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John Meister

Matthias Hörmeyer Hrsg.

Vielfalt in der
öffentlichen
Verwaltung
Strategien und Konzepte für ein wirksames
Diversity Management in Kommunen,
Ländern und Bund
Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung
John Meister · Matthias Hörmeyer
(Hrsg.)

Vielfalt in der öffentlichen


Verwaltung
Strategien und Konzepte für ein wirksames
Diversity Management in Kommunen,
Ländern und Bund
Hrsg.
John Meister Matthias Hörmeyer
Hamburg, Deutschland Köln, Deutschland

ISBN 978-3-658-41701-7 ISBN 978-3-658-41702-4 (eBook)


https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4

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Planung/Lektorat: Rolf-Guenther Hobbeling


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Geleitwort von Ana-Cristina Grohnert

Monokulturen sind ein Hochrisikozustand – in der Forstwirtschaft wie in der Ver-


waltung
Die Verwaltung sollte eine Brücke zwischen Politik und Bürger*innen sein. Sie sollte
den Menschen eines Landes größtmögliche Unterstützung in ihrem Alltag zukommen
lassen.
Aber wie kann man Menschen gut unterstützen, ihnen Hilfsangebote machen, sie auf
ihrem Lebensweg begleiten? Also all das, wofür eine moderne Verwaltung eintritt?
Die wichtigste Voraussetzung dafür ist: Man muss die Personen, für die man da sein
möchte, zunächst einmal kennen. Ihre Bedürfnisse, ihre Lebensrealitäten, ihre Heraus-
forderungen, ihre Wünsche.
Aber wer sind diese Menschen, denen die Verwaltung in Deutschland hilft? Fast
19,3 Mio. der insgesamt 82 Mio. Menschen in Deutschland haben einen Migrations-
hintergrund. 10,8 Mio. Menschen leben mit einer schweren Behinderung. Es gibt über
400 religiöse Gemeinschaften und 7,4 % der deutschen Bevölkerung bezeichnen sich
als LGBT: lesbisch, schwul, bisexuell und/oder transgender – entsprechende Daten-
sammlungen fasste die Charta der Vielfalt 2022 in ihrem Factbook zusammen.
Können wir diesen Menschen eine optimale Verwaltungsdienstleistung bieten, wenn
überwiegend ähnlich sozialisierte Menschen mit einer vergleichbaren beruflichen Aus-
bildung in den deutschen Behörden arbeiten und entscheiden? Sicherlich nicht. Deshalb
ist es wichtig, dass unsere Verwaltungen genauso bunt und vielfältig sind wie das Leben
in Deutschland.
Davon sind wir noch einen großen Schritt entfernt. Während circa 24 % der
Deutschen einen Migrationshintergrund haben, sind es nicht einmal 12 % der Mit-
arbeitenden in der öffentlichen Verwaltung, wie die Friedrich-Ebert-Stiftung ebenfalls
2021 ermittelt hat.
In vielen Behörden wird Diversity aber bereits sehr ernst genommen und zahlreiche
Mitarbeitende leisten einen großartigen Job, um sämtlichen gesellschaftlichen Gruppen
das Leben in unserem Land zu vereinfachen. Denn der Grundgedanke von Diversity
hat nicht damit zu tun, dass man die gleichen Erfahrungen gemacht hat, sondern dass
man offen, tolerant und neugierig gegenüber anderen Kulturen und Lebensmodellen ist.

V
VI Geleitwort von Ana-Cristina Grohnert

Diversity stellt den Menschen in den Mittelpunkt – das Individuum und die Menschheit
als Ganzes. Da sind wir wieder bei dem Gedanken, dass die Verwaltung dem Menschen
dienen soll. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die im Alltag vielleicht manchmal ein
bisschen verloren geht.
Viele Behördenmitarbeitende stehen unter hohem Stress. Die Anforderungen an sie
werden immer komplexer und komplizierter, die Arbeitsbelastung nimmt zu. Gerade
um mit diesen gestiegenen Anforderungen zurecht zu kommen, benötigen wir in
der Verwaltung möglichst viele verschiedene Persönlichkeiten, Erfahrungsschätze,
Temperamente und Begabungen. Oder anders gesagt: Monokulturen sind ein Hochrisiko-
zustand – in der Verwaltung wie in der Forstwirtschaft.
Nur mit Vielfalt ist die Komplexität der heutigen Verwaltungswelt zu meistern. Weil
sie der Komplexität an Herausforderungen eine Komplexität an Lösungsmodellen gegen-
überstellt.

Ana-Cristina Grohnert
Vorstandsvorsitzende der Charta der Vielfalt

Die Charta der Vielfalt ist eine Initiative zur Förderung von Vielfalt in Unternehmen und
Institutionen unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzler Olaf Scholz. Sie verfolgt das
Ziel, die Anerkennung, Wertschätzung und Einbeziehung von Diversity in der Arbeits-
welt voranzubringen. Mit der Unterzeichnung der Charta der Vielfalt setzen Unter-
nehmen und Institutionen ein klares Zeichen für Vielfalt und Toleranz in der Arbeitswelt
und signalisieren die Wertschätzung aller Mitarbeiter*innen unabhängig von deren
Geschlecht und geschlechtlicher Identität, Nationalität, ethnischer Herkunft, Religion
oder Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexueller Orientierung und Identität.

Ana-Cristina Grohnert
Geleitwort von Klaus Effing

Liebe Leser*innen,
Diversity ist Perspektivenvielfalt. Wir Menschen sind unterschiedlich. Nur unsere Unter-
schiedlichkeit, unsere Diversität ermöglicht Fortschritt und Entwicklung. Wären wir
Menschen nicht divers, würde es uns wohl nicht mehr geben. Je unterschiedlicher wir
sind, desto besser könnte man sagen. Diesen Schluss kann man ziehen.
Sie halten ein besonderes, ein wertvolles Buch in den Händen. Die Herausgeber
Matthias Hörmeyer und Dr. John Meister legen einen Beitragsband vor, der Augen
öffnend und in die Zukunft gerichtet ist.
Im Kontext von Verwaltungen wird seit einigen Jahren über Diversity diskutiert
und das Thema vorangebracht. Gefehlt hat bisher ein Werk wie das vorliegende, das
über Einzelaspekte von Diversity hinausgeht und eine Gesamtschau zeigt. Das Gute an
diesem Buch ist die Vielfalt der Beiträge. Diversity wird in mehr als 30 Fachbeiträgen
in sieben thematisch hervorragend sortierten Kapiteln aus verschiedenen Perspektiven
beleuchtet, kritisch analysiert und es werden Entwicklungstendenzen aufgezeigt. Den
Herausgebern ist es gelungen, Diversity in seiner ganzen Bandbreite für die Verwaltung
darzustellen. Die 15 Thesen zu Diversity in der öffentlichen Verwaltung im letzten
Kapitel sind auch schon zur Einstimmung auf das Buch zu empfehlen! Das größte Ver-
dienst besteht darin, dass das Thema Diversity nicht als Vehikel eines bestimmten
Zweckes präsentiert wird. Wenn auch Sie beim Lesen von Texten mit dem Tenor „Mit
Diversity reagieren wir auf den Fachkräftemangel in der Verwaltung“ Unverständnis
ergreift, wissen Sie, was ich meine. Diversity ist gerade kein „Instrument“, um einzelnen
Probleme zu lösen!
Matthias Hörmeyer und Dr. John Meister sowie die Autor*innen der Beiträge machen
das, was schon die Mütter und Väter des Grundgesetzes vor über 70 Jahren klug und
weitsichtig getan haben, indem sie die Artikel 1 („Die Würde des Menschen ist unantast-
bar“) und Artikel 3 („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“) des Grundgesetzes
für die Bundesrepublik Deutschland als unveränderliche Grundrechte für die Menschen
statuiert haben. Sie schreiben der Diversität gerade keinen isolierten Zweck zu, sondern
verstehen sie als Haltung für das gemeinsame Leben und Arbeiten in unserer Gesell-
schaft.

VII
VIII Geleitwort von Klaus Effing

Das Buch wird dazu beitragen, dass wir die Diversität als das verstehen, was sie ist:
Eine Selbstverständlichkeit!

Dr. Klaus Effing


Vorstand der Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt)

Die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) ist ein


von über 2400 Kommunen mit insgesamt über 80 Mio. Einwohner*innen gemeinsam
getragener Fachverband. Die KGSt arbeitet unabhängig vom Staat und den politischen
Parteien. Die Mission ist es, einen Beitrag für zukunfts- und handlungsfähige
Kommunen zu leisten. Die KGSt unterstützt die Verwaltungsspitze und Mitarbeitende
aller Organisationsebenen im Prozess der Verwaltungsmodernisierung. Gemeinsam
mit kommunalen Praktiker*innen erarbeitet die KGSt ganzheitliche Strategien
und innovative Lösungen im Finanz-, Personal-, Organisations- und Informations-
management.

Klaus Effing
Geleitwort von Regine Graml

Diversity in der öffentlichen Verwaltung


Die Auseinandersetzung mit Diversität bedeutet für Gesellschaft, Wirtschaft und Ver-
waltung Chance sowie Herausforderung. Durch die komplexen Zusammenhänge, die
sich aus dem Zusammenspiel von Unterschiedlichkeiten und Gemeinsamkeiten auf ver-
schiedenen Ebenen wie beispielsweise Geschlecht, Alter, ethnische Herkunft, sowie
Lebensentwürfen und Werthaltungen ergeben, wird eine differenzierte Herangehens-
weise in Wissenschaft und Praxis erforderlich. Gerade die Verschränkung verschiedener
Merkmale, die sogenannte Intersektionalität, wie beispielsweise bei einer jungen
Akademikerin mit Migrationshintergrund (Alter, Bildung, Geschlecht, ethnische Her-
kunft) bedarf unserer besonderen Aufmerksamkeit.
Die Begründung, warum Diversität in Organisationen wichtig und wünschens-
wert ist, kann aus zwei unterschiedlichen Perspektiven vorgenommen werden. Der
Gerechtigkeits- und Fairness-Perspektive zufolge ist Diskriminierung im Arbeitsum-
feld einfach ungerecht, unfair, unbillig und nicht akzeptierbar. Die Nutzen-Perspektive
dagegen argumentiert mit organisatorischen Vorteilen durch Diversity, der Einsatz
personeller Vielfalt soll sich lohnen. Diese reine Nutzen-Argumentation greift jedoch
zu kurz, da Vielfalt in Organisationen nicht mit ökonomischen Vorteilen gerechtfertigt
werden muss. Was wären die Konsequenzen, wenn sich die erwarteten Vorteile nicht
(sofort) einstellen? Daher sollten organisatorische Nutzen-Argumente auch immer
zusammen mit Gerechtigkeits-Argumenten betrachtet werden.
Um Chancengleichheit in Organisationen zu fördern, beziehungsweise potenzielle
Vorteile einer vielfältigen Belegschaft zu realisieren, reicht es jedoch nicht, wenn
Organisationen einfach ‚mehr Vielfalt‘ zulassen oder aktiv ermöglichen. Entscheidend ist
vielmehr der Umgang mit Diversität und hier insbesondere die Gestaltung der Rahmen-
bedingungen für die Zusammenarbeit in vielfältigen Teams und Belegschaften.
Das ist ein anspruchsvoller Entwicklungsprozess, der in den meisten Organisationen
einen Wandel der Führungskultur erfordert. Umso wichtiger ist es daher, die Mit-
arbeitenden zu Beteiligten dieser Veränderungen zu machen, sie durch Reflexion,
Trainings und Workshops für den Umgang mit Unterschieden und Gemeinsamkeiten

IX
X Geleitwort von Regine Graml

zu sensibilisieren und ihnen zu ermöglichen, hierzu mehr Wissen und Kompetenzen zu


erwerben.
Mit dem vorliegenden Buch ist es den Herausgebern Dr. John Meister und Matthias
Hörmeyer hervorragend gelungen, die zahlreichen Facetten der Gestaltung von Diversi-
tät in der öffentlichen Verwaltung zu erfassen und in Verbindung zu bringen. Durch
den ausgewählten Mix an Fachbeiträgen erhalten die Leser*innen sowohl interessante
konzeptionelle Einblicke als auch anschauliche Praxisbeispiele und Denkanstöße. Das
Buch liefert nicht nur einen wichtigen inhaltlichen Beitrag zu Diversität in der Ver-
waltung, es ermutigt auch, Veränderungen in der öffentlichen Verwaltung zur wirksamen
Gestaltung von Diversität beherzt anzugehen.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen.

Prof. Dr. Regine Graml


Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Mixed Leadership
Frankfurt University of Applied Sciences

Das Institut für Mixed Leadership (IML) an der Frankfurt University of Applied
Sciences (Frankfurt UAS) forscht interdisziplinär zu den Themen Mixed Leadership,
innovative Führung, Wandel der Führungskultur sowie Diversität als Erfolgsfaktor für
Unternehmen. Neben der breit aufgestellten Forschung bietet das IML an den Bedürf-
nissen der Praxis orientierte Veranstaltungen und Beratungsangebote an. Es dient
als Plattform für die interdisziplinäre Kooperation von Hochschulen, Unternehmen,
Behörden und Verbänden und betreibt die Akademie Mixed Leadership, die durch
gezielte Weiterbildung und Sensibilisierung zu mehr (Gender-)Diversität in Führungs-
positionen beitragen soll.

Regine Graml
Motivation und Aufbau des Buches

Die Gestaltung von Diversity in Organisationen ist inzwischen ein viel diskutiertes
Thema. Diversity wird als große Chance gesehen, wenn es zum Beispiel darum geht,
neue Talente zu gewinnen, Perspektivenvielfalt und Innovation zu fördern oder
kund*innenzentrierter zu arbeiten. Diese Chancen gilt es zu nutzen. Der wertschätzende,
anerkennende, fördernde und engagierte Umgang mit Vielfalt ist aus normativer
Sicht gesellschaftlich erforderlich. Mit ihm sind demokratische Ziele und Werte wie
etwa Chancengleichheit, gleichberechtigte Teilhabe, Partizipation, Repräsentanz und
gesellschaftlicher Zusammenhalt verbunden, die im privaten wie auch beruflichen All-
tag gelebt und gestärkt werden sollen. Überdies werden mit Diversity aber auch hand-
feste Vorteile für Organisationen generiert. In der deutschen Wirtschaft ist der bewusste
Umgang mit Vielfalt zunehmend etabliert. Im Fokus steht hier das sogenannte Diversity
Management als strategisches Instrument zur Entwicklung einer Organisationskultur.
Diversity Management zielt darauf ab, dass alle Menschen sich mit ihren individuellen
Fähigkeiten in ihrer Organisation einbringen können, ihre Bedürfnisse in der
Organisation berücksichtigt werden und für die Organisation signifikante Wettbewerbs-
vorteile generiert werden sollen.
Die Förderung personeller und kultureller Vielfalt in einer Organisation ist aber
nicht nur Aufgabe der Wirtschaft. Der öffentliche Dienst ist der größte Arbeitgeber
Deutschlands. In der öffentlichen Verwaltung arbeiten Menschen engagiert daran,
den politischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Auftrag zu erfüllen, Gemeinwohl-
orientierung, Daseinsvorsorge und Rechtsstaatlichkeit für alle zu gewährleisten. Auch
deshalb trägt die öffentliche Verwaltung besondere gesellschaftliche Verantwortung: Sie
sollte sichtbares Vorbild sein, indem sie sich stärker denn je den Bürger*innen öffnet und
sich zum Spiegelbild einer vielfältigen Gesellschaft entwickelt.
Das vorliegende Buch zeigt, dass die Gestaltung von Diversity eine zentrale Antwort
darauf ist, die zukünftigen Herausforderungen der öffentlichen Verwaltung zu meistern.
Die öffentliche Verwaltung des 21. Jahrhunderts wird von zahlreichen Megatrends beein-
flusst. Unter anderem der demografische Wandel führt zu einem signifikanten Arbeits-
kräftebedarf. Auch der Personalwettbewerb mit der Privatwirtschaft wird zunehmend
intensiver. Zugleich werden öffentliche Aufgaben stetig komplexer: Verwaltungen

XI
XII Motivation und Aufbau des Buches

müssen die digitale Transformation aktiv gestalten, die Daseinsvorsorge zukunftssicher


aufstellen und demokratische Prozesse vor Ort fördern. Der Umgang mit Diversity und
der Aufbau einer Diversity-orientierten Kultur liefern wesentliche Bausteine, um die
erforderliche Handlungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung nachhaltig zu sichern.
Mit diesem Buch wollen wir einen Beitrag leisten, das spannende und wichtige
Beziehungsverhältnis von Diversity und Öffentliche Verwaltung näher zu ergründen
– und vor allem Ihnen, als geneigte Leser*innen, wertvolle Impulse für Ihre Praxis zu
geben. Die Fachautor*innen in diesem Buch stellen vielfältige Konzepte, Ideen und
Praxisbeispiele vor, wie die öffentliche Verwaltung neue und innovative Wege gehen
kann, um ein Diversity Management in der Praxis erfolgreich zu etablieren. Es wird
deutlich: Diversity wirkt in die öffentliche Verwaltung hinein und beeinflusst Kultur,
Strategie, Prozesse und Strukturen. Entsprechend ist dieses Buch aufgebaut:

Aufbau des Buches


In „Teil I – Grundlagen des Diversity Management in der Verwaltung“ werden
die theoretischen und konzeptionellen Grundlagen erläutert. In diesem Rahmen
wird insbesondere ein ganzheitliches und praxisorientiertes Begriffsverständnis
entwickelt, welches sich als roter Faden durch das gesamte Buch zieht und eine
„große Klammer“ um alle nachfolgenden Fachbeiträge legt.
Im Rahmen von „Teil II – Diversity in der Verwaltungskultur gestalten“
befassen wir uns mit den Interdependenzen zwischen dem Anspruch der
Vielfaltsförderung und der Organisationskultur in der öffentlichen Verwaltung. Die
Werte, Normen und Symbole, die in einer Organisation gelebt werden, nehmen
übergreifenden Einfluss auf das Verwaltungshandeln. Sie beeinflussen somit das
Gestaltungspotenzial von Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung.
In „Teil III – Diversity als Führungsverantwortung etablieren“ erfolgt eine
dezidierte Betrachtung der Führungsrolle und Führungsverantwortung im Hinblick
auf die Gestaltung von Diversity in der öffentlichen Verwaltung. Den Führungs-
kräften kommt eine zentrale Rolle im Diversity Management in der öffentlichen
Verwaltung zu.
Mit „Teil IV – Diversity in der Verwaltungsorganisation verankern“ erfolgt
eine Verzahnung der Diversity-Paradigmen mit konkreten Aufgabenstellungen in
der öffentlichen Verwaltung. In den interdisziplinären, praxisnahen Fachbeiträgen
wird dargelegt, wie auf strategisch-organisationaler Ebene vorgegangen werden,
um Vielfalt institutionell in der öffentlichen Verwaltung zu verankern.
In „Teil V – Diversity im Personalmanagement fördern“ legen wir den
Schwerpunkt auf ein elementares internes Aufgabengebiet der öffentlichen Ver-
waltung, dem Personalwesen. Die Verknüpfungen zum Diversity-Gedanken
sind hier besonders ersichtlich. Nicht zuletzt bietet Diversity Management der
öffentlichen Verwaltung die Möglichkeit, sich als attraktive Arbeitgeberin zu
präsentieren – ein wichtiger Punkt in Zeiten des Arbeitskräftemangels.
Motivation und Aufbau des Buches XIII

Danach folgt „Teil VI – Mit Diversity Verwaltungsinnovationen fördern“.


Innovative Ansätze wie Nutzer*innenzentrierung, Start-up-Kooperation und Künst-
liche Intelligenz werden hier im Lichte von Diversity-Aspekten näher untersucht.
Schlussendlich schließt das Buch mit „Teil VII – Schlussbetrachtung:
Diversity und Verwaltung zusammenführen“ in Form einer Synthese der
zentralen Erkenntnisse der Fachbeiträge ab. Hierzu werden grundlegende Thesen
zur Entwicklung eines effektiven Diversity Management in der öffentlichen Ver-
waltung abgeleitet.

Dieses Buch wäre ohne die Mitwirkung zahlreicher engagierter, inspirierender Personen
nicht entstanden. Und so möchten wir uns bei den Fachautor*innen dieses Buchs
von ganzem Herzen bedanken (ganz förmlich in alphabetischer Reihenfolge): Alice
Rittgerodt, Anika Krellmann, Baris Önes, Belma Bekos, Christian Zierau, Cigdem Bern,
Edwin Meier, Gabriel Rath, Gülcan Yoksulabakan-Üstüay, Hans W. Jablonski, Ibrahim
Köran, Ines Hansen, Irina Eckardt, Isabel Collien, Jan Klumb, Jana Janze, Jochen Schiff-
mann, Julia Göpel, Kathleen Jäger, Magdalena Rogl, Magdalena Weiß, Marc Groß,
Maria Pozder, Meike Reuter, Melanie Peterson, Paula Lina Auksutat, Peter Janze,
Rouven-Alexander Slabik, Sabine Meister, Sarina Badafras, Sonja Dudek, Stefan Fuerst,
Tessa Hillermann, Zehra Öztürk.
Unser Dank gilt ebenso Ana-Cristina Grohnert, Vorstandsvorsitzende der Charta der
Vielfalt e. V., Dr. Klaus Effing, Vorstand der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Ver-
waltungsmanagement (KGSt), und Prof. Dr. Regine Graml, geschäftsführende Direktorin
des Instituts für Mixed Leadership (IML) an der Frankfurt University of Applied
Sciences (Frankfurt UAS), deren sichtbare Unterstützung uns viel bedeutet.
Last but not least möchten wir Rolf-Günther Hobbeling vom Springer Gabler Ver-
lag unseren herzlichen Dank aussprechen, der uns während dieses Projekts mit Witz,
Charme und ganz viel Unterstützung begleitet hat.
Wir hoffen, dass wir Ihnen mit diesem Buch Anregungen und neue Impulse geben
können – für eine erfolgreiche und nachhaltige Gestaltung von Vielfalt in Ihrer
Organisation. Seien Sie motiviert und lassen Sie sich auch nicht von Rückschlägen
abschrecken. Halten Sie vielmehr an Ihrer Leidenschaft und Motivation fest, die
öffentliche Verwaltung positiv zu verändern. Sie können ein Vorbild sein!

Ihre
John Meister
Matthias Hörmeyer
(Hrsg.)
Inhaltsverzeichnis

Teil I Grundlagen des Diversity Management in der Verwaltung


Diversity in der öffentlichen Verwaltung – eine Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . 3
John Meister und Matthias Hörmeyer
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
2 Konzeption von Diversity in der öffentlichen Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
3 Diversity-Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
4 Warum sich die aktive Gestaltung von Diversity für die öffentliche
Verwaltung lohnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
5 Warum die aktive Gestaltung von Diversity eine gesamtorganisationale
Aufgabe für die öffentlichen Verwaltung ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
6 Wie Diversity Management in der öffentlichen Verwaltung
systematisch eingeführt werden kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
7 „Diversity und öffentliche Verwaltung, quo vadis?“ – Warum
ein langer Atem notwendig ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
8 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

Teil II Diversity in der Verwaltungskultur gestalten


Von Bienchen und Blümchen: Welche Kultur die Verwaltung für
gelingende Vielfalt braucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
Meike Reuter
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
2 Warum das Ausstreuen von Saatgut nicht ausreicht – oder:
Warum es mehr als Diversity braucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
3 Welchen Nährboden eine Wildblumenwiese braucht – oder:
Welche Kultur die Verwaltung braucht, um Diversity gestalten
zu können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

XV
XVI Inhaltsverzeichnis

4 Wie ein geeigneter Nährboden geschaffen werden kann – oder:


Wie wir eine inklusive Kultur fördern können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
5 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
„Warum gerade ich nach oben gehöre“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
Zehra Öztürk
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
2 Fakten und Zahlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
3 Warum trotzdem sichtbar werden und den Weg nach oben gehen? . . . . . . . . . . 47
4 Wie kann jeder von uns seinen Beitrag leisten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
5 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Neue Chancen für den Fachkräftemangel: Vom Diversity Narrativ
einer weißen* Mehrheitsgesellschaft zu einer inklusiven Verwaltung . . . . . . . . . 55
Melanie Peterson
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
2 Weißsein als unsichtbare Deutungshoheit im Diversity-Diskurs . . . . . . . . . . . . 57
3 Rassismus als Deutschlands Kolonialerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
4 Chancen für den Fachkräftemangel: Eine
diskriminierungsbewusste, inklusive Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
5 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
6 Glossar wichtiger Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
Inklusive Sprache als Treiber für mehr Vielfalt in der Verwaltung . . . . . . . . . . . 69
Paula Lina Auksutat
1 Relevanz und Gründe für Sprachsensibilität in der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . 70
2 Fokus auf Sprachsensibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
3 Warum inklusive Sprache in der Verwaltung wichtig ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
4 Was inklusive Sprache ist – und was nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
5 Erfolgsfaktoren bei der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
6 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
„Wer nichts macht, macht keine Fehler…“ – wie mutige
Entscheidungen, hin zu mehr Diversität, die Zukunftsfähigkeit
der Verwaltung sicherstellen können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
Rouven-Alexander Slabik und Alice Rittgerodt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
2 Welche Ansätze gibt es bereits zur Etablierung von Diversität
in der Verwaltung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
3 Erreichen von Diversität mittels Quote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
Inhaltsverzeichnis XVII

4 Rechtliche Hürden, die es zu überwinden gilt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88


5 Was hat unsere Fehlerkultur mit Diskriminierung und Privilegien zu tun? . . . . 92
6 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
Vom Einwandererkind zur Verwaltungskarriere: Wie Menschen
mit Migrationshintergrund der Aufstieg in die öffentliche
Verwaltung gelingt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
Baris Önes und Sarina Badafras
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
2 Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
3 Warum die Verwaltung die Hürden für Menschen mit
Migrationshintergrund beseitigen sollte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
4 Wie steht es um den Status quo? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
5 Wie gelingt die interkulturelle Öffnung in der öffentlichen Verwaltung? . . . . . 99
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

Teil III Diversity als Führungsverantwortung etablieren


Kultur & Leadership – Welchen Einfluss organisatorische
Rahmenbedingungen auf Diversität haben können. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
Peter Janze
1 Was Sie in diesem Beitrag erwartet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
2 Leadership, Kultur und Vielfalt lassen sich nicht verordnen . . . . . . . . . . . . . . . 108
3 Ein Blick in ein Unternehmen: digital@M . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
4 Ideen für den Weg zu mehr Diversität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
5 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Eine Frage der Haltung: Modelle zur Diversity-orientierten
Führung und deren Anwendung in der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
Ines Hansen
1 Diversity – eine herausfordernde Führungsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
2 Das Modell der sechs Haltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
3 Entwicklungsinstrument: Referenzerfahrungen und Safe Spaces . . . . . . . . . . . 125
4 Systemtheorie: Alles eine Frage der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
5 Was Sprache verrät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
6 Entwicklungsinstrument: Satzergänzungsmethode/Reflexionssätze . . . . . . . . . 129
7 Führungsarbeit ist Übersetzungsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
8 Haltung entscheidet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
XVIII Inhaltsverzeichnis

Die Kompetenz von Führungskräften im Umgang mit


Vielfalt – Unbewusste Voreingenommenheit beeinflusst
(Personal-) Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
Hans W. Jablonski
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
2 Warum ist Diversity und eine Kompetenz dazu wichtig? Warum jetzt? . . . . . . . 136
3 Wertschätzende Führung: Inclusive Leadership als Antwort . . . . . . . . . . . . . . . 138
4 Das Phänomen der unbewussten Voreingenommenheit:
Unconscious Bias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
5 Unbewusste Voreingenommenheit verzerrt die Entscheidungen . . . . . . . . . . . . 141
6 Positive Stereotype: Privilegien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
7 Was kann getan werden? Umgang mit Unbewusster
Voreingenommenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
8 Fazit: Wertschätzende Führung ist erfolgskritisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
Emotionale Intelligenz ist die wichtigste Fähigkeit für Führungskräfte . . . . . . . 149
Magdalena Rogl
1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
2 Empathie als Schlüssel für eine diverse und inklusive Arbeitswelt . . . . . . . . . . 150
3 Werte als verbindendes Element . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
4 Leadership ist eine Haltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
5 Human Relations statt Human Ressources . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
6 Emotionale Intelligenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
Diversity und Antidiskriminierung als Faktoren erfolgreicher Führung?!. . . . . 161
Isabel Collien
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
2 Fünf Führungsrollen gegen den Diversity-Strich gebürstet . . . . . . . . . . . . . . . . 162
3 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
Diversity und New Work . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Gabriel Rath
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
2 Ist das schon New Work oder kann das weg? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
3 Frithjof Bergmann und das Konzept der neuen Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
4 Was New Work mit Diversity zu tun hat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
5 Diversity als Grundlage für Innovation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
6 Diversity braucht ein Diversity Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
Inhaltsverzeichnis XIX

7 Der Unconscious Bias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182


8 Die Kraft der Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
9 Diversity, Equity and Inclusion im Kontext New Work . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
10 Die Herausforderung des Fachkräftemangels in der neuen Arbeitswelt . . . . . . . 184
11 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

Teil IV Diversity in der Verwaltungsorganisation verankern


Diversitätsbewusste Organisationsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Sonja Dudek und Isabel Collien
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
2 Hauptteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
3 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
Erarbeitung und Integration eines Diversity Leitbildes in Verwaltungen. . . . . . 203
Stefan Fuerst
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
2 Was ist ein Leitbild? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
3 Vorteile und Nutzen eines Leitbildes für das Diversity
Management und die Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
4 Entwicklung eines Leitbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
5 Mögliche Inhalte und Struktur eines Leitbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
6 Fallstricke in der Entwicklung eines Leitbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
7 Arbeiten mit einem Leitbild und Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
8 Praktisches Beispiel einer Herangehensweise der Berliner
Verkehrsbetriebe AöR (BVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
9 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
Employee Resource Groups: Beschäftigtennetzwerke zur
Stärkung von Diversity und Inclusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
Magdalena Weiß
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
2 Relevanz und Zweck von Employee Resource Groups . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
3 Employee Resource Groups initiieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
4 Employee Resource Groups gestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
5 Employee Resource Groups verankern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
6 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
XX Inhaltsverzeichnis

Was hat Diversity mit Projektmanagement zu tun? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225


Sabine Meister
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
2 Rahmenbedingungen in der Projektarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
3 Operative Projektarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
4 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
Gender Budgeting – den öffentlichen Haushalt gerechter gestalten? . . . . . . . . . 237
John Meister und Maria Pozder
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
2 Begriff „Gender Budgeting“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
3 Gendergerechte Haushaltssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
4 Wo steht Gender Budgeting heute?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
5 Von Gender Budgeting zu Diversity Budgeting? – Fazit und Ausblick . . . . . . . 248
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Braucht Verwaltung ein Diversity Management?
Ein Praxisbericht aus der Stadtverwaltung Krefeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
Cigdem Bern
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
2 Unser Start in der Stadtverwaltung Krefeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
3 Implementierung eines Diversity Managements in der
Stadtverwaltung Krefeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
4 Fazit: Brauchen Verwaltungen ein Diversity Management? . . . . . . . . . . . . . . . . 257

Teil V Diversity im Personalmanagement fördern


Der Mensch im Mittelpunkt – der beste Weg zu einer
modernen Verwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
Christian Zierau
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
2 Basis: Einführung einer Personalstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
3 Anschluss: Weiterentwicklung einer eingeführten Personalstrategie . . . . . . . . . 269
4 Praktische Umsetzung: Erfahrungen mit dem
Trainee-Programm „Stadt*Talente“ in der Landeshauptstadt
Kiel (Schleswig–Holstein) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
5 Fortschritt: Vielfalt und Diversität verwirklichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
Was braucht eine vielfaltsbewusste Personalentwicklung? –
Grundlagen und Maßnahmen aus der Verwaltungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
Gülcan Yoksulabakan-Üstüay und Jochen Schiffmann
1 Voraussetzungen für eine vielfaltsbewusste Personalentwicklung . . . . . . . . . . . 274
2 Vielfaltsbewusste Entwicklung von Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
Inhaltsverzeichnis XXI

3 Förderung von Diversity-Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280


4 Weiterentwicklung der Diversity-Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
5 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
Diversity als Chance für das Recruiting in der öffentlichen Verwaltung . . . . . . 287
Julia Göpel
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
2 Recruiting in den Kerndimensionen von Diversity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
3 Vielfalt außerhalb der Kerndimensionen von
Diversity – Quereinsteiger*innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
4 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
Affirmative Action in der Verwaltung? Das Berliner Partizipationsgesetz
als Meilenstein moderner Verwaltungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
Kathleen Jäger und Belma Bekos
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
2 Partizipation und Affirmation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
3 Grundsätze der Anwendung des PartMigG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
4 Eine migrationsgesellschaftlich ausgerichtete Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
5 Türen öffnen – Beschäftigung von Personen mit Migrationshintergrund
im öffentlichen Dienst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
6 Partizipation durch Beauftragte und Beiräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
7 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
Institutionalisierte Akteur*innen als Impulsgeber*innen für
Vielfalt (Teil 1): Diversitätspolitischer Auftrag von
Personalverwaltung, Personal- und Schwerbehindertenvertretung,
Gleichstellungsbeauftragten sowie AGG-Beschwerdestellen . . . . . . . . . . . . . . . . 315
Tessa Maria Hillermann
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
2 Rechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
3 Verwaltungsinterne Akteur*innen und ihr diversitätspolitischer Auftrag . . . . . . 319
4 Diversitätspolitischer Auftrag? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
Institutionalisierte Akteur*innen als Impulsgeber*innen für Vielfalt
(Teil 2): Diversitätspolitisches Zusammenwirken von
Personalverwaltung, Personal- und Schwerbehindertenvertretung,
Gleichstellungsbeauftragten sowie AGG-Beschwerdestellen . . . . . . . . . . . . . . . . 329
Tessa Maria Hillermann
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
2 Diversitätspolitisches Zusammenwirken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
3 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
XXII Inhaltsverzeichnis

Teil VI Mit Diversity Verwaltungsinnovationen fördern


Diversity und Innovation – eine zukunftsweisende Wechselwirkung . . . . . . . . . 341
Jana Janze
1 Kann Vielfalt Innovation fördern ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
2 Was ist „Innovation“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
3 Die Innovationsfähigkeit einer Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
4 Wechselwirkung zwischen Diversity und Innovation für die Zukunft . . . . . . . . 354
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
Ein neuer Aspekt der Nutzer*innenzentrierung: Beschäftigte
in der deutschen Verwaltung als Spiegel unserer diversen Gesellschaft . . . . . . . 357
Ibrahim Köran und Irina Eckardt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
2 Bessere Adressierung der Anliegen von Bürger*innen
und Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
3 Verbesserte interne Funktionsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
4 Stärkung der Zukunftsfähigkeit des Standorts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364
Braucht Service Design mehr Diversity? – Vorstellung und
kritische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367
John Meister und Matthias Hörmeyer
1 Einleitung: Service Design und Diversity? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
2 Konzept von Service Design . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
3 Diversity als Quality Gate für gelungenes Service Design . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
4 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
Diversität über die Authentifizierung hinaus. Wie das „Team
OnlineRathaus“ der Landeshauptstadt Wiesbaden mit den
Mitarbeitenden Onlinedienste entwickelt und Nutzen validiert. . . . . . . . . . . . . . 377
Jan Klumb und Edwin Meier
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
2 Die Idee des „Team OnlineRathaus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
3 Praxisbeispiel aus dem „Team OnlineRathaus“: Entwicklung der Online-
Anmeldung der Eheschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
4 Résumé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
Potenzial im Unterschied – Wie sich Verwaltung und Start-ups
gegenseitig bereichern können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
Jana Janze
1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388
2 Die Innovationskraft von Start-ups . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
Inhaltsverzeichnis XXIII

3 Diversity in Start-ups im Vergleich zur Verwaltung


und Erwerbsbevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390
4 Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit Start-ups . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
5 Forderungen zur Entfaltung des Potenzial der Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . 397
6 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403
Wenn Künstliche Intelligenz und Diversity aufeinandertreffen:
Handlungsoptionen für Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
Anika Krellmann und Marc Groß
1 KI als zentrale Zukunftstechnologie in Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406
2 KI und Diversity zusammen denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
3 Instrumente, Prozesse und Strukturen für eine Diversity-orientierte KI. . . . . . . 411
4 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414

Teil VII Schlussbetrachtung: Diversity und Verwaltung zusammenführen


Diversity in der öffentlichen Verwaltung – eine
Zusammenfassung in 15 Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417
John Meister und Matthias Hörmeyer
1 Resümee: Wo stehen wir? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417
2 Manifest: 15 Thesen für ein zukunftsweisendes Diversity Management in der
öffentlichen Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420
3 Schlusswort: Auf bald! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428
Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Über die Herausgeber

„Diversity und öffentliche Verwaltung – zwei Dinge, die zusammengehören.


Die öffentliche Verwaltung steht vor zahlreichen Herausforderungen: Demografischer
Wandel, Arbeitskräftemangel, Klimawandel, Digitalisierung, Krisenbewältigungen,
veränderte Ansprüche.
Eine zeitgemäße Antwort darauf ist Diversity Management. Mit Diversity können wir unsere
Organisationen positiv verändern. Wir können attraktive Arbeitgeberin sein, empathischer
auf die Bedürfnisse unserer vielfältigen Bürger*innen eingehen und den Herausforderungen
besser begegnen.
Gemeinsam können wir dazu beitragen, dass sich die öffentliche Verwaltung immer stärker
für Vielfalt öffnet. Mit diesem Buch laden wir ein, diesen verantwortungsvollen
Transformationsprozess zu gehen – mit professioneller Expertise und selbstbewusster
Entschlossenheit.
Ihre Herausgeber
John Meister & Matthias Hörmeyer“

Dr. John Meister ist Experte für Reform- und Trans-


formationsthemen in der öffentlichen Verwaltung. Er ver-
fügt über breite interdisziplinäre Verwaltungserfahrung von
über 15 Jahren und war u. a. in Sozial-, Finanz-, Justiz-,
Digitalisierungsressorts sowie auf Staatskanzleiebene tätig.
Er leitet aktuell das Referat „Inklusive Jugendhilfe“ in der
Hamburger Sozialbehörde und verantwortet die inklusive
Ausgestaltung der Kinder- und Jugendhilfe. Daneben ist
er Dozent für Public Management mit Schwerpunkt in
sozialwissenschaftlichen Themen an der Hochschule für
Angewandte Wissenschaften Hamburg. (E-Mail: john@
meister.sh)

XXV
XXVI Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Matthias Hörmeyer ist Referent im Programmbereich


Organisations- und Informationsmanagement der Kommunalen
Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt). Er
ist Experte für das kommunale Diversity Management, für
prozessorientiertes kommunales E-Government, kommunalen
Bürger*innenservice, Service Design und eine nutzenzentrierte
Organisationsgestaltung. Zu diesen Themen hält er Vorträge und
schreibt Artikel, Strategien sowie Konzepte. Außerdem begleitet
er Digitalisierungsprojekte im kommunalen Sektor. (E-Mail:
matthias@hoermeyer.de)

Autorenverzeichnis

Paula Lina Auksutat E.ON Deutschland, München, Deutschland


Sarina Badafras HAW Hamburg, Hamburg, Deutschland
Belma Bekos Land Berlin, Berlin, Deutschland
Cigdem Bern Stadt Krefeld, Krefeld, Deutschland
Isabel Collien Freie und Hansestadt Hamburg, Hamburg, Deutschland
Sonja Dudek Land Berlin, Berlin, Deutschland
Irina Eckardt PwC Strategy& (Germany) GmbH, Berlin, Deutschland
Stefan Fuerst DRV Bund, Berlin, Deutschland
Marc Groß Co:Lab e. V. Berlin, Berlin, Deutschland
Julia Göpel Land Hessen Regierungspräsidium Kassel, Kassel, Deutschland
Ines Hansen KGSt, Köln, Deutschland
Tessa Maria Hillermann Hamburg, Deutschland
Matthias Hörmeyer KGSt, Köln, Deutschland
Hans W. Jablonski Experte, Berater & Coach, Köln, Deutschland
Jana Janze GovMarket GmbH, Berlin, Deutschland
Peter Janze digital@M GmbH, München, Deutschland
Kathleen Jäger Land Berlin, Berlin, Deutschland
Jan Klumb Landeshauptstadt Wiesbaden, Wiesbaden, Deutschland
Anika Krellmann Co:Lab e. V. Berlin, Berlin, Deutschland
Herausgeber- und Autorenverzeichnis XXVII

Ibrahim Köran PricewaterhouseCoopers GmbH, Berlin, Deutschland


Edwin Meier Landeshauptstadt Wiesbaden, Wiesbaden, Deutschland
John Meister Freie und Hansestadt Hamburg, Hamburg, Deutschland
Sabine Meister GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V., Nürnberg,
Deutschland
Baris Önes SPD-Bürgerschaftsfraktion, Hamburg, Deutschland
Zehra Öztürk Freie und Hansestadt Hamburg, Hamburg, Deutschland
Melanie Peterson GovMarket GmbH, Berlin, Deutschland
Maria Pozder PricewaterhouseCoopers GmbH, Frankfurt am Main, Deutschland
Gabriel Rath Deutscher Sparkassen- und Giroverband, Berlin, Deutschland
Meike Reuter PricewaterhouseCoopers GmbH, Hamburg, Deutschland
Alice Rittgerodt Freie und Hansestadt Hamburg, Hamburg, Deutschland
Magdalena Rogl Microsoft Deutschland, München, Deutschland
Jochen Schiffmann Freie Hansestadt Bremen, Bremen, Deutschland
Rouven-Alexander Slabik Deutsche Telekom AG, Hamburg, Deutschland
Magdalena Weiß Informationstechnikzentrum Bund, Berlin, Deutschland
Gülcan Yoksulabakan-Üstüay Freie Hansestadt Bremen, Bremen, Deutschland
Christian Zierau Stadtrat, Kiel, Deutschland
Abbildungsverzeichnis

Diversity in der öffentlichen Verwaltung – eine Einführung


Abb. 1 Das Prinzip der „4 Layers of Diversity“ frei nach Gardenswartz
und Rowe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
Abb. 2 Vorgehensmodell zur Einführung von Diversity Management . . . . . . . . . 16

„Warum gerade ich nach oben gehöre“


Abb. 1 Darstellung der Anteile von Frauen und Personen mit
Migrationshintergrund in deutschen Privathaushalten, in der
öffentlichen Verwaltung allgemein und bei Führungskräften
öffentlicher Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Neue Chancen für den Fachkräftemangel: Vom Diversity Narrativ


einer weißen* Mehrheitsgesellschaft zu einer inklusiven Verwaltung
Abb. 1 Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Deutschland, 2021. . . . . . . . . 60
Abb. 2 Postkarte „D.S.W. Afrika-Gefangene Hereros“, undatiert . . . . . . . . . . . . . 62

Kultur & Leadership – Welchen Einfluss organisatorische


Rahmenbedingungen auf Diversität haben können
Abb. 1 Communities als Lösungsansatz, Beispiel der digital@M GmbH. . . . . . . 113

Eine Frage der Haltung: Modelle zur Diversity-orientierten


Führung und deren Anwendung in der Verwaltung
Abb. 1 Ausgewählte Merkmale der sechs Haltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
Abb. 2 „Der Methodenkoffer der Führenden für die Schaffung
psychologischer Sicherheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
Abb. 3 Zusammenhang zwischen Haltungen, Führungsstil,
Kommunikationsstil und Strategien des Diversity Managements . . . . . . . 130

XXIX
XXX Abbildungsverzeichnis

Die Kompetenz von Führungskräften im Umgang mit Vielfalt – Unbewusste


Voreingenommenheit beeinflusst (Personal-) Entscheidungen
Abb. 1 Drei Ebenen des Diversity Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

Erarbeitung und Integration eines Diversity Leitbildes in Verwaltungen


Abb. 1 Vorteile & Nutzen eines Leitbildes im Diversity Management . . . . . . . . . 205
Abb. 2 Ablauf Prozess Diversity-Leitbild bei der BVG AöR . . . . . . . . . . . . . . . . 212

Was hat Diversity mit Projektmanagement zu tun?


Abb. 1 Professionelle Rahmenbedingungen für Projektarbeit und ihre
Auswirkungen auf einzelne Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
Abb. 2 PM-Phasen, PM-Prozesse und Beeinflussbarkeit im Projektverlauf . . . . . 232

Diversity und Innovation – eine zukunftsweisende Wechselwirkung


Abb. 1 Elemente des Innovationsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
Abb. 2 Arten von Innovation und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346

Braucht Service Design mehr Diversity? – Vorstellung und


kritische Analyse
Abb. 1 Service Design-Framework in Anlehnung an Design Council 2019 . . . . . 371

Potenzial im Unterschied – Wie sich Verwaltung und Start-ups gegenseitig


bereichern können
Abb. 1 Vergleich Soziale Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
Abb. 2 Vergleich Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392
Abb. 3 Vergleich Ethnische Herkunft und Nationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392
Abb. 4 Vergleich Geschlecht und geschlechtliche Identität in den
Teams bzw. der Belegschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
Abb. 5 Zusammenfassung „Diversity in Start-ups“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
Abb. 6 Digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 398
Tabellenverzeichnis

Von Bienchen und Blümchen: Welche Kultur die Verwaltung für


gelingende Vielfalt braucht
Tab. 1 Beispiele für den Ausdruck einer inklusiven Organisationskultur pro
Diversity-Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

Was hat Diversity mit Projektmanagement zu tun?


Tab. 1 Rollen in der Projektarbeit und beeinflussbare Rahmenbedingungen . . . . 228
Tab. 2 PMO-Leistungen und Diversitybezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230

XXXI
Teil I Grundlagen des Diversity Management in
der Verwaltung
Diversity in der öffentlichen Verwaltung –
eine Einführung

John Meister und Matthias Hörmeyer

Zusammenfassung

Diversity in der öffentlichen Verwaltung ist eine zentrale Antwort darauf, die
Herausforderungen der Zukunft zu meistern, denen sämtliche Organisationen der
öffentlichen Verwaltung gegenüberstehen. Dabei wird deutlich, dass Diversity weit
mehr ist als eine formale Umsetzung rechtlicher Vorgaben ist. Die aktive, strategische
Gestaltung von Diversity bietet zahlreiche Potenziale für öffentliche Verwaltungen,
die Chancen von Vielfalt zu nutzen, Diskriminierung zu bekämpfen und Chancen-
gleichheit zu verwirklichen. Darüber hinaus schafft Diversity noch viele weitere
sinnstiftende Möglichkeiten für öffentliche Verwaltung. In dieser Einleitung wird auf-
gezeigt, was unter Diversity konkret zu verstehen ist und warum diese Potenziale in
den Fokus genommen werden sollten.

Schlüsselwörter

Diversity · Diversität · Verwaltung · Öffentliche Verwaltung · Einführung ·


Diversity-Dimensionen

J. Meister ( )
Freie und Hansestadt Hamburg, Hamburg, Deutschland
M. Hörmeyer
KGSt, Köln, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 3


Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_1
4 J. Meister und M. Hörmeyer

1 Einleitung

Die öffentliche Verwaltung ist mit über 5 Mio. Beschäftigten1 (dbb 2022) mit Abstand
die größte Arbeitgeberin Deutschlands. Zu ihr gehören vielfältigste Einrichtungen,
beispielsweise örtliche Gemeindeverwaltungen, überörtliche Kommunalverbände,
Bezirksregierungen und Regierungspräsidien, Landes- und Bundesministerien, Sozial-
versicherungsträger, die Bundesagentur für Arbeit, Stadtwerke, Universitäten und Hoch-
schulen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk, aber auch Gefängnisse, Museen, öffentliche
Betriebe wie auch zahlreiche weitere Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des
öffentlichen Rechts2 (Bogumil 2018, S. 2829 ff.). Im weiteren Sinne kommen darüber
hinaus die zahlreichen privatrechtlichen Unternehmen hinzu, die sich ganz oder teil-
weise im Eigentum der öffentlichen Hand befinden und in enger Verbindung mit den
Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung stehen (z. B. häufig Verkehrsbetriebe oder
kommunale Krankenhäuser).
Das komplexe System der öffentlichen Verwaltung ist mit verschiedensten Heraus-
forderungen im 21. Jahrhundert konfrontiert. Die Vielfältigkeit öffentlichen Verwaltungs-
handelns unterliegt inzwischen einem mindestens genauso vielschichtigen Geflecht aus
wachsenden politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Ansprüchen
und Erwartungen. Zu dieser Gemengelage kommen die sog. „Megatrends“ des 21.
Jahrhunderts hinzu, welche signifikanten Einfluss auf die zukünftige Verwaltungsent-
wicklung haben. So wird sich beispielsweise der aktuell schon zugespitzte Arbeitskräfte-
mangel durch den demografischen Wandel und den bevorstehenden massenhaften Eintritt
der „Baby-Boomer“ in den Ruhestand weiter verschärfen. Darüber hinaus werden die
unzähligen fachpolitischen Themen, die von der öffentlichen Verwaltung gesteuert
werden müssen, durch die Pluralisierung und Individualisierung der Gesellschaft und
die damit einhergehenden steigenden Erwartungen an ein zeitgemäßes Verwaltungs-
handeln auf allen föderalen Ebenen immer vielschichtiger. Verwaltungen müssen heute
zugleich komplexe interdisziplinäre Fachthemen steuern, die digitale Transformation
aktiv gestalten, die öffentliche Daseinsvorsorge zukunftssicher aufstellen und demo-
kratische Prozesse vor Ort fördern. Zudem ist die Innovationsfähigkeit der öffentlichen
Verwaltung mehr denn je gefragt, um auch in Zukunft schnell und leistungsfähig auf ver-
änderte Situationen oder gar Krisen adäquat reagieren zu können. Schließlich steht die
öffentliche Verwaltung auch im direkten Wettbewerb mit der Privatwirtschaft, wenn es
um die Gewinnung des besten Personals geht. In all diesen verschiedenen Zusammen-
hängen spielt Diversity eine zentrale Rolle.

1 Beschäftigteim öffentlichen Dienst.


2 Auf weitere Differenzierungen, wie etwa üblicherweise zwischen der unmittelbaren und mittel-
baren Verwaltung, wird an dieser Stelle verzichtet.
Diversity in der öffentlichen Verwaltung – eine Einführung 5

Dienstherren und öffentliche Arbeitgeber*innen, die Diversity aktiv gestalten


wollen, sehen in der Vielfalt von Menschen ein signifikantes Potenzial. Sie leben eine
positive Wertschätzung für Vielfalt und arbeiten aktiv daran, die Vielfalt im Arbeitsum-
feld zu erhöhen und Chancengleichheit für alle zu schaffen. Darüber hinaus begreifen
vielfaltsorientierte Dienstherren und öffentliche Arbeitgeber*innen Diversity als eine
zentrale Antwort auf die oben genannten Herausforderungen und sehen mithin Viel-
falt als wertvolle Chance – zum einen, um die öffentliche Handlungsfähigkeit lang-
fristig sicherzustellen und auszubauen, und zum anderen, um die eigene Belegschaft als
„Spiegelbild der Gesellschaft“ zu formen und damit ihre gesellschaftliche Akzeptanz und
demokratische Legitimation zu steigern (vgl. Hörmeyer und Meister 2022a).
Vor dem Hintergrund der Potenziale und Erwartungen, die mit Diversity verbunden
sind, erfolgt im Nachfolgenden eine nähere Betrachtung des Begriffs „Diversity“ und
der Rahmenbedingungen zur aktiven Gestaltung von Diversity in der öffentlichen Ver-
waltung.

2 Konzeption von Diversity in der öffentlichen Verwaltung

Die Begriffe „Diversity“ und „Vielfalt“3 nutzen wir alle – wie selbstverständlich – in
unserem alltäglichen Vokabular. Auch im Verwaltungsalltag spielt das Thema Diversity
eine gewichtige Rolle. Viele Verwaltungen setzen sich aktiv mit dem Thema „Diversity“
auseinander, indem sie beispielsweise im Kontext des Personalmanagements Strategien
und Maßnahmenpläne erarbeiten, die aus dem Diversity-Gedanken heraus den Arbeits-
alltag für die Beschäftigten erleichtern oder angenehmer gestalten sollen. Wieder
andere Verwaltungen setzen sich zwar nicht bewusst mit dem Thema Diversity aus-
einander, setzen aber dennoch Maßnahmen um, die auf das Thema Diversity einzahlen.
Als gängige Beispiele für – bewusst oder unbewusst umgesetzte Diversity-Maßnahmen
– lassen sich die zunehmende Flexibilisierung von Arbeitszeiten und Arbeitsorten
(mobiles Arbeiten) oder das wachsende Angebot an mehrsprachigen Verwaltungsservices
nennen. Derartige Maßnahmen tragen dazu bei, dass die vielfältigen, unterschied-
lichen Bedürfnisse von Menschen, seien es intern die Beschäftigten oder extern die
Verwaltungskund*innen, stärker in den Fokus genommen und besser adressiert werden.
Und genau darum es geht es bei Diversity. Es braucht diesen empathischen Blick auf
die vielfältigen, unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen, um die öffentliche Ver-
waltung in der heutigen Zeit als nahbar, sinnstiftend und gemeinwohlorientiert zu
formen.

3 DieBegriffe „Diversity“ und „Vielfalt“ werden, sofern nicht anders angegeben, in diesem Buch
synonym verwendet.
6 J. Meister und M. Hörmeyer

Vor diesem Hintergrund verfolgt dieses Buch ein klares Plädoyer: Es ist Zeit
für eine neue echte Haltung in der öffentlichen Verwaltung, die Vielfalt wertschätzt
und anerkennt. Verbunden mit einem Bewusstsein, dass die ganzheitliche, aktive
Gestaltung von Diversity eine zentrale Verwaltungsaufgabe darstellt – im Sinne eines
professionellen Diversity Management in der öffentlichen Verwaltung.
Doch bevor wir darüber sprechen können, warum und wie Diversity in der
öffentlichen Verwaltung aktiv gestaltet werden kann, müssen wir zunächst erst einmal
einen Schritt zurückgehen und ein gemeinsames Fundament über den komplexen Begriff
entwickeln. Es geht also um die Schaffung eines einheitlichen Begriffsverständnisses:
„Was verstehen wir überhaupt unter Diversity“?
„Diversity bedeutet in erster Linie Perspektivenvielfalt. Diese Vielfalt entsteht
dadurch, dass jede Person durch ihre Erfahrungen und ihre aktuelle Lebenssituation
sowie damit verbundenen Bedürfnisse individuell ist“ (vgl. KGSt 2022, S. 3). Wenn wir
also davon sprechen, Diversity in der öffentlichen Verwaltung aktiv zu gestalten, dann
meinen wir damit, die Individualität und Einzigartigkeit von Menschen zu erkennen,
zu verstehen, wertzuschätzen und schließlich die gewonnene Perspektivenvielfalt zu
nutzen, um auf diesem Wege die Zukunft der öffentlichen Verwaltung zum Wohle aller
zu gestalten. In diesem Zusammenhang muss Diversity ganzheitlich verstanden werden,
d. h. Menschen müssen in allen ihren Facetten wahrgenommen werden. Das umfasst,
neben einer in vielen öffentlichen Verwaltungen bereits stark ausgeprägten Gleich-
stellungsarbeit von Frauen und Männern, noch viele weitere Merkmale, die die Vielfalt
der Gesellschaft auszeichnen. Beispielhaft können hier die Bedarfe von Mitarbeitenden,
die Familienangehörige pflegen und betreuen, die Bedarfe von Menschen mit körper-
lichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen, die Bedarfe von Menschen
mit Migrationsbiografien oder die Bedarfe queerer Personen4 genannt werden. Vielfalt
von Menschen drückt sich also – im wahrsten Sinne – vielfältig aus.

Eine öffentliche Verwaltung, die das volle Potenzial von Diversity ausschöpfen
will, muss alle Dimensionen einer vielfältigen Gesellschaft im Blick haben und
darf nicht einzelne Dimensionen solitär fördern!

Diese „Vielfalt der Vielfalt“ kann mit den sogenannten „Diversity-Dimensionen“ greif-
bar gemacht werden.

4 „Queer“ ist ein Sammelbegriff für Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierungen und
geschlechtlicher Identitäten.
Diversity in der öffentlichen Verwaltung – eine Einführung 7

3 Diversity-Dimensionen

In der Praxis werden die unterschiedlichen Facetten von Diversity durch sogenannte
„Diversity-Dimensionen“ systematisiert. Natürlich stellt sich unmittelbar die Frage, ob
es richtig sein kann, ausgerechnet Diversity zu kategorisieren. Für das praxisorientierte
Verständnis stellen Diversity-Modelle, die mit abgrenzbaren Dimensionen arbeiten,
eine methodische Erleichterung dar. Solche Analysemodelle sind eine intentionale,
also ganz bewusste Komplexitätsreduktion, um Diversity für das Alltagshandeln greif-
bar und mithin praktisch nutzbar zu machen. Man kann also auch sagen, dass ein
Diversity-Modell dabei hilft, sich auf das Wesentliche fokussieren zu können. Aus dem
abstrakten Wort „Diversity“ wird so eine ganz konkrete Konzeption, die zugänglich für
die (Verwaltungs-)Praxis ist. Zugleich sollte das Bewusstsein dafür geschärft werden,
dass die gezielte Vereinfachung auch eben bedeutet, von der Realität abzuweichen.
Ein Diversity-Modell hilft, etwas so Komplexes wie die Vielfalt in der Gesellschaft auf
wesentliche Kernelemente herunterzubrechen, kann aber nicht den Anspruch haben,
„echte“ einhundertprozentige Gültigkeit zu besitzen. In der praktischen Benutzung eines
Diversity-Modells sollte diese Einschränkung immer vor Augen gehalten werden.
In der öffentlichen Diskussion wie auch in der Arbeitspraxis hat sich vor allem der
Vorschlag der Charta der Vielfalt e. V. etabliert. Die Charta der Vielfalt e. V. ist ein
gemeinnütziger Verein, der sich für die Verankerung von Diversität in Wirtschaft, Ver-
waltung und Gesellschaft einsetzt. Organisationen können dem Verein beitreten, indem
sie die sogenannte „Charta der Vielfalt“ unterzeichnen. Mit der Unterzeichnung der
Charta der Vielfalt bekennt sich eine Organisation zu den Grundwerten der Vielfalt
und verpflichtet sich, die Vielfalt in der eigenen Organisation zu fördern. In den letzten
Jahren haben auch viele Verwaltungsorganisationen die Charta der Vielfalt unterzeichnet
und setzen dadurch ein öffentliches Zeichen (vgl. KGSt 2022, S. 10 ff.). Die Charta der
Vielfalt e. V. nutzt ein vierstufiges Diversity-Modell zur Erfassung von Vielfalt in unter-
schiedliche Dimensionen. Dieses Modell findet breite positive Resonanz in Praxis und
Lehre. Es basiert auf dem Prinzip der 4 Layers of Diversity nach Gardenswartz und
Rowe (1998). Die Abb. 1 stellt das Diversity-Modell der Charta der Vielfalt e. V. grafisch
dar (vgl. Charta der Vielfalt 2022):
Das Prinzip der 4 Layers of Diversity definiert vier Dimensionen von Diversi-
tätsmerkmalen: 1) Die Dimension der Persönlichkeit, 2) die Kern-Dimensionen (bei
Gardenswartz und Rowe „innere Dimensionen“ genannt), 3) die äußere Ebene (bzw.
„äußere Dimension“) sowie 4) die organisationale Ebene (bzw. „organisationale
Dimension“). Zentrales Paradigma ist, dass ein Individuum durch die Merkmale aller
vier Ebenen geprägt ist.
Je weiter eine Dimension vom Kern des Modells – der Persönlichkeit – entfernt
ist, desto flexibler und wandelbarer ist sie. Die beiden außenstehenden Ebenen, die
organisationale und die äußere Ebene, zeichnen sich daher durch grundsätzliche Ver-
änderbarkeit aus, d. h. ein Individuum kann diese – zumindest dem Grunde nach – für
8 J. Meister und M. Hörmeyer

Abb. 1 Das Prinzip der „4 Layers of Diversity“ frei nach Gardenswartz und Rowe. (Abbildung
frei nach Gardenswartz und Rowe: „4 Layers of Diversity)

sich verändern.5 Die grundsätzliche Veränderbarkeit spielt für den Wert der Dimension
jedoch keine Rolle. Jede Dimension ist genauso wichtig wie die andere.
Bei den Kern-Dimensionen, die unmittelbar im Umkreis um die Persönlichkeit herum
angeordnet sind, ist diese Veränderbarkeit nicht mehr gegeben. Die Kern-Dimensionen
stellen die nahezu unveränderbaren Eigenschaften eines Menschen dar. Zugleich haben

5 Dassdies in der Realität häufig schwierig, für viele Menschen individuell zu einem bestimmten
Maße auch unmöglich ist (z. B. „Einkommen“ frei zu ändern), ist evident. Es geht hier um das
konzeptionelle Verständnis einer Veränderbarkeit.
Diversity in der öffentlichen Verwaltung – eine Einführung 9

sie den größten Einfluss auf dessen Ein- oder Ausgrenzung in der Gesellschaft. Die hier
genannten sieben Merkmale Alter, ethnische Herkunft und Nationalität, Geschlecht
und geschlechtliche Identität, körperliche und geistige Fähigkeiten, Religion und Welt-
anschauung, sexuelle Orientierung sowie soziale Herkunft6 sind aus diesem Grund der
zentrale Ausgangspunkt des Diversity Management.
Ausgehend von diesen Überlegungen der Charta der Vielfalt e. V. hat schließlich die
Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) im Jahr 2022 die
sieben Kern-Dimensionen aufgegriffen und mit speziellem Fokus auf die öffentliche
Verwaltung beschrieben. Demnach besteht folgendes Verständnis von Diversity in der
öffentlichen Verwaltung, welches auch in dem vorliegenden Buch als Grundverständnis
verwendet wird (vgl. KGSt 2022, S. 10 ff.):

Diversity beschreibt die Vielfalt von Menschen


Menschen mit unterschiedlichen körperlichen und geistigen Fähigkeiten
Menschen unterschiedlichen Alters
Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft und Nationalität
Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen
Menschen mit unterschiedlicher sozialer Herkunft und unterschiedlichen
Lebenssituationen
Menschen unterschiedlicher Geschlechter und unterschiedlichen geschlecht-
lichen Identitäten
Menschen mit unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen

Menschen mit unterschiedlichen körperlichen und geistigen Fähigkeiten In


öffentlichen Verwaltungen sollte darauf geachtet werden, dass Menschen mit unter-
schiedlichen körperlichen und geistigen Fähigkeiten sowie Menschen mit gesundheit-
lichen Beeinträchtigungen (zum Beispiel chronische oder psychische Erkrankungen) ein
angemessenes sowie barrierefreies Arbeitsumfeld finden und individuelle Karrierewege
einschlagen können. (vgl. KGSt 2022, S. 11).

Menschen unterschiedlichen Alters Das Generationen-Thema spielt im Diversity-


Kontext nicht zuletzt aufgrund des demografischen Wandels eine wichtige Rolle, da
zwischen mehreren Generationen (zum Beispiel Baby-Boomer, Generation Z) durch
unterschiedliche Werte, Erfahrungen oder Vorurteile Konfliktpotenziale im Arbeits-
alltag entstehen können. Ein gegenseitiges Verständnis der Bedürfnisse unterschied-

6 Die Erweiterung um die siebte Dimension „Soziale Herkunft“ erfolgte durch die Charta der Viel-
falt e. V.; im Ausgangskonzept der 4 Layers of Diversity nach Gardenswartz und Rowe (1998) ist
die soziale Herkunft nicht als Kern-Dimension bzw. innere Dimension erfasst.
10 J. Meister und M. Hörmeyer

licher Generationen ist daher zentral für ein erfolgreiches Diversity Management in der
öffentlichen Verwaltung. (vgl. KGSt 2022, S. 12).

Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft und Nationalität Unterschied-


liche Kultur- und Sprachhintergründe bereichern die Belegschaft einer öffentlichen Ver-
waltung und tragen zur Perspektivenvielfalt bei. Sie können aber auch zu Konflikten und
Missverständnissen führen. Gerade bei Teamarbeit muss daher darauf geachtet werden,
dass Führungskräfte und Mitarbeitende Verständnis und Offenheit für alle Kolleg*innen
haben und die Gemeinsamkeiten in den Blick nehmen. Aber auch da, wo es keine
kulturellen Unterschiede gibt, können Stereotypen, tiefsitzende Vorurteile und Alltags-
rassismus die Zusammenarbeit belasten. (ebd.).

Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen Menschen mit unter-


schiedlichen sexuellen Orientierungen (zum Beispiel Bisexualität, Homosexualität,
Asexualität) sehen sich häufig mit Vorurteilen ihrer Mitmenschen konfrontiert. Auch
heute noch wird Heterosexualität meist als Norm angesehen, sodass Personen, die nicht
dieser vermeintlichen gesellschaftlichen Norm angehören, ihr privates Umfeld im beruf-
lichen Kontext nicht ansprechen oder dieses sogar verstecken. Hier braucht es einen
offenen Umgang und Dialog. (ebd.).

Menschen mit unterschiedlicher sozialer Herkunft und unterschiedlichen Lebens-


situationen Für Menschen aus sozial benachteiligten Familien und Gegenden sind
Karrierewege grundsätzlich beschwerlicher als für Menschen aus sozial privilegierten
Familien und Gegenden. Dieses Ungleichgewicht muss zukünftig aufgehoben werden.
Außerdem ist relevant, dass für Menschen in bestimmten Lebenssituationen (zum Bei-
spiel Alleinerziehende, Menschen aus Arbeiterfamilien, Menschen, die Angehörige
pflegen) ein geeignetes Arbeitsumfeld und attraktive Entwicklungsmöglichkeiten
angeboten werden. (ebd.).

Menschen unterschiedlicher Geschlechter und unterschiedlichen geschlecht-


lichen Identitäten Diese Diversity-Dimension beschreibt die gleichberechtigte
Förderung von Menschen unabhängig von ihrem biologischen und sozialen Geschlecht.
Die Dimensionen „unterschiedliche sexuelle Orientierungen“ und „unterschiedliche
Geschlechter und geschlechtliche Identitäten“ werden im deutschsprachigen Raum
häufig auch mit LSBTIQ oder LGBTIQ abgekürzt7. (ebd.).

7 LSBTIQ steht für lesbische, schwule und bisexuelle sowie trans- und intergeschlechtlichen und
andere queere Menschen. In der englischsprachigen Variante wird das „S“ durch „G“ (für gay)
ersetzt.
Diversity in der öffentlichen Verwaltung – eine Einführung 11

Menschen mit unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen Unterschied-


liche religiöse Überzeugungen (zum Beispiel christlicher, muslimischer, jüdischer oder
buddhistischer Glaube) sowie der Atheismus bringen eine erhebliche Diversität in die
Weltanschauung von Menschen. In Organisationen kann dies zu Vorurteilen innerhalb
der Belegschaft führen. Aus diesem Grund sind Möglichkeiten des Austausches sowie
der Aufklärungsarbeit notwendig. (ebd.).

Die vorgestellten Dimensionen beschreiben insgesamt sieben Ausprägungen


gesellschaftlicher Vielfalt. Sie können beispielsweise herangezogen werden, um die
Diversität in der Belegschaft einer öffentlichen Verwaltung zu operationalisieren und
mithin sichtbar zu machen. Sie können aber zum Beispiel auch als Grundlage für die
Entwicklung Diversity-orientierter Leitbilder und Strategien genommen werden, um
strategische Ziele und Kennzahlen nach den Diversity-Dimensionen auszurichten. Die
Kenntnis der Diversity-Dimensionen ermöglicht also sehr unterschiedliche Anwendungs-
fälle im Verwaltungshandeln.
An dieser Stelle sollten wir in Erinnerung rufen, dass Diversity-Modelle begrenzten
Modellcharakter haben (vgl. Beginn des Kapitels). Die Realität ist immer vielschichtiger
als die Modellabbildung. Erstens ist die hier vorgestellte Auflistung weder abschließend
noch statisch, sondern zeigt diejenigen Dimensionen auf, die vor dem Hintergrund
aktueller gesellschaftlicher, politischer und sozialer Themen und Entwicklungen für die
öffentliche Verwaltung von hoher praktischer Relevanz sind. Denkbar ist zum Beispiel,
dass in Zukunft auch neue bzw. andere Dimensionen in den Vordergrund rücken könnten
(zum Beispiel eine Dimension wie „Digitale Affinität“, um Vorurteile zwischen Jung
und Alt oder Phänomene wie die sog. „digitale Spaltung“ besser zu erfassen? Oder eine
andere neue Dimension, um den Unterschied zwischen Lebensentwürfen in städtischen
und ländlichen Räumen zu erfassen?). Zweitens verleiten die Diversity-Dimensionen
dazu, etwaige Benachteiligungen solitär, d. h. in isolierter Perspektive zu betrachten.
Dies würde aber vor allem der Vielschichtigkeit von Diskriminierungserfahrungen nicht
gerecht werden. Häufig werden Menschen nicht nur aufgrund eines singulären Merkmals
diskriminiert, sondern sind multiplen Diskriminierungsformen ausgesetzt. Eine junge
trans Frau mit Migrationsbiografie wird in ihrer Verwaltungslaufbahn möglicherweise
intensivere Diskriminierungserfahrung machen müssen als andere (Sexismus, Rassis-
mus, Trans-Diskriminierung, Altersdiskriminierung). Damit ist das Phänomen von
sogenannten Mehrfachdiskriminierungen bzw. Mehrfachmarginalisierungen angerissen.
Diese Überschneidung und dieses Zusammenwirken multipler Diskriminierungsformen
wird als Intersektionalität verstanden8 (Adusei-Poku und Shooman 2012).

8 Wichtigist, die Konzeption von Intersektionalität grundlegend zu kennen, für eine nähere
Befassung empfehlen wir die angegebene Quelle (Adusei-Poku und Shooman 2012).
12 J. Meister und M. Hörmeyer

4 Warum sich die aktive Gestaltung von Diversity für die


öffentliche Verwaltung lohnt

Angesichts der hohen gesellschaftlichen Relevanz von Diversity sollte eigent-


lich evident sein, dass auch die öffentliche Verwaltung die Gestaltung von Vielfalt als
zentrale originäre Aufgabe wahrnehmen muss. Doch angesichts der zahlreichen Fach-
aufgaben, mit denen sich öffentliche Verwaltungen heutzutage befassen, erscheint
gleichwohl Diversity oftmals immer noch eher als eine Art „lästige Aufgabe“, zumeist
typischerweise der Personalabteilung. Eine solche Wahrnehmung wird den Chancen und
Potenzialen von Diversity nicht gerecht.
Erstens sollte Diversity nicht als bloße, rechtliche Pflichtaufgabe verstanden werden.
Zwar umfasst Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung auch die gebotene Umsetzung
des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes oder des Allgemeinen Gleich-
behandlungsgesetzes (AGG). Das AGG verfolgt das Ziel, „Benachteiligungen aus
Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion
oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu ver-
hindern oder zu beseitigen“ (§ 1 AGG). Die Realisierung und Einhaltung dieser gesetz-
lichen Vorgabe ist evident zwingend geboten.
Zweitens sollte Diversity vielmehr erweitert auch aus einer Chancenperspektive
gesehen und vermittelt werden. Das strategische und kommunikative Handeln in der
öffentlichen Verwaltung muss darauf ausgerichtet sein, die Potenziale in der Zusammen-
arbeit von Menschen mit unterschiedlichen Biografien, Erfahrungen und Perspektiven zu
identifizieren, zu nutzen und zu vermitteln. Eine solche aktive strategische Gestaltung
von Diversity ermöglicht es, die Chancen von Vielfalt zu nutzen, Diskriminierung zu
bekämpfen, Chancengleichheit zu verwirklichen und noch viele weitere sinnstiftende
Möglichkeiten für Beschäftigte und Bürger*innen zu realisieren. Im Ergebnis eröffnet
die Anerkennung und Wertschätzung von Vielfalt der öffentlichen Verwaltung neue
Möglichkeiten, aktuelle und zukünftige Herausforderungen besser zu meistern und die
öffentliche Verwaltung zu modernisieren. Nachfolgend sind einige beispielhafte Chancen
und Vorteile dargestellt, die mit der aktiven Gestaltung von Diversity in der öffentlichen
Verwaltung verbunden sind (vgl. Hörmeyer und Meister 2022a, b):

Diversity erhöht Problemlösungsfähigkeit

In Zeiten des Arbeitskräftemangels muss die öffentliche Verwaltung neue Wege


gehen, um vielfältige Talente zu gewinnen und zu binden. Das Potenzial von diversen
Teams in der Verwaltung ist groß: Je vielfältiger Teams sind, desto höher ist die
Chance, die erforderliche Problemlösungsfähigkeit, Kreativität und Innovationskraft
abrufen zu können, um die komplexen Aufgaben der heutigen Zeit zu lösen. Es lohnt
sich also, diverse Teams und Führungskräfte zu etablieren und so die Perspektiven-
vielfalt in der öffentlichen Verwaltung zu sichern.
Diversity in der öffentlichen Verwaltung – eine Einführung 13

Diversity schafft Nähe zu Bürger*innen

Die Individualisierung und Pluralisierung der Gesellschaft führt zu veränderten


Ansprüchen und Erwartungen der Menschen gegenüber der öffentlichen Verwaltung.
Verbundene Megatrends wie die Digitalisierung beschleunigen und verstärken diese
Entwicklung noch weiter. Eine vielfältige Verwaltung ist institutionell empathischer
und mithin besser in der Lage, Verwaltungsleistungen neu zu denken und sich
nutzer*innenzentrierter aufzustellen. Sie ist besser in der Lage, menschenzentrierte
Verwaltungsangebote zu schaffen. Darüber hinaus spielt die öffentliche Verwaltung
eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der lokalen Gemeinschaft und Daseinsvor-
sorge. Eine öffentliche Verwaltung, die „Spiegelbild der Gesellschaft“ (s. o.) ist, wird
von der Bevölkerung positiv wahrgenommen, eher akzeptiert und kann ihre Bedürf-
nisse besser erfüllen.

Diversity begegnet demografischen Wandel und Arbeitskräftemangel

Die demografische Entwicklung und der wachsende Arbeitskräftemangel stellen


signifikante Herausforderungen für die öffentliche Verwaltung dar. Die aktive
Gestaltung von Diversity bietet die Chance, zum Beispiel das Recruiting neu zu
aufzustellen und vielfältige neuer Mitarbeitende für die öffentliche Verwaltung zu
gewinnen. Durch Diversity kann sich die öffentliche Verwaltung mithin für neue
„Potenzialträger*innen“ öffnen und diese langfristig gewinnen.

Diversity erhöht Mitarbeitendenzufriedenheit

Die sich verändernde Gesellschaft spiegelt sich auch in der Belegschaft wider.
Beschäftigte haben vielfältige Bedarfe und befinden sich in unterschiedlichen Lebens-
situationen. Neue, Diversity-sensible Wege in der Personal- und Führungskräfte-
entwicklung zu gehen bedeutet, diesen veränderten Anforderungen auch aus der
Belegschaft gerecht werden zu können.

Diversity fördert Image

Diversity spielt auch in der gesellschaftlichen, medialen Wahrnehmung der


öffentlichen Verwaltung eine große Rolle. Durch die Förderung von Diversity kann
sich die öffentliche Verwaltung als vielfältige und attraktive Arbeitgeberinnen
präsentieren. Auch sogenannte „Quick-Win“-Maßnahmen, wie etwa symbolische
Aktivitäten, sind durchaus wertvoll, um positive Aufmerksamkeit zu generieren und
die Motivation von Beschäftigten zum Engagement für mehr Vielfalt zu fördern
(zum Beispiel Durchführung von sichtbaren Aktionen zum jährlichen Diversity-Tag,
Botschaften zur Förderung von Vielfalt im Rahmen von Recruiting-Maßnahmen).
Wichtig ist, die gewonnene Aufmerksamkeit und Motivation nachhaltig festzuhalten
14 J. Meister und M. Hörmeyer

und geweckte Erwartungen zu erfüllen – damit Diversity nicht nur Feigenblatt ist,
sondern wirklich aktiv und nachhaltig gestaltet wird.

5 Warum die aktive Gestaltung von Diversity eine


gesamtorganisationale Aufgabe für die öffentlichen
Verwaltung ist

Die Gestaltung von Diversity ist eine gesamtgesellschaftliche, aber auch gesamt-
organisationale Aufgabe für die öffentliche Verwaltung. Insofern ist Diversity eine Quer-
schnittsaufgabe, die von allen Fachbereichen einer öffentlichen Verwaltung beachtet,
gestaltet und gelebt werden muss. In der Praxis wird deutlich, dass Diversity sich in den
unterschiedlichsten Aufgabenfeldern der öffentlichen Verwaltung zeigt und besondere
Relevanz einnimmt. Nachfolgend werden einige Aufgabenfelder beispielhaft aufgezeigt
(Hörmeyer und Meister 2022a, b):

Organisation

Die Verankerung von Diversity in der Organisation ist ein kultureller Entwicklungs-
prozess. Diversity muss als Bestandteil der Führungs- und Organisationskultur ver-
standen werden. Das setzt voraus, dass sich Verwaltungsführung und sämtliche
Führungskräfte mit Diversity auseinandersetzen. Interne Prozesse, Strukturen und
Vorgaben müssen diversitätsorientiert weiterentwickelt werden. Einzelne beispiel-
hafte Instrumente wären etwa die Erhöhung der Möglichkeiten flexibler Arbeitszeiten
nach individuellen Bedürfnissen oder die Beteiligung von Nutzer*innen in Projekten.
Führungskräfte haben die Verantwortung, als Vorbild einen wertschätzenden
zwischenmenschlichen Umgang zu fördern. Darüber hinaus müssen Bottom-up-Ent-
wicklungen zugelassen und gefördert werden, um Netzwerke entstehen zu lassen und
Diversity prozessimmanent zu gestalten.

Personalmanagement

Sämtliche Teilbereiche des Personalmanagement sollten aus der Diversity-Brille


heraus betrachtet und gestaltet werden. Insbesondere Recruiting-Prozesse sowie
Maßnahmen der Personalentwicklung müssen konsequent im Hinblick auf mög-
liche Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsproblematiken untersucht werden.
Oberstes Gebot ist eine Chancengleichheit für alle. Dabei müssen sowohl formale
Diskriminierungen (zum Beispiel der unbegründete Ausschluss von Teilzeit oder
Homeoffice), informelle Diskriminierungen (zum Beispiel das „Erfolgsprinzip
Ähnlichkeit“) als auch zum Teil unbewusste Diskriminierungen (zum Beispiel die
Förderung von männlich-dominierten Kompetenzanforderungen) identifiziert und auf-
gelöst werden.
Diversity in der öffentlichen Verwaltung – eine Einführung 15

Personalentwicklung

Eine erfolgreiche Personalentwicklung zielt darauf ab, die Leistungsfähigkeit und


-bereitschaft der Mitarbeitenden sicherzustellen, Kompetenzen der Mitarbeitenden
zu entwickeln, Personal zu binden und Kulturentwicklungsprozesse zu fördern.
Einerseits müssen Instrumente der Personalentwicklung unter Berücksichtigung
der Diversity-Dimensionen weiterentwickelt werden. Andererseits ermöglicht diese
Weiterentwicklung, dass individuelle Bedarfe von Mitarbeitenden deutlich besser
erkannt und berücksichtigt werden können. Zu den Instrumenten der Personalent-
wicklung, die für eine aktive Gestaltung von Diversity besonders relevant sind,
gehören etwa Onboardings (zum Beispiel Vermittlung eines positiven „Willkommens-
gefühls“, Berücksichtigung individueller Bedürfnisse), Mentorings (zum Beispiel für
Frauen, Nachwuchskräfte, Personen mit Migrationsbiografien) sowie Aus-, Fort- und
Weiterbildungsprogramme (zum Beispiel Vermittlung von Diversity-Kompetenz).

Führung

Führungskräfte haben im Kontext von Diversity eine herausragende Rolle. Sie sind
Vorbilder und erste Ansprechperson, wenn Teammitglieder zum Beispiel Dis-
kriminierungen erfahren haben oder individuelle Bedürfnisse äußern wollen.
Eine Diversity-orientierte Führung zeigt sich beispielhaft in der strategischen und
operativen Zielsteuerung, indem Ziele gesetzt bzw. vereinbart werden, die auf die
Stärkung von Vielfalt einzahlen. Bei der Aufgaben- und Einsatzplanung sollten
Führungskräfte individuelle Bedürfnisse einzelner Teammitglieder berücksichtigen.
Häufig ergeben sich aus den unterschiedlichen Diversity-Dimensionen heraus spezi-
fische Bedürfnisse, die nicht alle Teammitglieder direkt vor Augen haben. Berufs-
tätige Eltern brauchen vielleicht regelmäßig nachmittags einige Stunden frei, um
ihre Kinder abzuholen und sich um sie zu kümmern. Die Arbeit wird dann am Abend
nachgeholt. Beschäftigte mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen werden nicht
immer in der Lage sein, Behandlungstermine außerhalb der Arbeitszeit zu legen.
Durch die Berücksichtigung individueller Belange können mehr Verständnis und
Empathie im Team aufgebaut werden.

Aufbau von diversen Teams

Mit diversen Teams sind zahlreiche Vorteile verbunden (s. o.). Gleichwohl sind
diverse Teams kein Selbstläufer. Es braucht förderliche Rahmenbedingungen sowie
vor allem motivierte, engagierte und offene Mitarbeitende und Führungskräfte. Es
würde kaum etwas bringen, wenn zum Beispiel Frauen oder jüngere Menschen zwar
mit am Tisch sitzen, aber realiter nicht gehört werden. Diversity endet daher nicht mit
der Schaffung von formaler Repräsentativität, sondern muss ambitioniert sein und
sicherstellen, dass vielfältige Perspektiven in alle zentralen Entscheidungsprozesse
inkludiert werden. Gleichzeitig müssen bestehende Mitarbeitende und Führungskräfte
16 J. Meister und M. Hörmeyer

(0. Politische 1. Ziele 2. Status quo 3. Strategie 4. Maßnahmen 5. Erfolg


Vorklärung) definieren analysieren planen umsetzen messen

Abb. 2 Vorgehensmodell zur Einführung von Diversity Management. (Eigene Abbildung frei
nach Charta der Vielfalt 2017, S. 28)

im Rahmen der Personalentwicklung ihre Diversity-Kompetenz sukzessive ausbauen.


Das Arbeiten in diversen Teams wird so gefördert und Schritt für Schritt zur Selbst-
verständlichkeit.

Services für Bürger*innen

Eng verbunden mit Diversity ist die nutzerinnen- beziehungsweise nutzerzentrierte


Gestaltung von Verwaltungsdienstleistungen (sog. „Service Design“). Konsequent aus
allen Vielfaltsdimensionen heraus gedachte Dienstleistungen ermöglichen einen Ver-
waltungsservice mit einer möglichst hohen Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger.
Service Design ist ein Paradebeispiel für das positive Zusammenspiel von Diversity
und Innovation: Diversity kann aufgrund der oben genannten Perspektivenvielfalt neue
nutzerinnen- beziehungsweise nutzerzentrierte Innovationen fördern. Voraussetzung
ist, dass positive Werte und Normen in der Teamzusammenarbeit etabliert sind, welche
die soziokulturellen Unterschiede tatsächlich in einen Vorteil verwandeln. Weiter-
hin brauchen Verwaltungsmitarbeitende gerade im Kundenkontakt (zum Beispiel im
Bürgerbüro oder Ordnungsdienst) eine hoch ausgeprägte interkulturelle Kompetenz.

Die soeben vorgenommene Auflistung ist nicht vollständig, sondern exemplarisch zu ver-
stehen. Nicht genannt sind die sektoralen Fachbereiche der öffentlichen Verwaltung, wo
die aktive Auseinandersetzung mit Diversity aber mindestens genauso von Bedeutung ist.
Auch in den Ordnungs-, Sozial-, Jugend-, Schul-, Kultur-, Bau-, Umweltämtern und in
den vielen weiteren Dienststellen ermöglicht die Befassung mit Diversity, neue Sicht-
weise zu generieren und Potenziale für menschenfreundliche Verbesserungen für alle zu
erreichen – für Beschäftigte und für Bürger*innen. Es wird deutlich, dass in sämtlichen
Fachfeldern der öffentlichen Verwaltung ein Denken und Handeln in Diversity mög-
lich und sinnvoll ist. Wie ein Diversity Management als systematisches Konzept in die
öffentliche Verwaltung eingeführt werden kann, wird im nachfolgenden Kapitel gezeigt.

6 Wie Diversity Management in der öffentlichen Verwaltung


systematisch eingeführt werden kann

Nach den Erfahrungen der Charta der Vielfalt e. V. hat sich das nachstehende
standardisierte Vorgehensmodell für öffentliche Verwaltung bewährt. Das
Vorgehensmodell der Charta der Vielfalt e. V. sieht fünf Schritte vor, die eine erfolg-
Diversity in der öffentlichen Verwaltung – eine Einführung 17

reiche Implementierung und Umsetzung von Diversity Management in der öffentlichen


Verwaltung in einem qualitativen Prozess ermöglichen9 (siehe Abb. 2; Charta der Vielfalt
2017, S. 28):
Vor dem eigentlichen systematischen Umsetzungsbeginn bedarf es zunächst einer
politischen Vorklärung („Schritt 0“), um die Rahmenbedingungen zu definieren und
Kooperationen mit wichtigen Stakeholder*innen sicherzustellen: Ist der Wille der Ver-
waltungsleitung, sich für Diversity einzusetzen, erkennbar (ebd.)? Gibt es bereits
Leitbilder oder Strategien, die sich auf Diversity beziehen oder auf Diversity-Ziele ein-
zahlen? Was muss getan werden, um ein solches Diversity-Leitbild oder eine Diversity-
Strategie zu entwickeln?
Sind die grundlegenden Weichen mit dem Bekenntnis der Verwaltungsleitung und
einem Leitbild gestellt, werden im 1. Schritt die strategischen und operativen Ziele
festgelegt. Dabei kann die bewährte Management-Methode der „SMARTen“ Strategie-
formulierung herangezogen werden (ebd.): Die Diversity-Ziele müssen spezifisch,
messbar, attraktiv/akzeptiert, realistisch und terminiert sein. Leitfragen für die Ziel-
formulierung können sein: Welche Wirkungen wollen wir für welche Zielgruppe erzielen
(Outcome)? Welche Wirkungen wollen wir auf gesellschaftlicher Ebene erreichen
(Impact)? Welche fachlichen und organisatorischen Themenschwerpunkte wollen wir mit
den Zielen abdecken? Was sind geeignete Indikatoren/Kennzahlen, um die Ziele messbar
zu machen?
Im 2. Schritt wird der Ist-Zustand in der Verwaltung analysiert. Die Charta der Viel-
falt e. V. schlägt hierfür eine interne Analyse vor („Diversity-Check“), auf Basis der
alle strategierelevanten Verwaltungsprozesse auf etwaige mögliche benachteiligende
Effekte hinsichtlich der sieben Diversity-Dimensionen (siehe Abschn. 3) überprüft
werden. Außerdem werden Potenziale zur Förderung von Vielfalt definiert (a.a.O.,
S. 34). Geeignete Leitfragen für den Diversity-Check können sein (a.a.O., S. 29): Welche
Bereiche und Personen befassen sich bereits mit Diversity? Wo gibt es bereits Netz-
werke, Austauschformate, Runde Tische etc., die sich mit Diversity direkt oder indirekt
befassen? Welche Maßnahmen für welche Zielgruppen werden bereits umgesetzt?
Wie sieht die Personalstruktur hinsichtlich der Repräsentation der sieben Diversity-
Dimensionen aus? Was sind mögliche Gründe für etwaige Unter-/Überrepräsentationen?
Wie sehr ist die Verwaltung schon „Spiegelbild der Gesellschaft“ bzw. „Abbild der Ziel-
gruppen“? Liegen Daten zu den Leitfragen vor, wenn nicht, wie können diese erhoben
werden?
Im 3. Schritt erfolgt die Strategieplanung. Hierfür muss ein langfristig ausgerichtetes,
verbindliches Gesamtkonzept erstellt werden (ebd.). Die Verbindlichkeit kann zum Bei-

9 Inder nachfolgenden Darstellung wurde das Vorgehensmodell der Charta der Vielfalt e. V.
als Grundlage genommen und auf Basis der Erkenntnisse der Fachbeiträge des Buchs teilweise
erweitert.
18 J. Meister und M. Hörmeyer

spiel durch Beschluss der Verwaltungsleitung oder durch Beschluss der Politik her-
gestellt werden. Die Verwaltung muss regelmäßig Rechenschaft über die Umsetzung
des Gesamtkonzepts ablegen. Wesentlicher Bestandteil des Gesamtkonzepts sind die
Projekte und Maßnahmen, mit denen auf die Zielerreichung eingezahlt wird. Die Ent-
wicklung der Maßnahmen sollte in einem partizipativen, interdisziplinären Prozess unter
breiter Beteiligung von Beschäftigten auf allen Hierarchieebenen, Expert*innen sowie
Personalvertretungen erfolgen. Je nach Maßnahme sollten auch externe Organisationen,
welche die Interessen einzelner Diversity-Dimensionen vertreten, eingebunden werden
(ebd.). Für diesen 3. Schritt sollten zudem ausreichend finanzielle, personelle und zeit-
liche Ressourcen eingeplant werden (ebd.). Für eine gelungene Umsetzung bedarf es
überdies klarer Verantwortlichkeiten. In Anlehnung an die sog. „RACI-Matrix“10 wären
hierfür geeignete Leitfragen: Wer ist für die Durchführung welcher Maßnahmen (bzw.
welcher Arbeitspakete innerhalb der Maßnahmen) verantwortlich? Wer kann und muss
welche Entscheidungen hierfür treffen (z. B. Ressourcenbereitstellung)? Wer muss
beteiligt werden? Wer muss informiert werden?
Im 4. Schritt werden die entwickelten und konsentierten Maßnahmen umgesetzt.
Auch die Maßnahmenumsetzung sollte partizipativ angelegt sein, um alle Mit-
arbeitenden im Veränderungsprozess mitzunehmen, Ängste und Unsicherheiten abzu-
bauen sowie möglichen Widerständen konstruktiv zu begegnen (ebd.). Flankierend ist
eine regelmäßige Kommunikation erforderlich, um Informationsdefizite abzubauen,
Überzeugungsarbeit zu leisten, sichtbare Ergebnisse bekannt zu machen („Tue Gutes
und rede darüber!“) sowie mithin Begeisterung und Motivation zu sichern. Die für die
Maßnahmenumsetzung verantwortlichen Teams und Personen sollten im regelmäßigen
Austausch stehen, um wechselseitig voneinander zu lernen, Erfahrungen zu berichten,
Synergien zu identifizieren und sich gegenseitig zu unterstützen.
Im 5. Schritt erfolgt die Erfolgsmessung. Das Controlling der festgelegten Ziele
mittels der Indikatoren/Kennzahlen ist ein zentraler Faktor für den Erfolg eines Diversity
Management (ebd.). Die laufende Erfolgskontrolle ermöglicht es, frühzeitig Fehlent-
wicklungen zu erkennen, entsprechende Anpassungen in Strategie und Maßnahmen
zu antizipieren sowie den Umsetzungsprozess kontinuierlich zu verbessern (ebd.). Im
Rahmen des Controllings müssen die Maßnahmen stets aus einer ganzheitlichen, über-
greifenden Perspektive betrachtet werden, um sowohl die spezifische Umsetzung der
Maßnahmen im Blick zu behalten als auch „das Große und Ganze“ nicht aus den Augen
zu verlieren. Oder anders ausgedrückt: Ein gutes Controlling beantwortet einerseits die
Fragestellung „Tun wir es richtig?“ (Implementierungsfortschritt), zugleich fortlaufend
aber auch die Frage „Tun wir das Richtige?“ (tragen die Maßnahmen zur Zielerreichung
bzw. zum Outcome und Impact wirklich bei?).

10 RACI steht für Responsible, Accountable, Consulted, Informed und ist eine bewährte Methode

zur Strukturierung von Verantwortlichkeiten, etwa in Projekten.


Diversity in der öffentlichen Verwaltung – eine Einführung 19

Im Rahmen der praktischen Anwendung dieses Vorgehensmodells sollten vor allem


zwei Aspekte beachtet werden: Erstens bieten solche Vorgehensmodelle allenfalls eine
Orientierung für die Praxis. Sie liefern keineswegs ein „Schema F“, welches abgearbeitet
werden kann. Jede öffentliche Verwaltung muss ihren eigenen spezifischen Weg bei der
Einführung von Diversity Management finden und dabei das kulturelle, organisatorische
und soziale Umfeld, in dem die öffentliche Verwaltung agiert, verstehen und als Ein-
flussfaktor berücksichtigen. Zweitens müssen die o. g. fünf Schritte – im wahrsten Sinne
– mit Leben gefüllt werden. Diversity Management ist kein linearer Prozess, bei dem
es darum geht, Checklisten und Meilensteine abzuhaken. Es geht vielmehr um eine von
allen gewollte und geteilte Selbstverpflichtung, also ein echtes Bekenntnis zur Förderung
von Vielfalt. Aus dieser diversitätsbewussten Haltung leiten sich alle weiteren Tätig-
keiten ab – ganzheitlich von der kulturellen, strategischen, organisatorischen bis hin zur
fachlichen Ebene wie auch vertikal von der Führungsebene bis zur Arbeitsebene einer
Verwaltung. Die zahlreichen Fachbeiträge in den Teilen 2–6 dieses Buchs geben wert-
volle Erfahrungsberichte und Praxishinweise, wie ein attraktives, nachhaltiges und mit
Leben gefülltes Diversity Management aussehen kann.

