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Kostenloses Unterrichtsmaterial für die Sekundarstufe II

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Diese Arbeitsblätter sind ein kostenloser Service für In Zusammenarbeit mit:


die Oberstufe und erscheinen jeden ersten Donnerstag
im Monat. Sie beleuchten ein aktuelles Thema aus der
ZEIT, ergänzt durch passende Arbeitsanregungen zur
praktischen Umsetzung im Unterricht.

www.scook.de

Thema im Monat Januar 2017:


Was ist soziale Gerechtigkeit?
Eine große Mehrheit der Bevölkerung empfindet die Kluft zwischen Arm und Reich als ungerecht. Laut
einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung fordert sie, die Profiteure der wirtschaftlichen Entwicklung stär-
ker in die gesellschaftliche Verantwortung zu nehmen. Das bedingungslose Grundeinkommen schlägt
einen anderen Entwurf zur Verteilungsgerechtigkeit vor. Es koppelt die Existenzsicherung von der
Erwerbsarbeit ab und garantiert allen ein Bürgergehalt ohne Gegenleistung. Welches Konzept trägt eher
dazu bei, soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen?

In dieser Unterrichtseinheit erörtern Ihre Schüler unterschiedliche Vorstellungen von einer gerechten
Einkommens- und Vermögensverteilung, die sie in einem Rollenspiel aushandeln. Sie befassen sich mit
den Aufgaben staatlicher Sozialpolitik, erörtern Leistungsgerechtigkeit und Chancengleichheit und dis-
kutieren, welche Möglichkeiten das bedingungslose Grundeinkommen bietet, die herkömmliche soziale
Verteilungsdebatte auf eine völlig neue Grundlage zu stellen.

Inhalt:
2 Einleitung – Thema und Lernziele
3 Arbeitsblatt 1 – Umfrage: Mehrheit findet Deutschland ungerecht
9 Arbeitsblatt 2 – Grundeinkommen: 560 Euro, einfach so
12 Internetseiten zum Thema
»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | Was ist soziale Gerechtigkeit? 2

Einleitung: Thema und Lernziele


Ein Banker, ein Chirurg, eine Krankenschwester und Alleinerziehende, die von Hartz IV lebt, sitzen in einer
Bar. Der Wirt gibt eine Handvoll Kekse aus. Verteilen Sie die Kekse so, dass der Anteil der Kekse die Einkom-
mens- und Vermögenssituation der Personen repräsentiert. Sie finden das nicht gerecht? Dann verteilen
Sie die Kekse so, dass sie eine gerechte Einkommensverteilung widerspiegeln. Mit diesem Gedankenspiel
können Sie unterschiedliche Facetten der gesellschaftspolitischen Debatte um soziale Gerechtigkeit nach-
vollziehen: Wie schafft man einen gerechten Ausgleich zwischen Leistungs-, Verteilungs- und Bedarfsge-
rechtigkeit? Und ab wann ist eine ungleiche Verteilung auch ein Zeichen für soziale Ungerechtigkeit?

Nach einer Erhebung der Weltbank besitzt das reichste Zehntel der Haushalte in Deutschland rund 60
Prozent des gesamten Nettovermögens. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat be-
rechnet, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich öffnet und die Mittelschicht allmählich schrumpft.
Eine Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung ergab, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung von 82 Pro-
zent die soziale Ungleichheit in Deutschland als zu groß einstuft. Als Maßnahme gegen diese Entwicklung
empfehlen 83 Prozent Steuerentlastungen, 76 Prozent befürworten höhere Belastungen von hohen Ein-
kommen und großem Vermögen, jedoch nur 59 Prozent würden die Löhne und Gehälter anheben.

