem außer-
halb der großen Metropolen Beijing und Shanghai muss damit gerechnet werden,
dass lokale Gerichte die heimische Partei bevorzugt behandeln. Dieses Risiko wird
umso größer, je bedeutsamer die heimische Partei für die lokale Stadt beziehungs-
weise Region ist. Das Risiko ist auch dann erhöht, wenn es sich bei der heimi-
schen Partei um ein staatliches Unternehmen oder um ein Unternehmen, welches
mit dem Staat eng verbunden ist, handelt. Neben der generellen Bevorzugung
beziehungsweise dem lokalen Protektionismus hat das chinesische Gerichtswe-
sen immer noch ein Korruptionsproblem. Die chinesische Zentralregierung ist
sich dessen und des Schadens, den die Korruption anrichtet, sehr wohl bewusst.
Sie geht daher dezidiert dagegen vor. Dies ist ein positives Zeichen, die Kor-
ruption ist dadurch jedoch noch nicht aus dem Gerichtsalltag verschwunden. In
vielen Fällen ist die einseitige Bevorzugung während des Prozesses kaum ersicht-
lich, und es tritt die systematische Bevorzugung erst zum Schluss des Prozesses
richtig in Erscheinung. Gerade in Bestechungsfällen bemühen sich die Gerichte
oft tunlichst, alle prozessualen Vorschriften einzuhalten, beiden Parteien das
rechtliche Gehör zu gewähren, um dann ein sehr einseitiges Urteil zugunsten
der bestechenden Partei zu verfassen. So werden zum Beispiel Beweismittel mit
fadenscheinigen Begründungen nicht oder aus dem Zusammenhang heraus geris-
sen berücksichtigt oder es werden gewisse Argumente der Gegenseite nicht beach-
tet, respektive deren Sinn wird verdreht.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ein Gerichtsverfahren in China –
gerade für eine ausländische Partei – ein Unterfangen mit vielen Überraschun-
gen sein kann. Auf der anderen Seite muss auch festgehalten werden, dass
positive Ergebnisse vor staatlichen Gerichten trotz der obgenannten Schwierigkei-
ten erreicht werden können und auch erreicht werden. Vor allem für die auslän-
dische Partei ist es in einem Gerichtsverfahren imminent wichtig, dass sie (und
deren Rechtsvertreter) gute Arbeit leisten und den lokalen Gerichten möglichst
keine Gelegenheiten geben, die lokale Partei zu bevorzugen. Prozessuale Unacht-
samkeit kann rasch bestraft werden.
sind in China nach wie vor nicht mit Verfahren international bekannter Schiedsor-
ganisationen vergleichbar. Auch die Schiedsgerichte führen das Verfahren zuweilen
sehr chaotisch. Klare Verfahrensabläufe werden selten festgelegt, und es ist nicht
ungewöhnlich, dass das Schiedsgericht auf gefällte prozessleitende Entscheide wie-
der zurückkommt und diametral entgegengesetzte prozessleitende Entscheide fällt,
obwohl an den Grundlagen zu den früheren Entscheiden keine Änderungen einge-
treten sind. Bezeichnend für chinesische Schiedsgerichte ist auch, dass sie oft viel
unnötige Zeit mit unwesentlichen Punkten verbringen können, anstatt sich auf die
essenziellen Probleme zu konzentrieren. Diese Schwäche dient meist der beklagten
Partei, welche sie ausnützt, um von den eigentlichen Problemen abzulenken. Für
chinesische Schiedsverfahren charakteristisch ist sodann, dass sich das Sekretariat
der jeweiligen Schiedsorganisation oft in das Schiedsverfahren einmischt, selbst
nachdem das Schiedsgericht bestellt wurde.
werden soll, muss die Zustimmung des Obersten Gerichts (People’s Supreme Court)
eingeholt werden. Kommt auch der People’s Supreme Court zum Schluss, dass die
Anerkennung und Vollstreckung zu verweigern sind, wird der Entscheid des Voll-
streckungsgerichts endgültig. Gegen diesen Entscheid kann kein Rechtsmittel mehr
eingelegt werden. Der große Nachteil bei diesem Vorgehen ist, dass sich der Vollstre-
ckungskläger bei diesen gerichtsinternen Überprüfungen durch die höheren Instan-
zen nicht äußern kann.
Von der Sprachbarriere einmal abgesehen, ist das chinesische Recht für westeu-
ropäische Juristen kein Buch mit sieben Siegeln: Vor allem im Gesellschafts- und
Privatrecht kommt dem deutschsprachigen Juristen wohl einiges vertraut vor. Es
sind jedoch die in der Praxis zur Geltung kommenden chinesischen Besonder-
heiten in der Rechtsanwendung und -durchsetzung, welche den Rechtsalltag zur
Herausforderung werden lassen. Erfahrung, Beharrlichkeit und Flexibilität helfen,
diese Herausforderung erfolgreich zu meistern. Daneben dienen vor allem Ver-
ständnis und Offenheit gegenüber der chinesischen Kultur.
8.1 Einführung
Auf den ersen Blick mögen die Rechtsordnungen des Nahen und Mittleren Ostens
und Nordafrikas (MENA-Region) für einen Juristen aus Deutschland, Österreich
oder der Schweiz (DACH-Region) fremd und wenig nachvollziehbar wirken.
Bei näherer Betrachtung hält dieser erste Eindruck jedoch zumindest mit Blick
auf das Zivil- und Wirtschaftsrecht nicht stand. Dieses geht – mit wenigen Aus-
nahmen – auf die kontinentaleuropäische Rechtstradition zurück. Insbesondere
aufgrund des Einflusses des islamischen Rechts bestehen jedoch auch gewisse
Unterschiede zum europäischen Zivil- und Wirtschaftsrecht, die bei der Arbeit mit
Bezug zur MENA-Region berücksichtigt werden müssen. Außerdem bildet die
MENA-Region bei allen Gemeinsamkeiten keinen homogenen Rechtsraum. Eine
Harmonisierung des Rechts, wie sie zum Beispiel durch die Europäische Union
(EU) betrieben wird, kennt die Arabische Liga nicht. Folglich muss jeder Staat der
MENA-Region – bis zu einem gewissen Grad – individuell behandelt werden.
Durchaus fremd wird einem Juristen aus der DACH-Region allerdings das in
der MENA-Region anzutreffende System der Streitbeilegung sein. Die Quali-
tät der Rechtsprechung der staatlichen Gerichte ist häufig nicht mit europäischen
Standards vergleichbar. Insbesondere in der Golf-Region werden zudem sehr
umfassend juristische Laien als sogenannte Experts in die Rechtsfindung einbezo-
gen. Schließlich werden auch bei der Anerkennung von ausländischen Gerichtsur-
teilen und Schiedssprüchen internationale Standards nicht konsequent angewandt.
N. Bremer (*)
Alexander & Partner Rechtsanwälte, Schlüterstraße 41, 10707 Berlin, Deutschland
E-Mail: nb@alexander-partner.com
Dies sollte bereits bei Verhandlung von Verträgen mit Bezug zur MENA-Region
berücksichtigt werden. Das größte Maß an Offenheit und Anpassungsvermögen
verlangt jedoch die allgemeine Geschäftskultur der MENA-Region. Während sich
maßgeblich kaufmännische Angestellte mit diesem Aspekt konfrontiert sehen
werden, muss auch ein Legal Counsel – bei der Verhandlung von Verträgen, im
Rahmen der außergerichtlichen Streitbeilegung oder beim Umgang mit Behör-
den etc. – verstehen, wie sein Gegenüber denkt und agiert. Der wohl prägnanteste
Unterschied zwischen der MENA- und der DACH-Region liegt hierbei in der
Wahl der Worte. Während in der DACH-Region allgemein eine eher direkte Spra-
che gewählt wird, bedeutet in der MENA-Region ein „Ja“ häufig „vielleicht“, ein
„Vielleicht“ meist „nein“ und ein „Nein“ regelmäßig eine tief greifende Störung
der Geschäftsbeziehungen.
Für ein erfolgreiches Engagement im arabischen Raum ist neben den wirtschaftli-
chen und kaufmännischen Tugenden auch die Kenntnis der arabischen Geschäfts-
kultur von erheblicher Bedeutung. Zwar ist die MENA-Region insoweit nicht als
eine homogene Region zu verstehen, gewisse Gemeinsamkeiten lassen sich jedoch
identifizieren. So sind in allen Staaten der MENA-Region insbesondere persönliche
Beziehungen entscheidend. Langfristige erfolgreiche Geschäftsbeziehung mit ara-
bischen Partnern setzt eine solide persönliche Beziehungsebene voraus. Regelmä-
ßige persönliche Geschäftstreffen sind ein Muss. Soweit ein persönliches Treffen
nicht möglich ist, ist ein Telefongespräch stets der schriftlichen Kommunikation –
auch einer E-Mail – vorzuziehen. Dabei ist zu beachten, dass arabische Geschäfts-
leute weniger sach- und abschlussorientiert vorgehen als Europäer. Privaten
Themen, wie Familie, Sport oder Erfahrungen mit dem Heimatland des Gegen-
übers, sollte auch bei einem geschäftlichen Treffen Zeit gewidmet werden. Auch
bevorzugen Araber eine weniger direkte Kommunikation. Ein „Nein“ wird als
unhöflich aufgenommen. Auf der anderen Seite ist ein „Ja“ nicht zwingend als ver-
bindliche Zusage zu verstehen.1 Dies bedeutet aber nicht, dass arabische
Geschäftspartner nicht an einem Geschäftsabschluss interessiert sind. Sie sehen bei
einem gestörten persönlichen Verhältnis dafür jedoch zumeist keine Möglichkeit.
Dies ist auch für die Arbeit von Legal Counsels relevant. Verhandlungen – wie
zum Beispiel Vertragsverhandlungen – mit arabischen Geschäftspartnern sind meist
langwierig und verlaufen nicht streng linear. Daher sollte bei der Erstellung eines
ersten Vertragsentwurfs auf genügend Verhandlungsspielraum und Flexibilität geach-
tet werden. Da in der DACH-Region eine sach- und abschlussorientierte Geschäfts-
1Die jüngere Generation bevorzugt zunehmend eine direktere Kommunikation. Es kann daher
sein, dass angeboten wird, eine Verhandlung arabisch oder europäisch zu führen. Im Zweifel ist
zu raten, sich dem Stil seines Verhandlungspartners anzupassen; siehe unten Abschn. 8.4.5.
8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost 87
kultur vorherrscht, kommt es hier häufig zu Konflikten mit arabischen Partnern. Wir
drängen häufig zu früh auf einen Vertragsabschluss. Nachverhandlungen sollten stets,
auch nach einer vermeintlich abschließenden Verhandlungsrunde, erwartet werden.
Auch schrecken komplexe Vertragswerke arabische Partner häufig ab.2 Oft wird
der Vertragsentwurf dann schlicht abgelehnt. Eine detaillierte Stellungnahme, welche
Regelungen zurückgewiesen oder als problematisch erachtet werden, erfolgt regel-
mäßig nicht. Im Zweifel hat der arabische Partner den Vertragsentwurf nicht umfas-
send geprüft, sondern lediglich aufgrund des Umfangs verworfen. Das heißt für die
Vertragsgestaltung: Überlegen Sie sich gut, welche Regelungen essenziell sind und
welche Sie aufgeben könnten. Auf essenzielle Regelungen darf aber in keinem Fall
verzichtet werden. Die lokalen Gerichte – insbesondere in der Golf-Region – neigen
dazu, einen möglichen Streit nahe am Vertrag und nur unter rudimentärer Einbezie-
hung der Gesetze zu entscheiden. Ein Vertrag sollte daher möglichst genaue Rege-
lungen über seine Durchführung und Abwicklung und zu Verfahren bei
Leistungsstörung sowie in Streitfällen beinhalten. Dies ist insbesondere bei Verträgen
mit langer Bindewirkung, wie etwa bei Gesellschafts- und Joint Venture-Verträgen
oder Handelsvertreter-Vereinbarungen, zu beachten. Hier werden in der Regel auch
umfänglichere Verträge akzeptiert.
Schließlich sollte bei Verhandlungen und anderen Geschäftstreffen auf die
Gleichrangigkeit der Hierarchiestufen geachtet werden: Verhandeln Sie mit dem
General Manager, sollten die Verhandlungen von Ihrem Geschäftsführer geführt
werden. Ist dies nicht möglich, sollte die Stellung des Gegenübers berücksichtigt
und anerkannt werden. Das heißt, wenn Sie mit jemanden verhandeln, der in sei-
ner Unternehmensstruktur – auch nur vom Titel her – eine höherrangige Stellung
einnimmt, sollten Sie dies in der Verhandlung zum Ausdruck bringen. Zeigen Sie
Interesse an den von Ihrem Gegenüber aufgebrachten Themen und vermitteln Sie
den Eindruck, dass Sie seine Meinung und Kommentare schätzen. Keinesfalls
sollten Sie jedoch unterwürfig erscheinen. Adaptieren Sie nicht einfach die Mei-
nung des Gegenübers, sondern nehmen Sie diese auf und präsentieren Sie Ihren
Standpunkt. Gegebenenfalls formulieren Sie Ihren Standpunkt als Frage nach dem
Schema: „What do you think? Would (…) be a fitting solution?“ Dies gibt Ihrem
Verhandlungspartner die Möglichkeit sich einzubringen. Er muss seine Position
nicht entweder durchsetzen oder aufgeben, sondern kann an einer gemeinsamen
Lösung mitwirken. Beide Seiten vermeiden somit einen Gesichtsverlust. Beach-
ten Sie auch, dass das Alter in der MENA-Region regelmäßig bei (sozialen) Hier
archien Berücksichtigung findet. Erkennen Sie die „Weisheit“ des Älteren an.
Viel Potenzial bieten dabei private Themen. Lassen Sie Ihr Gegenüber von seinen
Erfahrungen berichten.
Neben der Pflege persönlicher Beziehungen ist eine lokale Präsenz zwar nicht
in jedem Fall erforderlich, jedoch durchaus förderlich. Arabische Partner verstehen
die Einrichtung einer lokalen Präsenz als Ausdruck eines langfristigen lokalen
Engagements. Diese positiven Effekte können jedoch nicht mit einem regionalen
2Etwas Anderes gilt etwa bei Großprojekten. Hier werden regelmäßig umfangreiche mehrschich-
tige Vertragswerke nach englischem oder angloamerikanischem Vorbild genutzt.
88 N. Bremer
Für verschiedenste Themen – wie die Gründung einer Gesellschaft, Erteilung von
Lizenzen oder anderen Genehmigungen – muss teilweise erheblicher bürokrati-
scher Aufwand betrieben werden.4 Zu weiteren Verzögerungen führt häufig die
lange Bearbeitungszeit bei den zuständigen Behörden. Außerdem fehlt es in den
Staaten der MENA-Region an einer einheitlichen Verwaltungspraxis nach euro
päischem Verständnis. Entscheidungen werden stärker einzelfallorientiert gefällt.
Dadurch sind behördliche Entscheidungen wenig berechenbar. Beispielsweise
müssen bei der Gründung einer Gesellschaft in der Regel der Gesellschaftsvertrag
von staatlichen Stellen beglaubigt oder beurkundet werden. Bei komplexen Gesell-
schaftsverträgen wird diese jedoch häufig ohne Nennung von Gründen verweigert,
auch wenn die Bestimmungen des betreffenden Vertrags rechtskonform sind. Der
Grund dafür liegt zumeist darin, dass die zuständigen Beamten nicht ausreichend
geschult sind. Komplexe Verträge verunsichern sie daher oft. Es empfiehlt sich
daher, standardisierte Verträge zu verwenden, mit denen die zuständigen Beamten
vertraut sind.5 Für den persönlichen Umgang mit Beamten gelten daher ähnliche
Verhaltensregeln und Strategien wie im Umgang mit arabischen Geschäftsleuten.
Haben Sie im Rahmen Ihrer Geschäftsaktivitäten häufig mit Behörden zu tun,
empfiehlt es sich auch hier, persönliche Beziehungen aufzubauen und zu pflegen.
Hier können lokale Geschäftspartner unter Umständen sehr hilfreich sein.
Die zivilen Gesellschaften der MENA-Region sind weitgehend Kollektivgesell-
schaften: Familien-, Clan- und Stammeszugehörigkeiten entscheiden über Zugang
zu Ressourcen und Institutionen. Regelmäßig ist es daher von Vorteil, sich bei
Behörden von einer einflussreichen Person vorstellen oder vertreten zu lassen.
Dies kann die Dauer für die Bearbeitung eines Antrags oder die Erteilung einer
Genehmigung erheblich verkürzen. Dass dieses Vorgehen gegebenenfalls im Kon-
schen den Gesellschaftern betreffen – in separaten Verträgen getroffen werden; siehe unten
Abschn. 8.4.2.
8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost 89
Der Umgang mit lokalen Gerichten der MENA-Staaten konfrontiert Legal Counsels
aus der DACH-Region mit ungewohnten Abläufen und Herausforderungen. Die
Unterschiede liegen dabei nicht im Verfahrensrecht, welches durchaus mit kontinen-
taleuropäischen Grundsätzen vergleichbar ist. So ist das Gerichtsverfahren grundsätz-
lich in schriftliches Vorverfahren und mündliche Verhandlung getrennt und die
Beweisaufnahme nach kontinentaleuropäischen Standards geregelt: Die Verfahrens-
ordnungen der MENA-Staaten kennen kein – dem angloamerikanischen Recht ver-
gleichbares – Discovery-Verfahren. Zudem werden Zeugen vornehmlich vom
Gericht – beziehungsweise in den kleinen Golf-Monarchien7 meist von sogenannten
Experts – vernommen, und nicht wie in Common Law-Rechtsordnungen üblich,
maßgeblich durch die Parteien selbst (examination-in-chief, cross examination und
redirect examination). Die relevanten Unterschiede liegen in der Interpretation, res-
pektive der Anwendung oder Nicht-Anwendung der bestehenden gesetzlichen Rege-
lungen und Verfahrensgrundsätze.
Insoweit verfahren die Staaten der MENA-Region jedoch nicht einheitlich:
Gerichtsverfahren in Ägypten und der Levante – insbesondere im Libanon – folgen
generell vergleichsweise ähnlichen Grundsätzen wie in der DACH-Region. Dies
liegt unter anderem auch an der höheren Qualifizierung der lokalen Juristen.
Namentlich ägyptische Juristen haben – im Vergleich zu denen aus anderen
MENA-Staaten – ein hohes Ausbildungsniveau. Dies spiegelt sich auch in der Qua-
lität der Rechtsprechung wider.8 Obwohl in den Golf-Staaten – mit Ausnahme Sau-
di-Arabiens – zumindest formalrechtlich vergleichbare Verfahrensgrundsätze gelten,
6Hier lässt sich eine langsame Wandlung feststellen. Durch das verstärkte Engagement internatio-
naler Unternehmen in der MENA-Region gewinnen Compliance-Standards zunehmend auch in
den Märkten der MENA-Region an Relevanz. Daher erkennen auch immer mehr arabische
Geschäftsleute an, dass diese Standards ausländische Partner binden; trotzdem bleiben Compli-
ance-Standards ein schwieriges Thema in der MENA-Region.
7Diese sind Bahrain, Katar, Kuwait, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE).
8In Folge der politischen Umwälzungen nach dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak wurden in
laufen Gerichtsverfahren dort deutlich anders ab. Die Verfahren werden in der Regel
allein als schriftliche Verfahren geführt. Die Verhandlungstermine vor Gericht die-
nen dabei lediglich dem Austausch von Schriftsätzen und zur Verkündung von Ver-
fügungen oder Entscheidungen des Gerichts. Außerdem betrauen die Gerichte
extensiv Experts, welche nicht nur den Sachverhalt, sondern auch die Stellung-
nahme zu rechtlichen Fragen erarbeiten. Diese Experts sind jedoch nicht mit Gut-
achtern nach europäischem Verständnis vergleichbar, sondern nehmen eine weitaus
umfangreichere und aktivere Rolle im Verfahren ein. So ist es durchaus üblich, dass
ein Gericht der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) einen Wirtschaftsprüfer nicht
nur mit der Begutachtung komplexer finanzieller Abläufe beauftragt, sondern ihm
auch auferlegt, darüber zu entscheiden, ob ein Anspruch besteht. Hierdurch werden
kernjuristische Entscheidungen auf juristische Laien übertragen.
Außerdem werden durch die Bestellung von Experts große Teile des gerichtli-
chen Verfahrens praktisch ausgelagert. Die Experts werden regelmäßig eigene,
wenig formalisierte Verhandlungen mit den Parteien abhalten. In diesen werden
die relevanten Sachverhalts- und Rechtsfragen erörtert und Beweise – zum Beispiel
durch Zeugenvernehmung – eingebracht. Da die Experts zumeist juristische Laien
sind, gestalten sie diese Verfahren oft nach freiem Ermessen mit wenig Bezug zum
geltenden Prozessrecht. Dies heißt zum einen, dass, sofern der Expert dies zulässt,
auch Juristen, die nicht in dem betreffenden Staat als Rechtsanwalt zugelassen sind,
in einem Expert-Verfahren auftreten können. Zum anderen bedeutet dies aber auch,
dass prozessrechtlichen Fragen wie Beweisverwertungsgeboten oder -verboten
meist wenig Beachtung geschenkt wird. Bei der Erstellung von Schriftsätzen und in
der Verhandlung vor einem Expert müssen Formulierungen und Erklärungen daher
stets so gewählt, dass diese für einen juristischen Laien nachvollziehbar sind.
Schließlich messen die Gerichte der kleinen Golf-Monarchien den Ausführungen
der Experts großen Stellenwert zu. Das Gericht wird – auch bei rechtlichen Bewer-
tungen – in den meisten Fällen sehr eng an den Empfehlungen der Experts entschei-
den. Praktisch führt das Gericht damit häufig eher eine administrative Rolle im
Verfahren aus, während die Entscheidung über Sachverhalts- und Rechtsfragen fak-
tisch den Experts obliegt. Dies liegt zumindest teilweise an einer weniger fokussier-
ten Ausbildung der lokalen Juristen. Diese sind zumeist nicht im eigenen Land,
sondern in England oder den USA – also in einem Common-Law-Rechtssystem –
ausgebildet worden und müssen nun in einem stark kontinentaleuropäisch geprägten
Rechtsraum agieren. Außerdem haben viele lokale Juristen kein umfängliches Stu-
dium der Rechtswissenschaften, sondern lediglich einen juristischen Masterstudien-
gang abgeschlossen. Dieses Zusammenspiel vergleichsweise gering qualifizierter
Juristen und juristischer Laien wirkt sich häufig negativ auf die Rechtsprechungsqua-
lität aus. Vor höherinstanzlichen Gerichten nimmt die Qualität der Rechtsprechung
jedoch deutlich zu. Hier ist die Rolle der Experts auch weit geringer.9
9Saudi-Arabien stellt auch hier einen Sonderfall dar: Experts haben hier im Vergleich zu den
anderen Golf-Staaten eine geringere Bedeutung. Das Verfahren wird maßgeblich durch den Rich-
ter geleitet. Im Grunde sind Gerichtsverfahren in Saudi-Arabien in ihrem Ablauf eher mit sol-
chen in der DACH-Region vergleichbar, obwohl das Prozessrecht maßgeblich der islamischen
Rechtstradition und dadurch einem anderen Rechtskreis entstammt.
8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost 91
Eine zusätzliche Unsicherheit mit Blick auf den Ausgang von Gerichtsverfahren
in der MENA-Region entsteht auch dadurch, dass Gerichtsurteile nicht konsequent
in öffentlich zugänglichen Registern oder Schriftenreihen veröffentlicht werden. Ob
und wenn ja, wie etwaige höherinstanzliche Gerichte in einer bestimmten Sache
entschieden haben, ist daher nur begrenzt überprüfbar. Überdies ist in nahezu allen
Staaten der MENA-Region mit einer deutlich längeren Verfahrensdauer zu rechnen,
als man dies aus der DACH-Region gewohnt sein mag. Auch insoweit bestehen
jedoch deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen MENA-Staaten. Besonders
langwierig sind Gerichtsverfahren beispielsweise im Irak.
Wie im Umgang mit lokalen Gerichten gestaltet sich auch die Arbeit mit lokalen
Rechtsanwälten in den verschiedenen MENA-Staaten durchaus unterschiedlich.
Obwohl ägyptische Juristen im regionalen Vergleich ein hohes Ausbildungsniveau
haben, ist die Qualität ihrer Arbeit in der Regel nicht auf dem Stand, den euro-
päische Mandanten erwarten. Arbeitsprodukte ägyptischer Anwälte bieten jedoch
regelmäßig eine gute Ausgangslage für eine weitere Bearbeitung.
In anderen MENA-Staaten gestaltet sich die Zusammenarbeit mit lokalen
Anwälten jedoch weit schwieriger. So trifft man in den kleinen Golf-Monarchien
im Umgang mit lokalen Rechtsanwälten auf ähnliche Probleme wie bei den lokalen
Gerichten. Die lokalen Rechtsanwälte sind zumeist nicht lokal, sondern in Com-
mon-Law-Rechtsordnungen ausgebildet und haben häufig kein umfassendes rechts-
wissenschaftliches Studium absolviert. Auch erfolgt hier keine organisierte
weiterführende Berufsausbildung nach dem Studium, wie man sie in der
DACH-Region kennt. Viele lokale Rechtsanwälte spezialisieren sich daher darauf,
internationalen Rechtsanwaltskanzleien zuzuarbeiten. Ein wichtiges Betätigungs-
feld nimmt dabei die Vertretung vor Gericht ein. Hier hat sich allerdings ein System
etabliert, in dem der lokale Rechtsanwalt eine eher passive Rolle einnimmt. Häufig
werden die Verfahren von ausländischen Rechtsanwälten geleitet und der lokale
Rechtsanwalt dient lediglich als Vehikel, um vor Gericht auftreten zu können. Seine
Aufgaben begrenzen sich dann häufig auf die bloße Teilnahme an Gerichtsterminen
und die Einreichung von Schriftsätzen, die im Vorfeld durch ausländische Rechts-
anwälte erstellt wurden.10 Auch die Kosten für die Beratung durch lokale Rechtsan-
wälte sind in der MENA-Region durchaus unterschiedlich. In Ländern mit
niedrigerem Einkommensniveau, wie in Jordanien oder dem Libanon, werden
Rechtsanwaltshonorare regelmäßig ebenfalls niedriger sein. In den Golfstaaten sind
10Auch in der Zusammenarbeit mit lokalen Rechtsanwälten bildet Saudi-Arabien eine Ausnahme.
Da das saudische Wirtschaftsrecht maßgeblich auf der islamischen Rechtstradition beruht, ist es
oft auch außerhalb der reinen Verfahrensarbeit nötig, mit lokalen Rechtsanwälten zusammenzuar-
beiten. Nur wenige internationale Rechtsanwaltskanzleien können in diesem Bereich Kompeten-
zen aufweisen. Insbesondere weil eine Rechtsberatung im saudischen Recht ohne umfassende
Arabischkenntnisse schlicht nicht möglich ist.
92 N. Bremer
11Für einen umfassenden Überblick über die Entstehungsgeschichte des ÄGY-ZGB siehe Shala-
13Nachdem Oman mit dem Hoheitlichen Dekret Nr. 29 aus 2013 ein Zivilgesetzbuch nach
ägyptischem Vorbild erließ, verbleiben Saudi-Arabien und der Libanon als einzige Staaten der
Region, deren Zivilrechtsordnungen nicht auf dem ÄGY-ZGB aufgebaut sind. Da das libanesi-
sche Zivilgesetzbuch aus 1932 ebenfalls stark durch die französische Rechtsordnung geprägt ist,
ergeben sich dort jedoch starke Übereinstimmungen mit dem ÄGY-ZGB.
8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost 93
bar erklärt, soweit Täter oder Opfer der betreffenden Straftat ein Muslim ist.
94 N. Bremer
Auch wenn heute lediglich das saudische Zivil- und Wirtschaftsrecht umfassend
vom islamischen Recht geprägt sind, bleiben die Grundsätze des islamischen
Rechts auch in den anderen MENA-Staaten relevant. Im Bereich des Wirtschafts-
rechts sind nach islamischem Recht insbesondere die Behandlung von Zinsen, die
Haftungsbegrenzungen, die indirekten und Folgeschäden sowie die Abtretung von
Ansprüchen relevant.
Zusätzliche Komplexität entsteht durch die verschiedenen Rechtsschulen des
islamischen Rechts und deren unterschiedlichen Einfluss in der Region. Zieht man
islamische Rechtsprinzipien für die Interpretation von Rechtsnormen oder vertrag-
lichen Regelungen heran, muss stets berücksichtigt werden, dass das islamische
Recht nicht strikt einheitlich ausgelegt wird. Die einzelnen Staaten folgen viel-
mehr unterschiedlichen islamischen Rechtsschulen, deren Interpretation des isla-
mischen Rechts durchaus verschieden ist. Gewisse Gemeinsamkeiten lassen sich
nichtsdestotrotz feststellen.16 Mit Blick auf den Einfluss des islamischen Rechts
auf die Rechtsordnungen der MENA-Region kann man sich prinzipiell an folgen-
dem Grundsatz orientieren: Die strengste Anwendung findet das islamische Recht
in Saudi-Arabien. In den kleinen Golf-Monarchien bestehen bereits wichtige
Abweichungen vom islamischen Recht, wobei in Katar und dem Oman eine eher
strikte Auslegung vorherrscht. Die Zivil- und Wirtschaftsrechtsordnungen der
Levante und Nordafrikas weichen dagegen in weiten Teilen deutlich von islami-
schen Rechtsprinzipien ab. Besonders weit sind die Abweichungen dabei im iraki-
schen, libanesischen und syrischen Zivil- und Wirtschaftsrecht.
16So wird das islamische Recht in Saudi-Arabien und Katar nach der strikt traditionalistischen
sunnitischen Rechtslehre der Hanbali-Schule – benannt nach dem islamischen Rechtsgelehrten
Ahmad Ibn Hanbal – ausgelegt; Champion (2003, S. 23); Ramadan (2006, S. 24 ff.). Die
Hanbali-Schule hat auch im Oman und den nördlichen Emiraten der Vereinigten Arabischen
Emiraten (Sharjah, Umm Al-Quwain, Ras Al-Khaimah und Ajman) gewissen Einfluss. Im Emirat
Dubai sowie in Bahrain und Kuwait herrscht die Interpretation nach der Maliki Schule vor;
Ramadan (2006, S. 26 f.). Daneben ist die Maliki-Schule auch – mit Ausnahme von Ägypten – in
Nordafrika verbreitet. In Ägypten sowie der Levante folgt die Interpretation des islamischen
Rechts vornehmlich der Hanafi-Schule; Ahmad (2010, S. 77 f.). Neben diesen sunnitischen Schu-
len bestehen noch weitere, kleinere sunnitische und verschiedene schiitische Rechtsschulen, die
jedoch meist weniger einflussreich sind. Größere Relevanz hat jedoch die schiitische Jafari-
Schule aufgrund ihrer dominanten Stellung im Iran und Teilen des Iraks; Nasr (2006, S. 69). Für
eine anschauliche Übersichtskarte zur Verbreitung der einzelnen islamischen Rechtsschulen
siehe: http://veil.unc.edu/wp-content/uploads/2012/02/Madhhab_map.png. Besucht 10. März
2016.
8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost 95
8.4.1.1 Zinsen
Nach dem islamischen riba ()ربا-Verbot sind Vereinbarungen unzulässig, die eine
Partei verpflichten, Zinsen als Gegenleistung für einen Kredit zu zahlen.17 Abgese-
hen von Saudi-Arabien, wo das riba-Verbot strikt angewandt wird, sehen die Zivil-,
Handels- und Bankgesetze der meisten MENA-Staaten jedoch gewisse Ausnahmen
vom riba-Verbot vor. Insbesondere in den kleinen Golf-Monarchien bleiben zwar
Zinsen für Kredite unter Privaten verboten,18 in Geschäften, die für mindestens
eine Partei ein Handelsgeschäft sind, können Zinsen für Kredite aber grundsätzlich
rechtsgültig vereinbart werden.19 In der Levante und in Nordafrika sind zinsbe-
wehrte Kredite dagegen sowohl in privaten als auch in Handelsgeschäften zuläs-
sig.20 Verzugszinsen sind – ungeachtet gewisser Unterschiede in der Begründung
durch die verschiedenen Schulen des islamischen Rechts – ebenfalls durch das
riba-Verbot ausgeschlossen.21 Wie bei Vereinbarungen über Zinsen als Gegenleis-
tung für Kredite bestehen aber auch für Verzugszinsen in den meisten MENA-Staa-
ten Ausnahmen. Die Rechtsordnungen der kleinen Golf-Monarchien erlauben die
Berechnung von Verzugszinsen regelmäßig nur für solchen Geschäfte, die für min-
destens eine Partei ein Handelsgeschäft darstellen.22 In der Levante und in Nordaf-
rika sind Verzugszinsen dagegen grundsätzlich sowohl in privaten wie auch in
Handelsgeschäften zulässig, unterliegen jedoch teilweise strikten Obergrenzen.23
Lediglich Saudi-Arabien wendet das riba-Verbot strikt auch auf Verzugszinsen an.
Das riba-Verbot wird folglich in verschiedenen wirtschaftlichen Transaktionen
sen für Kredite, die für mindestens eine Partei ein Handelsgeschäft ist, nach katarischem Recht
wirksam vereinbart werden können, ist nicht abschließend geklärt. Eine entsprechende Aus-
nahme kennt das katarische Handelsrecht. Ausdrücklich gestattet ist die Vereinbarung von Zinsen
nur bei durch Banken vergebene Kredite; Art. 40, 110 KAT-ZBG. Dennoch werden im Wirt-
schaftsverkehr in Katar regelmäßig zinsbewehrte Kredite vergeben. Ob eine entsprechende Ver-
einbarung einer gerichtlichen Überprüfung standhalten würde, ist jedoch mangels entsprechender
Rechtsprechung ungewiss.
20Vgl. zum Beispiel Art. 542 ÄGY-ZGB, Art. 50 Abs. 1 ÄGY-HGB; Art. 692 IRK-ZGB.
22Vgl. zum Beispiel Art. 228 Abs. 1 lit. a BHR-ZGB; Art. 81 Abs. 1 BHR-HGB; Art. 88 VAE-
Art. 227 SYR-ZGB. Einzelne Rechtsordnungen erlauben es jedoch neben Vollzugszinsen weitere
Verzugsschäden einzufordern; siehe zum Beispiel Art. 231 ÄGY-ZGB.
96 N. Bremer
relevant. Von Saudi-Arabien einmal abgesehen, werden Sie in ein- oder zweiseiti-
gen Handelsgeschäften jedoch regelmäßig Zinsen vereinbaren und fordern können.
In Katar und im Oman besteht diesbezüglich weiterhin gewisse Unsicherheit.
8.4.1.2 Haftungsbegrenzung
Das islamische Schadensersatzrecht wird unter anderem durch den gharar
()غرر-Grundsatz bestimmt. Danach sind Schäden grundsätzlich nur soweit sie
quantifiziert werden können und nur in der tatsächlich entstandenen Höhe ersatz-
fähig.24 Hieraus ergeben sich Besonderheiten mit Blick auf Vereinbarungen über
pauschalisierten Schadensersatz. Eine Bestimmung über pauschalisierten Scha-
densersatz legt die Höhe des zu zahlenden Schadensersatzes für ein bestimmtes
schädigendes Ereignis oder Verhalten – zum Beispiel Verzögerung der Lieferung –
bereits bei Vertragsschluss fest. Der zu leistende Schadensersatz wird daher regel-
mäßig vom tatsächlich entstandenen Schaden abweichen. Um diesem Missstand
gerecht zu werden, sehen die Rechtsordnungen der MENA-Staaten vor, dass von
der vereinbarten Schadensersatzhöhe auf richterliche Anordnung abgewichen wer-
den kann, wenn diese vom tatsächlich entstandenen Schaden abweicht.25 Dabei
gehen die Rechtsordnungen der MENA-Region jedoch nicht ganz einheitlich vor.
So kann beispielsweise nach ägyptischem Recht der als pauschalisierter Schaden
vereinbarte Betrag lediglich reduziert werden.26 Andere Rechtsordnungen erlau-
ben hingegen auch eine Erhöhung des Schadensersatzes.27 Das irakische und das
libanesische Recht folgen wieder eher europäischen Standards und erlauben eine
Anpassung des Schadensersatzes nur bei eklatantem Auseinanderfallen von ver-
einbartem und tatsächlich entstandenem Schadensersatz.28 Diese Möglichkeit zur
Anpassung muss zwar nicht schon im Vertrag angelegt sein, da Vereinbarungen
über pauschalisierten Schadensersatz grundsätzlich zulässig sind. Jedoch sollten
Sie bedenken, dass im Streitfall gegebenenfalls eine Anpassung durch ein
Gericht – oder ein Schiedsgericht – erfolgen kann. Sind in einem Rechtsstreit pau-
schalisierte Schadensersatzansprüche relevant, sollten Sie diese Möglichkeit der
Anpassung also bei Klage- und Widerklageanträgen berücksichtigen.
Schäden und Folgeschäden beruhen meist auf einer Reihe innerer und äußerer
Umstände. Daher werden sie bei Vertragsschluss meist noch nicht vorherseh- oder
quantifizierbar sein und damit regelmäßig gegen den gharar-Grundsatz versto-
ßen.30 Folglich sind sie nach islamischem Recht meist nicht ersatzfähig. Diesem
Grundsatz folgen – mehr oder weniger strikt – verschiedenen Rechtsordnungen
der MENA-Region, weshalb bei Vertragsabschlüssen den Vereinbarungen über
indirekte und Folgeschäden häufig besonderes Augenmerk zu widmen ist. So kön-
nen Ansprüche auf indirekte und Folgeschäden nach saudischem Recht grundsätz-
lich nicht durchgesetzt werden.31 Nach dem jordanischen Recht sowie dem Recht
der VAE können indirekte und Folgeschäden nur im Wege des Deliktsrechts einge-
fordert werden.32 In anderen MENA-Staaten können indirekte und Folgeschäden
lediglich in Form von entgangenem Gewinn durch vertragliche Ansprüche einge-
fordert werden.33 Und wieder andere Rechtsordnungen der MENA-Region sind im
Umgang mit indirekten und Folgeschäden grundsätzlich mit europäischen Rechts-
ordnungen vergleichbar.34
33Vgl. zum Beispiel Art. 221 Abs. 2 ÄGY-ZGB; Art. 171 IRK-ZGB; Art. 300 Abs. 2 KWT-ZGB.
34So können indirekte und Folgeschäden nach katarischem Recht auch im Rahmen vertraglicher
Ansprüche eingefordert werden, soweit die betreffenden Schäden eine „natürliche“ Konsequenz
des schädigenden Ereignisses waren; Art. 263 Abs. 2 KAT-ZGB. Ähnlich auch das libanesische
Recht; Art. 261, 263 LEB-ZGB.
35Siehe zum Beispiel Krüger (2010, S. 614). Ähnlich auch das Recht der Vereinigten Arabi-
schen Emirate. Dieses sieht ausdrücklich nur die Übernahme von Schulden vor; Art. 1106 ff.
VAE-ZGB. Allerdings wurde die analoge Anwendung dieser Vorschriften auf die Abtretung von
Ansprüchen in einer Reihe von Gerichtsurteilen anerkannt; siehe statt vieler VAE Bundesge-
richtshof ()المحكمة االتحادية العليا, Entscheidung vom 13. Juni 2001, Entscheidung Nr. 171/21.
36Vgl. zum Beispiel Art. 287 BHR-ZGB; Art. 303 ÄGY-ZGB; Art. 280 ff. LEB-ZGB.
98 N. Bremer
8.4.2 Gesellschaftsrecht
8.4.2.1 Beteiligungsverhältnisse
Die wohl größte Besonderheit der Gesellschaftsrechtsordnungen der Golf-Staaten
sowie einzelner Staaten in der übrigen MENA-Region ist die gesetzlich festgelegte
Mindestbeteiligung lokaler Personen. In den meisten Golf-Staaten müssen die
Anteile lokaler Gesellschaften zu mindestens 51 % von Staatsbürgern des betref-
fenden Staats gehalten werden.39 Häufig finden Unternehmen aber keinen lokalen
Partner, der sich tatsächlich mit 51 % an der wirtschaftlichen Tätigkeit der Unter-
nehmung beteiligt oder wollen ihr Unternehmen nicht mit einem vollwertigen
Partner betreiben. Dann wird zumeist ein passiver lokaler Partner gesucht, der als
sogenannter „Sponsor“ die 51 % der Anteile lediglich formal hält, damit die
Gesellschaft den gesetzlichen Bestimmungen entspricht, sich aber nicht an den
geschäftlichen Betätigungen der Gesellschaft beteiligt. Um dieser Konstellation
gerecht zu werden, müssen verschiedene Vorkehrungen getroffen werden. Regel-
mäßig erfordert dies den Abschluss einer Reihe von Nebendokumenten zum „offi-
ziellen“ Gesellschaftsvertrag.
37Nach saudischem Recht sind die Anforderungen an die Höhe des Gesellschaftskapitals – je
nach Betätigungsfeld der Gesellschaft – jedoch teilweise sehr hoch.
38Nach den neuen Regelungen obliegt die Festsetzung der Höhe des Gesellschaftskapitals in
Katar oder den Vereinigten Arabischen Emiraten bei neu gegründeten LLC bei den zuständigen
Aufsichtsbehörden.
39Art. 2 Abs. 1 KAT-InvestitionsG; Art. 5 KWT-GüG; Art. 22 VAE-GüG. In der Regel kann von
der lokalen Mindestbeteiligung im Einzelfall abgewichen werden. So zum Beispiel nach omani-
schem Recht. Gemäß Art. 2 Abs. 1 OMN-InvestitionsG kann eine Gesellschaft von der lokalen
Mindestbeteiligung durch Beschluss des Wirtschaftsministeriums entbunden werden. Bahrain
bildet insoweit eine gewisse Ausnahme, als das Bahrainische Gesellschaftsrecht eine 100 % aus-
ländische Beteiligung an einer LLC zulässt; Art. 265 ff. BHR-GüG.
8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost 99
40Im Emirat Abu Dhabi wird regelmäßig eine Reduzierung auf 10 % anerkannt. Im Oman und
Kuwait lassen sich entsprechende Richtwerte nicht feststellen. Bitte beachten Sie, dass sich die
Verwaltungspraxis insoweit stets ändern kann. Es kann also sein, dass zukünftig eine Reduzie-
rung auf 1 % auch in Katar nicht mehr möglich sein wird.
41Im Unterschied zu anderen Golf-Staaten können in Bahrain LLCs ohne lokale Beteiligung
gegründet werden; Art. 265 ff. BHR-GüG. In den Freizonen der Vereinigten Arabischen Emirate
gelten (teilweise) gesetzliche Bestimmungen, die von den außerhalb der Freizonen (im sogenann-
ten Mainland) geltenden Bestimmungen abweichen. Ein zentraler Unterschied ist, dass in den
Freizonen Gesellschaften ohne lokale Beteiligung gegründet werden können. Sowohl in den Ver-
einigten Arabischen Emiraten als auch in Bahrain fallen gegenwärtig keine Steuern für Unterneh-
mensgewinne an.
100 N. Bremer
8.4.2.2 Freizonen
Freizonen (sogenannte Free Zones) wurden in verschiedenen MENA-Staaten ein-
gerichtet, um ausländische Investoren anzuziehen. Insbesondere die Vereinigten
Arabischen Emirate waren in diesem Bereich sehr aktiv. Freizonen sind meist
räumlich abgeschlossene Bereiche, in denen (teilweise) gesetzliche Bestimmungen
gelten, die von den geltenden Regelungen im übrigen Staatsgebiet (im Mainland)
abweichen. Wichtige in Freizonen häufig geregelte Bereiche sind: Zollbestimmun-
gen, das Steuerrecht, das Gesellschaftsrecht (insbesondere mit Blick auf lokale
Mindestbeteiligungen) und das Wirtschaftsverwaltungsrecht. Die betreffenden Son-
derregelungen mögen verschiedene Vorteile bieten. Beispielsweise können in einer
Freizone des Emirates Abu Dhabi Gesellschaften entgegen den Bestimmungen des
Gesellschaftsrechts der Vereinigten Arabischen Emirate ohne Beteiligung eines
VAE-Staatsbürgers gegründet werden oder eine im Qatar Financial Center (QFC)
in Doha registrierte Gesellschaft ist von der katarischen Körperschaftssteuer
befreit. Bei der Gründung einer Gesellschaft in einer Freizone ist jedoch zu beach-
ten, dass eine solche Freizonengesellschaft meist nur innerhalb der Freizone und
nicht im Mainland geschäftlich aktiv werden darf. Die Betätigung über eine Freizo-
nen-Gesellschaft ist daher nicht für jedes Unternehmen sinnvoll. So können Ver-
triebstätigkeiten aus einer Freizone heraus ausgeführt werden, wenn der Kunde die
angebotenen Produkte in der Freizone abholt, Montage- und Wartungsarbeiten
beim Kunden sind jedoch nicht möglich. Neben den rechtlichen Besonderheiten
haben viele Freizonen spezifische wirtschaftliche Ausrichtungen.43 Diese Freizonen
bieten meist eine besonders auf einen Wirtschaftszweig ausgerichtete Infrastruktur.
43So sind das QFC oder das DIFC speziell auf die Finanzindustrie ausgerichtet, die SOHAR
Freezone im Oman und die Jebel Ali Free Zone in Dubai haben einen Logistikfokus und die two-
four54 Freizone in Abu Dhabi wurde speziell für Medienunternehmen gestaltet. Inwieweit es
Sinn macht, sich in einer industriespezifischen Freizone niederzulassen, wird im Einzelfall ent-
schieden werden müssen.
102 N. Bremer
8.4.4 Arbeitsrecht
44Vgl. zum Beispiel Art. 1, 3 ÄGY-HVG; Art. 2 IRK-HVG; Art. 11 KAT-HVG; Art. 2 VAE-
HVG. Anders das bahrainische Recht, das grundsätzlich auch Gesellschaften mit ausländischer
Beteiligung gestattet, als Handelsvertreter oder Vertragshändler in Bahrain aufzutreten, wenn
mindestens 51 % der Anteile der Gesellschaft von bahrainischen Staatsbürgern gehalten werden;
Art. 14 BHR-HVG.
45Vgl. zum Beispiel Art. 8 lit. b KAT-HVG; Art. 9 VAE-HVG. Das Recht der Vereinigten Ara-
bischen Emirate geht sogar so weit, das Recht des Prinzipals zur ordentlichen Kündigung eines
eingetragenen Vertreters auszuschließen; Art. 8 VAE-HVG.
46Vgl. zum Beispiel Art. 8 lit. c KAT-HVG.
48Aufgrund der Regelung des Art. 8 VAE-HVG werden die Gerichte der Vereinigten Arabischen
Emirate einen Ausschluss der Exklusivität regelmäßig nicht anerkennen. In anderen MENA-Staa-
ten – wie zum Beispiel Ägypten oder Saudi-Arabien – ist dies hingegen einfacher möglich.
8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost 103
8.4.5 Projektverträge
umfassend und bis ins kleinste Detail regeln. Dabei werden die Bestimmungen
des Hauptvertrags regelmäßig komplett in Subverträge einbezogen. Im Ergebnis
entstehen so komplexe mehrschichtige Vertragswerke. Die vertragsgemäße Umset-
zung des Projekts oder Projektabschnitts ist für juristische Laien daher fast nicht
möglich. Sie sind mit der verschachtelten Struktur der aufeinander verweisenden
Vertragsdokumente schlicht überfordert. Daher muss die Durchführung solcher
Projektverträge in engerer Zusammenarbeit mit der Rechtsabteilung oder – wo die
bestehende Rechtsabteilung im Umgang mit diesen Verträgen und dem Recht der
MENA-Region nicht erfahren ist – entsprechend spezialisierten Rechtsanwälten
oder Contract-and-Claims-Managern erfolgen. Dies ist insbesondere mit Blick auf
die Sicherung von Ansprüchen und Vorbereitung etwaiger erforderlicher Klagen
wichtig. So sehen die in der MENA-Region üblichen Projektverträge meist strikte
Verfahren für die Anmeldung von Ansprüchen oder Beilegung von Streitigkeiten
vor. Wird diesen Verfahren nicht entsprochen, gehen die Ansprüche verloren bezie-
hungsweise der Kläger unterliegt in einem eingeleiteten Gerichts- oder Schieds-
verfahren aus formalen Gründen.
Der Schutz geistigen Eigentums sowie von Marken ist in der MENA-Region nicht
in gleicher Weise gewährleistet wie in Europa. Insbesondere werden internationale
Registrierungen und Schutzrechte nicht umfassend anerkannt. Faktisch ist es fast
unmöglich, geistiges Eigentum oder Marken in der MENA-Region effektiv zu
schützen, wenn diese nicht lokal registriert sind.52 Zwar gibt es beispielsweise im
Golf-Kooperationsrat (Gulf Cooperation Council oder GCC)53 Bestrebungen, den
gewerblichen Rechtsschutz zwischen den Golfstaaten auf regionaler Ebene zu ver-
einheitlichen. Ein einheitliches System wurde jedoch bis heute nicht effektiv etab-
liert. Der mangelnde Schutz geistigen Eigentums sollte auch stets bei der Arbeit
mit Handelsvertretern und Vertragshändlern sowie bei der Gründung von Joint
Ventures berücksichtigt werden. Es empfiehlt sich, in den entsprechenden Verträ-
gen klare Vereinbarungen zum Umgang mit Marken und geistigem Eigentum zu
treffen, die auch die Zeit nach der Kündigung, respektive Auflösung der vertragli-
chen Verhältnisse regeln. Anderenfalls setzen Sie sich der Gefahr aus, dass Ihr
Geschäftspartner Ihre Marken oder Ihr geistiges Eigentum auch nach Abbruch der
Geschäftsbeziehungen weiter verwendet.
52Ein Schutz ist dann praktisch nur bei weltweit sehr bekannten Marken wie Coca-Cola oder
Apple zu erwirken.
53Die Mitglieder des GCC sind Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und die Vereinig-
Das Strafrecht der arabischen Staaten ist durch die mediale Berichterstattung in
Europa hinsichtlich mitunter verhängter schwerer körperlicher Bestrafungen das
wohl am schwersten belastete Rechtsgebiet der MENA-Region. Es lässt sich nicht
leugnen, dass das Strafrecht in der Region in weiten Teilen sehr viel schärfer ein-
gesetzt wird als in der DACH-Region. Auch bestehen gewisse kulturelle Beson-
derheiten, wie das Verbot von außerehelichem Geschlechtsverkehr und
homosexuellen Beziehungen sowie eine striktere Regulierung von Alkoholkon-
sum, die in Europa nicht strafrechtlich relevant sind. Generell sollte man sich –
wie in allen anderen Ländern – auch über bestehende strafrechtliche Bestimmung
und kulturelle Besonderheiten informieren und sich in seinem persönlichen Ver-
halten anpassen. Daneben bestehen aber auch strafrechtliche Bestimmungen, die
im beruflichen Leben berücksichtigt werden müssen: Neben allgemein verbreite-
ten Straftatbeständen wie Betrug, Untreue, Urkundenfälschung etc. wird in man-
chen Staaten der MENA-Region auch das Ausstellen, beziehungsweise Verwenden
eines ungedeckten Schecks ausdrücklich unter Strafe gestellt.54 Daher sollte bei
der Verwendung eines Checks stets darauf geachtet werden, dass dieser gedeckt ist
und bleibt.
8.5 Streitbeilegung
Die Streitbeilegung sollte bei Geschäften mit Bezug zur MENA-Region frühzeitig
bedacht werden. Wie bereits in Abschn. 8.2.3 dargestellt, sind die Qualität und
Einheitlichkeit der Rechtsprechung in vielen Staaten der MENA-Region nicht mit
europäischen Standards vergleichbar. Insbesondere wo komplexe Rechtsfragen
oder Sachverhalte betroffen sind, sollte man sich soweit möglich nicht auf die
lokalen Gerichte verlassen. Hier bieten Schiedsverfahren eine gute Alternative.
Allerdings bestehen gewisse Einschränkungen für Schiedsverfahren. So kann für
einzelne Streitigkeiten der Weg zu Schiedsgerichten ausgeschlossen sein. Entspre-
chende Einschränkungen bestehen in der MENA-Region insbesondere für Rechts-
streitigkeiten mit der öffentlichen Hand55 oder für Handelsvertreter-, respektive
Vertragshändlerverträge56. In anderen Streitigkeiten, insbesondere wo geringe
Streitwerte zu erwarten sind, mag ein Schiedsverfahren aus wirtschaftlichen
54Art. 459 Abs. 1 IRK-StGB; Art. 357 KAT-StGB; Art. 401 VAE-StGB.
55Vgl. zum Beispiel Art. 2 KWT-SchiedsG, welcher bestimmt, dass Streitigkeiten mit der öffent-
lichen Hand in Kuwait der ausschließlichen Zuständigkeit des nach diesem Gesetz eingerichte-
ten Schiedsinstitutes unterstellt sind. Gemäß Art. 10 Abs. 2 SAU-SchiedsG dürfen Behörden und
andere Einrichtungen des öffentlichen Rechts einer Schiedsvereinbarung nur zustimmen, wenn
ihnen dies vom saudischen Premierminister oder durch Gesetz gestattet wurde.
56Streitigkeiten über Handelsvertreter- oder Vertragshändlerverträge unterliegen in vielen MENA-
Staaten der ausschließlichen Zuständigkeit der lokalen Gerichte; vgl. zum Beispiel Art. 5 LEB-HVG;
Art. 18 OMN-HVG.
106 N. Bremer
Gründen nicht zweckdienlich sein. Schließlich bestehen bei der Anerkennung aus-
ländischer Schiedssprüche und Gerichtsurteile mitunter größere Schwierigkeiten.
Die lokalen Gerichte behalten daher weiterhin gewisse Relevanz. Da die Heraus-
forderungen im Umgang mit den lokalen Gerichten bereits in Abschn. 8.2.3 dar-
gestellt wurden, wird sich dieser Abschnitt auf die Streitbeilegung im Rahmen
von Schiedsverfahren und die Durchsetzung von ausländischen Gerichts- und
Schiedsurteilen beschränken.
8.5.1 Schiedsverfahren
zeitlichen Aufwand enorm, der für die Streitbeilegung betrieben werden muss.
Besonders restriktiv gegenüber Schiedsverfahren sind die irakischen, saudischen
und syrischen Gerichte.
57Generell sind die Gerichte der Golf-Staaten und insbesondere Saudi-Arabiens insoweit strikter.
Auch irakische, jordanische und syrische Gerichte sind grundsätzlich eher restriktiv. Ägyptische
und libanesische Gerichte sind dagegen weit liberaler bei der Anerkennung ausländischer Schieds
urteile.
108 N. Bremer
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58Etwas anderes gilt jedoch für die Anerkennung von Gerichtsurteilen im Irak und dem Emirat
Dubai. Das irakische Recht erlaubt eine Anerkennung ausländischer Urteile nur, soweit die
gegenseitige Anerkennung durch völkerrechtlichen Vertrag oder Verordnung gesichert ist –
Art. 12 IRK-ZwangsvollstrG und Art. 11 IRK-VollzugsG. Diese Voraussetzung – mit Ausnahme
des Vereinigten Königreichs (vgl. die irakische Verordnung Nr. 21 aus 1928) – ist zu keinem
anderen europäischen Staat erfüllt. Im Recht der Vereinigten Arabischen Emirate ist dies nicht
ausdrücklich geregelt. Nach seinem Wortlaut lässt Art. 235 Abs. 1 VAE-ZPO eine Anerkennung
ausländischer Gerichtsurteile auf Grundlage bestehender Reziprozität grundsätzlich zu. Der
Dubai Kassationsgerichtshof ( )التمييز محكمةhat jedoch in seiner Entscheidung vom 10.03.2001 in
Fall Nr. 17 aus 2001 klargestellt, dass ausländische Urteile in Dubai nur anerkannt werden kön-
nen, wenn die Anerkennung durch völkerrechtlichen Vertrag vorgesehen ist. Ob die Gerichte der
anderen Emirate dieser Interpretation des Art. 235 Abs. 1 VAE-ZPO folgen werden, ist mangels
entsprechender Urteile nicht geklärt. Im Verhältnis zu Dubai ist Frankreich der einzige euro
päische Staat, mit dem ein völkerrechtlicher Vertrag besteht, der die gegenseitige Anerkennung
von Gerichtsurteilen regelt (The Convention between the Government of the French Republic
and the Government of the Republic of the United Arab Emirates on Mutual Legal Assistance,
Recognition of Judgments in Civil and Commercial Matters aus 1991).
8 Herausforderungen im Geschäftsverkehr mit Nahost 109
Gesetzesquellen
Die Identität von Legal Operations beschäftigt sich thematisch mit der absolu-
ten Grundlage, auf der ein Legal Team in Unternehmen oder Behörden operieren
sollte. Mithin bauen alle nachfolgenden Gestaltungsmöglichkeiten der Rechts-
funktion, wie in Abb. 9.1 dargestellt, auf ihr auf. Die Identität von Legal Opera-
tions spielt somit eine zentrale Rolle im gesamten Legal Operations Management.
Der Begriff „Identität“ löst in jedem Menschen andere Assoziationen aus. Woran
denken Sie, wenn Sie kurz über seine Bedeutung nachdenken? Welche Inhalte
assoziieren Ihre Mitarbeitenden damit? In diesem Buch wird „Identität“ als der
erste fundamentale Gestaltungsbereich des Legal Operations Management defi-
niert, der sich mit der kulturell-atmosphärischen und werteorientierten Grundlage
beschäftigt, auf welcher die Rechtsfunktion in Unternehmen und Behörden auf-
gebaut ist. Möchte man heute mit einem General Counsel über die „Identität von
Legal Operations“ sprechen, erntet man in der Regel ein etwas gequältes Lächeln.
Dies liegt meines Erachtens an zwei Gründen.
Einerseits, an einer historisch verpassten Chance: In den neunziger Jah-
ren des vergangenen Jahrhunderts war dieser Begriff mit den dahinterstehenden
Ideen in jedem Unternehmen en vogue. Fast jeder senior executive versuchte
damals mit Stolz „seine“ Vision vom Unternehmen für die Ewigkeit in corporate
1Man könnte natürlich zu Recht einwenden, die Kundenfokussierung beschlage alle Kunden;
mithin auch den „internen“. Auf Grundlage der Gespräche mit Führungskräften aus den letzten
zehn Jahren geht jedoch klar hervor, dass der „Kunde des Unternehmens“ mit dieser Formulie-
rung gemeint ist, also derjenige Kunde, der Produkte oder Dienstleistungen des Unternehmens
erwirbt.
116 R.P. Falta
werden uns zudem mit den unterschiedlichen Aspekten von Identität beschäftigen
und die maßgeblichen Tools besprechen, mit denen ein General Counsel nicht nur
mehr Sinnhaftigkeit und Motivation bei seinen Mitarbeitenden, sondern auch eine
bessere Arbeitsatmosphäre, mehr Leistung und eine höhere Loyalität in seiner
Abteilung insgesamt erreichen kann. Die Identität der Rechtsabteilung dient
schließlich als Basis, um sich selbst und die Leistungen der Legal Operations noch
besser im Unternehmen zu positionieren.
Immer noch unsicher, ob die Beschäftigung mit der Identität von Legal Operations
für Sie und Ihr Team tatsächlich relevant ist? Vielleicht kann Sie folgendes Bei-
spiel davon überzeugen: Das Unternehmen Google2 hat in den letzten zehn Jahren
sehr viel Geld in seine People Analytics Division investiert, um herauszufinden,
wie man Mitarbeitende bedeutend produktiver und zufriedener machen kann. Mit-
hin wurde vor fünf Jahren das Forschungsprogramm Aristotle ins Leben gerufen,
um zu erforschen, was die optimalen Ingredienzien für ein „perfektes
Arbeitsteam“ sind. Man war lange davon ausgegangen, dass man das beste Team
erhält, wenn man einfach die besten Leute zusammenbringt. Im Verlauf des For-
schungsprogramms wurden neben der vorgenannten auch noch viele andere „All-
gemeinweisheiten“ auf deren Wahrheitsgehalt hin überprüft. Das spannende daran
war, dass die Google-Forscher aber tatsächlich lange Zeit nicht herausfinden konn-
ten, was die absoluten all star teams (siehe dazu auch Kap. 28) vom Durchschnitt
unterschied. Unabhängig davon, welche Faktoren und Faktorkombinationen sie
untersuchten, sie kamen zu keinem befriedigenden Ergebnis, bis sie ihren Fokus
auf die sogenannten sozialpsychologischen group norms legten. Diese geben die
spezifische Kultur, die Traditionen, die ungeschriebenen Regeln und Verhaltens-
standards in Teams wieder. Dadurch bestimmen sie, wie sich Mitglieder eines
Teams verhalten, wenn diese miteinander interagieren. Man fand heraus, dass
Gruppennormen, ob bewusst oder unbewusst, einen sehr großen Einfluss auf die
Qualität der Zusammenarbeit haben. Interessanterweise konnten Gruppennormen
sogar individuell fest verankerte Verhaltensmuster von Mitarbeitenden aufheben,
sobald diese mit anderen Teamkollegen zusammenarbeiteten. Die Forscher kamen
dadurch zum Schluss, dass das Verständnis und die Beeinflussung spezifischer
Normen der Schlüssel zur Verbesserung von Teams sein könnten. Daher fokussier-
ten sie sich in der Folge darauf, besonders wirksame Gruppennormen zu identifi-
zieren und fanden mehrere Dutzende solcher besonders wichtiger Normen.
2Google gilt heute als eines der weltweit fortschrittlichsten Unternehmen, wenn es um Human
Resources geht. Das nachfolgende Beispiel stammt aus Duhigg (2016).
9 Einführende Übersicht Identität in Legal Operations 117
Doch wiederum stand ihnen ein Problem im Weg: Die Forscher konnten nicht
herausfinden, welche der gefundenen Normen nun tatsächlich für den Teamerfolg
maßgeblich waren. Die Daten waren einfach zu widersprüchlich. Was bei dem
einen Team ausschlaggebend für dessen Erfolg war, konnte andere Spitzenteams
richtiggehend „ausbremsen“. Bis man bei Google auf das Konzept der psychologi-
cal safety stieß. Die Schaffung einer „psychologisch sicheren Zone“ für die Team-
mitglieder, in welcher gemeinsame Gruppennormen entstehen und gelebt werden,
war es, was alle überdurchschnittlich erfolgreichen Teams gemeinsam hatten.
Dabei fanden die Google-Forscher heraus, dass eine offene Gesprächskultur und
Empathie im Team die beiden Hauptbestandteile für psychologische Sicherheit
sind. Mithin der ehrliche und offene Umgang miteinander, der sich nur in einer
Umgebung mit positiver Identitätskultur entwickeln kann.
• Das generelle Image, das heißt das Fremdbild einer Abteilung im gesamten
Unternehmen, kann positiv beeinflusst werden. Im Falle der Legal Operations:
Weg vom Geschäftsverhinderer, hin zum geschätzten business partner (siehe
dazu auch detailliert Kap. 34).
• Eine starke Identität schafft Glaubwürdigkeit und Vertrauen bei direkten inter-
nen Schnittstellen (siehe dazu detailliert Kap. 17), der Geschäftsleitung (siehe
dazu detailliert Kap. 16) aber auch beim Aufsichtsrat (siehe dazu detailliert
Kap. 15).
• Eine ehrliche und beständige Identität schafft die Grundlage von psychologi-
cal safety und ermöglicht dadurch nicht nur eine maßgeblich verbesserte Team-
und Individualleistung von Mitarbeitenden (siehe dazu detailliert Kap. 27 und
28), sondern auch ein attraktives Sinnangebot für diese, welches weit über das-
jenige von Grundgehalt, Bonus und weiterer fringe benefits hinausreicht.
Auch der General Counsel ist darum gefordert, sich mit dem Thema „Identität“ in
seiner Rechtsabteilung auseinanderzusetzen. Dabei verfügen die Legal Operations
über eine besonders gute Ausgangslage, um darauf ein stimmiges und erfolgrei-
ches Identitätsmanagement aufzubauen:
• Das juristische Handwerk ist wie kein anderes in einer Organisation dafür
prädestiniert, sich kritisch mit Gruppennormen auseinanderzusetzen und diese
zu hinterfragen. Daraus kann erst ein stimmiger Kanon individueller Normen
entstehen, welcher eine essenzielle Grundlage für die Entwicklung und
Akzentuierung von Identität darstellt.
118 R.P. Falta
• Die Eigenarten der juristischen Mitarbeitenden (siehe dazu auch Kap. 28)
führen dazu, dass sie besonders gut auf eine optimale Arbeitsatmosphäre
ansprechen. Juristen fühlen sich am Arbeitsplatz besonders wohl, wenn sie
selbstbestimmt und autonom arbeiten und wenn sie dabei eine interessante
sowie abwechslungsreiche Tätigkeit ausüben können. Als Wissensarbeiter
ist für sie ein förderndes und inspirierendes Umfeld besonders wichtig, um
dadurch langfristig Loyalität zum Unternehmen zu erzeugen.
• Die Legal Operations sind sehr oft als Stabsfunktion ausgestaltet. Mit dieser
Organisationsform geht ein breites Beziehungsnetz in alle Bereiche des Unter-
nehmens einher (siehe zum Beispiel auch die Kap. 4 und 37). Über solche for-
mellen und informellen Kontakte lässt sich ein neues positives Image der Legal
Operations rasch im gesamten Unternehmen und über alle Hierarchiestufen
hinweg verbreiten und kontrollieren.
• Für potenzielle Mitarbeitende stellt eine starke Identität und die damit einher-
gehende positive Außenwahrnehmung einer Rechtsabteilung einen nicht zu
unterschätzenden Anreiz dar, sich genau für diese bewerben zu wollen; zumal
ein ausgezeichneter Ruf von Legal Operations nicht alltäglich ist und sich rasch
im Bewerbungsmarkt herumspricht.
Die Identität einer Gruppe von Mitarbeitenden, wie dies bei den meisten Rechts-
abteilungen der Fall sein dürfte, baut, wie in Abb. 9.2 dargestellt, auf den folgen-
den drei Pfeilern auf:3
3Vgl. hierzu auch die interessanten Ausführungen von Poole, Hollingshead (2005), welche den
Stand der Wissenschaft bezüglich small groups zusammengetragen haben und diese aus neun
unterschiedlichen Perspektiven betrachten: the functional perspective, the psychodynamic per-
spective, the social identity perspective, the conflict, power, and status in groups perspective, the
symbolic-interpretive perspective of group life, the feminist perspective, the network perspective,
the traces, trajectories, and timing perspective und the evolutionary perspective. Ebenfalls in die-
sem Zusammenhang lesenswert: Levine, Moreland (2006), welche sich tiefergehend mit einigen
wichtigen Bereichen auseinandersetzen: group composition, group structure, conflict in groups,
group performance (decision making, productivity, leadership) und group ecology. Schließlich
auch DeLamater et al. (2015, S. 439–500); Aronson et al. (2013, S. 236 ff.).
9 Einführende Übersicht Identität in Legal Operations 119
4Sozio-dynamischer Zusammenhalt entsteht aus zwei Faktoren: Zeit und Intensität respektive
deren Kombination. Er ist immer dann schwach, wenn Mitglieder einer Gruppe sich nur kurze
Zeit kennen und keine besonders intensiven Ereignisse miteinander erleben (zum Beispiel neue
Bekanntschaften an einem Symposium). Er ist mittelstark, wenn sich die Mitglieder zwar bereits
eine lange Zeit kennen, aber keine intensiven Erlebnisse teilen (zum Beispiel „Grüß-Nachbarn“)
oder zwar sehr intensive Erfahrungen miteinander teilen, aber nur kurze Zeit zusammen waren
(zum Beispiel gemeinsame Opfer von Unfällen oder Straftaten). Am stärksten ist der Zusam-
menhalt, wenn die Mitglieder sowohl lange Zeit als auch intensive Erlebnisse miteinander teilen
(zum Beispiel tiefe Freundschaften aus Schule, Studium und Militärdienst).
120 R.P. Falta
Diese drei Bereiche bestimmen, wie sich das Legal Team selbst sieht, wie es mit-
einander interagiert und wie es von außen wahrgenommen wird. Mit der Zeit
manifestieren sich die drei Pfeiler zu einer beständigen Form der Selbst- und
Fremdwahrnehmung. Die Identität hat sich dann nachhaltig im Unternehmen ein-
gebürgert, wenn abteilungsfremde Kollegen in Bezug auf die Interaktion mit den
Mitgliedern des Legal Teams auf deren „typisches“ Verhalten, „typische“ Denkar-
ten oder eine ganz besondere Weise hinweisen, wie diese mit bestimmten Sachver-
halten und Situationen umgehen. Mithin, wenn sich die Mitarbeitenden der Legal
Operations im Unternehmen klar und deutlich von anderen Abteilungen und Mit-
arbeitenden unterscheiden. Die drei Pfeiler treffen eine klare und unmissverständ-
liche Aussage darüber, wie die Dinge im Legal Operations Team zu funktionieren
haben, was für deren Mitglieder richtig und wahr erscheinen soll und wo sich
deren Grenzen befinden. Dadurch bieten sie den Mitarbeitenden eine klare Orien-
tierung im Tagesgeschäft, vermindern den Auswahl-, Instruktions- und Überwa-
chungsaufwand – und führen so zur Bildung von Vertrauen im Team.5 Schließlich
reduzieren sie die reale Komplexität des Seins in der Unternehmens- und Arbeits-
welt durch eine gemeinsam genormte Wahrnehmung und ermöglichen so ein opti-
males Zusammenarbeiten,6 indem die intern verwendeten Sprach-, Interaktions-,
Entscheid- und Umsetzungsstandards allen beteiligten Mitgliedern selbstverständ-
lich und klar sind.
Da die Identität einer Gruppe nicht statisch ist, sondern sich stetig durch die
Interaktionen ihrer Mitglieder und durch Veränderungen in deren Umfeld wan-
delt, entwickelt sie sich fortwährend weiter. Dadurch sind dem General Counsel
für das Management von Identität in seinen Legal Operations natürliche Gren-
zen gesetzt. Er kann nicht einfach hingehen, sich „auf dem Reisbrett“ eine ideale
Legal Operations Identity aus den Fingern saugen und dann erwarten, dass er und
seine Mitarbeitenden sich dann schon an diese halten werden. In der Realität ist
dieser Vorgang erheblich komplexer, jedoch zu einem bestimmten Teil tatsächlich
beeinflussbar, da Verhaltensänderungen durch die Beeinflussung der ihr zugrunde
liegenden Normen, Ziele, Werte und Motivationspotenziale durchaus – und dies
nicht einmal in allzu langem Zeithorizont – möglich sind.
Um die Identität der Legal Operations tatsächlich zu beeinflussen und in eine
positive Richtung zu verändern, bedarf es in erster Linie eines 100 % igen com-
mitment des General Counsel. Sofern dieser voll und ganz hinter der Optimierung
Abb. 9.3 Die Toolbox für die Identitätsveränderung in Legal Operations. (Quelle: QUADRA-
GON Management LLC)
seiner Abteilung steht, wird eine solche in der Regel auch gelingen. In zweiter
Linie ist der intelligente Einsatz effektiver und effizienter Werkzeuge nötig. In
den folgenden vier Kapiteln beschäftigen wir uns daher mit den in Abb. 9.3 darge-
stellten identity change tools. Diese haben sich in der Praxis bewährt und bürgen
dafür, dass mit ihnen eine schrittweise Gestaltung beziehungsweise Veränderung
der Identität von Legal Operations gelingen kann. Zudem erfahren Sie, wie Sie
diese in Ihrem betrieblichen Alltag praktisch anwenden können und worauf Sie bei
deren Einsatz besonders achten sollten.
Literatur
Aronson E, Wilson TD, Akert RM (2013) Social psychology, 8. Aufl. Pearson Education, New
Jersey
DeLamater JD, Myers DJ, Collett JL (2015) Social psychology. Westview Press, Boulder
Duhigg C (2016) What Google learned from its quest to build the perfect team. www.nytimes.
com/2016/02/28/magazine/what-google-learned-from-its-quest-to-build-the-perfect-team.
html. Zugegriffen: 10. Mai 2017
Galinsky A, Schweitzer M (2015) Friend & foe – when to cooperate, when to compete, and how
to succeed at both. Random House Business Books, London
Levine JM, Moreland RL (Hrsg) (2006) Small groups – key readings. Psychology Press, New
York
Luthans F, Youssef-Morgan CM, Avolio BJ (2015) Psychological capital and beyond. Oxford
University Press, New York
Poole MS, Hollingshead AB (Hrsg) (2005) Theories of small groups – interdisciplinary perspec-
tives. Sage Publications, Thousand Oaks
122 R.P. Falta
In Kap. 9 wurde – neben der Einführung in die Identitätsthematik – auch die Tool-
box für Identitätsveränderungen in Legal Operations vorgestellt. In diesem Kapitel
soll es nun darum gehen, die ersten beiden, in Abb. 10.1 dargestellten, Instrumente
vorzustellen: „Legal Operations Vision“ und „Legal Operations Guidelines“.
In der Praxis hat sich gezeigt, dass das Erstellen einer aussagekräftigen Vision
und sinnvoller Legal Operations Guidelines für die meisten Unternehmensjuris-
ten nicht nur ein Novum darstellt, sondern auch mit großen Herausforderungen
verbunden sein kann. Wir werden uns daher eingehend damit beschäftigen, wes-
halb diese beiden Instrumente eine geeignete Grundlage für die Veränderung von
Identität sind und wie diese Schritt für Schritt in eine Rechtsabteilung eingeführt
beziehungsweise sinnvoll ausgestaltet werden können. Schließlich bilden Vision
und Guidelines nicht nur die Basis für alle weiteren identity change tools, sondern
stellen gleichzeitig auch die Grundlage für das strategische Management der Legal
Operations dar (siehe dazu detailliert Kap. 30).
Abb. 10.1 Die Basiswerkzeuge: Legal Operations Vision und Legal Operations Guidelines.
(Quelle: QUADRAGON Management LLC)
mit der wir an unsere berufliche Tätigkeit herangehen.1 Wahre Identität muss
daher mehr bieten, als nur das finanzielle Überleben als Arbeitnehmer sicherzu-
stellen. Sie muss in einer oft instabilen und immer schnelleren Arbeitswelt dafür
sorgen, dass wir unserer Tätigkeit mit „Passion“ und einem echten Gefühl der
Sinnhaftigkeit für uns selbst, unsere Arbeitskollegen und für das weitere Umfeld –
eventuell für die Gesellschaft insgesamt – begegnen. Wertvorstellungen2 wie Inte-
grität, Ehrlichkeit, Bescheidenheit, Wertschätzung, Respekt, Fairness sowie
Anteilnahme sind in der heutigen Arbeitswelt wichtiger denn je. Es scheint, dass
immer mehr „Angestellte“ die Verwirklichung dieser Wertvorstellungen in deren
direktem Arbeitsumfeld – in ihrer Abteilung und bei Arbeitskollegen, anstatt wie
früher im gesamtunternehmerischen Kontext – suchen. Und genau hier können Sie
als General Counsel einen entscheidenden Beitrag leisten: Durch identitätsstif-
tende Maßnahmen können Sie sich selbst und Ihren Mitarbeitenden gegenüber die
vorgenannten Grundbedürfnisse der Arbeitswelt erfüllen, indem Sie die Rechtsab-
teilung zu einem inspiring place to work machen.
Durch eine gemeinsame Legal Operations Vision wird das einende Element der
Abteilung und ihrer Mitglieder ausgedrückt. Die Wirkung folgt nach innen und
nach außen und eint das Legal Team zu einer gemeinsamen Zielverfolgung.
Zudem macht die Vision jedem einzelnen Teammitglied ein „Sinnangebot“, das
dieses annehmen kann, um ein integraler Bestandteil einer „gemeinsamen“
Rechtsabteilung zu werden. Das ist insofern wichtig, als viele Mitarbeitende in
Legal Operations die Frage nach dem Sinn ihrer Arbeit stellen.4 Aus diesem
3„Von einer Vision sollte (…) erst dann gesprochen werden, wenn eine unternehmerische Einheit
eine auf die Zukunft gerichtete Leitidee über die eigene Entwicklung hat, sie also eine richtungs-
weisende, normative Vorstellung eines zentralen Zieles besitzt und ihre Handlungen an diesem
Ziel konsequent ausrichtet.“ Müller-Stewens, Lechner (2005, S. 235).
4Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Klärung der eigenen Wertehaltung bietet Dahl et al.
Bevor wir uns damit beschäftigen, wie eine individuelle Vision für die Legal Ope-
rations entwickelt werden kann, sollten wir uns damit beschäftigen, welchen
Anforderungen diese zu genügen hat:5
• Sinnstiftung und Komplexitätsreduktion: Die Vision muss nicht nur für das
Legal Team in corpore sinnstiftend sein, sondern auch für jedes einzelne Mit-
glied. Zudem sollte sie dabei helfen, die Komplexität des realen Legal Opera-
tions-Alltags zu strukturieren und zu reduzieren.
• Angemessenheit und Realismus: Die Vision muss die Rechtsabteilung dort
abholen, wo sie aufgrund ihrer Geschichte derzeit „ungeschminkt“ steht. Nur
so kann sie die individuelle Einzigartigkeit ehrlich abbilden. Sie soll dadurch
eine realistische Einschätzung dessen abgeben, was die Rechtsabteilung insge-
samt erreichen möchte.
• Umsetzbarkeit: Die Vision muss glaubwürdig und umsetzbar sein, nicht nur
hehre Versprechungen und Ideale beinhalten. Sie muss begreifbar und realisier-
bar sein, indem sie die heutige Realität als Basis nimmt und einen gangbaren
Weg zur künftigen Idealvorstellung statuiert.
• Herausforderung: Die Vision zeigt ein in weiter Ferne, doch tatsächlich
erreichbares Set von Zielen. Sie muss inhaltlich so ausgestaltet sein, dass die
Mitarbeitenden der Legal Operations herausgefordert werden, den avisierten
Idealzustand auch tatsächlich zu erreichen.
• Eindeutigkeit und Verständlichkeit: Die Vision muss von jedem Mitarbei-
tenden klar und eindeutig verstanden werden können. Das erfordert griffig und
pointiert formulierte Aussagen. Wer einmal eine Vision zu formulieren ver-
suchte, wird mir beipflichten, dass es durchaus eine Kunst ist, komplexe Sach-
verhalte in einfache Worte und konkret umsetzbare Handlungen zu fassen.
• Mitreißende Formulierung: Qualitativ-motivierende Formulierungen sind
quantitativen Zielvorgaben vorzuziehen. Die Aussage, man möchte durch effek-
tives Legal Risk Management mindestens 50 Rechtsfälle pro Jahr verhindern,
mag an sich ein ehrenwertes Ziel sein, wird die Mitarbeitenden aber nicht son-
derlich motivieren.
• Sinnvoller Zeithorizont: Da die Vision ein Set künftig zu erreichender
Ziele darstellt, sollte der Zeithorizont zur Zielerreichung sinnvoll bemessen
sein. In der Praxis ist für Legal Operations ein Zeithorizont von drei bis
fünf Jahren sinnvoll. Dies lässt auch genügend Raum für einen stetigen
Anpassungsprozess. In der Regel wird die Vision innerhalb des gegebenen
Zeitrahmens ab und zu angepasst sowie weiterentwickelt, sodass deren
Kompassfunktion stets aktuell bleibt.
10.2.2.1 Vorbereitungen
Im ersten Schritt sollte sich jedes einzelne Mitglied Ihres Rechtsteams mit der
Beantwortung nachfolgender individueller Fragen zur eigenen Wertewahrnehmung
auseinandersetzen:6
• Welches ist der sinngebende Zweck unserer Rechtsabteilung und der Dienst-
leistungen, die wir im Unternehmen anbieten? Welches sind die idealen und
welches die gelebten Werte im Hinblick darauf, wie wir mit den Menschen in
und außerhalb der Rechtsabteilung umgehen?
• Erfüllt mich die Antworten auf die ersten beiden Fragen mit Stolz? Ist es für
mich bereichernd, ein Teil dieser Abteilung zu sein? Glauben alle Teammitglie-
der an den Sinn und Zweck dessen, was in der Rechtsabteilung täglich gemacht
wird?
• Weshalb habe ich mich überhaupt für den Juristenberuf entschieden und welche
Sinnhaftigkeit vermittelt er mir täglich respektive über einen längeren Zeitraum
betrachtet?
• Wird die Leistung der Mitarbeitenden in unserer Abteilung geschätzt und
regelmäßig durch Lob gezeigt? Herrschen in der Rechtsabteilung gegenseitige
Unterstützung, Respekt und Vertrauen? Unterstützen wir uns nicht nur fachlich,
sondern auch persönlich?
• Bis zu welchem Punkt wird in den Legal Operations nicht umgesetzt, was so
dringend nötig wäre? Was müsste anders werden, damit die Rechtsabteilung ein
inspiring place to work würde?
10.2.2.2 Profunde Visionsanalyse
Im nächsten Schritt geht es darum, allgemeine Aussagen über den Visionsstatus
der Rechtsabteilung zu treffen. Dabei stehen weniger besonders akkurate Aus-
sagen zu den drei Analysedimensionen, wie in Abb. 10.2 dargestellt, im Vorder-
grund, sondern eine profunde Auseinandersetzung mit einer künftig optimalen
Ausgestaltung von Legal Operations. In diesem Zusammenhang ist es wichtig,
dass jedes Mitglied seine eigene spezifische Sichtweise auf die Dinge diskutieren
und einbringen kann (die Einteilung in richtig und falsch ist möglichst zu unterlas-
sen), um schließlich einen Konsens zu finden, dem alle Mitglieder in weiten Teilen
zustimmen können.
Nun sollte ein kleines Team (maximal zwei bis drei Personen) die key findings
der drei vorangegangenen Analysedimensionen und die zu diesen geführten Dis-
kussionen systematisch aggregieren und aufbereiten. Dies ist notwendig, da in der
Praxis verschiedene Themen oft gleichzeitig besprochen werden, die Beteiligten
in besonders hitzig geführten Diskussionen inhaltlich hin und her springen und
gleiche oder ähnliche Sachverhalte redundant (teilweise aus verschiedenen Pers-
pektiven) besprochen werden. Aus diesem Grund ist es empfehlenswert, während
der Diskussionsrunde – spätestens aber an ihrem Ende –, die wichtigsten Voten
und Endergebnisse schriftlich zu fixieren. Auf diese Weise können sie in der Folge
nur noch dem richtigen Kontext zugeordnet werden und bilden bereits die Grund-
lage für den Visionsvorentwurf. Dieser wird nun vom gesamten Legal Operations
Team noch einmal kritisch diskutiert und anschließend – sofern mehrheitsfähig
bereinigt – provisorisch im Team verabschiedet.
aufgedeckt werden. Zudem zeigt sich, ob die Vision auch von außen als angemes-
sen und in line mit den gesamtunternehmerischen Vorgaben angesehen wird. Die
Analyseergebnisse und Hypothesen über künftige Entwicklungen erhalten auf
diese Weise ebenfalls nochmals eine kritische Überprüfung. Schließlich werden
auch Einschätzungen über den richtigen Zeitpunkt hinsichtlich der Einführung der
Legal Operations Vision ausgetauscht. Letzten Endes sendet der Einbezug wich-
tiger unternehmensinterner Interaktionspartner ein sehr wichtiges Signal in die
eigene Organisation.
Die langfristigen Ziele der Legal Operations Vision können nur dann ihre Vorteile
entfalten, wenn sie institutionalisiert und im Abteilungsalltag umgesetzt werden.
Um dies zu erreichen, muss ein weiteres identity change tool hinzutreten, die
sogenannten „Legal Operations Guidelines“.7 Mit ihnen wird die Verfassung der
Legal Operations (die allgemeinen Grundsätze) niedergeschrieben. Mithin enthal-
ten die Guidelines orientierungsgebende, grenzziehende und richtungsweisende
Vorgaben für die Konkretisierung der Visionsziele. Ihre Erstellung sollte daher
unmittelbar im Anschluss an die Visionsentwicklung in Angriff genommen wer-
den, um die inhaltliche Kontinuität zu gewährleisten.
Indem die Guidelines ein generelles (und daher „ewiges“8) System von Leitmaxi-
men vorgeben, welche aufs engste mit der Legal Operations Vision verknüpft sind,
geben sie den „Korridor“ vor, auf dem die langfristigen Ziele der Legal Operations
7Oft wird von Guidelines im Kontext des Gesamtunternehmens auch von „Unternehmensverfas-
sung“ oder „Mission“ gesprochen. „Mission Statement“ oder „Leitlinien“ bedeuten in diesem
Zusammenhang schriftlich fixierte und etwas umfassender ausgestaltete Guidelines.
8„Visionen tragen also ihr Verfalldatum mit sich, Missionen hingegen nicht.“ Müller-Stewens,
erreicht werden sollen. Ihr Vorteil liegt aber nicht nur in der generellen Orientie-
rungsfunktion, sondern vor allem auch in ihrer Verbindlichkeit – insbesondere in
Konfliktsituationen: Als konkrete Orientierungshilfe ermöglichen sie den Mitglie-
dern des Legal Teams genau zu unterscheiden, was im Kontext der Zielerreichung
erwünscht und was unerwünscht ist. Darüber hinaus geben sie Auskunft, welche
expliziten und impliziten Sanktionen bei Zuwiderhandlungen zur Anwendung
kommen. Daneben kommt ihnen auch eine sinnstiftende Wirkung zu: Sie geben
Antwort auf die Frage nach der Bedeutung sowie dem Nutzen der Rechtsabteilung
für das Unternehmen, für die Mitglieder des Legal Teams und für sämtliche Inter-
aktionspartner. Dabei sind die Guidelines nicht mit der Strategie der Legal Opera-
tions oder den „Legal Operations Leadership Principles“ (siehe dazu auch
Kap. 11) zu verwechseln.
In der Praxis hört man von General Counsels immer wieder, dass sie ihre Legal
Operations nicht weiter entwickeln können, dass ihr Team nur „Dienst nach Vor-
schrift“ leiste oder dass es besonders schwierig sei, sich positiv innerhalb des
Unternehmens zu profilieren. Solche Klagen beruhen auf vielerlei Gründen, doch
ist deren Grundlage oft dieselbe: Entweder existieren weder Vision noch Guide-
lines – und die Grundlagen der Rechtsabteilung basieren ausschließlich auf der
Strategiefestlegung (oft wird nicht einmal diese professionell durchgeführt) – oder
die beiden Instrumente existieren zwar, sind aber nie wirklich Teil des beruflichen
Alltags geworden und wurden vergessen. Solange Legal Operations Guidelines
nicht zu 100 % vom General Counsel und seinen Mitarbeitenden stammen, wer-
den diese das ihnen innewohnende Potenzial nicht entfalten können. Sie werden
stets als Fremdkörper wahrgenommen. Übernehmen Sie daher in keinem Fall
irgendwelche Leitlinien aus dem Internet oder von Kollegen aus anderen Unter-
nehmen, sondern verwenden Sie ausschließlich genuine und – nach den nachfol-
genden Vorgaben – im Team diskutierte Inhalte. Natürlich ist es nicht verboten,
sich auch bei anderen General Counsels Ideen und thematische Anregungen zu
holen, solange diese kritisch hinterfragt werden. Nicht zuletzt entstehen aus sol-
chen Diskussionen wiederum neue Ideen und individuelle Inhalte für die maßge-
schneiderten Guidelines Ihrer Rechtsabteilung.
9Das kick-off meeting für die Guidelines-Erstellung stellt einen wichtigen Meilenstein dar.
Solange Sie mit Ihren Mitarbeitenden zusammen die Legal Operations Vision entwickelt haben,
war die Beschäftigung mit dem Thema Identität sicherlich interessant, aber noch reichlich abs-
trakt. Aufgrund der konkreten Inhalte der Legal Operations Guidelines wird sich nun aber jeder
Mitarbeitende mit der Identitätsthematik auf einer emotional bedeutend fassbareren Ebene aus-
einandersetzen können. Das kick-off meeting dient daher einerseits als äußeres Zeichen, dass es
Ihnen als General Counsel mit der konkreten Umsetzung der Identitätsthematik ernst ist. Ande-
rerseits werden die Teammitglieder über das Projekt und seine unterschiedlichen Phasen orien-
tiert, es werden Fragen beantwortet und das ganze Legal Team für die Entwicklung der eigenen
Legal Operations Guidelines begeistert.
10 Vision und Guidelines in Legal Operations 133
„Tell me and I’ll forget; show me and I may remember; involve me and I’ll under-
stand.“10 Aufoktroyierte Identitätsmaßnahmen, die keinen unmittelbaren Sinnbe-
zug zum Mitarbeitenden aufweisen, sind in der Regel zum Scheitern verurteilt.
Zudem müssen sie im Legal Team auch tatsächlich gelebt werden, nicht nur auf
dem Papier existieren. Daher sollten Sie als General Counsel mit gutem Beispiel
vorangehen und zum „personifizierten Träger“ der Werte aus der gemeinsam ver-
abschiedeten Vision und den Guidelines werden. Dies ist ein eminent wichtiger
Teil Ihrer Funktion als Vorgesetzter. Mitarbeitende orientieren sich an hierarchisch
übergeordneten Personen.11 Dadurch haben Vorgesetzte einen großen Einfluss dar-
auf, ob sich ihre Mitarbeitenden mit den Zielen und Werten der Abteilung identifi-
zieren. Als General Counsel dienen Sie somit auch als „Leuchtfeuer“, das den
Mitarbeitenden im geschäftigen Büroalltag – nur schon aufgrund Ihrer Präsenz –
regelmäßig die Inhalte der Vision und Guidelines ins Bewusstsein zurückruft.
Schließlich ist auch eine offene Kommunikation der Vision und der Guidelines
an alle wichtigen Interaktionspartner – allen voran an die Geschäftsleitung, aber
auch an die Leiter und Mitarbeitenden der nahestehenden Fachabteilungen – maß-
geblich für deren Erfolg mitverantwortlich. Da Identität nur zu einem Teil von
innen heraus entsteht, sondern auch von ihrer Außenwirkung abhängig ist, sollte
dieser einige Aufmerksamkeit gewidmet werden. Beziehen Sie daher die Mei-
nungsmacher und Multiplikatoren aus dem Unternehmen mit ein und lassen Sie
diese ihren Teil zur glaubwürdigen Identitätswahrnehmung Ihrer Rechtsabteilung
beisteuern.
Literatur
Bickmann R (1999) Chance: Identität – Impulse für das Management von Komplexität. Springer,
Heidelberg
Chiu P (2009) Looking beyond profit – small shareholders and the value imperative. Gower,
Farnham
Dahl JC, Plumb JC, Stewart I, Lundgren T (2009) The art & science of valuing in psychotherapy.
Hew Harbinger Publications, Oakland
Galinsky A, Schweitzer M (2015) Friend & foe – when to cooperate, when to compete, and how
to succeed at both. Random House Business Books, London
Müller-Stewens G, Lechner C (2005) Strategisches Management: Wie strategische Initiativen
zum Wandel führen, 3. Aufl. Schäffer-Poeschel, Stuttgart
Reiss S (2010) Das Reiss Profile™ – Die 16 Lebensmotive, 2. Aufl. Gabal, Offenbach
Schwartz T (2011) Be excellent at anything – the four keys to transforming the way we work and
live. Free Press, New York
Sind die Vision und die Guidelines der Legal Operations gemeinsam im Legal
Team erstellt und im Unternehmen an alle wichtigen Interaktionspartner kom-
muniziert worden, haben Sie zumindest einmal die Grundlage für eine positive
Identitätsgestaltung gelegt. Beide in Kap. 10 erläuterten Instrumente sind in ihrer
Wirkung allerdings eingeschränkt, sofern sie nicht durch weitere identity change
tools ergänzt werden. Vision und Guidelines sind zwar essenziell, aber nicht son-
derlich „alltagstauglich“, da nicht unmittelbar umsetzbar. Ihre Stärke liegt viel-
mehr darin, dass sie die großräumige Richtung vorgeben. Sie können daher immer
dann hervorgeholt werden, wenn es darum geht, einen Schritt zurückzutreten und
das große Ganze zu betrachten, um sicherzustellen, dass man immer noch in die
richtige Richtung vorangeht.
In diesem Kapitel werden zwei identity change tools aus der Beratungspraxis
von QUADRAGON Management erläutert, die einen unmittelbaren Einfluss auf
die konkrete Identitätsausgestaltung von Legal Operations haben. Ferner wird
gezeigt, wie Sie diese als General Counsel in Ihrem eigenen Programm zur Identi-
tätsbildung und -förderung einsetzen können. Wie in Abb. 11.1 dargestellt, handelt
es sich einerseits um die „Identity Leadership Principles“, welche eine Konkreti-
sierung von Vision und Guidelines hinsichtlich Führungs- und Interaktionsgrund-
sätzen im Legal Operations Team darstellen. Andererseits geht es um den „Identity
Controlling Cycle“, ein identitätsunterstützendes Monitoring- und Kontrollwerk-
zeug, dessen Einsatz unerlässlich für den Erfolg jeglicher identitätsstiftender
beziehungsweise identitätsverändernder Maßnahmen in den Legal Operations ist.
Abb. 11.1 Identity Leadership Principles und Identity Controlling Cycle. (Quelle: QUADRA-
GON Management LLC)
Führung heißt für einen General Counsel, sich vollumfänglich mit der eigenen
Führungs-, Fach-, Sach- und Sozialkompetenz in den Dienst der Legal Opera-
tions und seiner Mitarbeitenden zu stellen. Als Führungspersönlichkeit ist er
dafür verantwortlich, dass in seiner Abteilung bestmögliche Strukturen gebil-
det sowie Prozesse und Ressourcen optimal eingesetzt werden, um dadurch die
eigenen und die vorgegebenen Ziele der Rechtsabteilung innert Frist zu errei-
chen. Durch die Ergebnisverantwortung ist er auch diejenige Person, welche die
größten Einflussmöglichkeiten auf das „Arbeitsbiotop Rechtsabteilung“ ausüben
kann. Mithin fällt es auch in den Aufgabenbereich des General Counsel, die Iden-
tität der Legal Operations nicht einfach dem Zufall zu überlassen, sondern diese
aktiv zu gestalten.
wenig Sinn, das Rad neu erfinden zu wollen, zumal das Legal Team in Vision
und Guidelines bereits in corpore zusammengetragen hat, welche Werte, Ziele,
Prinzipien und daraus abgeleitete Verhaltensregeln in den Legal Operations
erwünscht und welche unerwünscht sind. Sofern sich ein General Counsel an
jene Vorgaben hält, werden die von ihm erarbeiteten Führungs- und Interaktions-
grundsätze aufgrund der Vorarbeiten des gesamten Teams auch auf breite Akzep-
tanz stoßen. Identity Leadership Principles haben daher den großen Vorteil, dass
sie von Beginn an konsistent mit den gemeinsam vereinbarten Gestaltungsre-
geln der Rechtsabteilung sind und es dadurch nicht nur dem General Counsel
einfacher machen, seine Mitarbeitenden souverän zu führen, sondern auch den
Mitgliedern des Legal Teams die Spielregeln im Umgang zwischen ihnen klar
aufzeigen. Die Führungs- und Interaktionsgrundsätze dürfen daher nicht nur in
einem engen Rahmen als Top-down-Vorschriften verstanden werden. Sie gel-
ten in jedem Fall auch horizontal sowie bottom up. Schließlich ist es aber das
Vorrecht des General Counsel, völlig autonom die Legal Identity Leadership
Principles zusammenzustellen und diejenigen Inhalte auszuwählen, welche ihm
persönlich am meisten zusagen.
geregelt ist, kommt der nächste dran. Oder, Sie legen die allerwichtigsten Vorga-
ben in allen fünf Regelungsbereichen sofort fest und ergänzen diese mit der Zeit
sukzessive aufgrund Ihrer gemachten Erfahrungen mit Interaktionskonflikten. Ich
empfehle Ihnen das zweite Vorgehen. In unserer Beratungspraxis hat sich dieses
als zielführender und praktikabler erwiesen, da die von uns beratenen General
Counsels in der Regel keine Zeit hatten, sich mehrere Tage lang ausschließlich
mit der Niederschrift von Interaktionsgrundsätzen zu beschäftigen. Zudem treffen
General Counsels im Abteilungsalltag, sofern erst einmal für diesen Aspekt der
Identitätsarbeit sensibilisiert, von alleine immer wieder auf neue Regelungsberei-
che oder auf bereits niedergeschriebene Regeln, die jedoch einer weiteren Präzi-
sierung bedürfen.
Lassen Sie sich bei der inhaltlichen Formulierung wie bereits angesprochen von
den Richtungsvorgaben von Vision und Guidelines inspirieren und widerstehen
Sie der Versuchung, wohlklingende aber nichtssagende Inhalte mit aufzunehmen.
Bleiben Sie konkret und versehen Sie die wichtigen Muss-Vorschriften mit
genügend intensiven, aber für alle Teammitglieder immer fair bleibenden
Sanktionsbestimmungen. Verstehen Sie die Erstellung der Identity Leadership
Principles als iterativen Prozess, der wohl nie wirklich abgeschlossen sein wird,
zumal sich die Regelungsinhalte mit der Zeit immer wieder verändern und sich der
Teamdynamik anpassen müssen. Neue Inhalte werden hinzukommen, bestehende
wiederum gelöscht werden. Schließlich geht es hierbei um eine identitätsstiftende
Maßnahme: Allzu rigide und ausführlich sollte das Regelwerk auf keinen Fall
werden, Sie können und wollen in der Regel nicht alles niederschreiben. Das
Regelwerk sollte aber dennoch ein Mindestmaß an Vorgaben enthalten, die für
Sie und Ihre Mannschaft wichtig sind, um sich die gemeinsame und individuelle
Arbeit zu erleichtern, die Interaktion im Inneren und gegen außen zu verbessern,
die Arbeitsatmosphäre (wenn nötig) zu heben sowie echte Transparenz, Stabilität
und langfristige Verlässlichkeit in den Legal Operations zu schaffen.
Der Begriff „Controlling“ wird wohl von den wenigsten Unternehmensjuristen mit
einer identitätsstiftenden Maßnahme in Verbindung gebracht. Vielmehr wird dar-
unter oft genau das Gegenteil verstanden: Eine ausschließlich auf harten Zahlen
und Fakten basierende Führung des Gesamtunternehmens. Dadurch ist Controlling
in erster Linie eine unternehmensweite Angelegenheit des CFO und des Corporate
Controllings; betrifft die Rechtsabteilung vermeintlich nur am Rande. Dennoch
beschlägt die kennzahlenbasierte Unternehmensführung durch Corporate Control
ling die Legal Operations mit spezifischen reporting duties und im Idealfall mit
einem sinnvollen Einbezug in die Errungenschaften einer optimal umgesetzten
Balanced Scorecard-Systematik (siehe dazu detailliert Kap. 40), welche bereits die
Bereiche Corporate Identity und Operations Identity mitumfasst.
144 R.P. Falta
elches einerseits die Vorteile des großen Bruders „Corporate Controlling“ auf die
w
Zielsetzungen der Identitätsentwicklung von Rechtsabteilungen im Unternehmen
unterstützt und anderseits möglichst universell und einfach angewandt werden
kann.
Aus diesem Grunde haben wir bei QUADRAGON Management den sogenann-
ten „Legal Operations Identity Controlling (LOIC) Cycle“ entwickelt. Er basiert
vereinfacht gesagt auf einem simplen Soll-Ist-Zustandsvergleichsregelkreislauf.
Dies macht ihn zum idealen Monitoring- und Kontrolltool für General Counsels.
Er ist logisch aufgebaut und sehr einfach anzuwenden, da er aus immer den glei-
chen acht Prozessschritten besteht. Hierbei werden, wie in Abb. 11.3 dargestellt,
Ist- und Soll-Informationen aufgenommen und verglichen (Phasen 1 bis 3).
Die Ergebnisse daraus werden in realistischen Szenarien evaluiert/validiert
(Phase 4) und wiederum als Basis für sinnvolles und zielgerichtetes künftiges
Handeln genommen (Phase 5). Die künftigen Maßnahmen und Aktionen müs-
sen sodann sorgfältig geplant, umgesetzt und wiederum stetig kontrolliert werden
(Phasen 6 bis 8).
auf ihre Eignung geprüft. Aus den besten Vorschlägen wird nun eine finale
Options-Auswahl getroffen.
In der nachfolgenden Planungsphase werden die gewonnenen Erkenntnisse
in einen Entwicklungsplan (identity development road map) eingetragen und
mit SMARTIES-Zielen sowie einer Meilensteinplanung versehen. An diesen
soll später der individuelle Fortschritt der einzelnen – zur Schließung der iden-
tity gaps eingesetzter – Maßnahmen und Aktionen der identity change tools
gemessen werden. Die Prüfung an den zuvor definierten Zielgrößen ermöglicht
im Anschluss den Start eines neuen Durchlaufs durch den Legal Operations
Identity Controlling Cycle. Dadurch kann dieses Werkzeug den General Coun-
sel maßgeblich dabei unterstützen, die Identitätsgestaltung und -verankerung
der Legal Operations immer weiter und nuancierter zu verbessern.
3Vgl. die für psychologische Laien ausgezeichnet aufbereiteten Erklärungen zur objectivity bias
und zum naïve realism, welcher die menschliche Wahrnehmung maßgeblich beeinflusst und zu
eklatanten Fehlurteilen führen kann (Gilovich und Ross 2016, S. 13–41).
148 R.P. Falta
von ihm repräsentierten Gruppe einbringen und gemeinsam mit den anderen an
Evaluationen/Validierungen, Aktionsplänen etc. zusammenarbeiten. Dadurch wird
einerseits ein starkes Signal an alle Mitarbeitende der Legal Operations gesen-
det: „Die Identität der Legal Operations und das Wohlergehen jedes Einzelnen ist
uns wichtig!“ Andererseits erlebe ich in der Praxis oft, dass durch die Ergebnisse
der gemeinsamen brainstorming-Phasen immer wieder erstaunliche Durchbrü-
che – für bis anhin festgefahrene oder (teilweise scheinbar) unlösbare Probleme
– ermöglicht werden. Dies führt bei den involvierten Mitarbeitenden insgesamt zu
einem ausgeprägteren Wir-Gefühl; mithin zu einer Festigung der Gruppenzugehö-
rigkeit, der Wertschätzung und der sinnstiftenden Gewissheit, ein mitbestimmen-
der, „gehörter“ und daher inklusiver Teil eines inspiring place to work zu sein. Aus
diesem Grunde ist es auch sinnvoll, dass sich die Mitarbeiterpool-Vertreter regel-
mäßig abwechseln, damit jedes Mitglied des Legal Teams in den Genuss dieser
identitätsstiftenden Meetings kommt.
Schließlich ist der Legal Operations Identity Controlling Cycle nicht nur auf
das Monitoring und die Kontrolle der globalen Legal Operations Identity-Sach-
verhalte anwendbar. Vielmehr kann dieses Instrument auch für die Messung und
Beobachtung einzelner Maßnahmenumsetzungen innerhalb der anderen identity
change tools genutzt werden, stellt es doch einen generellen Controlling-Kreislauf
zur Verfügung, der auch auf andere Lebenssachverhalte angewendet werden kann
(siehe dazu detailliert Kap. 30).
Literatur
Gilovich T, Ross L (2016) The wisest one in the room – how to harness psychology’s most pow-
erful insights. Oneworld Publications, London
Hugentobler W, Schaufelbühl K, Blattner M (Hrsg) (2012) Integrale Betriebswirtschaftslehre, 4.
Aufl. Orell Füssli, Zürich
Haben Sie die Vision und die Guidelines Ihrer Legal Operations (vgl. dazu auch
Kap. 10) bereits zusammen mit Ihrem Team erstellt? Haben Sie Ihre eigenen Vor-
stellungen von Identity Leadership Principles umgesetzt und einen entsprechen-
den Identity Controlling-Prozess in Ihrer Rechtsabteilung implementiert (vgl. dazu
auch Kap. 11)? Dann wird es Zeit, sich mit den unterschiedlichen Möglichkeiten
der umsetzungsbezogenen Ausgestaltung der Identitätsverankerung auseinander-
zusetzen. Wie in Abb. 12.1 dargestellt, befassen wir uns in diesem Kapitel daher
einerseits mit dem „Identity Marketing“, welches auf die gezielte Steuerung der
Außenwahrnehmung ausgerichtet ist. In diesem Zusammenhang werden unter-
schiedliche Tools erläutert, die in der Beratungspraxis eingesetzt werden, um
General Counsels dabei zu helfen, die spezifische – durch Vision, Guidelines und
Principles definierte – Rechtsabteilungsidentität bei internen und externen Interak-
tionspartnern positiv zu beeinflussen. Andererseits befassen wir uns auch mit dem
„Identity Design“, das einen positiven Einfluss auf die Wahrnehmung der Legal
Operations im Unternehmen und seiner Umwelt haben kann, sofern es geschickt
mit den Maßnahmen des Identity Marketings verknüpft wird.
Abb. 12.1 Identity Marketing und Identity Design. (Quelle: QUADRAGON Management LLC)
„Marketing“ baut eine Brücke zwischen einem Anbieter und seinem Markt.1 Über-
setzt auf die Rechtsabteilung stellt das Identitätsmarketing die Brücke zwischen
dem Legal Team und seinen internen sowie externen Interaktionspartnern dar. Es
umfasst sämtliche Strategien, Ressourcen, Prozesse und Maßnahmen, mit deren
Hilfe die Rechtsabteilungsidentität innerhalb des Unternehmens und gegenüber
externen Interaktionspartnern im positiven Sinne „verkauft“ werden kann. Im
Gegensatz zum „klassischen“ Konsumgüter-, Industriegüter- und Dienstleistungs-
marketing geht es aber nicht um „geschönte“ Versprechungen durch Hochglanz-
broschüren, tolle Verpackungen oder den Verkauf von Emotionen und Träumen.
Vielmehr soll es darum gehen, die Legal Operations professionell, sympathisch
und insgesamt optimal gegenüber Dritten zu positionieren und positiv in ihrem
Bewusstsein zu verankern. Maßnahmen des Identitätsmarketings sollten daher
immer auf den identitätsstiftenden Grundlagen von Vision, Guidelines und Princi-
ples aufbauen, zumal sie nur dann ihr volles Potenzial entfalten können, wenn das
Fundament, auf dem sie aufgebaut sind, auch wirklich echt und solide ist. Werden
die Werte, Ziele und Grundsätze der anderen identity change tools auch in diesem
Bereich sinnvoll angewandt, entsteht aus dem Identity Marketing ein weiterer
wichtiger Baustein der Identitätsgestaltung von Legal Operations.
Im Gegensatz zu Vision, Guidelines und Principles, die ihre Wirkung vor allem
innerhalb des Legal Teams entfalten, wirken die Identity Marketing Tools direkt
auf die Wahrnehmung der relevanten externen Interaktionspartner (siehe dazu den
gesamten Teil IV dieses Buches).2 Daher bezweckt Identitätsmarketing vor allem
eine positive Eigendarstellung der Rechtsabteilung gegen außen. Natürlich sind in
der Praxis aber auch positive Effekte gegen innen bekannt, zumal Maßnahmen
gegen außen auch immer reflexiv auf das Legal Team und dessen Eigenwahrneh-
mung wirken.
Marketing ist aber nicht gleich Marketing, so passen zum Beispiel die Konzepte
und Instrumente des Konsumgütermarketings, wie auch diejenigen des Investiti-
onsgütermarketings nicht besonders gut auf den Verkauf des etwas schwerer fass-
baren Gutes „Identität“. Einige Ideen des Dienstleistungsmarketings sind hierfür
jedoch durchaus sinnvoll. So steuern dessen strategische und operative Konzepte
und Modelle wichtige Ansatzpunkte für die Ausgestaltung eines professionellen
und identitätsstiftenden Rechtsabteilungsmarketings bei.
Der strategische Teil des Legal Operations Identity Marketings von QUAD-
RAGON Management, wie in Abb. 12.2 (linke Seite) dargestellt, befasst sich
mit der Analyse und Evaluation derjenigen Informationen, die dazu dienen,
die bestmöglichen Strategievarianten (vgl. dazu auch Kap. 30) zur Rechtsab-
teilungspositionierung zu finden. Dabei werden sämtliche Dienstleistungen
und Aufgabenschwerpunkte der Rechtsabteilung einer gründlichen Analyse
(Legal Operations Services Analytics)3 unterzogen. Danach werden die Wert-
ketten der Legal Operations-Prozesse analysiert (Legal Operations Value
Chain Analytics)4 und die effektiven Positionierungsparameter der Außen-
wahrnehmung bei internen und externen Interaktionspartnern bestimmt (Legal
je Position des strategischen Services-Inventars und Bewertung im Hinblick auf deren Wert-
schöpfungsbeitrag, die Wertschöpfungstiefe, mögliche Effizienz- und Effektivitätshemmer etc.
152 R.P. Falta
aus den Strategievarianten abgeleitet werden, einige Zeit, bis sie erste Ergebnisse
liefern. Andererseits ist der Halbjahreshorizont genügend lang, um jede einzelne
Maßnahme nach einer definierten Prüfkadenz mehrmals auf ihre Wirksamkeit
hin zu untersuchen. Schließlich ist die Evaluation der wirkungsvollsten Strate-
gievarianten immer auch ein Try-and-error-Prozess, der von vielen – nicht durch
das Legal Team beeinflussbaren – Faktoren abhängig ist. Erfolgreiche Strate-
gien unterscheiden sich darum nicht nur von Unternehmen zu Unternehmen oder
Behörde zu Behörde, sondern divergieren in ihrer Ergiebigkeit auch innerhalb
des gleichen Unternehmens/der gleichen Behörde. Sie können unterschiedliche
Wirkungen entfalten, je nachdem, zu welchem Zeitpunkt sie eingesetzt wurden
und in welcher aktuellen Situation sich die Legal Operations befanden. Gleich-
zeitig werden während der Evaluation alle grundsätzlich durchführbaren Stra-
tegievarianten in eine der folgenden drei Identity Marketing-Strategiegruppen
eingeteilt:
Die Gruppeneinteilung ist sinnvoll, da jede der drei Gruppen einen ande-
ren identitätsgestaltenden Schwerpunkt für die Interaktion zwischen Legal
Team-Mitgliedern und ihren Interaktionspartnern aufweist. Zudem erleichtert die
Gruppeneinteilung die nachfolgende Auswahl der für den gegebenen Zeitraum
besten Marketingstrategien: Die besten drei bis sechs Marketingstrategien können
daher ohne weitere Aufwendungen ins operative Identitätsmarketing der Rechts-
abteilung übernommen werden. Bevor es jedoch so weit ist, erfolgt noch deren
154 R.P. Falta
Detailplanung respektive die Detailplanung und Auswahl der aus den Strategien
abgeleiteten Maßnahmenbündel.
Der operative Teil des Legal Operations Identity Marketing, wie in Abb. 12.2
(rechte Seite) dargestellt, befasst sich in der Folge mit der Umsetzung der ausge-
wählten Strategien je Strategiegruppe:
Abb. 12.3 Identity
Design-Dokumentenstempel.
(Quelle: QUADRAGON
Management LLC)
156 R.P. Falta
abteilung auf breiter Front zum Vorschein kommt (das heißt nicht im Falle negativer Einzelfälle),
muss die Ausgabe solcher Qualitätsstempel sofort unterbunden werden, damit beim Interaktions-
partner keine weiteren negativen Kognitionsverknüpfungen entstehen können. Die betroffenen
Dritten nehmen das Verschwinden nur während einer kurzen Zeitdauer wahr und vergessen deren
vormalige Präsenz rasch. Nach einiger Zeit, sobald das Vertrauen in die Qualitätsarbeit wieder
zu wachsen beginnt, kann man sich immer noch überlegen, ob nun abgeänderte Qualitätsstem-
pel sinnvoll wären. Diesmal beispielsweise mit der Botschaft: „Wir haben aus unseren Fehlern
gelernt und legen nun noch größeren Wert auf Qualität und Ihre Zufriedenheit“, um damit den
Vertrauensbildungsprozess zu unterstützen.
9Vgl. Shaw (2007, S. 25).
12 Identity Marketing und Identity Design in Legal Operations 157
Das „Identity Design“ unterstützt das Identity Marketing, indem es mit visuellen,
auditiven, kinästhetisch-haptischen und sogar olfaktorischen Mitteln dessen
spezifische Botschaftsvermittlung unterstützt. Design kommuniziert ebenfalls – es
kommuniziert oft sogar stärker, als den meisten von uns im Alltag bewusst ist. Überall,
wo Sie und die Mitglieder Ihres Legal Teams mit internen oder externen Personen
interagieren, kann Identity Design die positive Wirkung der identitätsakzentuierenden
Marketingmaßnahmen auf subtile Art und Weise unterstützen. Es geht in der
sinnvollen Nutzung von Identity Design-Inhalten darum, einen Wiedererkennungswert
zu schaffen, der Sie und Ihre Mitarbeitenden in der Außenwahrnehmung durch Dritte
klar und eindeutig mit der Rechtsabteilung verbindet.
Im Falle eines optimal umgesetzten Identity Design kann die spezifische Wie-
dererkennung dazu beitragen, dass die Mitglieder des Legal Teams mit beson-
ders positiven Gefühlen in Verbindung gebracht werden und dadurch bereits eine
positive Interaktionsatmosphäre entsteht, noch bevor ein einziges Wort gewech-
selt wurde. Da die Interaktionen der Rechtsfunktion sich in vielen Bereichen
ausschließlich auf den Austausch schriftlicher Unterlagen abstützen (E-Mail,
Berichte, Memos, Rechtsanalysen etc.), sind diese besonders gut geeignet, um sich
mit ihnen die Vorteile des Identity Design in der zwischenmenschlichen Kommu-
nikation zunutze zu machen. Es gibt aber auch noch eine Vielzahl anderer Anwen-
dungsmöglichkeiten für die Mittel des Identity Design.
weise durch das Corporate Design normiert? Wo bleibt Raum für den Einsatz
eines völlig autonomen Legal Operations Identitätsdesigns und wo sind „Koope-
rationen“ mit dem Corporate Design respektive dessen nuancierter Weiterentwick-
lung möglich und erlaubt? Sind diese Fragen erst einmal geklärt, geht es darum,
sich Gedanken darüber zu machen, mit welchem geschickt und einheitlich ange-
wandten Design positive Botschaften über Ihre Legal Operations transportiert wer-
den können.
Bevor Sie sich mit Ihren Mitarbeitenden nun aber in die „Kreativarbeit“ stürzen
– wohl mit ein Grund, weshalb die Umsetzung eines eigenen Identity Design in der
Praxis auf so große Begeisterung stößt –, sollten Sie unbedingt mit dem Corporate
Identity-Verantwortlichen Ihres Unternehmens sprechen und diesem Ihr Vorhaben
erläutern. Wie schon beim Identity Marketing schätzen es auch die Mitarbeitenden
im Corporate Design sehr, wenn sich jemand aus dem Unternehmen für ihre Arbeit
interessiert. Finden Sie heraus, wer die oberste Verantwortung trägt und bitten
Sie diese Person um eine Unterredung. In der Regel wird sie Ihnen nicht nur die
Möglichkeiten und Grenzen des Legal Operations Identity Design (gegenüber den
globalen Corporate-Vorgaben) aufzeigen, sondern Ihnen auch wertvolle Vorschläge
und Inspirationen mit auf den Weg geben können. Vielleicht gelingt es Ihnen sogar,
diese Person davon zu überzeugen, einen „Identity Design-Launch“ der Legal
Operations mitzubegleiten. In der Praxis habe ich erlebt, dass Corporate Identity-
Verantwortliche gerne Hand dazu bieten; sich auch schon einmal mit richtiger
Begeisterung in die Beratung der Rechtsabteilung stürzen, wenn sie erfahren, dass
ihr Input gefragt und wertgeschätzt wird. Mithin kann eine solche innerbetriebliche
Kooperation auch eine weitere positiv wirkende Legal Operations Identity
Marketing-Maßnahme sein.
10So können zum Beispiel für das Design eines Rechtsabteilungslogos folgende Empfehlun-
gen angegeben werden: Aus farbpsychologischer Sicht sind ausschließlich dunkle Weinrot-,
Violett-, Fuchsia-, Blau- und Grautöne zu empfehlen. Bei der Logomusterung ist weniger oft
mehr: Verschnörkelte, üppige oder verspielte Muster wirken bei Logos von Rechtsabteilungen
negativ. Bei den zu verwendenden grafischen Symbolen können Sie sich zudem an den Vorga-
ben von Anwaltskanzleien, Treuhandunternehmen, Banken und Versicherungen orientieren. Die
Symbolik alter Bäume, starker Wildtiere oder gezeitenstrotzender Berg- und Felsformationen
transportieren die oftmals unbewußt wahrgenommene Botschaft von Professionalität, Stärke,
Beständigkeit und Vertrauen.
11Hier nur eine kleine Auswahl an Maßnahmen aus der Beratungspraxis, welche bereits in
Linie das Einheitsgefühl und die identitätsstiftende Abgrenzung gegen außen stär-
ken sollen. Diese entfalten ihre Wirkung im Legal Team selbst und strahlen erst in
der Folge gegen außen ab (Rechtsabteilungslogo, Rechtsabteilungsmaskottchen,
einheitliche farbliche Gestaltung der Büroräume, Büromöbel in den Legal Opera-
tions-Farben etc.). Andererseits gibt es Marketingmaßnahmen, die prioritär gegen
außen eine Wirkung entfalten, unabhängig davon, ob sie auch auf das Legal Team
wirken (einheitliche Kleidungsvorschriften für Geschäftsmeetings, Einrichtung
des physischen und virtuellen „Rechtsberatungsraums“ nach gleichen visuellen
Vorgaben, Abgabe nützlicher Give-aways mit Legal Operations-Logodruck und
direkten Kontaktdetails an Interaktionspartner etc.).
Den Abschluss des Identity Design-Entwicklungsprozesses bilden die Auswahl
und Fixierung der generellen und maßnahmenspezifischen Designvorgaben. Zur
Schlusskontrolle sollten Sie wiederum einen Fachmann beiziehen. Zudem muss
festgelegt werden, ab wann die Legal Operations Identity Design-Vorgaben in
Kraft treten und wie lange diese gültig sein sollen. Zudem können Sie auch hier
einen Identity Controlling-Prozess (vgl. dazu auch Kap. 11) aufbauen, um die Wir-
kung des Legal Operations Designs auch tatsächlich überprüfen zu können und
dadurch zu lernen, welche seiner Elemente gut wirken und welche künftig abgeän-
dert werden müssen.
Literatur
Hugentobler W, Schaufelbühl K, Blattner M (Hrsg) (2012) Integrale Betriebswirtschaftslehre, 4.
Aufl. Orell Füssli, Zürich
Meffert H, Bruhn M (2012) Dienstleistungsmarketing, Grundlagen – Konzepte – Methoden, 7.
Aufl. Springer Gabler, Wiesbaden
Shaw C (2007) The DNA of customer experience – how emotions drive value. Palgrave Macmil-
lan, Hampshire
Wänke M (Hrsg) (2009) Social psychology of consumer behavior. Psychology Press, New York
Wir haben in Kap. 10 gesehen, wie sich die Identität der Legal Operations einer-
seits aufgrund gemeinsamer langfristiger Zielsetzungen und daraus abgeleiteter
Handlungsrichtlinien bilden und verstärken lässt. Andererseits wurde in Kap. 11
erläutert, welchen bestimmenden Einfluss Führungs- und Interaktionsgrund-
sätze auf die mittelbare Ausgestaltung von Identität in Rechtsabteilungen haben.
Schließlich wurde in diesem Zusammenhang in Kap. 12 detailliert auf die konkre-
ten Umsetzungsmaßnahmen eingegangen. All diesen identity change tools gemein
ist deren hauptsächlich schriftliche Manifestierung. Zumal nach Abschluss des
jeweiligen Entwicklungsprozesses ein schriftliches Dokument vorhanden sein
sollte, in welchem die spezifischen Inhalte dieser Werkzeuge niedergeschrieben
sind.
Identitätsstiftung erfolgt – neben den vorgenannten identity change tools – oft
aber auch durch eine gemeinsame Symbolik oder durch spezifische interaktive
Handlungen. Mit diesen beiden Bereichen beschäftigen sich die beiden in diesem
Kapitel behandelten und in Abb. 13.1 dargestellten identity change tools „Identity
Symbolism“ und „Identity Happenings“.
Die Anwendung einer spezifischen Symbolik, mit der sich soziale Gruppen von
anderen Gruppen abgrenzen, ist auch jedem Legal Team eigen. Bereits der täg-
liche Sprachgebrauch wird (meist unbewusst) zur Differenzierung genutzt. Dies
fällt uns meist erst dann auf, wenn wir uns für kurze Zeit in einer fremden Fachab-
teilung aufhalten. Der spezifische Sprachgebrauch beispielsweise der Marketing-
oder der Finanzabteilung wird uns zuerst fremd erscheinen und der aufmerksame
Betrachter wird sich innert kürzester Zeit bewusst, dass er durch sein Unvermögen
desselben Sprachgebrauchs als fremd und als nicht-integraler Bestandteil jener
Gruppe aufgefasst wird. Es sind aber nicht nur sprachliche Eigenheiten, die Grup-
pen voneinander unterscheidbar machen. Auch andere symbolische Handlungen,
wie gemeinsam gepflegte Rituale oder Traditionen, können zu einer (un-)bewuss-
ten Sezession führen (siehe dazu mehr in Absatz 13.3). Auch Legal Operations
Teams setzen eine ganze Reihe symbolischer Mittel ein, um ihre ganz spezifische
Identität und die Zusammengehörigkeit gegenüber innen und außen zu unterstrei-
chen. Sofern der Einsatz des Identity Symbolism mit den Vorgaben aus den ande-
ren identity change tools im Einklang steht, kann er jene darin unterstützen, die
abteilungsspezifischen Normen, Wertvorstellungen und Prinzipien zu verstärken
und schließlich dazu beitragen, die Identität der Rechtsabteilung zu festigen. Die
verwendete Symbolik in der Rechtsabteilung kann aber auch kontraproduktiv und
sabotierend wirken, sofern sie die anderen identitätsstiftenden und -verstärkenden
Maßnahmen nicht sinnvoll unterstützt.
13 Identity Symbolism und Identity Happenings in Legal Operations 165
Sprache ist neben der visuellen Botschaftsvermittlung (siehe dazu auch Kap. 12 zum
Identity Design) das wichtigste zwischenmenschliche Transportmedium von Infor-
mationen. Durch Sprache werden Inhalte, Zustimmung und Ablehnung sowie tau-
send Nuancen dazwischen ausgedrückt. Im Rahmen der Interaktion von Mitgliedern
des Legal Teams basiert Sprache auf besonderen Formulierungen, sprachlichen
Codes – wie Abkürzungen, nick names oder speziellen Sprachcharakteristika (fach-
sprachliche Ausdrücke, Verwendung von Anglizismen, Latein etc.) – und einem ganz
individuellen Umgangston, der nur in der entsprechenden Gruppe gepflegt wird. Aus
diesem Grund ist Sprache auch so wichtig, wenn es um die Identitätsbildung in Legal
Operations geht. Sprache dient als Spiegel für die tatsächlich gelebte Identität, nicht
umsonst bilden die Sammlung und Auswertung von Sprachdiagnosen den Schwer-
punkt in fast allen Kulturdiagnosen von Unternehmen.1 Anhand des Sprachgebrauchs
in mündlicher (beispielsweise im team meeting, in Eins-zu-eins-Interaktionen oder in
gemeinschaftlichen Pausenkonversationen) oder in schriftlicher Form (vor allem in
E-Mails, Memos und Notizen) kann ein aufmerksamer Beobachter rasch feststellen,
wie es tatsächlich um die Identitäts- und Interaktionsqualität der Abteilung bestellt
ist. Durch Sprache lässt sich bis zu einem gewissen Grad auch der Umsetzungsstand
identitätsstiftender Maßnahmen ableiten und bestimmen, wo man sich derzeit auf
dem Weg vom Ist- zum Sollzustand befindet.
Da Sprache immer auch durch die ihr innewohnende Symbolik eine bestimmte
Aussage über die Bewertung der außerhalb des Individuums liegenden Welt trifft,
beeinflusst sie maßgeblich die Wahrnehmung des Sprechenden. Je nachdem, ob
ich zum Beispiel ein Glas als halb-voll oder halb-leer bezeichne, treffe ich einen
Entscheid darüber, wie ich die grundsätzlich objektiv indifferente Wahrnehmung
„einfärbe“, welche frames of reference ich also der Bewertung der sich mir
objektiv bietenden Szene zuordne.2 Dadurch schlägt sich mein Sprachgebrauch
unmittelbar und direkt auch auf meine Stimmung und andere mind-body-emotion-
Manifestationen nieder. Darüber hinaus gehört zu jedem ausgesprochenen Wort
auch stets die Benutzung nicht-verbaler Kommunikationskanäle, wie Mimik und
Gestik, Stimmhöhe, tonale Akzentuierung, Lautstärke, Atemmuster etc. Diese
bilden mit dem gesprochenen Wort immer eine Wahrnehmungseinheit beim
Zuhörenden (siehe dazu detailliert Kap. 31).