7 „Diversity und öffentliche Verwaltung, quo vadis?“ –


Warum ein langer Atem notwendig ist

Die Ausführungen zeigen, dass die öffentliche Verwaltung in den kommenden Jahren
nicht am Thema Diversity vorbeikommen wird. Die Auswirkungen auf die öffentliche
Verwaltung selbst und die Wechselwirkungen zwischen öffentlicher Verwaltung und
Gesellschaft sind signifikant. Vor diesem Hintergrund muss Diversity als Führungsthema
etabliert und in Leitbild- und Strategieprozessen berücksichtigt werden. Eng damit ver-
bunden ist ein gesamtorganisationaler kultureller Entwicklungsprozess. Die Notwendig-
keit einer aktiven Gestaltung von Diversity in der öffentlichen Verwaltung ist deutlicher
denn je. Die Übersetzung in Verwaltungshandeln erfolgt über eine klare, systematische
und strategische Steuerung, mit der das Thema Diversity ganzheitlich und breitenwirk-
sam in der Verwaltungsorganisation verankert wird.
Ein solches strategisches Bewusstsein über Diversity wird nicht von „heute auf
morgen“ entwickelt und implementiert sein – auch nicht in der öffentlichen Verwaltung.
Die aktive Gestaltung von Diversity ist vielmehr ein kontinuierlicher Prozess, der das
Mitmachen von motivierten Beteiligten auf allen Verwaltungsebenen erfordert und Ein-
fluss in sämtliche Sphären der öffentlichen Verwaltung nehmen muss. Angesichts dessen
dürfte klar sein: Die aktive Gestaltung von Diversity erfordert einen langen Atem. Viele
kleine Schritte werden erforderlich sein, um große Veränderungen zu erzeugen. Auch
manche Rückschläge werden zu verkraften sein. Im Nachfolgenden werden einige
Mindestanforderungen für ein nachhaltiges Gelingen von Diversity Management in der
öffentlichen Verwaltung formuliert (Hörmeyer und Meister 2022a):
20 J. Meister und M. Hörmeyer

Diversity braucht Strategie und Zusammenarbeit

Öffentliche Leitbilder und Entwicklungspläne brauchen konkrete Bekenntnisse


zum Thema Diversity, sodass nach innen und nach außen deutlich wird, dass die
öffentliche Verwaltung das Thema aktiv fördert. Wichtig ist in diesem Zusammenhang
auch, dass Diversity nicht nur ein Thema der öffentlichen Verwaltung ist, sondern
gemeinsam mit Politik und Zivilgesellschaft gestaltet wird. Nur so gelingen wirksame
Maßnahmen und Aktivitäten „Hand in Hand“.

Diversity braucht Ressourcen und klare Verantwortlichkeiten

Diversity wird nicht „nebenher gemacht“, sondern ist zentrale Steuerungsauf-


gabe einer öffentlichen Verwaltung. Dabei ist eine organisatorische Kombination
von zentraler und dezentraler Steuerung förderlich. In einer öffentlichen Ver-
waltung bedarf es einer zentralen Verantwortlichkeit für die Gesamtkoordination
von Diversity-Aktivitäten sowie die strategische Entwicklung. Eine solche zentrale
Steuerungsunterstützung kann in Ministerien zum Beispiel direkt bei der Ministerial-/
Behördenleitung, Zentralamts- bzw. Zentralabteilungsleitung, in Kommunen bei
Bürgermeister*innen beziehungsweise Landrät*innen oder bei den Hauptamts-
leitungen angesiedelt sein. Für die operative Umsetzung ist eine dezentrale Ver-
antwortung anzustreben, um Diversity zum Breitenthema zu entwickeln und in die
Fachlichkeit zu bringen. Die operative Verantwortung können zum Beispiel Projekt-
verantwortliche in den Fachbereichen oder freiwillige Diversity-Multiplikatorinnen
und Multiplikatoren übernehmen. Darüber hinaus sind die gesetzlich definierten
Beauftragten-Rollen (zum Beispiel Gleichstellungsbeauftragte oder Vertrauens-
personen für schwerbehinderte Menschen) aktiv in das Diversity Management einzu-
binden, um die Repräsentanz aller Menschen zu gewährleisten. Zudem verfügen die
Beauftragten-Rollen über machtvolle Instrumente zur Gleichstellungsdurchsetzung,
die im Diversity-Interesse eingesetzt werden können.

Diversity braucht Power von unten und von oben

Anders als bei anderen „Megathemen“ entsteht das Bewusstsein für Diversity in der
Praxis häufig zunächst bottom-up, also aus der Belegschaft heraus. So gibt es wohl
in jeder öffentlichen Verwaltung einzelne Mitarbeitende oder kleine Gruppen von
Mitarbeitenden, die sich intrinsisch motiviert für Vielfaltsthemen engagieren wollen.
Gleichwohl ist es Aufgabe des Management, solche Potenziale zu erkennen, zu
fördern und in organisatorisch wirksame Strukturen und Prozesse zu transformieren.
Dies kann zum Beispiel durch die Schaffung von institutionalisierten Netzwerken,
Bereitstellung von Ressourcen (zum Beispiel Freiräume im Rahmen der Arbeits-
zeit) oder durch Zielvereinbarungen (zum Beispiel die Vereinbarung zu Diversity-
Maßnahmen oder -Fortbildungen) gelingen.
Diversity in der öffentlichen Verwaltung – eine Einführung 21

Diversity braucht Zeit und Diskurs

Diversity ist keine Disziplin, die von heute auf morgen in der Organisation verankert
wird. Sie erfordert Geduld und kann einen intensiven und kontroversen Diskurs
hervorrufen. Der Diskurs auf allen Hierarchieebenen ist aber notwendig und muss
aktiv angestoßen werden. Eine moderierte kritische Auseinandersetzung ist die beste
Möglichkeit, eigene Denkmuster und Verhaltensweisen zu reflektieren.

Diversity braucht Werte und Normen

Diversity ist ein individueller und organisationaler Lernprozess. Im Zuge dieses Lern-
prozesses ist es notwendig, klare Werte und Normen für den Umgang miteinander
zu definieren. Beispiele hierfür sind Wertschätzung, Offenheit, Vertrauen oder das
Gespräch auf Augenhöhe – unabhängig von Hierarchien.

Diversity als Basis für erfolgreiche Teams und Fortschritt

Diversity hat im Kontext Digitalisierung und Innovation eine wichtige Rolle. Projekt-
teams müssen divers aufgestellt sein, um eine inklusive Gestaltung von modernen
Verwaltungsangeboten zu gewährleisten. Allerdings reicht es nicht aus, ein Team
entsprechend den Vielfaltsdimensionen aus möglichst unterschiedlichen Menschen
zusammenzusetzen. Vielmehr ist es wichtig, im Team den kulturellen Lernprozess
anzustoßen, sodass Teammitglieder ihre Unterschiedlichkeit gegenseitig wertschätzen
und dadurch das Potenzial ihrer Vielfalt mehr und mehr ausschöpfen können.

8 Fazit

Die vorgenommene Einführung von Diversity in der öffentlichen Verwaltung macht


deutlich, dass es sich lohnt, die Vielfalt in öffentlichen Verwaltungen aktiv zu gestalten.
Mit ihr sind zahlreiche Potenziale verbunden, die sinnstiftend genutzt werden sollten,
um die öffentliche Verwaltung für die Zukunft „fit zu machen“. Nachfolgend werden die
zentralen Erkenntnisse in Kürze zusammengefasst:

Zusammenfassung
Diversity bietet die Chance, die öffentliche Handlungsfähigkeit sicherzustellen
und durch eine öffentliche Verwaltung als „Spiegelbild der Gesellschaft“ die
gesellschaftliche Akzeptanz der Institutionen zu erhöhen.
Diversity zielt darauf ab, eine offene und wertschätzende Verwaltungskultur zu
etablieren, die Verwaltung zur vielfältigen Arbeitgeberin zu entwickeln sowie
Innovationsprozesse und die Verwaltungsmodernisierung durch Perspektiven-
vielfalt zu gestalten. Zudem ermöglicht Perspektivenvielfalt auch, dass
22 J. Meister und M. Hörmeyer

Leistungsangebot der Verwaltung besser auf die Bedürfnisse von Bürger*innen


abzustimmen.
Diversity zu gestalten bedeutet, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit alle
Mitarbeitenden und Führungskräfte ihre individuellen Fähigkeiten, Perspektiven
und Erfahrungen einbringen, entwickeln und Verantwortung übernehmen
können.
Diversity ist ein Thema für alle Beschäftigten und muss als Querschnittsaufgabe
verstanden sowie in alle Bereiche einer Verwaltung integriert werden.
Werden solche progressiven Rahmenbedingungen etabliert, wirkt Diversity als
Motor für eine innovative, sinnstiftende Verwaltungsentwicklung.

Im Rahmen dieses einführenden Beitrags wurden der Diversity-Begriff, die Vorteile, die
Aufgaben sowie die Herausforderungen und Anforderungen im Hinblick auf die aktive
Gestaltung von Diversity in der öffentlichen Verwaltung vorgestellt. Darüber hinaus
wurden anhand von kurzen Beispielen bereits zahlreiche Handlungsfelder skizziert, die
für eine Diversity-bewusste öffentliche Verwaltung von hoher Bedeutung sind. Damit
konnte ein erster Gesamtüberblick über den spannenden Themenbereich von Diversity in
der öffentlichen Verwaltung geschaffen werden.
Um nunmehr einen detaillierten Einblick in die verschiedenen Handlungsfelder zu
gewinnen, werden in den nachfolgenden Fachbeiträgen dieses Buches die unterschied-
lichen Facetten und Aspekte der aktiven Gestaltung von Diversity in der öffentlichen
Verwaltung themenspezifisch diskutiert, eingeordnet und insbesondere Handlungs-
empfehlungen für die Praxis vorgestellt. Als Herausgeber wünschen wir Ihnen an dieser
Stelle viel Spaß beim Lesen.

Literatur

Adusei-Poku, N., Shooman, Y. (2012). Mehrdimensionale Diskriminierung. In: Aus Politik und
Zeitgeschichte, 62. Jahrgang, Heft 16–17/2012, S. 47–52.
Bogumil, J. (2018). Verwaltung, öffentliche. In Handwörterbuch der Stadt- und Raumentwicklung,
S. 2829–2839. Hannover: Verlag der ARL
dbb (2022). Monitor Öffentlicher Dienst 2023, herausgegeben durch die Bundesleitung des dbb
beamtenbund und tarifunion. Berlin: DBB Verlag
Charta der Vielfalt (2017). Vielfalt, Chancengleichheit und Inklusion – Diversity Management in
öffentlichen Verwaltungen und Einrichtungen. Berlin: Charta der Vielfalt e. V.
Charta der Vielfalt (2022). Factbook Diversity. Berlin: Charta der Vielfalt e. V.
Gardenswartz, L, & Rowe, A (1998). Managing Diversity: A Complete Desk Reference and
Planning Guide, Verlag McGraw-Hill, New York.
Hörmeyer, M., & Meister, J. (2022a). Vielfalt als Aufgabe und Chance. In: Innovative Verwaltung,
Heft 05/2022, S. 37–39.
Diversity in der öffentlichen Verwaltung – eine Einführung 23

Hörmeyer, M., & Meister, J. (2022b). Das Potenzial von Vielfalt in den Fokus rücken. In:
Innovative Verwaltung, Heft 10/2022, S. 29–31.
KGSt (2022). Kommunales Diversity Management – Vielfalt als Chance für die Verwaltungs-
modernisierung. Köln: KGSt.

Dr. John Meister ist Experte für Reform- und Transformationsthemen in der öffentlichen Ver-
waltung. Er verfügt über breite interdisziplinäre Verwaltungserfahrung von über 15 Jahren und
war u. a. in Sozial-, Finanz-, Justiz-, Digitalisierungsressorts sowie auf Staatskanzleiebene tätig.
Er leitet aktuell das Referat „Inklusive Jugendhilfe“ in der Hamburger Sozialbehörde und ver-
antwortet die inklusive Ausgestaltung der Kinder- und Jugendhilfe. Daneben ist er Dozent für
Public Management mit Schwerpunkt in sozialwissenschaftlichen Themen an der Hochschule für
Angewandte Wissenschaften Hamburg.

Matthias Hörmeyer ist Referent im Programmbereich Organisations- und Informations-


management der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt). Er
ist Experte für das kommunale Diversity Management, für prozessorientiertes kommunales
E-Government, kommunalen Bürger*innenservice, Service Design und eine nutzenzentrierte
Organisationsgestaltung. Zu diesen Themen hält er Vorträge und schreibt Artikel, Strategien sowie
Konzepte. Außerdem begleitet er Digitalisierungsprojekte im kommunalen Sektor.
Teil II Diversity in der Verwaltungskultur
gestalten

Teil II „Diversity in der Verwaltungskultur gestalten“ beleuchtet die Zusammenhänge


zwischen Diversity und der Verwaltungskultur. Die Basis für ein wirksames Diversity
Management in einer Verwaltung ist eine Organisationskultur, die Diversity fördert
und als Potenzial für die Weiterentwicklung einer Verwaltung wertschätzt. Diversity
Management setzt voraus, dass ein positives Bewusstsein für Vielfalt geschaffen und
von Menschen geteilt wird. Wenn wir von Verwaltungskultur sprechen, dann meinen wir
im Wesenskern insbesondere die Werte, Normen, Überzeugungen, Glaubenssätze und
Symbole einer Verwaltung – kurz: die „kulturelle DNA“, welche bewusst und unbewusst
Einfluss auf das Denken und Handeln von Menschen in der Verwaltung nimmt. Vor
diesem Hintergrund bedeutet dementsprechend „Diversity in der Verwaltungskultur“,
dass wir die Schaffung eines vielfaltsfördernden Umfelds in den Blick nehmen, um die
öffentliche Verwaltung stärker denn je für Vielfalt zu öffnen. Wie ein kultureller Wandel
in der Verwaltung gelingen kann, zeigen die nachfolgenden Fachbeiträge:
Der erste Fachbeitrag „Von Bienchen und Blümchen: Welche Kultur die
Verwaltung für gelingende Vielfalt braucht“ von Meike Reuter beschreibt, wie
in einer eher homogenen Organisation wie der öffentlichen Verwaltung echte Vielfalt
entstehen und gefördert werden kann. Es wird deutlich, dass eine diversitätssensible
und inklusive Kultur gefördert werden muss. Hierzu gibt Meike Reuter zahlreiche
methodische Impulse.
Eine Verwaltungskultur kann sich nur entwickeln, wenn Mitarbeitende und
Führungskräfte das auch wollen und aktiv mitwirken. Das zeigt Zehra Öztürk
eindrucksvoll im Fachbeitrag „Warum gerade ich nach oben gehöre“ am Beispiel
der Öffnung der Verwaltung für Frauen mit Migrationsbiografie in Führungspositionen.
Zehra Öztürk stellt dar, welche Herausforderungen intersektionale Menschen im
Berufleben haben und dass es notwendig ist, sich diesen Herausforderungen zu stellen
und sichtbar zu werden. Zehra Öztürk macht deutlich, warum es wichtig ist, Vorbilder
und Pfade aufzeigen für die Frauen, die gerne nach oben wollen, sich dies aber bisher
nicht zugetraut haben.
26 Teil II Diversity in der Verwaltungskultur gestalten

Der Fachbeitrag „Neue Chancen für den Fachkräftemangel: Vom Diversity


Narrativ einer weißen* Mehrheitsgesellschaft zu einer inklusiven Verwaltung“
von Melanie Peterson adressiert das Thema Rassismus in der Verwaltung und
Verwaltungskultur. In dem Fachbeitrag wird kritisch beleuchtet, wie institutionalisierter
Rassismus bis heute tief in unseren Verwaltungsstrukturen wirkt und was wir im
öffentlichen Sektor tun können und müssen, um eine chancengerechte Teilhabe
jener bisher unterrepräsentierten Gruppen zu gewährleisten – für eine inklusive und
diskriminierungsbewusste Verwaltung.
Als weiteres wichtiges Merkmal einer Diversity-affinen Kultur bespricht Paula Lina
Auksutat in ihrem Fachbeitrag „Inklusive Sprache als Treiber für mehr Vielfalt
in der Verwaltung“ das Thema Sprache. Inklusive Sprache beschreibt eine Art zu
kommunizieren, die respektvoll und rücksichtsvoll gegenüber allen Menschen ist.
Paula Lina Auksutat analysiert die Wirkung von Worten und gibt hilfreiche Tipps, wie
eine Verwaltung sowohl intern als auch extern diskriminierungsfrei, gendersensibel und
barrierearm kommunizieren kann.
Der Fachbeitrag „Wer nichts macht, macht keine Fehler... – wie mutige
Entscheidungen, hin zu mehr Diversität, die Zukunftsfähigkeit der Verwaltung
sicherstellen können“ von Alice Rittgerodt und Rouven-Alexander Slabik
thematisiert ein typisches kulturelles Verhalten von traditionellen Organisationen wie der
Verwaltung: Stillstand, um nichts falsch zu tun. Alice Rittgerodt und Rouven-Alexander
Slabik geben reflektierte Denkanstöße, warum und wie sich die Verwaltung – gerade
im Bereich Vielfalt – mehr trauen sollte, um die öffentliche Handlungsfähigkeit auch in
Zukunft sicherzustellen.
Den Abschluss von Teil II bildet der Fachbeitrag „Vom Einwandererkind zur
Verwaltungskarriere: Wie Menschen mit Migrationshintergrund der Aufstieg
in die öffentliche Verwaltung gelingt“ von Sarina Badafras und Baris Önes.
Die Studierende Sarina Badafras setzt sich gemeinsam mit Baris Önes mit der
interkulturellen Öffnung der Verwaltung auseinander, die vor dem Hintergrund des
Arbeitskräftemangels immer relevanter wird. Sarina Badafras und Baris Önes geben
hilfreiche Tipps, wie vielfältige Menschen für die Verwaltung gewonnen werden können,
wie diese Menschen gut in das Verwaltungsumfeld integriert werden können und welche
positiven Auswirkungen dies auf die Verwaltungskultur hat.
Diversity bedeutet intensive Kulturarbeit. Ein vielfaltsförderndes kulturelles Umfeld
stellt das Fundament für ein gelungenes Diversity Management dar. Die Fachbeiträge in
Teil II geben wertvolle Impulse für die Gestaltung der Verwaltungskultur und schaffen
damit die Grundlage für den weiteren Aufbau von Diversity Management.
Von Bienchen und Blümchen: Welche
Kultur die Verwaltung für gelingende
Vielfalt braucht

Meike Reuter

Zusammenfassung

Bienen sind unverzichtbar für unsere Ökosysteme – und vom Aussterben bedroht.
Unter anderem, weil ihnen immer weniger Lebensräume und Nahrungsquellen
zur Verfügung stehen. Wie können wir alle zur Rettung der Bienen beitragen? Bei-
spielsweise, indem wir vorhandene Flächen in Wildblumenwiesen verwandeln.
Dazu müssen wir aktiv werden: den Boden vorbereiten, Saatgut verschiedenster
Pflanzen ausstreuen und für genug Feuchtigkeit sorgen. Darauf zu warten, dass
sich das ein oder andere Gänseblümchen von allein in den Garten oder das Balkon-
beet verirrt, wird die Bienen nicht retten. Ganz ähnlich verhält es sich mit Diversity
in Organisationen: Ohne aktives Zutun entsteht Vielfalt in einem sehr homogenen
Umfeld nicht oder nur extrem langsam. Und auch hier ist ein gut vorbereiteter Boden,
auf dem Vielfalt überhaupt erst wachsen kann, entscheidend. In Organisationen
besteht dieser Nährboden aus einer diversitätssensiblen und inklusiven Kultur. Wie
diese Kultur konkret aussehen und gestaltet werden kann, schauen wir uns in diesem
Fachbeitrag an.

Schlüsselwörter

Diversity · Equity · Inclusion · Organisationskultur · Kulturwandel · Veränderung ·


Inklusion

M. Reuter ( )
PricewaterhouseCoopers GmbH, Hamburg, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 27


Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_2
28 M. Reuter

1 Einleitung

Bienen sind unverzichtbar für unsere Ökosysteme – und vom Aussterben bedroht. Unter
anderem, weil ihnen immer weniger Lebensräume und Nahrungsquellen zur Verfügung
stehen. Wie können wir alle zur Rettung der Bienen beitragen? Beispielsweise, indem
wir vorhandene Flächen in Wildblumenwiesen verwandeln. Dazu müssen wir aktiv
werden: den Boden vorbereiten, Saatgut verschiedenster Pflanzen ausstreuen und für
genug Feuchtigkeit sorgen. Darauf zu warten, dass sich das ein oder andere Gänseblüm-
chen von allein in den Garten oder das Balkonbeet verirrt, wird die Bienen nicht retten.
Ganz ähnlich verhält es sich mit Diversity in Organisationen: Ohne aktives Zutun
entsteht Vielfalt in einem sehr homogenen Umfeld nicht oder nur extrem langsam. Und
auch hier ist ein gut vorbereiteter Boden, auf dem Vielfalt überhaupt erst wachsen kann,
entscheidend. In Organisationen besteht dieser Nährboden aus einer diversitätssensiblen
und inklusiven Kultur. Wie diese Kultur konkret aussehen und gestaltet werden kann,
schauen wir uns in diesem Fachbeitrag an.

2 Warum das Ausstreuen von Saatgut nicht ausreicht –


oder: Warum es mehr als Diversity braucht

„Diversity ist ein klarer Business Case“ – also etwas, das uns verbesserte Leistung
und verbesserte wirtschaftliche Ergebnisse verspricht. Mit dieser Argumentation im
Gepäck machen sich immer mehr Unternehmen auf den Weg, führen Frauenförder-
programme ein und schwingen Regenbogenflaggen. Auch innerhalb des öffentlichen
Sektors wird das Thema Diversity immer stärker in den Fokus gerückt. Daran
geknüpft ist das Versprechen die zunehmenden Herausforderungen, wie Fachkräfte-
mangel, Modernisierungs- und Digitalisierungsdruck sowie steigende Bedürfnisse der
Bürger*innen, bewältigen zu können. Und ja: Bei der erfolgreichen Bewältigung dieser
Themen geht es um nichts weniger als die Zukunftsfähigkeit des öffentlichen Sektors.
Kein Business, sondern viel mehr Survival Case also? Sprich: Je vielfältiger die
Belegschaft, desto höher die Überlebenschancen? Disclaimer: Nein – das greift zu kurz.
Diversity per se erhöht noch keine Überlebenschance. Im Gegenteil: Studien und
praktische Erfahrungen zeigen, dass eine größere Vielfalt zu einer größeren Komplexität
im Miteinander führt und heterogene Teams zunächst sogar weniger gut performen als
homogene Teams. Spoiler: Außer sie bewegen sich in einer Kultur, in der ihre Unter-
schiede als wertvolle Ressource verstanden werden (vgl. Ely und Thomas 1996, 2021;
Philips et al. 2014; Tröster et al. 2014).
Nachvollziehbar, wenn wir uns in die folgende Situation hineinversetzen:

Escape Room I

Stellen wir uns vor, wir befinden uns in einem Escape Room, bei dem wir mit einer
Gruppe verschiedene Rätsel lösen müssen, um dem Raum zu entkommen.
Von Bienchen und Blümchen: Welche Kultur … 29

In Szenario A besteht diese Gruppe aus Menschen, die uns selbst sehr ähnlich sind
(gleiches Alter, Geschlecht, ethnische, kulturelle und soziale Herkunft, Weltanschauung,
Interessen, Fähigkeiten etc.). Wie gut funktioniert die Zusammenarbeit? Wahrschein-
lich sind wir uns auf Anhieb sympathisch und schnell darüber einig, wie wir vorgehen
wollen und womit wir uns zuerst beschäftigen. Innerhalb kürzester Zeit lösen wir einen
Großteil der Rätsel. Die Zusammenarbeit läuft weitestgehend reibungslos.
In Szenario B hingegen besteht die Gruppe aus Menschen, die nicht unterschiedlicher
sein könnten (verschiedene Altersklassen, Geschlechter, ethnische, kulturelle und soziale
Herkünfte, Weltanschauungen, Interessen, Fähigkeiten etc.). Wie gut funktioniert die
Zusammenarbeit? Wahrscheinlich ist es schwierig zueinander zu finden und sich auf ein
Vorgehen zu einigen. Vielleicht gibt es sogar Konflikte darüber, womit zuerst gestartet
wird, oder wir reden aneinander vorbei. Jede*r hat eine eigene Vorstellung davon, wie
wir dem Escape Room am besten entkommen. Womöglich vergeht viel wertvolle Zeit,
bevor wir die ersten Rätsel lösen. Die Zusammenarbeit ist herausfordernd.

Damit das Miteinander und die Zusammenarbeit in vielfältigen Teams gelingen, ist eine
Arbeitsumgebung notwendig, in der jedes Mitglied mitsamt all seiner individuellen
Eigenschaften und Sichtweisen wertgeschätzt wird. Ein Umfeld, in dem sich alle
gleichermaßen zugehörig und sicher fühlen und niemand benachteiligt oder diskriminiert
wird. Eine inklusive Kultur als Nährboden für die volle Potenzialentfaltung vielfältiger
Teams (vgl. Ely und Thomas 2021; McKinsey 2020). Teams, die aufgrund ihrer viel-
fältigen Perspektiven und Fähigkeiten tatsächlich bessere Ergebnisse als homogene
Teams erreichen können: Je diverser die Köpfe, desto diverser die Ideen, desto größer
der Raum für Lösungen und Innovation, desto höher die Chance aktuelle und zukünftige
Herausforderungen erfolgreich zu meistern.
Dafür noch einmal zurück in unseren Escape-Room:

Escape Room I

In Szenario A erzielen wir als homogene Gruppe sehr schnell erste Erfolge. Wir sind
auf einer Wellenlänge und alles läuft wie am Schnürchen. Bis wir ein Rätsel vor
uns haben, bei dem wir zwar sofort eine gemeinsame, aber leider nicht die richtige
Lösungsidee haben. Wir grübeln, aber niemandem von uns fällt noch etwas ein. Wir
stehen ratlos da, während die Zeit abläuft.
In Szenario B brauchen wir zu Beginn eine ganze Weile, um uns aufeinander ein-
zulassen. Wir einigen uns auf gemeinsame „Spielregeln“ im Umgang miteinander,
die sicherstellen, dass die Perspektiven und Fähigkeiten aller gleichermaßen gehört
und wertgeschätzt werden. Aufgrund unserer vielfältigen Ideen und unterschiedlichen
Herangehensweisen, lösen wir nacheinander alle Rätsel und werden kurz vor Ende
der Zeit fertig. Die Anstrengung zu Beginn hat sich gelohnt.

Eine sehr plakative Beispielsituation, die den vereinfachten und nichtsdestotrotz


häufig versprochenen Business- bzw. Survival-Case von Diversity verständlich macht.
30 M. Reuter

Die schlichte Vergrößerung demografischer Vielfalt macht das Miteinander und die
Zusammenarbeit komplexer und herausfordernder. Erst in Kombination mit einer
inklusiven Kultur – und Zeit sich in dieser als Organisation oder Team zu finden – ent-
faltet Diversity sein Potenzial (vgl. Philips et al. 2014; Tröster et al. 2014).
Das Verständnis um diesen Wirkmechanismus findet im englischen Dreiklang
„Diversity, Equity & Inclusion“ (DEI) Ausdruck. Diversity (= Vielfalt) bezieht sich
lediglich auf die Unterschiede innerhalb einer Gruppe. Equity (= Gleichstellung)
bedeutet, allen Individuen in der Gruppe – unabhängig ihrer Hintergründe – durch
passende Maßnahmen die gleichen Chancen und Entwicklungen zu ermöglichen.
Inclusion (= Inklusion) meint die Zugehörigkeit und Wertschätzung aller Mitglieder –
und geht damit über die Assoziation im deutschsprachigen Raum hinaus, die meist die
Einbeziehung von Menschen mit Behinderung beinhaltet.
Wenn hier also von einer inklusiven Kultur gesprochen wird, ist das Zusammenspiel
dieser drei Komponenten bzw. das Ziel dessen gemeint.
Viel zu häufig streben Organisationen das isolierte Ziel einer vielfältigen Belegschaft
an, ohne sich darüber bewusst zu sein, dass diese nur in Kombination mit einer inklusiven
Kultur gelingen kann. Sich ausschließlich auf Maßnahmen zu fokussieren, die für mehr
Diversity sorgen sollen, aber Equity und Inclusion außer Acht lassen, ist wie Wildblumen-
Samen auf Asphalt-Boden zu streuen. Vielleicht kämpft sich mal ein Löwenzahn durch.
Aber die Entstehung einer Wildblumenwiese kann dort niemand erwarten. Inklusion ist
keine logische Konsequenz diverser Teams, sondern muss aktiv herbeigeführt werden.
Teams können divers aufgestellt sein, ohne sich dabei inklusiv zu verhalten.
Darüber hinaus wird das viel benannte Ziel „Diversity“ selten ganzheitlich verfolgt,
sondern zumeist auf einzelne Dimensionen beschränkt. Wie z. B. auf die Dimension
Geschlecht. Und selbst diese nicht in Gänze, wenn Gleichstellungsbeauftragte beispiels-
weise nur mit der Gleichstellung von Männern und Frauen beauftragt sind und weitere
geschlechtliche Identitäten keine Rolle spielen. Ein anderes Beispiel sind Inklusionsbeauf-
tragte, die per Gesetzgebung ausschließlich dafür verantwortlich sind, dass die Organisation
ihrer Fürsorgepflicht gegenüber Menschen mit Schwerbehinderung nachkommt.
Diese Instanzen arbeiten zudem häufig sehr isoliert voneinander und verfolgen jeweils
die Frage „Wie verhindern wir, dass bestimmte Menschen aufgrund eines bestimmten
Merkmals diskriminiert werden?“. Das ist gut und wichtig. Zusätzlich dazu müssen sich
die Behörden aber auch die übergreifende Frage stellen „Wie schaffen wir es, dass sich bei
uns alle Menschen – unabhängig ihrer Merkmale – gleichermaßen zugehörig fühlen?“.
Wenn die Verwaltung echte Vielfalt will, muss sie über die gesetzlichen Ver-
pflichtungen hinaus aktiv werden, Vielfalt in all ihrer Vielfalt1 verstehen und den
kulturellen Nährboden dafür schaffen.

1 Alter,ethnische Herkunft & Nationalität, Geschlecht & geschlechtliche Identität, körperliche &
geistige Fähigkeiten, Religion & Weltanschauung, sexuelle Orientierung, soziale Herkunft etc.
Von Bienchen und Blümchen: Welche Kultur … 31

3 Welchen Nährboden eine Wildblumenwiese braucht –


oder: Welche Kultur die Verwaltung braucht, um Diversity
gestalten zu können

Um die Frage, wie Diversity in der Verwaltungskultur gestaltet werden kann, zu


beantworten, müssen wir uns also damit auseinandersetzen, welche Kultur die Ver-
waltung braucht, damit Diversity überhaupt erst in ihr wachsen und ihr volles Potenzial
entfalten kann.
Wie beschrieben, ist es wissenschaftlich belegt und nachvollziehbar, dass eine
inklusive und vielfaltssensible Kultur notwendige Grundlage für gelebte Vielfalt ist. Es
braucht also den Nährboden bestehend aus inklusiv-denkenden Köpfen, in der die ver-
schiedenen Wildblumen auch wachsen, sich entwickeln und fortpflanzen dürfen. Damit
es nicht bei einem zufälligen Gänseblümchen oder einer Quoten-Kornblume bleibt,
die sich im Rollrasen-Umfeld versuchen den dominierenden Grashalmen anzupassen,
sondern sich unter vielen anderen Wildblumen genauso dazugehörig fühlen.
Doch was macht eine Kultur zu einer inklusiven Kultur, in der sich alle Mit-
arbeitenden gleichermaßen zugehörig fühlen? Woran können wir Inklusion in der
(Verwaltungs-) Kultur erkennen?
Entlang der Diversity-Kern-Dimensionen der Initiative „Charta der Vielfalt“ folgen Bei-
spiele in Tab. 1, die Ausdruck einer inklusiven Haltung im Arbeitskontext sein können:
All diese Aspekte können Ausdruck einer inklusiven Arbeitskultur sein. Ihr Großteil
ist auf alle Diversity-Dimensionen übertragbar und nur beispielhaft einer Kate-
gorie zugeordnet. Wie z. B. der respektvolle Umgang, der selbstverständlich nicht nur
unabhängig von Alter und Hierarchie, sondern auch unabhängig jeglicher anderer
Merkmale Ausdruck einer diversitätssensiblen Kultur sein kann.
Wichtig: All diese Aspekte können Indikatoren einer inklusiven Kultur sein, müssen
es aber nicht. Mitarbeitende können beispielsweise gendergerechte Sprache verwenden
oder auf digitale Barrierefreiheit achten, weil es in der Organisation so entschieden
wurde, sich aber nach wie vor diskriminierend gegenüber Kolleg*innen verhalten –
bewusst oder unbewusst. Das heißt, trotz umgesetzter Maßnahmen für mehr Inklusion
können Menschen nach wie vor Exklusion erfahren.
Was damit deutlich werden soll: Eine inklusive Kultur ist nichts, an das man einen
Haken machen kann, sobald bestimmte Maßnahmen umgesetzt werden. Beispielhafte
Listen, wie die obige, suggerieren das gerne und laden zum Abhaken ein. Die Inklusions-
Aktivitäten der eigenen Organisation zu tracken, ist ein wichtiger und hilfreicher Schritt
in der Auseinandersetzung mit dem Thema. Aber nur solange man sich darüber im
Klaren ist, dass die entscheidende Messgröße für Inklusion in der gefühlten Zugehörig-
keit der Menschen liegt. Das, was zählt, sind nicht die Anzahl umgesetzter Maßnahmen,
sondern das, was bei den Menschen innerhalb und außerhalb der Organisation tatsäch-
lich ankommt.
Und das entscheidet sich vor allem im täglichen Miteinander. In den vielen Inter-
aktionen, die durch die Haltung einer und eines jeden Einzelnen geprägt werden. Eine
32 M. Reuter

Tab. 1 Beispiele für den Ausdruck einer inklusiven Organisationskultur pro Diversity-Dimension
Religion & Welt- Neue Kolleg*innen nach für Sie wichtigen Feiertagen fragen, um diese in den
anschauung eigenen/Team-Kalender einzutragen, bei Planungen zu berücksichtigen und
ihnen an den entsprechenden Tagen zu gratulieren
Bewusstsein dafür, dass gesetzliche Feiertage nicht für alle relevant sind, z. B.
indem man sagt „Ich wünsche allen, die es feiern, frohe Weihnachten und
allen anderen ein paar schöne, ruhige Tage.“
Bei der Verpflegungsplanung (z. B. für Veranstaltungen, Weihnachtsfeiern
etc.) vorab Bedürfnisse erfragen und/oder ausreichend Optionen zur Ver-
fügung stellen
Geschlecht & Gendern mit Sternchen oder Doppelpunkt (z. B. Kolleg*innen oder
geschlechtliche Kolleg:innen) in geschriebener und gesprochener Sprache, um alle
Identität Geschlechter/geschlechtliche Identitäten einzubeziehen
Respekt für und Sichtbarkeit von Pronomen (she/her bzw. sie/ihr, he/him bzw.
er/sein oder gewünschte non-binäre Pronomen) aller Mitarbeitenden, z. B. als
Standard-Angabe in E-Mail-Signaturen, auf Namensschildern an Büros oder
auf Veranstaltungen
Toiletten ohne Geschlechtszuweisung (wie auch in Bahn und Flugzeug)
einrichten bzw. die Geschlechtszuweisung entfernen, sodass sie von allen
genutzt werden können, und Mülleimer sowie Menstruations-Artikel in allen
Kabinen auslegen
Sichtbare & Bei der Gestaltung von digitalen Materialien auf digitale Barrierefreiheit
nicht sichtbare achten, z. B. durch Untertitel in Videos, Screenreader-kompatible Inhalte,
Behinderung ausreichend große Schriftgrößen sowie ausreichend starke farbliche Kontraste
Bei der Auswahl von Büro-, Seminar und Veranstaltungsräumen auf bauliche
Barrierefreiheit achten, z. B. durch Rampen, Handläufe, Aufzüge, aus-
reichend breite Türen/Gänge und barrierefreie Toiletten
Bei der Programmplanung von Veranstaltungen, Seminaren und Trainings
ausreichend viele Pausen mit ausreichend viel Zeit einplanen
Ethnische Bewusstsein und Sensibilität für die Lebensrealitäten von Kolleg*innen, die
Herkunft & als „nicht Deutsch“ gelesen werden, z. B. indem man (Hör-) Bücher wie „Exit
Nationalität Racism“ von Tupoka Ogette liest bzw. hört
Bei der Auswahl von Teammitgliedern, Referierenden, Teilnehmenden bei
Plenumsdiskussionen etc. für die Einbindung von Mitarbeitenden ver-
schiedener ethnischer und kultureller Hintergründe sorgen
Bei der Erstellung von Websites, Broschüren, Präsentationen, Stellenanzeigen
etc. auf diverse Bildsprache achten, z. B. indem Menschen unterschiedlicher
ethnischer und kultureller Herkunft abgebildet werden
Soziale Herkunft Gezielte Entwicklung von Menschen mit geringem Bildungsstand, z. B. durch
aktive Ansprache und Vorbereitung auf Ausbildungen in der Organisation
Bewusstsein dafür, dass das Arbeiten im Home-Office nicht für alle
(gut) möglich ist, z. B. aufgrund von Ausstattung, Platz oder Ruhe zum
konzentrierten Arbeiten
Teilen von eigenen Netzwerken und passenden Kontakten mit Kolleg*innen,
die für sie beruflich oder auch privat hilfreich sein können
(Fortsetzung)
Von Bienchen und Blümchen: Welche Kultur … 33

Tab. 1 (Fortsetzung)
Sexuelle Bewusste Lösung von der heterosexuellen Normvorstellung, z. B. indem bei
Orientierung & verheirateten männlichen Kollegen nicht automatisch von „der Frau“ und bei
Identität verheirateten weiblichen Kolleginnen nicht von „dem Mann“ ausgegangen
wird
Unterstützung von Kolleg*innen, die interne LGBTIQ + -Netzwerke innerhalb
der Organisation gründen wollen und Förderung dieser Netzwerke
Fortbildungsangebote, wie z. B. Allyship-Trainings, bei denen sich die Mit-
arbeitenden mehr Wissen rund um das Thema aneignen und lernen, wie sie
LGBTIQ + -Kolleg*innen als Allies (= Verbündete) unterstützen können
Alter Respektvoller Umgang miteinander unabhängig von Alter und Hierarchie,
z. B. indem man alle im Raum begrüßt, in Gespräche miteinbezieht, zum
gemeinsamen Mittagessen oder Feierabendausklang einlädt
Berücksichtigung aller Mitarbeitenden unabhängig ihres Alters bei Ent-
wicklungsplänen, Fortbildungsangeboten und Stellenbesetzungen
Wertschätzung unterschiedlicher Wissens- und Erfahrungsstände, z. B. durch
die Einführung von (Reverse-) Mentoring-Programmen mit Tandems jeweils
bestehend aus zwei Personen unterschiedlicher Generationen, die sich gegen-
seitig unterstützen und voneinander lernen

inklusive Kultur macht deshalb vor allem ein Handlungsbewusstsein auf persönlicher
Ebene aus.
Deshalb gilt es die vielen individuellen Köpfe zu erreichen. Sie dort abzuholen, wo
sie stehen, und mit auf den Lernprozess einer inklusiven Haltung zu nehmen. Einem
Mindset, das das Anerkennen unterschiedlicher Lebensrealitäten möglich macht. Die
Bewusstwerdung der eigenen Privilegien und unbewussten Vorurteile. Die Offenheit für
neue Perspektiven und das Hinterfragen des Status Quo. Den aktiven Einsatz für ein Mit-
einander, das von Wertschätzung und Zugehörigkeit geprägt ist.

4 Wie ein geeigneter Nährboden geschaffen werden kann –


oder: Wie wir eine inklusive Kultur fördern können

Wollen wir eine bestehende Grasfläche in eine Wildblumenwiese verwandeln, muss die
Grasnarbe entfernt, der Boden gelockert und ggf. etwas Sand eingearbeitet werden. Das
ist mit Schaufel und Spaten möglich. Wollen wir hingegen eine asphaltierte Fläche zu
einer Wildblumenwiese machen, muss die Asphaltdecke aufgebrochen, das Material ent-
fernt und ggf. neue Erde aufgetragen werden. Dafür braucht es schweres Gerät und die
Unterstützung von Fachleuten.
Die Antwort auf die Frage in Bezug auf unsere Wildblumenwiese hängt also von der
aktuellen Fläche ab: Größe, Beschaffenheit des Bodens, Verfügbarkeit von Werkzeug,
Expertise und so weiter.
34 M. Reuter

Auch mit Blick auf den kulturellen Nährboden einer Organisation, gibt es nicht das
eine, universelle Vorgehen. Jede Organisationskultur hat ihre eigene Beschaffenheit und
benötigt für sie passende, individuelle Impulse. Und gleichzeitig ist eine Fragestellung
ganz unterschiedlicher Organisationen immer wieder zu hören: „Wie erreichen wir die
Personen, die sich nicht von allein für das Thema interessieren? Wie erreichen wir die
Mitarbeitenden ohne intrinsisches Interesse? Wie erreichen wir die stille Mehrheit?“
Hintergrund dieser Fragen ist oft die Erfahrung, dass Angebote rund um Diversity
in Organisationen häufig von „immer Denselben“ angenommen werden. Einem gefühlt
kleinen Teil der Organisation. Mitarbeitende mit Interesse am Thema, weil sie dessen
Relevanz bereits erkannt haben. Meist, weil sie selbst betroffen sind und in einer oder
mehrerer Diversity-Dimensionen die Auswirkungen eines nicht-inklusiven Umfelds
erleben, z. B. in Form von Benachteiligung oder Diskriminierung aufgrund ihres
Geschlechts, ethnischer Herkunft, sexueller Orientierung etc. Für eine inklusive Kultur
muss jedoch eine Mehrheit auf allen Ebenen der Organisation erreicht werden.
Mit dieser in der Praxis oft frustrierenden Beobachtung, halten wir gleichzeitig einen
der entscheidenden Schlüssel für Veränderung in der Hand: die persönliche Betroffen-
heit. Je höher die wahrgenommene Betroffenheit, desto stärker ist auch die Bereitschaft
zu einer Haltungs- und Verhaltensänderung (vgl. Petty und Cacioppo 1986; Taddicken
und Neverla 2001; Cialdini 2007; Mettler et al. 2014). Je mehr Menschen also verstehen,
dass und was das Thema Diversity mit ihnen zu tun hat, desto größer die Chance auf eine
inklusive Organisationskultur.

Der Begriff Betroffenheit beinhaltet dabei zwei Bedeutungen:

1. Betroffenheit im Sinne von Gemeintsein: „Ich bin von etwas betroffen“/„Mich betrifft
etwas“
2. Betroffenheit im Sinne des Betroffenseins: „Mich macht etwas betroffen“

Bei ersterem kann zwischen direkter persönlicher Betroffenheit (z. B. „Ich bin ein
Mensch mit Behinderung und deshalb von direkter Diskriminierung betroffen.“) und
einer indirekten persönlichen Betroffenheit (z. B. «Ich erlebe keine Diskriminierung,
realisiere aber, dass ich Teil des Systems bin, das diskriminiert, und mich das Thema
deshalb auch betrifft.») unterschieden werden. Beide Formen können je nach Aus-
prägung starke Beweggründe sein, die eigene Haltung und das eigene Verhalten zu
hinterfragen und zu ändern.
Betroffenheit im Sinne des Betroffenseins kann als unangenehmer, schmerzlicher
Gefühlszustand erlebt werden, z. B. wenn ich realisiere, dass Menschen um mich herum
Ausgrenzung erleben und mich das betroffen macht. Insbesondere wenn ich feststelle,
dass ich diese Erfahrungen bei gleichem Verhalten nicht mache, und erkenne, dass diese
Erfahrungsunterschiede auf ungerechtfertigten Ungleichwertigkeitsvorstellung beruhen.
In der Sozialpsychologie wird das dadurch hervorgerufene, unangenehme Gefühl auch
als „kognitive Dissonanz“ bezeichnet. Einen Zustand, bei dem wir einen inneren Wider-
Von Bienchen und Blümchen: Welche Kultur … 35

spruch erleben, wie z. B. zwischen dem Glauben an eine gerechte Welt und dem Erleben
von Ungerechtigkeit (vgl. Festinger 2012). Wird uns erklärt, wodurch dieses Gefühl
zustandekommt und wie wir es auflösen können, z. B. indem wir uns für Gerechtigkeit
einsetzen, kann diese Form des Betroffenseins ebenfalls zum Motivator für inklusives
Verhalten werden.
Insbesondere, wenn die verschiedenen Arten von Betroffenheit ineinandergreifen,
können sie den Weg zu einer inklusiven Haltung ebnen. Es folgen drei Schritte, wie Sie
diesen Lernprozess in Ihrer Organisation anstoßen und die Antwort auf die Frage «Was
hat Diversity mit mir zu tun ?» gemeinsam mit Ihren Organisationsmitgliedern erarbeiten
können.

4.1 Erfahrungswelten reflektieren – Schritt 1

Wenn in Organisationen lediglich einzelne Diversity-Dimensionen betrachtet werden,


adressieren Angebote häufig ausschließlich diese Themen und sprechen damit vornehm-
lich die vermeintlichen Minderheiten an. Der Großteil der «stillen Mehrheit» bleibt
diesen Angeboten nicht fern, weil sie diese aktiv ablehnt, sondern weil sie sich noch
nicht «gemeint» fühlt.
Geben Sie den Organisationsmitgliedern deshalb zunächst die Chance zu erkennen,
inwieweit sie selbst von Exklusion betroffen sind bzw. sein können – oder inwieweit
sie diese Erfahrung im Vergleich zu anderen eben nicht oder nur sehr selten machen.
Vermitteln Sie ihnen dazu das Thema Diversity in all seiner Vielfalt, um ihnen persön-
liche Anknüpfungspunkte zu ermöglichen. Geben Sie ihnen die Möglichkeit ihre eigene
Erfahrungswelt zu reflektieren und diese im Gesamtbild der verschiedenen Erfahrungs-
welten in der Organisation einzuordnen. Geben Sie dabei allen Stimmen einen Raum
und sensibilisieren Sie gleichzeitig für die unterschiedlichen Wirkungsgrade unter-
schiedlicher Diversity-Dimensionen bzw. Diskriminierungskategorien. Insbesondere bei
deren gleichzeitigem Zusammenwirken gegenüber einer Person, was als Mehrfachdis-
kriminierung (auch Intersektionalität) bezeichnet wird.
Die Grundhaltung, die wir damit bei den Organisationsmitgliedern erreichen wollen:

«Mich betrifft das Thema, weil mir bewusst ist, dass auch ich aufgrund von bestimmter
Merkmale Exklusion erfahren kann (z. B. wenn ich als Mann länger als zwei Monate Eltern-
zeit nehmen möchte und auf Widerstand bei Vorgesetzten stoße), oder auch jederzeit in diese
Situation kommen kann (z. B. wenn ich durch einen Unfall plötzlich auf bauliche Barriere-
freiheit angewiesen bin). Ich weiß meine potenzielle Exklusionserfahrung im gesellschaft-
lichen Erfahrungsspektrum einzuordnen.»

Methodenbeispiel

Zur Veranschaulichung der Vielfaltsdimensionen können Sie beispielsweise die


Abbildung des «Diversity-Rads» der Charta der Vielfalt nutzen (siehe Kap. 1
36 M. Reuter

dieses Buches). Zur konkreten Erkundung der eigenen Erfahrungswelt kann


der «Privilegientest» genutzt werden, der in den USA erarbeitet und vom Portal
Intersektionalität in Deutschland weiterentwickelt wurde (Debus 2015). Auf dessen
Website können Sie den Fragebogen sowie wichtige Informationen rund um die Ver-
wendung und mögliche Auswertungsfragen herunterladen.

4.2 Gesellschaftliche Positionierung verstehen – Schritt 2

Nehmen Sie die Organisationsmitglieder anschließend eine Ebene tiefer mit und helfen
Sie ihnen die (Macht-) Strukturen hinter dem Thema zu erkennen. Machen Sie ihnen
deutlich, dass es hier nicht nur um den Schutz von Einzelschicksalen, sondern um das
Anerkennen und Aufbrechen einer strukturellen Problematik geht. So individuell ihre
Erfahrungswelten auch sein mögen – sie entstehen in ein und demselben System. Einem
System, von dem sie alle Teil sind und entweder profitieren oder Nachteile erfahren.
Erklären Sie ihnen, dass das Ausmaß ihrer zuvor reflektierten Exklusionserfahrungen
von ihrer eigenen gesellschaftlichen Positionierung bestimmt wird. Ermöglichen Sie
ihnen diese Positionierung zu beleuchten und sich mit ihrer damit einhergehenden (De-)
Privilegierung und (Ohn-) Machtposition auseinander zu setzen.
Die Grundhaltung, die wir damit bei den Organisationsmitgliedern erreichen wollen:

„Mich betrifft das Thema, weil ich verstanden habe, dass die Benachteiligung anderer mit
meiner Bevorteilung zusammenhängt (z. B. wenn ich als Sabine Müller aufgrund meines
Namens einer Gülcan Cengiz gegenüber bevorzugt werde). Ich kann einen Beitrag leisten,
indem ich meine alltäglichen Privilegien reflektiere, gewissenhaft mit ihnen umgehe und
weniger privilegierte Menschen an den dadurch entstehenden Vorteilen teilhaben lasse (z. B.
wenn ich mich für Kolleg*innen und ihre Bedürfnisse einsetze, deren Stimme weniger gehört
bzw. gewichtet wird als meine).“

Methodenbeispiel

Hier bietet sich die thematische Übung «Power Flower» an, die von der Anti-Bias
Werkstatt (2007) entwickelt wurde. Dabei wird die Abbildung einer Blume genutzt,
die verschiedene gesellschaftlich wirksame Differenzierungskategorien abbildet, wie
z. B. Hautfarbe, Bildung oder Gesundheit. Diese werden jeweils in zwei Gruppen
aufgeteilt: die in Deutschland strukturell privilegierte Gruppe (wie z. B. «weiß sein»,
Abitur haben, gesund sein) und die tendenziell deprivilegierte Gruppe (wie z. B. nicht
«weiß sein», kein Abitur haben, chronisch krank sein). Indem sich die Organisations-
mitglieder in jeder Kategorie einer Gruppe zuordnen und dazu in den angeleiteten
Dialog gehen, kann die eigene gesellschaftliche Positionierung reflektiert und ein
verantwortungsvoller sowie konstruktiver Umgang mit den eigenen Privilegien ent-
wickelt werden. Eine detaillierte Übungsbeschreibung finden Sie auf der Website der
Anti-Bias Werkstatt.
Von Bienchen und Blümchen: Welche Kultur … 37

4.3 Lebensrealitäten anerkennen – Schritt 3

Bis hierhin haben Sie die Organisationsmitglieder vor allem in die Selbstreflexion
geführt und begleitet, um die persönliche Betroffenheit im Sinne des Gemeintseins
(Bedeutung 1) zu erreichen. Setzen Sie nun einen starken Impuls für die Betroffenheit im
Sinne des Betroffenseins (Bedeutung 2).
Sensibilisieren Sie die Organisationsmitglieder explizit für die Lebensrealitäten
anderer – insbesondere für solche, die sich von den eigenen unterscheiden. Holen Sie
dazu konkrete Exklusions- und Diskriminierungserfahrungen in den Raum und machen
Sie diese sowie ihre Folgen für Betroffene besprechbar. Von alltäglichen, für Nicht-
Betroffene vermeintlich «harmlosen» oder «gut gemeinten» Kleinigkeiten (sogenannten
Mikroaggressionen2), wie z. B. der Frage nach der «eigentlichen Herkunft» an eine
BIPoC3-Kollegin oder der Konfrontation mit stereotypen Vorstellungen aufgrund ihrer
vermeintlichen «Herkunft». Bis hin zu expliziten Fällen offener Diskriminierung, die
trotz eindeutiger Gesetzeslage passieren und für viele Realität sind. Besonders wirk-
mächtig ist dieses Vorgehen, wenn diese Erfahrungen von Menschen aus dem eigenen
(Organisations-) Umfeld geteilt werden, selbst wenn diese zum Schutz der Betroffenen
anonymisiert werden.
Die Grundhaltung, die wir damit bei den Organisationsmitgliedern erreichen wollen:

„Mich macht das Thema betroffen, weil ich realisiere, welche ausgrenzenden und dis-
kriminierenden Erfahrungen Menschen aufgrund von bestimmten Merkmalen in meinem
Umfeld machen und welche Auswirkungen das auf sie haben kann. Mich macht das Thema
betroffen, weil ich realisiere, dass diese Erlebnisse auch in meinem Beisein passieren, weil
mir aufgrund meiner eigenen Lebensrealität das Bewusstsein für viele andere Lebensreali-
täten fehlt. Nichtsdestotrotz gebe ich mein Bestes jeden Tag dazu zu lernen.“

Methodenbeispiel

Wenn möglich, nutzen Sie für maximale Betroffenheit konkrete Erfahrungsberichte


aus der eigenen Organisation. Diese können beispielsweise über eine anonymisierte
Umfrage zu unangenehmen Erlebnissen im Arbeitskontext eingeholt werden.
Arbeiten Sie in Lernformaten, die von allen Beteiligten als Safe Spaces (= geschützte

2 „Mikroaggressionen sind alltägliche Kommentare, Fragen, verbale oder nonverbale Handlungen,


die überwiegend marginalisierte Gruppen treffen und negative Stereotypen verfestigen. Sie können
sowohl absichtlich als auch unabsichtlich geäußert oder getätigt werden. Obwohl sie oft nicht ver-
letzend gemeint sind, können sie dazu führen, dass sich Menschen unsicher und unwohl fühlen.
Mikroaggressionen mögen im Moment klein oder unbedeutend erscheinen, aber sie summieren
sich und können Menschen das Gefühl geben nicht dazuzugehören.“ (Universität zu Köln 2022).
3 „BIPoC (Black, Indigenous, and People of Color) ist eine positiv besetzte, politische Selbst-

bezeichnung rassistisch diskriminierter Personen. Sie beschreibt einen gemeinsamen Erfahrungs-


horizont, den Menschen teilen, die nicht weiß sind“ (Aydemir und Yaghoobifarah 2020).
38 M. Reuter

Räume mit Las-Vegas-Regel4) begriffen werden, können Sie ggf. auf gemachte
Erfahrungen der Menschen im Raum zurückgreifen. Seien Sie sich dabei stets der
enormen Sensibilität des Themas bewusst! Öffnen sich Menschen, um über Ver-
letzungen zu sprechen, ist die Gefahr hoch, dass sie durch den unsensiblen Umgang
anderer erneut verletzt werden. Haben Sie ein Momentum geschaffen, in dem sich
die Beteiligten betroffen fühlen, ermöglichen Sie ihnen aus dieser unangenehmenen
Gefühlslage heraus aktiv zu werden. Beispielsweise, indem sie sich zu Arbeits-
gruppen zusammenschließen, um sich regelmäßig mit der aktiven Prävention solcher
Erfahrungen in der Organisation auseinanderzusetzen.

5 Fazit

In diesem Fachbeitrag haben wir uns angeschaut, warum der reine Ruf nach mehr Viel-
falt in Organisationen zu kurz greift. Um Diversity in der Verwaltungskultur gestalten zu
können, muss die Kultur selbst in das gemeinsame Blickfeld gerückt werden. Nur mit
einem kulturellen Nährboden, der aus vielfaltssensiblen und inklusiv-denkenden Köpfen
besteht, hat Diversity die Chance in einer Organisation zu wachsen und ihr volles
Potenzial zu entfalten. Dazu müssen die Organisationsmitglieder auf individueller Ebene
erreicht werden – insbesondere die, die sich (noch) nicht von dem Thema betroffen
fühlen. Die persönliche Betroffenheit ist einer der Schlüssel für Veränderungsbereitschaft
in Haltung und Verhalten. Diese muss gemeinsam mit den Organisationsmitgliedern ent-
wickelt werden. Dabei können die behandelten Schritte behilflich sein:

1. Reflexion der eigenen Erfahrungswelt in Bezug auf Exklusionserfahrungen und der


Einordnung dieser im gesellschaftlichen Erfahrungsspektrum
2. Auseinandersetzung mit der eigenen gesellschaftlichen Positionierung und der damit
einhergehenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse
3. Sensibilisierung für die Lebensrealitäten anderer Menschen und deren konkreter
Exklusionserfahrungen sowie deren Folgen

Eine inklusive Organisationskultur entsteht im Kollektiv aus der inklusiven Einstellung


und dem daraus resultierenden Verhalten ihrer Organisationsmitglieder. Dabei handelt
es sich um einen andauernden Lernrpozess. Inklusiv «sein» – ob als Individuum oder
als Organisation – bedeutet dies verstanden zu haben, das gemeinsame Lernen immer
wieder proaktiv voranzutreiben und sich zugleich die Zeit zu geben, die der Wandel
benötigt. Ähnlich wie bei unserer Wildblumenwiese:

4 DieLas-Vegas-Regel „What happens in Vegas, stays in Vegas“ oder übersetzt „Was in Las Vegas
passiert, bleibt in Vegas“ bedeutet, dass alles, was miteinander besprochen wird oder passiert, im
gemeinsamen Raum und damit vertraulich bleibt (vgl. Andresen 2017).
Von Bienchen und Blümchen: Welche Kultur … 39

„Wiesen brauchen etwas Anlaufzeit, aber Geduld wird belohnt: Die schönsten Aus-
prägungen zeigen sich häufig nach ein paar Jahren.“ (NABU 2020).

Literatur

Andresen, J.: Retrospektiven in agilen Projekten: Ablauf, Regeln und Methodenbausteine. Carl
Hanser Verlag, München, 2. Auflage (2017)
Anti-Bias Werkstatt: Thematische Übungen/Power Flower. Methodenbox: Demokratie-Lernen
und Anti-Bias-Arbeit. https://www.mangoes-and-bullets.org//wp-content/uploads/2015/02/8i-
Power-Flower.pdf (2007) Abgerufen am 14. August 2022
Aydemir, F., Yaghoobifarah, H.: Eure Heimat ist unser Albtraum. Ullstein Buchverlage, Berlin, 8.
Auflage (2020)
Cialdini, R. B.: Influence: The Psychology of Persuasion. Collins, New York, Vol. 55 (2007)
Debus, K.: Portal Intersektionalität – Privilegientest. http://portal-intersektionalitaet.de/forum-
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2022
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Festinger, L.: Theorie der Kognitiven Dissonanz. Huber Verlag Bern (2012)
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Mettler, M., Dinichert, J., Oetliker, F., Oesch, C., Wetli, F.: Leitfaden Partizipation. VOJA – Ver-
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NABU online: Das wilde Leben – Naturschönheit Wildblumenwiese. Naturschutzbund Deutsch-
land e. V. https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/oekologisch-leben/balkon-und-garten/
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Petty, R. E., Cacioppo, J. T.: Communication and Persuasion: Central and Peripheral Routes to
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kriminierung/Rassismuskritik. https://vielfalt.uni-koeln.de/antidiskriminierung/glossar-dis-
kriminierung-rassismuskritik/mikroagressionen (2022) Zugegriffen: 16. August 2022
40 M. Reuter

Meike Reuter M.Sc. Psychologie, PricewaterhouseCoopers GmbH WPG, Public Sector


Consulting, Hamburg. Als Psychologin und Systemische Beraterin begleitet Meike Reuter seit
mehreren Jahren Organisationen und Menschen auf dem Weg der Veränderung. Als Managerin bei
PwC leitet sie Projekte rund um Kultur- und Organisationsentwicklung in der öffentlichen Ver-
waltung. Für ihr Engagement als Diversity Chair bei der Management- und Technologieberatung
Sopra Steria, wurde sie 2020 mit dem goldenen WIN-Award des Women’s IT Networks in der
Kategorie «Outstanding Diversity Commitment» ausgezeichnet.
„Warum gerade ich nach oben gehöre“

Zehra Öztürk

Zusammenfassung

Ungefähr ein Achtel der Bevölkerung Deutschlands ist weiblich und hat einen
Migrationshintergrund. Diese Zahlen spiegeln sich aber nicht wider, wenn es um
Führungskräfte in der öffentlichen Verwaltung geht. Dort finden sich unter 100
Führungskräften nur ca. anderthalb Frauen mit Migrationshintergrund. Gerade des-
halb ist es wichtig, dass wir Vorbilder und Pfade aufzeigen für die Frauen, die gerne
nach oben wollen, sich dies aber bisher nicht zugetraut haben. In diesem Beitrag zeigt
die Autorin an ihrem eigenen Beispiel auf, welche Herausforderungen intersektionale
Menschen im Berufsleben haben können und warum es dennoch wichtig ist, sich
diesen Herausforderungen zu stellen und sichtbar zu werden. Zudem geht die Autorin
darauf ein, wie sich das eigene Verhalten ändern kann, um die eigene Rolle nicht
zu gefährden und was die Verwaltung selbst tun kann, um hier ihren Beitrag zur
Förderung von Führungskräften mit Migrationshintergrund zu leisten.

Schlüsselwörter

Intersektional · Intersektionalität · Frauen · Führung · Migrationshintergrund ·


Sichtbarkeit · Gesellschaft · Vielfalt

Z. Öztürk ( )
Freie und Hansestadt Hamburg, Hamburg, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 41


Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_3
42 Z. Öztürk

1 Einleitung

Mein Name ist Zehra Öztürk. Das Z spricht man weich aus, wie im Englischen. Es ist
also nicht nötig beim Nachnamen direkt nach dem Ö ein weiteres T zu sprechen. Ja, das
klingt schon viel besser. Danke!
Gerne stelle ich mich etwas detaillierter vor: Ich bin eine Frau mittleren Alters mit
einem türkischen Migrationshintergrund ohne eigene Migrationserfahrung (bedeutet
ich bin in Deutschland geboren), trage ein Kopftuch (aus religiösen Gründen, also
muslimisch), komme aus einer Arbeiterfamilie, bin nicht verheiratet und habe keine
Kinder – by choice (ja, sowas gibt es). Ich habe einen akademischen Abschluss in einem
technischen Bereich. Ich arbeite in der öffentlichen Verwaltung. Viele Jahre habe ich
gedacht, ich müsste dankbar sein, überhaupt einen guten Job zu haben. Das ist näm-
lich nicht so einfach, wenn man ein Kopftuch trägt. Und gerade am Anfang meiner
Karriere haben mir viele Kolleg*innen auch gesagt, dass ich als Führungskraft als Frau
mit meinem Aussehen niemals akzeptiert werden würde. Nicht gerade ein Booster für
das Selbstvertrauen. Irgendwann habe ich mir dann aber selber gesagt „Zehra, du machst
deinen Job echt gut und kannst noch deutlich mehr. Hör nicht mehr auf die Anderen.
Du gehörst nach oben!“. Und warum gerade ich1 nach oben gehöre, will ich Ihnen nun
erläutern.

Intersektionalität „Die Überschneidung und Wechselwirkung mehrerer Formen von


Diskriminierung bei einer Person.“ (Duden 2022).

Diese Definition aus dem Duden beschreibt eine Form der Diskriminierung, wie sie
bei Personen auftritt, die mehreren Minderheiten angehören und dadurch eine neue
Form der Diskriminierung erfahren. Jede Kategorie für sich kann zu Benachteiligungen
führen, insbesondere auch in der Arbeitswelt. Beispiele dafür findet man etwa in der
Max vs. Murat Studie (Bonefeld und Dickhäuser 2017) und je nach Kategorie viele
weitere. Die Intersektionalität betrachtet was passiert, wenn diese unterschiedlichen
Benachteiligungen und Diskriminierungen zusammenkommen und eine komplett neue
Form der Diskriminierung schaffen.
Klingt noch sehr abstrakt und schwer nachvollziehbar. Daher schauen wir uns das
mal an einem Beispiel an. Nehmen wir mich2. Für unser Beispiel gehe ich nicht auf alle
Aspekte ein, die ich oben genannt habe, sondern erstmal nur, was bereits auf Basis rein

1 Ich = sinnbildlichfür Frauen mit Migrationshintergrund.


2 Im Fortlauf dieses Beitrags werde ich häufiger mich selbst als Beispiel herbeiziehen. Ins-
besondere weil es sich hier um einen Erfahrungsbericht handelt. Ich weise aber darauf hin, dass ich
nicht sprechend für alle Personen der diversen genannten Minderheiten bin, sondern nur als eines
der vielen Beispiele für ein Zusammenkommen unterschiedlicher Diskriminierungsaspekte diene.
„Warum gerade ich nach oben gehöre“ 43

optischer Merkmale an Vorurteilen und damit verbundener Benachteiligung entstehen


kann3:

„Ich bin eine Frau.“

Sieht ein potenzieller Arbeitgeber mich als Frau mittleren Alters, dann sind häufig erste
Gedanken in Richtung meines Familienstatus. Fragen, die in den Köpfen entstehen,
sind: „Hat sie bereits Kinder? Wenn nicht, will sie bald Kinder? So oder so wird sie
dann häufig wegen der Kinder ausfallen oder sogar länger Elternzeit nehmen oder gar
nur Teilzeit arbeiten. Kann ich den Posten wirklich an so jemanden vergeben?“

„Ich bin eine Frau mit optisch erkennbarem Migrationshintergrund.“

In meinem Beispiel handelt es sich um einen der „schlechten Ausländer“ (Frei 2020).
In dem Beitrag von Herrn Frei wird parodistisch dargestellt, dass in der Gesellschaft
eine unterschiedliche Wahrnehmung bezüglich der Migrationshintergründe besteht. So
ist ein migrierter Schweizer ein „guter Ausländer“ und ein Flüchtling aus einem Süd-
land ein „schlechter Ausländer“. Wir alle kennen dieses Phänomen: Wenn Matthew
aus Irland, der seit 20 Jahren in Deutschland lebt, noch nicht richtig Deutsch sprechen
kann, sind wir viel nachsichtiger und versuchen sogar, uns mit ihm auf Englisch zu
unterhalten. Egal, ob wir es selbst gut können oder nicht. Anders ist es bei Mohammad
aus Syrien, der seit 4 Jahren in Deutschland lebt. Da finden wir es häufig lästig, dass
wir uns nun Mühe geben müssen, ihn mit seinem nicht so schlechten, aber sehr akzent-
belasteten Deutsch zu verstehen. Dieses Phänomen spielt auch in der Wahrnehmung
meines potenziellen Arbeitgebers eine Rolle, wenn er mich sieht und sich nun fragt,
ob ich überhaupt richtig Deutsch sprechen kann. Und auch zum Familienstatus werden
hier nun häufiger verschärfte Annahmen getroffen. Denn von den „schlechten Aus-
ländern“ wird deutlich öfter angenommen, dass sie verheiratet sind und es in der Regel
mehr als ein Kind gibt oder geben wird. Es kommt also das bereits oben genannte Vor-
urteil und eine mögliche Benachteiligung dadurch deutlich stärker zum Tragen.

„Ich bin eine Frau mit optisch erkennbarem Migrationshintergrund, die Kopftuch
trägt (Muslimin).“

Jetzt wird es mit den Vorurteilen richtig spannend. Es kommen Fragen auf wie: „Darf
sie überhaupt arbeiten? Hat ihr Mann ihr das erlaubt? Zwingt er sie, das Kopftuch zu
tragen? Ist sie radikal? Ist sie integriert? OK, sie kann Deutsch, aber bestimmt redet
sie auf der Arbeit nur über Islamkrams und will alle konvertieren. Und wie kann man

3 Es handelt sich hier nur um ein besonders plakativ dargestelltes Beispiel. Ich unterstelle
niemandem, dass sie oder er immer diese oder ähnliche Vorurteile hat und diskriminiert. Aber
seien wir doch mal ehrlich zu uns selbst…
44 Z. Öztürk

integriert sein, wenn man sich so verschleiert? Bestimmt hat sie insgeheim eine tiefe
Abneigung gegen deutsche Männer und Deutschland im Allgemeinen.“
Eine komplett neue Form der Diskriminierung entsteht hier also in der
Kombination Frau mit Migrationshintergrund und Muslimin.

Die nicht-sichtbaren Aspekte, wie meine soziale Herkunft oder meine Berufsausbildung,
sind hier noch gar nicht mit eingeflossen. Diese können wiederum zu weiteren Formen
der Diskriminierung führen. Beispielsweise beim Berufseinstieg kann die angemessene
Kleidung (Sieht diese wertig genug aus?) eine Rolle spielen und zu Unsicherheiten
auf der einen Seite und zu Geringschätzung auf der anderen Seite führen. Oder das
mangelnde Wissen um die richtige Etikette in bestimmten Businesssituationen (Nehme
ich die richtige Gabel beim Businessessen?) kann zu Benachteiligungen führen.
Ob diese Klischees und Vorurteile zutreffen oder nicht, ist irrelevant. An diesem
Beispiel wollte ich aufzeigen, wie herausfordernd der berufliche Weg für eine
intersektionale Person sein kann, wenn man gegen eine Wand von Vorurteilen treten
muss, durch die es gilt, erstmal durchzukommen. Das Beispiel bezog sich zudem nur auf
den ersten Eindruck am Start des beruflichen Miteinanders. Will man Karriere machen,
ist man mit zusätzlichen Herausforderungen konfrontiert.
Wie gut kann Karriere gelingen, wenn man immer gegen Bilder und Assoziationen
ankämpft, die Menschen haben, wenn sie einem begegnen? Und wenn man als
intersektionale Person Karriere macht, was verändert sich am Umfeld und an einem
selbst? An welchen Vorbildern und Best Practices kann man sich orientieren? Woran
orientiert man sich, wenn es keine Vorbilder gibt? Auf diese Fragstellungen und weitere
gehe ich im Verlauf des Beitrags ein. Immer jeweils aus einer auf meinen Erfahrungen
basierenden Perspektive. Es geht also bei der hier dargestellten Intersektionalität um die
Kombination Frau mit Migrationshintergrund.
Bevor wir jedoch auf die Erfahrungen und Best Practices eingehen, schauen wir uns
an, inwiefern die Statistiken bereits den Karriereweg einer Frau mit Migrationshinter-
grund in der Verwaltung begünstigen.

2 Fakten und Zahlen

Das Statistische Bundesamt liefert viele Informationen und Zahlen zu Bevölkerung und
Migration. Gepaart mit anderen Quellen zum Anteil von Personen mit Migrationshinter-
grund sowie Zahlen zu Führungskräften in der öffentlichen Verwaltung, ergibt sich die in
Abb. 1 dargestellte Verteilung je 100 Personen in Privathaushalten in Deutschland bzw.
„Warum gerade ich nach oben gehöre“ 45

Abb. 1 Darstellung der Anteile von Frauen und Personen mit Migrationshintergrund in deutschen
Privathaushalten, in der öffentlichen Verwaltung allgemein und bei Führungskräften öffentlicher
Verwaltung. (Eigene Darstellung)
46 Z. Öztürk

je 100 Personen in der öffentlichen Verwaltung und Führung in der öffentlichen Ver-
waltung4,5 (vgl. Abb. 1).
Gehen wir auf die in Abb. 1 dargestellten Verhältnisse etwas ein. Laut dem
Statistischen Bundesamt hat jede vierte in Deutschland lebende Person einen Migrations-
hintergrund.

Bevölkerung mit Migrationshintergrund „Alle Personen, die entweder selbst nicht


mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren sind oder bei denen mindestens ein Elternteil
nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren ist. Diese Personengruppe umfasst rund
ein Viertel der Bevölkerung Deutschlands.“ (Statistisches Bundesamt 2022).

In einer Idealwelt findet man diese Aufteilung auch auf dem Arbeitsmarkt und ins-
besondere in der öffentlichen Verwaltung wieder. Denn viele Verwaltungen setzen auf
Chancengleichheit und Diversity. Im öffentlichen Sektor sind jedoch von 100 Personen
nur 16 mit Migrationshintergrund (siehe Abb. 1). Noch weniger ausgewogen wird das
Verhältnis bei den Führungskräften mit Migrationshintergrund. Unter 100 Führungs-
kräften finden sich nur knapp 5 mit Migrationshintergrund (Vogel und Zajak 2020).
Der Anteil an Frauen in der öffentlichen Verwaltung ist recht hoch, 57 von 100
Personen im öffentlichen Dienst sind weiblich, aber nur 30 von 100 Führungskräften.
Kombiniert mit dem Migrationshintergrund haben wir keine ganzen 2 Frauen mit
Migrationshintergrund unter 100 Führungskräften im öffentlichen Sektor6. Frauen mit
Migrationshintergrund machen ein Achtel der Bevölkerung aus.

4 Die Statistiken wurden zusammengeführt und die prozentualen Anteile zum Teil selbst berechnet,
um die Werte für Frauen mit Migrationshintergrund in der Verwaltung und bei den Führungs-
kräften in der Verwaltung darstellen zu können. Entsprechende direkte Statistiken konnte ich
bei meiner Recherche nicht finden. Um diese Statistiken zusammenführen zu können, habe ich
folgende Annahmen getroffen: In der Verwaltung sind ebenfalls 30 % der Führungskräfte weib-
lich und ca. 40 % der erwerbstätigen Personen mit Migrationshintergrund sind weiblich. Diese
Annahmen wurden auf Basis der Quellen des Statistisches Bundesamt (2022, a, b, c, d), Monitor
öffentlicher Dienst des dbb Beamtenbund und Tarifunion (2022), Vogel und Zajak (2020) und
Latz (2018) getroffen. Die tatsächlichen Zahlen können leicht abweichen. Aber auch leichte
Abweichungen würden zu dem Ergebnis führen, dass es ein starkes Ungleichgewicht zwischen
Bevölkerungsaufteilung und Aufteilung in der öffentlichen Verwaltung, insbesondere bei
Führungskräften, gibt.
5 Ich bitte die stereotypische Darstellung in der Abbildung zu entschuldigen. Dieser Druck erfolgt

in Graustufen, sodass ich das Sichtbarmachen der Geschlechter und Migrationshintergründe über
Stereotypen gewählt habe. Zumal Stereotypen auch immer noch gängiges Illustrationsmedium in
unserer Gesellschaft sind.
6 Ein Verlust, wenn man bedenkt, dass Frauen mit Migrationshintergrund häufiger einen

akademischen Abschluss erwerben als Frauen ohne Migrationshintergrund laut Latz (2018)
und ein akademischer Abschluss sehr oft noch Voraussetzung für eine Führungsposition in der
öffentlichen Verwaltung ist.
„Warum gerade ich nach oben gehöre“ 47

In einer Idealwelt müsste also jede achte Führungskraft in öffentlicher Verwaltung


weiblich sein und einen Migrationshintergrund haben und nicht jede 75ste.

3 Warum trotzdem sichtbar werden und den Weg nach oben


gehen?

Wir wissen also nun Folgendes über Frauen mit Migrationshintergrund, wenn sie
Führungskräfte werden wollen:

1. Man wird von Beginn an benachteiligt (bewusst oder unbewusst) und


2. Oben ist man ziemlich allein, weil es nicht viele „Gleichartige“ gibt.

In diesem Beitrag will ich aber gar nicht weiter auf die Benachteiligungen eingehen
bzw. sind diese die Ursache des Problems und es soll nicht bei der reinen Ursachen-
betrachtung bleiben. Vielmehr will ich betrachten, wie der Umgang mit den aus der
Ursache entstehenden Problemen bei den Betroffenen ist. Ich widme mich daher nach-
folgend der Frage, wie sich eigenes Verhalten ändert, wenn man zu den knapp 1,5
Personen unter 100 Führungskräften gehört und wieso es wichtig ist, sich selbst als Role
Model zu sehen und es auch zu sein.
Fangen wir damit an, wie sich das eigene Verhalten ändert. Als Frau mit Migrations-
hintergrund ist es schwerer einen Führungsposten zu erhalten als es für einen sog. Cis-
Mann wäre. Und bereits von Beginn an, macht man dann etwas, was viele von euch
vielleicht kennen: man versucht nicht aufzufallen und sich anzupassen.
Die Abbildung oben macht bereits farblich deutlich, dass die dunklen Anteile recht
gering in der Masse sind. Anhand eines anderen Beispiels will ich dies noch weiter aus-
führen. Nehmen wir eine Schafsherde. In meinem Beispiel sind alle Schafe der Schafs-
herde weiß. Nur eines nicht, das ist schwarz. Es fällt auf. Das schwarze Schaf ist für
alle deutlich zu sehen und es wird auch von allen gesehen. Das ist unangenehm für das
schwarze Schaf, denn es ist das einzige schwarze Schaf unter vielen weißen Schafen.
In diesem Moment wäre das schwarze Schaf gerne auch ein weißes Schaf, wie alle
anderen um sich herum. Es überlegt sich Sachen, wie es auch mehr als weißes Schaf
wahrgenommen wird. Es passt sich in Smalltalk-Situationen an, es hält sich zurück, es
informiert sich, was die anderen weißen Schafe denn zu weißen Schafen gemacht hat.
Es fragt sich die ganze Zeit, ob es seinen Platz unter den anderen weißen Schafen über-
haupt verdient hat. Denn viele Frauen und Personen mit Migrationshintergrund fühlen
sich in solchen Situationen als „Hochstapler“ (Clance und Imes 1978). Egal wie gut man
ist, zieht man seine eigenen Fähigkeiten und Leistungen dabei in Frage und zweifelt
daran, verdient zu haben, wo man ist. Dieses Phänomen tritt deutlich weniger bei weißen
Männern auf. Dort gilt das Credo „Fake it till you make it“, und das ist gesellschaftlich
48 Z. Öztürk

und in der Arbeitswelt akzeptiert. Frauen, die sich ihren Weg in Führung hart erarbeiten,
werden hingegen eher als die „Quotenfrauen“ wahrgenommen7.
Instinktiv versucht man, sich immer mehr anzupassen, nicht als Hochstapler aufzu-
fliegen. Nicht mehr die Quote zu sein. Mehr zu agieren, wie die anderen. Vom schwarzen
Schaf zum weißen Schaf zu werden. Und da das in der Regel nicht möglich ist, stülpt
man sich zumindest ein weißes Fell über. Das schwarze Schaf darunter versucht ver-
borgen zu bleiben. Es versucht Fragen zu seinem schwarzen Hintergrund zu meiden.
Wenn die Diskussion doch aufkommt, versucht es nur Dinge zu sagen, von dem es
glaubt, dass die anderen weißen Schafe es auch hören wollen.
Warum man das tut? Weil meiner Erfahrung nach gar nicht wirklich gehört werden
will, was „wir“ schwarzen Schafe zu erzählen haben und was „wir“ schwarzen Schafe
denken. „Wir“ sind anders und über „uns“ hat man schon Sachen gehört8. Nur wenige
Menschen stellen Fragen über andere Kulturen, Religionen und politische Meinungen
mit einer unvoreingenommenen Haltung. Man vergisst dabei häufig, dass das Gegen-
über ein Individuum mit eigener Meinung und eigener Ansicht ist. Es ist kein politischer
oder religiöser Vertreter seiner Herkunft. Es ist kein Sprecher für das Ursprungsland, die
Religion oder dergleichen. Was hinzukommt ist, dass man im beruflichen Kontext ein-
fach über manche Themen auch nicht reden will, insbesondere wenn Unterhaltungen
nicht auf derselben Hierarchieebene stattfinden.

Beispiel: „Mesut Özil-Skandal“

Nehmen wir ein Beispiel: Bei dem „Mesut Özil-Skandal“ vor einigen Jahren, bei
dem sich ein deutscher Fußballnationalspieler mit dem türkischen Präsidenten foto-
grafieren ließ, wurde in Deutschland kontrovers diskutiert, ob der Fußballer mit
türkischer Migrationshistorie integriert ist oder nicht. In einem Brief hat sich der
Fußballer, Mesut Özil, dazu geäußert und dargestellt, dass er zwei Herzen habe,
ein deutsches und ein türkisches. Am nächsten Tag wurde ich auf der Arbeit direkt
gefragt, was ich denn von der ganzen Sache mit Özil hielte. Ich habe ausweichend
entgegnet, dass das alles etwas komplexer sei, als man zwischen Tür und Angel
besprechen könne. Die Antwort war ein Stirnrunzeln und eine Rückfrage, dass ich
mich doch aber sicherlich Deutsch und integriert fühle.

7 Auch ich wurde in meinem ersten Monat in der öffentlichen Verwaltung gefragt, ob ich die Stelle
erhalten habe, weil noch ein „Quotenausländer“ benötigt wird und dass ich ja auch in vielerlei
Hinsicht sehr gut die Quotenrolle erfülle. Mir mangelt es zwar nicht an Selbstbewusstsein, und
trotzdem hat das in mir sofort die Frage ausgelöst, ob dem wirklich so war. Hat man mich am Ende
nur deshalb eingestellt? Bin ich gar nicht qualifiziert für meine Arbeit?
8 Sicherlich gibt es auch einige schwarze Schafe, auf die Vorurteile zutreffen. Es gibt aber eben

auch sehr viele Fälle, auf welche Pauschalisierung nicht zutrifft.


„Warum gerade ich nach oben gehöre“ 49

Unabhängig davon, welche Meinung man im „Özil“-Skandal vertritt, ist für viele in
Deutschland lebende Menschen mit Migrationshintergrund der Satz „Ich habe zwei
Herzen, ein Deutsches und ein Türkisches9“ sehr nachvollziehbar. Es hat nichts damit zu
tun, ob man integriert ist oder nicht. Identitätsfindung bei Personen mit Migrationshinter-
grund ist sehr schwer. Es ist leider nicht so plakativ abzutun wie „Was bist du nun?“
und „Dann kannst du aber nicht integriert sein?“ Es ist deutlich komplexer, emotionaler
und schwer nachvollziehbar, wenn man selbst nichts Vergleichbares kennt. So ein
Thema hat nichts auf der Arbeit verloren, wenn es nicht ausdrücklich von der Person mit
Migrationshintergrund gewünscht wurde.
Aber genau ein solches, doch immer wieder in Situationen gezogen werden wie
oben beschrieben führt dazu, dass man nur einen Ausweg kennt: Man versucht, solche
Gespräche zu vermeiden. Man sagt, was gehört werden will. Man lässt seine eigene,
häufig differenziertere Meinung unausgesprochen. Man versucht es der Mehrheit recht
zu machen, um seine eigene Stellung auf der Arbeit nicht zu gefährden. Man bleibt ein
schwarzes Schaf mit weißem Umhang.
Das geht so weit, dass man sein eigenes Verhalten und Urteilsvermögen immer mehr
dem anpasst, von dem man glaubt, dass es von einem erwartet wird.

Beispiel: Recruiting

Ein weiteres Beispiel: Vor einigen Jahren ging es darum, dass wir in unserem Bereich
Mitarbeiter*innen einstellen wollten. Ich war in der Ausschreibung als fachliche
Ansprechpartnerin benannt. Es war auffällig, dass wir eine deutlich höhere Anzahl an
Bewerber*innen mit Migrationshintergrund hatten.
Als ich über die Namen der Bewerber*innen geschaut habe, habe ich mich
selbst dabei ertappt, dass ich mich gefragt habe, ob ich überhaupt eine Person mit
Migrationshintergrund auf der Stelle haben möchte. Oder gar auch eine Person mit
Kopftuch. Was bewegte mich dazu, so zu denken? Ganz simpel: ich will nicht dem
Vorwurf ausgesetzt sein, dass ich meinesgleichen bevorzuge, gar Vetternwirtschaft
im Spiel ist. Ich will nicht, dass mein weißer Schafsmantel löchrig wird und mein
schwarzes Fell darunter zum Vorschein kommt, indem sich andere schwarze Schafe
direkt zu mir gesellen. Sie dürfen gerne woanders schwarze Schafe sein, wenn sie
aber direkt bei mir sind, sehen alle wieder, was ich bin: ein schwarzes Schaf.10

9 Oder ein anderes Land, welches der Migrationsgeschichte der jeweiligen Person entspricht.
10 Ichwerde nachher nochmal darauf eingehen, welche Verhaltensänderung dieses Beispiel in mir
ausgelöst hat, aber hier sei schon mal ein kleiner Sneak Peak gestattet: Ich habe mich bei der Aus-
wahl der Kandidat*innen komplett von den Erfahrungen und Fähigkeiten dieser leiten lassen und
dies auch mit Führungskräften rückgekoppelt, um sicherzugehen, dass der Auswahlprozess fair
und gerecht bleibt.
50 Z. Öztürk

Ebenfalls vor einigen Jahren hat sich ein neuer spannender Führungsposten aufgetan.
Ich habe meinen Hut bzw. mein Kopftuch in den Ring geworfen, aber die Rückmeldung
bekommen, dass dies ein Griff nach den Sternen wäre. Also habe ich aufgegeben.
Sowohl das Ereignis mit den Bewerber*innen als auch dieser missglückte Versuch in
Richtung Führung hat mich umgetrieben. Mir ist bewusst geworden, dass mein ständiges
Imitieren eines weißes Schafs, mein Verhalten und mein Urteilsvermögen auf eine Art
und Weise beeinflusst, die mich auf der Arbeit zu jemandem macht, der nicht mehr Ich
selbst bin. Man fängt an, nur noch danach zu urteilen, was andere denken könnten. Und
man macht sich in der Menge der weißen Schafe unsichtbar. Die sehr gute Leistung und
das Können werden dadurch nicht mehr wahrgenommen. Warum auch? Man hat sich
die ganze Zeit bedeckt gehalten. Insofern konnte ich sehr gut nachvollziehen, warum ich
nicht als potenzielle Führungskraft gesehen wurde. Wie auch, wenn man unsichtbar ist.
Also habe ich entschieden wieder mehr Ich selbst zu sein. Ich habe den weißen Umhang
abgelegt. Ich bin ein schwarzes Schaf. Ich zeige allen, dass ich ein schwarzes Schaf bin.
Ich denke und handle wie ein schwarzes Schaf, was versteht, wie wichtig es ist, unter den
weißen Schafen schwarz zu sein. Und ich finde es toll, ein schwarzes Schaf zu sein.11

Und welchen Effekt es darauf hatte, dass ich endlich nun auch nach außen hin das
schwarze Schaf bin, das ich nun mal bin, will ich gerne beschreiben:

1. Die Energie, die ich bis dahin darein gesteckt habe, unauffällig zu sein, habe ich voll
und ganz in meine Arbeit stecken können. Ich habe mich nicht mehr zurückgehalten,
habe meine Ideen eingebracht und diese auch vorangetrieben. Ich bin immer besser
und selbstbewusster in dem geworden, was ich mache.
2. Ich habe meinem Umfeld nicht nur gezeigt, dass ich ein schwarzes Schaf bin, sondern,
dass ich ein seine Arbeit sehr gut machendes schwarzes Schaf bin. Ich werde wahr-
genommen, meine Leistung wird wahrgenommen. Meiner Karriere hat es gut getan.
3. Ich habe persönlich mehr Wert darauf gelegt, nicht mehr nur unter weißen Schafen zu
sein, sondern in einem Team zu arbeiten, welches aus unterschiedlichen Blickwinkeln
sehr divers ist.
4. Die weißen Schafe, die schwarze Schafe nicht so gut finden, fangen an zu
akzeptieren, dass es schwarze Schafe gibt und diese der ganzen Herde gut tun.
5. Andere, noch mit Mantel versehene schwarze Schafe, haben mich gesehen und
angesprochen, wie toll sie es finden, mich zu sehen und wie sehr sie dies inspiriert.

Auf die letzten beiden Punkte will ich etwas näher eingehen. Sie sind ein Resultat davon,
dass ich begonnen habe Punkt Zwei ohne Scheu zu leben, aber insgesamt dazu beitragen,
dass die weiße Schafherde immer gemischter wird.

11 Natürlich war der tatsächliche Erkenntnis- und Wandelprozess deutlich komplexer als hier dar-

gestellt.
„Warum gerade ich nach oben gehöre“ 51

Trotz guten Selbstbewusstseins ist es mir schon immer schwer gefallen, mich selbst
zu präsentieren. Insbesondere wollte ich nicht als die „Ausländerin“ oder als eine der
wenigen Frauen in der IT gesehen werden, die sich mit ihresgleichen solidarisieren
muss, um erfolgreich zu sein. Ich dachte lange Zeit, dass meine Arbeit für mich sprechen
muss und mir meinen Weg ebnen wird. In einer gerechten Welt wäre dem auch so. In der
Welt, in der wir leben, von der ich eingangs einige Auszüge dargestellt habe, ist das aber
nicht so. Diese Welt erfordert, dass man sich zeigt. Dass man sich solidarisiert. Dass man
zeigt, ebenfalls ein Teil der Gesellschaft und der Arbeitswelt zu sein, aber eben genauso,
wie man ist und dass es für einen selbst auch nicht alles so einfach ist, wie es von außen
manchmal wirkt.
Das Letzte, was ich sein wollte: Ein Role Model. Denn Role Models, das sind die
anderen. Die Frauen und Migrant*innen, die Unternehmen leiten und Nachrichten
moderieren. Das sind z. B. Tijen Onaran, Mai Thi Nguyen-Kim, Düzen Tekkal oder
Nazan Eckes.
Nach Vorträgen oder Bühnenauftritten wurde ich von den weißen und den schwarzen
Schafen gleichermaßen darauf angesprochen, wie toll sie es finden, mich zu sehen und
wie sehr sie dies inspiriert hat. Und obwohl es mir bis dahin fern war, für andere ein Vor-
bild zu sein, ist mir aufgefallen, dass meine Sichtbarkeit zu den oben genannten Punkten
4 und 5 führt und dass ich längst zu einem Role Model geworden bin. Eines aus dem All-
tag. Aus einem Verwaltungsjob, am Anfang der Karriereleiter. Aber eines, das zeigt, dass
auch wir schwarzen Schafe oben sein können und es auch sein sollten.

4 Wie kann jeder von uns seinen Beitrag leisten?

Die Verwaltungswelt sollte genauso bunt sein, wie es auch unsere Gesellschaft ist. Denn
nur so, können wir als Verwaltungsmitarbeitende auch zu einem wirklich guten Dienst-
leister für unsere Kund*innen werden. Warum Diversität so wichtig ist, wird bestimmt
noch an anderen Stellen dieses Buchs erörtert. Deshalb beschränke ich mich hier darauf,
einige Aspekte aufzulisten, die meiner Ansicht nach jeder tun kann, um seinen Beitrag zu
Diversität zu leisten und das respektvollere Miteinander zu unterstützen.

Was Verwaltungsmitarbeitende ohne Migrationshintergrund tun können


Fangen wir mit den Verwaltungsmitarbeitenden ohne Migrationshintergrund an:

Bevor ihr Kolleg*innen mit Fragen zu Background, Lebensentscheidungen,


politischer Meinung, Migrationshintergrund befragt, stellt euch innerlich selbst
folgende Frage „Würde ich dieselbe Frage auch Kolleg*innen stellen, die
keinen Migrationshintergrund haben, nicht Frau sind oder eine Familie haben?“
Lautet die Antwort nein, dann stellt die Frage an euer Gegenüber erst gar nicht.
52 Z. Öztürk

Wenn ihr mehr über solche Themen wissen wollt, dann googelt, geht zur
Bundeszentrale für politische Bildung, geht in die Moschee oder Synagoge
oder oder… Und akzeptiert im 21. Jahrhundert einfach, dass es andere
Konstellationen von Familie und Familienverständnis gibt als die klassische
„Mama, Papa und Kind“-Konstellation.
Gebt euch Mühe, Namen korrekt auszusprechen. Denn bei den guten Aus-
ländern gebt ihr euch bereits diese Mühe. Die Mehrheit der Lesenden wird
den spanischen Namen Juan direkt im Kopf schon mit der richtigen Aus-
sprache lesen und nicht in deutscher Aussprache. Warum gibt es also bei mehr
als 50 Jahren Migrationsgeschichte in Deutschland immer noch solche grund-
legenden Probleme mit der Aussprache von Standardlauten der Sprachen, aus
denen die meisten Migrant*innen kommen? Durch die richtige Namensaus-
sprache senden Arbeitgeber und Kolleg*innen bereits das erste Signal, dass die
Person mit Migrationshintergrund akzeptiert und respektiert wird. Eine wichtige
Basis dem Gegenüber das Gefühl zu geben, man selbst sein zu dürfen.
Personen mit Migrationshintergrund wollen nicht hören, welche Vorurteile ihr
hattet und wie sie diese durch euch abbauen konnten. Es ist toll für euch, dass
ihr einen Teil eurer Vorurteile abbauen konntet. Warum jedoch dem Gegen-
über sagen, dass man diese hatte? Inwiefern hilft die Information über eure
Vorurteile eurem Gegenüber? Als ich neu in der Verwaltung war, habe ich eine
Kurzpräsentation vor einer größeren Gruppe von Leitungen gehalten. Einer der
Zuhörer ist am Folgetag auf mich zugekommen und hat mir mitgeteilt, dass er
und seine Tischnachbarn sich aufgrund meines Aussehens gefragt hätten, ob ich
überhaupt Deutsch spreche. Dann hätte ich aber mit so viel Witz und Charme in
perfektem Deutsch vorgetragen, dass er noch abends seiner Frau erzählt habe,
es sei ja nicht so wie im Fernsehen. Er sah mich erwartungsvoll an und hat auf
eine bestätigende Reaktion gewartet. Für mich, ganz neu in der Verwaltung
hat sich dies aber einfach nur falsch angefühlt, weil es mir nicht das Gefühl
gegeben hat, in meinem neuen Umfeld willkommen zu sein. Es hat mir statt-
dessen gezeigt, wie ich wahrgenommen werde, was meine Selbstverschleierung
als schwarzes Schaf nur unterstützt hat.
Personen mit Migrationshintergrund wollen nicht immer wieder darauf
angesprochen werden, wie gut sie Deutsch sprechen und dass es toll ist, wie
sie integriert sind. Manche von ihnen leben schon in der dritten oder vierten
Generation in Deutschland. Für sie ist das, was ihr ihnen als Kompliment mit-
teilen wollt, eine Selbstverständlichkeit. Solche Komplimente sind nicht nett für
das Gegenüber. Damit sagt ihr nur aus, dass ihr selbst noch Bedenken bezüglich
der Integration von Personen mit Migrationshintergrund habt.
Und der wichtigste Rat zum Schluss: Unterstützt Personen mit Migrations-
hintergrund, die ihren Job gut machen. Zeigt ihnen Perspektiven auf. Zeigt
„Warum gerade ich nach oben gehöre“ 53

ihnen Möglichkeiten der Weiterentwicklung auf. Sprecht ihnen Mut zu. Denn
in den meisten Fällen sind es Personen, die aus einer anderen Sozialisierung
kommen und denen Netzwerke zur Karriereförderung einfach fehlen.