Doch finden sich auch Lösungsmodelle zur Herstellung größerer sozialer Gerechtigkeit jenseits der alt-
bekannten Stellschrauben von Sozialleistungen, Löhnen, Steuern und Sozialbeiträgen? Ein Konzept gibt
es, das viele Jahre lang als Spinnerei linker Utopisten galt und allmählich unter Ökonomen und Politikern
immer mehr Zustimmung erhält: das bedingungslose Grundeinkommen. Die Idee dahinter ist einfach: Je-
der Bürger bekommt einen existenzsichernden Betrag ausgezahlt. Dafür entfallen alle anderen staatlichen
Transferleistungen. Jeder kann so viel dazuverdienen, wie er kann oder möchte. Finanziert wird das System
über Steuern, die Sozialversicherung wird obsolet. Niemand weiß, ob das funktionieren kann, denn ohne
empirische Befunde bleiben alle Analysen bloße Spekulation. Nun will Finnland das Grundeinkommen
erstmals in einem Pilotprojekt testen. Wenn durch die Digitalisierung der Arbeitswelt immer mehr Roboter
und Software Arbeitsplätze besetzen und Gewinne nicht mehr durch menschliche Arbeitskraft erzielt wer-
den, warum dann noch das Einkommen an den Faktor Erwerbsarbeit koppeln? Besser wäre es, so die Über-
legung, den Menschen eine Grundsicherung zu finanzieren und ihnen somit die Freiheit zu geben, ohne
staatliche Gängelung und ohne Existenzangst einen eigenen, selbstbestimmten Lebensplan zu verfolgen.
Das Experiment hat gerade erst begonnen – was wird es bringen?

In Arbeitsblatt 1 beschäftigen sich die Schüler mit ihrer Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit in Deutsch-
land. Sie vergleichen ihre Einschätzung mit einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, diskutieren, welchen
Beitrag die staatliche Sozialpolitik leistet, erörtern den Aspekt der Chancengleichheit und verhandeln in
einem »fair pay«-Rollenspiel Variationen der Leistungs- und Verteilungsgerechtigkeit.

Arbeitsblatt 2 stellt das Pilotprojekt zum Grundeinkommen in Finnland vor. Die Schüler stellen das Konzept
in Form eines Science-Slams vor, erkunden selbstreflexiv, welchen Einfluss ein Grundgehalt auf ihren eige-
nen Lebensentwurf ausüben würde, und erörtern in einem stummen Schreibgespräch Chancen und Risiken
des bedingungslosen Grundeinkommens.
»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | Was ist soziale Gerechtigkeit? 3

Arbeitsblatt 1
Umfrage: Mehrheit findet Deutschland ungerecht
Eine Umfrage zeigt: Die meisten Menschen in Deutschland sind unzufrieden damit, wie der
Wohlstand verteilt ist. Selbst Besserverdiener zweifeln an der Gerechtigkeit.

Die sozialen Verhältnisse in Deutschland sind ungerecht: Dieser Aussage stimmt eine große Mehrheit im
Land zu. In einer repräsentativen Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung gaben 82 Prozent der Befragten
an, dass die soziale Ungleichheit mittlerweile zu groß sei.

5 Das Unbehagen ist weit verbreitet, auch Menschen mit hohem Einkommen teilen diese Meinung. Selbst
Gutverdiener mit einem Nettohaushaltseinkommen von 4.000 Euro und mehr stimmen noch zu 76 Pro-
zent der Aussage zu, dass die Ungleichheit zu groß sei.

Die soziale Ungleichheit in Deutschland ist mittlerweile zu groß


in Prozent Stimme ganz und gar nicht zu (2)
Weiß nicht (2)

Stimme
eher
nicht zu
14
Stimme
voll und
ganz zu
Stimme 49
eher zu
33

Quelle: Friedrich-Ebert-Stiftung

Dieses Empfinden sei durchaus »als Reaktion auf die Entwicklung der Einkommens- und Vermögensvertei-
lung« zu verstehen, schreiben die Autoren der Studie. Damit beziehen sie sich darauf, dass der Unterschied
10 zwischen Arm und Reich in den vergangenen Jahren deutlich größer geworden ist. Das hat beispielsweise
das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in diversen Untersuchungen festgestellt.
Als eine Folge dieser Ungleichheit gilt, dass die Mittelschicht in Deutschland schrumpft: Nach Angaben
des DIW konnten etwa zu Beginn der achtziger Jahren noch etwa 65 Prozent der Einkommen zur Mitte
gezählt werden, heute sind es fast zehn Prozent weniger.
15