Konformitätsdruck, der sich mit der Zeit in jeder sozialen Gruppe einstellt und der
nicht „weg-“gestaltet werden kann.7 Dieser kann aber sichtbar und dadurch
gestaltbar gemacht werden.
Besäufnisse“, die heutzutage gesellschaftlich verpönt und aus einer professionellen Perspektive
klar abzulehnen sind. Auf den zweiten Blick beinhalten aber ausgerechnet nicht gerne gesehene
Verhaltensweisen einen besonders großen Impact auf die Identitätsbildung. Sie sind, sofern in
besonderer Weise aus dem normalen Rahmen fallend, geradezu prädestiniert dafür, zur abtei-
lungsinternen Historien- und Mythenbildung beizutragen. Hier gilt es als Vorgesetzter einen
gesunden Kompromiss zu finden.
11Seien Sie sich jedoch bewusst, dass sich die Identität Ihrer Legal Operations täglich etwas ver-
ändert und auch in eine Richtung entwickeln kann, die Ihnen als General Counsel nicht behagt.
Zudem stellt die Identitätsgestaltung kein technokratisches Instrument dar, das exakt und immer
zu 100% in diejenige Richtung wirkt, in die Sie mit Ihrem Team gehen möchten. Identität lässt
sich nicht in der gleichen Form gestalten wie andere Führungsaufgaben. Sämtliche hier vorge-
stellten identity change tools bieten Ihnen aber sehr gute – da in dieser Form überhaupt verfüg-
bare – Ansatzpunkte, um mittel- bis langfristig in den Prozess der Identitätsentwicklung Ihres
Legal Teams proaktiv eingreifen zu können.
172 R.P. Falta
Um dieses Ziel zu erreichen, sind bei der Auswahl eines optimalen Identity
Happenings-Mix gewisse Vorgaben einzuhalten:
• Die Praxis zeigt, dass es vorteilhaft ist, einen möglichst vollständigen Hap-
penings-Jahreskalender zusammenzustellen und diesen inhaltlich mit den
Werte- und Normvorgaben aus den anderen identity change tools abzugleichen.
Das bedeutet nicht nur die besten Einzelmaßnahmen für die Identitätsbildung
auszuwählen, sondern diese auch in einer besonders sinnvollen Reihenfolge
über das Jahr hinweg anzuordnen. Bereits deren Anordnung beinhaltet für die
Mitarbeitenden eine wahrnehmbare Symbolik.
• Es ist zudem darauf zu achten, dass jede einzelne Identity Happenings-Maß-
nahme nicht nur mit den anderen konsistent ist, sondern auch ihre ganz
spezifische – aus der Vision und den Guidelines abgeleitete – Werte- und
Normenbotschaft übermittelt. So ist es beispielsweise nicht sinnvoll, meh-
rere Maßnahmen nacheinander einzusetzen, die die gleichen oder sehr ähnli-
chen Botschaften transportieren. Es sei denn, eine solche Zusammenstellung
wird bewusst zur Unterstreichung eines Monats- oder Semesterschwerpunktes
gewählt. Im Allgemeinen ist aber darauf zu achten, dass die unterschiedlichen
Normen- und Wertebotschaften abwechselnd im Jahresprogramm vorkommen.
Zudem sollte darauf geachtet werden, dass jede der 15 bis 20 Einzelbotschaften
der Legal Operations Vision (siehe dazu auch Kap. 10) mindestens einmal jähr-
lich in einem Identity Happenings-Event ihren Niederschlag findet. Nur so kann
sich eine tatsächlich gelebte Wertekultur in einer Rechtsabteilung etablieren.
• Schließlich ist beim Einsatz von Identity Happenings-Maßnahmen auch eine
gehörige Portion Geduld gefragt. Symbolische Handlungsweisen benötigen
eine bestimmte Zeit, um ihr Potenzial zu entfalten und die bereits vorbestehende
Kulturdynamik in Legal Operations zu überwinden. Planen Sie daher ruhig
einmal das nächste Halbjahr oder Jahr voraus und kontrollieren Sie anhand
des LOIC-Kreislaufs (siehe dazu auch Kap. 11), wie sich die Identität Ihrer
Rechtsabteilung mit der Zeit verändert. Bereits bei der nächsten Jahresplanung
werden Sie bereits recht gut abschätzen können, welche Happenings sinnvoll
waren, welche noch fehlen und zugefügt und welche nicht zielführend und
daher entfernt werden sollten. Einmal entfernte Happenings-Maßnahmen
können Sie ja auf die Warteliste setzen und später wieder hervorholen, wenn
sie besser zu passen scheinen. Schließlich ist Identity Happenings-Management
keine exakte Wissenschaft, sondern ein mittel- bis langfristiger Trial-and-Error-
Prozess.
Literatur
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Heidelberg
Bodenhamer BG, Hall LM (2012) User’s manual for the brain –, Bd 1. Crown House Publishing,
Wales
13 Identity Symbolism und Identity Happenings in Legal Operations 173
Galinsky A, Schweitzer M (2015) Friend & Foe – when to cooperate, when to compete, and how
to succeed at both. Random House Business Books, London
Hall LM, Bodenhamer BG, Bolstad R, Hamblett M (2011) The structure of personality. Crown
House Publishing, Wales
Rechtschaffen S (1998) Du hast mehr Zeit, als du denkst. Goldmann, München
Die Positionierung von Legal Operations ist ein hochgradig strategisches Thema
(siehe dazu detailliert Kap. 30). Es beschäftigt sich damit, wie die Rechtsabtei-
lung respektive die durch sie handelnden Personen in Unternehmen oder Behörden
eine möglichst optimale und unverwechselbare Stellung gegen innen und außen
einnehmen können. Mithin ist die Positionierungsthematik eng mit der Identität
von Legal Operations (siehe Teil III dieses Buches) und mit ihren spezifischen
Aufgabengebieten (siehe Teil VIII dieses Buches) verknüpft. Zudem spielt sie,
wie in Abb. 14.1 dargestellt, auch für die anderen Bereiche des Legal Operations
Management eine entscheidende Rolle.
In einem ersten Schritt sollten Sie sich einen Überblick über das Beziehungsge-
flecht der Legal Operations in der Welt, der angehörenden Organisation (Unterneh-
men oder Behörde) und im Hinblick auf die für diese wichtigen Umweltsphären
und Interaktionsgruppen, wie in Abb. 14.2 dargestellt, verschaffen.
Hierbei kann Ihnen die Auseinandersetzung mit folgenden Fragen helfen:
Abb. 14.2 Beispiele für interne und externe Interaktionspartner sowie Umweltsphären von
Legal Operations. (Quelle: QUADRAGON Management LLC)
Die Anwendung eines solchen Rahmens kann dazu beitragen, die einzelnen
Interaktionspartner systematischer und umfassender zu erfassen. Zudem kann
Ihnen der Rahmen dabei helfen, mehr über Ihre Interaktionspartner in Erfahrung
180 R.P. Falta
Neben der genauen Kenntnis des Gebiets, in welchem die Rechtsfunktion operiert,
basiert eine optimale Positionierung auf einem durchdachten Leistungsmanage-
ment. Der zweite Schritt in der Analyse der eigenen Positionierung sollte daher
mit der Beantwortung nachfolgender Fragen eingeleitet werden:
14.2.3 Wertschöpfungsmanagement
strategischen Sicht jedoch ein, da nicht jede Leistung von der Rechtsabteilung
erbracht werden muss/sollte.1 Entscheidend ist, welchen Beitrag die Legal Opera-
tions durch ihren Teil der Wertschöpfung zum Erfolg der Gesamtorganisation leis-
ten. Bei der Auseinandersetzung mit dieser Thematik kann die Beantwortung der
nachstehenden Fragen helfen:
Das Ergebnis einer optimalen Positionierung liegt nicht nur darin, dass ein Inter-
aktionspartner mit der richtigen Leistung versorgt wird – und damit aus Sicht
der Rechtsabteilung „Wertschöpfung“ stattfindet –, sondern auch darin, dass der
entsprechende Interaktionspartner mit der erhaltenen Leistung hinsichtlich seiner
Erwartungen auch zufriedengestellt werden kann. Es ist daher sinnvoll, sich auch
damit auseinanderzusetzen, welchen emotionalen Wert die in den Legal Opera-
tions erbrachten Leistungen aufweisen.
1DefinitionWertschöpfung nach Müller-Stewens und Lechner (2005, S. 369): „Ist der Saldo aus
dem Ertrag einer betrieblichen Leistung und dem Wert der in der Leistungserstellung eingegan-
genen Vor- und Fremdleistungen positiv, so spricht man von Wertschöpfung, ist er negativ, von
Wertvernichtung.“ Wertvernichtende Leistungen sollten daher möglichst rasch entdeckt und aus
dem Leistungsangebot der Legal Operations entfernt werden.
182 R.P. Falta
Danach beschäftigt sich eine weitere Gruppe von Autoren mit der Außenpositio-
nierung gegenüber den wichtigsten externen Interaktionspartnern:
• Den Abschluss dieses Buchteils bildet ein Interview mit Dr. Valentin
Landmann in Kap. 25 zur Außenpositionierung gegenüber Strafverfol-
gungsbehörden.
Literatur
Müller-Stewens G, Lechner C (2005) Strategisches Management: Wie strategische Initiativen
zum Wandel führen, 3. Aufl. Schäffer-Poeschel, Stuttgart
Der (schweizerische) Verwaltungsrat1 übt die Oberleitung der Gesellschaft aus und
erteilt die nötigen Weisungen. Er legt die Organisation fest, das Rechnungswesen
und die Finanzkontrolle. Er ernennt die mit der Geschäftsführung betrauten Perso-
nen und überwacht und kontrolliert diese. Er erstellt den jährlichen Geschäftsbe-
richt, bereitet die Generalversammlung der Aktionäre vor und führt deren
Beschlüsse aus. Diese im Gesetz2 festgeschriebenen Aufgaben des Verwaltungs-
rats sind seit jeher gleich. Indessen haben sich bei der Erfüllung dieser Aufgaben
die Schwerpunkte der Verwaltungsratstätigkeit in den letzten zwei Jahrzehnten
stark verändert, indem sich der heutige Verwaltungsrat intensiv und detailliert mit
Themen wie Corporate Governance, Audit, Risk Management, Compliance, Ver-
gütung oder der sozialen Verantwortung seines Unternehmens befassen muss. Der
rechtliche Bezug zu einigen dieser Themen ist offensichtlich und führt in der
Folge daher zu einer engeren Zusammenarbeit des Verwaltungsrats mit dem Gene-
ral Counsel, als dies früher der Fall war.
1Der Autor ist mit den Verhältnissen in der Schweiz vertraut. Entsprechend spricht er von Verwal-
tungsrat und nicht Aufsichtsrat und von Generalversammlung und nicht Hauptversammlung usw.
2Art. 716a OR (Schweizerisches Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen
Zivilgesetzbuches vom 30. März 1911) (Fünfter Teil: Obligationenrecht) (SR 220).
Die Rolle des General Counsel ist nicht primär diejenige des Feuerwehrmanns,
der erst bei einem Brand gerufen wird, um zu löschen. Früher bestand die Kern
aufgabe des General Counsel darin, „Probleme“, die ihm vom Verwaltungs-
rat vorgelegt wurden, aus juristischer Sicht zu beurteilen. Nicht selten wurde
er erst beigezogen, nachdem diese bereits vorlagen und Entscheidungen dazu
schon getroffen waren. Fast zwangsläufig handelte er somit reaktiv. Ein moder-
ner General Counsel sieht sich dagegen vielmehr als der Hüter über das rechtlich
und ethisch korrekte Verhalten seines Unternehmens. Er räumt rechtliche Hinder-
nisse aus dem Weg, um die legitimen Geschäftsziele des Unternehmens proaktiv
zu unterstützen und zu fördern. Zudem stellt er sicher, dass das Unternehmen und
dessen Mitarbeitende sich vorbildlich an rechtliche und ethische Verhaltensnormen
halten. Dabei hat er eine zuweilen schwierige Balance zwischen Unternehmens
integrität und (kurzfristigem) Unternehmensprofit zu finden. Schließlich besteht
seine Rolle aber auch darin, pro-aktiv rechtlichen Brandschutz zu betreiben und
Brände zu vermeiden. Dafür aber muss er bei den Diskussionen und Entschei-
den über Geschäfts- und Projektideen dabei sein, um rechtzeitig die rechtlichen
Implikationen abklären und das Management (und den Verwaltungsrat) vor des-
sen Entscheid beraten zu können, um namentlich Fehlentscheide (in rechtlicher
Hinsicht) und deren negative Auswirkungen (nicht nur rechtlicher Natur, sondern
beispielsweise Reputationsrisiken) vermeiden zu können. Dieser rechtliche Schutz
des Unternehmens als Kernaufgabe des General Counsel und seiner Rechtsabtei-
lung ist natürlich gegenüber der Geschäftsleitung, wie auch gegenüber dem Ver-
waltungsrat wichtig.
Beispiel
Das schweizerische Recht schreibt nirgends vor, dass ein Unternehmen einen
Verhaltenskodex für seine Mitarbeiter einführen muss. Ein international täti-
ges Unternehmen wird jedoch mit vielen Risiken konfrontiert, die sich aus dem
(Fehl-)Verhalten der Mitarbeiter ergeben. Zu denken ist an verpönte Abspra-
chen mit Konkurrenten, aktive und passive Bestechung, Geldwäscherei oder
Ähnliches. Diese können empfindliche Sanktionen wie Bußen durch in- und
ausländische Behörden, Lizenzentzug, Reputationsschaden etc. nach sich zie-
hen. Es ist die Aufgabe des General Counsel, die Geschäftsleitung und den
Verwaltungsrat in dieser Hinsicht zu sensibilisieren, ihnen Risiken und Nutzen
für das Unternehmen aufzuzeigen, ihre Vorbildfunktion für die Mitarbeiter zu
verdeutlichen und sie von der Notwendigkeit des Erlasses eines Verhaltensko-
dex zu überzeugen. Hernach natürlich zudem darauf zu achten, dass dieser im
Unternehmen auch „gelebt“ wird.
Beispiel
Der Verwaltungsrat verlässt sich darauf, dass der General Counsel rechtzei-
tig und von sich aus auf eine Gesetzesänderung aufmerksam macht, die eine
Anpassung der Statuten mit sich bringt, welche der Verwaltungsrat der General-
versammlung zur Genehmigung vorzulegen hat.
188 H.-U. Schoch
• Einhaltung der „no surprise policy“: Der Verwaltungsrat will vollständig und
transparent über rechtliche Risiken und latente oder hängige Streitfälle von
materieller Wichtigkeit informiert werden.
Beispiel
Es gibt nichts Peinlicheres für einen General Counsel, als wenn der Verwal-
tungsrat aus der Presse erfahren muss, dass eine Behörde gegen das Unterneh-
men eine Untersuchung wegen Verdachts auf Preisabsprachen führt, obwohl
der General Counsel Gelegenheit gehabt hätte, den Verwaltungsrat vorgängig
zu informieren.
• Eine klare „can do attitude“: Der Verwaltungsrat schätzt es sehr, wenn der
General Counsel rechtlich innovative und vertretbare Lösungen präsentie-
ren kann, die ihn in einem rechtlich immer anspruchsvolleren Umfeld bei der
Bewältigung seiner Aufgaben unterstützen. Umgekehrt kommt es nicht gut an,
wenn beim Verwaltungsrat der Eindruck entsteht, dass der „Hausjurist“ ein
Bremsklotz ist, der keine eigene Meinung hat, immer nur Probleme sieht und
Vorbehalte anbringt, anstatt aktiv Lösungen zu kommunizieren.
• Ein effizienter Sitzungsablauf: Der Verwaltungsrat erwartet, dass der Sit-
zungsraum vorbereitet ist, Getränke, Schreibutensilien vorhanden sind, die
technischen Einrichtungen funktionieren und dass Personen, die nur für ein
bestimmtes Traktandum an der Sitzung teilnehmen, zur rechten Zeit dazu kom-
men etc. In jenen (häufigen) Fällen, wo der General Counsel gleichzeitig auch
Verwaltungsratssekretär ist (siehe dazu auch Kap. 53), werden sich die Sit-
zungsteilnehmer an ihn wenden, wenn etwas nicht funktioniert. Nebst logisti-
schen Aspekten ist natürlich dem Inhalt, namentlich der Traktandierung, viel
Aufmerksamkeit zu schenken. Der General Counsel/Verwaltungsratssekretär
arbeitet mit dem Verwaltungsratspräsidenten (VRP) und dem Chief Executive
Officer (CEO) Traktandenlisten aus, die sicherstellen, dass sich der Verwal-
tungsrat mit den wichtigsten Risiken und Chancen des Unternehmens befasst
und dazu ausreichend und aufrichtig informiert wird. Ob hernach die eigentli-
che Sitzung pünktlich und effizient abläuft, hängt natürlich von der Sitzungs-
leitung des Vorsitzenden ab. Der logistische Aufwand für Vorbereitung und
Durchführung von Verwaltungsrats- und Verwaltungsratsausschusssitzungen
ist je nach den konkreten Umständen nicht zu unterschätzen. Folgende Punkte
gehören dazu: Unterkunft und Transport für zureisende Verwaltungsräte, Ein-
treiben der Sitzungsunterlagen (dies können rasch einmal mehrere hundert
Seiten sein), ordnen, drucken und elektronischer oder physischer Versand der-
selben, Telefon-, Video-Zuschaltungen, Essen, Trinken, Zeitbedarf pro Sit-
zungsthema und Unvorhergesehenes einplanen etc.
15 Innenpositionierung zum Aufsichts-/Verwaltungsrat 189
Beispiel
Ich habe als Generalsekretär stets darauf geachtet, dass Fragen dazu, ob ein
Entscheid zu einem bestimmten Projekt, der einer ausländischen Behörde
unterbreitet werden muss, einer bestimmten Form entsprechen muss, stets
im Voraus geklärt waren, denn der Verwaltungsrat sollte seine Zeit nicht da
rauf verwenden, solche Fragen zu debattieren, sondern Zeit für die eigentliche
Beratung und Diskussion von geschäftsrelevanten Projekten haben. Und noch
weniger schätzt er es, wenn das gleiche Geschäft ein zweites Mal traktandiert
und vorgelegt wird, weil ein Entscheid beim ersten Mal nicht förmlich richtig
ergangen ist.
Es gibt in der Praxis unzählige Spielvarianten und Modelle, die die Positionie-
rung und das Verhältnis des General Counsel zum Verwaltungsrat beeinflussen.
Dies beginnt bei der Organisation und Zusammensetzung von Verwaltungsrat und
Geschäftsleitung: Es gibt Verwaltungsräte, die bloß aus einem Mitglied beste-
hen. Andere zählen drei, fünf oder mehr Mitglieder. Es gibt Verwaltungsräte, die
ausschließlich aus exekutiven, also angestellten, im operativen Management der
Gesellschaft tätigen Mitgliedern bestehen, andere Verwaltungsräte haben einzelne,
von Unternehmen und Management unabhängige Mitglieder; oder die Mehrheit
oder gar alle Mitglieder sind unabhängig. Mehrheitlich, wenngleich nicht mehr
so häufig wie früher, ist der Präsident des Verwaltungsrats (VRP) gleichzeitig der
Geschäftsführer (CEO) des Unternehmens. Ob das Unternehmen börsenkotiert ist
oder nicht, von einem Mehrheitsaktionär oder einer Familie beherrscht wird etc.,
sind weitere Faktoren, die einen Einfluss auf die Zusammenarbeit des General
Counsel mit dem Verwaltungsrat und damit auf dessen optimale Innenpositionie-
rung haben.
Großen Einfluss auf das Verhältnis des General Counsel zum Verwaltungsrat
hat natürlich auch seine (hierarchische) Stellung im Unternehmen: Rapportiert er
direkt an den CEO? Nimmt er an allen Geschäftsleitungssitzungen teil? Nimmt
er an allen Verwaltungsratssitzungen teil? Hat er eine „offene“ Linie zum Verwal-
tungsrat? Im Folgenden wird nicht näher auf die verschiedenen Variationen der
Unternehmensorganisation eingegangen, denn die entscheidenden Erfolgsfakto-
ren für die Innenpositionierung des General Counsel zum Verwaltungsrat hängen
weniger von der Organisation und der Zusammensetzung des Verwaltungsrats
sowie der Geschäftsleitung ab; vielmehr sind weiche Faktoren ausschlaggebend
für eine optimale Positionierung des General Counsel gegenüber dem Verwal-
tungsrat.
Ein guter General Counsel kann sich zum Beispiel in die Rolle der Verwal-
tungsräte hineinversetzen. Er versteht und spricht deren Sprache. Ein Verwaltungs-
rat besteht typischerweise aus Personen, die charakterlich und beruflich heterogen
sind. Nicht ungewöhnlich ist auch, dass es sich um Personen mit großem Ego und
190 H.-U. Schoch
Beispiel
Ein Verwaltungsrat informiert den General Counsel, dass seine Uhr nach einer
Reparatur beim Bijoutier abgeholt werden könne, er aber wegen der Verwal-
tungsratssitzungen keine Zeit habe. Geht es in Ordnung, wenn der General
Counsel den Chauffeur des Unternehmens losschickt, um die Uhr abzuholen?
Was ist, wenn der Verwaltungsrat fragt, ob er nach den Sitzungen vom Chauf-
feur des Unternehmens in seine Ferienwohnung in die Berge gefahren werden
könne? Der Leser kann sich zu diesen Fragen selbst die Antworten geben und
15 Innenpositionierung zum Aufsichts-/Verwaltungsrat 191
wird feststellen, dass sie in der Praxis oft gar nicht so einfach mit einem klaren
Ja oder Nein beantwortet werden können.
Dies jedenfalls, solange er nicht einen gravierenden Fehler begeht, der in seine
fachliche, juristische Kompetenz fällt, oder er nicht bei einem unangenehmen
Ereignis als Bauernopfer herhalten muss. Der Verwaltungsrat, dem der General
Counsel – aus welchen Gründen auch immer – vielleicht nicht wohlgesonnen ist,
wird sich deswegen nicht mit dem CEO anlegen, solange der General Counsel vom
CEO gestützt wird.
Das Verhältnis zum Verwaltungsrat ist deswegen aber nicht minder wichtig. Vor
allem ist es für das moderne Rollenverständnis des General Counsel unabdingbar,
dass er einen direkten Zugang zum Verwaltungsratspräsidenten beziehungsweise
zum gesamten Verwaltungsrat hat. Das überwiegende Interesse, das der General
Counsel zu vertreten hat, ist jenes des Unternehmens. Bei kontroversen Fragen
muss es ihm daher möglich sein, sich ohne vorherige Zustimmung des CEO direkt
an den Verwaltungsratspräsidenten oder ein anderes Verwaltungsratsmitglied zu
wenden. Dieser direkte Zugang lässt sich mit der „gestrichelten Verbindungslinie“
(dotted reporting line) des Internen Revisors oder des Chief Compliance Officers
zum Audit Committee vergleichen, wie er als best practice des Ausdrucks der
Unabhängigkeit der erwähnten Funktionen gilt.3
Die Interessen des Verwaltungsrats werden meist mit jenen der Geschäftsleitung
übereinstimmen, müssen dies aber nicht immer tun. Konflikte entstehen, wenn sich
Verwaltungsrat und Geschäftsleitung oder einzelne Protagonisten wie Verwaltungs-
ratspräsident und CEO über die strategische Orientierung des Unternehmens nicht
einig sind oder sich schlicht persönlich nicht mögen. Die Maxime für den General
Counsel ist in einem solchen Fall klar: An erster Stelle steht nicht das Interesse des
Verwaltungsratspräsidenten oder das des CEO, sondern das Interesse des Unter-
nehmens, sowohl in sachlicher wie auch juristischer Hinsicht. In der Praxis ist die
Umsetzung dieses Prinzips ein bisschen schwieriger und erfordert nebst diplomati-
schem Geschick auch ein gehöriges Maß an Rückgrat und Stehvermögen.
Beispiel 1
Nehmen wir an, es bestehen ernsthafte Meinungsunterschiede zwischen Ver-
waltungsratspräsident und CEO, an welchen der General Counsel direkt rap-
portiert. In der Folge debattiert der Gesamtverwaltungsrat über die Absetzung
des CEO. Der General Counsel, der gleichzeitig auch Verwaltungsratssekretär
ist, nimmt an dieser Verwaltungsratssitzung teil. Unweigerlich findet er sich in
einem Loyalitätskonflikt wieder, weil er aus Vertraulichkeitsgründen dem CEO,
3Vgl. hierzu zum Beispiel: The Conference Board (2009) Corporate Governance Handbook.
3. Aufl. New York.
15 Innenpositionierung zum Aufsichts-/Verwaltungsrat 193
Beispiel 2
Ein Bericht an den Verwaltungsrat ist beschönigend und lässt unangenehme
Tatsachen aus. Der CEO respektive die Geschäftsleitung wollen das Problem
ohne Wissen und Unterstützung des Verwaltungsrats lösen. Der General Coun-
sel erfährt diesen Tatbestand. Er muss sich jedoch dagegen einsetzen, auch
wenn er sich persönlich exponieren muss. Schließlich gehört es zu seiner Auf-
gabe, dass der Verwaltungsrat transparent und aufrichtig informiert wird und
dass insbesondere nicht versucht wird, Angelegenheiten, die in den Aufgaben-
bereich des Verwaltungsrats gehören, an diesem „vorbei zu schmuggeln“. Im
Einzelfall ist die Sache selten schwarz-weiß und es ist meist ein gewisser
Ermessenspielraum vorhanden. Ein nach meiner Erfahrung häufig gangbarer
und pragmatischer Weg ist es in einem solchen Fall, dass der General Counsel
darauf hinwirkt, dass der CEO das Problem mit dem Verwaltungsratspräsident
bespricht, um letztlich dessen Meinung einzuholen, ob das Problem dem
Gesamtverwaltungsrat zur Kenntnis gebracht werden soll.5
Die Situation wird um einiges delikater und der Loyalitätskonflikt für den Gene-
ral Counsel bedeutend größer, wenn im Fall von Personalunion zwischen Ver-
waltungsratspräsident und CEO, dieser seine Machtfülle nützt und selbstherrlich
Entscheidungen trifft, ohne die anderen Verwaltungsräte (genügend) zu informie-
ren oder mitentscheiden zu lassen.
4Anzumerken ist, dass der Verwaltungsrat normalerweise heikle Personalfragen in private ses-
sions, ohne Anwesenheit des Verwaltungsratssekretärs berät. Bei Publikumsgesellschaften muss
der Verwaltungsrat allerdings die Ad-hoc-Publikationsvorschriften der Börse im Auge behalten,
weshalb ab einem gewissen Zeitpunkt vor dem Verwaltungsratsentscheid der General Counsel/
Verwaltungsratssekretär beigezogen wird, damit dieser die Publikation vorbereiten und nach
erfolgtem Entscheid in rechtskonformer Weise der Börse und der Öffentlichkeit melden kann.
5Im Zweifelsfall ist es immer besser, den Verwaltungsrat zu informieren und ihn so mit in die
Verantwortung zu nehmen.
194 H.-U. Schoch
Verantwortung für die Führung des Aktienregisters auch zunehmend die Aus-
einandersetzung mit Fragen der Corporate Governance, dem Audit- und Risk-
management, der Compliance und des Verhältnisses von Verwaltungsrat zu
Geschäftsleitung (siehe dazu detailliert Kap. 53).
Die stets länger gewordene Liste von Aufgaben des General Counsel (sowie
des Corporate Secretary) und die Komplexität der damit zusammenhängen-
den Fragestellungen sprechen für eine Trennung der früher häufig anzutref-
fenden Doppelfunktion. Darüber hinaus ist aus grundsätzlichen Corporate
Governance-Überlegungen eine Trennung der Funktionen zu begrüßen, wobei
der Corporate Secretary unabhängig von der Geschäftsleitung direkt dem Ver-
waltungsratspräsidenten respektive dem Gesamtverwaltungsrat unterstellt wer-
den sollte. Bei größeren, börsenkotierten Unternehmen ist dies in der Praxis auch
häufig der Fall (Beispiele: Swiss Re, UBS, Credit-Suisse). Dabei beschränkt sich
die Rolle des Verwaltungsratssekretärs nicht auf rein administrative Aufgaben
(Organisation von Sitzungen, Versand von Dokumenten, Protokollierung, Orga-
nisation der Generalversammlung etc.). Vielmehr nimmt der moderne Corporate
Secretary die Rolle des Corporate Governance Officers ein, also des Beraters
des Verwaltungsrats und zuweilen auch der Geschäftsleitung vorab in Corporate
Governance-Fragen. Daraus ergeben sich natürlich Spannungsfelder zwischen
den nicht in Personalunion agierenden General Counsel und Corporate Secretary,
welche aber durch offene und professionell-kameradschaftliche Zusammenarbeit
weitgehend entschärft werden können.
Im Verhältnis zum Verwaltungsrat ist klar, dass der Corporate Secretary bei
einer getrennten Konstellation viel näher beim Verwaltungsrat steht. Dies hat
jedoch wiederum den Vorteil, dass der General Counsel weitestgehend aus dem
Schussfeld des Verwaltungsrats ist und sich auf seine Aufgabe als oberster Unter-
nehmensjurist und Leiter der Rechtsabteilung, der vorab den Exekutivgremien zur
Verfügung steht, konzentrieren kann. Loyalitäts- und Interessenkonflikte gibt es in
einem solchen Fall grundsätzlich keine, da der General Counsel nicht gleichzeitig
zwei Herren (dem Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung) dienen muss.
Der Autor ist seit 2002 Chief Financial Officer (CFO) des Bühler Konzerns und
zeigt in diesem Kapitel auf, wie sich der General Counsel und die Rechtsabtei-
lung optimal zur Geschäftsleitung positionieren können. Damit die Erläuterungen
im Kontext zur Unternehmenswirklichkeit stehen, wird hier die Positionierungs-
diskussion am Beispiel eines international operierenden Familienunternehmens
dargestellt. Einleitend werden daher dessen Tätigkeitsgebiete, die spezifische
Organisation und die Problemstellungen umrissen, um dem Leser ein einfacheres
Verständnis für die spezifische Ausgestaltung der Positionierungsmöglichkeiten
aufzuzeigen.
Bühler ist ein alteingesessenes Familienunternehmen aus Uzwil (Schweiz),
welches 1860 als Gießerei gegründet wurde und heute mit einem Umsatz von
rund 2,3 Milliarden Euro weltumspannend tätig ist. Das Unternehmen leistet mit
industriellen Lösungen einen wesentlichen Beitrag zur globalen Nahrungsmit-
telproduktion. Rund 70 % des weltweiten Getreides wird auf Bühler-Mühlen zu
Mehl verarbeitet. Ebenfalls substanziell ist der Beitrag zur globalen Herstellung
und Verarbeitung von Reis, Teigwaren, Schokolade und Frühstückszerealien. In
seinem non-food-Geschäft ist Bühler industrieller Technologie- und System-Lie-
ferant mit den Schwerpunkten Automobil (Aluminium-Druckguss), Elektronik
(Bildschirm-Beschichtungen) und Gebäude (Glasfassaden). Als Technologie-Kon-
zern investiert Bühler jährlich rund 5 % des Umsatzes in Forschung und Entwick-
lung. Der Konzern ist in acht sogenannte Business Areas gegliedert, welche für
das weltweite Produkt- und LifeCycle-Management verantwortlich zeichnen.
Unterstützt werden sie durch besondere Plattformen für Produktion, Verkauf und
Service, Human Resources, IT, Corporate Finance, Buchhaltung, Controlling,
Steuern, Financial Services & Treasury, Compliance und durch die Rechtsabtei-
lung. In dieser Plattform-Division ebenfalls integriert sind die interne und externe
Kommunikation. Die Plattformen tragen ihrerseits globale Verantwortung. Diese
Matrix-Organisation ist anspruchsvoll und benötigt ein sauberes Austarieren der
Verantwortlichkeiten, wobei Überschneidungen geführt und nicht vermieden wer-
den sollen. Die Matrix-Organisation bewirkt, dass die betriebswirtschaftlichen
Herausforderungen und die damit verbundenen Prozesse hoch sind.
Neben dem Maschinen- und Service-Geschäft mit je rund 20 % werden 60 %
des Umsatzes über Projekte, wie dem komplexen Anlagenbau für Kunden mit
einem hohen Anteil an Engineering-Leistungen und entsprechenden Risiken in der
ganzen Welt, abgewickelt. Die Projekte für diese Anlagen, beispielsweise Getrei-
demühlen für einen Kunden in Nigeria, unterliegen einem strengen Prozess von
Verkauf, Design, Abwicklung, bis zur Inbetriebsetzung. Das Vertragsmanagement
und die Finanzierung sind wichtige Begleiter im Projektmanagement. Bis zur letz-
ten Kundenzahlung kann es je nach Land und Risiken bis zu zwei oder drei Jahre
dauern. In einzelnen Fällen, zum Beispiel bei technischen Problemen, kann es
sogar noch beträchtlich länger dauern, bis das Projekt abgeschlossen werden kann.
Für den General Counsel und die Legal Counsels in der Rechtsabteilung ergeben
sich durch die weltumspannende Matrix-Organisation und die damit verbundene
inhärente Komplexität des Geschäftes vielschichtige Ansprüche und Herausfor-
derungen. Eine große Zahl der rund 1000 permanent laufenden Kundenprojekte
bedarf einer engen Unterstützung der Legal Counsels. Insbesondere bei der ver-
traglichen Ausarbeitung und damit bei Verhandlungen mit dem Kunden, aber auch
zur finanziellen Schadensbegrenzung in Krisenprojekten ist deren Expertise und
Unterstützung eine absolute Notwendigkeit. Zusätzlich ergeben sich laufend neue
exogene Anforderungen an die Rechtsabteilung eines multinationalen Unterneh-
mens: zum Beispiel neue internationale Freihandelsabkommen zwischen dem Hei-
matland und anderen Industrienationen, die Verschärfung von Exportkontrollen in
politische Krisenregionen, die Verschärfung der Anti-Korruptionsvorschriften etc.
An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass Bühler in vielen Ländern tätig ist,
welche von politischen und wirtschaftlichen Wirren erschüttert werden (Ukraine,
Sudan, Libyen oder Iran), und in welchen die Sanktionsbestimmungen eine nor-
male Geschäftsabwicklung fast unmöglich machen. Diese Umstände erfordern
einen intensiven Miteinbezug der Rechtsabteilung in das operative Tagesgeschäft;
mit der begleitenden Forderung der operativen Linienverantwortlichen nach „krea-
tiver“ und „geschäftserleichternder“ Unterstützung, frei nach dem Slogan „easy to
do business with“.
Dass dieser Anspruch nicht immer im erwartenden Maß befolgt werden kann,
ist selbstredend, denn die Risiken sind nicht aus den Augen zu verlieren. Dadurch
ergibt sich ein potenziell hohes Spannungsverhältnis zwischen Geschäftslei-
tungsmitgliedern, Linienverantwortlichen und den einzelnen Legal Counsel der
Rechtsabteilung. An diesem Spannungsverhältnis muss von beiden Seiten immer
wieder neu gearbeitet und „geknetet“ werden, damit die tägliche Zusammenarbeit
16 Innenpositionierung zur Geschäftsleitung 197
Durch die stark zunehmende Regulierungswelle, insbesondere aus den USA (siehe
dazu auch Kap. 6), sind die Ansprüche an die Rechtsabteilungen von internationa-
len Unternehmen über die letzten fünf bis zehn Jahre stark angestiegen. Für eine
Unternehmensleitung ist es heute von absoluter Notwendigkeit, über eine professi-
onelle Unterstützung in allen rechtlichen Belangen zu verfügen. Die Rechtsabtei-
lung wird so zum Sparringpartner und zur „helfenden Hand“ von Konzernleitung
und gelegentlich auch für den Verwaltungsrat. In diesem Zusammenhang ist auch
zu erwähnen, dass es eine starke interne Signalwirkung hat, auf welcher Hierar-
chiestufe der General Counsel steht und wem er direkt unterstellt ist. Ein Richtig
oder Falsch gibt es dabei nicht: Dies hängt stark von der Art und Kultur des Unter-
nehmens ab. Ich persönlich betrachte es als Vorteil, wenn die Rechtsabteilung
der Konzernleitung unterstellt oder sogar in der Konzernleitung selber vertreten
ist. Bei Bühler ist die Rechtsabteilung daher dem CFO unterstellt. Dies birgt eine
Vielzahl von Vorteilen, da der CFO in die meisten Geschäftsprozesse involviert ist
und eine neutrale Stellung innehat.
Im Folgenden möchte ich die wesentlichen Themen auflisten (Aufzählung nicht
abschließend, da die Vielschichtigkeit der Themen von den jeweiligen Umständen
abhängig ist), mit welchen die Rechtsabteilung im Industrieunternehmen Bühler
konfrontiert ist:
Ob das Unternehmen über eine eigene Rechtsabteilung verfügt, ist immer eine
Frage der Größe und der Vielschichtigkeit der zu bearbeitenden Themen. Ein
Netzwerk an externen Rechtsanwälten kann eine interne Abteilung aber nie
vollumfänglich ersetzen, da eingekauftes Wissen immer wieder verloren geht.
Im Weiteren habe ich immer wieder den Versuch eines finanziellen Vergleichs
gemacht und festgestellt, dass eine eigene Rechtsabteilung um einiges günstiger
zu stehen kommt. Dies ist keine Überraschung in Anbetracht der zum Teil exor-
bitanten Stundenansätze der Kanzleien, bei welchen jeder Telefonanruf vergoldet
wird. Aus meiner Sicht kommt man aber trotzdem nicht an einem externen Netz-
werk an Spezialisten vorbei. Dies vor allem aus länderspezifischen und sprachli-
chen Gründen. Diese Unterstützung kann aber fallbezogen abgerufen werden.
Bei der Zusammenstellung des eigenen Rechtsteams sollte darauf geachtet
werden, dass die Zusammensetzung heterogen in Bezug auf Kompetenzen und
Erfahrungen zusammengestellt ist, damit möglichst alle Themengebiete intern
abgebildet werden können. Im Fall von Bühler ergibt sich aus diesen Überlegun-
gen ein kleines Team von vier erfahrenen Anwälten (inklusive General Counsel),
welches in der Regel von ein bis zwei Praktikanten unterstützt wird. Zusätzlich
verfügt der Konzern über einen eigenständigen Compliance Officer, welcher die
Einhaltung der ethischen Grundsätze und Prozesse innerhalb des Konzerns über-
wacht. Auf dieser Basis stellt sich nunmehr die Frage, welches die Erwartungen
der Unternehmensleitung an die vier Legal Counsels der Rechtsabteilung und den
Compliance Officer sind? Diese Frage kann in die nachfolgenden drei Themenblö-
cke untergliedert werden.
Ich kann dieser Aussage auch aus Sicht des CFO vollumfänglich zustimmen. Oft
ist es so, dass ein Geschäftsleitungsmitglied oder ein Linienverantwortlicher –
wider besseres Wissen – das Unmögliche möglich machen möchten. Die internen
Prozesse geben oftmals aber vor, dass die Rechtsabteilung konsultiert, respek-
tive eingebunden werden muss. Bringt diese dann lediglich Vorbehalte und keine
Lösungsvarianten in das anstehende Thema ein, kommt es unweigerlich zu einer
Auseinandersetzung, welche hätte leicht vermieden werden können. Das Ergebnis:
Die Rechtsabteilung wird möglicherweise zu Unrecht als Geschäftsverhinderer
diffamiert. Vielleicht hat der Legal Counsel in diesem Fall den Linienverantwort-
lichen einfach nicht mit der notwendigen Feinfühligkeit von der Erfolglosigkeit
seines Unterfangens überzeugen können. Ein Quäntchen mehr Einsatz an Psycho-
logie seitens des Legal Counsel hätte die Beurteilung durch die Linie mit Sicher-
heit anders aussehen lassen. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob angehende
Juristen in ihrer Ausbildung genügend in Psychologie geschult werden. Man stelle
sich die Situation vor, wenn ein junger Legal Counsel einem altgedienten und
200 A.R. Herzog
Schließlich liefert die Frage nach der dritten Erwartungshaltung der Geschäftslei-
tung gegenüber der Rechtsfunktion eine einfache und klare Antwort: Die Rechts-
abteilung sollte – wenn immer möglich – klare Empfehlungen abgeben und für
diese die volle Verantwortung übernehmen. Dies benötigt das nötige Augenmaß
für das Mögliche und Machbare in rechtlicher Hinsicht. Es benötigt aber auch
die nötige Portion an Mut, denn der Unternehmensjurist muss bereit sein, volle
Verantwortung für seine Ratschläge und Empfehlungen zu übernehmen. Für den
Spezialisten ist dies manchmal eine heikle Gratwanderung: In der Realität lassen
sich damit keine echten Lorbeeren gewinnen. Zudem wird dem Legal Counsel der
„Schwarze Peter“ schnell zugeschoben, sollte sich ein Projekt nicht wie gewünscht
entwickeln.
Der General Counsel kann sich im besten Fall zu einem wichtigen Sparringpartner
und zu einer geschätzten Vertrauensperson von Linienkadern, Geschäftsleitungs-
mitgliedern und Verwaltungsrat entwickeln. Dadurch erhält er unter Umständen
große Einflussmöglichkeiten auf wichtige operative und strategische Entschei
dungen mit weitreichenden Folgen auf allen Ebenen. Dieses Know-how sollte daher
unbedingt intern gehalten werden. Ein externer Anwalt kann seine persönlichen
Beziehungen in das Unternehmen hinein selten so weit entwickeln, um den Sta-
tus eines allseits beliebten General Counsel zu erreichen. Dafür ist er in der Regel
zu weit vom Tagesgeschäft des Unternehmens entfernt und kann so nicht genü-
gend internes Vertrauen aufbauen. Es sei denn, er komme zum Beispiel direkt aus
dem persönlichen Netzwerk des CEO. In der Beurteilung der Rolle von Unterneh-
mensjuristen ist die Nähe zum Geschäft aus Sicht der Geschäftsleitung jedoch von
absoluter Notwendigkeit, da der interne General oder Legal Counsel immer einsatz-
bereit sein muss. Krisensituationen können jederzeit entstehen, sie sind nie planbar.
Zusammenfassend lässt sich aufgrund folgender Argumente – aus Sicht der
Geschäftsleitung – begründen, weshalb eine eigene Inhouse-Rechtsabteilung
durchaus sinnvoll ist:
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Schnittstellenorganisation und der Zusam-
menarbeit zwischen Rechtsabteilung und anderen juristischen Einheiten, respek-
tive mit internen Mandanten. Die Effizienz der Zusammenarbeit und die materielle
Qualität des Ergebnisses hängen entscheidend davon ab, dass die Kooperation
reibungslos und produktiv über die Schnittstellen hinweg gestaltet wird. Einver-
nehmliche Absprachen mit den betreuten Bereichen, welche beständig fortentwi-
ckelt werden, haben sich als besonders hilfreich erwiesen. Nachfolgend werden
in diesem Zusammenhang zwei Aspekte beleuchtet: Abschn. 17.1 handelt von der
praktischen Fixierung der organisatorischen Rahmenbedingungen des Schnittstel-
lenmanagements zwischen Rechtsabteilung und Fachabteilungen sowie von der
Zuordnung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten – nachfolgend „Richt-
linie Recht“ genannt. Im nachfolgenden Abschn. 17.2 werden diese Absprachen,
Schnittstellen- und Leistungsabreden genannt (SLA), ausführlich dargestellt.
W. Schmidt-Lademann (*)
München, Deutschland
E-Mail: walther@schmidt-lademann.eu
aufgezeigt, wie eine solche Richtlinie Recht erarbeitet, respektive wie dieses opti-
miert werden kann.
Zuerst gilt es, den genauen Aufgabenumfang zu ermitteln. Die Aufgaben der zen-
tralen Rechtsabteilung, gegebenenfalls auch anderer dezentraler Rechtseinheiten,
sind in Hauptaufgaben- und Zusatzaufgabengebiete gegliedert (siehe dazu die
Übersicht in Kap. 46). Die Rechtsabteilung hilft dem Unternehmen durch ver-
schiedene Unterstützungs- und Steuerungsleistungen die operationellen und stra-
tegischen Ziele zu erreichen. Aus organisationsrechtlicher Sicht ist die Erfassung
und Steuerung – das heißt im Wesentlichen: Vermeidung, Minderung und Verlage-
rung – von Risiken, die sich aus der Nichtbeachtung des geltenden Rechts, aus der
Gestaltung von Rechtsgeschäften und bei der Rechtsdurchsetzung ergeben, für die
Frage der internen Organisation in besonderem Maße bedeutsam. Hierzu gehört
auch die Information der Entscheidungsträger über die verbliebenen und abseh-
bare Risiken und die relevanten rechtlichen Änderungen der Rahmenbedingungen.
Dies ist abzugrenzen von der reinen operativen Rechtsanwendung, das heißt der
umsetzenden, meist sachbearbeitenden Tätigkeit der Fachabteilungen unter Beach-
tung des geltenden Rechts und der Maßgaben der Rechtsabteilung; gegebenenfalls
unter Benutzung von Mustern, Checklisten oder sonstigen Vorgaben und Informa-
tionen der Rechtsabteilung. Diese Rechtsanwendung ist keine originäre rechts-
gestaltende Tätigkeit, diese obliegt originär der Rechtsabteilung, denn diese trägt
ausschließlich die Verantwortung für die Steuerung des Risikoniveaus, die rechtli-
che Beurteilung von Sachverhalten und bürgt für die rechtliche Richtigkeit sowie
die Aktualität der Muster und sonstigen Informationen sowie Maßgaben, welche
die operative Tätigkeit der Unternehmensmitarbeiter unter rechtlichen Gesichts-
punkten steuern.
Die Klärung der Aufgaben und des Umfangs der Delegation durch die Geschäfts-
leitung an die Rechtsabteilung, mithin der Zuständigkeit, ist Voraussetzung für die
Abgrenzung der Aufgabenbereiche und die Organisation der übertragenen Ver-
antwortungswahrnehmung. Im Wesentlichen gibt es drei mögliche Gestaltungs-
schwerpunkte; Überschneidungen und Zwischenformen/Kombinationen derselben
sind ebenfalls häufig anzutreffen:
abhängigen Mitarbeiter nicht vor Druck und Zumutungen der örtlichen Leitung
schützen und Entlohnungsvorstellungen einbringen kann, wird sie ihre fachli-
chen Vorstellungen auch nicht durchsetzen können. Nicht einmal umfassende
Information ist dann mehr gewährleistet. Typischerweise finden sich in dieser
Konstellation dezentral Juristen wieder, die eigenständig die von ihnen betreute
Einheit in den Grenzen der zentralen Vorgaben beraten, hierbei aber in aller
Regel auch mit Tätigkeiten befasst sind, die bloße Rechtsanwendung beinhalten.
• Dezentrale Organisation durch disziplinarisch und fachlich eigenständige
Einheiten, die im zugewiesenen Bereich eigenständig Rechtsgestaltungs-
aufgaben wahrnehmen: Dies können in sich eigenständige Einheiten sein
(Beispiel: eigenständige Rechtsabteilungen in Konzerngesellschaften), aber
auch Organisationseinheiten unter dem Dach von Fachabteilungen (Beispiel:
Vertriebsjuristen im Vertrieb, Arbeitsrechtler in der Personalabteilung).
Bei allem Willen zu Einheitlichkeit und Stringenz ist jeweils Rücksicht auf die
bestehende Organisationsform und die vorhandenen personellen und fachlichen
Kapazitäten zu nehmen. Das gebieten schon elementare Grundsätze der Delega-
tion: Diligentia in eligendo und das Verbot der Überforderung.
17.1.5.1 Legal Reporting
Reporting ist wichtig und sollte effizient, einfach und kostengünstig gestaltet
werden. Ohne ein solches ist ein Überblick über die Rechtsrisiken nicht zu erlan-
gen. Es ist notwendig, aber auch ausreichend aus Sicht der ordnungsgemäßen
Delegation. Es ist aber nur dann durchsetzbar und funktioniert nur, wenn es vom
Management eingefordert und notfalls durchgesetzt wird.
Typischerweise umfasst das Legal Reporting zu Beginn eine Darstellung der
derzeit laufenden Gerichtsverfahren. Eine solche Darstellung hat systematisch zu
17 Innenpositionierung zu anderen Fachabteilungen 209
17.1.5.2 Legal Controlling
Auch wenn klar ist, wer Weisungsrechte hinsichtlich Aufgabenverteilung und
Delegationsverantwortung innehat, ist darüber hinaus festzulegen, wer die Aufga-
benerfüllung und die Einhaltung der Richtlinien kontrolliert. Das bedeutet jedoch
nicht unbedingt sekundäres Aktenstudium durch die zentrale Rechtsabteilung,
denn es gibt hierzu praktische Alternativen: Qualitätskontrolle durch Einbindung
der Rechtsabteilung in Einzelfälle, Besuche und Besprechungen (auch einzelner
Fälle), entsprechende Auswertungen seitens des Corporate Controllings bezüglich
Kostenartenmanagement, Kontrollen durch Organe der internen Revision, regel-
mäßige Berichterstattung und Zumeldungen von Rechtsfällen.
17.2.1.3 Praktische Umsetzung
Die Systematisierung durch Schnittstellen- & Leistungsabreden erlaubt, rechtliche
Kapazitäten gezielt und transparent zu steuern. Das zu vermitteln, ist nicht immer
ganz einfach, sollte aber für die Kollegen in der Rechtsabteilung, die internen
Mandanten und die Geschäftsleitung nachvollziehbar gemacht werden. Dadurch
kann die Akzeptanz rechtlicher Kapazitätssteuerungen im Unternehmen deutlich
erhöht werden. Folgende Strategieumsetzungen können dann im Rahmen der
Schnittstellen- & Leistungsabreden vereinbart werden:
212 W. Schmidt-Lademann
17.2.2.2 Leistungsverrechnung
Im Falle von nicht selbstständigen, aber gesondert bilanzierenden Unternehmens
teilen, insbesondere aber bei Niederlassungen und Konzerngesellschaften im
Ausland, ist auch aus steuerlichen Gründen eine interne Leistungsverrechnung
wichtig. Diese kann natürlich auch Gegenstand der Schnittstellen- & Leistungs-
abreden sein, aber sollte, wenn überhaupt, in einer Anlage geregelt werden. Denn
dann kann diese gegebenenfalls nach technischen oder steuerlichen Maßgaben
angepasst werden, ohne wieder in die inhaltliche Diskussion der Schnittstellen- &
Leistungsabreden einsteigen zu müssen. Zur Gestaltung der Transferpreise ist die
Steuerabteilung oder der Steuerberater einzubinden.
Das Verständnis des Begriffs „Qualität“ prägt den Fokus der Betrachtung: Unter-
scheiden Sie deshalb bewusst zwischen juristischer Ergebnisqualität (Leis-
tungsqualität) und Prozess-, respektive Servicequalität. An Letzterer werden Sie
vordringlich gemessen, diese ist das look and feel der Rechtsabteilung. Dieser
Aspekt prägt regelmäßig die Inhalte der Schnittstellen- & Leistungsabreden. Die
214 W. Schmidt-Lademann
juristische „Richtigkeit“ ist für den SLA-Partner meist nicht zu messen (sie wird
einfach vorausgesetzt). Ob die erwartete „Punktlandung“ durch die Rechtsabtei-
lung aber, hinsichtlich Umfang, Verständlichkeit, Umsetzbarkeit, Zeitrahmen etc.
gelingt, wird erlebt oder erlitten. Den Nutzen der eigenen Leistung für den Emp-
fänger zu erkennen hilft der Rechtsabteilung dabei, gezielt an der Optimierung des
Leistungsangebots und der Präsentation zu arbeiten. Weil die Leistung der Rechts-
abteilung nicht einfach in Euro, Stückzahlen, Output oder Zeiteinheiten zu messen
ist, kommt der Sichtbarkeit und Kommunikation der Leistung besondere Bedeu-
tung zu. Dazu gehört auch das Bewusstsein, dass die internen Mandanten jeweils
Abteilungsleitern zugeordnet sind. Diese formulieren sehr konkrete Erwartungen
an die Rechtsabteilung und schätzen den Mehrwert durch die Rechtsdienstleistung
durchaus. Die Zufriedenheit, respektive vor allem die Unzufriedenheit mit dieser
wird dann an die Geschäftsleitung kommuniziert. Erbringt die Rechtsabteilung die
vereinbarten Leistungen und stellt sie damit die internen Kunden zufrieden, dann
gibt es auch keine Beschwerden.
Die Rechtsabteilung ist in aller Regel völlig mit ihren eigenen Steuerungs-,
Dienstleistungs- und Managementaufgaben ausgelastet. Wenn sie darüber hinaus
auch noch die einzelnen Umsetzungsakte im laufenden Geschäft bewerkstelligen
soll, erscheint das im Verhältnis zu der für diese Aufgaben benötigten fachlichen
Kapazitätsbindung als ineffizient. Deshalb ist das nicht überall Unternehmens-
wirklichkeit; immer noch erledigen aber Juristen viele Prozessschritte, die auch
Mitarbeiter anderer Abteilungen erledigen könnten. Das würde die oftmals drin-
gend benötigte Entlastung schaffen und der Rechtsabteilung erlauben, sich auf
ihre Hauptaufgaben und Kernkompetenzen zu konzentrieren. Den Nutzen für die
internen Mandanten zu sehen, sichtbar zu machen und möglichst zu maximieren
hilft dabei, die Akzeptanz des hier vorgestellten Ansatzes maßgeblich zu erhö-
hen. Die Überzeugungskraft im Einzelfall ist deutlich höher als der Verweis auf
die mangelnde Bedeutung der Geschäfte nach dem System des Rechtsrisikofens-
ters. Geben Sie als General Counsel der Fachabteilung daher die Prozessherr-
schaft zurück. Schnittstellen- & Leistungsabreden können dabei helfen, indem
sie den internen Mandanten die Möglichkeit geben, in die Gestaltung des Leis-
tungsprozesses aktiv einzugreifen. Insbesondere besteht für Fachabteilungen die
Möglichkeit, auch eigene Prioritäten zu setzen, wenn diese Aufgaben der Rechts-
anwendung durch die Nutzung von Mustern, Checklisten oder zur Verfügung
gestellten Q&A-Informationen der Rechtsabteilung selber übernehmen können.
Schaffen Sie bei internen Mandanten zudem Raum zur Erhöhung der Durchlauf-
geschwindigkeit:
Die Fachabteilung ist in der Regel mit den Vorgängen vorbefasst, die sie der
Rechtsabteilung zur Prüfung/Erledigung vorlegt. Ist die Fachabteilung eigenstän-
dig in der Lage, mit entsprechenden Hilfsmitteln, welche die Rechtsabteilung ihr
zur Verfügung stellt, einzelne Schritte oder ganze Aufgabenpakete eigenständig
zu bearbeiten, entfällt die Einarbeitung durch die Rechtsabteilung. Zudem ent-
fallen Latenz, Rückfragen und Ergänzungen sowie die anschließende Umsetzung
des Ergebnisses der Rechtsabteilung in produktiven Output der Fachabteilung.
Zusammen mit der entsprechenden Prozessherrschaft kann so ein erheblicher
17 Innenpositionierung zu anderen Fachabteilungen 215
17.2.4.1 Legen Sie fest, was Ihnen und Ihren Kunden wichtig ist
Dabei werden Anforderungen an die Rechtsabteilung gestellt, wie Reaktionszeit,
Fristen (gegebenenfalls unterteilt nach Prozess-Stufen), Form (Gutachten, Brief,
Formulierung einer Textpassage, Einschätzung etc.), Praktikabilität des Ergebnisses
sowie weitere Aspekte des äußeren Ablaufs. Materiell-qualitative Aspekte werden
hier regelmäßig nicht im Detail angesprochen. Halten Sie daher Augenmaß bei Ver-
einbarungen zu Durchsetzbarkeit oder Kundenakzeptanz, da diese schlecht mess-
bar sind. Kundenakzeptanz kann ja auch eine Frage des Verhandlungsgeschicks der
Fachabteilung sein. Empfundene Defizite des praktischen Nutzens der Leistungen
der Rechtsabteilung sind meist eher eine Frage der Arbeitsweise der Rechtsabtei-
lung generell, die nicht bilateral zu regeln ist. Definieren Sie auch die genauen Vor-
leistungen der internen Kunden. So sollten Sie intern Klarheit schaffen zu:
Es ist nicht damit getan, nur Regelungen zu treffen, es ist auch notwendig, alle
Beteiligten einzubinden, Sinn und Zweck, Notwendigkeit, Grenzen und Nutzen
darzustellen und auch das notwendige Know-how sicherzustellen. Hierzu bietet
sich ein Workshop an, der typischerweise nicht mehr als einen halben Tag dau-
ern sollte (siehe dazu auch Kap. 51). Da alle Beteiligten mit eigenen Interessen in
diesen Workshop gehen, bietet es sich an, einen neutralen Moderator beizuziehen,
sofern ernsthaftes Konfliktpotenzial erkennbar ist.
nicht den festgelegten Rahmen überschreiten. Insgesamt kann für die Rechtsab-
teilung eine dezentrale Fachkompetenz eine substanzielle Entlastung darstellen,
wenn sie verantwortungsbewusst und gezielt eingesetzt wird. Multiplikatoren sol-
len und können aus vorhandenem Wissen und im Wege der Transferleistung wie-
derkehrende Fragen beantworten und Fragen an die Rechtsabteilung strukturieren
sowie als erste Ansprechpartner der Fachabteilungen dienen. In der Folge gestal-
ten sie keine Rechtsrisiken eigenverantwortlich, sondern wenden nur vorgefertigte,
sichere Lösungen und Maßnahmen (Rechtsanwendung) der Rechtsabteilung an.
Gestalten bislang unerkannte und organisatorisch nicht eingebundene Mitarbeiter
unabgestimmt Rechtsrisiken, ist dies anzusprechen und organisatorisch-fachlich,
respektive berichtsmäßig und gegebenenfalls disziplinarisch zu regeln.
L. Manske (*)
ZF Friedrichshafen AG, Friedrichshafen, Deutschland
insgesamt (ab
5 Beschäftigte)
0 20 40 60 80 100
Früheres Bundes- Neue Länder
gebiet
© Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2015
übereinander über strittige Fragen zu reden und sich durch unterschwellige Kritik
oder gar Verweigerung gegenseitig zu lähmen.
Die Mitbestimmungsrechte sind dabei die wichtigsten Rechte für den Betriebs-
rat, da bei diesen die betrieblichen Entscheidungen von seiner Zustimmung
abhängen. Um die Interessen der Arbeitnehmer zu wahren, werden im Sinne der
Mitbestimmung zwischen dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber Betriebsverein-
barungen geschlossen, welche die jeweiligen Themen regeln. Die Mitbestimmung
des Betriebsrates ist zwingende Voraussetzung für die Umsetzung der genann-
ten mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten; vorausgesetzt es besteht keine
gesetzliche oder tarifliche Regelung. Aber auch die anderen Beteiligungsrechte,
18 Innenpositionierung zum Betriebsrat (in Deutschland) 221
Im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat ist zu beachten, dass die
Tätigkeit als Betriebsrat ein Wahlamt darstellt, welches zeitlich auf eine Wahlpe-
riode von in der Regel vier Jahren befristet ist. Nach Ablauf dieser Wahlperiode
kehren die betroffenen Mitarbeiter, sofern sie nicht wiedergewählt werden, grund-
sätzlich an ihren ursprünglichen Arbeitsplatz zurück. Da viele Betriebsräte eine
Wiederwahl anstreben, hat eine bevorstehende Betriebsratswahl meiner Erfah-
rung nach direkte Auswirkungen auf die Verhandlung spezifischer Themen. Wenn
möglich, sind daher schwierige Themen, wie zum Beispiel Personalanpassungen,
erfolgsversprechender eher am Anfang einer Wahlperiode zu verhandeln als gegen
Ende einer solchen. Betriebsräte möchten verständlicherweise keine „schlechten“
Nachrichten neben der Wahlwerbung kommunizieren. Aus dieser Eigenschaft als
„Wahlamt“ werden für den Legal Counsel einige Reaktionen von Betriebsräten
verständlicher, insbesondere wie Themen im Betrieb über die Dauer der Wahlpe-
riode kommuniziert und verkauft werden, da eine weitere Amtszeit des einzelnen
Betriebsrats von seinen Wählerstimmen abhängig ist.
Für den auf Arbeitsrecht spezialisierten Legal Counsel ist das Management von
Schnittstellen (siehe dazu detailliert Kap. 17) durch seine Zusammenarbeit mit
dem Betriebsrat, den Personalreferaten und Führungskräften in unterschiedlichsten
Fragestellungen, eine Haupttätigkeit geworden. Zu denken ist hier neben reinem
Arbeitsrecht zum Beispiel auch an Sozialversicherungsrecht, Arbeitsschutzrecht
etc. Zudem beinhaltet die intensive Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat perso-
nalpolitische Themen wie die Beschäftigungssicherung. Aufgrund dieser themati-
schen Aufgabenbereiche ist eine lokale Positionierung des arbeitsrechtlichen Legal
Counsel in den Human Resources (HR) sinnvoll. Die Nähe zu den Schnittstellen-
funktionen im HR-Umfeld ist für den Arbeitsrechtler notwendig, zum Beispiel bei
der Einführung eines neuen Arbeitszeitmodells. Bei solchen Themen (Abschluss
einer Betriebsvereinbarung und möglicherweise Vertragsanpassungen etc.) hat der
Arbeitsrechtler eng mit diversen anderen HR-Fachfunktionen wie Personalwirt-
schaft und Personalentwicklung zusammenzuarbeiten. Dem organisatorisch von
HR getrennt arbeitenden Legal Counsel oder gar einem externen Rechtsanwalt wird
die Zusammenarbeit mit den arbeitsrechtsrelevanten Anspruchsgruppen aufgrund
222 L. Manske
der fehlenden Nähe meist schwerer fallen. Der arbeitsrechtlich ausgerichtete Legal
Counsel kann schließlich auch in bestimmten Fallkonstellationen als „Mittler“
zwischen der Fachabteilung und dem Betriebsrat wirken, sofern es sich um Fälle
handelt, bei denen es der zuständigen Fachabteilung am notwendigen Wissen hin-
sichtlich der erforderlichen Beteiligung des Betriebsrats fehlt.
Eine Zusammenarbeit mit externen Rechtsanwälten bietet sich vor allem bei
umfangreicheren Rechtsfragen an, bei denen der Legal Counsel schon aufgrund
seines engen Zeitplans keine Möglichkeit hat, diese zu bearbeiten. Ferner ist es
auch sinnvoll, sich in bestimmten Fällen eine „zweite“ Rechtsmeinung von außen
einzuholen oder bestimmte HR-Fachthemen an externe HR-Spezialisten zu verge-
ben. Wichtig ist eine gute Abstimmung mit solchen externen Quellen, damit der
Legal Counsel wie auch der externe Berater mit „einer Stimme“ auftreten. In inter-
nen Verhandlungen mit dem Betriebsrat sollten die Rollen klar verteilt sein, res-
pektive der externe Rechtsanwalt oder HR-Spezialist eher im Hintergrund agieren.
möglichst den Betriebslauf, zum Beispiel in der Produktion, nicht allzu schwer-
wiegend zu stören.
Wichtig ist auch eine gute Zusammenarbeit mit den internen Fachabteilungen.
Häufig werden auch direkt Aufträge von den Fachabteilungen an die arbeitsrecht-
lich ausgerichteten Legal Counsels herangetragen. Beispielsweise ist die Einfüh-
rung neuer IT-Tools seitens des IT-Bereichs immer wieder ein Thema, welches
die Arbeitsrechtler mit dem Betriebsrat verhandeln müssen. Dabei ist eine genaue
vorherige Abstimmung zwischen dem Fachbereich und dem Arbeitsrechtler über
die Inhalte zwingend notwendig, da diese dann Inhalt einer Vereinbarung wer-
den. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, den Fachbereichen darzulegen,
welche Punkte dem Betriebsrat besonders wichtig sein werden, sodass auch diese
die Situation richtig einschätzen können. Bei spezifischen Fachthemen (Einfüh-
rung eines IT-Tools, einer IT-Datenbank etc.) macht es meiner Erfahrung nach
Sinn, dass der IT-Fachbereich das Thema dem Betriebsrat inhaltlich vorstellt. Der
Arbeitsrechtler sollte bei dieser Präsentation mit dabei sein, um schnell auf mög-
liche rechtliche Fragen oder Anmerkungen des Betriebsrats reagieren zu können.
Es sollte möglichst verhindert werden, dass Fachabteilungen ohne Abstimmung
mit dem Legal Counsel oder dem HR-Bereich auf den Betriebsrat hinsichtlich
möglicher mitbestimmungsrechtlicher Themen zugehen. Ein solches einseitiges
Vorgehen führt meist zu Irritationen auf allen Seiten und behindert den Einigungs-
prozess eher, als diesen zu befördern.
18.4.1 Ausschussarbeit
Dadurch haben beide Parteien die Möglichkeit, sich rechtzeitig auf anstehende
Themen vorzubereiten. Außerdem dient ein solches System beiden Seiten der offi-
ziellen Dokumentation.
18.4.2 Jour-fixe-Termine
18.4.3 Monatsgespräche
Gemäß gesetzlichen Vorgaben sollte einmal pro Monat ein Treffen des Arbeit-
gebers mit dem gesamten Betriebsratsgremium stattfinden. Dazu ist es sinnvoll,
dass aus Arbeitgebersicht feste Ansprechpartner benannt sind, die regelmäßig den
Arbeitgeber in diesen Monatsgesprächen vertreten. Andere Teilnehmer können
dann punktuell bei Fachthemen hinzugezogen werden. Erfahrungsgemäß ist eine
regelmäßige Teilnahme des Leiters Personal und des Finanzvorstands hilfreich.
Diesen sollten feste regelmäßige Tagesordnungspunkte, wie zum Beispiel den
Bericht über Personal-, Produktions- und Finanzkennzahlen, zugeordnet sein.
2Quelle: www.fes-mup.de/files/mup/pdf/materialien/Harvard_Prinzip_Winheller_aus_Anwaltbasics_
Wichtig ist ebenso eine abgestimmte Kommunikation, welche regelt, wer wel-
che „Botschaft“ nach den Verhandlungen im Betrieb öffentlich verkündet. Dieses
sollte, wenn möglich, immer auch als Resultat am Ende eines Verhandlungspro-
zesses stehen.
Der bestehende Trend hin zu mehr make statt buy, das heißt der Entscheid, dass
eine Rechtsberatungsleistung intern statt extern erbracht wird, welcher bereits seit
einigen Jahren anhält,1 wird sich meines Erachtens noch weiter fortsetzen. Externe
Beratungsleistungen werden für Unternehmen nur dann attraktiv bleiben bezie-
hungsweise werden, wenn es gelingt, die Vorteile der inhouse-Leistungen (Kosten,
Unternehmensverständnis, Branchen-Know-how etc.) mit den Vorteilen der exter-
nen Leistungen (Flexibilität, Spezialwissen etc.) zu verbinden.
Demgegenüber wird den spezifischen von Legal Counsels benötigten Fähigkei-
ten im Rahmen der Grundausbildung nach wie vor zu wenig Beachtung geschenkt.
Darüber hinaus sind Personen mit einer fundierten juristischen Vita gepaart mit
Führungs- und Projekterfahrung, auch aufgrund der flachen Hierarchiestrukturen
in Anwaltskanzleien, auf dem Arbeitsmarkt rar.2 Es empfiehlt sich daher, bei grö-
ßeren Unternehmen den Fokus auf die juristische Nachwuchsplanung und Weiter-
bildung zu legen. Ziel einer solchen Nachwuchsplanung ist es, angehende
Fachspezialisten gezielt zu fördern und Positionen zu schaffen, welche genügend
Anreiz bieten, um die entsprechenden Ressourcen intern zu binden, um so wiede-
rum über das spezialisierte Know-how bei Bedarf intern zu verfügen und nicht auf
externe Ressourcen zurückgreifen zu müssen. So kann sich zum Beispiel bei genü-
gender Größe des Unternehmens die Beschäftigung interner Spezialisten mit einer
Fachanwaltsausbildung im Arbeitsrecht rechnen. Anreiz und Ausbildung zugleich
stellt auch eine Führungsstruktur dar, welche so gestaltet ist, dass auch jüngere
N. Teuwsen (*)
Bern, Schweiz
E-Mail: nora.teuwsen@sbb.ch
Die Abteilung Recht & Compliance der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) gliedert
sich – entlang der Organisation des Unternehmens – in vier divisionale Bereiche (Perso-
nenverkehr, Infrastruktur, Immobilien, Cargo), einen Konzernbereich, das Compliance
Office sowie einen Bereich Steuerung, welcher unter anderem auch die Überwachung der
Einhaltung der Vorgaben bezüglich Management externer Anwälte verantwortet. Insge-
samt arbeiten bei der SBB im Bereich Recht & Compliance rund 70 Mitarbeiter. Die
Outsourcingratio beträgt rund 15 %. Der Beizug externer Anwälte erfolgt bei der SBB
restriktiv. Ziel ist es, das betrieblich notwendige Know-how intern verfügbar zu haben,
zum einen aus Kostenüberlegungen, zum anderen aufgrund des fundierten Geschäftsver-
ständnisses interner Juristen. Externe Anwälte werden bei nicht planbaren Ressourceneng-
pässen, bei der Erforderlichkeit von spezifischem Fachwissen oder aus strategischen
Gründen (zum Beispiel lokale Vernetzung) wie auch im Einzelfall für Zweitmeinungen
beigezogen. Vereinzelt kann der Beizug eines Externen Vorzüge hinsichtlich des Anwalts-
geheimnisses bieten.3
Abb. 19.1 Prozessflowchart für den Ablauf eines Bieterverfahrens. (außerhalb des öffentlichen
Vergaberechts; Quelle: SBB)
19.4 Make-or-Buy-Entscheid
vor Ort beziehungsweise lokale Kenntnisse oder auch Governance- und steuerrecht-
liche Überlegungen.
19.5 Kostenplanung
Dass es in der Natur der Sache liegt, dass Rechtsberatungsleistungen oft nur
schwer planbar sind, entbindet nicht von der grundsätzlichen Planungspflicht.
Wichtigster Schritt der Kostenplanung ist, Transparenz herzustellen. Es ist festzu-
legen, ob die Kosten für externe Rechtsberatungsleistungen von der Rechtsabtei-
lung oder vom Business budgetiert und finanziert werden. Für Ersteres spricht eine
einfachere Steuerbarkeit, jedoch wird dadurch unter Umständen die Wirtschaft-
lichkeitsrechnung einzelner Projekte verfälscht. Meines Erachtens empfiehlt es
sich, die Kosten grundsätzlich von der Linie budgetieren und finanzieren zu las-
sen. In Einzelfällen, wie bei eigenen Projekten der Rechtsabteilung, bei Leistun-
gen, welche keinem Projekt oder Bereich zugeschieden werden können, zum
Beispiel Second Opinion oder Kleinstaufträge, hat eine Finanzierung durch den
Rechtsdienst über ein gesondertes Budget zu erfolgen. Entscheidend für eine
Gewährleistung der Kostensteuerung ist bei einer Budgetierung durch die Linie,
dass Rechtsberatungsleistungen systemisch gesondert erfasst und so – unabhängig
davon, welchem Budget sie belastet werden – transparent ausgewiesen werden
können. In der Regel werden Rechtsberatungskosten daher über ein gesondertes
Sachkonto verbucht. Weiter ist wichtig, dass Rechtsberatungsleistungen nur unter
Einbezug der Rechtsabteilung ausgelöst werden dürfen. So rechtfertigt sich auch
eine Kostenverantwortlichkeit der Rechtsabteilung, womit auch eine Gesamtsicht
(Korrelation interne und externe Ressourcen) eingenommen werden kann.8
arbeit, aus einer vorgegebenen Kanzleiliste, durch Rahmenverträge oder durch Ausschreibungen
erfolgen.
11Vgl. Abschn. 19.4.
232 N. Teuwsen
liegt auch die Auswahl des externen Rechtsberaters bei größeren Unternehmen
regelmäßig in der Zuständigkeit der Rechtsabteilung. Sodann erfolgt meist auch
ein systematischer Beizug der Einkaufsabteilung.
Die Vergabe von Anwaltsdienstleistungen durch Bundesstellen und auch durch die SBB
untersteht zwar nicht dem Bundesgesetz vom 16. Dezember 1994 über das öffentliche
Beschaffungswesen (BöB), sie fallen jedoch in den Anwendungsbereich des 3. Kapitels
der Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen (VöB). Dementsprechend ist sie
je nach Auftragswert öffentlich auszuschreiben oder im Einladungsverfahren zu vergeben.
Ausnahmen davon sind nur zugelassen, wenn ein Abruf über einen bestehenden Rahmen-
vertrag, welcher unter Konkurrenz ausgeschrieben wurde, geschieht oder in begründeten,
vergaberechtlich zulässigen Einzelfällen. Auch in Deutschland müssen Anwaltsdienstleis-
tungen gemäß der Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) vergeben werden.
In Österreich fallen Anwaltsdienstleistungen unter das Bundesvergabegesetz.12
19.6.1 Rahmenverträge
12Ausgabe 2006.
13Vgl. auch Mascello (2012, S. 213).
19 Außenpositionierung zu beratenden Rechtsanwälten 233
den Leistungen nicht zufrieden ist. Schließlich ist der finanzielle Vorteil nicht zu
unterschätzen, welcher ein Rahmenvertrag mit sich bringen kann. In der Regel wer-
den alternative Honorierungsmodelle in Form von Rabatten oder Kostendächer14
vereinbart, was im Endergebnis die Bemühungen der externen Anwälte im Gegen-
satz zu Einzelmandatierungen für das Unternehmen günstiger macht. Im jeweiligen
Rahmenvertrag sind unter anderem folgende Themenbereiche aufzunehmen:
19.6.2 Ad-hoc-Einkauf
19.6.3 Auswahlkriterien
Entscheidend bei der Wahl externer Rechtsberater sind die Fachkenntnisse und die
Erfahrung im spezifischen Rechtsgebiet, Projektverständnis, Flexibilität, Agilität
und Problemlösefähigkeit im Sinne einer Ergebnisorientierung sowie speziell für
die SBB ein besonderes Verständnis des Unternehmens im politischen Kontext als
auch Französischkenntnisse (teils auch bei Projekten im deutschsprachigen
Raum). Maßgebend für die Wahl eines externen Partners ist ferner die Strategie
der entsprechenden Anwaltskanzlei, das heißt die Festlegung langfristiger Zielset-
zungen für die Kanzlei, insbesondere welche Produkte und Dienstleistungen den
Kunden angeboten werden.15 Eine allgemeine Kriterienübersicht beziehungsweise
eine Checkliste als Beurteilungsmatrix für die Auswahl eines externen Rechtsbera-
ters findet sich auch in Tab. 19.1.
19.6.4 Honorierungsmodelle
Wie auch die interne Rechtsabteilung sich der Diskussion über den added value
im Einzelfall stellen muss, so gilt dies auch für externe Anwälte. So ist denn letzt-
lich nicht der Stundensatz, sondern der mit dem Arbeitsresultat erzielte Impact auf
16In der Schweiz ist nur die Vereinbarung einer ausschließlichen Beteiligung am Prozessge-
winn verboten (Art. 12 lit. e BGFA [Bundesgesetz vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der
Anwältinnen und Anwälte, Anwaltsgesetz, SR 935.51]). In Deutschland dürfen Anwälte nur in
bestimmten Ausnahmefällen eine erfolgsabhängige Vergütung vereinbaren (vgl. § 4a Gesetz zur
Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren vom 12. Juni 2008). In Öster-
reich sind Erfolgshonorare grundsätzlich erlaubt. Nur die Geldansprüche des Klienten darf der
Rechtsanwalt nicht auf sich übertragen und auch die prozentuelle Gewinnbeteiligung ist unrecht-
mäßig (vgl. § 2 Abs. 1 Rechtsanwaltstarifgesetz vom 22. Mai 1969). Vgl. zum Erfolgshonorar
auch: Mascello (2013, S. 477 f.) mit Hinweisen.
17In der Regel nach Erfahrung abgestufte Stundenansätze.
21Vgl. für eine Übersicht über die gängigsten alternativen Entschädigungsmodelle Mascello
hinaus sinkt aber der Ansatz. Hier besteht der Anreiz für den Anwalt darin, die ein-
gebrachten Stunden zu begrenzen.24
In Tab. 19.2 findet sich ein Vorschlag, wie eine Policy betreffend die externe anwalt-
liche Zusammenarbeit – auch über die gesetzlichen Vorgaben und Standesregeln
des SAV hinausgehend – materiell aussehen könnte. Hierbei ist zu beachten, dass
Tab. 19.2 Vorschlag einer Policy betreffend die Zusammenarbeit mit externen Anwälten.
(Quelle: SBB)
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Christian Dueblin: Von Anwältinnen und Anwälten wird heute auf der einen
Seite ein sehr hoher Spezialisierungsgrad erwartet. Auf der anderen Seite
sind viele Fälle so komplex, dass sich die Fachpersonen auch breites Wissen
aneignen müssen, um in komplexen Fällen mithalten zu können. Wie gehen
Sie mit dieser Herausforderung und Gratwanderung, vielleicht darf man es
auch „Spagat“ nennen, in Ihrer Anwaltssozietät um?
Dr. Heinz Schärer: Der Herausforderung, ein breites, anwaltliches Aktionsfeld
zu verbinden mit Spezialisierung sind wir uns sehr bewusst und sie gehört zum
Grundverständnis unseres Büros und basiert auf dem S elbstverständnis von
Eric Homburger. Daher kommt es, dass zahlreiche Maßnahmen und Vorkeh
rungen bei uns seit Jahrzehnten darauf ausgerichtet sind, dass unsere Anwälte ein
breites Grundwissen und ein breites Arsenal an anwaltlichen Fähigkeiten ver-
binden mit meistens mehreren Spezialitäten. Aus unserer Sicht hat das weniger
mit einer Gratwanderung zu tun als tatsächlich damit, dass wir bestrebt sind,
nur solche Anwälte anzustellen, welche diese Kriterien erfüllen. Dazu kommen
einige einfache organisatorische Maßnahmen, wie zum Beispiel: Praktikanten
müssen bei uns in der Hälfte des Praktikums, nach 6 Monaten, das Praxisteam
wechseln; jedes Praxisteam hat mindestens einen, meistens aber zwei Dele-
gierte in jedes andere Praxisteam zu entsenden; wir organisieren für unsere
jungen Anwälte eine umfassende Grundausbildung in allen Bereichen und wir
bilden unsere jungen Partner intern durch die anderen Partner aus in einem
Lehrgang, der in vernünftigen Zeitabständen mehrere Tage umfasst; nicht zu
vergessen das, was ich oben als „Kampf der verbundenen Waffen“ bezeichnet
habe, nämlich die spezialitätenübergreifende Zusammenarbeit von Partnern
untereinander und von Partnern mit Mitarbeitern und Praktikanten.
Christian Dueblin: Was ist für Sie nebst dem fachlichen Wissen wichtig,
wenn Sie Anwälte bei sich einstellen, die später auch mit Unternehmen
und deren Rechtsabteilungen und General Counsels zusammenarbeiten
müssen und welches sind die konkreten persönlichen Kriterien und Anfor-
derungen, die für Sie bei einer Einstellung von Anwältinnen und Anwälten
wichtig sind?
Dr. Heinz Schärer: Das ist ganz klar die Persönlichkeit und bei der Persön-
lichkeit die Integrität und Sozialkompetenz. Wichtig für uns ist zudem die
Berufung. Wir wollen Anwältinnen und Anwälte, welche diesen Beruf lieben
und ihn ausüben, um ihrer Berufung gerecht zu werden. Eine zu starke Geld
orientiertheit schadet unseres Erachtens, was nicht heißt, dass wir nicht gute
Unternehmer sein wollen. Im Gegenteil, wir wollen gute Unternehmer sein und
versuchen, das auch durchzusetzen. Im Rahmen des Rekrutierungsprozesses
sehen wir es gerne, wenn unsere Kandidatinnen und Kandidaten neben der
Juristerei andere Interessen haben, insbesondere wenn sie auch andere Tätig-
keiten ausüben, sei dies im Rahmen von Vereinen, gemeinnützigen Organisa-
tionen, im Sport oder auf anderen Gebieten. Dabei prüfen wir vor allem, was
die Kandidatinnen und Kandidaten tatsächlich gemacht haben. Dies, weil wir
der Ansicht sind, dass “Weltkenntnis” bei unserer täglichen Arbeit von großer
Bedeutung ist.
19 Außenpositionierung zu beratenden Rechtsanwälten 241
Christian Dueblin: Wie überall kann es auch bei der Zusammenarbeit zwi-
schen externen Anwälten und Rechtsabteilungen zu Spannungen kommen.
Wie gehen Sie als Senior Partner vor, wenn Sie erkennen, dass eine Zusam-
menarbeit nicht optimal läuft?
Dr. Heinz Schärer: Es muss auf alle Fälle zuerst intern über solche Situationen
gesprochen werden. Die betroffenen Anwältinnen und Anwälte müssen Gele-
genheit bekommen, Stellung zu beziehen und ihre Sicht der Dinge aufzuzei-
gen. Es gilt die Devise, im Team offen zu sein und sich nicht zu scheuen, auf
gewisse Probleme mit Klienten frühzeitig aufmerksam zu machen. Es kann
dann sinnvoll sein, wenn zu gegebener Zeit ein Gespräch mit dem Vorgesetzten
des Anwaltes, beispielsweise dem Senior Partner und dem Klienten, stattfin-
det. Im Extremfall kann das auch bedeuten, dass man einen Anwalt auswech-
19 Außenpositionierung zu beratenden Rechtsanwälten 243
selt, nicht weil er fachlich schlecht gearbeitet hat, sondern weil man erkennen
muss, dass es persönliche Differenzen gibt. Solche Fälle sind aber sehr selten.
Es kann im Übrigen aber auch passieren, dass Wechsel aufseiten des Klienten
nötig sind.
Literatur
Bucerius Center on the Legal Profession, Kanzlei Taylor Wessing (2013) Trends in der Zusam-
menarbeit von Unternehmen und Kanzleien – „Dafür nehmen wir uns einen Anwalt!“ –
Erwartungen von Unternehmen an externe Anwälte im Konfliktmanagement. http://www.
bucerius-education.de/fileadmin/content/pdf/studies_publications/KM-Studie-D-05-3.pdf.
Zugegriffen: 10. Mai 2017
Fellmann W, Zindel GG (Hrsg) (2011) Kommentar zum Anwaltsgesetz – Bundesgesetz über die
Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte, 2. Aufl. Schulthess, Zürich
Hartung M (2012) Akquisition anwaltlicher Mandate im pitch. In: Staub L, Hehli Hidber C
(Hrsg) Management von Anwaltskanzleien. Schulthess, Zürich, S 197–210
Krämer A (2012) Alternative Honorarmodelle im Anwaltsgeschäft. In: Staub L, Hehli Hidber C
(Hrsg) Management von Anwaltskanzleien. Schulthess, Zürich, S 581–591
Mascello B (2012) Anwaltspanels bei der Beschaffung rechtlicher Dienstleistungen: Aufbau und
Akkreditierungsprozess. In: Staub L, Hehli Hidber C (Hrsg) Management von Anwaltskanz-
leien. Schulthess, Zürich, S 211–217
Mascello B (2013) Alternative Honorarmodelle als Trend und Chance. Anwaltsrevue 2013
(11/12): 477–485
Mascello B (2015) Beschaffung von Rechtsdienstleistungen und Management externer Anwälte.
Schriftenreihe Law & Management, Bd 3. Schulthess, Zürich
Staub L (2006) Legal Management, 2. Aufl. Versus, Zürich
Staub L (2012) Einführung und Übersicht. In: Staub L, Hehli Hidber C (Hrsg) Management von
Anwaltskanzleien. Schulthess, Zürich, S 3–35
Wälchli U (2012) Besonderheiten der Zusammenarbeit mit Unternehmensmandanten –eine
Praxisbetrachtung. In: Staub L, Hehli Hidber C (Hrsg) Management von Anwaltskanzleien.
Schulthess, Zürich, S 223–232
244 N. Teuwsen
In diesem Kapitel wird die Zusammenarbeit zwischen Legal Counsel und externen
Anwälten – insbesondere solchen mit forensischer Tätigkeit – beleuchtet und auf-
gezeigt, wie diese Kooperation möglichst reibungslos erfolgen kann. Mithin soll
erreicht werden, dass beide Seiten nach Abschluss eines Mandats die Zusammen-
arbeit als positiv beurteilen und einer weiteren Mandatierung im Bedarfsfall nichts
im Wege steht. Dabei wird nachfolgend jeweils ein in der Praxis oft gehörtes, pro-
vokatives Vorurteil auf Seiten Unternehmensrechtsdienst aufgegriffen und entspre-
chend aufgearbeitet, respektive aus der Außensicht einer Rechtsanwältin beurteilt,
welche in einer wirtschaftsrechtlich orientierten Kanzlei tätig ist.
Dieses typische Vorurteil haben Sie sicherlich schon gehört. Es ist zwar richtig:
Der Legal Counsel hat tatsächlich einen Wissensvorsprung gegenüber dem exter-
nen Rechtsanwalt: Er kennt den eigenen Arbeitgeber, dessen Produkte, interne
Abläufe und zuständige Personen und häufig die Branche besser als der externe
Rechtsanwalt und weist entsprechend internen Rechtfertigungsbedarf auf, warum
der externe Rechtsanwalt dennoch das Mandat besser führen kann als der Legal
Counsel alleine. Es gibt aber durchaus verschiedene Gründe, weshalb dies Sinn
macht:
E. Gut (*)
Zürich, Schweiz
E-Mail: eva.gut@staiger.law
• So ist der externe Rechtsanwalt in der Regel spezialisierter als der Legal Coun-
sel. Dieser lebt häufig davon, die Branche und die dortigen Gepflogenheiten
und betriebsrelevanten Rechtsgebiete vertieft zu kennen, in anderen juristischen
Gebieten hingegen Wissen eher in der Breite aufzuweisen und als Risikomana-
ger zu fungieren. Der externe Rechtsanwalt jedoch hat je nach Spezialisierung
schon zahlreiche Sanierungen begleitet, Verfahren am Bundesgericht geführt
oder Zeugeneinvernahmen vorbereitet. Er weiß, wie sich juristische Standard-
dokumente mit den Jahren verändern und welcher Zeitgeist an den Gerichten
herrscht. Dadurch benötigt er weniger Einarbeitungszeit in die rechtlichen Fra-
gen als ein Legal Counsel, dem die mühselig erarbeiteten Erkenntnisse unter
Umständen nicht einmal Synergiemöglichkeiten für andere Fälle bieten. Die
jahrelange Erfahrung aus einem Spezialgebiet ersetzt vertiefte Branchenkennt-
nisse aber nicht. Es lohnt sich vielmehr, diese beiden Schwerpunktvorteile zu
kombinieren, um damit das bestmögliche Resultat zu erzielen.
Daher kann es angezeigt sein, dass der Legal Counsel einerseits intern den
Kontakt zu den zuständigen operativ tätigen Personen vermittelt und anderer-
seits, sofern angezeigt, einen Betriebsrundgang mit Erklärung der Produkte
oder Fertigungsgänge durchführt. Zudem darf sich der Legal Counsel durchaus
durch gezieltes Nachfragen vergewissern, dass sich der externe Rechtsanwalt
ein vollständiges Bild der dargestellten Umstände machen konnte, sofern dieser
nicht ohnehin von sich aus Fragen stellt, aus denen sich ergibt, wo noch Ver-
ständnislücken bestehen.
Je besser der externe Rechtsanwalt den Klienten und dessen Eigenhei-
ten kennt, umso mehr sieht er Zusammenhänge, und umso weniger Einarbei-
tungszeit benötigt er bei Folgemandaten. Kontinuität in der Klientenbeziehung
lohnt sich aus diesem Grund durchaus. Falls keine Kontinuität gewählt wird,
beispielsweise weil sich neu Fragen in einem Rechtsgebiet stellen, in dem sich
der Beizug eines anderen Spezialisten aufdrängt, macht es unter Umständen
Sinn, den neuen externen Rechtsanwalt mit Unterlagen des bisherigen externen
Anwalts zu dokumentieren oder ihn mit diesem kurzzuschließen.
• Die unternehmerische Nähe des Legal Counsel und seine Vorbefassung mit
einer möglicherweise eskalierenden Situation können diesem den objekti-
ven Blick auf ein sich stellendes Problem erschweren. Dies ist mit ein Grund,
warum die Mandatierung eines externen Rechtsanwalts oft von Vorteil ist. Ein
externer Rechtsanwalt hat die unbefangene Perspektive einer außenstehenden
Person, wie dies in Prozessfällen auch der Richter haben wird. Daher kann er
eher auf Chancen und Risiken aus dieser Perspektive aufmerksam machen, die
der Legal Counsel nicht so deutlich erkennt – beispielsweise, weil er in Ver-
tragsausarbeitungen involviert war und mehr oder anderes zwischen die Zeilen
des Vertrags hineininterpretiert als eine externe Person. Zudem ist der externe
Rechtsanwalt im Betrieb des Klienten nicht subordiniert und hat daher mehr
Freiheiten, den Klienten auf allfälligen Handlungsbedarf hinzuweisen.
• Bei Prozessen in anderen Kantonen oder Landesteilen kann es sich lohnen,
einen externen – lokalen – Rechtsanwalt beizuziehen. Falls bereits der Legal
Counsel oder der üblicherweise mandatierte externe Rechtsanwalt mit der
20 Außenpositionierung zu prozessierenden Rechtsanwälten 247
Grundsätzlich gilt daher: Lieber zu früh als zu spät einen externen Rechtsanwalt
einschalten. Es verhält sich dabei wie bei einer Versicherung: Ein Anfangsinvest-
ment kann spätere hohe Ausgaben einsparen.
Diesem Vorurteil begegnet man in der Praxis ab und zu. Stimmt es aber tatsäch-
lich, so müssen Sie als Auftraggeber sich fragen, ob allenfalls auch Sie dafür mit-
verantwortlich sind, dass Sie dies zulassen. Grundsätzlich ist der Auftraggeber und
damit der Legal Counsel derjenige, der den Umfang des Mandats definiert. Er hat
durchaus die Möglichkeit, dem Mandatsträger bei der Ausgestaltung der notwen-
digen Arbeiten freie Hand zu lassen. Dann sind dem Mandat diejenigen Grenzen
gesetzt, die eine vernünftige, notwendige und sorgfältige Ausübung der übertra-
genen Tätigkeit ermöglichen. Da der externe Rechtsanwalt allerdings einer auf-
tragsrechtlichen Sorgfaltspflicht untersteht, wird auch er sich Überlegungen zum
sinnvollen Umfang des Mandats machen. Er wird bei einer aus seiner Sicht zu
engen Definition des Mandats dieses ausdehnen wollen, um seiner Sorgfaltspflicht
überhaupt nachkommen zu können.
20 Außenpositionierung zu prozessierenden Rechtsanwälten 249
Daher ist es – wie in so vielerlei Hinsicht ebenso in Bezug auf die Definition
der vom externen Rechtsanwalt auszuübenden Aufgaben – sinnvoll, wenn der
Legal Counsel und der externe Rechtsanwalt den beabsichtigten Umfang der Man-
datsarbeit und das erwartete Arbeitsresultat vorab festlegen. Dabei sind insbeson-
dere die Tiefe des Rechtsstudiums, die Form und Sprache des Arbeitsresultats, der
voraussichtliche Zeitbedarf – alles Faktoren, die auch auf die Kosten einen Ein-
fluss haben – und der Zeitrahmen der Erledigung zu besprechen. Insbesondere die
Form des Arbeitsresultats kann sehr unterschiedlich gewünscht werden, je nach-
dem, wer Adressat der entsprechenden Beurteilungen durch den externen Rechts-
anwalt ist. Ist eine Beurteilung nur an den Legal Counsel zu richten, bei dem
vertieftes juristisches Verständnis vorausgesetzt werden darf, fällt sie anders aus
als wenn sie der gesamten Geschäftsleitung vorgelegt wird, in der das Interesse
mehr dem leicht verständlichen und allenfalls gar businessorientierten Executive
Summary als einer dogmatischen Abhandlung mit juristischen Fachtermini gilt.
Zudem sind die möglichen weiteren Entwicklungen eines Falls sowie die damit
zusammenhängenden Kosten des externen Rechtsanwalts und von Dritten (Gerich-
ten, Experten etc.) beidseits anzusprechen. Dies gilt insbesondere bei einem Streit-
fall, bei dem sich die Frage stellt, ob eine vorprozessuale Einigung gesucht oder
ein Verfahren angestrebt werden soll.
Unter den gleichen Gesichtspunkten ist es angezeigt, während des Mandats
beidseitig eine ständige Kommunikation aufrechtzuerhalten. So hat der Legal
Counsel die Möglichkeit, am Puls des Geschehens zu bleiben, und der externe
Rechtsanwalt hat in Bezug auf eine sich wegen veränderter Umstände aufdrän-
gende Mandatsanpassung oder -erweiterung ständig eine Ansprechperson. Mit der
Mandatierung eines externen Rechtsanwalts durch den Legal Counsel ist es ohne-
hin nicht getan. Der externe Rechtsanwalt muss insbesondere zwecks strategischer
Ausrichtung und zwecks ständiger Verifizierung des Sachverhalts und der fachli-
chen Darstellung der Geschäftstätigkeit des Klienten teilweise verhältnismäßig
eng mit dem Legal Counsel zusammenarbeiten können.
Der Legal Counsel muss sich dabei aber bewusst sein, dass er, mehr als der
externe Rechtsanwalt (selbst wenn dieser über ein Dauermandat verfügt), kreativ
und proaktiv arbeiten und Handlungsbedarf evaluieren und schaffen kann. Der
externe Rechtsanwalt wird sicherlich Gelegenheiten nützen, auf für ihn ersichtli-
chen Handlungsbedarf hinzuweisen; er wird aber weniger dazu in der Lage sein,
diesen außerhalb eines definierten Auftrags zu erkennen, als dies der Legal Coun-
sel ist. Sinnvollerweise ist diesbezüglich vorab abzusprechen, ob der Legal Coun-
sel entsprechende Hinweise des externen Rechtsanwalts schätzen würde oder ob
dies gar nicht gewünscht wird. Es gibt Situationen, in denen es durchaus gerecht-
fertigt ist, dass der externe Rechtsanwalt die Übertragung von Arbeiten an sich
selbst vorschlägt und die entsprechende Aufteilung der Tätigkeiten durch den
Legal Counsel zumindest ernsthaft in Betracht gezogen wird.
• So soll insbesondere die Triage der relevanten Akten und Informationen nur
rudimentär durch den Legal Counsel erfolgen. Wenn die Relevanz eines Doku-
ments potenziell oder marginal gegeben sein könnte, soll es dem externen
250 E. Gut
Rechtsanwalt übergeben werden, selbst wenn es für die eigene Position nach-
teilig sein könnte. Nur im Wissen um solche Dokumente kann der externe
Rechtsanwalt überhaupt eine realistische Chancenprognose abgeben und mög-
lichst umfassend vor Risiken warnen. Ob sie in einem Verfahren dann wirklich
verwendet werden, wird damit nicht präjudiziert. Zudem: Wenn sich ein Fall
weiterentwickelt, entwickeln sich unter Umständen die Dokumentationsbe-
dürfnisse weiter. Im Nachhinein nach weiteren Akten zu suchen, bewirkt einen
doppelten Aufwand und ist fehlerträchtig. Dies kann sogar dazu führen, dass
sich der externe Rechtsanwalt in zwei Rechtsschriften widersprechen muss,
weil später aufgetauchte Akten ein bisher dargestelltes Bild nicht aufrechterhal-
ten lassen. Auch deshalb drängt sich die anfängliche Weitergabe von möglichst
umfassenden Akten an den externen Rechtsanwalt auf. Die Zusammenstellung,
Ordnung und gute Beschriftung der Unterlagen erfolgen allerdings mit Vorteil
durch den Legal Counsel, der dies aufgrund seiner Vorkenntnisse strukturierter
und sinnvoller tun kann und damit dem externen Rechtsanwalt die Einarbeitung
in den Fall vereinfacht. Der externe Rechtsanwalt kann sich bei Bedarf dennoch
anders organisieren.
• Bei der ersten Kontaktaufnahme der Gegenpartei ist es nicht in allen Fällen
notwendig oder sinnvoll, dass der externe Rechtsanwalt alle Aufgaben auf sich
nimmt und umgehend gegen außen auftritt. Vielmehr können mandatsbezo-
gen strategische Gründe dazu führen, dass der externe Rechtsanwalt nur, aber
immerhin, das Ghostwriting für den Legal Counsel übernimmt. Die nicht von
Anfang an offengelegte Mandatierung eines Anwalts kann vom Legal Coun-
sel als taktisches Mittel eingesetzt werden, beispielsweise, um den Druck auf
die Gegenseite stetig zu erhöhen. So kann ein erster, verhältnismäßig freund-
licher Brief durch den Legal Counsel unterschrieben werden, damit mit einem
späteren Brief durch den externen Rechtsanwalt ein deutlich schärferer Ton
angeschlagen werden kann. Umgekehrt kann allerdings mit einem Erstkontakt
direkt durch den externen Rechtsanwalt eine gewollte Distanz geschaffen oder
bereits die Vorbereitung für eine spätere Rollenaufteilung good boy/bad boy
getroffen werden.
Diese Rollenaufteilung soll ohnehin am Anfang einer Mandatsbeziehung
und bei weiteren Entwicklungen besprochen werden. Der externe Rechtsanwalt
kann dem Legal Counsel durchaus dazu dienen, einer Gegenpartei gegenüber
aus taktischen Gründen eine konziliantere Rolle als fallbezogen erwünscht
einnehmen zu können, um eine Weiterführung einer generellen Geschäftsbe-
ziehung trotz eines punktuellen Streitfalls ermöglichen zu können. Diesfalls
vertritt der Legal Counsel die Rolle des good guy, um den Kunden möglichst
bei Laune zu halten, während der externe Rechtsanwalt die Rolle des bad guy
einnimmt und die negativen Gefühle der Gegenpartei auf sich zieht. Diese Rol-
lenaufteilung kann im Übrigen ebenso für die interne Kommunikation gewählt
werden, wenn der Legal Counsel bei seinen Vorgesetzten die Aufmerksamkeit
nicht erhält, die er für sich fordert.
• Bei Streitigkeiten, welche eines Tages vor Gericht enden könnten, hat der Legal
Counsel sodann einen weiteren Grund, Arbeiten an den externen Rechtsanwalt
20 Außenpositionierung zu prozessierenden Rechtsanwälten 251
Umgekehrt gibt es auch einen guten Grund, dass der externe Rechtsanwalt den
Legal Counsel gezielt beizieht. Der externe Rechtsanwalt benötigt den in der Regel
betriebsintern gut vernetzten Legal Counsel nämlich nicht nur als Auftraggeber
und Informationslieferanten, sondern ebenso als Vermittler und Schnittstelle zu den
Entscheidungsträgern innerhalb dessen Unternehmen. Dabei geht es nicht nur um
das „Übersetzen“ der juristischen Sprache in die Geschäftssprache, sondern auch
darum, Befindlichkeiten, Geschäftspolitika und Interessenbindungen vorab zu ken-
nen und berücksichtigen zu können. Des Weiteren kann es in gewissen Situationen
angezeigt sein, dass das Gespräch mit der Gegenpartei (und nicht dem Gegenan-
walt) gesucht wird. Dies ist dem externen Rechtsanwalt aus berufs- und standes-
rechtlichen Gründen aber nicht erlaubt. Soll also die Gegenpartei direkt kontaktiert
werden – sei es zum Ausloten der Vergleichsbereitschaft unter langjährigen
Geschäftspartnern, sei es zur Überprüfung, ob eine bestimmte Behauptung des
Gegenanwalts als Bluff entlarvt werden muss, oder sei es schlicht zum Umgehen
252 E. Gut
eines Zeit schindenden und destruktiv agierenden Gegenanwalts – wird der externe
Rechtsanwalt dies ebenfalls über den Legal Counsel tun. Da die Gegenseite diese
Überlegungen ebenfalls anstellen wird, ist der Legal Counsel jedoch gut beraten,
jegliche Kontaktaufnahme durch die Gegenseite und seine Reaktion darauf mit
dem externen Rechtsanwalt zu besprechen.
Geradezu in einer Bring-Obliegenheit steht der Legal Counsel, wenn sich in
seinem Unternehmen Entwicklungen ergeben, die einen Einfluss auf den vom
externen Rechtsanwalt bearbeiteten Fall aufweisen. Denkbar sind beispielsweise
konzerninterne Umstrukturierungen, die eine Prozesspartei betreffen, der Abgang
von im konkreten Fall wesentlichen Mitarbeitern oder neue technische Erkennt-
nisse, die im spezifischen Fall Anwendung finden können. Der externe Rechts-
anwalt ist in der Regel nicht in der Lage, derartige mandatswesentliche interne
Entwicklungen ohne Mitteilung durch den Legal Counsel überhaupt rechtzeitig
zur Kenntnis zu nehmen. Damit der Legal Counsel derartige Entwicklungen selbst
erkennen kann, muss er eine entsprechende interne Kommunikationskultur auf-
bauen. Nicht nur soll definiert sein, wer in derartigen Fällen für die Kommuni-
kation mit dem externen Rechtsanwalt zuständig ist, damit sichergestellt ist, dass
dieser alle notwendigen Informationen zeitnah erhält. Dies wird in der Regel der
Legal Counsel selbst sein. Vielmehr muss er sicherstellen, dass die Mitarbeiter aus
den betroffenen Abteilungen und dem Back Office ihm auch vermeintlich minder
Interessantes rapportieren, und zwar möglichst periodisch und unaufgefordert.
Es mag sein, dass Ihr externer Anwalt Ihnen dies so zu verstehen gibt, weil er es
nicht anders kennt. Dabei gibt es je länger je mehr alternative Zusammenarbeits-
formen zwischen dem Legal Counsel und dem externen Rechtsanwalt, die für
beide Seiten anregend, fordernd und bereichernd sind und der Sache dienen.
Beispiel
• Der externe Rechtsanwalt kann einem Legal Counsel in Gebieten, in denen die-
ser nicht regelmäßig tätig ist, punktuell als Gedankensparringpartner oder Mit-
glied eines sounding board dienen und braucht nicht zwingend im Sinne einer
selbstständigen und ganzheitlichen Betreuung eines Falles tätig zu sein. Dies
setzt allerdings in der Regel eine gewisse Vorbefassung des externen Rechts-
anwalts mit dem Legal Counsel und der Geschäftstätigkeit seines Arbeitgebers
voraus und ist daher nicht in jedem Fall sinnvoll.
• Bei größeren Projekten stellt sich bei gut eingearbeiteten, fast ausschließlich
für das entsprechende Projekt tätigen externen Rechtsanwälten die Frage, ob es
Sinn macht, diesen weiterhin im Mandatsverhältnis zu beschäftigen. Vor allem
größere Rechtsanwaltskanzleien sind in derartigen Situationen unter Umstän-
20 Außenpositionierung zu prozessierenden Rechtsanwälten 253
den für die Entsendung des entsprechenden externen Rechtsanwalts, ein soge-
nanntes Secondment, bereit. Der externe Rechtsanwalt verbringt dabei eine
bestimmte Zeit, meistens einige Monate, alleinig beim Klienten und arbeitet an
der Seite des Legal Counsel. Dabei bleibt der externe Rechtsanwalt bei seinem
bisherigen Arbeitgeber angestellt, der mit dem Klienten dafür eine separate
Honorarvereinbarung trifft.
Das Modell ist bei guter Vorbereitung und transparenter Kommunikation der
Erwartungen für beide Seiten vorteilhaft. Einerseits profitieren der Legal Coun-
sel und dessen Arbeitgeber dauerhaft vom Know-how des entsandten externen
Rechtsanwalts und können vorübergehende Ressourcenengpässe damit über-
brücken. Der Einarbeitungsaufwand ist für den Legal Counsel in der Regel nur
unwesentlich höher als bei einem normalen Mandat. Dies wird jedoch wettge-
macht durch die vertieften Einblicke des entsandten externen Rechtsanwalts in
das Innenleben der Unternehmung, in der er tätig ist; er sammelt mit fortschrei-
tender Dauer des Secondments mehr unternehmens- und branchenspezifische
Erfahrungen, als dies aus der Kanzlei heraus möglich wäre. Andererseits kann
sich der externe Rechtsanwalt näher und intensiver um seine Tätigkeit für den
Klienten kümmern; die Wege werden kürzer, die persönlichen Verbindungen
enger, das Verständnis größer. Distanz kann ab-, Vertrauen aufgebaut werden.
Dies bewirkt nicht nur ein besseres Verständnis für die sich stellenden Fragen,
sondern hat auch eine erhöhte emotionale Bindung des externen Rechtsanwalts
an die Unternehmung und umgekehrt zur Folge. All diese Faktoren tragen oft
zu einer dauerhaften und verlässlichen Mandatsbeziehung bei, selbst wenn das
Secondment abgelaufen ist und der vormals entsandte externe Rechtsanwalt
wieder in der Kanzlei für das entsprechende Unternehmen tätig wird.
Obschon dies weniger häufig der Fall ist, ist die umgekehrte Situation nicht
ausgeschlossen: Dass ein Legal Counsel temporär bei einer externen Anwalts-
kanzlei tätig wird. Diese Konstellation kann ebenso Vorteile für alle Seiten
aufweisen: Der vormalige Legal Counsel wird in die Lage versetzt, beispiels-
weise für die Anwaltsprüfung notwendige Praxiserfahrung in Rechtsgebieten
außerhalb des eigenen Unternehmens zu sammeln. Die Kanzlei kann sich im
Gegenzug einen verhältnismäßig stetigen Mandatszufluss versprechen. Ein
entsprechendes Arrangement wird aber realistischerweise nur in Situationen
von bereits bestehenden stabilen Zusammenarbeitsbeziehungen, bei größe-
ren Rechtsabteilungen und bei jüngeren Legal Counsel eingegangen werden.
Zudem ist je nach Ziel des vormaligen Legal Counsel zu klären, ob ein Arbeit-
geberwechsel vonnöten ist.
• Die Tätigkeit des externen Rechtsanwalts beschränkt sich nicht zwingend auf
die Bearbeitung eines konkreten Falls. Vielmehr kann der externe Rechtsanwalt
bei seinen Klienten im Sinne von Workshops juristisches, auf den entsprechen-
den Betrieb zugeschnittenes Grundwissen vermitteln – sei dies im Zusammen-
hang mit Gesetzesänderungen, mit festgestellten Problemen im operativen
Ablauf oder mit der Ausbildung neuer Mitarbeiter beim Klienten. Dies erfolgt
mit Vorteil unter Bezugnahme auf konkrete Fälle aus dem genannten Betrieb
254 E. Gut
oder auf anonymisierte Mandate anderer Klienten, die sich für den Betrieb des
Legal Counsel ebenfalls für relevant erweisen. Damit wird das Bewusstsein
insbesondere der nicht-juristischen Mitarbeiter in Bezug auf mögliche Risiken
geweckt, damit sie im Alltag für juristische Fragestellungen alerter sind und
erkennen, wann sie sich an den Legal Counsel wenden sollen.
Ohne dieses Vorurteil beschönigen zu wollen: Ja, das kommt tatsächlich vor. Nicht
immer ist es allerdings für den Klienten nachteilig, wenn der externe Rechtsan-
walt intern gewisse Tätigkeiten an Kollegen delegiert. Externe Rechtsanwälte, vor
allem in größeren Kanzleien, werden arbeitsteilig arbeiten, wenn dies im Sinne
des Klienten ist. Diesbezüglich gibt es verschiedene Überlegungen:
• Der Beizug eines Kollegen durch den externen Rechtsanwalt lohnt sich
namentlich dann, wenn dieser Kollege mehr Erfahrung auf einem bestimm-
ten Rechtsgebiet aufweist und daher den Klienten punktuell besser beraten
kann als der mandatierte externe Rechtsanwalt dazu in der Lage ist. Je nach
dem Schwerpunkt des konkreten Mandats kann es angezeigt sein, dass der
mandatierte externe Rechtsanwalt die Mandatsführung und Kommunikation
dem Kollegen überlässt, weil sonst eine doppelte Instruktion (vom spezialisier-
ten Kollegen zum externen Rechtsanwalt und von diesem zum Legal Counsel)
stattfindet.
• Oft delegiert ein mandatierter externer Rechtsanwalt einzelne Aufgaben einem
jüngeren (und damit in der Regel günstigeren) Mitarbeiter. Dies macht dann
Sinn, wenn dieser entsprechende Arbeiten genauso gut, aber günstiger tätigen
kann. So gibt es beispielsweise Arbeiten, die reine Fleißarbeiten sind, aber den-
noch von einem Juristen vorgenommen werden müssen. Auch zeigt es sich oft,
dass jüngere Anwälte bei Recherchen in den heutigen Datenbanken versierter
sind als Rechtsanwälte, die im Studium oder bei Beginn der Berufstätigkeit
noch nicht auf derartige Hilfsmittel vertrauen konnten. Durch die Delegation
entsprechender Aufgaben an einen jüngeren Kollegen wahrt der externe Rechts-
anwalt die Interessen des Klienten, ohne dass dieser damit aber auf die Erfah-
rung des mandatierten externen Rechtsanwalts verzichten muss.
• Es gibt Situationen, in denen gezielt geplant wird, dass ein externer Rechtsan-
walt gegen außen auftritt, weil er dies in sehr überzeugender Art und Weise tut,
aber alle Arbeiten im Hintergrund delegiert, weil er dafür keine Zeit hat. Bei
heiklen Verhandlungen, schwierigen Personen auf der Gegenseite oder hilfrei-
chen Bekanntschaften des gegen außen auftretenden externen Rechtsanwalts
kann dies durchaus angezeigt sein, selbst wenn dies aus Sicht des Legal Coun-
sel allenfalls einen Mehraufwand der externen Anwaltskanzlei zur Folge hat. Ist
20 Außenpositionierung zu prozessierenden Rechtsanwälten 255
aber ein Anwalt aus Gründen seiner Persönlichkeit oder aufgrund vorbestehen-
der persönlicher Beziehungen prädestiniert für den Auftritt gegen außen, wäre
es möglicherweise kontraproduktiv, diese Chance nicht zu nützen.
• Schließlich kommt es oft vor, dass gerade erfahrenere Partner in Anwaltskanz-
leien aufgrund von Sitzungen oder Auslandsreisen häufig kurzfristig nicht ver-
fügbar sind. Ist ein anderer Anwalt mit der Klientschaft oder gar der konkreten
Angelegenheit vertraut, kann dieser oftmals ohne große Einarbeitungszeit
schnell als Stellvertreter auf eine Anfrage des Legal Counsel reagieren, sofern
sich während einer Abwesenheit des hauptsächlich mandatierten externen
Rechtsanwalts dringender Handlungsbedarf ergibt.
Nichts ist ärgerlicher für einen Legal Counsel, als wenn der externe Rechtsanwalt
ihn kaum von der Leine lässt und ständig für sich vereinnahmt, oder wenn er nur
vage Antworten abgibt und diese auch noch mit ausgiebigen Disclaimern versieht.
Der Legal Counsel stellt sich dann – im Extremfall durchaus zu Recht – die Frage,
ob er den Fall nicht besser selbst bearbeitet hätte. Nicht in jeder Situation, in der
der externe Rechtsanwalt aber Absicherung beim Legal Counsel sucht, weist dies
auf eine Unsicherheit und Unerfahrenheit des externen Rechtsanwalts hin. Einer-
seits ist für den Legal Counsel, der das Geschäftsfeld und das Geschäftsumfeld
seines Arbeitgebers bestens kennt, vieles selbstverständlich, was für den externen
Rechtsanwalt weniger klar ist. Insofern lohnt sich eine anfänglich ausführliche
Einarbeitung beziehungsweise Instruktion des externen Rechtsanwalts durchaus
auch langfristig. Andererseits muss sich der Legal Counsel bewusst sein, dass der
externe Rechtsanwalt Sorgfaltspflichten unterliegt und daher insbesondere bei der
Vornahme erbetener Kurzdurchsichten beziehungsweise der Erteilung eines rein
pragmatischen Rats sowie in Fällen, die auf der rechtlichen oder Sachverhaltsebene
unklar sind, Vorbehalte abgeben wird. Insbesondere Prognosen über den Ausgang
eines Gerichtsverfahrens sind nicht in absoluter Form möglich, ist doch sowohl das
Verhalten der Gegenpartei oder allfälliger Zeugen als auch die Entscheidfindung
des Gerichts von subjektiven Faktoren abhängig und damit nicht definitiv vorher-
sehbar. Dass die Rechtswissenschaft keine exakte Wissenschaft ist, wird allen klar
sein. Der Legal Counsel darf aber durchaus die Abgabe einer persönlichen Ansicht
des externen Rechtsanwalts einfordern.
256 E. Gut
Oftmals werden in der Praxis Zweck und Bedeutung der für bestimmte Rechts-
geschäfte vorausgesetzten öffentlichen Beurkundung oder Beglaubigung verkannt
oder es mangelt in diesem Zusammenhang zumindest am Verständnis für gewisse
(vom Gesetz vorgeschriebene) Vorgänge sowie Voraussetzungen. Ein Legal Coun-
sel mag sich fragen, weshalb der Notar nicht einfach seine Unterschrift unter ein
ihm durch einen Boten vorgelegtes Dokument setzen kann und stattdessen schrift-
liche Vollmachten oder gar das persönliche Erscheinen verlangt. Unklarheiten bei
Legal Counsels bestehen immer wieder beispielsweise im Zusammenhang mit den
Fragen, für welche Handlungen eine Stellvertretung zulässig ist, in welcher Form
Bevollmächtigungen nachgewiesen werden müssen oder wie die Beglaubigung
einer Unterschrift abzulaufen hat oder was hinsichtlich Unterschriftsanerkennung
möglich ist. Lehnt der Notar eine Beurkundung oder Beglaubigung ab, wird nicht
selten mit Unverständnis reagiert. Zudem werden die vom Notar zusätzlich ver-
langten Anforderungen als unnötige, bloß schikanöse, zumindest bürokratische
Hindernisse betrachtet. Problemstellungen dieser Art kann der Unternehmensju-
rist im Rahmen seines professionellen Austauschs mit einem Notar begegnen. Die
nachfolgenden Ausführungen sollen daher einerseits dazu dienen, Verständnis für
den Vorgang der öffentlichen Beurkundung respektive der Beglaubigung und der
damit zusammenhängenden gesetzlichen Vorgaben zu schaffen. Andererseits sol-
len Hinweise gegeben werden, wie unnötiger Aufwand von vornherein vermieden
und die Zusammenarbeit zwischen Legal Counsel und Notar verbessert werden
kann.
M. Kummer (*)
St.Gallen, Schweiz
E-Mail: kummer@stach.ch
Nicht immer ist in der Praxis das Verständnis vorhanden, weshalb für bestimmte
Rechtsgeschäfte von Gesetzes wegen die Form der öffentlichen Beurkundung
vorgeschrieben ist oder die Beglaubigung beispielsweise einer Unterschrift ver-
langt wird. Oftmals werden diese regelmäßig mit einem Besuch beim Notar und
entsprechenden Kostenfolgen verbundenen Formvorschriften als müßig oder
gar unnötig erachtet. Die vom Gesetzgeber mit der strengsten Formvorschrift
der öffentlichen Beurkundung verfolgten Zwecke werden – wie schon eingangs
erwähnt – vielfach verkannt.
Dabei verfolgt die Form der öffentlichen Beurkundung verschiedene Zwecke:
Im Wesentlichen wird mit einer öffentlichen Urkunde ein Beleg öffentlichen Glau-
bens für den Rechtsverkehr geschaffen. Öffentliche Urkunden dienen der Beweis-
sicherung; sie erbringen für die in ihnen bezeugten Tatsachen den vollen Beweis,
solange nicht die Unrichtigkeit ihres Inhalts nachgewiesen ist.2 Es kommt ihnen
8Die Kenntnisnahme kann durch das Lesen der Urkunde durch die Erschienenen selbst oder
durch das Vorlesen durch den Notar erfolgen. Einige Rechtsordnungen schreiben für gewisse
Rechtsgeschäfte das Vorlesen zwingend vor.
9Arnet (2013, S. 395 f.) mit Hinweisen; Schmid (2014), Art. 55 SchlT ZGB N 33 ff.
262 M. Kummer
Schließlich folgen das Heften, die Siegelung und Registrierung der Urkunde im
Rahmen des „Nachverfahrens“.10
Für Legal Counsels sind im Rahmen ihrer professionellen Tätigkeit immer wieder
die mit einer öffentlichen Beurkundung verbundenen Kosten ein Thema. Urkunds-
personen beziehen für die Vornahme öffentlicher Beurkundungen oder Beglaubi-
gungen Gebühren, die sich nach festen Ansätzen (Zeitaufwand), nach dem
Streitwert oder nach einem Gebührenrahmen bemessen können, wobei sich die
Festsetzung der Gebühren zum Beispiel in der Schweiz nach kantonalen und kom-
munalen Verordnungen richtet, welche bei streitwertabhängigen Tarifen Höchst-
grenzen vorsehen. Schweizer Notare sind – zumindest in den Kantonen mit
freiberuflichem Notariat11 – nicht an die Anwendung staatlich festgesetzter Tarife
gebunden und daher flexibel in Bezug auf die Gebührenfestsetzung. Freiberufliche
Notare wenden in der Regel weder die staatlichen Tarife an, noch stellen sie bei
der Kostenbemessung auf den Streitwert ab. Stattdessen stellen sie ihren tatsäch-
lich angefallenen Zeitaufwand in Rechnung und verlangen für den Beurkundungs-
akt zusätzlich eine gewisse Gebühr. Das Gesamthonorar ist bei freiberuflichen
Notaren regelmäßig verhandelbar. Häufig kann mit dem Notar eine fixe Pauschale
für das zu beurkundende Geschäft vereinbart werden, was dem Legal Counsel
hilft, die Kosten zu kalkulieren und im Griff zu behalten.
In Deutschland richten sich die Beurkundungsgebühren bundesweit einheitlich
nach den festen Tarifen gemäß dem Gerichts- und Notarkostengesetz12, abhängig
von Bedeutung und Wert des Geschäfts. Die starren Gebührensätze können zu
unangemessen hohen Gebühren führen, die in keinem Verhältnis zum tatsächlichen
Aufwand stehen. Besonders vor Inkrafttreten des Gerichts- und Notarkostengesetz
im Jahr 2013 konnten sich die Beurkundungsgebühren in Deutschland besonders
bei hohen Geschäftswerten auf ein Vielfaches der in der Schweiz anfallenden
Gebühren belaufen. Die Problematik unverhältnismäßig hoher Gebühren bei hohen
Streitwerten aufgrund starrer Gebührensätzen wurde mit Einführung des neuen
Gerichts- und Notarkostengesetzes entschärft, namentlich indem Rahmengebühren
(GNotKG).
21 Außenpositionierung zu (Schweizer) Notaren 263
für die notwendige Flexibilität sorgen. Dennoch kann gerade bei hohen Streitwer-
ten aufgrund der flexiblen (und verhandelbaren) Honorar- und Gebührengestaltung
in Schweizer Kantonen mit freiberuflichen Notaren die Beurkundung eines nach
einem ausländischen Staat formpflichtigen Rechtsgeschäfts durch einen Schweizer
Notar trotz Reisekosten in die Schweiz nach wie vor deutlich günstiger ausfallen
als im Heimatstaat. Für den Legal Counsel lohnt es sich daher besonders bei
Geschäften mit höherem Streitwert, die zu erwartenden Kosten und Gebühren vor-
gängig abzuklären und allenfalls eine Beurkundung im grenznahen Ausland in
Betracht zu ziehen.
gleichwertig erscheint.15 Das wurde bis zum Entscheid im Jahr 2013 namentlich für
den Sonderfall der Übertragung von deutschen GmbH-Anteilen immer wieder
infrage gestellt.16 Von einer funktionalen Gleichwertigkeit ist heute auszugehen,
wenn die ausländische Urkundsperson erstens nach Vorbildung und Stellung im
Rechtsleben eine der Tätigkeit des deutschen Notars entsprechende Funktion ausübt
und zweitens für die Errichtung der Urkunde ein Verfahrensrecht zu beachten hat,
das den tragenden Grundsätzen des deutschen Beurkundungsrechts entspricht.17
21.2.5.1 Funktionsentsprechende Notariatsausübung
Es stellt sich zunächst die Frage nach der Gleichwertigkeit der Vorbildung, Stel-
lung sowie Funktion des schweizerischen Notars. In § 5 der deutschen Bundes-
notarordnung wird zur geeigneten Ausübung der Notariatstätigkeit die Befähigung
zum Richteramt nach dem deutschen Richtergesetz vorausgesetzt, was das Beste-
hen der beiden juristischen Staatsprüfungen bedingt.18 In Bezug auf die Staatsexa-
mina ist in der Berufsqualifikations-Anerkennungs-Richtlinie der Europäischen
Union anerkannt, dass Anpassungslehrgänge oder Eignungsprüfungen diesen
gleichgestellt werden können.19 Während anstelle der „Ersten Juristischen Staats-
prüfung“ der Erwerb der notwendigen Kenntnisse im deutschen Recht im Rahmen
einer Gleichwertigkeitsprüfung anderweitig nachgewiesen werden kann,20 wird
die „Große Juristische Staatsprüfung“ als nicht ersetzbar angesehen.21
Weil das Notariatswesen in der Schweiz nicht bundeseinheitlich geregelt ist,
sind Ausbildung, Stellung und Funktion der Notare und ihre Verfahren für jeden
Kanton gesondert zu untersuchen.22 Die Beurkundungsvorschriften sind in einigen
Kantonen ziemlich vage, in anderen äußerst streng. Ebenso unterschiedlich ausge-
staltet ist die vorausgesetzte Ausbildung der Notare. Während in einigen Kantonen
sogar Nichtjuristen zum Notariat zugelassen werden, werden in anderen eigene,
hoch qualifizierte Studiengänge für Notare vorausgesetzt. Die Gleichwertigkeit im
Hinblick auf die Qualifikation des Notars in der Schweiz wurde von deutschen
Gerichten dann angenommen, wenn der Notar eine volle juristische Ausbildung
im Sinne eines vollwertigen Jura-Studiums erfolgreich absolviert hatte. Dies gilt
15Spickhoff (2013, S. 7 f.); Bundesgerichtshof (BGH), in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW)
1981:1160; Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt, in: GmbH Rundschau (GmbHR) 2005:764 ff.
16Vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 17. Dezember 2013, II ZB 6/13.
17Vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 17. Dezember 2013, II ZB 6/13.
19Dies dann, wenn die Ausübung des Berufes eine genaue Kenntnis des nationalen Rechts ver-
langt beziehungsweise wenn die Beratung oder der Beistand in Fragen des innerstaatlichen
Rechts ein wesentlicher und ständiger Bestandteil der beruflichen Tätigkeit ist; Spickhoff (2013,
S. 10 f.).
20Spickhoff (2013, S. 10 f.).
21Schmid und Pinkel (2011, S. 2928, 2931); Spickhoff (2013, S. 10 f.); vgl. Beschluss des Bun-
derzeit für die Kantone Bern23, Basel-Stadt24 und Genf25, aber auch für weitere
Kantone, wie beispielsweise den Kanton St.Gallen.
21.2.5.2 Gleichwertiges Beurkundungsverfahren
Die Beurkundungssubstitutionsfähigkeit setzt weiter ein dem deutschen Beurkun-
dungsrecht äquivalentes Beurkundungsverfahren voraus. Der mit der Beurkun-
dung verfolgte Zweck und das Beurkundungsverfahren im engeren Sinn stimmen
in der Schweiz und in Deutschland im Wesentlichen überein; so etwa durch das
Oberlandesgericht Düsseldorf, unter Verweis auf den Bundesgerichtsentscheid
vom 6. Oktober 1964, festgestellt.26
21.2.6 Fazit
Aufgrund des Entscheids des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2013 und in Anbe-
tracht der Gleichwertigkeit von Funktion und Verfahren ist davon auszugehen,
dass der Gültigkeit der Auslandsbeurkundung keine zwingenden Hindernisse ent-
gegenstehen; zumindest nicht im Falle von Auslandsbeurkundungen durch Notare
aus Kantonen, die für die Ausübung des Notarberufes ein vollwertiges Jurastu-
dium voraussetzen. Dies besonders dann nicht, wenn der Schweizer Notar sich an
die vom deutschen Beurkundungsrecht in Bezug auf das Verfahren allenfalls vor-
gesehenen Besonderheiten, wie beispielsweise das Vorlesen der Urkunde, hält.
Eine öffentliche Beurkundung erfolgt auf ein formfreies Begehren einer Person hin.
Notwendige Voraussetzung ist, dass der Beurkundungswille der sachbeteiligten Kli-
entschaft – bei Vertragsbeurkundungen von sämtlichen Vertragsparteien – für den
Notar ersichtlich ist.27 Nicht notwendig hingegen ist, dass die Klientschaft selbst
direkt mit dem Notar in Kontakt tritt. In der Praxis kommt es häufig vor, dass das
Beurkundungsbegehren dem Notar informell durch einen Dritten, anstelle des Sach-
beteiligten zugetragen wird, wie etwa durch Organe juristischer Personen, Stellver-
treter, Hilfspersonen, Bote, Treuhänder, Vermittler oder sonstige Angehörige.28
23Oberlandesgericht (OLG) Hamburg, in: Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiet des
26BGE 90 II 274 E. 6.