Hinweise für die schwarzen Schafe unter uns!


Und natürlich gibt es auch einige Hinweise für die schwarzen Schafe unter uns:

Hört auf euch einen weißen Umhang überzustülpen. Mach euch nicht klein,
haltet euch nicht zurück. Diversität, andere Blickwinkel und andere Lebens-
erfahrungen tragen dazu bei, dass wir als Gemeinschaft besser werden.
Baut euch ein Netzwerk auf oder tretet Netzwerken bei. Sie sind karriere-
fördernd und durch den Erfahrungsaustausch stellt man fest, dass man nicht
ganz so allein ist.
Sprecht über euch und euer Leben, natürlich nur in dem Maße, das für euch
akzeptabel ist. Denn wenn wir mehr Einblick in uns und unsere Welt lassen, helfen
wir anderen Menschen Vorurteile abzubauen und neue Erkenntnisse zu sammeln.
Seid Role Models. Macht euch sichtbar und zeigt, was ihr erreicht habt. Egal, wo
ihr euch auf eurer Karriereleiter befindet. Es inspiriert andere Personen, Frauen
und auch Menschen mit Migrationshintergrund auch ihren Weg weiterzugehen,
als sie es sich bisher vielleicht für möglich erachtet oder sich zugetraut haben.

5 Fazit

Was ich euch mit diesem Beitrag mitgeben will, ist, dass unsere Gesellschaft bereits bunt ist
und nicht nur aus weißen Schafen besteht. Diese Farbe benötigen wir auch auf allen Ebenen
der öffentlichen Verwaltung. Wir benötigen Schafsherden mit schwarzen, roten, blauen und
regenbogenfarbenen Schafen. Denn diese Vielfalt ermöglicht es uns als Verwaltung, zu
einem sehr guten und zukunftsfähigen Serviceleister unserer Gesellschaft zu werden. Das
erreichen wir aber nur, indem wir Chancen ergreifen, aufzeigen, welche positiven Beispiele
wir schon haben und insbesondere auch Chancen und unsere bunten Schafe fördern.

Literatur

Buchkapitel

Bonefeld, M., Dickhäuser, O.: Max vs. Murat: Effekte des Migrationshintergrundes bei der Diktat-
beurteilung. GEBF-Tagung (2017)
54 Z. Öztürk

Clance, P.R., Imes, S.A.: The Impostor Phenomenon in high achieving women: Dynamics and
therapeutic intervention. In: Psychotherapy. Theory, Research, Practice (1978)

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und Geschlecht. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/
Migration-Integration/Tabellen/liste-migrationshintergrund-geschlecht.html (2022a).
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Beschäftigten im Öffentlichen Dienst. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-
Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/Tabellen/integrationsindikatoren-beschaeftigte-
oeffentldienst.html (2022b). Zugegriffen: 30.10.2022
Statistisches Bundesamt, Migration und Integration, Frauen in Führungspositionen. https://
www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-1/frauen-
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hintergrund in der bundesdeutschen Elite vertreten sind. DeZIM Research Notes - RN-2020-
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politische Bildung. https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/280264/
zahlenwerk-frauen-mit-migrationshintergrund-in-deutschland/#:~:text=Erwerbsstatus,%20
Stellung%20Im%20Beruf,%20Wirtschafsbereich%20und%20Einkommen (2018). Zugegriffen:
30.10.2022

Zehra Öztürk, Senatskanzlei der Freien und Hansestadt Hamburg, Hamburg. Zehra Öztürk ist
Projektleiterin und stellvertretende Referatsleiterin im Amt für IT und Digitalisierung der Freien
und Hansestadt Hamburg. Die studierte Informatikerin hat erst in der freien Wirtschaft Chatbots
entwickelt, bevor sie sich in der Hamburger Verwaltung diversen IT-Projekten widmete.
Neue Chancen für den
Fachkräftemangel: Vom
Diversity Narrativ einer weißen*
Mehrheitsgesellschaft zu einer
inklusiven Verwaltung

Melanie Peterson

Zusammenfassung

Der Fachkräftemangel schreitet progressiv voran. Die Förderung von Vielfalt und
Inklusion sollen dieser Entwicklung entgegenwirken und die Verwaltung dabei
unterstützen, unterschiedliche demografische Gruppen als Fachkräfte für den Public
Sector zu erschließen. Doch was, wenn gerade die Perspektiven und Praktiken, die
historisch marginalisierte Bevölkerungsgruppen fördern und unterstützen sollen, sie
stattdessen diskriminieren und stigmatisieren? In dem Fachbeitrag wird beleuchtet,
wie institutionalisierter Rassismus bis heute tief in unseren Verwaltungsstrukturen
wirkt und was wir im öffentlichen Sektor tun können und müssen, um eine chancen-
gerechte Teilhabe jener bisher unterrepräsentierten Gruppen zu gewährleisten – für
eine inklusive und diskriminierungsbewusste Verwaltung.

Schlüsselwörter

Diversity · Inklusion · Weiße Menschen · Schwarze Menschen · People of Color ·


Fachkräftemangel · Rassismus · Rassismuskritik · Diskriminierungsbewusstsein

M. Peterson ( )
GovMarket GmbH, Berlin, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 55


Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_4
56 M. Peterson

1 Einleitung

Der Public Sector in Deutschland umfasst das gesamte Spektrum der öffentlichen Ver-
waltung und Dienstleistungen und gilt als eines der fortschrittlichsten und effizientesten
Regierungssysteme der Welt. Nun steht die Verwaltung vor der Herausforderung
einer veränderten Bevölkerungsstruktur. Demografische Entwicklungen wie sinkende
Geburtenraten, eine erhöhte Lebenserwartung und Migration zwingen uns, sowohl in
der Privatwirtschaft als auch im Public Sector nachhaltige Lösungen und neue Chancen
für den wachsenden Fachkräftemangel zu schaffen (vgl. Einführungskapitel dieses
Buches).
Mit der Förderung von Vielfalt in der Verwaltung sollen u. a. die Bevölkerungs-
strukturen authentisch in der Verwaltung repräsentiert werden – ein ambitioniertes
Ziel mit etlichen Tücken. Auf eine dieser Herausforderungen stoßen wir spätestens
dann, wenn wir uns mit dem allseits beliebten Terminus des „Migrationshintergrunds“
beschäftigen – ein Überbegriff für sämtliche zugewanderten Bevölkerungsgruppen (vgl.
Statistisches Bundesamt 2023), der die Sichtbarkeit und Lebensrealitäten historisch
marginalisierter Gesellschaftsgruppen in etlichen Kontexten ausblendet. Somit fehlen
uns für eine gerechte Inklusion in der Verwaltung die Perspektiven jener Menschen,
für die es die Lösungen zu finden gilt. Diese Faktoren tragen einmal mehr dazu bei,
dass Ideale und Narrative rund um Inklusion und Vielfalt weiterhin von Weissen*
Perspektiven mit einhergehenden Privilegien einer dominanten Mehrheitsgesellschaft
geprägt sind.
Die gute Nachricht: Der Mangel an kultureller Vielfalt im öffentlichen Sektor wurde
in den letzten Jahren weithin erkannt, stellt jedoch nach wie vor eine große Heraus-
forderung in der Personalbeschaffung dar. Dabei geht es nicht nur um die moralische
und ethische Verpflichtung des Staates, diverser zu rekrutieren, sondern auch darum,
wie sich kulturell homogene Perspektiven auf die Qualität öffentlicher Dienstleistungen
und die Politikgestaltung auswirken. Das Verständnis der Ursachen und die Folgen von
Machtdynamiken und fortbestehenden Vorurteilen gegenüber strukturell benachteiligten
Gruppen sind jedoch entscheidend, um Gerechtigkeit und Inklusion im deutschen
öffentlichen Sektor zu fördern.
In diesem Fachbeitrag soll durch das Aufzeigen historischer Zusammenhänge
erläutert werden, wie sich das deutsche Diversitätsverständnis im öffentlichen Sektor
und in einer Weissen* Mehrheitsgesellschaft unter dem Ausschluss rassifizierter*
Bevölkerungsgruppen entwickelt hat und somit keine gerechte Inklusion stattfindet. Im
Gegenteil: In zahlreichen deutschen Institutionen in der Verwaltung werden nach wie vor
kolonialistisch geprägte Werte und Ideale reproduziert. Besonders bemerkbar machen
sich diese im Bildungs- und Gesundheitswesen, die in Abschn. 3 dieses Fachbeitrags
genauer erläutert werden.
Gleichzeitig soll diskutiert werden, wie marginalisierte, explizit von Rassismus
betroffene Bevölkerungsgruppen das Vielfalt- und Inklusions-Narrativ in der Verwaltung
mitprägen können, um neue Potenziale und Perspektiven zur Bewältigung des Fach-
kräftemangels freizusetzen.
Neue Chancen für den Fachkräftemangel: … 57

2 Weißsein als unsichtbare Deutungshoheit im Diversity-


Diskurs

Im sozialpsychologischen Kontext umfasst das Diversity-Konzept ein breites Spektrum


an unterschiedlichen Dimensionen. Zu jenen Dimensionen zählen etwa die kulturelle
Zugehörigkeit, Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Neurodivergenz und
körperliche Behinderungen, Glaubenssysteme, Alter, Bildung und soziale Herkunft (vgl.
Einführungskapitel dieses Buches).
Diese Dimensionen zeigen zwar die Unterschiede und je nach Darstellung eine
Hierarchie innerhalb der jeweiligen Kategorie auf, ergründen jedoch nicht die unsichtbaren
Mechanismen, die der Erhebung und Bewertung dieser Dimensionen zugrunde liegen: dass
Weißsein* als gesellschaftliche Norm und als globaler Maßstab für Innovation, Fortschritt,
Intelligenz, Schönheit und Erfolg gilt. Ein Narrativ, welches seit Jahrhunderten reproduziert
wird und bis heute global für strukturelle Privilegien weisser* Gesellschaftsgruppen sorgt.
In ihrem Buch „Why we matter- Das Ende der Unterdrückung“ spricht die Polito-
login Emilia Roig über den Begriff der „Neutralität“ als zentrales Merkmal der Weissen*
Unterdrückung: „Dieser Neutralität liegt die Annahme zugrunde, dass eine Gesell-
schaft aus ‚normalen‘ Menschen und aus jenen Personen besteht, die von dieser Norm
abweichen. Die Perspektive der ‚normalen‘ Menschen wird häufig als neutral und
objektiv betrachtet, und erhält durch die Zuschreibung jener Attribute mehr Gewicht und
Legitimität als andere Sichtweisen. Auf der anderen Seite werden Personen, die dieser
Norm nicht angehören als partikulär und subjektiv angesehen, sie können weder all-
wissend agieren noch aus der ‚normalen Perspektive‘.“ (vgl. Roig 2021).
Würde man also Stein, Schere, Papier mit den Diversity-Dimensionen spielen, wäre
Weißsein die Dimension, die alle anderen Kategorien aufgrund der selbstauferlegten
Neutralität und Deutungshoheit übertrumpft.
Dies zeigt sich vor allem im Diversity-Diskurs in Deutschland, welcher vorwiegend
von Weissen*, meist cis-geschlechtlichen Frauen und Männern geprägt ist. Der Mangel
an Sichtbarkeit marginalisierter Gruppen in Führungspositionen und entscheidungs-
tragenden Rollen sorgt meist dafür, dass die Perspektiven und Erfahrungen jener Gruppen
nicht gesehen oder entsprechend validiert werden. Dies verstärkt das dominante Weisse*
Narrativ, was die Privilegien Weisser* Individuen weiter verfestigt.
Spannen wir den Bogen zurück auf Diversity und Inklusion in Deutschland, liegt auch
hier die Annahme nahe, dass systemische Machtdynamiken wie die globale Deutungs-
hoheit Weisser* Perspektiven unser Vielfaltsnarrativ und die Implementierung von
Inklusionsmaßnahmen prägen.

2.1 Gender-Equality als Grundlage für eine inklusive


Gesellschaft

Um die Vielfalt im öffentlichen Sektor zu fördern, liegt die Einführung von Quoten zur
Repräsentation bestimmter Gesellschaftsgruppen nahe. Sie erlaubt uns, demografische
58 M. Peterson

Gruppen zu identifizieren und quantifizieren und einhergehende Inklusionsmaßnahmen


entsprechend zu messen.
Als eine der wichtigsten Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt in Deutschland gilt
die Gleichstellung von Frauen. Dazu wurde 2015 erstmals vom Bundeskabinett das
Führungspositionsgesetz eingeführt – mit Erfolg. Durch die Frauenquote erhöhte sich
der Frauenanteil im öffentlichen Dienst des Bundes von knapp 21 % auf 26 %. In den
obersten Bundesbehörden erhöhte sich der Anteil von Frauen in Führungspositionen
von 32,6 % im Jahr 2015 auf 39 % im Jahr 2021 (vgl. Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend 2021).
Die Frauenquote ist insofern wichtig, als dass sie die Gleichstellung und Repräsentation
zweier Geschlechter in Entscheidungspositionen fördert, und dazu beiträgt, die lang-
fristige Stigmatisierung von Frauen in der Arbeitswelt zu beseitigen. Allerdings müssen
wir die strukturelle Diskriminierung von Frauen unbedingt differenziert und intersektionell
betrachten, um zu verhindern, dass das Narrativ um die Gleichstellung von Frauen und um
Geschlechtergerechtigkeit dann statt von Weissen* Männern nun von Weissen* Frauen der
mittleren und oberen sozialen Schichten kontrolliert wird.
Andernfalls laufen wir Gefahr, Frauen allgemein als historisch durch patriarchalische
Systeme marginalisierte Gruppe zu betrachten. Dabei würden wir außer Acht lassen,
dass innerhalb dieser Dimensionskategorie beispielsweise Weisse* Frauen höherer
sozialer Schichten in der Vergangenheit an der Unterdrückung rassifizierter und religiös
unterdrückter Bevölkerungsgruppen entweder aktiv beteiligt waren und/oder durch sie
profitiert haben (vgl. Di Angelo 2018) – eine Machtdynamik, die bis heute wirkt und
Weissen* Frauen, ungeachtet von anderen Diskriminierungserfahrungen in unserer
Gesellschaft, Privilegien verschafft. So stehen beispielsweise Weisse*, christlich
sozialisierte Frauen in unserer von Rassismus geprägten, gesellschaftlichen Hierarchie
über nicht-weiss* gelesenen Männern. Das klassische Machtgefälle zwischen Mann und
Frau ändert sich also mit der rassifizierten Identität der Betroffenen.
Das Konzept „Vielfalt“ ist also komplex und sollte daher nicht nur intersektionell
betrachtet werden, sondern auch aus dem Kontext historisch bedingter, struktureller Dis-
kriminierung. Dies bedeutet, dass unser Verständnis dahingehend sensibilisiert werden
muss, dass Angehörige unterschiedlicher demografischer Gruppen je nach individueller
Ausprägung Diskriminierung und/oder Privilegien auf mehreren Ebenen zugleich
erfahren.

2.2 Die Migrantenquote als Hoffnung für die gelungene


Integration

Im Gegensatz zur erfolgreichen Implementierung der Frauenquote in der Verwaltung


verhält es sich beim Verhältnis von Beschäftigten mit Migrationsgeschichte im
öffentlichen Sektor anders.
Neue Chancen für den Fachkräftemangel: … 59

Das Statistische Bundesamt misst aktuell einen Migrationsanteil von über 22 Mio.
in Deutschland lebenden Menschen (vgl. Statistisches Bundesamt 2022), wobei hier
davon auszugehen ist, dass die Dunkelziffer durch geflüchtete Zugewanderte wesentlich
höher ist. Vergleichsweise verzeichnet das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung
Anfang 2022 einen Migrationsanteil von bis zu 12 % in der Bundesverwaltung, während
Migrant*innen 28 % der Gesamtbevölkerung im erwerbsfähigen Alter stellen (vgl.
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2022). Bisher keine berauschende Bilanz, die
nicht zuletzt seit 2021 für eine erneute Diskussion zur Einführung der Migrantenquote
sorgt und vielerorts und zurecht auf Kontroversen stößt.
Was macht den Migrationshintergrund also kontrovers?
Der „Migrationshintergrund“ wurde im Jahr 2005 in Deutschland eingeführt und ist
ein vom Statistischen Bundesamt initiierter Überbegriff, der der Identifikation, Quanti-
fizierung und Integration aller zugewanderter Bevölkerungsgruppen dienen soll – ein
Forschungsansatz, der in der Wissenschaft auf viel Kritik stößt. Per Definition hat eine
Person dann einen Migrationshintergrund, „wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil
die deutsche Staatsangehörigkeit nicht von Geburt an besitzt“ (vgl. Statistisches Bundes-
amt 2023).
Daraus erschließt sich, dass die Bezeichnung des Migrationshintergrunds Menschen
aus unterschiedlichen europäischen Ländern miteinschließt, die jedoch nicht zwangs-
läufig von historisch bedingter, struktureller Diskriminierung aufgrund ihrer Religion,
Hautfarbe oder Nationalität betroffen sind. Dadurch sind Forschungsergebnisse aufgrund
stark unterschiedlicher Lebensrealitäten verfälscht und sorgen dafür, dass besonders Dis-
kriminierungserfahrungen rassifizierter Gruppen wie die Schwarzer* Menschen, People
of Color*, Romn*ja*, Sinti*zze*, Muslime oder Jüd*innen oftmals unsichtbar bleiben.
Auf der anderen Seite machen Schwarze* Deutsche, deutsche Romn*ja* und
Sinti*zze, deutsche Muslime und deutsche Jüd*innen ebenfalls Rassismuserfahrungen,
erkennen bei sich jedoch als zweite oder dritte Generation eingewanderter Nachkommen
keinen Migrationshintergrund und werden in der Statistik auch nicht entsprechend
erfasst.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass von den aktuell in Deutschland lebenden knapp
60 Mio. Personen ohne Migrationshintergrund (siehe Abb. 1) eine bestimmte Anzahl an
Gesellschaftsgruppen besteht, die Rassismuserfahrungen machen, für die jedoch keine
institutionalisierten Maßnahmen zur Inklusion entwickelt werden.

2.3 Die Forschungslücke rassifizierter Gruppen – ein


Praxisbeispiel

Die Diskriminierungserfahrungen rassismusbetroffener Gesellschaftsgruppen wie die


Schwarzer* Menschen, People of Color*, Muslime oder Jüd*innen in Deutschland
haben in den letzten Jahren zunehmend an Aufmerksamkeit gewonnen. Trotzdem fehlen
60 M. Peterson

Abb. 1 Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Deutschland, 2021. (Bildlizenz: CC BY-ND


4.0, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2022)

nach wie vor aussagekräftige Forschungsdaten über das Ausmaß und die Arten der Dis-
kriminierung, denen sie ausgesetzt sind.
Sehr beispielhaft zeigt sich die fehlende Repräsentation rassifizierter Gruppen
unter dem Deckmantel des „Migrationshintergrunds“. In der 2018 erschienenen
Studie „Diversität in öffentlichen Einrichtungen“ wurde erstmals untersucht, wie viel-
fältig Führungsebenen in der Berliner Verwaltung sind. Die Studie ergab, dass 15 %
der Führungskräfte einen Migrationshintergrund haben, davon allerdings nur 3 %
rassistische Diskriminierung aufgrund äußerer Merkmale wie der Hautfarbe oder
der Religionszugehörigkeit erfahren (vgl. Aikins et al. 2018, S. 14). Zwar gibt es in
Berlin das Partizipations- und Integrationsgesetz (PartIntG), das die Chancengleich-
heit von Migrant*innen sicherstellen soll, aber in diesem Gesetz fehlt es an konkreten
Umsetzungsmethoden1. Das hat zur Folge, dass rassifizierte* Gruppen wie Schwarze*
Menschen und People of Color* bis heute in vielen Bereichen in der Verwaltung unter-
repräsentiert sind.
Es geht also vor allem um ein besseres Verständnis der Selbst- und der Fremd-
wahrnehmung: „Wie bezeichne ich mich selbst? In welchen Kontexten werde ich dis-
kriminiert?“ Diese Erfahrungen sind selten identisch. Eine Person of Color* kann
beispielsweise antimuslimisch diskriminiert werden, ohne per se Muslime zu sein.

1 Anmerkung der Hrsg.: Zum Berliner Partizipations- und Integrationsgesetz (PartIntG) findet sich
in Teil 5 dieses Buchs ein eigenständiger Fachbeitrag.
Neue Chancen für den Fachkräftemangel: … 61

Der Begriff des Migrationshintergrundes kann durchaus dazu beitragen, Dis-


kriminierung sichtbar zu machen, etwa beim Zugang zum Wohnungs- oder Arbeits-
markt. Dabei müssen wir aber immer auf seine Grenzen achten. Weitergedacht bedeutet
dies, dass auch potenzielle Quoten für Migrant*innen intersektionell und differenziert
gedacht werden müssen. Ergänzend dazu brauchen wir eine entsprechende Regelung,
die strukturelle Barrieren abbaut und Chancengerechtigkeit durch zielgerichtete
Förderprogramme und Recruitingmaßnahmen entsprechend der individuellen Dis-
kriminierungserfahrung gewährleistet.
Im gleichen Atemzug ist es essenziell, kritisch zu hinterfragen, welche Perspektiven
der Erstellung soziodemografischer Messeinheiten wie der des Migrationshintergrunds
zugrunde liegen. Unter dem Migrationshintergrund werden Rassismuserfahrungen
nicht differenziert betrachtet, was eine wichtige Erkenntnis zur Förderung von Vielfalt
und Inklusion verhindert: Deutschlands Kolonialgeschichte und ihre Auswirkungen auf
unsere heutigen Gesellschaftsstrukturen.

3 Rassismus als Deutschlands Kolonialerbe

Um die Herausforderung einer kulturell integrativen Politik in Deutschland künftig


besser meistern zu können, ist es wichtig, Deutschlands Kolonialgeschichte und
Nationalismus-Vergangenheit und deren Auswirkungen auf den heutigen Umgang mit
strukturellem Rassismus zu verstehen.
Während des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts besaß das damalige Deutsche
Kaiserreich Kolonien in Afrika (vgl. Foto in Abb. 2) und Asien und war maßgeblich
an der Streuung von Ideen und Werten des Imperialismus und des Sozialdarwinismus
beteiligt – einer Ideologie, die sich auf der Rassenlehre stützt und die Überlegenheit
einer weissen* Rasse* propagiert. Durch dieses Narrativ wurde die gewaltsame Aus-
beutung und Ermordung der besetzten Länder und Völker, wie beispielsweise der Geno-
zid der Herero und Nama-Völker im heutigen Namibia, moralisch gerechtfertigt (vgl.
Kößler und Melber 2017).
Mit dieser Erkenntnis müssen wir feststellen, dass Deutschlands Geschichte nicht nur
von Antisemitismus aus dem Nationalsozialismus geprägt ist, sondern auch von Anti-
Schwarzem Rassismus.
Dieses historische Erbe und das hartnäckig an Deutschland klebende „Nazi-Image“
sorgt für eine eingeschränkte, aber vor allem von Scham und Schuld behaftete Sicht-
weise über die Komplexität von Deutschlands Rassismusgeschichte, was es erschwert,
als Gesellschaft und auf institutioneller Ebene einen ehrlichen und konstruktiven Diskurs
über die heutigen Auswirkungen der Vergangenheit zu führen.
Einen Hoffnungsschimmer lieferte die nach der Ermordung des US-Amerikaners
George Floyd entbrannte Diskussion um Deutschlands Rassismus-Problem. Sowohl
auf Bundes- als auch auf Landesebene wird die Aufarbeitung der deutschen Kolonial-
geschichte eingefordert, die gleichfalls mit der Rückgabe erbeuteter Schätze und Artefakte
62 M. Peterson

Abb. 2 Postkarte „D.S.W. Afrika-Gefangene Hereros“, undatiert. (gemeinfreies Bild, Public


Domain Mark 1.0)

der afrikanischen Kolonien einhergehen soll. Allerdings fehlt es hier bisher an konkreten
Umsetzungsstrategien. Auch wenn dies ein erster wichtiger Schritt zu Verantwortungs-
übernahme für die begangenen Verbrechen ist, verändert eine von Reue geprägte
Erinnerungskultur keine Strukturen. Um die Inklusion und Perspektiven rassifizierter
Gruppen im Public Sector zu fördern, müssen wir da ansetzen, wo kolonialistisches
Gedankengut bis heute am stärksten wirkt: In Deutschlands Institutionen.

3.1 Institutioneller Rassismus im Bildungswesen – die größte


Herausforderung für eine chancengerechte Inklusion

Trotz bisheriger Bemühungen, Rassismus in deutschen Behörden abzubauen, besteht


struktureller Rassismus weiterhin fort, denn kolonialistisch geprägte Vorstellungen sind
in Deutschland institutionell tief verankert.
2019 teilten unter #Metwo-Hashtag Schwarze* Menschen und People of Color* ihre
Rassismuserfahrungen in Deutschland mit der Öffentlichkeit. Dabei fiel auf, dass viele
der Betroffenen Diskriminierung seitens des Lehrpersonals und von Autoritätspersonen
in Bildungsinstitutionen erlebten.
In ihrer Studie „Rassismuserfahrungen von Schüler*innen“ untersucht die Ungleich-
heitsforscherin Aylin Karabulut, wie sich Rassismus im deutschen Schulsystem
manifestiert – mit erschütternden Ergebnissen: „Eine Schülerin erzählte beispiels-
Neue Chancen für den Fachkräftemangel: … 63

weise von einer Situation, in der ihr Lehrer ihre Rechtschreibfehler unverhältnismäßig
problematisierte und sie mit den Worten ‚Bei dir merkt man auch, dass du keine
Deutsche bist!‘ vor der gesamten Klasse als defizitär und nicht zugehörig markierte.
Ein Schwarzer Schüler sprach davon, dass medial reproduzierte negative Stereotype von
Schwarzen Menschen auf ihn projiziert würden, während seine muslimische Mitschülerin
darauf verwies, dass sie aufgrund ihres Muslimischseins mit dem IS gleichgesetzt werde“
(vgl. Parbey 2020).
Das Problem: Deutschland hat ein stark segregiertes Bildungssystem, das
Schüler*innen nach den entsprechenden Stereotypisierungen früh und stark selektiert.
Dadurch entstehen systemische Ungleichheiten, die sich im Bildungssystem und später
in unseren Behörden institutionell manifestieren und reproduzieren.
Dies hat zur Folge, dass staatlichen Institution, die Schüler*innen mit Rassismus-
erfahrungen eigentlich unterstützen sollten, sie stattdessen unbewusst degradieren und
diskriminieren.

3.2 Anti-Afrikanischer Rassismus in deutschen


Bildungsinstitutionen und der Medizinalforschung

Einen weiteren wichtigen Indikator für Rassismuserfahrungen in Institutionen liefert


der im Jahr 2020 erhobene Afrozensus – die erste Studie, die explizit die Lebensreali-
täten von in Deutschland lebenden Schwarzen*, afrikanischen und afrodiasporischen
Menschen erfasst. Fast alle Befragte berichteten von Diskriminierungserfahrungen in
deutschen Bildungsinstitutionen (vgl. Aikins et al. 2021).
Darüber hinaus gingen aus der Befragung Probleme wie die Homogenisierung und
die fehlende Anerkennung von Kompetenzen Schwarzer* Menschen hervor. Diese
Erkenntnisse wurden nicht nur innerhalb des Bildungssystems entdeckt, sondern auch im
Gesundheitswesen (ebd.).
In der Medizinalforschung werden bis heute äußere menschliche Merkmale wie
Hautfarbe und ethnische Zugehörigkeit zur Differenzierung vermeintlicher Menschen-
rassen, explizit einer Kaukasischen und der Schwarzen Rasse, genutzt. Sie sollen als
Indikatoren zur Bemessung anatomischer Unterschiede gelten. So gelten beispiels-
weise für Schwarze* und Weisse* Menschen unterschiedlich hohe Lungen- und
Nieren-Normalwerte. Diesen Bemessungsgrundlagen geht die Annahme voraus, dass
Menschen mit dunkler Hautfarbe über eine vermeintlich höhere Muskelmasse verfügen
und weniger Luft einatmen. Allerdings ist bis heute keine dieser Annahmen bis heute
wissenschaftlich bestätigt, sie halten sich jedoch hartnäckig in der Medizinpraxis. Bei
diesen Werten handelt es sich um sogenannte medizinische „Race correction formulas“,
die ihren Ursprung in der Kolonialzeit und dem transatlantischen Sklavenhandel haben
und heute noch oft als wissenschaftlicher Standard in der deutschen Medizinalforschung
gelten. Dies hat zur Folge, dass Schwarze* Menschen im deutschen Gesundheitswesen
weiterhin stigmatisiert und diskriminiert werden. Hinzu kommt, dass Organbedingte-
64 M. Peterson

Krankheiten bei Schwarzen Menschen oft nicht oder erst viel zu spät diagnostiziert
werden (vgl. Ärzteblatt 2022). So erschließt sich, dass auch das Gesundheitssystem,
allem voran die Medizinalforschung durch Weisse*, von kolonialistischen Werten
bestimmte Perspektiven gestaltet und rekonstruiert wird. Darum ist es im Gesundheits-
wesen genauso wichtig, auf Rassismus bewusste Narrative und Praktiken zu achten, die
sich letztendlich auch positiv auf die körperliche und mentale Gesundheit rassifizierter*
Personen in Deutschland auswirken. Auch hier kann eine chancengerechtere Bildungs-
politik z. B. durch Förderungsprogramme für Schuler*innen und Studierende mit Rassis-
muserfahrungen die strukturellen Ungleichheiten im Gesundheitswesen ausgleichen.
Aktuell konzentriert sich die Forschung zur Bildungsungleichheit in Deutsch-
land immer noch vorwiegend auf sozioökonomische Indikatoren. In der Ausbildung
setzen sich Lehrer*innen kaum mit Rassismuskritik oder den eigenen Privilegien aus-
einander. Hinzu kommt, dass die deutschen Lehrpläne bisher kaum Deutschlands
Kolonialgeschichte aufarbeiten. Immerhin werden inzwischen Rassismuserfahrungen in
deutschen Bildungsinstitutionen aber zumindest teilweise erfasst.
Hier brauchen wir zum einen die Verpflichtung einer integrativen und progressiven
Bildungspolitik. Zum anderen müssen wir das Rassismusproblem als gesellschaftliches
kollektives Trauma anstatt als intentionsbehaftetes Handeln einzelner Individuen ver-
stehen lernen und uns von der Scham und Schuld der Vergangenheit lösen, um mit kraft-
vollen Lösungen für eine inklusive Verwaltung voranschreiten zu können.

4 Chancen für den Fachkräftemangel: Eine


diskriminierungsbewusste, inklusive Verwaltung

Der Fachkräftemangel im öffentlichen Sektor ist ein rasant wachsendes Problem.


Um diese Herausforderung erfolgreich meistern zu können, müssen wir eine dis-
kriminierungsbewusste Verwaltung schaffen, die die chancengerechte Inklusion und das
Potenzial von bisher statistisch unsichtbaren und stigmatisierten Bevölkerungsgruppen
gezielt fördert.

Dazu zählen drei wesentliche Maßnahmen


1. Die Förderung einer diskriminierungsbewussten Personalpolitik.
Hierbei kann durch obligatorische Schulungen und die Einführung Rassismus
bewusster Praktiken sichergestellt werden, dass bei der Einstellung von neuen
Mitarbeitenden keine Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe oder Religion
stattfindet.
2. Weiterbeschäftigungs- und Beförderungsinitiativen.
Initiativen zur Mitarbeitendenbindung und -förderung stellen sicher, dass Mit-
arbeitende rassifizierter* Gruppen unterstützt und wertgeschätzt werden. Dazu
gehören beispielsweise therapeutische Angebote, Möglichkeiten zur beruflichen
Neue Chancen für den Fachkräftemangel: … 65

Weiterentwicklung sowie wettbewerbsfähige Vergütungs- und Leistungspakete.


Durch die gezielte Förderung Schwarzer* Menschen und People of Color* in
Führungspositionen kann sichergestellt werden, dass ihre Perspektiven und
Bedürfnisse in Entscheidungen und Prozesse miteinbezogen werden.
3. Gezielte Ansprache und Rekrutierungsinitiativen.
Um Mitarbeitende für den öffentlichen Sektor zu gewinnen, können gezielte
Ansprachen eingesetzt und Rekrutierungsinitiativen implementiert werden, zum
Beispiel durch Partnerschaften mit verschiedenen Organisationen und Netz-
werken, die Zugang zu unterschiedlichen demografischen Gruppen haben.

Die Vorteile einer chancengerechten, inklusiven Verwaltung liegen, neben der


Bewältigung des Fachkräftemangels, deutlich auf der Hand:

Vorteile einer chancengerechten, inklusiven Verwaltung


1. Die Diversifizierung der Mitarbeitenden.
Durch die Einstellung und Inklusion Schwarzer Menschen und People of
Color* kann der öffentliche Sektor auf einen vielfältigeren Pool von Talenten
zugreifen, der neue Perspektiven und Ideen für die Verwaltung mit einbringt. So
können Innovationen vorangetrieben werden und die Entscheidungsfindung ver-
bessert werden
2. Das Schließen von Qualifikationslücken.
Durch die Nutzung der Fähigkeiten und Kenntnisse bisher demografisch
unerschlossener Gruppen kann die Verwaltung dazu beitragen, Qualifikations-
lücken zu schließen und Engpässe in bestimmten Bereichen auszugleichen.
3. Eine authentische Repräsentation und die Erfüllung der Rechenschafts-
pflicht.
Mit kulturell diversifizierten Behörden können Politik und Verwaltung die
Bedürfnisse einer vielfältigen Bevölkerung repräsentativ vertreten und besser
auf ihre Bedürfnisse eingehen.
4. Die Förderung einer Kultur der Inklusivität.
Durch die Einbeziehung von bisher ungehörten Perspektiven marginalisierter
Gesellschaftsgruppen können im öffentlichen Sektor inklusivere Arbeitsplatz-
kulturen geschaffen werden. Die Zufriedenheit der Mitarbeitenden wird erhöht,
die Fluktuation verringert und die Produktivität gesteigert.
5. Eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft.
Durch die Förderung von Vielfalt und Inklusion im öffentlichen Sektor kann die
deutsche Regierung nicht nur den Fachkräftemangel bekämpfen, sondern auch
eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft für alle schaffen.
66 M. Peterson

5 Fazit

Um die demografische Vielfalt in der deutschen Verwaltung repräsentativ abzubilden und


ein gemeinsames, von allen Bevölkerungsgruppen gestaltetes Diversity- und Inklusions-
Narrativ zu schaffen und zu leben, müssen wir erst drei Schritte zurück gehen und
analysieren, wie struktureller Rassismus in Deutschland uns als Gesellschaft und auf
institutioneller Ebene geprägt hat. Erst durch diese ehrliche Retrospektive können wir
neue Grundlagen für Inklusion und Vielfalt schaffen, statt aus der Perspektive einer
Weissen* Dominanzgesellschaft heraus Maßnahmen und Praktiken für Betroffene zu ent-
wickeln. Das Ziel sollte stets sein, die selbstbestimmte Inklusion Schwarzer* Menschen
und People of Color* zu gewährleisten. Nur so gelingt es uns, den Fachkräftemangel
nachhaltig zu besiegen. Chancengerechte Inklusion funktioniert nur in Kombination
mit aktiver Antidiskriminierung. Dazu brauchen wir eine gerechte Teilhabe rassifizierter
Gesellschaftsgruppen, denn sie bildet das Fundament für eine progressive Verwaltung.

6 Glossar wichtiger Begriffe

Quelle: Amnesty International (2017)

*Weiss, Weißsein: „Weiß“ und „Weißsein“ bezeichnen keine biologische


Eigenschaft und keine reelle Hautfarbe, sondern ein politisches und soziales
Konstrukt. Weißsein meint die dominante und privilegierte Position innerhalb des
Machtverhältnisses Rassismus. Diese bleibt meist unbenannt und impliziert ein
unbewusstes Selbst- und Identitätskonzept, das weiße Menschen in ihrem Selbstbild
und ihrem Verhalten prägt und ihnen einen privilegierten Platz in der Gesellschaft ver-
schafft, was z. B. den Zugang zu Ressourcen betrifft.
*Schwarz, Schwarz sein: Schwarz ist eine Selbstbezeichnung und beschreibt
eine von Rassismus betroffene gesellschaftliche Position. „Schwarz“ wird
großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungs-
muster handelt und keine reelle ‚Eigenschaft‘, die auf die Farbe der Haut zurückzu-
führen ist. So bedeutet Schwarz-Sein in diesem Kontext nicht, einer tatsächlichen oder
angenommenen ‚ethnischen Gruppe‘ zugeordnet zu werden, sondern ist auch mit der
gemeinsamen Rassismuserfahrung verbunden, auf eine bestimmte Art und Weise wahr-
genommen zu werden.
*People of Color: People of Color/Menschen of Color ist „eine inter-
nationale Selbstbezeichnung von/für Menschen mit Rassismuserfahrungen. Der
Begriff markiert eine politische gesellschaftliche Position und versteht sich als
emanzipatorisch und solidarisch. Er positioniert sich gegen Spaltungsversuche durch
Rassismus und Kulturalisierung sowie gegen diskriminierende Fremdbezeichnungen
durch die weiße Mehrheitsgesellschaft.“
Neue Chancen für den Fachkräftemangel: … 67

*Rassen: Der Begriff „Rasse“ ist – insbesondere im deutschen Sprachgebrauch


– problematisch, da er mit einem wissenschaftlich nicht haltbaren biologistischen
Konzept verbunden und nicht als soziale Konstruktion verstanden wird. Biologisch
unterschiedliche „Menschenrassen“ aufgrund von äußeren Merkmalen herzuleiten
entsagt jeglicher wissenschaftlichen Basis. Der Begriff steht für eine lange Geschichte
rassistischer Vernichtung und Gewalt. Die UNESCO hat bereits 1950 festgestellt, dass
er für ein gesellschaftliches Konstrukt steht, das unermessliches Leid verursacht hat.
*Roma: Roma ist sowohl eine Selbstbeschreibung als auch der Oberbegriff für
eine heterogene Gruppe von Menschen, die vor über 1000 Jahren, vermutlich aus
Indien, nach Europa ausgewandert ist. Da sie sich durch verschiedene Sprachen,
Religionen und Gewohnheiten voneinander unterscheiden, sprechen Experten
häufig von Romagruppen oder Angehörigen der Roma-Minderheiten. Im männ-
lichen Singular spricht man von Rom (Plural: Roma), im weiblichen Singular
von Romni (Plural: Romnja). Bis in die 70er war die verunglimpfende Bezeichnung
„Zigeuner“ in Deutschland gängig.
*Sinti: Sinti ist die Bezeichnung für Nachfahren der Romagruppen, die bereits seit
dem 15. Jahrhundert in den deutschsprachigen Raum eingewandert sind. Sie wird
nur in Deutschland, Österreich und Teilen Norditaliens verwendet. Der weibliche
Singular ist Sintiza (Plural Sintize), der männliche Singular ist Sinto (Plural Sinti).*

Literatur

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Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten in der Praxis – Ergebnisse einer Piloterhebung
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Landes. Berlin: Citizens For Europe gUG
Aikins, M., Bremberger, T., Kwesi, J., Gyamerah, D., Yildirim-Caliman, D. (2021): Afrozensus
2020: Perspektiven, Anti-Schwarze Rassismuserfahrungen und Engagement Schwarzer,
afrikanischer und afrodiasporischer Menschen in Deutschland. Berlin: Each One Teach One
(EOTO) e. V. / Citizens For Europe gUG
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glossar-fuer-diskriminierungssensible-sprache, zugegriffen: 15. Dezember 2022
Ärzteblatt (2022) – Immer mehr Daten zeigen Rassismus im Gesundheitswesen, https://www.
aerzteblatt.de/nachrichten/133429/Immer-mehr-Daten-zeigen-Rassismus-im-Gesundheits-
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in Führungspositionen tritt in Kraft, https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/
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Di Angelo, R. (2018): White Fragility: Why It’s So Hard for White People to Talk About Racism.
London: Penguin LCC US
68 M. Peterson

Kößler, R., Melber, H. (2017): Völkermord – und was dann? Die Politik deutsch-namibischer Ver-
gangenheitsbearbeitung. Frankfurt am Main: Brandes und Apsel
Parbey, C. (2020): Interview mit Aylin Karabulut: „Wenn wir jungen Menschen of color immer
wieder das Gefühl geben, dass sie fremd und defizitär sind, untergraben wir ihre Würde“,
erschienen auf „Edition F“ unter https://editionf.com/aylin-karabulut-ungleichheitsforscherin-
bildung-interview/, zugegriffen: 10. Februar 2023
Roig, E. (2021): Why we matter – Das Ende der Unterdrückung. Berlin: Aufbau Verlage
Statistisches Bundesamt (2022): Gut jede vierte Person in Deutschland hatte 2021 einen
Migrationshintergrund, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/04/
PD22_162_125.html, zugegriffen: 11. Februar 2023
Statistisches Bundesamt (2023): Destatis – Migration, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesell-
schaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/Glossar/migrationshintergrund.html,
zugegriffen: 10. Februar 2023

Melanie Peterson lebt in New York City und in Berlin. Als erfahrene Trainerin für Diversity,
Equity & Inclusion berät sie vorwiegend Institutionen aus dem Public Sector. Zu ihren Themen-
schwerpunkten zählen Diskriminierungsbewusste und inklusive Führung sowie Anti-Schwarzer-
Rassismus. In ihrer Arbeit unterstützt Führungskräfte dabei, Vielfalt und Zugehörigkeit in
Organisationen umzusetzen und nachhaltig zu leben. Mit dem Ziel DEI-Perspektiven in digitale
Transformationsprozesse einzubringen, leitet Melanie als Head of Marketing innovative Projekte
bei GovMarket – Deutschlands erstem App-Store für GovTechs. Als Mutter von zwei Kindern
engagiert sie sich leidenschaftlich für die Sichtbarkeit und Förderung von Kindern und Jugend-
lichen historisch benachteiligter Gruppen.
Inklusive Sprache als Treiber für mehr
Vielfalt in der Verwaltung

Paula Lina Auksutat

Zusammenfassung

Inklusive Sprache beschreibt eine Art zu kommunizieren, die einzelne Personen oder
Gruppen von Menschen nicht ausschließt oder diskriminiert. Es ist eine Sprache,
die respektvoll und rücksichtsvoll gegenüber allen Menschen ist, unabhängig von
ihrer Herkunft, ihrer Geschlechtsidentität, ihrem Alter oder ihren Fähigkeiten. Die
Verwendung inklusiver Sprache trägt dazu bei, eine willkommene und inklusive
Umgebung für alle zu schaffen. Dies kann die Verwendung von geschlechtsneutralen
Begriffen, die Vermeidung von Stereotypen und Diskriminierungen sowie die Berück-
sichtigung der Wirkung von Worten auf andere umfassen. Die Diskussion über
inklusive Sprache ist auch in der öffentlichen Verwaltung angekommen. Zugleich
bestehen noch viele Diskussionen und Unsicherheiten. Für die Verwendung inklusiver
Sprache in der Verwaltung sprechen Aspekte wie der Abbau diskriminierender
oder stereotypischer Vorurteile, die Ansprache aller Menschen und somit die
Sicherung der Legitimation durch Mitarbeitende sowie den Bürger*innen mit ihren
Anliegen. Insbesondere gendersensible Sprache fordert einen kreativen Umgang
mit den verschiedenen Schreibweisen, damit die Lesbarkeit durch Sonderzeichen
nicht eingeschränkt wird sowie bei der Einführung begleitende Maßnahmen zur
Sensibilisierung der Sprachwirkung und um Hintergründe zu erklären.

P. L. Auksutat ( )
E.ON Deutschland, München, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 69


Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_5
70 P. L. Auksutat

Schlüsselwörter

Inklusive Sprache · Diversity · Inklusion · Gendern · Barrierefreiheit

1 Relevanz und Gründe für Sprachsensibilität in der


Verwaltung

Sprache ist ein Mittel, um uns auszudrücken und uns mitzuteilen. In ihr zeigt sich,
wie wir die Welt wahrnehmen. Gleichzeitig bestimmt sie, wie wir sie wahrnehmen
und wie wir denken, denn Sprache formt Realität (Berger und Luckmann 1990). Beim
Sprechen werden bereits verfestigte Kategorien abgerufen, die aufgrund der persönlichen
Sozialisation und Erfahrungen sowie dem individuellen Wissensstand geprägt sind.
Sprache ist also etwas sehr Persönliches. Andererseits ist Sprache nicht determiniert und
kann sich über die Zeit verändern, was als Sprachwandel bezeichnet wird (Hornscheidt
2008). In dem Zusammenhang wird Sprache als „flexibles, wechselseitiges Bedingungs-
gefüge“ charakterisiert (Kotthoff et al. 2018). Es geht also um den allgemeinen Sprach-
gebrauch und alle Aspekte der verbalen und nonverbalen Kommunikation, durch die
Individuen Informationen übermitteln. Bezogen auf Organisationen hat Sprache drei
zentrale Wirkungen: Sie ist ideologisch, macht sichtbar und ist unhintergehbar (Weik
2019).
Die Verwaltung nimmt eine Schlüsselfunktion in der Gesellschaft ein. Daher
sollten alle Menschen gleichberechtigt Zugang dazu haben. Eine inklusive Sprache ist
darum auch in der Verwaltung von großer Bedeutung, da sie dazu beiträgt, sprachliche
Barrieren abzubauen und für alle Bürger*innen zugänglich zu werden. Im Kern geht
es darum, eine Sprache zu verwenden, die die Verwaltung bei der Bereitstellung von
Angeboten und Dienstleistungen für alle Kund*innen unterstützt. Dies bedeutet, dass
die Verwaltung die beschriebene Individualität und somit die sprachlichen Bedürfnisse
der Bürger*innen berücksichtigt und die Kommunikation so gestaltet, dass sie für alle
verständlich ist. Ein bekanntes Beispiel für eine inklusive Sprache in diesem Kontext ist
die gendersensible Sprache. Es gibt jedoch bereits eine große mediale Aufmerksamkeit
und oft vorgefertigte Meinungen zu diesem Thema. Der folgende Beitrag legt darum den
Fokus auf Sprachsensibilität in der Verwaltung und zeigt, wie inklusive Sprache auch
dort umgesetzt werden kann.

2 Fokus auf Sprachsensibilität

Sprachsensibilität bezieht sich auf die Fähigkeit, die Auswirkungen unserer Worte auf
andere Menschen zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren (Wirtz 2017). Dazu
gehört auch, in sprachlichen oder schriftlichen Äußerungen die Gefühle und Bedürfnisse
anderer Menschen zu berücksichtigen und verschiedene Perspektiven einzubeziehen.
Inklusive Sprache als Treiber für mehr Vielfalt in der Verwaltung 71

Dies ist ein wichtiger Aspekt inklusiver Sprache und kann dazu beitragen, unsere
Kommunikation respektvoll und verständlich zu gestalten, Vorurteile und Stereotype zu
vermeiden und eine positive Atmosphäre zu schaffen. Ziel ist es, auf Augenhöhe und
mit Respekt zu kommunizieren. Sprachsensibilität bedeutet auch, flexibel im Sprachge-
brauch zu sein und ihn zu reflektieren und ggf. zu ändern, um die Sensibilität dafür zu
verbessern.
Das Thema sensible Sprache ist nicht neu. Bereits 1984 schrieb Sprachwissenschaftlerin
Luise Pusch über Stereotype und Sprache: „Die Sprache ist eines der wichtigsten Aus-
drucksmittel in unserer Gesellschaft. Der sprachliche Umgang miteinander bestimmt nicht
nur unsere Sozialisation, unsere Kultur und zwischenmenschlichen Beziehungen, sondern
hat auch Auswirkungen auf unser Denken und Handeln. Sie kann gesellschaftliche Reali-
täten stabilisieren oder verändern, Stereotypen über die Rollen von Frauen und Männern
verstärken oder ihnen entgegenwirken“ (Pusch 1984). Wie präsent das Thema Sprache
und Inklusion in unserem Alltag ist, zeigt beispielhaft die Entwicklung der Emojis in den
Smartphone-Tastaturen. Die weltweit am schnellsten wachsende „Sprache“ sind genau
diese Emojis. Mehr als 90 % der Online-Nutzer*innen verwenden die Bildsprache (Criado-
Perez 2019). Unicode, die für die Sprachtastatur der Emojis auf Smartphones verantwort-
lich ist, entwirft seit 2016 explizit nicht nur genderneutrale Bilder, sondern strebt inklusive
und sowohl männliche als auch weibliche Emojis bei Berufen oder Athlet*innen an, um
stereotype Vorannahmen zu reduzieren1.

3 Warum inklusive Sprache in der Verwaltung wichtig ist

Nachfolgend werden Gründe erläutert, warum gerade Verwaltungen im Kontext


inklusiver Sprache eine wichtige Funktion haben.

3.1 Reichweite und Vorbildfunktion

Auch in der Verwaltung hat das Thema inklusive Sprache in den letzten Jahren an
Bedeutung gewonnen, da sie eine wichtige Rolle bei der Schaffung von Barrierefrei-
heit und der Förderung von Inklusion spielt. In einer Gesellschaft, in der Menschen
mit unterschiedlichen Hintergründen, mit verschiedenen Fähigkeiten und Geschlechts-
identitäten zusammenleben, ist es wichtig, dass die öffentliche Verwaltung inklusive
Sprache verwendet. So wird sichergestellt, dass alle Menschen angesprochen werden, die

1 Ausführliche Informationen sind auf der Website von Unicode zu finden (Zugriff: 28.01.2023):
http://unicode.org/reports/tr51/#Diversity.
72 P. L. Auksutat

Inhalte und Angebote von allen verstanden und konsumiert werden können und sich alle
respektiert fühlen.

Inklusive Sprache trägt zum Abbau sprachlicher Barrieren bei und macht die Ver-
waltung für alle Bürger*innen zugänglich. Mit ihrer großen Reichweite hat die
Verwaltung zudem eine wichtige Vorbildfunktion, da sie alle Bürger*innen erreicht
und ihre Kommunikation von einer breiten Bevölkerung wahrgenommen wird.

Durch die Verwendung inklusiver Sprache kann die Verwaltung einen Beitrag zu einer
inklusiveren und gerechteren Gesellschaft leisten.

3.2 Respektvolles Miteinander fördern

Eine wichtige Rolle von inklusiver Sprache in der Verwaltung ist die Verbesserung der
Zusammenarbeit. Inklusive Sprache stellt sicher, dass die Kommunikation für alle ver-
ständlich ist und Missverständnisse vermieden werden können. Es ist wichtig, dass die
Verwaltung auch die sprachlichen Bedürfnisse aller Mitarbeitenden berücksichtigt und
die Kommunikation so gestaltet, dass sie verständlich ist. Eine quantitative Studie aus
Dänemark (Lauring und Klitmøller 2017) untersuchte die sprachliche Offenheit aus der
Führungs- und Mitarbeiter*innenperspektive und ihre Auswirkung auf Kreativität und
Leistung. Die Forscher*innen fanden heraus, dass eine Offenheit gegenüber sprachlicher
Vielfalt aus beiden Perspektiven positiv mit der Leistung verbunden ist. Daraus schluss-
folgerten die Autor*innen, dass Mitarbeitende in diesem Fall einen stärkeren Zusammen-
halt bilden und ein breiteres Spektrum an Perspektiven nutzen und berücksichtigen
können. Dies legt nahe, dass Führungskräfte in Organisationen ein Umfeld schaffen
sollten, das die Offenheit für Sprachvielfalt fördert. Dafür leiten sie als Praxisimplikation
ab, dass eine inklusive Sprache auf organisationaler Ebene durch Diversity-Initiativen
unterstützt werden kann. Auf individueller Ebene sollte außerdem ein Bewusstsein für
sprachliche Vielfalt und unterschiedliche Wahrnehmung von Sprache entwickelt werden
(Lauring und Klitmøller 2017). Ziel ist es also, zunächst einmal alle Menschen, die
innerhalb einer Verwaltung tätig sind, zu inkludieren, sichtbar zu machen und anzu-
sprechen.

3.3 Sprache kann Brücken bauen

Sprache ist ein soziales Gebilde, das Identität schafft und Gemeinschaft fördert, aber auch
ab- und ausgrenzen kann. Sie hat in Organisationen einen großen Stellenwert, da sie die
Identität, Ziele, Werte und Beziehungen zu den Stakeholdern manifestiert (Buchholz et al.
2019).
Inklusive Sprache als Treiber für mehr Vielfalt in der Verwaltung 73

Sprachliche Äußerungen können soziale Unterschiede überwinden. Sprache kann


ein verbindendes Element sein, das Identität stiftet und zu mehr Gruppenzugehörigkeit
führt, zum Beispiel durch gemeinsam geteilte Anekdoten oder bekannte Abkürzungen.
Aber sie kann auch zu Ausgrenzung führen, wenn Unbekanntes wie Redewendungen,
interne Abkürzungen, unterschiedliche Sprachen oder Fachbegriffe verwendet werden.
Kommunikation übersetzt zwischen den Sprachen solcher Gemeinschaften und kann
soziale Unterschiede überwinden (Christensen et al. 2008). Dies betrifft sowohl
die interne Zusammenarbeit in der Verwaltung als auch die Kommunikation mit
Kund*innen.

4 Was inklusive Sprache ist – und was nicht

Angelehnt an die Vielfaltsdimensionen der Charta der Vielfalt lassen sich in Bezug
auf den allgemeinen Sprachgebrauch drei Kategorien ableiten, die inklusive Sprache
beschreiben: diskriminierungsfreie-, gendersensible und barrierearme Sprache.

Inklusive Sprache bezeichnet eine Art der Sprache, die diskriminierende oder aus-
grenzende Ausdrücke und Begriffe vermeidet und stattdessen neutrale und respekt-
volle Formulierungen verwendet und alle Menschen unabhängig von Geschlecht, Alter,
ethnischen Zugehörigkeiten oder körperlichen oder geistigen Fähigkeiten anspricht und
einschließt.

Im Folgenden werden die drei Kategorien zusammen mit Umsetzungsmöglichkeiten und


Beispielen vorgestellt.

4.1 Diskriminierungsfreie Sprache

Bei diskriminierungsfreier Sprache geht es darum, ein Bewusstsein für unbewusste


Vorurteile zu entwickeln und diese zu vermeiden. Das bedeutet, dass in sprachlichen
Äußerungen kein Mensch aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen,
sozialen oder nationalen Zugehörigkeit diskriminiert werden soll. Das umfasst nicht nur
einzelne Wörter, sondern auch die Narrative, Geschichten und Bilder, die erzählt werden.
Es ist wichtig, auch eine Sensibilität für unbewusste Vorurteile oder Denkmuster zu ent-
wickeln, um Stereotype oder Vorurteile nicht zu unterstützen oder zu reproduzieren. Dies
kann zum Beispiel erreicht werden, indem in Texten und Bildern, in Broschüren oder
auf Webseiten verschiedene Perspektiven und Umstände dargestellt werden, wie beruf-
liche Rollen, Familienmodelle oder religiöse Traditionen. Zudem kann darauf geachtet
werden, in Texten vielfältige Stimmen zu Wort kommen zu lassen und verschiedene
Altersgruppen, Geschlechteridentitäten, Familienstrukturen oder kulturelle Hintergründe
74 P. L. Auksutat

widerzuspiegeln. Außerdem sollten Menschen nicht auf einen einzigen Aspekt ihrer
Persönlichkeit reduziert werden.

Umsetzungsmöglichkeiten diskriminierungsfreie Sprache


Hierarchien in Aussagen vermeiden: Wir alle haben unterschiedliche Kennt-
nisse und Fähigkeiten. Das Wort „normal“ kann unbeabsichtigt Lebensrealitäten
und Erfahrungen von Personen stigmatisieren. Auch Redewendungen wie „wir
kennen es ja alle, wenn…“ können unsensibel sein, weil sie implizieren, dass
alle angesprochenen Personen dieselbe Lebensrealität teilen. Dies gilt auch für
Aussagen über technischen Fähigkeiten, Karrierelevel oder Offenheit gegen-
über Innovationen aufgrund des Alters von Personen. Ein Beispiel dafür ist die
Formulierung „jung und unerfahren“.
Den Begriff „divers“ korrekt nutzen: Der Begriff „divers“ sollte nicht dafür
genutzt werden, um die Zugehörigkeit von Personen zu einer bestimmten
ethnischen Gruppe zu kennzeichnen. Eine einzelne Person kann nicht „divers“
sein. Der Begriff „divers“ bezeichnet vielmehr die Gesamtheit einer Gruppe, die
aus verschiedenen Einzelpersonen besteht.
Die richtigen Begriffe verwenden: Beispielsweise statt diskriminierende
Begriffe wie „farbig“ oder „dunkelhäutig“ zu verwenden, Begriffe wie
„Schwarz“, „Schwarzer“ und „Schwarze Person“ wählen. Diese werden
von Expert*innen empfohlen, da sie von Schwarzen Menschen selbst
gewählt wurden. „Schwarz“ wird großgeschrieben, um zu zeigen, dass es
eine konstruierte Zuordnung und keine reelle Eigenschaft, die auf die Haut-
farbe zurückzuführen, ist. „Schwarz-Sein“ beschreibt in diesem Kontext
die gemeinsamen Rassismus-Erfahrungen, nicht die ethnische Zugehörig-
keit. „Weiß“, „Weiße*r“ und „Weiße Person“ können als Begriffe verwendet
werden. Auch diese Begriffe werden groß (oder kursiv) geschrieben, da sie
keine biologische Eigenschaft, sondern eine politische und soziale Konstruktion
beschreiben. Ein weiteres Beispiel ist der Begriff „People of Color“, eine inter-
nationale Selbstbezeichnung für Menschen mit Rassismuserfahrungen. Der
Begriff zeigt eine politische gesellschaftliche Position und wird solidarisch
wahrgenommen.
Kontext geben: Wenn der Begriff „Minderheit“ genutzt wird, um eine
Personengruppe zu beschreiben, beispielsweise aufgrund des Alters, der Quali-
fizierung oder der Herkunft, muss der Kontext beschrieben werden: Warum ist
Betonung der „Minderheit“ relevant? Was ist der inhaltliche Bezug? Was soll
damit erreicht werden?
Inklusive Sprache als Treiber für mehr Vielfalt in der Verwaltung 75

Jeder Mensch hat das Recht, selbst zu entscheiden, wie er*sie genannt werden möchte.
Selbstbezeichnungen haben immer Priorität. Die Umsetzungsmöglichkeiten sind daher
nur eine kleine Auswahl, nicht abschließend und können sich im Laufe der Zeit ändern.

4.2 Gendersensible Sprache

Im deutschsprachigen Raum wird seit den 1970er Jahren eine Debatte über die Gleich-
stellung der Geschlechter geführt, ein wichtiger Teil davon ist die sprachliche Gleich-
stellung. Im Zentrum steht die Bedeutung von Geschlecht als biologisches Geschlecht
(sex) und als kulturell-soziales Geschlecht (gender) (Korte und Schäfers 2016). Das
Thema ist auch auf Verwaltungsebene höchst relevant. Zum 1. Januar 2019 ist eine
Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes in Kraft getreten, die eine
zusätzliche Geschlechtsbezeichnung „divers“ einführt.
Die deutsche Sprache ist stark von Geschlechterzuschreibungen durch das
grammatikalische Geschlecht und Personenbezeichnungen geprägt. Männliche Nomen,
wie „Lehrer“ können entweder speziell auf Männer oder alle Personen bezogen
werden. Aufgrund dieser Doppelfunktion können männliche Formen eine semantische
Mehrdeutigkeit erzeugen, die Frauen oft ausschließt. Das vermeintlich generische
Maskulinum, welches häufig verwendet wird, wenn männliche und weibliche Personen
angesprochen werden sollen oder das Geschlecht im sprachlichen Kontext nicht
relevant ist, kann zu einer ungleichen Verteilung der Geschlechterdarstellung führen
(Braun et al. 2007). Dies ist für Organisationen in Zeiten des Fachkräftemangels
relevant. Forschungsergebnisse zeigen, dass Stellenanzeigen, die geschlechtsspezifisch
formuliert sind, beide Geschlechter davon abhielten, sich für die „gegengeschlecht-
liche“ Arbeitsplätze zu bewerben (Bem und Bem 1973). Ergebnisse einer quantitativen
Inhaltsanalyse aus dem Jahr 2019 zeigen, dass geschlechterspezifische Kommunikation
unterschiedliche Assoziationen von beruflichem Erfolg hervorruft. So wird männliche
Kommunikation mit dem hierarchischen Aufstieg (z. B. Anzahl der Beförderungen,
Aufstieg in eine höhere Führungsebene) und weibliche mit nicht-hierarchischen
Belohnungen (z. B. höhere Vergütung, mehr Verantwortung) in Verbindung gebracht.
Ergebnisse einer weiteren Studie zeigen, dass Frauen mit einer weiblichen Berufs-
bezeichnung als weniger kompetent gelten und seltener eingestellt werden als Frauen mit
männlicher Berufsbezeichnung (Budziszewska et al. 2014). Darum gibt es Forderungen
nach genderneutralen Jobbezeichnungen, um stereotype Rollenbilder am Arbeitsplatz zu
vermeiden (Foster 2018).
Auf der Sprachebene wird über verschiedene sprachliche Formulierungen und
Schreibweisen diskutiert. Seit den 2000ern wird verstärkt ein faires und inklusives Mit-
einander, sowie einen sensiblen und bewussten Umgang im Sozialverhalten und eine
Geschlechtervielfalt und Diversität gefordert. Diese Forderungen beziehen sich auf die
gesprochene und schriftliche Sprache (Wetschanow 2017).
76 P. L. Auksutat

Es hat sich im Laufe der Zeit auch die empfohlene Schreibweise geändert.
Während früher verstärkt über das vermeintlich generische Maskulinum und die
Beidnennung diskutiert wurde, geht es in neueren Publikationen um Formen, die über
die binäre Bezeichnung hinausgehen (Kotthoff 2017). So eröffnen beispielsweise
der sogenannte Unterstrich, der Gender Gap, der Asterisk („Gendersternchen“) oder
der Genderdoppelpunkt einen Raum zwischen zwei Begriffen mit unendlich vielen
dazwischen liegenden Begrifflichkeiten und stellen somit einen Bezug zur Gendertheorie
her.
Bisher gibt es keine einheitliche Definition oder Vorgabe für gendersensible Schreib-
weisen, sondern nur Empfehlungen. Gendern wird als eine Strategie der sprachlichen
Kommunikation definiert, also ein sprachliches Verfahren, um Gleichberechtigung im
Sprachgebrauch zu erreichen. Sprachformen, die auf der grammatikalischen Ebene beide
oder alle Geschlechter gleichermaßen einschließen oder durch die Nutzung neutraler
Formulierungen berücksichtigen, werden als gendersensibel definiert (Diewald und
Steinhauer 2020).
Gendersensible Sprache umfasst also verschiedene sprachliche Strategien, darunter
auch das Binnen-I, Gendersternchen (Asterisk) oder der Genderdoppelpunkt. Es kann
hilfreich sein, in der Organisation eine Schreibweise zu empfehlen, die Entscheidung
aber transparent zu erklären und die Umsetzung offen zu lassen.

Umsetzungsmöglichkeiten gendersensible Sprache


In der Kommunikation alle Geschlechter einbeziehen: Möglichst
genderneutrale Ausdrücke verwenden wie „Mitarbeitende“ statt „Mitarbeiter“
oder „Eltern“ statt „Mütter und Väter“.
Anerkennen, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt: Phrasen vermeiden
wie „beide Geschlechter“ oder „das andere Geschlecht,“ die Personen dis-
kriminieren, die sich nicht als männlich oder weiblich identifizieren.
Sensibler Umgang mit Pronomen: Andere Personen mit ihren gewählten Pro-
nomen ansprechen oder danach fragen.
Direkte Anrede nutzen: Bei Formularen oder Handlungsaufforderungen
können teilweise durch Umformulierungen die Adressat*innen direkt
angesprochen werden. Statt „Der Antragssteller muss das Formular unter-
schreiben“ ist eine neutrale Alternative: „Bitte unterschreiben Sie das
Formular“.
Kreativer Sprachgebrauch: Es gibt viele sprachliche Strategien, um
genderneutrale Formulierungen zu erreichen, wie substantivierte Partizipien,
pluralische Adjektive, geschlechtsneutrale Begriffe wie Person, Mensch oder
Hilfskraft oder Begriffe, die mithilfe des Adjektivs umgeformt werden (z. B.
„kritische Stimmen“ statt „Kritiker“).
Inklusive Sprache als Treiber für mehr Vielfalt in der Verwaltung 77

Die Umsetzungsmöglichkeiten verdeutlichen, dass es viele Wege gibt, um


gendersensibel zu kommunizieren. Wichtiger als einzelne Schreibweisen ist es, die
Formulierungen und das „Warum“ mit Bedeutung zu füllen.

4.3 Barrierearme Sprache

Barrierearme Sprache hat zwei Ebenen. Auf inhaltlicher Ebene geht es darum, den
Menschen in den Mittelpunkt der Sprache zu rücken. Das heißt eine respektvolle und
feinfühlige Kommunikation zu Themen wie Inklusion, Behinderungen und Barriere-
freiheit. In der Kommunikation sollte keine Sprache verwendet werden, die Menschen
ausschließlich über ihre Behinderung definiert. Die Disability Studies unterscheiden
zwischen den Begriffen „Beeinträchtigung“ und „Behinderung“. Die Beeinträchtigung
beschreibt die körperliche Seite der Behinderung, z. B. fehlende Sehkraft, während
„Behinderung“ auch eine soziale Dimension beinhaltet. Daher ist „Menschen mit
Behinderung“ eine sensiblere Formulierung. Die Begriffe „Beeinträchtigung“ und
„Handicap“ beziehen sich nur auf körperliche Aspekte und sind damit nicht inklusiv.
Beide Wörter können zu falschen Annahmen führen, da nicht jede Person mit
Behinderung sich automatisch eingeschränkt fühlt. Vielmehr ist es meist die Gesell-
schaft, die erst für Barrieren sorgt. Daher sollten augenscheinliche Synonyme wie
„Beeinträchtigung“, „Handicap“ oder „Einschränkung“ vermeiden werden, da sie das
Stigma der „Behinderung“ reproduzieren. Um die Formulierung zu verbessern, sollten
Adjektive vermieden und stattdessen Substantive verwendet werden, z. B. „Person
mit Behinderung“ statt „behinderte Person“. Ausnahmen gibt es, wenn kein treffendes
Substantiv verfügbar ist, z. B. „blind“ oder „gehörlos“ (nicht: „taub“).
Barrierearme Sprache umfasst darüber hinaus auch die technische Ebene. Dies
bezieht sich auf die Bereitstellung von Inhalten und Medien, die für alle Menschen
zugänglich sind. Dazu gehört z. B. die Erstellung von Präsentationen, Videos oder
Websites, die für Menschen mit Seh- oder Hörbehinderungen leicht zugänglich sind.
Das wird u. a. erreicht durch die Verwendung von hohen Kontrasten, entsprechenden
Schriftgrößen, hinterlegten Alternativtexten, sowie Bereitstellung von Untertiteln oder
Gebärdensprache-Interpretationen bei Veranstaltungen.

Umsetzungsmöglichkeiten barrierearme Sprache


Einfache und klare Formulierungen: Einfache und verständliche
Formulierungen wählen, Abkürzungen vermeiden und bei Fachbegriffen
Definitionen ergänzen.
Wichtige Bescheide, Vordrucke und Verträge auch in Leichter Sprache
formulieren: Leichte Sprache ist eine Technik zur Verbesserung der Verständ-
lichkeit, speziell für Menschen mit Lernschwierigkeiten oder eingeschränkten
Lesefähigkeiten. Sie verwendet einfache Worte, kurze Sätze und eine klare
78 P. L. Auksutat

Struktur, um komplexe Themen verständlich zu präsentieren. Leichte Sprache


kann in verschiedenen Medien eingesetzt werden, wie Broschüren, Websites,
Videos und Audios.
Auf Augenhöhe kommunizieren und Vorbilder fördern: Bei der
Kommunikation auf die Tonalität achten und vermeiden, Menschen wegen ihrer
Behinderung zu bemitleiden. Menschen mit Behinderung sind keine Opfer, die
ihr Leben „trotz“ Behinderung „tapfer“ meistern. Sie „überwinden“ nicht ihr
Schicksal oder „leiden“ nicht zwangsläufig an ihrer Behinderung.
Repräsentation stärken: In der Kommunikation Menschen mit Behinderungen
integrieren und sichtbar machen, z. B. bei Bildmaterial, Videos oder Ver-
anstaltungen. Auch auf der visuellen Ebene können Geschichten inklusiv
erzählt werden. Dabei darauf achten, dass Menschen mit und ohne Behinderung
gemeinsam fotografiert werden, um keine Distanzen zu erzeugen und den Fokus
auf den Menschen richten und nicht auf mögliche Hilfsmittel, wie einen Roll-
stuhl. So kann eine inklusive Bildsprache erreicht werden.
Alternativtexte verwenden: Alternativtexte, auch „Alt-Texte“ genannt,
sind kurze Beschreibungen von Bildern, Grafiken, Videos und anderen nicht-
textuellen Medien, die in digitalen Medien wie Websites oder auf Social Media
verwendet werden. Sie ermöglichen Menschen mit Sehbehinderungen, die Bild-
schirmlesegeräte verwenden, Zugang zu den Medien. Alternativtexte sollten
kurz, präzise und aussagekräftig sein und die wichtigsten Informationen des
Medieninhalts beschreiben. Zum Beispiel sollte ein Alternativtext zu einem
Foto einer Person beschreiben, wer die Person ist und in welchem Zusammen-
hang sie abgebildet ist.

Wie auch bei der diskriminierungsfreien Sprache ist es wichtig, offen und sensibel mit
den Begriffen umzugehen und Selbstbezeichnungen zu respektieren. Genau wie die
Rechtschreibprüfung sollte das Ziel sein, dass ein Inklusionscheck zur Routine wird.

5 Erfolgsfaktoren bei der Umsetzung

Sprache ist etwas sehr Persönliches und begleitet uns ein Leben lang. Daher ist es bei der
Umsetzung von inklusiver Sprache in der Verwaltung hilfreich, die Wirkung von Sprache
zu erklären und ein gemeinsames Ziel zu schaffen: einen respektvollen Umgang mit-
einander. Indem nicht nur einzelne Aspekte von inklusiver Sprache, wie das Gendern,
thematisiert werden, kann so ein gemeinsamer Nenner geschaffen werden. Jeder kann
so einen eigenen Zugang finden und sich mit verschiedenen Aspekten identifizieren. In
Unternehmen hat sich gezeigt, dass es wichtig ist einen Bezug zu den Unternehmens-
werten und -zielen herzustellen, um zu erklären, warum inklusive Sprache sinnvoll ist
Inklusive Sprache als Treiber für mehr Vielfalt in der Verwaltung 79

und zur Zielerreichung beiträgt. In der öffentlichen Verwaltung kann dies die Ansprache
aller Menschen sowie die Bürger*innen- und Mitarbeitenden-Orientierung sein.
Es ist wichtig anzuerkennen, dass es unterschiedliche Fähigkeiten, Kenntnisse
und Ausgangspunkte zum Thema Vielfalt und Inklusion und somit auch zu inklusiver
Sprache gibt. Dies sollte bei Diskussionen und Materialien berücksichtigt werden. Daher
ist es wichtig, zunächst die Grundlagen zu besprechen. Dokumente, die häufig gestellte
Fragen und Anwendungsfälle beantworten, können einen internen Wissensspeicher
bilden und fortlaufend ergänzt werden.
Meist liegt der Kern von Maßnahmen für inklusive Sprache in einem Leitfaden mit
empfohlenen Schreibweisen, der zeigt, wie sie umgesetzt werden können. Solche Leit-
fäden können eine Hilfestellung sein, die Mitarbeitende dabei unterstützt, respektvoll
und feinfühlig zu kommunizieren und können beispielsweise im Rahmen einer Rund-
verfügung geteilt werden. Damit die Inhalte auch zur gelebten Praxis werden und die
Akzeptanz gesteigert wird, ist es hilfreich, die Einführung im Rahmen eines Change-
Prozesses mit weiteren Maßnahmen zu begleiten. Dafür ist eine klare Verankerung der
Zuständigkeit wichtig. Mit einer offenen Kommunikation von Ansprechparter*innen
und Unterstützungsangeboten bei Rückfragen kann ein Feedbackkanal geschaffen
werden. Die Kommunikations- oder Personalabteilung kann hierfür geeignet sein. Die
Umsetzung erfordert Unterstützung durch die Führungsebene und Initiative einzelner
Akteure, die als Multiplikator*innen fungieren und Sichtbarkeit schaffen. Der Prozess
kann durch Workshops und regelmäßige Praxisbeispiele, die beispielsweise im Intranet
geteilt werden, unterstützt werden.
Bei der Einführung und Umsetzung ist es hilfreich, den kreativen Umgang mit
Sprache in den Vordergrund zu stellen. Es geht nicht um Perfektion, sondern Bewusst-
sein für die Wirkung von Sprache. Um zusätzlichen Druck zu nehmen, sollte der Fokus
auf die Zukunft und nicht auf die Vergangenheit gerichtet sein. Nachträglich werden
nicht alle Medien und Inhalte inklusiv gestaltet und überarbeitet werden. Ein weiterer
Schritt kann sein, öffentlich wirksame Dokumente und Medien wie Anträge oder Web-
seiten zu identifizieren, zu priorisieren, auf inklusive Formulierungen zu überprüfen und
ggf. Änderungen vorzunehmen. Es geht um die Kommunikation und Materialien, die in
Zukunft verfasst und publiziert werden.

6 Fazit

Die Beispiele im Beitrag zeigen, wie inklusive Sprache in Verwaltungen gefördert


werden kann. Die Ausgestaltung ist jedoch ein ständiger Prozess mit immer wieder
neuen Verbesserungsmöglichkeiten und sich ändernden Rahmenbedingungen. Daher
ist es wichtig, alle Mitarbeitenden einzubeziehen und regelmäßig zu überprüfen, zuzu-
hören und zu reflektieren, ob die Kommunikation respektvoll und inklusiv ist. Sprache
ist lebendig und entwickelt sich ständig weiter.
80 P. L. Auksutat

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Inklusive Sprache als Treiber für mehr Vielfalt in der Verwaltung 81

Paula Lina Auksutat M. A., E.ON Deutschland.


Paula Lina Auksutat, M.A. ist Senior Communications Managerin bei E.ON Deutschland und
beschäftigt sie sich mit Themen der internen Kommunikation und Employee Engagement. Zuvor
war sie bei Microsoft tätig und hat dort die Einführung inklusiver Sprache verantwortet. Neben
ihrer Arbeit setzt sie sich in der Branche für Diversity & Inklusion ein. Auksutat hat im Rahmen
ihrer Masterarbeit zu gendersensibler Sprache in börsennotierten Unternehmen geforscht.
„Wer nichts macht, macht keine
Fehler…“ – wie mutige Entscheidungen,
hin zu mehr Diversität, die
Zukunftsfähigkeit der Verwaltung
sicherstellen können

Rouven-Alexander Slabik und Alice Rittgerodt

Zusammenfassung

Die Verwaltung der Zukunft braucht mutige Entscheidungen, die hin zu mehr Diversi-
tät führen, um die Zukunftsfähigkeit der Verwaltung sicherstellen zu können. Dabei
ist es essenziell konservative Denkmuster zu hinterfragen und rechtliche Rahmen-
bedingungen neu zu interpretieren. In diesem Fachbeitrag werden Ansätze zur
Etablierung von Diversität aufgezeigt und die Frage diskutiert, ob Quoten dazu bei-
tragen können mehr Diversität innerhalb der Verwaltung zu erreichen. Darüber
hinaus werden Herausforderungen und Erfolgsfaktoren in diesem Zusammenhang
besprochen und sowohl hinterfragt, ob das Prinzip der Bestenauslese nach aktuellem
Verständnis ausgedient hat, als auch was Fehlerkultur mit Diskriminierung und
Privilegien eigentlich zu tun hat.

Schlüsselwörter

Diversity · Mut · Neudenken · Zukunftsfähigkeit · Fehlerkultur · Chance ·


Befähigung · Rechtsgrundlage · Quote

R.-A. Slabik ( )
Deutsche Telekom AG, Hamburg, Deutschland
A. Rittgerodt
Freie und Hansestadt Hamburg, Hamburg, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 83


Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_6
84 R.-A. Slabik und A. Rittgerodt

1 Einleitung

Die Verwaltung ist lange Zeit in feste und uniforme Denkmuster gepresst worden und
wird dies auch heute noch. Die Gründe dafür sind vielseitig und komplex. Die in der
Gesellschaft verbreitete Mär der behäbigen Verwaltung greift dabei deutlich zu kurz.
Die Frage, die es zu stellen gilt, ist doch, ob ein System, welches stark durch gesetz-
liche Rahmenbedingungen und durch konservative Denkmuster geprägt ist, eigentlich
so einfach aufgebrochen werden kann und wie und ob Diversität hierzu einen Fach-
beitrag leisten kann. Dahinter steckt die Suche nach der Antwort auf die Frage, ob das
System der öffentlichen Verwaltung durch Diversität und den Mut, Fehler zu machen,
insgesamt effektiver gestaltet und die bestehende Verwaltungswelt dadurch positiv
revolutioniert werden kann. Divers sind jedenfalls die Meinungen in der Öffentlich-
keit zum Thema Verwaltung und treffen im O-Ton immer öfter ein Klischee-Bild von
verbeamteten Mitarbeitenden, die keine Veränderung wollen, sich nicht trauen, Fehler
zu machen und sich im Klein-Klein verlieren. Wir befinden uns aber, ganz im Gegen-
teil, in einer Verwaltungswelt, in der immer diversere Menschen und damit auch immer
diversere Denkmuster aufeinandertreffen, denn am Ende beeinflussen auch Sprache
und Kultur unser Denken1. Diese Entwicklung ist definitiv essenziell für eine not-
wendige revolutionäre, neue Verwaltungswelt. Trotzdem werden damit viele Menschen
vor neue Herausforderungen gestellt, die lange Zeit konservative Denkmuster ver-
innerlicht haben, die Ihnen entweder Erfolg oder zumindest keine Nachteile gebracht
haben. Diese unterschiedlichen Welten zu verbinden, stellt einen der größten Heraus-
forderungen im Changeprozess des Verwaltungssektors in Deutschland dar. Als „unter-
schiedliche Welten“ werden in diesem Zusammenhang einerseits die eher konservative
„alte Verwaltungswelt“ und andererseits die zukünftige durch Diversität und vor allem
Innovation geprägte „neue Verwaltungswelt“ verstanden. Und wer glaubt, dass dieser
Wandel einfach und schnell umzusetzen ist, der irrt. Denn es stellt sich nicht nur die
Herausforderung der Implementierung von Diversität, sondern auch die der Akzeptanz
derselben. Entstehen durch neue Strukturen und Prozesse Fehler, die sicherlich vor allem
zu Beginn nicht vermeidbar sein werden, müssen diese von allen mitgetragen werden.
Letztendlich werden mögliche anfängliche Schwierigkeiten und Zeitverzögerungen
durch Optimierungsbedarfe auch Bürger*innen betreffen können. Kann es in der
deutschen Verwaltung also überhaupt einen Wandel geben, der insbesondere auch das
diverse Denken in Bezug auf den Prozess hin zu mehr Diversität fördert und zulässt?
Nicht selten trifft man in der Verwaltungswelt tatsächlich eher auf den Gedanken-
gang: „Wer nichts macht, macht keine Fehler…“. Eben dieser Gedankengang wir durch
eindimensionales, konservatives Denken gefördert und führt gerade nicht eine „neue
diverse Verwaltungswelt“, da die Angst vor Fehlern diesen Fortschritt verhindert. Die Ver-
waltung ist dabei aber in einer Vorreiterrolle. Der öffentliche Dienst ist der mit Abstand
größte Arbeitgeber in Deutschland. Bei ihm sind rund 4,8 Mio. Menschen beschäftigt.

1 Höffe, O. und Hacker, J. (2017, S. 61).


„Wer nichts macht, macht keine Fehler…“ – wie mutige… 85

Dabei sollte der öffentliche Dienst eine Vorbildfunktion einnehmen, vor allem hinsicht-
lich des Zulassens von diversem Denken und Diversität, damit sich eine akzeptanz-
orientierte Fehlerkultur in der Gesellschaft manifestieren kann. Das Denkmuster „Ist
so, weil es immer schon so war“ wird nicht durchbrochen, wenn wir weiter an festen
Glaubenssätzen und Strukturen festhalten, die diese Muster im Fundament unter-
stützen. In diesem Kontext ist es auch berechtigt zu fragen, ob eine Führungskultur, die
durch altes, konservatives Denken geprägt ist, überhaupt den möglichen Freiraum bietet,
Diversität zuzulassen und zu fördern. Das passiert in einer Verwaltungswelt, in der davor
zurückgeschreckt wird, Führungspositionen mit jungen Menschen zu besetzen, weil
man an gesetzliche Rahmenbedingungen gebunden ist, mit Sicherheit nur schwerfällig
und langsam. Und natürlich greift es auch hier zu kurz, zu sagen, dass allein das „anders
Machen“ an sich schon Besserung bringt. Aber beispielsweise Befähigungen für zentrale
Positionen aus Angst vor der sogenannten Sprungbeförderung (dem Überspringen von
mehr als einer Gehaltsstufe) oder vor entgegenstehender, vermeintlich gefestigter Recht-
sprechung an zeitlicher Bewährung – also meist dem Alter – festzumachen, wird nicht
dazu beitragen, dass wir eine positive Veränderung schaffen. Ist es daher nicht berechtigt
zu hinterfragen, ob die entsprechende Rechtsprechung zeitgemäß ist? Muss sie nicht
ebenfalls an die Herausforderungen der neuen Generationen angepasst werden und sie
entsprechend würdigen? Steht die Bestenauslese als Eckpfeiler der Besetzung von Stellen-
positionen nicht eigentlich schon automatisch im Gegensatz zur Diversität und damit zu
diversem Denken und einer Fehlerkultur? Was wäre, wenn wir es schaffen würden, alte
und neue Denkmuster zu verbinden, diverses Denken zu ermöglichen, Diversität und eine
Fehlerkultur zuzulassen, um ein positives Arbeitsumfeld zu schaffen und die Mitarbeiter-
zufriedenheit zu steigern? Wenn wir der Verwaltung den Raum geben würden, Fehler zu
machen, ohne die handelnden Menschen direkt öffentlich zu kritisieren und über einen
Kamm zu scheren? Was wäre, wenn auch in den verantwortlichen Positionen in den
tragenden Rollen der Verwaltung – also insbesondere auch in den personalentwicklungs-
verantwortlichen Bereichen – über den Tellerrand hinausgedacht würde? Was wäre also,
wenn wir es schaffen würden, eine diverse Verwaltungswelt zu gestalten, die wirklich
etwas bewegt und zeitgemäß handelt, weil wir alle miteinbeziehen?
Diese Überlegungen und Ansätze führen letztendlich auch zu der Frage, ob Diversität
auch dazu führt, sich viel mehr mit komplexen Konflikten auseinandersetzen zu müssen,
während man in der aktuellen Verwaltungswelt eher die Tendenz dazu sieht, einen mög-
lichst konfliktfreien Weg zu gehen?

2 Welche Ansätze gibt es bereits zur Etablierung von


Diversität in der Verwaltung?

In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sind Vielfalt und Chancengerechtigkeit


gesamtgesellschaftlich immer mehr in den Fokus gerückt. Auch der öffentliche Dienst
hat dies erkannt und verfolgt seit den 1990er Jahren die interkulturelle Öffnung der
86 R.-A. Slabik und A. Rittgerodt

öffentlichen Organisationen. Mit dem Nationalen Aktionsplan Integration wurden im


Jahr 2012 verschiedenste Einzelmaßnahmen zur Umsetzung auf den Weg gebracht.
Hierauf aufbauend hat man sich zum Ziel gesetzt, für die 2020er Jahre Diversität in all
ihren Facetten langfristig in den Vordergrund zu stellen und von der Kategorisierung
einzelner Personengruppen abzurücken2. Landes- und Bundesbehörden ebenso wie viele
Kommunen setzen sich seit Jahren verstärkt für die Anerkennung und Wertschätzung
von Vielfalt ein und fördern sie. So wurde von der Antidiskriminierungsstelle des
Landes Berlin gemeinsam mit der Punktdienststelle Diversität und der Internationalen
Gesellschaft für Diversität ein Diversität-Netzwerk gegründet. Viele Länder haben die
„Charta der Vielfalt“ unterzeichnet. Die Freie und Hansestadt Hamburg wirbt mit der
Kampagne „Wir sind Hamburg! Bist du dabei?“ um Bewerberinnen und Bewerben mit
Migrationshintergrund. Das Land Berlin hat sich der Steigerung von Vielfalt mit dem
Gesetz zur Förderung der Partizipation in der Migrationsgesellschaft verschrieben.
Ziel des Gesetzes ist die gleichberechtigte Teilhabe sowie die gezielte Förderung von
Beschäftigungsverhältnissen von Menschen mit Migrationshintergrund.
Das zeigt, dass Rekrutierungs- und Qualifizierungsstrategien teilweise schon recht
gut eingeführt sind. Der Zeitablauf seit den 90er Jahren und der vergleichsweise lang-
same Fortschritt in Handeln und Umsetzung verdeutlicht aber, dass grundlegende
Restrukturierungen bislang nicht erfolgt sind. Dies dürfte seinen Ursprung auch in den
beschränkten Finanz- und Personalressourcen finden. Der Anteil der Beschäftigten im
öffentlichen Dienst ist seit 1991 um ca. 1,6 Mio. oder rund 30 % zurückgegangen. Die
dadurch zunehmende Arbeitsverdichtung, Arbeitsbündelung und wachsende Aufgaben-
komplexität haben die Belastungen für viele Beschäftigte deutlich erhöht. Insgesamt
scheinen oft nur geringe Handlungsspielräume für eine veränderte Personalgewinnung
und -entwicklung zu bestehen.3 Zudem gibt es bislang nur eine kaum belastbare Daten-
lage, die Rückschlüsse auf die Diversität der Verwaltung ermöglicht. Zu Diversität
gibt es bisher zudem nur vereinzelt umfassendere Gesamtkonzepte und kaum weit-
reichende Umsetzungen. Diversitätsmanagement wird vielfach immer noch als Nice-
To-Have und gute Praxis verstanden oder schlimmstenfalls als ein „da kommen wir in
der aktuellen Zeit nicht mehr drum rum“ oder „es bleibt uns ja nichts anderes übrig, als
das zu machen…“, sodass zwar Insellösungen geschaffen und Handlungsempfehlungen
ausgesprochen werden, konkrete Vorgaben die bei Nichterreichen an Konsequenzen
geknüpft sind, gibt es aber nicht.
Natürlich gibt es die Vorgaben aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz
(AGG), die wohl vielfach umgesetzt werden, und insgesamt hat die Diversitätssensibili-
tät in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Gleichzeitig gibt es insoweit keine ver-
bindlichen Vorgaben, ganz zu schweigen von rechtlichen Verpflichtungen betreffend der
Umsetzung. Orientieren könnte man sich hier an Maßnahmen, die bereits vor Inkraft-

2 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2021, S. 6).
3 Charta der Vielfalt e. V. (2017, S. 17).
„Wer nichts macht, macht keine Fehler…“ – wie mutige… 87

treten des AGG zur Gleichstellung unterrepräsentierter Gruppen herangezogen wurden.


Zur Gleichstellung der Frau soll bei gleicher Qualifikation und Unterrepräsentanz die
Frau eingestellt werden. Für Menschen mit Behinderung sind inklusive Arbeitsplätze
zu schaffen, um strukturelle Nachteile auszugleichen. Dass das Thema Diversität, das
eine solche Tragweite für so viele Menschen hat, derart behäbig angegangen wird und
Diversität jedenfalls kaum in den höheren Laufbahngruppen der Landes- und Bundes-
verwaltungen zu finden ist, wird vielfach auch den angeblich kaum zu überwindenden
rechtlichen Hürden zugeschrieben.

3 Erreichen von Diversität mittels Quote

Die vielfältige Zusammensetzung der Bewohnerinnen und Bewohner Deutschlands


wird in der Verwaltungslandschaft bislang nach wie vor nicht ausreichend abgebildet.
Zwischen 2009 und 2019 ist der Anteil von Frauen in der Bundesverwaltung zwar
von 35 % auf 40 % gestiegen, während der Anteil von Personen mit Migrations-
hintergrund von 8 % auf 12 % stieg. Trotzdem ist die Personalstruktur sowohl in der
Bundes-, als auch in den Landesverwaltungen vielerorts noch vom politischen Ziel einer
angemessenen Repräsentation dieser Bevölkerungsgruppen entfernt.4 Zudem bestehen
Ungleichheiten bei Beförderungen. Personen ohne Migrationshintergrund werden mit
73 % deutlich häufiger befördert als Beschäftigte mit Migrationshintergrund (58 %).
Darüber hinaus sind Beschäftigte mit Migrationshintergrund in der Bundesverwaltung
seltener qualifikationsadäquat und häufiger befristet beschäftigt als ihre Kolleg*innen
ohne Migrationshintergrund.5 Je höher zudem die Hierarchieebene ist, desto geringer
ist der Frauenanteil und der Anteil von Beschäftigten mit Migrationshintergrund. Ob die
Kategorie Migrationshintergrund überhaupt tauglicher Anknüpfungspunkt sein kann,
dürfte bereits fraglich sein. Nicht alle von Rassismus betroffenen Personen in Deutsch-
land haben einen Migrationshintergrund, und nicht alle Personen mit Migrationshinter-
grund in Deutschland sind von Rassismus betroffen. Jedenfalls ist die Herkunft nur
eine Komponente, die in der Summe Diversität ausmacht. Daneben prägen Geschlecht,
Behinderung, Religion und Weltanschauung, sexuelle Orientierung und Alter die Persön-
lichkeit von Menschen. Die Abbildung dieser unterschiedlichsten Lebensrealitäten in der
Verwaltung könnte mittels einer verpflichtenden Diversitätsquote gelingen, denn nicht
verbindliche Zielvereinbarungen haben eine deutlich niedrigere Durchschlagskraft. Wo
unterschiedlichste Lebensrealitäten sichtbar sind und wo Menschen sich repräsentiert
sowie auch angenommen fühlen, kann Innovation entstehen und Zukunftsfähigkeit
gewährleistet werden. Quotenregelungen adressieren ein Gerechtigkeitsproblem und
werden deshalb mindestens kontrovers diskutiert. In diesem Zusammenhang wird viel-

4 Ette, A. et al. (2022).


5 Deutscher Gewerkschaftsbund (2021).
88 R.-A. Slabik und A. Rittgerodt

fach das sogenannte Leistungsprinzip bemüht, um diesbezüglich notwendige Ver-


änderungen abzuwehren. Es wird immer wieder vorgebracht, dass die automatische
Bevorzugung von Angehörigen strukturell benachteiligter Gruppen im Sinne einer
strikten Quote, gegen den sogenannten Grundsatz der Bestenauslese verstoße. Selbst,
wenn es bislang wenig belastbare Daten zur tatsächlichen Unterrepräsentation gibt, lässt
sich diese doch tatsächlich und statistisch grundsätzlich recht einfach belegen. Quoten
sind dann keine Wunderwaffe, aber immerhin ein taugliches Instrument, um innerhalb
kurzer Zeit messbare Veränderungen zu bewirken. Sind Quotenregelungen erst auf dem
Weg, können sie der Beschleunigung von Entwicklungsprozessen insgesamt durchaus
dienlich sein.

4 Rechtliche Hürden, die es zu überwinden gilt

Für öffentliche Arbeitgeber*innen ist bei Einstellungen und Beförderungen zuvorderst


Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes relevant. Nach dem sogenannten Prinzip der Besten-
auslese hat jede*r Deutsche nach ihrer oder seiner Eignung, Befähigung und fach-
lichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Dieses Prinzip gilt für
alle Arten von Beschäftigungsverhältnissen. Auf andere Auswahlkriterien darf nur
unter der Voraussetzung gleicher Qualifikation zurückgegriffen werden. Natürlich sind
Arbeitgeber*innen in diesem Kontext an das Verbot von mittelbaren wie unmittel-
baren Diskriminierung gebunden. Das Diskriminierungsverbot findet nicht nur seinen
Niederschlag in Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz, sondern auch im AGG das der Umsetzung
unionsrechtlicher Vorgaben dient. Hinsichtlich des Merkmals Geschlecht hat auch
das Bundesverfassungsgericht das Verbot mittelbarer Diskriminierung ausdrück-
lich anerkannt.6 Klare Vorgaben zur Vermeidung von Exklusion und Behebung des in
den herrschenden Strukturen bestehenden Diversitätsmangels sind dem freilich nicht
zu entnehmen. Es handelt sich hier vielmehr um einen Rahmen, dessen Ausgestaltung
Legislative und Exekutive vorbehalten bleibt. Art. 3 Abs. 3 GG hängt denknotwendig
mit der Menschenwürde zusammen, deren Schutz vorderstes Gebot der Verfassung
und ebenso ihrer Akteure sein muss. Es gibt also eine Handlungspflicht, betreffend den
Schutz diskriminierungsgefährdeter Gruppen. Strukturelle Nachteile, die anders nicht
auszugleichen sind, aber zur Herstellung tatsächlicher Chancengleichheit hinsichtlich
aller in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG genannten Kategorien erforderlich sind, sind zu beheben.
Maßnahmen, die bestehende Ungleichheiten beseitigen, bedürfen nach hiesiger Auf-
fassung keiner Rechtfertigung. Selbst wenn man von einer Diskriminierung nicht
marginalisierter Gruppen bei bevorzugter Einstellung von Menschen mit diversem
Hintergrund ausgehen wollte, und deshalb von einer Rechtfertigungsbedürftigkeit,

6 Vergl. hierzu BVerfGE 89, 276–291.


„Wer nichts macht, macht keine Fehler…“ – wie mutige… 89

ist es doch das Diskriminierungsverbot selbst, dass Rechtfertigungsgrundlage für die


Kompensation von Nachteilen ist.7 Eine solche Sicht wird gestützt durch die Auslegung
von Art. 3 Grundgesetz im Lichte von internationalem Recht und Recht der europäischen
Union. Danach sind positive Maßnahmen zum Ausgleich rassistischer Diskriminierung
ausdrücklich zulässig bzw. sogar geboten. Im deutschen Recht findet sich diese Sicht-
weise in § 5 AGG umgesetzt. Es bleibt zu hoffen, dass künftig häufiger hierauf fußend
mutige und inklusive Entscheidungen getroffen werden.