»Hohe Zustimmungsraten überraschend«


Diese gesellschaftlichen Veränderungen scheinen auch Auswirkungen auf die Meinung der Menschen zu
haben. In der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung stimmt eine große Mehrheit von 76 Prozent der Befrag-
ten der Aussage zu, dass zu große soziale Ungleichheit der wirtschaftlichen Entwicklung schade. »Diese
hohen Zustimmungsraten sind überraschend«, schreiben die Autoren.
»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | Was ist soziale Gerechtigkeit? 4

20 Über lange Zeit sei in der Öffentlichkeit nämlich ein umgekehrter Zusammenhang hergestellt worden:
Große Unterschiede zwischen Arm und Reich wirkten als Anreiz, mehr zu leisten und so auf einen sozialen
Aufstieg hinarbeiten zu können. Offenbar aber machten die Menschen nun die Erfahrung, dass sich Un-
gleichheit entgegen aller Aufstiegsversprechen nur schwer überwinden lässt.

Wer empfindet Ungerechtigkeit am stärksten?


Die soziale Ungleichheit ist zu groß – Zustimmung nach Wählern in Prozent

SPD 87

CDU/CSU 76

Bündnis90/Die Grünen 90

FDP 59

Die Linke 92
0 20 40 60 80 100

Quelle: Friedrich-Ebert-Stiftung

Was wäre dagegen zu tun? Seit einigen Monaten diskutieren Ökonomen und Politiker intensiv über Maß-
25 nahmen, die soziale Ungleichheit abzumildern.

Laut der Friedrich-Ebert-Studie befürworten nicht alle Bürger, die mit der Verteilung des Wohlstands un-
zufrieden sind, stärkere staatliche Eingriffe. Etwa 60 Prozent stimmen der Aussage zu, dass Leistungen
beispielsweise im Rahmen der Arbeitslosenversicherung oder der Gesundheitsvorsorge zu mehr Gleich-
30 heit in der Gesellschaft führen könnten. Unter Wählern der CDU und FDP unterstützt dies nur eine knappe
Mehrheit; unter den SPD-Anhängern sind es 64 Prozent.

Wie lässt sich soziale Ungleichheit verringern?


Angaben in Prozent
100 100

80 80

60 60

83 72
40 40

20 20

15 24 4
2
0 0
eignet sich eignet sich nicht weiß nicht eignet sich eignet sich nicht weiß nicht

Steuerentlastung Höhere Löhne und Gehälter


mittlerer/unterer Einkommen

Quelle: Friedrich-Ebert-Stiftung
»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | Was ist soziale Gerechtigkeit? 5

Mehr Zustimmung gibt es hingegen für eine steuerliche Entlastung der mittleren und unteren Einkommen.
83 Prozent der Befragten befürworten das.
Wenn es jedoch darum geht, die Steuern für Privatpersonen mit hohem Einkommen und großem Vermö-
35 gen zugleich zu erhöhen, lässt die Zustimmung nach – naturgemäß vor allem unter den Befragten, die
über ein gutes Einkommen verfügen. Insgesamt sind noch 76 Prozent dafür.
Auf noch weniger Unterstützung stößt die Vorstellung, dass die Löhne und Gehälter der Erwerbstätigen
steigen müssten, um die Ungleichheit zu senken. Gerade die Befragten, die ihre eigene wirtschaftliche
Lage als sehr gut beurteilen, stimmen nur mit 59 Prozent zu.

Höhere Vermögenssteuern für soziale Sicherung und öffentliche Dienste


Wie lässt sich Ungleichheit vermindern? Angaben in Prozent
Stimme ganz und gar nicht zu (10)

Weiß nicht (2)

Stimme
voll und
ganz zu
Stimme 34
eher nicht zu
20

Stimme
eher zu
34

Quelle: Friedrich-Ebert-Stiftung

40 Wie sollen soziale Sicherung und öffentliche Dienstleistungen in Zukunft besser finanziert werden? Auch
danach wurde in der Studie gefragt. Die größte Zustimmung gab es dafür, höhere Steuern auf Vermögen
einzuführen: 68 Prozent befürworten das. Für höhere Steuern auf Erbschaften hingegen gibt es keine
Mehrheit, nur 47 Prozent sprachen sich dafür aus.