Richtet ein Dritter, wie etwa ein Legal Counsel, im Namen des Sachbeteiligten das
Beurkundungsbegehren an den Notar, muss dessen Vertretungsbefugnis glaubhaft
sein, sofern nicht ein Fall offengelegter Geschäftsführung ohne Auftrag vorliegt.29
Wie im übrigen Rechtsverkehr ist Geschäftsführung ohne Auftrag, also der
Abschluss eines fremden Geschäfts ohne Auftrag im Interesse des Prinzipals im
Hinblick auf die spätere Genehmigung durch diesen, auch im Beurkundungsver-
fahren zulässig. Aufgrund der Formfreiheit des Parteianstoßes muss sich der Dritte
nicht notwendigerweise durch eine schriftliche Vollmacht ausweisen.30 Der Notar
muss sich aber anhand der gesamten Umstände Klarheit darüber verschaffen, wer
ihm als Klientschaft gegenübersteht, und ob auf deren Beurkundungswillen
geschlossen werden kann.31 Ist kein gegenteiliger Wille der Sachbeteiligten
ersichtlich und kein Missbrauch zu befürchten, kann der Notar tätig werden.32 Im
weiteren Verfahrensverlauf wird sich in der Regel zeigen, ob die (zunächst vertre-
tene) Klientschaft tatsächlich eine öffentliche Beurkundung vornehmen lassen
möchte. Die Glaubhaftigkeit des Beurkundungswillens der Klientschaft genügt
zwar für die Einleitung des Beurkundungsverfahrens durch einen Dritten, nicht
aber für die Durchführung des Hauptverfahrens. Spätestens im Zeitpunkt der
Rekognition und Genehmigung des Urkundeninhalts muss der Notar zur Überzeu-
gung gelangt sein, dass ein Stellvertreter tatsächlich vertretungsbefugt ist und im
Rahmen seiner Vertretungsmacht handelt.33
Stellt sich trotz sorgfältiger Abklärung durch den Notar heraus, dass dieser irrtüm-
lich vom Vorhandensein des Beurkundungswillens eines abwesenden Sachbeteilig-
ten ausgegangen ist, kommt zwischen diesem und dem Notar kein Rechtsverhältnis
zustande, womit Ersterer nicht für Honorar und Auslagen des Notars haftet.34 Statt-
dessen wird sich der Notar an dem vor ihm Erschienenen schadlos halten müssen.
Analoges gilt in Fällen der Geschäftsführung ohne Auftrag. Der Notar wird in der
Praxis daher bereits für die Einleitung des Beurkundungsverfahrens eine entspre-
chende Vollmacht verlangen, obschon eine solche nicht zwingend notwendig wäre.
Es empfiehlt sich daher für den Legal Counsel, mit dem Notar rechtzeitig den von
diesem verlangten Vollmachtsnachweis abzusprechen. Der Legal Counsel, der für
den Sachbeteiligten das Begehren stellt, wird ebenso daran interessiert sein, dass
über das Vertretungsverhältnis von vornherein Klarheit herrscht, zumal er im Falle
der Nichtgenehmigung durch den Vertretenen damit rechnen muss, vom Notar für
dessen Aufwendungen haftbar gemacht zu werden.
35Art.
32 Abs. 1 OR.
36BGE 127 III 332, 333 f.
37BGE 127 III 332, 334; 126 III 361, 363 mit weiteren Hinweisen.
Der Notar hat die Identität und in begrenztem Rahmen die Urteils- sowie die Hand-
lungsfähigkeit der Beteiligten, welche individuelle Erklärungen zur Urkunde abgeben,
und bei Stellvertretern zusätzlich deren Vertretungsmacht, sorgfältig zu ermitteln.40
44Eine Ausnahme besteht in Bezug auf die Bevollmächtigung zur Verbürgung, welche gemäß
Art. 493 Abs. 6 OR der öffentlichen Beurkundung bedarf.
45Schmid (1988, S. 61), N 226, mit Verweis auf BGE 99 II 159 ff., besonders 163; ferner Mei-
er-Hayoz (1974), Art. 657 ZGB; Haab et al. (1977), Art. 657 ZGB N 16; Beck (1932), Art. 55
SchlT ZGB N 14. Anderer Meinung: Wieland (1909), Art. 657 ZGB N 5.
46Brückner (1993, Rz 2153).
48Brückner (1993, Rz 1047); Schmid (1988, S. 61, N 172); BGE 99 II 159, 163.
Bestehen Zweifel, nimmt der Notar die Beurkundung so lange nicht vor, bis die
Zweifel beseitigt wurden.51 Liegt eine Vollmacht anlässlich der Beurkundung hin-
gegen nicht im Original oder in beglaubigter Kopie vor, sondern beispielsweise
nur als Fax, Kopie oder in digitaler Form, vermerkt der Notar diesen Umstand in
der Urkunde. Dasselbe gilt in Bezug auf Vollmachten von dem Notar nicht persön-
lich bekannten Vollmachtgebern ohne Unterschriftsbeglaubigung oder Apostille.
Die vorgelegte Vollmacht wird im Original oder als beglaubigte Kopie zu Beweis-
zwecken der Urkunde als Beilage angehängt. Liegt anlässlich der Beurkundung
eine Vollmacht bloß als Fax, als Kopie oder als Ausdruck einer digitalen Version
vor, wird dieses Dokument der Urkunde beigeheftet.
21.4.3.3.2 Bei Dringlichkeit
Bei glaubhafter Dringlichkeit kann eine Beurkundung auch dann erfolgen, wenn
im Zeitpunkt der Beurkundung der Erschienene zwar erklärt, er sei bevollmäch-
tigt, der Notar die Bevollmächtigung jedoch nicht (sofort) kontrollieren kann. Das
kann insbesondere der Fall sein, wenn keine schriftliche Vollmacht vorliegt oder
Zweifel bestehen, ob das beabsichtigte Handeln von einer vorliegenden Vollmacht
abgedeckt ist.58 Der Notar muss bei fehlender Vollmacht respektive Kontrollmög-
lichkeit oder Zweifeln an der Urkunde auf diesen Umstand sowie den Grund für
die gleichwohl vorgenommene Beurkundung hinweisen.59 Bis zur genügenden
Klärung der Vertretungsmacht wird der Notar zur Vermeidung von Missbrauch
davon absehen, die Urkunde oder auch nur schon Fotokopien beziehungsweise
digitale Versionen der Urkunde herauszugeben. Der Notar wird die Urkunde erst
an die Klientschaft aushändigen oder dem zuständigen Handelsregister (oder sons-
tigem Amt) einreichen, nachdem er Klarheit über die Vertretungsmacht erhalten
hat.
Für den Legal Counsel ist es daher unerlässlich, dem Notar in Fällen von
Dringlichkeit eine plausible Erklärung dafür abgeben zu können, weshalb die
Beurkundung keinen Aufschub dulde. Kann der Erschienene keine glaubhaften
Gründe für das Fehlen einer (ausreichenden) schriftlichen Vollmacht sowie für die
Dringlichkeit darlegen, wird der Notar die Beurkundung ablehnen; ebenso wenn
sich aus der Kontrolle der Vollmacht oder den gesamten Umständen der Verdacht
rechtswidrigen Handelns ergibt.60 Das kann etwa der Fall sein, wenn eine Voll-
macht ein altes Datum aufweist und der Erschienene hierfür keine plausible Erklä-
rung hat, oder wenn sich das zu beurkundende Geschäft für den Vollmachtgeber
als offensichtlich unvorteilhaft oder für den angeblich mündlich Bevollmächtigten
selbst als übermäßig vorteilhaft erweist.61
21.4.3.3.3 Fazit
Im Hinblick auf die Prüfung der Vertretungsmacht durch den Notar sowie die Not-
wendigkeit der Offenlegung in der Urkunde empfiehlt es sich, die erforderlichen
Belege, namentlich eine genügende Vollmacht, rechtzeitig zu beschaffen und dem
Notar (allenfalls vorgängig zur Vorprüfung) vorzulegen. Es ist nicht Sache des
Notars, sich aktiv um die Vorlage genügender Belege zu kümmern, sondern der
vor ihm erscheinenden Personen, ihn ausreichend zu dokumentieren. Da der Notar
die Beurkundung ablehnen muss, wenn ihm eine genügende Abklärung der Ver-
tretungsmacht eines Stellvertreters nicht möglich ist, erscheint es gerade für einen
Legal Counsel im Hinblick auf die Beurkundung eines Geschäftes für ein Unter-
nehmen durch dessen Organe oder sonstige Stellvertreter sinnvoll, rechtzeitig im
Voraus mit dem Notar Kontakt aufzunehmen und seine Anforderungen an einen
rechtsgenügenden Nachweis der Vertretungsmacht im Hinblick auf die Beurkun-
dung in Erfahrung zu bringen. Dabei kann der Notar darüber aufklären, ob und in
welchem Fall die Beglaubigung der Unterschrift des Vollmachtgebers sowie allen-
falls das Einholen einer Apostille oder Überbeglaubigung erforderlich sind.
Idealerweise bittet der Legal Counsel den Notar, ihm eine individuell vorbe-
reitete Vollmachtsvorlage zur Verfügung zu stellen. Um insbesondere allfälligen
Zweifel in Bezug auf den Umfang der Vertretungsmacht eines Bevollmächtigten
entgegenzutreten, empfiehlt sich das Ausstellen einer Spezialvollmacht mit aktu-
ellem Datum und möglichst genauer Bezeichnung des beabsichtigten Rechtsge-
schäfts. Immer wieder werden in der Praxis Vollmachten ohne Bedacht ausgestellt
und rückdatiert. Das nachträgliche Ausstellen und Rückdatieren von Vollmachten
erfüllt jedoch den Straftatbestand der Falschbeurkundung.62
Empfehlenswert ist es zudem, die vorbereiteten Unterlagen dem Notar vorab
in digitaler Form (zur Vorprüfung) zuzustellen. Dies erlaubt es ihm einerseits, zu
prüfen, ob diese vollständig und ausreichend sind, sowie andererseits die perso-
nellen Angaben und jene zum Vertretungsverhältnis im Urkundenentwurf bereits
vor dem Beurkundungstermin zu finalisieren. Dem Legal Counsel seinerseits
bleibt genügend Zeit, um rechtzeitig vor der Beurkundung allfällige Verbesserun-
gen vorzunehmen oder ergänzende Dokumente zu beschaffen. Durch eine recht-
zeitige Klärung der Anforderungen des Notars sowie ein rechtzeitiges Einholen
der benötigten Dokumente seitens des Legal Counsel kann vermieden werden,
dass ungenügende Unterlagen zur Nachbesserung zurückgewiesen werden, die
Beurkundung abgesagt oder verschoben werden muss; oder allgemein kurzfristige
Abklärungs- oder Nachbesserungshandlungen notwendig sind, die für alle Betei-
ligten unnötigen Mehraufwand und allenfalls Mehrkosten bedeuten.
21.5 Unterschriftsbeglaubigung
Der Idealvorgang der Beglaubigung der Echtheit einer Unterschrift besteht in der
Bescheinigung des Notars, dass die unterzeichnete Person, deren Identität er zuvor
geprüft hat, die Unterschrift in seiner Anwesenheit angebracht oder ihm gegenüber
als die eigene anerkannt hat. Da dieser Vorgang des persönlichen Aufsuchens eines
Notars in der Praxis bei der Klientschaft gerade bei häufigem Beglaubigungsbe-
dürfnis unliebsame Mühen beschert, wird von dieser eine „Beglaubigung unter
Abwesenden“ (auch „Fernbeglaubigung“ genannt) bevorzugt. Wenngleich einzelne
Autoren die Auffassung vertreten, die Unterschriftsbeglaubigung unter Abwesen-
den sei generell unzulässig63, erachtet die herrschende Lehre diese als grundsätz-
lich zulässig.64 Der deutsche Gesetzgeber erachtet die Fernbeglaubigung ebenfalls
kritisch.65 Gerade für den Legal Counsel wird sich in der Praxis deshalb immer
wieder die Frage stellen, unter welchen Voraussetzungen die Fernbeglaubigung von
Unterschriften der operativ tätigen Personen seines Unternehmens möglich ist, res-
pektive wann diese Personen persönlich vor dem Notar erscheinen müssen.
21.5.2 Fernbeglaubigung
beglaubigt werden soll, wenn sie in Gegenwart des Notars vollzogen oder anerkannt wird.
66Brückner (1993, Rz 3324).
68Ruf (1995, § 37 N 1521); Brückner (1993, Rz 3310 ff.); BGE 113 IV 77.
69Brückner (1993, Rz 1202, 3275).
70Brückner (1993, Rz 1202).
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(Deutsches) Gerichts- und Notarkostengesetz vom 23. Juli 2013 (BGBl. I S. 2586), das zuletzt
durch Art. 4 des Gesetzes vom 23. November 2015 (BGBl. I S. 2090) geändert worden ist
(GNotKG)
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veröffentlichten bereinigten Fassung, die zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes vom 23. Novem-
ber 2015 (BGBl. I S. 2090) geändert worden ist
(Deutsches) Richtergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. April 1972 (BGBl. I
S. 713), das zuletzt durch Art. 132 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474)
geändert worden ist
Richtlinie 2005/36/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über
die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. L255/22)
Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (StGB, SR 311.0)
Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (ZGB, SR 210)
276 M. Kummer
Schweizerisches Bundesgesetz vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizeri-
schen Zivilgesetzbuches, Fünfter Teil: Obligationenrecht (OR, SR 220)
Übereinkommen zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Beglaubigung,
abgeschlossen in Den Haag am 5. Oktober 1961 (SR 0.172.030.4)
Verordnung vom 2. November 2005 über die öffentliche Beurkundung und die Beglaubigung des
Kantons St.Gallen (Verordnung SG, sGS 151.51)
Ein Verband kann, wie in Abb. 22.1 dargestellt, durch vier unterschiedliche
Dimensionen seiner Tätigkeit definiert werden. Mithin kann die individuelle Aus-
gestaltung hingegen von großen Unterschieden geprägt sein. Wollen sich Unter-
nehmen oder einzelne Abteilungen von Unternehmen zum Beispiel in Verbänden
organisieren, stehen ihnen neben den Industrie- und Handelskammern, Branchen-
und Fachverbänden, Arbeitgeberverbänden sowie im Verhältnis zum Ausland die
Außenhandelskammern zur Verfügung.1 Neben den Geschäftsleitungsmitgliedern
ist es zumeist auch der General Counsel oder spezifisch betraute Legal Counsel,
die sich in den Verbänden engagieren, in welchen das Unternehmen Mitglied ist.
Der Eintritt zu einem neuen oder bestehenden Verband erfolgt hierbei häufig über
die verbandsinterne Rechtsberatung in spezifischen rechtlichen Fragestellungen
und weitet sich dann in der Regel auf weitere Interaktionen aus, wie die passive
oder aktive Teilnahme an Veranstaltungen oder andere Verbandstätigkeiten.
Das Angebot der Verbände ist breit gefächert und reicht je nach Ausrichtung
von der Rechtsberatung über die Bereitstellung eines Netzwerkes bis hin zur poli-
tischen Unterstützung der Unternehmen.
1Bekannte Schweizer Wirtschaftsverbände sind zum Beispiel die Swissmem (für Maschinen-,
Elektro- und Metall-Industrie), Science Industries (für Unternehmen aus dem Bereich Chemie,
Pharma und Biotec). Im Verhältnis zu den USA die Swiss American Chamber of Commerce und
im Verhältnis zu Deutschland beispielsweise die Vereinigung Schweizerischer Unternehmen in
Deutschland (VSUD). In Deutschland seien neben den Industrie- und Handelskammern, für die
eine gesetzliche Pflichtmitgliedschaft besteht, beispielhaft der Verband der deutschen Maschi-
nenindustrie (VDMA) oder der Verband der Chemischen Industrie (VCI) genannt.
S. Luckert (*)
Basel, Schweiz
E-Mail: stefanie.luckert@vsud.ch
Abb. 22.1 Verbandsorganisation. (In Anlehnung an: Nicklich und Helfen (2016), mit Bezug
auf Schmitter P C, Streeck W (1999) The Organization of Business Interests. Studying the Asso-
ciative Action of Business in Advanced Industrial Societies. MPIfG Discussion Paper 99/1, Köln)
ob ein Verband für die eigene Arbeit nützlich sein kann, empfiehlt sich der Besuch
von verbandsinternen Veranstaltungen, die häufig auch für Nichtmitglieder zugäng-
lich sind. Gut genutzt zahlt sich eine Mitgliedschaft für das gesamte Unternehmen
aus. Auch für einen Legal Counsel oder ein Unternehmen ohne Rechtsabteilung
bietet eine Verbandsmitgliedschaft viel. Der Verband kann rechtliche Laien, aber
auch Legal Counsels rechtlich beraten, unterstützen und in wenigen Fällen sogar
selbst als Rechtsabteilung fungieren. Darüber hinaus stellt jeder Verband ein Netz-
werk zur Verfügung, welches den Legal Counsel mit Wissen und Kontakten ver-
sorgt, die ihm bei seiner täglichen Arbeit sehr nützlich sein können und die es ihm
im besonderen Maße ermöglichen, über die Grenzen der eigenen Rechtsabteilung
hinaus tätig zu werden, das heißt sich auch auf anderen Gebieten als dem Recht im
eigenen Unternehmen erkennbar zu machen.
Nachfolgend soll der Nutzen eines Verbandes für den General Counsel eines
Unternehmens und seine Legal Counsels an einzelnen Beispielen dargestellt
werden.
Eine der am häufigsten genutzten Dienstleistungen von Verbänden ist die Bera-
tung in zivil-, wirtschafts- und steuerrechtlichen Angelegenheiten. Die Verbände
bieten je nach Zielsetzung ein unterschiedliches Spektrum an Beratungsleistun-
gen an. Unterstützung findet man von der Suche nach einem geeigneten Unter-
nehmensstandort und bei der Firmengründung über die Fragen der rechtlichen
Aspekte der Beschäftigung von Arbeitnehmern, des Vertriebs von Produkten und
der Compliance bis hin zur Vererbung oder Liquidation eines Unternehmens.
Industrie- und Handelskammern oder übergeordnete Verbände bieten zumeist eine
280 S. Luckert
Ein weiterer wichtiger Pfeiler der Verbandstätigkeit ist die ständige Information
der Mitgliedsunternehmen. In Newslettern, Rundschreiben oder per App sowie
durch Fachveranstaltungen halten Verbände ihre Mitgliedsunternehmen ständig
über wichtige rechtliche Neuerungen auf dem Laufenden, geben Praxistipps und
helfen so, Schwierigkeiten zu vermeiden oder Prozesse zu optimieren. Auch im
Bereich der Weiterbildung können die Rechtsabteilungen auf das reichhaltige Ver-
anstaltungsangebot der Verbände zurückgreifen, um die eigenen Mitarbeiter zu
schulen. Die Bandbreite der angebotenen Veranstaltungen reicht dabei von der all-
gemeinen rechtlichen Schulung zu Themen des Arbeits- und Steuerrechts sowie
der Compliance, über Schulungen in den spezifischen Fachbereichen der jeweili-
gen Branchenverbände bis hin zur Ausbildung von Lehrlingen durch die Industrie-
und Handelskammern.
Viele Verbände geben ihren Mitgliedern auch die Möglichkeit, Wünsche für
die Themenwahl bei Fachveranstaltungen anzubringen oder bieten sogenannte
Inhouse-Schulungen zu spezifischen Themen an. So kann das eigene Wissen über
vielfältige Themenbereiche auch auf diese Weise vertieft werden. Die Weiterbil-
dungsveranstaltungen von Verbänden zeichnen sich daher auch durch ihre Nähe
22 Außenpositionierung zu Verbänden 281
Eine weitere wichtige – leider oft unterschätzte (sic!) – Säule der Verbandsarbeit
ist die Möglichkeit der Eingabe unternehmerischer Anliegen in den politischen
Prozess. Auch bei solchen Fragen gelingt es General Counsel und Rechtsabteilun-
gen immer wieder, sich einzubringen und sich dadurch im Unternehmen positiv
bemerkbar zu machen. Unternehmer sind auf wirtschaftsfreundliche Rahmenbedin-
gungen angewiesen. Es ist darum von großer Bedeutung, den Gesetzgeber immer
282 S. Luckert
wieder auf die Interessen der Wirtschaft hinzuweisen. Allein die Abgabe von
Stimmzetteln der Unternehmer bei Wahlen oder Volksabstimmungen ist hierfür oft-
mals nicht ausreichend und als einzelnes Unternehmen erhält man zumeist nicht
genügend Gehör. Verbände bündeln gleichlaufende Interessen ihrer Mitglieder und
können so auch den Anliegen Ihres Unternehmens das nötige Gewicht verleihen.
Ein aktuelles Beispiel aus der Praxis der bilateral tätigen Verbände ist die Proble-
matik hinsichtlich der grenzüberschreitenden Nutzung von Fahrzeugen für Grenz-
gänger. Hier setzen sich die Verbände für eine wirtschaftsfreundliche Lösung ein
und werden gehört. Das einzelne Unternehmen hätte für sich alleine nicht die not-
wendige Schlagkraft.
Nun mag die Interessensvertretung auf den ersten Blick nicht als ureigene Auf-
gabe einer Rechtsabteilung oder des General Counsel erscheinen. Doch auch sie
können von dieser Arbeit profitieren, indem sie gesetzgeberische Prozesse ansto-
ßen oder Vorhaben verhindern, die sich direkt auf ihre Arbeit auswirken würden.
Ein solches Vorgehen führt häufig zur Stärkung der Position der Rechtsabteilung
im Unternehmen. Zu nennen sind hier zum Beispiel die Vorstöße für die Einfüh-
rung der geschützten Berufsbezeichnung des Patentanwalts, für ein Unterneh-
mensjuristengesetz, eine Überarbeitung des Schweizer Kartellgesetzes oder die
Mitwirkung bei diversen Doppelbesteuerungsabkommen. Häufig besteht auch die
Möglichkeit, über Arbeitsgruppen in Verbänden direkt an gesetzgeberischen Pro-
zessen teilzuhaben und die Interessen des Unternehmens zu stärken.
Jeder Verband ist sowohl Dienstleistungserbringer als auch Basis eines umfas-
senden Netzwerks. Bei zahlreichen Veranstaltungen können Unternehmensvertre-
ter Beziehungen knüpfen und vertiefen sowie Erfahrungen austauschen. Bei den
klassischen Netzwerkanlässen wie Generalversammlungen und Apéros ist das
Publikum meist bunt gemischt und setzt aus allen Abteilungen und allen Hier-
archiestufen zusammen. Neben Wirtschaftsvertretern nehmen an diesen Anläs-
sen auch Persönlichkeiten aus Politik und der Öffentlichen Verwaltung teil, die
zumeist ein offenes Ohr für die Belange der Mitgliedsunternehmen haben. Bei
Weiterbildungsveranstaltungen trifft man hingegen vermehrt auf Spezialisten
aus dem betreffenden Fachbereich und kann so von deren spezifischen Erfahrun-
gen profitieren, respektive Fachwissen austauschen. In den Verbandsgremien, wie
Arbeits- und Erfahrungsgruppen oder dem Vorstand, können die Mitarbeitenden
der Mitgliedsunternehmen ihre Anliegen auch direkt in den Verband einbringen,
auf das vorhandene Know-how zugreifen sowie auf die Zielsetzung des Verbandes
Einfluss nehmen. In diesen Gremien nehmen neben Unternehmensjuristen auch
Geschäftsleitungsmitglieder und Finanzvorstände teil. Neben der Erweiterung der
eigenen Perspektive für die Belange der Geschäftsleitungsebene werden hier nicht
selten auch Kontakte für die spätere Berufslaufbahn geknüpft, ein Punkt, der nicht
unterschätzt werden sollte.
22 Außenpositionierung zu Verbänden 283
Daneben ist eine solche Mitwirkung auch für die Verbände von großer Bedeu-
tung, da nur so sichergestellt werden kann, dass den Interessen und dem Bedarf
der Mitgliedsunternehmen entsprochen wird. Möchte man nicht selbst in Erschei-
nung treten, kann der Verband darüber hinaus auch dazu verwendet werden, Erfah-
rungsberichte anonym über das Verbandsnetzwerk einzuholen.
Ein Praxisbeispiel auf diesem Gebiet ist die Möglichkeit, sich ohne Namens-
nennung über Verrechnungspreisgestaltung anderer Mitgliedsunternehmen zu
erkundigen.
Die Position eines General Counsel zeichnet sich dadurch aus, dass er die gesamte
Geschäftstätigkeit seines Unternehmens, ebenso wie die anderen Geschäftslei-
tungsmitglieder, überblicken und dadurch eine gewisse Weitsicht entwickeln kann.
284 S. Luckert
Hierbei kann eine Verbandsmitgliedschaft von großem Nutzen sein. Der Verband
versorgt den General Counsel mit dem nötigen – auch nicht juristischen – Wis-
sen und stellt ihm ein Netzwerk zur Verfügung, von dessen Praxiserfahrung er und
mithin auch sein Unternehmen ungemein profitieren können. Andererseits ermög-
licht eine aktive Mitgliedschaft im Verband, sich durch Vorträge oder Fachbeiträge
positiv zu positionieren. Dadurch können Sie Ihren eigenen Bekanntheitsgrad als
General Counsel und denjenigen Ihres Unternehmens erweitern. Für viele General
Counsel stellt dies nicht selten auch ein Sprungbrett für ihre Karriere dar (siehe
dazu auch Kap. 34 und 35).
Bei der Wahl eines Verbandes kommt es also in ganz entscheidendem Maße
darauf an, wie man selbst als Unternehmen oder Rechtsabteilung aufgestellt ist.
Um den größtmöglichen Nutzen einer Verbandsmitgliedschaft zu erreichen, sollte
man vorab definieren, in welchen Bereichen man eigene Kompetenzen hat, und
in welchen Bereichen man sich Unterstützung wünscht. Je nachdem kann es auch
sinnvoll sein, sich in Absprache mit den verschiedenen Abteilungen Ihres Unter-
nehmens strategisch geschickt in mehreren Verbänden zu organisieren: Wird vor
allem Fachwissen benötigt, empfiehlt sich das Engagement in einem der vielen
Fach- und Branchenverbände, wie beispielsweise Science Industries oder Swiss-
mem. Branchenübergreifende Verbände wie die Arbeitgeberverbände versorgen
die General und Legal Counsels auch mit Wissen über den Fachbereich hinaus und
stellen dadurch eine ausgezeichnete Plattform zur übergreifenden Vernetzung zur
Verfügung. Engagiert sich Ihr Unternehmen im Ausland, ist eine Mitgliedschaft in
einem grenzüberschreitenden Verband wie der Vereinigung Schweizerischer Unter-
nehmen in Deutschland (VSUD) oder einer Außenhandelskammer zu empfehlen.
Hier kann man gerade im Zusammenhang mit einer Geschäftstätigkeit im Aus-
land enorm von der Erfahrung des Verbandes und seiner Mitgliedsunternehmen
profitieren und so oftmals kostenintensive Fehler vermeiden. Um die Verbände
kennenzulernen und sich einen guten Überblick über deren Tätigkeit sowie deren
Mitgliederstruktur zu verschaffen, empfiehlt sich der Besuch der Mitgliederver-
sammlungen, der in den meisten Fällen auch interessierten Nichtmitgliedern offen-
steht. Dadurch können Sie sich von Anfang an optimal strategisch positionieren.
Prüfen Sie daher zuerst einmal das bestehende Verbandsportfolio Ihres Unter-
nehmens. Oftmals wird aus einer bereits vorhandenen, aber brachliegenden pas-
siven Verbandsmitgliedschaft ein aktives Engagement. Reicht dieses nicht aus, so
sehen Sie sich nach weiteren interessanten Verbänden um. Nicht selten erwach-
sen dem General und den Legal Counsel aus aktiven Mitgliedschaften heraus neue
Impulse für die weitere Karriere im eigenen oder in anderen Mitgliedsunterneh-
men.
Literatur
Nicklich M, Helfen M (2016) Mitgliedermanagement von Meta-Organisationen: Arbeitgeberver-
bände und ihre Mitglieder. In: Schroeder W, Wessels B (Hrsg) Handbuch Arbeitgeber- und
Wirtschaftsverbände in Deutschland. Springer VS, Heidelberg
22 Außenpositionierung zu Verbänden 285
„Tue Gutes und sprich darüber“ lautet ein bewährtes PR-Prinzip, das der Vertrau-
ensbildung jedoch kaum dienlich ist. Vertrauen entsteht durch Verlässlichkeit und
Berechenbarkeit, durch Authentizität und Wahrhaftigkeit, durch Transparenz und
Dialog; auch durch das Eingestehen und Korrigieren von Fehlern. Gemäß dem
Prinzip walk the talk ist es wichtig, die Erwartungen der jeweiligen Anspruchs-
gruppe angemessen zu steuern. Wenn die Erwartungen von Mitarbeitenden,
Kunden oder Investoren fehl geleitet werden, muss das Vertrauen über Jahre von
Neuem aufgebaut werden. Kommunikation ist somit keine Feuerwehrübung, son-
dern muss sich zum Ziel setzen, den Dialog permanent zu pflegen. Eine solch pro-
aktive Kommunikation und ein permanentes public exposure stehen im Gegensatz
zur defensiven Haltung der Juristen gegenüber der Öffentlichkeit. Legal Opera-
tions haben in der Regel kein Interesse daran, das eigene Unternehmen permanent
ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit zu rücken, weil darin eine erhöhte Gefahr
hinsichtlich des legal exposure gesehen wird.
Weil die Ausübung seiner Stabsfunktion an das persönliche Vertrauen des CEO
geknüpft ist, überlebt der Kommunikationsverantwortliche einen Führungswechsel
häufig nicht. Sein Kollege im Rechtsdienst, ebenfalls eine Stabsfunktion, hat hin-
gegen weitaus bessere Chancen bei einem Wechsel der Geschäftsleitung. Ein CEO
wählt mit dem Kommunikationsleiter nicht nur einen Reputationsmanager für
das Unternehmen, sondern auch für sich selbst und seinen Leistungsausweis. Im
Unterschied dazu wird sich der General Counsel in der Regel davor hüten, der per-
sönliche Anwalt des CEO zu werden (siehe dazu auch Kap. 16). Wenn der Kom-
munikationsverantwortliche nicht über das Vertrauen seines Vorgesetzten verfügt,
helfen ihm weder best practice noch sein internes oder externes Netzwerk. Der
General Counsel hingegen ist weniger abhängig von Ego und Perzeption des CEO.
290 M.W. Gurtner
Wichtigstes Werkzeug der Legal Operations wie auch der Public Relations sind
die gesprochene und geschriebene Sprache. Wer gehört werden will, muss sich
kurz und verständlich ausdrücken, was sich in der PR mit „KISS“ umschreiben
lässt, keep it simple and short. Die Kommunikationsinhalte sollten faktenbasiert,
kurz und allgemein verständlich sein, mit einer Botschaft beginnen und diese
wiederholen. Für die wirkungsvolle Kommunikation spielen Wahrnehmungs-
orientierung und Redundanz eine entscheidende Rolle. Anders funktioniert die
Argumentation im Rechtsbereich, wo Spezialisten differenziert mit ihresgleichen
kommunizieren, wo die Sprache fachspezifisch und für die Allgemeinheit wenig
verständlich ist (siehe dazu auch detailliert Kap. 31). Die Kommunikation hat mit
vielen „Köchen“ zu kämpfen, da viele Menschen glauben, professionell formulie-
ren und argumentieren zu können. Doch Redaktionsübungen im erweiterten Kreis
sind oft mühsam und ineffizient. Der CEO ist darum gut beraten, die Redaktions-
verantwortung dem Kommunikationsverantwortlichen (Chief Communications
Officer) zu überlassen. Unverzichtbar ist jedoch die Redaktion aller zu veröffent-
lichenden Texte durch den Rechtdienst. Die Erfahrung zeigt, dass Public Relations
und Legal Operations in diesem Bereich gut zusammen arbeiten, weil sie sich in
ihrer Affinität zur Sprache und präzisen Ausdrucksweise finden und gegenseitig
ergänzen. Dem Legal Counsel selbst pfuschen weniger „Amateurköche“ in dessen
Handwerk, da sein professionelles Rechtsterrain auch sein eigener Turf bleibt. Er
allein setzt die Vorgaben von Management und Operations zum Beispiel im Ver-
tragswerk um.
Die Digitalisierung hat die Art und Weise, wie wir privat und öffentlich mitein-
ander kommunizieren, völlig verändert. Das Internet gibt es seit 1969, E-Mails
seit 1971, das World Wide Web seit 1989, Google seit 1989, Wikipedia seit 2001
und Facebook seit 2004. Dank Verkabelung, Mobilfunk sowie PC, Laptop, Tablet
und Smartphone sind die neuen Formen der Kommunikation und Mediennutzung
innerhalb von 20 Jahren Teil unseres Alltags geworden. Miniaturisierung, leichte
Bedienbarkeit und schickes Design machen es – Apple sei Dank – möglich. Wir
sind überall und immer erreichbar, wünschen überall und zu jeder Zeit Kontakt
zu Geschäftspartnern und Freunden sowie den Zugang zum Informations- und
Medienangebot aufrecht zu halten. Es gilt anything! anywhere! anytime! Wer mit
den digitalen Medien aufgewachsen ist, kauft in der Regel keine Zeitung mehr,
hört nicht linear Radio und schaut auch kein lineares Fernsehen mehr, sondern
nutzt die Medien überall zeitversetzt; kommuniziert und tauscht sich permanent
aus.
In der neuen digitalen Medienwelt kommunizieren viele mit vielen, nicht mehr
einer oder wenige mit allen. Virtuelle Gruppen haben die analogen Gemeinschaf-
ten abgelöst. Das Internet ist die digitale Version des mittelalterlichen Marktplat-
zes, auf dem Waren, Dienstleistungen und Unterhaltung angeboten werden, wo
öffentliche Verlautbarungen ausgerufen werden und sich Geschichtenerzähler
und Gaukler anbieten, wo Gerüchte verbreitet werden und der öffentliche Pranger
steht, damit das Volk die Geächteten begaffen kann. Archive und Suchmaschinen
verleihen diesem Marktplatz nun auch ein Gedächtnis. In der digitalen Welt ist die
Information nicht mehr flüchtig, ist die Berichterstattung von gestern nicht mehr
„Schnee von gestern“. Das Internet hat das Wissen nicht nur archiviert, sondern
auch demokratisiert. Von den Mitarbeitenden bis zu den Konsumenten verfügt das
Publikum über mehr Wissen und Transparenz, ist damit ein wesentlich anspruchs-
vollerer Kommunikationspartner geworden als dies noch vor 20 Jahren der Fall
war.
Die Möglichkeiten der digitalen Technologie verändern auch das Wirtschaften und
die Wirtschaft mit zunehmender Geschwindigkeit. Hergebrachte Geschäftsmodelle
werden abrupt durch völlig neue verdrängt, man spricht in diesem Zusammen-
hang von disruptive technologies und disruptive innovations. Geschäftsleitungen
inklusive Rechts- und Kommunikationsfunktionen sind daher gefordert. Beispiele
dieser digitalen Technologien sind etwa Lexika (Wikipedia), der Inseratenmarkt
(Internetportale), der Briefpostversand (E-Mail), CD und DVD (Musik- und
292 M.W. Gurtner
werden. Wichtige Exponenten erwarten aber persönlich eine Einordnung der Cor-
porate News. Mit Gruppenpräsentationen, Gruppenmails und Telefonkonferenzen
ist dies möglich.
Die neue Managergeneration mailt, twittert und bloggt. Der Dienstweg wird vom
„digitalen Latrinenweg“ überholt. Das hat Auswirkungen auf die Unternehmens-
kultur und -struktur, denn Zwischenhierarchien werden überflüssig, Widersprüche
treten häufiger zutage und Selbstkontrolle tritt an die Stelle von Fremdkontrolle.
Bürokratisch und hierarchisch ausgerichtete Institutionen haben ihre liebe Mühe
damit. In erfolgreichen Organisationen treten Ziele und Werte an die Stelle von
Befehl und Kontrolle. Permanente Projektarbeit über Abteilungen und Hierarchien
hinweg ergänzt und bestimmt den Alltag. Flexible und mobile Arbeitsinseln lösen
starre Infrastruktur und Büros ab und fördern den gegenseitigen Austausch. Die
Grenze zwischen Arbeit und Privatleben wird unscharf, private und berufliche
Netzwerke überschneiden und vermischen sich. Die Mitarbeitenden nehmen heute
nicht nur ihre Arbeit nach Hause, sondern mit Laptop und Smartphone auch ihr
privates Umfeld mit ins Büro (siehe dazu auch Kap. 43). Und im fortschrittlichen
Betrieb finden sie wieder, was sie privat schon nutzen: Das interne who is who
dient wie LinkedIn oder Xing als Expertenplattform, auf der sich Subgruppen zu
einzelnen Themen austauschen und Arbeitsgruppen konstituieren, das Vorschlags-
wesen online ist eine offene Plattform, der meeting maker mit gegenseitiger
Agenda-Einsicht ist die Regel, das interne Expertenlexikon dient als „Unterneh-
mens-Wiki“, zu dem alle Mitarbeitenden individuell beitragen können.
sind sie eher Coach denn Chef, kollegialer Ratgeber statt Kontrolleur, Teamplayer
statt Einzelgänger.
Dennoch und gerade darum sind die Inhaber dieser beiden Funktionen gut bera-
ten, messbare Ziele vorzugeben und mit entsprechendem Controlling sicherzustel-
len, dass diese auch erreicht werden. Dazu gehören Konzepte für ein effizientes
und kundenorientiertes Vorgehen, eine formulierte Best Practice, Richtlinien für
die Zusammenarbeit mit externen Spezialisten, Budgets mit klarer Verantwort-
lichkeit. Expertenberatung und Coaching von Linienverantwortlichen erhöhen die
interne Akzeptanz von Public Relations und Legal Operations, werden quasi zur
sichtbaren Visitenkarte beider Bereiche. Auch sollten sich beide mit einem regel-
mäßigen Aus- und Weiterbildungsangebot an exponierte Mitarbeitende im Unter-
nehmen wenden (siehe dazu auch detailliert Kap. 51). Angeboten werden etwa
Auftrittskompetenz, Krisen- und Markenkommunikation oder Arbeitsrecht, Ver-
handlungsführung und Wettbewerbsrecht. Das sind Beispiele für beste interne PR
des Rechtsdienstes und der Unternehmenskommunikation. Hausjuristen und Kom-
munikatoren sind darum didaktisch gefordert, sollten nebst ihrem Fachwissen über
Auftrittskompetenz und didaktisches Geschick verfügen, um sich und ihren Anlie-
gen Gehör zu verschaffen.
Medien entscheiden täglich, worüber sie berichten, was für ihr Zielpublikum rele-
vant sein soll. Was für das Publikum relevant ist, entspricht nicht unbedingt sei-
ner Vorliebe. Für die Publikumsgunst gibt es zuverlässige Messlatten wie Quote
und Auflage, die sich kapitalisieren lassen. Der Relevanz hingegen fehlt es an einer
Maßeinheit und einer entsprechenden Währung. Medien unterscheiden sich wei-
ter darin, wie sie über ein Thema berichten. Idealerweise bieten sie Orientierung,
indem sie Information überprüfen und filtern, Hintergründe recherchieren und
Zusammenhänge darstellen. Das führt zu einigen – auch für die Legal Operations –
wichtigen Fragen:
• Welche Rechte haben wir gegenüber den Medien? Sollen wir eine Veröffentli-
chung verzögern oder verhindern? Meine Antwort: Ja, aber nur, wenn wir die
dadurch gewonnene Zeit auch sinnvoll nutzen.
• Eine Gegendarstellung veranlassen? Ja, aber wir sollten uns von deren Wirkung
nicht allzu viel versprechen. Sie ist lediglich eine archivierte Barriere gegen
weiteres kritikloses Abschreiben ohne Rückfrage.
• Eine unabhängige Beschwerdeinstanz anrufen? Ja, interessiert daran sind pri-
mär Wissenschaft und Lehre, die Wirkung auf die öffentliche Wahrnehmung
kann vernachlässigt werden.
• Eine Klage wegen Persönlichkeitsverletzung anstrengen? Für eine Privatper-
son ist dies durchaus eine Option; für Unternehmen in der Regel jedoch kein
taugliches Mittel, da deren Schutz nur über den Umweg des unlauteren Wettbe-
werbs oder konkreter Schäden (beispielsweise bei Umsatz oder Image) und den
jeweiligen Kausalzusammenhang einklagbar ist. Vor allem bleibt die negative
Geschichte aber über Monate, wenn nicht Jahre in den Schlagzeilen mit ent-
sprechend negativen Auswirkungen; und genau diese gilt es zu vermeiden.
296 M.W. Gurtner
Neben den drei Gewalten Executive, Legislative und Judikative hat sich eine vierte
etabliert – die der Medien. Diese verweisen bei jeder sich bietenden Gelegenheit
auf ihre unverzichtbare Funktion in einer Demokratie. Doch für das Funktionieren
einer Demokratie ist die Gewaltentrennung eine Grundvoraussetzung. Medien sol-
len informieren und Orientierung schaffen, auch infrage stellen. Es ist aber nicht
ihre Aufgabe, zu richten. Der Imperativ der Gewaltentrennung gilt auch für die
sensationslustige Vorverurteilung von Institutionen, Unternehmen und Privaten,
für die Instrumentalisierung von Medien vor und während laufenden Rechtsver-
fahren.
Anwälte bedienen sich zur Erreichung ihrer Ziele zunehmend der Mobi-
lisierung der öffentlichen Wahrnehmung. Nicht nur in den USA betreiben
Anwaltsbüros Werbung, um möglichst viele Kläger für lukrative Sammelkla-
gen zu akquirieren. Karrieresüchtige Staatsanwälte informieren die Medien vor
23.5.1 Krisenprävention
Die Weichen für ein effizientes Krisenmanagement werden bereits vor der Krise
gestellt; eine gute Vorbereitung ist die „halbe Miete“. Digitale Erreichbarkeitslis-
ten helfen bei der Alarmierung, denn Krisen halten sich weder an Feiertage noch
an Bürozeiten. Auf diese Liste gehören auch key people in diversen Anspruchs-
gruppen, wie beispielsweise den Medien, Aktionären oder Behörden. Zur optima-
len Vorbereitung gehört ebenfalls ein Krisenstab mit klaren Verantwortlichkeiten,
der sich regelmäßig trifft und anhand realistischer Szenarien oder aktueller Krisen
übt, wie er handeln und kommunizieren würde, wäre er selbst betroffen. In diesen
Krisenstab gehören in jedem Fall ein Vertreter der PR und der Legal Operations.
Von aktuellen Case Studys lässt sich lernen und best practice ableiten, beispiels-
wiese für den Produkterückzug oder für Arbeitskonflikte, für Übernahmen oder
Zusammenschlüsse, für Liquiditätsengpässe oder strafrechtlich relevantes Ver-
halten von Mitarbeitenden. Geregelt werden muss, wer welche Anspruchsgruppe
informiert und deren Feedback einholt. Gerade in der Krise ist echter Dialog
gefragt und vertrauensbildend. Nicht die „veröffentlichte“ Meinung ist ausschlag-
gebend, sondern die „öffentliche“. Zudem ist nicht die gesamte Öffentlichkeit
wichtig, sondern die repräsentative Meinung wichtiger Exponenten unter den Mit-
arbeitenden, Kunden, Aktionären etc. Zur Prävention gehören auch eine Ausbil-
dung in Auftrittskompetenz und Medientraining. Unter Stress zu kommunizieren
braucht ein stabiles Nervenkostüm. Flatternervige und Selbstdarsteller sollte man
vorher erkennen und aussortieren.
298 M.W. Gurtner
Im Unternehmensalltag, vor allem aber in der Krise, gibt es immer mehrere Wahr-
heiten. Für den CEO ist wahr, was ihm zur Zielerreichung hilft. Ein CEO darf
sich nicht von Störmanövern irritieren und ablenken lassen. In der Krise behält
er sein Ziel im Auge, ist allenfalls bereit, seine Strategie anzupassen, aber nicht
das Ziel. Für den General Counsel ist wahr, was dem Unternehmen nicht Scha-
den zufügen kann. Vor der Krise ist er ein zuverlässiger Warner, in der Krise ist er
hingegen gegen Transparenz, denn alles, was kommuniziert wird, kann rechtlich
gegen das Unternehmen verwendet werden. Sein Maßstab besteht aus Recht und
Gesetz, nicht aus Moral oder Wahrnehmung. Im Gegensatz dazu ist für den Kom-
munikationsverantwortlichen wahr, was der öffentlichen Wahrnehmung entspricht:
perception is reality. Seine Aufgabe besteht darin, Vertrauen und Image zu erhal-
ten. Es ist seine Aufgabe, vor der Krise Warnsignale zu erkennen, zu bewerten
und zu verdichten. Während der Krise will er wissensgemäß und wahrnehmungs-
orientiert kommunizieren. Sein Maßstab ist die Wahrnehmung der verschiedenen
Anspruchsgruppen und sein Ziel ist es, das Vertrauen zu erhalten. Im Dreieck der
drei beschriebenen Wahrheiten wird in der Krise um Entscheide gerungen. Nur
in einem sollten sich die drei Exponenten nicht widersprechen: Wer in die Krise
gerät, muss so schnell wie möglich wieder raus. Dieser Imperativ setzt Vorberei-
tung, schnelles Handeln und Kommunizieren voraus.
Opportunismus den Medien oder Behörden andienen und damit eine Krise
begründen, ausweiten und verschärfen können.
• Wo das involvierte Management nicht aktiv kommuniziert oder keinen Hand-
lungsbedarf sieht, muss der Aufsichtsrat den Krisenstab mandatieren. Gemäß
good corporate governance ist dieser für das betriebliche Kontinuitätsmanage-
ment (business continuity) verantwortlich.
• Wer eigene Aussagen korrigieren muss, hat verloren. Jedes Dementi hinterlässt
deutliche Spuren, so wie der Senf, der sich – einmal rausgerückt – nicht mehr
in die Tube zurückbefördern lässt.
• Das Prozessrisiko ist immer ein noch größeres Image-Risiko. Gerichtliche Aus-
einandersetzungen verbreiten die negative Geschichte und halten sie am Leben,
häufig über Jahre. Die öffentliche Wahrnehmung kennt auch eine moralische
Verantwortung über Recht und Gesetz hinaus.
• In der Krise geht der Alltag weiter, darf das eigentliche Geschäft nicht ver-
nachlässigt werden. Die Konkurrenz nützt die Krise, analysiert Schwächen und
profitiert davon. Darum muss dem operativen Management der Rücken freige-
halten, das Krisenmanagement klar davon getrennt werden.
Literatur
Kley A (2000) Die Medien im neuen Verfassungsrecht. In: Zimmerli U (Hrsg) Die neue Bundes-
verfassung – Konsequenzen für die Praxis und Wissenschaft. Stämpfli, Bern
Schneider M, Kahn DM, Zenhäusern M, Häring W (2003) Integrale Markenführung – 14 Grund-
sätze, wie Markenwert geschaffen, geschützt, berechnet und vermehrt wird. Haupt, Bern
Watzlawick P (2003) Wie wirklich ist die Wirklichkeit. Wahn, Täuschung, Verstehen. Sonderaus-
gabe, Piper, München
Der Kontakt zu Behörden und die Einhaltung von Bestimmungen des öffentlichen
Rechts haben auch für Unternehmen der Privatwirtschaft große Bedeutung. Für
viele Vorhaben sind staatliche Bewilligungen nötig und der Staat kann auch –
etwa bei der Vergabe von umfangreichen Infrastrukturprojekten – ein bedeutender
Kunde, respektive Auftraggeber sein. Wichtig für ein besseres Verständnis und
eine problemlose Zusammenarbeit mit Behörden ist das Bewusstsein der grund-
sätzlich verschiedenen Interessenlage und rechtlichen Rahmenbedingungen im
Vergleich zur Privatwirtschaft.
Ziel der Behörden ist nicht die Erwirtschaftung von Gewinn, sondern die
rechtsstaatlich korrekte Abwicklung der hängigen Verfahren. Ganz zentral ist
dabei das Legalitäts- oder Gesetzmäßigkeitsprinzip. Es besagt, dass sich das
gesamte Verwaltungshandeln an den gesetzlichen Grundlagen auszurichten hat.
Wo es an gesetzlichen Grundlagen fehlt, ist der Behörde untersagt, Rechte oder
Pflichten von Privaten zu gestalten. Dies schränkt die Handlungsfreiheit der
Behörde im Vergleich zu einem Unternehmen der Privatwirtschaft natürlich mas-
siv ein: Vielfach darf die Behörde nicht, obwohl sie gerne wollte. Eine gewisse
Inflexibilität beim Kontakt mit Behörden ist deshalb oft nicht auf mangelnde
Dienstleistungsorientierung oder Hilfsbereitschaft zurückzuführen, sondern auf
die rechtlichen Rahmenbedingungen, die die Behörden einzuhalten und über deren
Einhaltung sie zu wachen haben. Der Fokus der Behörden liegt deshalb klar auf
der Einhaltung und Durchsetzung der einschlägigen Bestimmungen. Dies muss
der Legal Counsel in der Privatwirtschaft immer im Auge behalten und sich wäh-
rend der Aus- und Weiterbildung der nicht juristisch geschulten Mitarbeitenden
D. Egli (*)
Stadt Winterthur, Winterthur, Schweiz
1(Deutsches) Verwaltungsverfahrensgesetz vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), das zuletzt
durch Gesetz vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2010) geändert worden ist.
24 Außenpositionierung zur Öffentlichen Verwaltung 305
Rechtsmittel an eine höhere Instanz ergreifen zu müssen, wofür in der Regel der
Beizug eines externen Rechtsanwaltes nötig ist. Aber selbstverständlich gibt es
auch in der Schweiz Verbesserungspotenzial. Durch Empathie, durch Verständnis
für die Interessenlage der anderen Seite und das Einhalten der gegebenen Regeln
kann das Verhältnis zwischen Unternehmen und Behörden weiter verbessert wer-
den (siehe dazu auch Kap. 5).
24.3 Bewilligungswesen
3Interkantonale
Vereinbarung vom 25. November 1994/15. März 2001 über das öffentliche
Beschaffungswesen (IVöB).
308 D. Egli
Dies hat ganz direkte Auswirkungen auf die Arbeit des Legal Counsel: Regeln,
die im Wettbewerb um Aufträge privater Auftraggeber gelten, haben bei öffent-
lich-rechtlichen Submissionen keine Gültigkeit, oft gilt gerade das Gegenteil:
Gleichbehandlung bedeutet, dass gewisse soziale Netzwerke, die in einem Unter-
nehmen gepflegt werden, keine Rolle mehr spielen dürfen. Transparenz muss
beachtet werden, es sollte also nichts verheimlicht werden. Im Hinblick auf die
wirtschaftliche Verwendung von öffentlichen Mitteln kann ein Unternehmen so
auch plötzlich unter Beobachtung der Öffentlichkeit stehen, was wiederum Risi-
ken, insbesondere Reputationsrisiken nach sich ziehen kann. Um das Verfahren
jedermann zugänglich zu machen, wurde ein dichtes Regelwerk auf allen legis-
latorischen Ebenen entwickelt. Als Beispiele sind auf internationaler Ebene das
Gouvernement Procurement Agreement (GPA) und das Abkommen zwischen der
Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über
bestimmte Aspekte des öffentlichen Beschaffungswesens, auf nationaler Ebene die
Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB), auf
kantonaler Ebene zum Beispiel das Gesetz über den Beitritt des Kantons Zürich
zur IVöB und die Submissionsverordnung und auf kommunaler Ebene die Verga-
beregister zu erwähnen. In der Schweiz werden daher folgende vier Verfahrensar-
ten unterschieden (Art. 12 Abs. 1 IVöB): Das offene, das selektive, das freihändige
und das Einladungsverfahren. Ähnliche Verfahrensarten gibt es auch in Deutsch-
land und Österreich.
Zudem gibt es im öffentlichen Beschaffungsrecht eine weitere Besonderheit:
Erreicht das Auftragsvolumen die sogenannten „Schwellenwerte“ nicht, muss der
Auftrag nicht öffentlich ausgeschrieben werden (offenes/selektives Verfahren),
sondern kann freihändig oder im Einladungsverfahren vergeben werden. Dazu gibt
es zwar Ausnahmen, bei deren Vorliegen trotz Überschreiten der Schwellenwerte
freihändig vergeben werden darf (zum Beispiel besondere Dringlichkeit nach § 10
Submissionsverordnung Kanton Zürich). Diese sind aber nur mit großer Zurück-
haltung anzuwenden, um die erwähnten Ziele und Grundgedanken des Submissi-
onsrechts nicht auszuhebeln.
Beispiel
Streng ist auch die Handhabung der Ausschreibung im konkreten Fall, wie
nachfolgendes Beispiel aus dem Bereich Lebensmittellieferungen aufzeigt: Die
Zuschlagskriterien, zum Beispiel Preis (Gewichtung 70 %), Leistung (Gewich-
tung 20 %) und Qualität (Gewichtung 10 %) werden von der beschaffenden
Behörde im Voraus bekannt gegeben und anschließend bei allen angemelde-
ten Anbietern geprüft: Unter dem Eignungskriterium Preis erhält das allgemein
günstigste Angebot die maximale Punktzahl, auch wenn die offerierten Preise
außerordentlich nahe zusammen liegen. Unter dem Eignungskriterium Leis-
tung werden dann von allen Anbietern vergleichbare Referenzen oder genau
definierte Muster eingefordert. Diese müssen in der vorgegeben Zeit an den
richtigen Ort geliefert werden. Bei den Musterlieferungen werden die rich-
tige Kalibrierung sowie die korrekte Anlieferungstemperatur genau überprüft.
24 Außenpositionierung zur Öffentlichen Verwaltung 309
Die maximale Punktzahl wird nur dann erreicht, wenn alle Unterkriterien
erfüllt sind. Liefert ein Anbieter ein falsches Produkt oder hat das Produkt bei
der Anlieferung eine zu hohe Temperatur, kann nicht die maximale Punktzahl
vergeben werden. Schließlich werden die gelieferten Muster unter dem Eig-
nungskriterium Qualität in einem Gremium von 10 Personen (Kaderpersonen
aus Küchen und Restaurants) mittels einer Blinddegustation auf die Krite-
rien Konsistenz sowie den allgemeinen Geschmack getestet und mit Punkten
bewertet. Das Ergebnis dieser Punktzahlen ist bindend, auch wenn es sehr
knapp ausfällt. Ein Ermessensspielraum besteht nicht mehr. Aus wirtschaftli-
chen und rechtlichen Gründen sind die Behörden zur einheitlichen und trans-
parenten Beschaffung verpflichtet. Kann ein Unternehmen nicht die aktuell
geforderte Produktepalette anbieten, ist eine Berücksichtigung bei der Submis-
sion nicht möglich, selbst wenn das Unternehmen während langen Jahren für
das entsprechende Gemeinwesen als Lieferant tätig war.
4Vgl. Informationsbroschüre für Anbietende, Verbände und Behörden, KöB, Baudirektion des
Kantons Zürich, Ausgabe 2012.
5Submissionen werden in der Schweiz in Amtsblättern sowie im Internet (www.simap.ch) publi-
ziert.
310 D. Egli
muss dabei ganz anders denken als beim Verhandeln mit privaten Auftraggebern.
Die Mitarbeitenden im Einkauf müssen sensibilisiert werden, dass es sich hierbei
um ein sehr formalisiertes Verfahren handelt, bei welchem persönliche Beziehun-
gen keine Rolle spielen und streng nach den schriftlich eingereichten Unterlagen
entschieden wird.
• Verlangte Nachweise (zum Beispiel betreffend Eignung) beifügen: Die
entsprechenden Nachweise müssen in jedem Verfahren neu und schriftlich
erbracht werden. Dass „man sich kennt“ und bereits in einem früheren Aus-
schreibungsverfahren den Zuschlag erhielt, genügt nicht und das Vertrauen dar-
auf kann zu bösen Enttäuschungen führen.
• Einreichungsort beachten: Die Unterlagen sind der genau bezeichneten
Stelle einzureichen. Werden sie an eine falsche Stelle geschickt, besteht keine
Gewähr, dass sie berücksichtigt werden.
• Unbedingt Fristen einhalten (Eingang bei Vergabestelle ist maßgebend!):
Auch hier gilt, dass Zuständigkeiten und Verantwortungen unternehmensintern
festgelegt werden. Bei verpasster Frist besteht keine Möglichkeit mehr, Unter-
lagen nachzureichen. Der Auftrag ist verloren.
• Bekanntmachung des Zuschlags und Beschwerdefrist beachten: Bei Nicht-
erhalt des Zuschlags lohnt es sich eventuell, vorsorglich Beschwerde zu erhe-
ben, um im Rahmen des Verfahrens Akteneinsicht zu erhalten. Dadurch können
etwaige Prozesschancen besser abgeschätzt werden, zumal bei erkannter Aus-
sichtslosigkeit die Beschwerde auch wieder zurückgezogen werden kann.
Schließlich ist auf eine weitere, sehr wichtige Schnittstelle zwischen Privatwirt-
schaft und Öffentlicher Verwaltung einzugehen, welche eng mit dem Submissions-
wesen verknüpft ist: Der Themenkreis Korruption und Korruptionsprävention.
Beiden Bereichen gemeinsam ist das Anliegen, transparenten Wettbewerb mit fai-
ren, gleichen Chancen für alle Anbietenden zu garantieren, auch – und gerade –
wenn diese nicht bereits über enge Beziehungen zu den Ausschreibenden
verfügen. Weltweit gibt es wenig Erfolge im Kampf gegen die Korruption. Dies
zeigt der Korruptionsindex von Transparency International (Corruption Percep-
tions Index)6. In den meisten Ländern ist die Situation eher schlechter geworden.
Zwei Drittel der 177 untersuchten Länder wurden auf einer Skala von 0 (beson-
ders korrupt) bis 100 (korruptionsfrei) unter der Mitte von 50 eingestuft. Die
Schweiz liegt auf Rang 7, Deutschland auf Rang 12. An der Spitze der Rangliste
liegen die skandinavischen Staaten, in denen Bestechlichkeit offenbar kaum eine
Rolle spielt. An der Schweiz kritisiert Transparency International insbesondere
den mangelnden Schutz für Whistleblower. Mit Blick auf Deutschland weckt vor
allem der steigende Einfluss von Lobbyisten Bedenken.7 Nach einer Schätzung der
EU-Kommission kostet die Korruption die europäische Wirtschaft rund
120 Mrd. EUR jährlich.8
Im Bereich Korruptionsbekämpfung gibt es durchaus übereinstimmende Inter-
essen zwischen Behörden und Unternehmensjuristen: Beide haben sicherzustellen,
dass die geltenden rechtlichen Bestimmungen eingehalten werden (Compliance;
siehe dazu auch Kap. 54). Insbesondere gilt es, Straftaten von Mitarbeitenden zu
verhindern (aktive und passive Bestechung). Abgesehen von konkreten Rechts-
folgen besteht für Unternehmen und Behörden auch die Gefahr eines Reputati-
onsschadens, selbst wenn es am Ende nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung
kommt. Letztlich profitieren beide Seiten von der Verhinderung von Vetternwirt-
schaft und von einem transparenten Wettbewerb: Die Behörden – und damit die
Allgemeinheit der Steuerzahler –, weil nur das wirtschaftlichste, sprich günstigste
Angebot obsiegt. Das Unternehmen, weil es eine faire Chance auf Auftragsver-
gabe erhält, sofern es die beste Offerte anbieten kann.
Ein Hauptproblem in der Praxis ist die Abgrenzung von zulässigen Kundenge-
schenken und Einladungen zu strafbarer Korruption. Leider gibt es hierzu keine
allgemeingültigen, klaren Regeln. Nachfolgend sollen diese an Beispielen im
Bund, im Kanton Zürich und der Stadt Winterthur dargestellt werden: Gemäß
Art. 21 Abs. 3 BPG9 darf das Personal weder für sich noch für andere Geschenke
oder sonstige Vorteile beanspruchen, annehmen oder sich versprechen lassen,
wenn dies im Rahmen des Arbeitsverhältnisses geschieht. Die Annahme von
geringfügigen und sozial üblichen Vorteilen gilt nicht als Geschenkannahme im
Sinne des Gesetzes. Als geringfügige Vorteile gelten Naturalgeschenke, deren
Marktwert 200 Franken nicht übersteigt. Angestellten, die an einem Beschaffungs-
oder Entscheidprozess beteiligt sind, ist auch die Annahme von geringfügigen und
sozial üblichen Vorteilen untersagt, wenn der Vorteil offeriert wird von einem
effektiven oder potenziellen Anbieter, einer Person, die an einem Entscheidprozess
beteiligt oder davon betroffen ist oder ein Zusammenhang zwischen der Vorteils-
gewährung und dem Beschaffungs- oder Entscheidprozess nicht ausgeschlossen
werden kann. Können Angestellte Geschenke aus Höflichkeitsgründen nicht
ablehnen, so liefern sie diese der zuständigen Stelle ab. In Zweifelsfällen klären
die Angestellten mit den Vorgesetzten die Zulässigkeit der Annahme von Vorteilen
ab (Art. 93 Abs. 1 BPV10). Das Gesagte gilt analog für Einladungen (Art. 93a
BPV). Für Personen, die an einem Beschaffungsprozess beteiligt sind gilt also auf
Bundesebene eine Null-Toleranz-Regel, die auch geringfügige und sozial übliche
Vorteile ausschließt.
Daneben können aber noch zusätzlich interne Weisungen bestehen. So hat das
Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) zum Beispiel weitergehende interne
Weisungen erlassen, die die oben erwähnten allgemeinen Vorschriften präzisieren
und verschärfen. Für Mitarbeitende des BBL ist die Annahme von Geschenken
oder Vorteilen für sich oder für andere auch untersagt, wenn diese geringfügig
oder sozial üblich sind. Ausnahmsweise ist bei der Teilnahme an Messen, Informa-
tionsveranstaltungen etc. nur die Einnahme eines Aperitifs oder kleinen Imbisses,
die Annahme eines Werbegeschenks mit Firmenaufdruck von geringfügigem Wert
(Dokumentation, Kugelschreiber, Notizblock, Memory-Stick etc.) erlaubt, wenn
dieses allen Teilnehmenden angeboten wird. Bei Referententätigkeit sind Natural-
präsente von bescheidenem Wert (Wein, Pralinen, Blumenstrauß etc.) gestattet.
Die Annahme von Einladungen, namentlich zu Unterhaltungsanlässen oder Gratis-
reisen, ist jedoch klar verboten. Die Annahme von Einladungen zu Fachanlässen
bedarf der schriftlichen Bewilligung des Bereichsleiters. Im Rahmen dieser Fach-
anlässe ist die Annahme von Pausenverpflegungen, einem Aperitif und/oder einem
Essen erlaubt, sofern diese allen Teilnehmenden angeboten werden. In seine Ver-
träge mit Dritten nimmt das BBL schließlich regelmäßig eine Integritätsklausel
auf, die bei Bestechungsversuchen seitens der Anbieter Konventionalstrafen und
die Möglichkeit der Vertragsauflösung vorsehen. Dadurch werden die Lieferanten
für die Thematik sensibilisiert.11
Auch auf kantonaler Ebene, zum Beispiel im Kanton Zürich, dürfen Angestellte
gemäß § 50 Personalgesetz12 keine Geschenke oder andere Vergünstigungen für
sich oder für andere annehmen oder sich versprechen lassen, die im Zusammen-
hang mit ihrer dienstlichen Stellung stehen oder stehen könnten. Ausgenommen
sind Höflichkeitsgeschenke von geringem Wert. Bestehen Zweifel, ob ein gering-
fügiges Höflichkeitsgeschenk die Unabhängigkeit von Angestellten beeinträchti-
gen könnte, entscheidet die vorgesetzte Dienststelle über deren Zulässigkeit (§ 142
Vollzugsverordnung zum Personalgesetz13). Entscheidend ist, ob die Unabhängig-
keit beeinträchtigt wird. Bei direktem Zusammenhang mit Geschäften dürfen
keine Geschenke angenommen werden. Ohne direkten Zusammenhang sind Höf-
lichkeitsgeschenke hier erlaubt (Wein, Blumen, Mittagessen etc.). Als Faustregel
für den „geringen Wert“ gilt gemäß der Praxis des Personalamtes des Kantons
Zürich ein Betrag von 50 Franken als Obergrenze.
Auf kommunaler Ebene dürfen Angestellte gemäß § 67 des Personalstatuts der
Stadt Winterthur ebenfalls keine Geschenke oder andere Vergünstigungen für sich
oder für andere annehmen oder sich versprechen lassen, die im Zusammenhang mit
ihrer dienstlichen Stellung stehen oder stehen können. Ausgenommen sind auch
hier Höflichkeitsgeschenke von geringem Wert. Der Stadtrat kann Richtlinien über
Höflichkeitsgeschenke erlassen, die nicht dem Verbot der Annahme unterliegen.
erinnern. Originelle Ideen sind also gefragt und keine teuren, nutzlosen Gegen-
stände (die x-te Flasche Wein hinterlässt keinen bleibenden Eindruck).
• Innovative Substitution von Kundengeschenken: Verschiedene Unternehmen
sind mittlerweile dazu übergegangen, wohltätige Institutionen zu unterstützen,
anstatt Kundengeschenke zu machen. Dies darf dann durchaus auch gegenüber
den Kunden – auch gerne einer Behörde gegenüber – erwähnt werden: „Tue
Gutes und sprich darüber“.
C. Dueblin (*)
Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC, Basel, Schweiz
E-Mail: dueblin@quadragon.ch
Christian Dueblin: Was gilt es für das Unternehmen, aber auch für den
Legal Counsel, im Speziellen zu beachten, wenn es um die Frage geht, ob ein
Fall an die Staatsanwaltschaft herangetragen wird oder nicht?
Dr. Valentin Landmann: Es kann Situationen geben, in denen eine kriminelle
Machenschaft, die intern auftritt, zu einem enormen externen Imageschaden
führen könnte. Fast jede in-house-Kriminalität führt zu Imageschäden und
kein Unternehmen gibt von sich aus gerne zu, dass es betrogen wurde oder
beispielsweise bestochen hat. Unternehmen können auch von Dritten betrogen
werden, wie zum Beispiel von Vertragspartnern. Zu denken gilt es zudem an
die sogenannten „Schneeballsysteme“, von denen wir in den Medien oft lesen
können. Wurde ein Unternehmen, eine Bank oder eine Versicherung, durch ein
solches System, dem es sich ausgesetzt hat, geschädigt, hat das enorme Auswir-
kungen auf den Ruf dieses Unternehmens. Es besteht die Gefahr, dass ihm – oft
auch medial aufgebauscht – Naivität und Dummheit vorgeworfen werden; was
sich natürlich gerade im Banken- und Versicherungsbereich sehr ungünstig auf
die Reputation des entsprechenden Hauses auswirkt. Passiert in einem Unter-
nehmen ein entsprechender Fall, welcher das Potenzial hat, sich zu einer Explo-
sion zu entwickeln und zu großer öffentlicher Aufmerksamkeit führen könnte,
muss das Unternehmen sich überlegen, den Fall selbst voranzutreiben. Es muss
sich somit überlegen, sich proaktiv zu verhalten oder aber hoffend abwarten,
dass der Fall gar nicht ans Tageslicht kommt. Persönlich bin ich bei Fällen, in
denen damit gerechnet werden muss, dass eine „Tretmine hochgeht“, der Mei-
nung, dass es besser ist, diese selber zur Explosion zu bringen, anstatt abzuwar-
ten, bis der Fall von Dritten ans Tageslicht gebracht wird. Das sind oft heikle
strategische Entscheide, mit denen sich ein Unternehmen, auch vom General
Counsel beraten, auseinandersetzen muss.
25 Außenpositionierung zu Strafverfolgungsbehörden 317
Christian Dueblin: Was sind weitere Überlegungen, die sich ein Unterneh-
men, wenn es von Kriminalität betroffen ist, unbedingt machen muss?
Dr. Valentin Landmann: Das Nichtanzeigen von kriminellen Machenschaften
im oder um Unternehmen hat sich in den letzten Jahren in meinen Augen zu
einem Nährboden für Wirtschaftskriminalität entwickelt. Es ist in einer gewis-
sen Art und Weise zu einem Business-Modell geworden. Der schlimmste Nähr-
boden hierfür findet sich in den Grauzonen, in denen Unternehmen tätig sind,
oft auch tätig sein müssen, um auf dem Markt bestehen zu können. Entwickeln
sich solche Fälle in diesen Grauzonen negativ, kann das zu großen finanziellen
Schäden führen – und sehr rufschädigend sein. Ein Unternehmen kann nun vor
der Frage stehen, Personen, die sich, vielleicht auch von der Firma geduldet, in
den Grauzonen aufgehalten haben, anzuzeigen oder eben nicht. Oft ist in sol-
chen Fällen nicht klar, wie viele „Skelette“ noch zum Vorschein kommen wer-
den. Firmen neigen dann nicht selten dazu, sehr zurückhaltend mit Anzeigen zu
sein und suchen andere Lösungen, indem etwa fehlbare Mitarbeitende einfach
entlassen werden. Das hat jedoch zur Konsequenz, dass viele Menschen, die
potenziell kriminell tätig sind oder sich in diesen Grauzonen bewegen, schon
von Anfang an eine gewisse Sicherheit genießen, nicht angezeigt zu werden.
Diese Haltung ist in meinen Augen ziemlich verheerend und darüber sollte sich
jedes Unternehmen, natürlich auch die Rechtsabteilung, schon im Vorfeld mög-
licher Störfälle, ihre Gedanken machen.
Christian Dueblin: Was raten Sie Unternehmen ganz konkret, die sich in
solchen Situation befinden und bei Ihnen Rat suchen?
Dr. Valentin Landmann: Unternehmen, die zu mir kommen, und welche
interne oder externe Kriminalität erfahren haben, bekommen von mir in der
Regel den Ratschlag, die Sache auf den Tisch zu legen und eine Anzeige zu
erstatten. Dann geht man auch nicht das Risiko ein, dass der Fall kurze Zeit
später, vielleicht auch aus anderen Gründen, beispielsweise aufgrund von Aus-
sagen eines Whistleblowers, auffliegt, was sich erfahrungsgemäß zu einer gro-
ßen Medienangelegenheit entwickeln kann. Es wird nicht jedes Delikt in die
Öffentlichkeit getragen. Erst wenn es zu einer Gerichtsverhandlung kommt,
werden viele Fälle öffentlich bekannt. Das ist oft nicht vermeidbar. Hier gilt es
auch zu beachten, dass viele Fälle dermaßen komplex sind, ich würde sagen,
gar überkomplex, dass das Interesse der Öffentlichkeit damit im gleichen Maße
sinkt. Der interessierte Lesende kann die Abläufe nicht mehr erkennen und es
schleicht sich Langeweile ein, womit ein Fall für die Medien keine Priorität
mehr genießt. Das sind ebenfalls Überlegungen, die man sich in solchen Fällen
machen sollte.
Christian Dueblin: Wann macht es für den Legal Counsel und das Unter-
nehmen allenfalls Sinn, bei einem Fall mit der Staatsanwaltschaft Vorab-
klärungen zu treffen?
Dr. Valentin Landmann: Das kann interessant sein und ist ein gangbarer Weg,
den auch viele einschlagen. Der Legal Counsel weiß jedoch, dass der Staatsan-
walt, der von gewissen Delikten Kenntnis erlangt, gesetzlich dazu verpflichtet
ist, darauf zu reagieren. Das gilt nicht für Antragsdelikte, aber für Offizialde-
likte. Das kann für den Legal Counsel ein Grund sein, dem Unternehmen zu
raten, einen externen Strafrechtsexperten hinzuzuziehen. Was aber durchaus
anzuraten ist, wenn sich ein Unternehmen einmal entscheidet, eine Anzeige zu
machen, ist, die Staatsanwaltschaft offiziell anzugehen, um mit ihr zusammen
das Vorgehen und juristische Details zu klären.
Christian Dueblin: Wie soll sich ein Legal Counsel vorbereiten, wenn die
Staatsanwaltschaft in einem Fall im Unternehmen eingeschaltet werden
muss?
Dr. Valentin Landmann: Bei einem simplen Diebstahl, wenn etwa Ware aus
einem Lager gestohlen wurde, oder bei einem Einbruch, wird der Legal Counsel
nicht viel vorbereiten müssen. Er sollte dafür sorgen, dass die Versicherung und
die Polizei informiert sind. Bei komplexeren strafrechtlichen Fragen hingegen
muss der Legal Counsel selber einschätzen können, ob er genügend Kenntnisse
in Sachen Strafrecht hat, um einen derartigen Fall richtig bearbeiten zu kön-
nen. In der Regel hat er das nötige Fachwissen nicht und er ist dann auf einen
320 C. Dueblin
Neben einer starken Identität und einer optimalen Positionierung ist eine integre,
fach- und führungsstarke sowie motivierende Führungsperson entscheidend dafür,
dass die Rechtsfunktion in der Gesamtorganisation als „geschätzter Partner“ wahr-
genommen wird. Damit General Counsels (und Legal Counsels, welche mittel- bis
langfristig in diese Position hineinwachsen möchten) eine solche Wertschätzung
im Unternehmen erreichen, müssen sie bereit sein, an sich selbst zu arbeiten.
Klassische Management- und Führungsweisheiten allein reichen bei weitem nicht
mehr aus, um eine so komplexe und dynamische Professional Services Unit wie
die Legal Operations nachhaltig und langfristig erfolgreich zu führen.
Teil V dieses Buches befasst sich darum mit der Frage, welche Bereiche in
einer zeitgemäßen Führung von Legal Operations tatsächlich wichtig sind und wie
diese ausgestaltet werden können. Auch wenn der Fokus vor allem auf dem hier-
archisch führungsverantwortlichen General Counsel liegt, können alle Mitglieder
des Legal Teams hiervon profitieren. Positives und umfassendes Legal Operations
Leadership stellt daher, wie in Abb. 26.1 dargestellt, zu Recht den „Kopf“ der fun-
damentalen Betrachtungsebene von Rechtsfunktionen dar und ist mit allen ande-
ren Bereichen aufs engste verknüpft.
Ein positives und umfassendes Legal Operations Leadership bedeutet in erster Linie
nicht nur eine gezielte Beeinflussung von Identität, Positionierung, Strukturen, Res-
sourcen und Prozessen, sondern auch, für diese Verantwortung zu übernehmen.
Der General Counsel ist in diesem Sinne nicht nur für das Gedeihen der gesam-
ten Rechtsfunktion (Legal Department Management) und des Legal Teams (Team
Management), sondern auch, wie jeder einzelne Mitarbeitende, für die Führung
der eigenen Person (Self Management) verantwortlich. Erst die Beherrschung aller
drei Leadership-Einzeldisziplinen führt zu „echtem“ Legal Operations Leadership:
Leadership in der Rechtsfunktion ist ein spannendes Gebiet, das in einigen Tei-
len (Führungsverhalten von General Counsels, Sozialdynamiken in Legal Teams
etc.) noch relativ wenig wissenschaftlich erforscht ist. Um so wichtiger ist es, den
aktuellen Forschungsstand mit Erfahrungen aus der Praxis zu kombinieren. Auf
diese Weise kann jedes Mitglied des Legal Teams, vor allem aber auch der Gene-
ral Counsel, seine eigenen Management- und Führungsfähigkeiten ausbauen. Die
ersten drei Autoren der Leadership-Gruppe verschaffen uns einen generellen Über-
blick über die drei großen Legal Operations Leadership-Disziplinen und zeigen
auf, wie sie praktisch ausgestaltet werden können, um das volle in ihnen liegende
Potenzial zugänglich zu machen:
• Roman P. Falta beschäftigt sich in Kap. 27 mit dem Self Management von
Menschen im Arbeitsleben. Er geht zuerst darauf ein, was positives Self
Management bedeutet und zeigt anhand zweier Modellbeispiele aus der recht-
lichen Praxis, welchen Einfluss negatives und positives Self Management auf
den Arbeitsalltag zweier General Counsels im Rechtsdienst haben und was
jeder Unternehmensjurist daraus lernen kann. Danach gibt er Ideen für die Ent-
wicklung eines eigenen Self Management-Entwicklungsprogramms hinsichtlich
Zielsetzungen und der zu verfolgenden Inhalte.
• Robert Müller und Roman P. Falta setzen sich in Kap. 28 mit dem Team
Management in Legal Operations auseinander. Sie gehen zuerst auf die Her-
ausforderungen in der Juristenführung ein und beschäftigen sich danach detail-
liert mit den Hauptaufgaben, Merkmalen und Entwicklungsmöglichkeiten der
Team Leader-Funktion des General Counsel. Danach folgt eine ausführliche
326 R.P. Falta
In der Schule, im Studium und auch in den meisten Aus- und Weiterbildungen
(siehe dazu detailliert Kap. 42) werden uns Fähigkeiten vermittelt, die fast aus-
schließlich auf die Akkumulation fachlichen Wissens und dessen Anwendung
im Berufsalltag ausgerichtet sind. Solche sind selbstverständlich wichtig und
wertvoll, um mit den inhaltlichen Herausforderungen der modernen Arbeitswelt
zurechtzukommen. Im Gegensatz dazu geht es bei „Self Management“ um einen
Bereich, den man nur selten in den üblichen Kursprogrammen findet. Es steht für
das Erlernen und Anwenden spezifischer Strategien und Maßnahmen, die darauf
abzielen, die eigene Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit im Berufs- und Privatle-
ben nachhaltig zu steigern. Durch „gutes“ Self Management soll eine Person befä-
higt werden, sich selbst positiv zu beeinflussen und weiterzuentwickeln.
Seit es Menschen gibt, versuchen diese, stetig das Beste aus sich herauszuho-
len. Jede Person entwickelt im Laufe der Zeit individuelle Vorgehensweisen, um
ihre Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit positiv zu beeinflussen. Sie lernt in der
Regel intuitiv, wie sie mit ihrem Leben umgehen und das Ziel des virtually perfect
self1, das jeder Mensch in der einen oder anderen Form verfolgt, erreichen kann.
Manche dieser Strategien und Maßnahmen stammen aus persönlichen Selbstrefle-
1Mit dem virtually perfect self ist ein hochleistungspsychologisches Konstrukt gemeint, das dar-
auf Bezug nimmt, dass Spitzenleister immer nach der jeweils besten Version ihres eigenen Selbst
suchen. Es wird im Hochleistungssport und in anderen Spitzenleistungsbereichen daher als Mit-
tel eingesetzt, um Einzelpersonen langfristig zu motivieren, sich ständig proaktiv weiterzuentwi-
ckeln.
xionen, andere werden von Bezugspersonen abgeschaut oder durch Medien2 ver-
mittelt. Alle Menschen beschäftigen sich – ob bewusst oder unbewusst – einen
Großteil ihres Lebens mit Self Management. Das Problem liegt in der Regel nicht
darin, dass wir zu wenig Self Management betreiben, sondern darin, wie wir es
tun. Daher ist es – besonders vor dem Hintergrund der stetigen Zunahme der Her-
ausforderungen in unserem modernen Leben – nicht erstaunlich, dass sich viele
Menschen aktuell auf der Suche nach Lebenszufriedenheit und überdurchschnittli-
cher Leistungsfähigkeit befinden.
Um herauszufinden, wie es mit Ihren Self Management-Fähigkeiten momentan
bestellt ist, hilft es, die nachfolgenden drei Fragen – jeweils auf einer Skala von
Null bis Hundert – ehrlich zu beantworten:
• Wie zufrieden bin ich zurzeit mit meinem Arbeits- und Privatleben?
• Wie würde ich den Fortschritt in der Erreichung meiner Lebens-
ziele allgemein bewerten?
• Wie viel meines Leistungspotenzials schöpfe ich zurzeit wirklich
aus?
Skalenwerte um Null stehen in der Regel dafür, dass Sie mit sich, Ihrem Leben
und Ihrer Leistungsfähigkeit absolut unzufrieden sind: Dies äußert sich zum Bei-
spiel darin, dass Sie das Gefühl haben, seit langer Zeit auf der Stelle zu treten,
das Erreichen Ihrer Träume bereits seit längerem auf on hold steht oder Sie das
Gefühl haben, als würden Sie Ihre Lebenszeit verschwenden. Skalenwerte um
Hundert hingegen stehen dafür, dass Sie stets mit sich selbst, Ihrem Leben und
Ihrer Leistungsfähigkeit zufrieden sind: Ihnen gelingt fast immer, was Sie sich
vorgenommen haben. Sie sind stets voller Tatendrang und Energie, holen alles aus
sich heraus und genießen Ihr Leben jeden Augenblick in vollen Zügen. Sie führen
das Leben, das Sie immer führen wollten.
Bei einer nur oberflächlichen Beantwortung der vorstehenden Fragen werden
in der Praxis regelmäßig jeweils Werte zwischen 50 bis 80 pro Frage genannt.
Für viele von uns scheint das Leben auf den ersten Blick betrachtet daher auch
„plus minus OK“ zu sein; auch wenn nicht alles absolut rund läuft und man sich
als Kind oder Jugendlicher die eigene Zukunft in der Regel doch etwas spannen-
der, aufregender und farbiger vorgestellt hatte. Sobald sich jemand aber in einer
„stillen Minute“ ehrlich mit sich selbst und seinem Leben auseinandersetzt, wer-
den die Zahlen in der Regel deutlich nach unten korrigiert. Dann entdecken die
meisten, dass sich das Leben eigentlich in fast allen Bereichen nicht in der Art
und Weise entwickelt hat, wie man es sich einst vorgestellt hatte. Zudem spü-
ren sie, dass man nicht mehr genügend Zeit und Energie hat, um noch all das zu
erleben und zu schaffen, was man sich vorgenommen hatte. Bei einigen führt ein
solches Gefühl mit der Zeit dazu, dass Frustrationen und Ärger über die aktuellen
Bevor wir darauf zu sprechen kommen, wie ein individuelles Self Manage-
ment-Programm zusammengestellt werden kann,3 möchte ich Sie in einer erfun
denen Geschichte – die illustrativ sehr schön aufzeigt, wie positives und negatives
Self Management wirkt – mit zwei Personen bekannt machen: Hans Schmidt und
Rita Müller.4 Beide sind hoch angesehene und erfahrene General Counsels großer
deutscher Mittelstandsbetriebe, leben jeweils in einem städtischen Vorort und
haben einen Ehepartner sowie zwei Kinder. Obwohl für beide die Voraussetzungen
fast identisch sind, erleben sie ihren Berufsalltag in der Rechtsabteilung auf eine
völlig unterschiedliche Art und Weise. Begleiten wir daher zuerst einmal Herrn
Schmidt, der einen ausgesprochen negativen Self Management-Ansatz verfolgt,
durch einen seiner typischen Arbeitstage.
„Was heißt hier, das Budget sei jenseits von Gut und Böse?“ rief Hans Schmidt
entrüstet aus. „Das ist ja nicht zu glauben! Sie möchten, dass wir in der Rechts-
abteilung täglich Wunder vollbringen und dann geben Sie mir nicht einmal die
Mittel, die ich dringend dafür benötige!“ Andreas Bader, der CFO, gab darauf
verärgert zurück: „Ich möchte hier keine weiteren Wehklagen hören. Ihr Budget
ist einfach viel zu hoch angesetzt.“ Da ertönte die Stimme von Maximilian Grohe
aus dem Hintergrund, in welcher unverkennbar die Seniorität des langjährigen
CEO durchdrang: „Wenn wir dein überrissenes Budget so akzeptieren würden,
dann käme irgendwann jeder ohne Zahlengrundlage und würde mehr verlangen.
Du kannst dir ja vorstellen, wo das dann hinführen würde!“ Hans Schmidt wurde
3Das Negativbeispiel in Abschn. 27.2.1 wird hier bewusst detailliert und in voller Länge abge-
bildet, um dadurch dem nachfolgenden Positivbeispiel in Abschn. 27.2.2 noch mehr Kontrast
zu geben. Um die besten Ideen für Ihr eigenes Self Management zu generieren, sollten Sie beide
Beispiele aufmerksam durchlesen. Falls Sie die nachfolgenden beiden Geschichten überspringen
möchten, lesen Sie unter Abschn. 27.3 weiter.
4In Anlehnung an: „A Tale of Self-Leadership“; gefunden bei Neck, Manz (2013, S. 122 ff.). Die
Ähnlichkeit mit real existierenden Personen ist ausdrücklich nicht gewollt. Zudem wurde die
Geschichte zur besseren Illustration mit einem Legal Operations-Kontext versehen.
332 R.P. Falta
immer wütender und spürte deutlich den Puls in seiner Halsschlagader ansteigen.
Für ihn war damit augenblicklich klar, dass der Entscheid über sein Budget in der
Geschäftsleitung bereits gefällt worden war, noch bevor die Besprechung dazu
stattgefunden hatte. Wieder einmal stützten diese Technokraten ihren Entscheid
auf zahlenfixierte und engstirnige Begründungen. Er wollte gerade aufspringen,
um seinem Ärger Luft zu verschaffen… „Liebling, ich wünschte, Du würdest dein
Frühstück nicht so herunterschlingen. Du weißt doch, dass der Arzt dir aufgetra-
gen hat, die Dinge ruhiger und gelassener anzugehen.“ „Ja, ja, schon gut, Helene.
Ich denke nur nach“, schnaubte er seine Ehefrau an und lehnte sich mit verspann-
tem Rücken in seinen Stuhl zurück. Unter einer dunklen Mine im Gesicht entwich
ihm ein tiefer Seufzer: „Ach herje, schon wieder einer dieser Tage!“
Als er draußen in der Einfahrt stand und an den vereisten Scheiben seines
Wagens kratzte, murmelte er geistesabwesend vor sich hin: „Verdammter Schnee,
schon wieder alles vereist!“ Nachdem er sämtliche Scheiben enteist hatte, setzte
er sich in den Wagen und bemerkte, wie sich sein Magen plötzlich krampfhaft
zusammenzog. Wohl eine Folge des übereilten Frühstücks, dachte er. Kurze Zeit
später war er bereits auf der Autobahn. Auf dem Weg ins Büro liefen wie jeden
Morgen die Nachrichten im Radio. Ab und zu quittierte er einzelne Nachrichten
mit zynischen Kommentaren über die „unglaubliche Inkompetenz in Brüssel und
Berlin“ und dergleichen. Den wunderbaren Sonnenaufgang bemerkte er dabei
nicht. Er war so intensiv damit beschäftigt, im morgendlichen Stoßverkehr von
einer Spur auf die andere zu wechseln, um sofort jede sich bietende Lücke aus-
zunutzen und sein Vorwärtskommen dadurch vermeintlich zu beschleunigen. Er
sah auch nicht das Glitzern des neu gefallenen Schnees auf den Bäumen oder die
zu ihm herüberwinkenden und lachenden Schneemänner, die in den Vorgärten der
Vorstadthäuser standen und daher gut von der Straße aus zu sehen waren. Hans
saß hinter seinem Steuer, tief in Gedanken versunken, und wälzte die Probleme,
mit denen er sich tags zuvor beschäftigt hatte genauso in seinem Kopf hin und her,
wie die Vorstellungen über den negativen Ausgang des Budgetmeetings, das für
den Nachmittag angesetzt worden war.
Nachdem er seinen Wagen parkiert hatte, betrat er eilig das Bürohochhaus sei-
nes Unternehmens, das in eine wunderbare Gartenlandschaft eingebettet war, ohne
davon Kenntnis zu nehmen. Den Mitarbeitenden, denen er auf dem Weg in sein
Büro begegnete, raunte er nur ein kurzes „Hallo“ entgegen und setzte dazu ab und
zu ein merklich gezwungenes Lächeln auf. Hans war sich zwar durchaus bewusst,
dass viele seiner Kollegen im Unternehmen durchaus freundliche und gute Men-
schen waren, doch verbrachte er nicht viel Zeit damit, sich mit ihnen auf per-
sönlicher Ebene auseinanderzusetzen. Er dachte vielmehr, dass Sinn und Zweck
seiner Aufgabe als General Counsel darin bestanden, rechtlich absolut hieb- und
stichfeste Arbeit zu leisten. Persönliche Gespräche abseits von Arbeitsthemen sah
er als unwichtig und als reine Zeitfresser an. Aus diesem Grunde vereinbarte er
auch äußerst selten ein gemeinsames Mittagessen mit Mitarbeitenden oder Kolle-
gen. Als er in sein Büro stürmte, raunte er auch seiner Sekretärin und einem Kol-
legen, der gerade bei dieser stand, sein knappes „Hallo“ entgegen und trat rasch in
sein Büro ein, wo er sogleich Mantel und Hut ablegte. Er hatte die höflichen, aber
27 Self Management für Unternehmensjuristen 333
etwas kühlen Erwiderungen seines Morgengrußes zwar gehört, nahm diese aber
nicht wirklich wahr. Stattdessen sah er sich in seinem Büro um. Diesem Ort, den
er eigentlich nicht wirklich mochte. Hier war es, wo er so viel Verdruss erlebte und
an dem er täglich mit unzähligen Problemen konfrontiert wurde. Kurze Zeit später
saß er trotzdem oder vielleicht gerade deswegen hinter seinem Schreibtisch, blät-
terte durch die Akte eines Haftpflichtfalls und bemerkte dabei gar nicht, wie ihm
seine Sekretärin den allmorgendlichen Kaffee auf den Tisch stellte.
An die nächsten zwei Stunden erinnerte er sich fast nicht mehr, da seine Auf-
merksamkeit oberflächlich von einer Aufgabe auf die nächste gesprungen war.
Zudem wurde er immer wieder durch Telefonate und seine Mitarbeitenden unter-
brochen, die mit meist kleinen Problemen bei ihm vorstellig wurden. Mehrere
Dokumentstapel häuften sich auf der einen Seite seines Schreibtischs. Einige
davon lagen bereits mehrere Wochen dort, da er fast ausschließlich an den jeweils
vor ihm liegenden dringlichen Problemen zu arbeiten pflegte. Es schien, als ob er
niemals Zeit dafür hätte, seine Arbeitsorganisation zu hinterfragen und sie einmal
richtig durchzuplanen. Da setzte draussen der Schneefall wieder ein. Aus dem
Fenster seines Büros im zehnten Stock betrachtet, gaben das Schneegestöber und
die ruhig darnieder liegende Landschaft einen atemberaubenden Anblick ab. Man
sah einen glänzenden mit Eis bedeckten kleinen See, dichte Wälder dahinter und
fern im Hintergrund ein stolzes Bergmassiv. Hans sah aber selten von seinen vor
ihm liegenden Akten auf. Auch nicht, wenn er telefonierte. Wenn er dennoch das
eine oder andere Mal aus dem Fenster sah, waren seine Gedanken bei den aktu-
ellen Rechtsfällen. Zudem machte er sich Sorgen um seine Rückkehr am Abend.
Sollte es den ganzen Tag so weiterschneien, würden die Straßen auch am Abend
schneebedeckt und gefährlich sein.
Kurz vor zwölf Uhr trat Dieter Petzke, ein Senior Legal Counsel, mit hochro-
tem Kopf in Schmidts Büro. „Herr Schmidt, die Kanzlei sagt, sie könnten momen-
tan keinen Anwalt für die M&A-Pre Due Diligence abstellen und unsere eigenen
Mergers-Leute sind terminlich ebenfalls völlig dicht.“ „Verdammt!“, entfuhr es
Hans. „Ich hatte noch keine Zeit, mich damit zu beschäftigen. Mal schauen, ich
versuche trotzdem von der Kanzlei einen fähigen Anwalt zu bekommen. Notfalls
drohe ich denen mit der Kündigung des Rahmenvertrags, sollten sie nicht von sich
aus spuren. In der Zwischenzeit schauen Sie nochmals, ob wir nicht doch noch
intern jemanden dafür erübrigen könnten.“ Petzke verließ das Büro seines Vorge-
setzten. Man sah ihm an, dass er mit dem Gesprächsausgang nicht zufrieden war.
Im Büro von Hans schrillte gleichzeitig das Telefon. Er nahm den Hörer ab, ließ
sich in seinen Stuhl fallen und hörte nur, wie am anderen Ende der Leitung jemand
sagte: „Hans, ich habe ein echtes Problem hier. Die von dir zugesagte Vertrags-
prüfung für den Maschinendeal ist seit zehn Tagen überfällig. Die Jungs vom Ver-
kauf machen mir massiven Druck. Sie sagen, dass sie nicht mehr länger zuwarten
können. Ich brauche den Vertrag unbedingt noch heute. Wie sieht es aus? Konn-
test du dir die Unterlagen durchsehen?“ „Ähmm, ja“, erwiderte Hans mit einer
etwas unsicheren Stimme und streckte seinen Arm in Richtung eines der Unter-
lagenstapel auf der anderen Seite des Schreibtisches aus. „Prima, dann schick mir
den Vertrag doch so rasch wie möglich rüber. Und für die Zukunft würde ich mir
334 R.P. Falta
ünschen, dass du besser auf deine Abgabetermine achten würdest“, sagte die
w
Stimme am anderen Ende der Leitung. „Ja, schon gut“, gab Hans etwas ärgerlich
und eine Spur zu laut zurück.
Die Mittagspause verbrachte Hans in seinem Büro und arbeitete durch. Er mochte
es zwar nicht sonderlich, über Mittag zu arbeiten, aber er dachte, es sei oft einfach
nötig, um dadurch Zeit aufzuholen. Auch heute musste er – neben vielem anderen
– ja auch noch unbedingt den Kaufvertrag für die Maschinen durchsehen und das
Personalproblem mit der Kanzlei lösen. Trotzdem wurde er auch während der Mit-
tagspause immer wieder von anderen kleineren Problemen abgelenkt. Um Viertel
nach zwei hatte er in den beiden Angelegenheiten daher noch immer keine großen
Fortschritte erzielt. Da das Budgetmeeting mit der Geschäftsleitung auf 14:30 Uhr
anberaumt worden war, sprang er aus seinem Stuhl, raffte noch rasch einige Unterla-
gen zu den Abteilungsfinanzen zusammen und stürmte aus seinem Büro.
Als er den Meetingroom betrat, fühlte er sich unwohl und auch etwas ängstlich.
Er fühlte, dass die Geschäftsleitung ihm das höhere Budget wohl nicht bewilligen
würde. „Vielleicht werden sie sogar noch Abstriche vom letztjährigen Budget von
mir verlangen?“, schoss es ihm durch den Kopf. Seine Begrüßung der Geschäfts-
leitungsmitglieder spiegelte dann auch seine innere Verfassung wider und war
nur kurz und knapp. Die Anwesenden reagierten auf seine Begrüßung ebenfalls
ohne großen Enthusiasmus. Innert kurzer Zeit war die Atmosphäre im Raum ange-
spannt. Hans ließ sich davon aber nicht beirren und hielt eine eineinhalbstündige
Präsentation, wobei er mehrfach selbst bemerkte, dass sich einige seiner Argu-
mente für die Budgeterhöhung widersprachen und auch teilweise in sich nicht
konsistent waren. Auch auf einige Nachfragen aus dem Plenum war er nicht vor-
bereitet und es wurde ihm immer bewusster, dass er seine Hausaufgaben für dieses
wichtige Meeting nicht ordentlich erledigt hatte. Die, in ihm aufsteigenden, nega-
tiven Gefühle versuchte er, mit Überspielungen und Übertreibungen zu kaschie-
ren. In seiner Verzweiflung flüchtete er sich immer mehr auch in einen beinahe
schon leicht aggressiven Ton, mit dem er noch mit letzter Hoffnung versuchte, das
Budget durchzudrücken. Gleichzeitig bemerkte er, wie in seinem Kopf weitere
negative Gedanken auftauchten: „Weshalb hast du das jetzt bloß so gesagt? Jetzt
kannst du das Budget ganz vergessen? Riskiere ich hier momentan eigentlich mei-
nen Job? Oh nein, schon wieder ist mir etwas Unpassendes rausgerutscht! Reiß
dich zusammen, Mann!“ Gegen Ende seiner Präsentation fühlte sich Hans müde
und ausgelaugt. Auch die anwesenden Geschäftsleitungsmitglieder merkten dies
wohl, da sie damit begannen, negatives Feedback in einer etwas angenehmeren
und nicht so direkten Form abzugeben. Zusammenfassend sagten sie ihm, dass er
die Budgeterhöhung nicht genügend genau durchdacht und er ihnen nicht ausrei-
chend nachgewiesen hätte, weshalb eine solche auch wirklich nötig sei. Sie sagten
ihm auch, dass sie das Budget in der vorliegenden Form nicht genehmigen konn-
ten und empfahlen ihm, es noch einmal zu überarbeiten und in einer Woche erneut
vorzulegen. Entweder in einer abgespeckten Form oder mit einer besseren Begrün-
dung für die projektierten Mehrausgaben. Zu diesem Zeitpunkt war Hans bereits
nicht mehr richtig aufnahmefähig. Sein Kopf drehte sich in einer immer schneller
werdenden Spirale, bis aus dieser ein Gedanke wie ein Blitz hervorschoss: „Ich
27 Self Management für Unternehmensjuristen 335
habe versagt… Ich schaffe es einfach nicht, die Dinge richtig zu machen… Viel-
leicht bin ich hier auch einfach falsch.“ „Hans, du scheinst in der Rechtsabteilung
etwas chaotische Zustände zu haben. Keine Vision, keine genauen Zielvorgaben,
keine Guidelines oder dergleichen…“, hörte Hans den CEO wie durch einen weit
entfernten Filter sprechen und setzte sofort wieder seinen eigenen Gedankengang
fort: „Vielleicht ist die General Counsel-Position einfach eine Nummer zu groß für
mich. Was zum Teufel ist nur mit mir los?“
Das Meeting ging zu Ende. Hans war erschöpft, aber irgendwie auch glücklich,
dass es endlich vorbei war. Als die anderen Geschäftsleitungsmitglieder sich auf
den Weg machten, blieb der Chief Compliance Officer, der Hans wohl gesonnen
war, noch zurück und sagte zu diesem: „Hans, ich weiß noch aus meiner eigenen
Zeit als General Counsel genau, wie du dich fühlst. Ich habe damals gelernt, dass
es sich auszahlt, mehrmals über eine Budgetpräsentation drüber zu gehen. Auf
diese Weise können viele Fehler darin korrigiert werden, bevor du sie hältst. Du
solltest Dir auch wirklich Gedanken über die Organisation der Rechtsabteilung
machen. Da hatte der CEO schon recht. Du solltest viel besser vorausschauen und
die Legal Operations viel besser strategisch durchplanen.“ Hans erwiderte darauf-
hin nur knapp: „Ja, schon gut. Ich kann es mir aber einfach nicht erlauben, die
Zeit für solche Luftschlösser zu vergeuden.“ „Ehrlich gesagt, spart dir die erneute
Bearbeitung des Budgets auch nicht besonders viel Zeit“, meinte daraufhin der
Chief Compliance Officer mit einem Lächeln, das aufmunternd und freundschaft-
lich gemeint war. Ohne dem großen Wert beizumessen, verließ Hans den Meeting
room in einem irritierten und verärgerten Gemütszustand.
Nachdem er noch einige Stunden in seinem Büro an verschiedenen Rechts-
fällen gearbeitet hatte, verließ er abends das Bürogebäude. In seiner Aktentasche
befanden sich einige weitere Problemfälle, die zu Hause seiner Aufmerksamkeit
bedurften. Für Hans war dies wieder ein schwieriger Tag gewesen, der so schlecht
verlaufen war, wie er sich das am Morgen ausgemalt hatte. Der Schnee hatte die
Landschaft weiter mit seinem weißen Kleid überzogen und glänzte um Hans
herum unter dem hellen Neonlicht der Straßenlaternen. Lachen war zu hören, als
eine kleine Gruppe von Mitarbeitenden sich fröhlich auf dem Parkplatz gegensei-
tig eine Schneeballschlacht lieferte. Hans beachtete sie nicht, er murmelte nur, als
er begann die Scheiben seines Wagens vom Schnee freizumachen: „Verdammter
Schnee, schon wieder alles voll.“
Nach der Schilderung des Tagesablaufs von Hans Schmidt wollen wir nun auch
mit Rita Müller einen typischen Bürotag verbringen. Sie hat sich – im Gegensatz
zu Hans Schmidt – seit einigen Monaten intensiv mit ihrem eigenen Self Manage-
ment auseinandergesetzt und versucht daher nun täglich, ihre Vorsätze proaktiv zu
leben und sich stetig weiterzuentwickeln:
„Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen für Ihr Feedback und Ihre Offenheit
gegenüber meinen neuen Ideen“, sagte sie zu den Anwesenden. Ritas Präsentation
336 R.P. Falta
vor der Geschäftsleitung war außerordentlich gut verlaufen. Sie war glücklich über
das Feedback, das sie von den Geschäftsleitungsmitgliedern erhielt, als sie die-
sen ihren erweiterten Budgetvorschlag präsentierte. Schließlich hatte sie ja auch
gute Arbeit geleistet: Eine Liste mit überzeugenden Argumenten erarbeitet und
den Budgetvorschlag nicht nur logisch, sondern auch nachvollziehbar mit aktuel-
len Zahlen und durchdachten Inhalten untermauert. Rita spürte, wie plötzlich eine
Welle der Zufriedenheit durch ihren Körper wogte. Sie war positiv überrascht, mit
welcher inhaltlichen Fokussierung und Aufrichtigkeit das Meeting durchgeführt
worden war. Das war genau die Art von Besprechungen, die sie so gerne mochte:
reflexiv, herausfordernd, und dennoch voller Offenheit und Flexibilität für Neues.
Voll des Überschwangs wollte sie gerade aufspringen, um ihrer Freude Luft zu
verschaffen… „Liebling, möchtest du noch etwas Kaffee?“, fragte ihr Ehemann,
worauf sie antwortete „Oh ja, sehr gerne. Könntest du mir den Kaffee bitte in die
Thermoskanne einfüllen? Ich muss gleich los.“ Während ihr Ehemann den Kaf-
fee in die Thermoskanne goss, fragte er Rita: „Du scheinst heute morgen ganz in
Gedanken vertieft zu sein. Was beschäftigt dich so sehr?“ „Ach, heute findet die
Besprechung des Budgets statt. Ich werde heute endlich die Gelegenheit bekom-
men, meine Anliegen und meine neuen Ideen vor der Geschäftsleitung zu präsen-
tieren. Das wird sicher nicht einfach, aber ich habe mich gut vorbereitet und ich
freue mich schon bereits ein bisschen darauf“, antwortete ihm Rita und lehnte sich
mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck in ihrem Stuhl zurück. „Na, das wird
wieder ein Tag“, dachte sie voller Vorfreude.
Nachdem sie draußen die vereisten Scheiben ihres Wagens freigemacht hatte,
warf sie noch einige Schneebälle auf einen nahestehenden Baum und dachte, als
sie in den Wagen stieg: „Es schneit so schön. Dieses Wochenende wäre ja perfekt,
um mit den Kindern schlitteln zu gehen.“ Vor ihrem inneren Auge stellte sie sich
dabei vor, wie sie mit ihrem Ehemann und den beiden Kindern im Schnee herum-
tollen würde. Kurze Zeit später war sie bereits auf der Autobahn. Auf dem Weg ins
Büro liefen die Nachrichten im Radio. Rita stellte daher auf einen anderen Kanal
um, auf dem schöne Musik lief. Sie hatte in der Vergangenheit festgestellt, dass
die morgendlichen Nachrichten, in denen oft über schreckliche Dinge berichtet
wurde, einen negativen Einfluss auf ihre Gedanken hatten. Im Moment wollte sie
sich daher nicht die gute Stimmung verderben. Zumal sie ja die Tageszeitung noch
später im Büro lesen würde. Stattdessen hörte sie Musik und betrachtete den wun-
derbaren Sonnenaufgang. Da sich die Straße staute, entschied sich Rita noch etwas
im Wagen zu arbeiten. Sie stellte das Radio aus und diktierte einige Memos in ihr
Smartphone, während sie langsam durch den Stoßverkehr glitt und ab und zu an
ihrem Kaffee aus der Thermoskanne nippte. Sie freute sich über das Glitzern des
neu gefallenen Schnees auf den Bäumen und über die zu ihr herüberwinkenden
und lachenden Schneemänner, die in den Vorgärten standen.
Als Rita ihren Wagen parkierte, fühlte sie sich ausgeglichen und bereit für
die Herausforderungen des Tages. Sie ging langsam auf das Bürohochhaus ihres
Unternehmens zu und genoss den Schnee und die frische kalte Luft der wunder-
baren Gartenlandschaft, welche den Bürokomplex umgab. Den Mitarbeitenden,
denen sie auf dem Weg in ihr Büro begegnete, lachte sie entgegen und grüßte sie
27 Self Management für Unternehmensjuristen 337
freundlich. Rita mochte die Kollegen im Unternehmen und fand es wichtig, sich
mit ihnen auszutauschen. Schon oft war sie dadurch auf neue Ideen gestoßen oder
hatte wichtige Informationen erhalten. Zudem war sie davon überzeugt, dass sol-
che Gespräche wichtig waren, um wertvolle Beziehungen aufzubauen, welche die
Zusammenarbeit vereinfachten, wenn sie auf die Hilfe anderer angewiesen war,
um ihre Arbeit als General Counselin zu erledigen. Bevor sie in ihr Büro eintrat,
hielt sie noch einen fröhlichen Schwatz mit ihrer Sekretärin und anderen Kollegen,
die gerade draußen zusammenstanden. Rita lächelte, als sie sich in ihrem Büro
umsah, das sie nach ihrem persönlichen Geschmack eingerichtet hatte. Sie mochte
diesen Ort, an dem sie sich täglich herausgefordert und trotzdem wohl fühlte. Für
Rita war es wichtig, dass die Arbeit ein bereichernder Teil ihres Lebens war. Kurze
Zeit später saß sie hinter ihrem Schreibtisch. Bevor sie jedoch mit der täglichen
Arbeit begann, dachte sie einige Augenblicke über die Tagesplanung nach, wäh-
rend sie entspannt in ihrem Bürostuhl wippte. In Gedanken machte sie eine Liste
mit den wichtigen Aufgaben, die aktuell zu erledigen waren. Erst als sie ganz
sicher war, welche Arbeiten heute auf ihrem Programm stehen sollten, öffnete sie
ihr Outlook und trug diese dort ein, damit auch das Sekretariat und ihre Mitarbei-
tenden genau wussten, was heute im Fokus der Chefin stand.
Die nächsten Stunden arbeitete Rita intensiv an den zuvor definierten prioritä-
ren Tagesaufgaben. Zudem hatte sie Zeit eingeplant, um ihre Budgetpräsentation
noch ein letztes Mal durchzugehen. In aller Ruhe wiederholte sie alle Argumente
für eine Budgeterhöhung, während sie sich die Besprechung in hellem, warmem
Licht visualisierte und sich vorstellte, wie diese positiv verlaufen würde. Wie
üblich hielt die Sekretärin ihr in dieser Zeit alle unwichtigen Anrufe fern und ließ
nur diejenigen durch, die wirklich wichtig waren. Rita hatte im Zuge ihrer Ausein-
andersetzung mit Self Management vor einigen Monaten beschlossen, solange sie
noch frisch im Kopf war, den Morgen jeweils zuerst für die Arbeitsplanung und
danach ausschließlich für die Bearbeitung der besonders wichtigen Aufgaben zu
reservieren. Es war ihr besonders wichtig, dabei nur ein Minimum an Ablenkung
zuzulassen, um bei den intensiven Arbeiten auch zügig voranzukommen. Nach
dem Mittagessen hatte sie sich hingegen jeweils eine zweistündige „Troubleshoo-
ting- und Kommunikationszeit“ reserviert, in der sie Probleme der Mitarbeiten-
den mit diesen persönlich zu besprechen pflegte und die Telefonliste durchging,
die sich während des Morgens angesammelt hatte. Ihr Sekretariat und alle ihre
Mitarbeitenden wussten genau, das Rita außerhalb dieser „Büroöffnungszeiten“
keine Störungen duldete, es sei denn, es würde sich dabei um echte Notfälle han-
deln. Natürlich empfand ihre nächste Umgebung den Ausschluss außerhalb die-
ses Zeitfensters am Anfang als Zurückweisung, da Rita zuvor stets eine open
door-Policy gepflegt hatte. Doch rasch betrachteten die Mitarbeitenden dies aus
einer anderen Perspektive. Sie sahen es mit der Zeit eher als ein Zeichen von Ritas
Vertrauen. Die Mitarbeitenden merkten auf einmal, wie viele Probleme sie selbst
lösen konnten, für die sie früher immer jeweils die Chefin hinzugezogen hatten.
Durch die Einführung dieses zweistündigen Zeitfensters wurde Rita nicht nur von
vielen kleinen Problemen befreit, auch das Selbstvertrauen und die Eigenständig-
keit ihrer Mitarbeiter waren in den vergangenen Monaten merklich gewachsen.
338 R.P. Falta
Zudem wusste jedes Mitglied des Legal Teams, dass Ritas Türe nach wie vor –
nun einfach nur noch nachmittags – offenstand, wenn sie die Meinung oder den
Rat der General Counselin einholen wollten. Zudem hatte sie ein gemeinsames
Ablagesystem in der Rechtsabteilung etabliert und auf einen möglichst papier-
losen Bürobetrieb umgestellt. Aktenstapel kamen zwar noch vor, doch äußerst
selten. Die meisten Dokumente lagen eingescannt in der Datenbank. Anstatt des
früher voll belegten Schreibtisches gab es nun viel Raum. Auch für einen kleinen
Wecker, der nach 65 min jeweils einen kurzen Ton von sich gab. Dies war für Rita
das Zeichen, die Arbeit für einige Augenblicke ruhen zu lassen, aufzustehen, im
Büro hin- und herzugehen, sich einmal richtig durchzustrecken oder sich an den
schönen an der Bürowand aufgehängten Bilder zu erfreuen. Diese hatte sie spe-
ziell ausgewählt: Sie zeigten fröhliche Szenen aus ihrer eigenen Vergangenheit
oder malerische Orte, an die sie irgendwann einmal noch gerne reisen wollte. Oft
blickte sie in solchen kurzen Pausen aber auch gerne für einige Augenblicke aus
dem Fenster und freute sich an dem herrlichen Ausblick aus dem zehnten Stock-
werk des Bürohochhauses. Gerade jetzt gefiel ihr die Aussicht besonders gut, da
es wieder angefangen hatte zu schneien. Sie sah einen glänzenden, mit Eis bedeck-
ten kleinen See, dahinter dichte Wälder und fern im Hintergrund ein stolzes Berg-
massiv. Manchmal träumte sie in diesen kurzen Pausen aber einfach nur vor sich
hin. Zum Beispiel erinnerte sie sich gerne daran, wie sie im vergangenen Winter
mit ihrer Familie zusammen vor dem offenen Kamin saß und sie gemeinsam einen
Kakao schlürften. Rita schätzte diese Momente des kurzen Glücks sehr, halfen
sie ihr doch dabei, sich zu entspannen, um danach wieder umso frischer an die
Arbeit gehen zu können. In einem Seitengestell stand eine kleine Plakette, auf der
zu lesen war: „There is nothing so powerful as the human mind well maintained
and purposefully set into motion.“ Als ihr Blick über diese Zeilen glitt, dachte
sie, als würde sie der Plakette antworten: „Ich sollte wirklich wieder einmal etwas
Zeit in meine persönliche Weiterentwicklung investieren. Auf dem Nachhauseweg
halte ich noch kurz bei der Bibliothek und hole mir dort ein Self Management-
buch, das ich noch nicht gelesen habe.“ Sie lächelte, als sie darüber nachdachte,
wie sehr sich ihr Leben in den letzten Monaten verbessert hatte. Plötzlich schnellte
ihre Aufmerksamkeit wieder zurück in die Gegenwart. Ihr war gerade eine tolle
Idee für eine Prozessveränderung gekommen. Sie hatte sich schon seit längerem
damit herumgeschlagen, die Effizienz der Rechtsabteilung zu erhöhen. In diesem
Moment sah sie das neue Prozessdesign so klar vor ihrem inneren Auge, als würde
es auf dem Tisch vor ihr liegen. Sofort zeichnete sie es auf ihrem Tablet nach,
machte sich Notizen dazu und murmelte für sich: „Das wird uns möglicherweise
einiges an Kosten einsparen.“ (Die Prozessveränderungen sollten sich im Nach-
gang tatsächlich als sehr wirksam erweisen. Sie führten dazu, dass bedeutende
Kosteneinsparungen in der Rechtsabteilung möglich wurden. Auch für Rita hat-
ten sie persönlich einen positiven Effekt, als es für sie darum ging, ihre höheren
Gehaltsforderungen zu rechtfertigen.)
Kurz vor zwölf Uhr trat Hermann Röhrich, ein Senior Legal Counsel, mit hoch-
rotem Kopf in Ritas Büro. „Frau Müller, die Kanzlei sagt, sie könnten momen-
tan keinen Anwalt für die M&A-Pre Due Diligence abstellen und unsere eigenen
27 Self Management für Unternehmensjuristen 339
Mergers-Leute sind terminlich ebenfalls völlig dicht.“ „Dann rufen Sie bitte Herrn
Dietrich an“, antwortete ihm Rita mit beunruhigter, aber kontrollierter Stimme.
„Wir hatten bereits einmal so eine unangenehme Situation mit der Kanzlei. Viel-
leicht kann er ja doch noch etwas machen. Ich rufe in der Zwischenzeit Albrecht
Thoma an und frage ihn, ob ich eventuell einen seiner Spezialisten ausborgen
könnte. Wir haben in der Vergangenheit immer gut zusammengearbeitet und ich
weiß, dass er mich nicht im Stich lassen würde, wenn es für ihn möglich ist.
Zudem wäre ich froh, Hermann, wenn du dir mit deinen Teamkollegen zusammen
eine Strategie überlegen könntest, wie wir in Zukunft mit solchen Personaleng-
pässen besser umgehen könnten. Es wäre zum Beispiel möglich, auch mit andern
Kanzleien zusammenzuarbeiten oder ein Frühwarnsystem einzurichten, damit sol-
che unangenehmen Situationen erst gar nicht entstehen. Wie wäre es zum Beispiel
mit einer besseren Verknüpfung zwischen der Aufgabenplanung der gesamten
Rechtsabteilung und eurem Transaction-Management-Team? Vielleicht fällt euch
aber noch etwas anderes ein. Lass mich einfach bis nächsten Freitag wissen, was
ihr am besten findet.“ Röhrich verließ das Büro seiner Vorgesetzten. Man sah ihm
an, dass er innerlich etwas ruhiger und sogar ein bisschen stolz war, dass er soeben
mit einer wichtigen Optimierungsaufgabe betraut worden war. Mit dieser würde
er endlich zeigen können, dass er zu mehr fähig war, als sich „nur“ um rechtliche
Probleme zu kümmern.
Natürlich lief nicht alles völlig rund in der Rechtsabteilung. Auch mit den posi-
tiven Veränderungen, die Rita eingeführt hatte, gab es immer wieder Konflikte,
akute Notfälle und problematische Situationen. Doch die Mitarbeitenden wussten,
dass sie vieles selbst in die Hand nehmen konnten. Sie wussten zudem: Sollte es
ganz schlimm kommen, war auf ihre Vorgesetzte stets Verlass. Rita ihrerseits ver-
suchte gar nicht mehr, sich überall einzumischen oder alles an sich zu reißen und
selbst machen zu wollen. Die Blicke der Mitarbeitenden, die sich seit einiger Zeit
immer mehr mit Selbstvertrauen und Entschlossenheit füllten, sprachen ein deutli-
ches Bild für die Eigenverantwortung, die diese unter Ritas Führung immer mehr
zu übernehmen begannen. Kurz bevor Rita in die Mittagspause ging, schaute sie
nochmals im Outlook die Pendenzenliste durch und war zufrieden, dass sie bereits
einen Großteil der für heute vorgesehenen wichtigen Arbeiten erledigt hatte.
Über Mittag traf sie sich mit zwei ihrer Mitarbeitenden zu einem gemütli-
chen Lunch. Die Stimmung war vergnügt, die drei sprachen über Themen, wel-
che die Rechtsabteilung betrafen. Sie tauschten sich aber auch über persönliche
und andere interessante Sachen aus. Für Rita war es wichtig, sich jede Woche
zwei Lunchtermine für Gespräche mit einer sich stetig abwechselnden Kombina-
tion von Mitarbeitenden offenzuhalten. Schließlich war dies eine gute Team-Buil-
ding-Maßnahme, die als Identity Happening ausgestaltet dazu führte, dass Rita
einen guten Draht zu ihren Mitarbeitenden hatte und bestens über Vorgänge im
Unternehmen und in ihrer eigenen Abteilung unterrichtet war, da sie sich selbst
nicht allzu sehr in den Flurfunk einlassen wollte. Zudem war ein Lunchtermin
pro Woche jeweils für interne oder externe Interaktionspartner bestimmt und zwei
weitere für ihren ausschließlich privaten Gebrauch, in denen sie oft spazieren ging
oder eine Sporteinheit über Mittag einlegte. Nach dem Lunch erledigte sie noch
340 R.P. Falta
einige Administrativaufgaben, für welche die leichte Trägheit nach dem Mittag-
essen genau richtig war, besprach zwei Anliegen direkt mit ihren Mitarbeitenden
und führte noch einige Telefonate. Die Zeit nach dem Mittagessen war gemeinhin
immer etwas hektisch, doch Rita versuchte auch hier ruhig zu bleiben und jeweils
eine Aufgabe nach der nächsten abzuarbeiten. Heute hatte sie ihre „Büroöffnungs-
zeiten“ etwas verkürzt, damit sie noch genügend Zeit hatte, um ihre Gedanken auf
das vorstehende wichtige Meeting zu fokussieren und die Budgetpräsentation ein
letztes Mal durchzugehen. Zuvor machte sie sich aber noch eine Liste mit denjeni-
gen Aufgaben und Telefonaten, die sie heute nicht mehr geschafft hatte und die sie
daher auf die morgigen Öffnungszeiten umlegen musste.
Als Rita den Meetingroom einige Minuten zu früh betrat, fühlte sie sich zwar
etwas nervös, insgesamt aber ausgeglichen, selbstbewusst und gut vorbereitet.
Sie begrüßte jedes einzelne Geschäftsleitungsmitglied mit Handschlag und eini-
gen freundlichen Worten. Sie freute sich über diese sich ihr heute bietende Gele-
genheit, um die neue Ausrichtung der Legal Operations und die dafür benötigten
Mittel denjenigen Personen vorzustellen, welche die stets knappe Geldbörse des
Unternehmens verwalteten. Und sie wollte in der kurzen Zeit, in der sie mit der
gesamten Geschäftsleitung zusammensaß, das Maximum für ihre Abteilung her-
ausholen. Die Präsentation dauerte nur rund 45 min und verlief so rund und ange-
nehm ab, wie es sich Rita am Morgen vorgestellt hatte. Auch einige Nachfragen
konnten zur vollsten Zufriedenheit der Anwesenden geklärt werden. „Ich verstehe,
dass sie den Nutzen der Budgeterhöhung hinterfragen. Deshalb habe ich folgendes
Chart erstellt, aus dem ersichtlich ist, dass die zusätzlichen Kosten durch Wert
steigerungsmaßnahmen innert einer Frist von nur fünf Monaten wieder hereinge-
holt werden. Dadurch resultiert im Schnitt über die nächsten zwölf Monate ein net
cash flow von 1,5 Mio. EUR durch die Rechtsabteilung. Die Budgeterhöhung stellt
also ein sehr gutes Mittel dar, um dadurch – im Gegensatz zu der damit verbunde-
nen einmaligen Investition – bedeutend höhere Optimierungsgewinne über einen
Zeitraum von zwei Jahren einzubringen.“ „Das macht tatsächlich alles Sinn“,
gab darauf Gesine Bismarck, die CFO des Unternehmens zurück. „Unter den von
Ihnen zugrunde gelegten Annahmen sieht das wirklich vielversprechend aus.“ „Es
sieht so aus, als hättest du deine Hausaufgaben gemacht, Rita. Ich bin auch davon
beeindruckt, wie du die Rechtsabteilung in den vergangenen Monaten auf Vorder-
mann gebracht hast. Weiter so…“, fügte Roland Wüthrich, der CEO, hinzu, dem
man es ansah, dass er sich ehrlich freute. Ritas Budgeterhöhung wurde einstimmig
in der Form genehmigt, in der sie diese der Geschäftsleitung vorgelegt hatte. Was
aber noch viel wichtiger war, Rita hatte dieser Gruppe erfahrener Manager wie-
der in Erinnerung gerufen, dass das Legal Team eine wichtige und wertschöpfende
Funktion im Unternehmen war und stets auch das Finanzergebnis im Blick hatte,
anstatt wie früher fast ausschließlich ängstlich vor Rechtsrisiken zu warnen. Für
Rita bedeutete es persönlich, sich vor den einzelnen Mitgliedern der Geschäfts-
leitung professionell und ergebnisorientiert zeigen zu können und dadurch die
bereits guten Beziehungen zu diesen weiter zu vertiefen. Zudem freute sie sich
über das Lob, das sie erhalten hatte. Aber noch viel mehr freute sie sich darüber,
dass sie selbst auf sich stolz sein konnte, ein solch wichtiges Meeting erfolgreich
27 Self Management für Unternehmensjuristen 341
abgeschlossen zu haben. „Das ist erst der Anfang“, dachte sie. „Ich kann tat-
sächlich einiges bewegen. Ich werde auch in Zukunft dafür sorgen, dass mit der
Rechtsabteilung zu rechnen ist. Ich weiß, ich kann es schaffen, bald selbst Mit-
glied der Geschäftsleitung zu sein. Sofern ich den anderen weiterhin zeigen kann,
welchen echten Mehrwert sie durch mich erhalten.“
Nachdem sie noch einige Komplimente von verschiedenen Geschäftsleitungs-
mitgliedern für ihre Präsentation erhalten hatte, kehrte sie mit einem guten Gefühl
in ihr Büro zurück. Die nächsten Stunden verbrachte sie damit, die noch wichtigen
Tagesaufgaben fertigzustellen, auch wenn ihr dies heute aufgrund ihres Hochge-
fühls etwas schwerer fiel als sonst. Sie verließ am Abend das Büro ohne Arbeit
mit nach Hause zu nehmen. Sie nahm grundsätzlich keine Arbeit mit nach Hause,
wenn es nicht unbedingt nötig war, da sie es fast immer schaffte, ihre Arbeiten,
die sie nicht delegieren konnte oder wollte, innerhalb der Bürozeiten fertigzustel-
len. Trotzdem hatte sie zu Hause immer wieder ausgezeichnete Ideen zu Heraus-
forderungen in ihren Legal Operations, die besonders dann auftauchten, wenn sie
sich entspannte oder sich mit anderen Dingen beschäftigte. Sie hatte daher stets
irgendwo ein Tablet in ihrer Nähe, um solche Geistesblitze sofort aufzeichnen zu
können. Viele solcher Ideen bewahrten sie vor einem späteren großen Arbeitsauf-
wand im Büro. Heute Abend würde zu Hause aber Feiern auf der Tagesordnung
stehen. Rita ertappte sich dabei, dass sie eine bekannte Melodie, die aus dem
Radio kam, mitsummte, während sie sich in den Fahrersitz zurücklehnte und noch
einmal den ganzen Tag und ihre Erfolge Revue passieren ließ. Während sie durch
die Frontscheibe auf die verschneite Schneekulisse um sich blickte, dachte sie mit
einem Lächeln auf den Lippen: „Ich habe wirklich den besten Job der Welt. In ihm
kann ich meine Stärken voll ausleben und viel Positives für meine Kollegen und
das Unternehmen bewirken… So, jetzt aber ab nach Hause! Jetzt ist erst einmal
Feiern mit meinen Liebsten angesagt.“
(zum Beispiel das verschneite Auto morgens und abends) sind völlig überflüssig,
da er überhaupt nichts daran ändern kann. Eine positive Geisteshaltung lässt uns
dies erkennen und kann uns dabei helfen, diese vermeintlich negativen Aspekte
des Lebens in positiven Elan umzuwandeln. Hätte Hans auch einige Schneebälle
geworfen – wer hat das als Kind nicht gerne gemacht –, wäre er wohl schon mit
etwas weniger Verdruss in den Tag gestartet. Zudem übt sich Rita in Selbstkon-
trolle, indem sie klar ihr Tagespensum am Morgen vorausplant und es vor dem
Lunch nochmals auf die erzielten Fortschritte hin überprüft.
Auch die Hauptaufgabe, das Halten der Budgetpräsentation, geht Rita gewis-
senhaft an und tut alles dafür, dass diese möglichst gut verläuft. So, wie sie es
sich mehrfach vorgestellt hatte. Visualisierungen und positives Denken helfen Rita
dabei, sich in eine angenehme, lockere und dabei trotzdem selbstbewusste Stim-
mung zu versetzen. Obwohl sie, wie jeder andere, vor dem Meeting nervös ist, da
für sie und die Rechtsabteilung viel auf dem Spiel steht. Darin zeigt sich auch die
hauptsächliche Stärke ihres Self Management: Sie geht alles mit einer positiv-op-
timistischen und konstruktiven Haltung an und richtet ihr gesamtes Denken und
Handeln daran aus. Sie überlässt ihre positive Stimmung aber nicht dem Zufall,
sondern achtet genau darauf, dass sie selbstbestimmt diese beeinflussen kann (zum
Beispiel durch die Betrachtung der speziell dafür ausgewählten Bilder in ihrem
Büro, durch den Kanalwechsel am Radio oder durch „Mikrorealitätsfluchten“ –
die ganz kurzen für Rita aber enorm erfrischenden Tagträume).