4.1 Hat das Prinzip der Bestenauslese nach aktuellem


Verständnis ausgedient, bzw. muss hier von der
Rechtsprechung nachjustiert werden?

Den rechtlichen Rahmen für die Umsetzung diverser Personalentscheidungen gibt es


mithin. Gleichwohl betonen Personalverantwortliche auf Bundes- und Landesebene
häufig, dass eine derartige Gleichstellung gegen das Prinzip der Bestenauslese verstoße.
Art. 33 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 GG verbiete eine Benachteiligung
oder Bevorzugung aufgrund von Heimat und Herkunft oder der Religion. Menschen
mit Migrationshintergrund dürften im Auswahlprozess bei gleicher Qualifikation des-
halb nicht bevorzugt werden. Das Prinzip der Bestenauslese wird allerdings auch als
Begründung für die Nichtdurchführbarkeit weitaus weicherer und rechtlich unstrittiger
positiver Maßnahmen aufgeführt. Man stützt sich insoweit auf bislang herrschende
Rechtsprechung. Aber neigt man damit nicht dazu, es sich einfach zu machen? Verfolgt
man das Prinzip der Bestenauslese wortlautgetreu, so ist tatsächlich der/die Beste der-
oder diejenige, der/die eine Stelle erhalten muss. Als Denkanstoß sei folgende Frage auf-
geworfen: Könnte dem sogenannten Verbot der Sprungbeförderung, das als Grundsatz
des Laufbahnprinzips eine Ämterhierarchie vorsieht, schon eine Altersdiskriminierung
immanent sein? In einer Welt die sich so schnell dreht hat Erfahrung immer weniger mit
Alter zu tun. Gerade was den Bereich Digitalisierung anbelangt sind junge Kolleg*innen,
sogenannte Digital Natives, oft deutlich besser in der Lage, die hiermit einhergehenden
Herausforderungen zu meistern als ältere Kolleg*innen und haben in Besetzungsver-
fahren gleichwohl das Nachsehen. Dass Deutschland in Sachen digitale Wettbewerbs-
fähigkeit im Vergleich aller europäischen Länder vor Albanien auf dem vorletzten Platz
liegt, könnte auch hieran liegen.8 Diese Veränderungsprozesse sollten auch von der
Rechtsprechung mitbedacht werden. Das stoische Festhalten an Rechtsprechung, die
die Veränderungsprozesse nicht mitdenkt, ist weder zeitgemäß noch zukunftsweisend.
In Sachen Bekämpfung des Klimawandels hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt in

7 Grünberger, M., Mangold, A. et al. (2021, S. 47 ff.).


8 Manager magazin (2021).
90 R.-A. Slabik und A. Rittgerodt

einem historischen Urteil seine Verantwortung erkannt und die diesbezügliche politische
Verantwortung ins Licht der Öffentlichkeit gerückt.9 Damit hat es Klarheit geschaffen
und gibt sowohl Politik als auch Verwaltung ein verlässliches Werkzeug an die Hand.
Es wäre wünschenswert, würden Entscheidungen auch zugunsten von mehr Diversität
im Sinne einer Generationengerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit der Verwaltung zügig
getroffen werden.

4.2 Herausforderungen

Zwar ist einer der wichtigen Eckpfeiler der Verwaltung die Kontinuität, was grundsätz-
lich auch richtig und wichtig ist, aber auch Kontinuität muss mit der Zeit gehen und
den Anforderungen des gesellschaftlichen Wandels gerecht werden. Es ist Aufgabe der
Verwaltung, die Menschen, die sie repräsentiert, mitzudenken, ihnen so das Gefühl der
Zugehörigkeit zu geben und Identifikations- und Anknüpfungspunkte zu schaffen. Man
kann hier aber das Gefühl bekommen, dass die deutsche Verwaltung in Stagnation und
im stoischen Einhalten rechtlicher Vorgaben verharrt. Eine intensive und selbstkritische
Auseinandersetzung mit dem eigenen Verständnis von „Integration“ findet damit zu
wenig statt. Die bürokratiegeprägte Organisation hält fest am Prinzip der formalen
Gleichbehandlung und hindert so die Etablierung eines Diversität-Ansatzes, der über den
jedenfalls rechtlich abgesicherten Genderbereich auch alle anderen diversen Gruppen
abbildet.

4.3 Erfolgsfaktoren und Hürden der Umsetzung des AGG sowie


von Antidiskriminierungs- und Diversitäts-Maßnahmen

Die Umsetzung der Auflagen aus dem AGG sowie Antidiskriminierungs- und Diversitäts-
Maßnahmen sind als gesamtgesellschaftliche Chance zu verstehen. Identifikation findet
nur da statt, wo Repräsentanz stattfindet. Die gesetzlichen Verpflichtungen aus dem AGG
und solche, die sinnvollerweise neu zu schaffen wären, sind essenziell für die Umsetzung
und Etablierung von Diversität in der Verwaltung. Die Verwaltung hat dabei eine Vorbild-
funktion inne. Darüber hinaus könnte aus der Verwaltung heraus ein gesellschaftlicher
Wandel angestoßen werden, dessen Wirkkraft von nicht zu unterschätzendem gesamt-
gesellschaftlichem Wert ist. Solange die Umsetzung von Antidiskriminierungsmaßnahmen
auf Freiwilligkeit beruht, gibt es keine hinreichenden Anreize zum Abbau struktureller
Diskriminierung und zur Verwirklichung von mehr Gleichstellung. Gäbe es verbindliche
Regularien zur Umsetzung verschiedenster Maßnahmen, müsste man hiermit umgehen.
In den USA, wo die Datenlage eine umfassendere ist, trugen freiwillige Diversitäts-

9 Beschluss vom 24. März 2021-1 BvR 2656/18.


„Wer nichts macht, macht keine Fehler…“ – wie mutige… 91

Maßnahmen kaum zum tatsächlichen kulturellen Wandel und zur Einsetzung von
Frauen und People of Colour in Führungspositionen bei. Die Diversitäts-Maßnahmen
erwiesen sich als effektiver, wenn sie mit gesetzlichen Vorgaben verknüpft waren, und
am effektivsten, wenn konkrete Verantwortlichkeiten benannt, quantifizierbare Ziele
formuliert und Erfolgscontrolling verpflichtend eingeführt wurden.10
Gleichwohl sind Führungsverantwortliche oft nicht ausreichend sensibilisiert für die
Dringlichkeit des Themas und die Schaffung verbindlicher gesetzlicher Vorgaben. Zwar
gibt es insoweit keine, bzw. keine zugängliche Datenbasis, doch dürften Menschen in
Führungspositionen häufig das Privileg eines nicht- bzw. nicht sichtbaren relevanten
diversen Hintergrunds haben. Häufig fehlt für Themen, die nicht die eigenen sind, das
nötige Einfühlungsvermögen mangels Zugangs hierzu. Geht aber jemand davon aus, dass
etwas kein Problem ist, weil es nicht sein eigenes Problem ist, ist dies schlicht Privileg.
Diese eigenen Privilegien werden allerdings nicht dadurch geschmälert, dass anderen
Zugang gewährt wird. Vielmehr geht mit ihnen eine Verantwortung einher, gerechtere
Strukturen für viele zu schaffen.
Voraussetzung dafür, diese Privilegien zu sehen, ist es, die eigenen Verhaltensmuster
zu reflektieren. Selbstreflexion sollte die Kernkompetenz einer guten Führungskraft sein.
Eigene Erfahrungen bieten viele Anknüpfungspunkte, die Anlass zur Reflexion geben,
die Verständnis für die Erfahrung anderer zulassen und Einblick in deren Lebensreali-
täten geben. Helfen kann hier der sogenannte Anti-Bias-Ansatz, ein in den 1980er Jahren
in den USA entwickeltes pädagogisches Konzept, dessen Ziel es ist eine intensive,
erfahrungsbasierte Auseinandersetzung mit Macht und Diskriminierung zu ermög-
lichen. Der Anti- Bias-Ansatz geht davon aus, dass alle Menschen in einigen Kontexten
privilegiert, in anderen diskriminiert oder mit Vorurteilen konfrontiert werden. Ver-
mutlich erleben wir alle im Laufe unseres Lebens die eine oder andere Form von Dis-
kriminierung. Die jeweiligen Erfahrungen sind zwar nicht direkt vergleichbar, doch sich
damit auseinanderzusetzen hilft, Diskriminierung und damit zusammenhängende Fehler
besser zu verstehen. Selbstreflexion im Sinne einer selbstkritischen Haltung und dem
Zugang zu eigenen, auch unbewussten Vorurteilen, ist der Schlüssel zu vorgelebter Anti-
diskriminierung und zu Diversität. Neben Selbstreflexion und Kritikfähigkeit sind auch
eine grundsätzlich offene Haltung anderen gegenüber sowie die persönliche, intrinsische
Motivation zu Handeln und zu Verändern Voraussetzung für erfolgreiches Führen in Viel-
falt. Wo Selbstreflexion nicht vorgelebt wird, wird sich eine solche schwerlich auf der
Ebene von Mitarbeiter*innen manifestieren. Führungskräfte müssen vorleben, was sie
erwarten. Denn eine offene Fehler- und Entwicklungskultur, die akzeptiert wird, kann
eben nur dann gelingen, wenn sie vorgelebt, gefordert und gefördert wird. Erst, wenn
Beschäftigte Vertrauen haben, dass sie für Fehler nicht abgestraft werden, dass nicht Ja-
Sagen, sondern Mit- und über den Tellerrand-hinausdenken belohnt wird, öffnen sie sich
langsam. Die Herausforderung besteht also darin, gelernte Verhaltensmuster zu hinter-

10 Icks, A. et al. (2021, S. 20 ff.).


92 R.-A. Slabik und A. Rittgerodt

fragen und zu verändern. Dazu gehört es, die eigene Selbstdarstellung zurückzunehmen
und die eigene Menschlichkeit und Fehlbarkeit zu zeigen. Das erfordert Mut. Aber sollte
das nicht Kernaufgabe im Rahmen einer Führungsaufgabe sein: Verantwortung über-
nehmen und Strukturen gestalten?

5 Was hat unsere Fehlerkultur mit Diskriminierung und


Privilegien zu tun?

Wo immer Menschen zusammenkommen und kooperieren, kristallisiert sich ein


bestimmter Umgang mit Fehlern heraus. Folglich etabliert sich in allen Gesellschaften,
Kulturen und sozialen Systemen eine bestimmte Fehlerkultur, eine Art und Weise,
Fehler zu betrachten, zu bewerten und damit umzugehen. In einer Studie des Wirt-
schaftspsychologen Michael Frese und weiterer Wissenschaftler*innen aus den 1990er
Jahren11 die die Fehlerkultur in 61 Ländern der Welt vergleicht, landete Deutschland
ebenfalls auf dem unrühmlichen vorletzten Platz. Platz 61 belegt Singapur. Dort wird
Fehlverhalten mit teils hohen Geldstrafen oder gar mit dem Rohrstock bestraft. Selbst
wenn in Deutschland in den vergangenen Jahren in einigen Bereichen der konstruktive
Umgang mit Fehlern hin zu einer Lernkultur propagiert wird, hat sich dies noch nicht in
den Köpfen der Menschen verankert. Viel zu häufig wird die Schuldfrage gestellt; Fehler
werden mit Häme bestraft. Auch Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen und Vorbild
für viele sind, Spitzenpolitiker*innen beispielsweise, neigen deshalb dazu, auch offen-
sichtliche Fehler nicht einzugestehen.
Der Umgang mit Fehlern hat aber einen großen Einfluss auf die Auseinandersetzung
mit eigenen Privilegien und Diskriminierungserfahrung anderer. Werden wir hierauf auf-
merksam gemacht, fühlen wir uns häufig angegriffen, entwickeln Schuldgefühle oder
eine Abwehrhaltung. Es scheint deshalb oft leichter, das Thema Diversität, das viele Fall-
stricke bereithält, zu meiden. Auch dieser Ausweg ist privilegiert. Menschen, die Dis-
kriminierung erfahren, haben diese Wahl nicht. Wer strukturell benachteiligt wird und
ausgegrenzt, ist zwangsläufig immer hiermit konfrontiert, denn die Möglichkeit, dem
auszuweichen, gibt es nicht. Wenn wir also eine Fehlerkultur etablierten, die vielmehr
eine Lernkultur ist, die weniger Raum lässt für Scham und Ausgrenzung, sondern das
gemeinsame Wachsen in den Vordergrund stellt, die diese Kultur und Diversität tat-
sächlich fördert, wachsen wir gemeinsam. Hierüber hinaus wird dann die gesamte
Organisation partizipieren. Eine diverse Organisation arbeitet sicher nicht fehlerfrei,
aber sie denkt verschiedenste Lebensrealitäten mit, sodass Fehler bereits am Anfang
von Prozessen erkannt und behoben werden können, ganz im Sinne eines „fail, but fail
quickly“-Ansatzes. Eine konstruktive Fehlerkultur weist auf eine gegenseitige Ver-
trauensgrundlage und psychologische Sicherheit innerhalb einer Organisation hin.

11 Von Liebe (2022).


„Wer nichts macht, macht keine Fehler…“ – wie mutige… 93

6 Fazit

Gelänge es uns, diese konstruktive Fehlerkultur auch in der Verwaltung zu etablieren,


würde dies mehr Attraktivität für neue Mitarbeiter*innen und eine weniger
demotivierende Arbeitsatmosphäre für aktuelle Mitarbeiter*innen bedeuten. Verstärkt
wird diese durch das Neudenken von rechtlichen Rahmenbedingungen und den Mut
neue Entscheidungen zu treffen, hin zu mehr Diversität, um durch die aufgezeigten
Themen die Zukunftsfähigkeit der Verwaltung sicherstellen zu können. Zweifellos stehen
wir insofern vor einer großen Aufgabe, allerdings bedeuten Entscheidungen zugunsten
von mehr Diversität perspektivisch eine gerechtere Arbeitswelt für alle. Den Heraus-
forderungen der Zeit in der wir leben können wir nur gemeinsam, mit vereinten Kräften,
Erfahrungen und vereintem Wissen gegenübertreten.

Literatur

Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2021): Diversitäts-
strategie für die Bundesverwaltung. https://www.integrationsbeauftragte.de/resource/blob/1872
554/1948320/6e775279fef1c16330a37df75417f89b/diversitaetsstrategie-data.pdf?download=1
Charta der Vielfalt e. V. (2017): Vielfalt, Chancengleichheit und Inklusion. Diversity Management
in öffentlichen Verwaltungen und Einrichtungen. https://www.charta-der-vielfalt.de/fileadmin/
user_upload/Studien_Publikationen_Charta/Charta_der_Vielfalt-O%CC%88H-2017.pdf
Deutscher Gewerkschaftsbund (2021): BM Magazin für Beamtinnen und Beamte 03/2021
Vielfalt fördert die Zukunftsfähigkeit des öffentlichen Dienstes. https://www.dgb.de/
themen/++co++df5cdf28-86fc-11eb-87c3-001a4a160123
Ette, A., Weinmann, M., Straub, S. (2022):Vielfalt und Teilhabe in der öffentlichen Verwaltung.
https://www.bib.bund.de/Publikation/2022/pdf/Policy-Brief-Vielfalt-und-Teilhabe-in-der-
oeffentlichen-Verwaltung.pdf
Grünberger, M., Mangold, A., Markard, N., Payandeh, M., Towfigh, E. (2021): Diversität in Rechts-
wissenschaft und Rechtspraxis. https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783748927617.
pdf?download_full_pdf=1. https://doi.org/10.5771/9783748927617
Höffe, O., Hacker J. (2017): Neue Folge | Nummer 414 Wissenschaften im interkulturellen
Dialog Sciences in the Intercultural Dialogue. https://www.leopoldina.org/fileadmin/redaktion/
Publikationen/Nova_Acta_Leopoldina/2017_Leopoldina_NAL_414.pdf
Icks, A., Bijedi , T., Kay, R., Latzke, P., Merx, A. (2021): Der Schutz vor Diskriminierung und
die Förderung personaler Vielfalt im Arbeitsleben. https://www.antidiskriminierungsstelle.de/
SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Expertisen/Studie_Schutz_vor_Diskr_im_Arbeits-
leben.pdf?__blob=publicationFile&v=2
manager magazin (2021): Deutschland fällt in Digital-Ranking auf vorletzten Platz Europas.
https://www.manager-magazin.de/politik/digitalisierung-deutschland-in-ranking-auf-vor-
letztem-platz-in-europa-a-f0a7ef16-8903-4d9a-90c8-f72d732b8b9c
Von Liebe, S. (2022): Erfolgreich scheitern Wie wir Niederlagen als Chance sehen. https://www.
ardalpha.de/wissen/psychologie/scheitern-misserfolg-niederlage-chance-tipps-100.html
94 R.-A. Slabik und A. Rittgerodt

Rouven-Alexander Slabik arbeitet als Sales Expert für die T-Systems International GmbH mit
dem Schwerpunkt Digital im Public Sector. Er hat zuvor selbst 2 Jahre lang für die Freie und
Hansestadt Hamburg gearbeitet und war hier aktiv am Aufbau der IT-Dienstleistersteuerung
beteiligt – die Schnittstelle für IT- und Digitalisierungsthemen zwischen der Freien und Hanse-
stadt Hamburg und dem IT-Dienstleister Dataport. Rouven brennt für den Kulturwandel und
die Digitalisierung im öffentlichen Sektor und war während seiner Zeit in der Verwaltung
Teil der Orga Think Tank (OTT) Leads. Der OTT beschäftigt sich mit Themen wie Kultur- und
Generationenwandel, Digitalisierung, Diversität und New Work. Diese Themen nimmt Rouven
gemeinsam mit seiner Kollegin auch im OTT-eigenen Podcast – dem pOTTcast (Spotify) – auf,
öffnet so die Verwaltung auch für Impulse von außen und macht Themen aus der Verwaltung für
die Öffentlichkeit sichtbar.

Alice Rittgerodt hat sich 2019 entschieden, für die Freie und Hansestadt Hamburg zu arbeiten.
Die Verwaltung in Zeiten gravierender Veränderungen und Herausforderungen an entscheidenden
Stellen mitzugestalten ist ihr Antrieb. Aktuell berät sie den Strategischen Einkauf der Stadt
in vergaberechtlichen Fragen zu Nachhaltigkeit und Innovation. Gemeinsam mit vielen Mit-
streiter*innen engagiert sie sich bei Staat-up e. V. für einen Wandel des öffentlichen Sektors hin zu
mehr Effektivität und zeitgemäßem Handeln.
Vom Einwandererkind zur
Verwaltungskarriere: Wie Menschen
mit Migrationshintergrund der Aufstieg
in die öffentliche Verwaltung gelingt

Baris Önes und Sarina Badafras

Zusammenfassung

Die öffentliche Verwaltung hat mit der kommenden Pensionierungswelle und dem
schon bestehenden Fachkräftemangel zwei große Herausforderungen zu bewältigen.
Um als Verwaltung auch zukünftig funktionsfähig zu bleiben, muss die bisherige
Praxis der Mitarbeiter*innen-Rekrutierung überdacht und neu ausgerichtet werden.
Die Diversität in unserer Gesellschaft wird bisher unzureichend in der öffentlichen
Verwaltung abgebildet. Die interkulturelle Öffnung der Verwaltung ermöglicht zum
einen, dass Menschen mit Migrationshintergrund ankommen und ihnen Möglich-
keiten zur Weiterentwicklung und beruflichen Teilhabe geboten werden. Damit zum
anderen auf die vielfältigen Bedürfnisse der Bürger*innen eingegangen werden kann,
benötigt es ein vielfältiges Personal, das sich dem widmet und neue Perspektive
miteinbringt. Es ist die gesellschaftliche Verantwortung des Staates, Menschen
mit verschiedenen sozialen und kulturellen Hintergründen stärker als bisher in die
öffentliche Verwaltung einzubinden. Die Aufgabe der öffentlichen Verwaltung ist
es, noch stärker abzubilden, was die Gesellschaft ausmacht. Dabei sind zwar die
positiven Entwicklungen der letzten Jahre in der Verwaltung nicht zu unterschätzen.
Die interkulturelle Öffnung muss aber an Fahrt aufnehmen, um im Wettbewerb mit
der freien Wirtschaft um das Personal nicht ins Hintertreffen zu geraten.

B. Önes
SPD-Bürgerschaftsfraktion, Hamburg, Deutschland
S. Badafras ( )
HAW Hamburg, Hamburg, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 95


Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_7
96 B. Önes und S. Badafras

Schlüsselwörter

Einwandererkind · Migrationshintergrund · Verwaltungskarriere · Abitur ·


Interkulturelle Öffnung

1 Einleitung

Die öffentliche Verwaltung hat mit der kommenden Pensionierungswelle und dem schon
bestehenden Fachkräftemangel zwei große Herausforderungen zu bewältigen. Um als
Verwaltung auch zukünftig funktionsfähig zu bleiben, muss die bisherige Praxis der Mit-
arbeiter*innen-Rekrutierung überdacht und neu ausgerichtet werden. Die Diversität in
unserer Gesellschaft wird bisher unzureichend in der öffentlichen Verwaltung abgebildet.
Die interkulturelle Öffnung der Verwaltung ermöglicht zum einen, dass Menschen mit
Migrationshintergrund ankommen und ihnen Möglichkeiten zur Weiterentwicklung und
beruflichen Teilhabe geboten werden. Damit zum anderen auf die vielfältigen Bedürfnisse
der Bürger*innen eingegangen werden kann, benötigt es ein vielfältiges Personal, das sich
dem widmet und neue Perspektive miteinbringt. Es ist die gesellschaftliche Verantwortung
des Staates, Menschen mit verschiedenen sozialen und kulturellen Hintergründen stärker
als bisher in die öffentliche Verwaltung einzubinden. Die Aufgabe der öffentlichen Ver-
waltung ist es, noch stärker abzubilden, was die Gesellschaft ausmacht. Dabei sind zwar
die positiven Entwicklungen der letzten Jahre in der Verwaltung nicht zu unterschätzen.
Die interkulturelle Öffnung muss aber an Fahrt aufnehmen, um im Wettbewerb mit der
freien Wirtschaft um das Personal nicht ins Hintertreffen zu geraten.
Die Autor*innen beziehen sich auch auf die eigenen Erfahrungen als Arbeiterkinder
und die Erfahrungen mit den Praktikant*innen. Mit diesem Fachbeitrag möchten die
Autor*innen Impulse geben und für die Dringlichkeit der sozialen sowie kulturellen
Durchmischung in der öffentlichen Verwaltung sensibilisieren.

2 Ausgangssituation

Die öffentliche Verwaltung ist in der Demokratie neben der Legislative und Judikative
eine wichtige Akteurin. Durch das Handeln der Verwaltung und ihrer Beamt*innen sowie
Angestellt*innen wird der Staat für die Bürger*innen erst sicht- und wahrnehmbar. Eine
angemessene Vertretung von Menschen mit Migrationshintergrund in der Verwaltung
stärkt die Identifikation mit dem Staat und die Akzeptanz von Verwaltungshandeln durch
noch größere Teile der Bevölkerung, weil sie sich und ihre Perspektiven dadurch vertreten
fühlen. Menschen mit Migrationshintergrund bringen ihre Erfahrungen und Perspektive
mit, von denen die Verwaltung profitiert. Daneben ermöglicht die interkulturelle Öffnung
der Verwaltung, potenzielle Bewerber*innen und Führungskräfte mit Migrationshinter-
grund zu gewinnen und der anstehenden großen Pensionierungswelle zu begegnen. Dabei
Vom Einwandererkind zur Verwaltungskarriere: … 97

konkurriert die Verwaltung bereits mit der Privatwirtschaft, die vor denselben Heraus-
forderungen steht, um die Nachwuchskräfte. Dieser Wettbewerb wird in den nächsten
Jahren noch weiter zunehmen.
Der öffentliche Dienst ist der größte Arbeitgeber in der Bundesrepublik Deutsch-
land.1 Damit kann der Staat – anders als im privaten Sektor- unmittelbar Einfluss auf die
beruflichen Teilhabe – und Aufstiegschancen von Menschen mit Migrationshintergrund
nehmen. Eine offene und zeitgemäße Verwaltung, die die Bewerber*innen und späteren
Beschäftigten fair und diskriminierungsfrei behandelt, stärkt das Zugehörigkeitsgefühl
der Menschen mit Migrationshintergrund. Diese erfahren bei der Bewerbung um Arbeits-
plätze oft Diskriminierung.2 Mit diesem Fachbeitrag möchten wir die Bedeutung der
interkulturellen Öffnung unterstreichen, die aktuelle Situation in der Verwaltung dar-
stellen und den Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung mögliche Maßnahmen mit
an die Hand geben, die die interkulturelle Öffnung der Verwaltung unterstützen.

3 Warum die Verwaltung die Hürden für Menschen mit


Migrationshintergrund beseitigen sollte

Nach Artikel 33 Absatz 2 Grundgesetz hat jeder Deutsche nach seiner Eignung,
Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte. Ver-
fassungsrechtliches Ziel ist es, dass alle deutschen Staatsbürger*innen den gleichen
Zugang zur Verwaltung haben sollten. Personen mit Migrationshintergrund sind in der
Verwaltung unterrepräsentiert. Der Abbau der Hürden für eine Beschäftigung von
Menschen mit Migrationshintergrund sollte nicht nur wegen der verfassungsrecht-
lichen Gebotenheit erfolgen, sondern auch aus eigenem Interesse der politischen Ent-
scheidungsträger*innen sowie der leitenden Beamt*innen und Angestellt*innen in der
Verwaltung. Je gerechter der Zugang zum öffentlichen Dienst, desto besser wird auch die
öffentliche Verwaltung aufgestellt sein, da es mehr Bewerbungen geben wird und somit
der Pool an geeigneten Bewerber*innen größer wird. Die Bestenauslese würde stärker
zur Geltung kommen.
Die öffentliche Verwaltung spielt in Deutschland eine bedeutende Rolle, da sie
den Staat und die Staatsgewalt repräsentiert. Mit rund 5 Mio. Beamt*innen und
Angestellt*innen3 ist die öffentliche Verwaltung die größte Arbeitgeberin in Deutsch-
land und damit eine wesentliche Akteurin auf dem Arbeitsmarkt. Der Staat spielt somit
auch nach der Schullaufbahn eine bedeutende Rolle hinsichtlich der Teilhabechancen
von Personen mit Migrationshintergrund. Obwohl Deutschland ein Einwanderungs-

1 Statistisches Bundesamt (2020).


2 Koopmans et al. (2018: S. 20 f.).
3 Statistisches Bundesamt (2020).
98 B. Önes und S. Badafras

land ist, gibt es wenige empirische Studien zur Vielfalt in der Verwaltung. So wird der
Anteil der Personen mit Migrationshintergrund in der öffentlichen Verwaltung durch
die Eigenangaben der Beschäftigten anhand des Mikrozensus ermittelt.4 Deshalb ist
der Diversität und Chancengleichheit Survey (DuCS 2019) umso aufschlussreicher, da
erstmals die Beschäftigten der Behörden und Einrichtungen des öffentlichen Dienstes
befragt wurden. Anders sieht es hingegen in der privaten Wirtschaft aus. So gibt es ver-
schiedene Studien, die zum Ergebnis kommen, dass vielfältige Unternehmen erfolg-
reicher sind.5 Neben dem Aspekt der Optimierung der öffentlichen Verwaltung, spielt
auch der demografische Wandel bei der Erschließung neuer Bewerber*innen-Kreise
für den öffentlichen Dienst eine bedeutende Rolle. Der demografische Wandel stellt
schon heute eine Herausforderung für die öffentliche Verwaltung dar. Sie wird in den
nächsten Jahren zunehmen und die Funktionsfähigkeit des Staates vor eine Belastungs-
probe stellen, falls nicht rechtzeitig und konsequent gegengesteuert wird. Bis 2030 wird
einerseits mehr als jeder vierte Beschäftigte im öffentlichen Dienst in den Ruhestand
gehen.6 Andererseits werden im öffentlichen Dienst im Jahr 2030 aufgrund des Fehlens
qualifizierter Bewerber*innen insgesamt 816.000 Stellen nicht besetzt werden können.7
Die öffentliche Verwaltung wird in Zukunft vermehrt mit der privaten Wirtschaft um
die Fachkräfte in Konkurrenz treten. Daher sind eine vorausschauende Personalplanung
und eine interkulturell gut aufgestellte Verwaltung umso wichtiger. Neben den Fach-
arbeiter*innen und –angestellt*innen aus dem Ausland, werden die heutigen Kinder und
Jugendlichen mit Migrationshintergrund eine bedeutende Rolle für die freiwerdenden
Arbeitsplätze spielen. In Deutschland haben 39 % der Kinder unter 18 Jahren einen
Migrationshintergrund8, wobei dieser Wert in Städten wie Berlin, Hamburg oder Köln
höher ist. Diese Kinder und Jugendlichen lernen oftmals sehr früh, Verantwortung für
ihre Familie zu übernehmen, indem sie behördliche Briefe übersetzen und ausfüllen
oder ihre Eltern bei Behördenterminen begleiten sowie für sie dolmetschen. Oft ist
der Kontakt der Kinder und Jugendlichen mit den Behörden von Unsicherheit, Über-
forderung und Angst geprägt. Diese frühen negativen Erfahrungen können sich unter-
bewusst auf die Einstellungen der Kinder und Jugendlichen gegenüber der öffentlichen
Verwaltung auswirken. Sie nehmen die Arbeit in der öffentlichen Verwaltung als junge
„mittelbare“ Kund*innen als sehr komplex, distanziert und bürokratisch wahr. Deshalb
ist es wichtig, dass die Beschäftigten in der Verwaltung – vor allem die mit Kund*innen-
Kontakt – interkulturell geschult werden und verständnisvoll auftreten. Außerdem ist
dieser Hintergrund im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit zu berücksichtigen.

4 Beauftragte der Bundesregierung Migration, Flüchtlinge und Migration (2021: S. 150).


5 McKinsey (2020).
6 Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2020).

7 PricewaterhouseCoopers (2018: S. 7 f.).

8 Petschel (2021).
Vom Einwandererkind zur Verwaltungskarriere: … 99

4 Wie steht es um den Status quo?

Der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund im erwerbsfähigen Alter beträgt


im Jahr 2019 in Deutschland 27,6 %.9 Der Anteil der Personen mit Migrationshinter-
grund unter den Beschäftigten in der Privatwirtschaft entspricht ungefähr diesem Wert.10
Lediglich 11,8 % der Beschäftigten in der Bundesverwaltung haben im Jahr 2019 einen
Migrationshintergrund.11 Im höheren Dienst haben 12,9 % der Beschäftigten einen
Migrationshintergrund.12 In den Bundesländern variiert der Anteil der Beschäftigten
mit Migrationshintergrund. Den höchsten Anteil haben die Bundesländer Baden-
Württemberg (20,8 %), Bremen (19,9 %) und Hamburg (19,7 %).13 Von den alten
Bundesländern hat Schleswig–Holstein den niedrigsten Anteil an Beschäftigten mit
Migrationshintergrund (10,4 %).14
Selbst in den führenden Bundesländern entsprechen die Anteile der Beschäftigten
mit Migrationshintergrund bei Weitem nicht ihrem Anteil an der Bevölkerung in dem
jeweiligen Bundesland bzw. Stadtstaat.

5 Wie gelingt die interkulturelle Öffnung in der öffentlichen


Verwaltung?

Die anstehende Pensionierung der sogenannten Babyboomer-Generation stellt für die


Verwaltung eine Chance dar, die interkulturelle Öffnung weiter voranzutreiben. Folgende
Maßnahmen und Instrumente stehen für die proaktive Gestaltung dieses Prozesses zur
Verfügung:

5.1 Diversity Management

Die Zahlen zeigen, dass bestimmte Bevölkerungsteile in der Verwaltung unter-


repräsentiert sind. Das heißt aber nicht, dass die aktuelle Belegschaft homogen
ist. Ferner gibt es einen Trend zu mehr Vielfalt in der Verwaltung. Deshalb ist die
Etablierung eines Diversity Managements in der Verwaltung wichtig. Auf diese Weise
wird ein Leitbild für die Behörde eingeführt und das Selbstverständnis der Behörde als

9 Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2022: S. 2).


10 Nowicka und Will (2021: S. 1).
11 Weinmann et al. (2020: S. 4).

12 Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2022: S. 2).

13 Innenministerkonferenz (2021: S. 131).

14 Innenministerkonferenz (2021: S. 131).


100 B. Önes und S. Badafras

diversitätsbewusste Arbeitgeberin festgehalten. Dabei kann das Diversitymanagment


folgende Handlungsfelder umfassen:

5.1.1 Öffentlichkeitsarbeit
Um Menschen mit Migrationshintergrund für die Verwaltung zu gewinnen, können
Behörden auf verschiedene Formen der Öffentlichkeitsarbeit setzen.
Ein positives Beispiel ist die Kampagne der Freien und Hansestadt Hamburg.
Hamburg konnte mit der Kampagne „Wir sind Hamburg! Bist du dabei?“ den Ein-
stellungsanteil von Menschen mit Migrationshintergrund von 5,2 % (2006) auf 21,4 %
(2021) signifikant erhöhen. Dies gelang mit einer zielgerichteten Öffentlichkeitsarbeit
an den S- und U-Bahnen, in den Kund*innenbereichen der Ämter und Behörden, an
Schulen und an Messen.15 Auf den Plakaten waren Beamt*innen und Angestellt*innen
mit Migrationshintergrund zu sehen. Dies kann die Zielgruppe motivieren, sich mit einer
Bewerbung auseinanderzusetzen.
In der öffentlichen Verwaltung gibt es generell einen positiven Trend, was die Anzahl
Beschäftigten mit Migrationshintergrund angeht. Diese Beschäftigten sind Vorbilder
für andere Menschen mit Migrationshintergrund. Gerade Jugendliche, die aus nicht-
akademischen Verhältnissen kommen, können durch diese Vorbilder motiviert werden,
den Weg in die Verwaltung einzuschlagen. Die Tätigkeit in der Verwaltung wird dadurch
für sie greifbar und sie erfahren auf diesem Weg, dass die Verwaltung die Bewerbung
von Menschen mit Migrationshintergrund begrüßt, wodurch sie zusätzlich motiviert
werden. Oft fehlt auch das Wissen darüber, wie vielfältig die Tätigkeiten in der Ver-
waltung sind oder welche Vorteile eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst mit sich
bringt. Der öffentliche Dienst kann im Vergleich zur freien Wirtschaft zum Beispiel mit
dem Beamtenverhältnis bzw. einer sicheren Tätigkeit im Angestellt*innenverhältnis, der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der späteren Pensionierung punkten.
Zu denken wäre ergänzend an Werbung auf Social Media, um Jugendliche zu
erreichen oder an Werbung in den migrantischen Zeitungen, um die Eltern der Ziel-
gruppe zu erreichen. Auch Werbeveranstaltungen in Schulen, Migrantenselbst-
organisationen, Sportvereinen und den jeweiligen religiösen Einrichtungen (Kirchen,
jüdische Gemeinden, Moscheegemeinden, Cem-Häuser, Sikh-Tempel etc.) können ein
effektives Mittel sein, um für eine Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung zu werben.
Informationen zum Bewerbungsprozess, zu den Formalien, Fristen und einzureichenden
Dokumenten sowie Kontaktstellen bei Fragen haben sich in der Praxis der Autor*innen
als hilfreich erwiesen.

5.1.2 Setzen von Zielen und Erhebung von Daten


Die interkulturelle Öffnung der Verwaltung setzt zunächst eine bewusste Entscheidung
für diesen Schritt voraus. Am Anfang jedes Prozesses steht die Bestandsaufnahme.

15 Freie und Hansestadt Hamburg (2022: S. 63).


Vom Einwandererkind zur Verwaltungskarriere: … 101

Wie viele Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten in der eigenen Behörde? Auf
welchen Laufbahnen? Wie viele Bewerbungen gab es von Menschen mit Migrations-
hintergrund? Welche Tendenz ist zu erkennen?
Anschließend sollten sich die jeweiligen Behörden Ziele setzen. Wie viele Menschen
mit Migrationshintergrund sollen eingestellt werden? Die Behörden orientieren sich
dabei an der Bevölkerung der für sie relevanten Gebietskörperschaft. Damit die Ziele
überprüft werden können, sollte jährlich eine Bestandsaufnahme erfolgen. Dies kann
durch eine jährlich stattfindende, freiwillige und anonyme Beschäftigtenbefragung nach
dem Migrationshintergrund der Mitarbeiter*innen erfolgen. Dafür wären in den einzel-
nen Dienststellen die Diversitybeauftragt*innen zuständig, die jährlich einen Bericht
zum Status quo veröffentlichen.

5.1.3 Fortbildungen für Mitarbeiter*innen


Die Führungskräfte und Beschäftigten sowohl mit als auch ohne Kundenkontakt
nehmen jährlich an obligatorischen Schulungen zu Vielfalt, Antirassismus und zur inter-
kulturellen Öffnung teil.
Dies führt dazu, dass persönliche Vorurteile zur Kenntnis genommen und angegangen
werden. Durch solche Schulungen kann das gegenseitige Verständnis füreinander und
das Miteinander gestärkt werden.
Außerdem kann dadurch präventiv etwas gegen verwaltungsinterne Dis-
kriminierungen unternommen werden. So gaben 35,3 % der Beschäftigten mit
Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst an, in den letzten zwei Jahren beruflich
diskriminiert worden zu sein. Dieser Wert unterscheidet sich auf den ersten Blick um nur
2,5 % von den Diskriminierungserfahrungen der Beschäftigten ohne Migrationshinter-
grund. Dieser Unterschied ist jedoch statistisch bedeutsam.16
Der oben beschriebene Trend der Zunahme der Beschäftigten mit Migrationshinter-
grund ist begrüßenswert. Fraglich ist jedoch, wie die Angestellten und Beamt*innen
mit Migrationshintergrund sich entwickeln, nachdem sie ihre Ausbildung oder Studium
beendet haben oder angestellt worden sind. Gelingt ihnen im weiteren Verlauf der Auf-
stieg in der Verwaltung? Werden Menschen mit Migrationshintergrund auch für vakante
Führungsposition in der Verwaltung berücksichtigt?17
Obwohl ein auffällig hoher Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund
Akademiker*innen (30,8 %) ist18, sind sie aktuell in den höheren Laufbahnebenen unter-

16 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration & Bundesinstitut für

Bevölkerungsforschung (2020: S. 31).


17 Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2022a).

18 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration & Bundesinstitut für

Bevölkerungsforschung (2020: S. 27).


102 B. Önes und S. Badafras

repräsentiert, während sie im einfachen Dienst überrepräsentiert sind.19,20 Überdurch-


schnittlich häufig sind Beschäftigte mit Migrationshintergrund überqualifiziert, das heißt
sie haben einen Ausbildungs- oder Studienabschluss der das Anforderungsniveau der
Tätigkeit übersteigt.21 Zudem sind Beschäftigte mit Migrationshintergrund häufiger in
befristeten Beschäftigungsverhältnissen tätig.22 Das zeigt, dass es ein großes Potenzial
an zukünftigen Führungskräften unter den Beschäftigten mit Migrationshintergrund
gibt. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, sollte eine Strategie entwickelt werden, wie
mehr Menschen mit Migrationshintergrund der Zugang zu den Führungspositionen im
öffentlichen Dienst ermöglicht werden kann. Um überhaupt bzw. weiterhin eine Kenntnis
darüber zu haben, wie die eigenen Führungskräfte sich zusammensetzen, ist es erforder-
lich, auf einer freiwilligen Grundlage nach dem Migrationshintergrund zu fragen.
Hilfreich für die Förderung von Führungskräften mit Migrationshintergrund können
Mentoring-, Vernetzungs- und Personalentwicklungsmaßnahmen sein. Dabei würden
gezielt Menschen mit Migrationshintergrund die Möglichkeit bekommen, von der
Erfahrung, dem Wissen und dem Netzwerk der jeweiligen Mentor*innen zu profitieren.
Durch eine Vernetzung mit anderen Beschäftigten mit Migrationshintergrund könnten sie
sich in einem geschützten Raum austauschen und sich gegenseitig in ihrer zukünftigen
Karriereentwicklung unterstützen. Eine Fortbildungsreihe zur Qualifizierung als Nach-
wuchsführungskraft kann helfen, geeignete und interessierte Nachwuchskräfte gezielt
auf die in den nächsten Jahren durch die Pensionierungen vakant werdenden Führungs-
positionen vorzubereiten. Die interkulturelle Öffnung der Verwaltung kann nur glaubhaft
verfolgt werden, wenn auch die Leitungspositionen nicht ausgeklammert werden und die
Beschäftigten eine faire Aufstiegschance entsprechend des Gedankens der Bestenauslese
erhalten.

5.2 Diversity-Beauftragte*r

Die interkulturelle Öffnung der Verwaltung ist eine Daueraufgabe. In jeder Dienststelle
sollte deshalb ein*e Diversitybeauftragte*r verpflichtend eingeführt werden. Dadurch
gibt es Beschäftigte in der Verwaltung, die den umfassenden und wichtigen Bereich des
Diversity Managements verantwortlich begleiten und fördern. Sie informieren sich über

19 Etteund Weinmann (2022: S. 15).


20 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration & Bundesinstitut für
Bevölkerungsforschung (2020: S. 25).
21 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration & Bundesinstitut für

Bevölkerungsforschung (2020: S. 26 f.).


22 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration & Bundesinstitut für

Bevölkerungsforschung (2020: S. 27).


Vom Einwandererkind zur Verwaltungskarriere: … 103

neue Entwicklungen in dem Bereich und befinden sich im Austausch mit den Diversity-
beauftragt*innen anderer Dienststellen und Behörden.
Die Diversitybeauftragt*innen entwickeln das Diversity Management weiter und
haben im Blick, inwiefern die Ziele und die gesetzten Meilensteile erfüllt wurden und
wo es Handlungsbedarf gibt.
Die Beschäftigten können sich bei Fragen zum Thema Vielfalt und Diskriminierung
an den/die Diversitybeauftragte*n wenden und ersten Rat einholen. Außerdem werden
sie bei Stellenausschreibungen beteiligt, verschaffen sich einen Überblick über die Mit-
arbeiter*innenstruktur und nehmen an Auswahlgesprächen für die Besetzung von Stellen
teil.
Damit diese wichtige Aufgabe auch konsequent und nachhaltig verfolgt werden kann,
ist es wichtig, dass es sich mindestens um eine Teilzeitstelle handelt.

Literatur

Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration & Bundesinstitut für
Bevölkerungsforschung (2020): Kulturelle Diversität und Chancengleichheit in der Bundesver-
waltung. Berlin
Beauftragte der Bundesregierung Migration, Flüchtlinge und Migration (2021): Erster Bericht zum
indikatorengestützten Integrationsmonitoring. Berlin
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2020). https://www.demografie-portal.de/DE/Fakten/
oeffentlicher-dienst-altersstruktur.html. Letzter Zugriff: 07.04.2023
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2022): Vielfalt und Teilhabe in der öffentlichen Ver-
waltung, Policy Brief März 2022. Wiesbaden
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2022a). Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung nimmt
langsam zu. https://www.bib.bund.de/DE/Presse/Mitteilungen/2022b/pdf/2022-03-30-Vielfalt-
in-der-oeffentlichen-Verwaltung-nimmt-langsam-zu.pdf;jsessionid=151D28E837D502C38621
057A787D8624.intranet672?__blob=publicationFile&v=2. Letzter Zugriff: 31.03.2023
Ette, A. & Weinmann, M. (2022): Diversität in der öffentlichen Verwaltung in Deutschland.
Erklärungsfaktoren der Repräsentation von Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund
in Bundesbehörden. In: dms – der moderne staat – Zeitschrift für Public Policy, Recht und
Management, Ausgabe 15(2-2022), S. 495 521.
Freie und Hansestadt Hamburg (2022): Personalbericht 2022. Hamburg
Innenministerkonferenz (2021): 6. Bericht zum Integrationsmonitoring der Länder 2017–2020.
Berlin
Koopmans, R., Veit, S., Yemane, R. (2018): Ethnische Hierarchien in der Bewerberauswahl: Ein
Feldexperiment zu den Ursachen von Arbeitsmarktdiskriminierung. Discussion Paper SP VI
2018-104. Berlin
McKinsey (2020): Diversity wins How inclusion matters. https://www.mckinsey.com/~/media/
mckinsey/featured%20insights/diversity%20and%20inclusion/diversity%20wins%20how%20
inclusion%20matters/diversity-wins-how-inclusion-matters-vf.pdf. Letzter Zugriff 07.04.2023
Nowicka, M., Will, A. (2021): Repräsentativität in der öffentlichen Verwaltung. Bonn
Petschel, Anja (2021). Datenreport 2021 – Kinder mit Migrationshintergrund. https://www.bpb.de/
kurz-knapp/zahlen-und-fakten/datenreport-2021/bevoelkerung-und-demografie/329526/kinder-
mit-migrationshintergrund/. Letzter Zugriff: 07.04.2023
104 B. Önes und S. Badafras

PricewaterhouseCoopers (2018): Fachkräftemangelstudie 2017. Düsseldorf


Statistisches Bundesamt (2020). Pressemitteilung Nr. N 021 vom 29. April 2020. 2018 war mehr
als jeder zehnte Erwerbstätige in Deutschland im öffentlichen Dienst beschäftigt. https://www.
destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/04/PD20_N021_742.html. Letzter Zugriff:
31.03.2023
Weinmann, M., Ette, A., Straub, S., Schneider, N. (2020): Diversität und Chancengleichheit
Survey. In: Bevölkerungsforschung Aktuell, Ausgabe 06/2020. Wiesbaden. S. 3 7

Baris Önes ist am 09.05.1985 als Kind einer Gastarbeiterfamilie in Hamburg geboren und im
wirtschaftlich benachteiligten Stadtteil Billstedt aufgewachsen. Der Autor hat als Erster in der
Familie das Abitur gemacht und anschließend Jura in Hamburg und Madrid studiert. Im Rahmen
des Referendariats war der Autor u. a. in der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation
der Freien und Hansestadt Hamburg und der Senatskanzlei beschäftigt. Nach dem Ablegen des
2. Staatsexamens hat er als Referent für das strategische Vergabemanagement beim staatlichen
Unternehmen Dataport AöR angefangen. Önes ist bei der Bürgerschaftswahl 2020 für die SPD
in die Hamburgische Bürgerschaft gewählt worden. Nach dem Einzug in das Hamburger Landes-
parlament hat er ein Praktikant*innenprogramm ins Leben gerufen, um Arbeiterkinder auf ihrem
Werdegang zu unterstützen und sie zu motivieren.

Sarina Badafras ist am 23.05.2002 als Kind einer iranisch-stämmigen Familie in Hamburg
geboren und ebenfalls in Billstedt aufgewachsen. Sie hat als Erste in ihrer Familie das Abitur
gemacht und nebenbei für ein Mitglied des Deutschen Bundestages gearbeitet. Aktuell studiert
sie Public Management dual an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und
arbeitet für Baris Önes (Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft).
Teil III Diversity als Führungsverantwortung
etablieren

Teil III „Diversity als Führungsverantwortung etablieren“ beschäftigt sich mit


der Rolle und Verantwortung von Führungskräften in einer Diversity-orientierten
Verwaltung. Führungskräfte haben eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, Diversity
zu stärken, unterrepräsentierten Mitarbeitenden ein Gehör zu geben oder Empathie und
Wertschätzung füreinander vorzuleben. Um dieser Schlüsselrolle gerecht zu werden,
sollten sich Führungskräfte dezidiert mit den eigenen Einstellungen auseinandersetzen –
und reflektieren, welchen Beitrag sie leisten können, um Vielfaltsbewusstsein zu fördern.
Teil III wird eröffnet mit dem Fachbeitrag „Kultur & Leadership – Welchen
Einfluss organisatorische Rahmenbedingungen auf Diversität haben können“
von Peter Janze. In dem Fachbeitrag beschreibt Peter Janze die Prinzipien für eine
Diversity-orientierte Führung. Dabei gibt er Beispiele, welchen positiven Beitrag
solche Prinzipien u. a. für ein erfolgreiches Recruiting und eine moderne Organisation
haben. Die praxisnahe Veranschaulichung erfolgt über Einblicke in die Prozesse von
„digital@M“, der Digitalisierungsagentur der Landeshauptstadt München.
In dem Fachbeitrag „Eine Frage der Haltung: Modelle zur Diversity-orientierten
Führung und deren Anwendung in der Verwaltung“ setzt sich Ines Hansen mit
Modellen der Entwicklungs- und Kommunikationspsychologie sowie der soziologischen
Systemtheorie auseinander und leitet daraus praktische Instrumente und Methoden
für Führungskräfte in der Verwaltung ab. Ziel des Fachbeitrags ist, Führungskräfte
dabei zu unterstützen, eine diversitätssensible Verwaltungskultur zu gestalten und
diversitätsorientiertes Denken und Handeln in der Verwaltungsorganisation zu verankern.
Dabei wird deutlich: Diversity ist auch eine Haltungsfrage.
106 Teil III Diversity als Führungsverantwortung etablieren

Der Fachbeitrag „Die Kompetenz von Führungskräften im Umgang mit Vielfalt


– Unbewusste Voreingenommenheit beeinflusst (Personal-)Entscheidungen“
von Hans W. Jablonski setzt sich mit dem Thema „Unconscious Bias“ (unbewusste
Voreingenommenheit) auseinander. Der Beitrag skizziert die Rolle von Führungskräften
in einem erfolgreichen Diversity Management, erläutert die Bedingungen und
Auswirkungen von unbewusster Voreingenommenheit und bietet Führungskräften
Tipps und Ratschläge, mit denen sie ihre Wahrnehmung sensibilisieren und ihr
Urteilsvermögen verbessern können.
Magdalena Rogl beschreibt anschließend im Fachbeitrag „Emotionale
Intelligenz ist die wichtigste Fähigkeit für Führungskräfte“, wie emotionale
Intelligenz hilft, sich selbst und andere besser zu verstehen und so ein integrativeres
Arbeitsumfeld zu schaffen. Emotional intelligente Führungskräfte erkennen ihre
eigene Diversitätsmerkmale, reflektieren und nutzen sie. Indem emotional intelligente
Führungskräfte lernen, mit Emotionen, Werte, Bedürfnisse, Ziele und Absichten aller
Menschen umzugehen, wird das Potenzial von Diversity in der Verwaltung gestärkt und
eine inklusive Organisationskultur geschaffen.
Isabel Collien reflektiert in dem Fachbeitrag „Diversity und Antidiskriminierung
als Faktoren erfolgreicher Führung?!“ vor dem Hintergrund von wissenschaftlichen
Studien und eigenen Erfahrungen als Führungskraft, wie eine vielfaltsoffene und
diskriminierungskritische Führung in der öffentlichen Verwaltung aussehen kann.
Die angesprochenen Themen reichen von Wahrnehmungsverzerrungen bei der
Stärkenbeurteilung bis hin zu Strategien des Teilens von Ressourcen (Power Sharing).
Darüber hinaus steht, ergänzend zu den Ausführungen von Magdalena Rogl (s. o.), auch
hier der Umgang mit den eigenen Emotionen im Kontext von Diskriminierungsthemen
im Fokus.
Den Abschluss von Teil III bildet der Fachbeitrag „Diversity und New Work“
von Gabriel Rath. Der Autor ergründet die spannenden Hintergründe des New Work-
Konzepts. Die Ausgangsfragen des Fachbeitrags lauten: Wie wollen wir künftig
zusammenarbeiten? Und wie können wir auf Grundlage des „Konzepts der neuen
Arbeit“ schließlich Diversity implementieren, um nachhaltiger und erfolgreicher zu
agieren?
Die genannten Fachbeiträge geben wichtige Impulse, wie Führungskräfte eine
Diversity-sensible Organisationskultur fördern können. Sie laden zur Selbstreflexion ein
und geben praxisnahe Methoden, die direkt angewendet werden können.
Kultur & Leadership – Welchen Einfluss
organisatorische Rahmenbedingungen
auf Diversität haben können

Peter Janze

Zusammenfassung

Diversität ist kein Selbstläufer und lässt sich auch nicht einfach verordnen. Es
gibt kein Rezept, dass man einfach anwenden kann, um zu mehr Vielfalt in einer
Organisation zu kommen. Diversität entsteht dann, wenn der organisatorische
Rahmen Vielfalt zulässt. Damit ist auch klar: Ohne die Unterstützung der Führungs-
ebene funktioniert es nicht. In diesem Fachbeitrag wird beleuchtet, wie sich
Führungsprinzipien wandeln müssen, welchen wichtigen Einfluss bereits beim
Recruiting genommen werden muss oder warum netzwerkartige Organisationen viel
einfacher zu einer Vertrauenskultur und zu mehr Diversität führen.

Schlüsselwörter

Diversity · Leadership · Future Leadership · Kultur · Vertrauenskultur · Netzwerk

1 Was Sie in diesem Beitrag erwartet

Wir leben in einer sich ständig verändernden, von Vielfalt geprägten Arbeitswelt. Neue
Technologien, neue Herausforderungen, neue Arten der Zusammenarbeit. Das gilt
auch für Verwaltungsorganisationen: Die schnell voranschreitende technologische Ent-
wicklung, aber auch die sich verändernden Erwartungen der Bürger*innen sorgt für

P. Janze ( )
digital@M GmbH, München, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 107
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_8
108 P. Janze

Veränderungsdruck. Die Bürger*innen erwarten (selbstverständlich) mehr Service- und


Dienstleisterorientierung für ihre Steuergelder. Um mit diesen Veränderungen Schritt zu
halten, ist Diversität eine notwendige Schlüsseleigenschaft einer starken Verwaltungs-
organisation. Besonders die Diversitätsdimensionen abseits des Geschlechts bzw. der
geschlechtlichen Identität stehen im Fokus, um Teams mit vielfältigen Kompetenzen
zusammenstellen zu können.
Um Diversität voranzubringen, braucht es das Verständnis der Mitarbeitenden, gleich-
zeitig ist dies auch Kernaufgabe von Führungskräften – denn ohne entsprechende Befug-
nisse können keine Rahmenbedingungen geschaffen oder bestehende so verändert
werden, sodass Diversität gefördert wird.
Diversität in Organisationen lässt sich durch verschiedene Maßnahmen unterstützen.
Von diverser Bildsprache, gendergerechter Sprache, bis hin zu genderneutralen Toiletten
oder gar dem Etablieren von Quoten sind viele Maßnahmen denkbar, die die Vielfalt
in der Organisation fördern. Aber genügt es, einfach einen Maßnahmenkatalog abzu-
arbeiten?
In diesem Fachbeitrag wird beleuchtet, welchen Einfluss die Faktoren Leader-
ship und Kultur auf Diversität ausüben. Dabei wird besonders auf Unternehmens- bzw.
Organisationskultur im Allgemeinen sowie Führungskultur im Besonderen ein Blick
geworfen und die Frage beantwortet, ob und wie Kultur gestaltet werden kann bzw.
welche Führungsansätze eine vielversprechende Wirkung erzielen können.

2 Leadership, Kultur und Vielfalt lassen sich nicht verordnen

Vielfalt und Diversität – aber auch Leadership, Führung und Kultur – lassen sich nicht
verordnen. Sie sind Ergebnis der gültigen Rahmenbedingungen, in denen sich eine
Organisation bewegt. Möchte man Diversität unterstützen und vorantreiben so sind
Maßnahmen umzusetzen, die die Rahmenbedingungen entsprechend verändern. Diese
Maßnahmen dürfen jedoch nicht als Lösungsrezept verstanden werden, im Sinne von
„Wenn man diese umsetzt, dann ist die Kultur entsprechend etabliert. Haken dran an
unser Diversitätsproblem.“ Jede Organisation reagiert anders auf Veränderungen. Daher
sollten Maßnahmen immer in das Umfeld passen; eine Analogie zu einem „Werkzeug-
kasten“, aus dem man sich passend bedient, ist besser geeignet.
Die Rahmenbedingungen für eine Diversität-fördernde Kultur in einer Organisation
zu verankern ist ein fortlaufender Prozess, der kein klares Ende hat. Diversität braucht
fortlaufende Reflexion (1.3 Reflexionsfragen) innerhalb der Organisation.

2.1 Diversity und Leadership unterstützen sich gegenseitig

Der Aspekt der Unternehmens- bzw. Organisationskultur sowie der Art der Führung,
ist für Diversity nicht zu unterschätzen. In einer toxischen Umgebung (z. B. negative,
Kultur & Leadership – Welchen Einfluss organisatorische … 109

aggressive oder diskriminierende Atmosphäre) wird sich Vielfalt nicht entfalten können.
Es zählt daher klar zur Führungsaufgabe, sich mit den Rahmenbedingungen auseinander-
zusetzen, den Status quo zu hinterfragen und sich damit zu beschäftigen, wie man schäd-
liche Muster erkennt und verändert.
Der Begriff Leadership hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Dahinter
verbirgt sich ein neues Verständnis von Führung und Management. Das „alther-
gebrachte Denken“, wie Führung funktioniert, ist nicht mehr ausreichend und wird
daher um neue Konzepte ergänzt oder gar abgelöst. Mit Blick auf Diversity – auf die
vielen verschiedenen Sichtweisen und Menschen – die wir brauchen, um mit den
Herausforderungen umzugehen, braucht es Leader, die mit Blick auf ein gemeinsames
Ziel inspirieren und motivieren. Klassische Führung bezieht sich hingegen in der Regel
darauf, Menschen anzuleiten, Aufgaben zu koordinieren, Entscheidungen oder KPIs
zu überwachen und zu managen, sodass spezifische, meist intern vorgegebene, Ziele
erreicht werden.
Während der Führungsbegriff meist mit klassischen Pyramiden-Strukturen und
einer ausgeprägten Hierarchie verbunden wird, welche durch Machtzuspruch und
Informationsvorsprung der oberen Ebenen manifestiert ist, geht es bei Leadership
vor allem darum, das eigene Handeln zu hinterfragen und die Wirkung zu reflektieren.
Leader empowern ihr Team, übergeben Verantwortung und ermutigen zur Selbst-
organisation. Damit einher gehen sehr flache oder matrixartig gestaltete Organisations-
formen, die dann wie ein Informationsnetzwerk funktionieren. Damit auch größere
Organisationen erfolgreich sind, sind aktiver Austausch mit und zwischen den Teams
notwendig. Transparenz und Offenheit fördern die Nachvollziehbarkeit von Ent-
scheidungen – besonders wichtig ist dies, wenn es um unangenehme Dinge geht. Das
Teilen von Wissen ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor in netzwerkartigen Organisationen.
In seinem Buch „Wir führen anders!“ (vgl. Poppenborg 2021) beschreibt Mark
Poppenborg, wie es mehr Freiheit, mehr Sinn, mehr Wirksamkeit in der Arbeit geben
kann – statt Management-Mainstream und sinnbefreites Vor-sich-hin-Arbeiten. Er nennt
das „echtes Future Leadership“ und sagt, dass sich immer mehr Menschen nach dieser
neuen Arbeitswelt sehnen.

2.2 Prinzipien für Leadership

Jedes Unternehmen sollte sich stets an externen Referenzen wie dem Lösen echter
Kund*innenprobleme orientieren und sich dabei so aufstellen, dass die Marktdynamik
berücksichtigt wird. Die folgenden sieben Prinzipien orientieren sich an Future-Leader-
ship-Prinzipien von Intrinsify (o. D.):

1. Lasst den Markt ins Unternehmen: Die Wertschöpfung wird immer für
Außenstehende geschaffen, ob Wertschöpfung stattgefunden hat, entscheidet der
Markt durch Annahme oder Ablehnung des Angebots.
110 P. Janze

2. Baut Teams: Teams erfordern einerseits das Zusammenspiel von mehreren Funktions-
bereichen als auch die funktionale Trennung in Bereiche oder Abteilungen. Abhängig
von der Sinnhaftigkeit und der Effizienz.
3. Nomadisiert Führung: Führung baut auf Vertrauen auf. Menschen folgen Menschen,
die ein Gespür für die Problemlösung haben.
4. Leistet als Team: Leistung in einem komplexen System entsteht emergent. Das
Ergebnis ist die Summe von Einzelbeiträgen und ein Zusammenspiel von mehreren
Personen.
5. Lasst euch selber denken: Regeln sind unter hoher Dynamik ungeeignet und helfen
nicht dabei Entscheidungen zu treffen. Regeln oder Prozesse sind nur hilfreich, wenn
sie nicht trivial sind, also Entscheidungen zwischen mehreren sinnvollen Alternativen
erleichtern und nicht nur auf das Offensichtliche hinweisen.
6. Demokratisiert euer Wissen: Transparenz ermöglicht Handlungsfähigkeit und soziale
Dichte. Schulungen und Dialog ermöglichen Mitarbeitenden, Berichte richtig zu lesen
und zu nutzen. Es braucht dafür einen uneingeschränkten Zugang zu Wissen.
7. Haltet euch fit: In einer sich schnell verändernden Umgebung bietet ein Plan Vor-
bereitung auf nur eine mögliche Zukunft, obwohl es zahlreiche gibt. Gleichzeitig
sorgen sie als „Puffer“ für Überraschungen, um bei neuen Marktentwicklungen
gewappnet zu sein.

2.3 Reflexionsfragen

Verschiedene Reflexionsfragen können helfen, den Status quo bzw. die Rahmen-
bedingungen in der Organisation zu hinterfragen. Hilfreich ist hier nicht nur „Wie-
Fragen“ zu stellen, sondern auch nach einem „Wie nicht“. Die „Wie nicht-Fragen“
helfen, neue Ideen zu finden, die zum Problem passen und für deren Lösung es auf
Kreativität ankommt. Sie motivieren zudem zur Vereinfachung eines bestehenden,
komplexen Regelwerks.

Wie übergeben wir unseren Mitarbeitenden mehr Verantwortung?


Wie bremsen wir Innovation nicht aus?
Wie können wir agil und dynamisch bleiben? Wie können wir uns ständig verändern?
Welche Methoden und Instrumente schaffen wir ab?
Wie unterbinde ich alles, was die Rückmeldungen und den Austausch zwischen den
Mitarbeitenden behindert?
Wie fördere ich, dass die Mitarbeitenden die Auswirkungen unseres gemeinsamen
Handelns sehen?
Wie vermeiden wir Bedingungen, die Talente dazu bringen das Unternehmen zu ver-
lassen?
Welchen Teil zur Wertschöpfung und zum Kund*innenerfolg trägt etwas bei?
Wie können wir inklusives Handeln im Alltag leben?
Kultur & Leadership – Welchen Einfluss organisatorische … 111

Die beispielhaften Reflexionsfragen bedeuten echte Veränderungsarbeit am System und


an sich selbst – und nicht an den Menschen, mit denen man arbeitet. Sie sind als Unter-
stützung zur Beobachtung der Ausgangssituation zu sehen. Notwendige Veränderungen
können durch das Schaffen eines geschützten Experimentierraums, in dem sich selbst-
organisierte Teams ausprobieren können, erprobt werden.

3 Ein Blick in ein Unternehmen: digital@M

Die digital@M GmbH wurde 2019 auf der „grünen Wiese“ gegründet und ist als GmbH
nicht Teil der klassischen Verwaltungsorganisation. In knapp vier Jahren haben sich fast
70 Menschen gefunden, die die Verwaltung beratend begleiten wollen.
In der Dimension Gender wurde eine Frauenquote von über 60 % erreicht. Neben
Maßnahmen wie gendergerechte und klischeefreie Bildsprache, wurden unter anderem
auch genderneutrale Toiletten eingeführt. Das Maßnahmenbündel ist in Summe sehr
umfangreich, ausgefeilt und genau aufeinander abgestimmt.
Darüber hinaus gibt es zwei weitere zentrale Erfolgsfaktoren, die die Vielfalt im Team
besonders positiv beeinflussen: Inklusives Recruiting und eine moderne Organisation.
Für beide bedarf es Unterstützung durch die Unternehmensführung.

3.1 Inklusives Recruiting

Einstellungsverfahren sind grundsätzlich offen angelegt, Herkunft und Ausbildung


spielen keine Rolle. Wichtig ist, Leidenschaft an der Arbeit in und mit der Verwaltung
zu haben sowie Motivation zum Lernen von Neuem mitzubringen. Natürlich ist ein vor-
handener Erfahrungsschatz ebenfalls relevant bzw. zwingend erforderlich, um im „Erst-
kontakt“ eine konkrete Nachfrage zu bedienen.

3.1.1 Die Recruiting-Falle


Eine vielfältige Kultur entsteht dann, wenn bereits von Beginn an Vielfalt zugelassen
wird. Das beginnt bereits beim Internetauftritt als Erstkontakt. Im typischen Personal-
Zyklus ist dann der Fokus auf Stellenausschreibung und Recruiting-Prozess zu legen.
Wichtig ist, dass Stellenausschreibungen bereits so offen und ansprechend gestaltet
werden, dass Vielfalt und Diversität „angezogen“ werden. Es beginnt mit Details
wie der richtigen Bildsprache, die idealerweise inklusiv und klischeefrei ist. Selbst
die Formulierung der Stellen-Titel („m/w/d“ vs. „d/m/w“ vs. „w/m/d“ sagt viel über
die Organisation aus) ist relevant. Es bedarf aber auch einer genauen Betrachtung der
Stellenbeschreibung und des Recruiting-Prozesses selbst.
Fachliche Eignung ist im Rahmen des Recruiting weiterhin sehr relevant. Die Frage
danach muss jedoch anders gestellt werden: Zweifelsohne gilt es im Recruiting, dass
eine ausgeschriebene Stelle ein Problem in der Organisation lösen soll. Die Stellen-
112 P. Janze

ausschreibung sollte sich nun nicht mehr den aus der Organisationssicht optimalen
Eigenschaften widmen (z. B. „Volljurist“), sondern in der Ausschreibung selbst das zu
lösende Problem beschreiben und Anforderungen offen lassen – je seniorer die gesuchte
Kandiat*in ist, umso mehr sollte es auf Erfahrung und „Track-Record“ ankommen.
Nehmen wir als Beispiel eine Herausforderung im Umfeld der Digitalisierung: Ist es
wirklich notwendig, ein abgeschlossenes Hochschulstudium zum Fachbereich erreicht zu
haben, oder sollten nicht Motivation und bisherige Erfolge sowie deren Lösungsfindung
im Fokus stehen? Gerade länger zurückliegende Ausbildungen haben mit den tatsäch-
lichen und aktuellen Herausforderungen in der Regel nicht viel gemeinsam. Sobald es
um aktuelle, komplexe Fragestellungen geht, gerät der fachliche Erfahrungsschatz sogar
immer weiter in den Hintergrund.

3.1.2 Assessment Center und Diversität


Als Teil von Bewerbungsverfahren kommen in vielen Firmen und Behörden Assess-
ment-Center zum Einsatz. Damit entsteht die Frage: Können Assessment-Center im
Zusammenhang mit Diversität helfen? Diese Frage muss man klar verneinen. Assess-
ment-Center sind Diversitätskiller, da sie bereits die Kandidat*innen wie ein Sieb
zu stark vorfiltern, gleichzeitig Gesprächsdynamik und Interaktion reduzieren. Dies
gilt besonders im Zusammenhang mit der Besetzung von Führungspositionen, wo
es eben nicht darauf ankommen sollte, möglichst „gleichförmige“ und angepasste
Kandidat*innen zu finden, sondern „frischen Wind“ und neue Ideen von außen zuzu-
lassen. Im besten Fall ergänzen sich die Stärken der einzelnen Personen.
Beim Recruiting sind also die Maßnahmen wie der Fokus auf Motivation und
Problemlösungskompetenz sowie Empathie sehr viel wichtiger und Grundvoraus-
setzung für eine diverse Organisation. Besser ist es, echte Probleme und aktuelle Heraus-
forderungen vorzustellen, die gelöst werden sollen und dann zu beobachten, ob sich
Bewerber*innen davon angesprochen fühlen. Insgesamt kann beobachtet werden, dass
dieses Vorgehen sehr viel inklusiver und wertschätzender ist und ein sehr guter Hebel für
mehr Diversität in der Organisation ist.

3.2 Moderne Organisation

Bei der Wahl der passenden Organisation kommt es darauf an, welche Probleme gelöst
werden sollen. So gibt es Bereiche, die sich klassisch tayloristisch gestalten lassen, da
es auf vorhandenes Wissen ankommt. Dieser Bereich lässt sich arbeitsteilig organisieren
und automatisieren – nicht selten sogar digitalisieren.
Die Bereiche der Organisation, die im Kontakt mit den Kund*innen stehen, die
besonders Wertschöpfung im Fokus haben und wo es auf Geschick und Kreativi-
tät ankommt, sind als selbstorganisierendes Netzwerk angelegt. In diesem Bereich
liegt die Verantwortung beim Team. Führung findet dabei immer automatisch statt: Im
Kultur & Leadership – Welchen Einfluss organisatorische … 113

jeweiligen Kontext übernimmt der/diejenige im Team informell legitimiert automatisch


die Führung, der/die am besten zur Problemlösung beitragen kann.

3.2.1 Communities als Lösungsansatz


Abb. 1 zeigt auf, wie sich die Organisation der digital @M GmbH zum Zeitpunkt des
Fachbeitrags entwickelt hat.
Dabei fällt ein gewisses „Zwiebelprinzip“ auf: die interne Organisation ist teilweise
klassisch organisiert; insbesondere dort, wo gleichbleibende Prozesse relevant sind (z. B.
Onboarding-Prozess, Gehaltsabrechnung, usw. – wo es auf gelerntes oder eingeübtes
Wissen ankommt). Diese Organisation unterstützt die Communities, die im Kontakt mit
den Kund*innen stehen und kümmert sich um administrative Arbeiten.

GF

Datenschutz C o m pl i a n c e

Gleichstellung Security

HR IT FI …

Abb. 1 Communities als Lösungsansatz, Beispiel der digital@M GmbH. (Quelle: Eigene Dar-
stellung)
114 P. Janze

Die Communities selbst entstehen bedarfsgerecht. Besteht Nachfrage bei den


Kund*innen und finden sich Menschen zusammen, die angefragte Problemstellungen
lösen wollen, so kann dies in einer spezifischen Community münden. Eine Teilnahme
und Mitarbeit in einer (oder mehrerer) Communities ist dabei freiwillig.
Die Communities sind intern selbstorganisiert, denn jedes Thema muss ggf. anders
bearbeitet werden. Dennoch gibt es einen Informationsaustausch untereinander: Einer-
seits zwecks Erfahrungsaustausches (Lassen sich ggf. entstandene Best-Practices
adaptieren?) andererseits gibt es meist Themenüberschneidungen, sodass ein Austausch
hilft. In jedem Fall ist der Orientierungspunkt jedes Teams extern, also auf Markt und
Kund*in bezogen.
Trotz Selbstorganisation gibt es Führung – Führung findet immer statt. Der oder
die mit der besten Idee erhält die Legitimation durch das Team; selbstverständlich sind
damit auch Wechsel denkbar. Somit hat jede Community eine Vertretung nach innen und
außen.

3.2.2 Fachliche vs. Persönliche Weiterentwicklung


Die vorhandenen Communities unterstützen die fachliche Themenentwicklung gegen-
über den Kund*innen und dienen gleichzeitig der fachlichen Vertiefung bzw. dem
Auf- und Ausbau von Expertise im Team. Jede*r im Team erfährt entsprechende Unter-
stützung bei der eigenen fachlichen Weiterentwicklung.
Nicht im Aufgabenbereich der Communities ist dabei die Weiterentwicklung der
persönlichen Ebene. Dies hat einen einfachen Grund: Die Menschen in der Community
können diese jederzeit bei Aufgaben-, Projekt- oder Interessenswechsel wieder ver-
lassen, sodass es dazu einer anderen Lösung bedarf. Um die persönlichen Stärken weiter-
zuentwickeln ist ein unabhängiges, paralleles Mentoring-Angebot entstanden.

3.2.3 Umgang mit Prozessen


An allen Stellen in einer Organisation, wo es auf Wissen und Wiederholbarkeit
ankommt, spielen Regeln und Prozesse eine Rolle. Die Kunst ist, diese dennoch schlank
zu halten und auch zu hinterfragen, an welchen Stellen ggf. etwas abgebaut werden
kann. Eine Organisation sollte sich immer an externen Referenzen (Markt) orientieren
und entsprechend daran hinderliche Prozesse (Wird hier ggf. „Verwaltungstheater“
gespielt?) hinterfragen. Vorhandene Prozesse sind nicht aus dem heiteren Himmel
gefallen, sondern wurden von Menschen unter einer bestimmten Absicht aufgestellt – ein
Hinterfragen und auch Verändern muss jederzeit möglich sein. Es lohnt, sich Gedanken
über die ursprüngliche Absicht zu machen.
Beim Hinterfragen des Status quo ist die Art der Fragestellung relevant: Stellt man
eine „Wie-Frage“ so mündet die Antwort in der Regel zum Hinzufügen einer neuen
Maßnahme oder eines neuen Prozesses; fragt man hingegen mit einer „Wie nicht-
Frage“, so motiviert dies zum Weglassen. Relevant sind ebenfalls Fragen nach dem Wert-
Kultur & Leadership – Welchen Einfluss organisatorische … 115

schöpfungsbeitrag (externe Referenz), Beispiel: Welchen Mehrwert stiftet der Prozess


den Bürger*innen oder den Fachbereichen?
Diese Fragen können auf alles angewendet werden: Von Prozessen (z. B. Reisekosten-
richtlinie) über Key Performance Indikatoren (KPIs) bis hin zu Titel oder Beurteilungs-
methoden. Lassen sich die Fragen nach Mehrwert und Wertschöpfungsbeitrag nicht
beantworten, so spielt die Organisation an der Stelle vielleicht „Verwaltungstheater“
– beschäftigt sich also mit sich selbst, anstatt den Fokus auf echte Problemlösung und
Wertschöpfung zu legen.
Wenn man nun nicht mehr Top-Down, durch Ziele oder KPIs steuert, um mit mög-
lichst wenig einschränkenden Prozessen auszukommen, bedarf es einer wesentlichen
Voraussetzung für den Erfolg: Transparenz und Durchlässigkeit von Wissen.

3.2.4 Umgang mit Hierarchie


Wenn die Lösung externer Probleme in einem dynamischen, sich verändernden Umfeld
im Fokus steht, dann ist die klassische Hierarchiepyramide weniger relevant. Auch
in der Verwaltung befindet man sich in einer sich ständig verändernden Umwelt. Die
Verwaltung kann sich weder dem technologischen Fortschritt entziehen noch der
Erwartungshaltung der Bürger*innen. Bürger*innen werden zu Kund*innen, die einen
bestimmten Service gewohnt sind und erwarten – einfach, weil das an anderer Stelle
ebenfalls die Norm ist.
Es kommt darauf an, auf Veränderungen schnell zu reagieren. Damit wird es immer
wichtiger, dass sich Teams, die an der Lösung von Problemen arbeiten, immer schneller,
flexibel und unabhängig von Struktur und Hintergrund zusammenfinden können. Auch
dies ist Diversity.
Damit ist auch klar, dass klassische Beförderungs- und Stellenbesetzungsprozesse
ohne Anpassung nicht mehr funktionieren werden: Sie sind einfach zu langsam und
den Herausforderungen der Marktdynamik sowie der technologischen Entwicklungs-
geschwindigkeit nicht gewachsen. Strukturen müssen sich informell und selbst-
organisiert, auf Zeit, problembezogen entwickeln können.

3.2.5 Aufgaben von Führungskräften


Stellt sich die Frage, ob es in Zukunft noch Führungskräfte benötigt? Die Antwort ist ein
klares Ja. Zum einen findet Führung immer statt. Zum anderen muss eine Organisation
auch immer entscheidungsfähig sein und es bedarf einer Rolle, die strategische Vorgaben
setzt und die Grenzen steckt. Die beste Idee zur Lösung eines Marktproblems muss sich
durchsetzen können.
Eine Demokratisierung von Führung ist an der Stelle keine optimale Lösung:
Gremien, die demokratisch getroffene Entscheidungen fällen, treffen nicht unbedingt
die für die Organisation beste Entscheidung. Ausgehandelte Kompromisse führen nicht
unbedingt zu einem Win–Win, sondern neigen zu einem Lose-Lose, da jeder von seiner
Meinung oder Position abrücken und auf etwas verzichten muss. Das kann letzten Endes
116 P. Janze

in einem dynamischen Markt die genau falsche Entscheidung sein – und darüber hinaus
auch noch zu spät getroffen werden.
Somit ist klar: Führungskräfte bleiben, aber die Aufgaben wandeln sich. Aus
Führungskräften werden Leader. Es kommt nicht mehr darauf an, fachlich Vorgaben zu
machen oder über Zielvorgaben und KPIs die Mitarbeitenden zu steuern, sondern den
strategischen Rahmen zu stecken und den Menschen zu helfen, sich optimal weiterzu-
entwickeln. Eine wesentliche Aufgabe ist auch, für Transparenz zu sorgen, sodass jede*r
optimale Entscheidungen im Sinne der Organisation, des Teams und der Kund*innen
treffen kann. Führung verändert sich: Statt tiefe Fachlichkeit bekommen Menschen-
kenntnis und Fingerspitzengefühl mehr Gewicht. Empowerment, Hilfe, Orientierung
könnten ebenfalls passende Schlagworte für Skills sein, auf die es ankommt.

3.2.6 Umgang mit Titeln und Karrierepfaden


In einer Organisation, die sich auf externe Referenzen konzentriert, muss die Frage
gestellt werden, ob Titel und Karrierepfade intern hilfreich sind. Sind sie wertschöpfend?
Helfen Sie im Kontakt mit den Kund*innen? Besteht die Gefahr, dass Titel von der
eigentlichen Arbeit ablenken? Gerade die letzte Frage ist nicht unwichtig, da hier intern
referenzierte Schmerzen entstehen können. Wer hat warum welchen Titel bekommen?
Warum wird eine andere Bewerber*in anders eingestuft? Wurden die Erfahrungen richtig
bewertet? Wie sich schnell feststellen lässt, sind hier viele Einschätzungen subjektiver
Natur und lassen sich kaum festschreiben oder in Regeln festhalten. Damit ist auch klar,
dass hier ein potenzieller Schmerzpunkt in Organisationen lauert, den es zu beobachten
gilt. Falls Titel und Karrierepfade keine externe Relevanz oder Wert haben, muss man die
Sinnhaftigkeit infrage stellen.

3.2.7 Zusammenspiel Organisation, Recruiting und Diversity


Wer Innovation und Kreativität fördern will, braucht diverse Teams – so heißt es.
Dieser Aspekt ist wahr und kann besonders gut in Netzwerkorganisationen beobachtet
werden. Der Fokus dieser Organisationen liegt auf dem Erfolg der Kund*innen. Diesen
sicherzustellen ist klar in den Zielen jeder Organisation und jeder Community ver-
ankert. Gemischte, diverse Teams sind erfolgreich – daher finden sich auch genau diese
zusammen.
Eine moderne Organisation beweist im Rahmen der Selbstorganisation, die die
Zusammenstellung diverser Teams fördert und stärkt, die oben getroffene Aussage. Die
wesentliche Voraussetzung ist allerdings ein möglichst inklusiver Recruiting-Prozess,
sodass überhaupt eine Chance besteht, ein diverses Team zusammenstellen zu können.
Kultur & Leadership – Welchen Einfluss organisatorische … 117

4 Ideen für den Weg zu mehr Diversität

Mit der Aufforderung „Jetzt sind wir dann mal innovativ“ wird eine Organisation weder
innovativ noch entstehen so neue Gedanken und Ideen. Ebenso ist es mit der Unter-
nehmenskultur – und auch der Vielfalt im Team. Durch eine blanke Aufforderung zur
Transformation (im Sinne von „Jetzt haben wir eine Vertrauenskultur“ oder „Wir machen
jetzt New Work“) entsteht kein Wandel.
Ebenso lässt sich Diversität nicht verordnen. Es reicht auch nicht, einfach einem
Maßnahmen-Rezept zu folgen. Damit bleibt die Frage, wie man dennoch die Weichen so
stellt, dass sich Vielfalt entwickeln kann.

4.1 Diversität lässt sich nicht verordnen

Die erste Intuition ist typischerweise das Aufsetzen eines Change-Projekts. Change ist
jedoch kein Projekt. Veränderungen sind in einer Organisation immer im Gange, auch
ungefragt. Informelle Strukturen entwickeln sich automatisch entlang der Wertschöpfung
und der „Spielregeln“, die in einer Organisation gelten – und sie können auch im Wider-
spruch zu vorgegebenen Prozessen stehen. Eine Organisation bzw. ein Team versucht
sich immer trotz definierter Prozesse so auszurichten, dass echte Arbeit geleistet wird.
Change & Kulturveränderung als Projekt ist somit die Ansage, dass man sich jetzt
anders verhalten soll, als dass es in der Organisation eigentlich normal ist. Je größer die
Diskrepanz zur gelebten Realität desto eher scheitern Change-Projekte auch.
Der zentrale Schlüssel liegt also nicht im Aufsetzen eines Change-Projektes,
sondern im Beobachten der Organisation sowie der Rahmenbedingungen und dem
anschließenden Hinterfragen definierter Prozesse.

4.2 Diversität braucht eine Vertrauenskultur

Vielfalt lebt von gegenseitigem Vertrauen: Menschen mit anderen Hintergründen und
Erfahrungen müssen sich ebenso vorurteilsfrei einbringen können, wenn es zu einem
echten Mehr an Vielfalt kommen soll.
Orientiert sich die Organisation an externen Referenzen, so passieren viele
unerwartete Dinge: Es wird weniger relevant, den internen Apparat zu bespielen oder
konkurrierende KPIs im Blick zu haben. Menschen helfen sich uneigennützig selbst und
arbeiten zusammen, weil auf einmal Sanktionen und Angst als bremsende Komponenten
entfallen. Eine echte Vertrauenskultur entsteht.
Dennoch bleibt die Frage: Wie kann ich denn einen komplexen und großen Apparat
steuern? Klassisches „Information-Hiding“ führt hier nicht mehr zum Erfolg. Karrieren
werden nicht durch Informationsvorsprung gemacht. Die Organisation ist nur dann
118 P. Janze

erfolgreich, wenn Wissen geteilt wird und Informationen transparent weitergegeben


werden.
Man muss die Mitarbeitenden in der Verwaltung nicht vor Informationen schützen –
das Gegenteil ist der Fall. Alle sind alt genug und mündig und können Informationen auf
Relevanz bewerten. Liegen alle Informationen vor, so können in der täglichen Arbeit und
in der Zusammenarbeit mit den Bürger*innen sogar bessere Entscheidungen getroffen
werden.

4.3 Diversität lebt von Expertisengerechtigkeit

Vielfalt entsteht, wenn sich Menschen unabhängig von Titel, Hierarchie oder Stellenbe-
schreibung einbringen können.
Es sollte möglich sein, dass Menschen flexibel neue Aufgaben übernehmen können,
ohne dass Stellenbesetzungsverfahren und Gehaltsmodelle im Weg stehen oder ein
langwieriger Besetzungsprozess durchgeführt werden muss. Dies bietet eine Menge
Chancen: Wer Interesse an persönlicher Weiterentwicklung hat, Verantwortung über-
nehmen möchte, oder für ein Projekt die besten Fähigkeiten einbringen kann, kann dies
tun und an seinen Aufgaben wachsen.
Nicht alles an klassischen Bereichen ist natürlich schlecht: Dort, wo Arbeit wie am
Fließband organisiert werden muss, wo es nicht auf Agilität oder Dynamik ankommt,
dort sollte und muss sie natürlich auch klassisch organisiert werden.

4.4 Diversität lebt von Selbstorganisation

Je mehr sich eine Verwaltungsorganisation auf Wertschöpfung, auf externe Referenzen


orientiert – je weniger sie also Verwaltungstheater spielt – umso eher wird die Basis
für eine echte Vertrauenskultur gelegt. Diese wiederum ist Voraussetzung und absolut
diversitätsfördernd. Wer also echte Vielfalt etablieren möchte, wird sich mit der Frage-
stellung rund um Führung und Leadership sowie den Rahmenbedingungen für Ver-
trauenskultur beschäftigen müssen.
Verwaltungen sollten um Bereiche, die selbstorganisiert arbeiten dürfen und dabei
echte Verantwortung für die Lösung von Problemen übertragen bekommen, angereichert
werden. Diese Bereiche sollten als geschützter Raum entstehen.

4.5 Orientierung am Markt für mehr Diversität

Wertschöpfung wird immer für Außenstehende geschaffen. Ob Wertschöpfung statt-


gefunden hat, entscheidet sich erst bei Marktkontakt. Bei hoher Dynamik lösen interne
Kultur & Leadership – Welchen Einfluss organisatorische … 119

Referenzen Zielkonflikte aus, verstellen den Blick auf den Markt und behindern Wert-
schöpfung.
Individuelle Leistungsanreize können den Einzelnen davon abhalten, im Sinne des
Problems zu handeln, das das Team gemeinsam löst oder lösen soll.

5 Fazit

Diversität ist ein zentraler Erfolgsfaktor in sich wandelnden Zeiten, die an vielen Stellen
Umdenken, Mut und Geschwindigkeit erfordern. Der Grad an Diversität ist dabei das
Ergebnis der Rahmenbedingungen, unter denen eine Organisation arbeitet.
Der Einfluss bzw. die Aufgabe der Führungsebene ist damit klar: Soll mehr Diversi-
tät erreicht werden, so müssen die Rahmenbedingungen entsprechend verändert werden.
Das bedeutet Arbeit am System, der Organisation und auch sich selbst, denn auch
Führung unterliegt dem Wandel und muss sich entsprechend weiterentwickeln.
Mehr Diversität zuzulassen bedeutet, die eigene Diversität und das eigene Bewusst-
sein dafür zu zeigen (sofern sie da ist), am Anfang des Personallebenszyklus zu beginnen
und Recruiting neu zu denken. Empowerment, Transparenz, Informationsweitergabe und
Übertragung von echter Verantwortung sind wesentliche Aufgaben.
Nicht die Menschen müssen sich ändern – denn deren Verhaltensweisen sind Ergeb-
nis der organisatorischen Rahmenbedingungen. Welche zentralen Learnings sind für eine
Entstehung einer vertrauensvollen, inklusiven Organisationskultur wichtig, die Diversität
zulässt? Zusammengefasst kann man sagen:

Liebt was ihr tut


Rekrutiert Menschen, die besser sind als ihr selbst
Netzwerk & Agilität schlägt Hierarchie
Schafft Transparenz und sucht Gespräche
Lasst den Markt in die Organisation & vermeidet Business-Theater
Bietet sinnstiftende Arbeit & Kund*innenfokus

Literatur

Poppenborg, Mark (2021): Wir führen anders! 24½ befreiende Impulse für Manager | Moderne
Führung für wirksame Organisationsentwicklung und mehr Mitarbeitermotivation (Future
Leadership), 1. Aufl., intrinsifyVerlag.
Intrinsify (o. D.): Instagram Profil von intrinsify. https://www.instagram.com/intrinsify/. Abruf-
datum: 8. Jan. 2023.

Peter Janze war Geschäftsführer der digital@M GmbH, der 2019 gegründeten 100 %-Tochter-
gesellschaft der Landeshauptstadt München. Mit seinem Team hat er sich zum Ziel gesetzt, die
120 P. Janze

Digitalisierung der Stadt in seinen vielfältigen Facetten maßgeblich zu begleiten und voranzu-
bringen. In der Modernisierung der Verwaltung sieht er die Chance neue Technologien so ein-
zusetzen, dass die Bedürfnisse der Bürger*innen in den Mittelpunkt gestellt werden. In seiner
vorherigen Position war Peter Janze als CIO & CDO tätig, wo er die Digitalisierung und Trans-
formation von Geschäftsmodellen unterstützte. Mit dem Projekt „Digital Workplace“ wurde er im
Jahr 2018 in die Top 5 beim „CIO des Jahres“ gewählt.
Eine Frage der Haltung: Modelle zur
Diversity-orientierten Führung und
deren Anwendung in der Verwaltung

Ines Hansen

Zusammenfassung

Der Beitrag greift verschiedene Modelle der Entwicklungs- und Kommunikations-


psychologie sowie der soziologischen Systemtheorie auf und leitet daraus praktische
Instrumente und Methoden für Führungskräfte ab. Ziel ist, diese dabei zu unter-
stützen, eine diversitätssensible (Führungs-)Kultur zu gestalten und diversitäts-
orientiertes Denken und Handeln in der Organisation zu verankern. Wie das gehen
kann? Kurz gesagt: Haltung entscheidet. Die Art und Weise, wie wir denken und
wovon wir überzeugt sind, bestimmt in einem hohen Maße, wie wir mit Themen
wie Vielfalt und Unterschiedlichkeit umgehen und in bestimmten Situationen
handeln. Haltungen finden dabei ihren Ausdruck in typischen Kommunikations-
stilen. Führungskräfte können in gewisser Weise „Übersetzer*innen“ zwischen ver-
schiedenen „Sprachen“ in einer Organisation sein. Die vorgestellten Modelle und
Instrumente ermöglichen eine persönliche Orientierung und Standortbestimmung und
zeigen Entwicklungsmöglichkeiten auf. Denn: Diversity braucht Haltung!

Schlüsselwörter

Haltung · Führung · Entwicklungspsychologie · Systemtheorie · Kommunikation ·


Sprache · Redewendungen · Reflexionssätze

I. Hansen ( )
KGSt, Köln, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 121
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_9
122 I. Hansen

1 Diversity – eine herausfordernde Führungsaufgabe

„Die Zukunft der Führung bedeutet mehr denn je, Vielfalt zu führen.“ (Eberhardt
und Streuli 2016, S. 23) Diese Aussage lenkt das Augenmerk in besonderer Weise
darauf, dass Führungskräfte eine wichtige Rolle für das Diversity Management in
Organisationen einnehmen. Von ihnen wird im Besonderen erwartet, Strategien, Leit-
linien oder Diversity & Inclusion-Konzepte umzusetzen und als Vorbilder neuer, diversi-
tätsorientierter Denk- und Handlungsweisen zu agieren.
In der Praxis stellt dieser Anspruch die Führungskräfte regelmäßig vor eine große
Herausforderung. „Herausfordernd ist die Aufgabe, weil Führungspersonen im Sinne der
Organisation handeln müssen und zudem eigene Prägungen, Präferenzen und Interessen
haben, die wiederum den Interessen der Mitarbeitenden u. U. entgegenstehen.“
(Eberhardt und Streuli 2016, S. 15). Führung beeinflusst, ob der Fokus dabei eher auf
einer trennenden oder einer verbindenden Perspektive liegt. Eine diversitätssensible
Führungskultur zeichnet aus, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, unter denen
sich Unterschiedlichkeit entfalten und gleichzeitig etwas Gemeinsames im Sinne der
Ziele der Organisation geschaffen werden kann.
Eine solche Kultur entsteht nicht über Nacht, sondern ist ein längerer, vielleicht sogar
dauerhafter gemeinsamer Entwicklungs- und Lernprozess. Widmen sich Führungs-
kräfte dieser Herausforderung, dann bewegen sie sich wenigstens zu Beginn häufig
in einem Spannungsfeld zwischen glaubwürdiger Überzeugung und Vermittlung,
erwarteter Political Correctness und vermutetem „Diversity Washing“, also einem „nur
so tun als ob“. Diese Gradwanderung sollte jedoch keine Führungskraft und keine
Organisation davon abhalten, sich auf den Weg zu begeben und Diversity Schritt für
Schritt zum selbstverständlichen Teil der Kultur werden zu lassen. „Vielfalt führen
bedeutet, Menschen auf vielfältige Art und Weise miteinander zu verbinden, damit der
gemeinsame Denk- und Handlungsspielraum größer wird.“ (Eberhardt und Streuli 2016,
S. 23).
Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, was Führungskräfte darin unterstützt,
den Kulturwandel hin zu einer diversitätssensiblen Führung gestalten zu können und ein
diversitätsorientiertes Denken und Handeln in einer Organisation zu verankern.
Dazu wird sowohl die Führungs „persönlichkeit“ als auch die Organisation als soziales
System und Kontext für das Handeln einer Führungskraft in den Blick genommen.

2 Das Modell der sechs Haltungen

Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet das Modell der sechs Haltungen von
Martin Permantier. Es beschreibt sechs beobachtbare Ausprägungen oder Dimensionen
von Denkmustern und Verhaltensweisen eines Menschen (vgl. Permantier 2019).
Eine Frage der Haltung: Modelle zur Diversity-orientierten … 123

Nähern wir uns dem Modell zunächst über ein praktisches Beispiel:
Einmal angenommen, eine Führungskraft berichtet ihrem Team, dass die Organisation
jetzt ein Diversity Management einführt und dazu eine*n Diversity Manager*in einstellt.
Während das eine Teammitglied die Arme verschränkt, die Stirn runzelt und „Das haben
die da oben sich ja wieder toll ausgedacht! Ich brauche sowas nicht und von denen lasse
ich mir gar nichts sagen!“ murmelt, rutscht ein anderes Teammitglied unruhig auf dem
Stuhl hin und her und meint: „Sowas haben wir doch noch nie gebraucht. Bisher waren
wir alle gleich und diese Einigkeit hat uns stark gemacht.“ Ein drittes Teammitglied gibt
zu bedenken, dass sich dieser Aufwand aber auch lohnen muss und es gut ist, dass ein*e
Expert*in für das Thema eingestellt wird. Ein viertes Teammitglied setzt sich aufrechter
hin und freut sich: „Na endlich! Dann kann auch ich mehr „Ich“ sein und meine Stärken
zeigen.“, wohingegen ein fünftes Teammitglied darauf hinweist, dass schon jetzt bereits
alle im Team individuell unterschiedlich sind und es gut ist, wenn das jetzt auch auf der
Arbeit mehr berücksichtigt wird. Ein sechstes Teammitglied nickt bedächtig und denkt
bereits darüber nach, wie es gelingen kann, Vielfalt zu schätzen und gleichzeitig ein
neues „wir Alle“ zu gestalten.
Sechs verschiedene Reaktionen von sechs verschiedenen Teammitgliedern, die
aus sechs verschiedenen Haltungen resultieren und sich in sechs verschiedenen Über-
zeugungen äußern.