45 Dennoch zeigen diese Werte nach Ansicht der Sozialforscher eine klare Meinungstendenz. Und die laute:
Wer von der wirtschaftlichen Entwicklung besonders profitiert habe, müsse »in stärkerem Maße in die
gesellschaftliche Verantwortung« genommen werden.

Zacharias Zacharakis, ZEIT ONLINE, 11. 5. 2016, http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-05/umfrage-deutschland-friedrich-ebert-stiftung-soziale-


ungleichheit, Siehe auch: Friedrich-Ebert-Stiftung, Wachsende Ungleichheit als Gefahr für nachhaltiges Wachstum, http://library.fes.de/pdf-files/
wiso/12516.pdf
»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | Was ist soziale Gerechtigkeit? 6

Einstieg
Fragebogen zur sozialen Ungleichheit in Deutschland
• Beantworten Sie den Fragebogen. Werten Sie anschließend die Umfrage aus Ihrer Klasse statis-
tisch aus. Geben Sie hierfür die Daten in eine Tabellenkalkulationssoftware ein, und erstellen Sie
zu jedem Punkt ein Diagramm, das die Ergebnisse der Befragung visualisiert.
• Formulieren Sie ein Fazit für Ihre Umfrageergebnisse in Form eines Vorwortes.
• Vergleichen Sie die Ergebnisse der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung mit den Antworten aus
Ihrer Klasse, und arbeiten Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus.

1. Wie stehen Sie zu folgenden Aussagen?

Stimme Stimme Weiß nicht/


Stimme voll Stimme
Thesen und ganz zu eher zu
eher nicht ganz und keine
zu gar nicht zu Angabe
Die soziale Ungleichheit in Deutschland ist
    
mittlerweile zu groß
Zu große soziale Ungleichheit schadet der
    
wirtschaftlichen Entwicklung

2. Welche Maßnahmen eignen sich Ihrer Meinung nach zur Verringerung sozialer Unterschiede?

Weiß nicht/
Eignet sich Eignet sich
Maßnahmen eher eher nicht
Keine
Angabe
Steuerliche Entlastung der mittleren und unteren Einkommen   
Höhere Steuern für Privatpersonen mit hohem Einkommen oder
  
großen Vermögen
Stärkere Anhebung von Löhnen und Gehältern der Erwerbstätigen   
Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf über 8,50 Euro   

3. Wie sollen soziale Sicherung und öffentliche Dienstleistungen Ihrer Meinung nach in Zukunft
besser finanziert werden?

Stimme Stimme Weiß nicht/


Stimme voll Stimme
Thesen und ganz zu eher zu
eher nicht ganz und keine
zu gar nicht zu Angabe
Höhere Steuern auf Vermögen     
Höhere Erbschaftsteuer
    
Erhöhung der Beiträge zur Sozialversiche-
    
rung
Kürzung von Leistungen in den Sozialversi-
cherungen und bei öffentlichen Dienstleis-     
tungen
»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | Was ist soziale Gerechtigkeit? 7

Aufgaben
1. Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit erörtern
Was ist soziale Gerechtigkeit? Schreiben Sie drei Punkte auf, die Ihnen hierzu wichtig erscheinen.
Vergleichen Sie im Anschluss die Notizen in Ihrer Klasse:
• Welche Themen stehen im Zentrum ihrer Überlegungen und werden oft genannt?
• Was erscheint den meisten nicht so ausschlaggebend?
• Welche Kritik und welche Zustimmung zur deutschen Gesellschaft und Politik werden geäußert?

2. Das Textverständnis klären


a. Erläutern Sie, inwiefern sich die Wahrnehmung sozialer Ungerechtigkeit von Gutverdienern zum
Durchschnitt der Befragten unterscheidet.
b. Stellen Sie dar, wie sich die Kluft zwischen Arm und Reich in den letzten Jahren entwickelt hat
und welche Auswirkungen dies auf die Mittelschicht hat.
c. Führen Sie aus, welche Studienergebnisse die Wissenschaftler der Friedrich-Ebert-Stiftung über-
rascht haben und welche Erklärung sie hierfür vorschlagen.
d. Umreißen Sie, welche politischen Forderungen sich aus der Befragung ergeben, wenn man sich
nach der Meinung von mindestens zwei Dritteln der Befragten richtet.