Zudem erlaubt sie sich auch immer wieder „Mikrobelohnungen“, um weiterhin
hoch motiviert zu bleiben. Diese erfolgen in unterschiedlichen Formen: Einmal
mental (zum Beispiel durch „gesundes“ Eigenlob oder die Vorstellung positiver
Effekte ihrer Handlungen), das andere Mal auf physische Art und Weise (durch
das Genießen der Aussicht aus ihrem Bürofenster, durch Spaziergänge über Mit-
tag, um sich für die harte Arbeit des Morgens zu belohnen, oder durch das Fei-
ern der Budgeterhöhung zu Hause). Dabei hört sie genau auf ihren Körper und
weiß daher, dass ihre Aufmerksamkeitsspanne nur eine gewisse Zeit anhält (zum
Beispiel nutzt sie den Wecker, um zu wissen, wann es wieder Zeit ist, eine kurze
Pause einzulegen). Durch die Einhaltung dieses Rhythmus bleibt sie den ganzen
Tag über maximal produktiv und geistig fit. Zudem weiß sie, welcher chrono-bio-
logische Tagesrhythmus am besten für sie geeignet ist (zum Beispiel beschäftigt
sie sich morgens mit den intensivsten Arbeiten und erledigt kurz nach dem Mit-
tagessen „lockere“ Gespräche und Telefonate). Manchmal reflektiert Rita über
den Sinnbezug, den sie selbst durch ihre Arbeit erfährt (zum Beispiel durch die
Abendreflexion über die positiven Aspekte des Tages oder durch eine selbstver-
stärkende Konklusion darüber, dass sie den besten Job der Welt hat) und darüber,
welchen Sinn sie für ihre Mitarbeitenden und ihr Unternehmen stiftet.
Schließlich hat Rita auch gelernt, dass positives Self Management dazu animiert,
bewusste positive Denkmuster umzusetzen: Im Gegensatz zu Hans, für den der
Berufsalltag zur Qual geworden ist, da überall Probleme lauern und er die betrieb-
liche Realität durch einen fast ausschließlich negativen Wahrnehmungsfilter sieht,
steht bei Rita die Sichtweise im Vordergrund, die Probleme als H erausforderungen
27 Self Management für Unternehmensjuristen 343
zu verstehen und in ihnen die Möglichkeiten des Wachstums und der Sammlung
von Erfahrungen zu sehen. Dabei hat dies nichts mit einem „rosaroten Einfärben
der Welt“ zu tun oder einer naiv-optimistischen Haltung. Es geht vielmehr darum,
die Welt so zu sehen, wie sie ist, aber sich nicht von Problemen und Hindernis-
sen unterkriegen zu lassen. Es geht für Rita darum, sich ihre Zufriedenheit und
Freude zu erhalten, die mit der spezifischen Wahrnehmung ihres Lebens verknüpft
ist. Viele Menschen, wie wohl auch Hans Schmidt, vergessen gerade im hekti-
schen Berufsalltag allzu oft, dass unsere Lebenszeit nicht ewig währt und dass das
Leben, das wir zurzeit führen, kein Training und keine Vorbereitung auf etwas ist,
das irgendwann noch kommen soll. Unser Leben spielt sich im Hier und Jetzt ab.
Daher ist es auch so wichtig, dieses gegenwärtige Leben durch Self Management
positiv und angenehm zu gestalten. Nur so können die zwei Leitmaximen „Leis-
tungsfähigkeit“ und „Lebenszufriedenheit“, die aufs engste miteinander verknüpft
sind – das eine gibt es nicht ohne das andere – langfristig im eigenen Leben veran-
kert und jeden Augenblick gelebt werden. Wie Sie Ihr Leben gestalten, ob eher in
der Art, wie es Rita versucht, oder ob Sie sich wie Hans den Umständen ergeben,
ist nur davon abhängig, wofür Sie sich persönlich entscheiden. Das Tolle daran: Der
Entscheid zu einem positiven Self Management zu wechseln, kann jederzeit erfol-
gen. Auch während Sie diese Zeilen lesen. Aber er muss bewusst erfolgen und es
muss Ihnen Spaß machen, sich mit sich selbst zu befassen, sich selbst einmal in den
Mittelpunkt Ihrer Aufmerksamkeit zu stellen und sich das eigene künftige positive
Selbst in seiner ganzen Farbenpracht vorzustellen.
Aus Rita's Geschichte lassen sich bereits einige Ideen für ein Self Manage-
ment-Entwicklungsprogramm ableiten. Sofern Sie die eigene Lebensgestaltung
aber noch mehr in Ihren Lebensmittelpunkt rücken möchten, gilt es, sich in einem
ersten Schritt zu überlegen, was „Spitzenleistung“ und „Lebenszufriedenheit“
eigentlich für Sie persönlich bedeuten. Bei beiden Worten handelt es sich bekannt-
lich um Begriffe, die unterschiedlich interpretiert werden können; genauso wie
„Lebenssinn“, „Lebensfreude“, ein „gutes Leben führen“, „Karriere machen“,
„gute Beziehungen haben“, „altern und sterben“ etc. Auch diese stellen individuell
attribuierte Konstrukte dar, über die es sich ebenfalls lohnt, aus der eigenen sub-
jektiven Perspektive heraus zu reflektieren. Ein ausgezeichnetes Instrument5, um
sich innert relativ kurzer Zeit einen Überblick über die eigenen Lebensziele zu
verschaffen, geben auch diverse Anleitungen in Self-help-Büchern.
5Beispiel
„Personal Elite Performance (PEP) SELF-ASSESSMENT – EINZELPERSONEN“,
www.septagon.ch/media/text-publikationen. Besucht 10. Mai 2017.
344 R.P. Falta
Sobald Sie sich intensiv mit sich und Ihren allgemeinen Lebenszielen ausein-
andergesetzt haben, gilt es, anhand dieser ein auf Ihre individuellen Bedürfnisse
zugeschnittenes Self Management-Entwicklungsprogramm zusammenzustellen.
Eine Individualisierung ist hierbei besonders wichtig, da ja auch Sie selbst abso-
lut einzigartig sind. Jeder Mensch verfügt über ein spezielles Persönlichkeits- und
Skillprofil, weist einen unterschiedlichen Werdegang auf, hat exklusive Erfahrun-
gen gemacht und verfügt daher über besondere Stärken und Schwächen in Hin-
blick auf sein eigenes Self Management. Aus diesem Grund funktionieren die
Ratschläge aus Self-help-Ratgebern oft nicht in der gewünschten Weise, da sie, um
sich an ein breites Publikum zu wenden, in der Regel zu allgemein gehaltene Stra-
tegien, Methoden und Tipps bereit halten. Dennoch lohnt sich, ab und zu auch ein
Blick in solche – meist nicht-wissenschaftliche – Literatur zu werfen, da sie dazu
inspirieren kann, eigene neue Wege einzuschlagen.
Es gilt daher, sich intensiv zuerst mit den eigenen Zielsetzungen zu beschäftigen:
Was fehlt mir heute in meinem Leben? Welche der suboptimalen Bereiche möchte
ich zuerst angehen? Wo bin ich bereits gut und möchte dort noch besser werden?
Wo bin ich momentan kritisch unterwegs? Bedingt eines meiner Ziele als Grund-
lage, dass ich zuerst einige andere Punkte in meinem Leben ändere? Bis wann
27 Self Management für Unternehmensjuristen 345
möchte ich jedes der Ziele erreicht haben? Wer kann mich darin persönlich unter-
stützen? Wo finde ich inhaltliche Hilfestellung? Was mache ich bei Rückschlägen?
Wie stelle ich die Veränderungsmotivation für die nächsten zwölf Monate sicher?
Gibt es in meinem Umfeld jemanden, der an demselben Ziel arbeitet und sich mit
mir austauschen oder kooperieren würde beziehungsweise wir uns gegenseitig
motivieren könnten?
Wo befinden sich die einzelnen Stellschrauben, die für meine persönliche Weiter-
entwicklung nötig sind? In diesem Bereich lohnt sich ein Blick auf professionelle
Hochleistungsprogramme. So gibt es bei diesen keine unbegrenzt hohe Zahl an
Sachverhalten, die eine optimale Ausrichtung auf persönliches Wachstum ermög-
lichen. Zum Beispiel werden im PEP-Programm, wie in Abb. 27.1 dargestellt, vier
Lebensbereiche unterschieden, die für das Self Management von Spitzenleistern
und „Superstars“ in Sport, Kultur und Wirtschaft maßgeblich sind.
• Neuro-Energetics – Alles, was sich in Ihrem Kopf abspielt: Wie wir bei
Rita gesehen haben, bestand die Grundlage für ihre Lebenszufriedenheit und
überdurchschnittliche Leistungsfähigkeit in der Art und Weise, wie sie dachte,
sich selber sah und mit welcher Haltung sie an die Dinge ihres Arbeitsalltags
heranging. Mithin liegen in der Beeinflussung der eigenen Wahrnehmung, der
eigenen Stimmungen, Einstellungen und dergleichen die größten Veränderungs-
potenziale für Ihr positives Self Management. Für Sie heißt das, sich mit der
Wahrnehmung der eigenen Vergangenheit (konstituierende Vergangenheit), den
Wünschen und Hoffnungen (antizipierende Zukunft), der meist unbewussten
(habituelle Gegenwart) sowie der bewussten Gegenwartsbewältigung (transmu-
tierende Gegenwart) auseinanderzusetzen.
• Bio-Energetics – Alles, was mit Ihrem Körper zu tun hat: Getreu dem latei-
nischen Bonmot mens sana in corpore sano spielt die körperliche Verfassung
ebenfalls eine entscheidende Rolle für die persönliche Leistungsfähigkeit und
Lebenszufriedenheit. Im Beispiel nimmt sich Rita alle 65 min Zeit für eine
kurze Pause und bewegt sich dabei regelmäßig. Besonders bewusst wird dieser
Lebensbereich, wenn es einer Person gesundheitlich nicht mehr gut geht (bei
Hans könnte das Zusammenziehen des Magens am Morgen eventuell auf eine
Erkrankung hindeuten). Sind Körper und Geist nicht in Ordnung, ist an echte
Zufriedenheit und Leistung nicht zu denken.
• Socio-Dynamics – Alles, was mit Interaktionen mit anderen Menschen zu
tun hat: Von den in der Regel engsten sozialen Beziehungen in der eigenen
Familie, über „echte“ Freunde, Kollegen bis hin zum Umgang mit Fremden.
Unser Bild von diesen und die Interaktionsmuster, die wir auf sie anwenden
(siehe dazu auch Kap. 31), haben ebenfalls einen wesentlichen Effekt auf
unsere Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit. Rufen Sie sich dazu nur den
Unterschied zwischen der Begrüßungsweise zwischen Hans und Rita mit den
Geschäftsleitungsmitgliedern in Erinnerung oder die Interaktionen mit ihren
jeweiligen Ehepartnern und Arbeitskollegen.
• Exo-Hypostatics – Alles, was mit der Welt und uns in ihr zusammen-
hängt: Selbstverständlich haben auch all unsere Fähigkeiten, Ressourcen und
Werkzeuge, mit welchen wir in der Welt gestaltend tätig sind, einen elemen-
taren Einfluss auf unsere Leistungsfähigkeit – und über diese auch auf unsere
Lebenszufriedenheit. Die meisten von uns konzentrieren sich bei ihren per-
sönlichen Weiterbildungsmaßnahmen jedoch fast ausschließlich auf zwei
6Die vier PEP-Lebensbereiche können hier aus Platzgründen nur oberflächlich wiedergegeben wer-
den. Weiterführende Informationen zur Nutzung der PEP-Bausteine für Ihr eigenes Self-Manage-
ment-Entwicklungsprogramm finden Sie unter www.septagon.ch. Besucht 10. Mai 2017.
27 Self Management für Unternehmensjuristen 347
Falls eine weitere Hilfestellung bei der Implementierung einzelner Self Manage-
ment-Maßnahmen benötigt wird, finden Sie eine Fülle von Material dazu im Inter-
net oder Ihrer Buchhandlung.7 Das wichtigste am Self Management aber ist: Es
genügt nicht nur, die einzelnen Entwicklungselemente zu kennen. Sie müssen
diese auch tatsächlich auf Ihr Leben anwenden – Schritt für Schritt. Fangen Sie
noch heute damit an, es lohnt sich.
Literatur
Neck CP, Manz CC (2013) Mastering self-leadership – empowering yourself for personal excel-
lence, 6. Aufl. Pearson Education, New York
Weiterführende Literatur
Allen D (2015) Getting things done – the art of stress-free productivity. Revised edition. Penguin
Books, New York
Carter C (2015) The sweet spot – how to find your groove at home and work. Ballantine Books,
New York
Hall LM, Bodenhamer BG (2010) Mind-lines – lines for changing minds, 5. Aufl. Neuro-Seman-
tics Publications, Clifton
Kristeller J (2015) The joy of half a cookie – using mindfulness to lose weight and end the strug-
gle with food. Orion, London
Markman AB (2014) Smart change – five tools to create new and sustainable habits in yourself
and others. Penguin Books, New York
7Es gibt unterschiedliche Programme: Holistische, wie das PEP-Programm von SEPTAGON,
das speziell für die obersten 1 % der Spitzenleister aus Sport, Kultur und Wirtschaft entwickelt
wurde und aus dessen frei zugänglichen Informationen man ein hocheffektives Entwicklungspro-
gramm kostenlos für sich selbst zusammenstellen kann. Es gibt aber auch eine riesige Zahl von
Einzelprogrammen auf dem Büchermarkt, die oft einen einzigen Aspekt herausgreifen. Beispiele:
High Performance Workflow Management von Allen (2015), Verhaltensänderungsprogramm von
Markman (2014), Mind-Lines-Programm von Hall, Bodenhamer (2010), Achtsamkeits- und Pro-
duktivitätstraining von Carter (2015) oder das achtsamkeitsbasierte Ernährungsprogramm von
Kristeller (2015).
348 R.P. Falta
Die Führung eines Legal Operations Teams ist insbesondere im Hinblick auf die
Spezifika seiner juristischen Teammitglieder, wie nachfolgend aufgezeigt, nicht
ganz einfach und kann für den General Counsel eine nicht zu unterschätzende
Vision Vision
formulieren Legal Opera ons Team Leader hochhalten
Team au auen Self Management
Einzelne Gesamtes
Mitarbeitende Legal Opera ons Team
Massnahmen Massnahmen
formulieren führen & fördern führen & fördern
umsetzen
Abb. 28.1 Aufgaben des General Counsel als Team Leader. (Quelle: QUADRAGON Manage-
ment LLC)
1Maister (2008, S. 229 ff.). Die nachfolgenden Beschreibungen sind Extrembeispiele und kom-
men in rein aggregierter Ausprägung eher selten vor.
28 Team Management für Unternehmensjuristen 351
Bereich für die Arbeit des Juristen eine weniger große Rolle spielt, als die in ihren
Augen hoch angesehene logisch-analytische respektive juristische Brillanz, mit
der sich Rechtsfälle vermeintlich gewinnen lassen. Das Zurückhalten oder gar Ver-
stecken eigener Gefühle wird jedoch mit einem negativen Tribut hinsichtlich der
Gestaltung der eigenen Interaktionen zu Kollegen, internen Interaktionspartnern
und oft auch im Privatleben erkauft. Oftmals sind Juristen, wie Dr. Bollmann im
Vorwort ausführt, sogar regelrecht stolz darauf, als etwas eigenbrötlerisch und dis-
tanziert wahrgenommen zu werden. Vertrauen und Zusammenhalt gedeihen in
einem solchen Umfeld daher beschwerlich und in der Regel nur langsam.
Widersprüche und Ungereimtheiten, die dazu führen, dass rechtlich gesehen ein
Fall, beispielsweise vor Gericht, gewonnen werden kann. Allerdings machen sich
viele Juristen – besonders diejenigen in Unternehmen – dadurch das Arbeitsleben
oft selbst schwerer als nötig. Sie werden von ihrer Umgebung durch dieses Verhal-
ten oft als „nörglerische“ Kollegen wahrgenommen, welche stets bemüht sind, das
„Haar in der Suppe“ zu finden, mit welchen jedes unternehmerische Handeln nun
einmal behaftet ist. Da das Suchen nach Schlupflöchern und Schwachstellen aber
zum Juristenberuf gehört, gehen viele Juristen in ihrer professionellen Wahrneh-
mung davon aus, dass nicht nur stets mit dem Schlimmsten zu rechnen sei, sondern
auch in den Vorschlägen der Gegenseite eine feindliche Gesinnung lauere.
Zudem werden neue Sachverhalt aufgrund dieser spezifischen Wahrnehmung
grundsätzlich immer als „Großrisiken“ eingestuft. Der Jurist tut sich schwer damit,
unternehmerische Chancen, welche durchaus risikobehaftet sein können (siehe dazu
auch Kap. 47), differenziert als solche wahrzunehmen. Risiken sind in seiner Wahr-
nehmung eigentlich immer red flags, welche er einfach nicht tolerieren kann/will.
Dies hat seinen Ursprung darin, dass in seiner Welt alles – egal, ob Stellungnahmen,
Verträge oder neue Geschäftskonzepte – bulletproof sein muss. Lernt ein Unter-
nehmensjurist jedoch, seine Schilde auch einmal herunterzufahren und sich darauf
einzulassen, dass Entscheidungen im Unternehmen auf Grundlage gültiger Prinzi-
pien und Leitlinien des Unternehmens getroffen wurden (siehe dazu auch Kap. 10),
gestaltet sich auch sein Arbeitsalltag bedeutend einfacher. Wenn er lernt, Risiken
nuanciert, und nicht nur mit der „juristischen Brille“, sondern auch mit der unterneh-
merischen zu betrachten, muss er nicht immer alles hinterfragen, seine Ratschläge
möglichst vage formulieren und sich immer eine Hintertüre offenhalten. Mithin ein
Verhalten an den Tag legen, welches genau die Grundlage für die oft monierte Wahr-
nehmung von Unternehmensjuristen als „Geschäftsverhinderer“ bildet.
Unter solchen Bedingungen kann es für einen General Counsel besonders schwie-
rig sein, die richtige Umgebung für eine Gruppe individualistischer, antiautoritärer
und von Berufs wegen skeptischer sowie risikoaverser Gefolgsleute zu schaffen.
Zumal er ja auch regelmäßig ein Mitglied dieser „Spezies“ darstellt. Dennoch ist
es gerade für General Counsels besonders wichtig, eine Umgebung zu schaffen, in
der nicht nur Vertrauen und Teamleistungen überhaupt möglich werden, sondern
auch ein Team entstehen kann, das gemeinsam Spitzenleistungen erbringt; das
sich zu einem advisory partner team entwickelt, welches in der ganzen Unterneh-
mung respektiert und hoch geschätzt wird. Besonders für „frisch gebackene“ Gene-
ral Counsels kann sich der Einstieg in die Rolle eines Team Leaders besonders
schwierig gestalten. Diese sind in der Regel noch nicht gewohnt, ihre Aufmerk-
samkeit auf die Ziele und den Erfolg anderer zu richten und ihren Einfluss auf Mit-
arbeitende auszuüben, ohne dabei dominant zu wirken. Schließlich soll ein Team
Leader als Katalysator wirken. Er soll seine Zeit also vor allem darauf verwenden,
28 Team Management für Unternehmensjuristen 353
Die Hauptaufgabe eines General Counsel ist es, jedem Mitarbeitenden und dem
gesamten Team zu helfen, die verschiedenen Herausforderungen des Arbeitsalltags
zu meistern. Er muss zudem die Übersicht über sämtliche Geschäfte haben und die
einzelnen Aufgaben auch in Bezug auf ihre Schnittstellen zu anderen Abteilungen
überwachen. Schließlich ist er es, der dem Management zur Rechenschaft ver-
pflichtet ist. Diese Rolle unterscheidet sich fundamental von derjenigen des Legal
Counsel, also derjenigen Rolle, welche er selbst über lange Zeit hinweg ausgeübt
hat.3 Im Gegensatz zum Legal Counsel muss der General Counsel Enthusiasmus,
Energie und Optimismus am Arbeitsplatz verbreiten und seinen Mitarbeitenden
stets das Gefühl geben, dass sie nicht nur „reine Angestellte“ sind, sondern Mitun-
ternehmer, welche einen maßgeblichen Anteil zum Erfolg der Legal Operations
beitragen. Eine weitere Fähigkeit des General Counsel als Team Leader muss es
sein, sich gut mit Menschen auszukennen, um jedem einzelnen Teammitglied die
passende Rolle zuzuteilen. Diese sollte nicht nur perfekt auf den einzelnen Legal
Counsel passen, sondern ihn befähigen, zur spezifischen Zielerreichung der Legal
Operations und des gesamten Unternehmens maßgeblich beizutragen. Durch seine
Arbeit nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere Sinn zu stiften.
Das Scheitern als Führungspersönlichkeit ist oft vorprogrammiert, wenn ein Gene-
ral Counsel seine Hausaufgaben nicht gemacht hat und nicht zu 100 % weiß, wie
er sein Team genau führen und ihm dabei helfen möchte, hochgesteckte individu-
elle und gemeinsame Ziele zu erreichen. Dabei muss der General Counsel fachlich
nicht besser sein als seine Mitarbeitenden, aber in Sachen Verhalten und Einstel-
lung als Vorbild vorangehen. Aus diesem Grunde sollten Sie als General Coun-
sel mit Ihrem Team zusammen definieren, welches Ihre Hauptpflichten als Team
Leader sind und welche Verantwortungsbereiche Sie an andere abgeben. Zudem
sollten Sie sich darüber Gedanken machen, wie Sie die Erreichung Ihrer Leader
ship-Ziele messen und welches die Konsequenzen aus deren (Nicht-)Erfüllung für
Sie sein sollen. Zumal ein wichtiger Aspekt bei der Weiterentwicklung bestehen-
der Strukturen in Legal Operations die Fähigkeit des General Counsel ist, jeweils
mit gutem Beispiel voranzugehen. Dadurch, dass er sich für seine Führungsrolle
rechenschaftspflichtig zeigt, macht er es seinen Mitarbeitenden einfacher, es ihm
gleich zu tun, da sich in einer Rechtsabteilung nichts ändert, weder die Befolgung
neuer Zielvorgaben, noch die Umsetzung von Strategien, solange diese den Mitar-
beitenden einfach nur „auf die Nase gedrückt“ werden.
Schließlich gilt es nicht „Wasser zu predigen und Wein zu trinken“, sondern bei
Mitarbeitenden dafür bekannt zu sein, dass man einmal gemachte Versprechen
auch einhält. Nichts ist vertrauensschädigender, als ein Vorgesetzter, auf dessen
Wort man sich nicht verlassen kann. Zumal sich Mitarbeitende von einem Vorge-
setzten wünschen, dass er:5
• nach den Grundsätzen und Vorgaben lebt, die er selbst aufgestellt hat und
nachdrücklich vertritt;
• als Vorbild dient, welches sie dazu inspiriert, es ihm gleich zu tun;
• durch seine Integrität auffällt und stets die Werte des Unternehmens sowie
der Abteilung hochhält;
• als integraler Bestandteil des Teams und nicht als davon losgelöster und
abgesonderter „Chef“ wahrgenommen wird;
• sie mit konstruktivem Feedback versorgt, welches ihnen hilft, ihre Leis-
tung zu verbessern;
• sie stets dazu motiviert, über sich hinauszuwachsen und weiterzuentwi-
ckeln;
• ihnen das Gefühl gibt, ein wichtiger Teil eines sinnvollen und wichtigen
Ganzen zu sein;
• anstatt Einzelkämpfertum, Kooperation und Teamwork fördert;
• sie an allen für sie wichtigen und für ihre Arbeit notwendigen Informatio-
nen aus dem Unternehmen teilhaben lässt;
• ihnen dabei hilft, wichtige Projekte für ihr berufliches Fortkommen zu fin-
den und umzusetzen;
• sich ihnen gegenüber stets fair und unterstützend verhält;
• ihnen beratend zur Seite steht und stets ein offenes Ohr für ihre Belange
hat;
• ihre Leistungen würdigt und diese auch intern an wichtige Personen kom-
muniziert.
Wenn wir die Vielzahl positiver Fähigkeiten und Fertigkeiten von Führungsper-
sönlichkeiten ansehen, fällt auf, dass fachlich-technische Kompetenzen von Vor-
gesetzten bei Mitarbeitenden keinen besonders hohen Stellenwert haben. Die
rechtliche Expertise mag für einen General Counsel durchaus entscheidend sein,
wenn er den Aufsichtsrat oder die Geschäftsleitung in rechtlichen Fragen berät
oder diesen als Sounding Board für die Diskussion strategischer Optionen dient.
Für die Führung und Entwicklung der Rechtsabteilung haben diese aber keine
besonders hohe Relevanz.
• Rufen Sie sich immer wieder Ihre „Passion“ für Ihren Beruf in Erinnerung. Nur
wer als Führungspersönlichkeit mit Hingabe an seine Aufgaben herangeht, wird
6Wenn Ihnen private Gespräche mit Mitarbeitenden unangenehm sind, bedenken Sie: Die Leis-
tungsfähigkeit am Arbeitsplatz wird maßgeblich vom privaten Umfeld des Mitarbeitenden mit-
bestimmt. Krankheiten, Probleme mit Kindern oder Ehepartner etc. werden nicht am Eingang
abgegeben. Wenn Ihnen nicht nur eine gute Arbeitsatmosphäre, die Wahrnehmung als „guter
Chef“, sondern auch die Leistungserbringung Ihrer Rechtsabteilung am Herzen liegt, sollten Sie
sich auch für die privaten Probleme Ihrer Teammitglieder Zeit nehmen.
7Broderick (2011, S. 267 ff.).
28 Team Management für Unternehmensjuristen 357
festgelegt werden. Tun Sie dies unbedingt zusammen mit Ihren wichtigsten
Mitarbeitenden. Diese können einerseits wichtige Inputs beisteuern, anderer-
seits holen Sie sie durch deren Partizipation von Anfang an mit ins Boot.
Widerstehen Sie der Versuchung, diese Aufgabe irgendwo „im stillen Kämmer-
lein“ oder gar nicht zu machen (siehe dazu detailliert Kap. 11).
Wie wir zu Beginn dieses Kapitels gesehen haben, lassen sich Juristen nicht in der
gleichen Art und Weise führen, wie dies bei anderen Berufsgattungen in der Regel
möglich ist. Stattdessen bedienen sich herausragende General Counsels in der
Praxis vor allem des Coaching-Ansatzes, um einzelne Legal Counsel zu führen.
Dieser Ansatz ist genauso zielgerichtet, wie andere Führungsarten, weist aber den
großen Vorteil auf, dass er situativ und individuell besonders gut auf jedes einzelne
Teammitglied angepasst werden kann. Sofern Sie sich für den Coaching-Ansatz
bei Ihren Legal Counsels entscheiden, sollten Sie auch alle anderen Mitarbeiten-
den der Rechtsabteilung in dessen Genuss kommen lassen. Einerseits ist es für
Sie selbst auf die Dauer mühsam, zwischen zwei verschiedenen Führungsarten
hin- und herzuwechseln. Andererseits würde die klassische Führungsweise bei den
Paralegals und dem Sekretariatspersonal aus Gleichbehandlungsgrundsätzen mit
der Zeit auf Widerstand und Ablehnung stoßen.
Coaching ist die beste Methode, um Legal Counsels einzeln zu führen, da Sie
diese dadurch auch gleichzeitig fördern können. Sie ist zudem sehr gut mit der
individualistisch ausgerichteten, antiautoritären und skeptischen Persönlichkeit
von Juristen kompatibel. Von Ihnen als Coach wird dabei verlangt, dass Sie sich
auf Ihre Mitarbeitenden einlassen (gegenseitiger Respekt und Vertrauen sind das
hierfür nötige Fundament) und ein gutes Gespür dafür entwickeln, wann Ihre Hilfe
tatsächlich benötigt wird und wann nicht. Führen Sie auf keinen Fall Coachings
durch, wenn eine der Parteien besonders aufgeregt, erzürnt oder unter Zeitdruck
ist. In solchen Situationen ist eine Vertagung anzuraten. Dabei gilt es zwischen
spezifischen und regelmäßigen Coaching meetings zu unterscheiden: Regelmäßige
sollten mit jedem Legal Counsel ein- bis zweiwöchig für jeweils 30 min erfolgen.
Spezifische Coaching meetings sind hingegen immer dann nötig, wenn aktueller
Bedarf bei einem Ihrer Mitarbeitenden besteht. In der Regel ist dies der Fall:10
• wenn dieser direkt um Ihren Rat, Ihre Hilfe, Unterstützung oder Ihr Feedback
nachsucht;
• wenn er Schwierigkeiten mit einer neuen Aufgabe oder mit neuer Verantwor-
tung hat;
• wenn er festgefahren ist, durcheinander, ausgelaugt oder frustriert wirkt;
• wenn er unregelmäßig performt oder seine Leistung unter Standard liegt;
• wenn er Verhalten an den Tag legt, welches seine oder die Arbeit anderer nega-
tiv beeinflusst.
Bevor Sie voller Enthusiasmus mit dem Coaching loslegen, sollten Sie den Mit-
arbeitenden hierzu jedoch jedes Mal einstimmen. Dies gelingt am einfachsten,
indem Sie diesen zu Beginn des Coaching meetings mit allgemeinen Einleitungs-
fragen abholen (Wie geht es dir? Wie lief das Meeting mit X? Bist du bereit, über
XYZ zu reden?). Erst, wenn Ihr Gegenüber bereit ist, sollten Sie damit beginnen,
Fragen zur eigentlichen Problemsituation zu stellen. Sobald der Mitarbeitende mit
der Darstellung des Sachverhalts beginnt, sollten Sie vor allem eins tun: zuhören.
Lassen Sie Ihr Gegenüber 90 % der Zeit reden. Unterbrechen Sie es nur, wenn Sie
spezifische Nachfragen haben, um die Situation zu verstehen. Sobald die gesamten
Umstände offen auf dem Tisch liegen und Ihr Gegenüber durch die Aussprache
nicht selbst auf mögliche Lösungsvorschläge gekommen ist (in der Regel findet
die gecoachte Person durch die offene Aussprache oft die Lösung selbst), ist Ihre
Zeit gekommen, um Ihre Sichtweise oder einen Perspektivenwechsel anzubringen.
Hierbei sollten Sie ehrlich Ihre Meinung aussprechen, nicht aber versuchen, den
Mitarbeitenden von einem bestimmten, von Ihnen favorisierten Lösungsweg zu
überzeugen. Er sollte sich stets im driver seat fühlen und selbst die Initiative für
Veränderungen ergreifen können. Wichtig ist danach eine gemeinsame schriftliche
Vereinbarung der nächsten Schritte, zu welchen Sie Ihre Hilfestellung anbieten
können. Schriftlichkeit deshalb, weil alles, was nicht schwarz auf weiß niederge-
schrieben wurde, nicht existiert.
Essenziell für ein zielführendes Coaching ist der Umstand, dass eine Vertrau-
ensbasis vorbestehen muss, damit sich Mitarbeitende gegenüber dem Coach öff-
nen können. Als Coach müssen Sie zudem jedes Mal wieder aufs Neue unter
Beweis stellen, dass Sie sich ehrlich für die Belange des anderen interessieren. Sie
müssen nicht nur das Potenzial in der anderen Person sehen, sondern dieser auch
mitteilen können, bis zu welchem Grad sie dieses momentan erreichen kann. In
der Praxis führt regelmäßiges Coaching dazu, dass sich Mitarbeitende selbstbe-
wusster fühlen und sich dadurch auch an immer größere Herausforderungen her-
antrauen. Zudem arbeiten sie länger und härter und fühlen sich motivierter sowie
enthusiastischer, was die eigenen Entwicklungsmöglichkeiten anbelangt. Dies
ist wichtig, da die persönliche Leistungsfähigkeit besonders stark vom eigenen
Selbstvertrauen und der intrinsischen Motivation abhängt. Sämtliche Maßnahmen,
welche die Entwicklungsmöglichkeiten unterstützen und mit klaren Zielen sowie
mit ehrlichem Feedback versehen sind, führen dazu, dass der entsprechende Mitar-
beitende versuchen wird, stets sein Bestes für die Legal Operations zu geben.
360 R.P. Falta und R. Müller
Der Versuch, sein Bestes zu geben, genügt manchmal nicht. Als Team Leader ist
es Ihre Aufgabe, verbindliche Ziele mit Ihren Mitarbeitenden zu vereinbaren und
deren Erreichung zu kontrollieren. Hierzu bieten sich sogenannte regelmäßig
durchgeführte performance counseling meetings an. Bei ihrer Durchführung sind
folgende Punkte zu beachten:11
dass der Kritisierte defensiv auf diese reagiert und sich in Erklärungsgefechte
zurückzieht. Schließlich sollte jeder Mitarbeitende in der Selbstevaluation nicht
nur ausschließlich einen Vergleich zum letzten (Halb-)Jahr, sondern über seine
gesamte Arbeitszeit hinweg ziehen, um auch die großen Entwicklungen mit
einzubeziehen. Zu guter Letzt ist anzufügen, dass unter „guter Performance“
verstanden wird, dass sich jemand gegenüber der Ausgangslage verbessert hat,
und nicht einfach nur weiterhin auf gleichem Niveau verbleibt – egal wie hoch
dieses ist.
• Durchführen von performance counseling meetings: Diese beginnen damit,
dass der Mitarbeitende seine Selbstevaluation Ihnen gegenüber offenlegt und
seine eigene Sichtweise einbringen kann. Unterbrechen Sie ihn auf keinen Fall,
bis er alles gesagt hat. Nun ist die Zeit gekommen, Ihre eigene Beurteilung abzu-
geben: Wo sehen Sie die Evaluation gleich, wo nicht? Die Diskussion darüber
kann dem Mitarbeitenden dabei helfen, seine eigene Selbstwahrnehmung zu
überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Halten Sie alles schriftlich fest,
auch ungleiche Wahrnehmungen des Selbstbildes. Überlassen Sie die finale
Performance-Evaluation dann aber dennoch dem Mitarbeitenden selbst: Jeder
Mitarbeitende, der so behandelt wird, fühlt sich respektiert und wird seine Leis-
tungsbereitschaft weiterhin zu erhöhen versuchen. Sollte sich dennoch jemand
wiederholte Male völlig falsch (übermäßig positiv) einschätzen, so hat er in
Ihren Legal Operations keine Zukunft. Besprechen Sie mit dem Mitarbeitenden
aber nicht nur Leistungsziele, reservieren Sie sich auch genügend Zeit, um des-
sen Fähigkeiten zu besprechen. Wo steht er in Bezug auf die folgenden Berei-
che und wie hat er sich in diesen seit dem letzten Meeting entwickelt?
– Drive, Selbstmotivations- und Selbstregulationsfähigkeiten;
– interpersonelles Kooperationsverhalten und Teamwork innerhalb der Legal
Operations;
– Leadership-Fähigkeiten (Motivations-, Delegations- und Supervisionskompe-
tenzen);
– Planungs- und Organisationsfähigkeiten (Arbeiten und Projekte umsetzen);
– Kreativität und Innovationsfähigkeit (eigene Arbeit, Abteilung und Unterneh-
men optimieren);
– Self Management-Fähigkeiten (siehe dazu detailliert Kap. 27);
– Kommunikations- und Coaching-Fähigkeiten.
• Karriereplanung ansprechen und umsetzen: Die individuelle Karriereplanung
sollte im Rahmen der performance counseling meetings immer auch einen Platz
haben. In der Praxis hat es sich bewährt, die Besprechung der Karriereplanung
1–2 Wochen nach dem performance counseling meeting durchzuführen. Dies
ermöglicht es Ihnen als General Counsel einerseits, sich Gedanken zu möglichen
Aktionen und Programmen für den Mitarbeitenden zu machen. Der Mitarbeitende
andererseits hat durch die dazwischenliegende Zeit die Möglichkeit, die Eindrücke
des performance counseling meetings sedimentieren und eventuelle neue durch
Sie vermittelte Sichtweisen beziehungsweise Zielvorstellungen auf sich einwirken
362 R.P. Falta und R. Müller
Als General Counsel führen und fördern Sie nicht nur jeden einzelnen Mitarbei
tenden individuell, sondern haben auch die Aufgabe, Ihr gesamtes Team zu einer
gut funktionierenden „Einheit“ zu verbinden. Die Buchstaben des Wortes TEAM
bedeuten denn auch „Tut Etwas Außergewöhnliches Miteinander“14. Natürlich
unterstützen Sie die Interaktion und Kooperation zwischen Ihren Mitarbeiten-
den bereits, wenn Sie die unter Abschn. 28.4 beschriebenen Coaching- und
performance-Maßnahmen umsetzen. Dennoch beinhaltet die Führung und Förde-
rung eines Legal Operations Teams noch einiges mehr. Es gilt, aus einer Gruppe
individualistischer Juristen (natürlich auch mit Einbezug der Paralegals und des
Sekretariatspersonals) ein Team zu formen, das nicht einfach nur „irgendwie“
zusammenarbeitet, sondern dies überdurchschnittlich gut tut. Also ein Team,
in welchem sich die Mitglieder gegenseitig unterstützen, anfeuern und sich
13SMARTIES-Vorgaben bedeuten, dass sie nicht nur SMART (specific, measurable, attainable,
relevant und time-bound) sind, sondern auch noch über die drei IES-Dimensionen implementa-
tion intentions, exceptions clarified sowie eine systemic perspective verfügen. Weiterführende
Informationen finden Sie unter https://mappalicious.com/2014/01/04/goals-why-smarties-are-
smarter-than-smart. Besucht 28. November 2016.
14Hermann und Mayer (2014, S. 25).
28 Team Management für Unternehmensjuristen 363
darüber freuen, gemeinsam Erfolge zu erringen; vom Praktikant bis zum General
Counsel.
Hinsichtlich der Methodik und der angewandten Mittel für Teamleistung gibt es
natürlich große Unterschiede. Je nachdem, ob Sie eine der besten Bundesliga-
Mannschaften, ein weltberühmtes Orchester, die Geschäftsleitung eines großen
europäischen Unternehmens oder eben die lokale Rechtsabteilung eines Mittel-
standsbetriebs respektive einer Kommunalverwaltung führen. Die Grundlagen sind
für alle jedoch dieselben. Wie bei den vorgenannten Hochleistungsteams, welche es
sich leisten können, zweijährige „Rolls Royce“-Programme zur Teamentwicklung15
durchzuführen, um aus „Prima Donnas“ ein kooperatives und absolut eingespieltes
Hochleistungsteam zu formen, basiert auch die Führung Ihres eigenen Legal Opera-
tions Teams auf denselben Grundbausteinen. Bevor wir uns mit diesen beschäftigen,
sollten wir vorher aber noch einen Blick darauf werfen, was Teamentwicklung
eigentlich bezwecken soll und weshalb es auch für Sie als General Counsel durch-
aus sinnvoll sein kann, in die Entwicklung Ihres Teams zu investieren.
15Vgl. das „Team Elite Performance©-Programm“ unter www.septagon.ch. Besucht 28. Novem-
ber 2016.
16Hermann und Mayer (2014, S. 22 ff.).
364 R.P. Falta und R. Müller
Ein Hochleistungsteam, das mehr ist als nur die Summe seiner Teile und
synergetisch zusammenwirkt, zeigt folgende Ausprägungen, welche für Legal
Operations als Idealziele für Teamentwicklungsmaßnahmen herangezogen werden
können:
Alleine Ziele zu definieren genügt nicht, ohne diesen auch Taten folgen zu lassen.
Zudem müssen hierfür auch die entsprechenden Grundlagen gelegt werden. Wie wir
in der Einleitung von Abschn. 28.5 gesehen haben, sind diese bei allen Teams – egal
ob im Spitzensport, der Kultur, in obersten Unternehmensgremien oder in Legal
Operations – die Gleichen. Diese Grundlagen bilden nicht nur den Rahmen für
die Analyse des Status quo, sondern vielmehr die Landkarte für den Einsatz posi-
tiver Entwicklungsprozesse. Wenn wir also von „führen und fördern“ eines Legal
Operations Teams sprechen, meinen wir damit, die Arbeit an der vollständigen, in
Abb. 28.2 dargestellten, „Landkarte“ der Teamentwicklungsmöglichkeiten.
Die jeweils vier blauen und roten „TEP-Grundlagenbausteine“ bilden dabei die
Innenwelt eines Hochleistungsteams ab, während die vier gelben die Interaktions-
möglichkeiten und die grünen die Ressourcen in der Außenwelt darstellen. Nach-
folgend werden die 16 TEP-Grundbausteine kurz vorgestellt, damit General
28 Team Management für Unternehmensjuristen 365
Counsels einen Überblick über alle Facetten erhalten, welche für die Entwicklung
von Spitzenteams in Legal Operations maßgeblich sind.17
17Die vier TEP-Bereiche können hier aus Platzgründen nur sehr oberflächlich wiedergegeben
werden. Weiterführende Informationen finden Sie unter www.septagon.ch. Besucht 28. Novem-
ber 2016.
366 R.P. Falta und R. Müller
In Tab. 28.1 werden die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Möglichkeiten
für die Teamentwicklung gegenübergestellt. Diese Übersicht soll Ihnen die Aus-
wahl etwas erleichtern, sofern Sie sich aktuell auf der Suche nach etwaigen Team
entwicklungsangeboten befinden.
Aus dem jeweiligen Fazit der einzelnen Alternativen wird klar: Die eine
beste Lösung für alle gibt es nicht. Sie müssen sie aufgrund der individuellen
Umstände, in welchen sich Ihre Legal Operations befinden, für sich selbst heraus-
finden. Vergleichen Sie auf jeden Fall verschiedene Anbieter und wählen Sie nur
dasjenige Angebot aus, das Ihren Vorstellungen von Teamentwicklung am nächs-
ten kommt, und dessen Anbieter Ihnen von Anfang an sympathisch erscheint. Die
„Chemie“ zwischen Ihnen, Ihrem Team und Ihrer Teamentwicklungsbegleitung
muss stimmen.
Tab. 28.1 Vor- und Nachteile diverser Angebotsformen der Teamentwicklung (TE)
Kriterium Keine TE TE-Maßnahmen (einzeln) Externes Team-Coaching TE-Programm („light“) SEPTAGON TEP©-Pro-
gramm**
Nutzenerwartung: Keine (weiter wie bisher) Gering (gering bis Gering bis mittel; Mittel bis hoch; maß- Ausgezeichnet; für
mittel*); Wirkung hält maßgeblich vom Coach geblich vom Anbieter -Teams aber nicht
in der Regel nur Tage/ abhängig abhängig geeignet
Wochen an
Umfang: Kein Punktuell, je nach Bedarf Punktuell bis mittel-um- Umfang nach Bedarf; Besonders umfangreich,
fassend; individuell in der Regel individuell absolut individuell
anpassbar anpassbar
Personal: Kein 1 TE-Experte 1 TE-Coach 1–2 TE-Experten 1–15 TE-Experten
Zeit: Kein Gering; in der Regel Individuell, je nach Vereinbart, vorab 2–3 Jahre pro Einzel-
Tages- oder 2-Tagesse- Bedarf bestimmbar durchlauf
28 Team Management für Unternehmensjuristen
minare
Kosten: Keine Gering bis mittel Gering bis mittel Mittel (bis hoch) Extrem hoch
Fazit: Sie haben bereits ein Gut, um den Team-Spi- Ein Top-Coach ist Sofern auf die indivi- Falls Kosten keine Rolle
absolutes Spitzenteam rit zu fördern und für relativ preiswert und duellen Kundenbedürf- spielen und die Ent-
oder möchten alles so gemeinsame Erinnerun- kann wahre Wunder nisse zugeschnitten und wicklung zum all star
belassen (ohne Leis- gen. Keine nachhaltige vollbringen. Es gilt hier Fokus auf Leistung; team ernst gemeint ist,
tungssteigerung), wie Wirkung, Spaßfaktor aber, die „Nadel im dann erste Wahl dann erste Wahl
es ist aber gegeben Heuhaufen“ zu finden;
dann erste Wahl
* Sofern einige Einzelmaßnahmen über eine bestimmte Zeitdauer verteilt werden, aber kein eigentliches Programm geschnürt wurde
** Einzelbeispiel, um das Maximum von TE-Maßnahmen aufzuzeigen (derzeit exklusivstes und teuerstes TE-Programm im DACH-Raum)
369
370 R.P. Falta und R. Müller
Literatur
Broderick M (2011) The art of managing professional services. Prentice Hall, New York
Hermann HD, Mayer J (2014) Make them go! Murmann, Hamburg
Maister DH (2008) Strategy and the fat smoker. Spangle Press, Boston
McKenna PJ, Maister DH (2005) First among equals. Free Press, New York
Weiterführende Literatur
Tuckman BW (2001) Developmental sequence in small groups. Group Facil Res Appl J 3:66–81
(Hrsg Schuman SP)
1DerBegriff „General Counsel“ soll in diesem Kapitel stellvertretend für sämtliche Führungskräfte
verwendet werden, die direkt oder indirekt eine leitende Stellung in Legal Operations wahrnehmen.
A. Fruehmann (*)
Wien, Österreich
E-Mail: office@fruehmann.eu
2Es erübrigt sich, in diesem Rahmen auf die derzeit allgegenwärtigen Herausforderungen im
rechtlichen Bereich näher einzugehen, die von Themen des Datenschutzes über Compliance und
regulatorische Beschränkungen bis zu den eher internen Schwachstellen von Rechtsabteilun-
gen wie Key Performance Indicators, Knowledge Pools oder dem Aufbau von nachhaltigen IT
Lösungen hin reichen.
3Ein nach Ansicht des Autors oft „hausgemachtes“ Problem der Rechtsabteilung, das durch eine
Business Units (mit teils unternehmensgefährdenden Folgen) finden sich derzeit gerne im Wett-
bewerbs- und Kartellrecht, im Umgang mit externen Daten oder auch in (internen) Bereichen wie
dem Vertragsmanagement (Stichwort Repository).
29 Legal Department Management – der Umgang mit Komplexität 373
Wenn man „Ashby’s Law“ als Anlass nehmen möchte, um über die eigene Posi-
tion als General Counsel und die funktionale Strukturierung der Rechtsabteilung
als Ganzes nachzudenken, so stellt sich in erster Linie die Frage: Welche Funk-
tionen haben die jeweiligen „Player“ innerhalb der Abteilung eigentlich wahr-
zunehmen? Wir sprechen hier nicht über die Bezeichnung des Einzelnen auf der
Visitenkarte (wie Contract Manager oder Senior IP Counsel), sondern über die
tatsächlichen Managementfunktionen. Für das leichtere Verständnis der weiteren
Ausführungen zunächst ein einfacher Vergleich: Stellen wir uns ein Orchester vor.
Es mag sein, dass sich das Orchester selbst verwaltet oder auch, dass es Teil eines
Eigentümerverbandes ist, wo es nur eines unter vielen spezialisierten Orchestern
ist. Es gibt einen Orchester-Vorstand (möglicherweise auch ein aus eigenen Rei-
hen gewähltes Exekutiv-Komitee), das den Tourplan, die allgemeinen Richtlinien
und die Auswahl der Dirigenten bestimmt. Das Orchester selbst besteht aus ver-
schiedenen Sektionen – Streicher, Bläser etc. –, diese wiederum aus Untergruppen,
wie etwa die Streicher aus Violinen, Violas, Celli, Bässe. Jede Untergruppe hat
einen Leiter, zum Beispiel der erste Geiger für die Violinen. Jeder Musiker steu-
ert für sich selbst wiederum seine eigenen Aktionen, hat sein Instrument, trainiert
seine Fertigkeiten, überprüft seine Qualität.
Wenn man sich das Orchester in dieser Form vor Augen führt, sieht man,
dass jede Ebene (das Orchester, die Streicher, die Violinen-Sektion, der ein-
zelne Violinist)
• einen eigenen Zweck verfolgt,
• eine eigene Umgebung hat,
• über ein eigenes Management (sei es das Schaltzentrum im Gehirn des
Geigers für den einzelnen Musiker, der erste Geiger für die Violin-Sek-
tion, sei es der Dirigent für die Streicher oder das Orchester Management
für die Gesamtheit) verfügt,
• eine eigene operative Einheit (das Instrument für den einzelnen Musi-
ker, alle Geiger gemeinsam für die Violin-Sektion, alle einzelnen Strei-
cher-Sektionen [Violinen, Celli, Violas, Bässe] gemeinsam für die
Streicher-„Abteilung“, Streicher und Bläser gemeinsam für das Orchester
als Gesamtheit) beinhaltet,
• für sich selbst und in sich selbst (autonom, in gewisser Handlungsfreiheit)
effektiv funktionieren muss.
Und wie sieht es mit dem „juristischen Orchester“ einer Rechtsabteilung aus? Die
Übung nunmehr, jeder der obigen Ebenen ein Pendant im Sinne einer rechtlichen
Funktion zuzuordnen (die Rechtsabteilung als Orchester, der General Counsel als
Vorstand, die IP Abteilung als Streicher etc.), sei jedem selbst überlassen. Anhand
dieses Beispiels lassen sich aber in jedem Fall folgende grundlegende Erkennt-
nisse ableiten:
innerhalb derer die Einheit funktioniert. Wir werden in Kürze sehen, warum diese
drei Ebenen gemeinsam ein einheitliches System (das sogenannte System 1) bil-
den (siehe Abb. 29.1).
Diese operationalen Management-Einheiten funktionieren allerdings nicht
vom Ganzen oder voneinander losgelöst, sondern finden sich in einem System
von checks and balances wieder. So bestimmt (und verantwortet) der Dirigent
etwa das zu spielende Programm (im Unternehmensbereich zum Beispiel ver-
gleichbar mit den strategischen Zielen für das kommende Jahr), die Zusammen-
setzung des Ensembles, die Orchestrierung, vor (vergleichbar mit den personellen
29 Legal Department Management – der Umgang mit Komplexität 375
MANAGEMENT
Aus Sicht des Viable System Model ist eine Organisation nur lebensfähig, wenn
sie ein bestimmtes Set an Managementfunktionen aufweist. Diese spezifischen
und untereinander interagierenden Managementfunktionen werden innerhalb des
Viable System Model als „Systeme“ beschrieben. Das Viable System Model kennt
fünf Systeme, die in der Folge kurz erklärt werden. Wir wollen bei jedem System
zum leichteren Verständnis auch einen beispielhaften Bezug zu den Funktionen
innerhalb einer Rechtsabteilung vornehmen.
Das System 1 umfasst alle Tätigkeiten, die auf Umsetzung und Zweckerfüllung
gerichtet sind und in welchen die eigentliche Leistungserbringung stattfindet. Ver-
einfacht gesagt, sind dies die operativ tätigen Einheiten. Innerhalb einer größeren
Rechtsabteilung wären dies die unterschiedlichen Abteilungen (Intellectual Pro-
perty (IP), Tax, Regulatory, Contracts, Compliance etc.). Jede Abteilung erbringt
ihre Leistung in einem ihr eigenen Umfeld, ihrer eigenen Umwelt. So arbeitet zum
Beispiel die Steuerabteilung in einem Umfeld von steuerrechtlicher Gesetzgebung,
sie ist beeinflusst von Entscheidungen der Höchstgerichte oder auch steuerpo-
litischen Agenden nach einer Regierungsumbildung und arbeitet womöglich mit
einem eigenen IT Tax Programm. Die Umwelt der IP Abteilung sieht wiederum
ganz anders aus. Gleichzeitig braucht jede operative Einheit eine Steuerungsein-
heit, um die Leistungserstellung zu koordinieren. Diese Steuerungseinheit wäre
die operative Leitungsfunktion, zum Beispiel die Leiterin der IP Gruppe.
Abb. 29.2 Übersicht zu Systemen 1 und 2, welche durch System 3 (Mgmt) verbunden sind. (Quelle:
Mark Lambertz, intelligente-organisationen.de; in Anlehnung an Beers Viable System Model 1985)
Dient als Unterstützung für alle auf gleicher Ebene nebeneinander bestehenden
Systeme 1. System 2 beinhaltet alles, was es braucht, um die verschiedenen Sys-
teme 1 miteinander zu koordinieren, ihnen Informationen untereinander und von
anderen Ebenen zur Verfügung zu stellen. Es dämpft Ungereimtheiten, fördert
Verständnis für Vorgaben und ermöglicht die Nutzung von Synergien innerhalb
der Systeme erster Stufe (siehe Abb. 29.2). Wenn wir uns eine aus verschiedenen
Abteilungen bestehende Rechtsabteilung vor Augen führen, so kann es sein, dass
die IP und die Vertragsabteilung laufend auf die gleichen Konferenzräume zugrei-
fen wollen oder die Hilfe der IT Abteilung primär für sich beanspruchen wollen.
Würde hier kein System 2 koordinierend eingreifen, wären Konflikte zwischen dem
System 1 (IP Abteilung) und dem System 1 (Vertragsabteilung) vorprogrammiert.
u Beachte: System 2 muss kein formaler Prozess sein. Es kann auch aus
informellen Abstimmungsmeetings, Gesprächen in der Mittagspause
oder der gemeinsamen Entwicklung eines Terminplans zur Nutzung der
Konferenzräume zwischen den Systemen 1 bestehen.
Die operative Gesamtleitung verbindet die Tätigkeiten aller Systeme erster Stufe zu
einem einheitlichen operativen Output und gewährleistet damit die Handlungsfähig-
keit des Gesamtsystems (in unserem Fall der Rechtsabteilung als G esamteinheit).
Laut Stafford Beer ist System 3 die für das Unternehmen entscheidende Führungs-
einheit („[…] System Three in practice really runs the enterprise.“9). Hier werden
Vorgaben an die Systeme 1 ausgegeben, Instruktionen, Guidelines und Policys
erstellt, Verantwortung von den Systemen 1 für ihre Aktivitäten eingefordert und
Ressourcen festgelegt (Budgets, Personalentscheidungen, Marketingaktivitäten,
Arbeitsinfrastruktur). Auf das Legal Operations Management umgelegt, befinden
wir uns hier im Kern der Funktion eines Leiters der Rechtsabteilung beziehungs-
weise eines General Counsel.10 Um es mit Stafford Beer zu beschreiben, muss
sich System 3 aller Aktivitäten bewusst sein, die innerhalb der operativen Gesamt-
heit (Rechtsabteilung, inside) zum aktuellen Zeitpunkt (now) stattfinden. Der
General Counsel ist angehalten, auf Entwicklungen innerhalb der einzelnen Abtei-
lungen zu reagieren, die Zuteilung von Personalressourcen und Budgets entspre-
chend zu gestalten und Synergien zwischen den Systemen zu erkennen und für die
gesamte Abteilung nutzbar zu machen.
Da eine rein vertikale Kontrollfunktion durch das operative Management nicht
immer ausreichend ist und auch die Gefahr eines Informationsdefizits von System
3 mit sich bringt, kennt das Viable System Model ein System 3* („System 3 Stern“,
„Audit“). Dieses nimmt eine Art informelle und spontane Monitoringfunktion ein,
die System 3 – neben den offiziellen Reportingmaßnahmen in der direkten Befehls
achse – weiteren Einblick über die Effektivität (oder Ineffizienz) der Umsetzung
der gemachten Vorgaben ermöglicht. Hierbei kann es sich zum Beispiel um unge-
plant eingesetzte Spot-Audits der Systeme 1 handeln oder aber auch um rein per-
sönliche Gespräche, die sich bei Rundgängen oder vor Meetings ereignen.
Der General Counsel, der sich vor einer unternehmensinternen Veranstaltung mit der
Leiterin des Tax Departments unterhält oder der Leiter der Vertragsabteilung, der
sich von einem seiner Contract Manager unangekündigt ein Update über ein aktuel-
les Projekt geben lässt – beide Aktivitäten erfüllen die Funktion von System 3*.
Beobachterfunktion in Bezug auf die Umwelt der gesamten Einheit. Denn ebenso wie
jedes System 1 seine eigene Umwelt hat, in der es agiert (siehe oben zum Umfeld der
Steuerabteilung), so ist auch die Gesamtheit in ein umfassendes Umfeld gebettet – in
unserem Beispiel bewegt sich die Rechtsabteilung in einer Umwelt, die aus den gesam-
ten restlichen Business Units, den rechtlichen Risiken und Trends in den verschiede-
nen Märkten oder etwa aktuellen oder zukünftigen politischen Entwicklungen bestehen
kann. Aus den Beobachtungen dieser Gesamtumwelt entwickelt System 4 die strategi-
sche Planung für die gesamte Einheit – vorausschauend und gleichzeitig auf Basis der
aus den Systemen 1 gespeisten Notwendigkeiten.
Die Funktion des General Counsel im Rahmen des strategischen Managements
im Sinne des System 4 ist gleichsam die Zusammenfassung der an ihn über Sys-
tem 3 herangetragenen Bedürfnisse und Erwartungen der einzelnen Abteilungen
und die Verknüpfung dieser Erwartungen mit den Erkenntnissen, die er aus der
„Gesamtumwelt“ der Rechtsabteilung gewinnt. So macht es Sinn, sich als General
Counsel zum Beispiel über die Neuerungen von Contract Management Software
im Rahmen einer Konferenz zu informieren oder den politischen Entwicklungen
in Europa zu folgen, sofern das Unternehmen europaweit tätig ist. Genau dieses
vorausschauende Wissen um die Umwelt kann für die strategische Planung der
operativen Einheiten lebensnotwendig sein – etwa, wenn die Vertragsabteilung
aufgrund der Anforderungen aus den Business Units mit der Vertragsabwicklung
an ihre Grenzen stößt und eine Einführung neuer Technologien sinnvoll wird oder,
wenn kommende politische Entwicklungen Gesetzesänderungen erwarten lassen,
die unmittelbare Auswirkungen auf das Unternehmen selbst haben würden.
Um eine Verknüpfung des Wissens hinsichtlich des inside and now, also der
aktuellen operativen Aktivitäten, mit der Vorausschau auf das outside and then
möglich zu machen, stehen die Systeme aller Stufen im Informationsaustausch
(siehe Abb. 29.3).
Abb. 29.3 Wechselwirkung der Systeme 3–1 sowie 3–4. (Quelle: Mark Lambertz, intelligen-
te-organisationen.de; in Anlehnung an Beer [1985])
380 A. Fruehmann
Sowohl das strategische als auch das operative Management können nicht in
einem Vakuum agieren. Sie brauchen identitätsstiftende Bewertungskriterien und
Orientierungspunkte. Was als logical closure bezeichnet wird, ist die wohl am
schwierigsten zu identifizierende Funktion.
System 5 setzt sich aus allen Elementen zusammen, die für das „Selbst-Bewusst-
sein“ – die Identität – der jeweiligen Gesamtheit als maßgebend angesehen werden
können (siehe dazu detailliert Kap. 9–13). In einem Unternehmenskontext mag
diese Identität unter anderem durch eine unternehmensweite Charter, ein Mission
Statement oder einen vom Vorstand ausgearbeiteten Ethikkatalog vorgegeben wer-
den. Ebenso könnten es aber auch die Eigentümerfamilie oder der CEO sein, die
in ihrer Gesamtheit und mit ihrer Dynamik einen erheblichen Teil der Identität
darstellen. In gleicher Weise ist es für System 5 essenziell, über die aktuelle Situa
tion innerhalb der Systeme erster Stufe wie auch über die strategischen Vorhaben
informiert zu sein. Ein Rechtsvorstand, der lediglich von einem kleinen Berater-
stab mit Informationen versorgt wird und keine anderen Informationsquellen über
die tatsächliche Effektivität von Maßnahmen innerhalb seiner Rechtsabteilung
beziehungsweise die Situation in den verschiedenen Fachabteilungen hat, läuft
Gefahr, seine normative Funktion rein auf Basis von subjektiv (durch den Berater-
stab und möglicherweise durch dessen Eigeninteresse) gefilterten Quellen auszu-
üben. In welcher Form auch immer eine gemeinsame Atmosphäre für die gesamte
Einheit (in unserem Fall die Rechtsabteilung) und damit ein Selbstbewusstsein
als Einheit geschaffen wird, bildet System 5 als policy function die gesamtheit-
liche Abrundung eines in sich geschlossenen, nach außen offenen, lebensfähigen
Systems. Sofern der General Counsel die Funktion von System 5 (oder einen Teil
davon) einnimmt, so besteht die Aufgabe unter anderem im Monitoring des ope-
rativen und strategischen Managements, einem Eingreifen im Falle außerordent-
licher Problemfälle und der Vorgabe von bindenden Rahmenbedingungen. Ein
General Counsel oder Rechtsabteilungsleiter, der meint, dass ihm damit offen
stünde, jederzeit in die Arbeitsprozesse seiner Abteilungen und Manager (also der
Systeme 1) einzugreifen und deren Autonomie zu beschränken, hat seine Funktion
allerdings jedenfalls missverstanden.
Wenn wir eine sehr einfach strukturierte Rechtsabteilung nunmehr zunächst
als klassisches Organigramm und nachfolgend in Gesamtschau der 5 Systeme des
Viable System Model betrachten wollen, so ergibt sich das in den Abb. 29.4 und
29.5 dargestellte Bild.
Abb. 29.5 In Abwandlung von Rechtsabteilung auf Basis des Viable System Model. (In Abwand-
lung von Quelle: Mark Lambertz, intelligente-organisationen.de)
auf einem anderen Blatt. Es gibt keine Glaskugel, in der man alle externen poli-
tischen oder internen geschäftspolitischen Entwicklungen und deren Auswirkun-
gen auf die Organisation (und damit direkt oder indirekt auf die Aktivitäten der
Rechtsabteilung) herauslesen kann. Dennoch beschreiben genau diese Situati-
onen die Umwelt der meisten Rechtsabteilungen punktgenau. Kaum eine andere
382 A. Fruehmann
Es reicht aus, dass eines dieser Merkmale nicht vollständig vorhanden oder dysfunk-
tional eingesetzt ist, damit die Lebensfähigkeit der gesamten Einheit eingeschränkt
wird. Selbst, wenn die Mehrzahl von Rechtsabteilungen aus einer kleinen organi-
satorischen Einheit besteht, so ändert dies nichts an der Notwendigkeit sämtlicher
Funktionen, um effizient auf Herausforderungen der Umwelt reagieren zu können.
29 Legal Department Management – der Umgang mit Komplexität 383
Die Liste könnte zweifellos lange fortgesetzt werden. Ideen zur weiteren Analyse
der oben gestellten Fragen könnte dieser Beitrag geliefert haben. Damit wäre auch
dem Ziel dieser Ausführungen entsprochen, nämlich dem Leser ein Organisations-
modell vorzustellen, das aus meiner Erfahrung in höchst effektiver Form für die
Diagnose, Entwicklung und Gestaltung gerade von Rechtsabteilungen als Systeme
besonderer Komplexität herangezogen werden kann. Es ist selbstverständlich, dass
auf diesen wenigen Seiten nur eine sehr vereinfachte Darstellung des Viable Sys-
tem Model möglich war und eine Vielzahl an effizienten, hier nicht beschriebenen,
Wegen besteht, um die mittels der VSM-Analyse aufgedeckten Verbesserungs-
potenziale in der Praxis zu nützen und umzusetzen. Ich bin aber überzeugt, dass
jeder General Counsel durch ein gewisses Grundverständnis für die notwendigen
Funktionsmechanismen effektiver Systeme und grundlegende Überlegungen, ob
die eigene Rechtsabteilung diese Mechanismen tatsächlich vollständig erfüllt,
einen wesentlichen Beitrag und sinnvollen Schritt zur Verbesserung der eigenen
Position wie auch des gesamten Legal Department leisten kann.
Literatur
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Wilms FEP (2009) Management-Cockpits zur Entscheidungsvorbereitung. Arbeitsbericht, FH
Vorarlberg Forschungszentrum Prozess- und Produkt-Engineering
29 Legal Department Management – der Umgang mit Komplexität 385
Eine Strategie zu haben, heißt nichts anderes, als genau zu wissen, wie ich „von A
nach B“ gelangen will. Mithin beinhaltet die Ausarbeitung von Strategien die Aus-
arbeitung von Handlungsoptionen. Durch die anschließende Auswahl der besten
Handlungsoption weiß ich wiederum, was ich wann, wie, mit wem, welchen Mit-
teln und wozu machen werde und natürlich auch, welche Handlungsoptionen eben
nicht umgesetzt werden. In der Praxis findet in vielen Rechtsabteilungen zwar Pla-
nung statt, echtes „strategisches Management“ von Legal Operations wird aber in
der Regel nur in internationalen Großunternehmen (und selbst dort nicht überall)
eingesetzt. Ich vermute, die mangelnde strukturierte „Strategisierung“ der Rechts-
funktion fußt auf dem Umstand, dass die hierfür benötigten Werkzeuge und Vorge-
hensweisen nicht ausreichend bekannt sind und dass das strategische Management
für viele General Counsels nicht im Vordergrund steht, da ihre Rechtsabteilungen
vorwiegend defensiv ausgerichtet sind. Solange nur an die Rechtsabteilung heran-
getragene Rechtsfälle abgearbeitet werden und sich das Legal Team nicht proaktiv
im Unternehmen positionieren muss, benötigen die Legal Operations in der Regel
auch kein professionelles Strategiemanagement.
Dabei folgt aus der Erstellung der Legal Operations Vision und den Legal
Operations Guidelines (siehe dazu auch Kap. 10) die Notwendigkeit eines stra-
tegischen Legal Operations Management. Dieses knüpft nahtlos an die bei-
den identity change tools an. Die dreiteilige Einheit aus Zielen, Strategien und
Maßnahmen wird fortgesetzt. Zudem profitiert die Strategieplanung der Legal
Strategie heißt, wie gesagt, von A nach B zu kommen. Daher ist es besonders
wichtig zu wissen, wo A und B liegen. Es geht darum, den Ist- und den Sollzu
stand zu ermitteln, in dem sich die Legal Operations hinsichtlich der verschiede-
nen Ziele, die vor allem aus der Vision und den Guidelines – aber auch aus den
anderen identity change tools – abgeleitet werden, genau befinden. Wir haben
bereits im Rahmen der Positionierungsdiskussion in Kap. 14 die verschiedenen
Umweltsphären und die internen sowie externen Tätigkeitsumfelder der Legal
Operations, wie in Abb. 30.2 dargestellt, kennengelernt. Sie bilden die Aus-
ganglage für das strategische Legal Operations Management.
Die Umwelt- und Umfeldstrategie-Analytik befasst sich mit einer möglichst sinn-
vollen und akkuraten Abbildung des Istzustand der Welt, in der sich die Legal
Abb. 30.1 Die drei Phasen des Strategic Legal Operations Management. (Quelle: QUADRA-
GON Management LLC)
2Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 88 f.) und die ausführliche Darstellung der Umweltsphären-
analyse bei Müller-Stewens und Lechner (2005, S. 205 ff.): strategische Frühaufklärung durch
systematisches Scanning des Umfelds, Monitoring relevanter Einzelphänomene und Situations-
analyse durch Szenariotechnik.
3Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 89 f.). und die ausführliche Darstellung der Interaktionsgrup-
penanalyse bei Müller-Stewens und Lehner (2005, S. 171 ff.): Ermittlung der Anspruchsgrup-
pen, deren Relevanz feststellen, Gegenüberstellung von Erwartungen und Nutzen, Überlegungen
zu Zielen, Strategien und Maßnahmen.
30 Strategieentwicklung für General Counsels 391
auch für deren strategisches Management insgesamt. Zur Beurteilung der Inter-
aktionsgruppenspezifika hilft ein einfacher Analyserahmen, der an die – in die-
sem Buch verwendete Modellsystematik für Legal Operations (siehe dazu auch
Kap. 1) – angelehnt ist:
Aus der Analyse der Umweltsphären und der diversen Interaktionspartner lässt
sich eine basic external gap map erstellen, die in Anlehnung an die SWOT-Analy-
sesystematik4 aufzeigt, wo die Risiken und Chancen in der Umwelt beziehungs-
weise die Stärken und Schwächen im Umgang mit Interaktionspartnern liegen.
Der große Vorteil dieser Istanalysen liegt darin, dass man verschiedene Parameter
der Umwelt und der Interaktionsgruppen – die man in der Regel verzerrt wahr-
nimmt – objektivieren und korrigieren kann. Zum Beispiel werden die Impacts
und Impact-Stärken von Umwelteinflüssen oft unterschätzt oder die Erwartungen
und der (entgangene) Nutzen, den sich Interaktionspartner versprechen, wenig rea-
litätsgerecht wahrgenommen. Vielfach merkt man aber auch, dass bisher zwar ein
Umweltsphären- und Interaktionsgruppen-Management betrieben wurde, dieses
aber falsch priorisiert war, indem man mit kaum beeinflussbaren Partnern viel Zeit
vergeudet oder sich ausschließlich auf solche fokussiert hat, die am einfachsten zu
bedienen waren.5
Eines der Ziele des strategischen Legal Operations Management ist es, die
ermittelten gaps zu schließen und die Zielvorgaben der Rechtsabteilung im Rah-
men der identity change tools in einem iterativen Strategieplanungs- und -aus-
wertungsprozess (durch weitere Analyserunden) stetig weiterzuentwickeln und zu
präzisieren. Mithin ist das strategische Management der Rechtsfunktion integral
mit der Identitätsbildung und -veränderung verbunden (siehe dazu detailliert Kap.
9–13). Trotz ausgefeilter Analytik ist zu beachten, dass diese immer nur ein Hilfs-
mittel darstellt, um Komplexität zu vereinfachen und die Welt, in der die Rechts-
abteilung agiert, logisch zu strukturieren. Die Analysen können nie so genau sein,
dass sie die Realität vollumfänglich abbilden würden. Die Ergebnisse sind daher
immer mit gesundem Menschenverstand zu betrachten. Auch wenn Sie als Gene-
ral Counsel dadurch mit einer gewissen Unsicherheit und Unschärfe hinsichtlich
gewisser strategischer Entscheide leben müssen, sind profunde Analysen dennoch
für ein echtes strategisches Management der Legal Operations unverzichtbar.
In der Praxis ist es von Vorteil, das Screening und Monitoring der einzelnen
Umweltsphären und Interaktionsgruppen auf die einzelnen Mitglieder Ihres Legal
Teams zu verteilen. So sollten jedem Teammitglied ein bis zwei Umweltsphären
und eine entsprechende Zahl an Interaktionsgruppen zugeteilt werden, für welche
die entsprechende Person zuständig ist. Dadurch nimmt jedes Teammitglied
bewusst eine aktive Rolle im strategischen Management der Rechtsabteilung wahr.
Das fördert nicht nur das Selbstvertrauen der Mitarbeitenden, sondern entlastet
auch Sie als General Counsel maßgeblich von dieser Aufgabe, die regelmäßig wäh-
rend des ganzen Jahres durchzuführen ist. In jedem wöchentlichen Teammeeting
sollten dann jeweils mindestens zwei bis drei Mitarbeitende über ihre aktuellen
Beobachtungen und Erkenntnisse aus deren individuellem Umweltsphären- und
Interaktionsgruppen-Monitoring sowie ihrer Interpretation derselben berichten.6
Über die Schlussfolgerungen aus den jeweiligen Erkenntnissen für die Rechtsabtei-
lung und über die – bei wichtigen Veränderungen – zu ergreifenden Sofortmaßnah-
men lassen sich im Anschluss spannende und für jedes Mitglied lehrreiche
Teamdiskussionen führen.
Im nächsten Schritt geht es darum, den Analysefokus nach innen ins Unterneh-
men oder die Behörde (Gesamtorganisation) zu richten und hier ebenfalls eine
Bestandsaufnahme des Istzustands zu machen. Dabei geht es darum, das eigene
Unternehmen respektive die eigene Behörde auf deren Chancen und Gefahren,
Stärken und Schwächen sowie auf eine Vielzahl weiterer wichtiger Elemente zu
untersuchen. Diese Analysen brauchen Sie in der Regel nicht selbst durchzu-
führen. Oft erhalten Sie die Informationen von der Strategieabteilung (Strategic
Development) oder der Geschäftsleitung Ihrer Organisation. Gute Beziehungen
erleichtern das Nachfragen teilweise vertraulicher Informationen. Sollten keine
aktuellen strategischen Großlagebeurteilungen erhältlich sein, können Sie auch auf
ältere (ein bis zwei Jahre) ausweichen, die intern regelmäßig einfacher zugänglich
sind. Im schlimmsten Fall können Sie einen Teil der benötigten Informationen
aus den letzten Geschäftsberichten und der Wirtschaftspresse herauslesen. Falls
auch dies nicht möglich sein sollte, führen Sie ausschließlich die Analyse des Ist-
zustands der Legal Operations durch. Zusammen mit den Informationen aus der
Umweltsphären- und Interaktionsgruppenanalytik sollten Sie ebenfalls über genü-
gend Informationen verfügen, um die professionelle Strategieplanung für Ihre
Rechtsabteilung an die Hand nehmen zu können.
Die Legal Operations-Analytik ihrerseits beschäftigt sich mit einer profunden
Statusanalyse Ihrer Rechtsabteilung. Dabei werden zuerst die für die Positionie-
rung wichtigen Bereiche des Leistungs- und Wertschöpfungsmanagements unter
die Lupe genommen, da dieses aufzeigt, welchen Beitrag die Legal Operations zur
Wertschöpfung der Gesamtorganisation beitragen. Bei der Auseinandersetzung mit
dieser Thematik kann die Beantwortung der nachstehenden Fragen helfen:7
7Vgl. dazu auch die ausführlichen Erläuterungen bei Müller-Stewens und Lechner (2005,
S. 212 ff.) insbesondere zum Skill-Mapping, der Chancenmatrix, der Analyse von Skill-Clustern
und Wertketten, zum 7-S-Modell von McKinsey sowie zur Kernfähigkeitenanalyse, die etwas
abgewandelt einen ebenfalls interessanten alternativen Analyserahmen für den Legal Opera-
tions-Gebrauch ermöglicht.
394 R.P. Falta
8Auch hier gilt es, zuerst ein Inventar der drei Strukturaldimensionen von Legal Operations
(Strukturen, Ressourcen und Prozesse), ihrer einzelnen Elemente und deren entsprechender
Ausprägungen anzulegen. Danach ist jede der im Inventar verzeichneten Position genau auf ihre
entsprechende Vollständigkeit, ihre sinnvolle Ausgestaltung, ihre Zielkonformität mit überge-
ordneten Zielen (aus den identity change tools) und auf ihre einwandfreie Funktion respektive
Schnittstellenverknüpfung zu prüfen.
30 Strategieentwicklung für General Counsels 395
Im nächsten Schritt gilt es, die Erkenntnisse aus den vorhergehenden Analysen
zusammenzufügen. Dazu können Sie sich der Tools aus der gesamtunternehmeri-
schen Strategieanalyse bedienen:9
Egal, ob und für welche dieser Tools Sie sich entscheiden: Wichtig ist, sämtliche
Informationen aus den durchgeführten Analysen und den beiden gap maps zu kom
binieren, um daraus wiederum eventuell neue – zuvor noch auf dem Level der
Einzelanalysen verborgene – Erkenntnisse über den Istzustand der Legal Operations
sowie möglicher Zukunftsszenarien zu ermitteln. Ebenfalls ein durchaus spannender
Vorgang, dessen Ergebnisse wiederum mit dem Legal Team diskutiert werden sollten.
Schließlich gilt es, die Erkenntnisse aus den kombinierten Analysen nochmals
ganz genau mit den Metavorgaben aus der Legal Operations Vision und den Legal
Operations Guidelines (siehe dazu detailliert Kap. 10) zu vergleichen, sofern sol-
che bereits vorhanden sind. Sollten Sie in Ihrer Rechtsabteilung die beiden ent-
sprechenden identity change tools noch nicht eingeführt haben, können Sie die
detaillierte Soll-Zielerstellung als Grundlage für eine entsprechende Nachbesse-
rung nehmen. Es ist wichtig, für alle sechs Bereiche des QUADRAGON Legal
Operations Management-Modells© und dessen Subbereiche die genauen Kern-
ziele nach SMARTIES10-Vorgaben zu definieren:
Zudem sind sämtliche Ziele der Legal Operations auf deren mögliche Zielkon-
fliktpotenziale hin zu überprüfen. In der Praxis gibt es immer wieder erstaunliche
Durch die Analyse-Phase wird die Grundlage für eine professionelle Strategiepla-
nung des Legal Operations Management gelegt. Je besser und fundierter die Infor-
mationen sind, mit denen ein General Counsel und sein Team arbeiten können,
desto einfacher gestaltet sich die nachfolgende Umsetzungsplanung.
Im ersten Schritt werden nun sämtliche Informationen noch einmal kurz gesichtet,
um einen guten Überblick zu erhalten und sich in die komplex-vernetzte Modell-
welt der Legal Operations hineinzudenken. Danach sind sinnvolle „Planungsein-
heiten“ zu bilden. In der Regel können solche direkt aus der Struktur des für Ihre
Rechtsabteilung verwendeten Managementmodells abgeleitet werden. Falls Sie
zum Beispiel das in diesem Buch verwendete QUADRAGON Legal Operations
Management-Modell© verwenden, können Sie sich einfach an die inhaltlichen
Modellvorgaben aus Kap. 1 halten; dadurch können Sie bereits alle Haupt- und
Unterbereiche auflisten und die Unterbereiche bei Bedarf noch weiter verfeinern.
In einer tabellarischen Gegenüberstellung sind dann die jeweiligen Ist- und Soll-
zustände sowie die Meta-Ziele aus Vision und Guidelines für jede Planungseinheit
einzutragen. Ist die Tabelle mit den entsprechenden Informationen für jede einzelne
Planungseinheit versehen, erfolgt die weitere strategische Planungsarbeit jeweils
immer in einem einzelnen Planungsbereich, bevor der nächste zum Zuge kommt.
Aufgrund der Gegenüberstellung von Ist- und Sollzustand sowie den zugrunde
gelegten Werten, Normen und Prinzipien aus der Vision und den Guidelines ent-
steht ein objektiver Rahmen für die Ermittlung der besten strategischen Lösungsva-
rianten. Der General Counsel kann nun selbst oder zusammen mit einzelnen
Teammitgliedern respektive dem ganzen Legal Team in den nachfolgenden Kreativ-
prozess eintauchen. Schließlich gilt es, für jede Ist-Soll-Diskrepanz die beste strate-
gische Handlungsoption zu finden. Je mehr Personen an diesem Verfahren beteiligt
sind, desto besser sind in der Regel auch die Ergebnisse. Zumal die involvierten
Personen jeden Problembereich aus einer subjektiv unterschiedlichen Perspektive
betrachten und dadurch viele verschiedene Facetten desselben Sachverhalts aufzei-
398 R.P. Falta
gen können. Der Prozess der Ideenfindung im Hinblick auf die einzelnen strategi-
schen Handlungsoptionen verläuft dann immer nach dem gleichen Muster ab:11
12Mögliche Kriterien: Ist die Idee ansatzweise realistisch bei uns umsetzbar? Passt die Idee
grundsätzlich zur Abteilungsphilosophie und zur aktuellen strategischen Ausrichtung der Rechts-
abteilung? Bietet die Idee ein attraktives Wertschöpfungspotenzial für die Legal Operations?
Verfügen wir über die nötigen Ressourcen, um diese Idee umsetzen zu können? Bestehen grund-
sätzlich der Wille und die Motivation bei den Mitarbeitenden, diese Idee umzusetzen? Etc.
13Erste Einschätzungen zur Sicht der internen und externen Interaktionspartner auf die entspre-
chende strategische Handlungsoption. Dazu eine etwas tiefer gehende Auseinandersetzung mit
ihrem Wertschöpfungspotenzial, ihren struktur-, ressourcen- und prozessseitigen Anforderungen
sowie der Durchführbarkeit durch das Legal Team.
400 R.P. Falta
Schließlich gilt es, bei der Umsetzung strategischer Initiativen und der Inte
gration strategischer Einzelmaßnahmen zu beachten, dass sie auf unterschiedli
chen Annahmen basieren, die sich im Zeitverlauf auch verändern können. Da
nicht alles zeitgleich in Angriff genommen werden kann, sondern während eines
Umsetzungszyklus (in der Regel über ein ganzes Betriebsjahr verteilt) nach den
strategischen Prioritäten umgesetzt wird, ist auf eine sklavische Einhaltung der
verabschiedeten Umsetzungsweise zu verzichten. Vielmehr sind die getroffenen
Annahmen vor der Implementierung strategischer Projekte oder Einzelmaßnah-
men immer noch einmal auf ihre Aktualität hin zu prüfen.
30 Strategieentwicklung für General Counsels 401
Sofern umgesetzte Strategien nicht die gewünschte Wirkung mit sich bringen, ist
dies immer ärgerlich. Es stellt sich dann die Frage, ob die Grundannahmen für
die gewählte Strategie falsch respektive zu ungenau waren (Analysefehler), ob
die Schlussfolgerungen aus den Analysen nicht richtig waren (Beurteilungsfehler)
oder ob die Umsetzungsmaßnahmen falsch oder nicht nachhaltig genug umgesetzt
wurden (Umsetzungsfehler). Aus diesem Grund sollte eine strategische Leistungs-
messung immer auf den drei nachfolgenden Kontrolldimensionen beruhen:
Prozessarchitektur umgesetzt und wie sinnvoll wurden dabei die neuen Pro-
zessdesigns gewählt? In welchem Ausmaß wurden die strategischen Initiativen
umgesetzt? Wurden die jeweiligen strategischen Aktivitäten zur richtigen Zeit
gestartet, die einzelnen Meilensteine und der Abschluss innert Frist erreicht?
Waren sämtliche für die Strategieumsetzung benötigten Ressourcen (Finan-
zen, Mitarbeitende, Sachmittel/IT, Information und Zeit; siehe dazu detailliert
Kap. 39) vorhanden und wurden diese richtig beziehungsweise vollständig allo-
ziert? Auf welche Widerstände stieß man bei der Umsetzung und was waren
die Folgen? Wurden überhaupt die richtigen Umsetzungsmaßnahmen getroffen,
um die strategischen Projekte oder Einzelmaßnahmen zum Laufen zu bringen?
Wurden die Umsetzungsmaßnahmen von den Mitarbeitenden sowie von den
internen und externen Interaktionspartnern angenommen beziehungsweise die-
sen genügend transparent und umfassend vorgestellt? Wurden die strategischen
Projekte oder Einzelmaßnahmen zur rechten Zeit und in der entsprechenden
Qualität/Quantität erbracht? Etc.
• Wirksamkeitskontrolle: Schließlich sollte immer auch eine Wirksamkeitskon-
trolle zur Prämissenkontrolle hinzutreten, zumal beide Kontrolldimensionen
komplementär zueinander stehen. In diesem Zusammenhang stellen sich zum
Beispiel folgende Fragen: Verfolgen wir in den Legal Operations überhaupt noch
die richtigen Ziele? Falls ja, konnten wir dann mit den gewählten Strategien
unsere Ziele erreichen? Sind wir unserer Legal Operations Vision dadurch aus-
reichend näher gekommen? Haben wir auf die richtigen Annahmen und Erfolgs-
faktoren gesetzt? Falls die Annahmen und Erfolgsfaktoren weiterhin richtig sind,
kann es sein, dass wir bei der Herleitung der strategischen Umsetzungsmaßnah-
men inhaltlich die falschen Schlüsse gezogen haben? Wurden die relevanten
Fähigkeiten und Fertigkeiten unserer Mitarbeitenden erkannt und – wie auch die
anderen Legal Operations-Ressourcen – sinnvoll auf die strategische Maßnah-
menumsetzung angewandt? Haben wir Umweltveränderungen und das Verhalten
unserer Interaktionspartner richtig in unseren Strategien berücksichtigt?
14Vgl. die GMN-Scorecard-Systematik bei Müller-Stewens und Lechner (2005, S. 722 f.).
30 Strategieentwicklung für General Counsels 403
Wie bei jedem Konzept, so entscheidet auch bei der strategischen Performance-
Messung die Art, wie sie eingeführt und umgesetzt wird, über ihren späteren
Erfolg/Nutzen. Die Leistungsmessung im Rahmen des strategischen Legal
Operations Management sollte daher nie zum Selbstzweck werden. Ihr Ziel
muss immer sein, unter minimalem Aufwand eine größtmögliche Zahl relevanter
404 R.P. Falta
Christian Dueblin: Herr Schindler, was waren damals, noch vor Ihrem
Eintritt bei Schindler, Ihre Beweggründe, ein Jurastudium anzugehen und
Wirtschaft zu studieren und nicht beispielsweise ein Ingenieurstudium zu
beginnen?
Alfred N. Schindler: Ich habe Recht und auch Wirtschaft studiert, weil ich in
einer Unternehmerfamilie aufgewachsen bin und die Sachzwänge des Unter-
nehmertums von klein auf kennengelernt habe. Am Tisch waren Gespräche
über Wirtschaft, unsere Firma und unternehmerische Herausforderungen alltäg-
lich. Bei diesen Diskussionen dominierten rechtliche und finanzielle Aspekte
weit mehr als technische. Das hat mich fasziniert, und so entschied ich mich,
Rechtswissenschaften zu studieren.
Christian Dueblin: Und, hat sich dieser Entscheid in der Praxis bestätigt?
Alfred N. Schindler: Mir wurde schon früh klar, dass rechtliches Wissen eine
relativ kurze Halbwertszeit hat. Ohne stete Weiterbildung wird das im Studium
erworbene Handwerk rasch obsolet. Nicht zuletzt wegen dieser Obsoleszenz ist
für mich das heute alles umfassende Recht ein sine qua non-Thema geworden.
In unserer exponentiell verrechtlichten und dirigistischen Welt gilt es, Risiken
rechtzeitig zu erkennen, richtig einzuschätzen und Schaden abzuwenden bzw.
zu mindern. Dafür sind wir auf das Spezialwissen unserer Rechtsabteilung
angewiesen. Ein Konzern ohne eine erstklassige Rechtsabteilung kommt heute
30 Strategieentwicklung für General Counsels 405
sehr schnell in die Bredouille – intern beschäftigen wir weltweit mehr als 60
Anwälte.
Christian Dueblin: Was sind Ihre persönlichen Erfahrungen mit der eige-
nen Rechtsabteilung?
Alfred N. Schindler: Wie bereits erwähnt beschäftigen wir über 60 Juristen.
Dazu kommen noch Paralegals und externe Spezialisten. Eine hochkarätige
juristische Abteilung ist in unserem Unternehmen nicht mehr wegzudenken.
Die Rechtsabteilung ist nicht nur ein defensives Instrument, sie sollte auch
proaktiv zur Unterstützung des operativen Geschäftes eingesetzt werden. Die
Größe der Rechtsabteilung ist letztlich auch auf die ebenfalls erwähnte, alles
umfassende Verrechtlichung zurückzuführen.
Christian Dueblin: Schindler hat sich schon sehr früh einen eigenen Code
of Conduct auferlegt. Auch hierfür bedurfte es viel juristischer Arbeit. Wie
kam es zum Code of Conduct und was hat er bewirkt?
Alfred N. Schindler: Meines Wissens waren wir 1993 die erste europäische
Aufzugsfirma, die einen ernst zu nehmenden Code of Conduct erarbeitete.
Nach langen Diskussionen auf verschiedenen Ebenen wurde er 1996 vom
Verwaltungsrat verabschiedet. Damals war der Compliance-Begriff für Mit-
telständer noch ein Fremdwort. Aufgrund meiner Ausbildung in den USA und
meiner Präsentation vor der Federal Trade Commission FTC (Übernahme von
Westinghouse Elevator) waren mir die Risiken im Kartellrecht vertraut. 2004
wurden wir in mehreren europäischen Ländern von einem sogenannten „Dawn
Raid“ der Kartellbehörde überrascht. Leider erhielten auch wir eine Buße, doch
es war mit Abstand die kleinste, und zwar vor einem Leniency Rabatt. Heute
führt unsere Rechtsabteilung jedes Jahr mindestens zwei sogenannte „Mock
Dawn Raids“ irgendwo im Konzern durch. Diese internen Manöver sind nicht
gerade beliebt, aber sie verdeutlichen die sogenannte „voice from the top“.
15(Schweizerisches) Bundesgesetz vom 24. März 1995 über die Börsen und den Effektenhandel
(Börsengesetz, SR 954.1).
30 Strategieentwicklung für General Counsels 407
Christian Dueblin: Verstehe ich die proaktive Tätigkeit richtig, wenn ich
sage, dass dahinter eine Art Social Responsibility steckt, die das Unterneh-
men verfolgt?
Alfred N. Schindler: Bei allen proaktiven Aktivitäten geht es primär um das
Unternehmen. Das schließt aber nicht aus, dass sich der Konzern auch am poli-
tischen Meinungsbildungsprozess beteiligt. Wir alle wissen, dass der Weg zur
Hölle mit guten Absichten gepflastert ist. Deshalb ist es auch sehr wichtig, dass
unausgegorene Gesetzesinitiativen und/oder die Regulierungswut, der Heimat
zuliebe, nachhaltig bekämpft werden.
408 R.P. Falta
Christian Dueblin: Sie haben selber verfolgen können, wie sich die Bedeu-
tung einer Rechtsabteilung und auch eines General Counsel im Unter-
nehmen mit der Zeit verändert hat. Wo erkennen Sie die wichtigen
Veränderungen der letzten Jahre?
Alfred N. Schindler: Es gibt nach wie vor den klassischen General Counsel,
welcher ein operatives Instrument der Konzernleitung ist und die Firma vor
Fehltritten schützt. In den letzten Jahren ist man sich jedoch der strategisch rele-
vanten Rechtsrisiken viel bewusster geworden. Überregulierung, Compliance
und internationale Unterschiede haben das Rollenverständnis stark beeinflusst.
Der General Counsel ist nicht nur das Rechtsgewissen der Firma, er ist auch
ein „Guardian of the Shareholder Interests“. Er ist ein nicht mehr wegzuden-
kender Teil der unternehmerischen Risikoabdeckung geworden und sollte mei-
nes Erachtens entweder im Verwaltungsrat oder der Konzernleitung Einsitz
nehmen.
16(Schweizerisches) Bundesgesetz vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizeri-
rische Zeitschrift für Wirtschafts- und Finanzmarktrecht (SZW) 106/2010:1 ff. und 106/2010:
25 ff.
30 Strategieentwicklung für General Counsels 409
Christian Dueblin: Wie gehen Sie mit der Frage der Hierarchie um? Für
einen Legal Counsel, in der Regel eine Stabsstelle, ist es nicht immer ein-
fach, sich durchsetzen zu können.
Alfred N. Schindler: Das ist eine gute Frage. Es kann wohl zu Spannungen
zwischen der Linie und der Rechtsabteilung kommen und diese sind durch die
Führung zu schlichten. Bei echten Risiken gewinnt aber immer die Rechtsabtei-
lung.
Eine starke Stimme des Rechts ist wichtig und hier zeigt es sich, dass es
sinnvoll ist, den General Counsel im Verwaltungsrat oder in der Konzernleitung
zu haben. Ebenso wichtig ist, dass der lokale General Counsel in den Kapil-
laren des Unternehmens direkten Zugang zum lokalen CEO hat. Last but not
least zählt nicht nur die Qualität der Arbeit, sondern auch die Persönlichkeit.
Stimmt beides, muss sich die Rechtsabteilung nicht um Einfluss und Anerken-
nung sorgen.
Literatur
Hugentobler W, Schaufelbühl K, Blattner M (Hrsg) (2012) Integrale Betriebswirtschaftslehre, 4.
Aufl. Orell Füssli, Zürich
Müller-Stewens G, Lechner C (2005) Strategisches Management: Wie strategische Initiativen
zum Wandel führen, 3. Aufl. Schäffer-Poeschel, Stuttgart
1Die Bekannteren, zu denen es im Buchhandel eine große Literaturauswahl gibt, dürften sein:
Das Sender-Empfänger-Modell von Shannon & Weaver, die Kommunikations-Axiome von
Watzlawick, das Vier-Ohren-Modell von Schulz von Thun, das NLP-Kommunikationsmodell
von Grinder & Bandler, die Themenzentrierte Interaktion von Cohn & Klein, die fünf Kom-
munikationskategorien von Virginia Satir, die Relational Frame Theorie von Steven C. Hayes,
die Transaktionsanalyse von Eric Berne, die vier Kommunikationsmaximen von Paul Grice, die
Kommunikationsregeln nach Carl Rogers, die vier Kommunikationsstile nach David Merrill etc.
2Watzlawick et al. (1967, S. 51).
Kommunikation hat nur zu einem relativ kleinen Teil damit zu tun, welche Inhalte
kommuniziert werden, sondern vor allem damit, wie die Gesprächspartner ins-
gesamt miteinander interagieren. Deshalb ist es auch bei der Beschäftigung mit
Kommunikation in Legal Operations besonders wichtig, was in den Gesprächs-
partnern vor, während und nach dem Gespräch vorgeht. Gerade in der Beziehung
zwischen General Counsel und den Mitgliedern des Legal Teams, aber auch in
Interaktionen zwischen den einzelnen Mitarbeitenden untereinander beziehungs-
weise zu internen und externen Interaktionspartnern, kommen in der Praxis fol-
gende drei Kommunikationsfehler relativ häufig vor:
3Beispiel: Sie erhalten als General Counsel um 8:00 Uhr einen Anruf der Sekretärin des Auf-
sichtsratsvorsitzenden, die Ihnen ohne weitere Angaben mitteilt, dass Sie sich um 13:30 Uhr
unbedingt in seinem Büro einzufinden haben. Ohne weitere Angaben werden Sie nun unter-
schiedliche Szenarien durchspielen: Vom unverbindlichen Gespräch bis zu Ihrer Kündigung
ist nun vieles vorstellbar. Bereits eine kleine Zusatzinformation über den Inhalt des Gesprächs
würde nicht nur Ihre Nerven schonen, sondern auch Ihre Produktivität während des ganzen Mor-
gens erhöhen, da Sie nicht die ganze Zeit an den bevorstehenden Termin denken müssten.
31 Kommunikation für Unternehmensjuristen 413
In diesem Kapitel beschäftigen wir uns damit, wie diese drei Kardinalfehler der
Kommunikation in Legal Operations vermieden werden und wie wir unsere Kom-
munikationsfähigkeiten als Unternehmensjuristen weiter ausbauen können. Dabei
ist es wichtig, einerseits zu verstehen, dass unsere Wahrnehmung der Welt um
uns herum beziehungsweise die Bedeutung, die wir ihr zumessen, einen enormen
Einfluss auf unser Interaktionsverhalten hat und andererseits, wie wir mit anderen
Menschen in Beziehung treten und die Interaktionen mit ihnen optimal gestalten
sowie abschließen können.
2 1
Wahrnehmungsfilter Physische Reize aus
P
löschen, verzerren der Aussenwelt:
d
oder verallgemeinern
externe Reize: Intuitiv-reflexives - Lichtwellen
Denken - Schallwellen
- Werte & Ziele - physischer Druck
- Wissen & Einsichten - Geruchsmoleküle
Rational-reflektives
- Erfahrungen Denken
- Geschmackmoleküle
- Ideologien
- Überzeugungen
- Neuro-Linguistik
3
Gehirn bildet aus
4
verbleibenden Interne Realitätsabbilder
Informationen werden zu
interne - emotionalen,
Realitätsabbilder: - kognitiven und
- physischen
- Bilder Aktionspotentialen.
- Geräusche
- Druckempfinden Diese werden wiederum zu
- Düfte äußerlich sichtbarem Verhalten
- Geschmack (Sprache, physische Handlung).
Abb. 31.1 Wie aus Außenreizen unsere Realität und unsere Handlungen entstehen – vereinfach-
tes Modell. (Quelle: SEPTAGON ANALYSIS GmbH)
Menschliche Wahrnehmung basiert ausschließlich auf dem, was wir sehen, hören,
physisch fühlen, riechen und schmecken (Repräsentationsmuster). Dabei bevorzugt
jeder Mensch ein bestimmtes „Repräsentationssystem“. Generell kann davon aus-
gegangen werden, dass in westlichen Industrieländern 60 % der Menschen sich vor
allem auf ihr Sehen, 20 % auf ihr Hören und der Rest auf die anderen Repräsentati-
onsmuster abstützen.5 Sie können das primäre Repräsentationssystem bei jedem
Menschen einfach ermitteln, indem Sie genau hinhören, welche Wortwahl dieser
(sogenannte „Prozesswörter“; meist Verben, Adjektive oder Adverbien) trifft. Kom-
men sprachliche Wendungen besonders häufig vor, die sich auf das Sehen beziehen
(wie „ich sehe, dass“, „lassen Sie uns das … betrachten“, „es scheint, dass“ etc.),
dann bevorzugt die Person sehr wahrscheinlich die visuelle Repräsentation. Bei
Wendungen wie „lassen Sie hören“, „ich bin ganz Ohr“, „das hört sich aber gut an“
etc. bevorzugt die Person hingegen vor allem eine auditive. Natürlich gibt es
Mischformen, kein Mensch benutzt ausschließlich ein einziges Repräsentationssys-
tem. Dennoch gibt es klare Prioritäten. Das heißt, jeder Mensch macht auf eine
ganz bestimmte Art und Weise davon Gebrauch, auf welche Art er die externe Rea-
lität hauptsächlich wahrnimmt und in seine interne Realität umwandelt. Mithin bil-
det die Kenntnis des Repräsentationssystems eines Gesprächspartners ein
ausgezeichnetes Mittel, um Kommunikation zu vereinfachen – indem ich mich in
• Löschungen: Unser Gehirn löscht den weitaus größten Teil der Informationen,
die auf unsere Wahrnehmungsorgane treffen, aus. Ansonsten würden wir aufgrund
des information overload keine vernünftigen Gedanken mehr fassen können. Mit
der Auslöschung und der maximal möglichen Anzahl von Informationen, die wir
gleichzeitig pro Zeiteinheit verarbeiten können (sieben plus minus zwei Informa-
tionseinheiten)7 ist unsere bewusste Wahrnehmung geradezu massiv limitiert.
• Verallgemeinerungen: Verallgemeinerungen vereinfachen die Realität, indem
sie ähnliche Sachverhalte kategorisieren, organisieren, abstrahieren und dadurch
zum Beispiel zu Meta-Erfahrungen, wie „Glaubenssätzen“ (Meinungen oder
Überzeugungen), werden lassen. Glaubenssätze beinhalten Verallgemeine-
rungen zu gemachten Erfahrungen und zu Beziehungen zwischen gemachten
Erfahrungen. Beispielsweise führen mehrere negative Vorfälle (mehrmalige
Rüge wegen schlechter Vertragsprüfungen) dazu, dass der Gerügte zu glauben
beginnt, künftig in ähnlichen Situationen wieder zu versagen. Durch die Verall-
gemeinerung einiger weniger Vorfälle kann in ihm die Überzeugung entstehen,
dass er nicht in der Lage ist, einen Vertrag fehlerlos zu prüfen.
• Verzerrungen: Durch die komplexitätsreduzierende Vornahme von Modell-
bildungen entstehen Verzerrungen der Wirklichkeit in unserer Wahrnehmung.
Informationen, die in der Vergangenheit generalisiert oder gelöscht wurden,
führen dazu, dass unser Gehirn lernt, ähnliche Informationen künftig gleich zu
verarbeiten. Aus dieser Organisation von Gedanken (direkte Repräsentationen)
und Einstellungen, Glaubenssätzen, Werthaltungen etc. (höherstellige Reprä-
sentationen) entsteht nach und nach unsere individuelle Persönlichkeit.
um uns die Navigation in ihr zu erleichtern. Jeder Mensch lebt daher in seinen
subjektiven Realitätsabbildern und nicht in der Realität selbst. Dies gilt es insbe-
sondere bei der Kommunikation zu berücksichtigen, da ja auch der Gesprächs-
partner befangen beziehungsweise „gefangen“ ist. Wenn wir die Aussagen und
Handlungen anderer Menschen verstehen möchten, müssen wir zuerst herausfin-
den, wie deren Interpretationsmuster der Realität aussehen und wie sie in ihrer
subjektiven Logik mit der Welt interagieren.
Rechtsstudium zurückerinnern, war jene Zeit von Lernen und der Schaffung
einer guten Ausgangslage für Ihr weiteres Leben geprägt. Als aktueller Student
bedeutet Studium hingegen unter anderem, täglich stundenlanges Büffeln und
die Einhaltung von Abgabeterminen für Semesterarbeiten. Wenn wir möchten,
dass wir bei einer Entscheidung unsere Wertehaltung miteinbeziehen, ist es
daher sinnvoll, sich vorzustellen, diese Wahl aus einer entfernten Perspektive zu
treffen. Das Gleiche gilt für Kommunikationssituationen. Will man sich auf das
Wesentliche konzentrieren und die Diskussion komplizierter Details umgehen,
macht es Sinn, dem Sachverhalt eine entferntere Perspektive zu geben. Schließ-
lich gibt es fünf verschiedene Perspektiven, aus denen wir denselben Sachver-
halt betrachten können.9
Welchen Kontext und welche Perspektive wir in einem Gespräch einnehmen, hat
daher großen Einfluss auf unsere Argumentation und Wortwahl. Diese beiden
wiederum darauf, wie unser Gesprächspartner seinerseits uns selbst, die
Gesprächssituation und die Gesprächsinhalte wahrnimmt. Wir dürfen auch nicht
vergessen, welch wichtige Rolle situative Faktoren spielen, zumal die meisten
Menschen oft zu wenig realisieren, wie sehr diese unser und das Verhalten eines
Kommunikationspartners beeinflussen.10
9Gemäß Bodenhamer und Hall (2012, S. 55 ff.), können fünf perceptual positions unterschie-
den werden: 1. aus der Ich-Perspektive (mit eigenen Augen), 2. aus der Du-Perspektive (mit den
Augen des anderen), 3. aus der Zuschauerperspektive (mit den Augen eines Dritten), 4. aus der
Systemperspektive (mit den Augen des Systems, der Umgebung etc.) und schließlich 5. aus der
Universum/Gottes-Perspektive (aus vielen verschiedenen unter- und übergeordneten Perspektiven
gleichzeitig).
10Wir sind uns oft nicht bewusst, wie stark wir dazu tendieren, aus situativen Begebenheiten auf
die Persönlichkeit eines Gegenübers zu schließen. Wenn uns zum Beispiel jemand auf der Land-
straße mit einem modifizierten Sportwagen mit 150 km/h überholt, ist sofort klar: Unverantwort-
licher junger Raser (Mann), womöglich mit Migrationshintergrund. Dabei wird meist gar nicht
in Erwägung gezogen, dass es sich genausogut um eine Frau mittleren Alters hinter dem Steuer
handeln könnte, die so schnell wie möglich ihr schwerkrankes Kind ins Spital zu bringen ver-
sucht.
418 R.P. Falta
31.3 Wahrnehmungsprobleme
Wie wir in Abschn. 31.2 gesehen haben, werden Reize aus der Außenwelt (zum
Beispiel duftende Blumen im Frühling) von uns wahrgenommen, als wären diese
tatsächlich echt, und nicht, als hätte unser Gehirn diese bloß aus den Sinneswahr-
nehmungen konstruiert. Wir sind so sehr an diesen Mechanismus gewöhnt, dass
wir die mentalen Modelle unserer Innen- und Außenwelt regelmäßig mit der Rea-
lität verwechseln. Da wir der Illusion erliegen, dass wir die Dinge vermeintlich
so sehen, wie sie wirklich sind, gehen wir logischerweise auch davon aus, dass
andere vernunftbegabte Menschen die Dinge in der gleichen, wie von uns betrach-
teten Weise sehen. Dieser Effekt ist als false consensus effect bekannt: Menschen
tendieren dazu zu glauben, dass ihre Meinungen, Überzeugungen und ihr Handeln
von einer Mehrheit der Menschen geteilt werden beziehungsweise eine überwie-
gende Zustimmung dafür erfahren. Unternehmensjuristen mit einem geschärften
Blick für rechtliche Problemstellungen gehen zum Beispiel davon aus, dass auch
viele andere Mitarbeitende die Bedeutung von Recht für das Unternehmen als
besonders hoch ansehen.
Wie stark sich der false consensus effect zeigt, ist davon abhängig, wie groß
der Interpretationsspielraum eines Sachverhalts ist, der ihm zugrunde liegt. Die
Frage nach der Wichtigkeit von Recht für das Unternehmen ist daher stärker
von ihm betroffen, als die Frage danach, ob ich lieber Weiß- oder Rotwein
trinke – und daraus auf die Wichtigkeit von Recht für andere Menschen
oder auf deren Weinvorliebe schließe. Dies wird zum Beispiel bei internen
Rechtsschulungen mit Nichtjuristen deutlich: Routinierte Dozenten wissen um
dieses Wahrnehmungsproblem und bereiten den Stoff entsprechend so vor, dass er
auch für Seminarteilnehmer zugänglich wird, die sich in einer „nicht-juristischen
Realität“ bewegen (siehe dazu detailliert Kap. 51).
Dazu kommt, dass Voreingenommenheit beziehungsweise Fehlbeurteilungen
fast nur beim Gegenüber ausgemacht werden können. Je mehr die Meinung des
anderen sich von meiner eigenen unterscheidet, desto stärker gehe ich davon aus,
dass seine Sichtweise auf einer „falschen“ Vorstellung beruht; anstatt davon auszu-
gehen, dass er ebenfalls von durchaus rationalen Begründungen ausgeht. Daraus
ergibt sich ein weiteres Problem: Weil eine inhaltliche Falschbewertung beim
31 Kommunikation für Unternehmensjuristen 419
Wenn Sie von einem Kollegen erfahren, dass der externe Anwalt, mit dem Sie
sich am Nachmittag treffen wollen, der Beste seines Fachgebiets ist, werden Sie
in der Regel eine positive Teststrategie anwenden, um in Erfahrung zu bringen, ob
die Fremdeinschätzung auch zutrifft. Wenn Sie hingegen von jemandem erfahren,
dass ein neuer Mitarbeitender sich an seinem letzten Arbeitsplatz furchtbar dane-
ben benommen hat, so werden Sie eine negative Teststrategie anwenden, um nach
negativen Hinweisen auf ähnliches Verhalten in Ihrem Unternehmen zu suchen.
Die Anwendung positiver und negativer Teststrategien basiert dabei aber auf
einer Wahrnehmungsverzerrung, die als confirmation bias bekannt ist. Bei beiden
14Seit Langem werden Verarbeitungsgeschwindigkeiten von 40–50 bit/s für das rational-bewusste
Denken und 11 Mio. bits/s für das unbewusst-intuitive Denken genannt, für die es jedoch keine
genügend wissenschaftlich fundierten Grundlagen gibt. Neuere Ergebnisse (Moscoso del Prado
Martín F [2009]) zeigen jedoch, dass die Verarbeitungsgeschwindigkeit des rational-bewussten
Denkens zumindest für spezifische Aufgabenstellungen tatsächlich bei maximal 60 bit/s liegt.
31 Kommunikation für Unternehmensjuristen 421
Teststrategien suchen Sie fast ausschließlich nach Hinweisen darauf, um die von
Ihnen getroffenen Annahmen (positiv oder negativ) zu untermauern. Dieses Ver-
halten gründet auf seiner subjektiven Logik: Wenn ich etwas als wahr/falsch oder
zumindest als sehr wahrscheinlich/unwahrscheinlich ansehe, dann muss es zu des-
sen Bestätigung auch positive/negative Hinweise geben.
Wenn wir herausfinden möchten, ob ein Sachverhalt wirklich wahr oder falsch
ist, müssten wir eigentlich gleichmäßig nach positiven und negativen Hinweisen
suchen. Unser Gehirn fokussiert sich jedoch fast ausschließlich auf die Suche nach
unterstützenden Hinweisen – je nachdem, ob wir unserer Untersuchung positive
oder negative Annahmen zugrunde legen. Kontradiktorische Hinweise werden
regelmäßig übergangen und tauchen oft erst in unserem Bewusstsein auf, nachdem
eine Entscheidung bereits gefällt wurde. Ein guter Ausweg aus der confirmation
bias besteht darin, sich vor einer Entscheidung bewusst mit entsprechenden
Gegenargumenten in einer „gutmütigen“ Art und Weise auseinanderzusetzen und
sich jeweils zu fragen: Weshalb könnte mein erster Eindruck falsch sein? Weshalb
könnte das Gegenteil dessen, was ich denke oder wie ich die Sachlage beurteile,
richtig sein? Suche ich fast nur bestätigende Hinweise dafür, was ich momentan
für richtig halte? Angenommen, meine Entscheidung stellt sich im Nachhinein als
falsch heraus, welche Informationen müsste ich jetzt suchen, um einen solch nega-
tiven Ausgang zu vermeiden? Wissenschaftler, die sich mit kognitiven Entscheid-
prozessen befassen, empfehlen ein solches Innehalten und kontradiktorisches
Befassen mit Gegenargumenten. Dadurch lässt sich die confirmation bias
abschwächen. In der Folge werden sehr viel exaktere Einschätzungen und Lagebe-
urteilungen möglich.15 Ein Umstand, den sich Unternehmensjuristen vor allem im
Rahmen von rechtlichen und strategischen Analysebewertungen zunutze machen
sollten.
Ein weiterer problematischer Aspekt der menschlichen Wahrnehmung, den wir uns
bewusst machen sollten, ist derjenige der „Fehleinschätzung“. Interessanterweise
sind Menschen sehr gut darin, Voraussagen darüber zu machen, wie uns andere
ganz generell sehen und einschätzen (zum Beispiel: tüchtiger Jurist, clever, aber
schlecht organisiert und etwas redselig) und wie es um unseren Sozialstatus in der
Hierarchie einer Gruppe (zum Beispiel im Legal oder einem interdisziplinären
Projektteam) bestellt ist. Führen wir uns zum Beispiel auf, als hätten wir mehr
Status, als uns tatsächlich zusteht, werden wir vom Kollektiv rasch zurückgestutzt;
ebenfalls werden wir darauf aufmerksam gemacht, wenn wir uns unter unserem
sozial statuierten Wert verhalten.
20Beispiel: „Denken Sie nicht an einen rosaroten Affen!“ Der negative Informationsgehalt des
Satzteils „Denken Sie nicht an (…)“ kann nicht ausgeblendet werden, da unser Gehirn sich trotz-
dem sofort ein entsprechendes Bild macht. Es muss die empfangene Information also mehrfach
bearbeiten, um aus ihr tatsächlich Sinn zu erhalten. Je einfacher jedoch Zielformulierungen abge-
fasst sind (positiv formuliert), desto einfach gestaltet sich deren Verarbeitung für unser Gehirn.
424 R.P. Falta
21Beispiel: Raucher wissen in der Regel, dass rauchen gesundheitsschädlich ist. Nikotin und
andere Inhaltstoffe wirken jedoch belohnend auf das menschliche Gehirn. Durch die chemischen
Verbindungen veranlasst, gaukelt das Raucherhirn durch Zweckrationalisierungen vor, dass es
dem Raucher einen echten Zusatznutzen verschafft (Beruhigung, Verdauungsunterstützung,
Zeitvertreib, soziales Schmiermittel etc.), der von diesem momentan höher gewertet wird, als der
Nutzen der Abwehr in der Zukunft liegender eventuell auftauchender Gesundheitsschäden.
426 R.P. Falta
Umstand können wir uns zunutze machen, indem wir im Gespräch wie die andere
Person werden. Dies erfolgt durch sogenanntes mirroring.22 Darunter wird das
gezielte Nachahmen verschiedener Verhaltensweisen des Gegenübers verstanden.
Sie können zum Beispiel dieselbe Körperhaltung, Sitzposition, Stimme, Wortwahl,
Kopfneigung, denselben Gesichtsausdruck, dasselbe Blinzeln etc. verwenden.
Dadurch synchronisieren Sie sich mit Ihrem Gesprächspartner und wirken auf die-
sen offener, vertrauenswürdiger, erfolgreicher und insgesamt sympathischer, als
wenn Sie es nicht tun.23 Physiologisch hat dies mit sogenannten „Spiegelneu
ronen“ in unserem Gehirn zu tun.24 Übertreiben Sie es aber nicht. Allzu offen-
sichtliches „Nachäffen“ fällt auf, dezent angewandtes, teilweise auch leicht
zeitversetztes, mirroring hingegen fast nie. Sie können diesen Effekt überall beob-
achten, denn er passiert immer zwischen zwei Personen, die sich miteinander
unterhalten und sich mögen. Bereits nach kurzer Zeit ändern beide jeweils (unbe-
wusst) ihre Verhaltensweisen in gegenseitiger Synchronizität; daraus entsteht oft
ein spannend zu beobachtendes „Spiegelballett“. Ist erst einmal eine gute Bezie-
hungsbasis durch mirroring gelegt, geht es darum, diese weiter auszubauen und
dadurch die Kommunikation positiv zu gestalten. Dies kann zum Beispiel durch
folgende, weniger subtile Interaktionsmittel erfolgen:
Jemanden in einem Gespräch nach seinem Rat oder seiner spezifischen Sichtweise
der Dinge zu fragen, hat nicht nur den Vorteil, in ihm ein Gefühl von Wertschät-
zung zu evozieren, sondern ihn dadurch auch für uns einzunehmen. Zudem führt
die Erteilung eines Ratschlags dazu, dass sich der Gesprächspartner in unsere
eigene Situation hineinversetzt und zumindest für einen Augenblick unsere Pers-
pektive einnehmen muss. Interessanterweise führt bereits die Erteilung eines einzi-
gen Ratschlags dazu, dass die ratgebende Person in der Folge geneigter ist, uns
weitere Ratschläge und Hilfestellungen anzubieten. Zudem entbehrt die Befürch-
tung, dass wir gegen außen weniger kompetent wirken, wenn wir andere um Rat
oder Hilfe anfragen, jeglicher wissenschaftlichen Grundlage. Ganz im Gegenteil:
Sobald wir von jemandem den Rat zu einem nicht allzu offensichtlich trivialen
Sachverhalt erbitten, fühlt sich unser Gesprächspartner in der Regel geschmei-
chelt. Er ist durch den ihm entgegengebrachten Respekt dann oftmals so mit sich
selbst beschäftigt, dass ihm eine Verbindung zwischen Frage und einer vermeint
lichen Inkompetenz des Fragenden nur äußerst selten bewusst wird. Dies geschieht
in der Regel nur, wenn die Frage einen – aus subjektiver Sicht unseres Gesprächs-
partners – allzu trivialen Sachverhalt betrifft.25
Vertrauen ist essenziell für eine offene und ehrliche Kommunikation. Daher ist
es auch wichtig, zu hinterfragen, wie Vertrauen zwischen Menschen überhaupt
entsteht, um in der Folge auch die eigenen Kommunikationsfähigkeiten weiter-
zuentwickeln. Eine sehr effektive Methode, innert kürzester Zeit Vertrauen im
Gesprächspartner hervorzurufen, ist das weiter oben erläuterte mirroring. Verbales
oder non-verbales mirroring kann weiter verstärkt werden, in dem man noch mehr
so wird, wie diejenige Person, der unser Gesprächspartner am meisten vertraut:
nämlich sich selbst. So werden wir noch vertrauenswürdiger eingeschätzt, wenn
wir nicht nur Verhalten spiegeln, sondern unserem Gesprächspartner durch äußere
Statussymbole, unser soziales Umfeld, gemeinsame Erfahrungen etc. besonders
ähnlich erscheinen.
Eine weitere gute Möglichkeit ist einfach mehr zu lächeln: Lächeln funktioniert
aber nur vertrauensbildend, wenn echte positive Emotionen dahinterstehen. Gewill-
kürtes Lächeln wird vom anderen rasch erkannt und wirkt dann kontraproduktiv.26
Forschungsergebnisse zeigen zudem, dass am meisten denjenigen Personen
vertraut wird, die zwei ganz bestimmte Charakterzüge aufweisen: menschliche
Wärme und Kompetenz. Wir vertrauen warmherzigen Personen, weil wir anneh-
men, dass wir ihnen wichtig sind, sie uns nicht „in den Rücken“ fallen werden
und sich daher auch um uns „sorgen“. Diese psychologische Tatsache nutzen zum
Beispiel Politiker ganz bewusst aus: Es gibt kaum ein stärkeres Bild für Warmher-
zigkeit als jemanden, der mit einem schwanzwedelnden Welpen herumtollt. Seit
es das Fernsehen gibt, werden daher alle amerikanischen Präsidenten mit „ihrem“
Hund abgebildet, um dadurch ihre (vermeintliche) Warmherzigkeit zu unterstrei-
chen. Auch Präsident Obama, der nie einen Hund besessen hat und dessen Tochter
Malia allergisch auf Hundehaare reagiert, hat sich nach Einzug ins White House
einen Hund zugelegt und wurde regelmäßig mit diesem gezeigt.
Auch vertrauen wir besonders kompetent erscheinenden Personen, weil wir sie
für glaubwürdiger, effektiver und effizienter halten.27 Hochkompetente Menschen
(insbesondere auch viele hervorragende Unternehmensjuristen) werden jedoch
meist als nicht besonders warmherzig angesehen. Dies lässt sich jedoch ändern,
indem solche Personen „vermenschlichende Strategien“ anwenden. Das heißt,
indem sie sich bewusst etwas bloßstellen und verzeihbare Schnitzer in ihr Verhal-
ten einbauen, um dadurch verletzbarer zu erscheinen. Ein gutes Beispiel stellt der
Stereotyp des „schrulligen Professors“ dar: Dieser wird aufgrund seiner Kompe-
tenz von jedermann hoch angesehen, gleichzeitig durch seine seltsame Kleidung
und sein etwas komisches Verhalten aber auch als sympathisch und warmherzig
empfunden. Dieser psychologische Mechanismus funktioniert jedoch nur, wenn
Sie zuerst als kompetent angesehen werden und sich erst danach etwas Verletzbar-
keit dazugesellt. Eine andere gute Methode, um „menschlicher zu wirken“, besteht
darin, Informationen über die wichtigsten eigenen Beziehungen oder eine allge-
meine Besorgnis über das Schicksal anderer Menschen mit dem Gesprächspartner
zu teilen. Eine weitere Möglichkeit besteht zum Beispiel darin, innerbetrieblichen
Klatsch auszutauschen, da durch ihn nicht nur wichtige Informationen zirkulieren,
sondern auch die gegenseitige Beziehung gefestigt wird.
Meist weisen wir und die Personen unseres Umfelds vor allem die eine oder
andere Charakteristik auf. Wenn es aber darum geht, welche Personen wir gerne als
engste Freunde hätten – sprich, welchen wir am meisten vertrauen würden – wählen
wir regelmäßig diejenigen Menschen, bei denen sowohl die Warmherzigkeits-, als
auch die Kompetenzdimension besonders stark ausgeprägt sind.28 Überlegen Sie
daher auch für sich selbst, wie Sie in diesen beiden Bereichen abschneiden und
von außen wahrgenommen werden beziehungsweise an welcher der beiden
Dimensionen Sie vor allem noch arbeiten sollten.
Ein weiterer spannender verbal-psychologischer Aspekt der Vertrauensbildung
besteht darin, sich bei einer anderen Person zu entschuldigen. Dabei scheint es offen-
sichtlich nicht einmal relevant zu sein, wofür wir uns entschuldigen.29 Solange diese
Entschuldigung nur genügend warmherzig vorgetragen wird, evoziert sie im
Gesprächspartner automatisch Vertrauen. Dasselbe gilt auch für non-verbale körper-
liche Berührungen (zum Beispiel durch Händeschütteln, Umarmungen, Schulter-
klopfen, leichte Ellbogenberührung) oder besondere physische Nähe. Sie werden
unterbewusst als starke Vertrauenszeichen wahrgenommen. Um physischen Kontakt
möglich zu machen, muss ich meinem Gegenüber erlauben, sich in meiner nächsten
(räumlichen) Nähe aufzuhalten. Dies wirkt sich aber auch reflexiv aus, indem mein
Gehirn annimmt, dass jemand, der sich einige Zeit in meiner nächsten Nähe aufge-
halten hat, auch besonders vertrauenswürdig sein muss. Auch persönliche Besuche
und Besprechungen – im Gegensatz zu Telefonaten oder Videokonferenzen – werden
als ein Zeichen von Wertschätzung aufgenommen und führen zu Vertrauensbildung.
Der Einsatz von Täuschung und Lügen kommt in der Kommunikation häufiger
vor, als uns lieb ist. Zumal wir grundsätzlich davon ausgehen, dass die Mehrheit
der Menschen ehrlich ist. Sehen wir uns Forschungsergebnisse dazu an, ergibt sich
ein etwas anderes Bild: In einer Studie logen 60 % der Teilnehmer einen Fremden
innerhalb von 10 min an. Andere Studie zeigen, dass 86 % der Studenten regelmä-
ßig ihre Eltern belügen, 75 % der Menschen regelmäßig ihre Freunde, 73 % ihre
Geschwister und 69 % ihre Ehepartner. Oft belügen wir uns auch selbst. Dabei
lügen die meisten Menschen „nur ein bisschen“, da kleine Lügen einfacher zu recht-
fertigen sind. Große Lügen sind nicht nur schwieriger zu rechtfertigen, sie benöti-
gen auch viel mehr Energie im Sinne ihrer Entwicklung, Abstimmung, Durch- und
Aufrechterhaltung. Die Chance, damit erwischt zu werden, steigt und auch die
damit verbundenen negativen Konsequenzen für den Täuschenden. Dennoch gehö-
ren Lügen zur menschlichen Kommunikation, wie das Amen in der Kirche.
Manchmal ist es sogar von Vorteil zu lügen, wenn es dazu führt, dass Koopera-
tion dadurch erst möglich wird respektive weiterhin bestehen bleibt. Studien zei-
gen, dass Personen, die untereinander „prosoziale Lügen“ austauschen („Ich
konnte leider nicht zu Deinem Geburtstagsfest kommen, da ich Kopfweh hatte“),
als moralischer angesehen werden als solche, die in der gleichen Situation die
Wahrheit sagen („Ich hatte keine Lust, an Dein Geburtstagsfest zu kommen, da ich
lieber mit jemand anderem etwas unternehmen wollte“). In solchen Situationen
werden Täuschung und Lügen sogar zu einer speziellen Art der Respektsbekun-
dung. Studien zeigen zum Beispiel, dass über 55 % der Ärzte ihren Patienten
regelmäßig eine zu optimistische Prognose attestieren. Auch wenn Lüge und Täu-
schung oft dazu führen, dass wir uns wegen ihnen schlecht fühlen und unser Ver-
halten bedauern, zeigt die psychologische Forschung, dass dies nicht immer der
Fall ist. Manchmal tut es sogar richtig gut, „schlecht“ zu sein. Dies kann sogar
dazu führen, dass eine Person richtig stolz darauf ist, zu lügen und zu täuschen, sie
ein cheater’s high erlebt, in welchem negatives Verhalten erstrebenswerter
erscheint als positives.30
Wichtigstes Mittel gegen negatives Verhalten stellt Selbstkontrolle dar. Aller-
dings funktioniert sie nicht immer nach unseren Wünschen. Selbstkontrolle ist
einem Muskel ähnlich, der sich mit der Zeit durch Gebrauch erschöpft. So „sündi-
gen“ die meisten Menschen (zum Beispiel mit Schokolade, Essen, Alkohol) vor
allem in den Abendstunden, nachdem ihre täglich Portion Selbstkontrolle, die den
ganzen Tag über Versuchungen erfolgreich abgewehrt hat, abends erschöpft ist und
notgedrungen zulässt, dass negative Verhaltensweisen überhand nehmen können.31
Dass Täuschung und Lügen so erfolgreich sind, ist zwei Umständen geschul-
det: Erstens glauben wir, wie bereits erwähnt, dass Menschen grundsätzlich ehr-
lich sind. Solange wir keine direkten Beweise dafür haben, dass uns unser
Gesprächspartner belügt, glauben wir aufgrund der truth bias daran, dass alles von
diesem Gesagte auch tatsächlich der Wahrheit entspricht. Zudem erkennen wir
Anzeichen von Lügen nicht, auch wenn diese offensichtlich sind, wir sie aber
• Legen Sie vor einem Gespräch genau fest, was Sie grundsätzlich zu glauben
bereit sind und was nicht.
• Suchen Sie vor allem nach denjenigen Hinweisen, die Sie gerade nicht hören
möchten; auch wenn das oft unangenehm ist. Hinweise auf Täuschung und
Lüge findet man oft, wenn man ganz genau hinhört. Dabei können chrono-
logisch aus dem Zusammenhang fallende Fragen helfen oder Fragen nach
irrelevanten Details, die von einem Lügenden bei der Konstruktion seines
Lügengebildes nicht bedacht wurden.
• Halten Sie Ausschau nach spezifischen körperlichen Anzeichen für Lügen.
Auch die besten Lügner verraten sich durch physisch-abnormes Verhalten.34
Nur pathologische Lügner, die selbst völlig davon überzeugt sind, was sie
sagen, sind nicht über körperliche Signale überführbar.