Das Modell der sechs Haltungen basiert auf Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie
und stellt sechs Betrachtungsweisen oder auch „Reifegrade“ dar, wie wir uns und unsere
Umwelt wahrnehmen, erleben und darauf reagieren. In jeder Haltung werden beobacht-
bare Phänomene gebündelt und beschrieben:

Die selbstorientiert-impulsive Haltung stellt in dem Modell die früheste Haltung


dar. Sie ist durch ein niedriges Selbstwertgefühl, wenig Impulskontrolle und starke
Reiz-Reaktionsmuster geprägt. Daraus resultiert ein meist aggressives, abwehrendes
und abwertendes Verhalten mit einem hohen Selbstbezug. Der eigene Vorteil steht
im Vordergrund. Alles wird immer persönlich genommen, Schuld sind immer die
anderen.
In der gemeinschaftsbestimmt-konformistischen Haltung wollen wir „dazu-
gehören“. Unsere Identität wird über eine Gemeinschaft bestimmt, in der es feste
Regeln und Prinzipien gibt (z. B. Familie, Fußballverein, Partei, Religion, Kultur-
kreis, etc.). Es dominiert eine dualistische Denkweise (schwarz/weiß, richtig/falsch).
Es herrscht tendenziell ein hoher Anpassungs- und Gruppendruck. Die Veränderungs-
bereitschaft in dieser Haltung ist eher gering.
Die nächste Stufe bildet die rationalistisch-funktionale Haltung. Unser Weltbild
wird mechanistisch, wir beginnen ständig zu bewerten und zu bemessen. Wir werden
uns unserer eigenen Individualität bewusster, was zu Besserwisserei und Rechthaberei
124 I. Hansen

führen kann. Die Denkweise ist sachlich und faktenorientiert, Emotionen werden als
irrational angesehen. Die eigene Rolle wird im Machen und Funktionieren gesehen.
Der Wunsch nach Selbstverwirklichung zeichnet die eigenbestimmt-souveräne
Haltung aus. Sie ist geprägt von dem Bedürfnis, etwas Besonderes zu sein. Wir
nehmen uns als Gestaltende unseres eigenen Lebens wahr und gestehen auch anderen
zu, ihren eigenen Weg zu gehen. Die Kehrseite ist eine gewisse „ungeduldige Selbst-
optimierung“. Zahlreiche Ratgeberliteratur zahlt auf diese Haltung ein und bietet
Tipps und Tricks für mehr Erfolg.
Dass nicht immer alles reibungslos läuft und wir uns selbst Fehler verzeihen dürfen,
erkennen wir in der relativierend-individualistischen Haltung. Wir urteilen weniger
und nehmen unser Innenleben bewusster wahr. Wir sehen uns im Kontext zu anderen
und können mehr Miteinander und Nähe zulassen. Unsere Empathiefähigkeit nimmt
zu und wir erkennen verschiedene Lebensmodelle an.
Die systemisch-autonome Haltung bildet die späteste Haltung im Modell. Kenn-
zeichnend ist eine Art „Selbstüberwindung“ in dem Sinne, dass wir die Subjektivi-
tät unserer Gedanken und Gefühle differenziert wahrnehmen. Wir erkennen, dass jede
Haltung meint, im Recht zu sein. Das ermöglicht es uns, anders mit Konflikten umzu-
gehen und unser Verhalten bewusster zu modulieren. Wir denken mehr in Beziehungs-
systemen und akzeptieren die Eigenständigkeit anderer. Die vorhergehenden
Haltungen begreifen wir als notwendige Entwicklungsschritte, die sich nicht ersetzen,
sondern ergänzen.

Haltungen formen sich aus Erlebnissen und Erfahrungen, aus Prägungen und aus
Erziehungs- und Sozialisationsprozessen, und hinter jeder Haltung stehen bestimmte
Wünsche und Bedürfnisse. Bei dem zweiten Teammitglied kommt zum Beispiel das
Bestreben nach Beständigkeit und Konformität zum Ausdruck, dem fünften Teammitglied
hingegen geht es um Offenheit und Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Im Modell der sechs
Haltungen wird angenommen, dass jede Sichtweise bzw. Haltung in ihrem Denkraum eine
positive Absicht verfolgt. Damit geht es nicht um eine Bewertung im Sinne von richtig
oder falsch, keine Haltung ist besser oder schlechter. Die Frage ist eher, welche Denk-
und Verhaltensweisen in bestimmten Situationen nützlicher oder hinderlicher sind. Und
natürlich kann -je nach Kontext- eine positive Absicht trotzdem unerwünschte Neben-
wirkungen haben. Nicht von Ungefähr hält sich das bekannte Sprichwort „Gut gemeint ist
noch lange nicht gut gemacht“. Unsere Haltung bestimmt, was wir wahrnehmen (können),
worauf wir unseren Fokus richten und, daraus abgeleitet, welches Handlungsspektrum uns
zur Verfügung steht. Das erste Teammitglied zum Beispiel hat den Fokus sehr bei sich
und äußert sich ablehnend und stur. Plakativ formuliert sagt es: „Ich will das nicht!“ und
wird nur entsprechend (eingeschränkt) handeln können. Dem steht bilateral das sechste
Teammitglied gegenüber, das sich der Vielheit in sich selbst und in der Welt bewusst ist
und den Fokus auf Verbundenheit legt und in Beziehungssystemen denkt. Diesem Team-
mitglied stehen daher deutlich mehr Handlungsoptionen zur Verfügung als dem ersten
Teammitglied. Die Abb. 1 fasst ausgewählte Merkmale der sechs Haltungen zusammen.
Eine Frage der Haltung: Modelle zur Diversity-orientierten … 125

HALTUNG

Gemeinschafts- Relativierend-
Selbstorientiert- Rationalistisch- Eigenbestimmt- Systemisch-
bestimmt- Individua-
Impulsiv Funktional Souverän Autonom
Konformistisch listisch

• Simple • Eigene • Differen- • Vertrauen auf • Eigene • Denken in


Denkweisen, Identität wird zierterer Blick eigene Werte Sichtweisen Systemen und
z.B. über auf uns selbst und Vorstell- werden Entwick-
stereotypes Zugehörigkeit • Wunsch nach ungen hinterfragt lungszusam-
Denken zu einer mehr eigener • Wunsch nach • Empathie- menhängen
• In eigenen Gruppe Meinung mehr Selbst- vermögen • Ganzheit-
Bedürfnissen definiert • Wir fangen bestimmung steigt licher Blick
gefangen • Gehorsam an, zu planen, • Formulieren • Authentizität • Umgang mit
• Grund- und zu eigener Ziele nimmt zu Mehrdeutig-
stimmung ist Unterordnung vergleichen, • Infragestellen • Werteorien- keit
Wut und • Feste Regeln, zu bewerten von tierung • Orientierung
AUSGEWÄHLTE MERKMALE

Ohnmacht Rituale und • Mechanis- Strukturen • Wunsch nach am Sinn


• Verteidigungs Ordnung sind tisches • Ich- Vielfalt und • Erkennen der
haltung: wichtig Weltbild: alles Orientierung Chancen- eigenen
andere sind • Anpassungs- ist zählbar im Sinne einer gleichheit Subjektivität
Schuld / druck und messbar Selbstoptimier • Flexibilität und • „Es gibt uns
Umstände • „Du sollst • Orientierung ung „höher, Multi- nicht losgelöst
werden nicht…“ an Fakten weiter, optionalität vom Kontext“
beklagt • Erwartungen • „Ich weiß es schneller“ • Inklusive • Erkennen,
• Launenhaft, von besser.“ • Gefühle Sprache dass jede
wenig Impuls- Autoritäten • Der bewusste werden wahr- Haltung ein
kontrolle entsprechen Umgang mit genommen, Teil der
• Keine • Dienst nach Gefühlen fällt Schwächen Entwicklung
Selbstwahr- Vorschrift noch schwer eher ist
nehmung, • Bloß nichts ausgeblendet
keine falsch
Selbstsicher- machen.
heit

Abb. 1 Ausgewählte Merkmale der sechs Haltungen. (Vgl. Permantier 2019)

3 Entwicklungsinstrument: Referenzerfahrungen und Safe


Spaces

„Alle Menschen besitzen das Potenzial, alle Haltungen einzunehmen. Nur hat nicht
jeder Mensch die späteren Haltungen schon in dem Ausmaß erlernen können, dass sie
Teil ihrer Persönlichkeit geworden sind. Die Haltungen werden nacheinander gelernt
und bauen aufeinander auf.“ (Permantier 2019, S. 53) Neue Haltungen verdrängen nicht
die bereits entwickelten Haltungen, sie integrieren sie. Verfolgt eine Organisation also
das Ziel einer diversitätssensiblen Kultur, dann ist es wichtig, für Mitarbeitende und
Führungskräfte Entwicklungsräume zu schaffen, die es ihnen ermöglichen, die Denk-
und Handlungsweisen der relativierend-individualistischen Haltung zu erleben. Diese
Haltung eröffnet den besonderen Zugang zu diversitätsorientierten Themen.
126 I. Hansen

Es geht zum Beispiel darum, Referenzerfahrungen zu schaffen, wie es ein dänischer


TV-Sender zum Thema Vorurteile getan hat.1 Ausgangspunkt eines Experiments des
Senders war es, Menschen anhand verschiedener Kriterien in einem Raum zu sortieren.
In einem Bereich stand medizinisches Personal, in einem anderen Bereich Führungs-
kräfte aus Unternehmen oder arbeitssuchende Menschen. In wiederum anderen
Bereichen standen geborene Däninnen und Dänen, ihnen gegenüber Zugezogene.
Oder Menschen aus der Stadt und Menschen vom Land. Oder Menschen mit Tattoos,
Piercings oder bunten Haaren. Sie alle bildeten jeweils eine Gruppe. Dann kam ein
Moderator hinzu und erklärte lediglich, dass er nun verschiedene, zum Teil sehr persön-
liche Fragen stellen werde. Er hoffe, dass alle Anwesenden ehrlich antworten würden.
Er startete mit der Frage, wer früher ein Klassenclown war. Nach kurzem Zögern lachen
einzelne Personen und treten aus ihren Bereichen heraus an die Stirnseite des Raumes
in einen bisher leeren Bereich. Dort steht dann plötzlich ein Krankenpfleger neben
einer Chefin im Kostüm neben einem Fußballfan in Vereinsoutfit neben einer Bäuerin.
Auf einmal gibt es eine neue Gemeinsamkeit. Der Moderator stellt dann weitere Fragen
und jedes Mal formen sich an der Stirnseite des Raumes neue Gruppen. Wer tanzt gern?
Wer glaubt an ein Leben nach dem Tod? Oder wer ist gerade verliebt oder fühlt sich
einsam? Die Botschaft lautet: von „den Anderen“ zum „Wir“. Um ein neues Denken zu
lernen, brauchen wir die Bereitschaft und Fähigkeit, aber auch die Möglichkeit, uns mit
bisher Unbekanntem auseinanderzusetzen und bisherige Erkenntnisse und vermeintliche
Gewissheiten zu hinterfragen.
Was in diesem Experiment auch deutlich wird: Haltungen können rollenbezogen
und kontextabhängig variieren. Bewegt sich eine Person morgens im Berufsverkehr,
kann sie selbstorientiert-impulsiv unterwegs sein. Kommt diese Person im Büro an und
ist dort Expert*in, verhält sie sich vielleicht rationalistisch-funktional. Trifft sich die
gleiche Person am Abend mit einer befreundeten Person, unterhalten sie sich vermut-
lich empathisch miteinander aus einer relativierend-individualistischen Haltung heraus.
Menschen sind in der Lage, Haltungen zu wechseln (vgl. Permantier 2019, S. 161), und
das kann sogar geübt werden. Erfahrungsgemäß bevorzugen wir eine „Gewohnheits-
haltung“, in der wir uns besonders wohl fühlen. Je weiter wir uns jedoch entwickeln,
desto mehr Perspektiven können wir wahrnehmen und wählen und desto größer wird
unser Verhaltensrepertoire und unser Handlungsspielraum.
Arbeitgeber*innen bzw. Führungskräfte können diese Entwicklung unterstützen,
indem sie sogenannte „safe spaces“ kreieren. Der Begriff kommt aus der Soziologie
und beschreibt „geschützte Räume“, die frei sind von Vorurteilen und Diskriminierung.
Gemeint sind nicht unbedingt physische Räume, sondern auch eine Gruppe oder ein
Team kann ein „geschützter Raum“ sein. Dabei geht es mehr um psychologische Sicher-
heit. Zahlreiche Ansatzpunkte, um diese geschützten Räume zu gestalten, beschreibt

1 Siehe hierzu https://www.youtube.com/watch?v=Zvf-NiFPAuE.


Eine Frage der Haltung: Modelle zur Diversity-orientierten … 127

Kategorie Voraussetzungen Einladung zur Produktiv reagieren


schaffen Teilnahme
Aufgaben für Der Arbeit einen Situationsbezogene Wertschätzung
Führungskräfte Bezugsrahmen Demut zeigen ausdrücken
geben

• Schwächen • Zuhören
• Erwartungen in zugeben • Anerkennung und
Bezug auf Dank zeigen
Scheitern,
Unsicherheit und Proaktives
wechselseitiger Nachforschen Das Scheitern vom
Abhängigkeit
praktizieren Stigma befreien
formulieren, um die
Notwendigkeit des
Äußerns der
eigenen Stimme zu • Gute Fragen stellen • Nach vorn schauen
betonen • Vorbild für • Hilfe anbieten
intensives Zuhören • Diskutieren,
sein überlegen und mit
Brainstorming
Die nächste Schritte
Sinnausrichtung finden
betonen Strukturen und
Prozesse
einführen
Klare Verstöße mit
• Aufzeigen, was auf
Sanktionen
dem Spiel steht, belegen
warum und für wen • Foren für Input
es wichtig ist schaffen
• Richtlinien für
Diskussionen
erarbeiten

Was wird damit Geteilte Erwartungen Die Überzeugung, Kontinuierliches


erreicht? und Bedeutung dass die eigene Lernen als
Stimme willkommen Orientierung
ist

Abb. 2 „Der Methodenkoffer der Führenden für die Schaffung psychologischer Sicherheit“. (Ent-
nommen aus Edmondson 2020, S. 138)

Amy Edmondson in ihrem Buch „Die angstfreie Organisation“ (s. Abb. 2). Wenn
ich selbst bestimmte Erfahrungen noch nicht gemacht habe, kann ich auch von den
Erfahrungen anderer lernen oder mich selbst in geschützte Räume begeben, in denen ich
Erfahrungen „vor“erleben oder Denk- und Verhaltensweisen ausprobieren kann.

4 Systemtheorie: Alles eine Frage der Kommunikation

Wie aber können wir sichtbar machen und reflektieren, welche Haltung wir selbst oder
andere in einer bestimmten Situation einnehmen? Wie erkennen wir, welche Denkmuster
ein bestimmtes Verhalten prägen?
128 I. Hansen

Bereits im Modell der sechs Haltungen wird die Annahme deutlich, dass Menschen
sich ihre eigene Wirklichkeit „schaffen“ – Philosophie und Psychologie sprechen von
„konstruieren“ (vgl. Willemse und von Ameln 2018, S. 9 f.). Wir nehmen nicht eine
objektive Wirklichkeit wahr, sondern entwickeln eine subjektive Realität. Zur einfacheren
Beschreibung wird häufig das Bild einer „Brille“ gewählt: Was als „wirklich“ erlebt wird,
hängt davon ab, durch welche „Brille“ (oder Haltung) auf die Welt geschaut wird. Die
Brille steht im übertragenen Sinn für mentale Modelle wie Glaubenssätze, Vorannahmen
oder innere Überzeugungen. Wenn eine Person von der Annahme ausgeht, dass „alle
Menschen schlecht sind“, dann wird diese Person alle Ereignisse und Situationen vor dem
Hintergrund dieser Denkweise erleben und bewerten. Wenn Menschen beispielsweise die
Brille „Es gibt zwei Geschlechter: Männer und Frauen.“ aufsetzen, dann entsteht eine
subjektive Wirklichkeit, in der andere Geschlechtsidentitäten ausgeblendet werden. Dieser
„blinde Fleck“ kann erst aus einer späteren Haltung heraus erkannt und reflektiert werden.
Wird dieser konstruktivistische und entwicklungspsychologische Ansatz mit
den Erkenntnissen der Soziologischen Systemtheorie ergänzt und erweitert, dann
wird Kommunikation zu einem wesentlichen Thema. „Kommunikation ist in den
systemischen Ansätzen ein zentraler Begriff.“ (Willemse und von Ameln 2018, S. 33). Der
deutsche Soziologe Niklas Luhmann hat die Theorie formuliert, „dass [Organisationen
als] soziale Systeme aus Kommunikation bestehen“ (Willemse und von Ameln 2018,
S. 29) bzw. die Summe ihrer Kommunikation sind. „Kommunikation [im systemischen
Sinne] ist nicht nur die Übertragung von Informationen vom Sender zum Empfänger,
Kommunikation ist vielmehr zu verstehen als die wechselweise Gestaltung und Formung
einer gemeinsamen Welt durch gemeinsames Handeln: Wir bringen unsere Welt in
gemeinsamen Akten des Redens hervor“ (Franken 2019, S. 140). Davon ausgehend
kann angenommen werden, dass alle Strategiepapiere, Führungsleitlinien oder Diversity
& Inclusion-Konzepte erst in der Kommunikation und Interaktion der Menschen in der
Organisation untereinander und mit Anderen mit Leben gefüllt werden. Der Einfluss
der Art und Weise, wie Führungskräfte über Veränderungen (zum Beispiel hin zu einer
diversitätsbewussten Kultur) sprechen, darf dabei nicht unterschätzt werden. Sie können
mit ihrem Kommunikationsstil zum Erfolg beitragen oder alles „kaputt reden“.

5 Was Sprache verrät

Kommunikation drückt sich unter anderem über Sprache aus, (gesprochene wie ver-
schriftlichte) Sprache ist ein wichtiges Medium der Kommunikation. Eine Antwort
auf die Frage, wie wir Haltungen erkennen können, kann demzufolge eine Analyse der
Sprachmuster in einer Organisation, in einem Team oder bei einzelnen Personen sein.
Jede Haltung hat ihre eigene Ausdrucksweise (vgl. Permantier 2019, S. 117) mit spezi-
fisch-typischen Wörtern und Begriffen.
Anders ausgedrückt: Der Sprachraum drückt die Haltung aus – die Haltung
konstruiert den Sprachraum. So ist zum Beispiel die rationalistisch-funktionale Haltung
Eine Frage der Haltung: Modelle zur Diversity-orientierten … 129

durch eine sehr sachorientierte, emotionslose Sprache mit vielen Fachwörtern geprägt,
wohingegen die relativierend-individualistische Haltung eine eher inkludierende Sprache
nutzt: „Sie bereichert unseren Wortschatz um viele neue Wörter. Wörter für Dinge, die
vorher ignoriert oder als nicht wichtig erachtet wurden. Begriffe, die mit dieser Haltung
in Verbindung stehen, sind Nachhaltigkeit, Gleichstellungsbeauftragter, Intersexuali-
tät, Willkommenskultur, Flexitarier, Body Positivity, Familienarbeitszeit, Life-Work-
Balance, New Work, Zeitsouveränität usw.“ (vgl. Permantier 2019, S. 117).
Vor diesem Hintergrund erlangt auch das bekannte Sprichwort „Achte auf deine
Sprache, denn sie erschafft eine Wirklichkeit“ eine besondere Bedeutung. Unsere inneren
Bilder und Überzeugungen finden ihren Ausdruck in typischen Sprachmustern.
Für ein ganzheitliches Verständnis der Zusammenhänge sind in der Abb. 3 die sechs
Haltungen mit verschiedenen Führungs- und Kommunikationsstilen in Beziehung
zueinander gesetzt, ergänzt um Strategien des Diversity Managements und um bei-
spielhafte typische Sätze jeder Haltung im Kontext von Diversity. Die Übersicht wurde
aus verschiedenen Quellen zusammengetragen und soll auch dazu dienen, die vor-
herrschenden Führungs- und Kommunikationsstile in einer Organisation zu identi-
fizieren. Davon ausgehend kann in der Organisation eine Diskussion angestoßen werden,
wie eine „nächste Stufe“ im Sinne einer erweiterten Haltung erreicht werden kann.
Im Arbeitsalltag könnte nun der Reflex entstehen, alle Kolleginnen und Kollegen „in
Reinkultur“ der einen oder anderen Haltung „zuzuordnen“. Doch dieser Ansatz würde
der Realität nicht gerecht, da die Haltungen, wie bereits beschrieben, rollenbezogen und
kontextabhängig variieren können. „Alles steckt in jedem, und ein konkreter Mensch
wird sich einer Vielzahl der beschriebenen Muster bedienen – je nach Situation und
innerer Verfassung.“ (Schulz von Thun 1989, S. 293).

6 Entwicklungsinstrument: Satzergänzungsmethode/
Reflexionssätze

Ein geeignetes Instrument, um Haltungen „sichtbarer“ werden zu lassen, sind


Reflexionssätze. So hat zum Beispiel die amerikanische Entwicklungspsychologin
Jane Loevinger Satzanfänge definiert, die spontan zu vervollständigen sind und eine
Orientierung über den persönlichen oder organisationalen Reifegrad bzw. Entwicklungs-
stand bieten können (vgl. Permantier 2019, S. 176). Sie hat es wissenschaftlich fundiert
als qualitativen Test entwickelt („Washington University Sentence Completion Test
(WUSCT)“) und als Diagnoseinstrument etabliert.

Angelehnt an diesen Test können im Kontext von Diversity beispielhaft folgende Satz-
anfänge ergänzt werden und als Reflexionssätze dienen:

Wir alle sind…


Diversity heißt…
130 I. Hansen

Selbstorienti Gemein- Rationalis- Eigenbe- Relati- Systemisch-


ert-Impulsiv schaftsbe- tisch- stimmt- vierend- Autonom
stimmt- Funktional Souverän Individualis-
Konformis- tisch
tisch
Prägender Autoritär, Patriarcha- Transaktional Kooperativ, Partizipativ, Transfor-
Führungsstil lisch, direktiv dialog- stärken- mational,
Dominanz- Effizienz- orientiert orientiert integrativ
(angelehnt an orientiert orientiert
Franken, 2019,
Kap. 10)

Prägender Aggressiv- Bestimmend Sich Sich Abwägend Wertschätz-


Kommunikatio entwertend und kontroll- distanzierend beweisend end
nsstil ierend

(helfend)
(angelehnt an (bedürftig- (differenziert
Schulz von abhängig) (Mitteilungs- und präzise) (authentisch)
Thun, 1989, freudig-
Kap. III dramatisch)

und
Permantier,
2019)
Prägender Simple Dualistische Sachliche, Viele Ich- Inkludieren-de Differen-zierte,
Sprachstil Sprache, oft Sprache, oft unpersön-liche Formulierunge Sprache, individuelle
martialisch appellhaft Sprache, oft n reicher und bildreiche
wertend Wortschatz Ausdrucks-
weise

Typische Sätze „Ich bin „Es gibt doch „Ich halte mich „Dann kann ich „Das „Jede*r trägt
im Kontext von umgeben von schon ein an die Zahlen: zeigen, wer ich Fundament der alles in sich.“
Diversity Idioten.“ AGG.“ Man sollte bin.“ Vielfalt ist
erstmal Einzigartig-
Quoten keit.“ „Ich bin Viele.“
„Jeder ist „Frauen festlegen.“
„Hier kann
sich selbst gehören zum jede*r etwas
der Nächste.“ schwachen werden.“ „Liebe deinen „Das Ganze ist
Geschlecht.“ Nächsten wie mehr als die
dich selbst.“ Summe seiner
Teile.“

Stufen/Strate- Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3


gien des
Diversity Menschen sind gleich Menschen sind verschieden Unterschiede sind gut
Managements Strategie: Strategie: Strategie:
(nach Franken,
2019, S.283) Keine Diskriminierung Legitimation der Unterschiede Nutzung der Potenziale

Gleichbehandlung Zielgruppenorientierung Gegenseitiges Lernen

Abb. 3 Zusammenhang zwischen Haltungen, Führungsstil, Kommunikationsstil und Strategien


des Diversity Managements. (Eigene Darstellung)
Eine Frage der Haltung: Modelle zur Diversity-orientierten … 131

Ich fühle mich zugehörig, wenn…


Unterschiedlichkeit bedeutet…
Ich bin…
Im Team kommt es darauf an…
Als Führungskraft…
und weitere.

Dabei gibt es keine „richtigen“ oder „falschen“ Antworten. Ziel der Reflexionssätze ist
vielmehr, sich eigener Denkmuster gewahr zu werden und sie zu hinterfragen.
Jede Führungskraft oder jedes Team kann auch das Experiment wagen, Antworten
bewusst aus verschiedenen Haltungen heraus zu formulieren: „Einer denkt nur an
sich, einer bezieht sich auf die Vergangenheit, Ordnung und Disziplin, einer hat nur
die Zahlen im Blick, einer schaut, ob auch alle gefördert werden und genügend Raum
für Eigenbestimmung ist, einer legt den Fokus auf die längerfristige Perspektive
und die Werte, die man leben will, und der Sechste hat die Rolle, alle Interessen zu
integrieren und gleichzeitig auf die Sinnhaftigkeit des gemeinsamen Wirkens zu achten.“
(Permantier 2019, S. 216).
Unabhängig von Satzanfängen funktioniert die Methode der Reflexionssätze auch
mit spezifische Kernaussagen und Vorannahmen von Haltungen. Dazu wird ein Ober-
thema gewählt (z. B. Diversity, Homeoffice, Führung in Teilzeit, etc.) und dann werden
typische Aussagen zu diesem Thema in der Organisation gesammelt (z. B. „Führung
geht nur in Vollzeit.“). Diese Aussagen werden dann den sechs Haltungen zugeordnet.
Erfahrungsgemäß lassen sich zu den ersten vier Haltungen relativ schnell und relativ
viele Sätze finden, wohingegen Aussagen zu den letzten beiden Stufen vergleichsweise
seltener vorkommen.
Manchmal mag eine Antwort auf die Satzanfänge/Reflexionssätze eindeutig einer
Haltung zugeordnet werden können, manchmal wird es aber auch verschiedene Inter-
pretationsmöglichkeiten geben. Auch hierbei kommt es nicht auf ein „richtig“ oder
„falsch“ an. In der Tendenz gibt es aber die Beobachtung, dass „je früher die Haltung
ist, desto eher wiederholen sich Formulierungen. Teilweise sind diese wortgleich und
stereotyp, während Antworten aus späteren Haltungen elaborierter und facettenreicher
werden.“ (Permantier 2019, S. 178).
Häufig kommen Vorannahmen in einer Organisation über typische Sprichwörter
oder Redewendungen zum Ausdruck, da sie Rückschlüsse auf unbewusste Glaubens-
sätze zulassen. Wenn also in einer Organisation Sprüche wie „Lehrjahre sind keine
Herrenjahre“ oder „Einigkeit macht stark“ kursieren, dann wird dadurch indirekt eine
gemeinschaftsbestimmt-konformistische Haltung zum Ausdruck gebracht, die bestimmte
Verhaltensweisen befördern wird, zum Beispiel, es Auszubildenden immer etwas
schwerer zu machen als nötig. Dahinter können dann Annahmen stehen, dass

sich Auszubildende für nichts zu schade sein dürfen,


sie auch ungeliebte Nebenarbeiten oder Tätigkeiten, die gar nichts mit ihrer beruf-
lichen Ausbildung zu tun haben, übernehmen sollen,
132 I. Hansen

sie in ihren Ansprüchen bescheiden sein sollen und


sie sich den Rang und Status eines „Herren“ erst erarbeiten und verdienen müssen.

Weitere sehr bekannte Redewendungen im Arbeitskontext sind zum Beispiel „Die sollen
arbeiten, nicht quatschen“ (selbstorientiert-impulsiv), „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist
besser“ (rationalistisch-funktional) oder „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“ (eigen-
bestimmt-souverän).
Spannend kann darüber hinaus die Frage sein, welche Kommunikation (noch) nicht
stattfindet bzw. was noch in der Tabu-Zone der Organisation liegt. Welche Wörter oder
welche Sprachstile werden (noch) nicht genutzt? Welche Fragen werden (noch) nicht
gestellt? Und wie schafft es eine Führungskraft, Vielfalt zum Thema zu machen, wenn
es bisher kein Thema oder ein Tabu-Thema war? Sprache schafft die Möglichkeit,
Erfahrungen zu teilen und Perspektiven zu vergleichen. Was wir (noch) nicht auf den
Begriff bringen können, können wir auch (noch) nicht begreiflich machen – und wir
können es (noch) nicht in der Organisation aufgreifen. Wenn der „Raum der Besprech-
barkeiten“ größer wird, dann können sich Menschen entwickeln und Systeme verändern.

7 Führungsarbeit ist Übersetzungsarbeit

„Führen bedeutet in erster Linie miteinander reden, um Probleme zu lösen, Ent-


scheidungen zu finden, Zusammenarbeit zu koordinieren, Feedback zu geben.“ (Franken
2019, S. 157). Dabei kommt es darauf an, eine Sprache zu finden, die dem jeweiligen
Gegenüber in seiner Haltung entgegenkommt und ihm die Möglichkeit eröffnet,
die eigene Perspektive zu erweitern. „Wir dürfen davon ausgehen, dass Menschen
auch in je besonderer Weise angesprochen werden möchten. […] Führungskräfte
müssen Menschen als Individuen adressieren, teils auch Gruppen ansprechen, ihnen
Informationen weitergeben, auch Anweisungen erteilen, aber eben auch mit diesen
Menschen kommunizieren, […] in einen Austausch kommen, ein gemeinsames Ver-
ständnis von Problemen, Lösungsmöglichkeiten, Ideen, Vorgehensweisen erarbeiten.“
(Klaus und Schneider 2016, S. 204) Führungsarbeit in einem System, das auf
Kommunikation basiert, ist dann vor allem Übersetzungsarbeit.
Hilfreich bei dieser Übersetzungsarbeit ist das bereits erwähnte „Üben“ anderer
Haltungen: „Stell dir vor, du wärst der andere, und inkludiere sein gesamtes Lebens-
system, sein Schicksal, seine momentane Situation in deine Überlegungen und verstehe,
warum er aus seiner Sicht auch recht hat. […] Gezielt andere Haltungen einzunehmen
trainiert, die eigene Rechthaberei loszulassen. Kaum etwas ist so förderlich für die Ent-
wicklung der eigenen Führungskompetenzen wie den Drang, recht haben zu müssen,
ziehen lassen zu können.“ (Permantier 2019, S. 216 f.).
Weitere Unterstützung bei der Übersetzungsarbeit kann das Konzept der Gewaltfreien
oder auch Einfühlsamen Kommunikation leisten (vgl. Rosenberg 2016). Sie zeichnet
u. a. aus, dass sie Beobachtungen von Bewertungen unterscheidet (vgl. Rosenberg 2016,
Eine Frage der Haltung: Modelle zur Diversity-orientierten … 133

S. 42). So kann eine urteilsfreie Basis des Umgangs miteinander geschaffen werden, ein
wesentliches Merkmal einer diversity-orientierten Führungskultur: „weg vom Kampf
und hin zum Miteinander – weg von der Stärke, die andere schwach machen muss, und
hin zur Stärke für alle – weg vom Entweder-Oder und hin zur Berücksichtigung aller
Bedürfnisse – weg von der Konkurrenz und hin zu Kooperation. Kurz gesagt: weg von
der Trennung und hin zur Verbindung.“ (Rosenberg 2016, S. 13 f.).

8 Haltung entscheidet

Wohl wissend, dass jedes Modell auf Vereinfachungen der Realität basiert, ist es gleich-
wohl dazu geeignet, unterschiedliche Sichtweisen besser zu verstehen und Führungs-
kräften eine Orientierung zu geben, wo sie selbst und wo das Team steht und in
welche Richtung eine erwünschte Entwicklung gehen kann. Schließlich braucht ein
gezieltes Diversity Management eine Sensibilität für die Themen Haltung, Sprache und
Kommunikation.
Die vorgestellten Modelle der sechs Haltungen, des systemischen Denkens, der
psychologischen Sicherheit sowie der bewussten Sprache ermöglichen neue Perspektiven
und Einsichten und laden dazu ein, die eigenen Denk- und Verhaltensweisen zu
reflektieren. „Man sieht sich, wie erwähnt, stets den ganzen Menschen gegenüber, deren
Einstellungen, Werte und individuelle Bedürfnisse auch in der Arbeit von Bedeutung
sind.“ (Klaus und Schneider 2016, S. 204) Die Modelle gehen von einem differenzierten
Menschenbild aus, das Fach- und Führungskräfte nicht rein als Funktionsträger*innen
betrachtet, sondern als individuelle Persönlichkeiten. Gehen wir mit dieser Haltung in
den Kontakt mit Anderen, dann wird Unterschiedlichkeit besprechbar und dann ist Viel-
heit die Realität.

Literatur

Eberhardt, Daniela; Streuli, Elisa: Zukunft der Führung bedeutet Vielfalt führen. In: Eberhardt,
Daniela (Hrsg.): Führung von Vielfalt. Praxisbeispiele für den Umgang mit Diversity in
Organisationen (Springer 2016)
Edmondson, Amy: Die angstfreie Organisation. Wie Sie psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz
für mehr Entwicklung, Lernen und Innovation schaffen (Vahlen 2020)
Franken, Swetlana: Verhaltensorientierte Führung. Handeln, Lernen und Diversity in Unternehmen
(SpringerGabler 2019)
Klaus, Hans; Schneider, Hans J.: Mitarbeiterführung im Wandel – Vorbereitung auf „Führung 4.0“.
In: Personalperspektiven. Human Resource Management und Führung im ständigen Wandel
(Springer Gabler 2016)
Permantier, Martin: Haltung entscheidet. Führung & Unternehmenskultur zukunftsfähig gestalten
(Vahlen 2019)
Rosenberg, Marshall B.: Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens. (Junfermann
2016)
134 I. Hansen

Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden: 2. Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung
(Rowohlt 1989)
Willemse, Joop; von Ameln, Falko: Theorie und Praxis des systemischen Ansatzes. Die System-
theorie Watzlawicks und Luhmanns verständlich erklärt (Springer 2018)

Ines Hansen, Diplom-Verwaltungswirtin (FH) und Master of Public Administration, Kommunale


Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement, Köln. Ines Hansen ist Leiterin des Programm-
bereichs Personalmanagement und widmet sich seit vielen Jahren den Themenschwerpunkten
Führung und Kulturwandel. Im Mittelpunkt stehen dabei Erfahrungsräume, um eigene Potenziale
zu entdecken und neue Perspektiven zu erleben. Dabei empfiehlt sie nichts, was sie nicht
selbst ausprobiert hat. Vor der KGSt war sie in verschiedenen Funktionen in einer mittelgroßen
Kommune in NRW tätig, auch dort u. a. in der Verantwortung für Führungskräftefortbildungen, die
Einführung neuer Führungsinstrumente oder als Ausbildungsleitung.
Die Kompetenz von Führungskräften
im Umgang mit Vielfalt – Unbewusste
Voreingenommenheit beeinflusst
(Personal-) Entscheidungen

Hans W. Jablonski

Zusammenfassung

Diversity Management bietet öffentliche Verwaltungen wertvolle Ansätze, aktuellen


Herausforderungen wie der Digitalisierung der Arbeitswelt sowie der zunehmenden
Verflechtung internationaler Beziehungen zu begegnen. Ein Schlüssel zur erfolg-
reichen Integration eines Diversity Management sind die Führungskräfte. Sie können
durch eine entsprechende Haltung und ihre Bereitschaft, eigene Entscheidungs-
prozesse zu hinterfragen, dazu beitragen, dass die Wertschätzung von Vielfalt ein
zentraler Teil des Arbeitsalltag wird. Der Beitrag skizziert die Rolle von Führungs-
kräften in einem erfolgreichen Diversity Management, erläutert die Bedingungen
und Auswirkungen von unbewusster Voreingenommenheit und bietet Führungs-
kräften schließlich erste Tipps und Ratschläge, mit denen sie ihre Wahrnehmung
sensibilisieren und ihr Urteilsvermögen verbessern können.

Schlüsselwörter

Diversity · Voreingenommenheit · Bias · Unconscious bias · Inclusive Leadership

H. W. Jablonski ( )
Experte, Berater & Coach, Köln, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 135
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_10
136 H. W. Jablonski

1 Einleitung

Wir leben in einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche, in der technischer Fortschritt


unseren Alltag beschleunigt und uns in einer zunehmend vernetzten Welt enger
zusammenrücken lässt. Dadurch wird uns stärker denn je bewusst, wie unterschied-
lich wir sind − in unserer Gesellschaft, unserer Verwaltung, unserem Unternehmen
oder auch in unserem Team. Wir unterscheiden uns nach Herkunft und Kultur, nach
Alter, Geschlecht und geschlechtlicher Identität, sexueller Orientierung, nach Glaubens-
richtungen und Weltanschauungen sowie nach unseren physischen und psychischen
Fähigkeiten. Wir sprechen unterschiedliche Sprachen, haben individuelle Ansprüche
und Bedürfnisse, befinden uns in bestimmten Lebenssituationen und sind unterschied-
lich ausgebildet, erfahren und talentiert. Diese Komplexität in einen gemeinsamen
(Führungs-)Arbeitsalltag zu integrieren, ist eine Herausforderung und kann zu Über-
forderung führen. Sie birgt aber gleichzeitig auch große Chancen für unser Zusammen-
leben und unseren wirtschaftlichen Erfolg. Denn wo sich diese Unterschiede einander
ergänzen, verbinden und auf ein gemeinsames Ziel ausrichten lassen, entsteht Viel-
falt. Diese Vielfalt zu erzeugen, zu kultivieren und systematisch für ein erfolgreiches
Zusammenarbeiten zu nutzen − das ist das Ziel von Diversity Management.
Dieser Beitrag zeigt auf, welche Chancen die Wertschätzung und systematische
Nutzung von Vielfalt öffentlichen Verwaltungen und den Führungskräften bietet. Nach
einem Blick auf die Rahmenbedingungen, von denen die Arbeit in den Verwaltungen
heute geprägt ist, werden Ansätze und Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung
von Diversity Management in diesem Bereich skizziert. Der Fokus liegt dabei auf
den Führungskräften, denen bei der Einführung und der Etablierung von Diversity
Management eine zentrale Rolle zukommt. Nicht nur ihre (Personal-)Entscheidungen
sind von großer Bedeutung, sondern ebenso ihre persönliche Haltung. Sie benötigen die
Sensibilität, bei Personalentscheidungen die eigene, persönliche Voreingenommenheit zu
berücksichtigen, sowie die Kompetenz, als Führungskraft Verantwortung für eine wert-
schätzende Unternehmenskultur und den Erfolg einer Organisation zu übernehmen. Der
internationale Fachbegriff „Inclusive leadership“ wird in Deutschland in der Regel als
„wertschätzende Führung“ übersetzt. Viele Organisationen haben diese bereits in ihren
Führungsgrundsätzen und der Führungskräfteentwicklung übernommen und so als festen
Bestandteil des erwarteten Führungsverhaltens etabliert.

2 Warum ist Diversity und eine Kompetenz dazu wichtig?


Warum jetzt?

Ein Grundpfeiler unserer pluralen demokratischen Gesellschaft ist die Prämisse, dass
alle gesellschaftlichen Bereiche auch politisch adäquat repräsentiert werden und so an
den Entwicklungen unseres Landes partizipieren. Öffentliche Verwaltungen erfüllen in
diesem Zusammenhang die Funktion eines gesellschaftlichen Spiegels. Im Idealfall
Die Kompetenz von Führungskräften im Umgang mit Vielfalt – … 137

bilden sie die gesellschaftliche Vielfalt in ihrer Beschäftigtenstruktur ab, um möglichst


gut auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Bürger*innen eingehen zu können.
Dieses Idealbild dient weiter als Orientierung, doch haben sich die Voraussetzungen,
unter denen Verwaltungen an der Umsetzung arbeiten, in den vergangenen Jahren deut-
lich verändert. Die sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen im Umfeld von Ver-
waltungen sind nicht mehr langfristig absehbar, sondern müssen immer häufiger auf
kurzfristige Veränderungen oder gar abrupte, disruptive Umbrüche reagieren. Etablierte
und bewährte Abläufe, Prozesse und Strukturen geraten an ihre Grenzen, funktionieren
nicht mehr reibungslos und werden zusehends infrage gestellt. Angetrieben und ver-
schärft werden diese neuen Herausforderungen durch Megatrends wie die umfassende
Digitalisierung der Alltags- und Arbeitswelt sowie eine zunehmend enge Verflechtung
internationaler Verbindungen und Abhängigkeiten. Diese abstrakten Entwicklungen
haben konkrete Auswirkungen und Folgen, die im Arbeitsalltag in unterschiedlichen
Situationen spürbar sind:

Verwaltungen, Organisationen oder auch Unternehmen, die auf dem heimischen


Arbeitsmarkt nicht genügend Kapazitäten und Kompetenzen finden, weiten ihre
Suche nach Arbeits- und Fachkräften international aus oder werben Talente im
Ausland an. Damit sie hierzulande tätig werden können, müssen internationale
Abschlüsse und Diplome hierzulande bewertet und die Möglichkeiten einer
Anerkennung geprüft werden.
Die freiwillige wie auch die unfreiwillige, etwa durch Krieg und Krisen bedingte
Migration, bringt Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen zusammen. Diese
Bewegungen und gesellschaftlichen Verlagerungen wirken sich unmittelbar auf die
Arbeit der Verwaltungen aus. Die Teams stellen sich kurzfristig auf eine völlig neue
Situation ein, in der große Gruppen an Menschen in Not dringend Hilfe und Unter-
stützung bei der Unterbringung und Versorgung benötigen. Personelle Engpässe und
knappe Kapazitäten fordern die Verwaltungen dabei genauso heraus wie der Umgang
mit kulturellen Unterschieden.
Die demografische Entwicklung und die damit verbundene Alterung der
Bevölkerung in Deutschland führt im Arbeitsalltag zu einem personellen Ungleich-
gewicht in Teams und Abteilungen. Belegschaften werden zahlenmäßig von älteren
Generationen dominiert, und es wird zunehmend schwierig, Teams zusammen-
zustellen, die möglichst paritätisch aus Personen unterschiedlicher Generationen
bestehen. Das verhindert den Austausch von Erfahrungen und Kompetenzen innerhalb
der Teams und führt stattdessen vermehrt zu Konflikten zwischen „Boomern“ und
Angehörigen der sogenannten Generationen X, Y und Z.
Anders als in den von analogen Medien geprägten Zeitaltern verhelfen digitale
Medien heute auch individuellen, persönlichen Statements zu großer Reichweite. Sie
vermitteln damit ein viel detailreicheres Bild unserer Gesellschaft. Etablierte Rollen-
bilder werden in der Folge stärker hinterfragt, verlieren zusehends ihren Anspruch auf
Ausschließlichkeit und werden durch eine neue Vielfalt an Lebensentwürfen ersetzt.
138 H. W. Jablonski

Das ermöglicht Menschen, ihre sexuelle Orientierung sowie ihre geschlechtliche


Identität zu thematisieren und frei auszuleben. Diese neue Offenheit bewirkt einen
breiten gesellschaftlichen Wandel und spielt so auch im Arbeitsalltag eine Rolle. Auf
Verwaltungen und deren Führungskräfte kommen dadurch ebenso inhaltliche und
prozessuale Veränderungen zu, wenn es zum Beispiel künftig um die Einführung
und Umsetzung des geplanten Selbstbestimmungsgesetz geht, welches das Leben
für trans- und intergeschlechtliche Menschen verbessern und das sogenannte Trans-
sexuellen-Gesetz ablösen soll.1
Ebenso bewirken die gesellschaftlichen Megatrends konkrete Veränderungen in
Organisationsstrukturen und Arbeitsprozessen. Damit einher geht die Heraus-
forderung, neue Formen der Führung und Zusammenarbeit in agilen, selbst-
gesteuerten und hybriden Teams zu etablieren. Das erfordert Kompetenz im Umgang
mit entsprechenden Tools und digitalen Medien oder die Bereitschaft, sich neue
Arbeitstechniken anzueignen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die genannten Megatrends sowie die einher-
gehenden Veränderungen im Arbeitsalltag eine Anpassung und Weiterentwicklung von
Arbeits- und Führungsprozessen und -strukturen erzwingen. Verwaltungen und Unter-
nehmen benötigen dafür vielfältigere, stärker gemischte Teams, die anders als bisher
gewohnt zusammenarbeiten. In diesen Teams versammeln sich unterschiedliche religiöse
Werte, Ansichten, Präferenzen, Gewohnheiten, Persönlichkeiten und Talente. Die neuen
Kooperationsformen sowie die damit verbundenen Veränderungen im Umgang mit-
einander stellen Teams und deren Führungskräfte vor neue Herausforderungen. Sie
müssen oft erst lernen und verinnerlichen, Ungleichheit als Vielfalt wertzuschätzen und
sie kreativ für die Zusammenarbeit im Team sowie für den Service an der Klientel zu
nutzen. Insbesondere für Führungskräfte besteht die Herausforderung darin, Menschen
zu motivieren, beflügeln und zu stärken, die anders sind als sie selbst oder anders als die
Menschen, die sie bislang geführt haben.

3 Wertschätzende Führung: Inclusive Leadership als


Antwort

Als Antwort auf diese Herausforderungen sieht Diversity Management die Ausbildung
und die Stärkung relevanter Kompetenzen und Fähigkeiten vor. Sie betreffen zum einen
die Haltung einer Führungskraft gegenüber personeller Vielfalt sowie ein sensibilisiertes
Bewusstsein für die eigene, unbewusste Voreingenommenheit. Vorgesehen ist außerdem

1 Informationenzum Selbstbestimmungsgesetz sind z. B. hier abrufbar: https://www.bmfsfj.de/


bmfsfj/themen/gleichstellung/gleichgeschlechtliche-lebensweisen-geschlechtsidentitaet/fragen-
und-antworten-zum-selbstbestimmungsgesetz-199332 (Abrufdatum: 05.02.2023).
Die Kompetenz von Führungskräften im Umgang mit Vielfalt – … 139

Diversity-Strategie, Ziele,
Organisation Kommunikation, Prozesse,
Strukturen

Team
Führung, Vorbilder
und wertschätzende
Zusammenarbeit

Individuum Haltung: Bewusstsein,


Werte und Verhalten

Abb. 1 Drei Ebenen des Diversity Management. (Eigene Darstellung)

eine Stärkung der Handlungskompetenz im Umgang mit vielfältigen Teams. Abb. 1


gibt einen ersten Eindruck davon, wie Diversity Management auf den unterschiedlichen
Ebenen einer Verwaltung umgesetzt werden kann und welche Rolle Führungskräfte in
diesem Zusammenhang spielen.
Auf der Ebene der Organisation erfolgt die Definition und Zielsetzung von Diversity
Management in einer Verwaltung. In diesem strategischen Bereich werden verbind-
liche und möglichst klare Rahmenbedingungen geschaffen. Bestimmt wird, an welcher
Position die inhaltliche und organisatorische Verantwortung für den Umgang mit Viel-
falt verankert ist. Während manche Verwaltungen zu diesem Zweck eigene Stellen für
Diversity Management einrichten, verfolgen andere den Ansatz, Zuständigkeiten für
einzelne Dimensionen des Diversity Management aufzuteilen − zum Beispiel für die
Themen Geschlecht, Alter, Herkunft oder physische/psychische Fähigkeiten. Im Hin-
blick auf die Führungskräfte ist entscheidend, dass auf diesem Level die Grundlagen
für deren Arbeit definiert werden. Mit anderen Worten: Auf dieser Ebene wird klar und
nachvollziehbar festgelegt, was in der jeweiligen Verwaltungsorganisation unter einem
wertschätzenden Umgang mit Vielfalt verstanden wird.
Auf der Ebene der Führung steht die wertschätzende Zusammenarbeit in Teams im
Mittelpunkt − verbunden mit einer wertschätzenden Führung. Zahlreiche Verwaltungen
haben in ihren Führungsgrundsätzen festgelegt, was sie unter wertschätzender Führung
verstehen und welche Anforderungen und Kompetenzen für Führungskräften daran
geknüpft sind. Entsprechend werden bei der Führungskräfteentwicklung die Vermittlung
und Entwicklung derartigen Kompetenzen und Fähigkeiten sichergestellt.
Die größten Herausforderungen bei der Integration eines Diversity Management in
Verwaltungen liegen erfahrungsgemäß auf dem Individuum-Level − der persönlichen
140 H. W. Jablonski

Ebene. Im Zentrum stehen hier die persönliche Haltung der Führungskräfte gegen-
über Diversity sowie der wertschätzende Umgang mit personeller Vielfalt. Wo fehlende
Überzeugung durch die bloße Adaption einer als gewünscht empfundenen Haltung
kompensiert wird, kann Diversity Management keine Wirkung entfalten. Im schlimmsten
Fall führt das zu Frustration und Resignation bei Führungskräften, die ihre eigene
Autorität und Überzeugungskraft durch „Lippenbekenntnisse“ beschädigen. Genauso
können aber auch fehlende Selbstreflexion oder mangelnde Sensibilität für die eigene
Voreingenommenheit zu einem Glaubwürdigkeitsverlust führen. Wenn sich zum Bei-
spiel eine Führungskraft für einen wertschätzenden Umgang mit Vielfalt stark macht
und gleichzeitig beim Recruiting konsequent Personen ihresgleichen bevorzugt, leidet
darunter die Kredibilität − auch, wenn die Führungskraft in bester Absicht handelt. Im
beruflichen Kontext sind solche und ähnliche gelagerte Fälle von Inkonsequenz oft nicht
auf eine bewusste Diskriminierung zurückzuführen. Vielmehr ist hier ein Phänomen die
Ursache, das zwar allgegenwärtig, aber dennoch nur schwer zu fassen ist: Unbewusste
Voreingenommenheit2.

4 Das Phänomen der unbewussten Voreingenommenheit:


Unconscious Bias

Jeder Mensch trägt ein Bündel vorauseilender Annahmen mit sich, die sich auf Fähig-
keiten und Charakterzüge unterschiedlicher Gruppen beziehen und auf Personen aus
diesen Gruppen übertragen werden. Das geschieht unter dem Einfluss zahlreicher, häufig
physikalischer Faktoren wie etwa der Physiognomie, der Haarfülle oder der Hautfarbe.
Im beruflichen Kontext führt das immer wieder zu Problemen: Wertvolle Kompetenzen
und Erfahrungen werden übersehen, weil sie neben vermeintlich prägnanten Merkmalen
einer Person in den Hintergrund rücken und der routinierten, schablonenhaften Wahr-
nehmung schlichtweg entgehen. Dadurch verlieren Verwaltungen Kompetenzen, die zur
Erfüllung der gestellten Anforderungen sowie der Steigerung von Kreativität, Innovation
und Produktivität beitragen könnten.
Die Ursachen für unbewusste Voreingenommenheit liegen in der Funktionsweise des
menschlichen Gehirns. Damit Wahrgenommenes dort möglichst schnell und ressourcen-
schonend verarbeitet werden kann, greift der Denkapparat möglichst auf Muster
zurück, die er bereits aus ähnlichen Situationen kennt. Dabei handelt es sich nicht um
ein „psychologisches“ Phänomen, sondern vielmehr um einen stark verschalteten bio-
logischen Mechanismus. Damit das Gehirn die Wahrnehmung eines komplexen Umfelds
effizient verarbeiten kann, bildet es also Muster bzw. nutzt die aus dem Alltagssprach-

2 Der internationale Fachbegriff für Unbewusste Voreingenommenheit ist Unconscious Bias oder
auch Implicit Bias.
Die Kompetenz von Führungskräften im Umgang mit Vielfalt – … 141

lichen bekannten „Schubladen“. Diese werden schon von Kind an angelegt und ihre
Nutzung trainiert.
Im Hinblick auf den Umgang mit personeller Vielfalt ist erhellend, dass das Gehirn
vor allem „Schubladen“ für einzelne demografische Dimensionen anlegt: Schon früh
lernen Kinder, welche Zuschreibungen Menschen aus unterschiedlichen Altersgruppen
gemacht werden und was ein typisches Verhalten von Menschen aus unterschiedlichen
Generationen ist. Damit werden schon früh die Grundlagen geschaffen für Stereotype,
die zu Aussagen verleiten wie „Die Person ist zu jung für eine Führungsposition“ oder
„Personen über 50 Jahre sind für Projekte zur Digitalisierung nicht mehr geeignet“.
Vor allem die Kombination von mehreren Dimensionen (Intersektionalität) lenkt von
objektiven Einschätzungen ab und verschärft die Situation für die Betroffenen. Nicht
nur wegen des Alters wird einer Person eine Fähigkeit abgesprochen; der Eindruck ver-
stärkt sich, wenn die Person eine junge Frau oder ein junger Mann mit Migrationshinter-
grund ist. Das illustriert die Aussage einer Kita-Leiterin: „Wenn neue Eltern in die Kita
kommen, sprechen sie meine blonde, ältere Kollegin als Kita-Leiterin an. Ich sehe ein
erstauntes Gesicht, wenn ich mich dann als jüngere Frau mit türkischen Wurzeln als
Kita-Leiterin vorstelle.“ Ein solches Missverständnis ist ohne Weiteres auch im Umfeld
einer Verwaltung vorstellbar. Hier wie dort kann unbewusste Voreingenommenheit die
Autorität von Führungskräften schwächen oder untergraben.

5 Unbewusste Voreingenommenheit verzerrt die


Entscheidungen

Unbewusste Voreingenommenheit führt im Arbeitsalltag immer wieder dazu, dass


Personen nicht nach ihren beruflichen Fähigkeiten beurteilt und so wertvolle Potenziale
übersehen werden. Der verzerrte Blick ist gelernt und lässt sich nicht einfach abschalten.
Dafür gibt es jedoch Strategien, ihn zu korrigieren oder gar nicht erst zuzulassen. Geht
es um die Einschätzung und Bewertung beruflicher Leistung, konzentrieren sich die
Maßnahmen zur Kompensation unbewusster Voreingenommenheit auf bestimmte
Bereiche der zu beurteilenden Persönlichkeit − die sogenannten „Inneren Dimensionen“.
Zu ihnen zählen unter anderem das Alter, das Geschlecht sowie die geschlecht-
liche Identität, die Ethnie oder Hautfarbe und die sexuelle Orientierung einer Person,
physische und psychische Fähigkeiten als auch die soziale Herkunft.3 Diese Merkmale
zeichnen aus, dass sie eng mit dem Individuum verbunden und unveränderlich sind.
Diese „Zuverlässigkeit“ macht die „Inneren Dimensionen“ zur idealen Projektionsfläche
für Stereotype.
Das Model der Vielfaltdimensionen erfasst Unterschiede und Gemeinsamkeiten der
Menschen, um ein wertschätzendes Arbeitsumfeld zu schaffen. Die Kern-Dimensionen

3 Zur weiteren Erläuterung der Dimensionen von Vielfalt siehe Kap. 1 dieses Buchs.
142 H. W. Jablonski

hat die Charta der Vielfalt4, die Initiative von Unternehmen und Verwaltungen zur
Förderung von Vielfalt in Unternehmen und Institutionen, als Schwerpunkte ihres
Engagements identifiziert. Zahlreiche Verwaltungen haben diese Dimensionen als
Grundlage für ihre Arbeit übernommen, wobei die Dimension „Geschlecht“ bei Arbeit-
gebenden im öffentlichen Sektor durch Gleichstellungsregelungen und -arbeit bereits seit
Jahren bearbeitet wird. Die Kern-Dimensionen bilden auch die Grundlage der Diversity-
Weiterbildungen zu wertschätzender Führung.
In diesem Zusammenhang spielt das Thema der unbewussten Voreingenommen-
heit eine zentrale Rolle. Entsprechende Schulungen verfolgen jedoch nicht die Aus-
schaltung stereotyper Wahrnehmungsmuster, da diese − wie bereits erwähnt − nicht auf
beeinflussbare psychologische, sondern auf biologische und damit schwer umkehrbare
Mechanismen zurückgehen. Stattdessen zielen sie auf eine Schärfung der Wahrnehmung
ab und sensibilisieren Teilnehmende für ihre eigene unbewusste Voreingenommenheit.
Das Wissen um die persönlichen Stereotype soll deren verzerrende Wirkung berechen-
bar machen und so letztendlich eliminieren, damit (Personal-)Entscheidungen objektiven
Kriterien folgen.

6 Positive Stereotype: Privilegien

Bei der Verbesserung von Entscheidungsgrundlagen geht es nicht nur darum, die Ver-
zerrung aufgrund negativer Stereotype zu beheben. Denn eine objektive Bewertung von
Leistungen wird ebenso durch positive Stereotype erschwert. Das Privileg ist somit die
positive Kehrseite zur Benachteiligung. Wie negativ wirkende Stereotype, so wird auch
die Vorstellung bestimmter Privilegien schon früh verinnerlicht. Dazu ein einfaches Bei-
spiel: Die Analyse der Geschlechterrollen im Kinderfernsehen hat gezeigt, dass Männer
dort qualitativ wie auch quantitativ dominieren. Die Rollen sind dort so verteilt, dass
erklärende Tätigkeiten – zum Beispiel die Moderation und die Vermittlung von Expertise
– in 60 % der Fälle von männlichen Protagonisten übernommen werden. Ebenso sind sie
in der deutlichen Mehrzahl männlich besetzt. Expertinnen und Heldinnen sind seltener
zu finden.
Privilegien können sich nicht nur im Zuge der Sozialisierung, sondern ebenso in
einem bestehenden beruflichen Umfeld reproduzieren. Ein wiederkehrendes Beispiel
sind manifestierte Macht- und Organisationsstrukturen von Unternehmen. So haben in
vielen Fällen zum Beispiel Personen, die einen bestimmten beruflichen Werdegang und
damit verbundene Erfahrungen teilen, mitunter einen leichteren Zutritt zum inner circle
der Führungsebene. Dementsprechend kann auch eine berufliche Biografie und die damit
einhergehende Verbundenheit zu Vorläufern oder Alumni ein Privileg sein.

4 Siehe Kap. 1 dieses Buchs.


Die Kompetenz von Führungskräften im Umgang mit Vielfalt – … 143

Frauen, die in Führungspositionen in der Minderheit sind, haben mit dem Phänomen
zu kämpfen, das sich in unbewusster Ausgrenzung oder einer – wie auch immer
gearteten – besonderen Behandlung manifestiert. Dieser Effekt ist bei allen Minder-
heiten bis zu einer Repräsentation von ca. 25–30 % festzustellen (Vieweg 2018, o.S.).
Bei einer höheren Repräsentation lässt der Effekt nach. In manchen Verwaltungen und
Unternehmen ist der Minderheiten-Effekt bekannt. Sie initiieren Programme, die Frauen
unterstützen, sich im männlich dominierten Umfeld zu bestehen und leistungsfähig zu
bleiben – ohne vom Minderheiteneffekt doppelt belastet zu werden.
Die besondere Herausforderung für Frauen in Führungspositionen ergibt sich daher
aus einem Privileg ihrer männlichen Kollegen. Allein deren quantitative Dominanz
bestätigt – unabhängig von einzelnen Gegenbeispielen – das Vorurteil, dass Männer
besser geeignet seien, Führungsaufgaben zu übernehmen. Die ungleiche Geschlechter-
Verteilung bleibt so der unhinterfragte Normalfall und die Frau im Vorstandsvorsitz die
Ausnahme. Während eine Frau also erst noch beweisen muss, dass ihr als Ausnahme
von der unausgesprochenen Regel ein Karriereschritt gelingen kann, erscheint dieser bei
ihren männlichen Kollegen nur folgerichtig und nicht weiter bemerkenswert.
Diese zusätzliche Herausforderung, für den nächsten Karriereschritt nicht nur ent-
sprechende Leistung zeigen, sondern auch gegen eine allgemeine Erwartung ankämpfen
zu müssen, bleibt Männern in der Regel erspart. Das ist ein nicht zu unterschätzendes
Privileg, das vielen Männern meist nicht bewusst ist. Wie die Praxis zeigt, wird darüber
hinaus sogar moniert, wenn ein Privileg nicht zum Tragen kommt. So wird Frauen, die
eine Führungsposition erklimmen, nicht selten nachgesagt, den Job allein aufgrund
einer Quotenreglung erhalten zu haben. Bei der Beförderung von einem Mann ist der
Kommentar „der hat das nur bekommen, weil er ein Mann ist“ hingegen nicht zu hören.

7 Was kann getan werden? Umgang mit Unbewusster


Voreingenommenheit

Eine der größten Herausforderungen für Führungskräfte beim Umgang mit unbewusster
Voreingenommenheit ist das eigene Eingeständnis deren Existenz und Wirkung. Zwar
gehen Teilnehmende von Schulungen wie selbstverständlich davon aus, dass andere
Menschen unter dem Einfluss unbewusster Voreingenommenheit handeln. Für das eigene
Handeln wird das jedoch erfahrungsgemäß ausgeschlossen. Wenn Führungskräfte im
Laufe einer Schulung auf die Fährte der eigenen Stereotype und unbewussten Vorein-
genommenheit gebracht werden, bedeutet das für diese oft eine ernüchternde oder pein-
liche Erkenntnis. Die Reaktionen sind unterschiedlich und reichen von Überraschung bis
hin zu verärgertem Abstreiten. Solange eingeübte Stereotype sich im Alltag bewähren
und helfen, das Wahrgenommene schnell und effizient zu verarbeiten, befinden sich
Menschen in ihrer „mentalen Komfortzone“ und empfinden Genugtuung für ihr „gutes
Bauchgefühl“. Werden sie jedoch damit konfrontiert, dass eine Entscheidung von
unbewussten Stereotypen beeinflusst ist, verlassen wir diese Komfortzone, fühlen sie
144 H. W. Jablonski

sich in der Regel bloßgestellt und empfinden das als den berühmten Tritt ins Fettnäpf-
chen.
Statistische Erhebungen und Experimente zeigen, wie stark der Einfluss unbewusster
Stereotype auf Führungs-Entscheidungen in der Arbeitswelt ist. Wie unbewusste Vor-
eingenommenheit zu einer ungleichen Bewertung von Leistungen führt, zeigt ein weit
bekanntes Experiment, bei dem Bewerbungsunterlagen mit identischen Lebensläufen
aber unterschiedlichen Namen an Unternehmen und Verwaltungen versendet wurden
(Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2011). Auch in Deutschland waren die Ergeb-
nisse eindeutig: Auf den Lebenslauf mit einem tradiertem deutsch-klingenden Namen
wie Peter Müller folgen deutlich mehr Einladungen zu einem Vorstellungsgespräch als
auf den Lebenslauf mit dem Namen Hassan Büyüktürk. Da die Lebensläufe identisch
waren, sollten nach einer objektiven Entscheidung beide Personen gleich oft ein-
geladen werden. Die Entscheidung der Führungskräfte über die Leistungsfähigkeit und
das Potenzial von Personen wurde maßgeblich durch unbewusste Voreingenommen-
heit verzerrt. Darunter leiden nicht nur die betroffenen Bewerber*innen. Auch für die
rekrutierenden Verwaltungen entsteht ein Schaden, da sie nicht die am besten geeigneten
Fachkräfte auswählen und entwickeln, sondern jene, deren Namen dem Recruiting am
ehesten zusagten. Eine bittere Erkenntnis, denn der Anspruch auf Leistungsorientierung
lässt sich so nicht glaubhaft aufrechthalten.
Weil unbewusste Voreingenommenheit ein natürliches Phänomen und entsprechend
weit verbreitet ist, lässt sie sich nicht nur im Recruiting-Kontext nachweisen. Sie beein-
flusst ebenso Personal- und Personalentwicklungsprozesse von Unternehmen und Ver-
waltungen und lässt sich nicht nur im Hinblick auf Geschlechtsunterschiede, sondern
ebenso im Zusammenhang mit anderen „Inneren Dimensionen“ wie beispielsweise der
Ethnie, dem Alter oder der sexuellen Orientierung nachweisen. Gleichzeitig kann sich
unbewusste Voreingenommenheit auf die Zusammenarbeit von Teams auswirken und
Führung und Arbeitsprozesse erschweren.
Der professionelle Umgang mit unbewusster Voreingenommenheit beginnt bei den
eigenen Stereotypen. Das bedeutet, Führungskräfte müssen sich die eigene unbewusste
Voreingenommenheit bewusst machen und sich für die Wirkung der verinnerlichten
Stereotype sensibilisieren. Das erfordert nicht nur ein hohes Maß an Reflexionsfähigkeit.
Ebenso wichtig ist der Willen, sich offen damit auseinanderzusetzen, und die Bereit-
schaft, sich selbst und die eigenen (unbewussten) Überzeugungen infrage zu stellen.
Dabei können bereits die folgenden Ratschläge helfen:

Gehen Sie davon aus, dass auch Sie von unbewusster Voreingenommenheit betroffen
sind.
Hinterfragen Sie Ihre Annahmen und Überzeugungen gegenüber anderen Menschen.
Machen Sie Ihre Urteile und Entscheidungen an objektiven Kriterien fest
Schaffen Sie für sich selbst Gelegenheiten für Begegnung und Kontakt mit Menschen,
die Ihnen als „fremd“ erscheinen.
Fordern Sie Feedback ein und signalisieren Sie Offenheit dafür.
Die Kompetenz von Führungskräften im Umgang mit Vielfalt – … 145

Schaffen Sie eine Arbeitsatmosphäre, in der keine Stereotype bedient werden.


Lassen Sie stereotype Witze oder Anspielungen nicht unkommentiert und weisen
darauf hin, dass Stereotype bedient wurden.
Achten Sie auf Ihre Sprache und vermeiden Sie Ausdrücke, die stereotype Sicht-
weisen bestätigen und verfestigen.

Sprache ist ein starkes Führungsinstrument und dokumentiert Stereotype nicht nur,
sie aktiviert sie auch. Die Wortwahl wirkt wie ein Signal für die Nutzung bestimmter
„Schubladen“. Neben eindeutigen Wörtern, die in unverhohlener Absicht geäußert
werden, um andere Menschen zum Beispiel zu beleidigen oder zu diskriminieren, gibt
es zahlreiche Beispiele, die in gut gemeinter Absicht gewählt werden, aber dennoch auf
eine subtile, unterschwellige Weise zu Abwertung oder Geringschätzung von Personen
führen. Dazu ein kleines Gedankenexperiment:
Nehmen wir an, in einer Verwaltung dreht sich ein Gespräch um die „Mädels in
der Meldehalle“. Unabhängig davon, in welchem Zusammenhang von dieser Gruppe
gesprochen wird, stellt sich die Frage, was die Formulierung gedanklich auslöst: Welche
„Schubladen“ öffnen die Signalworte? Drängt sich dadurch der Gedanke auf, dass die
Frauen, die in der Meldehalle arbeiten, ein großes Potenzial für die Verwaltung dar-
stellen? Oder schwingt darin neben Sympathie und Wohlwollen letztlich auch eine
Verniedlichung und Abwertung der Gruppe mit? Selbst wenn die Frauen, die in der
Meldehalle arbeiten, sich selbst so benennen, ändert die Formulierung nichts daran, dass
sich bestimmte „Schublade“ im Kopf öffnen.
Bei der Wahl der passenden Sprache geht es also nicht in erster Linie um
„correctness“, sondern um einen bewussten Umgang mit Worten im Hinblick darauf,
was im Gehirn ausgelöst wird. Oft sind Begriffe, Zuschreibungen oder einfach Attribute
bezüglich der individuellen Diversity Dimensionen dafür verantwortlich, dass Menschen
in „Schubladen“ gesteckt werden − zu ihrem Schaden und zu dem eines Unternehmens
oder einer Verwaltung. Für Führungskraft besteht also ein großer Gestaltungsspielraum
und die Möglichkeit, sich als Vorbild (sprachlich) zu positionieren.
Diese durch Sprache verursachten, unbewussten Zuschreibungen zu minimieren oder
abzustellen, ist eine große Herausforderung. Denn auch hier geht es für Führungskräfte
letztlich darum, mit dem gewohnten Sprachgebrauch eine persönliche Komfortzone zu
überprüfen und zu hinterfragen. Dieser Schritt führt erfahrungsgemäß immer wieder zu
sehr emotionalen und heftigen Reaktionen − auch, wenn es „nur“ um die Reflektion der
persönlichen Wortwahl geht.
Neben Worten sind auch Bilder ein starker Impuls zur Aktivierung stereotyper Wahr-
nehmungsmuster. Nachgewiesen ist zum Beispiel eine starke Wirkung von Porträtbildern
in Bewerbungsunterlagen, die eine objektive Bewertung von Lebenslauf und Leistungen
deutlich erschwert (Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2011). Die im Bild erkenn-
baren Kern-Dimensionen triggern entsprechende Wahrnehmungsmuster und verhindern
eine unvoreingenommene Bewertung wesentlicher Inhalte. Weil ein bewusstes Gegen-
steuern kaum möglich ist, drängt sich das Weglassen der Bilder als beste Lösung für die
146 H. W. Jablonski

Wahrung der Objektivität auf. Dieser Verzicht erfordert zwar, die mentale Komfortzone
zu verlassen, bringt aber bessere und gerechte Ergebnisse.
Führungskräfte können unbewusster Voreingenommenheit auf unterschied-
lichen Wegen begegnen. Eine Möglichkeit sind Methoden, die über eine persönliche
Reflektion dabei unterstützen, die eigenen Stereotype zu erkennen und ihre verzerrende
Wirkung zu minimieren. Das oben beschriebene Verfahren einer anonymisierten
Bewerbung ist daneben ein klassisches Beispiel für strukturelle oder organisatorische
Gegenmaßnahmen. Überhaupt bieten die Überprüfung und Anpassung alltäglicher
Routinen und Arbeitsprozesse großes Potenzial, um die Wirkung stereotyper Denkmuster
zu verringern. Dazu genügen oft schon einfache Veränderungen und Hinweise:

Planen Sie die Zeiten für Personalprozesse großzügig ein, denn Zeitdruck verleitet zu
Entscheidungen unter unbewusster Voreingenommenheit.
Stellen Sie für die Bewertung von Leistungen objektive und messbare Kriterien auf,
sodass Entscheidungen auch für andere transparent und nachvollziehbar sind.
Menschen mit ähnlichen Kern-Dimensionen teilen häufig auch dieselben Stereotype.
Stellen Sie deshalb Vielfalt unter den Prozessbeteiligten sicher, denn Entscheidungen,
die aus unterschiedlichen Perspektiven getroffen werden, sind erfahrungsgemäß
objektiver.
Erheben Sie Daten zu den Prozessen sowie ihren Ergebnissen. Statistiken machen
Verzerrungen hinsichtlich der Repräsentation von Vielfalt sichtbar. Sie zeigen klar,
inwiefern Personen mit Merkmalen wie dem Geschlecht, der Herkunft oder dem
Alter auf bestimmten Positionen und Hierarchieebenen verteilt sind. In vielen Fällen
werden so „Glasdecken“ für bestimmte Personengruppen sichtbar.

8 Fazit: Wertschätzende Führung ist erfolgskritisch

Um den Herausforderungen unserer Zeit − allen voran die Digitalisierung der Arbeits-
welt sowie die zunehmende Verflechtung internationaler Beziehungen − nicht nur
angemessen zu begegnen, sondern um sie auch produktiv zu verwerten, bedarf es einer
systematischen Betrachtung und Nutzung von Vielfalt. Öffentliche Verwaltungen wie
auch Unternehmen können durch Diversity Management angemessen auf die aktuelle
Umbruchsituation reagieren. Ein Schlüssel zum Erfolg sind die Führungskräfte, die
durch eine entsprechende Haltung und der Bereitschaft, die eigene Voreingenommen-
heit zu hinterfragen, entscheidend dazu beitragen können, die Wertschätzung von Viel-
falt in der Verwaltungskultur und dem Arbeitsalltag zu verankern. Die dafür notwendigen
Grundlagen zu schaffen ist aufwendig und mitunter unbequem − vor allem, wenn es
darum geht, die persönliche Wahrnehmung von Mitarbeiter*innen sowie die vermeintlich
objektive Bewertung von Leistungen kritisch zu hinterfragen und auf unbewusste Vorein-
genommenheit zu überprüfen. Doch dieser Aufwand lohnt sich und stellt insbesondere
für Führungskräfte ein sinnvolles Investment dar. Denn je besser diese ihre Führungs-
Die Kompetenz von Führungskräften im Umgang mit Vielfalt – … 147

qualitäten den aktuellen An- und Herausforderungen anpassen, desto erfolgreicher ist die
Zusammenarbeit in zunehmend vielfältigen Teams und Belegschaften.

Literatur

Vieweg, Martin (2018): Wann werden Minderheitsmeinungen mächtig?, in „Bild der Wissen-
schaft“. Onlinequelle: https://www.wissenschaft.de/gesellschaft-psychologie/wann-
minderheitsmeinungen-maechtig-werden-2/ (Abrufdatum: 05.02.2023).
Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2011): Anonymisierte Bewerbungsverfahren – Das Pilot-
projekt. Onlinequelle: https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/
publikationen/AnonymBewerbung/anonymisierte_bewerbungsverfahren_das_pilotprojekt_
flyer.pdf?__blob=publicationFile (Abrufdatum: 05.02.2023).

Hans W. Jablonski, Volkswirt und Experte, Berater und Coach für Kommunen und Unternehmen
zum Thema Diversity, Equity & Inclusion.
Seit mehr als 20 Jahren arbeitet Hans W. Jablonski zum Thema Diversity und war damit einer
der ersten Diversity Manager in Deutschland und später von London aus im internationalen
Diversity Management tätig. Er ist Mit-Begründer der Charta der Vielfalt u. a. in Deutschland
und unterstützt Kommunen und Verwaltungen und deren Führungskräfte in der Umsetzung von
Diversity Management.
Emotionale Intelligenz ist die wichtigste
Fähigkeit für Führungskräfte

Magdalena Rogl

Zusammenfassung

Emotionale Intelligenz hilft Mitarbeitenden auf allen Ebenen einer Organisation,


sich selbst und andere besser zu verstehen und schafft so ein integrativeres Arbeits-
umfeld. Emotional intelligente Führungskräfte erkennen ihre eigene Diversitäts-
merkmale, reflektieren und nutzen sie. Da Vielfalt ein zentraler Bestandteil der
emotional intelligenten Führung ist, ist es nur logisch, dass diese Art von Leader-
ship auch ein größeres Bewusstsein für Inklusion in unserer Arbeitswelt braucht.
Emotionale Führung ist ein Begriff, der in den letzten Jahren mehr und mehr Sicht-
barkeit und Bedeutung bekommen hat. Bei dieser Art der Führung geht es darum, die
Emotionen, Werte, Bedürfnisse, Ziele und Absichten aller Menschen zu verstehen, um
die Motivation der Mitarbeitenden zu nutzen und herauszufinden, was den Erfolg der
einzelnen Menschen und des gesamten Teams fördert.

Schlüsselwörter

Emotionale Intelligenz · Emotionale Führung · Emotionale Diversität · Emotionen ·


Selbstbewusstsein · Mitgefühl · Diversity

M. Rogl ( )
Microsoft Deutschland, München, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 149
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_11
150 M. Rogl

1 Einführung

Die Diversity-Dimensionen der Charta der Vielfalt1 beschreiben über zwanzig ver-
schiedene Aspekte von Diversität – im Zentrum steht dabei die Persönlichkeit. Und in
der Persönlichkeit steckt ein wichtiger aber vor allem in der Arbeitswelt unterschätzter
Aspekt: Die emotionale Diversität.
Emotionale Diversität kann einerseits die Vielfalt und Fülle unserer eigenen
Emotionen, aber auch die Unterschiedlichkeit im Ausdruck von Emotionen einzel-
ner Menschen beschreiben. Nicht alle Menschen nehmen Emotionen auf gleiche Weise
wahr, genauso wenig drücken alle Menschen Emotionen auf gleiche Weise aus. Wenn
wir die Welt um uns herum aus einer inklusiven Perspektive betrachten wollen, ist es
wichtig, zu verstehen, dass nicht alle Menschen Emotionen in gleicher Weise erkennen
und darauf reagieren. Inklusion bedeutet auch, anzuerkennen, dass unterschiedliche
Menschen emotional unterschiedlich denken und reagieren können.
Der Mensch funktioniert sowohl auf der rationalen als auch auf der emotionalen
Ebene, wobei die Emotionen, die von unseren persönlichen Grundwerten ausgehen,
den Kern unserer Motivation bilden. Gefühle sind auch von grundlegender Bedeutung
für unsere Reaktionen auf die Unterschiede, die wir in anderen sehen, ob wir uns ihnen
nähern oder sie meiden, sie mögen oder nicht mögen, akzeptieren oder ablehnen. Je
besser wir unsere emotionalen Reaktionen verstehen und steuern, desto zufriedener
können wir mit unseren Beziehungen sein, desto effektiver können wir zwischenmensch-
liche Interaktionen gestalten.
Eine Veränderung der Arbeitswelt hin zu mehr Diversität und Inklusion, erfordert ein
Umdenken von Führung – vor allem auf emotionaler Ebene. Die Fähigkeit, die unter-
schiedlichen Bedürfnisse von Verbraucher*innen oder Kund*innen zu erkennen und
individuell darauf einzugehen, ist genau das, was eine effektive, emotional intelligente
Führung ausmacht. Diverse Teams brauchen eine Führungskraft, die in der Lage ist, den
Wert dieser Vielfalt sowohl auf persönlicher als auch auf beruflicher Ebene zu erkennen.

2 Empathie als Schlüssel für eine diverse und inklusive


Arbeitswelt

Die Fähigkeit, unsere eigenen Gefühle wahrzunehmen und verschiedene Emotionen


präzise zu benennen, hilft uns, empathisch zu sein. Je mehr wir mit unseren eigenen
Emotionen verbunden sind, desto größer ist unsere Fähigkeit, mit anderen zu fühlen.
Wann immer wir mit anderen Menschen arbeiten, ist die Bereitschaft und Fähigkeit, sich
in andere einzufühlen, besonders wichtig. Wenn wir verstehen, wie sich Kund*innen

1 Zur
weiteren Erläuterung der Dimensionen von Vielfalt s. Kap. 1 „Diversity in der öffentlichen
Verwaltung – eine Einführung“.
Emotionale Intelligenz ist die wichtigste Fähigkeit … 151

fühlen, können wir unsere Angebote dementsprechend anpassen. Wenn wir nachvoll-
ziehen können, wie sich Kolleg*innen fühlen, verbessert sich die Teamarbeit. Wenn wir
mit Mitarbeitenden mitfühlen können und ihre Bedürfnisse begreifen, haben wir die
Chance, sie gezielter und individueller zu fördern.
Um empathisch zu sein, müssen wir Raum für Gefühle schaffen – für unsere eigenen
und die unserer Kolleg*innen. Es ist wichtig, dass wir diese Unterschiede wahrnehmen
und dieser emotionalen Diversität Raum geben. Dass wir akzeptieren, wenn Menschen
eine andere Art haben als wir, ihre Gefühle auszudrücken. Und genau diese Empathie ist
auch auschlaggebend, um Inklusion zu leben. Gelebte Inklusion bedeutet, dass sich alle
Menschen einbezogen fühlen, ganz egal, wie unterschiedlich sie sein mögen und auch
wie unterschiedlich sie ihre Emotionen ausdrücken.
Wenn eine Person emotional ganz anders reagiert, als wir es erwarten oder als wir
selbst reagieren würden, ist das oft irritierend. Wir haben dann vielleicht den Impuls,
eine Mauer zu bauen, uns abzugrenzen. Unsere Prägung kann auch entscheiden, wem
wir überhaupt Empathie entgegenbringen und wer sie nach unserer Meinung verdient
hat. Tendenziell sind wir empathischer mit Menschen, die uns ähnlich sind, weil es uns
leichter fällt, uns mit ihren Emotionen zu identifizieren. Tatsächlich zeigen zahlreiche
Experimente, dass wir beispielsweise mit Menschen, die dieselbe Hautfarbe haben wie
wir, mehr Mitgefühl empfinden als mit jenen, die eine andere Hautfarbe haben.
Und Empathie kann auch belastend sein: Wenn wir ständig die Gefühle anderer
Menschen aufnehmen und nachempfinden, kann uns das sehr anstrengen und sogar
selbst schaden. Versuchen wir im beruflichen Kontext, mit allen Kolleg*innen
empathisch zu sein, kann das unsere mentale Gesundheit beeinflussen und uns im
Extrem sogar arbeitsunfähig machen. Genauso kann uns persönliche Empathie mit
einem einzelnen Menschen dazu verleiten, das große Ganze aus dem Blick zu verlieren.
Wenn uns Mitarbeitende Sorgen oder Ängste anvertrauen, hilft es weder ihnen noch uns,
geschweige denn dem Team, wenn wir ihre Sorgen und Ängste nur stark mitfühlen.
Intelligente Empathie ist deshalb der richtige Weg – egal ob in der Arbeit oder im
Privaten. Wir sollten nachfühlen, was eine andere Person empfindet, aber nicht in diesem
Gefühl verharren, sondern die Informationen nutzen, um zu entscheiden, was die sinn-
vollste Reaktion in der jeweiligen Situation sein könnte. In ihrer einfachen Form hilft
uns Empathie, Emotionen bei anderen zu erkennen und auch die Perspektive anderer
Menschen auf eine Situation zu verstehen. Bewusst trainierte Empathie kann uns ermög-
lichen, auf die Situation zu reagieren und Lösungen zu finden.
Am wertvollsten ist Empathie dann, wenn sie mit Handeln verbunden ist, wenn sie
genutzt wird, um Dinge zu verbessern, wenn wir sie einsetzen, um uns gegenseitig zu
verstehen und zu unterstützen. Empathie kann uns dabei helfen, die Welt aus ver-
schiedenen Perspektiven zu sehen und diese diversen Blickwinkel zu nutzen, um bessere
Lösungen zu finden. Persönlich, beruflich und gesellschaftlich.
Gegenseitiges Verstehen hat dabei viel mit unserer eigenen Offenheit, unserem
Kommunikationsstil und unserer Sprache zu tun. Inklusive Sprache kann dabei einen
wichtigen Beitrag zu Empathie leisten und langfristig unsere Denkmuster trans-
152 M. Rogl

formieren. Der alleinige Fokus auf geschlechtssensible Kommunikation ist aber nicht
mehr zeitgemäß, denn inklusive Organisationskommunikation sollte auf drei Säulen
basieren: diskriminierungsfrei, gendersensibel, barrierefrei.2
Unsere Gesellschaft besteht aus Menschen, die verschiedene ethnische Hintergründe,
Religionen und Weltanschauungen haben, aus Menschen mit und ohne Behinderung,
aus Jungen und Älteren, aus Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen,
aus Frauen, Männern und nichtbinären Menschen. Es sind einzigartige Menschen mit
unterschiedlichen Perspektiven und verschiedenen Erfahrungen, und wir können die
bewusste Entscheidung treffen, unser Möglichstes zu geben, mit allen empathisch zu
kommunizieren.
Hier spielt auch die kulturelle Kommunikation eine große Rolle. Je internationaler
unsere Arbeitswelt und die Teams sind, in denen wir arbeiten, desto wichtiger ist es, ein
Bewusstsein für kulturelle Unterschiede zu haben und zu verstehen, wie Emotionen in
bestimmten Sprachen und Kulturen kommuniziert werden.

3 Werte als verbindendes Element

Organisationswerte können eine Art gemeinsamer, übergreifender Kompass sein. Fast


jede Organisation hat mittlerweile eigene Werte definiert, die bestenfalls den Sinn und
das Leitbild einer Organisation widerspiegeln. Die Werte einer Organisation sollten die
Grundlage dafür sein, warum die Organisation existiert, wie Verhaltensnormen definiert
und wie Entscheidungen getroffen werden, um Ziele zu erreichen und die Organisations-
mission zu erfüllen.
Authentisch gelebte Organisationswerte können außerdem dabei helfen, Talente
für sich zu gewinnen. Unter den jüngeren Generationen, Gen Z und Millennials, sind
Organisationswerte in den letzten Jahren sogar wichtiger geworden als das Gehalt. Auch
70 % der Verbraucher*innen geben an, ihre Entscheidungen an Werten auszurichten.
Organisationswerte haben also einen direkten Einfluss auf den Organisationserfolg.
Egal ob es sich bei den Organisationswerten um Grundwerte wie „Respekt“ oder
Zukunftswerte wie „Nachhaltigkeit“ handelt – sie sind nur dann erfolgreich und vor
allem authentisch, wenn sie im Alltag gelebt werden. Werte zu definieren, ist eine Sache,
sie wirklich in die Organisationskultur zu integrieren, ist etwas ganz anderes.
Organisationswerte sollten in sämtliche Entscheidungen und Prozesse integriert
werden. Bei Einstellungsverfahren genauso wie bei Bonus-Entscheidungen, bei Partner-
schaften mit anderen Organisationen, Produktentwicklungen, Kampagnen und vieles
mehr. Vom ersten Vorstellungsgespräch bis zum letzten Arbeitstag sollten die Mit-
arbeitenden spüren, dass die Organisationswerte die Grundlage für jede Entscheidung

2 Informationen zur inklusiven Sprache befinden sich in Kap. 5 „Inklusive Sprache als Treiber für
mehr Vielfalt in der Verwaltung“.
Emotionale Intelligenz ist die wichtigste Fähigkeit … 153

sind. Werte haben wenig Gewicht, wenn sie nicht mit messbaren Aktivitäten und Ver-
haltensweisen verbunden sind.
Genauso wie Werte für viele Bewerbende eine wichtige Entscheidungsgrund-
lage sind, sollte es auch für Organisationen sein. Viele Fähigkeiten können Menschen
lernen, und in den meisten Organisationen hat deshalb Weiterbildung inzwischen zu
Recht einen hohen Stellenwert. Aber Werte sind selten etwas, das Menschen lernen
können, sie sollten davon überzeugt sein. Deshalb ist ein sogenannter Value Fit, also
das Hinterfragen von persönlichen Werten und dem Gegencheck, ob diese zu den
Organisationswerten passen, heute für viele Organisationen ein fester Bestandteil von
Bewerbungsprozessen. Mitarbeitende, die aufgrund ihrer Abschlüsse eingestellt werden,
aber nicht wirklich zur Organisationskultur passen, werden nie dauerhaft erfolgreich
sein, der Organisation wertvolle Ressourcen und den jeweiligen Teams viele heraus-
fordernde Emotionen kosten.
Auch wenn Werte eine grundsätzliche Überzeugung sein sollten, ist es wichtig in
Teams regelmäßig über die Organisationswerte zu sprechen, um zum Beispiel von-
einander zu lernen, was der jeweilige Wert auf persönlicher Ebene bedeutet. Dabei ent-
stehen zu den Organisationswerten oft noch Teamwerte, je nach Verantwortungsbereich.
In einem Team, das sich um Finanzen kümmert, könnte (und sollte) das zum Beispiel
Genauigkeit sein.
Diese Gespräche sind für internationale und interkulturelle Teams besonders
angebracht, weil Werte in verschiedenen Kulturen und Sprachen unterschiedliche
Bedeutungen haben können. Um Inklusion zu leben und Missverständnisse zu vermeiden
ist es also elementar, voneinander zu lernen, was bestimmte Werte bedeuten.
Führungskräfte haben hierbei eine besondere Aufgabe: Es geht nämlich nicht nur
darum, die Organisationswerte vorzuleben und damit Vorbild zu sein, sondern den Mit-
arbeitenden auch widerzuspiegeln, was sie persönlich wertvoll für die Organisation macht.
Zu wissen, welchen Wert die Organisation in mir sieht, macht mich nicht nur glücklich
und produktiver, sondern stärkt ebenso meine Zugehörigkeit.
Persönliche Werte können also ein Kompass einzelne Menschen sein und
Organisationswerte ein Kompass für die Organisation. Dabei müssen die persönlichen
Werte nicht immer deckungsgleich mit der Organisation sein, bei dem eine Person
arbeitet. Tatsächlich ist das vermutlich so gut wie nie der Fall, weil Organisationen nun
mal keine Menschen sind.
Diversity und Inklusion sind nicht nur Werte, sondern auch eine Verantwortung, die
Organisationen tragen. Dazu gehört es, Produkte und Technologien möglichst barriere-
frei und zugänglich für alle zu gestalten und so in der Arbeitswelt der Zukunft mehr
Teilhabe zu ermöglichen. Organisationen können das zum Beispiel tun, indem sie mög-
lichst viele unterschiedliche Menschen in den Design- und Entwicklungsprozess ein-
beziehen, um ihre Perspektiven und Bedürfnisse kennenzulernen und in neuen Produkten
berücksichtigen zu können. Und zu dieser Verantwortung gehört auch, innerhalb der
Organisation Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, die niemanden ausschließen. Gelebte
Empathie, Diversität und Inklusion – sie führen zu Innovation.
154 M. Rogl

4 Leadership ist eine Haltung

Das größte Missverständnis beim Thema Führung ist die Auffassung, dass es um eine
Rolle oder einen Titel geht. Aber ganz egal, in welcher Phase wir uns im Leben befinden,
ganz egal, wie alt wir sind, und ganz egal, ob auf dem Papier, auf Hierarchie-Ebene oder
ob Menschen eine Berichtslinie zu uns haben oder nicht – wir alle können Leadership
leben. Denn die Grundlagen von Leadership sind Emotionalität und Empathie. Und
Leadership bedeutet eben nicht einfach Führung, sondern vor allem Vorbildfunktion. Wir
alle können ein Vorbild sein, ganz gleich, welche Position wir innehaben und in welcher
Funktion wir sind. Vor allem sollten wir versuchen, ein Vorbild für uns selbst zu sein.
Bei Leadership geht es darum, das Potenzial in Projekten, Prozessen und Menschen
zu sehen und dafür mutig Verantwortung zu übernehmen. Deshalb hat es nichts mit Alter,
Berufserfahrung oder Titel zu tun, sondern vielmehr mit einer Vorbildfunktion. Leader-
ship heißt nicht, Antworten auf alle Fragen zu haben, sondern vielmehr zu wissen, was
die richtigen Fragen sind. Und auch ehrlich zu sein und Transparenz zuzugeben, wenn
man Dinge nicht weiß.
Leider war in der Vergangenheit oft zu beobachten, dass Menschen mit Führungsver-
antwortung schnell meinten, nicht nur alles zu wissen, sondern auch die einzig gültige
und richtige Meinung zu vertreten. Aber unsere Meinung zu ändern und vielleicht zuzu-
geben, dass eine andere Person recht hatte, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern
eines dafür, dass wir dazulernen und uns weiterentwickeln können.
Denn Leadership beinhaltet auch die Kraft im Wort „Führungskraft“. Es geht nicht
um Macht anderen gegenüber, sondern darum, diese Kraft zu nutzen, um Menschen die
Energie zu geben, die ihnen beim Wachsen helfen kann. Um zu verstehen, was die ver-
schiedenen Menschen für ihre persönliche Entwicklung brauchen, sind Offenheit und
ehrliche Neugier besonders hilfreich. Nur eine Person, die zuhört, um zu verstehen, und
nicht zuhört, um zu antworten, kann wirklich etwas über die Kolleg*innen erfahren. Nur
wer weiß, was die Teammitglieder beschäftigt, wie sie denken, was sie begeistert, kann
genau darauf reagieren, sie entsprechend ihrer Stärken einsetzen und ihnen helfen in
persönlichen Entwicklungsbereichen zu wachsen. Leadership braucht Pragmatismus statt
Perfektionismus. Und dafür müssen Mitarbeitende vor allem begleitet und nicht durch-
gehend bewertet werden.
Eine Führungskraft sollte nicht nur damit umgehen können, wenn Menschen (fach-
lich) besser sind als sie selbst, sondern sie sollte dies ganz bewusst fördern. Es ist näm-
lich nicht die Aufgabe von Leadership, den Mitarbeitenden zu sagen, was sie tun sollen,
sondern sie dazu zu befähigen, in ihrem Fachbereich das Beste zu erreichen. Und das
kann bedeuten, dass Mitarbeitende in einigen Dingen besser sind als die Führungskraft
selbst.
Eine Führungsrolle innerhalb einer Organisation beinhaltet oft viele Privilegien,
und wie überall bringt jedes Privileg, das wir haben, auch eine Verantwortung mit
sich. Genau das bedeutet es nämlich, Personalverantwortung zu haben: Verantwortung
Emotionale Intelligenz ist die wichtigste Fähigkeit … 155

für Menschen zu übernehmen. Um empathisch zu sein, müssen wir Raum für Gefühle
schaffen – für unsere eigenen und die unserer Teammitglieder. Das bedeutet nicht, allen
Gefühlen unkontrolliert freien Lauf zu lassen. Haltung ist ein wichtiger Teil von Leader-
ship, aber wir sollten nicht vergessen, dass auch Zurückhaltung eine Haltung sein kann.
Die Aufgabe von Organisationen und Führungskräften ist es, eine Kultur zu schaffen, in
der Raum für Emotionalität gegeben wird.
Die richtige Auswahl von Menschen gerade in leitenden Positionen wird in Zukunft
deutlich an Relevanz gewinnen. Führungskräfte brauchen nicht unbedingt fachliches
Know-how, sondern Kompetenzen wie Empathie und Selbstreflexion. Gleichzeitig
sollten die Menschen, die jetzt schon an der Spitze sind und Menschen führen, gut
geschult werden, falls sie diese Skills noch nicht haben. Einfach nur Seminare abzu-
halten und einen Haken dranzusetzen, wird nicht ausreichen.
Führungskräfte benötigen eine intrinsische Motivation. Und die entsteht, wenn
sie feststellen, dass sich Empathie lohnt – weil sie Teams erfolgreicher macht und
Organisationen zu besseren Ergebnissen führt. Das Lernen von emotionaler Sprache
sollte deshalb genauso anerkannt sein wie das Lernen einer Programmiersprache. Und
diese emotionale Sprache können wir selbst jeden Tag trainieren, indem wir unsere
Emotionen bewusst wahrnehmen und sie reflektieren. Indem wir SelbstBEWUSSTsein
entwickeln und lernen zu verstehen, wer wir wirklich sind und was wir brauchen,
um Leadership zu leben. Dabei helfen können weiterhin Mentor*innen, Coaches,
Trainer*innen, Therapeut*innen. Aber auch ein grundsätzlicher Kulturwandel innerhalb
der Organisation.
Ebenso sollte es nicht darum gehen, wie wir möglichst schnell den nächsten Karriere-
schritt gehen können, um ein Team zu leiten und Privilegien zu bekommen. Denn wenn
wir immer nur nach dem nächsten Schritt schauen, sehen wir nicht, wo wir gerade
stehen. Und genau dort, wo wir gerade stehen, sollten wir Leadership für uns selbst über-
nehmen und unsere eigene FührungsKRAFT entwickeln.

