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Die Reklamation
Warum es kompliziert geworden ist, sich zu beschweren

Alexander Estis
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01.09.2023, 05.30 Uhr 3 min

Christopher Delorenzo

Der Sommer war vorüber, und die schönsten Spätsommertage hätte ich
beinah mit lästigen Vorbereitungen für den nahenden Winter vertan.
«Immer leben wir auf die Zukunft hin», dachte ich mir, «selbst in diesen
schönsten Spätsommertagen. Nun aber – carpe diem!»

Um also auch im Spätsommer noch den einen oder anderen Abend im


Freien verbringen zu können, bestellte ich einen Parka mit Futter von
isländischen Eiderentendaunen, responsibly sourced, in einer
Synthetikfaserhülle aus zu hundert Prozent rezyklierten Altsohlen, nebst
einer – dank originalen Treibholz-Buttons – einknöpfbaren Kapuze mit
Echtfellbesatz; dieser stammte gemäss Zertifikat von schonend
geschlachteten, freischwimmenden und ausschliesslich mit veganen
Fischölkapseln ernährten Grönlandrobben aus Mildfang an den Ufern
von Tuwit Tuhu. Der als innovativ angepriesene «Teflon-Finish» wärmte
schon durch die blosse Assoziation mit der Pfannenbeschichtung, und
die verheissene «kompromisslose Performance» schmeichelte meinem
inneren Machertypen, der im Körper eines Couch-Potatos steckte.

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Dieser Artikel stammt aus dem NZZ Folio vom 4. September 2023 zum Thema
«Im Bundeshaus». Sie können diese Ausgabe einzeln beziehen oder das Heft
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Obwohl ich bei einer schwedischen Fair-Trade-Firma namens Casum®


bestellt hatte, traf die Daunenjacke per Paket aus China ein. Meine Sorge,
dass Fell und Futter eventuell doch nicht von isländischen Eiderenten
und freischwimmenden Grönlandrobben stammen könnten, erwies sich
jedoch als unbegründet, denn – Daunenfutter und Pelzkapuze fehlten
gänzlich; sie erreichten mich just, als ich die Rücksendung vorbereitete,
in separaten Paketen, was mich vollends stutzig machte: Zur Anbringung
der Kapuze fehlten mehrere Knöpfe, vor allem aber war mir unklar, wie
ich die Daunen ins Innere des Anoraks einspeisen sollte.

Da Casum® eine «rund um die Uhr und an jedem Tag im Jahr


komfortabel per Chat erreichbare Kundenkommunikation» versprach,
öffnete ich das entsprechende Fenster. Hier wurde zunächst von mir
verlangt, mich als Mensch zu identifizieren – ohne jegliche Frage und
ohne Bilderrätsel oder Eingabefeld. Kurz musste ich belächeln, dass diese
sinnlose Aufgabe Abbild der grotesken Vergeblichkeit aller menschlichen
Selbstbehauptungen und somit gewissermassen zugleich die Lösung
war.

Nachdem ich aber ohne jeden Erfolg herumgeklickt und auf der Tastatur
herumgetippt hatte, brach ich in lautes Fluchen aus. Daraufhin
leuchtete auf dem Monitor merkwürdigerweise kurz ein Audio-Symbol
auf – und ich wurde zum Chat weitergeleitet, wo man mir ohne jegliche
Wartezeit antwortete; mein Gesprächspartner reagierte auf meine
Beschwerde zwar höflich, aber nicht besonders informativ. Ich sagte:
«Mein Anorak ist leider defekt.» Der Computer antwortete: «Ich
verstehe. Leider ist Ihr Anorak defekt. Ich freue mich, dass ich Ihnen
helfen konnte. Haben Sie weitere Fragen?»

Immerhin konnte ich den Chatbot dazu überreden, eine Anleitung für
die Rücksendung der Ware zu liefern. Hierzu existierte eine Online-
Maske, welche jedoch die Eingabe einer individuellen Warennummer
verlangte, die ausschliesslich verifizierten Nutzern angezeigt wurde; der
Verifikationsvorgang seinerseits setzte eine Authentifizierung mittels
einer an meine Telefonnummer verschickten PIN voraus, die wiederum
nur über eine Verschlüsselungs-App aufgerufen werden konnte, welche
durch Auflegen eines NFT-fähigen Ausweises entsperrt werden musste,
dessen Erteilung nach Angabe der entsprechenden Infoblattes bis zu drei
Monate in Anspruch nehmen würde.

Da der Tag über meinen Recherchen vergangen und es für die


Telefonhotline inzwischen zu spät geworden war, schilderte ich meine
Situation in einer Nachricht an den Kundendienst. Die Antwort liess auf
sich warten. Man hatte sich meiner Sache wohl endlich angenommen,
diese möglicherweise an die nächsthöhere Stelle verwiesen, ja vielleicht
schon einen Neuversand nebst einer Kulanzleistung vorbereitet … Zehn
Tage später erhielt ich die Mitteilung, dass meinem «Vorgang» die
Nummer 11.593-600 zugewiesen worden sei und dass man mich «zeitnah
kontaktieren würde».

Jetzt wollte ich mich über diese unsägliche Behandlung beschweren und
versuchte online ein Reklamationsformular auszufüllen, das jedoch
regelmässig beim letzten der annähernd fünfzehn sukzessiven Schritte
tückisch abstürzte. Indem ich endlich in alle freien Felder «Das Formular
funktioniert nicht!» eingab, konnte ich zwar sämtliche Schritte
absolvieren, erhielt jedoch nichts als die Meldung: «Wir können Ihre
Reklamation nicht erfassen, weil diese Art der Reklamation nicht
vorgesehen ist.»

Zuletzt blieb mir nur ein Weg: die telefonische Kundenbetreuung. Zum
Glück existierte ein Rückrufservice mit dem vielversprechenden Namen
«Re-Bello-Phon»: Um eine Rückruf­anfrage zu hinterlassen, war eine
Servicenummer zu kontaktieren.

Ich hing fest in der Warteschleife; stellte mir vor, wie der Spätsommer
verging, ebenso der Herbst, bald darauf auch der Winter, und mit ihm
mein Bedürfnis nach einem Anorak. Die Sinnlosigkeit meiner
Betätigung, die Nutzlosigkeit all meines Leids anerkennend legte ich auf
– und bestellte mir einen leichten Leinenanzug mit atmungsaktiver
Nano­beschichtung aus der Borke tunesischer Biojujuben.

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