• Stellen Sie offene Fragen, die negative Annahmen beinhalten, wie „Welches
rechtliche Problem kann aus diesem Sachverhalt erwachsen?“ Dadurch
vergrößern Sie den cognitive load, das heißt, die Informationsmenge, die Ihr
Gegenüber verarbeiten muss. Wenn jemand lügt, muss er viel stärker nachdenken.
Dadurch entstehen mehr Pausen und Verzögerungslaute (äh, ähm etc.),
Antworten kommen nicht mehr so rasch, die Gestikulation nimmt ab, Kopf- und
Handbewegungen werden mechanisch, Wortbetonungen werden falsch gesetzt,
rasche Nachkorrekturen treten ein („Ja – ich meinte eigentlich nein.“) etc.
• Beobachten Sie, ob Ihr Gesprächspartner nicht nur ungewöhnliches Verhalten
an den Tag legt, sondern vor allem auch nach „Fluchtmöglichkeiten“ Ausschau
32Bekannte Fälle dazu gibt es zuhauf: Von den Liebesbeteuerungen von Heiratsschwindlern bis
hin zu riesigen Betrugssystemen, wie dem Ponzi Scheme von Bernie Madoff, bei denen die
Getäuschten im Nachhinein bestätigen, sie hätten bestimmte Zeichen für den Betrug bereits vor
dessen Aufdeckung wahrgenommen, diesen aber keine Bedeutung zugemessen.
33Ekman (2011, S. 106).
34Professionelle Pokerspieler verwenden nach Galinsky und Schweitzer (2015, S. 180), sehr
viel Übungszeit darauf, ihre Gesichtszüge absolut unter Kontrolle zu bringen. Dass sie bluffen,
erkennt man aber zum Beispiel daran, dass sie die Chips in zickzack-Bewegungen auf den Tisch
legen, anstatt durch gerades Durchstrecken der Arme, was auf tatsächliches Selbstvertrauen hin-
deuten würde.
31 Kommunikation für Unternehmensjuristen 431
hält. Lügner sehen sich oft unbewusst nach Türen um, kontrollieren übermäßig
oft ihre Uhr und zeigen deutliche Zeichen von Ungeduld. Zudem versuchen sie
oft, zu überkompensieren, um ihrer Täuschung dadurch einen geradezu perfek-
ten Anstrich von Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Im Umgang mit problematischen Situationen, bei denen Sie nicht sicher sind,
ob Ihr Interaktionspartner Sie anlügt oder nicht, kann es auch sinnvoll sein, sich
anhand eines vorher angefertigten Leitfadens durch das Gespräch führen zu lassen.
Damit in Organisationen Verluste durch Täuschung so gering wie möglich gehal-
ten werden, wurden Policies, Regelwerke, spezifische Quality Management-Vor-
gehensweisen etc. geschaffen, deren Wirkungsweise auch für Teammeetings und
Einzelgespräche in den Legal Operations eingesetzt werden kann.
Gelungene Kommunikation hängt nicht nur davon ab, wie einzelne Interaktionen
begonnen und durchgeführt wurden, sondern auch davon, wie sie beendet werden.
Schließlich gilt es, eine möglichst optimale Anknüpfung zu ermöglichen bezie-
hungsweise eine möglichst ideale Ausgangslage für weitere Interaktionen mit dem
gleichen Gesprächspartner zu gestalten. Die Forschungsergebnisse des Nobel-
preisträgers Daniel Kahneman zeigen einen spannenden Sachverhalt:35 Das
menschliche Gehirn schließt aufgrund des Endes einer Interaktion überproportio-
nal stark darauf, wie diese insgesamt verlaufen ist. Wenn wir uns vergangene
Begebenheiten in Erinnerung rufen, unterdrückt unser Gehirn die anfänglichen
und mittigen Erinnerungen zu dieser Begebenheit und überbewertet diejenigen,
die am Schluss kommen. Wie also eine vergangene Begebenheit geendet hat,
beeinflusst maßgeblich, wie wir sie in Erinnerung behalten. Um welche Erinnerun-
gen es sich auch immer handelt, Sie sollten jegliche Handlungen in den Legal
Operations, die andere Personen miteinbeziehen (Vertragsverhandlungen, Team-
meetings, Einzelgespräche, Transaktionsprojekte etc.), mit einer positiven „End-
note“ abschließen.36
Da die Chance relativ groß ist, dass wir mit einem Interaktionspartner in der
Zukunft wieder zusammentreffen, wird sich die Art und Weise, wie die vorangegan-
gene Zusammenarbeit geendet hat, maßgeblich darauf auswirken, auf welcher
Grundlage eine erneute Kooperation stattfinden wird. Zudem dienen zufriedene
Interaktionspartner als Multiplikatoren, die – sofern sie „überzufrieden“37 mit unserer
Leistung sind – positives Marketing für uns und unsere Rechtsabteilung innerhalb
und außerhalb unserer Organisation machen. Dadurch animieren sie andere, ebenfalls
gerne mit uns zusammenarbeiten zu wollen. Schließlich kann heutige Zufriedenheit
dazu genutzt werden, um in Zukunft – falls die Zeiten es erforderlich machen – Kon-
zessionen von unserem Gesprächspartner einzufordern: „Weißt Du noch, wie ich Dir
damals das Geschäft mit meinem Rechtsrat gerettet habe? Heute komme ich zu Dir,
da ich nun von Dir etwas Unterstützung benötige…“.
Literatur
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„Haben Sie Erfahrung mit Juristen?“ Wie oft in meinem Trainer- und Beraterleben
ist mir diese Frage wohl schon gestellt worden? Oft von Juristen selbst, meist
aber von Geschäftsführern oder Personalverantwortlichen, bei denen ich mich um
einen Trainings- oder Beratungsauftrag für diese Zielgruppe bewarb. Ob bei einer
der zahlreichen Wirtschaftskanzleien, für die ich im Lauf der Jahre Verhandler-
Coachings durchgeführt hatte oder bei einem der internationalen Konzerne, die zur
weiteren Qualifikation ihrer Legal Counsels einen Juristen-erfahrenen Trainer oder
Moderator suchten: Stets war die Antwort auf diese Frage wichtig, wenn nicht
gar entscheidend für die Auftragsvergabe. Und wenn ich sie dann bejaht hatte,
war die Antwort meist ein zufriedenes Nicken. Häufig auch verbunden mit leicht
verschwörerischem Lächeln oder kurzem Schnauben mit der Bedeutung: „Na
dann ist ja alles klar!“ Es geht um Juristen:
• Juristen sind besonders: Sie zeichnen sich zum Beispiel dadurch aus, dass sie
sich dieser Besonderheit auch in gewissem – manchmal hohem Maße bewusst
sind. Sie pflegen anderen, sowie sich selbst gegenüber – wie kein anderer
Berufsstand –, das Image des bad guy. Der Jurist ist streitbar, mit ihm ist nicht
M. Heß (*)
Personal- und Organisationsentwicklung, S.T.E.P. – Training + Coaching,
Butzbach/Hoch-Weisel, Deutschland
E-Mail: martin.hess@step-online.de
gut Kirschen essen und man möchte ihn weder zum Feind noch zum Mieter
haben und darauf ist er in gewissem Sinne meist auch recht stolz. Ob diese Nei-
gung und Fähigkeit zum Konflikt nun das Ergebnis oder aber Voraussetzung
des Studiums der Jurisprudenz sei, habe ich nun des Öfteren mit Juristen wie
Juristen-erfahrenen Nicht-Juristen in Pausengesprächen entsprechender Veran-
staltungen erörtern können. Der Tenor lautet: Vermutlich trifft beides zu.
• Juristen sind Kämpfer: Was wahr ist und was unwahr, wer Recht bekommt und
wer nicht, ist in ihrem Metier das Ergebnis eines geistigen Ringens. Im Kampf
um die Deutungshoheit über ein Geschehen obsiegt dabei der Stärkere, besser
Ausgebildete und häufig auch Erfahrenere. Argumente sind ihre Waffen und die
Rhetorik ist ihre Disziplin. Das Ideal ist der Einzelkämpfer als glorreicher, sieg-
reicher Held der Arena. „Ei Du drehst einem ja das Wort im Mund herum“, sagte
meine Großmutter bei einer entsprechenden Gelegenheit einmal zu mir, als ich
noch im Grundschulalter war, „willst Du etwa einmal Jurist werden?“
• Juristen sind Experten für Streit: Eine Gerichtsverhandlung zur Entschei-
dungsfindung bei widerstreitenden Interessen ist das Hochamt der Juristerei.
Eine solche für sich und seine Partei zu gewinnen oberstes Ziel, Sinn und Zweck
allen juristischen Tuns eines Prozessanwalts. Vor allem dafür werden Juristen
ausgebildet, darin sind sie qualifiziert, das beeinflusst ihr Denken, ihr Handeln
und ihr Lebensgefühl. Sie sind darauf geeicht und es gewohnt, die Dinge von
ihrem möglichen bitteren Ende her zu denken und sich und ihre Mandanten vor
der Niederlage zu schützen. Ihre Rolle darin ist eine hoheitliche, sie sind Organe
der Rechtspflege. Jurist zu sein ist eindeutig kein Beruf, sondern Berufung.
Für die sogenannte freie Wirtschaft scheinen die als typisch geltenden forensischen
Juristen damit allerdings zunächst einmal nur bedingt geeignet. Denn hier ist der
Streit zum Glück ja nicht die Regel, sondern der unangenehme Sonderfall. Eine
funktionierende Ökonomie gründet in erster Linie auf Kooperation und erst in
zweiter auf Konfrontation. Anders herum gesagt: Die Volks- und Betriebswirtschaft
könnte zur Not und unter Einbußen zwar auf den Wettbewerb zum Beispiel verzich-
ten, nicht jedoch auf die Zusammenarbeit der Menschen und Organisationen. Diese
Zusammenarbeit zu organisieren, ist Aufgabe des Managements. So ließe sich Füh-
rungsarbeit selbst definieren und in deren Dienst stehen die Unternehmensjuristen.
in der Zukunft liegt, sich darüber einigen, und zwar möglichst so, dass sich alle
Beteiligten auch nachhaltig an diese Absprachen und Einigungen gebunden fühlen
und halten. Diese Ausgangslage bei solchen prospektiven Verhandlungen ähnelt
damit allenfalls Vergleichsverhandlungen, wie sie im Rahmen der Gerichtsbarkeit
bisweilen vorkommen. Gleichwohl gehört das Verhandeln in Wirtschaftszusam-
menhängen zu den Haupt- und nicht den Nebentätigkeiten der Juristen, und wer
als Wirtschaftsjurist zumal in einem Unternehmen erfolgreich sein will, wird das
auch nur unter Zuhilfenahme einer hohen Verhandlungskompetenz können.
Die Spielfelder, auf denen verhandelt wird, lassen sich dabei grob in externe und
interne unterscheiden: Intern verhandelt der Legal Counsel zum Beispiel über den
Ressourceneinsatz mit anderen Unternehmensbereichen, über interne Verträge zu
diversen Finanz- und Versicherungsthemen, in Personalangelegenheiten bei Fehlver-
halten oder bei der Auflösung von Verträgen. Auch sind Verhandlungen der Legal
Counsels in eigener Sache dazuzuzählen, die zum Beispiel in Bezug auf Entgelt oder
Verantwortung mit Vorgesetzten geführt werden; auch wenn sie sich in Bezug auf
Zielsetzung, Auswirkung und daraus entstehender psychologischer Dynamik grund-
sätzlich von den typischen Verhandlungen der Juristen, in denen sie als Unterhändler
mit einem Mandat des oder der Auftraggeber ausgestattet auftreten, unterscheiden. Im
externen Kontext sitzen Legal Counsels typischerweise mit am Verhandlungstisch,
wenn es um die Gestaltung von Lieferverträgen auf der Einkaufs- oder Verkaufsseite
geht. Ebenso natürlich bei allen Themen, die mit Gewährleistung, Schadenregulierun-
gen oder auch dem An- und Verkauf von Firmenanteilen zu tun haben. Vertragsgestal-
tung und Vertragsänderung sind hier als die wohl häufigsten und wichtigsten Anlässe
zu nennen. Von Verlauf und Ergebnis solcher Verhandlungen hängt nicht selten das
Wohl und Wehe ganzer Unternehmen ab. Nicht selten obliegt den Juristen hierbei die
Verhandlungsführung als Leiter einer Delegation oder eines Projektteams und somit
die Gestaltung eines geordneten, systematischen Verhandlungsablaufs.
Verhandeln ist Gefühlssache, das gilt selbst für solche Juristen, die aufgrund von
Erfahrung und Persönlichkeit als quasi eiskalte Profis in diesem Geschäft gelten
mögen und möglicherweise auch einen Großteil ihrer Zeit mit der thematischen und
juristischen Vorbereitung von Verhandlungen befasst sind. Was exzellente Verhandler
436 M. Heß
am Tisch dann aber grundlegend von eher ungeübten und unerfahrenen unterschei-
det, ist ihr Gespür für eine Verhandlungssituation. Niemand weiß sicher – und prin-
zipiell kann auch niemand sicher wissen (selbst wenn er oder sie über alle zu einer
Situation theoretisch verfügbaren Informationen verfügte – was an sich bereits
unmöglich ist), ob es in einer bestimmten Verhandlungslage zum Beispiel Erfolg ver-
sprechender wäre, mehr Druck aufzubauen oder aber mehr auf die andere Seite zuzu-
gehen. Es können lediglich Wahrscheinlichkeiten beziehungsweise Risiken dafür
abgeschätzt werden, was in Folge eigenen Handelns dann geschehen wird, dies aber
wiederum nur auf dem Hintergrund vorangegangener Erfahrungen mit solchen oder
ähnlichen Situationen, und/oder mit solchen oder ähnlichen Verhandlungspartnern.
Man kann in Verhandlungen niemals genau wissen, was die andere Seite tun
wird, denn das Verhalten dieser anderen Seite wird ja eben eine Reaktion auf das
eigene sein, das ja noch zu erfolgen hat. Einer reagiert hier auf den anderen, der
auf den einen reagiert, der auf den anderen reagiert und so fort. Man erwartet
Reaktionen als Folge der Erwartung von Erwartungen von Erwartungen ad
infinitum. In einem Verhandlungssystem herrscht also Rückbezüglichkeit als
bestimmende Kraft, deren Eigenschaft es ist, jede reine Logik und lineare
Kausalität auszuhebeln. In logisch-mathematischer Betrachtungsweise verhält
das Gesamtsystem sich nicht-linear und sein Verhalten kann prinzipiell nicht
vorhergesagt werden. Es ist nicht von Linearität, sondern von Zirkularität
bestimmt, und damit in gewissem Sinne unberechenbar, genauer gesagt: chaotisch.
Das will von einem rationalen Geist erst einmal ausgehalten werden!
Dass sich sogar retrospektive Verhandlungen aus diesem Grund (und häufig auch
wegen der hohen Komplexität sich gegenseitig beeinflussender Faktoren) der Durch-
dringung mithilfe reiner Logik und der Planbarkeit entziehen und keine einseitige
Kontrolle gestatten, kennt der Jurist aus dem geflügelten Wort von „Gottes Hand“, in
die man sich vor Gericht „wie auf hoher See“ begebe. Um dies zu illustrieren, wird
immer wieder auf eine berühmte Studie verwiesen, die der amerikanische Rechts
professor G. Williams in den 70er Jahren durchgeführt haben soll: Im Rahmen einer
wissenschaftlichen Verhandlungssimulation ließ er 40 praktizierende Anwälte in
einem simulierten Schadensersatzprozess nach dem Recht des Staates Iowa gegenei-
nander verhandeln. Die 20 Verhandlungsergebnisse hätten dabei zwischen 15.000
und 95.000 US$ mit erheblicher Streuung um den Mittelwert gelegen.2
möglicher Gegenreaktionen der jeweils anderen Seite dazu, ergibt sich bereits auf
dem Anfangslevel einer solchen Verhandlung, in der Vorbereitungs- und Eröff-
nungsphase also, eine derart riesige Komplexität, dass diese durch eine rein ratio-
nale Analyse bereits nur noch sehr schwer umfassend durchdrungen werden kann.
Erfahrene Verhandler verlassen sich daher stark auf ihre Intuition, ihr „Bauch-
gefühl“, und fahren dabei nicht schlecht, wenn dieses Gespür auf vielen Refe-
renzerfahrungen beruht. Für Einsteiger ist die Komplexität meist in hohem Maße
beunruhigend und sie versuchen sie dann typischerweise durch eher weniger hilf-
reiche Interventionen wie Dominanz unter Kontrolle zu bringen. Die verschiedenen
psychologischen Spielarten und Mittel, mit denen Menschen versuchen, bereits die
Ausgangssituation einer Verhandlung zu beeinflussen, sind so zahlreich und kom-
plex, dass sie von einem nach Klarheit und Rationalität strebenden Akteur, wie
dem typischen Juristen eben, bereits als schiere Zumutung erlebt werden, bevor das
Verhandeln überhaupt begonnen hat. Sehr häufig werden solche Verhaltensweisen
anderer Akteure in der Organisation daher als unangemessen erlebt und zum Bei-
spiel mit Vokabeln wie „Kindergarten“ oder „Machtspielchen“ belegt.
Wer sich hingegen an den Verhandlungstisch setzt, der signalisiert, dass er bereit
ist, der oder den anderen Parteien entgegenzukommen. Das Gefühl, im Recht zu
sein und den „Sieg“ zu verdienen, wie es den typischen Juristen aufgrund von
Ausbildung, Sozialisation und nicht zuletzt sorgfältiger Vorbereitung und Durch-
dringung eines Kontextes auf der Sachebene zu eigen ist, führt dann zu einer Ver-
zerrung der Wahrnehmung und unangemessen kämpferischem Auftreten. Wer sich
aufs Verhandeln einlässt, signalisiert damit hingegen, dass er bereit ist, Zugeständ-
nisse zu machen. Verhandlungen, wenn sie ehrlich geführt werden, und nicht nur
zum Schein – zum Beispiel um einen guten Willen zu demonstrieren, der in Wahr-
heit aber gar nicht vorhanden ist –, erfordern ein Mindestmaß an Bereitschaft zum
Entgegenkommen. Wer dazu nicht bereit ist, verweigert das Verhandeln. Es kann
natürlich andererseits durchaus eine sinnvolle taktische Vorgehensweise sein, das
Verhandeln – zunächst einmal – zu verweigern, um die andere Seite dazu zu brin-
gen, mit niedrigeren Forderungen in die Verhandlung einzusteigen. Wenn diese
Forderungen vor Beginn der geplanten Verhandlung bereits bekannt sind und die
andere Seite auch weiß, dass sie bekannt sind, würde man sonst durch den Ein-
stieg in die Verhandlung signalisieren, dass man die Plattform, von der aus die
andere Seite die Verhandlung beginnen will, in gewisser Weise akzeptiert und
im Bereich des Realistischen sieht, selbst wenn sie aus eigener Sicht überzogen
erscheinen. Und schließlich können auch emotionale Gründe der Suche nach einer
Einigung durch Verhandeln im Wege stehen. Wenn eine Beziehung durch Ereig-
nisse der Vergangenheit zum Beispiel emotional so belastet ist oder große Vorbe-
halte gegenüber der Aufnahme einer solchen bestehen, verweigern sich mögliche
Verhandlungspartner der Aufnahme von Kontakten und suchen andere Lösungen.
Sie versuchen, die Sache auszusitzen oder durch Kampf für sich zu entscheiden.
32 Verhandlungstechnik und -führung für Unternehmensjuristen 439
Man kann das Geschehen an einem Verhandlungstisch natürlich aus ganz unter-
schiedlichen Perspektiven betrachten. Natürlich geht es immer um die Interessen
der Beteiligten. Auf einem sehr allgemeinen Level und relativ wenig konkret kann
man dabei zwischen eher kurz- und eher langfristigen Interessen unterscheiden. Es
stellt sich also die Frage, ob einer Partei eher an dem Ergebnis dieser einen Ver-
einbarung, dieses bestimmten Gesprächs beziehungsweise der aktuellen Verhand-
lungsrunde gelegen ist oder, ob ein langfristiges Interesse im Vordergrund steht.
Zu prüfen ist damit das Verhältnis zu der anderen Partei insgesamt, mit der man
vielleicht auch zukünftig zusammenarbeiten will oder muss, die man für weitere
Geschäfte braucht oder deren Bewertung und Beurteilung des Verhandlungsver-
laufs und des Verhaltens vielleicht in einem Markt oder einer Community kom-
muniziert werden – und einem daher nicht gleichgültig sind. Hat man also nur eine
einzige Sache miteinander auszuhandeln oder steht man in einer permanenten,
über die Verhandlung hinaus andauernden – möglicherweise sogar engen – Bezie-
hung zueinander (um die beiden Extremfälle zu nennen)? Wie also ist die Interes-
senkonstellation?
Je nach Priorität der kurz- oder langfristigen Interessen wird nun eine ratio-
nal agierende Partei eine dazu passende Verhandlungsstrategie wählen. Dies ist
die zweite Betrachtungsebene. Wichtig hierbei ist es, im ersten Schritt nur die
32 Verhandlungstechnik und -führung für Unternehmensjuristen 441
bezieht sich die Frage der Verhandlungsstrategien auf einen kürzeren Zeithorizont.
Strategien wählt man in Abhängigkeit von der Interessenlage und sie beschreiben
die grundsätzliche Haltung, die generelle Ausrichtung, mit der man dem Gegen-
über begegnen möchte, um die eigenen Interessen zu verfolgen (offensiv vs.
defensiv, aggressiv vs. kooperativ, starr vs. flexibel etc.). Verhandlungstaktiken
dagegen beschreiben die Gestaltung einer einzelnen Unterredung oder Verhand-
lungsphase: Soll man mit einem Angebot beginnen oder die andere Seite beginnen
lassen? Soll man zunächst noch einmal den Stand der Dinge zusammenfassen oder
die Sicht der anderen Seite sondieren? Soll man das stärkste Argument als Ers-
tes bringen oder mit einem schwächeren beginnen und sich langsam steigern? Soll
man einen Vorschlag per E-Mail vorab bekannt machen oder die andere Seite am
Verhandlungstisch damit überraschen? Das zum Beispiel sind taktische Fragen,
die sich auf relativ kurze Zeiträume beziehen und mit Blick auf die gewählte Stra-
tegie beantwortet werden müssen: Eine Strategie wählt man so, dass sie den Inter-
essen dient, und Taktiken stehen im Dienst einer Strategie.
Verhandlungsratgeber sind gewöhnlich voll von taktischen Ratschlägen, und
die wenigsten davon habe ich jemals einen Legal Counsel in der Praxis unter-
nehmerischer Verhandlungen anwenden sehen oder davon sprechen hören. Mit
Ausnahme vielleicht der altbekannten, aus US-Gangsterfilmen vertrauten Verhör-
methode good cop, bad cop, einer „psychologischen“ Verwirrungstaktik mit dem
Ziel, einen Gesprächspartner, der sich in einer abhängig-unterlegenen Situation
befindet, wie einen festgenommenen Verdächtigen eben, über seine Lage noch
weiter zu verunsichern, ihm somit Angst einzujagen und so zu Geständnissen zu
bewegen. Eine immer wieder „wirksame“ Methode in derartigen Kontexten, die
allerdings auch bereits mit erschreckend großer Häufigkeit zu falschen Geständ-
nissen und nachfolgenden Todesurteilen geführt hat, die labile Verdächtige able-
gen, um der angsteinflößenden Verhörsituation zu entkommen. Ob derartige
Vorgehensweisen zum Erzielen einer tragfähigen Vereinbarung in einem prospekti-
ven Verhandlungskontext geeignet sind, muss in den allermeisten Fällen allerdings
stark bezweifelt werden.
Das Problem bei den Wirkungen aller Taktiken ist, dass sie absolut situationsab-
hängig sind. Ob eine bestimmte Vorgehensweise empfehlenswert erscheint oder
nicht, ob sie eine Partei den angestrebten Zielen näher bringt oder kontraproduktiv
wirkt, liegt niemals an der Taktik an sich, sondern hängt stets vom Kontext ab,
in dem sie angewendet wird. Das, was in einer bestimmten Situation bei einem
bestimmten Verhandlungspartner wirksam war und den angestrebten Zielen näher
gebracht hat, muss in einer anderen Situation – beim gleichen Partner oder in einer
gleichen Situation aber mit einem anderen Partner – längst nicht wirkungsvoll
sein, sondern kann durchaus das Gegenteil des Gewünschten provozieren.
Diese unbedingte Kontextabhängigkeit von taktischen Regeln, empfehlenswer-
ten Vorgehensweisen und Strukturmerkmalen gut geführter Verhandlungen macht
32 Verhandlungstechnik und -führung für Unternehmensjuristen 443
jedem Verhandler zu schaffen; nicht nur Juristen, doch diesen ganz besonders.
Entsteht doch daraus die Erfordernis, eher suchend, forschend, vorsichtig tastend,
ja häufig auch eher „um den heißen Brei herum“ redend, den Gegenstand einer
Verhandlung, mögliche Lösungen und gewünschte Ergebnisse Zug um Zug zu
erschließen oder zu erarbeiten, als fordernd aufzutrumpfen, die eigene Sichtweise
als einzig richtige darzustellen, deren Unumstößlichkeit zu behaupten und dafür
schlagkräftige Argumente, wenn nicht sogar Beweise, zu erbringen. Das Ideal
des Prozessanwalts als glanzvollem Rhetoriker, mutigem Kämpfer, der gelegent-
lich auch einmal mehr riskiert, als dem Laien eigentlich geraten scheint, doch der
dann auch das Rückzugsgefecht beherrscht, den dabei die eine oder andere Wunde
nicht weiter anficht und der dennoch strahlend, selbstgewiss und in diesem Sinne
auf jeden Fall als Sieger die Arena verlässt, dieses Ideal entspricht geradezu dem
Gegenteil dessen, was in prospektiven Verhandlungen gefordert ist: Diplomatie,
Raffinesse, Nachsicht, die Fähigkeit, auch einmal Umwege zu gehen, Sackgas-
sen auszuhalten oder zu erkunden, Geduld, Einfühlungsvermögen, Zuhören, dabei
zwischen den Zeilen lesen können und die richtigen Fragen stellen – also genau
das Wirkungsfeld eines modernen Legal Counsel.
solle. Für den Erfolg in einer prospektiv geführten Verhandlung bedeuten derlei
Kompetenzen aber meist erst einmal nicht allzu viel. Hier sind ganz andere Fähig-
keiten gefragt.
Wenn ich nur ein einziges methodisches Defizit benennen dürfte, das mir in all
den Jahren des Coachens und Beratens von Juristen für Verhandlungssituationen
aufgefallen ist und das ein mit Verhandlungen befasster Legal Counsel aus meiner
Sicht als Erstes beheben sollte, so fiele mir die Antwort leicht: Ich würde ohne
auch nur eine Sekunde nachdenken zu müssen einen eklatanten Mangel an profes-
sioneller Fragetechnik beklagen, und für dessen sofortige Beseitigung plädieren.
Wir alle werden in dem Bewusstsein und mit dem Leitsatz erzogen „Wer nicht fragt,
bleibt dumm“. In dieser gut gemeinten pädagogischen Botschaft steckt jedoch eine
durchaus weniger positive Bedeutung, nämlich die, dass derjenige, der frage, eben
(noch) dumm sei. Der Frager setzt sich der Gefahr der Gegenfrage aus: „Ach – wis-
sen Sie das nicht?“ oder „Können Sie sich das nicht denken?“ Das ist für gewöhnli-
che Sterbliche schon schwer zu ertragen, doch für Juristen eine schiere Zumutung.
Nicht gänzlich ungern lässt sich der studierte Anwalt ja gelegentlich auch mal aller-
lei charakterliche Mängel anhängen oder attestiert sie sich in fröhlicher Juristen-
runde gleich selbst, sei es eine unüberwindbare Streitlust oder – wenn es sein muss
– auch mal Rechthaberei (sic!) oder Arroganz. Doch dumm sein, das geht gar nicht!
Das hat man schließlich durch die Bewältigung eines der anspruchsvollsten Studi-
enfächer überhaupt bereits bewiesen, in dem die „Einser“-Abschlüsse selten sind
446 M. Heß
wie schwarze Schwäne und eine Promotion als Nachweis zur Befähigung geradezu
übermenschlicher Lern- und Analysekompetenz – sprich: Intelligenz – gelten darf.
Und jetzt etwas nicht wissen oder wenigstens es sich denken können? Wie „unju-
ristisch“ wäre das denn? Doch Informationsgewinnung ist in Verhandlungen nur
eine von mehreren überaus nützlichen Eigenschaften geeigneter Fragen. Geschickte
Fragetechnik ist daher eines der wertvollsten methodischen Instrumente in Verhand-
lungsprozessen, wenn nicht sogar das wertvollste, und jeder Verhandler sollte es
eigentlich meisterhaft beherrschen.
In diesem Zusammenhang kann das nachfolgende Vorgehen zu einer besseren
Fragetechnik führen:
sind kein potlatch (ein Wettbewerb und Fest des Schenkens in der Tradition
nordwest-amerikanischer Indianer), aber auch kein rhetorisches „Armdrü-
cken“ oder „Fingerhakeln“, sondern der Versuch eines Interessenausgleichs
zwischen Verhandlungspartnern, von dem sich beide Seiten einen Vorteil ver-
sprechen. Das in den meisten Konstellationen einzig sinnvolle Vorgehen besteht
daher darin, eben diese Interessen zunächst einmal wechselseitig auszuloten
und anschließend in einen gemeinsamen Such- und Findeprozess einzustei-
gen, der dazu dient, ein eventuell mögliches Optimum zu finden. Die Methode,
diesen Prozess zu betreiben, ist eben das Fragenstellen in Verbindung mit akti-
vem Zuhören im suchenden Stil. Von eher unerfahrenen Verhandlern wird dies
oft verwechselt mit einem Aufgeben der eigenen Ziele und Interessen, dabei
bedeutet es lediglich, diese zwar fest im Blick zu haben, aber nicht vor sich her
zu tragen. Man muss beharrlich sein im Verfolgen der Ziele aber flexibel bei
der Suche des Weges dorthin.
• Aufmerksamkeit lenken: Fragen sind in ihrer Wirkung in Gesprächen nun
aber keineswegs schlichte, „unschuldige“, quasi neutrale Bitten um Informa-
tion, sondern Fragen transportieren auch etwas, werfen Themen auf, wirken als
Weichenstellungen und lenken die Aufmerksamkeit in die jeweils gewünschte
Richtung. Sie sind damit das bedeutsamste sprachliche Werkzeug, wenn es um
die Steuerung und Beeinflussung eines Gesprächsverlaufs geht. Es gilt der Satz:
Wer fragt, führt. Doch wohin?
Die menschliche Aufmerksamkeitsspanne umfasst eine Datenmenge von
maximal 100 Bit pro Sekunde.3 Das ist recht wenig und entspricht aller höchs-
tens etwa zehn einzelnen Informationspartikeln, derer man sich in einer
Sekunde bewusst werden kann. Allein durch die Nervenbahnen wird das
Gehirn aber gleichzeitig mit mehr als 100 Megabyte pro Sekunde aus der
Außenwelt versorgt4 und noch einmal ein Vielfaches davon wird zusätzlich
intern in Gedächtnisspeichern und allerlei emotionalen Verarbeitungszentren
erzeugt. Es gibt also jederzeit eine schier unermessliche Menge an Informatio-
nen, derer man sich bewusst sein könnte, aber mit nur einem winzigen Bruch-
teil davon befassen wir uns tatsächlich. Der füllt uns in diesem einen Moment
„Jetzt“ vollständig aus, den halten wir für relevant, der ist für uns die Welt und
er wird durch die Worte anderer Menschen, mit denen wir kommunizieren,
bestimmt. Ob wir wollen oder nicht: Worte unserer Sprache, die wir hören
oder lesen, rufen Vorstellungen hervor. Dabei sind die Worte alleine wirksam,
nicht der Satzbau oder die Absicht des Sprechers: Denken Sie einmal nicht an
ein weißes Kaninchen.
Erfahrene Verhandler sind sich dieses suggestiven Potenzials der Sprache
stets bewusst. Insbesondere dann, wenn sie Fragen stellen. Fragen sind die
geschickteste, weil indirekteste Art der Aufmerksamkeitslenkung und haben
damit verdeckt unmittelbaren Einfluss auf das Denken und die Fantasie des
Verhandlungspartners. Inhaltlich macht es kaum einen Unterschied, ob man
danach fragt, warum etwas nicht akzeptabel erscheint, oder danach, was akzep-
tabel wäre. Im Kopf des Gegenübers jedoch entstehen andere Vorstellungen.
Im einen Fall werden Fantasien des Scheiterns erzeugt, im anderen solche des
Gelingens. Die Wirkung ist subtil und sicherlich nicht alleine entscheidend,
doch sind sich exzellente Verhandler vor allem auch der Auswirkungen auf ihr
Gegenüber im emotionalen Bereich bewusst, die eine lösungsorientiert geführte
Verhandlung im Unterschied zur problemorientierten hat. Erstere erlebt man
typischerweise eher als konstruktiv.
• Flexibilität und Initiative erhalten: Bei Verhandlungen kommt es weniger
darauf an, wer das erste – sondern eher wer das letzte Wort hat. Für zahlreiche
von Hierarchie geprägte Entscheidungssituationen gilt ja auch: Wer das Sagen
hat, wird als Letzter sprechen. Eine kluge Führungsperson hört sich zunächst
an, was die anderen meinen oder wollen; wägt ab, denkt nach, bildet sich ein
Urteil und spricht dann. Wer in Verhandlungen vorprescht, setzt sich dem Urteil
der anderen aus, macht sich angreifbar und gibt die Initiative aus der Hand.
Nun kann sich die andere Seite dazu positionieren, wie es ihr beliebt. Erfah-
rene Verhandler tun das genau nicht, sondern behalten ihre Karten vorerst auf
der Hand, während sie versuchen, mehr über die Gegenseite in Erfahrung zu
bringen. Denn die eigene Auffassung als Zweiter ins Verhandlungsgeschehen
einbringen zu können, birgt einen klaren taktischen Vorteil: Wenn die Posi-
tion der anderen Seite bekannt ist, kann man sich entscheiden, wie man sich
dazu stellen möchte. Man kann zustimmen oder ablehnen, teilweise zustimmen
oder teilweise ablehnen, Gegenforderungen oder Ergänzungen benennen, mög-
licherweise sogar die Fortführung der Verhandlung ablehnen, bis bestimmte
Bedingungen erfüllt sind. Wie auch immer – man behält jedenfalls das Heft des
Handelns in der Hand. Die so bewahrte Flexibilität ist eine wertvolle Ressource
in nahezu allen Verhandlungssituationen.
Wird man von der Gegenseite jedoch bereits zu Beginn aufgefordert, die
Karten auf den Tisch zu legen, so kann darauf – je nach Kontext, Thema, Ver-
handlungspartner, Beziehung, Strategie etc. – unterschiedlich reagiert werden:
Von einem spontanen, lauten Auflachen, das dem anderen signalisiert, man
habe das als gelungenen Scherz verstanden, über ein neugieriges „Warum?“,
respektive das Stellen einer Gegenfrage „Bevor ich Ihnen antworte, darf ich
Ihnen ein paar Fragen zu (…) stellen?“, bis zum „OK. Hier sind unsere Vorstel-
lungen …“ kann alles „richtig“ sein.
• Kooperationsbereitschaft signalisieren: Gelungene Verhandlungen sind
immer auch Emotionsmanagement. Für typische Juristen wie auch für andere
Verhandler, denen eine starke Orientierung an Rationalität und Logik nachge-
sagt wird oder die selbst an einem derartigen Image interessiert sind, zählen
Emotionen zu den Störfaktoren professioneller Interaktion und gehören nicht
an den Verhandlungstisch. Gleichwohl sind sie eine unabwendbare psychologi-
sche Realität, und nach heutigem Stand der neurologischen Forschung sogar
notwendige Vorbedingung bei der Erzeugung des menschlichen Bewusstseins
32 Verhandlungstechnik und -führung für Unternehmensjuristen 449
Eine gezielte Provokation verfolgt dagegen die Absicht, bei anderen Gefühls-
wallungen hervorzurufen und bei Verhandlern, die sich dieses Instrumentari-
ums bedienen, steht dahinter die Hoffnung oder das Kalkül, sich einen Vorteil zu
verschaffen. Sei es, dass die Gegenpartei darauf hin emotional vernebelten Sin-
nes leichtfertig Dinge preisgibt oder etwas tut, das zu ihrem Nachteil gereicht.
Sie kann sich auch durch Unbeherrschtheit blamieren und „das Gesicht verlie-
ren“, also Ansehen einbüßen. Solches Vorgehen ist riskant. Es birgt die Gefahr
des Scheiterns der Verhandlung. Natürlich sind zahllose Verhandlungssituationen
denkbar, in denen es von Vorteil für die provozierende Partei sein kann, wenn die
Verhandlung scheitert und die Verantwortung dafür bei der Partei gesehen wer-
den kann, die sich provozieren ließ und die Verhandlung abgebrochen hat. Wenn
es aber, wie in den allermeisten und gerade auch den typischen Verhandlungssi-
tuationen, so ist, dass eine Einigung auf dem Verhandlungswege tatsächlich für
beide Parteien besser wäre als keine Vereinbarung, dann sind emotional bedingte
Kontrollverluste als Verhandlungsunfall zu betrachten und zu vermeiden. Provo-
kationen scheiden somit als taktisches Mittel aus. Vielmehr muss man sich um das
Gegenteil bemühen, und nicht nur die absichtlichen, sondern auch die unabsicht-
lichen Provokationen zu vermeiden suchen. Auch das, was gar nicht provozierend
gemeint ist, aber dennoch provozieren könnte, gilt es zu vermeiden. Professionelle
Verhandler verhandeln stets gesichtswahrend.
Ob etwas in einer Verhandlung als blamabel erlebt wird oder nicht, wird sehr
stark vom kulturellen Kontext beeinflusst, der die Verhandler geprägt hat. Je zivi-
lisierter eine Gesellschaft, desto mehr Regeln und Vorschriften für angemessenes
Verhalten gibt es in ihr und desto klarer und zahlreicher die Normen dazu, wie
man sich in bestimmten gesellschaftlichen Situationen zu fühlen und zu verhal-
ten hat. Je höher entwickelt eine Kultur, je kultivierter das Verhalten deren Mit-
glieder, desto mehr Regelbrüche sind möglich und desto höher auch das generelle
Risiko, einen Gesichtsverlust zu erleiden. In solchen Umfeldern sind gleichzeitig
die Traditionen der gegenseitigen Rücksichtnahme, Vorsicht und Zurückhaltung
im kommunikativen Kontakt besonders ausgeprägt. So wird es im asiatischen Ver-
handlungskontext meist bereits als Gesichtsverlust erlebt, den Verhandlungspart-
ner zu einem klaren „Nein“ zu veranlassen (siehe dazu auch Kap. 7). Wer das tut,
blamiert sich, indem er zeigt, dass er etwas vorgeschlagen hat, ohne sich vorher
in den anderen hineinzuversetzen. Da dieser aber wiederum dem Anderen keinen
solchen Gesichtsverlust bereiten möchte – das wäre für ihn ein Gesichtsverlust –,
wird er, wenn er einen Vorschlag ablehnt, niemals das klare „Nein“ verwenden,
sondern es verklausulieren, zum Beispiel in der Formel „wir werden darüber nach-
denken“. Diese muss von der Gegenseite jedoch als „Nein“ verstanden werden,
und nicht etwa als „vielleicht“, will man mit asiatischen Verhandlungspartnern
nicht permanent in die Irre laufen.
32 Verhandlungstechnik und -führung für Unternehmensjuristen 453
Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Erkenntnis, dass es sich bei all diesen
Attributen lediglich um Zuschreibungen durch andere handelt, die die Wirkung
des jeweiligen Verhandlungsstils auf sie selbst (auf dem Hintergrund des jewei-
ligen Kontextes) bezeichnen und nicht etwa um Eigenschaften eben dieses Stils
oder gar des Verhandlers, der ihn pflegt. Alles, was in dieser Hinsicht gesagt wird,
wird von Beobachtern gesagt und bezeichnet deren Bewertung; andere Beobachter
werten und benennen anders.
Was das eigene Gefühlsleben angeht, sollte ein professioneller Verhandler
natürlich stets gelassen, freundlich und höflich bleiben können, selbst wenn er bei
Verhandlungen unter großem Druck steht oder es mit sehr emotional agierenden
Verhandlungspartnern zu tun hat. Durch gelegentlich dosierte Lockerung der emo-
tionalen Kontrolle lässt er auch hin und wieder authentische Gefühle erkennen und
macht sich kurzzeitig transparent. Das ist psychologisch weit wirkungsvoller als
ein dauerndes poker face. Zum Beispiel bringt es nichts, bei wiederholten Provo-
kationen der Gegenseite, die einen ärgern, so zu tun, als habe man nichts gehört
und als sei das alles völlig normal. Hier wäre es in den meisten Fällen besser, den
eigenen Ärger in angemessener, authentischer, aber beherrschter Weise durch-
scheinen zu lassen und ihm „im Sonntagsanzug“ Ausdruck zu geben. Die meisten
Juristen haben in ihrer Ausbildung selten etwas über den Einsatz von Meta-Kom-
munikation oder anderen rhetorischen respektive dialektischen Methoden zur
Beeinflussung eigener oder fremder Emotionen gehört. Doch auch ohne dieses
eher fortgeschrittene Instrumentarium aus dem Werkzeugkoffer der Verhandlungs-
methodik wäre in vielen Fällen schon durch einen vernünftigen, taktischen Aufbau
der Verhandlung mithilfe entsprechender Szenarien viel gewonnen. Manch sinn-
lose und Zeit sowie Nerven kostende Eskalationen könnten so vermieden wer-
den; der Effizienzgewinn wäre beträchtlich. Man müsste die Emotionen „auf dem
454 M. Heß
Schirm“ haben und nicht versuchen, sie einfach auszublenden, zu ignorieren oder
zu exkommunizieren!
Emotionen sind kein mehr oder weniger schmückendes Beiwerk für inhaltliche
Kommunikation. Das limbische System im Gehirn, in dem sie entstehen, ist viel-
mehr maßgeblich am Konstruktionsprozess dessen beteiligt, das wir als Bewusst-
sein und Wirklichkeit erleben.7 Emotionen wirken entscheidend daran mit, ob wir
ein Verhandlungsergebnis für fair oder einen Kompromiss für tragfähig bezie-
hungsweise erträglich halten. Also: Starten Sie am besten mit einer ausführlichen
informellen Phase und lockerem warming-up. Überlegen Sie sich passende Fragen
für den Small Talk. Sprechen Sie gegebenenfalls auch einmal vermutete Emotio-
nen auf der Gegenseite an – und wahrgenommene Gefühle auf der eigenen. Erken-
nen Sie starke Diskrepanzen in Körpersprache, Lautstärke, Sprechtempo,
Wortwahl usw. zwischen den Parteien? Ist das Klima insgesamt allzu rau gewor-
den, signalisiert das Klärungsbedarf auf der psychologischen oder atmosphäri-
schen Ebene. Ohne entsprechende Metakommunikation geht es dann inhaltlich
meist nur schleppend oder gar nicht mehr weiter. Manchmal kann dann eine
Unterbrechung bereits hilfreich sein. Handelt es sich jedoch um echte Konflikte,
bedarf dies der Thematisierung, Klärung und eventuell Vereinbarung über die wei-
tere Behandlung des Themas, um weiter zu kommen.
Abschließend lässt sich sagen, dass der typische Unternehmensjurist aufgrund sei-
ner Ausbildung, seiner Position, seines Aufgabenfeldes und seiner Rollenzuschrei-
bung durch andere als Verhandler für sein Unternehmen in hohem Maße geeignet
und auch gefordert erscheint, wenn er entsprechend ausgebildet und erfahren ist.
Das Verhandeln gehört eigentlich zu seinen ureigenen Aufgaben und ist bei einer
Vielzahl der durch ihn zu lösenden Probleme auch die geeignetste Methode. Bei
den wichtigsten externen Verhandlungen, in denen sein Unternehmen durch ganze
Verhandlerteams oder Delegationen gegenüber Kunden oder Lieferanten, Schwes-
tergesellschaften, Ämtern oder Behörden vertreten werden muss, ist er geradezu
prädestiniert dafür, die Rolle des Verhandlungsführers einzunehmen. Dazu braucht
es allerdings in jedem Einzelfall die klare Mandatierung durch den verantwortli-
chen Executive, die klare Absprache während einer intensiven und genügend
langen Vorbereitungsphase darüber, wie diese Rollenaufteilung im Verhandlungs-
geschehen in Erscheinung treten soll, und last but not least: Eine gründliche und
systematische Aneignung des verhandlungsmethodischen Rüstzeugs in Bezug auf
Strategie, Taktik und Methodik. Das juristische Studium alleine befähigt ihn noch
nicht dazu, sondern legt im Gegenteil sogar etliche Fallstricke in Form von für das
prospektive Verhandeln eher ungünstigen Prägungen in Denk- und Wahrnehmungs-
gewohnheiten aus. Werden diese aber verstanden und durch brauchbarere ersetzt,
fehlt dann nur noch die letzte und vielleicht gewichtigste Zutat, die einen besonders
erfolgreichen Verhandler ausmacht und die sich – was tröstend sein mag – mit der
Zeit ganz von selbst einstellt: Erfahrung.
Literatur
Damasio AR (2002) Ich fühle, also bin ich: Die Entschlüsselung des Bewusstseins. List,
München
Drosdowski G (1997) Duden – Etymologie, Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, 2.
Aufl. Dudenverlag, Mannheim
Legewie H, Ehlers W (1972) Knaurs moderne Psychologie. Droemer Knaur, München
Nørretranders T (2000) Spüre die Welt, 3. Aufl. Rowohlt, Reinbek
Spitzer M (2002) Musik im Kopf. Schattauer, Stuttgart
Williams G (1983) Legal negotiations and settlement. West, St. Paul
General und Legal Counsels sind innerhalb der „Legal Operations“ in beson-
derem Maße oft mit Fragen rund um die Konfliktentstehung und Konfliktbe-
wältigung konfrontiert. Darüber hinaus nimmt diese Berufsgruppe eine
Vorbildfunktion im Umgang mit Konfliktsituationen ein. Das Umfeld stellt in
• Es besteht ein Widerspruch, das heißt eine Unvereinbarkeit von Zielen, Interes-
sen, Bedürfnissen, Werten oder Glaubenssätzen zwischen den Konfliktparteien.
• Es erwächst ein, den Konflikt anzeigendes und allzu oft verschärfendes, Verhal-
ten in Ausprägung von Konkurrenz, Aggression, Hass, Gewalt, Vermeidung etc.
zwischen den Konfliktparteien.
• Es entsteht eine auf den Konflikt bezogene und diesen – bewusst oder unbe-
wusst – rechtfertigende Einstellung/Haltung der Konfliktparteien. Diese ist eng
mit deren Wahrnehmungen und Annahmen in Bezug auf ihre eigene Stellung
im Konflikt verbunden.
Selbstverständlich haben aufkommende Konflikte, wie Tab. 33.1 zeigt, nicht nur
negative Auswirkungen:
Im Wissen, dass Konflikte im beruflichen wie privaten Umfeld unvermeidlich
sind, geht es darum, „konfliktkompetent“ – also konstruktiv und zielführend –
agieren zu können. Voraussetzung dafür ist eine Grundkenntnis, wie Konflikte
entstehen und, wie sie sich entwickeln sowie die Bereitschaft zur regelmäßigen
Selbstreflexion. Der Weg führt über die generelle Konfliktsouveränität und das kon-
krete Konfliktverhalten von Individuen und ganzen Organisationen.
Selten ist eine Ursache allein der Grund für einen ausgetragenen Konflikt. Oft
ergeben sich kumulative Effekte über die Zeit eines schwelenden Konfliktes hin-
weg, sodass die Analyse der Ursachen für die Konfliktlösung oder das Manage-
ment des Konfliktes wesentlich sein kann.
33.1.5 Konfliktarten
Das Bewusstsein, um welche Art es sich bei einem Konflikt handelt, relativiert in
vielen Fällen die Brisanz der Auseinandersetzung bei involvierten Parteien. Viel-
fach fühlen sich die an einem Konflikt beteiligten Personen persönlich angegriffen,
33 Konfliktmanagement für Unternehmensjuristen 461
(Fortsetzung)
33 Konfliktmanagement für Unternehmensjuristen 463
Tab. 33.2 (Fortsetzung)
Anforderungen Mögliche Konfliktkonstella- Lösungsansätze
tionen
• Authentizität •E
infordern von rechtlich • Proaktive Aufklärungsarbeit
• Abstraktionsvermögen – was relevanten Informationen über Ziele und Aufgaben der
ist wirklich wichtig? (z. B. beim Einkauf) Rechtsabteilung
•D
okumente „abnicken“ vs. • Ausbildungsmodule anbieten
sorgfältige Prüfung derselben (zum Beispiel Claims
•G
efahr, als „abgehoben“ Management), welche den
wahrgenommen zu werden Partnerabteilungen Mehr-
wert bringen
• Positive Kontakte zu den
Kollegen suchen und Pflegen
Abb. 33.1 Eskalationsphasen und Eskalationsstufen. (Quelle: nach Glasl 2004, S. 236 f.)
Vor allem Führungskräfte, wie der General Counsel, sollten sich der neun Stu-
fen der Konflikteskalation bewusst sein. Konflikte können so von einem neutra-
len Standpunkt aus betrachtet werden und wenn nötig kann rechtzeitig Hilfe von
außen angefordert werden. Auch bei Konflikten, an denen man nicht selbst betei-
ligt ist, kann das wertfreie Erkennen der richtigen Konfliktstufe zu einer rascheren
Lösung des Konflikts führen.
464 M.J. Fischer
Tab. 33.3 Detaillierte Beschreibung der neun Eskalationsstufen. (Vgl. Glasl 2004, S. 236 f.)
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33.4 Konfliktsouveränität
Wie in Abschn. 33.1 kurz angedeutet sind persönliche Eigenschaften wie soziale
Kompetenz, Seniorität, Lebenserfahrung und Empathie entscheidende Faktoren
dafür, wie die Einzelperson auf (entstehende) Konfliktsituationen reagiert. Johan-
nes Czwalina, langjähriger Unternehmensberater, Coach und Mediator definiert
folgende Eigenschaften, die bei einzelnen Persönlichkeiten zu „Konfliktsouveräni-
tät“ führen:6
Der Harvard-Ansatz ist die Methode des sachbezogenen Verhandelns für Juristen.
Im Jahr 1981 entwickelte der amerikanische Rechtswissenschaftler Roger Fisher
zusammen mit William L. Ury in dem Buch Getting to Yes (deutscher Titel: Das
Harvard-Konzept) das zugrunde liegende Prinzip hierzu. Das Konzept beruht
dabei auf dem Negotiation Project der Harvard-Universität9 und ist Teil des „Pro-
gram on Negotiation“ der Harvard Law School. Ziel der Methode ist eine kon
struktive und friedliche Einigung in Konfliktsituationen mit einem
win-win-Ergebnis. Die Methode geht über klassische Kompromisse hinaus. Im
Vordergrund steht der größtmögliche beidseitige Nutzen, wobei über die sachliche
Übereinkunft hinaus auch für beide Verhandlungsseiten die Qualität der persönli-
chen Beziehungen gewahrt bleiben soll.
Die vier Prinzipien des Harvard Verhandlungskonzepts weisen einen hohen
Deckungsgrad mit den durch das Eckerd College erhobenen, konstruktiven Verhal-
tensweisen in Konflikten auf. Ein bewusstes Augenmerk auf die Verhandlungsprin-
zipien und Verhaltensweisen erhöhen die konstruktive Konfliktbewältigung somit
auch gemäß wissenschaftlicher Studien:
Literatur
CPP Inc. (2008) CPP Human Capital Report 2008 „Workplace conflict and how business can
harness it to thrive“. Sunnyvale
Czwalina J (2013) Konfliktsouveränität. Vortragsmanuskript, beim Autor bestellbar
Fischer R, Ury WL (1983) Getting to yes – negotiating agreement without getting in. Penguin
Group, London
Glasl F (2013) Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Bera-
ter, 11. Aufl. Haupt, Bern
Mullins LJ (2010) Management & organisational behaviour, 9. Aufl. Financial Times Prentice
Hall, Harlow
Runde CE, Flanagan TA (2008) Building conflict competent teams. Jossey-Bass, San Francisco
Runde CE, Flanagan TA (2013) Becoming a conflict competent leader: how you and your organi-
zation can manage conflict effectively, 2. Aufl. Jossey-Bass, San Francisco
Die Aufgabenstellungen der Rechtsabteilungen haben sich im Laufe der Zeit ver-
ändert: Ursprünglich als Bindeglied zwischen den Unternehmen und externen
Rechtsanwälten angesiedelt, sind sie nun vollumfängliche Dienstleistungsabtei-
lungen, deren Mitglieder in alle Schlüsselentscheidungen involviert sind. Zudem
waren die Rechtsabteilungen in der Vergangenheit auch zum größeren Teil mit
Routinearbeiten betraut; wohingegen komplexere Aufgabenstellungen regelmäßig
an Rechtsanwaltkanzleien abgegeben wurden. Im Laufe der letzten beiden Jahr-
zehnte unterliefen die Rechtsabteilungen einer Veränderung in der Gestalt, dass
die Strukturen und Ziele an den Strategien der Unternehmen ausgerichtet und an
diese angepasst wurden. Daraus resultierend sind die erfolgreichsten Legal Coun-
sels heute in die Business Teams integriert und liefern täglich einen Mehrwert an
die Unternehmen.
Auch die Rolle des General Counsel durchlief eine entsprechende Entwick-
lung: Ursprünglich einzig als Experte auf juristischem Gebiet angesehen, wird
der General Counsel nun vermehrt als kritischer Business Partner geschätzt. Er ist
gehalten, auf den rechtlichen Kontext, die wirtschaftlichen Risiken und Nachteile
eines Sachverhaltes hinzuweisen, um zu einer sachgerechten und wirtschaftlich
sinnvollen Entscheidung zu gelangen. Darüber hinaus wird vom General Counsel
heutzutage erwartet, dass er seine eigene Sichtweise zu geschäftlichen Sachver-
halten beisteuert. Zudem wird von den anderen Kadermitarbeitern vorausgesetzt,
dass der General Counsel geschäftliche Vorschläge kritisch hinterfragt, insbeson-
dere wenn diese konzeptionell fehlerhaft erscheinen. Die erfolgreichsten General
A. Zinser (*)
Zürich, Schweiz
E-Mail: a.zinser@yahoo.com
Counsels sind heute daher keine „reine“ Juristen mehr, sondern Business Partner
und schlussendlich auch Business Leaders: Sie durchdenken Sachverhalte aus
mehreren Perspektiven und zeigen Verantwortung für den kommerziellen Erfolg
ihrer Unternehmungen. Diese Wertketten-Entwicklung zeigt Abb. 34.1 auf.
Grundsätzlich haben der General Counsel und sein Team die Aufgaben, die
Interessen des Unternehmens zu wahren, die Reputation und die Assets des Unter-
nehmens zu schützen sowie die Strategien und die Zielsetzungen des Unterneh-
mens zu fördern. Sofern sich die Rechtsabteilung von diesen Aufgabenstellungen
abkoppelt oder ausschließlich mit der eigenen Bestandserhaltung beschäftigt ist,
kann sie leicht zum Opfer ihrer eigenen Destruktion werden. Es ist daher die Ver-
antwortung eines jeden General Counsel, ein Business Partner und schließlich
auch ein Business Leader zu werden, der seine Mitarbeitenden inspiriert und zur
gemeinsamen Zielerreichung anleitet. Eine enge Beziehung zu anderen operativen
Einheiten im Unternehmen ermöglicht es der Rechtsabteilung, einen Mehrwert für
das Unternehmen zu generieren. Schlussendlich führt die Leidenschaft, den maxi-
malen Mehrwert für das Unternehmen zu generieren, zu einer erfüllenden und
sinnstiftenden Berufsausübung.
Abb. 34.1 Wertketten-Entwicklung
34 Vom General Counsel zum Business Partner und Leader 471
Dabei gilt es folgende, nicht abschließende Barrieren der Entwicklung zum Busi-
ness Partner und Leader abzubauen:
Die Entwicklung zu einem Business Partner und Leader mit einem größtmögli-
chen strategischen Mehrwert für das Unternehmen ist ein Prozess. Das Konzept ist
fließend und dynamisch – es gibt hierfür kein allgemeingültiges Rezept. Es hängt
von zahlreichen Faktoren ab wie die Rolle, die Fähigkeiten, die Persönlichkeit des
General Counsel und seiner Teammitglieder, die Unternehmenskultur, die Art und
Größe des Unternehmens und die wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Rah-
menbedingungen. Die Entwicklung zum Business Partner und Leader umfasst
hierbei die in Abb. 34.2 aufgeführten Aspekte.
Die folgende, nichtabschließende Liste enthält Empfehlungen1 der Entwicklung
zum Business Partner und schlussendlich zum Business Leader.
• Fachwissen der Branche, in welcher Ihr Unternehmen tätig ist: Lesen Sie
branchenbezogene Zeitschriften, Magazine und Newsletter. Besonders Literatur
mit einem Executive Summary schafft auf effiziente Weise einen Überblick; ver-
bunden mit der Gelegenheit, sich tiefer in die Materie einzulesen. Schreiben Sie
sich bei branchenbezogenen E-Mail-Newslettern ein. Nehmen Sie an geschäfts-
relevanten Treffen und Telefonkonferenzen teil. Sprechen Sie mit Mitgliedern
der Geschäftsleitung und Kunden, um sich einen aktuellen Überblick über die
1Die Empfehlungen sind nicht kategorisiert. Es kann Überschneidungen geben; einige Empfeh-
lungen passen auch in mehrere Kategorien.
34 Vom General Counsel zum Business Partner und Leader 473
2US-amerikanischer Foreign Corrupt Practices Act von 1977, 15 U.S.C. §§ 78dd-1 ff.
474 A. Zinser
• Team Player: Nehmen Sie Ihre Rolle als Mitglied eines Teams aktiv wahr. Sie
gelangen so zu entscheidungsrelevanten Informationen und beziehen alle maß-
geblichen Anspruchsgruppen mit ein. Hören Sie zu und verstehen Sie unter-
schiedliche Ansichten. Bringen Sie verschiedene Perspektiven ein, um das
bestmögliche Ergebnis zu erzielen.
• Mentor: Stellen Sie sich einen Mentor aus der oberen Führungsetage zur Seite,
um weitere Einblicke in Ihr Unternehmen und die wirtschaftlichen Zusammen-
hänge zu erhalten. Sie können auch eine Person Ihres Vertrauens aus Ihrem
Beziehungsnetz auswählen, mit der Sie sich regelmäßig austauschen. Sie haben
damit einen Sparringspartner für geschäftliche und karriererelevante Belange –
unter der Maßgabe, dass Sie keine vertraulichen Informationen preisgeben.
• Reaktionszeit: Beantworten Sie E-Mails innerhalb von 24 h; versenden Sie
zumindest deren Eingangsbestätigung innert dieser Frist. Mit der Bestätigung
des Erhalts geben Sie auch den Zeitrahmen der detaillierteren Beantwortung
an, falls diese nicht umgehend erfolgen kann. Rufen Sie so schnell wie mög-
lich zurück. Halten Sie vereinbarte Fristen ein; eine schnelle Reaktion schafft
Vertrauen. Ihre Mitarbeitenden schätzen es, wenn Sie sich zeitnah um deren
Angelegenheiten kümmern. Falls andere Personen im Unternehmen nicht die
Wahrnehmung haben sollten, dass Sie sich zeitnah und umfassend um deren
Anliegen kümmern, hat dies negative Auswirkungen auf die Zusammenarbeit.
• Beziehungsmanagement: Der General Counsel, der ein Business Partner
und Leader sein möchte, benötigt nicht nur ein entsprechendes Beziehungs-
netz, sondern muss dieses auch entsprechend pflegen. Nutzen Sie Ihre beson-
dere Position im Unternehmen, welche Sie mit einer großen Bandbreite von
Kontakten und Informationen zusammenbringt. Entwickeln und bewahren
Sie ein positives Beziehungsverhältnis zu anderen Personen in- und außerhalb
Ihres Unternehmens. Investieren Sie Zeit, um leitende Mitarbeitende aus allen
Bereichen Ihres Unternehmens – einschließlich den entsprechenden Teams
– kennenzulernen. Nehmen Sie auch an informellen Konversationen auf dem
Flur, an der Kaffeeecke etc. teil. Solche Gespräche können dazu beitragen,
476 A. Zinser
• Proaktivität: Seien Sie proaktiv, anstatt reaktiv. Erhöhen Sie den strategi-
schen Mehrwert durch eine Zukunftsplanung und eine Identifizierung kreativer
Wege zur Erzielung geschäftlicher Ziele unter gleichzeitiger Einbeziehung der
Rechtsrisiken und zukünftigen Entwicklungen. Identifizieren Sie Problemstel-
lungen und erklären Sie, wie diese das Unternehmen in geschäftlicher Hinsicht
tangieren; bezogen auf das Risiko und den Einfluss auf den wirtschaftlichen
Erfolg und die langfristige strategische Ausrichtung des Unternehmens. Zeigen
Sie gangbare Alternativen und Lösungen auf.
• Struktur: Abhängig von der Struktur Ihres Unternehmens passen Sie die
Struktur der Rechtsabteilung in der Weise an, dass dadurch die Strategien und
Ziele des Unternehmens effektiv erzielt werden können. Denken Sie darüber
nach, ob die Rechtsabteilung nach Funktionen wie juristische Ansprechpart-
ner für Abteilungen, für Geschäftseinheiten oder für Regionen oder in einer
anderen Art und Weise strukturiert werden sollte. Überlegen Sie sich, ob die
Legal Counsels eine indirekte Berichtslinie an einen Business Manager und
eine direkte Berichtslinie innerhalb der Rechtsabteilung, die schließlich in den
General Counsel mündet, haben sollten (siehe dazu auch Kap. 36 ff.).
• Abteilungstreffen mit Business Manager: Halten Sie Treffen der Rechtsab-
teilung ab, zu denen Sie regelmäßig Business Manager einladen, die über ihr
Geschäft, die Herausforderungen, die Möglichkeiten und Strategien sprechen.
Die strategische Sichtweise der Business Manager trägt zum Verständnis der
Unternehmensstrategie bei und kann eine entsprechende Anpassung der Arbeit
der Rechtsabteilung hervorrufen. Diese Treffen stellen auch eine Möglichkeit
dar, um die Business Manager nach ihren Erwartungen an die Rechtsabteilung
zu befragen.
• Einstellungsprozess: Stellen Sie Juristen ein, die neben ihrer rechtlichen
Expertise auch ein kommerzielles Verständnis mitbringen. Stellen Sie in der
Stellenausschreibung heraus, dass ein kommerzielles Verständnis erwartet wird,
und prüfen Sie dieses im Einstellungsgespräch. Halten Sie auch Ausschau nach
Talenten, welche in ihrer bisherigen Tätigkeit über den Tellerrand geblickt
haben.
• Interne Kommunikation: Kommunizieren Sie den Mehrwert der Rechtsab-
teilung über interne Newsletters, Workshops, Schulungen etc. Sie können auch
eine regelmäßige Kommunikation auf dem Intranet schalten wie „Compliance
Issue of the Month“ oder „Legal Hot Topic of the Month“.
• Business Partnering Mission: Nehmen Sie den Gesichtspunkt des Business
Partnering in die Mission der Rechtsabteilung auf. Sobald dieser dort festge-
schrieben ist, kommunizieren Sie diesen an die Kader und implementieren Sie
ihn. Überprüfen Sie die Mission Ihrer Rechtsabteilung und ihre Umsetzung in
regelmäßigen Abständen.
478 A. Zinser
34.4 Implementierung
Konzentrieren Sie sich am Anfang auf ein paar wenige der oben genannten Emp-
fehlungen, insbesondere auf diejenigen, bei denen Sie die größten Entwick-
lungschancen für sich sehen, und die gleichzeitig sehr effektiv sind. Hernach
implementieren Sie weitere Empfehlungen; verbunden mit der Leidenschaft, uner-
müdlich einen Mehrwert für Ihr Unternehmen zu schaffen.
Ein Business Partner und Leader wird man nicht von einem Tag auf den ande-
ren: Es ist ein langfristiger Prozess. Dessen Umsetzung führt jedoch mittel- bis
langfristig nicht nur zu mehr Sinnhaftigkeit und Erfüllung im Berufsleben, son-
dern verbessert auch die Qualität der gesamten Rechtsabteilung und unterstützt die
Implementierung der Strategien des Unternehmens. Es trägt dazu bei, den wich-
tigsten Aspekt des Unternehmens zu bewahren: Die gute Reputation im Innen- und
Außenverhältnis.
Im Verlauf der beruflichen Karriere stellt sich für viele Juristen, auch für den
General Counsel eines Unternehmens, die Frage, ob der Schritt in eine Lini-
enfunktion, das heißt zu einer operativen Tätigkeit gewagt werden soll. Dieser
Schritt ist für juristische Fachexperten oft nicht einfach, denn weder im Studium
der Rechtswissenschaften, noch in juristischen Zusatzausbildungen spielen Fragen
der Unternehmensführung, der Führung von Mitarbeitenden, der Finanzen oder
unternehmerisch-strategischer Art eine zentrale Rolle. Auch weitere betriebswirt-
schaftliche Themenschwerpunkte, wie der Verkauf von Produkten oder Dienst-
leistungen, Marketing, die kaufmännische Buchführung oder das Leiten und
Organisieren von Projekten, sind in aller Regel keine Inhalte juristischer Lehr-
gänge. Der Jurist ist ausschließlich mit „seiner“ Materie, dem Recht beschäftigt.
Er findet oft, auch aus zeitlichen Gründen, keine Gelegenheit, sich auch mit oben
genannten weiteren unternehmerischen Themen fundiert auseinanderzusetzen.
Rein juristische Standpunkte sind in einem Unternehmen jedoch selten für dessen
Erfolg ausschlaggebend. Bei allen Unternehmensentscheiden stellt die juristische
Dimension lediglich einen (teilweise sehr geringen) Teilaspekt der Entscheidungs-
grundlage dar.
Dem versierten General Counsel sind seine eigene Position in einem Unterneh-
men und die eben geschilderten Zusammenhänge bestens bekannt. Stets muss er
sich mit Schnittstellen zu anderen Unternehmensbereichen auseinandersetzen und
kann sich dadurch on the job Kenntnisse in anderen Gebieten aneignen. Genau
diese Schnittstellen zu anderen Unternehmensbereichen machen die Arbeit für ihn
C. Dueblin (*)
Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC, Basel, Schweiz
E-Mail: dueblin@quadragon.ch
Für den General Counsel, der den Wunsch hegt, in die Linie zu wechseln und ope-
rative Aufgaben zu übernehmen, stellen sich in Bezug auf seine berufliche Kar-
riere einige bedeutende Fragen und Herausforderungen. Operativ tätig zu sein,
bedeutet für die eigene Karriere, in Bezug auf den Einsatz seines rechtlichen Spe-
zialwissens in Zukunft große Abstriche in Kauf zu nehmen. Wie Professor Rolf
Dubs in Kap. 4 treffend beschreibt, ist eine zunehmende Spezialisierung in recht-
lichen Fachgebieten dafür verantwortlich, dass der Jurist für operative Tätigkeiten
heute zu wenig anderweitig professionell verwertbares Wissen mitbringt. Für eine
Linienposition bedarf es zweifelsohne noch anderer Qualitäten, als nur über recht-
liches Fachwissen zu verfügen. Das Resultat: Der Jurist wird vom Management
vorwiegend als Fachspezialist wahrgenommen und dabei nicht für den Einsatz in
anderen Fachbereichen vorgesehen. Mit anderen Worten: Er erscheint oft nicht
auf dem Radar der Unternehmensführung, wenn es darum geht, Mitarbeitende für
operative Funktionen zu fördern.
Der General Counsel, der sich entwickeln möchte, steht schon zu Beginn seines
Wunsches zur beruflichen Weiterentwicklung vor einer wichtigen Entscheidung:
Soll er sich weiterhin juristisch (zum Beispiel mit einem LL.M.-Lehrgang) oder
etwa betriebswirtschaftlich-unternehmerisch (zum Beispiel in einem MBA-Pro-
gramm) weiterbilden? Für denjenigen General Counsel, der keine Ambitionen
hegt, sich im Unternehmen anders als rechtlich zu betätigen, wird die Entschei-
dung einfach zu fällen sein. Er wird sich für die juristische Weiterbildung ent-
scheiden und trifft mit dem LL.M. in der Regel auch eine gute Wahl. Für den
General Counsel jedoch, der Lust verspürt, sich anderweitig in seinem Unter-
nehmen zu entwickeln und sich in andere Unternehmensbereiche einzubringen,
könnte beispielsweise die Wahl eines MBA-Programms strategisch vorteilhaf-
ter sein. Den wenigsten General Counsels wird es aus zeitlichen und finanziellen
Gründen möglich sein, sowohl einen LL.M.-, als auch einen MBA-Lehrgang in
Angriff zu nehmen.
Sollte sich der General Counsel also dafür entscheiden, den betriebswirtschaft-
lichen/unternehmerischen Weg einzuschlagen, stellen sich Fragen, die für den wei-
teren Berufsweg eine wichtige Rolle spielen:
Sich diese Fragen zu stellen und schließlich den Mut zu haben, sich von seinem
angestammten Platz als General Counsel mittelfristig zu lösen, bedarf nebst Über-
zeugung auch Charakterstärke. In diesem Zusammenhang muss auf eine Entwick-
lung der letzten Jahre hingewiesen werden: In einem Gespräch zur Vorbereitung
dieses Buches meinte der ehemalige Politiker, Top-Manager und Multiverwal-
tungsrat Robert A. Jeker1 zurückblickend auf seine Karriere in diversen Unterneh-
men, dass es lange relativ einfach gewesen sei, mit einem Studium der
Rechtswissenschaften ins Management von Unternehmen einzusteigen. Dies habe
sich seiner Meinung nach in den letzten Jahren markant geändert. Senior execu
tives seien heute in der Regel nicht Juristen, sondern vor allem Betriebs- und
Volkswirte, welche über fundiertes Wissen im Finanzbereich verfügten oder
Naturwissenschaftler, wie Ingenieure, Chemiker, Physiker etc., die in gefragten
Spezialbereichen der Industrie tätig seien und spezifisches Expertenwissen für das
Führen einzelner Unternehmenssparten mitbrächten.
Die Anforderungen, die sich heute an die Führung und Weiterentwicklung ein-
zelner Unternehmensbereiche stellen, natürlich auch an die Rechtsabteilung, sind
bedeutend größer und komplexer als sie es noch vor zwei oder drei Jahrzehnten
waren. Bereits einfachere Bereiche, wie der Jahresabschluss, können heute in
keiner Weise mehr mit demjenigen vor 30 Jahren verglichen werden. Gutes All-
gemeinwissen, gesunder Menschenverstand und ein soziales Netzwerk, in dem
man sich bewegt, reichen heute nicht mehr aus, um komplexe unternehmerische
Aufgaben anvertraut zu bekommen. Das gilt vor allem auch für Führungspositi-
onen in technisch hochkomplexen Bereichen von Unternehmen, die dem globali-
sierten Wettbewerb, den exponentiellen Sprüngen in der technischen Entwicklung
und den immer rascher werdenden Bedürfnisveränderungen im Markt genügen
müssen.
1Auf dem Höhepunkt seiner Karriere war Robert A. Jeker Aufsichtsratsvorsitzender von Feld-
schlösschen, Batigroup, Swiss Steel, Georg Fischer und der Messe Schweiz sowie Präsident der
Generaldirektion der Schweizerischen Kreditanstalt. Dazu kamen Aufsichtsratsmandate bei ABB,
Synthes-Stratec, der NZZ und weiteren Unternehmen. Robert A. Jecker ist am 4. Juli 2012 gestorben.
482 C. Dueblin
Beispiel
Unternehmer X hat jahrzehntelang Maschinen hergestellt und sich auf dem
Markt einen guten Namen geschaffen. Die Marktlage hat ihn jedoch dazu
gezwungen, nicht mehr nur einzelne Maschinen zu produzieren, sondern
gleichzeitig auch die entsprechende Steuerung der Maschinen anzubieten. Letz-
teres hat dazu geführt, dass er Elektrotechniker, IT- und Software-Spezialisten
einstellen musste, um den Geschäftsbereich aufbauen und anschließend vergrö-
ßern zu können. Grund für diesen Entscheid war die Tatsache, dass sich heute
mit dem ausschließlichen Verkauf von Maschinen kein Geld mehr verdienen
lässt. Der Unternehmer wurde dadurch vom Markt dazu gedrängt, vom Maschi-
nenhersteller zu einem umfassenden Systemlieferanten zu werden. Für diese
Transformation musste entsprechend auch das Linienmanagement des Unter-
nehmens angepasst werden.
Mit dem Entscheid, nicht mehr nur Produkte, sondern ganze Systeme anzubieten,
steigen auch die unternehmerischen Risiken, was sich auch in der Rechtsabteilung
niederschlägt. Die dort auszuarbeitenden Verträge sind seither ebenfalls komplexer
geworden. Die erhöhte Komplexität schlägt sich aber auch in allen anderen Berei-
chen eines Unternehmens nieder. So ist beispielsweise die Beschaffungsabteilung
gefordert. Sie muss vermehrt IT und Software besorgen. Der Unterhalt und die
Wartung der neuen Systeme stellen die Service-Abteilung eines Unternehmens vor
ganz neue Herausforderungen. Genauso steht es mit dem Management des Unter-
nehmens.
Der General Counsel in der Rechtsabteilung, in der Regel als Stabsstelle in
einem Unternehmen organisiert (siehe dazu auch Kap. 37), sollte versuchen, nicht
der in hohen Kaderpositionen hin und wieder anzutreffenden power bias2, aber
auch nicht einer milderen Form von Wahrnehmungsverzerrung zu erliegen, indem
er zu glauben scheint, dass er aufgrund seines unternehmensjuristischen Wissens
auch das gesamte restliche Geschäft seines Unternehmens bestens verstehe respek-
tive dadurch seine Funktion und Machtposition überbewertet. Sein juristisches und
praktisches Wissen ermöglichen ihm zwar, sich mit den Leitern anderer Unterneh-
mensbereiche auf (oder meist über deren) Augenhöhe zu bewegen, sofern rechtli-
che Sachverhalte diskutiert werden. Der General Counsel kann in der Regel jedoch
keinen entscheidenden operativen oder strategischen Diskussionsbeitrag einbrin-
gen, da er andere Unternehmensbereiche nicht auch von der zuweilen komplexeren
betriebswirtschaftlichen beziehungsweise technischen Seite versteht. Mitarbei-
tende, die ihre Stabsstellenfunktion und die damit verbundene Macht, die aufgrund
2Eine power bias kann entstehen, wenn eine Machtstellung (wie zum Beispiel die eines General
Counsel) dazu führt, dass die eigene Wahrnehmung in Bezug auf Position und Außenwelt ver-
loren geht. Die von der power bias betroffene Person beginnt in der Folge, erhaltene Auszeich-
nungen, die Macht über andere etc. ausschließlich auf individuelle Fähigkeiten und die eigene
Person zurückzuführen. Solches Verhalten kann dann dazu führen, dass diese Person ihre tatsäch-
lichen Fähigkeiten und ihre Position im Unternehmen missversteht und überschätzt.
35 Vom General Counsel ins Linienmanagement 483
der Nähe zum Management zweifelsohne oft vorliegt, überschätzen oder ihre
eigene Position im Unternehmen missverstehen, können sich mit diesem falschen
Verständnis leicht Ärger mit anderen Mitarbeitenden und Unternehmensbereichen,
auch der Unternehmensführung, einhandeln. In einem Gespräch zur Vorbereitung
dieses Buches meinte ein sehr bekannter Mehrfachverwaltungsrat, dass er in sei-
nem beruflichen Leben hin und wieder Mitarbeitende auf falsch verstandene
Machtpositionen hinweisen musste. Gerade Mitarbeitende von Stabsstellen – so
auch der General Counsel – müssten bei einer falsch verstandenen Machtposition,
„auf den Boden der Realität“ zurückgebracht werden.
Es muss betont werden, dass es für die Arbeit der Rechtsabteilung als Stabs-
stelle geradezu charakteristisch ist, dass der General Counsel Dienstleister für alle
anderen Unternehmensbereiche ist. Er wird bei rechtlichen Fragen im gesamten
Unternehmen hinzugezogen, wobei er auch rechtliche Fragestellungen nur bear-
beiten kann, wenn ihm technische und betriebswirtschaftliche Unterstützung von
anderen Experten geboten wird. Die Zusammenarbeit mit diesen Spezialisten, auch
mit der Geschäftsleitung, ermöglicht es dem General Counsel, ein breites Netz-
werk zu bilden. General Counsels, welche ihre juristische Dienstleistung in einem
größeren Zusammenhang sehen und es schaffen, ihre Fähigkeiten in einem umfas-
senderen unternehmerischen Rahmen aufzuzeigen, können in einem Unternehmen
einen besonders positiven Einfluss auf andere Personen und die sich stellenden
Herausforderungen ausüben, mit positiven Auswirkungen auf die eigene Karriere.
Nicht immer ist es in Unternehmen jedoch vom Aufsichtsrat und dem Management
erwünscht, dass der General Counsel über seinen eigenen Tellerrand hinausblickt
und sich im gesamten Unternehmen als wertschöpfender Macher und umsichtiger
team player profiliert. Für den General Counsel, der gerne ins operative Geschäft
einsteigen möchte, stellen sich in diesem Zusammenhang somit folgende Fragen:
Diese Fragen sind nicht abschließend, aber sie zeigen auf, was die obersten Ent-
scheidungsträger in Bezug auf die Auswahl der fähigsten Mitarbeitenden in ihrer
Führungsriege möglicherweise bewegt.
Beispiel
Firmeneigentümer X beklagt sich lauthals über sein Personal: Er delegiert
Aufgaben an operativ tätige Mitarbeitende und stellt dabei immer wieder ver-
blüfft fest, dass diese nicht lösungsorientiert arbeiten. Allzu oft erhält er von
diesen lediglich die Antwort, dass bei der Durchführung der Aufgabe Probleme
486 C. Dueblin
e ntstanden seien. Allerdings lege ihm nur selten ein Mitarbeitender auch einen
Vorschlag vor, wie das Problem gelöst und die Aufgabe umgesetzt werden
könne. Mit anderen Worten: Der Unternehmer delegiert und wird lediglich mit
Problemen zurückkonfrontiert.
Das Beispiel zeigt auf, was Unternehmer, Firmeneigentümer und andere oberste
Führungskader von ihren Mitarbeitenden generell, und insbesondere von ihren
Geschäftsleitungsmitgliedern und anderem Führungspersonal erwarten. Sie möch-
ten sich schließlich – wie das der General Counsel auch von seinen direkt unter-
stellten Legal Counsels und Paralegals erwartet – darauf verlassen können, dass
die delegierten Aufgaben mit der nötigen Vorsicht, aber auch mit einem gesunden
Maß an Flexibilität und Sinn für Opportunitäten lösungsorientiert ausgeführt wer-
den. Gründe, dass Projekte oft nicht im Sinne des Unternehmers umgesetzt wer-
den können, sind nebst vielen mehr:
• Die Lösung ist nicht umsetzbar, weil die Kostenfolge zu hoch wäre.
• Die Lösung ist nicht machbar, weil es an Ressourcen fehlt.
• Ein Projekt stagniert, weil es von den verantwortlichen Personen nicht richtig
überwacht und gefördert wird.
• Ein Projekt scheitert, weil man sich zu viele Ziele auf einmal gesetzt hat.
• Die Lösung ist nicht unter Berücksichtigung des gesamtunternehmerischen
Kontexts angedacht worden.
• Es stellt sich heraus, dass eine Lösung nicht funktioniert, weil diverse Schnitt-
stellen zu anderen Unternehmensbereichen nicht beachtet wurden.
• Eine Lösung ist nicht umsetzbar, weil sie zu viele Risiken für ein Unternehmen
mit sich bringt.
• Eine Lösung ist nicht realisierbar, weil sie von verschiedenen Unternehmens-
bereichen nicht unterstützt wird, da diese die Sinnhaftigkeit der Lösung nicht
verstehen (wollen).
• Ein Projekt scheitert, weil die damit betraute Person überfordert ist.
Nachfolgend ein Beispiel aus der Praxis, welches exemplarisch die nachhaltige
und strategische Denkweise einer fähigen Führungsspitze aufzeigt. Es handelt
sich um eine häufig anzutreffende Problemstellung aus dem Aufgabenbereich des
Top-Managements:
Beispiel
Der Leiter der Technik bringt in der Geschäftsleitung den Vorschlag ein, sich
künftig nicht mehr nur im Produktebereich A zu bewegen, sondern auch einen
weiteren Bereich B aufzubauen. Aus technischer Sicht erkennt die Führungs-
spitze, dass sich dadurch tatsächlich lukrative Geschäftsmöglichkeiten erge-
ben könnten. Sie erkennt jedoch auch, dass es für einen zukünftigen Bereich B
ein neues Vertriebskonzept braucht, da dasjenige des Bereichs A hierfür nicht
35 Vom General Counsel ins Linienmanagement 487
Ein General Counsel bietet sich, wie wir bereits gesehen haben, nicht per se an,
um sich als Erstbesetzung für eine Führungsaufgabe in der Linie zu empfehlen. Es
sei denn, er habe entsprechende Fähigkeiten bereits zuvor in der Führungsspitze
unter Beweis gestellt. In Situationen, wie im vorangehenden Beispiel dargestellt
und bezüglich der aufgelisteten Punkte, die oft zum Scheitern von Projekten und
Lösungen in einem Unternehmen führen, kann er jedoch auf sich aufmerksam
machen, sofern er über den grundlegenden Sinn für unternehmerische Zusammen-
hänge verfügt. Er kann versuchen, Erkenntnisse aus der Zusammenarbeit mit Spe-
zialisten und Topkadern einzubringen.
Folgende aufgelistete Eigenschaften des Legal Counsel können für die Füh-
rungsspitze interessant sein und ihn für eine leadership position in der Linie emp-
fehlen. Der General Counsel verfügt in der Regel über
Wie kann es einem General Counsel nun gelingen, auf sich und sein Begehren
für einen Positionswechsel aufmerksam zu machen? Wie schafft er es, sofern er
die Hausaufgaben gemacht und sich optimal auf sein Unterfangen vorbereitet hat,
auf dem „Radar“ des Firmeneigentümers, des Aufsichtsratsvorsitzenden, des CEO
oder etwa eines Divisions-CEO zu erscheinen? Auch hier nachfolgend ein Katalog
von Anregungen für General Counsels, welche auf den persönlichen Erfahrungen
des Autors beruhen:
488 C. Dueblin
• Auch wenn „nur“ juristisch zugearbeitet wird, kann der General Counsel versu-
chen, Einfluss auf Geschäfte und Projekte in anderen Unternehmensbereichen
oder an Schnittstellen zur Rechtsabteilung zu nehmen. Das kann beispielsweise
dadurch geschehen, dass er bei Verkaufsgesprächen und Verhandlungen mit
dabei ist und sich im Sinne des eigenen Unternehmens verhält. Wichtig dabei
ist, dass er von anderen Mitarbeitenden als Gewinn und Entlastung wahrge-
nommen wird und nicht als Konkurrent oder Verhinderer.
• Projekte, die an den General Counsel herangetragen werden und die möglicher-
weise sonst niemand bearbeiten möchte, nicht per se ablehnen.
• Der General Counsel sollte der Mitarbeit vor allem in bereichsübergreifenden
Projekten, welche in der obersten Führungsriege auf Resonanz stoßen, den Vor-
rang geben, indem er seinen Teil überdurchschnittlich gut erledigt, auch wenn
dieser mit der Rechtsabteilung nichts oder nur am Rande zu tun hat.
• Der General Counsel muss Verantwortung übernehmen: Erfahrungsgemäß ist
dies einer der folgenreichsten, aber schwierigsten Punkte für Unternehmens-
juristen. Jede Person an der Spitze eines Unternehmens schätzt es, wenn der
General Counsel für seine Entscheide Verantwortung übernimmt. Es muss ihm
dabei gelingen, das richtige Verhältnis zwischen Risiko und Möglichkeiten, die
sich bieten, zu finden und er sollte darauf achten, auf keinen Fall als „Verhinde-
rer“ im Unternehmen wahrgenommen zu werden.
• Der General Counsel sollte nicht in erster Linie auf Missstände im Unterneh-
men aufmerksam machen, sondern sich ausschließlich auf die entsprechenden
Lösungen zum Vorteil seines Unternehmens fokussieren.
• Interesse für unternehmerische Zusammenhänge bekunden: Das kann auch
darin bestehen, sich unternehmerisch in-house weiterzubilden, sofern das
Unternehmen solche Möglichkeiten anbietet.
• Sich fundiertes Wissen über die Kunden und Leistungen, aber auch über Pro-
zesse und Abläufe des Unternehmens aneignen: Der General Counsel muss
versuchen, technisch oder betriebswirtschaftlich schwierige Sachverhalte zu
verstehen. Dafür muss er aktiv andere Mitarbeitende bitten, ihm die Zusammen-
hänge zu erklären. Es erstaunt hin und wieder, wenn im Gespräch mit einem
General Counsel ersichtlich wird, dass dieser noch nie die Produktionsanlage
gesehen hat, das eigene Endprodukt nicht kennt oder nach Jahren der Arbeit für
das Unternehmen in gewissen Abteilungen noch nie gesehen worden ist.
• Der General Counsel muss im Umgang mit Mitarbeitenden und Führungska-
dern anderer Unternehmensbereiche offen sein, indem er die Schnittstellen der
Rechtsabteilung zu anderen Abteilungen nutzt und diese sukzessive zu beiderlei
Vorteil ausbaut.
• Mitarbeitenden mit dem nötigen Respekt und lösungsorientiert begegnen: Der
General Counsel muss mit der nötigen Vorsicht abwägen, wann es nötig ist, auf
eine Nachlässigkeit eines Mitarbeitenden aufmerksam zu machen oder nicht.
Geht es um die Besetzung von Linienfunktionen, spielen andere Mitarbei-
tende eine wichtige Rolle. Ein Hinweis eines Spezialisten bei der Firmenfüh-
rung, dahin gehend, dass der General Counsel gute Resultate erzielt hat, kann
35 Vom General Counsel ins Linienmanagement 489
dazu führen, dass er auf dem Radar der Firmenführung erscheint und diese
andere Kompetenzen erkennt, die ihn auszeichnen und für andere Arbeiten und
Herausforderungen empfehlen.
• Krisenfälle meistern: Gerade Krisenfälle führen dazu, dass der General Counsel
eine wichtige Rolle in einem Unternehmen spielt und im Fokus des Manage-
ments steht. Gelingt es ihm, einen Krisenfall umfassend anzugehen, also nicht
nur mit der „juristischen Brille“, sondern mit unternehmerischem Feingefühl
auch für andere Fragen, die sich im Krisenfall stellen, führt dies unweigerlich
zu positiver Aufmerksamkeit: „Da ist einer, der mehr kann, als wir erwartet
haben. Den müssen wir uns merken.“
Teil VI dieses Buches fokussiert, wie in Abb. 36.1 dargestellt, auf den ersten
Bereich der strukturellen Legal Operations Management-Gestaltungsmöglich-
keiten (Strukturen, Ressourcen und Prozesse). Durch organisatorische Strukturen
erhält die Rechtsfunktion nicht nur eine genaue Zuordnung in der Gesamtorga-
nisation, sondern auch Stabilität, Komplexitätsreduktion, Verlässlichkeit sowie
einen Zugewinn an Effizienz und Effektivität im Inneren. Die Gestaltung optima-
ler Strukturen ist für Legal Operations daher nicht ganz trivial, auch wenn dieser
Bereich für die meisten General Counsels auf den ersten Blick wenig Spannendes
bereitzuhalten scheint. So benötigen Anpassungen in der äußeren Gesamtorgani-
sation relativ lange, bis sie umgesetzt sind und ihren Nutzen freisetzen können.
Andererseits besteht die Gefahr, den Einfluss optimaler interner Strukturen auf die
Identitätsstiftung, die Umsetzung des Leistungsprogramms und die Positionierung
gegenüber internen Interaktionspartnern zu unterschätzen. Strukturen von Legal
Operations werden in der Praxis denn auch relativ selten verändert; zum Leidwe-
sen der Möglichkeiten und Chancen, welche eine optimal strukturierte Rechtsab-
teilung mit sich bringt.
Aus der Perspektive der Legal Operations lassen sich die Gestaltungsoptionen hin-
sichtlich der Strukturen der Rechtsfunktion in zwei große, inhaltlich voneinander
getrennte Themenbereiche unterteilen:
• Roman P. Falta beschäftigt sich daher in Kap. 37 mit den formellen und
informellen Außenstrukturen von Legal Operations. Er stellt zuerst die Krite-
rien und Gesichtspunkte dar, die es bei der Einführung einer neuen Rechtsab-
teilung im Rahmen ihrer gesamtorganisatorischen Ansiedlung in Unternehmen
oder Behörden zu beachten gilt. Danach geht er auf die Änderungen der
496 R.P. Falta
ußenstruktur einer Rechtsabteilung ein, indem er auf zwei Aspekte der Neu-
A
ausrichtung eingeht: Wenn der General Counsel Mitglied der erweiterten
Geschäftsleitung wird und wenn er Mitglied der obersten Geschäftsleitung
werden möchte. Im Anschluss bietet das Interview mit Prof. Dr. Rolf Watter
Einblicke in verschiedene Organisations- und Interaktionsfragen rund um das
Thema Legal Operations Management.
• Zudem setzt sich Roman P. Falta in Kap. 38 mit den formellen und infor-
mellen Innenstrukturen von Legal Operations auseinander. Er fokussiert sich
zu Beginn auf die Organisationsfaktoren, die für eine ideale innere organisa-
torische Ausgestaltung der Rechtsabteilung relevant sind. Dann geht er auf die
Organisationsausgestaltung (Grundbausteine, Primär- und Sekundärstrukturen)
ein, bevor er neue Organisationskonzepte für Rechtsabteilungen vorstellt. Am
Schluss zeigt er das Vorgehen bei einer organisatorischen Reorganisation von
Legal Operations auf.
Das Ziel, das mit einer sinnvollen Ausgestaltung der Rechtsfunktion im Rahmen
der sie umgebenden Gesamtorganisation verfolgt wird, liegt darin, dass die Legal
Operations einen noch besseren Beitrag zu deren Zweck- und Zielerreichung bei-
tragen (siehe dazu auch Kap. 9 und 10). Dabei kann der Strukturbegriff der
Rechtsfunktion aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden:1
Die Aufgabe der Außenstrukturierung der Legal Operations obliegt in der Regel
der Führungsspitze eines Unternehmens oder einer Behörde. Diese erlässt und
verabschiedet ein rechtlich verbindliches Organisationsreglement für sämtliche
von ihr überwachten Makrostrukturen. Mithin sind auch der CEO (beziehungs-
weise die Geschäftsleitung in corpore) oder der Minister, Departementschef etc.
in erster Linie für die Außenorganisation der Legal Operations verantwortlich.
Daraus ergibt sich auch der Umstand, dass der General Counsel in der Regel eben
keine Möglichkeit hat, auf die Ansiedlung seiner Fachabteilung in der Gesamt
organisation Einfluss zu nehmen, sobald diese erst einmal verabschiedet wurde.
Von dieser Regel gibt es jedoch zwei Ausnahmen, die wir nachfolgend etwas
detaillierter betrachten möchten: Einerseits, wenn eine Rechtsabteilung zum ers-
ten Mal in einer Gesamtorganisation eingeführt und aufgebaut wird (siehe dazu
Abschn. 37.2), und andererseits, wenn im Rahmen von gesamtorganisatorischen
Restrukturierungsmaßnahmen ein bereits etablierter General Counsel diese zum
Vorwand nehmen kann, um sich in die erweiterte oder gar oberste Geschäftslei-
tung zu befördern (siehe dazu Abschn. 37.3).
2Die Herausbildung informeller Strukturen lässt sich nicht unterbinden, deutet sie doch immer
auf einen konzeptionellen beziehungsweise umsetzungsbezogenen Fehler in den formellen Struk-
turen (Außen- und Innenstrukturen) hin. Als General Counsel ist es daher besonders wichtig,
genau auf etwaige Ausbildungen informeller Strukturen inner- und außerhalb Ihrer Rechtsabtei-
lung zu achten und entsprechende Reorganisationsmaßnahmen in die Wege zu leiten, um die frü-
her oder später auf jeden Fall entstehenden Strukturfehler zu bereinigen.
37 Formelle und informelle Außenstrukturen 499
3Die Ansiedlung beim CEO hat sich bei Großunternehmen in den letzten fünf Jahren, gemäß
Otto Henning GmbH (2015, S. 48 f.), stark akzentuiert (2011: 56 %, 2013: 63 %, 2015: 71 %).
Dagegen ist die Unterstellung unter den CFO markant rückläufig (2011: 29 %, 2013: 21 %, 2015:
13 %). Auch die Ansiedlung unter dem Personalvorstand ist rückläufig (2011: 10 %, 2013: 8 %,
2015: 6 %). Schließlich ist in deutschen Großunternehmen seit mehreren Jahren keine einzige
Rechtsabteilung mehr beim Chief Operating Officer angehängt (2011: 0 %, 2013: 0 %, 2015:
0 %). Schließlich ist der Anteil der eigenständigen Vorstandsressorts Recht von 2013–2015 von
10 % auf insgesamt 16 % angewachsen.
4Vgl. Müller-Stewens, Lechner (2005, S. 453 f.).
500 R.P. Falta
Aus der Anwendung der vier bipolaren Kriterienpaare auf die Gesamtorganisation
und das anstehende Ansiedlungsprojekt „Legal Operations“ wird dann ziemlich
rasch klar, wo die künftige Rechtsabteilung am vorteilhaftesten anzugliedern ist.
Danach gilt es:
Schließlich ist bei der Ansiedlung der ersten Rechtsabteilung nicht nur Wert auf
eine bestmögliche Strukturierung zu legen, sondern auch auf die entsprechende
Definition des Aufgaben- und Stellenbeschriebs sowie auf die Suche, Auswahl,
Instruktion, Überwachung und vor allem das onboarding des ersten Legal Coun-
sel, sofern dieser nicht schon im Betrieb ist (siehe dazu detailliert Kap. 41).
5Zum Beispiel als Ehrung eines langjährigen loyalen General Counsel. Eine Beförderung in
die erweiterte Geschäftsleitung stellt regelmäßig die einzige noch mögliche Art einer Beförde-
rung dar, da jeder Abteilungsleiter einer Fachabteilung bereits an der Spitze seiner Fachspezia-
listen-Laufbahn steht. Die damit einhergehende Symbolik ist nicht zu unterschätzen (siehe dazu
detailliert Kap. 13) und kann sich sehr positiv auf das Unternehmen und die Rechtsabteilung aus-
wirken.
502 R.P. Falta
zu verkürzen (dies ist in der Praxis oft nach einem teuren Rechtsfall oder hohen
Compliance-Bußen der Fall). Es kann aber auch sinnvoll sein, allen Mitgliedern der
Geschäftsleitung den Zugang zum General Counsel zu erleichtern, indem diese
durch die Geschäftsleitungssitzungen Informationen von diesem auf regelmäßiger
Basis erhalten, anstatt sie jeweils durch das entsprechend verantwortliche Vor-
standsmitglied „vorgefiltert“ zu beziehen.
Als General Counsel, der Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung geworden
ist, stehen einem viele Türe offen, die vorher halb-offen oder teilweise sogar ver-
schlossen waren (oft auch zum Aufsichtsratsvorsitzenden und den Mitgliedern des
Audit Committee sowie zu deren Sitzungen). Er erhält dadurch einen ausgezeich-
neten Einblick in vorher unzugängliche Bereiche, wie zum Beispiel gesamtunter-
nehmerische Detailziele, Strategien, interne Regularien, Problemstellungen oder
die Entwicklungsagenda des Unternehmens. Zudem ist besonders bei kleineren
Unternehmen auch die Übernahme der Doppelfunktion General Counsel/Corpo-
rate Secretary interessant, um sich noch näher am Aufsichtsrat zu positionieren
(siehe dazu detailliert Kap. 53). Mithin ist ein vorerst temporär-befristeter Verbleib
in der erweiterten Geschäftsleitung eine ausgezeichnete Gelegenheit, um sich bei
Aufsichtsräten, Vorständen und anderen Senior Managers positiv bemerkbar zu
machen, wichtige neue Kontakte zu knüpfen, bestehende weiter zu vertiefen und
Erfahrungen im Umgang auf Senior Management-Level zu sammeln. Ein Verbleib
von drei bis fünf Jahren in der erweiterten Geschäftsleitung tut auch denjenigen
General Counsels gut, die Ambitionen auf eine Weiterbeförderung in die oberste
Geschäftsleitung hegen (siehe Abschn. 37.3.2).
Den aufgrund der Wichtigkeit von Recht in der heutigen Unternehmenswelt6 ver-
ständlichen Wunsch, so rasch wie möglich auch ein Mitglied der obersten
Geschäftsleitung zu werden,7 sollte sich jeder ambitionierte General Counsel reif-
lich überlegen. Auch wenn das viele General Counsels nicht gerne hören, so verfü-
gen sie in der Regel nicht über das nötige Rüstzeug, um in der Führungsspitze
eines größeren Unternehmens zu bestehen und einen – über die reinen Rechts-
dienstleistungen hinausgehenden – Mehrwert für die Gesamtorganisation zu schaf-
fen (siehe dazu auch Kap. 42).8 Den meisten fehlen ein profundes Finanz- und
Strategiewissen, umfassende weitere Betriebs- und Volkswirtschaftskenntnisse,
mathematisch-statistisches Know-how für die Durchführung von risk management
analytics sowie ein tiefes Produkt-, Dienstleistungs- sowie Technologieverständ-
nis, um von den anderen Senior Managers auch tatsächlich als ernst zu nehmender
unternehmerischer Sparringpartner wahrgenommen zu werden.
Diese Kenntnisse und Fähigkeiten, die für eine sinnvolle Tätigkeit in der obers-
ten Führungsspitze nötig sind, können jedoch von jedem General Counsel erlernt
werden. Den einen oder anderen Bereich bringen die meisten bereits mit, den feh-
lenden Rest können sie sich in unterschiedlichen Weiterbildungen aneignen. Nur
erfolgt dies nicht von heute auf morgen. Dazu sollte man einen Planungs- und
Umsetzungshorizont von mindestens zwei bis fünf Jahren veranschlagen. Denn
es geht nicht nur darum, zum Beispiel einen MBA-Lehrgang zu absolvieren, son-
dern sich vor allem zu Beginn, ernsthaft mit seinen eigenen Wünschen und Zielen
(siehe dazu detailliert Kap. 27) sowie den familiären, finanziellen und zeitlichen
Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Schließlich sind auch eine Menge fachlicher
und – im Rahmen der Selbstvermarktung – positionierungstechnischer Fragen zu
stellen (siehe dazu detailliert Kap. 35).
Diese Investition in sich selbst wird sich für die meisten ambitionierten General
Counsels aber auf jeden Fall lohnen: Einerseits profitieren diese davon, dass sie
ihren primär juristischen Fokus auch für andere sehr wichtige Perspektiven öffnen,
die im Unternehmen mindestens genauso wichtig sind, wie die rechtliche (siehe
dazu auch das nachfolgende Interview mit Prof. Dr. iur. Rolf Watter). Andererseits
werden sie durch die sich angeeigneten interdisziplinären Fähigkeiten zu besonders
wertvollen Vorständen, da sie dann nicht nur über das profunde unternehmerische
Wissen verfügen, das sie mit ihren Vorstandskollegen gemein haben, sondern auch
noch ihren rechtlich-analytischen Sachverstand mit einbringen. Dadurch können
„unternehmerische“ General Counsels auch ihren eigenen Marktwert bedeutend
steigern, da sie zu einer relativ kleinen Elite unter den General Counsels gehören,
deren Zahl auch heute noch relativ übersichtlich ist.9 Schließlich profitieren auch
die anderen Vorstandskollegen und das Unternehmen insgesamt, indem ein fachlich
hervorragend ausgebildeter interdisziplinärer Fachspezialist in der obersten Füh-
rungsspitze zur Verfügung steht, der nicht nur sein ursprünglich rechtliches Fach-
handwerk versteht, sondern der auch auf gleicher Augenhöhe mit Vorständen und
Aufsichtsräten argumentieren, diskutieren und mitentscheiden kann. Mithin einen
wichtigen Beitrag zur positiven Weiterentwicklung des Unternehmens beisteuert.
Interview mit Prof. Dr. iur. Rolf Watter (von Christian Dueblin)
Prof. Dr. Rolf Watter studierte und promovierte an der Universität Zürich und
erwarb 1986 das zürcherische Anwaltspatent. Seit 1994 ist er Partner von Bär
& Karrer, einer der größten Schweizer Anwaltskanzleien, und doziert seit vie-
len Jahren als Titularprofessor an der Universität Zürich. Zu seinen bevorzug-
ten Tätigkeiten gehören unter anderem Übernahmen und Unternehmenskäufe,
gesellschaftsrechtliche Fragen, aber auch Sanierungen. Prof. Dr. Rolf Watter ist
des Weiteren auf Corporate Governance-Fragen spezialisiert und gehört bedeu-
tenden Verwaltungsratsgremien in der Schweiz an (unter anderem Chairman
bei der PostFinance AG). Er war auch Chairman von Nobel Biocare und lang-
jähriger Verwaltungsrat von Syngenta sowie der Zurich Insurance Group. Prof.
Watter zeigt im Interview praxisnah auf, wie sich Rechtsabteilungen in diversen
Industriebereichen in den letzten Jahren entwickelt und verändert haben, wie
sie aufgebaut sind und beleuchtet Schnittstellen der Rechtsabteilungen und des
General Counsel zu anderen Bereichen im Unternehmen, so auch die Schnitt-
stelle zum Verwaltungsrat.
Christian Dueblin: Welches sind die Aufgaben, für die ein Unterneh-
men gerne einen externen Anwalt beizieht, auch wenn es über eine eigene
Rechtsabteilung verfügt?
Prof. Dr. Rolf Watter: Der externe Anwalt hat grundsätzlich zwei Aufgaben: Er
muss diejenigen Bereiche abdecken, die nicht das Tagesgeschäft der Rechtsab-
teilung betreffen. Der externe Anwalt muss dort eingesetzt werden, wo es sich
nicht lohnt, Know-how aufzubauen, also beispielsweise dort, wo einmalige
rechtliche Fragen auftauchen, die im Tagesgeschäft keine große Rolle spielen.
Es sind somit auch ökonomische Überlegungen, die über den Beizug eines
externen Anwaltes entscheiden. Es gibt auch Rechtsentwicklungen, für die ein
externer Anwalt besser geeignet ist als die eigene Rechtsabteilung, weil er mit
derselben Fragestellung als Experte schon mit verschiedensten Kunden zu tun
hatte. Für die Schweiz kann man hier die Umsetzung der „Minder-Initiative“10
als Beispiel nennen. Die Umsetzung dieser Initiative hat viele Unternehmen vor
spezielle und einmalige Herausforderungen gestellt, für die es sich lohnt, auf
externes Fach-Know-how zurückzugreifen. Der Beizug eines externen Anwal-
tes ist effizienter und kostet über das ganze Umsetzungsprojekt hinweggesehen
weniger Geld als der Aufbau des entsprechenden Know-hows im eigenen
Unternehmen, das später gar nicht mehr angewendet werden kann respektive
nicht mehr angewendet werden muss.
Christian Dueblin: Sie sind selber seit vielen Jahren als Anwalt tätig. Wo
sehen Sie allfällige Probleme und Reibungsflächen, die zwischen der
internen Rechtsabteilung sowie ihrem General Counsel und externen
juristischen Fachpersonen entstehen können und was kann ein Unterneh-
men beitragen, um diese Schnittstelle erfolgreich und wirksam zu gestalten?
Prof. Dr. Rolf Watter: Es gibt hier tatsächlich viele Fettnäpfchen, in die beide
Parteien treten können. In der Regel kommt der Auftrag an externe Anwalts-
kanzleien aus dem Rechtsdienst, der auch kompetent ist, einen externen Anwalt
zu instruieren. Wichtig ist es, sich von Anfang an über das Rollenverständnis
und die Aufgaben, die es zu bewältigen gibt, einig zu werden. Dabei muss das
Wissen des Unternehmens über das Produkt oder den Markt einfließen, was
viel Kommunikation auf beiden Seiten voraussetzt. Wenn schließlich beide
Parteien fähig sind, gemeinsam im Team ein Problem zu bearbeiten, funkti-
oniert die Zusammenarbeit mit externen Fachkräften in der Regel sehr gut.
Eine Fragestellung kann theoretisch angegangen werden oder praktisch: Das
Geschäft muss funktionieren und oft kann man im Tagesgeschäft nicht jedes
Risiko abdecken, so wie das ein externer Anwalt vielleicht tun möchte, weil
im Unternehmen andere Punkte als nur die rechtlichen berücksichtigt werden
müssen. Die Rechtsabteilung ist gefordert, den externen Anwalt richtig und
umfassend zu instruieren. Es muss ihm mitgeteilt werden, wo der Schuh drückt
und wo man vielleicht bereit ist, gewisse Risiken in Kauf zu nehmen und wo
nicht, um ein Geschäft nicht zu gefährden. Zur Instruktion gehört auch, dass
man dem Anwalt Auskünfte über die eigene Verhandlungsposition erteilt. Es
gilt zu kommunizieren, ob man eine Maximallösung anstrebt und wo nicht. Nur
dann kann der Anwalt im Sinne des Unternehmens tätig werden und nur damit
kann verhindert werden, dass am Ende eine zu theoretische Lösung vorliegt,
die für das konkrete Geschäft nicht förderlich ist oder es gar verunmöglicht.
Der Anwalt selber muss aktiv Fragen stellen, sich in Bezug auf ein Unterneh-
men und dessen Produkte informieren und herauszufinden versuchen, was die
Treiber für ein angedachtes Geschäft oder einen angestrebten Vertragsschluss
seines Kunden sind. Der externe Anwalt ist erfahrungsgemäß dann besonders
gefordert, wenn es um Transaktionen geht, die für ein Unternehmen neu oder
fremd sind. Das können Probleme rund um ein Rechtsgebiet sein, mit dem ein
Unternehmen nicht oder nicht genügend vertraut ist. Das zeigt sich in der Pra-
xis beispielsweise bei M&A-Transaktionen, die, um erfolgreich zu sein, sehr
viel Erfahrung bedürfen. In solchen Fällen muss der externe Anwalt fähig sein,
strategisch nützliche und zielorientierte Werkzeuge aufzuzeigen und auf Risi-
ken aufmerksam zu machen, die ein Unternehmen nicht erkennt oder mangels
Erfahrung nicht erkennen kann.
37 Formelle und informelle Außenstrukturen 509
Christian Dueblin: Sie haben als Anwalt und Vertreter diverser Ver-
waltungsräte sehr viele Störfälle aller Art in Ihrer beruflichen Karriere
behandelt und mitbekommen. Wie hoch würden Sie, über alle Störfälle
hinweg gesehen, den Anteil der juristischen Komponente in diesen Stör-
fällen einschätzen, sprich, wie wichtig waren Rechtsabteilungen, General
Counsels und das Recht an und für sich, um diese Störfälle im Sinne eines
Unternehmens managen zu können?
Prof. Dr. Rolf Watter: Die „Juristerei“ ist in den meisten Fällen nur ein Teil des
Problems, aber auch nur ein Teil der Lösung. In den meisten Krisenfällen sind
viele andere Punkte auch wichtig oder viel wichtiger. Geht es um einen Ver-
trag, sind selbstverständlich juristische Fragen von Bedeutung. Man schließt im
Geschäftsalltag aber selten einen Vertrag ab, um rechtliche Sicherheit zu haben,
sondern um im Tagesgeschäft eine sinnvolle Basis zu haben, auf Grundlage
derer man arbeiten und ein Geschäft abwickeln kann.
Es gibt Fälle, wo der juristische Anteil, um ein Problem zu lösen, im ein-
stelligen Prozentbereich liegt. Nehmen wir einen Produktrückruf in der
Industrie als Beispiel: Hier stellen sich nebst den rechtlichen Problemen Kom-
munikationsfragen, Fragen der Kundenbeziehung und technische Fragen oder
Versicherungsüberlegungen, für die man Lösungen finden muss und die nicht
im Kompetenzbereich der Rechtsabteilung liegen. Die Rechtsabteilung muss
solche Störfälle rechtlich begleiten und mit ihren Kompetenzen dazu beitragen,
dass der Schaden gering ist. In diesen Fällen muss aber auch richtig mit dem
Kunden umgegangen werden, es müssen technische Fragestellungen beantwor-
tet werden und je nach Fall ist auch eine Kommunikationsabteilung gefordert,
beispielsweise im Umgang mit Medien, die solche Fälle gerne aufnehmen.
Landet ein Fall vor Gericht, sind natürlich die Rechtsabteilung und die externen
Anwälte von größerer Bedeutung.
Christian Dueblin: Was sind für Sie spezielle Erwartungen, die Sie an die
Rechtsabteilung oder an einen General Counsel haben, auch beispielsweise
in Bezug auf Loyalität und Integrität?
Prof. Dr. Rolf Watter: Die Frage der Loyalität und Integrität einer Rechtsabtei-
lung und eines General Counsel ist ein zentraler Punkt. Die Aufgaben bringen
es mit sich, dass sie oft früh um Rat und Unterstützung angefragt werden. Von
beiden wird erwartet, dass sie vertrauenswürdig sind. Sie müssen aber auch das
Kerngeschäft verstehen und die Fähigkeit haben, im Sinne des eigenen Unter-
nehmens vorausschauend zu handeln. Diese Fähigkeit des Vorausschauens,
damit man sich auch strategisch und taktisch richtig verhalten kann, ist von
großer Bedeutung und sie gibt der Rechtsabteilung und dem General Counsel
Gewicht im Unternehmen. Beide müssen über breites Wissen verfügen und im
Tagesgeschäft, gerade auch in Bezug auf den Kontakt mit Kunden, flexibel und
lösungsorientiert arbeiten. Sind sie dazu fähig, sinkt die Wahrscheinlichkeit,
dass sie als „Geschäftsverhinderer“ oder „Bremsklötze“ wahrgenommen wer-
den. Ein noch größerer Schaden würde aber resultieren, wenn sie nicht vertrau-
enswürdig wären.
510 R.P. Falta
Christian Dueblin: Wann kann es in der Praxis passieren, dass der Verwal-
tungsrat/Verwaltungsratspräsident oder der CEO an der eigenen Rechts-
abteilung oder am eigenen General Counsel vorbei externe juristische
Fachpersonen beizieht und was gilt es in diesen sehr besonderen Situatio-
nen beachten?
Prof. Dr. Rolf Watter: Dies ist selten, kann aber tatsächlich nicht ausgeschlos-
sen werden. Die Regel ist jedoch, dass die Rechtsabteilung sich um den Kontakt
zum externen Anwalt kümmert. Sie ist geeignet, juristische Sachverhalte ein-
zuordnen und externe Fachkräfte richtig zu instruieren und zu überwachen. Es
kann jedoch, beispielsweise bei sehr heiklen Fusionsfragen, tatsächlich passie-
ren, dass man über den Rechtsdienst hinweg einen Fachspezialisten beizieht, um
erste Abklärungen zu einem strategisch brisanten und geplanten Unterfangen
vornehmen zu lassen. Der Verwaltungsrat/Verwaltungsratspräsident kann damit
gewisse Fragen im Vorfeld einer Transaktion von einem Externen abklären las-
sen, vielleicht weil das Management dieser Strategie gegenüber nicht offen ist
oder man verhindern will, dass Informationen nach außen treten. Dann gibt es
Fälle, in denen sich ein Verwaltungsrat/Verwaltungsratspräsident beispielsweise
vom CEO trennen möchte und man weiß, dass der Rechtsdienst beziehungs-
weise der General Counsel in einen Loyalitätskonflikt geraten könnte.
37 Formelle und informelle Außenstrukturen 511
Wird der Rechtsdienst auf diese Weise außen vor gelassen, kann das auch
ein Indiz dafür sein, dass das Vertrauensverhältnis zum Rechtsdienst und Gene-
ral Counsel nicht optimal ist oder dass man Zweifel am fachlichen Know-how
der eigenen Rechtsabteilung hat. Hat ein CEO aber solche Vorbehalte, muss er
sich meines Erachtens einen neuen General Counsel suchen.
Literatur
Hambloch-Gesinn S, Hess B, Meier AL, Schiltknecht R, Wind C (2010) IN-HOUSE COUNSEL
in internationalen Unternehmen. Helbing Lichtenhahn, Basel
Hugentobler W, Schaufelbühl K, Blattner M (Hrsg) (2012) Integrale Betriebswirtschaftslehre, 4.
Aufl. Orell Füssli, Zürich
Müller-Stewens G, Lechner C (2005) Strategisches Management: Wie strategische Initiativen
zum Wandel führen, 3. Aufl. Schäffer-Poeschel, Stuttgart
Otto Henning GmbH – Management Consultants (2015) General Counsel Benchmarking-Report
(VI) 2015/16. Otto Henning GmbH, Frankfurt a. M.
Staub L (2006) Legal Management – Management von Recht als Führungsaufgabe, 2. Aufl. Ver-
sus, Zürich
Strukturen und Prozessabläufe herausbilden. Auf diese sollte ein General Counsel
stets achten und entsprechendes Gegensteuer geben.
Wie sieht die ideale Organisationsstruktur für Legal Operations aus? Diese Frage
ist nicht so schwierig zu beantworten, wenn man sich bewusst ist, dass es „die“ ide-
ale Organisationsstruktur für alle Zwecke, Unternehmensgrößen und für alle Zeiten
nicht gibt, sondern dass die Strukturierung und Organisation von Legal Operations
einen stetigen Prozess darstellen und nicht etwa einen fixierten Zustand, der nur
alle paar Jahre auf dessen Passform zu überprüfen ist. Zudem sollten Organisations-
strukturen keinen Selbstzweck, sondern bestmöglich die Ziele und Vorgaben der
Gesamtorganisation verfolgen und sämtliche wichtigen Gestaltungselemente der
Rechtsfunktion unterstützen. Mithin muss die Organisationsstruktur in mehrfacher
Hinsicht auf die Realität der Legal Operations „passen“:1
• Sie muss zum Leistungsprogramm, der Größe, der Rechtsform und den Eigen-
tumsverhältnissen der Gesamtorganisation passen, in denen die Rechtsabteilung
integriert ist.
• Sie muss zur Geschichte der Rechtsabteilung, der Art ihrer Entstehung und
ihrem aktuellen Entwicklungsstadium passen.
• Sie muss zur allgemeinen Situation passen, in der sich die Gesamtorganisation
und die Rechtsabteilung aktuell befinden.
• Sie muss zur Strategie passen, mit der die Rechtsabteilung die Zukunft bewälti-
gen möchte.
Um die ideale Passform respektive die ideale Organisationsstruktur für die eigene
Rechtsabteilung zu ermitteln, ist es nötig, dass man sich vertieft mit den folgenden
Fragen zur spezifischen Konfiguration der Organisationsfaktoren auseinandersetzt:2
2Vgl. die einschlägigen Themenkapitel dieses Buches zu den nachfolgend aufgeführten Katego-
rien von Einflussfaktoren auf die organisatorische Ausgestaltung der Legal Operations: Umwelt-
sphären- & Tätigkeitsumfeldereinflüsse (in den Kap. 30 sowie 14–25), Identitätseinflüsse (in den
Kap. 9–13), Leadershipeinflüsse (in den Kap. 26–35), Ressourceneinflüsse (in den Kap. 39–45)
und Prozesseinflüsse (in den Kap. 46–55).
516 R.P. Falta
Nachdem die Aufgaben klar umrissen sind, ist auf deren Grundlage eine Kom-
petenzordnung zu erstellen. „Kompetenzen“ stellen Handlungsrechte dar, die es
einem einzelnen Mitarbeitenden oder dem ganzen Legal Team beziehungsweise
einzelnen Subgruppen erlauben, tätig zu werden und Aufgaben umzusetzen. Man
unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen Führungs-, Entscheid-, Mit-
sprache- und Vertretungskompetenzen. Da sämtliche Kompetenzen beim General
Counsel liegen, dieser aber selbst nicht alle Aufgaben der Rechtsfunktion aus-
führen kann, ist er darauf angewiesen, bestimmte Aufgaben (und die mit ihnen
zusammenhängenden Kompetenzen) an seine Mitarbeitenden zu delegieren. Über-
nimmt ein Mitglied des Legal Teams eine delegierte Aufgabe, so verpflichtet es
sich, diese nach Treu und Glauben sowie nach den fachlich spezifischen Sorgfalts-
regeln durchzuführen, mithin für sie „Verantwortung“ zu übernehmen.
Stimmen sowohl Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung überein, so spricht
man von „organisatorischer Kongruenz“.6 Diese sollte ein General Counsel immer
sicherzustellen versuchen. Zudem hat er im Rahmen seiner Gesamtverantwortung
zu gewährleisten, dass er über geeignete Führungs-, Zielsetzungs-, Informations-
und Kontrollmöglichkeiten innerhalb der Rechtsabteilung verfügt. Schließlich
muss er auch dafür besorgt sein, dass Mitarbeitende über die nötigen Ressourcen
und Interaktionsmöglichkeiten mit internen und externen Partnern verfügen.
Sind die Aufgaben, die organisatorische Kongruenz, die Ressourcen und Inter-
aktionswege bestimmt und geeignete Instrumente zur Wahrung der Gesamt-
verantwortung durch den General Counsel festgelegt, erfolgt eine detaillierte
Planstellenzuordnung. Unter einer „Planstelle“ wird die kleinste organisatorische
Einheit verstanden, die für eine Aufgabendurchführung herangezogen werden kann.
Planstellen sind zwar nicht direkt mit Arbeitsplätzen oder Mitarbeitenden gleichzuset-
zen, doch können sie in der Praxis dennoch als entsprechende „Planstellenprozente“
einzelnen Mitarbeitenden zugewiesen werden. Die Mitarbeitenden können wiederum
wählen, an welchem Arbeitsplatz in den Legal Operations (Teamarbeitsplatz, feste
oder variable Arbeitsplätze, diffuse Arbeitsplätze etc.) sie diese durchführen möchten.
Planstellen kommen in zwei unterschiedlichen Formen vor, welche ihrerseits
wiederum über jeweils zwei unterschiedliche Ausprägungen verfügen: Linienstellen
(in der Ausprägung als Leitungs- oder Ausführungsstellen) und unterstützende Stel-
len (in der Ausprägung als Stabs- oder [zentrale] Dienstleistungsstellen).7 Weiter
können Planstellen auch nach deren Umfang unterteilt werden: Ist zum Beispiel nur
ein einziges Teammitglied nötig, um die Planstelle ordnungsgemäß umzusetzen,
spricht man von einer „Ein-Personen-Stelle“. Müssen hingegen mehrere Mitarbei-
tende gleichzeitig mit der Aufgabendurchführung beauftragt werden, spricht man
von einer „Kollegienstelle“, da bei ihr mehrere Aufgabenträger zu einer „organisa-
torischen Konvergenzeinheit“ (Aufgaben-, Kompetenz- und Verantwortungseinheit)
zusammengefasst werden. Zur Festlegung und Beschreibung der Aufgaben, Kom-
petenzen, Verantwortungen und einer Reihe anderer Bestimmungen (hierarchische
Einordnung, Stellvertretungsregelungen, Vergütungssätze etc.) werden dann die in
der Praxis bekannten „Stellenbeschreibungen“ oder „Stellenprofile“ verwendet.
Auch wenn die hier vorgenommene Aufzählung aufgrund der dahinterstehen-
den Theorie etwas wissenschaftlich-abstrakt wirkt, spielt sie für die Praxis eine
bedeutende Rolle, zumal auf ihrer Grundlage die makrofunktionale Ausgestaltung
der Rechtsabteilung basiert. Es lohnt sich daher für jeden General Counsel, sich
mit den organisatorischen Grundbausteinen der Legal Operations vertieft ausei-
nanderzusetzen, um daraus eine optimale Organisationsstruktur für die eigene
Rechtsabteilung ableiten zu können. In der Regel muss diese Grundlagenarbeit
auch nicht oft durchgeführt werden, sondern nur dann, wenn neue Aufgabenstel-
lungen an die Legal Operations herangetragen werden.
behandelt werden können.9 In Abb. 38.2 werden die Möglichkeiten dargestellt, nach
denen die Aufgabenorganisation in einer Rechtsabteilung gegliedert, auf die Planstel-
len verteilt und dadurch die Organisationsstrukturen konkret ausgestaltet werden
können.10
sind. Der Vorteil liegt in den einfachen, für den General Counsel leicht überschau-
baren Strukturen und in klar abgegrenzten und somit gut kontrollierbaren Organisa-
tionseinheiten. In ihr nimmt der General Counsel die zentrale Rolle ein, er gibt
direkt Anweisungen und deadlines vor, steht in sehr engem Kontakt zu seinen Mit-
arbeitenden und nimmt die alleinige Führungs- und Kontrollverantwortung wahr.11
Da Unternehmensjuristen oft bereits mit entsprechenden Rechtsspezialisierungen
angestellt werden, ermöglicht diese Struktur ihren produktiven Einsatz im Tagesge-
schäft vom ersten Tag an. Die Vor- und Nachteile stellen sich wie folgt dar:
• Die Vorteile: Durch die Spezialisierung und den damit verbundenen Aufbau
funktionsspezifischer Fähigkeiten können sich die einzelnen Teilbereiche aus-
schließlich auf die ihnen gestellten Teilaufgaben konzentrieren und ihr Wissen
dort ständig auf dem aktuellsten Stand halten. Dies führt zu Lern- und Erfah-
rungskurveneffekten, denn je mehr Teilaufgaben routinemäßig und repetitiv
erbracht werden, desto mehr spielen sich Abläufe ein, können Verbesserungs-
potenziale erkannt und genutzt werden. Schließlich wird dadurch die operative
Effizienz gesteigert.
• Die Nachteile: Der Hauptnachteil der Gliederung nach Rechtsgebieten besteht
darin, dass stets Koordinationsprobleme auftauchen, da diese Struktur zu einer
Vielzahl an Schnittstellen zu internen und externen Interaktionspartnern führt.
Auch wirkt in ihr ein „Kamineffekt“, der auftretende Probleme, besonders an
den Schnittstellen, nach oben zum General Counsel verschiebt und diesen mit
Abstimmungs- und Koordinationsaufgaben belastet. Zudem kann diese Struk-
turform, in der das Spezialistentum überbetont wird, die Gefahr von Fachegois-
men fördern und dadurch Ineffizienz und Ineffektivität Vorschub leisten
beziehungsweise das Risiko der (teilweisen) Handlungsunfähigkeit der Rechts-
abteilung erhöhen, wenn einzelne Mitarbeitende ausfallen. Weitere problemati-
sche Punkte bei dieser Gliederungsform sind der oftmals herrschende Mangel
an Kundenorientierung und die begrenzten Karriereperspektiven für Legal
Counsels, da Beförderungsmöglichkeiten innerhalb eines Rechtsgebiets in der
Regel äußerst beschränkt sind. Als Alternative zur Aufgabengliederung nach
Rechtsgebieten eignet sich daher sehr gut diejenige nach Rechtsobjekten.12
einer sehr dynamischen Umwelt – angesiedelt waren. Heute bietet sich der Über-
gang von einer O rganisation nach Rechtsgebieten zu einer nach Rechtsobjekten
jedoch auch immer mehr für kleinere Rechtsabteilungen an, sofern sich diese von
der klassisch-defensiven Leistungserstellung immer mehr zu einem proaktiv unter-
stützenden und dadurch vermehrt wertschöpfend tätigen business partner wandeln
(siehe dazu auch Kap. 34). In einem solchen Fall treten die Schwachstellen der
rechtsgebietsorientierten Strukturierung immer mehr zutage, während ihre Vorteile
gleichzeitig immer weniger zum Tragen kommen.
• Die Vorteile: Der wesentliche Vorteil dieser Gliederungsart liegt in der Nähe und
dem besseren Eingehen (flexibler, rascher, maßgeschneiderter und dadurch schließ-
lich kundenfreundlicher) des Legal Teams auf die Wünsche seiner internen und
externen Interaktionspartner, sofern sich diese durch Sprache, Mentalität oder geo-
grafisch-zeitliche Erreichbarkeit unterscheiden. Zudem lässt sich mit dieser Struktur
sehr einfach ein institutionalisierter, strategischer Screening- und Monitoring-Pro-
zess etablieren (siehe dazu detailliert Kap. 30), der die vielfältigen Informationen
über veränderte Tätigkeitsumfeld-Einflüsse und andere Marktentwicklungen konse-
quent nutzt, um daraus Vorteile für die Strategieplanung und Identitätsverankerung
(siehe dazu detailliert Kap. 9 ff.) der Legal Operations zu ziehen.
• Die Nachteile: Die Nachteile einer Rechtskreisgliederung sind ähnlich denen
der Rechtsobjektgliederung: Bereichsegoismen, Auseinanderdriften der Rechts-
kreisbereiche, Bildung dominanter Subkulturen mit einer Verwässerung der
Identität des gesamten Legal Teams etc.15
14Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 890 f.), und Müller-Stewens, Lechner (2005, S. 448 ff.).