5 Human Relations statt Human Ressources

Wir sollten deshalb Menschen nicht mehr als Arbeitsressource, sondern als die ein-
zigartigen Persönlichkeiten, die sie sind, begreifen. Bei der Auswahl von Mit-
arbeitenden und Kolleg*innen sollten wir darauf achten, wie sie mit ihren eigenen und
den Emotionen anderer Menschen umgehen und auch, ob sie bereit sind, ihre eigenen
Emotionen zu nutzen, um sich weiterzuentwickeln.
Die Pandemie hat dazu geführt, dass wir unsere Beziehungen und das, was uns wirk-
lich wichtig ist, neu überdenken. Die Menschen, mit denen wir arbeiten, machen einen
Großteil unserer zwischenmenschlichen Beziehungen aus, und für die meisten Menschen
ist es ein Bedürfnis, sich ihren Teams und Kolleg*innen zugehörig zu fühlen. Wenn
Organisationen das nicht anerkennen, steigt das Risiko, dass Menschen diese Arbeits-
beziehungen beenden.
156 M. Rogl

Die „Great Attrition“-Studie zur Fluktuation am Arbeitsmarkt von dem Organisations-


berater McKinsey (McKinsey 2021) zeigt, dass mehr als 50 % der Beschäftigten, die
während der Pandemie gekündigt haben, sich von den Menschen, mit denen sie arbeiten,
nicht wertgeschätzt oder sich nicht zugehörig fühlten – schlimmstenfalls beides. 46 %
der Befragten gaben außerdem an, dass ihnen gegenseitiges Vertrauen und Fürsorge
fehlten. Diese Zahlen machen deutlich, welche Bedeutung empathische Arbeits-
beziehungen und Emotionen für die Zukunft unserer Arbeitswelt haben.
Der Fokus auf das Zwischenmenschliche kann uns auch dabei helfen, zu sehen,
welches (Entwicklungs-)Potenzial Menschen haben. Wenn Organisationen es schaffen,
diese unentdeckten Talente zu finden, die vielleicht nicht den geraden Berufsweg haben,
die vielleicht aus einem ganz anderen Bereich und einer ganz anderen Branche kommen,
die vielleicht einen völlig anderen Blickwinkel haben, dann haben sie nicht nur eine
menschliche Ressource, sondern eine einzigartige Person gefunden.
Und deshalb sollte das Bewerbungsgespräch erst der Anfang der zwischenmensch-
lichen Beziehung sein. In vielen Organisationen herrscht immer noch die Meinung, dass
ein Einstellungsprozess mit der Einstellung beendet ist. Dabei sagt das Wort doch schon,
worum es auch geht, nämlich die Einstellung zueinander.
In einigen innovativen Organisationen gibt es deshalb mittlerweile neben den
Bewerbungsgesprächen, also den „Interviews“, sogenannte Enterviews: Gespräche,
in denen neuen Mitarbeitenden noch einmal ausführlich und wertschätzend gesagt
wird, warum sich die Organisation für sie entschieden hat. Das ist nicht nur eine sehr
schöne Möglichkeit, die anfängliche Unsicherheit abzufedern, sondern ebenso eine sehr
empathische Art, von Anfang an eine wertschätzende Arbeitsbeziehung aufzubauen.
Genau das macht den Unterschied, und der ist nicht nur entscheidend dafür, wie gut
Menschen dann miteinander arbeiten können. Er trägt auch dazu bei, ob und wie lange
Talente bei einer Organisation bleiben. Das belegt auch die oben erwähnte „Great
Attrition“-Studie von McKinsey, die nachgewiesen hat, dass sich Menschen soziale und
zwischenmenschliche Beziehungen zu ihren Kolleg*innen und Vorgesetzten wünschen.
Sie wollen menschliche Interaktionen und nicht nur Transaktionen wie: „Du gibst uns
deine Ressource, wir geben dir dafür Geld.“
Natürlich sind Organisationen dafür verantwortlich – auch und vor allem im Eigen-
interesse – ein Umfeld zu schaffen, in dem positive Arbeitsbeziehungen wachsen und
sich weiterentwickeln können, aber es liegt ebenso an uns allen, ob und wie wir dazu
beitragen, Human Relations wachsen zu lassen. Und das heißt nicht, dass wir mit
Kolleg*innen alle privaten Themen besprechen oder befreundet sein müssen, sondern
dass wir uns gegenseitig nicht als Ressourcen, sondern als Menschen sehen. Für Human
Relations braucht es eine empathische Vertrauenskultur in Organisationen, die es den
Mitarbeitenden ermöglicht, die Menschen zu sein, die sie wirklich sind.
Emotionale Intelligenz ist die wichtigste Fähigkeit … 157

6 Emotionale Intelligenz

Es ist mittlerweile weithin bekannt, dass Vielfalt das Potenzial hat, einer Organisation
viele Vorteile zu bringen – wie zum Beispiel eine stärkere Innovationskraft. Es ist
jedoch schwierig, diese Vorteile zu nutzen, wenn Unterschiede aufeinanderprallen und
dadurch Emotionen ungefiltert und unreflektiert im Raum stehen. Oft wissen Führungs-
kräfte und Mitarbeitende nicht, wie sie mit diesen Gefühlen umgehen sollen, um aus den
unterschiedlichen Perspektiven, Erfahrungen und Ansätzen Nutzen zu ziehen. Die Ent-
wicklung der Fähigkeit, Gefühle zu verstehen, zu reflektieren und effektiv mit anderen
umzugehen, unabhängig davon, wie groß die Unterschiede sind, ist eine entscheidende
Kompetenz in der heutigen Arbeitswelt. Um diese Kompetenz zu entwickeln und zu
nutzen ist emotionale Intelligenz unerlässlich.
In einer Welt, in der wir täglich mit Unterschieden in Bereichen wie Kultur,
Traditionen, ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, sexuellen Orientierung und Identi-
tät, Werten, Sprache, Verhaltensweisen, Persönlichkeitsvorlieben und Normen am
Arbeitsplatz konfrontiert werden, ist emotionale Intelligenz besonders wichtig. Ent-
weder werden diese Unterschiede als positiv verinnerlicht oder wir reagieren ablehnend.
Unser Verhalten kann konstruktiv oder destruktiv sein, je nach unserer Fähigkeit, unsere
Emotionen zu erkennen, zu reflektieren und zu nutzen.
Der Psychologe Daniel Goleman beschreibt fünf Säulen der emotionalen Intelligenz
(Goleman 2012):

1. Säule: Selbstwahrnehmung
Die Selbstwahrnehmung ist die Fähigkeit, die eigenen Gefühle, emotionalen Auslöser,
Stärken, Schwächen, Motivationen, Werte und Ziele zu erkennen und zu verstehen,
wie sie unsere eigenen Gedanken und das eigene Verhalten beeinflussen.
Wenn wir uns im Job gestresst, genervt, gelangweilt oder niedergeschlagen fühlen,
ist es wichtig, herauszufinden, warum das so ist. Erst wenn wir in der Lage sind, das
Gefühl zu benennen und die Ursache zu verstehen, können wir Lösungen finden.
2. Säule: Selbstmanagement
Selbstmanagement beschreibt die Fähigkeit, die eigenen Emotionen zu regulieren; sie
beruht auf der Selbstwahrnehmung. Alle Menschen – natürlich auch diejenigen mit
hoher emotionaler Intelligenz – haben mal schlechte Laune, Ärger oder Stress. Selbst-
management ist die Eigenschaft, diese Emotionen wahrzunehmen und zu regulieren,
anstatt sich von ihnen kontrollieren zu lassen.
Das könnte bedeuten, dass man in sehr stressigen oder aggressiven Situationen nicht
sofort reagiert. Wenn wir uns zum Beispiel entscheiden, über eine E-Mail zu schlafen,
die uns wütend gemacht hat, und mit klarem Kopf zu reagieren, anstatt impulsiv zu
handeln. Das beeinflusst im Übrigen auch unsere eigene mentale Gesundheit.
3. Säule: Motivation
158 M. Rogl

Motivation ist im Wesentlichen das, was uns antreibt und begeistert. Wenn wir mit
Rückschlägen und Hindernissen konfrontiert werden, ist es wichtig, dass wir uns an
unsere Motivation erinnern, um weiter voranzukommen.
Menschen mit geringer Motivation sind eher risikoscheu und ängstlich statt problem-
lösungsorientiert. Mangelnde Begeisterungsfähigkeit einer einzelnen Person kann ein
ganzes Team demotivieren. Diejenigen wiederum, die motiviert und stolz auf ihre
Arbeit sind, teilen ihr Wissen offener und haben mehr Energie.
4. Säule: Einfühlungsvermögen
Empathie ist die Fähigkeit, sich emotional in andere hineinzuversetzen und ihre
Gefühle, Sorgen und Standpunkte nachzuvollziehen. Diese Fähigkeit ist besonders
wichtig, wenn man ein Team führt, aber auch in der Arbeit mit Kunden und
Kundinnen, denn sie ermöglicht es, die Bedürfnisse und die Reaktionen des Gegen-
übers vorauszusehen. Empathie ist auch mit Innovation verbunden.
5. Säule: Beziehungsmanagement
Beim Beziehungsmanagement geht es vor allem um zwischenmenschliche Fähig-
keiten – um die Kompetenz, echtes Vertrauen, Verbundenheit und Respekt aufzu-
bauen. Es handelt sich hierbei nicht um das Klischee einer Teambuilding-Übung,
bei der man die Augen schließt und sich fallen lässt – wenn es nur so einfach wäre!
Es geht darum, einzelnen Menschen, einem Team und auch sich selbst zu vertrauen.
Eine Führungskraft mit guten Fähigkeiten im Beziehungsmanagement ist in der Lage,
Teammitglieder zu inspirieren, individuell zu führen und weiterzuentwickeln, was
sich erheblich auf die Leistung und Produktivität des Teams auswirkt.

Emotionale Intelligenz ist also in ihrer Komplexität von großer Bedeutung für unser
menschliches Miteinander und für beruflichen Erfolg. Trotzdem wird es vermutlich
noch etwas dauern, bis dem EQ genauso viel Bedeutung beigemessen wird wie dem IQ.
Für die Arbeitswelt der Zukunft ist es wichtig zu begreifen, dass es nicht primär darum
geht, was Menschen schon wissen, sondern darum, was sie alles noch lernen können –
emotional und intellektuell.
Um zu verstehen, warum emotionale Intelligenz so hoch bewertet wird, ist es
unerlässlich, sich die veränderte Arbeitswelt anzuschauen: Technologien, die sich rasant
weiterentwickeln, soziale, wirtschaftliche und politische Instabilität – wir leben in einer
Zeit, in der Transformation keine Phase ist, sondern der Normalzustand. Eine Zeit, in
der sich Organisationen und Teams ständig neu anpassen müssen und deshalb ent-
sprechenden Mitarbeitende brauchen, die über die dafür notwendigen Skills verfügen.
Das Weltwirtschaftsforum zählt emotionale Intelligenz zu den zehn wichtigsten Fähig-
keiten, die Arbeitnehmende in Zukunft brauchen werden.
Innovative Organisationen suchen deshalb nach Führungskräften mit einem hohen
Maß an emotionaler Intelligenz, um Mitarbeitende langfristig zu halten. Sind sowohl
Arbeitnehmende als auch Führungskräfte emotional intelligent, können sie eine engere
Bindung aufbauen und ehrliche Gespräche über Ziele und Herausforderungen führen.
Dieses Maß an Transparenz kann das Engagement, die Leistung und auch die Bindung
Emotionale Intelligenz ist die wichtigste Fähigkeit … 159

an die Organisation fördern – und das ist heute wichtiger denn je. Noch nie haben so
viele Menschen ihren Job gekündigt beziehungsweise den Arbeitgeber gewechselt wie
in den letzten Jahren. Dieses Phänomen hat sogar einen Namen: die Große Resignation.
Die Multikrisen der vergangenen Jahre führten dazu, dass sich viele Menschen neu
definiert haben.
Es ist eine enorme Herausforderung, die eigenen Emotionen und die der anderen zu
verstehen und intelligent zu nutzen, vor allem, da so viele Teams remote oder hybrid
arbeiten. Untersuchungen zeigen, dass es dadurch schwieriger sein kann, sich mit
den Menschen, mit denen wir beruflich zu tun haben, verbunden zu fühlen oder ihre
Emotionen und nonverbalen Signale wahrzunehmen.
Führungskräfte stehen vor der Herausforderung, ihre Mitarbeiter zu verstehen und zu
wissen, wie die Menschen denken, aber nicht alle Führungskräfte wissen, wie sie mit
allen effektiv umgehen können. Emotional intelligente Führung ist eine Fähigkeit, die
für jede Führungskraft notwendig ist, um in einer Organisation erfolgreich zu sein. Die-
jenigen von uns, die in Funktionen tätig sind, in denen wir Einfluss auf die Einstellung,
Bindung und Entlassung von Mitarbeitern haben, müssen ihre emotionale Intelligenz
besonders trainieren.
Empathie und emotionale Intelligenz sind Grundlagen von Innovation und wichtige
Treiber für unsere Zukunftsfähigkeit. Wenn wir empathisch zuhören, wenn wir uns in
unsere Zielgruppen, ihre Bedürfnisse, ihre Herausforderungen hineinversetzen, können
wir echte Innovation schaffen. Wenn wir empathisch mit unseren Mitmenschen und
Kolleg*innen umgehen, wenn wir versuchen, uns in sie einzufühlen, wenn wir die
(Arbeits-)Welt aus ihrer Perspektive sehen, können wir viele Dinge lernen, über den
Tellerrand und dadurch mit mehr Weitblick in die Zukunft schauen.

Literatur

McKinsey: ‘Great Attrition’ or ‘Great Attraction’? The choice is yours. https://www.mckinsey.


com/capabilities/people-and-organizational-performance/our-insights/great-attrition-or-great-
attraction-the-choice-is-yours (2021). Zugegriffen: 07.02.2023.
Goleman, D.: Emotional Intelligence – Why it can matter more than IQ, Random House
Publishing Group, New York (2012).

Magdalena Rogl, Diversity & Inclusion Lead Microsoft Deutschland, Autorin, München.
Magdalena Rogl arbeitet seit 2016 bei Microsoft Deutschland. Ihr kontinuierliches Engagement
für Gleichberechtigung, Inklusion und Vielfalt wurde 2021 als Diversity & Inclusion Lead zu
ihrer Hauptaufgabe im Unternehmen. Für ihren außergewöhnlichen Karriereweg von der Kinder-
pflegerin in die Digitalbranche wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Rogl ist Wertebotschafterin für
die gemeinnützige Bildungsinitiative GermanDream und Rolemodel bei BayFid, dem Nachwuchs-
förderungsprogramm des Bayerischen Staatsministeriums für Digitales. Im Oktober 2022 erschien
ihr erstes Buch „MitGefühl – Warum Emotionen im Job unverzichtbar sind“.
Diversity und Antidiskriminierung als
Faktoren erfolgreicher Führung?!

Isabel Collien

Zusammenfassung

Diversity und Führung – das bedeutet im öffentlichen Diskurs vor allem eine Aus-
einandersetzung damit, wie der Anteil an Frauen in Führungspositionen erhöht
werden kann. Weiterhin wird diskutiert, wie altersgemischte und international viel-
fältige Teams erfolgreich gemanagt werden können. Kaum diskutiert wird, wie
eine konkrete Umsetzung im Alltag von Führungskräften genau aussehen kann. In
diesem Beitrag reflektiere ich vor dem Hintergrund von wissenschaftlichen Studien
und meinen eigenen Erfahrungen als Führungskraft, wie eine vielfaltsoffene und
diskriminierungskritische Führung in der Öffentlichen Verwaltung aussehen kann.
Die angesprochenen Themen reichen von Wahrnehmungsverzerrungen bei der
Stärkenbeurteilung über Strategien des Teilens von Ressourcen (Power Sharing) bis
hin zum Umgang mit den eigenen Emotionen im Kontext von Diskriminierungs-
themen.

Schlüsselwörter

Führung · Diversity · Diskriminierung · Verwaltung · New Work · Rollen

I. Collien ( )
Freie und Hansestadt Hamburg, Hamburg, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 161
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_12
162 I. Collien

1 Einleitung

Mit dem Thema Führung und Diversity werden im öffentlichen Diskurs insbesondere
zwei Themen verbunden: mehr Frauen in Führungspositionen sowie altersgemischte und
international vielfältige Teams erfolgreich führen. Abstrahiert man von diesen konkreten
Themen, so ergeben sich daraus zwei Zielstellungen für die Öffentliche Verwaltung.
Zum einen sollen neben der gesamten Belegschaft auch die Chef(!)etagen vielfältiger
in Hinblick auf Geschlecht, soziale Herkunft oder Rassismuserfahrungen werden. Zum
anderen sollen Teams aus Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven bestehen und
gleichzeitig so gemanagt werden, dass jede Person für sich und alle gemeinsam erfolg-
reich agieren können.
Führungskräften kommt beim Erreichen dieser Ziele eine Schlüsselrolle zu. Doch
während viel über die Ziele gesprochen wird, ist es um konkrete Handlungsmöglich-
keiten für den Alltag als Führungskraft vergleichsweise ruhig. So musste ich mir als
Führungskraft aus einzelnen Ideen und Ansätzen mit Kolleg*innen selbst zusammen-
stückeln, wie Wertschätzung von Vielfalt, Gleichberechtigung und Antidiskriminierung
im Führungs- und Teamalltag gelebt werden können.
In diesem Beitrag teile ich daher meine Erkenntnisse zum Thema Führung und
Diversity/Antidiskriminierung – in der Hoffnung, dass sie andere inspirieren und eine
intensivere Debatte über die Möglichkeiten und Grenzen im Verwaltungsalltag anregen.
Am Ende zeigt sich (hoffentlich): diversitätsbewusste bzw. diskriminierungskritische
Führung1 ist eine lange Reise, aber sie ist es definitiv wert!

2 Fünf Führungsrollen gegen den Diversity-Strich gebürstet

Es gibt nicht das eine Modell zu den Rollen einer Führungskraft, sondern eine Vielzahl
an Artikeln und Studien zum Thema. Während Erwartungen an Führungskräfte immer
schon vielschichtig waren, nimmt die Komplexität in den letzten Jahren auch in der
öffentlichen Verwaltung stetig zu – nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Debatten um
Agilität, Digitalisierung und Diversity Management. Führung ist folglich „eine multi-
dimensionale Aufgabe“2.

1 Ich vertrete einen menschenrechtsorientierten Diversity-Ansatz. Das heißt, eine Auseinander-

setzung mit Diskriminierung und Machtverhältnissen ist für mich selbstverständlicher Teil eines
produktiven Umgangs mit Vielfalt im Arbeitskontext. Dazu zählt auch zu hinterfragen, zu welchem
Zweck es bestimmte Diversity-Kategorien (z. B. Menschen mit Migrationshintergrund oder
Behinderung) gibt und wie diese benutzt werden, um Menschen unterschiedliche Rechte in unserer
Gesellschaft zuzuschreiben.
2 Jachtchenko (2020: 7).
Diversity und Antidiskriminierung als … 163

Um meinen Beitrag möglichst eng mit der Praxisebene in der Öffentlichen Ver-
waltung zu verzahnen, greife ich bei der Betrachtung von Führungsrollen im Kontext
Diversity/Antidiskriminierung auf bestehende Einteilungen in der Verwaltung zurück.
Konkret verwende ich das neue Führungsleitbild der Hamburger Verwaltung3 aus dem
Jahr 2022 und reflektiere, was die jeweiligen Rollen diskriminierungskritisch und
diversitätsbewusst gelesen bedeuten können.
Bevor ich in fünf Abschnitten die fünf Führungsrollen gegen den Diversity-Strich
bürste, noch ein wichtiger Hinweis. Auch Führungskräfte sind keine homogene Masse,
sondern im Alltag häufig ebenfalls von Stereotypen und Diskriminierung betroffen – die
wiederum ihre Handlungsmöglichkeiten beeinflussen.
Je nach sichtbaren und unsichtbaren Differenzlinien4 (oder auch Diversity-
Merkmalen) begegnen Personen in Leitungspositionen unterschiedlichen Erwartungen
der Umwelt. So werden Männern nach wie vor eher Führungseigenschaften wie Durch-
setzungsstärke oder Entscheidungsfreudigkeit zugeschrieben.5 Dieses Phänomen wird
als „think manager – think male“ bezeichnet. Weibliche Führungskräfte sind dagegen
mit dem Backlash-Effekt konfrontiert. Zeigen sie männlich konnotierte Verhaltens-
weisen wie Dominanz, weichen sie von ihrer erwarteten Geschlechterrolle als Frau
ab und werden negativer beurteilt als vergleichbar agierende männliche Führungs-
kräfte.6 Gleichzeitig gelten Frauen in Führung schnell als inkompetent, wenn sie zu
viele weibliche Eigenschaften wie Fürsorge für andere in ihrer Führungsrolle ausleben.
Auch abhängig vom Alter, sexueller Orientierung oder Hautfarbe variieren stereo-
type Erwartungen an Führungskräfte. So werden Schwarze Frauen beispielsweise als
wütender und aggressiver wahrgenommen als weiße Frauen, was dazu führen kann, dass
ihr Verhalten schneller als Überreaktion gewertet wird.7

3 Das Führungsleitbild der Hamburger Verwaltung definiert fünf Führungsrollen und beschreibt
die Führungskraft unter anderem als Coach, Strateg*in, Vorbild, Vernetzer*in oder Innovator*in.
Im Sinne eines Leitbilds bietet das Führungsleitbild Orientierung und will eher Impulse setzen als
akribisch konkrete Umsetzungsschritte vorzuschreiben. Das Führungsleitbild ist bisher nicht für
Personen außerhalb der Hamburger Verwaltung online abrufbar.
4 Der Begriff der Differenzlinien verweist darauf, dass Unterscheidungen zwischen Menschen

gesellschaftlich erst zu Unterschieden gemacht und mit Bedeutung versehen werden. So entstehen
Ausländer erst dadurch, dass wir in Gesetzen und Diskursen definieren, wer zu dieser Menschen-
gruppe zählt und welche Rechte sie – im Vergleich zu Inländern oder Deutschen – haben. Im
Alltag machen wir uns dieses Gewordensein von Differenzlinien (und damit auch von Diversity-
Kategorien) zumeist nicht bewusst, wodurch gesellschaftlich hervorgebrachte Differenzen als
natürlich erscheinen (vgl. Scholle und Bergold-Caldwell 2013).
5 Vgl. Salwender und Schöl (2019).

6 Vgl. Vollmer (2015).

7 Vgl. Brescoll (2016).


164 I. Collien

2.1 Die Führungskraft als reflektiertes Vorbild: Bias,


Positionierung und Emotionen

Als Führungskräfte sind wir Vorbild für andere und tragen daher die Verantwortung
Selbstreflexion, erwünschtes Verhalten und angestrebte Werte im Arbeitsalltag vor-
zuleben. Dazu gehören auch Werte wie Vielfaltsoffenheit, Fehlerfreundlichkeit oder
Nichtdiskriminierung. Toleriert eine Führungskraft beispielsweise anzügliche Sprüche
unter Beschäftigten oder ist selbst Teil davon, so normalisiert sie Würde verletzendes,
diskriminierendes Verhalten. Umgekehrt verhält es sich, wenn eine Führungskraft
klare Grenzen bei menschenverachtendem, entwürdigendem Verhalten setzt (Null-
Toleranz-Strategie). Dadurch sendet die Führungskraft indirekt auch das Signal, dass
zur Beförderungswürdigkeit auch ein reflektierter und sensibler Umgang mit Dis-
kriminierung und Diversity vorausgesetzt wird.
Um im Sinne von Diversity und Antidiskriminierung ein reflektiertes Vorbild sein zu
können, bedürfen Führungskräfte einer grundlegenden Sensibilität für diese Themen.
Insbesondere drei Aspekte sind hier relevant:

Umgang mit unbewussten Vorurteilen: Führungskräfte sollten lernen, unbewusste Vor-


urteile, die das eigene Handeln beeinflussen, zu erkennen und zu verändern. Solche
unbewussten Vorurteile werden auch als unconscious bias bezeichnet.
Positionierungsreflexion: Weiterhin sollten Führungskräfte sich bewusst machen, wie
sie selbst von Diskriminierung betroffen sind (oder eben auch nicht) und wie diese
Welterfahrung ihre eigene Wahrnehmung prägt.
Ausbau von Antidiskriminierungswissen: Schließlich sollten Führungskräfte über ein
Verständnis verfügen, wie sich Stereotype und Diskriminierung im Arbeitskontext auf
Mitarbeitende und Kund*innen auswirken, wie sie Betroffene unterstützen können,
wie Diskriminierung sich über Jahrhunderte verändert hat und wie sie selbst zum
Abbau von Diskriminierung beitragen können.

Trainings sind ein guter erster Startpunkt, um sich den genannten Themen anzunähern.
In Anti-Bias-Workshops lernen Führungskräfte beispielsweise, welche Vorurteile und
Stereotype es gibt und wie sie diese verinnerlicht haben. Der Anti-Bias-Ansatz geht
davon aus, dass alle Menschen (unbewusste) Vorurteile haben. Im Kern geht es daher
um das Entwickeln einer vorurteilsbewussten Haltung, das heißt darum, die eigenen Vor-
urteile zu erkennen, um diese verändern zu können – oder auch kurz: „Ertappen und
umschalten!“, wie die Psychologin Stefanie Stahl ihre Strategie zur Veränderung tief-
sitzender Überzeugungen nennt. Gerade vor dem Hintergrund, dass unbewusste Vor-
urteile Einstellungs- und Beförderungsentscheidungen beeinflussen können8, ist ein

8 Vgl. Kersting und Ott (2016).


Diversity und Antidiskriminierung als … 165

bewusster Umgang mit Vorurteilen bei Führungskräften unabdingbar für gutes Personal-
management.
Führungskräfte sollten sich weiterhin bewusst machen, welche Diversitäts-
dimensionen sie (für andere) verkörpern. Hier kann es hilfreich sein sich zu fragen: Mit
welchen Vorurteilen muss ich selbst im Arbeitsalltag umgehen? Welche stereotypen
Erwartungen haben andere an mich? Wovon bin ich nicht betroffen? Wie gehe ich damit
um, wenn ich eine Situation nicht nachempfinden kann, weil ich sie selbst nicht erlebe?
Wie kann ich hier dennoch empathisch und verlässlich agieren? Und wie profitiere ich
in meiner Karriere vielleicht indirekt davon, dass anderen Mitarbeitenden Führungs-
positionen aufgrund von Stereotypen eher nicht zugetraut werden?
Insbesondere die letzte Frage berührt das unangenehme und politisch polarisierende
Thema der Privilegien. Einfach gesagt sind Privilegien Vorteile, die ich in einer
bestimmten Situation habe, ohne etwas dafür tun zu müssen. Diese Vorteile sind den
meisten Menschen zunächst nicht bewusst, denn Privilegien basieren nur noch selten auf
einer direkten Bevorzugung (z. B. von Männern durch den Ausschluss von Frauen vom
allgemeinen Wahlrecht bis 1918).
Privilegien bestehen zumeist darin, bestimmte Erfahrungen des Ausschlusses, der
Erniedrigung oder Stigmatisierung nicht machen zu müssen – und damit auch nicht vom
sogenannten Minoritätenstress9 betroffen zu sein. Also, sich beispielsweise nicht die
Frage stellen zu müssen, ob es für die Beförderung einen Unterschied machen könnte,
wenn die Chefin weiß, dass ich schwul bin – sondern selbstverständlich beim Mittags-
tisch von der eigenen (heterosexuellen) Familie zu erzählen.
Neben der kognitiven Beschäftigung mit Diskriminierung ist es für uns als Führungs-
kräfte wichtig uns mit den damit verbundenen Emotionen zu befassen. Dazu ein Bei-
spiel aus einem meiner Organisationsentwicklungsworkshops, die ich nebenberuflich
durchführe: Immer wieder mache ich in Workshops – ebenso wie im Arbeitsumfeld – die
Erfahrung, dass sich Führungskräfte wie Mitarbeitende für ihre Privilegien schämen. Sie
schämen sich beispielsweise dafür „so normal mit Kleinfamilie und Reihenhaus“, „ein
älterer weißer Mann“ oder „eine gut gebildete Person mit deutschem Pass“ zu sein –
oder als solche bezeichnet zu werden. Die Scham kann bisweilen auch in Wut oder Frust
darüber umschlagen, nicht in der ganzen Komplexität als Mensch gesehen zu werden.
Das Problem dabei ist, dass aus einem Gefühl der Scham heraus häufig eher Abwehr
als Reaktion auf Diskriminierung am Arbeitsplatz entsteht als ein vorwärts gerichteter

9 Minoritätenstressist ein Phänomen, welches besonders im Kontext von Homo- und Transfeind-
lichkeit herangezogen wird, um das signifikant höhere Risiko für eine psychische Erkrankung
bei Lesben, Schwulen, trans-, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen zu erklären. All-
gemein bedeutet Minoritätenstress den täglichen, belastenden Umgang mit tatsächlichen oder
befürchteten negativen sozialen Reaktionen (von Benachteiligung bis hin zu Gewalt) auf die
eigene sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität, Migrationshintergrund, etc. (vgl. Plöderl 2012:
280).
166 I. Collien

Lernprozess oder ein Zuwenden zu denjenigen, die von Diskriminierung betroffen sind
(und diese auch benennen).10
Um als Führungskraft verlässlich und vertrauensvoll zu agieren, bedarf es daher
auch Emotionsarbeit und einer Blickumkehr. So versuche ich in meinen Workshops eine
andere Sichtweise auf Privilegien zu etablieren. Denn: Privilegien zu haben bedeutet
häufig weniger belastet durch die Welt zu gehen und potenziell mehr Energie frei zu
haben. Statt sich also für Privilegien zu schämen, versuche ich den Teilnehmenden zu
vermitteln, dass sie froh sein können, bestimmte Erfahrungen nicht machen zu müssen.
Sie können stattdessen ihre Energie und ihren Einfluss nutzen, um Diskriminierung
abzubauen, damit auch andere mehr Kraft und Energie im Alltag zur Verfügung haben.

2.2 Die Führungskraft als Coach und Talentmanager*in: Stärken,


Erfolgsmessung und Aufstiegsförderung

Im heutigen Diskurs um Führung wird von Führungskräften erwartet Mitarbeitende


nicht von oben zu steuern, sondern eher als Coach zu begleiten und zu motivieren. Zur
Rolle der Führungskraft als „neutraler“ Coach gibt es viele kritische Stimmen11, denn
Führungskräfte seien „zu sehr inhaltlich beteiligt, zu wenig objektiv, zu sehr interessiert
an bestimmten Arbeitsergebnissen“12. Versteht man Coaching jedoch als „Arbeit an und
in Beziehungen“13, so ist diese Rolle sowohl vor dem Hintergrund der Kommunikations-
theorie als auch einer diskriminierungskritischen Haltung bedeutsam.
So macht das kommunikationstheoretische Eisberg Modell nach Watzlawick deutlich,
dass der überwiegende Teil der Kommunikation auf der (non)verbalen, häufig unsicht-
baren Beziehungsebene abläuft, während die gut wahrnehmbare Sachebene der Zahlen,
Daten und Fakten nur einen kleinen Teil ausmache. Umso fataler ist es, wenn diese
Beziehungsebene durch mangelnde Sensibilität bis hin zu absichtlicher Diskriminierung
gestört wird. Fehlendes Verständnis für spezifische Lebensrealitäten (z. B. von trans-
geschlechtlichen Mitarbeitenden), unsensible Sprüche (z. B. über Ostdeutsche) oder
schlicht direkte Beleidigungen, Belästigungen und Gewalt führen zu solchen Störungen.
Diese können wiederum in Gefühlen des Nicht-Dazugehörens oder des Sich-Ent-
fremdens und schließlich auch in psychischer Belastung und geringerer Leistungsfähig-
keit münden (Minoritätenstress).
Erfahrungen der Stereotypisierung oder des Andersseins im eigenen Team verhindern,
dass grundlegende zwischenmenschliche Bedürfnisse, wie Sicherheit, Zugehörigkeit,

10 Vgl. Ruff (2021).


11 Vgl. Lange und Webers (2020).
12 Bartlakowski (2016: 475).

13 Ebd.
Diversity und Antidiskriminierung als … 167

Autonomie oder ein fairer Umgang14, erfüllt werden. Für die Rolle der Führungskraft
als Coach ist es folglich wichtig, Störungen auf der Beziehungsebene, die aus Dis-
kriminierungserfahrungen resultieren, wahrzunehmen, ernst zu nehmen und besprechbar
zu machen. Dabei geht es zunächst darum, den Raum zu eröffnen, damit Mitarbeitende
ihre Perspektive und ihre – teils schmerzhaften Erfahrungen – teilen können, sofern sie
dies wollen. Empathisches Zuhören ist hier entscheidend, denn viele der Erfahrungen
machen Führungskräfte selbst nicht oder nur bedingt. Als weiße Person mache ich
keine Rassismuserfahrungen im Arbeitskontext. Ich weiß folglich nicht, wie es ist, als
asiatisch gelesene Person während der Corona-Krise von Kund*innen auf einmal schief
angeschaut zu werden oder wie es ist, als Person mit russischem Migrationshintergrund
sich permanent zum Ukraine-Krieg verhalten zu müssen, obwohl ich in Deutschland auf-
gewachsen bin.
Neben dem Zuhören ist es wichtig – ganz im Sinne eines Coachings – zu fragen,
was der*die Mitarbeitende braucht. Wird dabei die Führungskraft in ihren Handlungs-
möglichkeiten adressiert, sollten hier eine reflektierte Einschätzung vorgenommen
werden, um nicht aus einem Impuls des Retten-Wollens Versprechungen zu machen, die
eventuell nicht eingehalten werden können. Solche Reaktionen, die in der Literatur auch
als „White Saviour Complex“15 bezeichnet werden, habe ich in Bezug auf Rassismus
sowohl an mir als auch an Kolleg*innen beobachten können. Dabei treibt eher das eigene
Bedürfnis danach, selbst nicht als rassistisch zu gelten und sich damit von anderen
weißen Personen zu unterscheiden, die Handlungen an als die tatsächliche Unterstützung
der von Diskriminierung betroffenen Person.
In der Rolle als Talentmanager*in gilt es, die Ressourcen und Stärken der Mit-
arbeitenden zu erkennen und diese zu (be)fördern. Klassischerweise wird gemeinsam
ausgelotet, welche Weiterentwicklungswünsche und -perspektiven es gibt und welche
Stärken die jeweilige Partei wahrnimmt. Stereotype beeinflussen bisweilen die Wahr-
nehmung von Stärken und Kompetenzen, weshalb hier für Führungskräfte ein
Perspektivwechsel gewinnbringend sein kann: So kann ich es sowohl als Ressource als
auch als störend einstufen, wenn eine Mitarbeitende mit Schwerbehinderung wiederholt
darauf aufmerksam macht, dass die Arbeitsbelastung zu hoch sei und ihre Gesundheit
leide. Anstatt die Mitarbeitende vorschnell als weniger leistungsfähig abzustempeln,
können wir es uns als Führungskräfte vergegenwärtigen, dass benachteiligte Personen
häufig ein guter Gradmesser dafür sind, was grundlegend in unserer Organisation schief-
läuft. Meistens ist die Arbeitsbelastung an sich viel zu hoch – nur andere Mitarbeitende
haben (noch) nicht gelernt ausreichend auf ihre Gesundheit zu achten und schweigen
daher. Hier liegt der Fehler meist im System und nicht bei den einzelnen Mitarbeitenden.

14 Vgl. ebd.
15 Siehe dazu u. a. Nasir und Abdullah (2021).
168 I. Collien

Als Führungskräfte sollten wir uns beim Thema Talentförderung auch fragen, welche
Beiträge der Mitarbeitenden wir als Erfolg werten und sichtbar machen. Ein Beispiel
aus einem meiner Diversity-Workshops: Im Verkaufsbereich einer großen Organisation
hatte der Chef eine Klingel installiert, die hörbar Verkaufserfolge vermelden ließ. Andere
Aktivitäten hatten keine vergleichbare Möglichkeit der Sichtbarmachung. So wurde die
Beteiligung an einer Arbeitsgruppe, um eine inklusivere Umgebung für Kund*innen
zu schaffen, zwar gutgeheißen, aber der daraus resultierende Leitfaden nicht als Erfolg
gefeiert. Hier zeigt sich wieder die unbewusste und zumeist unbeabsichtigte Logik, dass
eine Auseinandersetzung mit Diversity und Antidiskriminierung eher als Nice-to-have
denn als Teil des Kerngeschäfts gesehen wird.

2.3 Die Führungskraft als Vernetzer*in: Silodenken, Expertise


und Powersharing

Die Führungskraft als Vernetzer*in kann sowohl Brücken zu einzelnen Personen als
auch zu Gruppen im Sinne von größeren Netzwerken bauen. Aus Diversity-Perspektive
sind Netzwerke besonders fruchtbar, um Themen aus unterschiedlichen Perspektiven zu
reflektieren und sich externe Expertise zu Vorhaben einzuholen. Führungskräfte haben
qua Position mehr Zugang zu bestehenden Netzwerken bzw. haben sie oft die Autorität
fehlende Netzwerke einzurichten. Damit senden sie nach innen in die Verwaltung hinein
wichtige Signale, dass Kooperation und Zusammenarbeit über Fachressorts hinweg
erwünscht ist.
Wie in den meisten großen Organisationen, so ist auch in der Öffentlichen Verwaltung
das Silodenken mitunter (noch) stark ausgeprägt. Es bedarf hier des aktiven Aufbaus
von Vernetzungsplattformen, in denen Perspektivenvielfalt wertgeschätzt, Expertisen
anerkannt und Differenzen konstruktiv verhandelt werden. Diversitätsorientierte
Kooperationsformen fallen nicht einfach vom Himmel, sondern müssen kollektiv gelernt
werden. Führungskräfte können den Rahmen für solche Kooperationen gestalten,
Erwartungen für Räume setzen und auch hier mit gutem Beispiel vorangehen.
Aufgrund ihrer Position in der Hierarchie haben Führungskräfte häufiger Zugang
zu wichtigen Gremien oder Leitungspersonen, also zu Sichtbarkeits- und Vernetzungs-
kanälen. Gerade für Beförderungen ist es bedeutsam, dass Mitarbeitende nicht nur in
den Köpfen der eigene Führungsperson, sondern auch in anderen Köpfen als kompetent
präsent sind. Hierzu können Führungskräfte (gemeinsam mit den Mitarbeitenden)
reflektieren, welche Plattformen und Vernetzungskontexte es gibt und wie hier Mit-
arbeitende einbezogen werden können. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen,
dass die Hauptpräsentation vor wichtigen Stakeholdern nicht durch die Leitungsperson,
sondern durch eine Mitarbeitende erfolgt oder Nachfragen zuerst von dieser beantwortet
werden.
Solche Strategien des produktiven und bewussten Umgangs mit der eigenen Macht-
position und den Privilegien als Führungskraft wird auch Powersharing genannt. „Der
Diversity und Antidiskriminierung als … 169

Ansatz des Powersharing richtet sich an all diejenigen, die strukturell privilegiert sind
und ein politisches Interesse daran haben, diese Strukturen hin zu einer gerechteren
Verteilung von Macht, Zugängen, Lebens- und Beteiligungschancen zu ver-
schieben.“16
Eine weitere Strategie des Powersharings ist die des Sponsorships.17 Führungskräfte
können hier gezielt den Scheinwerfer auf die Kompetenzen bestimmter Mitarbeitender
richten. Auf Social Media-Plattformen wie LinkedIn lässt sich diese Strategie sehr gut
beobachten, wenn einflussreiche Personen andere offensiv promoten. Insbesondere
Frauen oder auch People of Color wenden die Strategie an, um anderen benachteiligten
Gruppen Sichtbarkeit zu verschaffen. In der Wahrnehmung anderer wirkt sich
Sponsorship auch positiv auf die Person aus, die ihre Plattform zur Verfügung stellt.

Powersharing
Powersharing kann unter anderem aus folgenden Aspekten bestehen:

Anderen den Vortritt lassen


(Mit)Entscheiden lassen
Vermittlung von Kontakten zu relevanten Positionen/Institutionen
Schaffen von Beteiligungsmöglichkeiten
Infrastruktur teilen

2.4 Die Führungskraft als Change Manager*in und Innovator*in:


Zukunftsthemen und Reflexionsräume

Führungskräfte in der Verwaltung sind diejenigen, die Zukunftsthemen identifizieren und


Prozesse des Wandels begleiten sollen. Viele der Aufträge im Rahmen von Zukunfts-
themen werden dabei durch Politik und Zivilgesellschaft an die Verwaltung heran-
getragen und sind in Form von gesetzlichen Vorgaben, parlamentarischen Aufträgen
und landesweiten Strategien festgehalten. Wenn Führungskräfte Wandel begleiten und
gestalten, treffen sie auf unterschiedliche Reaktionen. Von motivierten Pionier*innen bis
hin zu Skeptiker*innen. Führungskräfte sollten hier nicht einfach all diejenigen bevor-
zugen, die dem Wandel offen gegenüberstehen, sondern auch die Skeptiker*innen hören
und mitnehmen, denn auch ihre vermeintlich bremsende Perspektive kann wertvolle Hin-
weise geben, was bei Wandelprozessen oft übersehen wird.
Beispielsweise werden im Rahmen der Digitalisierung häufig Antidiskriminierungs-
und Barrierefreiheitsthemen erst im Nachhinein als Add-on dazu gedacht, statt diese

16 Vgl. Nassir-Shahnian (2020: 29).


17 Vgl. Mobley (2019).
170 I. Collien

Themen systematisch von Anfang an zu integrieren. Gleiches gilt auch für New
Work-Konzepte und hier beispielsweise Open Space-Modelle. Ein Großraumbüro
ohne Rückzugsmöglichkeit kann sich bei neurodiversen Personen, die beispiels-
weise ADHS haben und Umgebungsgeräusche und -aktivitäten schlechter ausblenden
können, schneller negativ auf die Arbeitsleistung auswirken.18 Die widersprüchlichen
Effekten solcher offener Bürostrukturen spüren jedoch alle Mitarbeitenden, da im
Schnitt die Konzentration abnimmt, während Interaktion und Kontrolle zunehmen.19
Auch hier gilt wieder: Benachteiligte Mitarbeitende sind oft eine Art Frühwarnsystem
für Verbesserungsbedarfe im System. Umso wichtiger ist es, als Führungskraft in
Innovations- und Veränderungsprozessen auch Räume zu eröffnen, die eine produktive
Auseinandersetzung über unterschiedliche Positionen hinweg ermöglichen.
Räume, in denen Differenzen ausgehandelt werden, werden auch als „brave spaces“
(Mut-Räume) bezeichnet. Brave spaces sind Orte, an denen wir unsere Verschiedenheit
verhandeln, lernen uns zuzuhören und respektvoll Meinungsunterschiede auszutragen
mit der Intention andere Personen zu verstehen. Als Vorbilder können Führungskräfte
daher Räume schaffen, um über Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu sprechen.
Gerade letzteres ist eine Herausforderung für das gesamte Team. Es empfiehlt sich –
gerade zu Beginn einer Auseinandersetzung mit Diskriminierungsthemen – diese Räume
unter Begleitung geschulter Trainer*innen oder Supervisor*innen zu eröffnen.

Brave space
Der Begriff des „brave space“ kommt eigentlich aus der Bildungsarbeit, ins-
besondere dem Feld der Social Justice. Nach Arao und Clemens (2013) weisen
brave spaces fünf Charakteristika auf:

respektvolle Diskussionskultur (controversy with civility),


Verantwortungsübernahme für Folgen eigener Handlungen (owning intentions
and impacts),
gewählte Herausforderung (challenge by choice),
Respekt (respect) und
keine Angriffe (no attacks).

Denn: Die allermeisten von uns haben nicht gelernt über Diskriminierung über ver-
schiedene Diversity-Merkmale hinweg zu sprechen. In einem solchen Prozess werden
wir einander notwendigerweise verletzten und enttäuschen, daher bedarf es geschulter
Personen, die im Zweifel Dynamiken unterbrechen und Perspektivwechsel vornehmen.

18 Vgl. Ammann (2014).


19 Vgl. Lütke Lanfer und Becker (2020).
Diversity und Antidiskriminierung als … 171

Denn: Auch im Arbeitskontext verhandeln wir Diversity-Themen vor dem Hinter-


grund einer extrem polarisierten gesellschaftlichen Debatte, die ein offenes, wert-
freies Begegnen auf Augenhöhe erschwert. Worte wie Privilegien oder Gendern lösen
reflexartige Abwehrreaktionen aus. Oftmals kommen wir dann gar nicht mehr dahin,
individuell wie kollektiv wirklich darüber nachzudenken und eine Haltung zu ent-
wickeln.
Im Gegensatz zu brave spaces sind safe spaces Orte des Empowerments in
Organisationen, die wichtig sein können, damit marginalisierte Menschen sich ihrer
gemeinsamen Erfahrungen vergewissern und aus der geteilten Erfahrung Kraft schöpfen
können. Es sind Orte, an denen die eigene Wahrnehmung nicht infrage gestellt wird und
an denen Strategien zum Umgang mit benachteiligenden Strukturen geteilt werden. Es
können Räume sein, in denen lesbische oder schwule Mitarbeitende teilen, dass sie eben
nicht ihr ganzes authentisches Selbst zur Arbeit bringen können, wie so oft im Kontext
von New Work gefordert. Das Risiko sich zu zeigen ist für Menschen, die nicht in
klassische Rollenbilder passen, ungleich höher – besonders in Führungspositionen.20 Im
Kontext von Veränderungsprozessen, die gerne mal mit neuen Wertevorstellungen ein-
hergehen, sollten proklamierte Werte daher kritisch auf Diskriminierungspotenziale hin
geprüft werden. Ist Authentizität wirklich für alle lebbar? Und ist das wirklich ein Wert,
den wir anstreben wollen? Oder ist es eher der Anspruch, dass wir eine Arbeitsumgebung
schaffen, in der Mitarbeitende teilen können, aber nicht müssen?

2.5 Die Führungskraft als Strateg*in und Umsetzer*in:


Prioritäten, Zieldefinition und Partizipation

Führungskräfte sind wichtige Schlüsselfiguren in Strategieprozessen. Gleichzeitig


sollte die Entwicklung von Leitbildern und Strategien kein reiner Topdown-Prozess
sein, sondern unterschiedliche Organisationsebenen und damit Perspektivenvielfalt und
Praxisnähe einbeziehen, um wirksam zu werden.21 Führungskräfte können die Rahmen-
bedingungen schaffen, um die notwendige Partizipation zu ermöglichen.
Partizipative Führung, die Perspektivenvielfalt wertschätzt und den Mitarbeitenden
größere Entscheidungsspielräume ermöglicht, ist gleichsam eine diversitätsorientierte
Führung. Dabei ist zu beachten, dass hier oft ein Gewöhnungsprozess stattfinden muss.
Mitarbeitende scheuen sich mitunter davor selbstständig zu entscheiden, da sie fürchten
im Falle von Fehlern „bestraft“ zu werden. Es bedarf gegebenenfalls eines Übergangs-

20 Der Studie „Out im Office“ zufolge sprechen vier von zehn Führungskräften mit den Mit-
arbeitenden über die eigenen sexuelle Orientierung, während rund ein Viertel mit niemandem
darüber spricht. Bei transgeschlechtlichen Führungskräften spricht etwa die Hälfte der Führungs-
kräfte am Arbeitsplatz nicht offen über ihre Geschlechtsidentität. (vgl. Frohn et al. 2017).
21 Vgl. Krechel-Mohr (2016).
172 I. Collien

prozesses in dem schrittweise die Entscheidungsspielräume ausgeweitet werden – und


einer ernstgemeinten statt einer rhetorischen Innovations- und Fehlerkultur in der
Öffentlichen Verwaltung.22
Führungskräfte setzen den Erwartungsrahmen an die Mitarbeitenden und beurteilen,
ob die gesteckten Ziele erreicht werden. Daher ist es essenziell, dass Führungs-
kräfte in der Verwaltung entsprechende Strategien und Ziele kennen, um sie auf ihren
konkreten Arbeitsbereich herunterzubrechen und mit spezifischen, messbaren Zielen
und Maßnahmen zu versehen. Beim Thema Antidiskriminierung und Diversity kommt
der Führungskraft dabei einerseits die Rolle zu, existierende Leitbilder und Strategien
(z. B. Diversity- oder Antidiskriminierungsstrategie) als wichtige, handlungsleitende
Aspekte an die Mitarbeitenden zu vermitteln. Wenn Führungskräfte die Haltung haben,
dass Diversity Management ein Nice-to-Have darstellt und mit dem Kerngeschäft nichts
zu tun hat, dann vermitteln sie diese Haltung auch an ihre Mitarbeitenden. Antidis-
kriminierung und Vielfaltsförderung werden dann eher sporadisch als systematisch im
Querschnitt mitgedacht.
Der Führungskraft kommt als Umsetzer*in eine große Verantwortung für die Ziel-
setzung und -erreichung zu. Dabei werden innerhalb der Verwaltung die Ziele und
damit verbundenen Aufgaben immer komplexer – bei häufig nicht gleichermaßen
anwachsenden Personalressourcen. So ist es nicht verwunderlich, dass besonders die
mittlere Managementebene – verstärkt noch durch die multiplen Krisen der letzten Jahre
– langsam am Limit ist23. Gleichzeitig haben Führungskräfte einen höheren Möglich-
keitsraum, um die Aufgabenlast zu reduzieren. Arbeit muss auch für Teilzeitkräfte mit
Betreuungsaufgaben und Menschen mit Schwerbehinderung zu bewältigen sein, die
keine unendlichen Überstunden machen können. Führungskräfte sollten daher einer-
seits das eigene Gesundheitsverhalten reflektieren, denn ihr Verhalten wird häufig als
Maßstab für andere interpretiert, sodass sich Mitarbeitende, die vielleicht längst über der
Belastungsgrenze sind, nicht trauen, dies zu artikulieren.
Ferner ist ein gemeinsamer Prozess im Team wichtig, um über Grenzen und Bedürf-
nisse wertfrei zu sprechen. Solche Aushandlungsprozesse sind nicht immer leicht. So
kann die Begleitung von chronisch kranken Menschen bereits bei deren Partner*innen
u. a. Gefühle der Wut und des Unverständnisses auslösen, die dringend besprochen
werden müssen, um sich nicht dauerhaft gegen die kranke Person zu richten.24 Ähn-
liche Dynamiken habe ich auch im Arbeitskontext beobachtet, wenngleich es hierzu
keine belastbaren Studien gibt. Kolleg*innen trauen sich nicht mit chronisch kranken
Mitarbeitenden in ein ehrliches Gespräch zu gehen und Leitungspersonen verteilen die
anfallende Arbeit auf diejenigen, die Überstunden leisten können – anstatt nach oben

22 Vgl. Mergel (2019).


23 Vgl. Ärzteblatt (2014).
24 Vgl. Riazuelo (2021).
Diversity und Antidiskriminierung als … 173

zu signalisieren, dass nicht alle Ziele und Aufgaben in vollem Umfang oder einer Top-
Qualität erbracht werden können. Chronisch kranke Personen werden schließlich als
weniger leistungsstark wahrgenommen, was sich – wenn nicht aktiv reflektiert – negativ
auf die Leistungsbeurteilung auswirken kann.
Führungskräfte tragen eine Verantwortung für die Zielerreichung, aber nicht auf
Kosten der eigenen Mitarbeitenden. Prozessoptimierung, Priorisierung und Qualitäts-
management sind drei Möglichkeiten, wie Führungskräfte die Arbeitslast regulieren
können. Gerade Priorisierung ist ein schmerzhafter Prozess, der am Ende aber zu Ent-
lastung führen kann. Und wenn nichts mehr hilft, dann müssen Führungskräfte lernen
Nein zu sagen in einer Umgebung, die bisweilen nicht vielfaltsfreundlich strukturiert ist.
Auch eine gesundheitsverträgliche Arbeitsumgebung ist ein wichtiges Ziel, wenngleich
es dafür nach außen kaum Wertschätzung gibt.

3 Schluss

Diskriminierungskritisch und diversitätsbewusst zu führen ist ein anstrengender Prozess,


der sich vor allem langfristig auszahlt. Führungskräfte sind in der „glücklichen“
Situation qua Position Räume des gegenseitigen Begegnens herzustellen, in denen
Erfahrungen des Ausschlusses, der Unsicherheit und der Diskriminierung geteilt werden
können. Dies geschieht insbesondere unter der Prämisse, dass eine solche Arbeits-
umgebung Mitarbeitende in ihrer Entfaltung fördert, sie motiviert, weil sie sich gesehen
und gehört fühlen und so zu guten Arbeitsleistungen beiträgt. Es geht also nicht darum
eine kuschelige Wohlfühlarbeitsumgebung um ihrer selbst willen zu schaffen, sondern
die Potenziale Mitarbeitender mit unterschiedlichen Lebenslagen bestmöglich für eine
zukunftsfähige Verwaltung zu nutzen.
Gerade wenn wir in Zeiten multipler Krisen nicht unsere Mitarbeitenden auf halber
Strecke mental verlieren oder ausbrennen wollen, dann müssen wir jetzt anfangen
als Führungskräfte Diversity und Antidiskriminierung in unser Rollenverständnis zu
integrieren. Wir sollten uns mit anderen Führungskräften in der Verwaltung darüber aus-
tauschen, wie wir mit schwierigen Situationen umgehen und voneinander lernen können
– und wir sollten dabei auch unsere Emotionen betrachten. Denn sowohl als Führungs-
kräfte als auch als Öffentliche Verwaltung haben wir beim Thema Diversity und Antidis-
kriminierung Vorbildfunktion.

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174 I. Collien

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Diversity und Antidiskriminierung als … 175

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Dr. Isabel Collien, Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke, Hamburg.
Isabel Collien verantwortet seit mehr als zehn Jahren Organisationsentwicklungsprozesse im
öffentlichen Sektor mit Fokus auf Antidiskriminierung, Diversity und Gleichstellung. Sie leitet
aktuell das Referat für Antidiskriminierung und LSBTI* bei der Behörde für Wissenschaft,
Forschung, Gleichstellung und Bezirke in Hamburg. Neben ihrer Berufspraxis forscht und lehrt
sie an der Schnittstelle von kritischen Diversitätsstudien und Organisationsforschung. Sie ver-
öffentlicht in internationalen Fachzeitschriften unter anderem zum Einfluss von Altersstereotypen
auf Altersmanagement, zu kolonialen Kontinuitäten beim Diversity Management oder zu Macht in
Prozessen organisationalen Lernens.
Diversity und New Work

Gabriel Rath

Zusammenfassung

Die Arbeitswelt ist im Wandel. Spätestens seit dem Erscheinen der reichweiten-
starken Apothekenrundschau am 15. November 2020, die das Thema auf der Titelseite
prominent platzierte, ist New Work in der öffentlichen Diskussion der Gesellschaft
angekommen. Und auch wenn vielen Organisationen, die sich mittlerweile intensiv
damit beschäftigen, wie die Zukunft der Arbeit aussehen könnte, gar nicht immer
klar ist, woher der Begriff „New Work“ stammt – die Dringlichkeit, sich damit zu
beschäftigen, ist offenkundig. Treiber wie die Digitalisierung, die Globalisierung
und auch der Fachkräftemangel, der sich bereits vor vielen Jahren ankündigte,
erzwingen heute ein Umdenken. Dazu kommt auch der gesellschaftliche Wandel,
der sich in der Transformation der Arbeitswelt widerspiegelt. Es geht allerdings nicht
nur darum, anders zu arbeiten, sondern gleichzeitig das weiterzuführen, was sich
positiv etabliert hat. Die digitale Transformation der Arbeitswelt, die seit dem Früh-
jahr 2020 in jede Kommune des Landes vordrang, entpuppte sich nach und nach als
kulturelle Transformation, die wiederum auf einer gelebten Diversität fußt. Im Mittel-
punkt steht die Frage, die für den Erfolg ausschlaggebend ist: Wie wollen wir künftig
zusammenarbeiten? Und davon ausgehend: Wie können wir Diversität als Konzept
implementieren, um nachhaltiger und so auch erfolgreicher zu agieren?

G. Rath ( )
Deutscher Sparkassen- und Giroverband, Berlin, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 177
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_13
178 G. Rath

Schlüsselwörter

New Work · Future of Work · Zukunft der Arbeit · Kulturwandel · Diversity

1 Einleitung

Die Arbeitswelt ist im Wandel. Spätestens seit dem Erscheinen der reichweiten-
starken Apothekenrundschau am 15. November 2020, die das Thema auf der Titelseite
prominent platzierte, ist New Work in der öffentlichen Diskussion der Gesellschaft
angekommen. Und auch wenn vielen Organisationen, die sich mittlerweile intensiv
damit beschäftigen, wie die Zukunft der Arbeit aussehen könnte, gar nicht immer klar ist,
woher der Begriff „New Work“ stammt – die Dringlichkeit, sich damit zu beschäftigen,
ist offenkundig. Treiber wie die Digitalisierung, die Globalisierung und auch der Fach-
kräftemangel, der sich bereits vor vielen Jahren ankündigte, erzwingen heute ein
Umdenken. Dazu kommt auch der gesellschaftliche Wandel, der sich in der Trans-
formation der Arbeitswelt widerspiegelt.
Es geht allerdings nicht nur darum, anders zu arbeiten, sondern gleichzeitig das
weiterzuführen, was sich positiv etabliert hat. Die digitale Transformation der Arbeits-
welt, die seit dem Frühjahr 2020 in jede Kommune des Landes vordrang, entpuppte sich
nach und nach als kulturelle Transformation, die wiederum auf einer gelebten Diversität
fußt. Im Mittelpunkt steht die Frage, die für den Erfolg ausschlaggebend ist: Wie wollen
wir künftig zusammenarbeiten? Und davon ausgehend: Wie können wir Diversität als
Konzept implementieren, um nachhaltiger und so auch erfolgreicher zu agieren.

2 Ist das schon New Work oder kann das weg?

„Das Ziel der neuen Arbeit besteht nicht darin, den Menschen von der Arbeit zu befreien,
sondern die Arbeit so zu transformieren, dass sie freie, selbstbestimmte, menschliche Wesen
hervorbringt.“ (Frithjof Bergmann)

Lange wurde es von den Medien bemüht – das Klischee der agil arbeitenden Berlin-
Mitte Startups, die nur 4 Tage die Woche arbeiten und sich halbtags in bunten
Bällebädern aufhalten. Wäre New Work nur etwas für hippe, Latte-Macchiato-
schlürfende-Wissensarbeitende, die sich selbst organisieren? Tatsächlich ist es gar nicht
so einfach den Begriff „New Work“ zu fassen, da er mittlerweile für viele Ausprägungen
der neuen Arbeitswelt herhalten muss. Nicht wenige Unternehmen meinen damit die
mobile Arbeit, die sich während der Corona Zeit etablierte. Wieder andere verweisen auf
neue Organisationsmodelle, einen neuen Fokus auf Eigenverantwortung, einen anderen
Umgang mit dem Thema Gehalt und last but not least die neue Diversität in unseren
Organisationen.
Diversity und New Work 179

Im Kern lassen sich 5 Prinzipien dieses Konzepts herausstellen, die auf den Gründer
der New Work-Beratung Humanfy und Verfasser der New Work-Charta, Markus Väth,
zurückgehen. Er betont die Bedeutung von Freiheit, Selbstverantwortung, Sinn, Ent-
wicklung und sozialer Verantwortung bei der Arbeit (Bußmann 2019). Doch arbeitet
man sich durch die Literatur, kommt man schnell auf weitere Interpretationen, die unter-
schiedliche Aspekte betonen. Ob zum Beispiel die Neuverteilung der Verantwortung
im Zentrum steht, ist höchst umstritten. Das „Harvard Business Manager“-Magazin
fasste die Kritik an dem Begriff zusammen und titelte provokant „Die New Work Lüge“
(Harvard Business Manager 2020). Dabei lohnt sich in der Debatte der Blick zurück auf
den Erfinder und Vordenker der neuen Arbeit: Frithjof Bergmann.

3 Frithjof Bergmann und das Konzept der neuen Arbeit

Der österreichische Sozial-Philosoph und Anthropologe Frithjof Harold Bergmann kam


mit 19 Jahren in die USA, verdiente sein Geld anfangs als Tellerwäscher, Preisboxer
und Hafenarbeiter. Er studierte Philosophie an der Universität Princeton und arbeitete
ab 1958 an der University of Michigan in Ann Arbor, wo er den Lehrstuhl für Philo-
sophie innehatte, später auch für Kulturanthropologie. Er beriet Regierungen, Gewerk-
schaften und Kommunen sowie auch Jugendliche und Obdachlose in Fragen der Zukunft
der Arbeit. Zu den Firmen, die er begleitete, zählte auch Automobilhersteller General
Motors.
Um Kosten zu sparen, wollte man in Flint, Michigan, ein großes Werk schließen
und 5000 Mitarbeitenden kündigen. Frithjof Bergmann nahm diese Krise zum Anlass,
um gemeinsam mit den Verantwortlichen eine neue Idee umzusetzen. Man etablierte
ein neues Teilzeitmodell für die Belegschaft und verhinderte so eine Massenkündigung.
Außerdem gründete man das sogenannte Center for New Work. Hier bekamen die Mit-
arbeitenden nun die Möglichkeit, sich in der frei gewordenen Zeit die Frage zu stellen,
die seitdem als die „New Work-Frage“ bekannt ist: Was willst du wirklich, wirklich tun?
Der neue Fokus auf die Selbstbestimmtheit des Individuums, das sich bewusst mit
der Arbeit als Möglichkeit der Entfaltung auseinandersetze, stand nicht nur im Kontrast
zum bisherigen System, es dauerte auch viele Jahre, bis es sich als Konzept durchsetzte.
Erst in den 2010er Jahren als die Digitalisierung mit neuen Tools der Kollaboration
ein flexibles Arbeiten ermöglichte, kam der Begriff New Work neu auf, gepusht durch
Konferenzen wie die New Work Experience der New Work SE und die mediale Bericht-
erstattung zu den „New Ways of Working“.
Den durchschlagenden Erfolg hatte New Work dann mit dem Einsetzen der Corona-
Krise, die ein dezentrales Zusammenarbeiten erforderte. Die im Frühjahr 2020 von der
Bundesregierung verordnete Homeoffice-Pflicht zwang Organisationen zu einer neuen
Art der Zusammenarbeit, bei der es erstmals mehr um die Ergebnisse ging als um den
Ort, an dem man arbeitete. Im Laufe der Monate erkannten allerdings viele Teams, dass
es bei der digitalen Transformation vor allem um den Kulturwandel geht. Das neue
180 G. Rath

Arbeiten ist nicht nur mit neuen digitalen Werkzeugen, sondern auch mit neuen Fähig-
keiten und einer neuen Haltung verbunden. Organisationen tun also gut daran, sich
lernend mit dem neuen Dreiklang „Skillset, Toolset, Mindset“ zu beschäftigen.
Die weitreichenden Veränderungen in Wirtschaft, Gesellschaft, aber auch Umwelt,
bringen neue Herausforderungen mit sich, denen Organisationen sich stellen müssen,
um zukunftsfähig zu bleiben. Angefangen bei der Frage, wie man dem Fachkräftemangel
begegnet, über die Verantwortung, das Thema Klimawandel anzugehen bis hin zur
Gestaltung der Kultur im Sinne einer gelebten Diversität.

4 Was New Work mit Diversity zu tun hat

New Work gilt heute als menschzentrierte oder auch menschenfreundliche Art der
Zusammenarbeit. In der Vergangenheit war die Arbeitswelt geprägt vom sogenannten
Taylorismus, einem Konzept des amerikanischen Ingenieurs Frederick Taylor. Es beruht
auf dem Prinzip einer Prozesssteuerung von Arbeitsabläufen, die von einem auf Arbeits-
studien gestützten und arbeitsvorbereitenden Management detailliert vorgeschrieben
werden und für die der Begriff Scientific Management geprägt wurde. Mitarbeitende
nannte man folgerichtig humane Ressourcen, die man nach Bedarf hoch- und wieder
runterfahren konnte, um die Maschine bestmöglich am Laufen zu halten. Erst Frithjof
Bergmann betonte den Wert der Individualität und warb für eine neue Perspektive auf
Arbeit, die den Menschen stärken sollte, statt ihn zu schwächen. Die Zusammenarbeit
von Menschen unterschiedlicher Herkunft, mit unterschiedlichem Alter, unterschied-
licher sexueller Orientierung und Religion war nach diesem Modell nicht nur ganz neu
denkbar, sondern wünschenswert. Arbeit sollte nicht mehr ein Business-Theater sein,
bei dem man eine Rolle spielt, um zu gefallen. Arbeit sollte ein Ort sein, in dem das
Menschsein in all seinen Facetten ausdrücklich gefördert würde.
Die Idee, dass Mitarbeitende sich mit ihren Talenten und Stärken einbringen und in
ihrer Unterschiedlichkeit produktiv zusammenarbeiten könnten, leuchtete schon früh
den amerikanischen Tech-Unternehmen wie zum Beispiel Google ein. So repräsentiert
das bunte Logo der von Sergey Brin und Larry Page entwickelten Suchmaschine Google
heute eine Vielfalt, auf die man auch aus wirtschaftlichen Gründen großen Wert legt.
In einer Welt, in der die Firmen triumphierten, die die besten Ideen entwickeln und
dann erfolgreich auf die Straße bringen würden, stellte sich natürlich die Frage: Unter
welchen Bedingungen gelingt Innovation? Tatsächlich gibt es hier einen relevanten
Zusammenhang.
Diversity und New Work 181

5 Diversity als Grundlage für Innovation

Während ein Teil der Organisationen sich lange schwer tat mit dem Thema Diversi-
tät am Arbeitsplatz, auch weil man zusätzliche Spannungen aufgrund der Heterogeni-
tät befürchtete, beschäftigte sich der andere Teil mit den Vorteilen einer inkludierenden
Unternehmenskultur, die auf Vielfalt setzt.
Einer Studie der Boston Consulting Group, die 2016 in 171 Unternehmen aus
Deutschland, Österreich und der Schweiz durchgeführt wurde, zeigte sehr deutlich die
Korrelation zwischen Diversität und Innovationsleistung (Lorenzo et al. 2017). Dabei
stellte sich heraus, dass gerade die Diversität in den Dimensionen „Branchenzugehörig-
keit“, „Herkunftsland“, „Geschlecht“ und „beruflicher Werdegang“ zu mehr Agilität
und einer erhöhten Innovationsleistung führen würden. Hintergrund ist, dass homogene
Teams dazu tendieren sich zu bestätigen und so nicht selten blinde Flecken haben.
Unternehmen mit einer heterogenen Mitarbeiterstruktur hingegen blicken mit unter-
schiedlichen Sichtweisen auf die aktuellen Probleme. Das breitere Spektrum an Fach-
kenntnissen, Erfahrungen und kritischen Urteilen führt zu neuen Ideen und passenden
Lösungen. In einer Welt, in der Kund*innen wechselnde und individuelle Ansprüche
haben, brauchen Organisationen Kreativität und die Fähigkeit, sich innerhalb kurzer Zeit
an neue Umstände anzupassen. Dies können vielfältige Belegschaften besser abbilden.
Dazu kommt, dass Mitarbeitende, die zum Beispiel ihre sexuelle Orientierung nicht
verstecken müssen, befreiter und motivierter an die Arbeit gehen, wie eine Studie der
Stiftung „Prout at Work“ herausfand. Mittlerweile hat sich die Sicht in breiten Teilen der
deutschen Wirtschaft durchgesetzt. So betonte Johannes Richtberg Nohl, Vorsitzender
des Vattenfall LGBT Netzwerks Rainbow Network: „Vattenfall braucht neue Ideen und
unterschiedliche Sichtweisen. Eine Kultur der Vielfalt ist dafür unabdingbar“ (Vattenfall
2019).

6 Diversity braucht ein Diversity Management

Eine diverse und inkludierende Kultur entsteht nicht von allein. Sie muss gestaltet
werden. Es beginnt beim Selbstverständnis, äußert sich dann im Recruiting und
anschließend in der Strukturierung der Arbeitsabläufe. Ein strategisches Diversity
Management kümmert sich zielgerichtet darum, die Vielfalt in der Organisation zu
fördern und auch zu nutzen. Diversity Management beinhaltet aber auch die Beseitigung
von Barrieren und Diskriminierungen sowie die Schaffung von Umgebungen, die für
alle Mitarbeitenden inklusiv sind. Dabei gibt es ein breites Handlungsfeld, angefangen
bei der Beseitigung des Gender Pay Gaps, also der Schaffung fairer Gehälter, über die
Etablierung einer neuen Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben für Menschen in unter-
schiedlichen Lebensphasen bis hin zum Thema Frauen in Führungspositionen. Damit
verbunden geht es auch um die Förderung neuer New Work-Kompetenzen wie Konflikt-
182 G. Rath

lösungskompetenz, Feedback, Teamfähigkeit und Selbstorganisation, die Grundlage für


eine konstruktive Zusammenarbeit sind.
„Gerade den Führungskräften kommt hier mit Blick auf das Diversitätsmanagement
eine gestaltende – transformationale oder inspirierende – Rolle zu. Es gilt, eine
Organisationskultur gemeinsam mit den Beschäftigten zu gestalten, die von Wert-
schätzung und Respekt gegenüber Vielfalt und Unterschiedlichkeit geprägt ist. Es
ist eine Führungsaufgabe, die vielfältigen und unterschiedlichen Kompetenzen der
Mitarbeitenden in jeder Lebensphase zu fördern. Ebenso wichtig ist es daher, auf
unbewusste Denkschubladen – gerne auch Unconscious Bias genannt –, zu achten“, so
Dr. Beatrix Behrens, Bereichsleiterin für Organisationsmanagement an der Hochschule
der Bundesagentur für Arbeit, in ihrem Artikel „Diversität: eine Herausforderung für das
Personalmanagement der Zukunft in der Verwaltung“ (Behrens 2021).

7 Der Unconscious Bias

Die Bezeichnung „Bias“ kommt aus dem Englischen und bedeutet Befangenheit,
Neigung, Vorurteil. Unconscious Bias sind demnach unbewusste kognitive Verzerrungen,
wie zum Beispiel automatische Stereotypen, und andere unbewusste Denkmuster, die
tief verwurzelt sind. Zusammenfassend verstehen wir darunter unsere blinden Flecken,
also unbewusste Vorurteile, die unser alltägliches Verhalten beeinflussen. Sie verein-
fachen den Alltag zwar und reduzieren die Komplexität der permanent fließenden
Informationen. Allerdings gibt es auch eine Schattenseite. Wir tendieren dazu, uns mit
Gleichgesinnten zu umgeben, auch bei der Arbeit.
Die Herausforderung besteht also darin, Vorurteile abzubauen, bevor sie sich ver-
festigt haben. Gerade die Personalabteilung sollte sich beim Recruiting bewusst
machen, wie der Unconscious Bias wirkt, um nicht aufgrund von Sympathie oder Ähn-
lichkeit wertvolle Fähigkeiten zu übersehen. Schon Albert Einstein deutete allerdings
darauf hin, wie hartnäckig sich Vorurteile halten. „Es ist leichter, einen Atomkern zu
spalten als ein Vorurteil.“ Auch die Deutsche Bahn beschäftigt sich seit einigen Jahren
mit diesem Thema. 2016 wurde das erste Mal im Intranet ausführlich über die Ent-
stehung und Wirkung von unbewussten Vorurteilen informiert. Ein Erklärfilm und
e-Postkarten mit Karikaturen über das Verhalten von Vätern in Elternzeit, Frauen,
Menschen mit Behinderung, Menschen mit Migrationshintergrund und älteren Menschen
sollten das Verständnis erhöhen. Speziell für Recruiter*innen und Führungskräfte
wurden Workshops entwickelt, in denen über die Arbeit des Gehirns, die Wirkung von
Gruppendynamiken sowie über konkrete Beispiele von Biases informiert wurde. Da die
Resonanz sehr positiv war, nahm man das Thema als Jahresthema 2020 unter dem Motto
„Mehr sehen. Mehr erkennen. Mehr erreichen.“ nochmals auf. Um Vorurteile abzubauen,
eignen sich Netzwerke als Orte der Begegnung. Diese können sowohl offline als auch
online als Community des sozialen Intranets organisiert werden.
Diversity und New Work 183

8 Die Kraft der Netzwerke

Um diese Themen besprechbar zu machen und den Dialog dazu zu fördern, werden nicht
selten Communitys innerhalb der Organisation gegründet, in denen sich Gleichgesinnte
austauschen können. Im internen sozialen Netzwerk der Telekom, die sich Corporate
Social Responsibility schon vor Jahren auf die Fahnen geschrieben hat, um Gleich-
stellung zu fördern, gibt es zum Beispiel mehrere Communitys, die standortübergreifend
funktionieren.
Dazu gehört auch das LGBT*IQ-Mitarbeiternetzwerk MagentaPride. Seit 2002
setzt man sich dafür ein, Vorurteile abzubauen und bewusst die Vielfalt zu fördern.
„MagentaPride geht zusammen auf Pride Paraden, veranstaltet Diversity Tage und
Workshops. In den vergangenen Jahren war Magenta Pride mit rund 250 Kolleg*innen
auf dem ColognePride vertreten. Mit der Magenta Pride Flagge steht die Telekom für
Akzeptanz, Vielfalt, Chancengleichheit“, schrieb die Telekom-Mitarbeiterin Noelle Krein
im Firmenblog (Krein 2019).

9 Diversity, Equity and Inclusion im Kontext New Work

Neben der oben beschriebenen Diversität als Ausdruck einer neuen Arbeit zählt man
heute die Themen Gleichbehandlung (Inclusion) und Gleichstellung (Equity) grund-
sätzlich dazu. Im Gegensatz zu „one-size-fits-all“ wird jedes Individuum also durch
passende Maßnahmen empowered, gleiche Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten
wahrzunehmen.
Um diese Geschichten des täglichen bunten Miteinanders zu erzählen, rief man bei
der Verwaltung der Landeshauptstadt München ein einzigartiges Projekt ins Leben. Als
Teil einer internen Kommunikationskampagne wurden unter dem Arbeitstitel „Inter-
kulturelles Geschichtenbuch“ zehn städtische Mitarbeiter*innen mit Migrationshinter-
grund porträtiert, jeweils fünf Frauen und Männer mit Wurzeln in Italien, Spanien,
Türkei, Chile, Brasilien, Tunesien, Indien und Japan. Ergänzt wurde die Geschichte eines
Mitarbeiters, der aus dem Münsterland stammte und für die Arbeit bei der Landeshaupt-
stadt nach München gezogen war. Die Geschichten sollten die Vielfalt dokumentieren
und den Kolleg*innen so dabei helfen, sich besser kennenzulernen und somit Vorurteile
und Berührungsängste abzubauen. Das Buch „München arbeitet bunt“ war ein voller
Erfolg, den man sowohl im Intranet als auch auf der Webseite vorstellte (Landeshaupt-
stadt München 2017).
Die amerikanische Aktivistin Verena Myers sagte einmal: „Diversity is being invited
to the party and inclusion is being asked to dance.“ Dieses Zitat unterstreicht die Heraus-
forderungen, denen Organisationen sich stellen. New Work als ein neues, faires und
nachhaltiges Miteinander bei der Arbeit erfordert demnach viel Arbeit an der Kultur und
184 G. Rath

lässt sich nicht kurzfristig erreichen. Umso wichtiger ist es, diese Entwicklung nicht
hinter geschlossenen Türen zu verhandeln, sondern transparent in Richtung der Mit-
arbeitenden, aber auch Kund*innen zu kommunizieren. Auch die BVG, die Berliner
Verkehrsbetriebe, nahmen das Thema auf die Agenda. Getreu dem Motto: „Wir sind
ein Abbild von Berlins Diversität – also bilden wir diese jetzt auch in unseren Bussen
und Bahnen ab“, konzipierte man die „Muster der Vielfalt“. Dabei handelte es sich um
neue Sitzmuster, die aus verschiedenen Silhouetten von echten Menschen bestanden.1
Das Feiern der Vielfalt kommt auch bei Bewerber*innen gut an und wirkt somit auch
proaktiv in Richtung der Arbeitgebermarke, die in Zeiten des Fachkräftemangels noch
wichtiger wird.

10 Die Herausforderung des Fachkräftemangels in der neuen


Arbeitswelt

Kann das implementierte Diversity-Konzept Verwaltungen dabei helfen, den Fachkräfte-


mangel zu meistern? Diese Frage stellte sich das Berliner Startup Truffls im Februar
2020 und fragte in einer Diversitätsstudie 1000 Berufstätige bundesweit. 66 % gaben an,
es sei ihnen wichtig, welche Haltung ihr Arbeitgeber zu Diversity-Fragen hat. Von den
jungen Mitarbeiter*innen zwischen 18 und 29 Jahren waren es sogar 74 % (truffls 2020:
3). Gleichzeitig wurde aber auch ein großer Handlungsbedarf formuliert, gerade hin-
sichtlich der Chancengleichheit für Frauen.
Eine große Chance liegt für Organisationen, die auf der Suche nach Talenten sind,
auch in der Rekrutierung von Arbeitnehmer*innen aus dem Ausland. Sich auf ihren
kulturellen Background einzustellen, bleibt eine Herausforderung, die jedoch durch
interkulturelle Workshops, in denen Mitarbeiter*innen unterschiedlicher Nationalitäten
sich kennenlernen, angegangen werden kann.
New Work bedeutet in diesem Zusammenhang, den Menschen in seiner Einzig-
artigkeit zu sehen und dabei einen größeren Wert auf Lernbereitschaft und intrinsische
Motivation zu legen als auf Zeugnisse, die oft nur eine oberflächliche Bewertung dar-
stellen. Organisationen, die großen Wert auf Vielfalt legen, ihre Kultur inklusiv gestalten
und diese Haltung authentisch nach außen tragen, sprechen so eine Einladung an
Bewerber*innen unterschiedlichen Alters, sozialen Backgrounds, religiöser und sexueller
Vielfalt aus. Der gemeinsame Nenner bleibt das Wertefundament der Organisation, das
gerade in Verbindung mit einem klaren Purpose, einer Vision und einer Mission seine
Kraft entfalten kann.

1 Online als Video zu sehen unter: https://www.youtube.com/watch?v=86UPjA3vAMM.


Diversity und New Work 185

11 Fazit

Die neue Arbeitswelt ist heute geprägt von hybriden Modellen, dem Einsatz
digitaler Tools, künstlicher Intelligenz und gleichzeitig einer großen Sehnsucht der
Menschen nach mehr Sinn. Frühere Karrierepfade sind ausgetreten und reizen jüngere
Generationen kaum noch. Im Vordergrund steht heute die Frage, wie man eine Arbeit
finden kann, die sich mit dem Leben vereinbaren lässt. Außerdem möchte gerade
die Gen Z wissen, welchen Beitrag Organisationen heute leisten, um die aktuellen
Probleme wie die Klimakrise anzugehen. Mit der Corona-Krise als Beschleuniger der
Digitalisierung setzten sich New Work-Modelle rasant durch. Doch die digitale Trans-
formation ist im Kern eine kulturelle Transformation.
Organisationen tun daher gut daran, das Konzept der Diversität zu implementieren,
um einerseits als fairer Arbeitgeber im Fachkräftemangel zu punkten und anderer-
seits schneller auf neue Ideen zu kommen. Innovation wird auch in der Verwaltung ein
noch größeres Thema werden, auch wenn die Rahmenbedingungen andere sein mögen
als bei Tech-Startups im Silicon Valley. Diversity ist als ein zentrales Element von New
Work nicht mehr wegzudenken. Sie entsteht jedoch nicht von allein, sondern sollte von
der Führungsebene gewollt und vorgelebt werden. Dazu braucht es ein Diversitäts-
management, das eng vernetzt mit allen Bereichen der Organisation zusammenarbeitet,
auf dass die Vielfalt sich entfalten kann und Arbeit den Menschen wieder stärkt, ganz im
Sinne des New Work-Vordenkers Frithjof Bergmann.

Literatur

Behrens, Batrix (2021). Diversität: eine Herausforderung für das Personalmanagement der Zukunft
in der Verwaltung. https://www.vdz.org/personalmanagement-new-work/diversitaet-eine-
herausforderung-fuer-das-personalmanagement.
Bußmann, Nicole (2019). Interview „Charta für New Work Statement für zukunftsweisende
Arbeit“ mit Markus Väth, Juli 2019. https://www.managerseminare.de/ms_Artikel/Charta-fuer-
New-Work-Statement-fuer-zukunfts-weisende-Arbeit,272049.
Harvard Business Manager (2020). Ausgabe Nr. 12 vom 16.11.2020. Hamburg.
Krein, Noelle (2019). Telekom lebt Diversity. https://www.telekom.com/de/blog/karriere/karriere/
telekom-lebt-diversity-582330.
Landeshauptstadt München (2017). Interkulturelles Geschichtenbuch. https://stadt.muenchen.de/
infos/karriere-diversity.html.
Lorenzo, Rocio/Voigt, Nicole/Schetelig, Karin/Zawadzki, Annika/Welpe, Isabelle/Brosi,
Prisca (2017). The Mix that Matters. Innovation through Diversity. https://www.bcg.com/
publications/2017/people-organization-leadership-talent-innovation-through-diversity-mix-that-
matters.
Truffls (2020). Vielfalt 2020 – Die truffls Studie zur Wahrnehmung von Diversity in deutschen
Unternehmen. Berlin.
Vattenfall (2019). Artikel „Was Diversität mit Innovation zu tun hat“. https://group.vattenfall.com/
de/newsroom/blog/2019/april/was-diversity-mit-innovation-zu-tun-hat.
186 G. Rath

Gabriel Rath, Deutscher Sparkassen- und Giroverband. Gabriel Rath verantwortet bei dem
Deutschen Sparkassen- und Giroverband das Thema New Work und Organisationsentwicklung.
Der dreifache Vater ist außerdem als Keynote Speaker zu den Themen New Work und Vereinbar-
keit unterwegs, sprach u. a. bereits auf der CeBit, re:publica und Corporate Learning Conference.
Seit 2018 ist es außerdem Host des New Work Chat Podcasts, in dem er bereits mit mehr als 150
Expert*innen interviewte. Außerdem ist er Gründer der preisgekrönten Crowdfunding Initiative
„Eisbademeisters“, die seit 2020 in mittlerweile 5 Städten Spenden für den guten Zweck sammelt.
Teil IV Diversity in der Verwaltungsorganisation
verankern

Teil IV „Diversity in der Verwaltungsorganisation verankern“ befasst sich mit


Fragestellungen hinsichtlich der institutionellen Implementierung von Diversity
Management in der öffentlichen Verwaltung. Dabei blicken die Autor*innen aus
unterschiedlichen Fachdisziplinen heraus auf die strategische Verankerung von
Diversity Management. Eine Diversity-bewusste Verwaltung erkennt das inter- und
multidisziplinäre Potenzial von Diversity und berücksichtigt vor diesem Hintergrund
ganzheitliche Diversitätsgedanken in den verschiedensten Fachlichkeiten, Strukturen
und Prozessen der öffentlichen Verwaltung. Hierfür geben nachfolgenden Fachbeiträge
praxisnahe Impulse.
In dem eröffnenden Fachbeitrag „Diversitätsbewusste Organisationsentwicklung“
von Sonja Dudek und Isabel Collien werden zentrale Aspekte einer
diversitätsbewussten Organisationsentwicklung in der öffentlichen Verwaltung aus einer
wissenschaftsgeleiteten Praxisperspektive diskutiert. Sonja Dudek und Isabel Collien
machen deutlich, dass Unternehmensansätze des Diversity Management sich nicht
einfach auf öffentliche Verwaltungen übertragen lassen. Vor diesem Hintergrund werden
verwaltungsspezifische zentrale Stellschrauben für das Gelingen von Diversity-Prozessen
in der öffentlichen Verwaltung vorgestellt und anhand von Beispielen deutlich gemacht.
Ein wesentliches Element der Diversity-orientierten Organisationsentwicklung,
die Leitbildentwicklung, greift Stefan Fuerst in dem Fachbeitrag „Erarbeitung und
Integration eines Diversity Leitbildes in Verwaltungen“ auf. Stefan Fuerst beschreibt
ausgehend von dem Leitbild-Prozess bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG), welche
Funktion ein Leitbild hat, wie Diversity dadurch gestärkt werden kann und wie eine
praktische Umsetzung erfolgen kann.
188 Teil IV Diversity in der Verwaltungsorganisation verankern

Der Fachbeitrag „Employee Resource Groups: Beschäftigtennetzwerke zur


Stärkung von Diversity und Inclusion“ von Magdalena Weiß greift ein weiteres
wesentliches Merkmal einer Diversity-bewussten Organisationsentwicklung auf. In dem
Fachbeitrag erläutert Magdalena Weiß ausgehend von eigenen Erfahrungen im Queeren
Netzwerk des Informationstechnikzentrums Bund (ITZBund) den Zweck und Nutzen
von Netzwerken in Verwaltungen und gibt praktische Hinweise zum Aufbau und zur
Gestaltung von Netzwerken.
Der Fachbeitrag „Was hat Diversity mit Projektmanagement zu tun?“ von
Sabine Meister greift die Frage auf, wie Verwaltungen das Potenzial von Diversity für
ihr Projektmanagement gezielt nutzen können. Sabine Meister führt aus, dass selbst in
der Projektarbeit noch häufig traditionelle Bewertungsmaßstäbe gelebt werden. Vor
diesem Hintergrund macht Sabine Meister Vorschläge, wie die Spielräume in der Praxis
ausgestaltet werden können, um Vielfalt im Projektmanagement gezielt beeinflussen und
für bessere Projektarbeit einsetzen können.
Im darauffolgenden Fachbeitrag „Gender Budgeting – den öffentlichen Haushalt
gerechter gestalten?“ von John Meister und Maria Pozder erfolgt die Verknüpfung
von Diversity und dem öffentlichen Haushalt. Das Konzept von Gender Budgeting wird
expliziert und kritisch eingeordnet. Anschließend werden anhand des Anwendungsfalls
der gendergerechten Haushaltssteuerung diverse Umsetzungskonzepte für die Praxis,
aber auch einhergehende Umsetzungshürden gezeigt. John Meister und Maria Pozder
stellen die Frage, ob die Konzeption von Gender Budgeting, insbesondere vor dem
Hintergrund des Diversity-Gedankens, nicht inzwischen veraltet ist und daher einer
konzeptionellen Erweiterung bedarf – etwa in Form eines „Diversity-Budgeting“?
Den Abschluss von Teil IV bildet der Fachbeitrag „Braucht Verwaltung ein
Diversity Management? Ein Praxisbericht aus der Stadtverwaltung Krefeld“ von
Cigdem Bern. Cigdem Bern hat einen facettenreichen Praxiseinblick darüber verfasst,
mit welchen Maßnahmen und über welche Strukturelemente das Thema Diversity
schrittweise als Querschnittthema in der Stadtverwaltung Krefeld verankert wird.
Die Fachbeiträge in Teil IV zeigen, dass Diversity ein Querschnittsthema für
die öffentliche Verwaltung ist. Diversity kann (und sollte) organisatorisch in alle
Fachlichkeiten verankert werden. Die Inter- und Multidisziplinarität von Diversity macht
das Thema zu einem zentralen Steuerungsgegenstand der Organisationsentwicklung.
Die Inhalte und praktischen Beispiele in den Fachbeiträgen geben hierfür wertvolle
Hinweise.
Diversitätsbewusste
Organisationsentwicklung

Sonja Dudek und Isabel Collien

Zusammenfassung

Dieser Beitrag diskutiert aus einer wissenschaftsgeleiteten Praxisperspektive zentrale


Aspekte einer diversitätsbewussten Organisationsentwicklung in der öffentlichen
Verwaltung. Dabei wird deutlich: Unternehmensansätze des Diversity Management
lassen sich nicht einfach auf öffentliche Verwaltungen übertragen. Dementsprechend
wird im vorliegenden Beitrag zunächst auf einige Charakteristika öffentlicher Ver-
waltungen eingegangen und erörtert, welche Vor- und Nachteile sich daraus für eine
diversitätsorientierte Organisationsentwicklung ergeben. Im Folgenden werden
zentrale Stellschrauben für das Gelingen von Diversity-Prozessen in Verwaltungen
vorgestellt, anhand von Beispielen illustriert und Erfahrungen in der Implementierung
von Diversity-Prozessen in der Verwaltung diskutiert.

Schlüsselwörter

Diversity · Organisationsentwicklung · Netzwerke · Kompetenz · Kommunikation ·


Verwaltung

S. Dudek ( )
Land Berlin, Berlin, Deutschland
I. Collien
Freie und Hansestadt Hamburg, Hamburg, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 189
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_14
190 S. Dudek und I. Collien

1 Einleitung

Ist ein Haus für eine Giraffe gebaut, passt ein Elefant nur hinein, wenn das Haus grund-
legend umgestaltet wird. Mit dieser Geschichte unterstreicht der Organisationsberater
Roosevelt Thomas Ende der 1990er Jahre, dass Diversity Management Organisationen
von Grund auf verändert.1 In diesem Beitrag beschreiben wir Diversity Management
entsprechend als Organisationsentwicklungsprozess, der eine Transformation von
Verwaltung auf individueller und struktureller Ebene erforderlich macht. Die Ziele,
Struktur und Governance der öffentlichen Verwaltung führen dabei dazu, dass Diversity
Management sich hier (in Teilen) von privatwirtschaftlichen Diversity-Ansätzen unter-
scheidet.2
Wir schreiben diesen Beitrag als Diversity-Praktikerinnen mit Wissenschaftshinter-
grund, die aktuell Diversity-Prozesse auf Landesebene in Verwaltungen vorantreiben.
Dementsprechend werden sowohl Fragestellungen aufgegriffen, die uns im Verwaltungs-
alltag begegnen als auch wie aktuelle (Forschungs-)Entwicklungen im Feld dargestellt
werden.
Wir vertreten einen menschenrechtlich basierten Diversity-Ansatz. Das heißt, Ver-
waltungen haben die Aufgabe, gesellschaftliche Teilhabe zu fördern, Diskriminierung
abzubauen und einen gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Gütern zu ermög-
lichen. Wir sind der Ansicht, dass diese Motivation nicht grundsätzlich mit ökonomisch
argumentierenden Ansätzen (z. B. Diversity als Strategie gegen Fachkräftemangel)
kollidiert. Gleichzeitig bedeutet der Fokus auf Menschenrechte, dass es bei Diversity
Management in Verwaltungen nicht primär um den Nutzen für die Organisation, sondern
um Fragen der sozialen Gerechtigkeit, der Verwirklichung von Selbstbestimmung und
des gesellschaftlichen Zusammenhalts geht.

2 Hauptteil

Als Exekutive des Staates setzt die Verwaltung politische Entscheidungen um und bietet
öffentliche Dienstleistungen an. Damit einher geht ein Selbstverständnis, dem ent-
sprechend die öffentliche Verwaltung auf der Grundlage von Gesetzen bzw. politischen
Beschlüssen „für Stabilität, Verbindlichkeit, Rechtstreue und vor allem Verlässlichkeit“3
zu sorgen habe.
Die Orientierung an Werten wie Stabilität oder Gemeinwohl stellt einen großen
Mehrwert von Öffentlichen Verwaltungen als Organisationen dar. Gleichzeitig sind Ver-
waltungen im Vergleich zu Unternehmen wesentlich langsamer darin, effektive Praktiken

1 Thomas (1999).
2 Bogumil (2021).
3 Lévesque und Michl (2018: 41).
Diversitätsbewusste Organisationsentwicklung 191

zu entwickeln, um mit der Komplexität und Veränderungsgeschwindigkeit in der


sogenannten Vuca-Welt4 umzugehen. In der Folge sind „Verwaltungsreformen (…) meist
keine geplanten Prozesse der Problemlösung, sondern eher schrittweise Anpassungen an
veränderte Bedingungen, oftmals orientiert an historisch angelegten Lösungsmustern.“5
Die zunehmende Diversität der Bevölkerung, aber auch der Verwaltung selbst sowie
damit einhergehende Chancen und Herausforderungen sind Teil dieser veränderten
Rahmenbedingungen.
Auch ein Selbstverständnis der Verwaltung, das auf den klassischen, weberianischen
Funktionsweisen von Bürokratien basiert (z. B. Amtshierarchie, Aktenmäßigkeit),
steht in einem gewissen Spannungsfeld zu Diversity Management als grundlegendem,
potenziell destabilisierendem Veränderungsprozess. Um beispielsweise die Potenziale
vielfältig zusammengesetzter Teams zu entfalten, sind flache Hierarchien oder ressort-
übergreifende, agile Arbeitsformen förderlich.6 Aus unserer Perspektive benötigt die
öffentliche Verwaltung ein Selbstverständnis, welches Stabilität mit Veränderungswillen
kombiniert und eigene Funktionsweisen, Selbstverständnisse und Werte reflektiert.
Diversity Management kann ein Motor für diese schrittweise Re-Positionierung der
öffentlichen Verwaltung sein.