3. Beispiele für staatliche Sozialpolitik zusammentragen


Die Bundesrepublik Deutschland ist nach dem Grundgesetz ein demokratischer und sozialer Bun-
desstaat (Art. 20 Absatz 1 GG). Recherchieren Sie in Gruppenarbeit nach Beispielen staatlicher
Sozial-, Bildungs- und Steuerpolitik, die unterschiedliche Aspekte des Sozialstaates und der sozialen
Gerechtigkeit aufgreifen (Linktipps für die Recherche auf Seite 12)
a. Ausgleich zwischen Arm und Reich
b. Chancengleichheit, am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können
c. Soziale Sicherung, Existenzsicherung
d. Gesellschaftliche Solidarität

4. Chancengleichheit als Beispiel für soziale Gerechtigkeit anhand unterschiedlicher sozialer Her-
kunft diskutieren
Leonie wächst in einem sogenannten Problemstadtteil auf. Ihre Mutter ist alleinerziehend und ver-
dient den gemeinsamen Lebensunterhalt durch eine Putzstelle. Das Haushaltseinkommen liegt nur
knapp über dem Hartz-IV-Satz. Lukas wächst in einer bürgerlichen Vorstadt auf. Seine Eltern sind
Akademiker mit einem überdurchschnittlichen Gehalt.
a. Zeigen Sie an fiktiven Beispielen auf, in welchen Punkten Leonie bis zu ihrem 18. Lebensjahr
schlechtere Chancen hat als Lukas, sich selbst und ihre Talente zu entfalten und am gesellschaft-
lichen Leben teilzuhaben.
b. Beziehen Sie sich auf Aufgabe 3. und nennen Sie Beispiele, mit welchen Mitteln der Staat für
mehr soziale Gerechtigkeit sorgt – und was in Ihren Augen darüber hinaus getan werden müsste.
»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | Was ist soziale Gerechtigkeit? 8

5. Unterschiedliche Dimensionen von sozialer Gerechtigkeit in einem Rollenspiel nachvollziehen


Es gibt unterschiedliche, zum Teil sich widersprechende, zum Teil sich aber auch ergänzende Kriteri-
en sozialer Gerechtigkeit, die im politischen Alltag kontrovers diskutiert werden:
Leistungsgerechtigkeit: Der Lohn bemisst sich nach dem Beitrag für die Gemeinschaft oder dem
produzierten Mehrwert: Wer mehr leistet, soll auch mehr verdienen. Ungleiches Einkommen ist
demnach nicht automatisch ungerecht.
Verteilungsgerechtigkeit: Einkommen und Vermögen sollen möglichst gleich verteilt sein, Ungleich-
heit ist somit ein Maß für soziale Ungerechtigkeit.
Bedarfsgerechtigkeit: Hierbei gilt der objektive Bedarf eines Menschen als Leitlinie, insbesondere
die Deckung des Mindestbedarfs in Form einer menschenwürdigen Existenzsicherung.
Voraussetzung für alle Modelle sind in modernen Demokratien die Aspekte Chancengleichheit und
Regelgerechtigkeit, bei der gleiches Recht für alle gilt.

Rollenspiel: In seiner Bar sitzen an einem Tisch ein erfolgreicher Unternehmer, ein Herzchirurg,
ein Krankenpfleger, ein Rentner, ein Mensch mit Behinderung, ein Alleinerziehender, der Hartz
IV bezieht, eine ungelernte Reinigungskraft und ein Schreiner (jeweils männliche oder weibliche
Darsteller). Der Wirt gibt 20 Kekse aus und legt sie in die Tischmitte. Besetzen Sie die Rollen, und
diskutieren Sie nach Gruppen differenziert, wie man die Kekse nach einem »fair pay«-Prinzip am
gerechtesten verteilt:
• Nach dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit
• Nach dem Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit
• Nach dem Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit
• Nach selbst erstellten Regeln
Diskutieren Sie 15 Minuten lang, wie Sie die Kekse aufteilen: Konnten Sie sich einigen und einen Kom-
promiss finden? Wie ist das gelungen? Welche Konflikte wurden in Ihrer Gruppe am lebhaftesten
diskutiert?