15Vgl. Hugentobler et al. (2012, S. 891 f.); Müller-Stewens, Lechner (2005, S. 447).
524 R.P. Falta
einer einzigen anderen, ihr übergeordneten Stelle Anweisungen erhalten soll. Mit-
hin läuft die Kommunikation nur über „den Dienstweg“ zwischen diesen beiden
Stellen ab. Zwischeninstanzen dürfen dabei weder übersprungen noch umgangen
werden.17
erbringen ihre Stabsstellenleistung für das gesamte Legal Team. Diese Legal Ope-
rations-Organisationsform kommt daher fast ausschließlich bei sehr großen
Rechtsabteilungen zum Einsatz, die auch über die entsprechende Mitarbeiterres-
sourcen verfügen. Zudem kommt sie häufig im Zusammenhang mit der „Aufga-
bengliederung nach Rechtsobjekten“ beziehungsweise nach Rechtskreisen (siehe
dazu Abschn. 38.3.2.1) vor, zumal sich Rechtsobjekte durch Zentralbereiche noch
besser koordinieren und dadurch bestimmte Synergiepotenziale ausschöpfen las-
sen. So können zum Beispiel alle Aktivitäten, die mit Verträgen zusammenhängen
wie Vertragserstellung, Vertragsgestaltung und Vertragsprüfung, für das ganze
Legal Team von einem darauf spezialisierten Zentralbereich „Schuldrecht“ (in der
Schweiz: Zentralbereich „Obligationenrecht“) erbracht werden. Nicht nur die Ver-
arbeitungsgeschwindigkeit wird erhöht, sondern auch eine gleichbleibende Quali-
tät sichergestellt, indem jeder einzelne Legal Counsel „seine“ Verträge nicht mehr
selbstständig bearbeiten muss.21
• Die Vorteile: Zu nennen sind auf jeden Fall die hohe und gleichbleibende Qua-
lität sowie Arbeitsgeschwindigkeit, die durch Know-how-Bündelung sowie
Spezialisierung in den Zentralbereichen erzielt wird. Zudem erlaubt der offene
Zugang zu den Zentralbereichen für alle Linienmitarbeitenden eine maßgeblich
Arbeitserleichterung, da sich diese auf die Arbeiten in ihrem eigenen Aufga-
benbereich konzentrieren und bestimmte Abgaben aus ihrer Wertschöpfungs-
kette an die Zentralbereiche auslagern können. Dies fördert und beschleunigt
die Ausbildung eines legal business partner-Modells, in dem es üblich ist, zwi-
schen front office- und back office-Funktionen zu unterscheiden. Mithin stellt
das Zentralbereichssystem eine praktische Übergangsform zu den mehrdimen-
sionalen Organisationsformen dar.
• Die Nachteile: Der hauptsächliche Nachteil liegt im Konfliktpotenzial zwi-
schen Linienvorgesetzten respektive den Rechtsobjektverantwortlichen und den
Zentralbereichen hinsichtlich Entscheidkompetenzen und der Übernahme von
Verantwortung. Geht in der Rechtsabteilung etwas schief, so wird diese gerne
zwischen Rechtsobjekts- und Zentralbereich hin- und hergeschoben. Zudem ist
ein „System der Balance“ zu etablieren, damit nicht einer der beiden Bereiche
Überhand gewinnt. Schließlich kann hinsichtlich der Nachteile auch auf dieje-
nigen der „Aufgabengliederung nach Rechtsobjekten“ verwiesen werden.
werden, dass nachgeordnete Stellen nicht nur von einer, sondern von zwei oder
mehr übergeordneten Matrixstellen Anweisungen erhalten. Dadurch können beide
(oder im Falle des Tensor-Systems mehrere) Matrixstellen ihr Wissen in das
bewusst geschaffene Spannungsfeld der Matrixschnittstelle einbringen und mög-
lichst optimale Lösungen kooperativ erarbeiten. Dieses System hat den großen
Vorteil, dass Zentralisationskonflikte und viele der bei eindimensionalen Systemen
immanenten Probleme zumindest „auf dem Papier“ gelöst werden können. Kom-
plexe Matrix-Struktursysteme eignen sich aber fast ausschließlich für sehr große
Rechtsdienste, bei denen eine parallele Abwicklung verschiedener Projekte für
interne Interaktionspartner eine wichtige Rolle spielt.22
22Vgl. Müller-Stewens, Lechner (2005, S. 449 f.); Hugentobler et al. (2012, S. 897 f.).
38 Formelle und informelle Innenstrukturen 529
Nach der Entscheidung für eine Primärstruktur – durch die Wahl einer sinnvollen
Aufgabengliederung und deren Kombination mit einer spezifischen Struktur-
system-Gliederung – ist es bei eindimensionalen Strukturtypen oftmals sinnvoll,
diese durch Sekundärstrukturen zu ergänzen. Die Primärstruktur wird somit um
eine weitere Strukturschicht erweitert, mit der diejenigen Nachteile oder Probleme
behandelt werden können, die durch die Gliederung in der Primärstruktur in den
Hintergrund gerückt sind. Sekundärstrukturen sind dabei in der Regel nur tem-
porär wirksam, da durch sie oft zeitlich befristete Aufgaben wahrgenommen und
diese wieder aufgelöst werden, nachdem sie erfolgreich bewältigt wurden. Zudem
eigenen sich Primärstrukturen für immer wieder gleiche („Routinearbeiten des
Tagesgeschäfts“) oder zumindest ähnliche („abteilungsinterne Sonderaufgaben“)
Aufgabenstellungen, da diese in ihnen sehr effizient und effektiv abgearbeitet wer-
den. Für die Bewältigung neuartiger und innovativer Aufgaben (Initiativen, Pro-
gramme und Projekte) sind sie jedoch oft nicht die beste Wahl.
Weisen Projekte eine gewisse Größe und Komplexität auf, ist es sinnvoll, diese in
eine eigenständige Sekundärstruktur auszugliedern, die durch einen „Projektmana-
ger“ (PM) geleitet wird. Das von ihm erbrachte Projektmanagement umfasst in der
Folge sämtliche Analyse-, Planungs-, Umsetzungs- und Kontrollmaßnahmen im
Zusammenhang mit seinem Projektportfolio. Auch ist es die Aufgabe des Projekt-
managers, die bestmögliche Struktur für die Projektorganisation zu ermitteln und
mit dem General Counsel hinsichtlich möglicher Organisationskonflikte mit der
Primärstruktur abzustimmen. Dabei können, wie in Abb. 38.4 dargestellt, drei
für ein Projekt in der Regel von ihrem angestammten Tagesgeschäft vollzeitlich frei-
gestellt und in die Projektorganisation integriert. Das Task-Force-System eignet sich
daher vor allem für große Projekte mit entsprechend hoher Bedeutung für die Rechts-
abteilung. Die Mitglieder der Projektorganisation können sich dabei ausschließlich auf
das Projekt konzentrieren, ohne dabei Loyalitätskonflikten mit der Primärstruktur aus-
gesetzt zu sein. Schließlich sollte die Projektgliederung ausgehend vom Projektkoor-
dinations-System zum Task-Force-System als ein Kontinuum verstanden werden, auf
dessen Achse verschiedene Kombinationen zwischen den beiden Extrembeispielen
möglich sind.
Projektgliederung nach dem Matrix-Projekt-System Müssen in einer Rechts-
abteilung viele verschiedene Projekte abgewickelt werden, zum Beispiel wäh-
rend einer großen Gesamtorganisations-Reorganisation, kann es sinnvoll sein,
die Sekundärstruktur temporär nach dem Matrix-Projekt-System auszugestalten.
Dabei wird eine Projektmatrix mit mehreren Projektmanagern über die Primär-
struktur gezogen. Hat in den Legal Operations bereits eine Struktursystem-Glie-
derung nach dem Matrix-System vorgelegen, kann diese einfach im Rahmen einer
Tensor-Systemerweiterung durch die Projektdimension erweitert werden. Zudem
kann diese Projektgliederungsform interessant sein, wenn für interne Interaktions-
partner vor allem größere Transaction-Management-Projekte (siehe dazu detail-
liert Kap. 49) erbracht werden müssen.
38.3.3.2 Sekundärstrukturen nach
Sonderfunktionsgesichtspunkten
Neben der Ausgliederung von Projekten, denen auch die Ausgliederung von Ini-
tiativen und Programmen ähnlich ist, da diese ebenfalls nach einer der erläuterten
drei Projektgliederungsarten organisiert werden können, werden weitere Formen
von Sekundärstrukturen in Legal Operations verwendet. Sekundärstrukturen nach
„Sonderfunktionsgesichtspunkten“ werden im Gegensatz zu Projekten nicht nur
temporär und für einmalige, neuartige oder besonders innovative Aufgabenkom-
plexe erstellt, sondern sollen gezielt einzelne Schwächen der Primärstruktur über
einen langen Zeitraum hinweg ausgleichen. Die Bekanntesten sind:
erfolgt, kann ein Case Management in der Sekundärstruktur als temporäres Kor-
rektiv eingesetzt werden, das es nach und nach aufzulösen und in die Primärstruk-
tur zu überführen gilt.
• Change Management: Schließlich können auch einzelne Problemstellungen
aus Restrukturierungs- und Optimierungsmaßnahmen nach einer organisato-
rischen Institutionalisierung verlangen, die (noch) nicht in die Primärstruktur
umgesetzt werden kann. Diese sollten jedoch so rasch wie möglich in die Pri-
märstruktur überführt werden, damit die organisatorische Kongruenz mit der
Zeit nicht verwässert wird und sich die strukturelle Wirklichkeit nicht immer
weiter von ihrer Abbildung im Organigramm entfernt.
gen von großen deutschen Unternehmen gemäß Otto Henning GmbH (2016, S. 53), vor allem
weltweit zu. Waren 2013 noch 43 % aller Unternehmensjuristen in globalen Rechtsablegern ein-
gesetzt, so waren es 2015 bereits 57 %. Hingegen ist der Einsatz von Unternehmensjuristen in
inländischen Rechtsablegern in etwa gleich geblieben (2013: 25 %; 2015: 26 %).
38 Formelle und informelle Innenstrukturen 533
28In großen deutschen Unternehmen ist gemäß Otto Henning GmbH (2016, S. 67), die Organi-
sation mit einer einzigen Hierarchieebene rückläufig (2011: 20 %; 2013: 8 %; 2015: 8 %), die
meisten Unternehmen weisen zwei bis drei Hierarchiestufen auf (2011: 63 %; 2013: 64 %; 2015:
64 %) und immer mehr Unternehmen bauen ihre Rechtsabteilungen auf vier oder mehr Hierar-
chiestufen aus (2011: 17 %; 2013: 28 %; 2015: 28 %).
29Dies entspricht in etwa der in großen deutschen Unternehmen gemäß Otto Henning GmbH
(2016, S. 55), durchschnittlichen Anzahl von Legal Counsels (branchen- und größenübergrei-
fend) im medianen (2011: 2.5; 2013: 2.5; 2015: 3.6) und im arithmetischen Mittel (2011: 3.7;
2013: 4.1; 2015: 4.7) je 1 Mrd. EUR Umsatz.
534 R.P. Falta
30Für Maister (2003, S. 4 ff.), stehen die „Fähigkeiten der Mitarbeitenden“ bei der organisatori-
schen Ausgestaltung (von Anwaltskanzleien!) im Vordergrund. Er stellt drauf ab, wie groß das
jeweilige volume ratio an senior-, middle- und junior-level-Arbeiten im Rahmen der Klientenauf-
träge ist. An dessen Verhältnis sollte sich auch die Anzahl der Mitarbeitenden je Hierarchiestufe
bemessen, zumal es keinen Sinn macht, da es einer Ressourcenverschwendung gleichkommt,
dass zum Beispiel senior-level-Mitarbeitende middle- oder junior-Stufenarbeiten durchführen.
Das Abstellen auf die Leverage-Struktur, das heißt auf diejenige Struktur, die das Skill-Level der
Mitarbeitenden genau auf die Aufgabenstellungen anpasst, macht durchaus auch für Legal Ope-
rations in Unternehmen und Behörden Sinn.
38 Formelle und informelle Innenstrukturen 535
bei Unternehmen der Fall, die eine starke Präsenz im Ausland haben. So sind
die meisten dezentralen Länderrechtsabteilungen disziplinarisch dem Country
Head oder einer vergleichbaren Position unterstellt, fachlich werden sie aber
vom Corporate General Counsel geführt.31 Der Kontakt, der Wissenstransfer
und die Zusammenarbeit zwischen Rechtsablegern und dem zentralen Konzern-
rechtsdienst können dabei auf unterschiedliche Weise gestaltet werden.32
• Inhousing, Outsourcing & Offshoring: Im Zusammenhang mit der Prozess
organisation stellt sich auch in jedem Rechtsdienst die Frage danach, welche
Aufgaben beziehungsweise Wertschöpfungsanteile inhouse gehalten werden
sollen und was outsourced respektive was offshored werden kann. Dabei geht
es darum, welches die Kernkompetenzen der Rechtsabteilung sind und wel-
che fachlich (weniger) anspruchsvollen Nicht-Kernkompetenzen andere besser
(schneller, qualitativ höherwertiger oder billiger) erledigen können (siehe dazu
auch Kap. 14 und 30).
Auf dieser Grundlage kommen für Legal Operations nur zwei alternative Struktur-
systeme als Primärstrukturen in Betracht. Die virtuelle und die Eidgenossen-Orga-
nisationsstruktur:
rechtsnahe Arbeit werden im Inter- oder Intranet (über eine Verfügbarkeits- und
Profildatenbank) die jeweils besten momentan zur Verfügung stehenden Fachper-
sonen gebucht und nach Abschluss ihrer Arbeit bewertet. So kann auch in einer
virtuellen Organisation ein hochstehendes Qualitätsmanagement sichergestellt
werden.
Die Grundform der virtuellen Organisation in Legal Operation – ohne die heu-
tigen technischen Möglichkeiten – ist seit Jahrzehnten wohlbekannt: Nämlich im
Grundmodell der meisten KMU, die keine eigenen Unternehmensjuristen beschäf-
tigen, sondern alle Rechtsfälle oder Rechtsprobleme jeweils an ihre „Hauskanzlei“
oder mehreren Anwaltskanzleien outsourcen. Die Vorteile der virtuellen Organisa-
tionsstruktur liegen in der Reduktion und Verteilung von Haftungsrisiken, in einem
steten Wissens- und Fähigkeitszuwachs sowie in der Erhöhung der Flexibilität der
Legal Operations durch eine dynamische Re- und Neukonfiguration der virtuellen
legal team members. Nachteilig wirken sich die fehlende Beibehaltung rechtlicher
Kompetenzen im Unternehmen und die damit verbundene Abhängigkeit von
Zulieferern aus. Zudem dürften die Kosten regelmäßig höher liegen, da externe
Dienstleister jeweils eine Gewinnmarge aufrechnen werden. Schließlich ist die
Vertrauensbildung, auf der jede Kooperation basiert, schwierig umzusetzen, wenn
immer wieder mit anderen virtuellen Partnern zusammengearbeitet wird.36
Eidgenossen-Struktur Die „Eidgenossen“-Struktur eignet sich besonders gut
für große und sehr große Rechtsabteilungen, da sie im Kern keine Abkehr vom
Hierarchiedenken darstellt, sondern dieses im Rahmen der Legal Operations
modifiziert, indem die Position des „alleinig regierenden“ General Counsel obso-
let wird. An die Stelle eines einzigen obersten Vorgesetzten der Rechtsabteilung
tritt ein Kollektivgremium aus fünf langjährigen und besonders erfahrenen Senior
Legal Counsels, welche die Rechtsabteilung gemeinsam und gleichberechtigt
führen. Daher auch die Namensgebung aus der Schweizerischen „Eidgenossen-
schaft“. Diese wird seit 1848 von einem Kollektivgremium von sieben Bundes-
räten geführt. Nach deren Vorbild verantwortet jeder Senior Legal Counsel einen
der fünf Hauptaufgabenbereiche der Rechtsabteilung: Legal Risk Management,
Legal Counseling, Transaction Management, Litigation & Arbitration sowie Legal
Education, wie in Abb. 38.5 dargestellt. Zusatzaufgabenbereiche können entweder
gleichmäßig unter die Senior Legal Counsels verteilt oder im Rahmen von Zent-
ralbereichen innerhalb der Legal Operations geführt werden.
Der große Vorteil dieser Strukturform liegt in der verteilten Fach- und Führungs-
rolle und in den schnellen Kommunikationswegen innerhalb der fünf Hauptaufga-
benbereiche. Um die Überlastung des General Counsel gar nicht erst entstehen zu
lassen, wird die Führungs- und Repräsentationslast bei der Eidgenossen-Struktur
36Vgl. Müller-Stewens, Lechner (2005, S. 452); Hugentobler et al. (2012, S. 919 ff.).
538 R.P. Falta
von Anfang an auf fünf Schultern verteilt.37 Ein weiterer Vorteil dieser Strukturform
liegt darin, dass Legal Counsels einen Motivationsanreiz erhalten, sich gleichzeitig
fachlich und führungstechnisch weiterzubilden, da eine Beförderung auf eine von
fünf Topstellen in den Legal Operations wahrscheinlicher von Erfolg gekrönt ist,
als die Bewerbung auf eine einzige General-Counsel-Position. Auch der fachliche
Austausch im Führungskollektiv wird verbessert, da jeder einzelne Senior Legal
Counsel vier besonders erfahrene Kollegen an seiner Seite hat, die er in problemati-
schen Situationen um Rat anfragen kann. Da die fünf Führungsspitzen der Legal
Operations hierarchisch gleichwertig sind, wird falscher Stolz oder Angst davor,
sich eine Blöße zu geben, bei der Bitte um Rat oder Unterstützung minimiert.
Nachteilig am Eidgenossen-System ist dessen langsame Entscheidfindung und
Abstimmung zwischen den fünf Senior Legal Counsels als Führungsgremium.
Zudem stellt sich die Frage, wer das Kollegium zum Beispiel in der obersten
Geschäftsleitung vertreten soll und wie dies zu geschehen hat: Soll jeweils ein
Senior Legal Counsel rotierend, temporär oder fixiert als princeps inter pares
eingesetzt werden? Zudem wird bei der Umstellung auf das Eidgenossen-System
37Besonders in großen und sehr großen Rechtsabteilungen nimmt der General Counsel sowohl
Managementaufgaben gegenüber dem Legal Team wahr, wie auch rechtsberatende und repräsen-
tative Aufgaben gegenüber der Geschäftsleitung und dem Aufsichtsrat. Um zumindest einer die-
ser Aufgaben wirklich professionell nachzukommen und nicht ständig hin- und hergerissen zu
sein, müsste er sich jedoch ausschließlich auf das eine oder andere konzentrieren können. Natür-
lich gelingt ein solcher Spagat zwischen Führung und Fachleistung für einige Zeit, führt aber mit
der Zeit zu Überlastungen, die sich nicht nur negativ auf den General Counsel, sondern vor allem
auch auf die Rechtsabteilung auswirken. Auf lange Zeit kann sich ein dauerhaft überlastetes
Führungs- und Fachleistungssystem nicht halten, sofern der General Counsel nicht durch seine
zweite Hierarchiestufe maßgeblich in seinen Aufgaben unterstützt wird. Mithin etabliert sich in
der Regel über kurz oder lang eine „informelle“ Eidgenossen-Struktur, die nicht mehr dem offizi-
ellen hierarchischen Organigramm entspricht.
38 Formelle und informelle Innenstrukturen 539
oftmals eine Trennung vom aktuellen General Counsel nötig sein, da dieser mög-
licherweise nicht gewillt ist, seine Machtfülle abzugeben und sich in ein Kollektiv
ehemaliger Untergebener einzuordnen. Schließlich kann die Aufgliederung nach
Hauptaufgaben dazu führen, dass sich die Mitarbeitenden mehr ihrem spezifischen
Aufgabenbereich verpflichtet fühlen als der gesamten Rechtsabteilung – was wie-
derum zu Separationstendenzen innerhalb des gesamten Legal Teams führt.
betroffenen internen und externen Interaktionspartner informiert und für die Ver-
änderungen gewonnen werden können. Abschluss der ersten Phase bildet der
Entscheid darüber, ob die Reorganisation überhaupt sinnvoll ist und innert der
Vorgaben umgesetzt werden kann. Mögliche Entscheidalternativen bestehen in
der Genehmigung der Reorganisation, in der nochmaligen Projektüberarbeitung
oder einer Nichtanhandnahme beziehungsweise einer Verschiebung des Projekts
auf einen späteren Zeitpunkt.
2. Schritt – Informieren und Involvieren der Betroffenen: Im nächsten
Schritt39 geht es darum, alle involvierten Parteien zu informieren und einer
resistance for change proaktiv vorzugreifen. Reorganisationen sind immer mit
Befürchtungen, Unsicherheiten, Ärger und Ängsten behaftet. Diesen ist mög-
lichst rasch mit einer absolut offenen und ehrlichen Aufklärung entgegenzutre-
ten. So ist möglichst rasch über die Chancen und Risiken des Projekts, über die
geplanten Veränderungen sowie die Einfluss- und Beteiligungsmöglichkeiten
aller Akteure Aufschluss zu geben. Auch der Abbau von Arbeitsplätzen – so
schwer er für direkt Betroffene ist – kann nur „menschenwürdig“ abgewickelt
werden, indem auch für diese nachvollziehbar dargestellt wird, weshalb die
getroffenen Maßnahmen nötig sind. Zudem sind ihnen alternative Beschäfti-
gungsmöglichkeiten oder falls nicht möglich, großzügige Entschädigungspa-
kete auszurichten, um zu verhindern, dass sich allzu große Frustration in
negativen Handlungen wie Sabotage, Stimmungsmache etc. niederschlägt. Aber
auch gegenüber allen anderen unmittelbaren Akteuren (Mitarbeitende, Interak-
tionspartner und eventuell auch Betriebsräte; siehe dazu detailliert Kap. 18) ist
es wichtig, offen und ehrlich zu informieren und diese in das Reorganisations-
projekt zu involvieren. Tragen sämtliche Akteure zum Projekt mit bei, so sind
bei dessen Umsetzung weniger Probleme zu erwarten, es kann dadurch regel-
mäßig schneller und kostengünstiger umgesetzt werden.
3. Schritt – Organisationsanalyse der bestehenden Strukturen: Nun wird eine
Organisationsanalyse durchgeführt, die als Grundlage für alle nachfolgenden
Maßnahmen dient und die konsequent alle Schwachstellen sowie informellen
Organisationsmissstände auflistet. Hierbei empfiehlt es sich, alle Mitglieder des
Legal Teams zu involvieren, damit jeder einzelne seine persönliche Sichtweise
mit einbringen kann. Zudem empfiehlt es sich auch, externe Spezialisten mit-
einzubeziehen, da diese die Außensicht beisteuern und mit ihrer Erfahrung ver-
steckte Schwachstellen aufspüren können. Neben der Schwachstellenanalyse
sollten auch die internen und externen Rahmenbedingungen sowie die Ziele,
die mit der Reorganisation verfolgt werden, nochmals genau geprüft und nach
39Sobald eine Vorstudie in Auftrag gegeben wird, beginnt die „Gerüchteküche zu kochen“. Die-
sem Umstand sollte daher idealerweise bereits während der ersten Phase begegnet werden, indem
die in Schritt zwei vorgestellten Maßnahmen etwas zeitversetzt bereits während der Erstellung
der Vorstudie greifen, soweit dies eine gesicherte Informationslage erlaubt. Das Informationskon-
zept sollte sich daher von allgemeinen Informationen zu Beginn eines Reorganisationsprojekts zu
immer spezifischeren Informationen im Verlaufe des Projekts „zuspitzen“.
38 Formelle und informelle Innenstrukturen 541
darin „heimisch“ fühlen, dauert es in der Regel zwei bis drei Monate. In dieser
Zeit ist es wichtig, dass jeder Akteur auftretende Schwierigkeiten und
Schwachstellen der Projektleitung meldet, damit diese entsprechende Nachjus-
tierungen vornehmen kann. Eine Besonderheit gilt es im Hinblick auf informa-
tionstechnische Umstellungen zu beachten, die oft mit Reorganisationen
verbunden sind. Hier können keine langen Anlaufzeiten toleriert werden.40
7. Schritt – Nachjustierung und Erfolgskontrolle: Im Nachgang jeder Reorga-
nisierung sind in der Praxis weitere Nachjustierungen nötig. Innerhalb der ers-
ten sechs Monate nach der Implementierung sollten sämtliche Schwachstellen
der neuen Primärstrukturen ersichtlich und behoben worden sein. Zu diesem
Zeitpunkt sollte auch eine abschließende Erfolgskontrolle durchgeführt werden,
bei der es zu prüfen gilt, ob noch weitere leichte oder tief greifende Verände-
rungen nötig sind, ob die neuen Organisationsstrukturen in der Primärstruktur
grundsätzlich halten, was sie versprechen oder ob diese durch Maßnahmen in
der Sekundärstruktur behoben werden können. Neben dieser direkten sollte
auch eine „erweiterte“ Erfolgskontrolle stattfinden, in der aus dem laufenden
Reorganisationsprojekt Lehren für zukünftige Vorhaben gezogen werden. So
sind Erfahrungswerte zu Kosten, zur Dauer sowie zum Verhalten von direkt und
mittelbar betroffenen Mitarbeitenden zu sammeln und auszuwerten. Interes-
sant sind auch immer Rückmeldungen von internen und externen Interaktions-
partnern, die Aufschluss über die Nah- und Fernwirkung der neuen Strukturen
geben. Es ist insgesamt zu prüfen, ob die Erwartungen in die neuen Organi-
sationsstrukturen der beteiligten Akteure erfüllt respektive nicht erfüllt werden
konnten, wo sie übertroffen und wo sie nicht realistisch genug eingeschätzt
waren. Das Reorganisationsprojekt endet schließlich mit der Auswertung beider
Erfolgskontrollen.
Literatur
Galinsky A, Schweitzer M (2015) Friend & foe – when to cooperate, when to compete, and how
to succeed at both. Random House Business Books, London
Hambloch-Gesinn S, Hess B, Meier AL, Schiltknecht R, Wind C (2010) IN-HOUSE COUNSEL
in internationalen Unternehmen. Helbing Lichtenhahn, Basel
Hugentobler W, Schaufelbühl K, Blattner M (Hrsg) (2012) Integrale Betriebswirtschaftslehre, 4.
Aufl. Orell Füssli, Zürich
Maister D (2003) Managing the professional service firm. Simon & Schuster, London
Müller-Stewens G, Lechner C (2005) Strategisches Management: Wie strategische Initiativen
zum Wandel führen, 3. Aufl. Schäffer-Poeschel, Stuttgart
40Ein neues IT-System muss nach seiner Einführung sofort eingesetzt werden, ohne noch lange
Die Gestaltung von Ressourcen stellt ein wichtiges Instrument des strukturellen
Legal Operations Managements dar. Ressourcen, wie in Abb. 39.1 dargestellt,
ermöglichen überhaupt erst die Umsetzung von Handlungsoptionen in Bezug auf
die Zielerfüllung der Rechtsfunktion. Dabei beschlägt der Ressourcenbegriff im
Zusammenhang mit Legal Operations nicht nur die „klassischen“ drei Ressourcen
des Wirtschaftens wie Kapital, Menschen und Maschinen, sondern beinhaltet einen
– auf die spezifischen Bedürfnisse der modernen Rechtsfunktion – erweiterten
Begriffshorizont. Im QUADRAGON Legal Operations Management-Modell©
werden die Mittel, die der Rechtsfunktion für ihre Aufgabenerfüllung zur
Verfügung stehen, auf fünf Dimensionen aufgespaltet: „Finanzen“, „Mitarbeitende“,
„Arbeitsplatz, Sachmittel und IT-Infrastruktur“, „Informationen“ und „Zeit“.
Finanzen spielen auch in Legal Operations eine bedeutende Rolle. In der Regel mehr
als Pflicht, denn als Gestaltungsmittel empfunden, werden Budgetprozesse und die
finanzwirtschaftliche Führung der Rechtsfunktion beziehungsweise deren Kontrolle
von General Counsels oft etwas vernachlässigt. Dabei stellen sich hier besonders
interessante Fragen zur Optimierung der Legal Operations, wie zum Beispiel:
Welche Höhe soll das Budget der Rechtsabteilung betragen beziehungsweise
wie viel Geld wird tatsächlich benötigt, um sämtliche Rechtsfunktionsaufga-
ben minimal/optimal zu erfüllen? Wie viel Investitionskapital sollte daher in den
nächsten eins bis drei Jahren für den Betrieb und die Optimierungsmaßnahmen zur
Verfügung stehen? Welche Investitionen fallen wann im Jahresverlauf an und wie
können diese effizienter geplant respektive durchgeführt werden? Welche Investiti-
onen sind einmalig, welche wiederkehrend, welche fallen ständig als Fixkosten an
und wie ist deren Kadenz? Welchen Betrag muss die Rechtsabteilung erwirtschaf-
ten – positiv: zum Beispiel durch interne Vergütung von Beratungs- oder Transak-
tionsleistungen; negativ: zum Beispiel durch Einsparungen, welche sich aufgrund
eines besonders effektiven Legal Risk Management-Systems erzielen lassen?
Wie können Budgetgrenzen bei der Geschäftsleitung erweitert beziehungsweise
39 Einführende Übersicht Ressourcen von Legal Operations 549
Eine der wichtigsten, wenn nicht gar die wichtigste Ressource in den Legal Ope-
rations überhaupt. Nicht nur der General Counsel, sondern auch die anderen Mit-
glieder des Legal Teams wie Legal Counsels, Paralegals, Volontäre/Praktikanten,
Sekretariats- und Assistenzpersonal etc. stehen hier im Fokus der Betrachtung. In
Zusammenhang mit der Mitarbeiterdimension sollten zum Beispiel folgende Fra-
gen beantwortet werden:
Wie viel Personal wird benötigt, um die in der jeweiligen Organisation benötig-
ten Leistungen bereitzustellen? Wie viele sind minimal/optimal nötig? Wie sollte
das Legal Team zusammengesetzt sein? Wie sieht das ideale generelle und stel-
lenspezifische Profil jeder der oben genannten Personalkategorien in den Legal
Operations aus? Welche fachlichen, sozialen, charakterlich-persönlichen Fähig-
keiten und Fertigkeiten werden benötigt? Welche Erfahrungen und Kenntnisse sol-
len neue Mitarbeitende mitbringen? Welche Art von Führungsverhalten und wie
viel Führungserfahrungen sollte ein General Counsel aufweisen? Wie sieht es mit
seinen Leadership-Fertigkeiten aus? Soll eng fokussierten juristischen Fachspezia
listen oder aber breiter aufgestellten Generalisten der Vorzug bei der Anstellung
gegeben werden? Wie stellt man sicher, dass man an die besten Kandidaten im
Auswahlprozess herankommt? Wie soll der Bewerbungsprozess ablaufen, um die
besten Kandidaten zu evaluieren? Wie stellt man ein möglichst optimales onboar-
ding und die erste Phase der Einarbeitung bei neuen Mitarbeitenden sicher? Wie
wird die Zusammenarbeit im Tagesgeschäft ausgestaltet? Welche Weiterbildungs-
und Weiterentwicklungsmöglichkeiten werden den Mitarbeitenden angeboten?
Wie sieht die Praxis hinsichtlich Beförderungen oder job enrichment-Maßnahmen
aus? Wie gestaltet man den Abschied wechselwilliger Mitarbeitender und von
Teammitgliedern im Übergang zur Rente? Etc.
Ohne einen sinnvoll eingerichteten Arbeitsplatz und ohne die richtigen Sachmittel
(Mobiliar, Büroartikel, Büroelektronik, Bibliothek, Office-Räumlichkeiten, Pau-
sen- und Entspannungsmöglichkeiten etc.) ist eine effektive und effiziente Arbeits-
weise der Mitarbeitenden nicht möglich. In der Praxis trifft man denn auch oft auf
zwei Extreme: Einerseits den modern-technologieaffinen Unternehmensjuristen, der
stets auf dem Laufenden ist, was die neuesten Gadgets, Tools und online-Angebote
550 R.P. Falta
Teammitglieder geschult und wie wird Legal Education der Mitarbeitenden in der
Gesamtorganisation sichergestellt? Etc.
Zeit ist ein entscheidender Erfolgsfaktor für Legal Operations. Einerseits sind
Juristen gewohnt, rechtliche Fristen zu beachten, andererseits müssen sie aber
auch mit den viel häufigeren deadlines des Geschäftsalltags zurechtkommen. Zu
diesen treten sämtliche anderen Aspekte eines effektiven und effizienten Legal
Operations Time Management hinzu. Insgesamt geht es darum, eine optimale Nut-
zung durch einen sinnvollen Umgang mit der Abteilungs-, Team- sowie der eige-
nen Arbeitszeit sicherzustellen. Auch in diesem Bereich stellen sich eine Reihe
von Fragen, zum Beispiel:
Wie erfolgt die Zeiterfassung in der Rechtsabteilung? Wie stellt jeder Mitarbei-
tende für sich selbst und wir im Team sicher, dass nicht unnötig Zeit verschwendet
wird? Wie stark sind die Mitarbeitenden auf das Thema Zeit und Zeitverschwen-
dung sensibilisiert? Wie können wir ein sinnvolles Time Management etablieren?
Wo sind die größten „Zeitfresser“ zu finden und wie können diese neutralisiert
werden? Wofür wird in den Legal Operations bewusst wenig/viel Zeit eingesetzt?
Wie viel Zeit steht jedem Mitarbeitenden für wiederkehrende Tätigkeiten, wie
viel für Projekte und Ruhepausen zur Verfügung? Wie effektiv und effizient wer-
den bei uns Meetings abgehalten? Gibt es bei uns eine spezifische Meetings- und
Zeitkultur? Wie sieht ein „normaler“ Arbeitstag im Zeitverlauf aus? Wissen die
Mitarbeitenden überhaupt, welche Zeitanteile in ihren unterschiedlichen Arbeits-
ergebnissen liegen? Wird die Arbeitszeit von jedem sinnvoll strukturiert und wenn
ja, wie? Wird bei der Arbeitsplanung auch auf den eigenen Biorhythmus und die
Gesundheit Rücksicht genommen? Werden durch den Tag hindurch genügend
regenerierende Pausen eingestreut? Wie sieht es mit der Verfügbarkeit von Mitar-
beitenden nach Feierabend und in den Ferien aus? Gibt es entsprechend verein-
barte „Todzeiten“, in welchen auch vonseiten des Arbeitgebers keine Interaktion
erwünscht ist? Etc.
Eine Autorengruppe hat sich intensiv mit den Gestaltungsmöglichkeiten der fünf
Dimensionen der Ressourcenthematik in Legal Operations auseinandergesetzt.
Jeder Autor hat sich dabei aus seiner ganz persönlichen Perspektive dem von ihm
bearbeiteten Ressourcenthema genähert und diejenigen Inhalte ausgearbeitet, die
ihm im Hinblick auf den Praxisbezug besonders wichtig schienen:
• Lukas Grimm beschäftigt sich in Kap. 40 mit den Finanzen in Legal Operations.
Er gibt zuerst einen Einblick in die optimale Einbindung der Rechtsfunktion
(auch gegenüber Management und Controlling) und beschäftigt sich mit dem Ein-
fluss von Legal Operations auf die gesamtunternehmerische Strategieumsetzung.
552 R.P. Falta
• Wie binde ich den General Counsel oder einen Legal Counsel optimal in die
Organisation des Unternehmens, mit all seinen Aufgaben und Herausforde
rungen, ein?
• Wie stelle ich sicher, dass er zielgerichtet an der Umsetzung der Strategie mit-
arbeitet und die definierten Ziele ergebnisorientiert verfolgt?
• Wie priorisiere ich seine Projekte und Aktionen?
L. Grimm (*)
Basel, Schweiz
E-Mail: lukas.grimm@doetschgrether.ch
• Wie stelle ich sicher, dass sich diese Projekte und Aktionen an der definierten
Unternehmensstrategie orientieren?
• Und schließlich: Wie messe ich den Erreichungsgrad der definierten Ziele?
Zudem sollen Möglichkeiten, aber auch Grenzen der strategischen und operativen
Einbindung von Unternehmensjuristen in einer Unternehmung aufgezeigt werden.
Die Rechtsabteilung in einem Unternehmen darf man nicht lediglich als „Anwalts-
büro“, oder als „Anwaltsabteilung“ verstehen, in welcher der Unternehmensjurist
erst auf Anfrage, punktuell und projektbezogen bei Rechtsfällen der Organisation
aktiv wird. Auch der Unternehmensjurist soll Teil des unternehmerischen Prozes-
ses sein und proaktiv eine operative (Finanz- und Ergebnis-)Verantwortung über-
nehmen. Um welche Prozesse und Verantwortungsbereiche es sich dabei genau
handeln soll, muss einerseits im Organigramm und der Stellenbeschreibung doku-
mentiert werden. Andererseits muss in den standard operating procedures (SOP)
des Unternehmens definiert werden, wo der Jurist integriert sein muss. Er soll
Rahmenbedingungen schaffen, die mithelfen, damit mögliche Risiken (regula-
torische und vertragliche) vorausschauend aus dem operativen Geschäft erkannt,
bewertet und minimiert werden können.
Aus meiner Erfahrung sehe ich die Rolle des Legal Counsel ähnlich der des
Controllers, dementsprechend müssen diese zwei Stellen auch ganz eng zusam-
menarbeiten, sich gemeinsam regelmäßig austauschen und abstimmen. Der Jurist
weist auf Gefahren und Risiken hin, der Controller kann die möglichen Auswir-
kungen in Zahlen und Ergebnisveränderungen darstellen. Gemeinsam coachen sie
das Management in der Steuerung und Lenkung des Unternehmens und stellen
damit optimale gleichwertige Sparringpartner für das Management dar.
Der Controller und der Legal Counsel sollten sich im Unternehmen in einem ähn-
lichen Umfeld bewegen: Idealerweise sind sie im KMU-Bereich direkt dem CEO
unterstellt, handeln in seinem Auftrag und können so auch mit der nötigen Akzep-
tanz und mit genügend Kompetenzen ausgestattet agieren. In Großunternehmen
gibt es dagegen eigenständige Rechts- und Controllingabteilungen, die aufgrund
der Komplexität nicht direkt vom CEO geführt werden. Hier müssen andere orga-
nisatorische Voraussetzungen geschaffen werden, beispielsweise in Form eines
„Strategieausschusses“, damit der CEO trotzdem direkt Einfluss nehmen kann. Es
braucht zwingend den direkten Kontakt und Einfluss des CEO zu den Bereichen
Legal Operations und Controlling.
40 Finanzen in Legal Operations 557
Management
Counsel stellt er das Legal
Legal
Legal
Controlling
Management sicher. Counsel
Manager
Controller Manager
Leider wird die Funktion des Controllers häufig falsch definiert und verwendet.
So werden beispielsweise accounting specialists, welche reportings verschiedener
subsidiaries konsolidieren, ebenfalls als „Controller“ bezeichnet, was mit Control
ling aber nichts zu tun hat. Controlling kommt nicht von „Kontrolle“, sondern von
to control (lenken, steuern). Der Controller ist daher immer zukunftsorientiert aus-
gerichtet und versteht sich als beratende Funktion des Managements: Er unter-
stützt dieses bei der Definition von strategischen und operativen Zielen, bereitet
transparent das Zahlenmaterial auf, überwacht die Zielerreichung, zeigt Abwei-
chungen auf und coacht das Management in der Definition von Korrekturmaßnah-
men und Aktionen. Der Controller handelt ergebnisorientiert und trägt dadurch
eine Mitverantwortung an der Zielerreichung.1 Ganz ähnlich sollte auch der Gene-
ral Counsel zielorientiert handeln können: Die Vertragsgestaltung, die Einhaltung
der Vereinbarungen, die laufende Optimierung der Verträge im Bereich Kosten und
Risiken und die möglichen Auswirkungen von Abweichungen auf das Ergebnis
sollten von ihm ebenfalls transparent aufgezeigt werden. Der Legal Counsel hat
wie der Controller eine proaktive Rolle im operativen Geschäft, wie in Tab. 40.1
dargestellt, unterstützen und beraten ja beide das Management in dessen täglichen
Herausforderungen.
Controller und Unternehmensjurist sind sozusagen das „schlechte Gewissen“
des Managements. Sie weisen auf Risiken und Hemmnisse, aber oft auch auf
Chancen und Potenziale hin. Sie schaffen Transparenz, Strukturen, Prozesse und
Vorgaben bei betriebswirtschaftlichen aber auch rechtlichen Fragen. Ein gutes
Zusammenspiel von Legal Operations und Controlling ist somit zentral für die
erfolgreiche Umsetzung von definierten Unternehmensstrategien und in der Folge
für die Erreichung definierter Ergebnisziele.
In der Regel sind es der Aufsichtsrat und die Geschäftsleitung, welche eine Vision,
ein Leitbild und die Strategie definieren, wobei die Verantwortung dazu schließlich
beim Aufsichtsrat liegt. Es ist durchaus denkbar, dass auch der General Counsel
in diesen Prozess integriert wird, vor allem, wenn in der Definition der Strategie
rechtliche oder rechtsnahe Sachverhalte (zum Beispiel das Risiko- und Vertrags-
management) eine zentrale Rolle spielen. Konkret muss der General Counsel aber
spätestens bei der Umsetzung und Operationalisierung der Strategie integriert wer-
den, in der Folge auch in der operativen Planung und Budgetierung. Wo genau
seine Hauptverantwortung in diesen Prozessen liegt, kann nicht pauschal gesagt
werden. Das hängt sehr stark vom einzelnen Unternehmen und dessen Zweck
sowie den definierten strategischen Zielen ab. Nachfolgend soll anhand der Stei-
gerung des Unternehmenswerts als häufig definiertem, übergeordnet-strategischem
Ziel beispielhaft aufgezeigt werden, wie und wo ein General Counsel in seinem
„Rechtsbereich“ gezielt Einfluss auf die erfolgreiche Umsetzung der Unterneh-
mensstrategie nehmen kann und muss. Zur Vorbereitung beschäftigen wir uns aber
zunächst einmal mit Systemen zur Messung des Unternehmenswerts und den ent-
sprechenden Werttreibern.
Methoden zur Messung des Unternehmenswerts gibt es einige. In der Praxis trifft
man in der Regel Folgende an:
Mit keiner dieser Methoden werden wir jedoch „DEN“ Wert eines Unterneh-
mens berechnen können. Es sind Methoden, die Argumente für die Höhe eines
Unternehmenswerts liefern. Sie resultieren bei ihrer Anwendung lediglich in
Indikatoren. Aus meiner Erfahrung ist der Wert eines Unternehmens am Ende
so hoch, wie der Markt oder ein interessierter Investor dafür zu bezahlen bereit
ist – nicht mehr und nicht weniger. Dabei sind momentane (wirtschaftliche oder
politische) Umstände aufseiten beider Parteien und eine gute Taktik sowie das
Abb. 40.1 gibt einen groben Überblick über die wichtigsten Werttreiber in Unter-
nehmen und deren gegenseitige Beeinflussung im Rahmen von Ursache-Wir-
kungszusammenhängen.
Der Unternehmenswert wird einerseits durch die Ergebnisentwicklung, je nach
Bewertungsmethode EBIT4 (eher unüblich), cash flow oder NOPAT5 beeinflusst.
Das operative Ergebnis sollte durch die Umsetzung der Strategie mithilfe eines
entsprechenden Tools (beispielsweise balanced scorecard) systematisch und ziel-
gerichtet nach strategischen Grundsätzen erreicht werden. Die Summe zukünftiger
Gewinne ergibt grob gesagt den Wert des Unternehmens oder der Investition.
Die zweite wichtige Komponente des Unternehmenswerts sind die Kapitalkos-
ten. Mithin stellt sich die Frage: Was kosten die bereits getätigten und die zukünf-
tigen Investitionen? Die Kapitalkosten setzen sich zusammen aus Eigenkapital
(beispielsweise Aktienkapital) und Fremdkapital (beispielsweise Bankdarlehen).
Dieses Kapital muss dabei durch Dividende oder Fremdkapitalzinsen finanziert
werden. Die Höhe dieser Kapitalkosten richtet sich vor allem danach, wie hoch
der Kapitalgeber die Unternehmensrisiken beurteilt (ratings). Je höher die Risiken,
desto höher wird die Zins- oder Dividendenforderung sein, zumal der Investor für
das eingegangene Risiko entschädigt werden möchte. In der Unternehmensbewer-
tung werden mit den Kapitalkosten (in Prozent des Investments) die zukünftigen
Ergebnisse abgezinst, das heißt reduziert. Je tiefer also die Risiken in einem Unter-
nehmen sind, desto tiefer werden die Kapitalkosten sein und entsprechend höher
wird der Unternehmenswert ausfallen. Pauschal und oberflächlich betrachtet,
führen somit eine nachhaltige und positive Entwicklung der zukünftigen Ergeb-
nisse sowie tiefere Risiken und Kapitalkosten zu einer Maximierung des Unterneh-
menswerts.
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Aus meiner Erfahrung möchte ich in Tab. 40.2 beispielhaft und nicht abschließend
einige mögliche strategische Ziele für die Legal Operations aufzeigen, welche sich
an der generellen Zielsetzung des „Führens eines professionellen Vertragswesens“
orientieren und welche dadurch einen direkten Einfluss auf die Steigerung des
Unternehmenswerts aufweisen.
Nachfolgend werde ich beispielhaft auf die vier strategischen Ziele aus der
Lern- und Potenzialperspektive sowie der Prozessperspektive eingehen, welche
in diesem Zusammenhang in der betrieblichen Praxis von Legal Operations eine
wichtige Rolle spielen.
Vor allem die Mitarbeiterausbildung in rechtlichen Themen sehe ich hier als ganz
zentralen Punkt, auf den Wert eines Unternehmens einzuwirken. Er wirkt präven-
tiv zur Verhinderung oder Abschwächung von Konflikten und Rechtsfällen und
hat eine sehr breite Wirkung, indem viele Mitarbeitende auf Risiken aufmerksam
gemacht werden. Ein paar Beispiele:
Eine wichtige Voraussetzung für die effiziente Arbeit eines Legal Counsel ist ein
professionelles und transparentes Vertragsablagesystem (siehe dazu detailliert
Kap. 52). Es ist dabei irrelevant, ob das System vom Legal Counsel selbst oder
mithilfe einer Assistenz geführt wird. Er trägt die Verantwortung für das Projekt
und gibt die Strukturen vor. In der Folge werde ich wichtige Aspekte eines sol-
chen Ablagesystems aufzeigen, die aus meiner Erfahrung nur in den wenigsten
Fällen beachtet werden. Dass Verträge nach den üblichen Kriterien wie beispiels-
weise Name und Adresse des Vertragspartners, Art des Vertrages, Laufzeit, Kündi-
gungsfrist und Zeitpunkt einer möglichen Kündigung, Gerichtsstand, anwendbares
Recht etc. in einem Ablagesystem indexiert werden sollten, muss ich nicht näher
erläutern. Das gehört zum Standard. In Ablagesystemen sollten Verträge aber, wie
in Tab. 40.3 dargestellt, auch nach finanziellen Kriterien indexiert und selektiert
werden können:
Warum die Hinterlegung der finanziellen Kriterien als Voraussetzung für die
Wertsteigerung eines Unternehmens wichtig ist, werde ich in der Folge darstellen.
Fast alle Kosten in einem Unternehmen werden über einen Vertrag geregelt
(Lieferantenverträge für Rohstoffe, Wartungsverträge für Maschinen und Anla-
gen, Energielieferungsverträge, Mietverträge, Versicherungen, Kreditverträge,
Personalverträge etc.). Diese Tatsache zeigt uns, wie stark Verträge und deren
Ausgestaltung die finanzielle Steuerung des Unternehmens beeinflussen. Es gibt
unzählige Dienstleistungen, die in einem Unternehmen extern zugekauft und mit
einem Vertrag geregelt werden. Solche Verträge laufen aber nicht ewig. Sie haben
in der Regel eine bestimmte Laufzeit, mit anschließender Verlängerung oder
anschließendem Kündigungsrecht und einer entsprechenden Kündigungsfrist. Es
lohnt sich, diese Verträge nach Ablauf nicht einfach blindlings weiterzuführen,
sondern sie zu jeder Zeit kritisch zu hinterfragen.
Im Budgetprozess für das Folgejahr sollte der General Counsel bei der Opti-
mierung dieser Verträge durchaus operativ den Lead übernehmen, da alle Verträge
oftmals zentral von der Rechtsabteilung verwaltet werden. Die Legal Counsels selek-
tieren über das Vertragsablagesystem alle Verträge, die in der Budgetperiode aus-
laufen. Sie erstellen hierfür eine Liste, welche nach „Vertragswert pro Jahr“ sortiert
wird, weil im Budgetprozess der Vertragswert als primäres Kriterium für die Fest-
legung der Prioritäten hinzugezogen wird. Danach sollten alle fälligen Verträge auf
8DieDefinition dieser Kostenblöcke kann in der Praxis je nach Unternehmen etwas abweichen;
zum Beispiel Horngren et al. (2006, S. 26 ff. und 30 ff.).
40 Finanzen in Legal Operations 565
In der Praxis trifft man hierbei immer wieder eigenartige Problemstellungen an:
Beispiel 1
Ein Unternehmen reduzierte aus Kostengründen die Fertigungstiefe in einem
bestimmten Bereich. Ein spezifischer Wertschöpfungsteil wurde zugekauft
und nicht mehr selbst ausgeführt. Deshalb wurde eine größere Anlage still-
gelegt. Das Personal, welches für die Bedienung der Anlage zuständig war,
wurde abgebaut. Aus Kostengründen blieb die Anlage bis auf Weiteres aber
stehen. Durch ein mangelhaftes Vertrags-Ablagesystem hat man vergessen, den
Unterhaltsvertrag für das jährliche Software-Update der Anlagensteuerung zu
kündigen. Die jährliche Gebühr für den Wartungsvertrag wurde über ein Last-
schriftverfahren abgebucht und die gelieferte CD zum Einspielen des Soft-
ware-Updates landete ungeöffnet irgendwo in der Produktion, da sich niemand
mehr für die stillgelegte Anlage verantwortlich fühlte.
566 L. Grimm
Beispiel 2
Im gleichen Unternehmen wurden in der Produktion verschiedene Wäge-Sys-
teme benötigt, die eine jährliche Kalibrierung erforderten. Über einen War-
tungsvertrag wurde sichergestellt, dass der Hersteller immer im Frühling
vorbeikam und die Kalibrierung vornahm. Durch die Restrukturierung in der
Produktion wurden einige dieser Wäge-Systeme nicht mehr benötigt. Niemand
dachte aber daran, die Geräte aus dem Wartungsvertrag zu streichen und die
Kosten neu zu verhandeln. Daher wurden die nicht mehr benutzen Wäge-Sys-
teme jedes Jahr gegen eine nicht unbedeutende Gebühr nutzlos kalibriert.
Erst durch eine Zentralisierung des Vertragsablagesystems und der Analyse der
Unterhaltsverträge (wie oben beschrieben) können unnötige Ausgaben gestoppt
und die obsolet gewordenen Verträge angepasst oder gekündigt werden. Zudem
analysieren die Legal Counsels alle Verträge auch auf juristische Inhalte und Ver-
besserungspotenziale hin, welche individuell auf die aktuellen Bedürfnisse des
Unternehmens angepasst werden sollen:
Nach der Vorbereitung der Checklisten werden mit den verantwortlichen Ver-
trag-owners Meetings vereinbart, um mit diesen zusammen intern die Einspa-
rungspotenziale zu evaluieren. Wenn der beschriebene Prozess das erste Mal
durchgeführt wird, werden die möglichen Einsparungen sehr deutlich ausfallen.
Zudem wird der Aufwand nach der ersten intensiven Überarbeitung aller Verträge
für die Folgeperioden immer kleiner werden. Mit den gefundenen Erkenntnissen
werden die Vorgehensweise für die Planungsperiode pro Vertrag definiert und die
gefundenen Einsparungen in das operative Budget eingerechnet. An den effek-
tiv erreichten Einsparungen im laufenden Jahr kann der General Counsel dann
gemessen werden. Er leistet mit seinem Team somit in der Zusammenarbeit mit
den Controllern und dem Management einen wichtigen Beitrag zur Reduktion
der operativen Kosten, was sich in der Folge wertsteigernd auf das Unternehmen
auswirkt. Diese Sichtweise wird von Juristen oft übersehen. Für eine optimale
Positionierung gegenüber der Führungsspitze würde diese aber ausgezeichnete
Argumente liefern, welche nicht nur den defensiven Wert von Legal Operations,
sondern auch deren Nützlichkeit im proaktiven Bereich herausstreicht.
40 Finanzen in Legal Operations 567
Beispiel
• Art des Vertrages (Distributor, Lizenz, Beschaffung, Werbung, Unterhalt etc.)
• Vertragspartner, genaue Anschrift
• Land, Märkte
• Vertragswert (ganz wichtig! Wie hoch könnte der streitbare Wert des Ver-
trages sein?)
• Konditionen
• Anwendbares Recht, Gerichtsstand
• Vertragsbeginn
• Gewährleistungsmodalitäten
• Laufzeit
• Kündigungsfrist
• Möglicher Kündigungstermin
• Besonderes
Der General Counsel führt eine Liste, in der die Ergebnisse seiner Analyse doku-
mentiert werden. Zusammen mit dem Management respektive den Vertrag-owners,
eventuell auch zusammen mit einem Controller, sollten die Risiken in der Folge
pro Position bewertet werden. Das Resultat ergibt am Ende denjenigen Rückstel-
lungsbetrag, der in der Bilanz erscheint.
Aus meiner Erfahrung werden bei diesem Prozess die Risiken in Verträgen, die
aufeinander abgestimmt werden sollten, oft zu wenig beachtet. Dazu zwei Bei-
spiele aus der Praxis:
9(Schweizer) Bundesgesetz vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizerischen
Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) (SR 220).
568 L. Grimm
Beispiel 1
Für das Erstellen eines Werkes werden einige Gewerke selbst produziert, andere
werden bei Subunternehmen bestellt. Mit dem Kunden werden Zahlungs-
konditionen und Gewährleistungs- oder Garantieansprüche vereinbart. Diese
Vereinbarungen müssen unbedingt auch bei den Verhandlungen mit dem Subun-
ternehmen beachtet werden. Es muss dafür gesorgt werden, dass dieses ebenfalls
gewisse Risiken trägt, sodass das eigene Unternehmen im Störfall auf den Sub-
unternehmer zurückgreifen kann. Zu denken gilt es etwa an die Geschwindigkeit
der Ein- und Auslagerungen bei Förderanlagen, an die Gewährleistungs-/Garan-
tiefristen der Anlage oder der einzelnen Komponenten sowie an die vereinbarten
Zahlungskonditionen. In Bezug auf letzteren Punkt gilt es Liquiditätsrisiken zu
vermeiden.
Beispiel 2
Ein bestimmter Handelsartikel wird von einer Schweizer Firma nach Deutsch-
land verkauft. Der Lieferant des Artikels liefert aus Spanien. Der Artikel soll
nun von Spanien an das Distributionslager nach Deutschland geliefert werden,
von wo aus dann die Feinverteilung in Deutschland erfolgt. Vertraglich wurde
als Lieferbedingung ex works vereinbart. Die Schweizer Firma muss die Arti-
kel aus Spanien also selbst respektive durch einen Logistikpartner abholen und
zum Distributionslager in Deutschland bringen. Das Transportunternehmen ist
schnell gefunden und die Ware wird von Spanien nach Deutschland transpor-
tiert. Abgemacht wird der Incoterm DDP, das heißt ohne Transportversiche-
rung. Kein Problem, denkt sich daher das Schweizer Unternehmen, da es ja
eine Transportversicherung abgeschlossen hat, welche auch über die Schweiz
hinaus gilt. Das Problem ist aber, dass diese nur für internationale Transporte
aus der Schweiz oder in die Schweiz gilt. Transporte, die aber komplett außer-
halb der Schweiz stattfinden, sind darin nicht versichert. Daher muss entweder
die Versicherungspolice angepasst oder die Transporte müssen einzeln versi-
chert werden. Schließlich kann auch versucht werden einen für die eigene Seite
besseren Incoterm zu vereinbaren.
Mit den gewonnenen Erkenntnissen muss pro Risikoposition eine Strategie ent-
wickelt werden, wie mit den Risiken umgegangen werden soll: Dies kann durch
Reduktion (Anpassung der Verträge oder der prozessualen Praxis), durch Delega-
tion (Abschließen oder Erweitern von Versicherungen) oder durch das bewusste
Eingehen von Risiken mit entsprechender Rückstellungsbildung erfolgen. Durch
das Managen der beschriebenen Vertragsrisiken können die Rückstellungen mit
der Zeit reduziert werden, was einerseits das operative Ergebnis verbessert, ande-
rerseits aber auch die Kapitalgeber dahin gehend überzeugt, dass das betriebene
Geschäft weniger Risiken aufweist und somit für die Bewertung des Unterneh-
mens auch ein geringerer Risikoabschlag eingerechnet werden muss. Wie schon
beschrieben, spielen in diesem Zusammenhang Schulungen eine große Rolle.
40 Finanzen in Legal Operations 569
Der Legal Counsel kann mit Schulungen und Seminaren viele Mitarbeitende auf
vertragliche Risiken hin sensibilisieren (siehe dazu auch Kap. 51).
sofern argumentiert werden kann, dass ein reales Risiko besteht, die vereinbarten
Leistungen nicht (innert Frist) zu erhalten.
Der General Counsel kann seinen Einfluss auf die Abschlussgestaltung des
Gesamtunternehmens zusätzlich bei der Bewertung von laufenden und dro-
henden Rechtsfällen einbringen: Viele Unternehmen sehen sich im Laufe ihrer
Geschäftstätigkeit mit Rechtsfällen konfrontiert, die enorme Dimensionen anneh-
men können. Zu denken gilt es beispielsweise an Klagen aus den USA (siehe dazu
detailliert Kap. 6). Sind solche Rechtsfälle bei der Erstellung der Jahresrechnung
noch nicht abgeschlossen, müssen je nach Art der Rechnungslegung der Stand
dieser Rechtsfälle und die damit verbundenen, zukünftigen drohenden Verluste
bewertet werden. Werden Rechtsfälle sehr kritisch bewertet und wird daher eine
große Rückstellung gebildet, so wird das Unternehmensergebnis in der Folge stark
belastet. Ist der General Counsel in seiner Bewertung dagegen sehr optimistisch
und die Rückstellungen fallen entsprechend tief aus, wird das Unternehmenser-
gebnis schwächer belastet.
Andererseits kann der General Counsel aber auch durch eine vorausschau-
ende Steuerung von Lieferungen und Leistungen maßgeblichen Einfluss auf das
Gesamtunternehmen ausüben: Vor allem im Projektgeschäft gibt es gute Mög-
lichkeiten, die Ergebnisse zwischen den Jahren zu steuern. Ist die Auslastung sehr
gut, muss man bestrebt sein, Leistungen möglichst auf das neue Jahr zu verlegen,
während bei schlechter Auslastung im alten Jahr, Leistungen für laufende Projekte
möglichst vorgezogen werden sollten, um über die Ware in Arbeit das Betriebser-
gebnis „aufbessern“ zu können (window dressing). Der General Counsel kann
daher zusammen mit dem Management versuchen, vorausschauend auf die Ver-
tragsgestaltung Einfluss zu nehmen, indem er eine kontinuierliche Ergebnisent-
wicklung anstrebt.
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572 L. Grimm
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Wer sich mit den Aufgaben eines Legal Counsels im Unternehmen (umgangs-
sprachlich auch „Unternehmensjurist“) schon befasst hat, weiss, dass kaum eine
andere Funktion die Zusammenarbeit mit so vielen Mitarbeitenden auf allen Ent-
scheidungsebenen beinhaltet. Nicht selten ist der erste Legal Counsel im Unter-
nehmen aufgrund seiner besonderen Vertrauensstellung zusätzlich Sekretär des
Verwaltungsrates und dient gelegentlich dessen Präsidenten oder dem CEO auch
in nicht-juristischen Belangen als Sparringpartner. Als erster oder einziger Legal
Counsel sowie als Sekretär des Verwaltungsrates erhält man nebst den Mitgliedern
der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrates den wohl umfassendsten Einblick
in alle wichtigen Vorhaben eines Unternehmens. Ein Legal Counsel sollte daher
nicht nur mit unterschiedlichen Charakteren klarkommen, kommunikationsstark
sein und über das Juristische hinaus denken können, sondern auch mit Geheim-
nissen aller Art professionell umzugehen wissen. Dies verlangt eine gefestigte und
absolut integre Persönlichkeit, die sich im und außerhalb des Unternehmens jeder-
zeit ihrer besonderen Vertrauensstellung und der damit verbundenen Verantwor-
tung bewusst ist. Diese Charakterzüge gilt es stets sehr sorgfältig abzuklären.
Weil Juristen heutzutage immer stärker spezialisiert sind, sollten nach Auffas-
sung von Personalverantwortlichen namhafter Unternehmen zur tatsächlichen
B. Vassella (*)
Zürich, Schweiz
E-Mail: boris.vassella@legaljob.ch
Feststellung der fachlichen Qualität eines Kandidaten die mit der Rekrutierung
beauftragten internen oder externen Personen ebenfalls über eine juristische Aus-
bildung verfügen. Selbst Unternehmen, welche einen eigenen Rechtsdienst haben
und so in der Lage wären, die fachliche Qualität eines Bewerbers selbst abzuklä-
ren, bevorzugen bei der externen Vergabe der Rekrutierung fallweise einen juris-
tisch erfahrenen Personalberater. Ein maßgeblicher Grund dafür sei die fachlich
fundiertere Vorselektion und damit einhergehend die von Beginn weg enger am
Stellenprofil ausgerichtete Kandidatenauswahl. Für das Unternehmen würde so
zudem das Risiko vermindert, dass aufgrund von fehlendem Berufsverständnis
gewisse Aspekte der Funktion bei den Kandidaten im Rekrutierungsprozess nicht
angesprochen worden sind. Kommen diese erst nach Vertragsunterzeichnung zur
Sprache, könnten unliebsame und teure Konsequenzen die Folge sein. So ist es für
ein nachhaltiges Verbleiben des ersten Legal Counsels im Unternehmen beispiels-
weise relevant, ob er darauf fixiert ist, direkt dem CEO rapportieren zu wollen,
obschon die Stelle beim CFO angehängt ist, oder ob er primär die Rechtsberatung
des Managements am Hauptsitz im Auge hat, obschon die Stelle zur Unterstüt-
zung des operativen Tagesgeschäfts geschaffen wurde, oder ob sich jemand als
M&A-Spezialist bewirbt, obschon das Unternehmen in seiner Strategie ein organi-
sches Wachstum definiert hat und der Kandidat seine fundierten M&A-Kenntnisse
dadurch kaum je nutzbringend wird einsetzen können. Ein juristisch erfahrener
Personalberater klärt solche für die Nachhaltigkeit der Anstellung relevante Ein-
flussfaktoren unaufgefordert ab und vermeidet dadurch unliebsame Überraschun-
gen im ersten Vorstellungsgespräch des Kandidaten beim Unternehmen oder gar
erst nach erfolgter Vertragsunterzeichnung.
Ob ein Unternehmen einen Legal Counsel einstellen soll, ist nicht eine Frage von
Umsatz oder Mitarbeiterzahl, sondern der rechtlichen Risiken, die ein Unterneh-
men im Rahmen seiner geschäftlichen Aktivitäten eingeht. Auch das jährlich benö-
tigte Budget für externe Anwaltskosten kann ein Grund sein, einen eigenen Legal
Counsel einzustellen. Das rechtliche Wissen kann so inskünftig im Unternehmen
aufgebaut und abgerufen werden, statt dieses wiederholt extern einkaufen zu müs-
sen.
Neben der Rechtsberatung und Mitwirkung in Rechtsprojekten gibt es auch
indirekt juristische Themen, deren Bearbeitung nicht selten durch den Legal Coun-
sel erfolgen. Dabei kann es sich um die Evaluation eines gruppenweiten Contract
Management-Systems in Abstimmung mit bestehenden IT-Systemen handeln, die
Sichtung jahrzehntelang gesammelter Geschäftsakten und deren professionelle
Vernichtung, oder als Company Secretary um die technische Modernisierung des
Sitzungsraumes des Verwaltungsrates im Rahmen des vorgegebenen Budgets.
41 Legal Counsel im Unternehmen … 577
Informationen offengelegt, welche zur Klärung der Fragen notwendig sind. Hat
der Kanzleianwalt seine Rechtsanalyse dem Unternehmen übermittelt, erfährt er
vielfach nicht mehr, wie dort auf seine Stellungnahme reagiert wurde und welche
Maßnahmens diese ausgelöst hat.
Diese limitierte Einsicht in Gesamtzusammenhänge ist einer der Gründe, wes-
halb Anwälte nach einiger Zeit in der Kanzlei interessiert sein können, in ein
Unternehmen zu wechseln. Klargestellt ist damit auch, dass die Gesamtverantwor-
tung für ein Rechtsprojekt beim Unternehmen respektive dessen Legal Counsel
verbleibt. Dies übersehen junge Juristen oft, wenn sie vor der Berufswahl stehen.
Ein Kanzleianwalt erhält kaum je die Gelegenheit, ohne die Mitsprache eines Part-
ners eine komplexe Projektleitung übernehmen zu dürfen. Für einen Legal Coun-
sel gehört dies zum täglichen Handwerk.
Die übliche Arbeitsteilung zwischen einem Unternehmen und einer Kanzlei ist
es, sofern nicht einer der Kanzleipartner persönlich involviert wird, dass der von
ihm delegierte Kanzleianwalt vom Legal Counsel oder einer anderen Person aus
diesem Unternehmen instruiert wird. Einen Einblick in das Zusammenspiel der
verschiedenen Funktionen und Bereiche des Unternehmens erhält der Kanzleian-
walt dabei selten bis nie. Diesbezüglich einen Wissensvorsprung haben diejenigen
Kanzleianwälte, welche von ihren Kanzleien in ein Unternehmen entsandt wurden
(sogenanntes „secondment“).
Die weitaus häufigsten Kontaktpersonen eines klassischen Kanzleianwaltes in
den ersten Berufsjahren sind die ihm vorstehenden Kanzleipartner, seine Anwalts-
kollegen sowie Mitarbeitende aus dem administrativen Bereich. Diese drei Funk-
tionen stehen zueinander in der Regel in einem hierarchisch klar gegliederten
Weisungs- und Unterstellungsverhältnis. Rechtsdienste in Unternehmen in der
Schweiz sind zwar auch hierarchisch gegliedert, pflegen jedoch üblicherweise
einen bewusst kameradschaftlichen Umgang über die Führungsstufen hinweg. Der
gemeinschaftliche Hauptzweck des Rechtsdienstes ist die prompte und adäquate
interne Rechtsberatung, während in der Kanzlei der erwirtschaftete Umsatz pro
Anwalt die interne Stellung und das Ansehen maßgeblich beeinflussen.
Kanzleianwälte ohne Vorkenntnisse aus Unternehmen müssen zahlreiche Erfah-
rungswerte nach einem Wechsel in ein Unternehmen zuerst on-the-job sammeln
und verinnerlichen. Ist der vormalige Kanzleianwalt in dieser ausgeprägten Lern-
phase gleichzeitig der erste Legal Counsel im Unternehmen, kann er sich nicht
ersatzweise auf die Berufserfahrung weiterer Legal Counsels im Unternehmen
abstützen. Er wird in unternehmenstypischen Situationen aus dem Bauch her-
aus reagieren müssen statt erfahrungsbasiert agieren zu können. Das mit diesem
Erfahrungsdefizit verbundene Risiko für intern ungeschicktes Verhalten gegenüber
Mitarbeitenden und suboptimale Rechtsberatung trägt das Unternehmen. In der
Regel bleibt dies im Unternehmen unerkannt, weil insbesondere beim ersten Legal
Counsel die Erfahrungswerte intern fehlen, was von ihm vom ersten Arbeitstag an
tatsächlich erwartet werden kann und soll.
Eine von den Auswirkungen her oft unterschätzte, aber sehr wichtige Aufgabe des
ersten Legal Counsels ist es, durch seine Art, wie er Mitarbeitenden im Unterneh-
men begegnet, Goodwill und Vertrauen für die interne Rechtsberatung zu schaffen.
41 Legal Counsel im Unternehmen … 579
Gelingt ihm dies nicht, wird er zunehmend gemieden und bringt so nicht den benö-
tigten Mehrwert für das Unternehmen. Nicht selten wird dann sein Nachfolger einen
von starken Vorurteilen geprägten Einstieg in das Unternehmen erleben. Für eine
rasche und breite interne Akzeptanz ist es daher ein maßgeblicher Vorteil, wenn der
erste Legal Counsel fundierte Unternehmenserfahrung bereits einbringt. Auf Juristen
spezialisierte Personalberater werden keine Mühe haben, veränderungsinteressierte,
lokal ansässige Unternehmensjuristen jederzeit präsentieren zu können.
Bei der Definition des Anforderungsprofils gilt es, die Strategie des Unterneh-
mens so herunterzubrechen, dass sich daraus die relevanten Fachkenntnisse für
den zukünftigen Legal Counsel ergeben. Die zunehmende Spezialisierung bei den
Juristen führt dazu, dass das über Jahre aufgebaute Fachwissen eines M&A-, IP-,
Litigation- oder Competition-Lawyers so unterschiedlich ausfällt wie zwischen
einem Augenarzt, Herzchirurgen, Neurologen oder Rückenspezialisten. Darum
empfiehlt es sich, bei der Ausarbeitung des Anforderungsprofils insbesondere beim
ersten Legal Counsel eine Fachperson mit juristischem Hintergrund beizuziehen,
die dank persönlicher Berufskenntnis die Erfahrung hat, wie eine Unternehmens-
strategie in juristisches Wissen zu übersetzen ist und welche Herausforderungen
zusätzlich auf den ersten Legal Counsel zukommen können.
So stellt es für die Wahl des fachlich geeigneten Legal Counsels einen erhebli-
chen Unterschied dar, ob das Unternehmen beabsichtigt, inskünftig organisch oder
aber mittels gezielter Akquisitionen zu wachsen oder ob man mittels patentrecht-
lich zu schützender Hightech-Produkte oder durch eine Kostenführerschaft im
Commodity-Bereich zusätzliche Marktanteile gewinnen möchte. Jede dieser Aus-
richtungen verlangt nach anderen juristischen Erfahrungswerten in Bezug auf den
zukünftigen Legal Counsel.
Soll darüber hinaus ein mit noch wenig unternehmensjuristischer Erfahrung
ausgerüsteter Legal Counsel ein gruppenweites Compliance-Programm kon-
zipieren, implementieren und schulen, stößt er mangels praktischer Erfahrung
zwangsläufig bald an seine Grenzen. Im Unternehmen wird dieser Zustand vorerst
unbemerkt bleiben. Werden die Probleme bei der Umsetzung aber erst mal offen-
sichtlich, ist für das Unternehmen der Nachteil bereits entstanden.
Erwarten Sie keine Wunder vom Legal Counsel! Ein Unternehmen sollte bei
der Einstellung eines Legal Counsels nicht darauf spekulieren, dass mit dessen
Einstellung die rechtlichen Probleme vom Tisch sind oder der Legal Counsel alle
41 Legal Counsel im Unternehmen … 581
Ein wichtige Vorarbeit beim Erstellen des Anforderungsprofils des ersten Legal
Counsels ist es, potenzielle interne Kunden nach deren Rechtsberatungsbe-
dürfnissen zu befragen. Alle, ob Präsident des Verwaltungsrates, Mitglieder der
Geschäftsleitung und sonstige Verantwortliche aus HR, Finanzen, Einkauf, Ver-
kauf oder Produktion, sollten ihre Erwartungen formulieren dürfen. Denn ihnen
allen soll der Legal Counsel inskünftig als erste Anlaufstelle bei Rechtsfragen die-
nen. Mit dieser Vorgehensweise wird im Unternehmen zudem frühzeitig signali-
siert, dass die Suche nach einem eigenen Legal Counsel begonnen hat. Basierend
auf den eruierten Rechtsbedürfnissen erfolgt schließlich der Feinschliff des Anfor-
derungsprofils in Abstimmung mit der Unternehmensstrategie. Daraus ergeben
sich wiederum die Fachkenntnisse, die ein Legal Counsel beherrschen muss, um
den internen Erwartungen und Bedürfnissen möglichst gerecht werden zu können.
Dabei gilt es bei der Selektion potenzieller Kandidaten stets zu bedenken, dass
Legal Counsels aus den Bereichen Industrie, Dienstleistung und Handel hinsicht-
lich dem Tagesgeschäft grundlegend andere rechtliche Erfahrungen mitbringen
als Legal Counsels aus den Branchen Bank oder Versicherung. Möchte ein Legal
Counsel von der Bank oder Versicherung in eine der drei erstgenannten Bran-
chen und vice versa wechseln, so beginnt er fachspezifisch praktisch bei Null. Ein
solcher Branchenwechsel ist zwar für den Legal Counsel spannend und heraus-
fordernd. Für das Unternehmen bedeutet es, dass es während der Lern- und Einar-
beitungszeit des branchenfremden Legal Counsels nur beschränkten Nutzen aus
dessen bisheriger Berufserfahrung schöpfen kann.
Die Direktsuche durch das Unternehmen macht vor allem dann Sinn, wenn das
Fachwissen intern vorhanden ist, um die juristische Qualität der eingehenden
Bewerbungen beurteilen zu können.
Entscheidet sich ein Unternehmen für die Direktsuche via Inserat, sollte man
sich im Klaren sein, dass eine überwiegende Mehrheit der angestellten Legal
Counsels und Kanzleianwälte loyal zu deren Arbeitgeber steht und dadurch trotz
582 B. Vassella
Kandidaten, welche von Mitarbeitenden des Unternehmens, die selber keine juris-
tische Erfahrung haben, für eine ausgeschriebene Stelle empfohlen werden, sind
41 Legal Counsel im Unternehmen … 583
besonders kritisch auf deren fachliche Qualität zu prüfen. Es steht auch der Ruf
des empfehlenden Mitarbeitenden auf dem Spiel, wenn es später wegen ungenü-
gender Fachkenntnisse zur Trennung von diesem Kandidaten kommt. Auf eine
Stelle fachlich tatsächlich passende Spontanempfehlungen sind nach meiner
Erfahrung ein Glücksfall.
Mehr Erfolg kann die Vermittlung eines unternehmenserfahrenen Juristen durch
die „Hauskanzlei“ des Unternehmens bringen. Diese hat einen konkreten fachli-
chen Bezug zu den Rechtsbedürfnissen des Unternehmens und kann so eine fun-
diertere Vorselektion treffen. Aufgrund der bereits erwähnten vielschichtigen
Herausforderungen an einen Legal Counsel ist eine kritische Prüfung des Kandi-
daten aber auch hier zu empfehlen. Schlägt die „Hauskanzlei“ einen der eigenen
Kanzleianwälte als ersten Legal Counsel im Unternehmen vor, so sei auf die Aus-
führungen zu den Unterschieden zwischen einem Legal Counsel und einem Kanz-
leianwalt hingewiesen. Den dort dargelegten Aspekten sollte bei der Beurteilung
eines solchen Kandidaten besondere Beachtung geschenkt werden.
Der Beizug eines auf Juristen spezialisierten Personalberaters verschafft dem auf-
traggebenden Unternehmen optimale Entlastung bei qualitativ überdurchschnitt-
lichem Suchergebnis. Um dies gewährleisten zu können, befasst sich der wahre
Spezialist täglich mit juristischen Kandidaten und pflegt diese Kontakte auch ohne
einen Kundenauftrag. Allein so kann er sicherstellen, für beinahe jedes juristische
Anforderungsprofil jederzeit mehrere bestens qualifizierte Kandidaten präsentieren
zu können.
Was den auf Juristen spezialisierten Personalberater von anderen Personalbe-
ratern grundsätzlich unterscheidet, ist dessen juristische Ausbildung und seine
Berufserfahrung als vormaliger Jurist idealerweise in Kanzlei und Unternehmen.
Darauf basiert sein maßgeblicher Zusatznutzen für den Auftraggeber, indem er den
Stellenbeschrieb fachlich fundiert erstellen sowie Kandidaten qualitativ verlässlich
vorselektionieren und dem Auftraggeber über das Juristische hinausgehende Ein-
satzmöglichkeiten des Legal Counsels aufzeigen kann.
Der spezialisierte Personalberater findet potenzielle Kandidaten ohne Inserat
dank seiner eingehenden Kenntnis des Juristenmarktes und einer fortlaufend aktu-
alisierten Datenbank. Ein Inserat platziert er allenfalls aus Gründen des Eigenmar-
ketings oder spezifisch auf Kundenwunsch hin.
Mit dem Beizug von Personalberatern ist das Problem gelöst, dass Kandida-
ten deren Namen nicht direkt dem eigentlichen Auftraggeber offenlegen müssen.
Darüber hinaus kann der auf Juristen spezialisierte Personalberater vermeintlich
nebensächliche Aspekte einer Legal-Position dank seiner Erfahrung gleich beim
ersten Kontakt mit einem Interessenten klären. So erkennt er rasch, ob tatsächlich
eine Veränderungsbereitschaft besteht, ohne den Namen des Unternehmens offen-
gelegt zu haben. Dieses Herantasten an einen Kandidaten schützt auch die Vertrau-
lichkeit und Reputation des Auftraggebers.
41 Legal Counsel im Unternehmen … 585
Den wohl wichtigsten Beitrag für seinen Auftraggeber leistet der auf Juristen
spezialisierte Personalberater, indem er die fachliche Qualifikation jedes Bewer-
bers eingehend abklärt, bevor er dessen Dossier an den Auftraggeber weiterreicht.
Seine Erkenntnisse hält er in einem Report fest, dessen inhaltliche Qualität es dem
Auftraggeber erlaubt, innert kürzester Zeit sämtliche Bewerbungsdossiers verglei-
chen und entscheiden zu können, welchen der Kandidaten er zuerst kennenlernen
möchte. Durch die fundierte Vorarbeit des Spezialisten verschafft sich der Auftrag-
geber zudem mehr Zeit im ersten persönlichen Interview mit dem Kandidaten, um
nebst fachlichen auch zwischenmenschliche und unternehmenskulturelle Aspekte
in Ruhe erörtern zu können.
Der auf Juristen spezialisierte Personalberater kann zur Überbrückung einer
temporären juristischen Vakanz oder eines kurzfristigen Ressourcen-Engpasses
in der Regel auch erfahrene Interim-Legal & Compliance Counsels präsentie-
ren. Dabei sollte jedoch beachtet werden, dass der betreffende Personalberater
oder die sich direkt anbietenden Interim-Counsels über alle hierzu erforderlichen
Verleih-Bewilligungen verfügen. So muss etwa in der Schweiz eine sehr hohe
Verleih-Kaution zur vorsorglichen Absicherung sozialversicherungsrechtlicher
Ansprüche bei den kantonalen Behörden hinterlegt sein. Ansonsten riskiert der
Auftraggeber, später hierfür noch Nachzahlungen leisten zu müssen, wenn der
Interim-Counsel die Zahlung der Sozialabgaben unterlassen hatte.
Als Auftraggeber empfiehlt es sich, ebenfalls zu klären, ob der beauftragte
Personalberater alleine agiert oder zusätzlich in ein auf Legal & Compliance
Recruitment spezialisiertes Netzwerk eingebunden ist. In letzterem Fall kann der
vernetzte Personalberater bei Bedarf rasch qualifizierte Kandidaten auch aus dem
Ausland für eine lokale Stelle präsentieren. Muss das Unternehmen eine juristi-
sche Stelle im Ausland besetzen, kann derselbe Personalberater über sein professi-
onelles Netzwerk die juristische Rekrutierung im Ausland koordinieren. In beiden
Fällen spart sich das Unternehmen maßgeblich Zeit und Aufwand, weil es die Ins-
truktion der Beteiligten und die Überwachung der Rekrutierung auch im Ausland
nun seinem mit dem Unternehmen bereits vertrauten lokalen Personalberater über-
lassen kann.
Der auf Juristen spezialisierte Personalberater kann alle zur Besetzung eines
Rechtsdienstes notwendigen Fachpositionen vom General Counsel bis zum Para-
legal aus einer einzigen Hand und mit der notwendigen juristischen Fachkenntnis
rekrutieren und bietet dadurch einen klaren Mehrwert.
Unternehmen ist nie auszuschließen, kann aber insbesondere auf Seite des Unter-
nehmens durch vorbeugende Maßnahmen reduziert werden.
Bereits im ersten Interview mit Kandidaten für die Legal Counsel Position
sollten die Grundwerte des Unternehmens inklusive die Erwartungen an das Ver-
halten der Mitarbeitenden in Sachen Compliance klar zum Ausdruck gebracht
werden. Idealerweise gehören diese Ausführungen zum festen Bestandteil der vom
HR betreuten Themen. Dazu gehört auch, basierend auf vorbereiteten Complian-
ce-Musterfällen, die Beurteilung der persönlichen Einstellung eines Kandidaten
in solchen Situationen sowie dessen konkreten Verhaltensempfehlungen. Dieser
Check ist umso bedeutsamer, als Geschäftsleitung und Mitarbeitende später in
compliance-kritischen Situationen erfahrungsgemäss den Legal Counsel um Rat
angehen werden. Er wird maßgeblichen Einfluss auf das interne Verhalten haben
und muss daher klar auf einer Linie mit den Vorgaben im Unternehmen sein.
Ebenso sollten im ersten Interview die internen Erwartungen insbesondere
an den ersten Legal Counsel sowie allfällige kritische Voten oder gar Vorbehalte
gegen die Anstellung eines Legal Counsels offen dargelegt werden. Kandidaten,
welche sich von solch kritischen Stimmen nicht sichtlich positiv herausgefordert
fühlen, sind erfahrungsgemäss keine „Aufbau-Typen“ und nur beschränkt für eine
solche Position geeignet.
Alleine mit diesen wenigen Maßnahmen kann das HR einen wesentlichen Bei-
trag für eine nachhaltige Anstellung leisten. Der vorzeitige Abgang insbesondere
des ersten Legal Counsels hinterlässt im Unternehmen vielfach einen schalen Bei-
geschmack und den Eindruck, dass es schwierig sei, einen Juristen zu integrieren.
Wird später erneut ein Legal Counsel angestellt, so muss dieser nebst der Bewäl-
tigung der aufgelaufenen juristischen Arbeiten auch noch gegen diese Vorurteile
ankämpfen. Dies kann eine rasche und erfolgreiche Integration spürbar verzögern.
Wenn nicht bereits erfolgt, sollten spätestens zu diesem Zeitpunkt die Mitglieder
der Geschäftsleitung den Mehrwert eines eigenen Legal Counsels in deren Berei-
chen klar kommunizieren und die Mitarbeitenden zur wohlwollenden Kooperation
mit dem neuen Legal Counsel auffordern.
Wurden die Grundwerte und Prinzipien des Unternehmens oder das Verhalten
in heiklen Situationen mit dem Kandidaten nicht im Rekrutierungsprozess ein-
gehend besprochen, so sollte dies spätestens zu Beginn der Probezeit nachgeholt
werden. Beispielsweise muss sich ein Legal Counsel vor der erstmaligen internen
Beratung eines Verkaufsvertrages schon im Klaren sein, wie umfassend Haftungs-
risiken übernommen werden dürfen, ohne gegen interne Vorgaben zu verstoßen.
Diese Risikovorgaben hat er im entsprechenden Verkaufsvertrag auch gegen all-
fällige Widerstände aus den eigenen Reihen sicherzustellen. Kennt er solche
Vorgaben des Unternehmens hingegen nicht, wird die Formulierung der Haftungs-
klauseln von seiner persönlichen Risikobereitschaft abhängen, die weit über das
hinausgehen kann, was die Geschäftsleitung zu akzeptieren bereit gewesen wäre.
Weitere vorsorgliche Maßnahmen des HR für eine nachhaltige Integration des
ersten Legal Counsels im Unternehmen können sein: Das Einholen eines Straf-
und Betreibungsregisterauszuges, das Arrangieren eines Gesprächs des Kandidaten
41 Legal Counsel im Unternehmen … 587
mit dem Vorgesetzten des Vorgesetzten für diese Position, das direkte Einholen
von Referenzauskünften bei Drittpersonen, aber auch die gezielte Durchsicht der
Arbeitszeugnisse nach seltsamen Formulierungen und auffälligen Stellenwechseln.
In den ersten Monaten der Anstellung besteht für den Legal Counsel eine der
Herausforderungen darin, unterscheiden zu lernen, welche der ihm übertragenen
Aufgaben tatsächlich in seinen Verantwortungsbereich fallen und welche Arbeiten
an ihn in der stillen Hoffnung delegiert werden, dass er sich als Neuling nicht dage-
gen wehre, obschon es nicht seine Aufgabe wäre. Dabei kann es sich beispiels-
weise um den von einem Verkäufer seit Wochen unbearbeiteten Auftrag handeln,
alle original unterzeichneten Verkaufsverträge einer bestimmten Region zusam-
menzustellen. Weil die Abgabefrist unmittelbar bevorsteht, delegiert der Verkäufer
kurzerhand den Auftrag an den neuen Legal Counsel. Als Grund gibt er an, weil
es sich um Verträge handle, sei dies eine Aufgabe der Rechtsabteilung. In solchen
Situationen muss ein Legal Counsel mit sicherem Gefühl entscheiden können, ob
er den Auftrag annimmt oder an den betreffenden Verkäufer zurückweist.
Daher ist es wichtig, dass ein Vorgesetzter besonders in der Probezeit und in
den Wochen danach regelmäßig mit dem Legal Counsel dessen Aufträge und Mit-
arbeit in Projekten bespricht und sich die gesetzten Prioritäten begründen lässt.
Er sollte dem Legal Counsel aufgrund seiner Kenntnisse der Gegebenheiten im
Unternehmen helfen, Wichtiges von Unwichtigem und Dringliches von weniger
Dringlichem unterscheiden zu können. Dazu gehört auch, beim Legal Counsel ein
Gefühl dafür zu entwickeln, wann dieser zu einem Auftrag Nein sagen darf oder
sogar muss.
Der Sparringaufwand des Vorgesetzten fällt deutlich geringer aus, wenn der
neue Legal Counsel bereits über Berufserfahrung aus einem Unternehmen verfügt
und daher weiss, wie ein solches funktioniert.
588 B. Vassella
Für die rasche und erfolgreiche Integration des ersten Legal Counsels im Unter-
nehmen ist ein durchdachter Einführungsplan von zentraler Bedeutung. Dieser
sollte zwischen dem Vorgesetzten des Legal Counsels sowie dem HR abgespro-
chen sein. Als besonders effektiv erwiesen hat es sich, wenn der Vorgesetzte sei-
nen Legal Counsel persönlich zu den Schlüsselpersonen begleitet und diese
miteinander bekannt macht. Idealerweise geschieht dies in den ersten zwei
Wochen nach Arbeitsantritt.
Es klingt belanglos, aber ein vorbereiteter Arbeitsplatz mit Schreibutensilien,
funktionierender Telefonnummer, einem angeschlossenen Computer, richtiger
Passwortzuteilung sowie Visitenkarten mit der korrekten Funktionsbezeichnung
schaffen enorm Goodwill. Denn eigentlich wünscht sich der Legal Counsel ja
nichts anderes, als raschmöglichst mit seiner Arbeit beginnen zu können.
Erhält ein Legal Counsel schon kurz nach seiner Einstellung rechtliche Anfragen
aus den Geschäftsbereichen und wird als Rechtsberater in deren Projekte einge-
bunden, dann ist dies ein gutes Zeichen dafür, dass er es schafft, das Vertrauen der
Mitarbeitenden für sich zu gewinnen. Es bedeutet aber auch, dass Mitarbeitende
von eigenen, oft zeitraubenden Rechtsabklärungen nunmehr entlastet sind und
wieder mehr Zeit für deren eigentliche Kernaufgaben haben. Ein wichtiger Mehr-
wert ist so für das Unternehmen bereits erzielt. Und wer weiss, vielleicht wird
gelegentlich noch ein zweiter Legal Counsel eingestellt. Spätestens dann darf der
erste Legal Counsel mit gutem Gewissen behaupten, dass sein Unternehmen den
Mehrwert eines eigenen Legal Counsels erkannt hat.
B. Mascello (*)
Executive School of Management, Technology and Law, Universität St.Gallen HSG,
St.Gallen, Schweiz
E-Mail: bruno.mascello@unisg.ch
Martin Luther wird folgendes Zitat zugeschrieben: „Der Jurist, der nicht mehr
ist als ein Jurist, ist ein arm Ding.“ Daran anknüpfend soll hier untersucht wer-
den, welche Erwartungen ein Kunde heute an einen Legal Counsel und General
Counsel stellt und welche neuen Entwicklungsmöglichkeiten für den Juristen
damit verbunden sind. Um als Legal Counsel bzw. General Counsel die an eine
interne Rechtsabteilung gestellten Erwartungen erfolgreich und zur Zufrieden-
heit des internen Kunden erfüllen zu können, reicht es nicht mehr aus, sich auf
die bloße Beantwortung rechtlicher Fragestellungen aus fachlich-juristischer Sicht
zu beschränken. Denn der Legal Counsel ist gleichzeitig immer beides: juristi-
scher Berater und Mitglied eines business teams. Und insbesondere in der zweiten
Rolle sind andere als rein juristische Fähigkeiten gefragt. Die Problemstellungen
des Kunden sind heute überdies nicht nur vielfältiger, sondern auch internationa-
ler, komplexer und differenzierter geworden, und die juristischen Berater müssen
sich dieser Dynamik anpassen. Die wechselnden Einflüsse bei den Kunden sind in
ihrer täglichen Beratung mit zu berücksichtigen. Schließlich wird zusehends lauter
gefordert, dass die Rechtsabteilungen vermehrt auch unter betriebswirtschaftlichen
und operativen Gesichtspunkten richtig geführt werden und ihren Beitrag an die
Effizienzsteigerung des gesamten Unternehmens leisten müssen.
Die steigende Komplexität und Verquickung von wirtschaftlichen mit recht
lichen Fragestellungen führt dazu, dass an die Rechtsberater höhere Erwartungen
gestellt werden. Eine wirkungsvolle Beratung kann nur derjenige Jurist erbringen,
der die wirtschaftlichen Unternehmenszusammenhänge kennt, diese in den recht-
lichen Kontext zu setzen weiß und auf diese Weise dem Kunden eine Nutzen
stiftende und wertschöpfende Dienstleistung erbringt. Dies erfordert neben der
juristischen Expertise auch zunehmend betriebs- und volkswirtschaftliches Know-
how, vor allem jedoch die Fähigkeit, wirtschaftliche und juristische Sachverhalte
und Problemstellungen integrativ zu betrachten und effizient zu managen. Hierzu
gehört auch der Anspruch, die eigene Leistung in Form von Zahlen, zum Beispiel
key performance indicators (siehe dazu auch Kap. 40), ausdrücken zu können. Der
Legal Counsel wird im Unternehmen neben seiner fachlichen Beratung in Rechts-
fragen zunehmend auch als Manager gefragt.2 Überdies wird dem General Coun-
sel vermehrt auch „ein Platz am Tisch“ der Geschäftsführung angeboten und er
muss seine Leistungen dem Verwaltungs- und Aufsichtsrat – unter Berücksichti-
gung der Unternehmensstrategie – präsentieren können.3 Entsprechend hat sich
das Anforderungsprofil an Legal Counsel und General Counsel verändert. Dieses
verlangt nicht nur nach Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an Veränderungen,
sondern eröffnet insbesondere auch neue Chancen und Karrieremöglichkeiten.
Schaut man sich den klassischen Aus- und Weiterbildungsweg eines Anwalts „mit
voller Kriegsbemalung“4 an, folgt dieser wie in Abb. 42.1 dargestellt, regelmäßig
eindimensional der fachlich-juristischen Achse.
Nach einer universitären Basisausbildung (Bachelor/Master; in Deutschland
1. Staatsexamen) wird oft – in der Regel nach Absolvierung einer Praktikumszeit
bei Gerichten, in der Verwaltung und/oder in einer Anwaltskanzlei – die Zulassung
als Anwalt (in Deutschland 2. Staatsexamen) angestrebt. In akademischer Hinsicht
folgt, sofern dies nicht bereits vorher gemacht wurde, oft noch eine Promotion
und/oder ein Masterstudium im Ausland (Master of Laws, LL.M.). Das Erforder-
nis und der Wert von Letzterem werden insbesondere angesichts der damit verbun-
denen hohen Kosten regelmäßig diskutiert. Ist dieses ganze Programm absolviert,
folgen anschließend fachliche Weiterbildungen auf Kongressen und Seminaren
sowie Spezialisierungen in einem juristischen Fachbereich. In Ausnahmefällen fin-
det zum Beispiel eine Vertiefung als Steuer- oder Wirtschaftsexperte statt. Einen
Glücksfall bezüglich der breiteren Ausbildung stellen all jene „spätberufenen“
Juristen dar, die das Studium der Rechtswissenschaften erst nach Ablegen eines
anderen Erststudiums (zum Beispiel als Ingenieur oder Mediziner) angehängt
haben.
Dieser klassische Aus- und Weiterbildungsweg für Juristen wird von den Kun-
den immer mehr herausgefordert, weil er den künftigen Rechtsanwalt oder Legal
Counsel nicht optimal auf den Verkehr mit Mandanten und internen Kunden (vor
allem auf Vorstandsniveau) vorbereitet. Zudem kommen in der Regel wichtige
4Dazu zählen ein juristisches Studium mit erstklassigem Abschluss (Prädikat), die Zulassung als
Anwalt (in Deutschland: zweites Staatsexamen), die Promotion und ein juristischer Masterab-
schluss an einer angelsächsischen Universität.
592 B. Mascello
Fragt man heute Klienten und Kunden, die Rechtsdienstleistungen bei Anwälten
und anderen juristischen Dienstleistern einkaufen, was sie von diesen erwarten,
erscheinen regelmäßig betriebswirtschaftliche und Branchenkenntnisse im Anfor-
derungsprofil. Auf die Frage an General Counsel in Deutschland, welche Rolle
ihre Rechtsabteilung im Unternehmen einnimmt, wurde unter anderem geantwor-
tet, dass Legal Counsels allgemeine Problemlöser jenseits juristisch-fachlicher
Aufgaben sein müssen und laufend höhere Anforderungen an ihre wirtschaftlichen
Qualifikationen gestellt werden.5
Auf die Frage, welche Maßnahmen die externen Kanzleien ergreifen soll-
ten, um die Qualität der Zusammenarbeit mit den Rechtsabteilungen zu stärken,
nannten die General Counsel bereits an zweiter und dritter Stelle (nach der nicht
überraschenden Nennung der Kostenreduzierung) die „Verbesserung des Bran-
chen-Know-hows, wirtschaftlich und juristisch“ und ein „besseres Verständnis
der wirtschaftlichen Anforderungen“.6 Das hat zur Folge, dass sich Juristen über
die ursprünglich eindimensionale Konzentration auf juristisch-fachliche Kennt-
nisse auch in anderen Bereichen aus- und weiterbilden müssen, wenn sie den
heutigen Kundenanforderungen genügen wollen. Gefordert wird deshalb eine
Wissenserweiterung in die Breite, wie sie in Abb. 42.2 durch die „T-Form“ abge-
bildet wird.
Diesem Kundenwunsch haben sich einige Universitäten bereits angenommen.7
Auch einige der größten Anwaltskanzleien sind dem Ruf gefolgt und bilden vor
allem ihre jungen Anwälte systematisch in nicht-juristischen Fächern wie Betriebs-
wirtschaft (BWL) und Volkswirtschaft (VWL) weiter. Darüber hinaus wird ein
Schwerpunkt auf die Verbesserung von Soft Skills gelegt, was diesen vor allem bei
Verhandlungen und im Kundenkontakt, respektive bei der Mandatsarbeit Nutzen
terbildungslehrgang „Management for the Legal Profession (MLP-HSG)“ an, in welchem Fra-
gen in den Bereichen Strategie, Kundenorientierung, Leadership, Geschäftsmodelle, Legal Risk
Management, Soft Skills, Accounting und Finance – mit Blick auf Rechtsdienstleister – behan-
delt werden (vgl. www.lam.unisg.ch/mlp. Besucht 10. Mai 2017).
42 Legal Counsel im Unternehmen: Entwicklungsmöglichkeiten und Karriere 593
stiften soll.8 Darüber hinaus wäre es meines Erachtens auch wichtig, die Fähigkei-
ten als Projektmanager zu verbessern. Ferner sollten die nicht mehr ganz jungen
Anwälte nicht nur im Umgang mit neuen Management- und Führungsmethoden,
sondern auch im Umgang mit neuen Technologien geschult werden. All diese
Anstrengungen streben insbesondere das Ziel an, die Kunden und deren Probleme
aus nicht-juristischer Sicht besser kennenzulernen (know your customer) und damit
die Leistungen als Rechtsberater kunden- und lösungsorientierter (sprich: mehr
„auf den Punkt“) erbringen zu können. Von Legal Counsels in Rechtsdiensten eines
Unternehmens darf erwartet werden, dass sie diesen breiteren Anforderungen schnel-
ler genügen werden, weil sie aufgrund ihrer regelmäßigeren und größeren Integra-
tion in die internen Prozesse und Teams ihrer internen Kunden die Notwendigkeit
nicht-juristischer Kenntnisse schneller erfahren werden und umsetzen müssen.
In einer Umfrage bei General Counsel der größten deutschen Unternehmen gaben
56 % der Befragten an, dass die Aufstiegschancen der Legal Counsels innerhalb
8In der Schweiz kann zum Beispiel die Anwaltskanzlei Bär & Karrer genannt werden, die für alle
Associates in Zusammenarbeit mit der Universität St.Gallen (HSG) das Bär & Karrer College
(BKC) betreibt. In diesem werden insbesondere betriebs- und volkswirtschaftliche Kenntnissen
und Soft Skills vermittelt und diese Ausbildung mit einem universitären Diplom abgeschlossen
(www.baerkarrer.ch/recruiting/br-und-karrer-college.html. Besucht 6. April 2016). In Deutsch-
land hat zum Beispiel Hengeler Mueller dasselbe Ziel mit ihrer HM Akademie St.Gallen umge-
setzt (www.hengeler.com/karriere/hm-akademie-st-gallen. Besucht 6. April 2016). Freshfields
Bruckhaus Deringer führt jedes Jahr eine Summer School in Management mit demselben Zweck
durch (www.freshfields.com/de/germany/Step_Into_The_Circle/Smart_learning_and_develop-
ment. Besucht 12. April 2016). Linklaters haben die Linklaters Law & Business School gegrün-
det (www.linklaters.com/Careers/JoinAsTrainee/Pages/DevelopmentAndTraining.aspx. Besucht
12. April 2016) und ermöglichen ihren Managing Associates, ein Executive MBA-Programm an
einer der führenden Business Schools im deutschsprachigen Raum zu absolvieren (http://career.
linklaters.de/karriere-bei-linklaters/careerhouse.html. Besucht 12. April 2016).
594 B. Mascello
Abb. 42.3 Entwicklungsquadranten
und außerhalb der Rechtsabteilung nicht identisch sind mit jenen der Fachabtei-
lungen.9 Es lohnt sich deshalb an dieser Stelle der Frage nachzugehen, welches
denn mögliche Karrierewege sein könnten.
Für einen Legal Counsel bestehen vielfältige Möglichkeiten, um seine Karriere
in verschiedene Richtungen zu entwickeln, vorausgesetzt, das Unternehmen kennt
und fördert die vertikale und horizontale Durchlässigkeit. Dabei können der Ein-
fachheit halber, wie aus Abb. 42.3 ersichtlich, grundsätzlich zwei Kriterien zur
Positionierung der Entwicklungsmöglichkeiten dienen:
Sieht man einmal von einer Karriere als reiner Fachspezialist ohne Führungsver-
antwortung ab, stellt man wie in Abb. 42.4 dargestellt fest, dass das Anforderungs-
profil mit zunehmender Erfahrung und Verantwortung wechselt.
Aktuelle Rechtskenntnisse haben nicht mehr den gleichen Stellenwert und es
werden stattdessen vermehrt Managementfähigkeiten verlangt. In jedem Fall – das
gilt auch für Spezialisten – sind gereifte und stärkere Persönlichkeiten gefragt.
Diese Eigenschaften können mit entsprechenden Weiterbildungen und im prakti-
schen Einsatz an der Front auch noch nachträglich erworben und anschließend im
Tagesgeschäft weiter ausgebaut und verfeinert werden. Für Legal Counsels beste-
hen jedoch auch weitere Möglichkeiten zur breiten beruflichen Weiterentwicklung.
Diese werden in Abb. 42.5 übersichtlich dargestellt und nachfolgend im Detail
weiter untersucht (Abb. 42.6, 42.7, 42.8, 42.9 und 42.10).
Rechtsdiensten eine spezialisierte Fachkarriere ermöglicht, bei der zum Teil auch
eine fachliche Führungsverantwortung eine Rolle spielen kann. In jedem Fall bilden
auf beiden Karrierepfaden sowohl Aus- und Weiterbildung als auch Erfahrung zent-
rale Säulen für den Erfolg.
Je nach Organisation der Unternehmung sind weitere Matrix-, beziehungsweise
Querschnittrollen denkbar: Ist eine Rechtsabteilung nach Fachgruppen organisiert,
hilft die Bereitschaft und Möglichkeit zur Durchlässigkeit zwischen den einzelnen
Fachgruppen, die breit interessierten Mitarbeitenden durch Wechsel motiviert zu
halten (Job Enrichment). Ferner können regelmäßige Wechsel in den Teams (Job
Rotation) auch dazu dienen, Abhängigkeiten von einzelnen Personen zu reduzie-
ren. Solche Karrierewege mit wechselnden Herausforderungen sind deshalb vor
allem für geeignete, flexible und neugierige Generalisten interessant, die später
gerne eine Management-Karriere anstreben.
Wenn ein internationales Unternehmen ausländische Tochtergesellschaften
mit eigenen lokalen Rechtsabteilungen besitzt, kann geeigneten Mitarbeitenden
zusätzlich eine Tätigkeit im Ausland angeboten werden. Bedingung hierfür sind
unter anderem das Interesse an einer Karriere als Legal Manager (weniger als
Fachspezialist), die Bereitschaft für einen längeren Auslandaufenthalt, Sprach-
kenntnisse, Flexibilität und ein bestimmter Grad an Führungserfahrung und
598 B. Mascello
Eine erste Tätigkeit in der Rechtsabteilung kann breit interessierten Juristen als
gute Ausgangsbasis dienen, um später zum Beispiel in die Compliance-Abteilung
zu wechseln oder die Rolle eines Sekretärs des Verwaltungsrats zu übernehmen.
In einer Compliance-Abteilung können vergleichbare Stufen wie die bereits oben
für die Rechtsabteilung genannten Stufen absolviert werden: Vom Compliance
Officer, über den Leiter eines Teams, zum Chief Compliance Officer eines Landes,
einer Region oder der ganzen Gruppe (Abb. 42.7).
Sofern ein Legal Counsel zwar den Wunsch verspürt, das ihm bekannte Umfeld
einer Rechtsabteilung und den diesem nahe stehenden Bereich wie zum Beispiel
Compliance oder Corporate Secretary Services zu verlassen, aber (noch) nicht
ganz in einen Geschäftsbereich wechseln will, bieten sich hierfür Stationen zum
Beispiel beim Risikomanagement an. Solche Funktionen haben den Vorteil, dass
sie noch immer zum Kreis der sogenannten Assurance-Funktionen zählen, die aus
Sicht des Unternehmens zum Teil vergleichbare Ziele wie die Rechtsabteilung ver-
folgen, und deshalb einem Legal Counsel nicht ganz fremd sind (Abb. 42.8).
Ein Wechsel in den Geschäftsbereich eines Unternehmens (Abb. 42.9, siehe dazu
detailliert Kap. 35), umgangssprachlich auch „in die Linie“ genannt, fällt einem
General Counsel oder Legal Counsel in der Regel leichter als externen Anwälten,
weil Erstere regelmäßig bereits im Tagesgeschäft involviert und als Manager und Pro-
jektleiter gefordert sind. Förderlich für einen Wechsel in die Linie bildet sicher der
Umstand, dass sich die Geschäftsverantwortlichen bereits im Zuge der Tagesarbeit ein
erstes Bild über die Arbeitsweise des interessierten Counsel, seine Fähigkeiten und
seine Persönlichkeit machen konnten. Der an einem Wechsel interessierte Jurist kann
sich somit bei seinem künftigen Vorgesetzten bereits positionieren und von seiner bes-
ten Seite zeigen. Deshalb betrachtet die Linie die Rechtsabteilung manchmal sogar
42 Legal Counsel im Unternehmen: Entwicklungsmöglichkeiten und Karriere 599
als eigentlichen Inkubator, in welchem die künftigen Talente vom Markt zunächst
aufgenommen und weiterentwickelt werden, bevor sie für das Unternehmen in die
Linie übernommen und erfolgversprechend weiter eingesetzt werden.10
Ein solcher nicht-juristischer Karriereweg und die entsprechenden Entwick-
lungsmöglichkeiten hängen aber nicht nur von den Voraussetzungen und Fähigkei-
ten des einzelnen Kandidaten ab, sondern auch von der Größe des Unternehmens,
von der Verfügbarkeit geeigneter Vakanzen und nicht zuletzt von der gelebten
Durchlässigkeit zwischen den Bereichen und Funktionen. Beim interessier-
ten Juristen werden nicht nur der Wille für eine Tätigkeit im nicht-juristischen
Bereich, sondern auch Wirtschaftskenntnisse vorausgesetzt. Eine entsprechende
betriebswirtschaftliche Zusatzausbildung wie zum Beispiel ein Master of Business
Administration (MBA) oder ein Executive MBA sind für diese neue Tätigkeit des-
halb sicher von Vorteil.
Will ein Legal Counsel den juristischen Pfad verlassen und eine Alternativkar-
riere in der Linie anstreben, und zeigt er überdies Interesse und das Gespür für
operative Aufgaben, bietet sich als Zwischenschritt an – sofern es die Größe der
Rechtsfunktion zulässt –, eine entsprechende Tätigkeit in der operativen Organisa-
tion des ihm bekannten Umfelds der Rechtsabteilung zu starten (zum Beispiel als
Manager Legal Operations oder als COO Legal).11 Dies bietet den Vorteil, dass ein
Jurist in einem ihm bereits bekannten („geschützten“) Umfeld erste Erfahrungen
mit nicht-juristischen Tätigkeiten sammeln kann, bevor er allenfalls den vollstän-
digen Wechsel in die Linie wagt.
Schließlich besteht für einen General Counsel und Legal Counsel stets auch die
Möglichkeit, das eigene Unternehmen zu verlassen und eine neue Herausforde-
rung in einem anderen Rechtsdienst oder in einer anderen Funktion eines ande-
ren Unternehmens zu suchen. Zudem besteht auch oft die Option, in eine externe
Anwaltskanzlei, in eine öffentliche Behörde oder eine Gerichtsinstanz zu wech-
seln oder sich eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufzubauen (Abb. 42.10).
10Dem Autor ist zum Beispiel der Fall eines externen Anwalts bekannt, der zunächst in die
Rechtsabteilung eines international tätigen Unternehmens als Legal Counsel eintrat und nach
einer zusätzlichen betriebswirtschaftlichen Weiterbildung und zusätzlichen wenigen Jahren in der
Linie schließlich die Leitung einer Tochterunternehmung als Geschäftsführer übernahm. Ferner
gibt es zahlreiche Beispiele von General Counsel, welche die Funktion eine Verwaltungsratsprä-
sidenten übernommen haben.
11Zum operativen Management einer Rechtsabteilung, dem Arbeitsfeld eines COO und die ver-
schiedenen operativen Tätigkeiten vgl. die Ausführungen bei Mascello (2014, S. 29 ff.).
42 Legal Counsel im Unternehmen: Entwicklungsmöglichkeiten und Karriere 601
verstehen (müssen). Wohl ist auch hier ein Wechsel in andere Fachbereiche denk-
bar, aber dies wird nicht so oft wie in Rechtsabteilungen erfolgen. Schließlich sind
auch rein operative Aufgaben nicht regelmäßig und nur isoliert anzutreffen. Diese
werden je nach Größe der Kanzlei oft auf die Partner verteilt und auch der Mana-
ging Partner übt seine Rolle in der Regel nur zeitlich-partiell aus.
Was einem Anwalt in einer Anwaltskanzlei offen steht und bei Abgängen
manchmal auch aktiv unterstützt wird, ist der Wechsel in eine Rechtsabteilung
oder in eine andere Funktion von Unternehmen. Um eine möglichst schnelle Inte-
gration zum Beispiel in die Rechtsabteilung eines Unternehmens zu ermöglichen,
wird empfohlen, sich frühzeitig bei erfahrenen Legal Counsels über das zu erwar-
tete Rollenverständnis zu informieren, weil dies zwischen externen Anwälten und
Legal Counsels durchaus abweichen kann.
In der öffentlichen Verwaltung scheint die horizontale und vertikale Durch-
lässigkeit vermehrt vorhanden zu sein und gelebt zu werden (siehe dazu auch
Kap. 5). Auch hier besteht die Möglichkeit, insbesondere auch von Gerichten
kommend, den Wechsel in die Privatwirtschaft zu finden, insbesondere in Anwalts-
kanzleien. Eine in der Verwaltung erarbeitete Spezialisierung wird für einen Wech-
sel hilfreich und zur späteren Positionierung von Vorteil sein.
Mitarbeitende sollten jedoch nicht darauf warten, ob und bis sie vom Arbeitge-
ber be-, beziehungsweise gefördert und weiterentwickelt werden. Vielmehr gilt es
heute, das Schicksal für das eigene berufliche Fortkommen selbst in die Hand zu
nehmen. Das gilt auch für den Fall, dass man in einem Unternehmen als soge-
nanntes förderungswürdiges Talent qualifiziert und entsprechenden Talentpools
zugeordnet wird. Auch diese Programme ersetzen nicht die Eigeninitiative eines
jeden Einzelnen und die Selbstverantwortung für die eigene berufliche Karriere.
Insbesondere die Pflege von Netzwerken und der persönlichen Beziehungen im
und außerhalb des Unternehmens bleiben weiterhin eine wichtige Aufgabe, welche
jeder für sich verantworten muss.
das Weiterbildungsangebot selber nicht anbieten oder abdecken, können sie auf
externe Dienstleister wie zum Beispiel Universitäten zurückgreifen, welche genü-
gend erprobte Programme anbieten, die hierfür auch direkt berücksichtigt werden
können. Das Ermöglichen von Weiterbildung hat für einen Arbeitgeber zudem den
angenehmen Nebeneffekt, dass er ein solches Angebot als Rekrutierungs- und Bin-
dungsmittel für neue Mitarbeitende nutzen kann. Denn von diesen wird Weiterbil-
dung regelmäßig – erst recht von der gern genannten Generation Y, die bis ins Jahr
2020 bereits die Hälfte der Belegschaft ausmachen wird – als Bereicherung und
Motivationsspritze erachtet.
Literatur
Henning O (2011) Der Rechtsabteilungs-Report 2011/12 (IV. General Counsel Benchmarking
Report), Organisation und Strategie der Rechtsabteilung im Fokus von Qualität und Effizienz.
Recht und Wirtschaft, Frankfurt a. M.
Henning O (2013) Der Rechtsabteilungs-Report 2013/14 (V. General Counsel Benchmarking
Report), Organisation und Strategie der Rechtsabteilung im Fokus von und Effizienz. Recht
und Wirtschaft, Frankfurt a. M.
Henning O (2015) Der Rechtsabteilungs-Report 2015/16 (VI. General Counsel Benchmarking
Report), Organisation und Strategie der Rechtsabteilung im Fokus von und Effizienz. Recht
und Wirtschaft, Frankfurt a. M.
Mascello B (2014) Qualitätsmanagement für Rechtsdienstleister – mit einer Einführung ins ope-
rative Management einer Rechtsabteilung. Schulthess, Zürich
Dr. Bruno Mascello, Rechtsanwalt und Vice Director Executive School HSG,
St.Gallen
Studium der Rechtswissenschaften an der Universität St.Gallen HSG (1995 Dr.
iur. HSG). 1996 Zulassung als Rechtsanwalt und 1999 LL.M. (Master of Laws in
Comparative Jurisprudence) an der New York University School of Law. Zudem
2009 Executive Diploma in Management for the Legal Profession (MLP-HSG)
und 2011 Executive MBA – beides an der Universität St.Gallen HSG. 1992–1993
Wissenschaftlicher Assistent Juristische Fakultät. 1996–2000 Rechtsanwalt in
Wirtschaftskanzlei. 2000–2011 diverse Rollen, u. a. als Chief Operations Officer
(COO) Group Legal und Regional General Counsel Middle East der Zurich Finan-
cial Services. Seit 2012 selbständig als Rechtsanwalt und Berater sowie Vice
Director der Executive School of Management, Technology and Law (ES-HSG) an
der Universität St.Gallen.
Lean Management am Legal
Operations-Arbeitsplatz 43
Marc H. Dieluweit
Dieser Beitrag zeigt auf, wie in Legal Operations noch besser mit den spezi-
fischen Ressourcen am Arbeitsplatz, der IT-Infrastruktur und anderen Sach-
mitteln umgegangen werden kann. Abschn. 43.1 befasst sich dabei mit den
theoretischen Grundlagen von Lean Management, während sich Abschn. 43.2 mit
der grundlegenden Beschreibung erforderlicher Lean Management-Tools befasst.
Abschn. 43.3 gibt schließlich einen exemplarischen Überblick über Veränderungs-
möglichkeiten zu mehr Effektivität/Effizienz und weniger Ressourcenverschwen-
dung in Rechtsabteilungen.
Lean Management wird häufig auch mit den Worten „weniger ist mehr“ umschrie-
ben. Übertragen auf die Rechtsabteilung heißt das nichts anderes als: All jene
Aktivitäten, die aus Sicht unserer Auftraggeber/interner Kunden nicht wertschöp-
fend sind und für die ein externer Kunde nicht bereit wäre zu bezahlen, sollten
aus der Tätigkeit der Rechtsabteilung eliminiert werden. Mithin werden vom
Lean Management all jene Methoden, Denkweisen und Werkzeuge erfasst, wel-
che der Rechtsabteilung eines Unternehmens oder einer Behörde zur Verfügung
stehen, um ihre Prozesse und Ressourcen zu optimieren. Lean Management zielt
folglich darauf ab, eine prozessorientierte Abteilungsführung mit höchstmöglicher
Effizienz sowie eindeutig definierten Abläufen zu gestalten. Verantwortlichkeiten
und Kommunikationswege sollen dabei logisch gestaltet werden, wobei die zwei
bedeutendsten Aspekte des Lean Management-Ansatzes die „Kundenorientie-
rung“ und die „Kostensenkung“ sind. Diese Schwerpunkte können sich sowohl auf
interne als auch auf unternehmensübergreifende Prozesse und Strukturen beziehen.
Bezogen auf die Rechtsabteilung eines Unternehmens geht es mithin darum, sich
hinsichtlich interner Kunden sowie abteilungsbezogener Kosten zu verbessern –
und hier kommen die Ressourcen des Arbeitsplatzes, der IT-Infrastruktur und der
sonstigen Sachmittel der Legal Operations zum Zuge.
Als Weiterentwicklung des von Daniel T. Jones und Daniel Roos geprägten
Begriffes der Lean Production1, liegt das Hauptziel des Lean Management darin,
Verschwendung zu minimieren, Überflüssiges auszuschließen sowie Prozesse und
Ressourcen derart zu optimieren, dass sie perfekt miteinander harmonieren.
Infolge dessen besteht die Aufgabe eines „Lean Management der Rechtsabteilung“
darin, den Fokus auf die abteilungsinternen Abläufe zu legen, die zur Wertschöp-
fung des Gesamtunternehmens beitragen. Auf diese Art und Weise erfolgt eine
Verschlankung – werden wir lean, können sowohl Kosten als auch Zeit einsparen
und dadurch zu mehr Effizienz und Effektivität beitragen. Dabei ist es wichtig,
sich zu vergegenwärtigen, dass der ganze Ansatz seinen Ursprung in der Produk-
tion und Organisation hat und die gesamte Wertschöpfungskette dadurch auf eine
just in time-Effizienz hin optimiert wird.
Daneben fußt Lean Management auf einem weiteren Ansatz: der Personalfüh-
rung und Motivation. Die Führungsphilosophie bezieht Mitarbeiter in die Prozesse
der Verschlankung mit ein und nutzt so die vorhandenen Kompetenzen, zumal die
Arbeitsqualität der Mitarbeiter im Mittelpunkt steht. Schließlich sind nur gute Mit-
arbeiter in der Lage, gute Leistung zu erbringen. Toyota drückte dies etwa so aus:
„Die meisten Automobilhersteller bauen gute Autos. Wir 'bauen' gute Leute und die
bauen gute Autos.“2 Damit ist eine besondere Art und Weise der Integration der Mit-
arbeiter verbunden. Sie werden in Entscheidungen und Veränderungen eingebunden,
wodurch Mitarbeitermotivation gefördert und das Bewusstsein der Mitarbeiter für
Lean Management in allen Bereichen verstärkt wird (siehe dazu auch Kap. 28).
Nicht nur die Mitarbeiter profitieren von einem schlanken Management der
Rechtsabteilung, sondern auch die internen Kunden – und über diese schließlich
auch die externen Unternehmenskunden. Sie dürfen sich auf eine ausgezeichnete
Beratung in kürzester Zeit bei bestem Service verlassen, da auf ihrer Seite zum
Beispiel weniger Zeitverschwendung anfällt. Toyota gilt mit dem Toyota Produc-
tion System (TPS) als Benchmark für Lean Production, also die schlanke Produk-
tion, das schlanke Management. Im Wesentlichen basiert TPS auf:
1Siehe dazu ausführlich das gesamte Buch von Womack et al. (2007).
2Keith (2013, S. 35 ff.).
43 Lean Management am Legal Operations-Arbeitsplatz 607
Bei näherer Betrachtung steckt hinter diesen Kernelementen die kaizen-Idee, das
Ziel der kontinuierlichen Verbesserung. In der Unternehmensphilosophie von
Toyota wird das auch so formuliert: „Wir wollen langfristig als Unternehmen
überleben, indem wir verbessern und weiterentwickeln, wie wir gute Produkte für
den Kunden produzieren.“3 Legen wir diese Aussage zugrunde, so muss das Credo
für die Rechtsabteilung wie folgt lauten: „Wir wollen, dass unsere Rechtsabteilung
langfristige Akzeptanz im Unternehmen erfährt, unsere Existenzberechtigung mit-
hin dauerhaft sichern, indem wir uns stetig verbessern und uns dergestalt weiter-
entwickeln, dass wir für unsere internen Kunden hervorragende Leistungen
erbringen und damit einen entsprechenden Mehrwert generieren.“
US-Amerikaner Mike Rother, der das Buch „Die Kata des Weltmarktführers:
Toyotas Erfolgsmethoden“4 geschrieben hat, beschreibt, kann durchaus eine Ana-
logie zwischen den anzuwendenden Tools des Lean Managements und der „Eis-
berg“-Theorie gezogen werden. Die Lean Management-Tools und Methoden
stellen den sichtbaren Bereich eines Eisbergs dar, während die Philosophie hinter
Lean Management den größeren, unsichtbaren Teil darstellt. Eben jener Teil liegt
unter der Wasseroberfläche. Wenn Sie Lean Management in Ihrer Abteilung ein-
führen, lassen Sie den unsichtbaren Teil des Eisbergs nicht außer Acht und ver-
schieben Sie auch nicht seine Bearbeitung: Es geht darum, aufgeschlossen zu sein.
Bereit zu sein, sich selbst und die Rechtsabteilung sowie die angewandten Verhal-
tensweisen zu hinterfragen, zu überdenken und möglicherweise zu ändern.
Dadurch kann ein grundlegendes Umdenken, gegebenenfalls ein richtiger Kultur-
wandel in den Legal Operations und vielleicht sogar im gesamten Unternehmen
herbeigeführt werden.
„Weniger ist mehr“ bedeutet also, dass es hierbei weniger um die Tools und
Methoden, sondern vielmehr um die dahinterstehende Philosophie und die Einstel-
lung geht, Lean Management in der Rechtsabteilung zu etablieren. Stellen Sie Ihre
Mitarbeitenden dabei in den Mittelpunkt: Diese müssen Sie für ein Überprüfen
und gegebenenfalls Revidieren von Einstellungen und Gewohnheiten gewinnen.
Diese müssen Sie davon überzeugen, die eventuell seit vielen Jahren praktizierten
Verhaltensweisen zu überdenken. Deshalb ist es Ihre Aufgabe als General Coun-
sel, das mindset, das Verhalten Ihrer Mitarbeiter genau festzustellen und zu ana-
lysieren. Es sind neue, flexible und angepasste Verhaltensweisen zu verankern.
Eine große und schwierige Aufgabe, erst recht in einem ständig anspruchsvolleren
Unternehmensalltag. Doch basierend auf neuen Einstellungen dieser Philosophie
und der damit verbundenen Personalführung können aus der Anwendung des Lean
Management mehr Fokussierung auf die Wünsche und Bedürfnisse der Mitarbei-
tenden und interner Kunden, mehr Flexibilisierung sowie eine Steigerung der Pro-
duktivität und des Erfolgs Ihrer Rechtsabteilung einhergehen.
Falls Sie Lean Management einführen möchten, müssen Sie sich bewusst sein,
dass das nur dann funktioniert, wenn Sie beherzigen, Fehler zuzulassen und Pro
bleme sichtbar zu machen, anstatt diese zu vertuschen. Dadurch wird der entschei-
dende Schritt getan, der sowohl Ihr Verhalten wie auch das Ihrer Mitarbeitenden
und gegebenenfalls auch das Ihrer Vorgesetzten verändert. Deshalb sollten Sie Ihre
Vorgesetzten und Mitarbeitenden davon überzeugen, dass es bei einer Umstel-
lung auf Lean Management nicht nur bloß um ein kurzfristiges Managementpro-
jekt handelt, das irgendwann angefangen und irgendwann wieder abgeschlossen
sein wird. Es geht um mehr, es geht um Führung, es geht um die Art des Mitei-
nanders, es geht um Respekt, es geht um Transparenz, es geht um nachhaltigen
Erfolg. Sie sollen sich schließlich auf ständig verändernde Anforderungen in Ihrer
Fachabteilung, in der Geschäftsführung und im Vorstand einstellen, welche den
Veränderungen des Marktes unterliegen, um hierauf schnell, flexibel und effektiv
reagieren zu können. Auf diese Art und Weise sind Sie frei, aus Fehlern zu lernen
und Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen, welche stets als unverrückbar galten.
Sie werden daraus eine Selbstverständlichkeit entwickeln, sich ständig weiterzu-
entwickeln und zu verbessern.
Die jeweiligen Elemente des Lean Management für die Rechtsabteilung leiten sich
aus denen eines Lean Production-Systems ab. Sie stellen sich für die Rechtsabtei-
lung wie folgt dar:
43.2.1 Kundenorientierung
Starten Sie vor Bearbeitung eines neuen Projekts, einer neuen Anfrage, damit,
nachzudenken, was Ihr interner Kunde von Ihrer Abteilung eigentlich genau
erwartet? Was für eine Dienstleistung will er tatsächlich von Ihnen? Für welche
Leistungen werden Sie durch Ihre Kunden beauftragt? Wie können Sie Ihre inter-
nen Kunden mit Ihren üblichen Mitteln und Wegen möglichst zufrieden stellen?
Stellen Sie sich vor, Sie würden direkt für die erbrachte Leistung bezahlt; dann
würde die Frage lauten: Für welche Leistung bezahlt mich mein Kunde? Nut-
zen Sie die Antworten auf diese Fragen als Basis dafür, Ihre Abteilungs- und
Beratungsleistungen genau zu definieren. Nur diejenigen Tätigkeiten, für wel-
che Ihre Kunden auch bereit sind zu bezahlen respektive die für die Erbringung
Ihrer typischen Leistungen erforderlich sind, werden künftig als „wertschöp-
fend“ betrachtet. Alle anderen Tätigkeiten gelten im besten Fall als wertschöp-
fungsunterstützend oder gar als Verschwendung. Diese gilt es zu eliminieren oder
zumindest maßgeblich zu reduzieren. Dem Vorgehen liegen dabei fünf Prinzipien
zugrunde, die Sie beachten sollten:
„Wertschöpfung“ steht bei Lean Management im Fokus, welche das Gegenteil von
Verschwendung darstellt. Die tatsächliche Wertschöpfung im Unternehmen liegt
nach allgemeiner Lean Management-Ansicht jedoch nur bei einem Drittel aller
ausgeführten Tätigkeiten. Deshalb ist die Eliminierung von Verschwendung in den
Fokus zu rücken. Logischerweise steht damit die Steigerung des Anteils der Wert-
schöpfung in der Abteilung an erster Stelle.