2.1 Leitbild und Strategie

Diversitätsbewusste Organisationsentwicklung bedeutet, bestehende Werte in einer


Organisation zu hinterfragen und neue zu etablieren. Dabei werden neue Werte
idealiter in Leitbildern festgehalten und anschließend mit einer Strategie verknüpft.
Ob ein Organisationsentwicklungsprozess zu Diversity von Anfang an eines Leitbilds
und einer Strategie bedarf, um erfolgreich zu sein, kann nicht pauschal beantwortet
werden. Oft haben Organisationsentwicklungsprozesse ihren Ausgangspunkt in der
Initiative Einzelner, die Veränderungen ohne größere Vorüberlegungen anstoßen. Auch
ohne eine Strategie kann Veränderung bewirkt werden. Um jedoch in komplexen Ver-
waltungsstrukturen nachhaltig Entwicklungsprozesse voranzutreiben, bedarf es einer
Orientierung, warum wir uns als Verwaltung mit Diversity auseinandersetzen, welche
Ziele wir verfolgen und wie wir diese erreichen wollen. Hierfür eignet sich klassischer-
weise die Erarbeitung eines Leitbilds.
Leitbilder werden mit dem Ziel entwickelt, der Organisation einen Orientierungs-
rahmen zu geben. Sie beinhalten angestrebte Werte, die häufig abstrakt, übergreifend und

4 Vuca steht als Akronym für die englischen Begriffe Unbeständigkeit (volatility), Unsicherheit
(uncertainty), Komplexität (complexity) und Mehrdeutigkeit (ambiguity).
5 Bogumil (2021).

6 Vgl. Müthel und Högel (2013).


192 S. Dudek und I. Collien

allgemein formuliert sind.7 So wird im Leitbild zur Hamburger Antidiskriminierungs-


strategie beispielsweise festgehalten: „Wir verstehen Antidiskriminierung als einen
fortwährenden Lern- und Handlungsprozess (…)“. Als Nebensatz erfolgt dann eine
Konkretisierung: „(…), der mit einem Diversity-Training zwar beginnen, aber nicht
abgeschlossen sein kann.“ Konkretisierungen tragen dazu bei, Leitbilder im Arbeitsalltag
leichter anwendbar zu machen.
Unabhängig vom zu erstellenden Produkt8 bietet ein Leitbildprozess die Chance, dass
sich zentrale Stakeholder intensiv mit dem Thema Diversity und der Frage, was das Thema
überhaupt mit Verwaltung zu tun hat, auseinandersetzen. Die Entwicklung eines Leitbilds
kann somit ein intensiver Sensibilisierungs- und Verständigungsprozess sein, für den im
sonstigen Verwaltungsalltag wenig Zeit ist. Ausgestattet mit einem entsprechenden Auftrag
aus den Richtlinien der Regierungspolitik wurde das Berliner Leitbild „Weltoffenes Berlin
– chancengerechte Berliner Verwaltung“9 in insgesamt sechs Workshops mit Führungs-
kräften, Beschäftigtenvertretungen und Chancengleichheitsexpert*innen entwickelt. Das
Produkt des Prozesses wurde wiederum vom Senat beschlossen.
Leitbilder sind nicht unumstritten, vor allem weil die Diskrepanz zwischen gelebten
und im Leitbild propagierten Werten einer Organisation groß sein kann. Leitbilder ohne
glaubhafte Anstrengungen der Organisation diese mit Leben zu füllen, geraten schnell
in den Ruf einer reinen Marketingstrategie für die Schauseite der Organisation.10 Wenn
Diversity mehr als Schaufensterpolitik für Verwaltungen sein soll, ist zu empfehlen, eine
Diversity-Strategie zu entwickeln.
Diversity-Strategien sollten Antworten auf die Fragen geben, warum was zu
welchem Zeitraum umgesetzt werden soll. Dazu ist es empfehlenswert neben Zielen
auch Maßnahmen und Indikatoren zu benennen, die es ermöglichen, den konkreten
Umsetzungsstand in Bezug auf Diversity zu prüfen. Ein solches Vorgehen erspart manch
blumigen Bericht, den fast alle kennen, die einmal Verwaltungen nach ihren Diversity-
Aktivitäten befragt haben.
Wie man zu besagten Zielen und Maßnahmen kommt, hängt maßgeblich vom
formulierten Handlungsfeld ab. Ziele und Maßnahmen können z. B. auf Basis wissen-
schaftlicher Expertisen formuliert werden und/oder Ergebnis von Partizipationsprozessen
mit der Zivilgesellschaft sowie anderen Fachressorts innerhalb der Verwaltung sein. Im
Rahmen der Fortschreibung der Hamburger Antidiskriminierungsstrategie wurden bei-
spielsweise Beteiligungsformate mit Zivilgesellschaft, Fachbehörden und Bezirken

7 Vgl. Kühl (2017).


8 Leitbilder können unterschiedlich formuliert sein. Während Wir-Formulierungen dynamischer
und handlungsnäher wirken, können diese im Verwaltungskontext bisweilen Irritation auslösen.
9 Das Leitbild ist online abrufbar unter https://www.berlin.de/sen/lads/schwerpunkte/diversity/

diversity-landesprogramm/leitbild/.
10 Vgl. Kühl (2011).
Diversitätsbewusste Organisationsentwicklung 193

durchgeführt. Das so entstandene Eckpunkte-Papier wurde ferner von sogenannten


„Critical Friends“11 wohlwollend kritisch begutachtet. Bei diesen handelte es sich
um ausgewählte Expert*innen aus der Antidiskriminierungsforschung und -praxis.
Die Auswahl erfolgte anhand von Kriterien wie Fachwissen zu Diskriminierungs-
merkmalen, eigene Diskriminierungsbetroffenheit sowie Praxiserfahrung im Feld Anti-
diskriminierung aus zivilgesellschaftlicher und Verwaltungsperspektive.
Vor dem Hintergrund, dass in vielen Organisationen eine Art „Strategiemüdigkeit“
besteht, ist es nicht immer zielführend, einen sehr zeitintensiven Leitbild- und Strategie-
entwicklungsprozess aufzusetzen. So jagt in Verwaltungen oft eine Bitte um Stellung-
nahme zu Strategien in Form von Drucksachen die nächste. Es gilt daher mit Bedacht
auszuwählen, wo eine größere Beteiligung sinnvoll ist, wie die kollektive Intelligenz
der Organisation bestmöglich genutzt und wie Strategien so gestaltet werden können,
dass sie verbindlich und gleichzeitig dynamisch sind. Grundsätzlich ist es hilfreich, sich
Flexibilität in der Umsetzung der Ziele und Maßnahmen zu erhalten: Ein guter Plan ist
eben auch nur ein Plan, der in der Regel im Prozess angepasst werden muss.

2.2 Politischer und gesetzlicher Auftrag

Es ist von großem Vorteil, einen offiziellen Auftrag zu haben, um eine Diversity-
Strategie zu entwickeln und entsprechende Maßnahmen umzusetzen. Dieser Auf-
trag kann in der Verwaltung aus unterschiedlichen Quellen, wie bspw. Gesetzen oder
aus dem parlamentarischen Raum, resultieren. So ist – nach vielen Jahren der Arbeit
am Thema – im Jahr 2020 das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz12 (LADG)
beschlossen worden. Darin wird beispielsweise die Förderung einer Kultur der Wert-
schätzung von Vielfalt und das Vorgehen gegen Diskriminierung als durchgängiges
Leitprinzip definiert und öffentliche Stellen aufgefordert, ihre Geschäftsprozesse auf
strukturelle Diskriminierungsgefährdungen zu prüfen und geeignete Gegenmaßnahmen
zu ergreifen. Zudem ist im LADG festgehalten, dass der Senat landesweite Maßnahmen
zur Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt in der Verwaltung fördert,
diese stetig fortentwickelt und darüber dem Abgeordnetenhaus berichtet (§ 12 LADG).
Eine derartige gesetzliche Vorgabe hat den Vorteil, dass sie Regierungen überdauert,
der gesetzliche Auftrag ein starkes Argument für nachhaltige Ressourcenbereitstellung
ist und somit eine gewisse Kontinuität sichergestellt wird. Allerdings ist das reine Vor-
liegen einer gesetzlichen Grundlage keineswegs ein Selbstläufer und es kann auch

11 Critical Friends sind externe Expert*innen, die den Kontext gut kennen und mit einer wohl-

wollenden Grundhaltung Feedback geben. Dieses kann auch kritisch und provozierend sein, bleibt
jedoch immer konstruktiv (vgl. Costa und Kallick 1993).
12 https://www.berlin.de/sen/lads/recht/ladg/
194 S. Dudek und I. Collien

nicht erwartet werden, dass alle Verwaltungen nun entsprechende Umsetzungen voran-
bringen. Auch Gesetze müssen kommuniziert und in praktisches Handeln übersetzt
werden. So führte 2018 in der Hamburger Verwaltung eine offizielle Abfrage im Rahmen
der Evaluation der Antidiskriminierungsstrategie dazu, dass die seit 2006 gesetzlich
vorgeschriebenen AGG-Beschwerdestellen13 in einigen Dienststellen erst eingerichtet
wurden.
Wenn es keine gesetzliche Grundlage zur Entwicklung einer Diversity-Strategie oder
zur Umsetzung von einzelnen Maßnahmen gibt – und das ist die Regel – empfehlen die
Autor*innen, sich um einen entsprechenden politischen Auftrag, z. B. in Form eines ent-
sprechenden Beschlusses der Regierung, zu bemühen. Wenn ein politischer Beschluss
vorliegt, sind Verwaltungen daran gebunden, diesen umzusetzen und sich an den hierfür
notwendigen Gremien und Fachrunden zu beteiligen. In Hamburg erhielt die Verwaltung
beispielsweise durch ein Bürgerschaftliches Ersuchen den Auftrag, Eckpunkte für die
Fortschreibung der Antidiskriminierungsstrategie zu entwickeln und der Bürgerschaft
dazu zu berichten. Im Ersuchen war auch festgehalten, dass sowohl zivilgesellschaft-
liche Akteur*innen als auch Expert*innen aus der Wissenschaft sowie der Antidis-
kriminierungsarbeit an der Eckpunkte-Entwicklung zu beteiligen seien.
Mit Blick auf Regierungsbeschlüsse kann es herausfordernd sein, Kontinuität über
die Laufzeit der jeweiligen Regierung sicherzustellen bzw. sollte die Legislatur stetig
mitgedacht werden. Das Lieblingsprojekt einer Regierung wird bei einem Politik-
wechsel nicht zwangsläufig auch von der Nachfolgeregierung so positiv betrachtet. Ein
politischer Beschluss sollte ferner mit Ressourcen für die Umsetzung unterlegt sein, was
leider keine Selbstverständlichkeit darstellt.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass gerade am Anfang von Diversity-Prozessen weder
eine gesetzliche Grundlage/ein politischer Beschluss noch ein geteiltes Verständnis
von der Dringlichkeit des Anliegens geschweige denn Ressourcen zur Umsetzung von
Diversity-Maßnahmen in der Verwaltung vorhanden sind. Das kann frustrierend sein und
in diesem Fall leuchten – zumindest mit Blick auf die Literatur zur Organisationsent-
wicklung – rote Lampen auf (vg. z. B. Kotter 1997). Für uns bedeutet dies nicht auto-
matisch „Hände weg!“, denn wir haben beide schon Personen gesehen, die äußerst
engagiert und manchmal bis an den Rand der eigenen Ressourcen Diversity-Themen in
Verwaltungshandeln eingebracht haben. Mit langem Atem und ein wenig Glück lassen
sich neue Themen manches Mal langfristig strukturell verankern. Dabei möchten wir
aus eigener Erfahrung empfehlen, die eigenen Ressourcen zu berücksichtigen, sich
Netzwerke zu suchen und lieber an kleineren Diversity-Projekten, die umsetzbar sind,
zu arbeiten als an einer zu großen Aufgabe, die mit begrenzten Ressourcen und mit
fehlendem Backup kaum erfolgreich umsetzbar ist.

13 Mehr zum Thema Beschwerdeverfahren und -stellen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungs-

gesetz findet sich in einer Expertise im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2010).
Diversitätsbewusste Organisationsentwicklung 195

2.3 Kommunikation

Kommunikation ist bei allen Veränderungsprozessen zentral. Es geht es darum,


Menschen innerhalb und außerhalb der Verwaltung den Sinn und Zweck von Diversity-
Anliegen zu verdeutlichen und sie möglichst auf dem Weg mitzunehmen.
Dabei besteht die erste Herausforderung darin, dass mit dem Wort „Diversity“ ein
englischer Begriff verwendet wird, was zu Abwehr in Verwaltungen führen kann. Aus
diesem Grund gibt es Verwaltungen, die lieber den deutschen Begriff „Vielfalt“ oder
„Diversität“ verwenden. Unabhängig davon welcher Begriff letztlich verwendet wird, ist
es keineswegs selbsterklärend, was damit gemeint ist. Mit Diversity oder Vielfalt wird
alles Mögliche assoziiert, von Ansätzen zur Frauenförderung bis hin zur Integration von
Menschen mit Migrationsgeschichte.
Ein uns weiterhin begegnendes Missverständnis besteht darin, dass Diversity-
Ansätze grundsätzlich als Marketingansatz verstanden werden, denen eine antidis-
kriminierungspolitische Perspektive fehlt. Eine solch verallgemeinernde Sichtweise
ignoriert die Ursprünge von Diversity-Ansätzen, die in den USA durch die Bürgerrechts-
bewegungen der 1970er und 1980er Jahre angestoßen wurden.14 Neben den menschen-
rechtlich argumentierenden Diversity-Ansätzen existieren ökonomisch motivierte
Argumentationen, die vor allem dem demografischen Wandel und Fachkräftemangel
durch die Erschließung neuer Beschäftigtengruppen begegnen wollen. Die hier nur
kursorisch skizzierte Existenz unterschiedlichen Diversity-Ansätze und Motivationslagen
nebeneinander macht es grundsätzlich erforderlich, das eigene Verständnis von Diversity
– eher menschenrechtsorientiert, ökonomisch motiviert oder beides – zu schärfen und zu
kommunizieren.
Darüber hinaus kann es herausfordernd sein, eine merkmalsübergreifende Diversity-
Perspektive niedrigschwellig auf den Punkt zu bringen. Zur Illustration dessen, was
gemeint ist, kann es hilfreich sein, Diversity einerseits in all seinen Dimensionen dar-
zustellen und gleichzeitig auf merkmalsspezifische Beispiele zurückzugreifen, um Aus-
wirkungen im Arbeitsalltag zu illustrieren. Um Menschen anzusprechen, die sich bisher
mit Diversity-Themen noch wenig befasst haben, eigenen sich zum Beispiel Teaser-
Formate oder Kurzlerneinheiten. Ein monatlicher Newsletter mit Diversity-Tipps oder
ein Diversity-Lunch können hier geeignete Formate sein. Die vermittelten Inhalte sollten
so aufbereitet sein, dass sie leicht verständlich sind und sich gut in den Arbeitsalltag
integrieren lassen (z. B. barrierefreies Posten auf Social Media).
Die Behördenleitung und Führungskräfte im Allgemeinen sind diejenigen, welche die
Erwartungen an die gesamte Organisation spiegeln und damit Mitarbeitenden zeigen,
dass Diversity-Bestrebungen explizit erwünscht sind und honoriert werden. Eine erfolg-
reiche Kommunikation basiert daher häufig auf der sichtbar artikulierten Unterstützung

14 Vgl. z. B. Vedder (2006); Hansen und Müller (2003); Krell (2004).


196 S. Dudek und I. Collien

der Leitungsebene für Diversity-Vorhaben. Insbesondere die zuständige (Behörden-)


Leitung sollte verdeutlichen, dass die Berücksichtigung von Diversity kein Zusatz ist,
der bei Bedarf weggelassen werden kann, sondern in allen Strukturen und Prozessen mit-
gedacht werden muss.
Sofern vorhanden, kann die Strategieentwicklung selbst als Kommunikationsanlass
und -plattform betrachtet werden. Häufig verbunden mit einem politischen oder gesetz-
lichen Auftrag, eröffnet diese die Möglichkeit, mit unterschiedlichen Fachressorts
über Diversity-Themen ins Gespräch zu kommen. Diversity Manager*innen sollten
dann in Gesprächen mit Fachabteilungen darauf achten, den Mehrwert von Diversity
Management für die öffentliche Verwaltung und das spezifische Fachressort darzustellen.
Dabei können die klassischen Argumente vom Equity- bis hin zum Business-Case15 als
erste Orientierung dienen. Weiterhin ist es auch hier hilfreich, alltagsnahe, illustrierende
Beispiel im Gepäck zu haben.
Neben der Kommunikation nach innen ist auch die Außenkommunikation
von zentraler Bedeutung – Diversity-Manager*innen sind häufig in der Situation,
Kommunikationsprozesse zwischen Communities und Verwaltung zu vermitteln. Dies-
bezüglich stehen sie vor der Herausforderung, kommunikative Brücken zwischen
Community- und Verwaltungssprache und dazu gehörigen Logiken bauen zu müssen.
Je nach Positioniertheit des*r Diversity Manager*in (z. B. als queere Person) sind die
Erwartungen von Communities an die jeweilige Person hoch – das bezieht sich bei-
spielsweise auf die Umsetzung von Community-Forderungen. Hier ist es wichtig, die
eigenen Handlungsmöglichkeiten und deren Grenzen möglichst transparent darzustellen.
Ferner gilt es, die eigene Grundhaltung und Positionierung in Machtverhältnissen zu
reflektieren und damit insbesondere im Kontakt mit Communities sensibel umzugehen.
Schließlich ist eine inklusive und diskriminierungsfreie (Bild-)Sprache im Diversity-
Kontext essenziell. So kann beispielsweise externen Stakeholdern signalisiert werden,
dass sie als Kund*innen, potenzielle Mitarbeitende oder zivilgesellschaftliche Interessen-
gruppen willkommen sind. Diesbezüglich sollte Verwaltungsmitarbeitenden vermittelt
werden, welche Bedeutung und Geschichte bestimmte Begrifflichkeiten haben und wie
Menschen angesprochen werden möchten.16

2.4 Netzwerke

Netzwerke sind für Veränderungsprozesse wie die Luft zum Atmen. Dies gilt ins-
besondere auch für Diversity Management. Um eine inklusive und diskriminierungs-

15 ZurUnterscheidung unterschiedlicher Diversity-Ansätze siehe Bührmann (2020).


16 Vgl. Leitfaden „Vielfalt zum Ausdruck bringen“ im Land Berlin; Der Leitfaden „Vielfalt zum
Ausdruck bringen“ ist hier abrufbar https://www.berlin.de/sen/lads/schwerpunkte/diversity/
diversity-landesprogramm/diversity-und-sprache-bilder/).
Diversitätsbewusste Organisationsentwicklung 197

freie Aufgabenerfüllung der öffentlichen Verwaltung zu gewährleisten, bedarf es unter


anderem einer Perspektivenvielfalt. Damit ist bereits klar, dass Diversity Manager*innen
keine Einzelkämpfer*innen sein können. Sie sind Brückenbauer*innen in einem
komplexen Netzwerk. Neben Verbündeten in der Sache und Community-Perspektiven
bedarf es beispielsweise einflussreicher Personen in der Verwaltung, um Diversity-
Anliegen das nötige Gewicht zu verleihen.
Vernetzungsmöglichkeiten im Bereich Diversity sind potenziell endlos. Wichtige
Stakeholder reichen von Verwaltungsmitarbeitenden, Wissenschaftler*innen, zivil-
gesellschaftlichen Interessengruppen und Einzelpersonen bis hin zu Unternehmen und
Medien. Gleichzeitig sind in der öffentlichen Verwaltung – und wenig überraschend auch
im Bereich Diversity Management – die Ressourcen häufig sehr begrenzt. Daher ist es
sinnvoll, eine Stakeholder-Analyse vorzunehmen, um auf Vernetzung mit größtmöglicher
Wirkung zu fokussieren.
Es gibt viele unterschiedliche Methoden zur Stakeholder-Analyse. Grundsätzlich gilt:
Stakeholder sollten zunächst identifiziert und in einem weiteren Schritt nach Kriterien
differenziert werden. So können Stakeholder beispielweise danach differenziert werden,
wie viel Interesse sie am jeweiligen Diversity-Ziel haben und wie viel Macht sie haben,
um dieses zu unterstützen bzw. zu sabotieren.17 Je nach Zuordnung können dann unter-
schiedliche Strategien eingesetzt werden, um die Position der jeweiligen Stakeholder
gewinnbringend zu nutzen. Personen mit hohem Interesse und wenig Einfluss sollten
beispielsweise gut über die Aktivitäten informiert sein, um als Multiplikator*innen
fungieren zu können.
Sollen Referent*innen, die häufig mehr Fachexpertise aufweisen oder Leitungs-
personen eingeladen werden? Um solche Fragen zu beantworten, sollte die Analyse vor
dem Hintergrund der Diversity-Strategie und dazu gehöriger Ziele für die kommenden
Jahre erstellt werden. Bei der Etablierung von Netzwerken ist es wichtig, von Beginn
an Ziel und Zweck des Austausches deutlich zu machen und auch Grenzen der Ein-
flussnahme. Gerade zivilgesellschaftliche Akteur*innen im Bereich Diversity, die bis-
weilen skeptisch gegenüber staatlichen Institutionen sind, sind häufig frustriert, wenn
sie das Gefühl haben, nur um der Beteiligung willen einbezogen zu werden und wenn
sie nicht verstehen, welches Ziel mit der Beteiligung verfolgt wird. Gleiches gilt auch
für Kolleg*innen aus anderen Fachressorts, die häufig viele verschiedene Anforderungen
ausbalancieren und tendenziell über immer weniger Zeitressourcen verfügen.
Verwaltung ist von Seiten der Politik und Gesetzgebung mit multiplen Auf-
trägen konfrontiert – besonders auch im Bereich der merkmalsspezifischen Diversity-
Arbeit. Die parallele Entwicklung von Strategien gegen Anti-Schwarzen-Rassismus,
Antiziganismus, Antidiskriminierung, Diversity, Inklusion etc. sorgt bei Kolleg*innen
aus anderen Fachressorts für Verwirrung und Forderungen nach Komplexitäts-
reduktion. Die einzelnen Strategien können bisweilen nicht ausreichend auseinander-

17 Vgl. Maj (2015).


198 S. Dudek und I. Collien

gehalten werden und wiederholte Zulieferungsbitten für Maßnahmen führen – auch bei
motivierten Kolleg*innen – zu Ratlosigkeit bis Frust.
Diversity-Bereiche können aus merkmalsübergreifender Perspektive eine Plattform
schaffen, um merkmalsspezifisch arbeitende Bereiche zu verzahnen. Vernetzung ist
hier auf Landes- und Bezirksebene sinnvoll. Ziel kann es sein, hinderliche Strukturen
und Prozesse sowie potenziell förderliche Aspekte zu identifizieren, von denen mehrere
Gruppen „betroffen“ sind. Weiterhin kann darüber nachgedacht werden, wie die Teil-
strategien besser verzahnt werden können oder wie Abfragen und Fachrunden so
koordiniert werden, dass sie sich nicht in bestimmten Monaten stauen. Wünschenswert
wäre auch, ähnlich Aufträge miteinander zu verzahnen, um Doppelstrukturen und damit
die doppelte Arbeitsbelastung zu vermeiden.
Perspektivisch könnte darüber nachgedacht werden, ob nicht eine übergreifende
Gesamtstrategie zu Diversity/Antidiskriminierung sinnhaft wäre, von der aus sich die
Teilstrategien weiterverzweigen. Die Stadt Paris hat beispielsweise mit dem Plan Égalité
2021–2023 einen ersten Schritt in Richtung Gesamtstrategie geschaffen.18 Es werden
Handlungsschwerpunkte definiert, die sowohl Ziele zur Gleichstellung von Frauen und
Männern, Antidiskriminierung als auch Inklusion beinhalten. Damit sind die Bereiche
noch nicht wirklich integriert, aber es wird deutlich, dass Überschneidungen bestehen
und alle zu mehr Teilhabe und Gleichberechtigung beitragen. Um die bestehenden
Strategien effizient und nachhaltig verzahnen zu können, bräuchte es eine politische Ent-
scheidung, da es sich bei den bestehenden Strategien in der Regel um Aufträge aus dem
politischen Raum oder die Umsetzung gesetzlicher Grundlagen handelt.

2.5 Diversity Kompetenz

Prozesse des organisationalen Wandels erfordern zumeist den Erwerb neuer


Kompetenzen. In Literatur und Praxis wird zunehmend festgestellt, dass Diversity-
Kompetenz eine Schlüsselkompetenz für Verwaltungen darstellt, um mit der Vielfalt unter
den Beschäftigten und den unterschiedlichen Lebens- und Bedarfslagen der Bevölkerung
kompetent umgehen zu können. Jenseits dieser Feststellung bestehen in der Verwaltungs-
praxis verschiedene Herausforderungen beim Ausbau von Diversity Kompetenz.
Eine Herausforderung besteht darin, dass es keine einheitliche Definition von
Diversity Kompetenz gibt, während diese gleichzeitig in Trainings vermittelt, in Stellen-
ausschreibungen gefordert oder als Kriterium für die Beurteilung von Mitarbeitenden
herangezogen wird. Vielfach wird Diversity Kompetenz als Sozialkompetenz ver-
standen, die die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel, Empathie, Ambiguitätstoleranz
und Selbstreflektion umfasst. Aus unserer Sicht reicht der alleinige Fokus auf soziale

18 Der Plan Égalité ist online abrufbar unter https://cdn.paris.fr/paris/2021/11/24/7e79dc82ad102fb

8f7734339d40100d0.pdf.
Diversitätsbewusste Organisationsentwicklung 199

Kompetenzen nicht aus. Diversity-Kompetenz ist nicht nur Sozial- sondern auch Fach-
kompetenz. Die für das landesweite Personalmanagement zuständige Berliner Senats-
verwaltung für Finanzen erläutert 2021 in einem Rundschreiben, welche Definition und
welche Operationalisierungen von Diversity Kompetenzen in Anforderungsprofilen für
Mitarbeitende und Führungskräfte aufgenommen werden sollen. Dabei wird Diversity
Kompetenz auch als Fachkompetenz definiert.19
Grundsätzlich kann Diversity Kompetenz – in Anlehnung an pädagogische Kompetenz-
modelle – in drei Bestandteile unterteilt werden: Wissen, Haltung und Können20.

Wissen als ein Baustein von Diversity-Kompetenz, insbesondere zu rechtlichen


Grundlagen, ist für Führungskräfte unerlässlich und für Beschäftigte je nach Auf-
gabenfeld ebenfalls empfehlenswert. Wissen bezieht sich dabei z. B. auf Kenntnisse
der Lebens- und Bedarfslagen verschiedener Gruppen und deren struktureller Dis-
kriminierungserfahrungen. Wissen im Kontext von Diversity-Kompetenz kann auch
bedeuteten, Maßnahmen und Strategien zu kennen, um bestehende Barrieren abzu-
bauen. Je nach Fachressort kann sich das notwendige Fachwissen zu Diversity unter-
scheiden und sollte entsprechend angepasst werden.
Haltung als Baustein von Diversity-Kompetenz zielt auf ein demokratisches Grund-
verständnis, das auf der Wertschätzung von Vielfalt basiert. Hierunter sind ins-
besondere soziale Kompetenzen gefasst: Offenheit und Respekt gegenüber
unterschiedlichen Erfahrungshintergründen und Lebensweisen, die Fähigkeit zum
Perspektivwechsel, die Bereitschaft eigene Verhaltensweisen zu hinterfragen und ggf.
zu verändern und eine Positionierung gegen Diskriminierung.
Können als Baustein von Diversity-Kompetenz beinhaltet die Fähigkeit, die o. g.
Bestandteile Wissen und Haltung in den Arbeitsalltag überführen zu können.

Aus einer ganzheitlichen Organisationsentwicklungsperspektive ist ein Diversity-


Kompetenz bei der Einstellung neuer Mitarbeitenden, im Beurteilungswesen, aber auch
in der Konzeption und Umsetzung von Fachpolitiken erforderlich.
Diversity-Kompetenz lässt sich unter anderem in Diversity-Trainings vermitteln. Um
Verwaltungsmitarbeitenden die Anwendung der neu erworbenen Kompetenzen im All-
tag zu erleichtern, sollte klar sein, warum die Kompetenzen wichtig sind und wie sie
dazu beitragen, die langfristigen Diversity-Ziele der jeweiligen Verwaltung zu erreichen.
Daher ist es sinnvoll zu überlegen, wie Trainings an den Arbeitsalltag anschlussfähig
werden können. So sollte zum Beispiel darauf hingewirkt werden, dass mit praktischen
Beispielen aus dem Verwaltungsalltag gearbeitet wird und die Trainer*innen Grund-

19 Vgl. Rundschreiben SenFin IV Nr. 74/2021, online abrufbar unter: https://www.berlin.de/politik-

und-verwaltung/rundschreiben/download.php/4327441.
20 Eine ähnliche Aufteilung findet sich auch bei Dreas und Rastetter (2016) oder Oppermann

(2018).
200 S. Dudek und I. Collien

wissen über aktuelle Entwicklungen in Bezug auf Antidiskriminierung und Diversity


haben.
Diversity-Trainings sind folglich ein zentraler Ausgangspunkt für Veränderungs-
prozesse, aber kein Allheilmittel und sollten nicht das einzige Mittel sein, um einen
wertschätzenden Umgang mit Vielfalt in Organisationen zu fördern. Wir erleben häufig,
dass Verwaltungen nach Diversity-Trainings fragen, sich im weiteren Gespräch dann
allerdings herausstellt, dass eine andere Intervention besser geeignet wäre bzw. es mit
einem einmaligen Diversity-Training nicht getan ist.
Dreas und Raststetter beschreiben Diversity-Trainings daher als „…Teil eines
Veränderungs- oder Change Prozesses im Unternehmen und wesentlich mehr als eine
reine Weiterbildungsmaßnahme“21. Die Förderung von Diversity Kompetenz sollte
folglich in einen größeren Sinnzusammenhang und ein gemeinsames Veränderungs-
bestreben [s. Strategie] eingebunden werden, um in der Breite wirksam zu werden. Wenn
diese Rahmung berücksichtigt wird, sind Diversity-Trainings eine gute Maßnahme, um
Diversity-Grundlagen zu vermitteln und einen Raum zu schaffen, die eigene Haltung zu
reflektieren.
Abschließend möchten wir darauf verweisen, dass kompetente Personen oder besser
noch Positionen in Organisationen auch mit den notwendigen Befugnissen ausgestattet
sein müssen, damit ihre Diversity Kompetenz gewinnbringend für die Verwaltung ein-
gesetzt werden kann. Es ist ratsam, entsprechende Befugnisse zu definieren und in
Prozesse und Strukturen zu integrieren, damit Diversity Perspektiven nicht beliebig von
Entscheidungsträger*innen integriert oder ausgeschlossen werden können. So sollte
beispielsweise neben der gesetzlichen Verankerung in weiteren Ordnungen spezifiziert
werden, wie Gleichstellungs- oder Diversitybeauftragte an Ausschreibungsverfahren zu
beteiligen sind.

3 Schluss

Um Teilhabe und Nichtdiskriminierung zu verwirklichen und die Potenziale aller zu ent-


falten bedarf es Anstrengungen auf unterschiedlichen Ebenen. Eine diversitätsorientierte
Organisationsentwicklung behält daher sowohl Individuen als auch Strukturen, Prozesse
sowie die Organisationskultur im Blick. Diese Aufgabe ist mindestens komplex und
häufig auch mühsam – nicht zuletzt deshalb, weil Verwaltungen Gebilde sind, denen ein
Veränderungsdrang nicht per se inhärent ist.
Diversity Management erfordert daher, so wie alle Veränderungsprozesse in
Organisationen, einen langen Atem und eine gehörige Portion an Frustrationstoleranz.
Entwicklungen der letzten Jahre haben allerdings gezeigt, dass das Thema an Bedeutung

21 Dreas und Rastetter (2016: 352).


Diversitätsbewusste Organisationsentwicklung 201

gewinnt und somit zu hoffen ist, dass es zukünftig nicht nur rhetorisch, sondern auch
faktisch – in Form von Ressourcen – mehr Rückenwind für die Umsetzung einer diversi-
tätsorientierten Organisationsentwicklung in Verwaltungen geben wird.
Wir hoffen, Menschen mit diesem Artikel ermutigt zu haben, aktiv zu werden und
je nach Ressourcen kleinere oder größere Diversity-Aktivitäten in ihren Verwaltungen
umzusetzen.

Literatur

Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Hg.) (2010): Beschwerdestelle und Beschwerdeverfahren


nach §13 AGG. Expertise von Doris Liebscher, LL.M. und RAin Anne Kobes. Berlin. Online:
https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Expertisen/
expertise_beschwerdestelle_und_beschwerdeverfahren.pdf?__blob=publicationFile&v=4
(abgerufen am 03.01.2023).
Bogumil, Jörg (2021): Öffentliche Verwaltung. In: Andersen, Uwe/Wichard, Woyke (Hg.): Hand-
wörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Heidelberg: Springer.
Online: https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/handwoerterbuch-politisches-system/511486/
oeffentliche-verwaltung/ (abgerufen am 03.01.2023).
Bührmann, Andrea (2020): Making excellence inclusive – der Excellence Case als Link zwischen
Chancengerechtigkeit und ökonomischer Effizienz. In: Zeitschrift für Hochschulentwicklung,
15(3), S. 207–224.
Costa, Arthur L./Kallick, Bena (1993): Through the Lens of a Critical Friend. In: Educational
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Dreas, Susanne/Rastetter, Daniela (2016): Die Entwicklung von Diversity Kompetenz als
Veränderungsprozess. In: Genkova, Petia/Ringeisen, Tobias (Hg.): Handbuch Diversity
Kompetenz. Band 1: Perspektiven und Anwendungsfelder. Wiesbaden: Springer, S. 351–369
Hansen, Karin/Müller, Ursula (2003): Diversity in Arbeits- und Bildungsorganisationen. Aspekte
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Müller, Ursula: Diversity Management. Beste Practices im internationalen Feld. Münster: LIT,
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Kotter, J. P (1997): Chaos, Wandel, Führung – Leading Change. Düsseldorf: ECON
Krell, Gertraude (2004): Managing Diversity: Chancengleichheit als Wettbewerbsfaktor. In: Krell,
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Kühl, Stefan (2011): Organisationen. Eine sehr kurze Einführung. Wiesbaden: Springer.
Kühl, Stefan (2017): Leitbilder erarbeiten. Eine kurze, organisationstheoretisch informierte Hand-
reichung. Wiesbaden: Springer.
Lévesque, Veronika/Michl, Thomas (2018): Agilität – die Zukunft der Öffentlichen Verwaltung?
Warum eigentlich agil? – Laut nachgedacht entlang diskussionsbestimmender Stich- und
Schlagworte. In: Bartonitz, Martin et al. (Hg.): Agile Verwaltung. Wie kann der Öffentliche
Dienst aus der Gegenwart die Zukunft entwickeln kann. Wiesbaden: Springer, S. 41–51.
Müthel, Miriam/Högl, Martin (2013): Führung von Teams. In: Stock-Homburg, Ruth (Hg.): Hand-
buch Strategisches Personalmanagement. Wiesbaden: Gabler, S. 371–387.
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Proceedings of the 9th International Management Conference, Bucharest, Romania, S. 780–
793. Online: http://conference.management.ase.ro/archives/2015/pdf/82.pdf (abgerufen am
03.01.2023).
202 S. Dudek und I. Collien

Oppermann, Anne-Gela (2018): Diversitykompetenz; In: Diversity gelungen gestalten – Beiträge


aus der Berliner Diversity-Werkstatt, Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Anti-
diskriminierung, Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung und Eine Welt
der Vielfalt e. V. (Hg).
Thomas, Roosevelt R. (1999): Building a House for Diversity. How a Fable about a Giraffe & an
Elephant Offers New Strategies for Today’s Workforce. New York: Amacom.
Vedder, Günther (2006): Die historische Entwicklung von Diversity Management in den USA und
in Deutschland. In: Krell, Gertraude (Hg.): Diversity Management: Impulse aus der Personal-
forschung. München: Hampp, S. 1-23.

Dr. Sonja Dudek, Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung, Berlin; Sonja
Dudek leitet aktuell das Referat Diversity und Chancengleichheit in der Senatsverwaltung für
Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung in Berlin. Sie hat Psychologie studiert und in Soziologie
mit einer Arbeit zum Umgang mit Vielfalt in der Polizei promoviert. Darüber hinaus hat sie eine
Ausbildung zur Organisationsberaterin absolviert. Sonja Dudek beschäftigt sich theoretisch und
praktisch seit über 10 Jahren mit der Analyse des Umgangs von Organisationen mit Heterogenität
und der Konzeption und Umsetzung von Diversity-Strategien in Organisationen, insbesondere im
öffentlichen Sektor.

Dr. Isabel Collien, Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke, Hamburg.
Isabel Collien verantwortet seit mehr als zehn Jahren Organisationsentwicklungsprozesse im
öffentlichen Sektor mit Fokus auf Antidiskriminierung, Diversity und Gleichstellung. Sie leitet
aktuell das Referat für Antidiskriminierung und LSBTI* bei der Behörde für Wissenschaft,
Forschung, Gleichstellung und Bezirke in Hamburg. Neben ihrer Berufspraxis forscht und lehrt
sie an der Schnittstelle von kritischen Diversitätsstudien und Organisationsforschung. Sie ver-
öffentlicht in internationalen Fachzeitschriften unter anderem zum Einfluss von Altersstereotypen
auf Altersmanagement, zu kolonialen Kontinuitäten beim Diversity Management oder zu Macht in
Prozessen organisationalen Lernens.
Erarbeitung und Integration eines
Diversity Leitbildes in Verwaltungen

Stefan Fuerst

Zusammenfassung

Dieser Fachbeitrag beschäftigt sich mit der Entwicklung eines Leitbildes und
der Arbeit mit einem Leitbild für das Diversity Management innerhalb einer
Organisation. Es wird beleuchtet, wozu es überhaupt gut ist und welchen Nutzen die
Organisation intern und extern daraus ziehen kann. Es werden zahlreiche Impulse
gegeben, welche Entwicklungsansätze gewählt werden können, auf was bei der Wahl
des Teilnehmendenkreises geachtet werden sollte sowie welche Fallstricke während
der Bearbeitung auftreten könnten. Außerdem werden Aspekte der weiteren Ver-
wendung und Integration eines Leitbildes gegeben. Anhand eines praktischen Bei-
spiels der Berliner Verkehrsbetriebe wird eine Herangehensweise der Entwicklung
näher beleuchtet.

Schlüsselwörter

Diversity · Leitbild · Leitbildentwicklung · Organisationsentwicklung · Strategie

S. Fuerst ( )
DRV Bund, Berlin, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 203
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_15
204 S. Fuerst

1 Einleitung

Leitbilder sind nahezu überall in unserer Welt anzufinden. Unternehmen haben Leit-
bilder, in denen sie die Idee ihres Wirkens und Handelns darlegen. Parteien haben Leit-
bilder oder Parteigrundsätze, die die Leitplanken ihrer Vorstellung unserer Gesellschaft
fixieren. Aber auch ganze Generationen oder Einzelpersonen haben ein eigenes, aber
oft nicht fixiertes und oft auch unbewusstes (Leit-) Bild davon, was ein gutes Leben
bedeutet und wie es erreicht werden kann. Ein spezifisches Leitbild für das Themen-
feld Diversity beziehungsweise Diversity Management kann die eigene Arbeit sowie die
Positionierung der Organisation maßgeblich positiv beeinflussen und die im Allgemeinen
herausfordernde Arbeit in diesem Themenfeld erleichtern.

2 Was ist ein Leitbild?

Ein Leitbild ist im Allgemeinen eine schriftliche Grundsatzerklärung. Es ist eine Aus-
arbeitung, welche Normen und Regeln einer Organisation beschreibt. Es ist sozusagen
ein (neuer) Orientierungsrahmen. Vorrangiges Ziel ist es, eine Identifikation mit einer
‚großen Idee‘ herzustellen, indem es für ein gemeinsames Verständnis sorgt und auch ein
Zielbild umreißt.
Im Organisationskontext geht es um ein gemeinsames Bild und Verständnis von
Sinn und Zweck von Diversity beziehungsweise Diversity Management innerhalb
einer Organisation. Für das Arbeitsfeld des Diversity Managements kann es daher als
strategisches Element der eigenen Ausrichtung angesehen werden, aus dem sich folgend
die eigenen Arbeitsschwerpunkte und Maßnahmen ableiten lassen.
Es gibt verschiedene Ansätze, wie ein Leitbild aufgebaut werden kann und welche
Aspekte integriert werden sollten. Um ein gemeinsames Verständnis und auch eine
Identifikation herzustellen, ist es notwendig, Menschen von dem Anliegen zu über-
zeugen. Daher sollte ein Leitbild folgende Fragen beantworten können:

Warum machen wir das/Welches Ziel haben wir?


Wie können wir das Erreichen?
Was müssen wir dafür tun?

Können diese Aspekte durch ein allen zugängliches Leitbild beantwortet werden, können
Maßnahmen und Interventionen zielgerichtet geplant und ausgesteuert werden und die
Mitarbeitenden werden eine erhöhte Bereitschaft dafür zeigen, den Kurs einer diversi-
tätsorientierten Kulturentwicklung mitzugehen. Weil sie wissen, warum es gemacht
wird, wie es angegangen wird und was gemacht werden soll.
Erarbeitung und Integration eines Diversity … 205

3 Vorteile und Nutzen eines Leitbildes für das Diversity


Management und die Organisation

Die Vorteile und der Nutzen (vgl. Abb. 1) eines spezifischen Diversity Leitbildes lassen
sich in interne und externe Aspekte aufteilen. Die internen Aspekte haben einen klaren
Fokus auf die Mitarbeitenden beziehungsweise auf die Entwicklung der Organisations-
kultur im Hinblick auf Normen und gemeinsame Werte. Die externen Aspekte betrachten
die Organisation in einem externen System und setzen die Wahrnehmung und die
Positionierung in den Fokus.
Ein wichtiger Hauptnutzen ist die Schaffung eines gemeinsamen Verständnisses
zu Diversity (Management) innerhalb der Organisation. Ein erfolgreiches Diversity
Management arbeitet mit einer erhöhten Komplexität und dies sollte sich auch in
einem Leitbild widerspiegeln. Vielen Menschen ist der Umfang und die Bedeutung von
Diversity in der und für die Organisation nicht bewusst und Diversity wird oft ledig-
lich mit Einzelaspekten in Verbindung gebracht, die gesellschaftlich und medial aktuell
stark fokussiert und diskutiert werden (z. B. MeToo, Gendern), ohne das große Ganze
zu betrachten. Daher ist es hilfreich und notwendig, um eine persönliche Identifikation
zu ermöglichen, dass verständliche Aussagen dahingehend getroffen werden, wieso
und weshalb Diversity (Management) allen Menschen zugutekommt. Um ein nutzbares
Commitment der gesamten Organisation durch ein Leitbild zu erreichen, sollte es durch
die Leitungsebene in die Organisation kommuniziert werden. Dies sorgt für Commit-

Vorteile & Nutzen

Gemeinsames Verständnis von Diversity (Management) in der Organisation

Höhere thematische Identifikation und Motivation innerhalb der Organisation


Interne Aspekte

Ausbau des Commitments der Gesamtorganisation

Grundlage für Ziele, Strategie und Maßnahmen des Diversity Managements

Verbesserte öffentliche Wahrnehmung und klare Positionierung

Verbessertes Employer Branding


Externe Aspekte

Bessere Positionierung auf dem Bewerber*innenmarkt

Gesteigerte Kund*innennähe

Abb. 1 Vorteile & Nutzen eines Leitbildes im Diversity Management. (Eigene Darstellung.
Inhalte angelehnt an Diversity Management Studie, 2021 sowie Elmerich et al., 2007)
206 S. Fuerst

ment, zum einen, weil ein für alle verpflichtendes Bekenntnis veröffentlicht wurde
– aus dem sich Veränderungen ergeben sollten – und zum anderen, weil das Thema
Diversity Management gesamtunternehmerisch wahrgenommen wird und das Stigma als
reines Thema des Personalbereichs verliert. Wie bereits erwähnt, kann ein Leitbild ein
strategisches Instrument der Ausrichtung des Diversity Managements sein. Ein Leitbild
beschreibt einen Soll-Zustand, den es zu erreichen gilt und setzt, je nach Aufbau, bereits
größere Handlungsfelder oder Ziele auf einer übergeordneten Ebene fest. Aus diesen
lassen sich kurz-, mittel- und langfristige Ziele für die Arbeit des Diversity Managements
ableiten und für alle nachvollziehbare Maßnahmen entwickeln.
Als externe Aspekte stehen deutlich die Positionierung und die öffentliche Wahr-
nehmung im Fokus. Diversity Management strahlt nach außen und lässt sich für
die Organisation nutzbar machen. Ein extern kommuniziertes Leitbild unterstreicht
die internen Bemühungen und wirkt sich direkt auf die externe Wahrnehmung der
Organisation in der Gesellschaft aus. Ein wirkungsvolles Diversity Management
erleichtert die Rekrutierung neuer Fachkräfte, da es das Employer Branding als Arbeit-
geber bei spezifischen Zielgruppen verbessert sowie zielgenau jüngere Generationen
anspricht.

„Der Fachkräftemangel und demografische Wandel führen zu einer Machtverschiebung, die


viel Druck auf die Unternehmen ausübt: Sie müssen ihre Werte im Bereich Diversity nach
außen kommunizieren. Denn das wird von den nachrückenden Generationen zunehmend
gefordert.“ (Diversity Management Studie 2021, S. 8)

Dies lässt sich durch Studien belegen: Die Diversity Management Studie (2021) der Page
Group kam zu dem Ergebnis, dass 66 % der befragten Unternehmen ein verbessertes
Employer Branding und 44 % ein verbessertes Image durch ihre Diversity Bemühungen
feststellen konnten. Auch aktuelle Untersuchungen zur Generation Z bestätigen, dass
Diversity einen neuen Stellenwert in der Gesellschaft einnehmen wird (vgl. New Rules
2021). Unter diesen Rahmenbedingungen lässt sich kaum auf eine klare Positionierung
nach innen wie außen verzichten, wenn man als Organisation attraktiv bleiben oder
werden will – und hier kann ein Leitbild ansetzen.

Die Arbeit und die organisationsinterne Beschäftigung mit Aspekten rund um


Diversity Management sind kein gesellschaftlicher Hype, wie es gelegentlich
in Medien zu lesen oder zu hören ist. Es ist eine gesellschaftlich überfällige Ent-
wicklung zu mehr Chancengleichheit und -gerechtigkeit, die bleiben wird. Es
ist der Zeitgeist der dies steuert, ganze Generationen die dies einfordern und der
Gesetzgeber der dies verfestigen wird. Ein Blick auf die progressive Landespolitik
des Berliner Senats, gibt uns gegebenenfalls einen Eindruck, was wir künftig im
gesamten Bundesgebiet erwarten dürfen. Mit dem Landesantidiskriminierungs-
gesetz aus 2020 und dem sogenannten „Gesetz der offenen Tür“ (Gesetz zur
Förderung der Partizipation und Migration) aus 2021 hat Berlin neue Maßstäbe
und richtungsweisende Gesetze im Hinblick auf die Ausgestaltung des Diversity
Erarbeitung und Integration eines Diversity … 207

Managements der öffentlichen Verwaltung und der kommunalen Betriebe Berlins


geschaffen.

4 Entwicklung eines Leitbildes

Die Entwicklung eines Diversity Leitbildes ist ein komplexer und spannender Prozess.
Er sollte gut geplant und mit dem notwendigen Durchhaltevermögen verfolgt werden.
Es gibt verschiedene Wege, um ein Leitbild zu entwickeln und gewisse Risiken, die ver-
mieden werden können. Folgende Absätze geben einen Überblick über die Möglich-
keiten und Stolpersteine im Prozess.
Es gibt verschiedene Herangehensweisen, wie Strategien oder Leitbilder entwickelt
werden und in die Organisation getragen werden können. Der wohl bekannteste – und
auch kritisch diskutierte – ist der Top-Down-Ansatz. Verkürzt dargestellt arbeitet dort
das Top-Management etwas aus und gibt es Kraft ihrer Autorität in die Organisation.
Dieser Ansatz kommt zum Beispiel häufig bei der Entwicklung einer neuen Strategie
zum Tragen. Dieser Ansatz hat die Vorteile, dass der Rückhalt des Top-Managements
gesichert ist und dass die Erarbeitung vergleichsweise zügig erfolgen kann. Daraus ergibt
sich jedoch auch der Nachteil, dass wenige Personen oder Interessensgruppen aus der
Organisation in den Entwicklungsprozess eingebunden sind und es zu Widerständen oder
gar Ablehnung kommen kann. Der Bottom-Up-Ansatz stellt den gegensätzlichen Ansatz
dar. In diesem geht die Veränderung beziehungsweise die Erarbeitung des ‚Neuen‘ von
der Basis aus. Also von den operativen Mitarbeitenden, die keine hohe hierarchische
Stellung in der Organisation einnehmen. Dies kann ein vergleichsweise inklusiver
Ansatz sein, da viele Personen oder Interessensgruppen an der Erarbeitung partizipieren
können. Es setzt jedoch voraus, dass das Top-Management diese Art der Erarbeitung
und vor allem das Ergebnis mitträgt (vgl. Kauffeld 2014, o.S.). Dies macht einen reinen
Bottom-Up-Ansatz auch zu einem Risiko. Viele Organisationen – insbesondere auch Ver-
waltungen – haben wenig Erfahrung mit Veränderungs- oder Erarbeitungsprozessen, die
von der Basis ausgehen und können daher schnell scheitern. Zum einen dadurch, dass
das Top-Management bei den Ergebnissen interveniert oder zum anderen dadurch, dass
bereits der Entwicklungsprozess scheitert, da die Organisationskultur und -realität nicht
auf solch einen Ansatz ausgelegt ist. Neben diesen Ansätzen gibt es noch Mischformen,
die Elemente aus beiden Ansätzen integrieren, indem sie zum Beispiel sowohl die Basis
und das Top-Management in den Prozess einschließen oder auch an anderen Ebenen der
Organisation ansetzen.
Für die Erarbeitung eines Diversity Leitbildes können Mischformen der Erarbeitung
besonders zuträglich sein. Denn das Top-Management wird benötigt, um der daraus
resultierenden Kulturveränderung genügend Rückhalt zu garantieren und Mitarbeitende
aus der Basis sowie die verschiedenen Interessensgruppen (z. B. thematisch eng ver-
bundene Netzwerke oder auch Arbeitnehmer*innenvertretungen) werden benötigt, um
208 S. Fuerst

dem Thema genügend Legitimität zu verleihen. Die Einbindung diverser Personen-


gruppen bietet gleichzeitig die Möglichkeit, Multiplikator*innen zu finden und zu ent-
wickeln. Menschen, die an solch einem Prozess intensiv beteiligt sind, werden sich mit
erhöhter Wahrscheinlichkeit mit den Inhalten und den Folgeprozessen identifizieren und
aktiv unterstützen.

5 Mögliche Inhalte und Struktur eines Leitbildes

Wie eingangs bereits erwähnt, sollte ein Leitbild zur Identifikation beitragen und auch
als strategisches Instrument verstanden werden. Die Fragen, die das Diversity Leitbild
beantworten soll, sind eng an der Logik eines Visions- & Missionsstatements angelehnt:
Warum machen wir das/Welches Ziel haben wir? Wie können wir das erreichen? Was
müssen wir dafür tun?
Das ‚Warum‘ beziehungsweise das ‚Ziel‘ ist sozusagen das große noch zu erreichende
und noch entfernte Zukunftsbild. Es ist der Grund, warum wir uns mit Diversity
beschäftigen und warum es uns wichtig ist. Und dies kann durchaus verschieden sein.
So können sich die einen zum Beispiel ein wertschätzendes Arbeitsumfeld für alle Mit-
arbeitenden ohne jede Diskriminierung wünschen (vgl. Charta der Vielfalt 2022) und die
anderen, dass sie die Gesellschaft, in der wir leben in der Organisation abbilden wollen
(vgl. Leitbild ‚Weltoffenes Berlin – chancengerechte Verwaltung‘ 2019). Der Nutzen
dieses Ziels kann wiederum verschieden sein, sollte aber auch formuliert werden. Denn
er ist essenziell, um eine Argumentation aufzubauen, die wiederum für die Identifikation
und das Verständnis unabdingbar ist. Die einen legen ihren Fokus auf wissenschaftlich
gesicherte ökonomische Erkenntnisse, wie z. B. Innovationssteigerungen, eine bessere
Marktdurchdringung und damit auf einen Gewinn- beziehungsweise Erfolgszuwachs.
Andere haben ethische und moralische Aspekte stärker im Fokus.
Das ‚Wie‘ beschreibt, wie wir dorthin kommen können und was bei diesem Prozess
wichtig ist. Zum Beispiel, indem wir Vielfalt bewusst fördern, Chancengerechtig-
keit aktiv herstellen oder selbst definierte Werte leben, die uns für unsere diversitäts-
orientierte Entwicklung der Organisation wichtig erscheinen. In diesem Part ist es
zielführend, die Aspekte näher zu beleuchten und auch zu beschreiben, denn – um bei
unseren Beispielen zu bleiben – kann ‚Chancengerechtigkeit herstellen‘ für verschiedene
Personen durchaus unterschiedliches bedeuten und bei Unklarheit Konfliktpotenzial
bereithalten.
Das ‚Was‘ sind die Aspekte, die nun angegangen werden sollen. Es sind die
Maßnahmen oder Planungen, die das ‚Warum‘ und das ‚Wie‘ flankieren und grob
operationalisieren. Diese sollten so konkret sein, dass alle wissen, auf was sie nun ver-
trauen und sich berufen können aber so abstrakt, dass sie nicht alle 12 Monate angepasst
werden müssen. Zum Beispiel:
Erarbeitung und Integration eines Diversity … 209

‚Wir stellen uns konsequent gegen alle Arten von Diskriminierungen und schaffen
Abhilfe‘
‚Wir befähigen unsere Führungskräfte dahingehend, dass sie eine Kultur der Wert-
schätzung von Vielfalt entwickeln können‘
‚Wir machen unsere Diversität zu Inhalten unserer Kommunikation‘

Diese Selbstverpflichtungen sind auf einer Ebene, von der ausgegangen werden kann,
dass sie längerfristig Gültigkeit besitzen und nicht ständig angepasst werden müssen.
Sie sind gleichzeitig aber konkret genug, dass kurz-, mittel- und langfristige Ziele und
Maßnahmen, wie zum Beispiel Führungskräfteschulungen, zusätzliche Strukturen
und/oder Ansprechpersonen bei Diskriminierungen oder auch das Erstellen eines
Kommunikationsplans, abgeleitet werden können.

Viele Organisationen sind bereits gewisse Selbstverpflichtungen eingegangen. Zum


Beispiel durch das Unterzeichnen der Charta der Vielfalt. Diese sollten integriert
werden. Das erstellen eines hauseigenen Diversity Leitbildes bietet dabei die
Möglichkeit, die bestehenden Selbstverpflichtungen weiter zu konkretisieren.

6 Fallstricke in der Entwicklung eines Leitbildes

Einige Fallstricke und Risiken wurden im Laufe des Kapitels bereits erwähnt. Dies
waren explizit die Gefahr des fehlenden Commitments (Rückhaltes) des Top
Managements, welches zwingend benötigt wird. Zum einen, um ein Leitbild in der
Organisation zu installieren und zum anderen, um die notwendigen Veränderungen,
die damit ausgelöst beziehungsweise gestartet werden sollen, zu initiieren. Fehlender
Rückhalt würde unweigerlich dazu führen, dass es zwar ein Leitbild gibt, welches für
die Kommunikation nach innen- und außen genutzt werden kann, es jedoch ein Blatt
Papier bleibt, welches keine Veränderungen in der Organisation auslöst. Es müssen daher
Aktionen, Maßnahmen und Folgeprozesse abgeleitet werden, die vom Management
mitgetragen werden.
Gerade in der Entwicklungsphase ist es wichtig, sich frühzeitig über die Methodik der
Entwicklung sowie den Teilnehmer*innenkreis Gedanken zu machen. Nicht nur wegen
des Commitments des Top-Managements, sondern auch, um die relevanten Stake-
holder und Interessensgruppen im Boot zu haben. Viele Organisationen besitzen zum
Beispiel Netzwerke, die thematisch eng an das Thema Diversity gebunden sind: Sie
müssen dabei sein. Interessensvertretungen rund um Gleichstellung oder Inklusion,
die in vielen Organisationen vorhanden sind: Sie müssen dabei sein. Besonders heraus-
stechende Personen, die in der Organisation bekannt sind und mit dem Thema ver-
bunden sind: Sie müssen dabei sein. Im Allgemeinen sollte der Teilnehmer*innenkreis
gut gewählt sein, um die notwendige Legitimität zu erreichen. Es ist hilfreich, sich auch
210 S. Fuerst

an den verschiedenen Diversity Dimensionen zu orientieren, um herausfinden, welche


Gruppen in dem Prozess eventuell noch nicht ausreichend repräsentiert sind. Gerade
solch ein Prozess kann ein Musterbeispiel der Inklusion darstellen – und sollte es auch.
Während der Erarbeitung oder auch danach, kann es zu diversen Gegenreaktionen
kommen. Das Thema Diversity ist für viele Menschen ein emotionales Thema und kann
auch diverse Ängste auslösen – wie in jedem Veränderungsprozess. Dies sollte allen
Beteiligten klar gemacht werden, um kompetent damit umgehen zu können und sich
nicht von dem Weg oder dem Ziel abbringen zu lassen.
Bei der Ausformulierung eines Leitbildes ist es wichtig, authentisch zu sein.
Authentisch meint in diesem Sinne, dass es zur Organisation passt. Ist eine Organisation
rein leistungs-, wachstums- oder erfolgsgetrieben, ist eine rein moralisch-ethische
Ausrichtung eines Leitbildes vielleicht nicht die passende. Ist eine Organisation
gemeinwohlorientiert und verfolgt weniger den reinen Leistungsgedanken, ist eine
Argumentation mit dem ökonomischen Nutzen vielleicht nicht die passende. Ein Leitbild
muss zu der Identität der Organisation passen.

7 Arbeiten mit einem Leitbild und Integration

Die Erarbeitung und Verabschiedung eines Leitbildes ist lediglich der erste Meilenstein.
Die größere Herausforderung ist es, die Inhalte dieses neuen Orientierungsrahmens
zum Leben zu erwecken. Ein Leitbild bewegt sich auf der Ebene der Kultur- und
Organisationsentwicklung und auch in dem Bereich, wo lang Bestehendes und
Akzeptiertes hinterfragt und angepasst werden soll. Dies benötigt vor allem eines: Zeit.
Und es benötigt: Zuständigkeiten und Ressourcen. Ziele, die gesetzt werden, müssen
verfolgt und gesteuert werden. Viele Organisationen besitzen ein Diversity Management
oder zumindest damit beauftragte Personen. Dies ist förderlich, denn die Aspekte und
Aufgaben rund um die Umsetzung des Leitbildes sind komplex und ein Querschnitts-
thema. Es benötigt eine Zuständigkeit, welche die Impulse in die jeweilen Bereiche und
Abteilungen bringt.
Ein besonderer Fokus sollte auch auf eine nachhaltige Kommunikation des Leit-
bildes gelegt werden, denn im Alltagsgeschäft werden lediglich einmalig kommunizierte
Aspekte schnell vergessen. Diesem kann mit einem cleveren Konzept und auch einem
multimedialen Ansatz entgegengewirkt werden. Zum Beispiel indem Kurzvideos oder
Handreichungen zu den Inhalten und deren Bedeutung erstellt werden, regelmäßig
Artikel in einer Mitarbeitendenzeitschrift oder im Intranet einen Bezug herstellen
oder auch, indem das Top-Management und die Führungskräfte anlassbezogen darauf
referenzieren.
Das Leitbild sollte sich ferner – früher oder später – in anderen Steuerungs-
instrumenten wiederfinden. Dies kann die Integration in einen bestehenden Verhaltens-
kodex sein, in eine thematisch verwandte Dienstvereinbarung, aber auch in die nächste
Strategie.
Erarbeitung und Integration eines Diversity … 211

Den Kern der Arbeit mit einem Leitbild bildet jedoch immer Folgendes: ziel-
orientierte Folgemaßnahmen.

8 Praktisches Beispiel einer Herangehensweise der Berliner


Verkehrsbetriebe AöR (BVG)

In Berlin steht die BVG wie kaum ein anderes Unternehmen für Diversity. Provokante
Marketingaktionen, wie zum Beispiel ein um den Gender-Pay-Gap vergünstigtes
Aktionsticket für Frauen oder eine komplett in Regenbogenfarben beklebte U-Bahn,
sind keine Überraschung für die Berliner*innen. Auch intern hat die BVG viel zu bieten:
ein hauseigenes Diversity Management und verschiedene aktive Mitarbeiter*innennetz-
werke halten die BVG in Sachen Vielfalt auf Spur. Ein Diversity Leitbild soll künftig
die nächste Evolutionsstufe der Entwicklung hin zu einer vielfältigen Arbeitgeberin
einläuten. Ziel dieses Leitbildes ist es, durch eine gemeinschaftliche Erarbeitung Leit-
linien in Bezug auf Vielfältigkeit, Chancengleichheit und -gerechtigkeit sowie Anti-
diskriminierung zu formulieren. Des Weiteren soll es die bestehenden rechtlichen
Rahmenbedingungen und bisherige Selbstverpflichtungen – wie die Inhalte der unter-
zeichneten Charta der Vielfalt – mit BVG spezifischen Inhalten und Schwerpunkten sinn-
voll verbinden.
Innerhalb der BVG wurde für die Entwicklung eine Mischform gewählt. Seitens
des Top-Managements wurde auf Wunsch des Diversity Managements der Auftrag zur
Erarbeitung in die Organisation gegeben und der Prozess stetig beworben und punktuell
begleitet. Der Prozess selbst wurde durch das Diversity Management gesteuert und
partizipativ ausgerichtet.
Mehr als 60 Personen, aus allen Tätigkeitsbereichen und Hierarchiestufen sowie
mit den unterschiedlichsten Merkmalen und Hintergründen, waren Teil einer aktiven
Arbeitsgruppe, die in mehreren Terminen und Workshops innerhalb eines Jahres
diverse Themenschwerpunkte diskutierten und bearbeiteten. Zusätzlich konnten alle
interessierten Mitarbeitenden ihren Beitrag zu dem künftigen Leitbild in den Prozess mit
einbringen (vgl. Abb. 2).
Das Vorhaben der Erarbeitung eines Diversity-Leitbildes startete mit einem digitalen
Kick-Off-Termin. Ziel dieses Termins war es, ein gemeinsames Verständnis für die Not-
wendigkeit und das kollektive Ziel des Vorhabens allen Beteiligten zu vermitteln und den
großen Gestaltungsspielraum aufzuzeigen. Der Kick-Off wurde von den Vorständen der
BVG AöR gemeinsam mit dem Diversity Management eröffnet. Anschließend stellte das
Diversity Management die weitere Projektplanung und die verschiedenen Partizipations-
möglichkeiten innerhalb des Prozesses vor. Im Verlauf des Termins konnten sich die
Projektbeteiligten in Kleingruppen etwas näher kennenlernen und ihre ersten Intentionen
und Eindrücke miteinander austauschen und zum Thema Diversity bereichs- und
hierarchieübergreifend ins Gespräch kommen.
212 S. Fuerst

Kick-Off Befragung Workshops Finalisierung

• Eröffnung und • Partizipation der • Durchführung von • Entwurf-


Einleitung durch Belegschaft insgesamt 8 erstellung
den Vorstand durch eine Workshops zu den • Diskussion mit
• Vorstellung des analoge Themenfeldern: Stakeholdern
Projekts und des Postkarte bzw. • Gute Führung
ein digitales • Feedback des
Projektteams • Strukturen Projektteams
Fragetool mit • Verhalten
• Erarbeitung der Fragen zu einholen {aktuell
Themenfelder • Werte ausstehend}
Werten und • Strategie
• Klärung des inhaltlichen • Interne &
weiteren Schwerpunkten • Ableiten der Inhalte externe
Vorgehens und des künftigen sowie erster Veröffentlichung
Organisator- Leitbildes Maßnahmenvorschläge {aktuell
isches ausstehend}

Abb. 2 Ablauf Prozess Diversity-Leitbild bei der BVG AöR. (Eigene Darstellung)

In den Folgewochen und -monaten fanden Workshops zu diversen Themen (siehe


Abb. 2) zur weiteren Erarbeitung statt. Die Projektbeteiligten konnten nach Interesse
auswählen, an welchen und an wie vielen Workshops sie teilnehmen wollten. Die Work-
shops selbst wurden professionell moderiert und stark interaktiv gestaltet. Inhaltlich
wurden u. a.:

die Ergebnisse aus der Befragung ausgewertet


Werte entwickelt, diskutiert und auch definiert
interne und externe Stakeholder identifiziert und deren Erwartungen an die BVG
abgeleitet
Zukunftsprognosen und -Bilder entworfen
vorhandene Strukturen rund um Diversity, Inklusion und Antidiskriminierung
beleuchtet und Änderungsbedarfe besprochen
idealtypische Führungspersonas entwickelt, die das Konzept ‚inclusive Leadership‘
verinnerlicht haben

Innerhalb der Workshops ging es nicht lediglich um das Ausformulieren der Inhalte
eines Leitbildes. Die Workshops waren so angelegt, dass alle angrenzenden Themen und
persönlichen Impulse und Ansichten rund um das Thema Diversity Management in der
BVG Raum erhielten. Die Ergebnisse der Workshops waren diverse schriftliche Aus-
arbeitungen und eine Sammlung von größeren und kleineren Maßnahmenideen. Zum
Teil konnten Ideen zu Folgemaßnahmen schon während des Prozesses in die Umsetzung
gehen. Als Beispiel können hier neue interne Diversity Schulungsangebote für Führungs-
kräfte und Mitarbeitende oder auch eine externe Kooperation und Begleitung zur Über-
Erarbeitung und Integration eines Diversity … 213

prüfung und Neuausrichtung der BVG-internen Antidiskriminierungsstrukturen genannt


werden.
Das Leitbild soll voraussichtlich 2023 finalisiert und folgend weiter operationalisiert
und zum Leben erweckt werden.

9 Fazit

Ein Diversity-Leitbild ist ein strategisches Instrument, an dem Maßnahmen und


Aktionen des Diversity Managements ausgerichtet werden können. Es kann sowohl
intern als auch extern Wirkung entfalten, indem es die Positionierung als diversitäts-
orientierte Arbeitgeberin stärkt und intern Leitplanken eines weiteren Entwicklungs-
prozesses setzt. In der Erarbeitung sollte ein bewusster Ansatz in der Wahl zwischen
Top-Down- oder Bottom-Up-Ansatz gewählt werden sowie ein kritischer Blick auf den
gewählten Teilnehmendenkreis gelegt werden.
Dieses bewusste Handeln sichert, dass bekannten Fallstricken, wie fehlendes
Commitment oder das fehlende Einbinden wichtiger Stakeholder, ausgewichen wird. Die
Inhalte des Leitbildes selbst können sich an klassischen Fragestellungen von Visions-
und Missionsstatements orientieren, um eine gute Argumentation und damit Sinnhaftig-
keit sicherzustellen. Konkrete Ziele auf einer übergeordneten Meta-Ebene helfen, eine
sinnvolle Strategie für übergreifende Aktionen und Maßnahmen auf kurz-, mittel- und
langfristigem Zeithorizont zu entwickeln. Die Erarbeitung eines Leitbildes kann auf
verschiedenen Methoden basieren. Integrative Ansätze wie Befragungen steigern die
Partizipation und damit den Rückhalt. In gut moderierten Workshops mit einem bewusst
gewählten Teilnehmendenkreis können diverse zu beleuchtende Aspekte des Leitbildes
diskutiert und ausgearbeitet werden.
Die Entwicklung eines Diversity Leitbildes ist ein spannender und auch fordernder
Prozess. Das Ergebnis ist es jedoch wert, denn es schafft Transparenz und Klarheit und
trägt der diesbezüglichen Komplexität unserer Welt Rechnung. Es ist ein Meilenstein in
der diversitätsorientierten Organisationsentwicklung und die Grundlage der Arbeit der
Folgejahre.
Es gilt zu vermeiden, dass ein Leitbild lediglich für die externe Kommunikation ent-
wickelt wird, denn es ist kein Marketinginstrument. Ein Leitbild muss gelebt werden
und darf nicht nur ein Lippenbekenntnis sein. Dafür benötigt es Ressourcen, Zuständig-
keiten und zielgerichtete Aktionen und Maßnahmen. Wenn dies beachtet wird, ist es eine
großartige Chance, sich als Arbeitgeber*in zukunftsfähig und inklusiv aufzustellen und
mit den wachsenden Herausforderungen der Gegenwart und des Kommenden souverän
umzugehen.
214 S. Fuerst

Literatur

Charta der Vielfalt. https://www.charta-der-vielfalt.de/ueber-uns/ueber-die-initiative/urkunde-


charta-der-vielfalt-im-wortlaut/ (2022). Zugegriffen: 5. Dezember 2022
Diversity Management Studie 2021: Wie Unternehmen den Einsatz und Erfolg von
Diversity bewerten. https://www.michaelpage.de/sites/michaelpage.de/files/
pagegroupdiversitystudie2021.pdf (2021). Zugegriffen: 31. Oktober 2022
Elmerich, K., Hornberger, S., Karl, D., Watrinet, C.: Inhalts- und Wirkungsanalyse von Leit-
bildern unter dem Aspekt Managing Diversity. In: Wagner, D., Voigt, B. F. (Hrsg.) Diversity
Management als Leitbild von Personalpolitik, S. 17–38. Deutscher Universitäts-Verlag (2007)
Kauffeld, S.: Web-Exkurs aus Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie für Bachelor.
Springer-Verlag: Berlin Heidelberg. https://lehrbuch-psychologie.springer.com/sites/default/
files/atoms/files/web-exkurs.004.01.pdf (2014). Zugegriffen: 5. Dezember 2022
Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG). https://www.berlin.de/sen/lads/recht/ladg/materialien/
ladg-gesetzes-und-verordnungsblatt.pdf (2020). Zugegriffen: 5. Dezember 2022
Leitbild ‚Weltoffenes Berlin – chancengerechte Verwaltung‘. https://www.berlin.de/sen/lads/_
assets/schwerpunkte/diversity/2019_leitbild-weltoffenes-berlin-chancengerechte-verwaltung.
pdf (2019). Zugegriffen: 5. Dezember 2022
New Rules: How is Gen Z Changing the World of Work. https://www.heforshe.org/sites/default/
files/2021-05/lewis-genz-report-final.pdf (2021). Zugegriffen: 5. Dezember 2022

Stefan Fuerst, M. Sc., Deutsche Rentenversicherung Bund, Berlin.


Stefan Fuerst, M. Sc. leitet das Diversity Management der Deutschen Rentenversicherung
Bund. Zuvor war er im Diversity Management der BVG (Berliner Verkehrsbetriebe) tätig. Stefan
Fuerst ist studierter Sozialwissenschaftler und Wirtschaftspsychologe. Er engagiert(e) sich u. a. als
Vorstand im SchwuZ Berlin sowie in der Jury gegen sexistische und diskriminierende Werbung der
Berliner Senatsverwaltung.
Employee Resource Groups:
Beschäftigtennetzwerke zur Stärkung
von Diversity und Inclusion

Magdalena Weiß

Zusammenfassung

Beschäftigtennetzwerke, die auch als Employee Resource Groups (ERGs) bezeichnet


werden, sind formale Gruppen innerhalb einer Organisation, die freiwillig von
Beschäftigten initiiert und koordiniert werden. Sie tragen zu einer diversen und
inklusiven Kultur am Arbeitsplatz bei und können hierfür auf unterschiedliche Ziele
und Themen ausgerichtet sein. Im folgenden Fachbeitrag wird deutlich, welchen
Mehrwert ERGs für Organisationen sowie Beschäftigte erzeugen und wie diese
initiiert und gestaltet werden können. Dabei wird auf unterschiedliche Rahmen-
bedingungen und Herausforderungen eingegangen, die berücksichtigt werden müssen,
um ERGs in der Organisation erfolgreich zu etablieren. Leitungsunterstützung zu
erhalten und Mitglieder zu aktivieren sind dabei nur zwei entscheidende Faktoren.
Abschließend werden zusätzliche Hinweise für bestehende ERGs gegeben, die dabei
helfen können, eine ERG innerhalb und außerhalb der jeweiligen Organisation zu ver-
ankern.

Schlüsselwörter

Netzwerk · Beschäftigtennetzwerk · Employee Resource Groups (ERGs) ·


Diversity and Inclusion · Human Resource

M. Weiß ( )
Informationstechnikzentrum Bund, Berlin, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 215
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_16
216 M. Weiß

1 Einleitung

Netzwerke, die auch als Employee Resource Groups (ERGs) bezeichnet und im
Folgenden so genannt werden, sind formale Gruppen innerhalb einer Organisation, die
freiwillig von Beschäftigten initiiert und koordiniert werden und zu einer diversen und
inklusiven Kultur am Arbeitsplatz beitragen.
ERGs können dabei auf unterschiedliche Ziele und Themen ausgerichtet sein.
Beispielsweise kann sich eine ERG an bestimmte Personengruppen richten (z. B.
LGBTQIA+, Frauen, Black and People of Colour (BPoC), Menschen mit Behinderung)
oder Personen in unterschiedlichen Lebensphasen adressieren (z. B. Pensionär*innen,
Berufseinsteiger*innen, Eltern). Aber auch funktionale ERGs, die die Effizienz einer
Organisation voranbringen möchten, sind denkbar (z. B. Agilität) (Welbourne et al. 2015,
S. 4).
In der Regel werden ERGs nicht durch Top-Down-Entscheidungen ins Leben gerufen,
sondern entstehen Bottom-Up aus dem Kreis der Beschäftigten, die sich über ihre eigent-
liche Arbeit hinaus engagieren (Douglas 2008). Infolgedessen wird Netzwerkarbeit im
besten Fall nicht delegiert, sondern Beschäftigte werden dabei unterstützt, selbst aktiv zu
werden und ERGs zu gründen. Daher liegt der Fokus im Folgenden auf der Perspektive
der Beschäftigten, die eine ERG initiieren möchten. Besteht dennoch seitens der Leitung
der Wunsch, ERGs in der Organisation zu etablieren, so ist es wertvoll herauszufinden,
weshalb Beschäftigte bislang nicht aktiv geworden sind und Rahmenbedingungen wie
zum Beispiel die Bereitstellung von finanziellen Mitteln dementsprechend anzupassen.
Eine Veranstaltung zum Thema ERGs oder Diversity und Inclusion, die sich an alle
Beschäftigten richtet, kann außerdem dabei helfen, dem Thema eine grundsätzliche
Sichtbarkeit in der Organisation zu geben und Potenzial für eine Weiterentwicklung zu
schaffen.

2 Relevanz und Zweck von Employee Resource Groups

Nicht nur für die Organisation, sondern auch für Beschäftigte gibt es zahlreiche Gründe,
die für die Initiierung von ERGs sprechen.

2.1 Perspektive der Organisation

In einer Organisation fungieren ERGs als Interessensvertretung für ein Thema oder eine
Personengruppe und bieten eine Möglichkeit für den Informationsaustausch sowohl
innerhalb der ERG als auch zwischen der ERG und der Organisationsleitung. Sie
helfen ein Umfeld zu schaffen, in dem Beschäftigte gehört und gesehen werden, geben
den Beschäftigten die Chance, die Organisation und insbesondere die Organisations-
kultur mitzugestalten, und sorgen für mehr Sichtbarkeit von strukturellen Problemen
Employee Resource Groups: Beschäftigtennetzwerke … 217

(Casey 2021, S. 3). Gleichzeitig werden Ansprechstellen geschaffen, die über die AGG-
Beschwerdestelle hinausgehen. Beispielsweise dient das Koordinationsteam des Queeren
Netzwerks im Informationstechnikzentrum Bund (ITZBund) als Vertrauensstelle, die
explizit für die Anliegen der LGBTQIA+ Beschäftigten sensibilisiert ist.
Außerdem besteht für Organisationen im Hinblick auf das Recruiting ein Wett-
bewerbsvorteil. Denn ERGs sind nicht nur attraktiv für Beschäftigte und stärken deren
Verbundenheit zur Organisation, sondern sprechen auch potenzielle Bewerber*innen
an. Insbesondere ERGs, die sich mit sozialen Themen beschäftigen (z. B. LGBTQIA+,
Frauen, BPoC, Menschen mit Behinderung), können den Ruf einer Organisation positiv
beeinflussen (Welbourne et al. 2015, S. 24).

2.2 Perspektive der Beschäftigten

Neben den Faktoren, den Kulturwandel innerhalb der Organisation voranzutreiben


und den eigenen Bedürfnissen am Arbeitsplatz Gehör zu verschaffen, gibt es weitere
Aspekte, die dafür sprechen als Beschäftigte*r eine ERG zu initiieren oder sich in einer
bestehenden ERG zu engagieren. Die Vernetzung ist dabei eine treibende Kraft. Einer-
seits wird eine ERG durch den Austausch mit Gleichgesinnten zu einem Safe Space1
und sorgt damit für ein erhöhtes Zugehörigkeits- und Sicherheitsgefühl am Arbeits-
platz. Andererseits steigert es die allgemeine Motivation, Themen innerhalb einer ERG
gemeinsam weiterzuentwickeln und Veränderungen zu bewirken. Aber auch für die
fachlichen Aufgaben im Arbeitsalltag bietet die Vernetzung einen Mehrwert. So werden
durch den hierarchiefreien Austausch mit Personen außerhalb des eigenen Arbeits-
kontexts neue Impulse gesetzt und weitere Perspektiven auf die Organisation gegeben
(Casey 2021, S. 3).

3 Employee Resource Groups initiieren

Nachfolgend werden mögliche Wege zur Initiierung und zum Aufbau von ERGs in einer
Verwaltung aufgezeigt.

3.1 Das «Warum» finden

Bevor eine ERG initiiert wird, ist unbedingt die Frage zu klären, woher die Idee zur
Gründung stammt. Zum einen ist es elementar mit der Antwort darauf herauszufinden,
ob der Aufbau einer ERG tatsächlich den geeigneten Weg zur Zielerreichung darstellt.

1 Der Begriff Safe Space bezeichnet eine inklusive und diskriminierungsfreie Umgebung.
218 M. Weiß

Zum anderen ist es entscheidend, die Motivation hinter einer ERG zu kennen und zu ver-
stehen, dass ERGs ein strategisches Werkzeug innerhalb einer Organisation sind.
Folgende Fragen können dabei hilfreich sein: Handelt es sich bei dem Wunsch, eine
ERG zu einem bestimmten Thema zu initiieren, um eine Lösung für ein konkretes
Problem? Wird mit der neuen ERG eine bereits bestehende Initiative formalisiert?
Reagiert die Organisation mit der Gründung einer ERG auf gesellschaftliche Ent-
wicklungen? Dient eine neue ERG zum Agenda-Setting, wie beispielsweise das Voran-
treiben von Agilität innerhalb der Organisation? Oder soll eine ERG eingerichtet werden,
weil dies in anderen Organisationen üblich ist?

3.2 Die Idee ausarbeiten

Sobald feststeht, warum eine ERG initiiert werden soll, gilt es festzulegen, welche Ziele
mit der ERG erreicht werden sollen. Zwar sollten ERGs auf die Bedürfnisse der Mit-
glieder ausgerichtet sein. Doch klare Ziele sowie ein grundlegendes Verständnis davon,
was in der ERG passieren soll, sind eine relevante Grundlage, um die ersten Mitglieder
für die ERG zu aktivieren und die Leitung von der Initiative zu überzeugen. Beispiels-
weise hat sich das Queere Netzwerk im ITZBund das Ziel gesetzt, einen aktiven, selbst-
organisierten Safe Space zu schaffen, in dem sich queere Beschäftigte willkommen
fühlen und ohne Angst vor Diskriminierung outen können. Zudem sorgt diese ERG
dafür, dass alle Beschäftigten im ITZBund für das Thema LGBTQIA+ am Arbeitsplatz
sensibilisiert werden.
Sobald die initialen Ziele einer ERG identifiziert wurden, muss definiert werden,
welche Personen Teil der Zielgruppe sind und welche nicht. Eine ERG kann sich je nach
Thema beispielsweise an Führungskräfte richten oder diese explizit ausschließen. Zudem
kann bei der Festlegung der Zielgruppe der Gedanke aufkommen, dass ausschließlich
Personen Teil einer ERG sein sollten, die von dem Thema betroffen sind, mit dem sich
eine ERG beschäftigen möchte. Doch eine Begrenzung auf diese Personengruppe ist
nicht für alle ERGs gleichermaßen sinnvoll. So wäre im Kontext einer ERG, die sich mit
dem Thema LGBTQIA+ beschäftigt, ein Coming-Out notwendig, um sich einbringen zu
können. Das ist nicht nur unpraktikabel, sondern widerspricht auch dem grundlegenden
Gedanken eines Safe Spaces. Daneben gilt: Eine Minderheit kann ohne die Unter-
stützung der Mehrheit nicht überleben.
Deshalb ist „Allyship“ insbesondere in minderheitenorientierten ERGs eine
relevante Säule. Unter Allies sind Verbündete zu verstehen, die in der Regel selbst
Teil einer Mehrheit sind und diese privilegierte Position nutzen, um Minderheiten zu
stärken und mit ihnen gemeinsam einen gesellschaftlich-kulturellen Wandel voranzu-
treiben. Beispielsweise können sich heterosexuelle-cisgeschlechtliche Personen für die
LGBTQIA+ Community einsetzen. Ebenso können Männer Frauen im Kampf gegen
patriarchale Strukturen unterstützen und weiße Menschen für BPoC einstehen, indem sie
gegen Rassismus aktiv werden (Salter und Migliaccio 2019, S. 132).
Employee Resource Groups: Beschäftigtennetzwerke … 219

Deshalb ist es entscheidend, Personen, die keiner Minderheit angehören und bislang
ausschließlich passive Allies waren, zur Teilnahme an einer minderheitenorientierten
ERG zu ermutigen. Die ERG kann diesen Personen dabei helfen, sich für ein Thema
zu sensibilisieren und sich somit zu besseren Allies zu entwickeln. Ebenso bieten
Allies wertvolle Erfahrungen aus der Mehrheitsperspektive, die sie einbringen und auf
diese Weise mit ihrer Fürsprache und Unterstützung Last von den Schultern der dis-
kriminierten Minderheit nehmen (Salter und Migliaccio 2019, S. 146).
Der Austausch mit ERGs und Ansprechpersonen aus anderen Organisationen ist
ein weiterer hilfreicher Aspekt, wenn es darum geht, eine ERG aufzubauen und die
Idee konkreter auszuarbeiten. Wenngleich die Rahmenbedingungen für ERGs von
Organisation zu Organisation teilweise massiv abweichen können, so hilft der Dialog
dennoch, um zum Beispiel die Gedanken zur eigenen Netzwerkarbeit zu schärfen oder
Ziele klarer formulieren zu können. Obwohl eine ERG ein strategisches Instrument
für eine Organisation darstellt, dürfen die ERGs anderer Organisationen nicht als
Konkurrenz betrachtet werden. Denn das Wissen und die Erfahrungen miteinander zu
teilen und voneinander zu lernen, kann Ressourcen sparen und einen gesamtgesellschaft-
lichen Wandel schneller vorantreiben.

3.3 Den Rahmen bilden

Neben einer Vernetzung außerhalb der eigenen Organisation gibt es auch zwei interne
Stakeholder, deren Unterstützung maßgeblich zum Erfolg einer ERG beiträgt: die
Organisationsleitung und der Personalbereich (HR).
Da es sich bei ERGs um formelle Netzwerkarbeit handelt, ist es wertvoll die
Organisationsleitung als Unterstützung an der Seite zu wissen. Zum einen wird den
Beschäftigten dadurch signalisiert, dass ihr Engagement nicht nur gesehen wird, sondern
auch explizit erwünscht ist. Zum anderen ist es eine wichtige Absicherung für die ERG
und deren Mitglieder. Beispielsweise werden nicht alle Kolleg*innen von einer ERG
zum Thema LGBTQIA+ begeistert sein, doch der Gegenwind wird sich in Grenzen
halten, wenn sich die Organisationsleitung dafür positioniert und dies auch mindestens
intern kommuniziert. Außerdem kann Leitungsunterstützung je nach Organisation aber
auch je nach ERG unterschiedlich aussehen. Möglich ist unter anderem eine Keynote bei
einer ERG-Veranstaltung oder ein Statement zu einem Thema, mit dem sich eine ERG
beschäftigt.
Die Leitung für die Gründung einer ERG zu gewinnen, ist allerdings in manchen
Organisationen eine große Herausforderung. Um die gewünschte Unterstützung zu
erhalten, kann das zuvor identifizierte „Warum“ hinter der neuen Initiative deshalb
besonders wichtig sein. Darüber hinaus kann es in der Argumentation durchaus hilf-
reich sein, wenn auch in anderen Organisationen eine bestimmte ERG existiert. Bei-
spielsweise treten ERGs, die sich dem Thema LGBTQIA+ widmen, mit am häufigsten
auf (Welbourne et al. 2015, S. 5). Dennoch darf der Wettbewerbsgedanke nicht das ein-
220 M. Weiß

zige Argument sein. Insbesondere Zahlen und Daten sind nützlich, um die Leitung vom
Mehrwert einer ERG zu überzeugen. So gibt es für das Thema LGBTQIA+ eine Vielzahl
an eindeutigen Studienergebnissen über Diskriminierung am Arbeitsplatz. Dass 34 % der
queeren Beschäftigten einen Arbeitsplatz verlassen haben, weil sie dort aufgrund ihrer
sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität diskriminiert wurden, ist beispiels-
weise nur eines davon (Sears et al. 2021, S. 24). Neben solchen Fakten ist es zusätzlich
wertvoll, schon vor einem Gespräch mit der Leitung Verbündete zu finden, die hinter der
ERG und dem jeweiligen Thema stehen und sich als Fürsprecher*innen einsetzen.
Des Weiteren sollte bei ERGs neben der Leitungsunterstützung eine gute Zusammen-
arbeit mit dem Personalbereich (HR) sichergestellt werden, um auf deren Unter-
stützung, Erfahrungen und Ressourcen zurückgreifen zu können. Dieser Bereich kann
Türen öffnen und der ERG sowie dem damit verbundenen Thema zu mehr Sichtbar-
keit innerhalb und außerhalb der Organisation verhelfen (z. B. Fortbildungen, Ein-
führungsveranstaltungen, Anpassung der Willkommenskultur). Im Gegenzug sind
ERGs eine Unterstützung für unterschiedliche HR-Aufgaben wie Mitarbeiterbindung
und Rekrutierung und haben einen positiven Einfluss auf die Erreichung von Zielen im
Bereich Diversity und Inclusion (MacGillivray und Golden 2007). Ebenso wie ERGs
keine Top-Down-Entscheidung sein sollten, sollten sie auch keine ausschließliche HR-
Maßnahme sein, sondern aus dem Kreis der Beschäftigten getragen werden.
Je nach Thema einer ERG kann neben der Unterstützung durch die Organisations-
leitung und des Personalbereichs selbstverständlich auch die Zusammenarbeit mit weiteren
Stakeholdern (z. B. Gleichstellungsbeauftragte, Schwerbehindertenvertretung) von
Bedeutung sein, um Synergien zu nutzen und die Ziele der ERG erreichen zu können. Diese
gilt es zu identifizieren und ebenfalls als Partner für das eigene Vorhaben zu gewinnen.
Beim Aufbau einer ERG muss außerdem die Budget-Frage geklärt werden,
für die jedoch keine allgemeingültige Antwort existiert. Auf welche Art und in
welchem Umfang finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden, kann sowohl
für jede Organisation als auch für jede ERG unterschiedlich aussehen. Signalisiert
eine Organisation, dass ihr ein Thema viel bedeutet und nutzt dieses auch in der
Außenkommunikation, beispielsweise zum Recruiting, ist es allerdings angemessen und
wertschätzend, die entsprechende ERG auch mit notwendigen Ressourcen zu versorgen.

3.4 Die Infrastruktur schaffen

Sobald die Unterstützung von unterschiedlichen Stakeholdern feststeht, sollte die Basis
für eine ERG-Infrastruktur geschaffen werden, um nach einem erfolgreichen Start direkt
aktiv werden zu können und die Motivation der interessierten Mitstreiter*innen aufrecht-
zuerhalten. Dafür muss eine grundlegende Richtung festgelegt werden, die jedoch stetig
mit den ERG-Mitgliedern gemeinsam angepasst werden sollte: Auf welche Art möchte
die ERG zusammenarbeiten? Welche Maßnahmen möchte die ERG umsetzen? In
welchem Rhythmus sollen die ERG-Treffen stattfinden? Dafür gilt es eine entsprechende
Employee Resource Groups: Beschäftigtennetzwerke … 221

Umgebung und notwendige Tools wie Mail-Verteiler, Chat-Gruppen, eine Datei-Ablage


oder ein digitales Whiteboard einzurichten.
Das Queere Netzwerk des ITZBund kommt beispielsweise alle zwei Monate für zwei
Stunden im virtuellen Raum via Video-Konferenz zusammen, sodass alle Beschäftigten
an allen Dienstsitzen und im Home Office teilnehmen können. Dabei startet jedes der
ERG-Treffen mit einem Hinweis auf die eigenen Hausregeln. Einen solchen Modus
Operandi festzulegen, kann je nach Thema der ERG überaus relevant sein. Im Queeren
Netzwerks des ITZBund erfolgt der Hinweis zu einem respektvollen Umgang mit
dem Thema Coming-Out. Ebenso wird dafür sensibilisiert, dass sowohl innerhalb als
auch außerhalb der ERG niemand ohne dessen Einverständnis geoutet werden darf.
Außerdem gilt während der ERG-Treffen sowie der Netzwerkarbeit das kollegiale
Arbeits-Du, welches außerhalb der Begegnungen fortgeführt werden kann, aber nicht
muss. Insbesondere im öffentlichen Dienst ist das nicht selbstverständlich und kann beim
Zusammentreffen von Personen aus unterschiedlichen hierarchischen Ebenen zunächst
eine Überwindung für die ERG-Mitglieder sein. Allerdings sind beide hier dargestellten
Aspekte ein wichtiger Baustein für eine vertrauensvolle und hierarchiefreie Atmosphäre
innerhalb einer ERG, die sich mit dem Thema LGBTQIA+ beschäftigt.

4 Employee Resource Groups gestalten

Nachfolgend werden Hinweise dazu gegeben, wie ERGs in einer Verwaltung lebendig
gestaltet werden können.

4.1 Mitglieder aktivieren

Die schwierigste Aufgabe, die mit der Gründung einer ERG einhergeht, ist die
Aktivierung der Mitglieder und die Aufrechterhaltung ihres Engagements. Dazu bedarf
es neben Empathie, Aufmerksamkeit und Verständnis auch ein realistisches Erwartungs-
management. Um das zu erreichen und Mitstreiter*innen zu gewinnen, braucht es des-
halb ein gemeinsames Verständnis davon, was innerhalb der ERG passieren soll. Nur so
kann von Beginn an klar sein, für welche Ziele und Vorhaben das eigene Engagement
einen Mehrwert liefert. Zudem sollten sowohl der Einstieg in die ERG als auch die
Möglichkeiten sich einzubringen möglichst niedrigschwellig sein. Auch hierfür sind
Transparenz und Kommunikation der Schlüssel: Wann und wo finden Treffen statt? Wie
kann ich bei Treffen dabei sein? Wie viel Eigeninitiative ist in der ERG erwünscht? Was
wird von mir als Mitglied erwartet? Welche Themen werden derzeit bearbeitet? Wie
kann ich selbst aktiv werden?
Wenngleich die Hoffnung groß ist, dass sich jedes ERG-Mitglied gleichermaßen
engagiert, so sieht die Realität allerdings anders aus. Nicht alle Personen, die Teil der
ERG sind, werden sich stets aktiv einbringen und das sollte auch nicht erwartet werden.
222 M. Weiß

Ebenso wertvoll sind passive ERG Mitglieder, da sie hinter dem Thema der ERG stehen
und als Fürsprecher*innen oder gar Multiplikator*innen agieren können. Dennoch
braucht es für eine erfolgreiche ERG eine treibende Kraft. Im besten Fall finden sich
mehrere treibende Kräfte, die innerhalb der ERG gebündelt werden können, um das
jeweilige Thema weiter voranzubringen. Abschließend darf aber nicht vergessen werden,
dass Netzwerkarbeit in der Regel zusätzlich zur Rolle in der Organisation und den damit
verbundenen fachlichen Aufgaben geschieht. Gerade deshalb ist es besonders relevant,
jegliches Engagement anzuerkennen und wertzuschätzen.

4.2 ERGs weiterentwickeln

Sind wir noch auf der richtigen Spur? Diese wichtige Frage muss sich eine ERG immer
wieder stellen, um erfolgreich zu bleiben. Denn es muss bedacht werden, dass eine ERG
ein formales und strategisches Instrument ist, das durchaus eine eigene Organisations-
struktur benötigt, um effektiv agieren zu können. Dafür sind wiederkehrende Evaluationen
der bisherigen Aktivitäten und Erfolge unerlässlich (Lovelace 2021). Zudem besteht eine
große Herausforderung darin, die Motivation und Begeisterung sowie das Zugehörigkeits-
gefühl der ERG Mitglieder aufrechtzuerhalten, wenn die ERG nicht mehr ihren Bedürf-
nissen und Erwartungen gerecht wird. Aus diesem Grund müssen Faktoren wie das
gemeinsame Ziel, die Struktur der ERG, die Art der Zusammenarbeit oder die Gestaltung
und Häufigkeit der Treffen regelmäßig an die ERG Mitglieder und deren Bedarf sowie
Kapazitäten angepasst werden. Nach einem Jahr Netzwerkarbeit hat das Queere Netz-
werk im ITZB und beispielsweise verschiedene Arbeitsgruppen (AGs) innerhalb der ERG
initiiert, die den Mitgliedern neue Möglichkeiten bieten sich einzubringen und die ERG
aktiv mitzugestalten. Ebenso muss die Infrastruktur im Blick behalten und entsprechend
an Veränderungen angeglichen werden. Denn gegebenenfalls werden im Laufe der Zeit
neue Austauschformate und weitere Tools zur Kollaboration benötigt.