6. Projekt: Das Thema »soziale Gerechtigkeit« künstlerisch verarbeiten


Erstellen Sie einen Videoclip, eine Collage, eine Skulptur oder ein anderes künstlerisches Format mit
dem Titel: »Soziale Gerechtigkeit in Deutschland«. Verarbeiten Sie völlig frei Ihr Statement zu die-
sem Thema (dokumentarisch, satirisch, anhand eigener Fotografien oder recherchierter Bilder, mit
Zitaten etc.). Formulieren Sie eine Einführung in Ihr Werk, die beschreibt, welche Aussage Sie aus-
drücken wollen. Arbeiten Sie alleine oder in Teams.
»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | Was ist soziale Gerechtigkeit? 9

Arbeitsblatt 2
Grundeinkommen: 560 Euro, einfach so
Finnland testet als erstes Land der Welt ein Grundeinkommen auf nationaler Ebene. Für die Zu-
kunft der Arbeit machen die Finnen damit einen entscheidenden Schritt.

Finnlands zukünftige Elite sitzt auf den Stufen der Domkirche von Helsinki und trinkt Dosenbier. Es ist
zwölf Uhr mittags, einige der jungen Frauen und Männer sind schon seit sechs Uhr hier. Sie tragen Hüte
aus Zeitungspapier auf dem Kopf und Müllbeutel als T-Shirts um die Schultern. Es sind Erstsemester der
Aalto-Universität, Fachrichtung Wirtschaftswissenschaften. So verkleidet feiern junge Finnen den Beginn
5 ihres Studiums.

In drei bis vier Jahren werden sie als Betriebswirte oder Steuerexperten auf den Arbeitsmarkt drängen – in
Berufe, in denen Berechnungen und standardisierte Datenverarbeitung zum Alltag gehören und die inso-
fern vom zunehmenden Einsatz künstlicher Intelligenz betroffen sein werden. Das World Economic Forum
10 geht in einer kürzlich veröffentlichten Studie davon aus, dass bis 2020 mehr als fünf Millionen Jobs in den
15 wichtigsten Industrieländern verloren gehen könnten.

Hat der Mensch Lust auf Arbeit?


Wenige Hundert Meter entfernt von den Stufen der Domkirche macht sich Olli Rehn intensiv Gedanken
15 über die Zukunft Finnlands und seiner jungen Menschen. Der Boden im historischen Gebäude des finni-
schen Wirtschaftsministeriums wackelt, draußen rumpelt eine Tram durch die Aleksanterin-Straße. Seit
2015 ist Rehn Finnlands Wirtschaftsminister, davor war er Währungskommissar der Europäischen Union.
Seine Regierung startet derzeit ein Projekt, das international für Aufsehen sorgt. Denn Finnland, die kleine
Nation mit nur fünfeinhalb Millionen Einwohnern am nordöstlichen Rand der EU, will das erste Land der
20 Welt sein, das ein bedingungsloses Grundeinkommen auf nationaler Ebene testet.

2.000 Menschen sollen im nächsten Jahr Geld von der Regierung bekommen und müssen dafür keine Ge-
genleistung erbringen. Einfach so. »560 Euro ist nicht weniger, als man durch Sozialhilfe und andere Leis-
tungen in Finnland jetzt schon bekommt«, sagt Rehn. Der wichtigste Unterschied sei aber: »Jeder Euro,
25 den man dazuverdient – auch in einem Niedriglohn- oder Teilzeitjob –, wird das Einkommen der Menschen
erhöhen.« Dieser Verdienst komme zum Grundeinkommen hinzu und werde nicht mit der Sozialhilfe ver-
rechnet wie bisher – und wie es auch in Deutschland üblich ist.