„Aus Fehlern wird man klug!“ Auf den ersten Blick hört sich dieses alte Sprichwort
vernünftig an. Indes kann dieser Satz Sie respektive Ihr Unternehmen nicht nur viel
Geld, sondern sogar den guten Ruf kosten. Daher sollten Sie nicht nur aus Fehlern
lernen, sondern sich darauf fokussieren, diese erst gar nicht entstehen zu lassen.
Verfolgen Sie in der Erbringung von Dienstleistungen durch Ihre Rechtsabteilung
das aus der Produktion abgeschaute zero defect-Prinzip. Entwickeln Sie dabei die
Fähigkeit, das aus Fehlern Gelernte auf andere Bereiche in Ihrer Abteilung zu über-
tragen, um ähnlichen Fehlern in Zukunft von Beginn weg vorzubeugen.
43.2.4 Prozessanalyse
Mit einer „Standardisierung“ von Prozessen wird erreicht, dass die anfallende
Arbeit stets in der gleichen Weise durchgeführt wird; unabhängig von den han-
delnden Personen oder der Zeit. Solche Standards sind in vielfältiger Weise
in anderen Fachabteilungen Ihres Unternehmens vorhanden. Hierunter fallen
Arbeitsanweisungen, Arbeitsunterweisungen, Visualisierungen und Aufzeich-
nungsvorlagen. Erfahrungsgemäß gibt es in der Rechtsabteilung relativ wenig
derartig standardisierte Prozessvorgaben, obwohl gerade hier erheblicher Hand-
lungsbedarf bestände. So kann der Prozess zur Erstellung bestimmter Verträge
ebenso standardisiert werden wie der Prozess zu Handelsregisteranmeldungen
oder M&A-Transaktionen. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Zielsetzung in
den Legal Operations dahin gehend definieren, dass die Arbeitseffizienz durch
verschwendungsarme Tätigkeiten und durch die Kontrolle sowie Vermeidung von
Verweilzeiten in den Abläufen erhöht werden soll. Der Prozessstandardisierung
liegen die Grundsätze zugrunde, wonach die Realisierung einer kontinuierlichen
Verbesserung nur durch Standardisierung erfolgen kann. Folglich gibt es keine
Verbesserung ohne Standardisierung.
Sollten Sie nachfolgende Fragen ehrlich mit einem ja beantworten können, so
liegt eine Möglichkeit zur Standardisierung in der Rechtsabteilung vor:
Per Definition liegt ein optimaler „standardisierter Prozess“ nur dann vor, wenn
jede offensichtliche Verschwendung – das kann Wissen und Zeit, aber auch jegli-
che anderen Ressourcen der Rechtsabteilung betreffen – vollständig ausgeschlos-
sen ist, die aufgedeckte Verschwendung auf ein Minimum reduziert wurde und die
Ausführung der entsprechenden Tätigkeit dem derzeit „besten Weg“ entspricht.
43.2.7 Problemlösungsmethoden
• Planen: Wo stehe ich derzeit und mit welcher Priorität gehe ich die Dinge an?
• Umsetzen: Wie setze ich meine Arbeiten und erforderlichen Maßnahmen um?
• Überprüfen: Prüfe ich auch, ob die eingeleiteten Maßnahmen den gewünsch-
ten Erfolg bringen?
43 Lean Management am Legal Operations-Arbeitsplatz 613
• Absichern: Sichere ich den erreichten Zustand ab, nachdem die Ursachen von
Fehlern ausgeschlossen wurden?
Damit die Problemlösung erfolgreich ist, ist eine gemeinsame Teamarbeit erfor-
derlich, um klare Standards zum Problemlösungsprozess zu finden und die jeweili-
gen Prozesskenntnisse sowie die einzuwendenden Methoden zu definieren. Zudem
sind die einzelnen Problemlösungsschritte zu durchlaufen und die Ergebnisse zu
visualisieren respektive bekannt zu machen.
Wie in Abschn. 43.1 beschrieben, ist das Ziel des Lean Management, mehr Über-
sichtlichkeit in die Rechtsabteilung zu bringen, um Fehler zu vermeiden und
dadurch kundenfreundlicher und effizienter zu arbeiten. Durch eine effizientere
Organisation aller abteilungsinternen Prozesse werden nicht nur Ihre tägliche
Arbeit, sondern auch die Ihrer Mitarbeitenden maßgeblich erleichtert. So können
die Geschäftsprozesse der Rechtsabteilung, auf Basis einer teambasierten Metho-
dik und unter Berücksichtigung der in Abschn. 43.2 beschriebenen Werkzeuge,
verbessert werden.
Nachfolgende Beispiele sollen Ihnen weitere Anregung geben, wie Sie die
Struktur und Organisation Ihrer Rechtsabteilung und der Arbeitsabläufe – unter
Berücksichtigung individueller Umstände, des anwaltlichen Berufsrechts sowie
des Datenschutzes – angehen können. Es handelt sich nachfolgend nur um Bei-
spiele, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr sollen Hinweise und
Anregungen gegeben werden, wie die Umsetzung in der Praxis erfolgreich funk-
tionieren kann. Vergegenwärtigen Sie sich dazu zuerst einmal den Alltag in Ihrer
Rechtsabteilung: Sicherlich setzt er sich oftmals auch aus Aktensuche, Telefonter-
ror, Termindruck, Technikstreik, wechselnden Prioritäten und fehlendem Büroma-
terial zusammen. Die Kernelemente möglicher Optimierungen in Ihrer Abteilung
dürften sich wie folgt zusammensetzen:
43.3.1 Tagesstruktur
Sofern Sie nun noch Ihre Tagesstruktur in einzelne Schritte (Prozessabläufe) zer-
legen, werden Sie in der Regel zu folgender groben zeitlichen Gliederung Ihrer
Tagearbeitszeit gelangen:
Stellen Sie sich dabei stets die Frage, ob sich im Vertretungsfall (zum Beispiel bei
Urlaub oder Krankheitsabsenz) eine fremde Person an Ihrem Arbeitsplatz schnell
zurechtfinden würde.
Hinsichtlich der über den ganzen Arbeitstag verteilten „Auszeiten für die Auf-
füllung von Energiereserven“ ist auf jeden Fall zu beachten, dass Ihre abnehmende
Konzentrationsfähigkeit nicht unterschätzt werden sollte. Achten Sie deshalb stets
auf kurze (!) Pausen zwischen zwei Arbeitsvorgängen und auf regelmäßige Mit-
tagspausen mit ausgewogenem Essen. In diesen Pausen ist sicherzustellen, dass
43 Lean Management am Legal Operations-Arbeitsplatz 615
der Telefondienst sichergestellt ist. Das kann durch einen Anrufbeantworter, Ihre
Assistenz oder einen Kollegen erfolgen. Möglicherweise kann es in der Rechtsab-
teilung auch Sinn machen, ein organisiertes Gesundheitsmanagement einzuführen:
Ein solches kann einfach durch die Möglichkeiten leichter Gymnastik, von Atem-
übungen oder auch durch den Einsatz mobiler Physiotherapeuten erfolgen.
Schließlich gilt es, gegen „Ende des Arbeitstages“ zu kontrollieren, ob Sie
Ihren Tagesplan erfüllt haben. Wurden insbesondere alle fristrelevanten Arbeiten
abgeschlossen sowie der Posteingang und der Postausgang bereinigt? Soweit nicht
alles erledigt wurde, ist festzustellen, was noch übrig geblieben ist und zu bestim-
men, wann offene Punkte in Angriff genommen werden. Ferner könnte die Vor-
planung für den nächsten Tag oder die nächste Woche erledigt werden, bevor Sie
das Ende Ihres Arbeitstages erreicht haben und in den wohlverdienten Feierabend
entschwinden. Schließlich könnte auf Ihrer to do-Liste am Freitagnachmittag die
Aufgabe der Datensicherung sowie des Schreibtischaufräumens stehen (Stichwort:
clean desk policy).
An den hier genannten Beispielen zur Tagesstruktur ersehen Sie, dass es unzäh-
lige Möglichkeiten gibt, Prozessabläufe zu definieren, zu optimieren und zu stan-
dardisieren. Sie finden in Ihrem Umfeld neben den hier beschriebenen sicherlich
noch viele weitere Möglichkeiten, um Ihren Arbeitsplatz noch besser zu organisie-
ren und Ihren Arbeitstag dadurch angenehmer und produktiver zu gestalten (siehe
dazu detailliert Kap. 27).
Ähnlich verhält es sich mit dem Termin- und Fristenmanagement als Teilbereich
der Organisation von Legal Operations. Vorab nehmen Sie die aktuellen Prozesse
in diesem Bereich Ihrer Rechtsabteilung auf und fragen sich, wie diese zurzeit
genau ausgestaltet und geregelt sind. Es mag sein, dass ein zentraler Kalender
auf Papier für alle Mitarbeitenden geführt wird. Das hat gewiss den Vorteil, dass
aus der vorgenommenen Dokumentation (weil schriftlich) die jeweilige Person
erkennbar ist, welche den Eintrag vorgenommen hat. Vielleicht nutzen Sie aber
auch eine gemeinsame EDV-Lösung oder eine Anwaltssoftware in der Rechts-
abteilung, bei welcher wiederum die Frage zu beantworten wäre, was bei einem
etwaigen Stromausfall oder dem Auftreten sonstiger technischer Probleme pas-
siert? Eine weitere Möglichkeit könnte darin bestehen, dass Sie einen eigenen,
persönlichen Kalender (elektronisch oder auf Papier) führen. Hierbei stellt sich
dann jedoch die Frage der Synchronisation mit Smartphone, der EDV und dem
zentralen Kalender der anderen Mitarbeitenden. Auch die Fristen selbst lassen sich
nach ihrer Art sinnvoll untergliedern, nämlich danach, ob es sich um gesetzliche
Notfristen handelt, die niemals verlängerbar sind, um richterliche Fristen, die nur
auf Antrag vor Fristablauf veränderbar sind, oder um Fristen zur Stellungnahme
gegenüber der Gegenseite respektive internen Kunden, welche schon aus Kollegia-
litätsgründen zu beachten sind. Auch dieser Punkt lässt sich anhand eines Prozess
ablaufs darstellen, der inhaltlich beispielsweise wie folgt aussehen könnte:
616 M.H. Dieluweit
43.3.3 Vertragsmanagement
Auch hinsichtlich des Vertragsmanagements ist der aktuelle Prozess seriös zu ana-
lysieren und zu prüfen. Möglicherweise ergibt sich, dass bei Ihnen die geschlosse-
nen Verträge dezentral, das heißt in der jeweiligen Abteilung aufbewahrt werden.
Vielleicht werden diese uneinheitlich in einer EDV-Lösung oder aber in Papier-
form aufbewahrt. Teilweise werden die Verträge gegebenenfalls gar nicht gema-
nagt, sodass das Risiko besteht, nicht zu wissen, wie lange die Vertragslaufzeit ist,
welche Haftungsregelungen oder welche Regelungen zum Gewerblichen Rechts-
schutz getroffen wurden. In einem solchen Fall bietet es sich an, ein Dokumen-
tenmanagementsystem einzuführen (siehe dazu detailliert Kap. 52). Eine Vielzahl
von Softwarelösungen werden hierzu angeboten, sodass Sie – gemeinsam mit Ihrer
Einkaufs- und IT-Abteilung – einen konkreten Anforderungskatalog erstellen kön-
nen. Möglicherweise hält Ihre IT für solche Fälle, in denen eine Fachabteilung eine
neue Softwarelösung einführen möchte, ein standardisiertes Anforderungsmuster
bereit. Nachdem Sie sich über das für Sie relevante Leistungsportfolio einig gewor-
den sind, können zielgerichtet Angebote eingeholt und bewertet werden, sodass die
Entscheidung für ein Softwareprodukt sachgerecht getroffen werden kann.
Unabhängig davon, ob Sie ein Vertragsmanagement einführen beziehungsweise
reorganisieren möchten, das zentralisiert oder dezentralisiert eingesetzt werden
soll, bedarf es der Erarbeitung eines konkreten Vertragsprozesses, aus dem sich
der Lebenslauf des Vertrags ergibt. Sie müssen abbilden, welche Abteilungen und
Funktionen (Personen) beratend, vertragsfreigebend oder entscheidend einzubin-
den sind. Basierend auf diesen Feststellungen können Sie sodann eine Berechti-
gungsmatrix erarbeiten, um Ihre Softwarelösung auf Ihre Bedarfe hin erstellen
zu lassen, sodass nur jene Abteilungen – und dort auch nur bestimmte Funktio-
nen (Personen) – lesenden, schreibend ergänzenden oder schreibend ändernden
Zugriff erhalten. Nach erfolgreicher Einführung Ihrer Vertragsmanagement-Soft-
ware sollten Sie einen Zustand erreichen, welcher ein rechtssicheres Vertragsma-
nagement zulässt und somit in erheblichem Maße zur Fehlervermeidung in der
Rechtsabteilung beiträgt. Ab diesem Zeitpunkt werden Sie in der Lage sein, bei
43 Lean Management am Legal Operations-Arbeitsplatz 617
Ihren Verträgen stets all jene Vertragsparameter kontrollieren zu können, die für
Sie wichtig sind und zugleich zu mehr Rechtssicherheit in Ihrem Unternehmen
beitragen.
43.3.4 IT-Infrastruktur
Vielleicht ergibt sich aus Ihrer Leistungsbeschreibung der Bedarf, die bestehende
IT-Infrastruktur zu verändern oder zu erweitern: Beispielsweise erwächst der
Bedarf nach leistungsfähigeren Scannern, Druckern oder Computern oder nach
besseren Softwarelösungen – neben dem zuvor beschriebenen Vertragsmanage-
ment – für Ihre Rechtsabteilung, welche anzuschaffen sind, sodass Sie auch hierzu
sachgerechte Angebote einholen sollten.
Auf die gleiche Art und Weise wie die vorherigen beispielhaften Themen lassen
sich die Prozessschritte für folgende Inhalte ableiten:
Allein die hier aufgeführten Beispiele mögen erste Anregungen und Ideen bieten,
wie Sie sich, Ihre Mitarbeitenden und die gesamte Rechtsabteilung weiter optimie-
ren können. Sie werden bei konsequenter Umsetzung der hier vorgeschlagenen
(und natürlich auch Ihrer eigenen) Ideen nicht nur mehr Zeit auf das Tagesgeschäft
und auf die wirklich wichtigen Dinge verwenden können, sondern auch Ihre beste-
henden Ressourcen schonen. Schließlich führt der Einsatz des Lean Management
und der darauf aufbauenden Optimierung Ihrer Legal Operations dazu, dass die
Rechtsdienstmitarbeiter motivierter am Arbeitsplatz erscheinen und dadurch zu
einer weitergehenden Akzeptanz für Ihre Lean Management-Bemühungen im
Unternehmen beitragen.
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York
Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Meinung der Autorin wieder.
C. Kühne (*)
Frankfurt am Main, Deutschland
1Mit „interdisziplinär“ ist in der Literatur im Zusammenhang mit Wissensmanagement meist nur
die technische Ebene angesprochen, die die IT-Struktur und das Knowledge zusammenbringt.
Hierzu näher unter www.computer.org/csdl/mags/ex/2001/01/x1024.pdf. Besucht 10. Mai 2017.
2Lutter (2014, S. 910).
3So wurde beispielsweise am King’s College in London ein Bereich „interdisciplinary research“
geschaffen und Fachbereiche untereinander vernetzt, mit Blick darauf, dass interdisziplinäres
Agieren für die Zukunft entscheidend ist: www.kcl.ac.uk/innovation/groups/interdisciplinary.
aspx. Besucht 26. November 2016.
44 Knowledge Management in Legal Operations 621
issensbereichen herstellen zu können, ist jedoch, die Zeit zu haben, diese Dinge
W
recherchieren zu können.
Standardisierung von Wissen kann aber auch die systematische Erfassung rele-
vanter Aspekte bedeuten, etwa in Form von Checklisten, die sich in der Pra-
xis bewährt haben. Hilfreich sind weiter vorformulierte Bausteine gleichsam als
Werkzeugkasten für einen Vertrag (Gerichtsstandsklausel oder auch „increa-
sed costs“-Klausel etc.). Einen gewissen Standardisierungsgrad enthalten kom-
primierte Übersichten, respektive Leitfäden zu bestimmten Themen, etwa zum
Ablauf bei einem Unternehmenskauf. Der Charme solcher Vorlagen besteht darin,
dass aktuelle Rechtsentwicklungen direkt in das jeweilige Papier eingepflegt und
verlinkt werden können. Diese Guides stellen schließlich auch eine wertvolle Ori-
entierung für die Newcomer einer Abteilung oder Kollegen dar, die sich schnell
in die Praxis eines neuen Rechtsgebiets einarbeiten müssen. Ist ein solcher Guide
einmal erstellt, nimmt die Aktualisierung wie oben erwähnt nur vergleichsweise
wenig Zeit in Anspruch. Zudem kann ein solcher komprimierter Überblick als
Ausgangsbasis für weitere Wissensprojekte motivieren.
Die Bezeichnung „Wissensmanagement“ wirft die Frage auf, was sich hinter dem
Begriff „Management“ verbirgt.13 Wer Wissen „managen“ will, muss sich Gedan-
ken über eine Erfolg versprechende Struktur machen.14 Das aus der eigenen
8(Deutsches) Aktiengesetz vom 6. September 1965 (BGBl. I S. 1089), das zuletzt durch Artikel 5
des Gesetzes vom 10. Mai 2016 (BGBl. I S. 1142) geändert worden ist (AktG).
9(Deutsches) Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung in der im Bundesgesetz-
blatt Teil III, Gliederungsnummer 4123-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch
Artikel 8 des Gesetzes vom 10. Mai 2016 (BGBl. I S. 1142) geändert worden ist (GmbHG).
10Vgl. Landgericht (LG) München I, Urteil vom 10. Dezember 2013, 5 HKO 1387/10, NZG
2014:345.
11(Deutsches) Kreditwesengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. September 1998
(BGBl. I S. 2776), das zuletzt durch Artikel 3 u. 4 des Gesetzes vom 30. Juni 2016 (BGBl. I
S. 1514) geändert worden ist.
12Vgl. (Deutsches) Gesetz zur Anpassung des nationalen Bankenabwicklungsrechts an den Ein-
14Als Kardinaltugend nennt Schneider (2001, S. 41) das Erfordernis, sich zunächst intensiv mit
„Es ist die Kunst, das Erfahrungswissen in den Köpfen von Mitarbei-
tern für das Unternehmen zu nutzen. Darin biete sich die Möglich-
keit, ältere Mitarbeiter stärker zu motivieren und ihre Erfahrungen
abzuschöpfen.“19
menge.
22ManagerMagazin, 5. Oktober 2015, Der Kollege mein Lehrer, www.manager-magazin.de/
unternehmen/karriere/wissen-teilen-unternehmen-unterstuetzen-lernen-vom-kollegen-a-1054521.
html. Besucht 10. Mai 2017.
44 Knowledge Management in Legal Operations 625
bereits der Weg über regelmäßige Meetings zum Wissensaustausch sehr wirkungs-
voll sein, in denen etwa ein Vormittag ausschließlich der Auswahl des zu teilenden
Wissens im Vordergrund steht. Zu weiteren praktischen und theoretischen Model-
len zum systembasierten Teilen von Wissen kann auch auf das von der Gesellschaft
für Wissensmanagement entwickelte Wissensmanagement-Modell verwiesen
werden.23 Die Gesellschaft für Wissensmanagement bietet auf ihrer Website zudem
Hinweise zu Wikis und Wissensdatenbanken.24
44.2.2.2 Ordnungsstrukturen
Ein kleines Detail mit großer Wirkung ist die Überlegung im Vorfeld, ob die
Sammlung nach dem jeweiligen Dokumententyp (Präsentationen, Aktenvermerke,
Notizen, Verträge etc.) oder besser nach Themen gegliedert werden soll (Aktien-
recht, Wertpapierrecht etc.). Das hört sich zuerst sehr simple an, kann aber schon
zu Beginn der Sammelaktion über Erfolg oder Misserfolg des gesamten Systems
entscheiden. Um zukünftig die Akzeptanz der Datenbank und die Motivation zum
Wissenssammeln nachhaltig zu entwickeln, ist es Erfolg versprechend, im gemein-
samen Kreis darüber zu diskutieren und zu entscheiden, wie die Struktur einer
gemeinsamen Datenbank aussehen soll.
Beispiel
Wenn Sie nach Dokumententypen sammeln, können Sie folgende Unter-
scheidung treffen:
• Vorträge/Präsentationsslides;
• Aktenvermerk/Gutachten;
• Vertragsbeispiele/Musterklauseln;
• Checklisten;
• Best Practices;
• usw.
Die Entscheidung ist sicherlich nicht nur Geschmackssache. Sie richtet sich auch
nach der Thematik. Handelt es sich beispielsweise um ein sehr neues Thema, zu
dem es noch kein oder nur wenig Wissen in der Abteilung gibt, könnte es sich
anbieten, erst einmal nach dem Dokumententyp zu sammeln. Damit erhält man
einen Überblick, was vorhanden ist. In einem späteren zweiten Schritt kann dann
nach einzelnen Themenpunkten beziehungsweise Unterpunkten gegliedert werden.
Besteht dagegen bereits eine umfassende Sammlung, bietet sich die Gliederung
nach Themenpunkten als der von Anfang an geeignete Weg an. Zudem kann es zu
besonders komplexen neuen Regularien hilfreich sein, eine Art internen Kommen-
tar oder Leitfaden zu erstellen, indem man das in der Abteilung vorhandene Wis-
sen jeweils thematisch unter einzelnen gesetzlichen Regelungen einsortiert.
Möglicherweise sind hier sogar Querverweise auf die betreffende Rechtsprechung
oder die Gesetzgebungsentwicklung hilfreich. Ein Beispiel zu einer solchen Struk-
tur ist im Internet bei der „European Banking Authority“ (EBA) zu finden. Die
EBA hat mit ihrem „Interactive Single Rulebook“ diese Systematik durch ein
interaktives Online-Tool zu neuen EU-Regularien im Bankaufsichtsrecht (Capital
Requirement Regulation) beispielhaft vorgemacht.25
Wachsamkeit zahlt sich hier oft aus, wenn man beispielsweise praxisrelevante –
in nächster Zeit anstehende – Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) im
Rahmen der BGH Pressemitteilungen schon vorab verfolgt. Weiter kann auch die
einfache Information über die Rechtskraft eines instanzgerichtlichen Urteils oder
eben dessen mögliche Anhängigkeit in der nächsthöheren Instanz schon hilfreich
sein.
• Mögliche Kriterien für die Auswahl: Wonach am meisten gesucht wird, ist
bei dem mit Wissensmanagement beauftragten Legal Counsel schnell auszuma-
chen. Denn er übernimmt eine zentrale Funktion, indem bei ihm idealerweise
alle Suchanfragen eingehen. So kann er leicht herausfiltern, wo beispielsweise
für ein bestimmtes Dokument oder Muster aktueller Bedarf besteht. Eine wei-
tere Möglichkeit kann darin bestehen, Inhalte oder gute Vertragsvorlagen aus
der Gesamtdokumentation nach abgeschlossenen Transaktionen zu identi-
fizieren und für das Wissensmanagement aufzubereiten (Dokumente näher
beschreiben, gegebenenfalls Besonderheiten hervorheben – wie beispielsweise
spezielle Klauseln etc.). Vorteilhaft ist für diese Tätigkeit, dass der mit dem
Wissensmanagement betraute Legal Counsel über eine langjährige Berufserfah-
rung in Unternehmensrechtdiensten und in der Bearbeitung rechtlicher Sach-
verhalte verfügt.
• Wissensmanagement – Legal Counsels als Trendscout: Es kann von Vorteil
sein, wenn der Aufgabenbereich des für das Wissensmanagement zuständigen
Legal Counsel nicht zu stark eingegrenzt ist. Die Vorteile bestehen darin, dass
er so auf aktuelle Rechtsentwicklungen flexibel und kreativ reagieren kann.
628 C. Kühne
Abgesehen von diesen speziellen Aspekten, ist es – unabhängig von der Größe
der Rechtsabteilung des Unternehmens oder der zentralen, respektive dezentralen
Organisationsstrukturen – für jeden Legal Counsel unerlässlich, seine Neugier auf
Rechtsänderungen zu bewahren und zu aktuellen Rechtsentwicklungen in seinem
Fachgebiet auf dem Laufenden zu bleiben. Dieser Anspruch wird jedoch – neben
dem Tagesgeschäft des Legal Counsel – aufgrund der starken Regulierungsdyna-
mik und durch die Umsetzungspflicht zahlreicher EU-Regularien zu einer immer
größeren Herausforderung. Denn gerade wegen der großen Informationsflut im
juristischen Bereich muss der Überblick für das interdisziplinäre „Ganze“ bei-
behalten werden. Letztlich nimmt der Legal Counsel damit aber die Rolle eines
juristischen Trendscouts ein: Dieser filtert aktuelle Entwicklungen danach, ob
eine Information in naher Zukunft praktische oder theoretische Relevanz für ein
Rechtsgebiet bekommen kann. Eine sinnvolle Maßnahme kann es daher sein, in
der Rechtsabteilung zu überlegen, wie der benötigte Freiraum geschaffen wer-
den kann. Denn der Zeitaufwand, der mit dem Monitoring, das heißt dem Ver-
folgen und Auswerten relevanter Informationen einhergeht, ist erheblich. Jeder
Legal Counsel, der im Tagesgeschäft arbeitet, ist in der Regel jedoch dankbar, auf
bereits vorbestehende Sammlungen – sei es intern oder auch von externen Anbie-
tern erstellt – zurückgreifen zu können. Möglich ist auch, dass eine solche extern
erstellte Übersicht von einem Legal Counsel aus dem Team zunächst ausgewertet,
und dann erst intern verteilt wird.
44 Knowledge Management in Legal Operations 629
den persönlichen Annahmen des Menschen, Schütz und Schröder (2004, S. 133, 137).
630 C. Kühne
ist im Augenblick des Erstellens möglicherweise nicht präsent. Daher kann es hilf-
reich sein, einen Legal Counsel in der Abteilung zu bestimmen, der „den Meta-
blick“ für häufig verwendete Dokumente hat, und gezielt solche „einsammeln“
kann. Regelmäßige „Werbung“ für die Unterstützung des Wissensmanagements ist
ebenfalls nicht schädlich. Hierzu ist auch auf den Konflikt zwischen Eigen- und
Gruppeninteressen hinzuweisen: Einerseits die Wahl, sich kooperativ zu verhalten,
also das Wohl der Gruppe zu maximieren. Andererseits sich wettbewerbsorientiert
zu verhalten, also den eigenen Vorteil im Vergleich zu anderen zu maximieren.
Schon in den 90iger Jahren wurde in diesem Zusammenhang festgestellt, dass eine
Arbeitsgruppe, die kooperiert und Wissen austauscht, langfristig konkurrenzfähi-
ger und erfolgreicher ist.29
32Watzlawick (2008, S. 37 ff.) „Die Geschichte vom Hammer“. Die Idee zu diesem anschauli-
chen Vergleich stammt aus Schütz und Schröder (2004, S. 133) mit weiteren Nachweisen.
33Zum Beispiel ausführlich bei Schütz und Schröder (2004, S. 133).
44 Knowledge Management in Legal Operations 631
kennt? Geht der einzelne Wissensträger aber davon aus, dass „sein“ Wissen ohne-
hin schon allen anderen Teammitgliedern bekannt ist, sieht er natürlich zu Recht
keinen Anlass, dieses Wissen zu teilen und entsprechend in eine Wissensdatenbank
einzupflegen.
Die Ausführungen lassen erahnen, dass zum Aufbau und Erhalt einer erfolgreichen
Wissensmanagementstruktur – unabhängig von der technischen Umsetzung – eine
bestimmte Unternehmenskultur wichtiges Erfolgsmerkmal ist. Die Unternehmens-
kultur wird maßgeblich auch vom General Counsel geprägt (siehe dazu detailliert
Kap. 9, 10, 11, 12 und 13). In ihrer Vorstellung wird Wissensmanagement jedoch
nicht selten als eine Art Dokumentenverwaltung und Informationsmanagement
eingeordnet. Das ist riskant: Für erfolgreiches Wissensmanagement sind neben
den äußeren technischen Voraussetzungen insbesondere auch Anreize und Vorbil-
der für die Legal Counsels erforderlich, ihr Wissen jeweils mit ihren Kollegen zu
teilen.
44.3.2.1 Anreizsysteme
Schon vor rund zwanzig Jahren, als das Wissensmanagement in den Fokus der
Öffentlichkeit rückte, wurde über Anreize zur Förderung der Wissenskultur und
des Wissensteilens diskutiert und auf Bonussysteme, Incentive etc. verwiesen.34
Diskutiert wird hierbei oft die schwierige Frage der „Messbarkeit“ von Beiträgen
zum Wissensmanagement. Weniger im Zentrum der Diskussion stehen jedoch die
„Soft Skills“ und die Frage nach der inneren Haltung der Teammitglieder zum
Wissensmanagement.
management.net; ManagerMagazin, 3. Mai 2000, Geteiltes Wissen ist doppeltes Wissen, www.
manager-magazin.de/finanzen/artikel/a-74817.html. Besucht 10. Mai 2017.
632 C. Kühne
Mandanten eingehen zu können. Das Gleiche gilt, wenn der Legal Counsel dasje-
nige explizite, aber insbesondere implizite Wissen aufspüren muss, das für die
Datenbank besonders wertvoll ist. Denn auch hier sind Präsenz und die Fähigkeit
zum Zuhören unerlässlich, um die für die Bearbeitung des Sachverhalts relevan-
ten Aspekte herauszufiltern. Dies sind alles Fähigkeiten, die für ein gelungenes
Wissensmanagement hilfreich sind.
39Abrufbar unter www.schulz-von-thun.de. Besucht 10. Mai 2017; Henninger (2004, S. 291 ff.),
stellt ein mögliches Trainingskonzept auf Basis des Kommunikationsquadrats von Schulz von
Thun vor.
40Mit wenig Zeitaufwand und nachhaltiger Wirkung gibt es etwa – auch wenn es ungewöhnlich
klingt – pferdegestützte Coachings, zum Beispiel www.eahae.org/. Besucht 10. Mai 2017. Henninger
(2004, S. 291 ff.).
41Vgl. auch den Hinweis bei von Rosenstihl (2004, 35): „Lasst die Ideen sterben, aber nicht den
Menschen“, mit weiteren Nachweisen; siehe auch Keese (2014, S. 135 ff.), der in seinem Buch
eine positive Fehlerkultur beschreibt.
634 C. Kühne
Die Frage, woran man erkennen würde, dass Wissensmanagement in der Rechts-
abteilung funktioniert, ist nicht einfach zu beantworten. Um eine Antwort zu fin-
den, kann man auch einmal provokativ vorgehen: „Was müsste passieren, damit
das Wissensmanagement in unserer Abteilung komplett scheitert?“ Eine solche
Umkehrfrage ist ein typisches Element im Rahmen von Kreativitätstechniken,
um von fernliegenden Hypothesen leichter auf geeignete Lösungen beziehungs-
weise Antworten zu kommen. Eines der ersten offensichtlichen Anzeichen für
nicht gelungenes oder fehlendes Wissensmanagement ist zum Beispiel das Auf-
treten extremer Reibungsverluste durch ein ständiges „Rad-neu-Erfinden“. Den-
noch wären selbst in diesem Fall die Chancen, doch noch ein gutes
Wissensmanagement zu etablieren, nicht schlecht. Das ständige „Rad-neu-Erfin-
den“ kann rasch behoben werden, solange die Motivation zum Wissenssammeln
noch nicht beschädigt ist. Anders sieht es hingegen aus, wenn Wissensmanage-
ment betrieben und bereits eine gehörige Portion Motivation der Mitarbeitenden
in das Sammeln von Wissen gesteckt wurde. Stellt sich dann heraus, dass zahlrei-
che Inhalte in der Datenbank „ruhen“ und nicht (mehr) aktualisiert werden, kann
das problematisch werden.42 Zentraler Aspekt gelungenen Wissensmanagements
stellt deshalb „gelebtes Wissen“ dar, wie in Abb. 44.1 dargestellt, welches insbe-
sondere für das Wissensmanagement im Rechtsbereich und dessen Regulierungs-
flut Bedeutung hat.
Es versteht sich von selbst – wird aber oft schnell übersehen: Vorab müssen
die konkreten Vorstellungen und Erwartungen an das Wissensmanagement in der
Rechtsabteilung erfasst werden. Das Scheitern ist möglicherweise vorprogram-
miert, sofern hier unterschiedliche Vorstellungen existieren, und das Ergebnis dann
daran gemessen wird (Soll-Ist-Vergleich). Tatsächlich ist der Begriff des Wissens-
managements für jede Abteilung individuell zu bestimmen.
46ManagerMagazin, 22. Oktober 2015, Was jetzt und in 10 Jahren gefragt ist?, 3. Teil: Wissen
managen, Daten interpretieren: Die gefragtesten Hard Skills Soft Skills, Die meistgefragten
sozialen Fähigkeiten, abrufbar unter: www.manager-magazin.de/finanzen/artikel/karriere-die-
se-skills-sollten-sie-haben-oder-rasch-erwerben-a-1058766-2.html. Besucht 10. Mai 2017.
636 C. Kühne
Legal Counsels werden im Zuge der modernen Welt möglicherweise dann auch
immer mehr ausgeweitet werden, beispielsweise als Legal Know-how-Providers,
eine unternehmensjuristische Tätigkeit mit zusätzlichen Aufgaben. Dass die
Anforderungen an Juristen in Rechtsabteilungen mit Blick auf Compliance und
Risikoabwägung steigen werden, wurde zuletzt Anfang 2016 auf dem Rechtsmarkt
hervorgehoben.47 Einer der Erfolgsfaktoren für Unternehmen wird – wie in der
Fachpresse nachzulesen – daher auch sein, inwieweit eine professionelle Wissens-
managementstruktur in ihren Legal Operations etabliert worden ist.48 Daher ist es
nur konsequent, dass eines der künftig großen Potenziale im Bereich der innerbe-
trieblichen Prozess-Innovationen beim Qualitäts- und Wissensmanagement gese-
hen wird.49
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Wer kennt ihn nicht, den Zeitdruck? In der heutigen wirtschaftlichen Umgebung
müssen vielerorts die Kosten gesenkt werden. Oft werden deshalb die Ressourcen
gekürzt, ohne dass gleichzeitig die Arbeitslast abnehmen würde. Im Gegenteil, so
nimmt beispielsweise die Flut an Gesetzen und Regulatorien, die von den Mitar-
beitenden einer Rechtsabteilung zu berücksichtigen sind, ständig zu. Erschwerend
kommt hinzu, dass gerade in Rechtsabteilungen oft gerichtliche oder behördliche
Fristen eingehalten werden müssen, die nicht oder nur beschränkt verlänger
bar sind. Auch die heutige ständige Erreichbarkeit trägt nicht gerade dazu bei,
die Situation zu entspannen. Unter solchen Voraussetzungen ist ein gutes Time
Management, das dabei hilft, die anstehenden Aufgaben innerhalb der zur Verfü-
gung stehenden Zeit in guter Qualität zu bewältigen, unerlässlich.
Ein allgemeingültiges Rezept gegen Zeitdruck existiert leider nicht. Wer hofft,
in diesem Beitrag ein solches zu finden, wird deshalb enttäuscht werden. Was es
hingegen gibt, sind verschiedene Strategien, um in der zur Verfügung stehenden
Zeit möglichst effizient gute Resultate zu erzielen. Im Rahmen dieses Kapitels
sollen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige solcher Strategien aufge-
zeigt werden. Dabei wird der Fokus zuerst auf mögliche Maßnahmen in Bezug
auf das Time Management der ganzen Rechtsabteilung gelegt. Danach werden
einige Maßnahmen beleuchtet, die den einzelnen Mitarbeitenden einer Rechts-
abteilung (inklusive dem General Counsel) bei ihrem eigenen Time Management
helfen können. Um keine Doppelspurigkeiten zu schaffen, werden die einzelnen
möglichen Maßnahmen jeweils nur an einer Stelle besprochen; auch wenn es
A. Dueblin (*)
Sympany Services AG, Basel, Schweiz
Nicht selten gelangen Anfragen an den Rechtsdienst, die zwar eine rechtliche
Komponente enthalten, aber deren Erledigung vom Inhalt her eigentlich in den
Aufgabenbereich einer anderen Abteilung gehört. Solche Aufgaben können (vor-
läufig) zurückgegeben werden, mit dem Hinweis, dass die Rechtsabteilung das
Arbeitsresultat in Bezug auf den rechtlichen Bestandteil gerne nach Fertigstel-
lung durch die zuständige Abteilung noch prüfen oder ergänzen wird. Wenn die
Rechtsabteilung solche Aufgaben selber zu erledigen versucht, ist das in der Regel
sehr zeitaufwendig, weil oft die erforderlichen Informationen fehlen und diese
entsprechend zuerst beschafft werden müssen. So kann es beispielsweise bei der
Erstellung einer Mängelrüge durchaus Sinn machen, wenn die IT-Abteilung das
Schreiben aufsetzt und darin beschreibt, inwiefern das gekaufte Tool mangelhaft
ist. Dem Rechtsdienst fehlt dazu in der Regel das erforderliche technische Know-
how. Er wird dann aber die von der IT-Abteilung verfasste Mängelrüge aus rechtli-
cher Sicht überprüfen und falls nötig überarbeiten.
In Bezug auf diejenigen Aufgaben, die wirklich vom Rechtsdienst zu bearbei-
ten und entsprechend auf seiner To-do-List (vgl. dazu nachfolgend unter 45.3)
stehen, muss der Leiter des Rechtsdienstes, der General Counsel, entscheiden,
welche davon er selber erledigen muss und welche er ganz oder allenfalls auch nur
teilweise an einen Mitarbeitenden delegieren kann.
Bei einer Delegation ist darauf zu achten, dass die entsprechende Aufgabe an
diejenige Person delegiert wird, welche die besten Voraussetzungen dafür mit-
bringt. So ist in der Regel am besten sichergestellt, dass das Arbeitsresultat mög-
lichst schnell und in der geforderten Qualität vorliegt. Dabei ist es wichtig, dass
klare Zielvorgaben gemacht und alle zur Erledigung des Auftrags erforderlichen
Informationen weitergegeben werden. Ferner müssen Meilensteine gesetzt wer-
den, deren Erreichung regelmäßig kontrolliert wird. Dadurch wird vermieden, dass
allfällige Zielabweichungen, die aus verschiedenen Gründen entstehen können,
erst bei der Endkontrolle entdeckt werden und das Arbeitsresultat zeitaufwendig
überarbeitet werden muss. Außerdem müssen auch die Kompetenzen und die Ver-
antwortung klar definiert sein. Idealerweise verfügt der Mitarbeitende, an den eine
Aufgabe delegiert wird, über die zur Erledigung der Aufgabe erforderlichen Kom-
petenzen und die dazugehörige Verantwortung. Derjenige Vorgesetzte, der über
jeden Schritt informiert sein und jeden Brief vor dem Versand sehen will, kann die
Aufgabe auch gleich selber erledigen. Es resultiert für ihn dann aus der Delegation
kein Zeitgewinn. Ganz abgesehen davon wird ein Mitarbeitender, der selbstverant-
wortlich arbeiten kann und über Handlungsspielraum verfügt, generell engagierter
und damit auch effizienter sein (siehe dazu detailliert Kap. 28).
45 Time Management in Legal Operations 641
Damit effizient gearbeitet werden kann, müssen auch klare Prozesse bestehen.
Das gilt insbesondere dort, wo es Schnittstellen zu anderen Bereichen gibt (siehe
dazu detailliert Kap. 17). Es muss unmissverständlich geregelt sein, wer wofür
verantwortlich ist. Sonst besteht die Gefahr, dass Aufgaben unendlich hin und her
geschoben werden, was sehr zeitraubend ist. Auch das stete Pflegen der Schnitt-
stellen zu anderen Unternehmensbereichen trägt im Übrigen dazu bei, zeitinten-
sive Redundanzen zu vermeiden.
Sitzungen müssen gut vorbereitet sein, damit sie zielführend, effizient und zeit-
sparend durchgeführt werden können. Das gilt insbesondere auch bei bereichs-
übergreifenden Sitzungen. Die Sitzungen beginnen pünktlich und sind auch
pünktlich zu beenden. Bereits vor der Sitzung muss klar sein, was in der Sitzung
erreicht werden soll beziehungsweise welches die Ziele der Sitzung sind und wer
welche Rolle hat. Eingeladen wird nur, wer auch etwas zum Thema beitragen
kann. Während der Sitzung werden keine Mails und SMS geschrieben und es wird
auch nicht telefoniert. Fragen Sie sich nach jeder Sitzung, ob die gesetzten Ziele
erreicht wurden. Falls nicht, suchen Sie den Grund dafür und versuchen Sie, es
beim nächsten Mal besser zu machen.
Das Lesen und Bearbeiten der täglichen Mail-Flut ist ebenfalls ein enormer
Zeitfresser. Angeschrieben werden soll nur, wer etwas zum Thema beitragen kann
beziehungsweise wer unbedingt durch den Absender informiert werden muss. Vie-
lerorts besteht die Unsitte, jede Mail an die verschiedensten Personen in Kopie zu
schicken. Oft ist diesen Personen dann aber nicht klar, ob von ihnen etwas erwar-
tet wird und gegebenenfalls was. Das führt zu Rückfragen und damit zu weiterem
Zeitaufwand. Es lohnt sich daher, Regeln für den Mailverkehr aufzustellen, die
definieren, in welchen Fällen wer anzuschreiben respektive ins „cc“ zu nehmen ist.
Auch ein organisiertes Ablagesystem (siehe dazu detailliert Kap. 52) kann im
Rahmen des Time Managements Gold wert sein. Wenn frühere Arbeitsresultate
ohne großen Aufwand durch sämtliche Mitarbeitenden des Rechtsdienstes abge-
rufen werden und für weitere Arbeiten als Muster dienen können, kann das eine
erhebliche Zeitersparnis bedeuten, weil man das Rad nicht jedes Mal neu erfinden
muss.
Für ein gutes persönliches Time Management ist eine weitsichtige Planung (Jah-
resplanung, Monatsplanung, Wochenplanung und Tagesplanung) unerlässlich. Zu
einer solchen gehört als Erstes das Erstellen einer To-Do-List mit den zu erledi-
genden Aufgaben. Die Aufgaben müssen nach Wichtigkeit und Dringlichkeit prio-
risiert werden. Dabei handelt es sich um eine Daueraufgabe, denn Wichtigkeit und
Dringlichkeit einer Aufgabe können sich durch sich ändernde Umstände und das
Dazukommen weiterer Aufgaben verändern.
Bei der Vereinbarung von Erledigungsfristen mit internen oder externen
Ansprechpersonen ist darauf zu achten, dass diese realistisch angesetzt werden,
um unnötigen Druck zu vermeiden.
642 A. Dueblin
zumindest solange, als damit nicht übertrieben wird. Es liegt dabei auch am Gene-
ral Counsel, eine entsprechende Pausenkultur in seiner Abteilung zu schaffen.
Wie eingangs erwähnt ist in der heutigen Zeit ein gutes Time Management uner-
lässlich. Deshalb lohnt es sich unter Umständen auch, den Beizug eines Time
Management-Coachs ins Auge zu fassen, der allenfalls noch vorhandenes Verbes-
serungspotenzial orten kann. Aber auch ein noch so gutes Time Management kann
nicht Unmögliches möglich machen. Wenn trotz optimiertem Time Management
wichtige Aufgaben nicht in der zur Verfügung stehenden Zeit oder nicht mit der
genügenden Sorgfalt erledigt werden können, müssen andere Maßnahmen wie die
Anstellung weiterer Mitarbeitender oder die Übertragung gewisser Aufgaben an
eine externe Anwaltskanzlei geprüft werden (siehe dazu auch Kap. 19 und 20).
Eine optimale Durchführung von Haupt- und Zusatzaufgaben ist nur dann gewähr-
leistet, wenn die den Aufgabengebieten zugrunde liegenden drei Prozessarten
nicht nur friktionsfrei ablaufen, sondern insgesamt sinnvoll konzipiert und effi-
zient beziehungsweise effektiv im täglichen Arbeitsbetrieb umgesetzt werden
können. Es ist daher besonders wichtig, diese nicht nur ständig zu kontrollieren,
Die Autoren der ersten Prozesse-Gruppe haben sich vertieft mit der Ausgestaltung
der ursprünglichen rechtlichen Kernkompetenzen von Legal Operations
auseinandergesetzt. Dabei haben sie aus ihrer Erfahrung heraus die wichtigsten
Inhalte aus den fünf Hauptaufgaben der Rechtsfunktion ausgewählt und in
interessanten Beiträgen zusammengestellt:
• Assoc. Prof. Dr. Michael Falta beschäftigt sich in Kap. 47 mit dem Legal
Risk Management der Rechtsfunktion. Er fokussiert sich dabei auf die
Risikoanalyse operativer Aktivitäten und zeigt anhand zweier praktischer
Beispiele, wie ein qualitatives und quantitatives Legal Risk Management-
Analysesystem praktisch in einer Rechtsabteilung umgesetzt werden kann: Im
ersten Beispiel zeigt er dies anhand der „statistischen Aktivitätskostenanalyse
(SACA-Ansatz)“, danach nimmt er sich der „Risikoanalyse unter Abhängigkeit
von Optionen“ an und zeigt auch hier das Vorgehen anhand eines detaillierten
praktischen Beispiels.
• Dr. Christian Wind setzt sich in Kap. 48 mit dem Legal Counseling der
Rechtsfunktion auseinander. Zuerst geht er auf die Ziele und das Zielpublikum
der internen Rechtsberatung ein (von den Hauptaktionären, über den
Aufsichtsrat bis zu den Mitarbeitenden). Danach beschäftigt er sich ausführlich
mit den relevanten Rechtsgebieten des Legal Counseling und erörtert
umfassend, wie die „Nachhaltigkeit“ der organisationsinternen Rechtsberatung
verbessert wird. Auf breite Erfahrung in Sachen Legal Operations abstützend
zeigt der Autor immer wieder anhand praktischer Tipps, wie ein besseres Legal
Counseling-Ergebnis erzielt werden kann.
• Heiko Wendel fokussiert sich in Kap. 49 auf den Bereich Transaction Manage-
ment in Legal Operations. Er gibt zuerst einen Überblick über die verschiede-
nen Transaktionsarten und befasst sich danach mit „transaktionsspezifischem
Vertragsmanagement“. Im Anschluss setzt er sich detailliert mit M&A-Trans-
aktionen auseinander (Management externer Berater, Beraterbriefing, typischer
Transaktionsablauf, Durchführung von Due-Diligence-Prüfungen, Gestaltung
des M&A-Vertrags und dessen Verhandlungen). Am Schluss des Kapitels geht
er noch auf „Product Stewardship“ ein.
• Dr. Rainer Füeg geht in Kap. 50 auf das Litigation & Arbitration Management
in Legal Operations ein, indem er sich vor allem mit Arbitration-Verfahren
beschäftigt und deren Vorteilen gegenüber den anderen Verfahrensoptionen
(Mediation und Gerichtsverfahren vor staatlichen Gerichten) im Detail
aufzeigt. Danach erörtert er die Wahl der Schiedsordnung, die Kosten der
Schiedsgerichtsbarkeit und die Ausgestaltung von Schiedsklauseln. Den
Abschluss bildet die Auseinandersetzung mit den einzelnen Prozessschritten
eines Schiedsgerichtsverfahrens (Einleitung des Verfahrens, Hauptverfahren,
Weiterzug sowie Vollstreckung von Schiedsurteilen).
652 R.P. Falta
Die Autoren der zweiten Prozesse-Gruppe haben sich mit der Ausgestaltung derje-
nigen Zusatzaufgaben auseinandergesetzt, die in Unternehmen und Behörden am
häufigsten an die Rechtsabteilung übertragen werden:
• Schließlich fokussiert sich Prof. Dr. Stephan Grüninger in Kap. 55 auf den
Zusatzprozess Corporate Social Responsibility (CSR) & Integritätsmanage-
ment. Er setzt sich zu Beginn ausführlich mit einer genauen Begriffsdefinition
von Unternehmensverantwortung, CSR, social compliance und Compliance
auseinander, bevor er auf die verschiedenen Rahmenwerke (UN Global Com-
pact, ISO 26000, OECD-Leitsätze), auf die themenbezogenen CSR Manage-
ment Systemstandards (Guiding Principles on Business and Human Rights und
SA8000) sowie auf das CSR-soft law eingeht. Der Autor schließt mit einem
detaillierten Überblick über Social Compliance Risk Management und Unter-
nehmensintegrität.
M. Falta (*)
University of Canterbury, Christchurch, Neuseeland
E-Mail: michael.falta@canterbury.ac.nz
4Der Erwartungswert ist die Summe aller möglichen Erträge, multipliziert mit der zugehörigen
Wahrscheinlichkeit. Für Alternative A ergibt sich ein Erwartungswert von 19,95 = 20 * 99 % +
15 * 1 %, welcher tiefer liegt als jener für Alternative B (20,02). Alternative B liefert demnach
ein besseres Auskommen als Alternative A unter der gegebenen Risikosituation.
5Rechtliche Sachverhalte stehen immer im direkten Zusammenhang mit Unternehmensaktivitä-
ten (zum Beispiel Klagen, die aufgrund von Unfällen oder irreführenden Marketingkampagnen
erhoben werden) und können daher als direkte Attribute der Unternehmensaktivität betrachtet
werden.
6Die Unterscheidung zwischen den operativen/rechtlichen Sachbeständen und der finanziellen
Dimension ist wichtig, denn Entscheidungen auf einer Ebene beeinflussen die anderen. Dieser
Punkt wird weiter unten in Abschn. 47.2 und 47.3 im Detail aufgegriffen.
47 Hauptprozess Legal Risk Management 657
u Ein Legal Risk Management System ist ein Werkzeug für Legal
Counsels, um juristische Sachverhalte mit operativen Unterneh-
mensaktivitäten zu verknüpfen und zu quantifizieren, um das
Unternehmen vor Rechtsrisiken optimal zu schützen.
Das Verhältnis zwischen Kosten K (Zeit, Energie, Kapital) und dem damit erreich-
ten Schutzniveau S vor unternehmensschädigenden Ereignissen und rechtlicher
Risiken verhält sich wie in Abb. 47.1 dargestellt. Je umfassender das Schutzni-
veau,
Falls, auf der anderen Seite, wenig in vorsorgliche Maßnahmen investiert wird und
das Schutzniveau leidet, muss man mit hohen Folgekosten rechnen. Die Summe
der Vorsorge- und Folgekosten wird konsequenterweise eine U-Form haben und
Abb. 47.1 Kostenkurven
für unternehmensweite
Risikovorsorge
und Zahlungen bei
Folgeereignissen
658 M. Falta
damit auch ein Minimum, welches für ein Unternehmen zu bestimmen von Inter-
esse ist. Sinngemäß sollte Ihr einleitender Gedanke als General Counsel bei einer
Legal Risk Management-Präsentation vor der Unternehmensführung lauten:
Unter Berücksichtigung der getätigten Investition KV1 in die Risikovorsorge kann das
Schutzniveau S1 hinsichtlich der Problemabdeckung unserer operativen Aktivitäten erwar-
tet werden. Auf dem S1-Niveau erwarten wir jedoch Folgekosten der Größe KF1.
Wenn Sie dann noch aufzeigen können, wie zuverlässig die berechneten Zahlen
sind und wie der Entscheidungsspielraum durch konstruktive Darlegung verschie-
dener Optionen erweitert werden kann, haben Sie Ihr Gehalt bereits mehr als
gerechtfertigt. Unter der Annahme, dass sich Ihr Unternehmen zurzeit im Zustand
(K1, S1) befindet:
oder:
Nachfolgend wird dieses Kapitel aufzeigen, wie man die Größen K und S berech-
nen kann und wie Legal Counsels maßgebend durch den Aufbau sowie Unterhalt
von effektiven und effizienten Legal Risk Management-Systemen dazu beitragen
können, ein Unternehmen in den in Abb. 47.1 dargestellten minimalen Totalkos-
tenbereich zu führen. Zudem erhalten Sie das Rüstzeug zur Implementierung
zweier analytischer Risk Management-Systeme mit Schwerpunkt auf operative
Unternehmensprozesse, Recht und Entscheidungsfindung.
Beide Risikoanalysesysteme sind dazu in der Lage, Unsicherheiten und Korrela-
tionen zu berücksichtigen und zu quantifizieren, welche durch das Zusammenspiel
von operativen, rechtlichen und entscheidungsfindenden Unternehmensaktivitä-
ten bereits bestehen oder entstehen können. Beide Risikoanalysesysteme können
sowohl numerische wie auch qualitative Daten zusammen verarbeiten. Beide Risi-
koanalysesysteme können komplementär genutzt werden und beide erlauben durch
die errechneten Resultate den Gegenwartszustand der Unternehmensaktivitäten zu
beurteilen und Vergleiche zwischen verschiedenen Optionen zu ermöglichen. Die
Fähigkeit, Informationen zur Verfügung zu stellen, welche die Unternehmensfüh-
rung bei der Entscheidungsfindung zu Strategien der Erfassung und Vorbeugung
von rechtlichen Problemen bestmöglich unterstützen, zeichnet die beiden hier
erläuterten Risikoanalysesysteme schließlich ebenfalls aus.
Der erste Ansatz (statistische Aktivitätskostenanalyse) veranschaulicht, wie
man eine Risikoanalyse des Schutzniveaus und der dazugehörenden finanziellen
Mittel, also das derzeitige Schutzniveau und die dafür benötigten Investitionen
47 Hauptprozess Legal Risk Management 659
Unternehmen aller Größen und Industrien sind aus konzeptioneller Sicht identisch:
Jedes Unternehmen führt Aktivitäten aus, um bestimmte wirtschaftliche Ziele zu
erreichen. Nexus of contracts ist dafür eine weitverbreitete und anerkannte Unter-
nehmensumschreibung. Jeder dieser Verträge ruft eine ökonomische Aktivität
hervor beziehungsweise eine gegenseitige Verschuldungsbeziehung (exklusive ein-
seitiger Verträge), in welcher sich zwei Parteien zu einem bestimmten Zeitpunkt
oder für eine bestimmte Dauer zu einem Austausch von (finanziellen respektive
Arbeits-)Leistungen oder Handelswaren verpflichten. Arbeitsleistung, Energie,
Maschinen, Werkanlagen und Handelswaren dienen als Input in die Arbeits- und
Produktionsprozesse, welche schlussendlich als Output greifbare Waren oder
nichtgreifbare Dienstleistungen erzeugen. Die wertebestimmenden Größen dieser
ökonomischen Aktivitäten sind die vereinbarten Transaktionskosten.
Dieser Ansatz, welcher der Statistical Activity Cost Analysis (statistische Akti-
vitätskostenanalyse), kurz SACA, zugrunde liegt, ist hervorragend zur Risikoana-
lyse bestehender und geplanter Aktivitäten sowie deren gegenseitiger
Abhängigkeiten geeignet.8 Schematisch in Abb. 47.2 dargestellt, kann man das
SACA Grundgerüst in allen Unternehmen wiederfinden, sofern Ressourcen
(Inputs) zu Outputs wie Produkten, Arbeits-, Kreativ-, Forschungs- oder Dienst-
leistungen kombiniert werden. Jede Input- und Output-Komponente in einem
SACA-Prozessnetzwerk ist mit operativen, umweltbelastenden, sicherheitsrelevan-
ten und rechtlichen Teilaspekten assoziiert, welche jeweils durch zwei Variablen
7Dabei ist zu berücksichtigen, dass technische Aspekte der zugrundeliegenden Berechnungen aus
Platzgründen nicht eingehend diskutiert werden können und die begleitenden Beispiele gezielt
einfach gehalten wurden. Weiterführende Literatur ist jedoch an geeigneter Stelle angegeben.
8Weiterführende Literatur zu SACA: Willett (1991, S. 117 ff.).
660 M. Falta
(Kosten und Dauer) bestimmt sind. Die Konfiguration des Netzwerks und die
Dauer beschreiben dabei die physikalischen Dimensionen der Aktivität; deren
Kosten jene der sozioökonomisch-finanziellen Dimension.
Dadurch, dass die Kosten und die Dauer im Allgemeinen nicht deterministisch
bestimmbaren Einflüssen (z. B. Abhängigkeit von Ölpreisen, Inflation, dem Wetter
oder anderen saisonalen Fluktuationen) ausgesetzt sind, ist die statistische Wahr-
scheinlichkeitsverteilungen das naheliegende und angebrachteste Konstrukt für eine
quantitative Beschreibung dieser Variablen. Falls genügend historische Daten zur
Verfügung stehen, können diese verwendet werden, um die repräsentative Vertei-
lungsform zu bestimmen. Für seltene Ereignisse oder Aktivitätsaspekte, für welche
keine oder wenige Daten vorhanden sind, muss der Experte – wie bei rechtlichen
Sachverhalten Sie als Legal Counsel – eine Abschätzung liefern. Eine oft zutref-
fende Verteilung für solche Expertenmeinungen ist die in Abb. 47.3 dargestellte
Dreiecksverteilung: Ob für die Kosten oder die Dauer; die beiden Extremwerte (das
Minimum und das Maximum) sowie der Modalwert können oft mit zufriedenstel-
lender Genauigkeit bestimmt werden. Zwischen diesen drei Werten wird dann linear
interpoliert. Die Kostenabschätzung für das Engagement eines externen Anwalts
kann für fehlende in-house Expertisen zum Beispiel zwischen € 15 und € 20 liegen,
jene des konkurrierenden Anwaltsbüros zwischen € 14 und € 21 – womit der Gene-
ral Counsel nun vor einer etwas komplexeren Variante der in Tab. 47.1 vorgestellten
Entscheidungssituation angelangt ist.9 Er muss nun den erkauften Qualitätsbereich
und die zugehörige Preisunsicherheit in beiden Fällen abschätzen.
Bezüglich der SACA-Eingabeinformationen gilt, dass diese immer entweder
auf Experteneinschätzungen beruhen, welche für selten vorkommende Ereignisse
unabdingbar sind oder auf historischen Werten aus einer Datenbank. Im besten
9Ein fixer Betrag als Kostenvoranschlag, wie bereits erwähnt, ist für die Risikoanalyse nur
bedingt nützlich. Viel wichtiger ist die Bestimmung der Kostenunsicherheit, denn bei rechtlichen
Dienstleistungen ist der Arbeitsaufwand selten von vornherein bekannt. Zudem kann die erkaufte
Qualität der Expertise nie ex ante deterministisch bestimmt werden und wird dadurch viel glaub-
würdiger durch die Dreiecksverteilung widerspiegelt.
47 Hauptprozess Legal Risk Management 661
Abb. 47.3 Dreiecksverteilung
Fall werden beide Informationsquellen kombiniert und zur Kontrolle sowie zur
gegenseitigen Ergänzung genutzt. Wie detailliert die Aktivitäten eines Unter-
nehmens modelliert werden, ist Ermessenssache und nur durch Zeit und Kos-
tenaspekte limitiert. Auch von Vorteil ist, dass jede SACA-Analyse gänzlich in
herkömmlicher Tabellenverarbeitungssoftware, wie zum Beispiel MS Excel, aus-
geführt werden kann und keine teure Spezialsoftware oder Expertenprogrammier-
kenntnisse benötigt.
Zusammenfassend liegt der Schwerpunkt beim SACA-Ansatz in der wahrheits-
getreuen Unsicherheits- und Risikoanalyse des Zusammenspiels operationeller,
rechtlicher und finanzieller Aspekte der wirtschaftlichen Unternehmensaktivitä-
ten. Durch Variation der Input- und Outputinformationen sowie der internen Pro-
zessvernetzung können dann Alternativen oder sogenannte „what-if“-Szenarien
untersucht werden. Jede Variation, die eine der realen Optionen des Unterneh-
mens darstellt, kann modelliert und dann mit dem aktuellen Zustand oder anderen
„what-if“-Szenarien verglichen werden, um für das Unternehmen die Basis einer
Legal Risk Management-Strategie zu entwickeln. Mit dieser kondensierten Ein-
führung vorab, wird nun im Beispiel 1 das SACA-Konzept anhand einer ökonomi-
schen Aktivität aufgezeigt.
haben wir als Input 1 den jeweiligen Angestellten (seine Arbeitszeit und Fähigkei-
ten), als Input 2 die Maschine, als Input 3 und 4 die Rohstoffe A und B und als
Output 1 das Produkt C.10 Die assoziierten Kosten für die Inputs sind der Lohn
sowie die Maschinenbetriebs- und Materialkosten. Auf die Produktionszeit T kom-
men wir in Schritt 2 zu sprechen.
Das in Abb. 47.4 dargestellte Basismodel entspricht einem reibungslosen,
jedoch nicht realitätsgetreuen Produktionsprozess. Das heißt, dass ein Aufaddieren
aller geplanten Kosten für Inputs und Outputs sowie der geplanten Produktions-
zeit keine sonderlich wertvollen Informationen für die Entscheidungsfindung lie-
fern und daher eine informative Risikoanalyse nicht besonders gut unterstützen. In
der Praxis bestimmen vielmehr die intrinsischen Eigenschaften jeder Komponente
im Produktionsprozess, wie auch die Art und Weise, wie die verschiedenen Inputs
durch den Produktionsprozess verknüpft werden, die Eigenschaften des ganzen
Systems. Im nächsten Schritt erarbeiten wir daher einige dieser Eigenschaften.
10Um zu verdeutlichen, wie flexibel der SACA-Ansatz ist, können die Inputs und Outputs auf
einem Makrolevel zum Beispiel den Piloten (Input 1), das Flugzeug (Input 2) und den Service
zufriedene Passagiere von Berlin nach Zürich transportiert zu haben (Output 1) darstellen. Auf
einem Mikrolevel können hingegen Schrauben (Input 1) und Schraubenmuttern (Input 2) durch
einen Roboter (Input 3) an einem Fahrzeugchassis fixiert werden (Output 1).
47 Hauptprozess Legal Risk Management 663
Nehmen wir als Beispiel das Schadensereignis U5, bei welchem der Output C
erst nach weiteren Problemen generiert werden kann (in Abb. 47.6: der durch
dicke Pfeile markierte Produktionsprozess mit Wahrscheinlichkeit w5). Zudem
gilt: Mitarbeiter bei FullAware sind durch eine Haftpflichtversicherung gegen
80 % der Unfallarten versichert; 20 % der Unfallarten werden jedoch nicht abge-
deckt. Als Legal Counsel bestimmen Sie nun, ob es sich lohnt, für die – mit
Wahrscheinlichkeit w5 * 20 % auftretenden – Unfälle und die damit verbunde-
nen weiteren rechtlichen Kosten Zusatzversicherungen abzuschließen. Der zweite
Schritt ist bei FullAware etwas leichter zu bestimmen, da die Wahrscheinlichkeit
w5,1 von weiteren Problemen aufgrund von U5-Ereignissen viel größer ist als
w5,0: Eine Feststellung, die leicht aus der Datenbank für Unfalldokumentationen
ersichtlich ist. Es eröffnen sich nun viele Möglichkeiten, um w5,1 zu verkleinern.
Da sich grundsätzlich w5,1 proportional zu w5 verkleinert, können vorsorgliche
Maßnahmen in Betracht gezogen werden, was in diesem Fall einer vermutlich
666 M. Falta
rationalen Entscheidung entsprechen würde. Möchte man jedoch w5,1 oder die damit
zusammenhängenden Rechtskosten direkt minimieren – ohne Einfluss auf w5 –,
dann müssen Sie als Legal Counsel alle juristischen Problemfälle mit einbeziehen,
welche im Bereich Technik, Umwelt und Sicherheit auftreten können. Sofern Sie
dann – im folgenden Schritt 2 – noch die entsprechenden rechtlichen Kosten hier-
für abschätzen, erhalten Sie den anhand von Abb. 47.1 diskutierten Zustand (K1,
S1). An dieser Stelle wird ersichtlich, warum die Wahrscheinlichkeitsverteilung die
bestmögliche Beschreibung aller Produktionsdauern und -kosten ist: Jede Größe
ist von den Unsicherheiten der möglichen, im Produktionsprozess auftauchenden,
Ereignisse abhängig. Mit welchen Zahlen nun die Komponenten des SACA-Pro-
duktionsnetzwerkes versehen werden, diskutieren wir im nächsten Schritt 2.
47.2.1.3 Schritt 2: Datenanforderungen
Im Rahmen des von Input 1 generierten Aktivitätennetzwerks benötigen wir also
für jeden möglichen Prozessweg die zugehörige Realisationswahrscheinlichkeit w
und die Verteilungsfunktionen für die Dauer T sowie die damit verbundenen Kos-
ten K.
Zum Beispiel liefert die Datenbank für Produktionsprozesse von FullAware
eine genaue Verteilung der registrierten Dauern für alle produzierten Outputs 1
(siehe Abb. 47.7). Aus dieser Verteilung können nun w0 und T abgeleitet werden:
Hierbei wird ermittelt, dass 94 % aller Produktionsprozesse innerhalb der akzep-
tablen Produktionsdauer von T = [8 h, 8 h 12 min] liegen und daher keinen weite-
ren Ereigniseintrag aufweisen. Die festgestellte Variation von 12 min basiert dabei
auf tagesbestimmenden Umständen, welche bei FullAware erwartet und deshalb
akzeptiert sind. In allen anderen Fällen – den restlichen 6 % – sind Ereignisein-
träge vorhanden, welche auf Schadensfälle U1 bis U6 zurückzuführen sind.
Wichtiger Bestandteil der Ereigniseinträge sind Querverweise zu anderen
Informationsquellen, wie Unfallberichten, Maschinendefekten sowie Daten zu
Reparaturen und Genesungsumständen von Mitarbeitenden. Bei FullAware wer-
den diese jedoch nicht nur auf verschiedenen Medien, sondern auch in diversen
11Das „Big Data“-Thema spielt in vielen KMUs keine Rolle, denn für die Verarbeitung der
Datenmenge und -komplexität reichen herkömmlichen PCs aus. Beruht die Datenerfassung der
Lagerbestände oder Unternehmensaktivitäten nicht mehr auf Strichkodierung, sondern auf Echt-
zeitkontrolle, wie zum Beispiel bei der RFID (radio frequency identification) Technologie, so
werden große Datenmengen generiert. Deren Verarbeitung stellt dann keine triviale IT-Angele-
genheit mehr dar, um nützliche Informationen herauszufiltern.
12Ereignisankunftsprozesse sind in der angewandten Statistik weitverbreitet. Wegen der Komple-
xität des Zusammenspiels von Faktoren, welche zu Unfällen führen, werden die Zwischenzeiten
oft sehr gut durch einfache Exponentialgesetze und sogenannte Poisson-Prozesse der voneinan-
der unabhängigen Ereignisse beschrieben.
668 M. Falta
– Gruppe 2 sind Unfälle, fünf an der Zahl, die einen juristischen Prozess nach
sich gezogen haben. Jeder dieser Unfälle ist einzigartig. Fünf ist zwar eine
kleine Zahl an Ereignissen, trotzdem gibt es für die Modellierung von Grup-
pe-2-Unfällen in der Statistik besondere Methoden für Extremereignisse.
Kosten wirken und vor allem, wie die Unsicherheiten (die diese Größen charakte-
risieren) die Gesamtkostenkurve in Abb. 47.9 verändern. Die Güte dieser Änderun-
gen bestimmt dann, wie sich bei gleichbleibendem Risikotoleranzwert von 5 % die
value-at-risk-Werte Kmax verändern. Nehmen wir zum Beispiel an, dass eine alter-
native SACA-Analyse eine vorsorgliche Maßnahme mitberücksichtigt, welche das
Vorkommen (w5) von U5-Unfällen um 10 % vermindert. Das heißt, dass für alle
unfallfrei generierten Output-Einheitskosten, wie in Abb. 47.10 dargestellt, kon
stante Maßnahmenkosten KMaßnahme addiert werden müssen; die Kostenverteilung
also um diesen Betrag nach rechts verschoben wird. Da der erwartete Effekt der
Maßnahme jedoch die zweite, mit U5-Unfällen beschriebene Kostenverteilungs-
komponente hauptsächlich beeinflusst, also eine Verminderung der Anzahl von
Unfällen und der damit zusammenhängenden rechtlichen Problemkosten erwartet
wird, wird die Kostenverteilungskurve nun dort nach unten gedrückt, sodass sich der
erwartete Maßnahmeneffekt in einer 10 % igen Flächenverminderung widerspiegelt.
Beide diese Effekte verändern die Gesamtkostenverteilungskurve, dadurch auch den
Erwartungswert K1 (auf K’1) sowie die value-at-risk-Kennzahl und die maximal
zu erwartenden Kosten Kmax. Ob die Maßnahme implementiert werden soll, hängt
dann natürlich davon ab, ob nun K’1 nach links (wie es in der Abb. 47.10 der Fall
ist) oder nach rechts von K1 zu liegen kommt; und wie sich dabei die Kostenunsi-
cherheiten (Standardabweichungen) verhalten. Dieses Szenario beschreibt, wie der
Legal Counsel der Geschäftsführung einfach aufzeigen kann, welche Maßnahmen
das Schutzniveau S um wie viel erhöhen und/oder um wie viel die Kosten des Pro-
duktionsprozesses verkleinert werden – womit wir wieder bei dem in Abb. 47.1 dis-
kutierten Ziel eines nützlichen Legal Risk Management-Systems angelangt sind.
Das auf SACA basierende Legal Risk Management-System stellt operative Unter-
nehmensaktivitäten und deren assoziierte rechtliche Problemaspekte repräsentativ
das gleiche Rechtsrisiko eingesetzt werden können (in der Abb. 47.11 decken
die Maßnahmen 1 und 3 etwa 80 % der Fläche des Rechtsrisikos 1 ab und wei-
sen dabei eine große Überschneidungsfläche auf). Ein anderes Problem haben wir,
wenn eine Maßnahme Elemente enthält, die gegen keine zu erwartenden rechtli-
chen Risiken beiträgt (die Maßnahme weist eine Fläche außerhalb der Rechtsrisi-
kofläche auf). Zum Beispiel ist es naheliegend zu untersuchen, ob bei Maßnahme
1 eingespart werden kann, um die Leerfläche außerhalb aller Rechtsrisiken und die
große Überschneidungsfläche mit Maßnahme 3 zu minimieren. Allerdings muss
die so erzielte Einsparung gegen die resultierende kleinere Abdeckung des Rechts-
risikos 4 abgewogen werden.
Die Aufgabe des General Counsel ist es oft, eine Auswahl von Maßnahmenbün-
deln aufgrund deren Investitionskosten so zu wählen, dass diese effektiv (Abde-
ckung der wichtigsten oder möglichst vieler Rechtsrisiken) und effizient
(Minimum an Überschneidungen und Leerflächen) gegen die bestehenden Rechts-
risiken schützen. Um diese Aufgabe optimal lösen zu können, wird im folgenden
Beispiel der Ansatz von Colin et al., welcher auf der Markowitz-Portfolioselekti-
onsidee beruht, auf das Legal Risk Management-System erweitert.14
14Colin et al. (2010, S. 95–113); vgl. auch gesamtes Werk von Markowitz, Todd (1987).
47 Hauptprozess Legal Risk Management 673
Die Kosten der vorgenannten Optionen sind in Tab. 47.3 wiedergegeben. FullAwa-
re-Experten nehmen an, dass die Optionskosten gut durch die Dreiecksverteilung
beschrieben werden. Zudem haben sie zusätzlich die am häufigsten zu erwarten-
den (Modalwert-)Kosten bestimmt.15
Für welche Maßnahmen man sich bei FullAware entscheiden soll, ist daraus
aber noch nicht ersichtlich, sofern ausschließlich die Kosten betrachtet werden.
Zusätzlich müssen sowohl die Gewichtung der potenziellen Konsequenzen (recht-
liche und andere), als auch der erhoffte Effekt der entsprechenden Investitionen
abgeschätzt werden. Diese Information wird in Tab. 47.4 dargestellt.
Zum Beispiel wurden die durch Angestellte verursachten Unfälle (U5) auf einer
Skala16 von 1 (niedrig) bis 5 (hoch) – und in Anbetracht aller anderen Problem-
quellen – mit dem Gewichtungswert 4 bewertet. Die Effekte der Schulungsbemü-
hungen mit Schwerpunkt Sicherheitsbewusstsein und die Einholung der externen
Beratungsexpertise für unfallfreiere Produktionsstätten wurden beide um Rechts-
probleme und andere unfallbedingte Konsequenzen im Rahmen von U5 zu mini-
mieren, am effektivsten („Hoch“) eingestuft, da beide Optionen die FullAware
vorsorglich schützen. Bei den Effekten der Maßnahmen, dargestellt in Spalten 3
bis 6 in Tab. 47.4, können die qualitativen Bewertungen (niedrig-mittel-hoch)
anschließend auf einer Skala von 1 (niedrig) bis 3 (hoch) in numerische Werte
transformiert werden. Zum Beispiel hat man sich hinsichtlich der Option Haft-
pflichtversicherung darauf geeinigt, dass eine zusätzliche finanzielle Eindämmung
von Unfallkosten nützlich sei. Daher wurde dieser Option ein Wert von 2 („Mit-
tel“) zugeordnet. Der Nutzen des Maschinenausbaus mit Sicherheitskomponenten
wurde – im Vergleich zu den anderen drei Optionen – hingegen am niedrigsten
(„Niedrig“) bewertet.
15Die Annahme, dass die Kostenunsicherheit durch die Dreiecksverteilung repräsentiert werden
kann, trifft auch oft in der Praxis zu. Zum Beispiel, wenn Leistungen auf Zeit basieren, wenn
diese verhandelt werden können, sie von nicht vorhersehbaren Ereignissen abhängen oder indi-
rekten Kostenanteile beinhalten. Falls gewisse Maßnahmenkosten vertraglich festgesetzt werden
können, bevor Leistungen erbracht werden, wird die Kostenunsicherheit eliminiert. Ob solche
Maßnahmeneigenschaften mit dem Markowitz-Ansatz verarbeitet werden können und wie sie die
Resultate beeinflussen, ist Gegenstand aktueller Forschungen.
16Numerische Werte für die (Likert-)Skalen sind beliebig wählbar, bestimmen aber, wie die
Total 39 42 35 45
Mit den in Tab. 47.4 verzeichneten Werten kann jetzt das Total des erhofften
Gesamtschutzes einer einzelnen Maßnahme gegen das entsprechende Rechtsrisiko
berechnet werden, indem man die Gewichtung des potenziellen Rechtsproblems
mit dem Effekt der Maßnahme multipliziert und diese Werte aufaddiert. Zum Bei-
wie viel Schutz man mit einer bestimmten Maßnahme für 100 € erkaufen kann:
Diesen Wert erhält man durch die Multiplikation der Kosten aus Tab. 47.3 mit dem
Total des erhofften Gesamtschutzes aus Tab. 47.4. Die Resultate für diese Berech-
nung sind in Tab. 47.5 wiedergegeben.
Nun müssen wir die Korrelationen zwischen den verschiedenen Maßnahmen
berechnen, welche uns eine Korrelationsmatrix liefert.17 Mit der Korrelationsmat-
rix, den pro € 100 erwarteten Schutzwerten und den Standardabweichungen der
17Details zur Berechnung dazu sind bei Colin et al. (2010, S. 95–113), beschrieben.
47 Hauptprozess Legal Risk Management 675
Annahmen: Zum Beispiel können Finanzmittel zu beliebigen Anteilen auf die verschiedenen
Optionen verteilt werden. Diese Kontinuitätsannahme ist bei Aktien aufgrund der kleinen Ein-
heitskosten und des großen verfügbaren Volumens sehr gut erfüllt. Bei diskreteren Einheitskos-
ten mit weniger Spielraum (wie dies im Fall von Maßnahmen gegen Rechtsrisiken der Fall sein
kann) können gewisse Lösungen jedoch nicht umgesetzt werden.
676 M. Falta
sicherungslösung investiert werden. Diese Option hat von allen in Tab. 47.6 dar-
gestellten Maßnahmenbündeln das niedrigste finanzielle Risiko. Soll hingegen ein
höheres Schutzniveau erzielt werden, nimmt die Schulung ziemlich schnell als
effektive Maßnahme ab, da sie – relativ zum generierten Schutzwert – zu hohen
Kosten führt. Aus Tab. 47.6 ist ebenfalls ersichtlich, dass jedes höhere Schutzniveau
mit zunehmenden Kostenunsicherheiten verbunden ist. Das höchste zu erzielende
Schutzniveau (2,25) ist damit auch mit der höchsten Kostenunsicherheit verbunden.
Die prozentualen Verteilungen in Tab. 47.6 geben Aufschluss darüber, inwie-
weit eine bestimmte Maßnahme berücksichtigt werden sollte. Das heißt jedoch
nicht, dass alle Varianten umsetzbar sind! Ist zum Beispiel das Budget auf € 5000
beschränkt, kann die Schulung unter den ersten zwei Optionen (erste und zweite
Datenzeile in Tab. 47.6) nicht implementiert werden, denn weder 8 % * € 5000 noch
3 % * € 5000 liegen im Bereich der realen Schulungskosten (€ 3000 bis € 4000).
Möchte FullAware das Schutzniveau zum Beispiel auf 1,14 bringen (zweite Daten-
zeile in Tab. 47.6), sollten 55 % des Kapitals in die Maschinen investiert werden.
Falls ein Vertrag in der Höhe des Modalwertes von € 5200 vereinbart werden
kann, bedeutet dies, dass € 2647 ([28 %/55 %] * € 5200) in Beratung und € 1323
([14 %/55 %] * € 5200) in die Versicherung investiert werden sollten. Die Schulung,
wie bereits erwähnt, ist in dieser Option nicht umsetzbar. Beide Werte für Beratung
und Versicherung liegen nahe dem Modalwert, sind also umsetzbar. Je weiter weg
die Investitionen für Beratung und Versicherung von der Effizienzgrenze erlaubt
würden, egal, ob über oder unter den oben berechneten Werten, desto ineffizienter
würden die finanziellen Mittel von FullAware für die Risikovorsorge eingesetzt.
Um zu demonstrieren, wie sensibel die prozentualen Verteilungen der Investiti-
onskosten auf das Maßnahmenbündel reagieren, nehmen wir an, dass FullAware
47 Hauptprozess Legal Risk Management 677
eine kostengünstigere Schulung erarbeiten könnte: Die € 3600 teure, externe Schu-
lung (Tab. 47.3) wurde durch ein billigeres, internes Seminar (Tab. 47.7) ersetzt.
Erwartungsgemäß nimmt dabei auch die Kostenunsicherheit deutlich ab (von über
€ 200 auf € 103). Um diesen Fall isoliert studieren zu können, nehmen wir des
Weiteren an, dass sich die Problemgewichtungen und Maßnahmeneffekte (siehe
Tab. 47.4) nicht ändern.19
Unter Berücksichtigung der neuen Schulungskosten ändert sich der erwar-
tete Schutzertrag für die Schulungsmaßnahme pro € 100 von 1,083 auf 3,0 (vgl.
Tab. 47.8).
Tab. 47.8, wie schon Tab. 47.5, zeigt ausgewählte Punkte auf der Effizienz-
grenze der Markowitz-Risikoanalyse: Wie erwartet stellt die Schulung unter den
neuen Bedingungen eine nicht zu vernachlässigende Option dar. Durch die Bei-
behaltung der Effektgrößen (Tab. 47.4) sind die Schutzniveauwerte in beiden
Beispielen vergleichbar, und liegen hier deutlich höher als im ersten Beispiel
(Tab. 47.6).
Als General Counsel können Sie nun zum Beispiel einfach herausfinden, wel-
ches Schutzniveau durch das in der vorhergehenden Diskussion benutzte Budget
von € 9170 erkauft werden kann: Die einzig umsetzbare Gewichtung, welche
Schulungskosten (13 % * € 9170 = € 1192) in den erlaubten Kostenbereich
bringt (€ 1000 – € 1500), ist auf der zweiten Datenzeile in Tab. 47.9 wiedergege-
ben. Der Beitrag für Maschinenoptimierung (20 % * € 9170 = € 1834) ist dabei
deutlich unter den notwendigen Investitionen (€ 5000 – € 5400) und damit nicht
19Falls bei der Kostensenkung eine Qualitätseinbuße in Kauf genommen wird, kann der neu zu
erwartende Effekt der Schulung durch eine Änderung der Gewichtung in Tab. 47.3 ausgedrückt
werden.
678 M. Falta
durchführbar. Die Werte für Beratung (33 % * € 9170 = € 3026) und Versiche-
rung (34 % * € 9170 = € 3118) sind beide knapp über € 3000 und damit Nahe
dem Maximum. Die theoretisch absolut optimale Kostenverteilung auf alle vier
Maßnahmen wäre in diesem Fall also nicht durchführbar.20 Sie können sich
jedoch von der Effizienzgrenze her auf einen dieser nahestehenden, durchführba-
ren Punkt hin bewegen. Mithin könnten Sie zum Beispiel die Investition von
€ 1192 in Schulung sowie je € 3000 in Beratung und Versicherung mit Gesamt-
kosten von € 7192 wählen, wofür ein etwas vermindertes Schutzniveau vom theo-
retisch absolut optimalen Wert von 1,73 resultiert. Damit lägen Sie immer noch
deutlich höher als im vorhergehenden Beispiel, bei welchem der Wert bei 1,14
lag.
20Dies würde auch darauf hindeuten, dass ein anderes Budget gewählt werden soll.
47 Hauptprozess Legal Risk Management 679
Counsel haben Sie somit eine weitere Grundlage, um den optimalen Einsatz von
Investitionen in die Vorsorge vor rechtlichen Risiken vorschlagen zu können; und
dies auf Basis quantifizierbarer finanzieller Gesichtspunkte, aufgrund welcher Sie
bei Ihren Geschäftsleitungskollegen auf gleicher Augenhöhe wahrgenommen wer-
den.
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Die eigentlichste und vornehmste Aufgabe des Legal Counseling durch Mitglieder
der Rechtsabteilung besteht darin, die eigene Tätigkeit auf den nachhaltigen
Schutz des wichtigsten Assets des Unternehmens auszurichten, nämlich auf den
Schutz seiner Reputation. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, ist der Legal
Counsel im Vergleich zu anderen Fachrichtungen in einer privilegierten Position,
da er wohl nicht nur über die meisten Schnittstellen im Unternehmen verfügt,1
sondern je nach Fall auch früher oder später mit allen Hierarchien und Abteilun-
gen innerhalb des Unternehmens in direkten Kontakt kommt. Nicht von ungefähr
spricht man – falls vorhanden – von der Rechtsabteilung als eine der Kernfunktio-
nen im Unternehmen.2 Bei den verschiedenen möglichen Anspruchsgruppen im
Unternehmen empfiehlt es sich als Legal Counsel, offen und korrekt zu sein, mit
einer gewissen natürlichen Neugier aktiv auf sie zuzugehen3 und klare rules of
engagement festzulegen (zum Beispiel wer sich alles direkt an den Legal Counsel
wenden darf und in welchen Fällen der Legal Counsel zwingend beizuziehen ist;
siehe dazu detailliert Kap. 17).
Im Unternehmen ist sicherlich zu Beginn der Tätigkeit und danach aber auch
periodisch zusammen mit den Anspruchsgruppen eine umfassende rechtliche
Risiko- und Bedürfnisanalyse durchzuführen, um festzustellen, welche Rechtsberei-
che überhaupt tangiert und als Kernbereiche abzudecken sind. Dies ist anschließend
C. Wind (*)
Zürich, Schweiz
E-Mail: christian.wind@bratschi-law.ch
Beim Legal Counseling handelt es sich auf der einen Seite um die Tätigkeit der
Rechtsabteilung, in einem Unternehmen, dessen strategische und operative
Geschäftstätigkeit sowie verwandte Gebiete wie Corporate Governance, Legal
Risk, Krisenmanagement etc.4 aus rechtlicher Sicht zu begleiten und dadurch zum
nachhaltigen Erfolg des Unternehmens durch den Schutz seines wichtigsten Gutes,
nämlich seiner Reputation5, beizutragen. Gemäß Thomas Kremer hat sich die
Arbeit der Rechtsabteilung am Gesellschaftsinteresse zu orientieren.6 Auf der ande-
ren Seite gilt es sicherzustellen, dass die geltenden Gesetze (externe Compliance)
und internen Richtlinien des Unternehmens (interne Compliance) eingehalten
sowie in präventiver Hinsicht mögliche vertragliche, rechtliche oder regulatorische
Risiken im besten Fall vermieden oder mindestens gemindert werden.7 Oder wie es
Ben W. Heinemann, Jr. ausgedrückt hat, nicht nur ob es legal, sondern auch ob es
richtig ist.8 Leo Staub sieht einen Wandel in der Rolle des Legal Counsel „vom
juristischen Sachbearbeiter zum Lösungsanbieter mit juristischem Sachverstand“.9
Dies bedeutet, dass nicht nur wie früher ausschließlich juristische Expertise auf
eine eher reaktive Art und Weise, sondern ganz besonders auch spezifische Unter-
nehmens- und Industriekenntnisse (Märkte, Wettbewerber, Anbieter, Nachfrager,
Produktion, Forschung, Finanzen, Rekrutierung etc.) je länger je mehr von
loyalty obligation is to the company and not to any management members“; ähnlich ACC Asso-
ciation of Corporate Counsel (2009, S. 9): „The primary role of the general counsel is to provide
legal services to the corporation, not to the corporation’s officers and directors“.
7Vgl. auch Wohlmann (2010, S. 12), welcher die Meinung vertritt, dass Transaktionen und Com-
pliance ineinander verzahnt sind und die geschickte Betreuung des gleichen Juristen mit Aufga-
ben im einen als auch im anderen Bereich oft sinnvoll erscheint.
8Heinemann (2010, S. 24): „The essence of being a lawyer-statesman is to move beyond the first
entscheidender Bedeutung sind und werden10 – vom Legal Counsel eine zuneh-
mend proaktive, antizipierende Mitwirkung verlangt wird.
Kaum ist man als Legal Counsel der Rechtsabteilung eines Unternehmens beige-
treten, wird man feststellen, dass verschiedene Anspruchsgruppen des Unterneh-
mens versuchen, das für ihre jeweiligen Bedürfnisse geeignetste Legal Counseling
zu erhalten, – bewusst oder unbewusst – gar zu vermeiden oder zu umgehen, was
jedoch gerade in der heutigen Zeit glücklicherweise zunehmend eher die Aus-
nahme als die Regel ist. Als Anspruchsgruppen können daher infrage kommen:
10Bagley (2015, S. 19): „The firm’s lawyers need to understand the firm’s value proposition,
Sollte der General Counsel gleichzeitig als Corporate Secretary amten, sind mit
dem Linienvorgesetzten und dem Aufsichtsratsvorsitzenden die Funktionen,
Berichterstattungen und jeweiligen Kompetenzen genau und klar abzusprechen
(siehe dazu detailliert Kap. 53).
• Chief Executive Officer (CEO): Sofern die Rechtsabteilung nicht direkt dem
CEO angehängt ist, was nicht best practice entsprechen würde, sollte sie unbe-
dingt darauf hinarbeiten, ein gutes Einvernehmen und Vertrauensverhältnis mit
dem CEO aufzubauen. Das heißt nicht, dass man jede Idee und jeden Vorschlag
des CEOs vorbehaltlos unterstützen muss. Gerade bei rechtlich riskanten The-
men sollte man selbst eine klare und dezidierte Meinung haben, diese unmiss-
verständlich, offen und begründet kundtun und diese mit Rückgrat – unter
Hinweis auf das Wohl des Unternehmens – auch vertreten.
• Geschäftsleitung: Bei der Geschäftsleitung sollte man darauf hinwirken, dass
zumindest der General Counsel, wenn nicht als Corporate Secretary so doch
zumindest als ständiger Gast an den entsprechenden Sitzungen teilnimmt. Dies
ermöglicht ihm, zum Beispiel bei Fragen der Strategie, von neuen Projekten,
möglichen Akquisitionen, Marketingmaßnahmen, einem Beitritt zu Verbänden
oder Eintritt in neue Märkte (Produkte, Länder) sich unmittelbar und vor allem
rechtzeitig einzubringen und sicherzustellen, dass von Anfang an die Weichen
aus rechtlicher Sicht richtig gestellt und mögliche Risiken ausgeschaltet respek-
tive zumindest erheblich reduziert sind oder Alternativen gesucht werden kön-
nen (siehe hierzu auch detailliert Kap. 16).
• Linienvorgesetzte: Es bewährt sich sehr, wenn es einem Unternehmensjuris-
ten über die Zeit gelingt, mit den relevanten Linienvorgesetzten im Business
oder in anderen Fachbereichen, mit denen man regelmäßig zu tun hat, ein gutes
Vertrauensverhältnis aufzubauen. Dazu können Mittagessen oder gelegentli-
che bilaterale Gespräche dienen, anlässlich derer man sich ganz allgemein über
den Geschäftsverlauf, die momentanen Herausforderungen, geplante neue Pro-
jekte und Veränderungen im Personal informieren lässt (siehe dazu detailliert
Kap. 17). Des Weiteren ist es von Vorteil, bei laufenden Projekten die entspre-
chenden Verantwortlichen regelmäßig über Fortschritte, Friktionen, technische
Entwicklungen, wirtschaftliche Trends, Tätigkeiten von Wettbewerbern oder
die Art der Projektführung zu informieren und mögliche Probleme pro-ak-
tiv und konstruktiv anzusprechen. Es kann auch durchaus Sinn machen, kom-
merzielle Berechnungen zu überprüfen oder zu versuchen, das Rationale der
Geschäftstätigkeit zu plausibilisieren und bei allfälligen Unstimmigkeiten oder
Unklarheiten bei den sachverständigen Experten nachzufragen, um es in der
ganzen Tragweite vollumfänglich zu verstehen respektive die Verantwortlichen
oder deren Vorgesetzte darauf anzusprechen.
• Mitarbeiter: Hier sollte mit den jeweils zuständigen Linienvorgesetzten klar
geregelt werden, welche ihrer Mitarbeiter direkt mit dem General Counsel
oder dessen rechtlichen Mitarbeitern Kontakt aufnehmen dürfen. Es könnte
auch empfehlenswert sein, gewisse Mitarbeiter, welche zum Beispiel regel-
mäßig Vertragsverhandlungen führen, mit einer Vertragspolicy auszustat-
ten und mittels spezifischen Trainings regelmäßig zu schulen oder die Hilfe
48 Hauptprozess Legal Counseling 685
11Staub (2010, S. 36), spricht hier von der Sortimentsbreite, Sortimentstiefe und Wertschöpfungs-
tiefe.
12Vgl. auch die Aufstellung bei Wilke (2012, S. 47 Rz 9).
13Siehe zur zunehmenden Bedeutung der Corporate Governance in der Zukunft; Cova (2015,
S. 71–86).
686 C. Wind
Tipp: „Jahrestätigkeitsübersicht“
Es empfiehlt sich, auf irgendeine Art und Weise die Tätigkeiten des Legal Counse-
ling über das Jahr aufzuzeichnen. Eine qualitative Aufzeichnung kann in Form einer
einfachen Liste geführt werden, in der pro Person und Monat aufgezeichnet wird,
welche Fälle/Projekte in dem Monat abgearbeitet und erledigt wurden und welche
noch pendent respektive neu dazugekommen sind. Kleinstsachen, die sich mit ein
zwei Telefonaten, einer E-Mail oder einer Besprechung erledigen lassen, sollten
nicht aufgeführt werden. Zusätzlich kann man jedoch diejenigen größeren Arbei-
ten, die insgesamt eine Woche oder mehr effektive Arbeitsbetreuung erfordern,
14Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember
2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH):
http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:02006R1907-20150601. Besucht 8.
April 2016.
15Vgl. zu den einzelnen Bereichen ausführlich Henrich (2010, S. 171–177).
16(Schweizerisches) Bundesgesetz vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizeri-
(2010, S. 165–170); vgl. auch mit weiteren AusführungenKurer (2015, S. 103 f.).
18Vgl. Swiss Holdings, economie suisse (2014).
noch drucktechnisch, zum Beispiel fett, hervorheben. Es genügt, wenn man einfach
mit Stichworten die Arbeit umschreibt, zum Beispiel Name Drittpartei oder interne
Business Unit plus Thema. So verfügt man am Ende des Jahres über eine gute und
einfache Übersicht, was alles abgearbeitet wurde und in welchen Bereichen man
tätig war. Dies kann übrigens auch helfen, die eigenen Bedürfnisse zu belegen,
wenn es um die Anforderung zusätzlicher Ressourcen geht. Selbstverständlich kann
das ausgebaut werden (excel sheet, spezielle Software), indem man aufzeichnet, für
welchen Bereich (Einkauf, Verkauf, Forschung, Produktion, HR, Corporate etc.)
wie viel Zeit aufgewendet wurde, was einem für eine optimale Ressourcenalloka-
tion sehr dienlich sein kann.
Falls man möchte, kann das Ganze durch eine quantitative Liste ergänzt werden, in
der man ganz einfach aufzeichnet, wie viele Verträge (zum Beispiel Non-Disclosure
Agreement [NDA], Distribution, Agency, Maintenance, Supply, Licence, Purchase,
Research and Development [R&D], Letter of intent [LOI], Joint centure [JV] etc.),
Prozesse (als Klägerin oder Beklagte), Transaktionen, Schulungen etc. über das ganz
Jahr hinweg durchgeführt respektive erledigt wurden. Über die Jahre lässt sich dann
mit fundierten Daten die Entwicklung aufzeigen.
In einem zweiten Schritt klassifiziert man die Gebiete für das Legal Counse-
ling in solche, die von sehr hoher, hoher, mittlerer und ohne Bedeutung für das
Unternehmen sind und ob man dabei eine Generalisten- oder Spezialistenrolle aus-
übt. Dieser Schritt dient in erster Linie dazu, aufzuzeigen, wo effektiv Bedarf ist
und wo es sinnvoll ist, noch entsprechende Ressourcen zu allozieren. Danach folgt
in einem dritten Schritt die Zuteilung, in welcher abgestimmt werden muss, ob
eine zentrale oder dezentrale Anbindung20 erfolgt. Mithin geht es hier um die
Frage, was intern dem General Counsel, dem Corporate Secretary, den einzelnen
Legal Counsels, Paralegals und Assistenten oder anderen Fachabteilungen im
Unternehmen zugewiesen und was an externe Anwälte vergeben wird.
Zur Unterstützung, das heißt, damit zum Beispiel juristisch relevante Sachver-
halte überhaupt oder zumindest einfacher zum Legal Counsel kommen und zielge-
richteter und effizienter bearbeitet werden, können diverse Hilfsmittel beigezogen
und eingeführt werden, wie zum Beispiel:
• Festlegung interner Prozesse, Richtlinien, zum Beispiel ein Legal & Compli-
ance Governance Rahmen21, Richtlinie Recht22, Contract Policy,
• Zweitunterschrift durch den Legal Counsel unter jeden Vertrag,
• Schulungen neuer Mitarbeiter oder zu besonderen Themen,
• Sprechstunde Recht,
linie Recht“, welche die Rolle und Funktion des Rechtsbereichs erläutert, die Vision des Rechts-
bereichs aufzeigt, Handlungsanweisungen gibt und den Rechtsbereich unterstützt, das heißt die
Effektivität und Effizienz des Rechtsbereiches erhöht und Transparenz schafft.
688 C. Wind
Es versteht sich, dass dem Legal Counsel nicht nur rechtliche, sondern unter
Umständen durchaus auch operative, administrative und/oder projektmäßige Auf-
gaben übertragen werden,23 wie zum Beispiel die Mitwirkung bei der Strategie-
festlegung des Unternehmens, Entwicklung von Businessplänen oder das
Betreiben von Frühwarnsystemen betreffend aufkommender Rechts- und Compli-
ance-Risiken.24 Constance E Bagley spricht bei den General Counsels gar von den
swiss army knifes der rechtlichen Berufe.25
Auch ist im Sinne eines möglichst unkomplizierten und einfachen Zugangs
zum Legal Counsel von einem Profit Center-Ansatz abzuraten, das heißt, dass die
beanspruchten Rechtsdienstleistungen aus Gründen der Kostentransparenz und
gemäß dem Verursacherprinzip direkt der nachfragenden Abteilung belastet wer-
den.26 Meiner Meinung nach geht es beim Legal Counseling in erster Linie um
Prävention und Compliance, und nicht darum, aus der Rechtsabteilung Profit zu
generieren. Aus der Sicht des Unternehmens und der bottom line ist es sowieso ein
Nullsummenspiel. Es sollte auch klar geregelt und kommuniziert werden, wer
alles und zu welchen Fragestellungen an den Legal Counsel gelangen darf.27 Hier
hat sich eine klare open door-Policy sehr bewährt. Das heißt, es kann grundsätz-
lich jeder, allenfalls mit Rücksprache des jeweiligen Vorgesetzten, direkt mit
einem Legal Counsel in Kontakt treten. Denn vielfach ist es vorteilhafter, den
Sachverhalt direkt vom Betroffenen als in einer vom Vorgesetzten „übersetzten“
Version zu hören. Auch hilft dies wiederum, die Mitarbeiter im Unternehmen bes-
ser und authentischer kennenzulernen, was sich langfristig sehr auszahlt und sich
dann über zum Teil ganz unerwartete Kanäle verbreitet.28
23Vgl. Wilke (2012, S. 43 Rz 5); Staub (2010, S. 37), welcher auch von professioneller Projekt-
28So hatte ich in einem Unternehmen, in dem ich früher im Rechtsdienst tätig war, einem Mit-
arbeiter des Sicherheitsdienstes (ich kannte alle mit Vor- und Nachnamen) beim Eingang quasi
beim Vorbeigehen auf eine rechtliche Frage eine ganz kurze Antwort gegeben und wurde etwa
ein halbes Jahr später von einer Mitarbeiterin der Kantine angesprochen, dass sie ein rechtliches
Problem hätte und ein Herr vom Sicherheitsdienst mich ihr wärmstens empfohlen hätte.
29Vgl. dazu auch Staub (2010, S. 38).
48 Hauptprozess Legal Counseling 689
Ruf, eine starke Vertrauensbasis und ein entsprechendes Standing seiner Rechts-
abteilung im Unternehmen aufzubauen, nicht nur der Aufsichtsratsvorsitzende,
Mitglieder der Geschäftsleitung oder des mittleren Kaders, sondern auch andere
Mitarbeitende versuchen, die Dienste der Rechtsabteilung für private Rechtsange-
legenheiten in Anspruch zu nehmen. Sei es, um schnell einen Grundstückkaufs-
oder Mietvertrag überprüfen zu lassen, familien- oder erbrechtliche Fragen zu
beantworten, wegen einer Bewilligung oder in einem Nachbarstreit Unterstützung
zu holen oder eine Antwort erhält, was man im Falle einer Buße wegen zu schnel-
lem Fahrens unternehmen könne.
Es empfiehlt sich, im Unternehmen eine klare Regelung hierzu zu treffen:
Möchte man eine Art „private Rechtsauskunft“ anbieten oder nicht – und dies
dann auch aktiv im Unternehmen kommunizieren. Falls man eine private Rechts-
auskunft anbietet, was durchaus sinnvoll sein kann und auch nebst Schulungen ein
sehr gutes und probates Mittel ist, um auf eine andere Art und Weise das Vertrauen
von Mitarbeitern zu erlangen, müssen die Rahmenbedingungen klar festgelegt und
kommuniziert werden, zum Beispiel:
• Jeder hat Anspruch auf maximal eine Stunde unentgeltliche persönliche Rechts-
beratung pro Jahr.
• Man hat sich anzumelden, den Sachverhalt schriftlich vorzubereiten und allfäl-
lige Dokumente mitzubringen.
• Es gibt nur eine allgemeine erste grobe Einschätzung und dann je nach Fall
eine Empfehlung, einen externen Anwalt beizuziehen.
• Der Legal Counsel wird nie einen Fall persönlich übernehmen und vor Gericht
vertreten.
• Im Falle von Empfehlungen von externen Anwälten hat sich bewährt, dass man
mindestens zwei oder drei Anwälte angibt und die definitive Auswahl dann dem
Mitarbeiter überlässt.
Auf der einen Seite ist es für den Legal Counsel selbstverständlich eine gute Mög-
lichkeit, sich mit Auskünften zu privaten Rechtsangelegenheiten im Unternehmen
noch weiter zu profilieren und natürlich auch ein gutes Gefühl, wenn man spürt,
dass einem die Mitarbeiter auch das Vertrauen aufgrund der Mitteilung teilweise
sehr persönlicher Rechtsprobleme schenken. Auf der anderen Seite hat man in der
Regel nur limitierte Ressourcen und ist, wie bereits schon mehrfach erwähnt, pri-
mär für das Unternehmen da.
Nachhaltiges Legal Counseling kann nur dann erreicht werden, wenn gewisse Kri-
terien in der Zusammenarbeit zwischen dem General Counsel/den Legal Counsels
und den verschiedenen Anspruchsgruppen im Unternehmen sowie Eigenschaften
in der Person und der organisatorischen Eingliederung des Counsel erfüllt sind. In
der Zusammenarbeit im Unternehmen ist es daher unabdingbar, dass der Legal
690 C. Wind
Counsel aktiv und explizit die Erwartungshaltungen und Bedürfnisse der beteilig-
ten counterparts auf den Tisch bringt, diese bespricht, begründet und danach ein
Konsens über die Art und Weise der Zusammenarbeit erreicht wird.30 So kann der
Legal Counsel zum Beispiel nur dann einen maximalen Beitrag leisten, wenn er
früh- oder zumindest rechtzeitig ins Boot geholt und umfassend sowie wahrheits-
getreu informiert wird.31 Für den counterpart hingegen spielt es eine entschei-
dende Rolle, dass der Legal Counsel verfügbar ist, rasch auf Fragen antwortet,
sich durch Pragmatismus und Lösungs- sowie Businessorientierung auszeichnet,
indem er das Geschäft des Unternehmens versteht, eine auch für „Nicht-Juristen“
verständliche Sprache spricht und als kritischer Sparringspartner auftritt.32
Entscheidend ist, dass der Legal Counsel durch regelmäßige Interaktionen mit
den verschiedenen Unternehmensbereichen nicht nur das Verständnis und eine
Steigerung der Sensibilität für seine eigenen rechtlichen Anliegen verbessern
kann, sondern gleichzeitig die Bedürfnisse und Anliegen seiner Ansprechpartner
direkt, authentisch und persönlich erfährt. Dies trägt ganz erheblich dazu bei, über
die Zeit ein gegenseitiges von Respekt getragenes Vertrauensverhältnis aufzu-
bauen. Letztendlich führt es dazu, dass die Ansprechpartner ihre natürliche
Zurückhaltung gegenüber juristischen Fragestellungen verlieren und im Unterneh-
mensjuristen einen geschätzten und wertvollen Teamplayer sehen,33 der sie in
ihren wirtschaftlichen Bestrebungen versteht und wesentlich unterstützt. Je besser
die Vernetzung und das Vertrauensverhältnis, umso mehr Fragen mit rechtlichem
Inhalt werden in Zukunft an den Legal Counsel herangetragen.
Abschließend und der Vollständigkeit halber sind auch
• Zuverlässigkeit (das heißt, vereinbarte Termine sind einzuhalten und bis dann
ist zu liefern),
• eine bestimmte und klare Linie (das heißt nicht einmal so und das andere Mal
anders),
• eine immer ehrliche, offene und direkte Meinung und
• vertrauensvolles, verschwiegenes und loyales Verhalten
30Heinemann (2010, S. 30): „They [General Counsel, sic!] should clarify the conception of the
chief legal officer held by those executives“.
31Vgl. Wilke (2010, S. 52 Rz 20): „[…] haben Juristen immer wieder damit zu kämpfen, dass
ihr Rat im letzten Moment oder gar zu spät eingeholt wird und sie nur noch als „Feuerwehr“ mit
dem „Bekämpfen unnötiger Brände“ beschäftigt sind“.
32Vgl. dazu auch Staub (2010, S. 42).
34Frick (2010, S. 75), spricht von „Business Partners und nicht legal advisors“.
48 Hauptprozess Legal Counseling 691
(siehe dazu auch Kap. 34), empfiehlt es sich sehr, dass der Legal Counsel wenn
immer möglich eine Auswahl von rechtlich möglichen Optionen vorlegt, auf deren
unterschiedliche Risikopotenziale hinweist, die Vor- und Nachteile aufzeigt und
sich auch das Recht vorbehält, bei zu risikobehafteten, insbesondere bei wider-
rechtlichen Optionen, sein klares und unmissverständliches Veto einzulegen35 oder
gar an die nächste Stufe zu eskalieren. Wenn es sein muss bis zum Aufsichtsrats-
vorsitzenden.36
38Vgl. dazu auch Hess (2010, S. 14 ff.), welcher auf folgende Punkte verweist: 1. Remain modest
and humble, 2. Be polite, 3. Get your priorities right and deliver on time, 4. „C’est le ton qui fait
la musique“, 5. Respect your colleagues, 6. Don’t compromise, 7. Accept new challenges and
then enjoy meeting them, 8. Take the ball and 9. Look after yourself; Wind (2010, S. 261) (Sicht
des Verwaltungsrats); Leigh Dance (2015, S. 87 ff.).
39Meier (2010, S. 53), spricht von einer soliden juristischen Ausbildung als Kernkriterium für
den Unternehmensjuristen und auf S. 57 von breitgefächerten juristischen Kenntnissen als Basis
für den General Counsel.
692 C. Wind
Kontext (siehe dazu auch Kap. 6–8). Bei den Sprachen ist verhandlungssicheres
Englisch das Minimum.40 Jede weitere Sprache ist sicherlich ein zusätzlicher
Vorteil. Als Legal Counsel in einem Unternehmen hilft es ebenfalls, wenn man
über ein gewisses Wirtschaftsverständnis41 respektive über Grundlagen der
Unternehmensführung42 (zum Beispiel durch eine MBA-Ausbildung) verfügt
und in etwa nachvollziehen kann, wie eine doppelte Buchhaltung mit Bilanz
und Erfolgsrechnung funktioniert. Weitere fachliche Fähigkeiten, wie zum Bei-
spiel im Bereich Projektmanagement oder Führungserfahrung, schaden sicher-
lich auch nicht43 und können gar helfen, das eigene Einsatzgebiet zu vergrößern
oder auch andere Aufgaben zugeteilt zu bekommen: Wie zum Beispiel interi-
mistisches Führen einer Tochtergesellschaft oder Leiter eines Projektes oder
Geschäftsleitungsmitglied zu werden (siehe dazu detailliert Kap. 35).
u Als Legal Counsel sollte man sich stets bewusst sein, welches die
momentan fünf größten rechtlichen Risiken und Herausforde
rungen im Unternehmen sind und welche fünf es in fünf Jahren
sein könnten.
43Vgl. z. B. für weitere Fähigkeiten auch Groß und Vaagt (2015, S. 7).
u Integrität ist das allerwichtigste asset des General und der Legal
Counsels. Vertrauliche Informationen bleiben anvertraut respek-
tive werden nur an diejenigen weitergegeben, die es zwingend
wissen müssen. In Bezug auf die Integrität darf es keine Kompro-
misse geben. Man darf als Unternehmensjurist nie der Versuchung
erliegen, sich durch gezieltes content dropping im Unternehmen
interessant machen zu wollen.
45Vgl. zur Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Unabhängigkeit, Wind (1998, S. 75 ff.);
48Hess (2010, S. 21), spricht an dieser Stelle von your shareholders’ best interests, was meiner
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S, Hess B, Meier AL, Schiltknecht R, Wind C (Hrsg) In-House Counsel in internationalen
Unternehmen. Helbing Lichtenhahn, Basel, S 257–261
Wind C (2008) Als General Counsel wieder auf die Schulbank? Schweizerische Juristenzeitung
(SJZ) 2008(10):248–250
Wind C (1998) Die Unabhängigkeit der Revisionsstelle gemäß Art. 727c Abs. 1 OR. Dissertation
St.Gallen. Treuhand-Kammer, Zürich
Wohlmann H (2010) Wandlungen des Berufsbildes des Unternehmensjuristen in der Industrie.
In: Hambloch-Gesinn S, Hess B, Meier AL, Schiltknecht R, Wind C (Hrsg) In-House Coun-
sel in internationalen Unternehmen. Helbing Lichtenhahn, Basel, S 3–12
und Informationsrecht (2002); EMBA IMD Lausanne (2007); Zertifizierter Auditor für Compli-
ance Management Systeme gemäß ISO 19600 und ONR 192050 (2014); Functional Partner für
Corporate Secretary/Compliance am International Center for Corporate Governance der Uni-
versität St.Gallen, über 17 Jahre Erfahrung als In-house Counsel (Revisuisse Price Waterhouse
(1993–1996); F. Hoffmann-La Roche AG (1996–2001); Secretary of the Board of Directors &
Legal Counsel Holcim Ltd (2001–2006); General Counsel & Corporate Secretary Hilti Aktien-
gesellschaft/Liechtenstein (2006–2011)); Partner bei Bratschi Wiederkehr & Buob AG seit 2011
und seit 2013 zusätzlich Office Manager; diverse Publikationen, Lehrtätigkeiten an den Univer-
sitäten St.Gallen und Zürich und Referate an Seminaren und internationalen Konferenzen zum
Thema Compliance, Governance oder Kartellrecht.
Hauptprozess Transaction
Management 49
Heiko Wendel
Der Begriff Transaktion ist naturgemäß nicht legal definiert, er umfasst in der
unternehmens-juristischen Praxis eine Vielzahl unterschiedlicher Vorgänge:
Transaktionen weisen häufig einen Projektcharakter auf, sie haben einen sichtba-
ren Anfang und ein definiertes Ende. Zudem weisen sie eng vernetze Abläufe auf;
Ziel und Inhalt einer Transaktion können sich während ihrer Abarbeitung dennoch
ständig weiterentwickeln und verändern. So kann aus einem zunächst geplanten
share deal ein asset deal respektive aus einem zunächst verfolgten Joint Venture
ein Vollerwerb von Unternehmensanteilen werden. Die Veränderung des Projekt-
ziels hat in aller Regel umfangreiche Auswirkungen auf die rechtliche Begleitung
H. Wendel (*)
Rolls-Royce Power Systems AG, Friedrichtshafen, Deutschland
E-Mail: heiko.wendel@yahoo.de
einer Transaktion. Je größer ein Unternehmen, desto größer sind auch die Anzahl
und die Vielfalt seiner Transaktionen. In sehr großen Unternehmen hat dieser
Umstand zur Folge, dass sich Unternehmensjuristen oder ganze Abteilungen auf
bestimmte Arten von Transaktionen spezialisiert haben. Die größte Abwechslung
an Transaktionen als Teil des Tagesgeschäfts dürften Unternehmensjuristen aber
wohl in internationalen Unternehmen mittlerer Größe erleben.
Das „Management von Transaktionen“ bedeutet insoweit also vor allem kommu-
nizieren und organisieren. Daher muss die leider immer noch verbreitete Juris-
tenkrankheit bei der Mitwirkung an Transaktionen vollständig abgelegt werden.
Der Legal Counsel kann nicht einfach nur – wie so oft im Tagesgeschäft – eine
passive Rolle einnehmen und nur diejenigen Sachverhalte rechtsgutachterlich und
risikobasiert betrachten, welche er sich zuvor mundgerecht auf dem Schreibtisch
zurechtgelegt hat. Gleiches gilt für die typische Juristeneigenschaft, erkannte und
beurteilte Risiken im berühmt berüchtigten „Hätte-könnte-würde-Stil“ – ohne
klare Entscheidungsempfehlung – an den Auftraggeber zurückzuspielen. Vielmehr
muss der Legal Counsel gerade bei Transaktionen am Erreichen des angestrebten
Ziels und damit an der Erarbeitung des damit verbundenen Lebenssachverhalts
von Anfang an sehr aktiv mitwirken. Da die vorbeschriebenen Juristenkrankhei-
ten in den Unternehmen allseits bekannt sind und manche Führungskraft die Pas-
sivität und Unentschlossenheit ihrer Legal Counsels sogar ausnutzt, dürfen sich
diese auch nicht in eine solch passive Rolle zurückdrängen lassen. Vielmehr müs-
sen sie darauf bestehen, in allen zur Transaktion gehörenden Besprechungen und
im gesamten Informationsaustausch von Anfang an und umfassend einbezogen zu
werden.
49 Hauptprozess Transaction Management 699
Unabhängig von der konkreten Transaktion nehmen Verträge aller Art eine ent-
scheidende Rolle im Transaction Management ein. Deshalb ist der Unterneh-
mensjurist bei diesen stets besonders mit seinen kautelarjuristischen Fähigkeiten
gefordert. Je nach Art der Transaktion müssen bereits sehr früh im Prozess die
Weichen für den später zu formulierenden Vertragstyp gestellt werden.
Die Führung und Begleitung von M&A-Transaktionen gehören für die meisten
Legal Counsels heute zum Standardrepertoire. Die zentralen Weichenstellungen
bei einer M&A-Transaktion stellen die Durchführung einer „Due Diligence“ und
die nachfolgenden Vertragsverhandlungen dar. An diesem Punkt sind die Unter-
nehmensjuristen ganz besonders gefordert. Sowohl als Sachbearbeiter als auch als
Manager. Denn in der Regel benötigt man für die erfolgreiche Durchführung einer
M&A-Transaktion die Hilfe externer Experten, und es ist Aufgabe des Unterneh-
mensjuristen, jedenfalls die externen Rechts- und Steuerexperten zu managen.
49 Hauptprozess Transaction Management 701
Die Beschäftigung mit dem Einbezug externer Experten muss zu einem sehr frü-
hen Zeitpunkt des Transaktionsprojekts erfolgen, idealerweise sofort nachdem der
Legal Counsel die ersten Informationen zum Projekt ausgewertet hat. Dies zum
einen, weil es Zeit braucht, die richtigen Experten für das jeweilige Projekt zu fin-
den: Bei der Auswahl sind nicht nur fachliche und kapazitative Kriterien heranzu-
ziehen. Es ist auch zu prüfen und einzuschätzen, ob und wie gut die Mitarbeiter
der externen Berater mit den intern handelnden Personen zusammenpassen. Das
Einbinden neuer Berater in eine Transaktion kann aber auch deshalb längere Zeit
in Anspruch nehmen, weil die zunächst bevorzugte Beratungsgesellschaft auf-
grund eines möglichen Interessenkonflikts plötzlich nicht mehr mitwirken darf.
Eine andere – mit dem Unternehmen bislang nicht vertraute – Beratungsgesell-
schaft oder Kanzlei muss sich dann nicht nur mit den Transaktionsdetails, sondern
erst einmal auch mit ihren eigenen Kapazitäten auf das Transaktionsprojekt ein-
stellen. Schließlich muss sie das Unternehmen und die handelnden Personen erst
einmal kennenlernen, was in der Praxis oft einiges an Zeit in Anspruch nimmt.
Ist der General Counsel aufseiten des übernehmenden Unternehmens tätig, hat
er von Anfang an die wichtige Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich das Unterneh-
men nur so weit rechtlich bindet, wie dies von der Geschäftsleitung ausdrücklich
gewünscht ist. Deshalb muss er die Geschäftsleitung rechtzeitig über den recht-
lichen Grad der jeweiligen Bindungswirkung einer Erklärung oder Maßnahme
informieren. Dies setzt voraus, dass er immer über den aktuellsten Stand der
Transaktion informiert ist. Der Legal Counsel muss insbesondere verhindern,
dass das Unternehmen zu früh rechtlich bindende Zusagen macht, die im Falle
des Scheiterns des Erwerbs zu einem Schadensersatzanspruch führen könnten.
Dabei darf er allerdings nicht zu ängstlich agieren, weil er dadurch seine eigene
Position im Projektteam gefährden könnte. Er benötigt somit zwingend das not-
wendige Gespür für das richtige Maß seiner eigenen Beratung.
Das Briefing neuer Rechts- und Steuerberater gehört zu den Aufgaben des Unter-
nehmensjuristen. Der Umfang der Informationen muss nicht nur die konkrete
Transaktion umfassen, sondern ebenso alle notwendigen Details des eigenen
Unternehmens beinhalten. Hierzu gehören die Darstellung der gesellschaftsrecht-
lichen Organisation und der internen Strukturen (Wer macht was, wer ist wofür
verantwortlich?) sowie die Beschreibung des operativen Geschäfts. Natürlich
haben heute alle Unternehmen viele eigene Informationen ins Internet gestellt.
Diese reichen für die richtige Beratung der konkreten Transaktion jedoch meist
nicht aus. Es ist zudem nicht davon auszugehen, dass externe Berater immer
702 H. Wendel
1Eine Due Diligence besteht aus der Prüfung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
des oder der Zielobjekte sowie der beim Zielobjekt vorhandenen kaufmännischen, technischen
und rechtlichen Risiken. Bei richtiger Vorgehensweise beinhaltet sie auch die Eruierung jeweils
vorhandener Chancen.
704 H. Wendel
und zum anderen, überhaupt genügend Zeit zur Durchsicht zu erhalten. Macht
die Verkäuferseite an dieser Stelle auffallend viel Druck und führt gegebenenfalls
Kostengründe hierfür an, dann sind diese zumeist vorgeschoben und sie hat viel-
mehr etwas zu verbergen.
Die wichtige Arbeit des Unternehmensjuristen bei der Durchführung einer
Due-Diligence-Prüfung besteht darin, alle Punkte zu erkennen, die aus recht-
licher Sicht konkret prüfungsrelevant sind. Er benötigt also den Blick für das
richtige Maß und die richtigen Schwerpunkte beziehungsweise die konkret rele-
vanten Risikofelder aufseiten des Zielobjekts. Dazu müssen bereits zu Beginn
des Projekts möglichst viele Detailinformationen über das Zielobjekt in Erfah-
rung gebracht werden. Typische Informationsquellen sind neben dem hoffentlich
vorhandenen Werbeprospekt (teaser) alle öffentlich zugänglichen Quellen, ein-
schließlich der jüngsten Bilanzen und Unternehmensabschlüsse. Üblicherweise
sammelt die Käuferseite alle sie interessierenden Prüfungsthemen und Fragen in
einer sogenannten Due-Diligence-Liste, deren Inhalt sie im weiteren Prüfungspro-
zess strukturiert abarbeitet. In der Literatur existieren unzählige Checklisten mit
empfohlenen Prüfungsinhalten, die als erste Orientierungshilfe sicherlich sinn-
voll sind. Anpassungsaufwand besteht allerdings bei jeder Transaktion. Die für
die konkrete Transaktion erforderliche finale Liste muss rechtzeitig fertig gestellt
sein und sie muss in jedem Fall schnellstmöglich mit dem Zielobjekt geteilt wer-
den, damit es die benötigten und meist sehr umfangreichen Informationen und
Antworten rasch zusammenstellen kann. Der zeitliche Aufwand hierfür beträgt oft
mehrere Wochen. Die Formulierungen und Fragen in der Liste sind daher so zu
wählen, dass auch die Empfänger sie möglichst leicht verstehen können. Mithin
besteht eine Due-Diligence-Liste bei weitem nicht nur aus rechtlichen Prüfungs-
punkten. Vielmehr enthält sie mindestens genauso viele wirtschaftliche und techni-
sche Prüfungspunkte und Fragen, die von anderen Fachbereichen eingefügt und
später gewürdigt werden müssen.
Das Erstellen der finalen Due-Diligence-Liste ist also eine essenzielle Teamar-
beit der verschiedenen Fachbereiche. Passgenau wird eine Liste dadurch, dass man
alle zum Zielobjekt vorliegenden Informationen sichtet und diese streng daraufhin
prüft, ob sich aus einer der vorhandenen Informationen das Zielobjekt betreffend
prüfungswürdige Inhalte ergeben, die mit geeigneten Dokumenten und Fragen
geklärt werden müssen. Eine Due-Diligence-Liste ist somit eine „lebende“ Liste
und kann sich im Laufe der Projektdurchführung entsprechend ändern. Je mehr
man über das Zielobjekt erfährt, desto mehr Fragen können sich stellen. Ebenso
gut können im Projektverlauf aber auch bislang gelistete Themen wegfallen, weil
sie im konkreten Projekt als nicht (mehr) relevant erkannt worden sind. Wichtig
dabei ist jedoch, die Gründe für den Wegfall von Prüfungspunkten stets und unver-
züglich zu dokumentieren.
Naturgemäß dürfen heutzutage Compliance-Themen in keiner Due-Diligen-
ce-Liste fehlen (siehe dazu auch Kap. 54): Gibt es ein Compliance Management
System? Welche Compliance-Felder werden damit auf welche Art und Weise
abgedeckt? Welche Compliance-Vorfälle gab es in den vergangenen Jahren und
wie wurden diese jeweils bearbeitet? All diese notwendigen Fragen sind längst
49 Hauptprozess Transaction Management 705
49.3.6.1 Der Vertragsentwurf
Gleichgültig, ob der Legal Counsel aufseiten des Interessenten oder des Zielob-
jekts tätig ist, muss er den ersten Vertragsentwurf möglichst frühzeitig erstel-
len. Diejenige Partei, die hier den ersten Schritt macht und der Gegenseite ihren
Entwurf zuerst vorlegt, kann den weiteren Projektverlauf aktiver mitgestalten und
besser beeinflussen und verschafft sich dadurch Vorteile bei den späteren Ver-
tragsverhandlungen (siehe dazu detailliert Kap. 32). Bei einem Ausschreibungs-
verfahren ist es in der Praxis zumeist die Verkäuferseite, die den ersten Entwurf
vorlegt. Sie hat schlichtweg mehr Zeit zur Vorbereitung und ist auch in der ersten
Phase der Transaktion regelmäßig die aktivere Partei. Hierbei darf sich der Unter-
nehmensjurist zwar einer der zahlreich vorhandenen Musterentwürfe bedienen.
Bevor er diesen Entwurf jedoch der Gegenseite vorlegt, muss er ihn mit den bis
dahin vorliegenden konkreten Projektinformationen versehen. Die Übersendung
eines lediglich allgemein gehaltenen Vertragsmusters ist Gift für den Erfolg der
Transaktion, weil der Empfänger dann zu Recht den Eindruck gewinnt, die Gegen-
seite verfolge kein wirklich ernsthaftes Interesse.
49.3.6.2 Zentrale Vertragsinhalte
In jedem M&A-Vertrag sind passgenau die Themenpakete betreffend Art und
Weise des Anteilsübergangs und der Zahlungsmodalitäten, der Gewährleis-
tungs-, Garantiekataloge und Haftungsumfänge sowie der Rechtswahl und des
Gerichtsstands zu formulieren und detailliert zu verhandeln. Ab und zu erlebt
man, dass Transaktionen aufgrund der Uneinigkeit der Parteien über einen der
vorgenannten Punkte scheitern. Die nachfolgenden Ausführungen geben daher
praktische Überlegungen zu denkbaren Regelungsmöglichkeiten wieder. Der Fan-
tasie sind in der Praxis insoweit fast keine Grenzen gesetzt, hier können die Legal
Counsels ihre Kreativität vollständig einbringen.
49 Hauptprozess Transaction Management 707
den zugrunde liegenden Sachverhalten sehr weit entfernt und müssen je nach Art
des Problems ihrerseits auf Anwälte im Land des Zielobjekts oder der Verkäufer
zurückgreifen. Solche Umständlichkeiten sollten im Sinne des Käuferinteresses
vermieden werden. Zum anderen werden dadurch auch die Vertragsverhandlungen
selbst ungleich aufwendiger und merklich komplizierter.
Bei späteren Auseinandersetzungen mag man eine solche Lösung vielleicht als
befriedendes Element betrachten, weil die Motivation, Rechtsansprüche geltend
zu machen, aufgrund der großen Unsicherheit im Umgang mit einem fremden
Recht deutlich gemindert wird. Der Legal Counsel muss sich mithin aber immer
im Klaren darüber sein, dass er es ist, der die finale Empfehlung für die Entschei-
dung geben muss, ob ein Rechtsanspruch gerichtlich geltend gemacht werden
soll oder nicht. Je mehr Rechtsordnungen in die Prüfung mit einzubeziehen sind,
desto unschärfer und desto weniger überzeugend wird am Ende die Empfehlung
des Unternehmensjuristen sein. Folglich kann die Frage der Rechtswahl sich
also sogar auf die Reputation des Legal Counsel auswirken. Diese Auswirkungen
darf man nicht unterschätzen, weil der Unternehmensjurist ausschließlich von der
Überzeugungskraft seiner Empfehlungen lebt. Aus all diesen Gründen ist die Ver-
einbarung eines neutralen Rechts in der Regel keine praktisch sinnvolle Lösung.
Die Verkäuferseite verlangt in der Regel schon vor Beginn der Due Diligence-Prü-
fungen ein zumindest nicht-bindendes Kaufpreisangebot (non-binding offer).
Nach Abschluss der Prüfungen, aber noch vor Beginn der eigentlichen Vertrags-
verhandlungen, muss das Angebot dann in der Regel mit rechtlicher Bindungswir-
kung abgegeben werden, damit die Vertragsverhandlungen überhaupt beginnen
können. Infolgedessen haben sich die Parteien häufig schon vor Beginn der Ver-
tragsverhandlungen über den Kaufpreis bereits geeinigt. Aus rechtlicher Sicht ist
dieser Umstand als sehr misslich zu bezeichnen, weil der Inhalt des noch zu ver-
handelnden Vertrags ja durchaus noch Auswirkungen auf den späteren Kaufpreis
haben kann. Um nicht voreilig eine Kaufpflicht entstehen zu lassen, muss der
Legal Counsel der Käuferseite deshalb auch bei einem als bindend bezeichneten
Angebot stets entsprechende Bedingungen formulieren, welche die Voraussetzung
für das Entstehen der rechtlichen Bindungswirkung sind. Dies schafft Transpa-
renz und gestaltet die späteren Vertragsverhandlungen mithin effizienter. Denn
beide Seiten wissen schon frühzeitig, worauf es der Gegenseite am Ende wirklich
ankommt und worauf sie sich einzustellen haben.
Der Unternehmensjurist weiß aber auch, dass er mit einem Angebot, welches er
unter einer Bedingung abgibt, die Wirksamkeit einer rechtlichen Bindung beein-
flusst beziehungsweise deren Entstehung verhindern kann. Deshalb sind normaler-
weise auch die sogenannten legally binding offers jedenfalls nach deutschem Recht
in Wahrheit ohne rechtliche Bindungswirkung. Je nach einschlägiger Rechtsord-
nung ist dies aber durchaus anders zu beurteilen. Bereits bei der Ausgestaltung der
non-binding offers ist deshalb stets größte juristische Sorgfalt notwendig.
712 H. Wendel
Die Vertragsparteien sind sich solcher Risiken zumeist bewusst. Der Erfolg der
Transaktion hängt dann ganz wesentlich vom nicht justiziablen Vertrauen ab, das
sich beide Seiten bis zum Projektende entgegenbringen müssen, weil nicht jeder
Schritt für beide Seiten rechtssicher geregelt werden kann. Aufgrund der bereits
zu einem sehr frühen Zeitpunkt bestehenden faktischen Einigkeit über den Kauf-
preis muss sich der Legal Counsel im Klaren darüber sein, dass bereits bei Beginn
der Vertragsverhandlungen schon viele weitere Parameter de facto festgelegt sind,
obwohl sich diese auf einige im Vertrag erst noch zu verhandelnde rechtliche Sach-
verhalte beziehen. So können zum Beispiel der Umfang des Garantiekatalogs und
des Haftungsregimes durchaus Kaufpreisrelevanz aufweisen. Wenn die Verkäufer-
seite zum Beispiel so gut wie keine Haftungsrisiken zu tragen bereit ist oder nur
geringfügig Garantien geben will, dann ist dies bei der Kaufpreisgestaltung min-
dernd zu berücksichtigen. Dies gilt natürlich auch umgekehrt, sofern die Käufer-
seite bei den Verhandlungen sehr umfangreiche Haftungsregelungen und Garantien
verlangt. Insoweit darf sich der Unternehmensjurist nicht scheuen, die Diskussion
um die Kaufpreishöhe auch während der Vertragsverhandlungen erneut zu führen.
Die routinemäßige Einbeziehung der Legal Counsels in den Prozess der Pro-
duktentwicklung sowie bei der Festlegung und Weiterentwicklung der Markt-
strategien und auch der Produktvermarktung ist in vielen Unternehmen bei den
49 Hauptprozess Transaction Management 713
hierfür technisch und kaufmännisch Verantwortlichen nach wie vor noch nicht als
Pflichtaufgabe vorgesehen. Dabei finden sich bei all diesen Aufgaben sehr wich-
tige Weichenstellungen, die dem Unternehmen ohne die genügende Betrachtung
der rechtlichen Risiken großen Schaden zufügen können. Die Prüfung der recht-
lichen Möglichkeiten kann die Chancen des Unternehmens bei der Vermarktung
seiner Produkte aber deutlich erhöhen. Der Unternehmensjurist darf deshalb nicht
davor zurückschrecken, sich auch in diese fachfremden Themen mit Nachdruck
einzumischen und seine Beratung anzubieten.
49.4.1 Produktentwicklung
Der unternehmensjuristische Rat hilft dem Unternehmen auch bei der Ausarbei-
tung und Entscheidung über die richtigen Marktstrategien und der Produkt-
vermarktung. Gleichgültig wie man Märkte definiert, können sie nie ohne den
Bezug zu einer Rechtsordnung gedacht werden. Der Legal Counsel muss insoweit
neben Fragen zu nationalen Zulassungserfordernissen vor allem kartellrechtliche
Fragestellungen im Blick behalten. Das Kartellrecht erhält bereits bei der Frage
Relevanz, aus welchen Quellen und auf welche Art und Weise das Unternehmen
diejenigen Informationen und Zahlen sammelt und erfasst, die es als Grundlage
für die spätere Marktstrategie verwendet. Hier führen Kontakte zu Wettbewerbern
sehr schnell zu Grenzüberschreitungen, die der Unternehmensjurist verhindern
muss. In diesem Zusammenhang hat der Unternehmensjurist den Verantwortlichen
zu vermitteln, unter welchen Voraussetzungen sich das Unternehmen an Markt
umfragen beteiligen darf.
Der Unternehmensjurist muss auch hinsichtlich der operativen Fragen, auf wel-
che Art und Weise die Produkte in den Zielmärkten vertrieben werden sollen,
kartellrechtliche Prüfungen anstellen. Sollen die Produkte direkt, ausschließlich
oder auch indirekt über Zwischenhändler, Vertragshändler oder Distributoren
vertrieben werden, dann setzt das Kartellrecht insbesondere bei der Preis- und
Kundenstrategie – zum Beispiel hinsichtlich Preisbindungen, Kundenauftei-
lungen und Exklusivitätsabreden – bestimmte Grenzen, die nicht nur vertraglich
korrekt zu regeln sind, sondern die vor allem von den verantwortlichen Vertriebs-
kollegen auch bei der täglichen Arbeit strikt zu beachten sind. Nicht zuletzt müs-
sen auch die Risiken möglicher Marktmissbräuche konkret betrachtet werden.
Die notwendigen kartellrechtlichen Verhaltensregeln und Grenzen muss der Legal
Counsel der Organisation verlässlich vermitteln können (siehe dazu auch Kap. 51).
Dies kann er jedoch nur dann leisten, wenn er die relevanten Zielmärkte sowie die
verfolgten Marktstrategien kennt.
Schließlich muss bei der Entscheidung über die Vergabe von Lizenzen stets
auch entschieden werden, welches Lizenzmodell vereinbart werden soll. Da die
Anzahl an möglichen Lizenzmodellen vielfältig ist, hat der Unternehmensjurist
hier seine kreativen kautelarjuristischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Hier-
bei spielen auch kartellrechtliche Überlegungen eine wichtige Rolle. Denn nicht
jedes Lizenzmodell hält den kartellrechtlichen Grenzen stand. Im Rahmen des
Produktmarketings muss der Unternehmensjurist nicht zuletzt auch prüfen, ob
die wettbewerbsrechtlichen Spielregeln eingehalten werden und welche Haftungs-
risiken mit den jeweils gewählten Werbemaßnahmen verbunden sind. Erkennt er
konkrete Risiken, muss er Lösungen zu deren Minimierung vorschlagen können
und auch in diesem Bereich als business enabler wahrgenommen zu werden.
49 Hauptprozess Transaction Management 715
Mit der in den vergangenen zwanzig Jahren verstärkten Globalisierung hat auch
die Zahl internationaler Verträge markant zugenommen. Bei weitem der größte
Teil der damit geregelten Geschäftstätigkeiten läuft glücklicherweise mehr oder
weniger so ab, wie es dem Willen der Parteien entspricht. Oder es werden für
beide Seiten akzeptable Lösungen gefunden, sobald Probleme auftauchen. Für die
übrigen Fälle bedarf es Mechanismen zur Streiterledigung, welche entweder durch
die Parteien selbst (beispielsweise mit einer Bestimmung wie: „Any disputes bet-
ween the buyer and seller shall be settled by amicable negociation and friendly
discussions…“) oder mit Unterstützung eines außenstehenden Dritten (beispiels-
weise eines Mediators) erfolgt, um eine einvernehmliche Lösung zu finden.
Schließlich besteht auch noch die Möglichkeit, den Sachverhalt einer judikativen
Instanz zu unterbreiten, welche einen verbindlichen Entscheid darüber trifft, wie
der entsprechende Vertrag auszulegen und der Streitfall zu lösen ist. In Binnenfäl-
len werden in der Regel staatliche Gerichte angerufen. Bei internationalen Rechts-
fällen hat sich dagegen die Schiedsgerichtsbarkeit als favorisierte Lösung
durchgesetzt. Eine weltweit durchgeführte Studie bei Unternehmensjuristen1 hat
ergeben, dass knapp drei Viertel der Befragten die internationale Schiedsgerichts-
barkeit als „sehr geeignet“ für ihre Branche beurteilen und dass 52 % sie als ihre
präferierte Methode zur Streitbeilegung bezeichnen.
R. Füeg (*)
Borisat GmbH, Pratteln, Schweiz
Bei Verfahren vor dem staatlichen Richter gilt in der Regel das Öffentlich-
keitsprinzip, was unbeteiligten Konkurrenten gerade bei Patentfragen, aber auch
bei anderen rechtlichen Sachverhalten interessante Einblicke in die Geschäftsge-
heimnisse der streitenden Parteien geben kann. Internationale Schiedsgerichts-
barkeit ist dagegen vertraulich, was in verschiedenen Schiedsordnungen auch
entsprechend formuliert ist. So halten etwa die Swiss Rules of International
Arbitration (Swiss Rules) in Art. 44.1 fest: „Haben die Parteien schriftlich nicht
ausdrücklich etwas anderes vereinbart, so verpflichtet sich jede Partei, über alle
Schiedssprüche und Verfügungen sowie alle von anderen Parteien im Rahmen
des Schiedsverfahrens eingereichten Unterlagen, die nicht in anderer Weise zum
Gemeingut gehören, Stillschweigen zu bewahren (…). Diese Verpflichtung gilt
auch für die Mitglieder des Schiedsgerichts, die vom Schiedsgericht ernannten
sachverständigen Personen, den oder die Sekretär(in) des Schiedsgerichts, die
50 Hauptprozess Litigation & Arbitration Management 719
Organe der Swiss Chambers’ Arbitration Institution, die Mitglieder des Gerichts-
hofs und des Sekretariates sowie die Angestellten der einzelnen Kammern.“
Ähnliche Bestimmungen sind in den Regeln der Deutschen Institution für
Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) in Art. 43 enthalten, während die Regeln der Inter-
national Chamber of Commerce (ICC) oder des Vienna International Arbitration
Center (VIAC) dies als selbstverständlich voraussetzen. Mit Ausnahme zwingen-
der Situationen (zum Beispiel bei Offenlegungspflichten) verpflichten sich die
Parteien damit zu absolutem Stillschweigen. Es ist sogar die Tatsache vertraulich
zu behandeln, dass überhaupt ein Schiedsverfahren stattfindet! Es sei denn, dass
im Rahmen von Auseinandersetzungen im Schiedsverfahren oder nach dessen
Abschluss ein staatliches Gericht angerufen wird (zum Beispiel für die Vollstre-
ckung des Schiedsurteils) oder dass das Vorhandensein eines Schiedsverfahrens
aus börsenrechtlichen Gründen offengelegt werden muss.
Anders als vor einem staatlichen Gericht können die Parteien in einem Schieds-
verfahren ihren Schiedsrichter selbst auswählen. Sie haben es damit in der Hand
sicherzustellen, dass dieser nicht nur über das notwendige juristische Sachwissen,
sondern auch über die entsprechenden Fachkenntnisse in der verhandelten Mate-
rie verfügt. Es ist dabei keineswegs zwingend, einen Juristen als Schiedsrichter zu
benennen. Falls eine Partei es für zweckmäßig erachtet, kann sie durchaus auch
einen Fachexperten benennen (zum Beispiel Architekten, Ingenieure, Techniker,
Fachpersonal). Dies kann insbesondere bei Dreierschiedsgerichten in Baufragen
oder bei komplexen technischen Fragen angezeigt sein. Das juristische Fachwissen
wäre dann insbesondere bei der Wahl des Vorsitzenden zu berücksichtigen.
In internationalen Fällen benennen die Parteien in der Regel zudem meist einen
Schiedsrichter, der mit dem anwendbaren Recht vertraut ist, insbesondere wenn es
nicht dasjenige des eigenen Landes ist. So können sich beispielsweise eine öster-
reichische und eine deutsche Partei auf Schweizer Recht als anwendbares Recht
beim Vertragsabschluss einigen. Damit kann vermieden werden, dass das Schieds-
gericht an seinem Standort allenfalls entsprechend teure ausländische Rechtsex-
perten zuziehen muss.
Während einige Schiedsinstitutionen eine Liste akkreditierter Schiedsrichter
führen, aus denen die Parteien eine Wahl treffen können, lassen andere Institutionen
den Parteien bezüglich der Nomination vollständig freie Wahl; behalten sich aber
oft ein Vetorecht vor. Die Swiss Rules beispielsweise bestimmen in Art. 5.1: „Alle
Mitglieder des Schiedsgerichts, welche von den Parteien oder von anderen Mit-
gliedern des Schiedsgerichts bezeichnet werden, bedürfen der Bestätigung durch
den Gerichtshof. Mit dieser Bestätigung wird die Ernennung zum Mitglied des
Schiedsgerichts wirksam.“ Können sich die Parteien nicht auf einen Einzelschieds-
richter (oder die beiden von den Parteien nominierten Schiedsrichter in einem Drei-
erschiedsgericht nicht auf den gemeinsam zu ernennenden Vorsitzenden) einigen,
720 R. Füeg
trifft die Institution den Entscheid, immer aber unter Berücksichtigung der von den
Parteien genannten Kriterien.
Ebenso entscheidend ist bei internationalen Streitfällen die Möglichkeit der Par-
teien, die Verhandlungssprache selbst festzulegen. Englisch setzt sich in inter-
nationalen Verträgen mehr und mehr als Verhandlungs- und Vertragssprache
durch, kann aber längst nicht überall auch vor Gericht verwendet werden (siehe
dazu auch Kap. 7 und 8). Dies erfordert teilweise kostspielige Übersetzungen
von Dokumenten und die Wahl von Anwälten, welche der Verhandlungssprache
mächtig sind. In der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ist Englisch dagegen
die weitaus am häufigsten verwendete Verfahrensprache (unter den Swiss Rules
werden beispielsweise 70 % der Fälle in Englisch verhandelt). Dabei wird die
Verfahrenssprache vom Schiedsgericht festgelegt. Unter den Swiss Rules können
Verfahren in Englisch, Deutsch, Französisch oder Italienisch eingereicht werden.
Die Schiedsregeln der ICC, der DIS oder die Swiss Rules sind zudem in vielen
Sprachen verfügbar, was insbesondere für Unternehmen und Legal Counsels hilf-
reich sein kann, welche nicht aus dem englischsprachigen Raum stammen.
Von noch größerer Bedeutung für die Wahl des Schiedsgerichtsverfahrens ist die
Wahl des Schiedsorts. Das heißt, des Sitzes des Schiedsgerichts, wo der Schieds-
fall „offiziell“ verhandelt und das Urteil gefällt wird. Die Hearings können
dagegen an beliebigen Orten stattfinden und brauchen keineswegs am Sitz des
Schiedsgerichts abgehalten zu werden. Die Swiss Rules sagen dazu in Art. 16.2:
„Ungeachtet der Festlegung des Sitzes des Schiedsverfahrens kann das Schieds-
gericht entscheiden, wo Verfahrenshandlungen durchzuführen sind.“ Die Wahl des
Schiedsorts hat weitreichende rechtliche Konsequenzen auf die Rechtsmittel, wel-
che gegen einen Entscheid des Schiedsgerichts ergriffen werden können und auf
die Vollstreckbarkeit des Schiedsurteils. Die lex arbitri – das jeweilige nationale
Schiedsrecht – bestimmt, wo und unter welchen Voraussetzungen ein Schiedsurteil
oder eine andere Verfügung eines Schiedsgerichts angefochten werden kann. Diese
Bestimmungen sind von Land zu Land sehr unterschiedlich und können erhebliche
Konsequenzen sowohl auf die Dauer eines Verfahrens als auch auf dessen Kos-
ten haben. Wenn mehrere Instanzen bis zum obersten Gericht durchlaufen werden
müssen, kann die Verfahrensdauer nach Abschluss des Schiedsverfahrens bis zur
Vollstreckung in der Regel ein Mehrfaches der Dauer des eigentlichen Schieds-
verfahrens ausmachen. Auch die Kosten können sich noch einmal wesentlich
erhöhen. So kann es in Indien angesichts der Überlastung der dortigen Gerichte
beispielsweise bis zu zwanzig Jahre dauern, bis das oberste Gericht einen Fall end-
gültig entscheidet.
50 Hauptprozess Litigation & Arbitration Management 721
Justice delayed is justice denied ist eine altbekannte Maxime, über deren Herkunft
allerdings unterschiedliche Quellenangaben vorliegen. Während vor einem staat-
lichen Gericht – vor allem wenn das Urteil weitergezogen wird – ohne Weiteres
722 R. Füeg
drei bis fünf Jahre vergehen können, bis ein vollstreckbares Urteil vorliegt, dauert
dies in der Schiedsgerichtsbarkeit in der Regel weniger lang. Der London Court
of International Arbitration (LCIA) gibt für seine Fälle eine mittlere Dauer von
16 Monaten, die Swiss Chambers’ Arbitration Institution eine von 11 Monaten
an. Zudem werden von verschiedenen Schiedsregeln „beschleunigte Verfahren“
angeboten, unter denen ein Urteil noch rascher gefällt werden kann. Die Swiss
Rules sehen beispielsweise für Fälle mit einem Streitwert von bis zu einer Mil-
lion Schweizer Franken zwingend ein beschleunigtes Verfahren vor einem Ein-
zelschiedsrichter vor; mit nur einmaligem Schriftenwechsel und einem einzigen
hearing (Art. 42.2 Swiss Rules). Auf das hearing kann sogar ganz verzichtet wer-
den, wenn die Parteien dies aus Zeitgründen wünschen, sodass der Fall nur auf-
grund von Dokumenten entschieden wird. Bei diesem beschleunigten Verfahren
liegt das Urteil spätestens nach sechs Monaten seit der Übermittlung der Fallakten
an das Schiedsgericht vor. Die Parteien können aber durchaus auch für Fälle mit
einem größeren Streitwert für ein beschleunigtes Verfahren optieren; was in der
Praxis hin und wieder getan wird.
Bei einem Entscheid für die Schiedsgerichtsbarkeit als Methode zur Streitbewälti-
gung kann grundsätzlich zwischen einem „ad-hoc-Verfahren“ oder der „institutio-
nellen Schiedsgerichtsbarkeit“ gewählt werden. Internationale Nutzer bevorzugen
in aller Regel die institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, weil die gewählten Ins-
titutionen die meisten allfälligen Probleme eines Schiedsverfahrens selbst lösen
können. Bei einem Ad-hoc-Verfahren müssen diese eventuell vor einen staatlichen
Richter gebracht werden, beispielsweise wenn ein Schiedsrichter abgelehnt oder
ersetzt werden soll. Die Swiss Rules legen dazu in Art. 1.4 fest: „Indem die Par-
teien ihre Streitigkeit dieser Schiedsordnung unterstellen, übertragen sie, soweit
nach dem auf das Schiedsverfahren anwendbaren Recht zulässig, alle ansonsten
einer richterlichen Behörde zustehenden Aufsichtsbefugnisse über das Schieds-
verfahren auf den Gerichtshof, einschließlich der Befugnis, die Amtsdauer eines
Schiedsgerichts zu verlängern und über die Ablehnung von Mitgliedern des
Schiedsgerichts aus in dieser Schiedsordnung nicht aufgeführten Gründen zu ent-
scheiden.“ Zudem bietet eine Institution klare Vorteile in Bezug auf die Quali-
tätskontrolle. So überprüft der ICC-Gerichtshof beispielsweise jedes Urteil eines
Schiedsgerichts sowohl in formeller als auch in inhaltlicher Hinsicht. Unter den
Swiss Rules muss das Schiedsgericht seine Kostenentscheide vom Gerichtshof
absegnen lassen, während bei ICC und LCIA der Gerichtshof das Schiedshonorar
festlegt, nicht das beauftragte Schiedsgericht.
In den vergangenen zwanzig Jahren sind viele neue internationale Schiedsord-
nungen entstanden, und die Wahlmöglichkeiten sind entsprechend vielfältig. Zwar
entwickeln sich die bedeutendsten Schiedsordnungen inhaltlich aufgrund der welt-
weiten Erfahrungen tendenziell aufeinander zu. Sie weisen aber durchaus Unter-
schiedlichkeiten auf, welche für den Wahlentscheid eine erhebliche Rolle spielen
50 Hauptprozess Litigation & Arbitration Management 723
Bei jeder Form der Streitbewältigung, egal ob diese vor einem staatlichen Richter,
in einem schiedsgerichtlichen ad-hoc-Verfahren oder vor einem institutionellen
Schiedsgericht ausgetragen wird, sind die Parteikosten2 wesentlich höher als die
Gerichtskosten, respektive das Honorar der Schiedsrichter. Dieses wird – außer bei
Fällen unter den LCIA-Rules, wo ein fester Stundensatz gilt – in Abhängigkeit
vom Streitwert festgelegt. Die jeweiligen Schiedsregeln legen dabei die Ober- und
Untergrenzen fest, welche vom Schiedsgericht nur in Ausnahmefällen und mit
Bewilligung des Gerichtshofs über- oder unterschritten werden dürfen. Daneben
fallen noch die Einschreibegebühren und Administrationskosten der Institution an,
welche allerdings – sowohl im Vergleich mit den Parteikosten, als auch mit den
Schiedsrichterhonoraren – vernachlässigbar sind. Die meisten Institutionen bieten
auf ihren Websites Kostenrechner für Legal Counsels an, mit denen die ungefähren
Kosten des Schiedsgerichts und der Institution leicht abgeschätzt werden können.
Auch bei Schiedsgerichten gilt: Die Kosten trägt im Normalfall die unterlegene
Partei (zum Beispiel Art. 40.1 der Swiss Rules), wobei das Schiedsgericht durch-
aus berücksichtigen kann, dass eine Partei durch trölerisches Verhalten oder man-
gelnde Kooperation das Verfahren unnötig verteuert hat.
2Unter Parteikosten werden hier die Kosten und Aufwendungen für die Prozessvorbereitung und
die Prozessführung, zuzüglich der Kosten der eigenen Rechtsvertretung, addiert.
724 R. Füeg
Kommt es in einem Streitfall dazu, dass eine Partei den Rechtsstreit von einem
Schiedsgericht beurteilen lassen will, so hat sie gemäß den Vorgaben der gewähl-
ten Schiedsordnung eine „Einleitungsanzeige“ an die Schiedsinstitution einzu-
reichen. Diese enthält in der Regel neben den Angaben zu den Streitparteien und
deren Rechtsvertretern eine Beschreibung des Sachverhalts, den Verweis auf die
vereinbarte Schiedsklausel, das Klagebegehren und – bei Verfahren vor einem
Dreierschiedsgericht – auch bereits die Bezeichnung eines der beiden von den Par-
teien zu nominierenden Schiedsrichters (Art. 3.3.h Swiss Rules).
Mit der Einreichung der Einleitungsanzeige ist in der Regel auch die Regis
trierungsgebühr zu bezahlen. Die Institution prüft sodann prima facie, ob eine
gültige Schiedsvereinbarung vorliegt, respektive gibt der Gegenpartei Gelegen-
heit, sich dazu zu äußern. Wenn nicht ganz offensichtlich keine Schiedsabrede
vorhanden ist, akzeptiert sie den Fall (Art. 3.12 Swiss Rules). Nach Eingang der
Einleitungsantwort leitet die Institution das Verfahren zur Ernennung der Schieds-
richter ein. Unter den Swiss Rules haben die Parteien nun 30 Tage Zeit, gemein-
sam einen Vorschlag für einen Einzelschiedsrichter einzureichen, falls ein solcher
vereinbart oder aufgrund von Art. 42.2 zwingend vorgeschrieben ist. Können
sich die Parteien nicht auf einen Einzelschiedsrichter einigen – oder wollen sie
die Ernennung von vorneherein der Institution überlassen, was häufig vorkommt,
weil die Parteien voraussehen, dass sie sich im Streitfall auf gar nichts mehr ver-
ständigen können oder wollen – so ernennt die Institution den Schiedsrichter. Bei
einem Dreierschiedsgericht nominieren die Parteien jeweils einen Schiedsrichter.
Die beiden Schiedsrichter nominieren danach innerhalb von 30 Tagen den dritten
Schiedsrichter, der gleichzeitig der Vorsitzende des Schiedsgerichts wird. Mit der
Bestätigung des Einzelschiedsrichters oder des Dreierschiedsgerichts durch die
Institution endet die Konstituierungsphase. Die Akten gehen ans Schiedsgericht
und das Verfahren beginnt inhaltlich zu laufen.
Grundsätzlich läuft das Verfahren vor dem Schiedsgericht gemäß der gewählten
Schiedsordnung ab und umfasst das Einreichen der Klageschrift und der Klage-
antwort, allfällige Repliken und Dupliken, die Durchführung von Zeugeneinver-
nahmen, die Anhörung von Experten, ein oder mehrere hearings und schließlich
die Eröffnung des Schiedsurteils. Unter den Swiss Rules hat das Schiedsgericht
beispielsweise – in Absprache mit den Parteien – eine hohe Autonomie in der Ver-
fahrensgestaltung: In einem frühen Stadium des Verfahrens beruft es daher nor-
malerweise zuerst eine „Organisationskonferenz“ ein, an welcher spezifische
Verfahrensfragen geklärt werden. Anschließend erlässt es die spezifischen Verfah-
rensregeln für den Fall, welche auch einen provisorischen Terminplan enthalten.
Dieser ist insbesondere beim beschleunigten Verfahren zentral, da hier das Urteil
spätestens nach sechs Monaten seit der Konstitution des Schiedsgerichts gefällt
sein muss. Die Schiedsinstitution erhält diesen Terminplan ebenfalls und überprüft
dessen Einhaltung im Sinne des Qualitätsmanagements.
Mit dem Erlass des Schiedsspruchs endet das Schiedsverfahren, es sei denn, dass
auf Verlangen einer Partei Korrekturen oder Ergänzungen des Urteils zu machen
sind. Längst nicht alle Verfahren werden allerdings durch einen Schiedsspruch been-
det. Gerade im deutschsprachigen Raum besteht eine lange Tradition – auch beim
staatlichen Richter – dass die Parteien zu einem Vergleich ermuntert werden, sofern
dies Sinn macht. Im Gegensatz zu vielen anderen Schiedsordnungen fordern die
Schiedsregeln der DIS in Art. 32.1 das Schiedsgericht auf, „(…) in jeder Lage des
Verfahrens auf eine einvernehmliche Beilegung des Streits oder einzelner Streit-
punkte bedacht [zu] sein“. Auch die Swiss Rules erlauben dem Schiedsgericht in
Art. 15.8 ausdrücklich, Schritte zu einer einvernehmlichen Beilegung des Streitfalls
einzuleiten. Sie schützen das Gericht aber auch davor, dass dem Schiedsrichter –
726 R. Füeg
In vielen Fällen verzichten die Parteien ausdrücklich auf einen möglichen Weiter-
zug des Schiedsurteils, indem sie in der Schiedsklausel beispielsweise festhalten
„Si les deux parties contractuelles ne peuvent pas s’arranger à l’amiable, tous dis-
sensus sont soumis à la décision du tribunal arbitral sous exclusion de la voie judi-
ciaire ordinaire.“ Ist der Sitz des Schiedsgerichts in der Schweiz, so profitieren die
Parteien von einer sehr schiedsgerichtsfreundlichen Gesetzgebung. Im Gegensatz
zu anderen Ländern, wo die üblichen Instanzen zu durchlaufen sind, werden
Rekurse gegen ein Schiedsurteil in der Schweiz direkt und abschließend vom
obersten staatlichen Gericht (Bundesgericht) behandelt. Es gibt zudem nur wenige
Gründe, bei denen ein Rekurs vor Bundesgericht überhaupt zugelassen wird; zum
Beispiel, wenn das rechtliche Gehör vom Schiedsgericht nicht gewährt wurde.
Zudem entscheidet das Bundesgericht in Rekursen gegen Schiedsurteile rasch: Im
Durchschnitt innerhalb von sechs Monaten. Dabei entscheidet es nur darüber, ob
ein Schiedsurteil insgesamt kassiert wird; nicht aber über inhaltliche Fragen. Die
Chancen, ein Schiedsurteil in der Schweiz erfolgreich anzufechten, sind daher sehr
gering. In den vergangenen Jahren wurden vom Bundesgericht denn auch mehr als
90 % aller Rekurse abgewiesen.6
Das Urteil des Schiedsgerichts ist im Prinzip endgültig und kann sofort voll-
streckt werden. In der Regel funktioniert dies auch problemlos. Sofern die unter-
legene Partei nicht kooperiert, muss das Urteil allerdings am Sitz der säumigen
Partei durchgesetzt werden. Internationale Schiedsurteile sind – vorausgesetzt,
sie sind von einem in der Sache zuständigen, richtig konstituierten und korrekt
handelnden Schiedsgericht gefällt worden – in jedem Land vollstreckbar, wel-
ches der New York Convention von 1958 beigetreten ist. Anfangs 2016 waren
dies 156 Staaten, darunter alle OECD-Staaten, aber auch alle anderen wesentli-
chen Handelspartner europäischer Unternehmen. In diesem Zusammenhang kann
allerdings nicht ganz verhehlt werden, dass nicht alle afrikanischen oder asiati-
schen Staaten bei der Vollstreckung ausländischer Schiedsurteile gleich korrekt
v orgehen, insbesondere wenn die unterlegene Partei ein Staatsbetrieb oder eine
eigene Regierungsstelle ist.
Literatur
Dasser F, Roth D (2014) Challenge of Swiss arbitral awards – selected statistical data as of 2013.
Conference Papers, ASA Conference 2015
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www.dis-arb.de/de/16/regeln/dis-schiedsgerichtsordnung-98-id2. Zugegriffen: 15. Apr. 2016
ICC International Chamber of Commerce (2012) 2012 Arbitration rules. http://www.iccwbo.org/
Products-and-Services/Arbitration-and-ADR/Arbitration/Rules-of-arbitration/ICC-Rules-of-
Arbitration/. Zugegriffen: 15. Apr. 2016
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2016
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bitration.org/sa/en/news.php. Zugegriffen: 19. Febr. 2016
VIAC (2013) Wiener Regeln 2013 Deutsch. http://www.viac.eu/de/schiedsverfahren/wiener-
regeln/93-schiedsverfahren/wiener-regeln/146-aktuelle-schiedsordnung-wiener-regeln-2013.
Zugegriffen: 15. Apr. 2016
Dieses Kapitel zum Thema „Legal Education“ beruht auf der langjährigen Erfah-
rung des Autors in Sachen Organisation und Abhalten von Schulungen zu rechtli-
chen Themen im In- und Ausland. Weder wird mit diesem Beitrag ein Modell
beschrieben, noch eine Lehrmeinung wiedergegeben. Der Beitrag soll als Inspira-
tionsquelle dienen, um eine sehr dankbare Tätigkeit auf allen Ebenen zum Erfolg
zu führen – für den Dozenten, die Teilnehmenden eines Seminars und schließlich
das Unternehmen selbst, das mit Seminaren bedient werden möchte.1
1Nachfolgend wird für Schulungen, Seminare, Referate und Vorträge – der Einfachheit halber – der
Begriff „Seminar“ verwendet. Die schulenden Personen, also die jeweiligen juristischen Fachex-
perten, seien es interne oder externe, werden als „Dozenten“ bezeichnet und Beispiele, die aufge-
zählt werden, beziehen sich, weil das Thema von besonderer Wichtigkeit ist, fokussiert auf das
Vertragsmanagement (oft auch contract management genannt); wobei sämtliche Aussagen auch
auf andere Rechtsgebiete, die an Seminaren vermittelt werden, zutreffen.
C. Dueblin (*)
Professional Services Management, QUADRAGON MANAGEMENT LLC, Basel, Schweiz
E-Mail: dueblin@quadragon.ch
Generell machen Seminare zu rechtlichen Themen nur dort Sinn, wo auch Risiken
lauern, die zu Schäden in Unternehmen führen können und sich mit rechtlichem
Wissen eingrenzen oder gar verhindern lassen. Daher sind Störfälle oft Ursache
für die Organisation eines Seminars zu einem rechtlichen Thema, was wiederum
eine interessante Einsicht und Erkenntnis für den Dozenten ist. Sie zeigt, dass
Unternehmen und deren Geschäftsleitungen einen gewissen Grad an Leidensdruck
erfahren müssen, bevor sie einsehen, dass sich rechtliche Seminare (sofern richtig
organisiert und abgehalten) sehr lohnend auf das Gesamtunternehmen auswirken
können. Ein solcher Störfall kann dazu führen, fest verankerte Abläufe, Prozesse,
Irrtümer und Nachlässigkeiten zu hinterfragen. Dies erklärt auch eine gewisse,
sich regelmäßig einstellende, Dynamik an Seminaren, wenn der Dozent es schafft,
rechtliche Zusammenhänge richtig und praxisnah zu vermitteln.
Was in einem Unternehmen als riskant betrachtet wird, muss mit einer Risikoana-
lyse der Schwachstellen im Unternehmen jeweils genau beleuchtet werden. Das ist
in der Regel nur dann möglich, wenn man das Geschäft versteht. „Das Geschäft
verstehen“ heißt nicht nur, die Rechtsabteilung und ihren Einfluss auf ein Unter-
nehmen zu verstehen, sondern die internen Abläufe, die Prozesse und Schnitt-
stellen zwischen den verschiedenen Unternehmensbereichen zu durchschauen.
Erst mit einem umfassenden Blick auf diese Zusammenhänge und die damit ver-
bundenen Herausforderungen sowie Risiken kann die Rechtsabteilung bedürf-
nisorientiert Schulungen anbieten oder Seminare von externen Fachspezialisten
durchführen lassen.
51 Hauptprozess Legal Education 731
Folgendes Beispiel aus der Praxis soll einen Irrtum aufzeigen, der für das betrof-
fene Unternehmen fatale Auswirkungen haben kann.
Beispiel
In einem Seminar zum Thema Gewährleistung stellt ein leitender Techniker
fest, dass es bei der Lieferung von elektronischen Komponenten zwischen
offensichtlichen Mängeln und versteckten Mängeln zu unterscheiden gäbe. Für
versteckte Mängel sei sein Unternehmen gemäß Gesetz verdammt, während
zehn Jahren unentgeltlich Reparaturen zu leisten.
Dieses Verständnis für die Regeln der Gewährleistung ist gemäß schweizerischer
Rechtsordnung falsch. Die zehnjährige Frist ist ein Mythos. Diese und ähnliche
Irrtümer sind in der Praxis jedoch leider nicht selten und zeigen auf, welche finan-
ziellen Schäden aus solch irrtümlichen Annahmen resultieren können. Es ist Sache
des Dozenten, diese wunden Punkte im mindset der Mitarbeitenden aufzuspüren
und Klarheit über die gesetzlichen Vorgaben zu schaffen. Falsche Meinungen und
Irrtümer haben dabei verschiedenste Ursachen: Es kann sich um unterschiedliche
Rechtsgrundlagen in anderen Ländern handeln, um veraltetes Wissen der Mitar-
beitenden oder Halbwissen, welches im Ansatz zwar richtig ist, schließlich aber
doch zu keinem guten Resultat führen kann. Von besonderer Bedeutung für den
Dozenten ist die Erkenntnis, dass viele Nichtjuristen für die juristische Denkweise,
die sich in einem Störfall auch vor Gericht im besonderen Maße zeigt, nicht genü-
gend sensibilisiert sind.
732 C. Dueblin
Beispiel
Unternehmen X hat Ware angeliefert bekommen. Der für die Warenannahme
zuständige Mitarbeiter verweilt in den Ferien. Eine interne Stellvertretung gibt
es nicht. Die Wareneingangskontrolle wird darum erst nach zwei Wochen vor-
genommen und es werden zu diesem Zeitpunkt erhebliche offensichtliche Män-
gel an der Ware erkannt.
Eine verpasste Rügefrist, aus der Sicht eines Nichtjuristen vielleicht nur als kleine
Nachlässigkeit empfunden, kann oft auch durch die Rechtsabteilung oder einen
externen juristischen Fachexperten nicht mehr zum Guten gewendet werden. Der
juristische Fachexperte weiß, wie ein Richter in einem solchen Fall verfahren
muss. Er hat sich an das Gesetz zu halten oder an die vertraglichen Vereinbarun-
gen; und es liegt nicht in seinem Ermessen, eine verwirkte Frist zu heilen. Den
Seminarteilnehmenden muss aufgezeigt werden, dass ein Fall nur aufgrund einer
Frist zuungunsten des eigenen Unternehmens scheitern kann. Mit solchen Beispie-
len aus der Praxis kann überzeugend dargestellt werden, welche Konsequenzen
Nachlässigkeiten rechtlicher Art haben können. Ein guter Dozent schafft es, auf
die wichtigsten Punkte, deren Nichtbeachtung fatale Folgen für das eigene Unter-
nehmen haben kann, aufmerksam zu machen, sodass Mitarbeitende dafür sensibi-
lisiert werden, Organisationsverschulden zu erkennen.
Die meisten Wirtschafts- und Branchenverbände bieten für ihre Mitglieder bran-
chen- und fachspezifische Seminare an; auch zu rechtlichen Spezialthemen (siehe
dazu auch Kap. 22). Können Verbände gewisse Spezialthemen nicht mit eige-
nem Know-how abdecken, greifen sie nicht selten auf Fachspezialisten aus den
Reihen ihrer Mitgliedsunternehmen zurück. Das macht Sinn, denn im Verband
sind ja Unternehmen zusammengeschlossen, welche alle mit ungefähr denselben
Herausforderungen konfrontiert sind, um auf dem Markt bestehen zu können. Von
der Symbiose zwischen Verband und Unternehmen können auch Rechtsabteilungen
und ihre Mitarbeitenden profitieren. Der General Counsel und die Legal Coun-
sels erhalten nicht nur die Möglichkeit, sich neue Erkenntnisse bei der Teilnahme
an Seminaren anzueignen, sondern auch gleichzeitig eine Bühne, auf welcher
51 Hauptprozess Legal Education 733
sie sich präsentieren können, um die eigenen Erfahrungen einem größeren Pub-
likum weiterzugeben. Einerseits können sich der General Counsel und die Legal
Counsels durch Referate und Vorträge zu Spezialthemen sehr gut im Markt und
in ihrer Branche bemerkbar machen. Andererseits bieten ihnen solche Plattformen
aber auch die Möglichkeit, sich Dozentenerfahrung anzueignen und sich für Schu-
lungen und Seminare im eigenen Unternehmen inspirieren zu lassen. Diese Gele-
genheit bieten oft auch Fachhochschulen, Hochschulen sowie Berufsverbände,
Fachverbände und oft auch Handelskammern.
Erfahrungsgemäß ist es nicht jedermanns Sache, vor einer fremden Gruppe von
Menschen über einen bestimmten Sachverhalt zu sprechen; noch schwieriger ist
es, dann auch noch gleich über juristische Themen zu referieren. Das ist nicht
selten Grund dafür, dass die Mitarbeitenden von Rechtsabteilungen selbst keine
internen Schulungen durchführen möchten, auch wenn diese für das Unternehmen
sehr sinnvoll wären. Nebst Fachverstand und Erfahrung im Umgang mit Menschen
bedarf es einer Vielzahl von weiteren Punkten und Charaktermerkmalen, die einen
Dozenten zu einem sehr guten Seminarleiter machen:
• Nicht abgehoben wirken und in Bezug auf seine eigene Person die nötige
Zurückhaltung an den Tag legen: Dazu kann es durchaus gehören, je nach Situa
tion auch einmal auf Anzug und Krawatte zu verzichten, die zu Distanz zum
Publikum führen können.
• Bewusstsein, dass Recht nur ein ganz kleiner Bestandteil dessen ist, was ein
Unternehmen zusammenhält, erfolgreich macht und zur Lösung eines Problems
oder Störfalles beiträgt.
• Bewusstsein, dass man Teilnehmende vor sich hat, die alle auf ihrem Fachge-
biet mehr wissen als der Dozent.
• Das nötige Feingefühl für die Gratwanderung zwischen Fachaussagen und
Entertainment: Beides in einem Gleichgewicht zu behalten, ist eine Heraus-
forderung, ein Balanceakt. Zu fachlich ausgerichtet, kann ein Dozent als lang-
weilig empfunden werden, setzt er jedoch zu sehr auf Entertainment, kann die
Ernsthaftigkeit darunter leiden.
• Der Dozent muss über die soziale Kompetenz verfügen, Seminarteilnehmende
aus unterschiedlichsten Unternehmensbereichen an ein rechtliches Thema her-
anzuführen. Weil rechtliche Themen oft ohnehin schon kompliziert sind, soll-
ten in einem Seminar höchste Ansprüche an die systematische Vorgehensweise
eines Dozenten gestellt werden.
• Die juristische Denkweise mit klaren Beispielen untermalen, wozu der Dozent
über fundiertes Wissen in Bezug auf die Produkte, Leistungen und Abläufe in
einem Unternehmen verfügen muss.
• Der Dozent ist gut beraten, sich von Kollegen und anderen Dozenten beobach-
ten zu lassen und sich vom ehrlichen Feedback dieser Personen inspirieren zu
lassen. Diese Personen, mit dem nötigen Fachverstand ausgestattet, sind eine
734 C. Dueblin
Art Spiegel, den der Dozent, der immer etwas noch besser machen kann, nicht
leichtfertig ablehnen sollte. Der Dozent wird vor allem durch konstruktive Kri-
tik wachsen.
Das Auftreten des Dozenten spielt somit nebst dem juristischen Know-how eine
bedeutende Rolle. Gelingt es dem Dozenten, sachkompetent, verständlich, sympa-
thisch und mit der nötigen Praxisnähe des zu vermittelnden Stoffes aufzutreten, so
sind das gute Voraussetzungen, von den Teilnehmenden eines Seminars gut bewer-
tet zu werden.
Im Gegensatz dazu fällt der schlechte Dozent dadurch auf, dass folgende Stich-
worte auf Bewertungsbogen erscheinen, die nach Abschluss eines Seminars ausge-
wertet wurden:
Fehler passieren jedem Dozenten. Die meisten können auch ohne Probleme beho-
ben werden, da sie ja direkt aufzeigen, woran der entsprechende Dozent noch
arbeiten sollte, damit er in Zukunft als „guter“ Dozent wahrgenommen wird.
Schließlich gilt auch hier der Satz, dass niemand unfehlbar ist. Lassen Sie sich
daher von negativen Bewertungen nicht ins Bockshorn jagen, verstehen Sie diese
vielmehr als wertvollen Input für die Weiterentwicklung Ihres persönlichen Weges
als Dozent.
sucht, muss daher seine Ziele genau definieren. Ziel kann es sein, einen gewissen
Wissensstand zu erreichen, ein gewisses Entwicklungsniveau herbeizuführen oder
aber auch nur, punktuelle Störfälle zu verhindern, respektive auf gewisse wichtige
rechtliche Punkte hin zu sensibilisieren. Dabei fragt es sich, welche Eigenschaften
der Mitarbeitenden gefördert werden sollen.
In einem nächsten Schritt gilt es zu prüfen, ob es Institutionen gibt, die das
rechtliche Thema bereits öffentlich anbieten. Wie bereits festgehalten, sind Wirt-
schafts- und Berufsverbände interessante Plattformen für Unternehmen. Gerade
Unternehmen, die aufgrund ihrer Größe auf das Selbsterarbeiten rechtlicher Semi-
nare aus Kostengründen verzichten müssen, können von Verbänden das nötige
Know-how erlangen. Viele Verbände, aber auch Hochschulen, Fachhochschulen,
Handelskammern und Branchenvereinigungen kennen den Markt und sie ken-
nen die Experten, die sich mit Seminaren, Büchern und Fachartikeln bemerkbar
gemacht haben. Nebst Verbänden gibt es zudem eine immer größer werdende Zahl
von Anwaltskanzleien, die sich auf spezifische rechtliche Themen spezialisieren
und sich solche Marktnischen zunutze machen. Solche Kanzleien bieten ebenfalls
Kurse auf sehr hohem Niveau an. Insgesamt sollten Unternehmen beim Beizug
von externen rechtlichen Seminaren folgende Punkte beachten:
Für Unternehmen ab einer gewissen Mitarbeiterzahl lohnt es sich in der Regel jedoch
bereits aus Kostengründen, intern eigene Seminare durch die Rechtsabteilung zu
organisieren; mit dem zusätzlichen Vorteil eines maßgeschneiderten Angebots. Semi-
nare zu diversen rechtlichen Themen sollten denn auch keine freiwillige Aktion
darstellen. Wer mit verantwortungsvollen Aufgaben betraut ist, soll auch verantwor-
tungsbewusst weitergebildet und entwickelt werden. So wäre contract management
für eine Verkaufsabteilung als Pflichtfach anzusehen, weil es dort darum geht, Risiken
und Schäden aus dem Verkaufsprozess für das eigene Unternehmen zu verhindern.
Allein gutes Auftreten, Sachverstand und Sympathie reichen nicht aus, um ein
eigenes internes Seminar erfolgreich zu machen. So ist es vorteilhaft, wenn Sie
folgende praktischen Tipps mit in Ihre Planung einbeziehen, sofern Sie selbst ein
Inhouse-Seminar anbieten möchten:
• Die Teilnehmenden nach der Sprache fragen, in der doziert werden soll.
• Die Sitzordnung gleich am Anfang klären.
736 C. Dueblin
• Die Teilnehmenden über den Ablauf des Seminars informieren, auch über den
Zeitpunkt der Pausen und das Ende des Seminars.
• Namenschilder verteilen, sodass die Teilnehmenden korrekt angesprochen wer-
den können.
• Von Anfang an klarstellen, ob die Sie- oder Du-Form eingehalten werden soll.
• Gleich zu Beginn einen generellen Überblick über das Seminar vermitteln:
Themen, Pausen, Dauer, Möglichkeit, Fragen zu stellen etc.
• Bereits am Anfang Weisungen erteilen, die für Sie als Dozent persönlich wich-
tig sind: Abschalten des Smartphones, keine Getränke und Esswaren auf dem
Tisch, keine Gespräche, die andere stören etc.
Seien Sie sich zudem bewusst: Den rechtlichen Themen werden viele Nichtju-
risten zunächst mit Skepsis begegnen. Das hat unter anderem damit zu tun, dass
rechtliche Zusammenhänge sehr vielen Mitarbeitenden unklar sind und sie deren
Nutzen für ihren Arbeitsalltag nicht richtig verstehen (wollen). Dem Dozenten
muss es daher gelingen, das rechtliche Thema in einen realen Arbeitsbezug zu
bringen. Hierfür eignen sich Beispiele aus der Praxis oder dem Alltag ganz hervor-
ragend:
Beispiel
Dozent X erklärt den Seminarteilnehmenden, wie ein Raucher beim Bezug von
Zigaretten an einem Zigarettenautomat einen Kaufvertrag abschließt oder er
beschreibt, wie es sich mit Angebot und Annahme beim Kauf eines Produktes
in einem Warenhaus verhält.
Der Seminarteilnehmende, vielleicht selber Raucher, erkennt sich in der sehr ver-
trauten Situation wieder, was seine Aufmerksamkeit erhöht. Er begreift bei den
oben genannten Beispielen, dass es in seinem Privatumfeld vielerlei Bezüge zum
Recht gibt. Er hat sich vielleicht noch nie bewusst darüber Gedanken gemacht,
dass beim Bezug von Zigaretten an einem Automaten ein Kaufvertrag abgeschlos-
sen wird und damit Rechte und Pflichten begründet werden.
u Schulung ist nicht gleich Schulung: Sie muss jeweils konkret auf
die Mitarbeitenden angepasst und auf ihre täglichen Herausforde
rungen hin vermittelt werden.
Je vielseitiger ein Unternehmen tätig ist und je umfassender die Organisation und
Struktur eines Unternehmens sind, desto mehr sind die Rechtsabteilung und im
ganz besonderen Maße der externe Fachspezialist, respektive der Dozent gefor-
dert. Seminare müssen maßgeschneidert angeboten werden, um einen maximalen
Erkenntniswert für die Teilnehmenden zu erzielen. Sie dürfen den Seminarteil-
nehmenden durchaus auch einen persönlichen Nutzen bringen. Gelegentliche
Hinweise auf persönliche rechtliche Angelegenheiten werden von Seminarteilneh-
menden oft sehr geschätzt. All dies bedarf einer gewissen Methodik. Mit Hilfe von
51 Hauptprozess Legal Education 737
Der Praxisbezug rechtlicher Themen ist für eine interne Rechtsabteilung viel
schneller und besser herstellbar als für einen externen Dozenten. Letztere sind
deshalb gut beraten, sich als Dozent im Unternehmen kundig zu machen und sich
über die Abläufe, Produkte und Probleme ausreichend zu informieren. Rechtsab-
teilungen, die externe Dozenten beiziehen, müssen diese deshalb proaktiv über
wichtige Abläufe und Herausforderungen in Kenntnis setzen. Ansonsten riskieren
sie, dass ein Seminar nicht den maximalen Nutzen erzielen wird.
Sowohl die Mitarbeitenden der Rechtsabteilung wie auch der externe Fachexperte
müssen sich darüber im Klaren sein, dass rechtliche Themen während der allge-
meinen Schulausbildung wenig anzutreffen sind und viele rechtliche Themen, die
in Unternehmen eine Rolle spielen, erst on-the-job verstanden werden können.
Der Dozent kann einleitend, wenn es um das Thema Recht geht, zum Beispiel auf
das Römische Recht verweisen und einen Exkurs in die Rechtsgeschichte unter-
nehmen. Dabei ist es nicht nötig, auf Details einzugehen. Der Hinweis jedoch,
dass unser Rechtsdenken weitgehend von den Römern geprägt ist, findet bei Semi-
narteilnehmenden erfahrungsgemäß großen Anklang. Vielen sind diese Zusam-
menhänge überhaupt nicht klar. Wichtig für den Dozenten (egal ob intern oder
extern) ist es, sich darüber bewusst zu sein, dass allzu konkrete Fälle von invol-
vierten Mitarbeitenden auch falsch aufgenommen werden können.
Dieses Gefühl und diese Assoziationen müssen vom Dozenten verhindert werden,
vor allem dann, wenn auch Vorgesetzte am Seminar teilnehmen. Er hat für genü-
gend persönlichen Abstand in Bezug auf einen zu behandelnden Sachverhalt zu
sorgen, damit negative Assoziationen von Seminarteilnehmenden unwahrschein-
lich werden. Auch dann, wenn dem Dozenten von einem Vorgesetzten mitgeteilt
738 C. Dueblin
wird, er solle einen ganz konkreten Fall akribisch vermitteln, um ähnliche Stör-
fälle in Zukunft verhindern zu können. Auf keinen Fall ist es Sache des Dozenten,
mit zu praxisnahen Beispielen Druck auf Seminarteilnehmende auszuüben. Sollte
Druck anstelle von Überzeugung überhaupt die richtige Vorgehensweise sein, um
einen Störfall zu besprechen, so ist es Aufgabe des Vorgesetzten, den Mitarbeiten-
den zurechtzuweisen und nicht die des Dozenten.
Aus Aussagen der Teilnehmenden lassen sich oft erkenntnisreiche Schlüsse über
ein Unternehmen ziehen. Dem Dozenten ist es angeraten, bei solchen Erkenntnis-
sen mit einer gewissen Zurückhaltung zu reagieren. Es liegt in der Regel nicht am
Dozenten, nebst dem Vermitteln von Fachwissen, organisatorisch oder anderweitig
in ein Unternehmen einzugreifen, obwohl sich ein solches Vorgehen aufdrängen
würde. Insbesondere sollte der Dozent bei folgenden Informationen über interne
Missstände Zurückhaltung an den Tag legen:
Für interne Dozenten bieten sich solche Informationen an, um diese intern zu
diskutieren und damit einen positiven Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsat-
mosphäre zu leisten. Dabei sollten aber die gemachten Wahrnehmungen immer
mit dem General Counsel oder einer anderen entsprechend vorgesetzten Person
besprochen werden. Eine allgemeine Informationsstreuung ist tunlichst zu ver-
meiden. Externe Dozenten hingegen, insbesondere solche, welche unternehme-
risch denkend sind oder selber als Unternehmer tätig sind, müssen sich darauf
einstellen, hin und wieder in solchen Situationen gegen ein gewisses Frustpoten-
zial ankämpfen zu müssen. Solche Situationen stellen sich insbesondere dann ein,
wenn der Dozent erkennt, dass der Erkenntnisgewinn aus dem Seminar keinen
Einfluss haben wird auf den Geschäftsgang eines Unternehmens, da Fehler und
Schäden sowieso eintreten werden.
Besonders technisch orientierte Unternehmen kranken oft daran, dass sie sich
einerseits in Sachen Technik auf sehr hohem Kenntnisstand, andererseits jedoch in
Sachen rechtlichen Wissens auf sehr tiefem Niveau bewegen.
Beispiel
Techniker X wird bei einer Wartungsarbeit bei einem Kunden auf einen defek-
ten Motor aufmerksam gemacht. Der Kunde will den Motor ersetzt haben. Tech-
niker X ist sich über die vertragliche Ausgestaltung des Geschäftes nicht im
Klaren. Er weiß nicht, ob Gewährleistungsfristen möglicherweise bereits abge-
laufen sind und ist sich nicht bewusst, wie gemäß Vertrag, dem Drehbuch für das
Geschäft, vorgegangen werden sollte. Allzu schnell lässt er sich überreden, den
Motor unentgeltlich auszutauschen, um das Problem „technisch“ zu erledigen.
Mit einem Kurzseminar wäre es hier sehr gut möglich, alle Techniker mit Kunden-
kontakt auf wichtige rechtliche Punkte in Bezug auf Gewährleistung und Garan-
tie hin zu sensibilisieren. Sie müssen wissen, was rechtlich gesehen ein Mangel
ist und müssen beispielsweise die Gewährleistung von der Kulanz unterscheiden
können. Ein weiteres Beispiel soll die Konsequenzen für mangelndes rechtliches
Wissen zeigen:
Beispiel
Unternehmen Y macht auf eine Funktionsstörung eines Gerätes aufmerksam,
um sich mit der Mängelrüge die Gewährleistungsansprüche sichern zu können.
Techniker X erkennt den gerügten technischen Fehler und teilt mit, dass es tat-
sächlich immer wieder zu solchen Störungen komme und man der Sache nun
nachgehen wolle.
740 C. Dueblin
Dozenten müssen sich hin und wieder auch Kritik anhören. Es wird von Teil-
nehmenden, die einem juristischen Seminar oder der juristischen Berufsgattung
gegenüber schon von vornherein negativ eingestellt sind, oft versucht, an der Pra-
xisrelevanz von Themen zu zweifeln und dadurch einer Schulung die Berechti-
gung zu entziehen. Das kann für den Dozenten zu schwierigen Situationen führen.
Der Dozent kann in solchen Momenten Gegensteuer geben und Überzeugungsar-
beit leisten, wenn er das Praxisgeschäft versteht und er sich mit Störfällen ausei-
nandergesetzt hat, die den Sinn juristischer Unterstützung in einem Unternehmen
klar machen.
Beispiel
Dozent X spricht vor einer Verkaufsabteilung zunächst auf theoretischem
Niveau über die Wichtigkeit der Vertragsklauseln in Bezug auf das anwendbare
Recht und den Gerichtsstand. Verkäufer Y will den Dozenten auf die Probe stel-
len. Er ist Juristen gegenüber generell skeptisch, wenn nicht sogar negativ ein-
gestellt. Er behauptet, dass es in den letzten zehn Jahren noch nie einen Fall im
Unternehmen gegeben habe, bei dem das anwendbare Recht oder der Gerichts-
stand eine Rolle gespielt hätten. Dozent X hat sich im Vorfeld beim Manage-
ment des Unternehmens kundig gemacht und kann schnell und elegant einen
Fall schildern, bei dem diese beiden wesentlichen Vertragspunkte eine außeror-
dentliche Rolle gespielt haben.
Ein guter Mix dieser Rollen und Methoden, abgestimmt auf die Bedürfnisse im
Unternehmen und auf den Teilnehmerkreis, macht ein gutes Seminar aus. Hierzu
ein Beispiel, wie es nicht gemacht werden sollte: Der Dozent organisiert ein Rol-
lenspiel mit gestandenen und altgedienten Verkäufern eines Unternehmens. Diese
langweilen sich, weil der Erkenntnisgewinn aus dem Rollenspiel gering ist und
ihm Verkäufer darlegen, dass die vorgegebene Situation zu theoretisch sei und
in der Praxis nicht vorkomme. Der Dozent ist daher gut beraten, sich im Vorfeld
eines Seminars genau mit dem Teilnehmerkreis, ihrem Umfeld und der Aufgaben-
stellung auseinanderzusetzen.
Der Dozent wird feststellen, dass diejenigen Teilnehmenden, welche mit kri-
tischen und berechtigten Fragen aufwarten, auch diejenigen Mitarbeitenden im
Unternehmen sind, die bereits über rechtliche Problemstellungen und deren Ein-
fluss auf das Tagesgeschäft Bescheid wissen oder diesbezügliche Probleme orten.
Dafür muss der Dozent Interaktivität zulassen, jedoch gleichzeitig dafür sorgen,
dass die Systematik des Seminars nicht verloren geht. Wichtig ist es daher, jeder-
zeit Fragen zu- und sich auf diese entsprechend einzulassen; Fragen aber auch
abzulehnen, wenn sie das Themenfeld zu arg strapazieren. Spezialfragen können
in der Pause oder nach dem Seminar beantwortet werden. Oft sind diese wiederum
Inputs für neue Seminarthemen. Geht der Dozent so vor, empfindet der Fragen-
stellende insbesondere bei einer vernünftigen Antwort Wertschätzung. Wertschät-
zen kann der Dozent Fragen, indem er diese wohlwollend aufnimmt und praxisnah
beantwortet. Selbst dann, wenn einem juristisch Sachkundigen eine Frage als naiv
erscheinen mag. Nicht auszudenken, wie dumm ein juristischer Fachspezialist
bei gewissen trivialen technischen Fragen dastehen würde! Wertungen sind daher
möglichst zu unterlassen.
Naiv empfundene Fragen kann der Dozent wohlwollend in berechtigte Fragen
umwandeln, indem er einen Sachverhalt mit eigenen Worten leicht verändert oder
auf einen gewissen Fall anpasst. Dieser Fall bekommt besondere Bedeutung, wenn
Vorgesetzte zugegen sind und diese mit einer vielleicht naiven Fragestellung ihr
Unwissen belegen. Auch hier muss es dem Dozenten gelingen, dem Vorgesetzten
zu helfen, sein Gesicht zu wahren, indem er beispielsweise erklärt, dass die geäu-
ßerte Ansicht in der Vergangenheit zwar richtig war, es sich aufgrund von Geset-
zesänderungen heute jedoch anders verhält. Oder indem der Dozent klarstellt,
dass eine Ansicht gemäß einem Landesrecht zwar stimme, im vorliegenden Falle
jedoch, auf das Heimatland bezogen, nicht ganz richtig sei.
Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass auch juristische Fachexperten
nicht alles wissen können. Mit jahrelanger Dozententätigkeit werden gewisse Fra-
gen zum Standard. Der Dozent ist aber immer wieder mit besonderen Konstellati-
onen konfrontiert, auf die er im einen oder andern Fall auch keine direkte Antwort
geben kann. Hier ist dem Dozenten zu empfehlen, nicht mit „Ich weiß das nicht“
51 Hauptprozess Legal Education 743
1EinMedienbruch entsteht, wenn die Weiterverarbeitung einer Information aufgrund des Medi-
enwechsels von Papier auf elektronische Medien und umgekehrt erschwert ist. Im Falle des VTM
bedeutet dies, dass die Informationen an unterschiedlichen Orten vorgehalten werden müssen.
• Reporting-Möglichkeiten;
• automatische Benachrichtigungen;
• Wiedervorlagen;
• klare Strukturvorgaben anstatt organisatorische Anweisungen;
• Verbindungen zwischen verschiedenen Verträgen visualisieren.
dazu beitragen, dass die Rechtsabteilung, falls sie die Zusatzaufgabe Document
Management durchzuführen hat, möglichst wenige Ressourcen an diese Tätig-
keit binden muss. Ein effizientes und effektives Vertragsmanagementsystem einer
Rechtsabteilung sollte daher folgenden Merkmale aufweisen:
Basis eines DMS bildet die rechtssichere Archivierung von Dokumenten. Verände-
rungen an Dokumenten sollten in Form von Versionen übersichtlich und nachvoll-
ziehbar verwaltet werden. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um Word-Dateien,
gescannte Dokumente, E-Mails oder andere Formate handelt. Die Ablage von
Dokumenten kann meist ganz einfach per drag and drop erfolgen. Die Office-In-
tegration für die komfortable Archivierung sollte ebenfalls selbstverständlich sein.
Jedes Dokument kann mit Verschlagwortungs- beziehungsweise Metadaten verse-
hen werden, die das Dokument näher beschreiben. Außerdem lassen sich Akten-
strukturen in Form von Ordnern bilden. Eine der wichtigsten Funktionen ist die
komfortable Suche über den Dateinamen hinaus. So kann in der Verschlagwortung
und sogar im Dokumenteninhalt, dem sogenannten Volltext, gesucht werden. Der
Volltext kann auch aus gescannten Dokumenten per Optical Character Recognition
748 H.P. Heimsch
Das Vertragsmanagement ist jedoch mehr als nur reine Archivierung. Zu jedem
Vertrag sollten die wesentlichen Merkmale erfasst werden. Fristen sind sicher die
wichtigsten Merkmale: Vertragsbeginn und -ende, Laufzeit, automatische Verlän-
gerung, Mindestlaufzeiten und Kündigungsmöglichkeiten. Eine Klassifizierung
nach Vertragsarten ist zudem Voraussetzung für eine sinnvolle Strukturierung
und Auswertung. Vertragspartner und Zuständigkeiten im eigenen Hause sind für
Auswertungen ebenfalls wichtig. Mit einem DMS können mit diesen Daten auch
übersichtliche Aktenstrukturen gebildet werden. Ein Vertrag wird im Ordner des
Vertragspartners und bei der jeweiligen Vertragsart dargestellt. Eine weitere Sicht
könnte zum Beispiel die Sicht auf die, für den Vertrag zuständige, Fachabteilung
im eigenen Hause sein. Die verschiedenen Struktursichten auf ein und denselben
Vertrag werden in Abb. 52.2 veranschaulicht. Der mit einem roten Pfeil gekenn-
zeichnete Vertrag wird einmal als Original unter der Vertragsart Softwarepflege
abgelegt, aber auch als Referenz (Kopie) unter dem Punkt Vertragspartner.
Eine weitere Kernfunktionalität ist die automatisierte Wiedervorlage oder der Ver-
sand einer Erinnerungsmail für auslaufende Verträge oder rechtzeitig vor einer Kündi-
gungsmöglichkeit. Je nach System können der zeitliche Vorlauf, der Empfängerkreis
52 Zusatzprozess Document Management 749
• Verträge je Fachabteilung;
• Verträge je Vertragspartner;
• Verträge je Anlage/Objekt/Werk/Fahrzeug (Equipment);
• Laufzeitstruktur der Verträge innerhalb einer Vertragsart (zum Beispiel Mobil-
funkverträge);
• alle erforderlichen Dokumente bei einem Vertrag vorhanden?
• Verpflichtungen vollständig darstellen (sonstige Verbindlichkeiten);
• Vergabedokumentation/Ausschreibungsunterlagen zu jedem Vertrag vorhanden?
• Auflistung der Intracompany-Verträge, getrennt nach Leistungsempfänger und
Leistungsbezieher, wenn die Verträge den Mandanten (Gesellschaften) zuge-
ordnet sind.
Schnittstellen zu den relevanten IT-Systemen wie ERP, CRM etc. sind auf jeden
Fall sinnvoll. Das Vertragsmanagement sollte keine Insellösung darstellen. Ein
gutes Vertragsmanagementsystem ermöglicht es, auf die Stammdaten sämtlicher
Geschäftspartner direkt zuzugreifen. Die Zuordnung der Verträge wird damit
eindeutig. Weitere typische Standardfunktionen sind außerdem unterschiedliche
Aktenstrukturen je nach Vertragsart und die Vollständigkeitsprüfung („Liegen zu
einer Vertragsart bestimmte definierte Dokumente vor?“).
Das Vertragsmanagement kann optional um weitere Module, wie in Abb. 52.3 dar-
gestellt, erweitert werden: Die Klauselverwaltung dient der professionellen Ver-
tragserstellung. Mit der Patentverwaltung werden Patente von der Beantragung bis
zum Ablauf verwaltet. Hier interessieren vor allem auch die Gebietsabhängigkei-
ten der Patente. Fristen müssen auch hier effizient verwaltet werden. Ein weiteres
Modul ist das Ausleihsystem für Originaldokumente. Wird von der Fachabteilung,
Gerichten oder Behörden die Vorlage eines Originaldokuments verlangt, kann
über die Ausleihverwaltung komfortabel und sicher der Verbleib der Dokumente
getrackt werden. Bei der Ersterfassung eines Vertrages wird eine Barcodenummer
aufgebracht und anschließend erfasst. Bei der Ausleihe wird diese gescannt und
die Ausleihe erfasst sowie ein Rückgabetermin hinterlegt. So können überfällige
Rückgaben leicht angemahnt werden.
52 Zusatzprozess Document Management 751
Der Markt für DMS ist sehr unübersichtlich: Über 400 Anbieter offerieren derzeit
DMS-Lösungen. Seit einiger Zeit vielfach auch unter dem Begriff ECM – Enter-
prise Content Management. Aber welches dieser unzähligen Systeme ist das Rich-
tige? Die notwendigsten Basisleistungen bieten fast alle Systeme. Sobald es aber
über die Basis hinausgeht und auch die Benutzerfreundlichkeit eine Rolle spielt,
muss man genau hinsehen. Vergleichen Sie genau die Leistungsmerkmale. Im Ide-
alfall ist das zentrale DMS für alle Bereiche einsetzbar. Es sollte darauf geach-
tet werden, dass der Hersteller des DMS auch Themen wie Digitale Personalakte,
Anbindung an das ERP-System für die Kunden- und Lieferantenakte, Workflow
etc. in einem ausbaufähigen, skalierbaren System anbietet. Die Softwarebasis
muss stimmen – aber mindestens genauso wichtig ist der Berater, der das System
implementiert. Hat er Erfahrung mit dem Thema Vertragsmanagement, kann er auf
Kundenwünsche kompetent eingehen? Versteht er, was der Kunde will? Lassen sie
sich ein konkretes Projekt des Anbieters vorstellen. Entscheidend ist nicht unbe-
dingt genau dieselbe Branche, sondern die Vorgehensweise und das Verständnis
für Ihre Problemstellungen.
Nachfolgend finden Sie die wichtigsten Fragen, die Sie dem Anbieter stellen
sollten:
754 H.P. Heimsch
Die Einführung sollte nicht nur vom Legal Counsel und seinen Mitarbeitern geschul-
tert werden; die IT sollte hier auch maßgeblich unterstützen. Durch genaue Kennt-
nis der technischen Infrastruktur und der Erfahrungen bei der Softwareauswahl und
-einführung kann die IT die Rechtsabteilung auch bei der Projektvorgehensweise
unterstützen. Ganz am Anfang der Einführung eines Vertragsmanagements steht die
Definition der Ziele. Geht es um Transparenz, Fristenüberwachung, Vertragserstel-
lung, Konditionenoptimierung, Vereinheitlichung der Verträge, Dokumentation der
Genehmigungsprozesse mittels elektronischem Workflow, standortübergreifenden
Zugriff? Oder welches sind die wichtigsten Gründe? Die Ziele und Anforderun-
gen sollten wie bei jedem Projekt definiert und dann priorisiert werden. Eine lange
Wunschliste mit Nice-to-have-Anforderungen verschlingt nur unnötig Budget.
Die künftigen Key-User sollten schon früh in die Systemauswahl eingebunden
werden. Dies erhöht die Akzeptanz und deren Erfahrung kann genutzt werden. Min-
destens zwei Vertragsmanagementsysteme in intensiven Präsentationen kennenzu-
lernen, hilft zu vermeiden, erst am Tag der echten Systemeinführung zu sehen, was
das System wirklich kann oder eben nicht kann. Die Entscheidung, ob das Vertrags-
management zentral oder dezentral eingesetzt werden soll, ist für die Einführung
ebenfalls besonders wichtig. Bei dezentralem Einsatz sind viel mehr Benutzer mit
dem System befasst. Dementsprechend sind der Lizenzumfang und die Schulung
bei dezentralem Einsatz erheblich höher. Ein zentraler Einsatz ist aber nur bei ent-
sprechender personeller Ausstattung der Rechtsabteilung möglich. Die dezentrale
Erfassung auf Abteilungsebene verteilt die Aufwände auf viele Schultern. Dafür ist
aber ein hohes Qualitätslevel bei zentralem Einsatz erheblich leichter zu erreichen.
Wie immer ist es sinnvoll, ganz am Anfang zu beginnen. Also bei der Ver-
tragsentstehung, und nicht erst beim Einscannen fertiger Verträge. So lässt sich
eine vollständige Vertragsakte aufbauen. Überlegen Sie vorher, welche Sichten,
52 Zusatzprozess Document Management 755
Praxisbeispiel
Internationales Chemieunternehmen zentralisiert alle Verträge:
Ein international tätiges Chemieunternehmen wählt hier den Zentralisie-
rungsansatz. Es gilt über 200 Ländergesellschaften dazu zu bewegen, ihre
Händlerverträge über eine webbasierte Workflowlösung dem Corporate Legal
Service aufzuliefern. Die Verträge müssen gescannt und mit den wichtigsten
Daten versehen ins zentrale Archiv hochgeladen werden. Findet die Rechtsab-
teilung im Rahmen einer Qualitätsprüfung noch Mängel oder falls Rückfragen
entstehen, können diese über einen elektronischen Workflow geklärt werden.
Die Ländergesellschaften können per Selfservice auch wieder auf das Vertrag-
sarchiv im unternehmensweiten Intranet zugreifen. Natürlich sind im Archiv
entsprechende Berechtigungen vergeben, damit die einzelnen Gesellschaften
nur die Verträge einsehen können, die sie auch betreffen. Der Mehrwert die-
ser Lösung liegt insbesondere darin, dass über die gewählte Ablagestruktur und
die erfassten Daten zu den Verträgen eine ganz neue Transparenz entsteht. Die
Auskunftsfähigkeit und die Vergleichbarkeit werden gesteigert, die Grundlage
für die Überwachung einheitlicher Standards wird geschaffen und länderüber-
greifende Compliance ermöglicht. Und noch ein ganz wesentlicher Punkt:
Erstmalig ist so ein länderübergreifender Überblick über die Vertragspartner
geschaffen worden, der es erlaubt, auch Vertrags- beziehungsweise Konditio-
nenoptimierung länderübergreifend zu ermöglichen.
Ein generelles Problem ist, wie sich ein Geflecht von unterschiedlichsten Verträgen, die sich
aufeinander beziehen, visualisiert beziehungsweise übersichtlich verwaltet werden können: Mit
dem DMS können Verträge auch referenziert werden. Das heißt, es können sogenannte logi-
sche Kopien erstellt werden. Dabei können zum Beispiel Kopien der Einzelvertragsordner beim
Hauptvertrag (Rahmenvertrag) eingefügt werden. So sind Verbindungen und Abhängigkeiten auf
einen Blick erkennbar. Vorteil gegenüber einer Papierablage ist, dass diese Verknüpfungen nur
einmal erstellt werden müssen. Die Pflege entfällt, da sich diese Ordner automatisch aktualisie-
ren (es sind ja die identischen Ordner). Da es sich um Referenzen handelt, wird auch nahezu kein
Speicherplatz für diese Funktion verbraucht.
Die Tab. 52.1 zeigt die Vorteile der Einführung eines Vertragsmanagements und
geht gleichzeitig auf mögliche Barrieren oder Hemmnisse ein, welche in der Pra-
xis häufig vor Einführung eines solchen Systems anzutreffen sind.
1Hinweis zur Nomenklatur: Nachfolgend wird einheitlich vom „Aufsichtsrat“ gesprochen; kann
unter Berücksichtigung verschiedener Abweichungen dem „Verwaltungsrat“ in der Schweiz
gleichgestellt werden. Ebenfalls entspricht unter Berücksichtigung verschiedener Abweichungen
die „Hauptversammlung“ des Aktionariats in Deutschland und Österreich der Schweizer „Gene-
ralversammlung“ im Aktienrecht.
2Je nach Unternehmen auch company secretary, Aufsichtsratsassistent, Sekretär des Aufsichtsrats
etc. genannt.
R. Schoch (*)
Lausanne, Schweiz
E-Mail: roger.schoch@alpiq.com
d ieser Form keiner anderen Person im gesamten Unternehmen (auch nicht den ein-
zelnen Vorständen und Geschäftsleitungsmitgliedern) zugänglich sind.
Der Corporate Secretary berät den Aufsichtsrat in Fragen zur Corporate Gover-
nance. Er erstellt im Rahmen der Geschäftsberichtserstattung den Corporate
Governance-Bericht. Er pflegt das Organisationsreglement sowie weitere Füh-
rungsdokumente des Aufsichtsrats, macht nötigenfalls Anpassungsvorschläge und
überwacht dessen Einhaltung (Compliance; siehe dazu detailliert Kap. 54). Er
prüft die dem Aufsichtsrat eingereichten Vorlagen auf die Einhaltung entsprechen-
der Vorgaben. Der Corporate Secretary übt vielfältige und spannende Aufgaben
aus, wie folgender Überblick zeigt:
• weist den Aufsichtsratsvorsitzenden auf Themen hin, welche für das Verhältnis
von Aufsichtsrat und Geschäftsleitung von Bedeutung sind,
• macht dem Head Communications Vorschläge bezüglich interner und externer
Orientierung über Aufsichtsrat-relevante Themen,
• unterstützt den Aufsichtsratsvorsitzenden bei Nachfolgeregelungen (Auswahl
Headhunter, externe Kommunikation).
53.6 Beziehungen/Kontakte
53.8 Aufsichtsratsbüro
• Proaktiv und speditiv (bereits in der Arbeit als General Counsel ein Muss).
• Qualitativ hochwertige Arbeit (bereits in der Arbeit als General Counsel ein
Muss).
• Belastbar und lösungsorientiert (bereits in der Arbeit als General Counsel ein
Muss).
• Diskret und loyal (sehr wichtig für einen vertrauensvollen Umgang mit infor-
mellen Informationen).
• Hohe zeitliche Verfügbarkeit (teilweise auch an Wochenenden und in Rand-
zeiten).
53 Zusatzprozess Corporate Secretary Services 767
Ein Corporate Secretary braucht nicht nur einiges zur optimalen Aufgabenerfül-
lung, sondern bringt auch einiges mit. Er verfügt über ein ausgeprägtes Gespür
für heikle Fragen im Schnittstellenbereich von Aufsichtsrat und Geschäftsleitung
und ist erfahren im Umgang mit Prozessen in Großbetrieben. Er verfügt über die
Fähigkeit zur Erarbeitung konstruktiver und pragmatischer Lösungsansätze und
zeichnet sich durch eine gut strukturierte und effiziente Arbeitsweise aus. Dadurch
wird er auch für die Gesellschaft und die darin agierenden Personen ein sehr wich-
tiger und gern gesehener Interaktionspartner.
Wie eingangs erwähnt, fällt dem Corporate Secretary bei der Sicherstellung eines
effizienten und dynamischen Informationsflusses zwischen Aufsichtsrat und
Geschäftsleitung eine gewichtige Rolle zu. Er ist nicht nur Dreh- und Angelpunkt
zwischen diesen beiden Gremien, sondern vielfach auch Vermittler und Berater.
Ein in sich schlüssiger und logisch nachvollziehbarer sowie sachlich korrekter
Antrag gilt auf Aufsichtsratsebene zu Recht als Selbstverständlichkeit. Wann und
mit wem der entsprechende Antrag vorbesprochen und zu welchem Zeitpunkt er
dem Aufsichtsrat oder einem vorberatenden Ausschuss unterbreitet wird, kann
zuweilen jedoch eine ebenso große Rolle spielen. Auch die formelle Verpackung
eines Antrags an den Aufsichtsrat oder die Hauptversammlung ist nicht zu unter-
schätzen. Sind die eingereichten Unterlagen in sich zwar brilliant, die Anträge
aber unklar oder unvollständig formuliert, besteht die Gefahr, dass sich der Auf-
sichtsrat nicht mit dem Inhalt, sondern vielmehr mit der Form der Vorlage aus-
einandersetzen muss. Dabei kann viel an Dynamik eingebüßt und nicht zuletzt
unnötig Vertrauen verspielt werden. Es ist für eine Geschäftsleitung daher von gro-
ßem Belang, dass neben dem Inhalt, der unbestritten im Zentrum der Diskussionen
zu stehen hat, auch der Form beziehungsweise Verpackung (zum Beispiel Über-
setzung) ausreichend Rechnung getragen wird. Dies bedeutet, dass die Versand-
prozesse und Einreichungsfristen so gestaltet sein müssen, dass ausreichend Zeit
768 R. Schoch
Sowohl der General Counsel als auch der Corporate Secretary verfügen – sofern
die Funktionen nicht vom General Counsel ausgeübt werden – über fundierte
Kenntnisse des internen Regelwerks, der Corporate Governance sowie der bran-
chenspezifischen Regularien. Beide Rollen dienen der Unterstützung des Auf-
sichtsrats, der Geschäftsleitung sowie der Geschäfts- und Funktionsbereiche in
53 Zusatzprozess Corporate Secretary Services 769
Ein Rückgriff auf die internen Stellen (namentlich die Rechtsabteilung, aber auch
weitere Fachabteilungen, wie Compliance, Controlling etc.) ist in solchen oder
vergleichbaren Fällen aufgrund von chinese walls unter Umständen nicht möglich.
Der Corporate Secretary muss somit in spezifischen Fällen die Möglichkeit haben,
Rat von Dritten einzuholen (selbstverständlich in Abstimmung mit dem Aufsichts-
ratsvorsitzenden). Dies ist auch gleichzeitig der Grund, warum eine Personalunion
770 R. Schoch
Von den unterschiedlichen Aufgaben, welche auf einen General Counsel zukom-
men, falls er das Aufgabengebiet des Corporate Secretary mitübernimmt, ist die
Protokollführung in der Regel etwas für ihn völlig Neues. Die Bedeutung von Pro-
tokollen wird in der Praxis jedoch oft unterschätzt. Aus diesem Grund wird hier
vertieft darauf eingegangen, um dem General Counsel einen optimalen Start in das
Amt des Corporate Secretary zu ermöglichen. Zumal im deutschsprachigen Raum
die Pflicht zur Protokollierung auf Stufe Aufsichtsrat sowie Hauptversammlung
gilt,3 und Protokolle nicht nur den einzelnen Sitzungsteilnehmern, sondern auch
der gesamten Gesellschaft sowie Dritten Nutzen stiften respektive eine entschei-
dende Bedeutung in Verantwortlichkeitsprozessen erhalten.
der Kontrolle der erteilten Aufträge an das Management des Unternehmens. Das
Protokoll dient weiter als Beleg für Handelsregistereintragungen und als wichtige
Grundlage für die Erstellung von Revisionsberichten sowie zur Testierung der Jah-
res- und Halbjahresabschlüsse durch die Revisionsstelle. Schließlich ist das Pro-
tokoll auch ein wichtiges Instrument für die Nachvollziehbarkeit und Begründung
von Geschäftsentscheiden bei einer allfälligen due diligence. Zudem stellt es ein
geeignetes Beweismittel in Zivil- und Strafprozessen dar.
1Auch die Kodexanpassungsvorschläge für den Deutschen Corporate Governance Kodex 2017
enthalten eine deutliche Leitbotschaft zum Thema ethisches Verhalten. „Der Kodex verdeutliche
die Verpflichtung von Vorstand und Aufsichtsrat im Einklang mit den ethsich ausgerichteten Prin-
zipien der sozialen Marktwirtschaft für den Bestand des Unternehmens und seine nachhaltige
Wertschöpfung zu sorgen (Unternehmensinteresse). Diese Prinzipien verlangen nicht nur Lega-
lität, sondern fragen darüber hinaus nach der Legitimität von Verhalten und von Entscheidungen
und fordern insoweit Verantwortung (Leitbild des Ehrbaren Kaufmann).“
2L03 – Compliance-Leitfaden für den Aufsichtsrat, Arbeitskreis Aufsichtsrat und Compliance,
M. Mackert (*)
Deutsche Telekom AG, Bonn, Deutschland
breiten Publikum bekannt, oft sogar skandiert. Neben der Einhaltung von G esetzen
und klar definierten ethischen Grundsätzen wird damit die Etablierung einer
authentischen Compliance-Kultur notwendig. Eine normierte Rechtspflicht zur
Ausgestaltung eines Compliance Management-Systems, also die Definition und
konkrete Gestaltung der Instrumente der Compliance-Arbeit, gibt es jedoch nicht.
Die Notwendigkeit der Einrichtung einer Compliance-Organisation und des Auf-
baus eines Compliance Management-Systems resultiert zum einen aus den aktien-
rechtlichen Sorgfaltspflichten (vgl. für Deutschland § 93 Abs. 1 AktG3) und zum
anderen aus den haftungsrechtlichen Folgen des OWiG bei der Verletzung von
Aufsichtspflichten. Neben der persönlichen Haftung von Organen bei Verletzung
von Aufsichtspflichten kann es auch zu einer Unternehmenshaftung bei Straftaten
oder Ordnungswidrigkeiten durch Organe oder andere Leitungspersonen kommen
(vgl. §§ 30, 130 OWiG4). Das Erfordernis ergibt sich aber auch aus wirtschaft
lichen Aspekten. Compliance-Verstöße wie zum Beispiel Korruption führen dazu,
dass Unternehmen zu teuer einkaufen, dass notwendige Investitionen nicht vorge-
nommen werden, falsche unternehmerische Entscheidungen getroffen werden und
langfristig die Wettbewerbsfähigkeit leidet. Auch ohne den Druck von hohen Stra-
fen, vergaberechtlichen Konsequenzen und Imageschäden sollte jeder Unterneh-
mensleitung daran gelegen sein, dass sich das Unternehmen und somit auch seine
Repräsentanten compliant verhält respektive verhalten.
Maßstäbe für die Erfüllung der Sorgfaltspflichten in Bezug auf ein effektives
Compliance Management-System wurden erstmalig in den US Federal Sentencing
Guidelines definiert. Sie finden sich in geringfügig variierender Form auch in den
adequate procedures des UK Bribery Act und im deutschen IDW Prüfungsstan-
dard 980 wieder. Unabhängig davon, an welchen dieser Standards man sich anleh-
nen möchte, haben sich folgende Elemente etabliert:
3(Deutsches) Aktiengesetz vom 6. September 1965 (BGBl. I S. 1089), das zuletzt durch Artikel 1
des Gesetzes vom 22. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2565) geändert worden ist.
4(Deutsches) Gesetz über Ordnungswidrigkeiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.
Februar 1987 (BGBl. I S. 602), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 13. Mai 2015
(BGBl. I S. 706) geändert worden ist.
54 Zusatzprozess Compliance Management 777
ber 1998 (BGBl. I S. 2708), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. November 2015
(BGBl. I S. 2029) geändert worden ist.
778 M. Mackert
prüft die Revision als third line of defence das Compliance Management-System im
Konzern bei ausgewählten Beteiligungsgesellschaften. Dies anhand von im Vorfeld
von der Compliance-Organisation klar definierten Mindestanforderungen. Ebenfalls
validiert die Revision die Umsetzung bestimmter Compliance-Prozesse, um die
Wirksamkeit des Compliance Management-Systems für den zentralen Complian-
ce-Bereich zu prüfen. Bei einer Zusammenlegung von Compliance und der Inter-
nen Revision wäre diese in ihrem Prüfauftrag nicht mehr unabhängig.
Abb. 54.1 Compliance Risk Assessment. (Quelle: Deutsche Telekom, Stand 31. Dezember 2016)
779
780 M. Mackert
Beispielhafte Themen:
Korruption, Verstöße gegen Kartellrecht, Außenwirtschaft-/Embargoverstöße, Missbrauch
personenbezogener Kunden- oder Mitarbeiterdaten, Verstöße gegen Verbraucherrechte,
Verstöße gegen Patentrechte, Missbrauch von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, miss-
bräuchliche Nutzung von Insiderwissen, falsche oder verspätete Information des Kapital-
marktes.
In einem ersten Schritt ist die Relevanz zu bestimmen. Das bedeutet, dass jede
teilnehmende Tochtergesellschaft beurteilen muss, ob dieses Risikofeld für sie
relevant ist und damit näher analysiert werden muss. Um die Beurteilung zu
vereinfachen, wurden neben der Beschreibung des Risikos und der gesetzlichen
Regelungen dazu auch Szenarien hinterlegt. Diese Szenarien zeigen die praktische
Ausprägung des Risikos in der operativen Geschäftstätigkeit auf und werden fort-
laufend aktualisiert.
Beispiel
Aktive Korruption: Ein Vertriebsmittler/Berater verwendet einen Teil seines
Honorars zu Bestechungszwecken, um einen Auftrag zu akquirieren.
Wenn ein Risiko als relevant angesehen wird, ist im zweiten Schritt das Brut-
to-Risiko zu bewerten. Das Brutto-Risiko beschreibt die Bedrohung aus dem
Geschäftsmodell heraus, ohne die Berücksichtigung von risikominimieren-
den Maßnahmen. Dabei sind die Eintrittswahrscheinlichkeit und das mögliche
Schadensausmaß zu bewerten. Die Bewertung der Eintrittswahrscheinlich-
keit wird durch so genannte red flag-Fragen unterstützt, die speziell auf das zu
bewertende Risiko zugeschnitten sind und einen Warnhinweis auf ein erhöhtes
Risiko definieren.
In einem dritten Schritt werden die bereits umgesetzten Maßnahmen zur Ver-
ringerung des Ursprungsrisikos in die Betrachtung mit einbezogen. Diese
Maßnahmen beschreiben das Kontrollumfeld. Aus der Einschätzung des
Ursprungsrisikos und der Effektivität dieses Kontrollumfelds ergibt sich das
so genannte Netto-Risiko. Hier wurde eine Rechenlogik hinterlegt, die dazu
führt, dass bei bestimmten Ist-Risiken Aktivitäten zwingend erforderlich oder
Verbesserungen erforderlich sind. Bei einem niedrigen Ist-Risiko sind keine
Maßnahmen erforderlich. In Abhängigkeit des Ergebnisses sind im vierten
Schritt Maßnahmen zur Verbesserung des Kontrollumfelds zu definieren. Dazu
ist festzulegen, wer für die Maßnahme verantwortlich ist und bis zu welchem
54 Zusatzprozess Compliance Management 781
Für ein Compliance Management-System ist es essenziell, dass neben einem Code
of Conduct auch Reglungen zu Anti-Korruption, zu Geschenken, Einladungen
und Events, Gewährung von Spenden- und Sponsoringleistungen, zum Umgang
mit Beratern und Vermittlern konzernweit implementiert werden. Abhängig von
der Risikolandkarte können weitere Richtlinien dazukommen. Zur rechtssicheren
Implementierung von Konzernrichtlinien sind diese zunächst auf Konzernvor-
standsebene vom Vorstand beziehungsweise vom zuständigen Vorstandsmitglied
und in einem zweiten Schritt – auch hier je nach Zuständigkeit – von der
Geschäftsführung oder einem Geschäftsführungsmitglied der jeweiligen Tochter-
gesellschaft zu beschließen. Im Ausland wird eine Anpassung der Richtlinie an
zwingendes lokales Recht in Betracht kommen. In einem weiteren Schritt ist die
gegebenenfalls angepasste Konzernrichtlinie den betroffen Beschäftigten nach-
weislich bekannt zu machen. Die Implementierung von Konzernrichtlinien wird
durch geeignete Kommunikations- und Trainingsmaßnahmen begleitet. In Zwei-
felsfällen müssen sich die Mitarbeiter an ein Beratungsportal wenden können.
Wichtig ist, dass die Mitarbeiter zeitnah eine Antwort erhalten, die Handlungssi-
cherheit verschafft und rechtssichere Handlungsspielräume eröffnet.
54.3.3 Compliance-Trainings
geben, ob das Thema verstanden und ernst genommen wird sowie am Arbeitsplatz
angewendet werden kann. Zudem gibt es inhaltlich einen nicht zu unterschätzen-
den Input für Folgeveranstaltungen sowie einen direkten künftigen Austausch mit
Mitarbeitern auf einer gewissen Vertrauensgrundlage. Hervorzuheben ist, dass bei
den Compliance-Experten aktuelle Themenstellungen in dieser „Kommunikations-
kette“ platziert werden können, welche es dem Compliance-Bereich ermöglichen,
als business enabler zu fungieren.
Beispiele
Besonders risikoreich ist der Einsatz von Vertriebsmittlern und Beratern, die
mit Behörden zusammenarbeiten. Für Mitarbeiter, die diese Leistungen einkau-
fen, hat die Telekom ein e-Learning konzipiert, das im Rahmen des Bestellpro-
zesses zu durchlaufen und mit diesem hart verdrahtet ist. Dadurch sollen den
Bestellern das Risikopotenzial und seine Rolle im Prozess aufgezeigt werden.
Gleichzeitig wurde für die Mitarbeiter im Einkauf, welche die Bestellungen
durchführen, ein Präsenztraining durchgeführt. Den Einkaufsmitarbeitern wer-
den vor allem das Präventionskonzept zur Vermeidung von Risiken sowie der
zu durchlaufende Prozess nähergebracht. Vertriebsmitarbeiter mit Kundenkon-
takt sollten zudem im Thema Anti-Korruption, Deal-Verantwortliche explizit
bezüglich wettbewerbsrechtlicher Risiken geschult werden. Verfügt Ihr Unter-
nehmen über eine Banklizenz oder hat Ihr Unternehmen eine Tochtergesell-
schaft, die über eine Banklizenz verfügt, müssen Sie außerdem das Thema
Geldwäscherei schulen.
54.3.4 Compliance-Kommunikation
• ein Poster gestaltet, um die Transparenz der Struktur und den Nutzen von Com-
pliance für die Mitarbeiter zu erhöhen.
• ein neues Kommunikationsmittel entwickelt, das die Compliance-Risiken und
-Regeln kompakt und zielgruppenspezifisch darstellt. Für unsere Servicetech-
niker war dies eine mit einer „griffigen“ Compliance-Botschaft beschrifteten
Parkscheibe, und
• eine Broschüre aufgelegt, die die wichtigsten Compliance-Themen mitarbeiter-
orientiert erläutert.
Beispiel
Ein Unternehmen veröffentlicht nur die Anzahl der eingegangenen Complian-
ce-Verfehlungen (Hinweiseingänge), das andere veröffentlicht hingegen nur die
Anzahl bestätigter Compliance-Fälle.
Ganz wichtig ist, dass Compliance nicht nur ein Theoriegebäude ist, sondern in
die bestehenden Geschäftsprozesse verankert wird und sich als business enabler
versteht. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten, so zum Beispiel bei Geschäfts-
54 Zusatzprozess Compliance Management 785
• Länderrisiken,
• Branchenrisiken,
• Vertragspartner hat Zugriff auf sensible Daten oder Technik des eigenen Unter-
nehmens,
• Vertragspartner, die im Namen des eigenen Unternehmens auftreten,
• Firmensitz oder Rechnungsadresse in offshore-Ländern,
• intensive Geschäftsbeziehungen,
noch nicht genau absehbar. Im Rahmen der Risikoanalyse ist an Abhängigkeit von den Kunden-
und Vertragspartnerstrukturen jedoch immer zu prüfen, ob und ggl. welche Auslösetatbestände
für Sorgfaltspflichten eintreten können.
786 M. Mackert
• Erst-/Folgeauftrag,
• Länderrisiko: Herkunftsland des Geschäftspartners,
• Branchenrisiko: Warengruppe (angebotenes Produkt, Dienstleistung),
• Höhe des Bestellvolumens.
Nicht bei jedem Vertragsabschluss müssen Geschäftspartner mit der gleichen Inten-
sität geprüft werden. Sorgfältig sollte der Geschäftspartner zumindest bei einer
erstmaligen Vertragsanbahnung untersucht werden, weil er noch nicht aus einer
laufenden Geschäftsbeziehung bekannt ist. Zur Beurteilung von Länderrisiken kann
der Corruption Perceptions Index (CPI) von Transparency International (TI) ver-
wendet werden. Er listet Länder nach dem Grad auf, in dem dort Korruption bei
Amtsträgern und Politikern wahrgenommen wird. Je niedriger der Index ist, desto
höher ist das Korruptionsrisiko in dem betreffenden Land und desto intensiver
sollte eine Geschäftspartnerprüfung ausfallen. Auch für andere Risikofelder gibt es
anerkannte Indices, so zum Beispiel einen Wettbewerbsrechtsindex, der bewertet,
wie stark die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts in einzelnen Ländern ist.
Zur Beurteilung von Branchen eignet sich der Index on Bribery (BPI), ebenfalls
von Transparency International. Dieser listet 28 führende Exportnationen nach
der Neigung ihrer Unternehmen auf, Bestechungszahlungen im Ausland zu leis-
ten. Dabei werden auch die Bestechung von Unternehmen untereinander und die
relative Wahrscheinlichkeit aktiver Bestechung in verschiedenen Branchen unter-
sucht. Am schlechtesten schnitten bei der letzten Umfrage die Baubranche und der
Öl- und Gassektor ab. Auch hier sollten insbesondere Partner überprüft werden,
die in kritischen Branchen aktiv sind. Aus Compliance-Perspektive ist die Erbrin-
gung einer Beraterleistung immer risikobehaftet und im Speziellen, wenn diese
im Kontakt mit Behörden stehen oder das eigene Unternehmen beim Vertrieb von
Produkten oder dem Erschließen von Märkten unterstützen. Neben dem Risiko,
dass die Scheinbeauftragung von Beratern zu Bildung sogenannter schwarzer Kas-
sen genutzt wird, die später zu Bestechungszwecken verwendet werden, kann ein
Berater auch einen Teil seines Honorars verwenden, um einen Amtsträger zu beste-
chen. Vergaberechtliche Risiken können entstehen, wenn ein Berater von Auftrag-
geber und von Bieterseite beauftragt wird und somit ein Interessenkonflikt vorliegt
(siehe dazu detailliert Kap. 24). Schließlich ist auch eine Kosten-/Nutzenanalyse
vorzunehmen. Es kann zwar auch mit kleinen Summen zu Bestechungen kommen,
doch je größer das Vertragsvolumen, desto größer auch das Risikopotenzial.
Das bestehende Risiko kann jedoch durch die sorgfältige Auswahl von integren
Geschäftspartnern minimiert werden. Dazu gibt es diverse Instrumente, die man
idealerweise in die bereits bestehenden Prozesse integrieren kann. Am Beispiel
54 Zusatzprozess Compliance Management 787
des Einkaufs bedeutet dies: Der Einkauf führt standardmäßig bereits bestimmte
Lieferantenchecks durch. So wird in der Regel immer ein Bonitätscheck des Lie-
feranten durchgeführt werden, der die finanzielle Stabilität des potenziellen Liefe-
ranten prüft. Neben allgemeinen Kennzahlen und vergangenem Zahlungsverhalten
werden auch Information über Eigentümer- und Unternehmensstruktur bereitge-
stellt. Dazu ist ein Abgleich mit so genannten „Ausschlusslisten“ oder black lists
üblich. Im Minimum sollten Unternehmen einen Abgleich mit den Embargo-
beziehungsweise Antiterrorlisten durchführen. Ideal ist es, ein integriertes kon-
zernweites Ausschlusslistentool zu nutzen. Darin sollten Firmen enthalten sein, die
sich nicht regel- oder gesetzeskonform verhalten haben. Das kann die Nicht-Ein-
haltung der Vertrags- und Compliance-Vorgaben beinhalten. Aus diesem Grund
sollen sie für die Dauer ihrer Listung von Geschäftsbeziehungen ausgeschlossen
werden. Sorgfältig muss dabei auf die Einhaltung von datenschutz- und betriebs-
verfassungsrechtlichen Bestimmungen geachtet werden.
Bei großen Unternehmen sind auch Lieferantenselbstauskunftsbögen alltäg-
lich, die von den Lieferanten auszufüllen sind. Diese Elemente können genutzt
werden, um Compliance-Fragen zu integrieren. Bei der Ausgestaltung der Com-
pliance-Fragen sollte berücksichtigt werden, wer die vom potenziellen Lieferanten
ausgefüllten Compliance-Fragen inhaltlich prüft. Soll dies im Einkauf erfol-
gen, müssen die Compliance-Fragen um Bewertungshilfen ergänzt werden. Bei
Anzahl und Detaillierungsgrad der Compliance-Fragen sollte auch berücksichtigt
werden, dass es bei einer Lieferantenvertragsbeziehung nicht um das Risiko der
Übernahme aller Haftungsrisiken des Vertragspartners geht (wie zum Beispiel bei
einem Erwerb eines Unternehmens), sondern um die Reduzierung von Haftungs-
und Reputationsrisiken, die durch die Vertragsbeziehung mit den Lieferanten ent-
stehen können. Kann ein Lieferant Compliance-Fragen nicht positiv beantworten,
ist aber dennoch der Meinung, diese Themen anderweitig voll abzudecken, muss
dies im Einzelfall unter Einbindung von Compliance geklärt werden. Entsprechen-
des gilt, wenn der Lieferant zum Beispiel Verhaltenskodizes nicht akzeptieren will,
weil er eigene hat. Hat man nun besonders risikoreiche Geschäftspartner identifi-
ziert, sollte ein Compliance Check durchgeführt werden. Dieser sollte auf Basis
öffentlich zugänglicher Informationen die Unternehmensstruktur und Geschäfts-
leitung prüfen, aber auch, inwieweit der potenzielle Vertragspartner in der Ver-
gangenheit Compliance-Verstöße begangen hat. Vertiefend kann eine erweiterte
Überprüfung in Wirtschaftsdatenbanken durchgeführt werden. Diese sollte auch
erfolgen, wenn Hinweise auf unklare Eigentümerverhältnisse, nicht nachvollzieh-
bare Unternehmensbeteiligungen und intransparente Offshore-Strukturen vorlie-
gen oder der Eigentümer ein so genannter „PEP“ (polictical exposed person) ist.
Sollten sich hier Auffälligkeiten ergeben, darf ein Vertrag nur mit Zustimmung des
Compliance-Bereichs abgeschlossen werden.
Bei den bisher beschriebenen Elementen handelt es sich um Prüfungen, die in
der Regel Vertragsbeziehungen betreffen, die vom Einkauf geschlossen werden.
Es gibt aber auch Vertragsbeziehungen, die in anderen Unternehmensbereichen
entstehen. So sind für die Compliance-Beurteilung von strategischen Partner-
schaften im Rahmen des Verkaufs von Partnerprodukten unter dem Namen des
eigenen Unternehmens, für Joint Ventures, für Outsourcing-Deals sowie Mergers
788 M. Mackert
Das kaufende Unternehmen ist verantwortlich für eine sorgfältige Prüfung der
Zielgesellschaft zur Aufdeckung von Korruptionssachverhalten/Verstößen gegen
den Foreign Corrupt Practices Act (FCPA), die zeitlich vor der Akquisition lie-
gen, sowie für die Aufdeckung von Compliance-relevanten Sachverhalten in der
Zielgesellschaft. Unabhängig von dieser Verantwortung sollte es aber auch im
Interesse des Unternehmens liegen, die Risiken zu kennen, die sich aus der Trans-
aktion ergeben. Dringend zu empfehlen ist die Einbindung des Compliance-Be-
reichs ab Beginn der Due-Diligence-Phase. Es sollte ein Business Assessment
in der pre-contact-Phase über das potenzielle M&A-Target durchgeführt werden
und bestimmte Compliance-Fragen direkt in der Due Diligence platziert werden.
Neben landesbezogenen müssen auch geschäftsbezogene Korruptionsrisiken ana-
lysiert und die Compliance-Struktur des Targets analysiert werden. In Abhängig-
keit vom Ergebnis wird gegebenenfalls eine Anpassung an die Vertragsgestaltung
vorgenommen und die Entscheidung Kauf oder Nichtkauf getroffen. Nach der
Entscheidung zum Kauf wird eine Post Merger Integration durchgeführt.
Im Rahmen der Compliance Post Merger Integration geht es zum einen darum,
die neu erworbene Gesellschaft in das Compliance Management-System der auf-
nehmenden Gesellschaft zu integrieren, und zum anderen darum, die im Rah-
men der Due Diligence erkannten auffälligen Transaktionen aufzuarbeiten. Im
Allgemeinen werden bei einer Post Merger Integration die Prozesse und Struk-
turen des neu erworbenen Unternehmens an die bestehenden Unternehmens-
beziehungsweise Konzernstrukturen des Käufers angepasst. Bezogen auf den
Bereich Compliance bedeutet dies, dass das Compliance Management-System
der aufnehmenden Gesellschaft sukzessive in der neuen Gesellschaft implemen-
tiert werden muss. Sollte bereits ein Compliance Management-System existieren,
ist dieses mit den Mindestanforderungen des Käufers abzugleichen und allenfalls
entsprechend anzupassen. So müssen zum Beispiel ein Compliance Risk Assess-
ment durchgeführt werden, welches den Anforderungen des Käufers genügt, und
Compliance-Schulungen vorgenommen werden. Konzernrichtlinien des Käufers
sind zu implementieren und es muss eine Integration in den konzernweiten Com-
pliance-Reporting-Prozess erfolgen. Grundsätzlich ist jede Gesellschaft für die
Implementierung eines wirksamen Compliance Management-Systems selbst ver-
antwortlich. Der Käufer muss dennoch sicherstellen, dass die Compliance Manage-
ment-Systems in seinen Beteiligungsgesellschaften seine Anforderungen erfüllen.
Eine compliance post merger integration sollte sich nicht auf die Implementie-
rung eines Compliance Management-Systems in dem neu erworbenen Unterneh-
men an sich beschränken, denn mit dem Kauf des Unternehmens werden darüber
hinaus Haftungsrisiken für Compliance-Verstöße aus der Vergangenheit übernom-
men. Während Haftungsrisiken für bekannte Verstöße, die zum Beispiel bereits
54 Zusatzprozess Compliance Management 789
Fragebogen:
• Geschäftsführung
– Sind Mitglieder der Geschäftsleitung public officials?
• Kunden
– Wie hoch ist der Kundenanteil im öffentlichen Sektor?
– Werden Vertriebsmittler eingesetzt?
• Rechnungslegung
– Wie hoch sind die Aufwendungen für Geschenke, Lobbying, Spenden und
Sponsoring?
• Compliance-Struktur
– Gibt es ein Compliance-Management im Unternehmen?
– Seit wann gibt es ein Compliance Management-System?
– Ist das Compliance Management-System extern zertifiziert?
790 M. Mackert
Jedes Quartal wird im Vorstand und im Prüfungsausschuss über den aktuellen Sta-
tus des Compliance Management-Systems und die aktuellen Compliance-Fälle
berichtet. Grundlage ist das zu Jahresbeginn im Vorstand präsentierte Ergebnis
aus dem Risk-Assessment mit dem daraus abgeleiteten Maßnahmenprogramm.
Im Vorfeld dazu bespricht der Chief Compliance Officer mit den Vorständen die
54 Zusatzprozess Compliance Management 793
fits all-Lösung für die Vielzahl von Gesellschaften macht wenig Sinn. Wir gehen
einen Reifegrad-orientierten Ansatz mit dem wir eine maßgeschneiderte Betreu-
ungsform für unsere Gesellschaften finden.
Beispiel
Wir haben einen „Baukasten für eine Reifegrad-orientierte Compliance“ entwi-
ckelt: Die Aufgabe bestand darin, Anforderungen an ein Compliance Manage-
ment-System für die verschiedenen Konzerngesellschaften zu definieren und
dabei deren wirtschaftliche Entwicklung, sowie deren Geschäftsstrategien und
-risiken zu berücksichtigen. Hierzu ordneten wir unsere Tochterunternehmen
nach ihrer jeweiligen Lebenszyklusphase (vom Start-up bis zum Marktführer)
und ihrem spezifischen Compliance-Risiko in eine Matrix ein. Für die Ein-
gruppierung in die Lebenszyklusphase können quantitative Kriterien verwen-
det werden, wie zum Beispiel Finanzkennzahlen, Mitarbeiterzahl und Dauer
der Konzernzugehörigkeit. Compliance-Risiken mit externen Faktoren sind das
Länderrisiko, das Geschäftsmodell und die Compliance-Reife des Unterneh-
mens. Anhand ihrer Platzierung in der Matrix gruppierten wir die Gesellschaf-
ten nach verschiedenen Reifegraden, definierten fünf spezifische Gruppen und
legten für jede davon die Anforderungen für das jeweilige Compliance Manage-
ment-System fest. In der Auswirkung bedeutet das, dass kleine Gesellschaften
nur alle zwei Jahre ein Compliance Risk Assessment durchlaufen und einmal im
Jahr einen Compliance-Bericht erstellen. Es gibt einen bestimmten Mindestsatz
an Richtlinien, der implementiert werden muss. Bei auftretenden Fällen kann
der Compliance-Bereich der Zentrale anstehende Fälle managen. Große Unter-
nehmen dagegen führen jedes Jahr ein Compliance Risk Assessment durch und
erstellen einmal im Quartal einen Compliance-Bericht. Die Anzahl der zu imple-
mentierenden Richtlinien ist in der Regel höher und diese Gesellschaften mana-
gen ihre Compliance-Fälle bis zu einer gewissen Größenordnung selbstständig.
1Das sogenannte child trafficking betrifft viele Bereiche der Rohstoffgewinnung. Vgl. grund-
sätzlich www.unicef.org/protection/57929_58005.html, besucht 10. Mai 2017; zu dem trauri-
gen Beispiel aus dem Kakaobohnenanbau vgl. http://www.foodispower.org/slavery-chocolate,
besucht 10. Mai 2017.
S. Grüninger (*)
Konstanz, Deutschland
E-Mail: stephan.grueninger@htwg-konstanz.de
Für den Aufsichtsrat stellt sich damit unmittelbar die Frage, was
CSR für das eigene Unternehmen genau und konkret bedeutet?
Wie weit reicht unsere Verantwortung in der Wertschöpfung down-
stream und up-stream? Wer oder was befindet darüber?
Dieses Kapitel soll diesen Fragen nachgehen und dem mit diesem Thema betrau-
ten General oder Legal Counsels einen groben Leitfaden an die Hand geben, mit
welchem er den Prozess eines ernsthaften CSR- und Integritätsmanagements
beginnen und gestalten kann. Ein solcher Managementprozess ist jedoch nur dann
ernsthaft und glaubwürdig möglich, wenn ein grundlegendes Verständnis für die
praktische Gestaltung von CSR-Themen und deren Dilemmata vorhanden ist.
Zudem muss aufseiten des Unternehmens die Bereitschaft vorliegen, die Zusam-
menhänge zu verstehen und die Wahrnehmung bezüglich der Problemlagen zu
schärfen. Zudem muss die Akzeptanz für die eigene Rolle sowie die Bereitschaft,
die eigenen Handlungsmöglichkeiten umzusetzen, um dadurch Verantwortung zu
übernehmen, gegeben sein.
von Bürgern. In diesem Fall von Bürgern, die sich als Unternehmer betätigen. Da die
Frage der Sozialverantwortung damals wie heute vorwiegend die Manager-geführten
Unternehmen betreffe, könne in der Verwendung von Geldern für soziale Zwecke
nur ein Missbrauch gesehen werden, der letztlich sogar als Vermögensschädigung zu
interpretieren sei und darum auch juristisch geahndet werden müsse.
Dennoch reüssierte der Begriff der CSR, auch aufgrund einer seit den späten
1980er Jahre geführten Debatte um eine „nachhaltige Entwicklung“ (sustainable
development), die in der Anfangszeit insbesondere auf einen wirksamen Umwelt-
und Klimaschutz fokussierte.2 Die daraus abgeleitete gesellschaftliche Unterneh-
mens-, beziehungsweise Unternehmerverantwortung (CSR) bezieht sich also
gemäß Abb. 55.1
2Einen guten Überblick zum Thema bieten Günther, Ruter (2012). Zu den Begriffen vgl. ins-
besondere den dort enthaltenen Artikel von Rieckhoff, Klapper (2012, S. 9 ff.) Der Begriff
„Nachhaltigkeit“ wird seither richtigerweise auch in anderen Zusammenhängen diskutiert
(ökonomische und soziale Nachhaltigkeit) und betrifft sowohl Themenkomplexe, die mit der
Gewinnerzielungsabsicht kompatibel sind (Kosteneinsparung durch umweltschonenden Ressour-
ceneinsatz), als auch solche, die in dieser Hinsicht eher eine Bürde für die Unternehmen darstel-
len (Sicherstellung der Einhaltung von Menschenrechten und Arbeitsstandards in der Lieferkette).
3Es war der bekannte Management-Denker Peter Drucker, der dieses Verständnis über die gesell-
schaftliche Verantwortung von Unternehmen bereits früh ins Spiel gebracht hat. Vgl. Drucker
(1973) sowie Palazzo (2010).
798 S. Grüninger
In diesem Sinne ist auch die frühe CSR Pyramide in Abb. 55.2 zu verstehen, wel-
che ebenfalls eine abgestufte Verantwortungshierarchie für Unternehmenspflich-
ten definiert; darüber hinaus jedoch noch eine weitere Stufe stellt, nämlich die der
sogenannten corporate philanthropy.
Neben den zwingenden Notwendigkeiten der Gewinnerwirtschaftung – unter Ein-
haltung von Recht und Gesetz – sollen Unternehmen nicht nur allgemein anerkannte
ethische Normen und Branchen- beziehungsweise Industriestandards einhalten,
sondern auch weitere eingehen, die über die gesetzlichen Verpflichtungen hinausrei-
chen. Wobei die Unternehmen immer noch in der Sphäre des Geschäfts und damit
im Bereich der Gewinnerwirtschaftung handeln sollen. Davon zu unterscheiden sind
Spenden für soziale Zwecke (im Rahmen der unternehmerischen Gewinnverteilung):
Solche Spenden dürfen in Maßen erfolgen, müssen aber analog zu der bereits weiter
oben geführten Diskussion immer einen klaren Unternehmensbezug haben. Mithin
bewegen sich solche nahe an dem, was man als corporate sponsoring bezeichnet.
Ist der Bezug zum Unternehmenszweck nicht gegeben und erfolgen Spenden in
unverhältnismäßigem Umfang, bei denen die Unternehmensführung nicht identisch
mit den Unternehmenseigentümern ist, so ist der Weg zur Veruntreuung von Vermö-
gen nicht weit. Darüber hinaus hat die Globalisierung der Wertschöpfung, wie oben
bereits angesprochen, zu einer Ausdehnung der – den Unternehmen zugerechneten –
Verantwortung geführt. Früher hat sich die Unternehmensverantwortung ausschließ-
lich auf die eigene Wertschöpfung bezogen. Heute werden Unternehmen jedoch
immer mehr auch für Handlungen von Geschäftspartnern (Vertriebsmittlern, Lie-
feranten etc.) in die Verantwortung genommen: Was ein Dritter tut oder unterlässt,
wird damit zum Gegenstand der eigenen Unternehmensverantwortung.
Ein modernes Compliance Management5 bezieht sich darum auch auf Bereiche,
die jenseits der eigenen Unternehmensgrenzen liegen. Damit sind wir bei einem
zentralen Begriff angelangt, dem der „Compliance“ (siehe dazu detailliert Kap. 54).
Dieses Thema wird in der Praxis sehr häufig missverstanden und ausschließlich auf
legal compliance reduziert. Kern der Corporate Compliance sind sicherlich Berei-
che der legal compliance, wie die Korruptionsprävention sowie die Verhinderung
kartellrechtswidriger Preisabsprachen und damit Themen, die strafrechtlich oder
mittels hoher Bußen sanktioniert werden.6 Aber sachlich geht es beim modernen
Compliance Management weiter. Es geht darum, dass ein Unternehmen die Kompe-
tenzen und Mittel vorhält, um alle relevanten Normen einzuhalten (to comply with
bedeutet „einhalten“, „beachten“, „befolgen“). Dabei können diese Normen rechtli-
cher Natur gar strafrechtlich bewehrt sein, sie können ihre Quelle aber auch in nicht
rechtlich bindenden (internationalen) Standards (UN, OECD, ISO, DIN)7 haben, die
nicht selten als soft law bezeichnet werden.8 Schließlich können Compliance-rele-
vante Sachverhalte für ein Unternehmen aber auch in moralischen Selbstbindungen
liegen, die sich an allgemein akzeptierten ethischen Grundüberzeugungen orientie-
ren (zum Beispiel Fairness im Wettbewerb).
Unternehmen bündeln diese Normen in der Regel in einem Verhaltenskodex
(Code of Ethics oder Code of Conduct) und beschreiben darin, an welchen ethi-
schen Grundwerten, gesetzlichen Regelungen und internationalen Standards sie
sich orientieren, beziehungsweise welche sie im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit
einhalten wollen. So angewandt mutiert der Verhaltenskodex zu einem Verspre-
chen oder zu einer Reihe verschiedener Versprechen, und das Compliance
Management zu einem Mittel respektive Management Tool, das die Unternehmen
applizieren, um sich in die Lage zu versetzen, die gemachten Versprechen auch
tatsächlich einzuhalten.9
Der Begriff der social compliance hat sich insbesondere in Abgrenzung zu den
Themen der legal compliance etabliert. Allerdings kann man die Abgrenzung auch
schlicht sachlich-themenbezogen verstehen: Neben den Themen, die auf die Wirt-
schaftskriminalität in und von Unternehmen fokussieren, also der criminal compli-
(International Organization for Standardization), DIN (Deutsche Institut für Normung e. V.).
8Der Begriff des soft law scheint in sich widersprüchlich, da es ein „weiches Recht“ insofern nicht
geben kann, als Recht stets bindend ist und gerade nicht auf Freiwilligkeit abstellt. Genau dies ist
aber beim soft law der Fall: Es hat den Charakter einer mehr oder weniger dringenden Empfeh-
lung. Die Nichteinhaltung bleibt allerdings rechtlich folgenlos. Vgl. Schwarze (2011, S. 3 ff.).
9Zu den Anforderungen an ein CMS vgl. Grüninger (2014b).
800 S. Grüninger
10Als criminal compliance (vgl. zum Beispiel Bock (2011), S. 21) wird der Teil der legal com-
pliance verstanden, der strafrechtlich sanktioniert ist (zum Beispiel Korruption, Untreue); auch
Aufsichts- und Organisationspflichten können hierunter subsumiert werden.
11Die Einhaltung von Arbeits- und Sozialstandards in der eigenen Wertschöpfung gehört in der
Regel jedoch nicht zum Aufgabengebiet der Compliance-Abteilung, sondern wird in der Regel
durch die Personalabteilung abgedeckt. Insofern bezieht sich social compliance in der deutsch-
sprachigen Praxis meist ausschließlich auf Problemstellungen außerhalb der eigenen Wertschöp-
fung, insbesondere auf diejenigen der (ausländischen) Lieferkette. Es ist jedoch anzumerken,
dass sich in letzter Zeit die Verletzung derartiger Standards auch in der unternehmensinternen
Wertschöpfungskette zu häufen scheint (siehe unter anderem das Süddeutsche-Dossier zu Arbeit,
vom März 2015; www.sueddeutsche.de/wirtschaft/recherche-dossier-zu-arbeit-wenn-sie-keine-
broetchen-verdienen-sollen-sie-doch-kuchen-backen-1.2378869. Besucht 24. November 2016).
12Siehe nur den Fall Deepwater Horizon von BP; vgl. hierzu zum Beispiel www.spiegel.de/
14Die Anteile zwingenden Rechts, von soft law und freiwilligen Ethikstandards in Abb. 55.3 wur-
den vom Autor geschätzt und erheben keinen Anspruch auf objektive Richtigkeit.
15Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101).
55 Zusatzprozess CSR & Integritätsmanagement 801
würde (Art. 7 BV) in den eigenen Betrieben zu wahren und zu schützen und das
aus diesem Verfassungsgrundsatz abgeleitete (Straf-)Recht zu beachten.
Wenn Unternehmer oder Manager sich Gedanken über die Gestaltung der CSR
beziehungsweise der social compliance im eigenen Unternehmen machen, ist es
wichtig, sich über deren Grundlagen bewusst zu werden. Dabei gilt es zu unter-
scheiden:
• Management-System-Standards (Rahmenwerke),
• themenbezogene CSR Management-System-Standards und
• sachlich-themenbezogene materielle Normen (CSR-soft law).16
• UN Global Compact: „Der Global Compact der Vereinten Nationen ist eine
strategische Initiative für Unternehmen, die sich verpflichten, ihre Geschäftstä-
tigkeiten und Strategien an zehn universell anerkannten Prinzipien aus den
Bereichen Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbe-
16Die nachfolgend genannte Auflistung entsprechender Standards und Quellen ist selbstverständ-
lich nicht abschließend zu verstehen. Sie soll dem Praktiker lediglich eine Anregung für den
Einstieg in die Beschäftigung mit möglichen Vorgaben und potenziellen Anforderungen an das
eigene CSR-Management bieten.
802 S. Grüninger
kämpfung auszurichten. Damit kann die Wirtschaft als wichtige treibende Kraft
der Globalisierung dazu beitragen, dass die Entwicklung von Märkten und
Handelsbeziehungen, von Technologien und des Finanzwesens allen Wirt-
schaftsräumen und Gesellschaften zugutekommt.“17
• ISO 26000: „Die Internationale Norm ISO 26000 – in Deutschland als DIN
ISO 26000 veröffentlicht – ist ein freiwillig anzuwendender Leitfaden, der
Organisationen dabei unterstützt, gesellschaftliche Verantwortung wahrzuneh-
men. Sie wurde von der Internationalen Normungsorganisation (International
Organization for Standardization, ISO) unter Einbindung aller Interessensgrup-
pen und unter Mitwirkung von 450 Experten aus fast 100 Ländern in knapp
sechs Jahren entwickelt.“18
• OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen: „Bei den OECD-Leitsät-
zen für multinationale Unternehmen handelt es sich um Empfehlungen der
Regierungen an die multinationalen Unternehmen, die in oder von den Teilneh-
merstaaten aus operieren. Sie enthalten nicht rechtsverbindliche Grundsätze
und Maßstäbe für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln in einem
globalen Kontext, das dem geltenden Recht und international anerkannten Nor-
men entspricht. Die Leitsätze sind der einzige multilateral vereinbarte und
umfassende Kodex für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln, zu
dessen Förderung sich die Regierungen verpflichtet haben.“19
bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a395-csr-din-26000.pdf?__blob=publi-
cationFile. Besucht 24. November 2016.
Darüber hinaus bietet Annette Kleinfeld einen guten und anwendungsorientierten Überblick zur
ISO 26000, Kleinfeld (2011).
19OECD (2011, S. 3).
55 Zusatzprozess CSR & Integritätsmanagement 803
20Der Begriff remedy (deutsch „beheben“, „abhelfen“) bezieht sich auf die Schaffung von Abhil-
femaßnahmen.
804 S. Grüninger
setting out the structures and procedures that companies must adopt in order
to ensure that compliance with the standard is continuously reviewed. Those
seeking to comply with SA8000 have adopted policies and procedures that
protect the basic human rights of workers.“21
Der Standard SA 8000 enthält Regelungen zu folgenden Bereichen:22
– Verbot der Kinderarbeit (child labor);
– Verbot der Zwangsarbeit (forced or compulsory labor);
– Gesundheit und Sicherheit (health & safety);
– Versammlungs- und Verhandlungsfreiheit (freedom of association & right to
collective bargaining);
– Verbot der Diskriminierung (discrimination);
– keine unangemessenen disziplinarischen Praktiken; gemeint ist, dass es
keine physischen oder psychischen Bestrafungen geben darf (disciplinary
practices);
– Arbeitszeit (working hours);
– Lohnniveau (remuneration);
– Managementsysteme (management systems).
21Die Abkürzung „SAI“ steht für die Organisation Social Accountability International, deren
Gründerin Alice Marlin Tepper den genannten Standard maßgeblich mitentwickelt hat; siehe
http://www.sa-intl.org/index.cfm?. Besucht 10. Mai 2017. Die Abkürzung „ILO“ steht für die
Internationale Arbeitsorganisation (International Labour Association; siehe www.ilo.org).
22Vgl. http://www.sa-intl.org/index.cfm?fuseaction=Page.ViewPage&pageId=1689. Besucht 24.
November 2016.
23www.ilo.org/berlin/arbeits-und-standards/lang--de/index.htm. Besucht 10. Mai 2017.
55 Zusatzprozess CSR & Integritätsmanagement 805
24In diesem Kontext ist unter anderem die Business Social Compliance Initiative (BSCI) rele-
vant, „eine führende Unternehmens-Initiative zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in glo-
balen Lieferketten. Sie umfasst weltweit 1400 Firmen, bildet ein Einkaufsvolumen von über
600 Mrd. EUR ab und erreicht weit über 2 Mio. Mitarbeitende in Zulieferbetrieben. In der
Schweiz nehmen über 70 Firmen teil.“ (www.bsci-ch.org. Besucht 24. November 2016).
25Vgl. zum Compliance Risk Assessment Otremba (2014) und zum Social Compliance Risk
Assessment Geiß (2014). Für eine risk based due diligence im Rahmen der obengenannten UN
Guiding Principles on Business and Human Rights vgl. Gentner (2014).
806 S. Grüninger
Wichtig ist, dass die Durchführung des CRA und des SCRA sowie das Compli-
ance Management des Unternehmens mit der Unternehmensintegrität verbunden
sind. Dazu muss zunächst der Unterschied zwischen „Compliance“ und „Integri-
tät“ dargelegt werden:
Abb. 55.4 Begriffliche
Abgrenzung: Compliance –
was bestimmt das Verhalten?
55 Zusatzprozess CSR & Integritätsmanagement 807
Abb. 55.5 Begriffliche
Abgrenzung: Integrität – was
bestimmt das Verhalten?
• dass neben der Einhaltung des Rechts auch solche Themen im Unternehmen
identifiziert werden, für die das Unternehmen eine moralische Verantwortlich-
keit akzeptieren muss, weil es dafür „gute Gründe“ gibt,
• diesen Bereich klar zu benennen und sowohl die Reichweite der Verantwort-
lichkeit sowie auch deren Grenzen zu definieren und schließlich
• den identifizierten Verantwortlichkeitsbereichen mit wirksamen Compliance-
Maßnahmen zu begegnen.
Es kann also nicht darum gehen, dass der örtliche Brötchenlieferant eines multina-
tionalen Unternehmens (MNU) den UN Global Compact unterschreibt oder Unter-
nehmen in vorauseilendem „CSR-Gehorsam“ neuerdings in ihre Verhaltenskodizes
808 S. Grüninger
Literatur
Bock D (2011) Criminal compliance. Nomos-Verlags-Gesellschaft, Baden-Baden
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2011) Die DIN ISO 26000 „Leitfaden zur gesell-
schaftlichen Verantwortung von Organisationen“. Ein Überblick, Bonn
Carroll A (1991) The pyramid of corporate social responsibility: Toward the moral management
of organizational stakeholders. Business Horizons 1991 (July–August):39–48
Drucker P (1973) Management: Tasks, responsibilities, practices. HarperBusiness Edition, New
York
Friedman M (1970) The social responsibility of business is to increase its profit. The New York
Times Magazine, 13. Sept.
Geiß O (2014) Social Compliance Risk Assessment – Erfahrungen der Fraport AG. In: Wieland
J, Steinmeyer R, Grüninger S (Hrsg) Handbuch Compliance Management, 2. Aufl. Erich
Schmidt, Berlin, S 575–596
Gentner S (2014) Politisches Risiko & Risk-Based Due Diligence. In: Wieland J, Steinmeyer R,
Grüninger S (Hrsg) Handbuch Compliance Management, 2. Aufl. Erich Schmidt, Berlin, S
549–574
Grüninger S (2014a) Werteorientiertes Compliance-Management-System. In: Wieland J, Stein-
meyer R, Grüninger S (Hrsg) Handbuch Compliance Management, 2. Aufl. Erich Schmidt,
Berlin, S 41–70
Grüninger S (2014b) Empfehlungen für die Ausgestaltung und Beurteilung von Compliance-Ma-
nagement-Systemen. KICG CMS-Guidance 2014, Leitlinien 1 bis 4 2014, Annex 2014. In:
Grüninger S, Konstanz Institut für Corporate Governance (Hrsg), Konstanz, www.htwg-kons-
tanz.de/Compliance-Pflichten.6958.0.html. Zugegriffen: 20. Nov. 2016
Günther E, Ruter R (Hrsg) (2012) Grundsätze nachhaltiger Unternehmensführung. Erfolg durch
verantwortungsvolles Management. Erich Schmidt, Berlin
Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V (2011) IDW Prüfungsstandard: Grundsätze
ordnungsmäßiger Prüfung von Compliance Management Systemen (IDW PS 980). IDW,
Düsseldorf
26Für die Praxis des Compliance Managements vgl. Wieland et al. (2014).
55 Zusatzprozess CSR & Integritätsmanagement 809
Weiterführende Literatur