Was Rehn und sein Mitte-rechts-Regierungsbündnis in Helsinki bei ihrem Grundeinkommensversuch he-
30 rausfinden, könnte sehr wichtig werden für die Zukunft der Arbeitswelt. Denn Roboter und intelligente
Maschinen bedrohen nicht nur die Jobs von eher geringer qualifizierten Arbeitern am Fließband. Gefähr-
det sind auch Jobs für Mittel- bis Hochqualifizierte vor allem in Logistik, Finanzen und Management, im
Versicherungs- oder im Gesundheitswesen.
»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | Was ist soziale Gerechtigkeit? 10

Wovon sollen Menschen leben, die durch den technologischen Wandel arbeitslos werden? Darauf geben
35 viele Wissenschaftler, aber inzwischen auch hochrangige Politiker wie etwa Kanadas Premierminister Jus-
tin Trudeau dieselbe Antwort: Ein Grundeinkommen könnte ihre Existenz sichern und das Ausprobieren
alternativer Arbeitsmodelle ermöglichen. Eine Diskussion, die jahrzehntelang eine Randexistenz im linken
und liberalen Politikdiskurs führte, ist jetzt im Mainstream angekommen.

40 »Das wichtigste Ziel ist herauszufinden, wie wir die Anreize zur Arbeit erhöhen können«, sagt Rehn. Ob-
wohl ja gleichzeitig die soziale Absicherung gewährleistet sein soll. Es ist die größte Unbekannte in der
Diskussion um ein Grundeinkommen, die Frage nach dem Menschenbild: Ist ein Bürger gewillt zu arbeiten,
wenn der Staat sein Existenzminimum absichert?

45 Das finnische Experiment soll dazu Erkenntnisse liefern, zumal der Betrag mit 560 Euro so niedrig an-
gesetzt ist, dass damit ein komfortables Leben in Finnland kaum möglich sein wird. Zunächst sollen nur
Arbeitslose das Geld erhalten, die ohnehin auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Zusätzlich zum Grund-
einkommen werden sie weiterhin Wohngeld beziehen, sodass man tatsächlich herausfinden könnte, ob
Arbeit für diese Menschen attraktiver ist als Nichtstun.
50

Der Zeitpunkt für den Start des Versuchs passt scheinbar gar nicht und könnte doch nicht besser gewählt
sein. Finnlands Wirtschaft erholt sich nur sehr langsam von einer dreijährigen Rezession. Die Arbeitslosen-
quote dümpelt bei etwa neun Prozent vor sich hin, dieses Jahr soll die Wirtschaft um ein knappes Prozent
wachsen. Wenig Jobs, geringes Wachstum. Im Grunde sind das genau die Bedingungen, die – wenn es
55 schlecht läuft – auf viele westliche Gesellschaften zukommen könnten.

Zacharias Zacharakis, ZEIT ONLINE 28.9.2016, Nr. 48/2016, http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-09/grundeinkommen-finnland-versuch-kuenst-


liche-intelligenz
»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | Was ist soziale Gerechtigkeit? 11

Aufgaben
1. Den Kerngedanken des Grundeinkommens als Science-Slam vortragen
Science-Slams sind wissenschaftliche Kurzvortragsturniere, bei denen Forschungsthemen einem
Publikum unterhaltsam und verständlich präsentiert werden. Erarbeiten Sie einen Science-Slam-
Vortrag von höchstens drei Minuten, der anhand der Informationen im Artikel das finnische Experi-
ment des bedingungslosen Grundeinkommens anschaulich vorstellt und die Zielsetzung des Projekts
verdeutlicht. Präsentieren Sie Ihre Vorträge vor Ihrer Klasse; das Publikum wählt als Jury dann den
Sieger.
Linktipp: http://www.scienceslam.de/was-ist-ein-science-slam.html

2. Wünsche und Verhaltensmuster durch ein Grundeinkommen selbstreflexiv erkunden


1.000 Euro monatlich – ohne Gegenleistung, ohne Abzüge. Was würden Sie tun? Würden Sie Ihr Le-
ben ändern, Ihre beruflichen oder schulischen Ziele modifizieren oder eher alles beim Alten lassen?
Wie wäre dann Ihr Verhältnis zu Arbeit und (Aus-)Bildung? Beschreiben Sie in einem kurzen Aufsatz,
wie Sie auf ein bedingungsloses Grundeinkommen reagieren würden – und warum.

3. Ein stummes Schreibgespräch über Thesen zum Grundeinkommen abhalten


Schreiben Sie die folgenden Statements auf jeweils einen Notizblock, ein Ringbuch oder Ähnliches.
Bilden Sie dann Gruppen, die je eine Aussage bearbeiten. Reihum werden Kommentare, Argumente,
Einwände oder Beispiele schriftlich notiert. Gehen Sie dabei auf die Gedanken und Meinungsäuße-
rungen Ihrer Mitschüler ein.
a. »Das bedingungslose Grundeinkommen fördert die Freiheit und die Gleichheit der Menschen.
Jeder kann sich selbst verwirklichen.«
b. »Niemand wird mehr arbeiten gehen wollen. Wer erwirtschaftet das Geld, das nötig ist, um für
jeden ein Grundeinkommen zu finanzieren?«
c. »Die Arbeitsbedingungen würden sich schlagartig bessern, damit es einen Anreiz zum Arbeiten
gibt.«
d. »Es ist falsch, dass Erwerbsarbeit die Voraussetzung für den Lebensunterhalt und den eigenen
sozialen Schutz ist. Es gibt viele andere wichtige Tätigkeiten, die aus diesem Grunde nicht genü-
gend gewürdigt werden.«
e. »Wenn durch die Digitalisierung ein Roboter meinen Arbeitsplatz bekommt, dann kann er gerne
auch meinen Lebensunterhalt erwirtschaften.«
f. »Jeder sollte für sich selbst sorgen. Eine Rundumversorgung des Staates macht die Bevölkerung
abhängig und liefert sie der Politik völlig aus.«

4. Die Chancen und Risiken des bedingungslosen Grundeinkommens abwägen


Erörtern Sie Vor- und Nachteile des Grundeinkommens. Nehmen Sie zur Grundlage die in Aufgabe
3 erarbeiteten Argumente. Stimmen Sie am Ende der Diskussion über folgende Fragestellung ab: Ist
das bedingungslose Grundeinkommen sozialer als das bestehende Sozialversicherungssystem?
»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | Was ist soziale Gerechtigkeit? 12

Internetseiten zum Thema:


Was ist soziale Gerechtigkeit?

ZEIT ONLINE: Bedingungsloses Grundeinkommen: Wohltat für alle oder Schimäre?


http://www.zeit.de/2016/24/bedingungsloses-grundeinkommen-schweiz-abstimmung-pro-contra

ZEIT ONLINE: Finanzen – Kurz erklärt: Was bedeutet Bedingungsloses Grundeinkommen?


http://www.zeit.de/video/2013-08/2590270933001/finanzen-kurz-erklaert-was-bedeutet-bedingungs-
loses-grundeinkommen

Sozialpolitik.com: Soziale Gerechtigkeit


http://www.sozialpolitik.com/artikel/soziale-gerechtigkeit

Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Soziale Sicherung


http://www.bmas.de/DE/Themen/Soziale-Sicherung/soziale-sicherung.html

Bundeszentrale für politische Bildung: Soziale Gerechtigkeit


http://www.bpb.de/politik/grundfragen/deutsche-verhaeltnisse-eine-sozialkunde/138445/soziale-
gerechtigkeit?p=all

Bundeszentrale für politische Bildung: Aus Politik und Zeitgeschichte – Grundeinkommen?


http://www.bpb.de/apuz/30024/grundeinkommen

Planet Schule: Fair Pay - Warum verdienst Du mehr als ich?


http://www.planet-schule.de/wissenspool/fair-pay/inhalt/sendung.html

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IMPRESSUM
Projektleitung: Franziska Sachs, Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG,
Projektassistenz: Jannike Möller, Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG,
didaktisches Konzept und Arbeitsaufträge: Susanne Patzelt, Wissen beflügelt

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