5 Employee Resource Groups verankern

Wenn eine ERG initiiert ist und die ersten Ergebnisse erzielt wurden, ist es wertvoll,
interne und externe Stakeholder über die erreichten Ziele und umgesetzte Maßnahmen
zu informieren, um den positiven Einfluss zu unterstreichen, den eine ERG auf die
Beschäftigten sowie auf die Organisation hat. Beispielsweise kann die transparente
Kommunikation der Erfolge hilfreich sein, wenn es darum geht, finanzielle Mittel zu
erhalten. Des Weiteren können die verfügbaren Informationen genutzt werden, um
zukünftige ERG Ziele und Aktivitäten realistisch zu planen (Lovelace 2021).
Aber nicht nur die Darstellung der Erfolge gegenüber Stakeholdern ist entscheidend,
sondern auch die Kommunikation innerhalb der gesamten Organisation. Zwar richten
sich einzelne Maßnahmen sicherlich an alle Beschäftigten (z. B. Beiträge im Intranet,
Employee Resource Groups: Beschäftigtennetzwerke … 223

Vorträge zur Sensibilisierung), doch zusätzliche Sichtbarkeit bisher realisierter Vorhaben


kann dafür sorgen, dass neue Interessierte auf die bestehende ERG aufmerksam werden
und diese unterstützen. Darüber hinaus verhindert die Transparenz, dass eine ERG als
exklusive Gruppierung wahrgenommen wird.
Gibt es innerhalb einer Organisation mehrere ERGs, spielt außerdem die Zusammen-
arbeit zwischen diesen eine entscheidende Rolle. Denn es ist wichtig, dass sich diese
nicht als Konkurrenz betrachten, sondern Wissen miteinander teilen und Synergieeffekte
nutzen. So kann für die gesamte Organisation ein größerer Mehrwert entstehen, als wenn
ERGs in Silos agieren (Welbourne et al. 2015, S. 23).
Auch organisationsübergreifender Austausch zwischen ERGs, die sich mit dem
selben Thema beschäftigen, ist unentbehrlich. Während bei der Initiierung einer ERG
Gespräche mit anderen Organisationen und anderen ERGs entscheidend waren, um die
eigenen Vorstellungen zu konkretisieren, ist es weiterhin essenziell, den Dialog aufrecht-
zuerhalten. Vernetzung darf nicht an den eigenen Organisationsgrenzen Halt machen,
sondern Wissen und Erfahrungen müssen geteilt werden, um einen nachhaltigen Kultur-
wandel sowie eine gesamtgesellschaftliche Veränderung möglichst ressourcenschonend
erreichen zu können. ERGs benötigen aufgrund ihrer Ausrichtung auf langfristige Ziele
viel Durchhaltevermögen und Geduld. Daher sind gegenseitige Unterstützung und Wert-
schätzung unerlässlich für erfolgreiche Netzwerkarbeit.

6 Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine ERG ein wertvolles strategisches
Instrument für eine Organisation sein kann, welches sowohl für eine Organisation als
auch für die Beschäftigten eine Vielzahl an Vorteilen bietet. Gleichwohl gibt es einige
Aspekte, die bedacht, und Herausforderungen, die überwinden werden müssen, um
ERGs in der Organisation erfolgreich zu etablieren.
Unter anderem ist es fundamental, das „Warum“ hinter der Gründung zu kennen,
Ziele festzulegen und eine Zielgruppe zu identifizieren, bevor eine ERG initiiert wird.
In Hinblick auf den Personenkreis, der Teil der neuen ERG werden soll, ist es wert-
voll auch die Bedeutung von Allyship zu berücksichtigen. Zudem ist der Austausch mit
ERGs und Ansprechpersonen aus anderen Organisationen gewinnbringend, um von deren
Erfahrungen zu lernen und das eigene Vorhaben, eine ERG aufzubauen, zu konkretisieren.
Neben der externen Vernetzung gibt es allerdings auch zwei interne Stakeholder, deren
Unterstützung maßgeblich zum Erfolg einer ERG beiträgt: die Organisationsleitung und
der Personalbereich. Leitungsunterstützung zu erhalten, kann jedoch mit eine der größten
Herausforderungen sein, weshalb die in diesem Kapitel dargestellten Vorschläge hierfür
eine Hilfestellung bieten. Des Weiteren sollte betont werden, dass es ein angemessenes
Zeichen von Wertschätzung darstellt, ERGs mit notwendigen Ressourcen wie finanzielle
Mittel auszustatten. Insbesondere dann, wenn eine Organisation signalisiert, dass ihr ein
Thema viel bedeutet und dieses auch für die Außenkommunikation nutzt.
224 M. Weiß

Die womöglich schwierigste Aufgabe für die Netzwerkarbeit einer ERG ist es, Mit-
glieder zu aktivieren und deren Engagement aufrechtzuerhalten. Damit dies gelingt,
sind vor allem ein realistisches Erwartungsmanagement, niederschwellige Beteiligungs-
möglichkeiten und eine transparente Kommunikation entscheidend. Darüber hinaus
ist es von großer Bedeutung, die bisherigen Aktivitäten und Erfolge regelmäßig zu
evaluieren und Faktoren wie das gemeinsame Ziel, die Struktur der ERG oder die Art der
Zusammenarbeit an die ERG Mitglieder und deren Bedürfnisse anzupassen.
Abschließend ist zu betonen, dass neben der Kommunikation mit unterschiedlichen
organisationsinternen Stakeholdern auch die Zusammenarbeit mit anderen ERGs inner-
halb der Organisation sowie der Austausch mit externen ERGs und Ansprechpersonen
nicht vernachlässigt werden darf. Denn nur durch organisationsübergreifende Vernetzung
kann ein gesamtgesellschaftlicher Wandel nachhaltig vorangetrieben werden.

Literatur

Casey, J. (2021). Employee Resource Groups: A Strategic Business Resource Group for Today’s
Workplace. Boston College Center For Work & Family. https://archive.hshsl.umaryland.edu/
handle/10713/17334. Zugegriffen: 16. Dezember 2022.
Douglas, P. H. (2008). Affinity groups: Catalyst for inclusive organizations. Employment Relations
Today, 34(4), 11–18.
Lovelace, D. (2021). A Guide to ERGs (Employee Resource Groups). https://www.linkedin.com/
learning/a-guide-to-ergs-employee-resource-groups. Zugegriffen: 16. Dezember 2022.
MacGillivray, E. D., & Golden, D. (2007). Global diversity: Managing and leveraging diversity in
a global workforce, International HR Journal, 38–46.
Salter, N.P., Migliaccio, L. (2019). Allyship as a Diversity and Inclusion Tool in the Workplace,
Diversity within Diversity Management (Advanced Series in Management, Vol. 22), Emerald
Publishing Limited, Bingley, 131–152.
Sears B., Mallory C., Flores A. R., Conron K. J. (2021). LGBT People’ Experiences of Worksplace
Discrimination and Harassment, School of Law Williams Institute. https://williamsinstitute.law.
ucla.edu/publications/lgbt-workplace-discrimination/. Zugegriffen: 16. Dezember 2022.
Welbourne T.M., Rolf S., Schlachter S. (2015). Employee Resource Groups: An Introduction,
Review and Research Agenda, CEO Publication. https://www.researchgate.net/
publication/280946736_Employee_Resource_Groups_An_Introduction_Review_and_
Research_Agenda. Zugegriffen: 16. Dezember 2022.

Magdalena Weiß, Informationstechnikzentrum Bund, Berlin.


Magdalena Weiß ist seit über sechs Jahren Teil des Informationstechnikzentrums Bund und hat
dort das Queere Netzwerk initiiert. Dieses koordiniert sie seit der Gründung im Jahr 2021 neben
ihrer Rolle in der Öffentlichkeitsarbeit. Auch über ihre berufliche Tätigkeit hinaus setzt sie sich für
die Belange der queeren Community ein und sorgt in unterschiedlichen Formaten und Vereinen für
mehr Sichtbarkeit zum Thema LGBTQIA+.
Was hat Diversity mit
Projektmanagement zu tun?

Sabine Meister

Zusammenfassung

In der Verwaltung werden in weiten Teilen noch traditionelle Bewertungsmaßstäbe


gelebt. Bund, Länder und Kommunen bieten dafür auch in der Projektarbeit viele
Beispiele: In der Personalzusammenstellung von Projektteams und der Besetzung
der Projektleitungen, der hierarchischen Besetzung der Lenkungsgruppen, einer
häufig noch klassischen Zielausrichtung von Projekten, bei konventionellen Ansätzen
zur Lösungsentwicklung sowie der häufig fehlenden strukturellen Gestaltung von
Rahmenbedingungen für die Projektarbeit der Organisation. Projekte in der Ver-
waltung sollen die Zukunft für die Wirtschaft und die Bürger*innen gestalten. Wie
können Projekte ihrer herausfordernden Aufgabe im Verwaltungsumfeld nach-
kommen? Dieser Fachbeitrag soll aufzeigen, wie wir in der Verwaltung auf
verschiedenen Ebenen die unzähligen Spielräume ausgestalten, Vielfalt im Projekt-
management gezielt beeinflussen und für bessere Projektarbeit einsetzen können.

Schlüsselwörter

Projektmanagement · Stakeholder · Portfoliomanagement · Pmo · Projektleitung ·


Projektteam · Projektphasen

S. Meister ( )
GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V., Nürnberg, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 225
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_17
226 S. Meister

1 Einleitung

Vielfalt im professionellen Projektmanagement (PM) bietet allen Verwaltungen


unter Diversitätsgesichtspunkten enorme Potenziale und Gestaltungsmöglichkeiten:
Unterschiedliche Fähigkeiten, Kompetenzen, Charaktere und Eigenschaften bei den
Projektakteur*innen können miteinander kombiniert werden, um dadurch unter den
projekttypischen Begrenzungen von Ressourcen, Zeit und klar definierten Leistungen
noch effizienter und effektiver zu sein. Die Befassung mit den Diversity-Dimensionen
(siehe Einleitung des Buches) kann dabei helfen, blinde Flecken in der Organisation zu
identifizieren und das Potenzial von Diversität in der Projektarbeit weiter auszuschöpfen:

Die Rahmenbedingungen für die Projektarbeit der Organisation können strukturell


vielfältiger gestaltet werden, insbesondere beim Priorisierungsprozesses von
Projekten, der Gestaltung praxisgerechter Standards für Projektarbeit, durch PM-
Impulse und gezielte Unterstützungsleistungen für Projektakteur*innen.
Jedes einzelne Projekt ist von der Vorprojekt- bis hin zur Abschlussphase in seiner
inhaltlichen Ausrichtung, personellen Besetzung und Auswahl starker Promotoren in
der Lenkungsgruppe individuell gestaltbar.

Ob auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene: Es gibt in jeder Verwaltung unter-


schiedlichste Spielräume im Projektmanagement, die wir in unserer Rolle eigenver-
antwortlich ausgestalten und können.

2 Rahmenbedingungen in der Projektarbeit

Zu den strukturellen Rahmenbedingungen für professionelle Projektarbeit zählen

das Portfoliomanagement, welches die richtigen Projekte auswählt, Ressourcen


bereitstellt und steuert
PM-Standard, der grundsätzlich aufzeigt, wie die beauftragten Projekte umgesetzt
werden
Qualifizierungen für die verschiedenen Projektrollen der Organisation, die die
Menschen zu einer professionelle Projektarbeit befähigen und
ein Projektmanagementoffice (PMO), welches das Projektmanagement in der
Organisation professionalisiert und Projektakteur*innen unterstützt.

Projekte werden von Menschen gemacht. Sie bewältigen häufig als Pioniere sehr heraus-
fordernde Aufgaben. Unter welchen strukturellen Rahmenbedingungen sie in unserer
Verwaltung arbeiten, wie sie für ihre jeweilige Rolle im Projekt ausgewählt, qualifiziert,
gefördert und unterstützt werden, gehört zu den gestaltbaren Rahmenbedingungen jeder
Was hat Diversity mit Projektmanagement zu tun? 227

Verwaltung. Alle Rahmenbedingungen können von der Verwaltung unter verschiedensten


Aspekten gezielt angepasst werden, auch unter Vielfaltsaspekten.
Abb. 1 zeigt den Zusammenhang zwischen professionellen Rahmenbedingungen für
die Projektarbeit und ihrem Einfluss auf erfolgreicheren Projekten auf:

2.1 Projektrollen und ihre Einflussbereiche

In der Projektarbeit der Verwaltung tragen verschiedene Rollen zur Zielerreichung bei.
Die Aufgaben der Rollen werden im PM-Standard der Organisation geregelt. Tab. 1
zeigt die typischen Rollen in der Projektarbeit der Verwaltung auf und inwiefern sie
die strukturellen Rahmenbedingungen für professionelles Projektmanagement unter
Vielfaltsaspekten positiv beeinflussen können.
Alle genannten Rollen treffen in ihren Verantwortungsbereichen Entscheidungen,
können Spielräume erweitern und nutzen. Sie können zukunftsgerichtete und positive
Impulse geben, durch ihre eigene Führung oder ihr Verhalten vorleben, zielorientierte
Netzwerkarbeit fördern, Prozesse anpassen oder Standards einführen bzw. umsetzen. Ob
im kleinen oder großen Stil – alle Rollen können starke Impulse dafür setzen, Strukturen
und Vorgaben zum Projektmanagement in der Verwaltung zukunftsorientiert weiterzuent-
wickeln.

für Projektarbeit
Profi-Rahmenbedingungen

Portfolio-Management
• Priorisierung
• Berichtswesen

PM-Standard
• Arbeitshilfen
• Vorgehen

Besetzung und Qualifizierung


• Lenkungsgruppen
• Projektleitungen Beratung
• Projektteams • in allen PM-Phasen

PM-Netzwerk Moderation
• Impulse • Kickoff
• Erfahrungsaustausch Lenkungsgruppen
PMO

• Best practices • Projektworkshops

professionalisieren - qualifizieren - beraten - vernetzen

Abb. 1 Professionelle Rahmenbedingungen für Projektarbeit und ihre Auswirkungen auf einzelne
Projekte. (Eigene Darstellung)
228 S. Meister

Tab. 1 Rollen in der Projektarbeit und beeinflussbare Rahmenbedingungen


Rolle Beeinflussbare Rahmenbedingungen unter Vielfaltsaspekten
Entscheider*innen im Entscheiden, welche Projekte durchgeführt werden, beispielsweise
oberen Management auch Pilotierungen mit Diversitybezug. Steuern Projektportfolios
inhaltlich und monetär
Setzen Projektmanagementoffices ein und beeinflussen damit die
Rahmenbedingungen für Projektarbeit
Auftraggebende von Entscheiden, welche Projektziele unter welchen Rahmenbedingungen
Projekten beauftragt werden
Beeinflussen die Besetzung der Lenkungsgruppen
Projektmanagement- Kümmern sich mit entsprechendem Mandat der Entscheider*innen im
offices (PMOs) oberen Management für gute Rahmenbedingungen in der Projektarbeit
Unterstützen alle Projektrollen und professionalisieren die Projekt-
arbeit
Vernetzen Projektakteur*innen und fördern gezielt nachhaltiges
Projektlernen der Organisation
Gestalten die Zusammenarbeit der Projektakteur*innen durch
Erfahrungs- und Wissenstransfer aus vorherigen und parallelen
Projekten, durch einen organisierten übergreifenden Austausch,
Mentoring oder ämterübergreifende Vernetzung der Projekt-
akteur*innen
Fördern durch Impulse aus anderen Organisationen und der Wirtschaft
den Blick über den Tellerrand und damit die Offenheit sowie den Aus-
tausch über vielfältige Ansätze, Lösungsmöglichkeiten und Innovation
Lenkungsgruppen Sind kollektiv für ihre Projektziele verantwortlich und sichern das
Projekt strategisch in die Linie ab
Steuern beauftragte Projekte (Zielerreichung, Risiken) und setzten sich
für die vielfältigen Kund*inneninteressen ein
Personalmanagement Beeinflussen mit Marketing und Stellenbesetzungsverfahren, wie viel-
fältig Projektteams zusammengesetzt werden
Fördern heterogene Teamzusammensetzungen, da diese mit ihren
unterschiedlichen Perspektiven mehr und öfter kreative Ideen ent-
wickeln als homogene Teams
Verbessern Chancengleichheit, damit Menschen ihre Fähigkeiten und
Potenziale zum Nutzen der Zukunftsprojekte ihrer Organisation ein-
bringen können
Unterstützen Projektteams wegen der häufig hohen temporären
Belastungen und den Widerständen in der Organisation von Beginn an
mit Gesundheits- und Qualifizierungsmaßnahmen
Bereiten Projektleitungen, Entscheider*innen und Lenkungsgruppen
auf die anspruchsvolle Führung heterogener Teams vor, denn vielfältig
besetzte Teams sind eine hohe Herausforderung für Projektleitungen:
Sie sollen Quereinsteiger*innen, Ältere und Jüngere, introvertierte und
oft extrovertierte Menschen zu Hochleistungsprojektteams mit großer
Innovationskraft formen, um die Diversität von Wissen und Erfahrung
für ihre Projekte zu steigern
(Fortsetzung)
Was hat Diversity mit Projektmanagement zu tun? 229

Tab. 1 (Fortsetzung)
Rolle Beeinflussbare Rahmenbedingungen unter Vielfaltsaspekten
Intendanz- und Haus- Beeinflussen, mit welchen Ressourcen Projekte ausgestattet werden
haltsbereiche, Gebäude- Steuern das räumliche und technischen Umfeld, in denen Projektteams
management arbeiten
Projektleitungen Beeinflussen die Besetzung ihrer Projektteams, leiten sie und steigern
mit Diversität ihre Innovationsfähigkeit
Steuern die Zielerreichung und das Stakeholder*innenmanagement
(Beteiligte, Interessierte, Betroffene von Projekten)
Setzen moderne Methoden zur Nutzer*innenzentrierten Lösungsent-
wicklung ein
Projektteams Wählen die Besetzung von Expert*innengruppen aus und führen sie in
Bezug auf die ihnen übertragenen Projektaufgaben
Managen die Beteiligung von Kund*innen
Erarbeiten Lösungen
Expert*innen-Gruppen Bringen ihre vielfältigen Expertise und verschiedene Perspektive in die
Projektarbeit ein

Zudem gibt es im Projektmanagement auch kulturelle Einflussmöglichkeiten jeder


einzelnen Rolle. Sie kann in ihrer Aufgabe hierarchie- und ämterübergreifend Gespräche
auf Augenhöhe führen, für gegenseitiges Verständnis werben, Toleranz im Umgang mit-
einander sowie Empathie vorleben und einfordern. Da Projekte oft übergreifend arbeiten,
hat ihr vorgelebtes Verhalten einen hohen Wirkungsgrad in die gesamte Verwaltung.

2.2 PMO-Leistungen

Bei hoher Projektaktivität in ihrer Verwaltung können Fachbereiche oder Ent-


scheider*innen den Aufbau von PMOs initiieren, dessen Dienstleistungen mandatieren
und damit nachhaltig die PM-Fähigkeit der Organisation steigern. PMOs können die
Projektarbeit mit strategischen Unterstützung aus dem Management sehr positiv beein-
flussen. Bereits mit geringen Ressourcen können Verwaltungen hilfreiche Basis-
leistungen für Projektakteur*innen anbieten, sie ressourcenabhängig und stufenweise zu
PMOs ausbauen und ihrer Organisation dabei helfen,

ihre Effektivität in der Projektarbeit zu steigern (die richtigen Dinge zu tun) durch die
Unterstützung von Projektportfolioentscheidungen.
die Effizienz zu steigern (die Dinge richtig zu tun) durch professionelle Beratungs-
leistungen, Standardisierung, gezielte Gestaltung von Qualifizierungen und
strukturiertem Lernen aus Projekterfahrungen.

Tab. 2 bietet einen beispielhaften Überblick über konfigurierbare PMO-Leistungen mit


Diversity-Bezug, die individuell und stufenweise ausgebaut werden können.
230 S. Meister

Tab. 2 PMO-Leistungen und Diversitybezug


PMO-Leistungen Diversitybezug
Priorisierungsprozess von Transparenten Priorisierungsprozess aufbauen und sicher-
Projekten (Effizienz) stellen
Entscheidungsgremium für kontinuierliche Priorisierungen
einrichten, in denen Kund*innenvertretungen der Fachbereiche
vertreten sind
Strategiebezüge aller Projektziele sicherstellen durch Quali-
tätssicherung bei der Beauftragung von Projekten (z. B. zur
Diversity-Strategie der Organisation)
PM-Standards (Effektivität) Verbindliches, einheitliches PM-Vorgehen basierend auf
Mindeststandards mit individuellen Gestaltungsspielräumen in
den einzelnen Projekten initiieren und sicherstellen,
Skalierung von PM-Prozessen sicherstellen (nur so viel
Projektmanagement wie für das jeweilige Projekt nötig
ist), damit keine kostbaren Ressourcen für übergewichtige
PM-Prozesse verschwendet werden und stattdessen in die
Gestaltung von kundenorientierten Lösungsfindungen und
Beteiligungsprozesse investiert werden können
Praxisorientierte Vorlagen und Tools bereitstellen, die
auch Vielfaltsaspekte beinhalten, z. B. beim Stakeholder-
management, Gestaltung von Projektaufträgen und Lösungs-
wegen, Hinweise zur Besetzung der Projektrollen
Beratungsleistung (Effektivität) Projektakteur*innen in jeder PM-Phase Beratungsleistung
anbieten, insbesondere verpflichtend bei strategisch bedeut-
samen Projekten in der Initialisierungsphase, in der die Beein-
flussbarkeit von Projekten am höchsten ist (siehe Abb. 1)
Workshopmoderation bei der Entwicklung von Projektzielen
(Ergebnis- und Vorgehensziele) anbieten
Bei der Personalauswahl von Projektteams und Lenkungs-
gruppenbesetzung und Besetzung von Expert*innengruppen
unterstützen
Methodenhilfe für kundenzentrierte Lösungsentwicklung durch
Nutzer*innenzentrierung anbieten
Kickoffs sowie Retrospektiven für Projektteams und Lenkungs-
gruppen konzeptionieren und moderieren
Interne Stützprozesse rund- Generelle Prozesse mit Projektbezug harmonisieren und Klar-
herum um Projektarbeit heit für alle Beteiligten herstellen
(Effektivität) Stellenbesetzungsverfahren für Projekte unterstützen
Einheitliches Berichtswesen für Projektarbeit einführen,
welches ein einheitliches Monitoring der Projekte der
Organisation ermöglicht
Beteiligungsformate durch Vorlagen und professionelle
Moderation qualitativ unterstützen
Innovative Pilotierungen initiieren, um moderne Lösungsan-
sätze zu erproben
(Fortsetzung)
Was hat Diversity mit Projektmanagement zu tun? 231

Tab. 2 (Fortsetzung)
PMO-Leistungen Diversitybezug
Qualifizierung der Projekt- Einheitliche Mindestqualifizierungsstandards für alle Projekt-
akteur*innen (Effektivität) rollen entwickeln und einführen (Professionalisierung von dem
Projektteammitgliedern bis hin zur Rolle der Auftraggeber*in)
Übergreifendes Lernen in der Projektorganisation ermöglichen
durch moderierte Austauschformate, Mentoring, Hospitationen
Themenbasierte Netzwerkarbeit, Impulse zu Zukunftstrends und neuen Methoden geben oder
Organisationskultur weiter- aus externen Quellen organisieren, Austausch von Praxis-
entwickeln und Zusammen- erfahrungen unter den Projektleitungen fördern durch
arbeit fördern (Effektivität) moderierte Events (hierbei können Rückschlüsse auf Ver-
änderungsbedarfe bei den Standards oder zu den Rahmen-
bedingungen in der Organisation gezogen werden)
Retrospektiven (Reflektion) in Projektteams fördern und
moderieren

Die inhaltlichen Herausforderungen von Projekten, das Projektumfeld in der Ver-


waltung und auch die Vielfaltsthemen werden sich dynamisch weiterentwickeln. Darum
sollten PMOs die Entwicklungen stetig monitoren, neue Themenfelder identifizieren und
für eine bestmögliche Projektarbeit nutzen.

3 Operative Projektarbeit

Die DIN 69901 gibt grundlegende PM-Phasen vor: Vorprojektphase (Initialisierungs- und
Definitionsphase), Planungsphase, Umsetzungs- und Steuerungsphase und Abschluss-
phase. In diesen Phasen finden verschiedene PM-Prozesse statt. Darüber hinaus gibt es
phasenübergreifende Prozesse. Abb. 2 zeigt eine vereinfachte Darstellung der PM-Phasen
und die dazugehörigen PM-Prozesse nach DIN-6990, den Grad der Beeinflussbarkeit im
Projektverlauf und richtet den Fokus auf die wichtige Vorprojektphase.
In der Vorprojektphase (auch Initialisierungs- und Definitionsphase genannt) werden
die Weichen für den gesamten Projektverlauf gesetzt. Mit jedem Projekttag steigen die
Projektkosten durch den Einsatz von Ressourcen, wie Personal- oder Sachmittel. Gleich-
zeitig sinkt die Beeinflussbarkeit des Projektes und die Kosten für mögliche Fehler-
korrekturen steigen. Darum liegt es für Organisationen nahe, grundsätzlich einen starken
Fokus auf die Vorprojektphase zu legen, denn dann sind Projekte am stärksten beein-
flussbar und die Kosten noch gering. Für Diversitythemen ist dies also auch der perfekte
Zeitpunkt. Sofern in dieser frühen Phase noch keine qualifizierte Projektleitung ein-
gesetzt ist, kann ein PMO durch Beratungsleistung die notwendige professionelle Unter-
stützung der Fachbereiche leisten, die Projekte auf den Weg bringen.
232

Beeinflussbarkeit im
Projektverlauf
Kostensummenverlauf
Kosten für
Fehlerbehebung

Vorprojekt- Planungs- Umsetzungs- Abschluss-


phase phase und Steuerungsphase phase
Start Projektsteuerung; • Übergabe in die Linie
Auftragsklärung • Projektstrukturplanung Risiken, Stakeholder*innen, Ziele, • Projekterfahrungen
Umfeld- u. • Ablauf- und Terminplanung Ressourcen, Fortschritt • Abschlussbericht
Stakeholder*innenanalyse • Ressourcenplanung • Abschluss
Zieldefinition • Kostenplanung
Chancen- u. Risikoanalyse
Grobplanung
Projektorganisation
Kommunikation u. Projektmarketing
Machbarkeit u. Wirtschaftlichkeit
Projektauftrag

Abb. 2 PM-Phasen, PM-Prozesse und Beeinflussbarkeit im Projektverlauf. (Eigene Darstellung)


S. Meister
Was hat Diversity mit Projektmanagement zu tun? 233

Nachfolgend werden beispielhaft PM-Prozesse in den PM-Phasen beschrieben, in


denen Vielfalt im operativen Projektmanagement der Verwaltung hilfreich sein und für
bessere Projektarbeit nutzbar gemacht werden kann.

3.1 Vorprojektphase

In der Vorprojektphase gibt es die größtmögliche Beeinflussbarkeit des Projektes. Ent-


scheider*innen sorgen in dieser Phase für die gezielten Unterstützungsangebote des
PMOs und fordern in jedem Projekt die verbindliche Anwendung von PM-Standards.
Das PMO kann die Projektleitung oder – sofern noch keine qualifizierte Besetzung
der Projektleitungsstelle erfolgen konnte – auch den Fachbereich unterstützen, der das
Projekt initiiert. Ist noch kein PMO vorhanden, ist eine frühzeitige PM-Qualifizierung
der Projektleitung und der Erfahrungsaustausch mit anderen Projektleitungen umso
wichtiger, denn jetzt werden für das Projekt die wichtigsten Fragen des Projektes geklärt,
ausgehandelt und formal beauftragt:

Wie ist die Zielausrichtung des Projektes im Kontext mit den strategischen Zielen der
Verwaltung?
Welche zu bedienenden Schnittstellen gibt es?
Welche Stakeholder*innen, Chancen und Risiken sind zu bedenken?
Wie muss die Projektorganisation aufgestellt werden?
Welche Ressourcen werden eingesetzt?

Die Projektleitung bewegt sich hierbei innerhalb der PM-Standards, nutzt Arbeitshilfen
und Learnings aus parallelen oder vorher gelaufenen Projekten.
Der Projekterfolg hängt auch von unterschiedlichen Umfeldfaktoren ab. Projekterfolg
definiert sich insbesondere auch darüber, wie zufrieden die Projektkund*innen, also die
sogenannten Stakeholder*innen1 mit den späteren Projektergebnissen sind. Nach der
initialen Auftragsklärung mit der Auftraggeberin oder dem Auftraggeber sind nun die
Interessen relevanter Stakeholder*innen zu berücksichtigen, um die richtigen Ziele –
auch unter Vielfaltskriterien – im Projektauftrag definieren, förmlich im Projektauftrag
mandatieren und umsetzen zu können.
Die Projektleitung bezieht strategische Ziele der Organisation zu Vielfaltsthemen
sowie Zukunftstrends ein und sorgt dafür, dass ihr Projekt darauf einzahlt. Bei der Ent-
wicklung operativer Projektziele kann sie zudem relevante Vielfaltsaspekte einbeziehen,
z. B. in den Leistungszielen, die auf Chancengleichheit oder Inklusion abzielen oder zu
Beteiligungsformaten vielfältiger Zielgruppen.

1 Interessierte, Betroffene, Beteiligte.


234 S. Meister

Die Projektorganisation wird für jedes Projekt so aufgestellt, wie es für den Projekt-
erfolg notwendig ist. Die personelle Besetzung der Projektrollen sollte möglichst alters-
gemischt und aus verschiedenen Kulturen sowie Nutzergruppen zusammengestellt
werden, damit die Potenziale aus unterschiedlichen Erfahrungen und Sichtweisen
genutzt werden. So werden unterschiedlichste Perspektiven der Stakeholder*innen
besser verstanden und berücksichtigt.
Wie können Stakeholder*innen, Chancen, Risiken erkannt und optimale Maßnahmen
zur Zielerreichung entwickelt werden? Um diese Felder strukturiert beleuchten zu können,
ist nicht nur Methodenwissen notwendig, sondern auch die Beteiligung von Menschen
mit Offenheit und Empathie. Auch in der Verwaltung gibt es Seiteneinsteiger*innen, die
schwierige Zugänge zu Bildung hatten und auf ihrem schulischen und beruflichen Weg
viele Hürden überwinden mussten. Sie können besonders vielseitig, durchsetzungsstark und
anpassungsfähig sein und sich häufig leichter in Menschen aus unterschiedlichen Gruppen
hineinversetzen. Mit ihren Fähigkeiten und Netzwerken können sie Türen öffnen, Zugänge
zu projektrelevanten Zielgruppen ermöglichen und wichtige Beiträge zum Projekterfolg
liefern. Holen wir sie darum in unsere Projektteams und Expert*innengruppen.
In der Grobplanung werden die Projektphasen, Hauptaktivitäten zur Zielerreichung
mit den wichtigsten Maßnahmen aus dem Stakeholder- sowie Chancen- und Risiko-
management, Meilensteine und Ressourcenbedarfe definiert. Darin sollte sich auch das
Vorgehen im Projekt unter Berücksichtigung der Vielfältigkeitsaspekte widerspiegeln.
Projekte werden jetzt formal beauftragt und Ressourcen bereitgestellt.

3.2 Planungsphase

In der Planungsphase wird das Projektteam besetzt. Projektteams werden in der Ver-
waltung häufig immer noch vorwiegend aufgrund von fachlichen Kompetenzen
zusammengestellt. Daneben sollten Projektleitungen bei jedem Teammitglied auch auf
soziale Kompetenzen wie Offenheit, Toleranz und Empathie setzen.
Nun findet das initialen Kickoff des Projektteams und der Lenkungsgruppe statt.
Darin wird der Grundstein für gute Zusammenarbeit, Offenheit, Erwartungen und
kreativen Lösungen gesetzt. Die Projektleitung kann mit Unterstützung des PMO die
Teamentwicklung – insbesondere bei sehr heterogen zusammengesetzten Teams – durch
moderierten Kickoffs und regelmäßigen Retrospektiven fördern, damit diese Basis von
Beginn an hergestellt und fortlaufend weiterentwickelt werden kann. Dadurch werden
die Kommunikation im Projektteam und die Wertschätzung untereinander gefördert.
In dieser Phase werden auch die Projektstruktur, Ablauf- und Termin- Ressourcen-
und Kostenplanung durchgeführt, das Vorgehen des Projektes konkretisiert und
geplant. Hierbei ist zu beachten, dass Innovationen und neue Ideen verschiedene
Perspektiven erfordern. Je unterschiedlicher die beteiligten Menschen im Projektteam
oder Expert*innengruppen sind, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass andere
Sichtweisen in die bestmögliche Lösungsumsetzung einfließen können. Um dieses
Was hat Diversity mit Projektmanagement zu tun? 235

Potenzial auszuschöpfen, sollte die Projektleitung bei der Lösungsfindung inspirierende


Bedingungen für kreative Lösungen und Innovation schaffen. Ein vielfältig besetztes
Team in Kombination mit Innovationsmethoden (wie z. B. Design Thinking) kann dabei
helfen, die besten Lösungen mit hoher Nutzerorientierung für die Verwaltung zu ent-
wickeln. Dafür sind entsprechende Arbeitspakete und Ressourcen einzuplanen.
Nimmt die Projektleitung die unterschiedlichen fachlichen und soziale Fähig-
keiten der Teammitglieder und die Potenziale der Expert*innen in ihrer Führungsarbeit
bewusst wahr, kann sie passgenaue Aufgabenzuordnungen vornehmen. Dies führt zu
produktiveren Projektergebnissen, höherer Wertschätzung innerhalb des Projektteams
sowie zwischen der Lenkungsgruppe und dem Projekt. Das gleiche Mindset erzeugt auch
eine produktivere Zusammenarbeit mit Expert*innengruppen und kann die insgesamte
Projektleistungen deutlich steigern.

3.3 Umsetzungs- und Steuerungsphase

In dieser Phase findet die Steuerung der Zielerreichung und des Projektfortschritts,
der Stakeholder*innen, der Kommunikation, der Risiken und Ressourcen statt. Nun
erfolgt der eigentliche Wertschöpfungsprozess. Das Projekt stellt Produkte oder Dienst-
leistungen her.
Um die Bedarfe der Projektkund*innen besser zu verstehen und auch bei knappen
Ressourcen bestmögliche Produkte für die Verwaltung und ihre Kund*innen zu ent-
wickeln, werden Workshops durchgeführt. Innovative Lösungen können in einem
vielfältigen Umfeld am besten entstehen. Unterschiedliche Perspektiven helfen
dann dabei, Ideen zu hinterfragen und zu verbessern. Konsequent in verschiedenen
Vielfaltsdimensionen entwickelte Produkte oder Dienstleistungen ermöglichen Ver-
waltungsservices mit höherer Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger. Wenn die
Projektleitung also hier dafür sorgt, dass verschiedene Persönlichkeiten ihre Expertisen
und Perspektiven einbringen dürfen und diesen Prozess methodisch unterstützt, kann das
Projektteam deutlich bessere und innovativere Lösungen entwickeln. Das Projektteam
kann hierfür z. B. Workshops durchführen und Kreativitätstechniken oder Nutzer*innen-
reisen mit verschiedenen Personas2 anwenden, aus denen Prototypen für Services ent-
wickeln und von den Kundinnen und Kunden rückkoppeln lassen.
Im Projektmarketing kann das Projektteam durch vorgelebte Vielfalt ein modernes
sowie positives Image bei potenziellen Mitarbeitenden und Kund*innen der Ver-
waltung erzeugen. Dies zeigt es über die eigene Projektkommunikation in verschiedenen
Kanälen, wie beispielsweise in Newslettern, Workshops, Blogartikeln, Pressemeldungen,
Floorwalking, Messeständen oder Aktionstagen.

2 Personasveranschaulichen typische Vertreter einer Zielgruppe. Sie helfen als fiktive Anwender
dabei, Bedürfnisse, Einstellungen und Aktivitäten potenzieller Anwender besser zu verstehen und
Annahmen zu treffen.
236 S. Meister

3.4 Abschlussphase

In der Abschlussphase bereitet das Projekt u. a. die Übergabe in die Linie und die
spätere Evaluation mit einer Überprüfung der nachhaltigen Wirkung der Projektergeb-
nisse vor. Zudem sichert es Projekterfahrungen und führt Abschlussgespräche mit der
Lenkungsgruppe. Die Projektleitung erstellt einen Abschlussbericht und löst die Projekt-
organisation auf.
In dieser Phase sollte das Projekt mit den relevanten Stakeholder*innen reflektieren,
inwieweit die ursprünglich vereinbarten Projektziele erreicht wurden und ob bzw. warum
es Abweichungen bei der Zielerreichung und dem Vorgehen gab. Diese Reflektion der
Erfahrungen kann vom PMO professionell moderiert und bewertet werden. Aus den
Ergebnissen können nicht nur individuelle Projekterfahrungen und neu erlangtes Wissen
für künftige Projekte nutzbar gemacht werden, sondern auch wichtige Rückschlüsse für
notwendige strukturelle Weiterentwicklungen für die vielfältige Projektarbeit in der Ver-
waltung gezogen werden.
Das Projekt ist nach der Abnahme durch die Lenkungsgruppe abgeschlossen.

4 Fazit

Vielfalt im professionellen Projektmanagement bietet durch die Kombination unter-


schiedlicher Fähigkeiten, Kompetenzen, Charaktere und Eigenschaften bei den Projekt-
akteur*innen allen Verwaltungen hohe Potenziale und Gestaltungsmöglichkeiten, um
professionellere Projektarbeit und kundenzentrierte Produkte abzuliefern. Diversity ist
eine große Bereicherung für die Projektarbeit. Ob im großen oder kleinen Stil: Nutzen
wir unsere Spielräume für mehr Vielfalt in der Projektwelt der Verwaltung.

Sabine Meister ist IPMA-zertifizierte Projektmanagerin, Scrum- und Design-Thinking-Masterin,


gründete 2011 das zentrale Projektmanagementoffice (PMO) der Freien und Hansestadt Hamburg,
das Projekt-Wissenscenter. Sie baute 2019 das dezentrale PMO der Justizbehörde auf und berät
Projekte und PMOs aller Art. Bundesweit engagiert sie sich seit 2018 im Leitungsteam der Fach-
gruppe der öffentlichen Verwaltung in der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement
e. V.
Gender Budgeting – den öffentlichen
Haushalt gerechter gestalten?

John Meister und Maria Pozder

Zusammenfassung

In diesem Fachbeitrag wird das Konzept von Gender Budgeting expliziert und kritisch
eingeordnet. Anschließend werden anhand des Anwendungsfalls der gendergerechten
Haushaltssteuerung diverse Umsetzungskonzepte für die Praxis vorgestellt. Ange-
sichts des langhaltenden Diskurses über die Entwicklung und Implementierung von
Gender Budgeting von nunmehr über zwei Jahrzehnten stellt sich inzwischen die
Frage, ob die Konzeption von Gender Budgeting – insbesondere vor dem Hintergrund
des Diversity-Gedankens – nicht veraltet ist und einer konzeptionellen Erweiterung
bedarf. Auf diese Fragestellung wird im abschließenden Fazit und Ausblick ein-
gegangen.

Schlüsselwörter

Gender Budgeting · Haushaltssteuerung · Gleichstellungsgerechte


Haushaltssteuerung · Gleichstellungswirksame Gaushaltssteuerung ·
Gender Mainstreaming · Haushalt

J. Meister ( )
Freie und Hansestadt Hamburg, Hamburg, Deutschland
M. Pozder
PricewaterhouseCoopers GmbH, Frankfurt am Main, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 237
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_18
238 J. Meister und M. Pozder

1 Einleitung

„Geld regiert die Welt!“ – so oder so ähnlich mutet es an, wenn im Bund, in Ländern
und Kommunen Finanzminister*innen und Kämmerer*innen ihre Haushaltsplanentwürfe
vorstellen und Abgeordnete ihr Etatrecht – das „Königsrecht“ des Parlaments schlechthin
– nutzen, um in Plenar- und Ausschusssitzungen über den öffentlichen Haushalt intensiv,
emotional und medial wirksam zu debattieren (und schlussendlich – hoffentlich – den
Haushaltsplan zu beschließen). Das Ringen um die Verteilung von knappen Haushalts-
mitteln ist seit jeher ein zähes Geschäft, wo Mehrheiten im politisch-administrativen
System ständig neu mobilisiert werden müssen, damit die eigene Fachpolitik nicht zu
knapp kommt und gewollte Projekte erfolgreich „ausfinanziert“ werden. Angesichts
der elementaren Bedeutung des öffentlichen Haushalts sind die Fragen hinsichtlich der
Ressourcenverteilung und des Ressourceneinsatzes auch für die Diversity-Bewegung
von zentraler Bedeutung. In diesem Zusammenhang steht vor allem der Aspekt der
Gendergerechtigkeit in der Haushaltsplanung bereits seit längerem im fachöffentlichen
Fokus.
Das Thema des sog. „Gender Budgeting“ ist mithin nicht neu. Bereits zu Beginn
der 2000er-Jahre ist es vielfältigen zivilgesellschaftlichen Gleichstellungsinitiativen
gelungen, den Diskurs über die Implementierung von Gender Budgeting auch im
deutschsprachigen Raum kontinuierlich voranzubringen. Mit Gender Budgeting eng
verbunden ist die Erwartungshaltung, notwendige emanzipatorische Veränderungen
in Staat, Verwaltung und Gesellschaft über die öffentliche Haushaltspolitik und Haus-
haltssteuerung induzieren zu können und mithin Beiträge zu mehr Geschlechterge-
rechtigkeit zu generieren. Indem Haushaltsmittel gendergerecht verteilt und eingesetzt
werden, soll es gelingen, auf die ungleichen Lebensverhältnisse von Frauen und
Männern zu reagieren, gleiche Lebens-, Entfaltungs- und Teilhabechancen zu erreichen
und mithin die verfassungsgemäße Gleichberechtigung von Frauen und Männern1
über das Instrument des öffentlichen Haushalts sicherzustellen. Die ehemalige Finanz-
senatorin Bremens, Karoline Linnert, hat den Konnex von Haushalt und Gleichstellung
folgendermaßen prägnant formuliert: „Wenn man Prioritäten definiert, kann die staat-
liche Ausgabenpolitik ein machtvolles Instrument zur Verringerung von Ungleichheiten,
zur Beseitigung von Diskriminierung und zur Herstellung tatsächlicher Gleichstellung
sein“ (Linnert 2011, S. 4).
Im nachfolgenden Fachbeitrag wird das Konzept von Gender Budgeting zunächst
expliziert und kritisch eingeordnet. Anschließend werden anhand des Anwendungs-
falls der gendergerechten Haushaltssteuerung diverse Umsetzungskonzepte für die
Praxis vorgestellt. Angesichts des langhaltenden Diskurses über die Entwicklung und
Implementierung von Gender Budgeting von nunmehr über zwei Jahrzehnten stellt sich

1 Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes.


Gender Budgeting – den öffentlichen Haushalt gerechter gestalten? 239

inzwischen die Frage, ob die Konzeption von Gender Budgeting – insbesondere vor
dem Hintergrund des Diversity-Gedankens – nicht veraltet ist und einer konzeptionellen
Erweiterung bedarf. Auf diese Fragestellung wird im abschließenden Fazit und Ausblick
eingegangen.

2 Begriff „Gender Budgeting“

Gender Budgeting wird grundsätzlich als Oberbegriff für die Entwicklung und den Voll-
zug von gleichstellungsorientierten Politik- und Verwaltungsprozessen bei der Haus-
haltsaufstellung verwendet. In einer weitergehenden Konzeptbetrachtung erfasst Gender
Budgeting aber auch den gesamten Ablauf des Haushaltszyklus bzw. Haushaltskreislaufs
(Kuhl 2011, S. 1). Nach diesem Verständnis ist kein gesonderter Haushalt gemeint, wenn
von Gender Budgeting gesprochen wird. Vielmehr geht es um die Erweiterung der Haus-
haltsplanung um die Geschlechterperspektive, um spezifische gesellschaftliche, soziale
und wirtschaftliche Ziele der Gleichstellung tatsächlich zu erreichen. Dies erfolgt einer-
seits, indem eine geschlechtergerechte Ausrichtung sämtlicher Einnahmen und Aus-
gaben im Rahmen des Haushaltsplans vorgenommen wird (vgl. Frey und Köhnen 2011,
S. 7). Das ist insoweit relevant, weil die Gegenüberstellung von Einnahmen und Aus-
gaben2 zwar formalen Charakter hat, materiell gesehen aber alles andere als „neutral“
ist. Tatsächlich werden mit dem Haushaltsplan vielmehr die ökonomischen, sozialen und
gesellschaftlichen Prioritäten eines Staates (oder einer Kommune) reflektiert, die Werte
einer Gesellschaft bzw. ein bestimmtes gesellschaftspolitisches Leitbild widerspiegelt
und die Machtverhältnisse in der Gesellschaft manifestiert (vgl. Mader 2009, S. 18 ff.).
Aus „verwaltungstechnischer“ Sicht ist für Gender Budgeting keine Veränderung der
Buchführung zwingend notwendig. Der Gedanke des gendergerechten Haushalts kann
gerade im Hinblick auf die Verteilungsfrage auch „traditionell“ Input-orientiert statt-
finden (Kameralistik). Weil mit Gender Budgeting gleichwohl aber auch konkrete Ziele
und Wirkungen erreicht werden sollen, sollte auch die Wirkungsseite betrachtet werden.
Damit ist Gender Budgeting eng verbunden mit den haushaltspolitischen Ansätzen der
Doppik und der Output-orientierten bzw. Outcome-orientierten (wirkungsorientierten)
Haushaltssteuerung (vgl. KGSt 1993). Gender-Ziele können etwa Bestandteil einer
Kennzahlenplanung im Rahmen der wirkungsorientierten Haushaltssteuerung sein. Ins-
gesamt zeigt sich, dass Gender Budgeting praktischen Eingang in alle öffentlichen Haus-
halte finden kann – ob kameral oder doppisch.
Auf der Grundlage dieser Vorüberlegungen ist im Laufe der Zeit eine Vielzahl an
Definitionen zu Gender Budgeting entstanden, die im Wesentlichen die gleichen Ziele

2 Soweit
kameralistisch, in der Doppik würde von der Gegenüberstellung von Erträgen und Auf-
wendungen gesprochen werden.
240 J. Meister und M. Pozder

postulieren, sich aber im Hinblick auf die konzeptionelle Reichweite, die methodische
Ausrichtung und die definitorische Klarheit teilweise stark unterscheiden. Drei Beispiele:

„Gender Budgeting ist eine Anwendung des Gender Mainstreaming im Haushaltsprozess.


Es bedeutet eine geschlechterbezogene Bewertung von Haushalten und integriert eine
Geschlechterperspektive in alle Ebenen des Haushaltsprozesses. Durch Gender Budgeting
werden Einnahmen und Ausgaben mit dem Ziel restrukturiert, die Gleichstellung der
Geschlechter zu fördern.“3 (Europarat 2005).

„Gender Budgeting ist eine Strategie, um öffentliche Haushaltspolitik wirkungsvoller,


gerechter und transparenter zu gestalten, indem die Prozesse der Haushaltpolitik (Auf-
stellung, Beschluss, Vollzug, Entlastung bzw. Kontrolle) und die Einnahmen (z. B. Steuern)
und Ausgaben (z. B. Subventionen, Zuwendungen) systematisch und unter der Maßgabe
der Geschlechtergerechtigkeit analysiert, bewertet und geplant werden.“ (Friedrich-Ebert-
Stiftung, Kuhl 2017, S. 8).

„Gender Budgeting als Teilstrategie des Gender Mainstreaming bezieht sich auf die öko-
nomischen, fiskalischen und finanzpolitischen Aspekte des staatlichen Handelns […].
Kern des Gender Budgeting ist die Anwendung von Gender Mainstreaming in Bezug auf
den Haushalt. Gender Budgeting ermöglicht die systematische Analyse, Steuerung und
Evaluation des Haushalts bezüglich seines Beitrags zur tatsächlichen Durchsetzung der
Gleichberechtigung von Frauen und Männern und zur Beseitigung bestehender Nachteile.
Gender Budgeting bedeutet die systematische Prüfung aller Einnahmen und Ausgaben im
Haushaltsprozess bei der Aufstellung, Ausführung und Rechnungslegung sowie aller haus-
haltsbezogenen Maßnahmen auf die ökonomischen Effekte für Frauen und Männer sowie
auf die gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse. Dabei sollte die gesellschaftliche Ver-
teilung der Ressourcen Geld und Zeit sowie bezahlte und unbezahlte Arbeit berücksichtigt
werden. Diese Prüfung bildet die Grundlage für gleichstellungswirksame finanzbezogene
Maßnahmen.“ (Färber und Dohmen 2006).

Fraglich ist, inwieweit die Verwaltungspraxis in der Lage ist, die Reichweite dieser
Definitionen von Gender Budgeting überhaupt praktisch umzusetzen. So scheitert die
systematische Planung, Steuerung und Durchsetzung von genderbezogenen Aspekten
schon allein daran, dass weite Teile von Ausgabeermächtigungen im Haushalt zur
Finanzierung von gesetzlichen Transferleistungen dienen. Angesichts der rechtlich
normierten subjektiven Rechtsansprüche auf Sozialleistungen bestehen hier kaum
nennenswerte Ermessensspielräume, die für genderbezogene Steuerungsinteressen
genutzt werden könnten. Allein im Bundeshaushalt 2022 haben Sozialleistungen über
40 % des gesamten Bundeshaushalts ausgemacht (IAQ 2022). Ähnliches lässt sich auch
bei den Zuwendungen finden, die ebenfalls auf Basis von Förderrichtlinien vergeben
werden und nicht über den Haushalt formal gesteuert werden können.

3 Gängige deutsche Übersetzung, die inzwischen vielfach verwendet wird, u. a. in Färber und

Dohmen (2006, S. 20). Der Originaltext lautet: „Gender budgeting is an application of gender
mainstreaming in the budgetary process. It means a gender-based assessment of budgets,
incorporating a gender perspective at all levels of the budgetary process and restructuring revenues
and expenditures in order to promote gender equality“ (Europarat 2005, S. 10).
Gender Budgeting – den öffentlichen Haushalt gerechter gestalten? 241

Unabhängig dieser Erwägungen können auf Grundlage dieser gängigen Definitionen


prinzipiell diverse Erwartungen und Zielformulierungen abgeleitet werden, die mit
dem praktischen Einsatz von Gender Budgeting verbunden werden. Im Nachfolgenden
werden relevante Auszüge aus Literatur und Praxis gezeigt:

„Mit Gender Budgeting kann beispielsweise analysiert werden, wie Mittel zwischen männ-
lich und weiblich dominierten Gesellschaftsbereichen (z. B. Subventionen für Unter-
nehmen mit Normalarbeitsverhältnissen oder für Wirtschaftsbereiche mit vor allem prekärer
Beschäftigung; Förderung von motorisiertem Individualverkehr oder von öffentlichem
Personennahverkehr) oder zwischen Männern und Frauen (z. B. Sozialversicherungs-
ansprüche bei Steuerklasse III oder V) verteilt werden. Gender Budgeting zeigt neben
der Verteilung auf, welche Wirkungen die Mittelverteilung auf die gesellschaftlichen
Geschlechterverhältnisse und die Entwicklung von Gleichstellung nach sich zieht. Damit
kann verhindert werden, dass die Verteilung von Geldern unbeabsichtigt einseitig nur einer
Gruppe zugutekommt (mittelbare Diskriminierung), einseitig bestimmte Lebensmodelle
fördert oder dass Mittel nicht entsprechend dem erforderlichen Zweck eingesetzt werden.“
(Friedrich-Ebert-Stiftung, Kuhl 2017, S. 10).

„Mit Gender Budgeting werden staatliche Mittel zur Umsetzung der gesellschaftspolitischen
Zielsetzung der Gleichstellung von Männern und Frauen genutzt. […] Die Zielsetzung von
Gender Budgeting ist es – ganz gleich ob Analyse oder Prozess – zur gendersensiblen und
gleichstellungsorientierten Nutzung staatlicher Finanzmittel beizutragen.“ (Kuhl 2011, S. 1).

„Gender Budgeting ist eine Strategie, die zum Ziel hat, den gesetzlichen Auftrag der
Gleichstellung zu erfüllen. (Frey und Köhnen 2011, S. 37) […] Die Auswirkungen des Ver-
waltungshandelns und der Budgetpolitik insbesondere hinsichtlich der Verteilung und Auf-
bringung öffentlicher Mittel auf Frauen und Männer zu analysieren und gegebenenfalls
korrigierende Maßnahmen zu ergreifen.“ (a.a.O., S. 9).

„[Gender Budgeting] bedeutet die geschlechterdifferenzierte Analyse der öffentlichen


Haushalte, um Wirkungen insbesondere öffentlicher Ausgabenpolitik auf die Geschlechter
systematisch zu erfassen. Gefragt wird danach, welche Auswirkungen die Haushaltsgesetze
sowie die Haushalts- und Produktpläne auf die Geschlechter haben, um auf dieser Grundlage
Ansatzpunkte zur Überwindung geschlechtsspezifischer Ungleichheiten aufzuzeigen. […].

[Gender Budgeting] ist ein Verfahren zur systematischen Analyse und Gestaltung der
öffentlichen Haushalte mit dem Ziele, Leistungen, Maßnahmen und Kennzahlen in den
Haushaltsplänen auf ihre Auswirkungen auf die Geschlechter zu überprüfen werden. Auf
Grundlage dieser Analyseergebnisse sollen Haushaltsaufstellung und -vollzug durch-
geführt werden, um eine gleichstellungsorientierte Ressourcenverwendung zu erreichen.
Im Rahmen der gleichstellungsorientierten Haushaltssteuerung werden Wirkungsziele
formuliert und zum Beschlussobjekt im Haushalt gemacht. Im Haushaltscontrolling und
-abschluss ist die Zielerreichung und die Wirkung auf die Geschlechter zu bewerten.“4
(Linnert 2011, S. 5).

4 Linnert
verwendet die Bezeichnung „gleichstellungsorientierte Haushaltssteuerung“ als deutsches
Äquivalent zum Begriff des Gender Budgeting.
242 J. Meister und M. Pozder

Insgesamt wird deutlich, dass mit dem Instrument des Gender Budgeting hohe normative
Erwartungen verbunden sind. Zugleich ist Gender Budgeting nicht so klar umrissen, wie
es analytisch wünschenswert wäre. Oder anders ausgedrückt: Wie Gender Budgeting
in der Praxis umgesetzt wird, hängt auch davon ab, was man unter dem Begriff ver-
stehen will. Nach den genannten Definitionen und Erwartungsformulierungen müsste
in Bezug auf die erwähnten gesetzlichen Leistungen, die einen signifikanten Teil im
Haushalt ausmachen (s. o.), eigentliches folgendes Prozedere theoretisch regelmäßig
durchlaufen werden: Wann immer eine Leistung mit Finanzwirkung Gegenstand eines
Gesetzgebungsverfahrens ist, müsste geprüft werden, ob diese Modifikation Aus-
wirkungen auf die Chancengleichheit von Frauen und Männern hat (genderbezogene
Gesetzesfolgenabschätzung). Je nach Ergebnis der Folgenabschätzung müssten bereits
im Gesetzgebungsverfahren notwendige Anpassungen vorgenommen werden. In der
Praxis wird der Ansatz gleichwohl oftmals andersherum gefahren: Im Haushalt werden
ex post Kennzahlen identifiziert, die genderbezogene Defizite aufweisen. In der Folge
werden fachpolitische Maßnahmen angestoßen, um diese Defizite abzubauen. Dadurch
verlagert sich die Steuerung aber aus dem Haushalt heraus wieder zurück in die fach-
politische bzw. fachministerielle Steuerungsebene. Damit wird die Steuerungsreichweite
des Haushalts auf die „bloße“ Kennzahlenplanung reduziert und auf eine direkte Ein-
flussnahme auf das Budget verzichtet. Zudem perpetuieren sich die bereits genannten
Probleme der Steuerbarkeit des Haushalts vor dem Hintergrund der Dominanz gesetz-
licher Regelungen an anderer Stelle. Der Haushaltsplan verfügt angesichts der o. g.
Rahmenbedingungen nur über begrenzte Hebel, Gelder im gendergerechten Sinne
umzuleiten. Hier ein plakatives Beispiel: Elterngeld wird nach wie vor vordergründig
von Frauen genutzt und trägt damit zu diversen strukturellen Problemen der Ungleich-
heit bei. Trotzdem kann nicht über den Haushalt eingeplant werden, dass nur noch
paritätisch Elterngeld finanziert wird. Der Haushaltsplan ist kein Instrument, um etwaige
geschlechtsspezifische Rollen- und Aufgabenverteilungen festzuschreiben oder zu ver-
ändern. Insofern kann die Steuerung über den Haushalt keineswegs etwaige Handlungs-
notwendigkeiten einer (Bundes- bzw. Landes-) Gesetzgeberin ersetzen.
Trotz dieser Konzept- und Implementationsprobleme haben sich im Laufe der Zeit
verschiedene praktische Vorgehensmodelle für die Einführung von Gender Budget in der
öffentlichen Verwaltung etabliert. Diese werden im nächsten Kapitel dargelegt.

3 Gendergerechte Haushaltssteuerung

Gender Budgeting ist eine Daueraufgabe im Rahmen des Haushaltsmanagements. Nach


Auffassung von Fischer und Gatterbauer sollte Gender Budgeting einem fortlaufenden
fachlichen Prozess umgesetzt werden, welcher mit einer strategischen Zielformulierung
startet und schließlich bis zu einer Evaluierung der umgesetzten Maßnahmen übergeht,
auf dessen Grundlage wieder ein neuer Zielformulierungsprozess iterativ gestartet wird
(Fischer und Gatterbauer 2010).
Gender Budgeting – den öffentlichen Haushalt gerechter gestalten? 243

Gender Budgeting – Zielformulierung und Umsetzung nach Fischer und Gatterbauer


2010
Prozess zur Definition des Gleichstellungszieles im Rahmen von Gender
Budgeting:

Schritt 1: Wie ist der Ist-Zustand? Identifizierung bestehender geschlechtsspezi-


fischer Ungleichheiten und (budget-)politischer Maßnahmen, die Disparitäten
aufrechterhalten oder verstärken.
Schritt 2: Welcher Soll-Zustand soll angestrebt werden, und wie kommt man zu
diesem Soll-Zustand? Formulierung von (budget-)politischen Maßnahmen, die
Ungleichheiten beseitigen/verringern können.

Prozess zur Umsetzung eines definierten Gleichstellungsziels:

Schritt 1: Analyse. Im ersten Schritt geht es darum, geschlechtsspezifische


Fragestellungen und Ungleichheiten wahrzunehmen und zu analysieren sowie
Ursachen aufzuzeigen.
Schritt 2. Ziele. Im zweiten Schritt werden davon ausgehend möglichst konkrete
und überprüfbare Gleichstellungsziele formuliert und festgelegt, Indikatoren
entwickelt sowie entsprechende Strategien, Maßnahmen Programme bzw.
Projekte geplant.
Schritt 3: Umsetzung. Im dritten Schritt erfolgt die Durchführung (Entwicklung
und Umsetzung) der Maßnahmen/Programme/Projekte.
Schritt 4: Evaluierung. Im vierten Schritt werden Ergebnisse und Fortschritte
hinsichtlich der gesetzten Gleichstellungsziele betrachtet und dokumentiert. Es
erfolgt eine Überprüfung des Grads der Zielerreichung anhand der vorab fest-
gelegten Indikatoren.

Es handelt sich um keinen abgeschlossenen Prozess. Die Evaluierung in Schritt 4


stellt der Ausgangspunkt zur kontinuierlichen Weiterentwicklung dar.
(Für eine ausführliche Darstellung siehe Fischer und Gatterbauer 2010,
S. 13 ff.).

Neben dem Haushaltsplanaufstellungsverfahren kann Gender Budgeting aber auch


in den gesamten Haushaltszyklus integriert werden. Ein Praxisbeispiel für eine solche
integrative Umsetzung von Gender Budgeting stellt die „Arbeitshilfe für Gender
Budgeting in der Verwaltung“ dar, welche vom österreichischen Bundeskanzleramt aus-
gegeben wird (Frey und Köhnen 2011). Demnach müssen gendergerechte Aspekte in
den Haushaltszyklus unmittelbar überführt und die Ressourcenverteilung insgesamt
gendergerecht beurteilt werden.
244 J. Meister und M. Pozder

Gender Budgeting-konformer Haushaltszyklus gemäß der Arbeitshilfe des öster-


reichischen Bundeskanzleramtes (Frey und Köhnen 2011):
1. Erstellung des Haushaltsplans: Klassifizierung von Ausgabenposten (idealer-
weise auch Einnahmeposten) nach Gleichstellungsrelevanz: „Wie hoch ist die
Gleichstellungsrelevanz einer Ausgabe“? Formulierung von Gleichstellungs-
zielen, Gleichstellungsaufgaben und dazugehörigen Indikatoren: „Was bedeutet
das Ziel der Gleichstellung für den Ausgabenbereich? Welche Kennzahlen oder
Informationen werden benötigt, um den Zielerreichungsgrad für Gleichstellung
zu erfassen“? Finanzielle „Übertragung“ der gleichstellungspolitischen Ziele,
Aufgaben und Indikatoren auf die einzelnen Budgetansätze.
2. Vollzug des Haushaltsplans: Operationalisierung der gleichstellungs-
bezogenen Ausgangssituation auf Grundlage des erstellten Haushaltsplans (Ist-
Analyse): „Wie sind die derzeitigen Verteilungseffekte auf die Geschlechter
und auf Gleichstellung“? Methodisch über z. B. Nutzungsinzidenzana-
lysen (bei direkten Transferzahlungen, Infrastrukturen, sozialer Raum) oder
Institutionenanalysen (bei Finanzierung von Institutionen, Projekten).
3. Prüfung/Kontrolle des Haushaltsplans: Wirkungsanalyse im Sinne einer
Prüfung, welche tatsächlichen Ergebnisse im Hinblick auf die Gleichstellung
die Verteilung der Haushaltsmittel erzielt hat, also ein Abgleich von intendierten
und tatsächlichen Gleichstellungswirkungen: „Entsprechen die Verteilungs-
und Gleichstellungseffekte (Ist-Zustand) den Gleichstellungszielen (Soll-Ziel-
zustand)“? Anschließend Ableitung von Handlungsempfehlungen für die
Erstellung des kommenden Haushaltsplans: „Welche Handlungskonsequenzen
sollten aus der Wirkungsanalyse gezogen werden“?

Im Rahmen des gesamten Haushaltszyklus müssen die Haushaltsgrundsätze von


Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit um das Prinzip der Gleich-
stellungsorientierung erweitert werden.
(Für eine ausführliche Darstellung siehe Frey und Köhnen 2011).

Die oben genannten Prozesse machen deutlich, dass Gender Budgeting auf der einen
Seite eine wichtige ex-ante-Perspektive umfasst. Gender Budgeting adressiert in diesem
Zusammenhang die Umsetzung eines gendergerechten Haushaltsaufstellungsverfahrens,
um direkt bei der Mittelverteilung im Haushaltsplan anzusetzen und darüber „frühzeitig“
gleichstellungswirksame Verteilungslogiken sicherzustellen. Als konzeptionelle Lücke
kann gleichwohl hier erneut konstatiert werden, dass der Haushaltsplan aber offenkundig
nicht über die Steuerungskraft verfügt, die für die Erreichung der Ziele und Erwartungen
eines Gender Budgeting notwendig wären. So soll das Haushaltsverfahren auf der einen
Seite dazu beitragen, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern sowie deren
Gender Budgeting – den öffentlichen Haushalt gerechter gestalten? 245

Chancengleichheit gefördert werden. Doch auf der anderen Seite kann der Haushalt
nicht Umverteilungen vornehmen, die die Gesetzgeberin gar nicht vorgesehen hat. Inso-
fern können über das Gender Budgeting allenfalls kennzahlenbezogene Defizite erkannt
werden, die anschließend von der Gesetzgeberin adressiert werden können. Dies stellt
sodann aber keine ex-ante-Steuerung mehr, sondern eine ex-post-Steuerung.
Angesichts dieser praktischen „ex-ante-Schwäche“ sollte der Blick auf die ex-post-
Analyse des Gender Budgeting gelegt werden, mit der mithin evaluiert werden kann,
inwieweit ein verabschiedeter Haushaltsplan tatsächlich gendergerecht ist bzw. war. Die
ex-post-Analyse kann demnach als ein geeignetes Instrument wirken, um ggf. überhaupt
erst einmal ein Problembewusstsein zu schaffen, in welchem das (Ungerechtigkeits-)
Problem initial deutlich gemacht wird und konkrete Veränderungsbedarfe indiziert
werden. Die ex-post-Analyse kann Transparenz darüber schaffen, wie durch eine vor-
liegende beschlossene Mittelverteilung bestimmte Ungleichheiten konkret produziert
und reproduziert werden und mithin sich ungerechte Geschlechterverhältnisse in der
Gesellschaft tatsächlich perpetuieren. Mit dem generierten Problembewusstsein, dass der
verabschiedete Haushalt realiter Geschlechterungerechtigkeiten produziert, ist der erste
Schritt zur zukünftigen Veränderung der Verteilung von Haushaltsmitteln erreicht (wobei
auch hier der o. g. Kritikpunkt wieder gilt, dass es streng genommen die vorgelagerten
Gesetze und Regelungen sind, die für die Mittelverteilung ursächlich sind, und dass der
Haushalt nur das Resultat dieser Gesetze und Regelungen ist). In einem zweiten Schritt
kann nun der spezifische lokale Handlungsbedarf aufgezeigt werden, indem – auf-
grund der vorgelagerten Gesetze und Regelungen vordergründig fachpolitische, weniger
haushaltspolitische – Vorschläge für alternative, gendergerechte Mittelverteilungen
entwickelt und vorgelegt werden (vgl. Kuhl 2011, S. 3). Exemplarisch hat die Politik-
wissenschaftlerin Mara Kuhl im Rahmen einer Gender Budgeting-Analyse die deutschen
Konjunkturpakete I und II in 2008 und 2009 dahingehend untersucht, inwiefern die
mit den Konjunkturpaketen verbundenen Maßnahmen zu einem positiven Beitrag hin-
sichtlich der demokratischen Entwicklung der Geschlechterverhältnisse geführt haben,
eine Verschlechterung der gleichstellungspolitischen Situation verursacht haben oder
neutrale (also „keine“) Effekte auf die Gleichstellung gehabt haben (ebd.). Als Heraus-
forderung stellt Kuhl dar, die komplexe Materie eines Haushaltsplans so zu verdichten,
dass analyserelevante Ergebnisse aussagekräftig und übersichtlich dargestellt werden.
Dies vorausgeschickt, kommt Kuhl zu folgender standardisierter Methodik für ex-post-
orientierte Gender Budgeting-Analysen (a.a.O., S. 4):

Gender Budgeting-Analyse nach Kuhl 2011


1. Sammlung und Sortierung der Informationen zu Budget und Budgetteilen
(Auflistung und die Sammlung von Informationen zum Gesamtbudget und zu
den Budgetteilen)
2. Sammlung der Informationen zu Politikfeldern und Geschlechterverhält-
nissen (Einarbeitung in die jeweils betroffenen Politikfelder und der gleich-
246 J. Meister und M. Pozder

stellungspolitischen Situation, z. B. Analyse des soziodemografischen [z. B.


Demografie der betreffenden Nutzendengruppe] und politischen Umfeldes
[z. B. Machtstrukturen, Prozesse, Regeln] im spezifischen Politikfeld)
3. Entwicklung eines Bewertungsmaßstabs auf Grundlage eines gleich-
stellungspolitischen Leitbildes (Erarbeitung eines gemeinsamen geteilten
gleichstellungspolitischen Leitbildes auf Grundlage der Ideale „Freiheit von
Diskriminierung“, „gleiche Teilhabe“ und „echte Wahlfreiheit“, welches als
Bewertungsmaßstab für die Analyse herangezogen wird)
4. Aufbereitung der Informationen für die Analyse (Datenerhebung und
Informationsstrukturierung auf der Ebene von Programmen/Maßnahmen)
5. Auswahl der zu bewertenden Budgetteile, Programme und Maßnahmen
(Auswahl nach Kriterien Genderrelevanz, Quantitatives Gewicht, Praktikabili-
tät)
6. Analyse und Bewertung (Definition konkreter Fragen auf Grundlage des
Bewertungsmaßstabs und entsprechende Analyse/Beantwortung)
7. Darstellung der Ergebnisse (Verdichtung der Ergebnisse, Übersichtlichkeit,
Kernaussagen)

(Für eine ausführliche Darstellung siehe Kuhl 2011).

4 Wo steht Gender Budgeting heute?

Obwohl Gender Budgeting nunmehr seit über zwei Jahrzehnten im deutschsprachigen


Raum diskutiert wird, ist das Thema noch längst nicht etabliert. Vielfach waren die
normativen Erwartungen sehr hoch, wenig überraschend konnte diesem Anspruch
in der politisch-administrativen Praxis bislang kaum gerecht werden. Insbesondere
die unmittelbare Steuerungshebel des Haushalts wird überschätzt, weil vielfach aus-
geblendet wird, dass die eigentlichen Probleme weit früher entstehen, nämlich in der
Gesetzgebung, wo häufig die Folgewirkungen hinsichtlich der Gleichstellung von Frauen
und Männern nur unzureichend analytisch betrachtet werden. Oder anders formuliert:
Wenn das Kind schon beim Gesetz oder der Verwaltungsvorschrift in den Brunnen
fällt, kann auch der Haushalt nicht mehr retten. Vor dem Hintergrund dieser limitierten
Erfolge dürfte es nicht überraschen, dass auch heute noch die allerwenigsten öffentliche
Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen systematisch gendergerecht gestaltet
sind. Noch in 2020 zeigte sich die Bundesregierung in der 19. Wahlperiode kritisch hin-
sichtlich der Herstellung von Gleichstellung über die Haushaltspolitik und antwortete
auf eine entsprechende kleine Anfrage: „Ein flächendeckendes und mechanistisches
Gender Budgeting im Rahmen des Bundeshaushalts ist aus Sicht der Bundesregierung
kein geeignetes Instrument, um die Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen,
Gender Budgeting – den öffentlichen Haushalt gerechter gestalten? 247

und würde das bestehende Haushaltssystem des Bundes überfrachten“ (Deligöz und
Kindler 2019; Deutscher Bundestag 2020, S. 7). Auf der anderen Seite sollte nicht ver-
nachlässigt werden, dass durchaus immer wieder neue Agenda-Setting- und (limitierte)
Implementationserfolge entstehen. Die neue Bundesregierung in der 20. Wahlperiode
hat im Rahmen des Koalitionsvertrags von SPD, Grüne und FDP immerhin verein-
bart, Gender Budgeting „auf Bundesebene im Sinne einer verstärkten Analyse der
Auswirkungen finanzpolitischer Maßnahmen auf die Gleichstellung der Geschlechter
weiter[zu]entwickeln und auf geeignete Einzelpläne an[zu]wenden“ (Bundesregierung
2021, S. 129). Ein aktuelles Implementationsbeispiel auf Länderebene stellt die Freie
und Hansestadt Hamburg dar, die erstmals im Februar 2023 einen Bericht zur gleich-
stellungswirksamen Haushaltssteuerung für das Haushaltsjahr 2022 vorgelegt hat,
um den verfassungsrechtlichen Gleichstellungsauftrag im Haushaltsprozess und bei
den haushaltsrelevanten Entscheidungen zu berücksichtigen (Freie und Hansestadt
Hamburg 2023). Kritisch muss aber angemerkt werden, dass auch hier „nur“ Kenn-
zahlen mit Gleichstellungsbezug abgebildet und erläutert werden, ohne einen direkten
Zusammenhang zu den Budgetansätzen herzustellen, sodass die Ursache-Wirkungs-
kette von Ressourcenverteilung auf die Chancengleichheit von Frauen und Männern
nicht unmittelbar ersichtlich ist. Ungeachtet dessen kann konstatiert werden, dass ins-
gesamt die drei Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg hinsichtlich des Umgangs
mit den Kennzahlen (sowie anderen Bereichen, z. B. der gendergerechten Gestaltung
von Förderprogrammen) im Ländervergleich fortgeschritten sind und mithin als relative
„Leuchttürme“ in Deutschland gesehen werden können. Als Vorreiter ist vor allem
Sachsen-Anhalt zu erwähnen, wo überdies mit sogenannten „Gender Marker“ gearbeitet
wird. Da ein „bloßer“ Planansatz selbst keine Auswirkungen auf Männer und Frauen
haben kann, wird in Sachsen-Anhalt als Kriterium für das Genderziel die geplante
Wirkung definiert und mit einem Gender Marker gekennzeichnet (Sachsen-Anhalt o. J.):

Land Sachsen-Anhalt: Zuordnung zum Gender Marker


Alle Einnahme- und Ausgabetitel müssen im Rahmen der Anmeldungen
zum Haushaltsplanentwurf dem zutreffenden Gender Marker GG2, GG1 oder
GG0 zugeordnet werden.

GG2: Gender = Hauptziel


Unter Genderhauptzielen (GG2-Ziel) werden die Planansätze erfasst, mit denen
Chancengleichheit durch gezielte Maßnahmen hergestellt werden soll. Eine Ein-
ordnung als Hauptziel bedeutet daher, dass diese Maßnahme wegen des damit
verbundenen Genderzieles durchgeführt wird, da mit der Maßnahme bezogen
auf Gender eine Veränderung erreicht werden soll. Ohne Genderbezug würde die
Maßnahme nicht stattfinden.
248 J. Meister und M. Pozder

GG1: Gender = Nebenziel


Nebenziel bedeutet, dass das fachliche und sachliche Ziel im Vordergrund steht,
Genderaspekte aber berücksichtigt und mitgedacht werden. Mit dieser Markierung
werden die Bereiche transparenter, in denen die Transformationsprozesse in der
Gesellschaft – mit finanzieller Intervention durch den Staat – gestaltet werden.

GG0: Gender = kein Ziel


Kein Ziel bedeutet, dass Genderaspekte bei diesem Ansatz keine Rolle spielen.
Dies ist der Fall, wenn die Maßnahme nicht Gender relevant ist. (Beispiel für GG0:
Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners) oder wenn für die Maßnahme keine
Genderziele – auch nicht als Nebenziele – mitgedacht bzw. mitgeplant werden,
obwohl dies möglich wäre. Somit erhalten alle Ansätze, die nicht unter GG2 oder
GG1 fallen, die GG0.

5 Von Gender Budgeting zu Diversity Budgeting? – Fazit


und Ausblick

Insgesamt stellt sich jedoch die Frage, ob vor dem Hintergrund des modernen Ver-
ständnisses von Vielfalt – im Sinne des Diversity-Begriffs in Anlehnung an 4 Layers
of Diversity nach Gardenswartz/Rowe5 – tatsächlich weiterhin ein solitäres Gender-
orientiertes Verständnis einer gerechten Haushaltsplanung normativ angestrebt
werden sollte. Gender Budgeting richtet – schon qua Begriff – das Augenmerk auf die
Geschlechterdimension, in der Praxis überdies zumeist traditionell bezogen auf Frauen
und Männer und mithin unter Ausblendung geschlechtlicher Identitäten. Eine solche
Fokussierung ist nicht in der Lage, andere Marginalisierungs- und Diskriminierungs-
erfahrungen zu erfassen. Hinsichtlich ihres Gerechtigkeitsanspruchs kommt Gender
Budgeting mithin zu kurz. Insofern erscheint es angebracht, eine konzeptionelle
Erweiterung im Sinne eines „Diversity Budgeting“ kurz- und mittelfristig anzustreben.
Demnach würde eine Haushaltsplanung sich an alle sieben Diversity-Dimensionen aus-
richten und eine ganzheitliche Perspektive einnehmen, die auch gesellschaftlichen Dis-
kriminierungsphänomenen wie etwa der Intersektionalität gerecht würde. Eine solche
konzeptionelle Erweiterung würde parallel sogar dazu beitragen, die Haushaltsplanung
stärker an die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development
Goals, United Nations 2015) auszurichten, weil Diversity auf zahlreiche Nachhaltig-
keitsziele gleichermaßen einzahlt, insbesondere aber auch auf das Nachhaltigkeitsziel 5
– Gleichstellung der Geschlechter.

5 Zur
weiteren Erläuterung der Dimensionen von Vielfalt s. Kap. 1 „Diversity in der öffentlichen
Verwaltung – eine Einführung“.
Gender Budgeting – den öffentlichen Haushalt gerechter gestalten? 249

Vor diesem Hintergrund kann konstatiert werden, dass Gender Budgeting und
Diversity Budgeting evident ein großes Emanzipations- wie auch Gerechtigkeits-
potenzial haben. Zugleich ist zu konzedieren, dass die Implementation offenkundig mit
größeren Hürden verbunden ist. Die Integration von Gender Budgeting in den Haus-
haltszyklus wie auch die Internalisierung von Diversity-Paradigmen in das finanzwirk-
same Politik- und Verwaltungshandeln stellen somit ein weitreichendes Unterfangen
dar. Es bedarf eines langen Atems von Wissenschaft, Verbänden, zivilgesellschaft-
lichen Initiativen und Diversity-orientierten Politiker:innen und Verwaltungskräften, um
Diversity im Haushaltswesen institutionell und kulturell wirksam zu verankern. Gerade
mit Blick auf die politischen Akteur:innen besteht jedoch die große Befürchtung, dass
diese sich auch in Zukunft nicht wirklich anhand von Kennzahlen messen lassen wollen
– eine Problematik, auf die Bogumi et al. bereits vor über 15 Jahren im Zuge ihrer Kritik
am sog. „Neuen Steuerungsmodell“ sehr deutlich hingewiesen haben (Bogumil et al.
2007). Dies dürfte die größte Herausforderung für die konsequente Weiterentwicklung
darstellen. Denn für einen nachhaltigen Erfolg müssen alle genannten Akteur:innen eng
zusammenarbeiten, um erfolgreich Gender Budgeting von einem „technokratischem
Instrument“, das aufgrund bislang begrenzter Wirkungen manchmal wie eine Art
„Beschäftigungsprogramm für die Verwaltung oder Forschung“ wirkt (vgl. Mader 2009,
S. 170), zu einem Diversity Budgeting weiterzuentwickeln, das tatsächlich als wirkungs-
volle, strategische, kulturelle und praxisrelevante Haushaltsreform wirkt und mithin die
Haushaltsplanung zu einem starken Instrument zur Förderung von Chancengleichheit
und gleichberechtigter Teilhabe macht.

Literatur

Bogumil, J., Grohs, S., Kuhlmann, S., Ohm, A. (2007). Zehn Jahre Neues Steuerungsmodell –
Eine Bilanz kommunaler Verwaltungsmodernisierung. 2. Auflage. Baden-Baden: Nomos
Bundesregierung (2021). Koalitionsvertrag 2021–2025 „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis
für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ zwischen der Sozialdemokratischen Partei
Deutschlands (SPD), Bündnis 90/Die Grünen und den Freien Demokraten (FDP). Berlin
Deutscher Bundestag (2020). Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage in Drucksache
19/23872 – Gleichstellung und Perspektivensicherung von Frauen in Filmberufen
Deligöz, Ekin/Kindler, Sven-Christian (2019). Geschlechtergerechter Etat - geht das? Beitrag in
der Frankfurter Rundschau, Tagesausgabe vom 11.04.2019, S. 10.
Europarat (2005). Gender budgeting: Final report of the Group of specialists on gender budgeting
(EG-S-GB 2004 RAP FIN). Straßburg: Directorate General of Human Rights
Färber, C., Dohmen, D. (2006). Machbarkeitsstudie Gender Budgeting auf Bundesebene. Berlin:
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Fischer, M., Gatterbauer, M. (2010). Gender Budgeting – Ein Leitfaden zur Umsetzung der Haus-
haltsrechtsreform. Wien: Bundesministerium für Finanzen
Freie und Hansestadt Hamburg (2023). Gleichstellungswirksame Haushaltssteuerung: Hamburg
legt erstmals Bericht zur gleichstellungswirksamen Haushaltssteuerung vor. Hamburg: Finanz-
behörde
250 J. Meister und M. Pozder

Frey, R., Köhnen, M. (2011). Gender Mainstreaming – Arbeitshilfe für Gender Budgeting in der
Verwaltung. Wien: Bundeskanzleramt
IAQ – Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen (2022). Die wichtigsten
sozialpolitischen Leistungen im Bundeshaushalt 2022 (Soll-Ausgaben). Duisburg: IAQ
KGSt (1993). Das Neue Steuerungsmodell – Begründung, Konturen, Umsetzung. KGSt-Bericht
05/1993. Köln: KGSt.
Kuhl, Mara (2011). Wie macht man eine Gender Budgeting-Analyse? Ein Leitfaden anhand des
Beispiels der Analyse der deutschen Konjunkturpakete I und II. In: gender…politik…online,
September 2011.
Kuhl, Mara (2017). Öffentliche Gelder wirkungsvoll, gerecht und transparent verteilen mit Gender
Budgeting. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung
Linnert, Karoline (2011). Kursbuch Gleichstellungsorientierte Haushaltssteuerung – Gender
Budgeting: Bremen: Senatorin für Finanzen
Mader, Katharina (2009). Gender Budgeting: Ein emanzipatorisches, finanzpolitisches und demo-
kratiepolitisches Instrument. Wien: Peter Lang
Sachsen-Anhalt (o. J.). Genderbudgeting im Landeshaushalt von Sachsen-Anhalt. https://
mf.sachsen-anhalt.de/finanzen/haushalt/gender-budgeting-geschlechtergerechter-haushalt.
Abgerufen am 22.02.2023.
United Nations (2015). Transforming our world: the 2030 agenda for sustainable development, A/
RES/70/1. New York: United Nations

Dr. John Meister ist Experte für Reform- und Transformationsthemen in der öffentlichen Ver-
waltung. Er verfügt über breite interdisziplinäre Verwaltungserfahrung von über 15 Jahren und
war u. a. in Sozial-, Finanz-, Justiz-, Digitalisierungsressorts sowie auf Staatskanzleiebene tätig.
Er leitet aktuell das Referat „Inklusive Jugendhilfe“ in der Hamburger Sozialbehörde und ver-
antwortet die inklusive Ausgestaltung der Kinder- und Jugendhilfe. Daneben ist er Dozent für
Public Management mit Schwerpunkt in sozialwissenschaftlichen Themen an der Hochschule für
Angewandte Wissenschaften Hamburg.

Maria Pozder, M.Sc. Economic Demography, PricewaterhouseCoopers GmbH WPG, Public


Sector Consulting, Frankfurt am Main. Maria Pozder ist Managerin und begleitet öffentliche
Verwaltungen bei der Konzeption und Implementierung von IT-Verfahren im öffentlichen Haus-
haltswesen. Dabei steht Maria Pozder für transparente, digitale und intuitive Prozesse, die eine
wirkungsorientierte und nachhaltige Steuerung und zielführende Planung der öffentlichen Finanz-
mittel ermöglichen.
Braucht Verwaltung ein Diversity
Management? Ein Praxisbericht aus der
Stadtverwaltung Krefeld

Cigdem Bern

Zusammenfassung

Die Stadtverwaltung Krefeld hat sich vor einigen Jahren für eine konsequent-diverse
Ausrichtung der Verwaltung entschieden. Ein verwaltungsweiter Projektauftrag, die
Unterzeichnung der Charta der Vielfalt sowie die Initiierung von Projekt- und Arbeits-
gruppen hat zu einem umfangreichen Maßnahmenplan geführt. Über die Jahre hinweg
ist daraus eine zentrale Strategie geworden, die vor allem in der Kulturentwicklung
der Stadtverwaltung Krefeld aufgeht. Die Krefelder Beigeordnete, Cigdem Bern,
trägt die Verantwortung für dieses Thema und bringt sich aktiv in die Steuerung und
Ausrichtung dieser Handlungsfelder ein. Insofern spricht sie sich grundlegend dafür
aus, dass sich das Bewusstsein -insbesondere in der Unternehmenskultur der Stadt-
verwaltung Krefeld- und getragen durch ein Fundament durchdachter Maßnahmen
etablieren muss. Nur so können Bürger*innen, Kunden*innen, potenzielle
Bewerber*innen und Mitarbeitende die Diversität und Offenheit einer Verwaltung
auch spürbar erleben.

Schlüsselwörter

Diversity · Recruiting · Digitalisierung · Fachkräftemangel · Kulturentwicklung ·


Kompetenzen · Serviceorientierung · Interkultur · Verwaltungskultur ·
Strategische Ausrichtung · Modernisierung

C. Bern ( )
Stadt Krefeld, Krefeld, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 251
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_19
252 C. Bern

1 Einleitung

Bevor ich auf die konkrete Frage eingehe, ob eine Verwaltung tatsächlich ein Diversity
Management benötigt, schildere ich Ihnen gerne zu Beginn einige Details über meine
Person und berichte Ihnen über die Stadt Krefeld als Arbeitgeberin:
Mein Name ist Cigdem Bern und ich bin seit November 2020 als Beigeordnete für
die Bereiche Innere Verwaltung, Bürgerservice und Feuerwehr bei der Stadtverwaltung
Krefeld tätig. Zuvor war ich für die Stadt Honnef sowie die Stadt Viersen zuständig und
habe hier unter anderem die Bereiche Bildung, Familie und Jugend, Sport sowie Kultur
verantwortet. Das Thema der diversen Ausrichtung hat mich im Rahmen meines beruf-
lichen Werdegangs inhaltlich begleitet und ist mir persönlich ein Anliegen. Aus diesem
Grund ist es mir wichtig, meine Arbeitgeberin – die Stadtverwaltung Krefeld – so zu
gestalten und auszurichten, dass sich Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen
und Lebenssituationen an die Stadt Krefeld wenden können und sie als freundliche,
serviceorientierte und leistungsorientierte Dienstleisterin sowie als attraktive Arbeit-
geberin für den Nachwuchs sowie Quereinsteigende erleben.
Krefeld ist eine kreisfreie Stadt am Niederrhein und gehört zum Regierungsbezirk
Düsseldorf. In Krefeld leben 234.587 Menschen aus 159 verschiedenen Nationen,
37,7 % verfügen über einen Migrationshintergrund. Die Bevölkerung der Stadt Krefeld
ist demnach enorm vielfältig und so ist es seit vielen Jahren für uns selbstverständlich,
dass auch unsere Verwaltung – als Spiegelbild der Bevölkerung – eine diverse Beleg-
schaft beschäftigt.
Das Thema Diversität wird in Krefeld auf verschiedenen Ebenen gelebt. Ebene 1:
Die Stadt-verwaltung als steuerndes Organ für das Stadtgeschehen und die Aufrecht-
erhaltung des sozialen Gesamtgefüges. Ebene 2: Unsere Belegschaft, die sich mit den
vielfältigen Themen einer Stadt beschäftigt, in der die Bevölkerung vielsprachig,
kulturell lebendig und sozial divers geprägt ist. In der Stadt Krefeld wurde in diesem
Zusammenhang im Jahr 2018 der Fachbereich Migration und Integration gegründet, um
der hohen Bedeutung der vielfältigen Themen Rechnung zu tragen, sie zu bündeln und
eine zentrale Anlaufstelle einzurichten.
Interkulturalität, Vielfalt und Chancengleichheit sind allseits bekannte Schlagworte
unserer Gegenwart. Sie sind Verpflichtung und Chance zugleich. Und mit jeder Facette
des Verwaltungshandelns lassen sich diese Themen mit Leben füllen. So hat die Stadt
Krefeld vor einigen Jahren einen Prozess angestoßen, der mit einem kurz formulierten
Arbeitsauftrag des Verwaltungsvorstandes (VV) begann und dann sukzessive ver-
waltungsweite Ausmaße annahm. Das Projekt trug damals noch den etwas sperrigen
Titel „Interkulturelle Orientierung der Stadtverwaltung Krefeld als Arbeitgeberin“. Die
Verantwortung für dieses Großprojekt lag in meinem Geschäftsbereich III, die Steuerung
und Moderation bei unserer Abteilungsleiterin, zuständig für die Ausbildung, die
Personalentwicklung, den Kulturwandel und das Personalmarketing.
Braucht Verwaltung ein Diversity Management? … 253

2 Unser Start in der Stadtverwaltung Krefeld

Wie bereits kurz vorab geschildert, hat die Stadt Krefeld im Jahr 2015 das verwaltungs-
weite Projekt „Interkulturelle Orientierung der Stadtverwaltung Krefeld als Arbeit-
geberin“ ausgerufen. Sämtliche Fachbereiche hatten den Auftrag, Mitarbeitende und
Führungskräfte in das Projekt zu entsenden, um das Thema VIELFALT in seinem
Facettenreichtum innerhalb der Krefelder Verwaltung zu interpretieren und anschließend
in Maßnahmen zu implementieren. Was bedeutet Vielfalt im Sport? Was macht Vielfalt
in der Kultur? Wie muss sich der Sozialbereich aufstellen? Brauchen wir andere Aus-
wahlkriterien in unseren Personalbesetzungsprozessen? Diese und viele weitere Fragen
wurden über einen Zeitraum von knapp zwei Jahren mit über 200 Vertreter*innen der 33
Fachbereiche und Institute der Stadtverwaltung Krefeld erörtert.
Wie Sie wissen: Auch der Weg ist das Ziel. So war nicht nur das 18-seitige
Maßnahmenportfolio das eigentliche Ergebnis des Prozesses, sondern vielmehr sorgten
die anregenden Arbeits- und Projektgruppensitzungen, die Diskussionen und Aus-
tausche, die vielen Ideen und Vorschläge aus der Belegschaft, Impulsveranstaltungen,
Fachvorträge und interkulturelle Begegnungen für die entsprechende Sensibilisierung
und Fachkenntnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Außerdem führte eine große
Diskussionsrunde unter Beteiligung vieler Akteure der örtlichen Integration zu einem
lebendigen kulturellen Austausch.
In besagtem 18-seitigen Portfolio wurden umfangreiche Angebote, Maßnahmen und
Projekte identifiziert, die teilweise bereits seit einigen Jahren in den Fachbereichen,
Instituten und Organisationseinheiten wahrgenommen wurden, jedoch nicht im Gesamt-
kontext des Themas gesteuert oder gebündelt worden sind. Dies wurde dann erfolgreich
im Rahmen des Projektes nachgeholt und führte zu einem beeindruckenden Ergebnis
bereits gelebter Vielfalt.
Dazu zählten unter anderem vielfältige interkulturelle Angebote, wie das Schwimmen
für muslimische Frauen im Sportbereich, die interkulturelle Tagung des Kultur-
büros, die fremdsprachigen Bestände unserer Mediathek, die Führungen für nicht-
deutsche Muttersprachler*innen und die bilingualen Lesungen für Kinder, oder gar die
Anpassung des städtischen Wochenmarktangebotes an veränderte interkulturelle Bedürf-
nisse. Nahezu alle Bereiche der Stadtverwaltung und ihre Institutionen hatten seiner-
zeit die Anforderungen der Krefelder*innen aus unterschiedlichen Kulturbereichen
bereits berücksichtigt. Längst gab es auf den Friedhöfen auch Bestattungsmöglich-
keiten nach unterschiedlichen religiösen und kulturellen Vorgaben. Dass die Volks-
hochschule ein umfassendes Angebot an Integrationskursen und -projekten bietet, war
schon eher bekannt. Aber dass beispielsweise die Krefelder Feuerwehr an Interkultur-
Kampagnen beteiligt ist, oder einen intensiven Kontakt zu Kollegen*innen in Krefelds
englischer Partnerstadt Leicester pflegt, hatte vor acht Jahren sicherlich noch nicht so
viel öffentliche Aufmerksamkeit erlangt.
254 C. Bern

Zwischenfazit: Das Thema „Diversity“ war bereits vor fast zehn Jahren für uns von
enormem Interesse und ließ Mitarbeitende innerhalb von Projekt- und Arbeitsgruppen-
Sitzungen zusammenrücken. Die strategische Steuerung und Konzeption für das Thema
Diversity Management folgten jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt.

3 Implementierung eines Diversity Managements in der


Stadtverwaltung Krefeld

In den nachfolgenden Jahren wurde die umfangreiche Übersicht der Einzelmaßnahmen,


die in unserem groß angelegten Gesamtprozess erarbeitet wurde, regelmäßig erörtert,
Umsetzungsstände besprochen und Aktualisierungen vorgenommen.
Mit der Unterzeichnung der Charta der Vielfalt, einer Unternehmensinitiative zur
Förderung von Vielfalt in Unternehmen und Institutionen, ist die Stadtverwaltung Kre-
feld kurze Zeit später eine freiwillige Selbstverpflichtung eingegangen, eine im bis-
herigen Prozess von allen Seiten gewünschte „wertschätzende und vorurteilsfreie
Organisationskultur“ zu etablieren und zu leben. Für unsere Stadtverwaltung sollte es ein
Ausdruck der Selbstverständlichkeit werden, Vielfalt zu fördern und so den Weg in eine
offene und moderne Verwaltung zu beschreiten und unseren Bürger*innen ein bedarfs-
gerechtes Angebot unserer Dienstleistungen zu bieten.

3.1 Steuerung, Strategie und Ausrichtung

Allen Bereichen der Stadtverwaltung Krefeld war das Thema Vielfalt nun bewusst,
der Begriff VIELFALT wurde alltäglich und in verschiedenen Kontexten verwendet
und wir hatten es uns zur Aufgabe gemacht, Steuerung, Strategie und Ausrichtung zu
konkretisieren und forcieren.
Wir haben uns in Krefeld gefragt, wie viel Sinn es macht, das Thema Diversity
Management zu separieren und singulär zu betrachten. Und wir sind zu einem für uns
essenziellen Schluss gekommen: Diversity Management benötigt eine andere Kultur,
eine neue Kultur, eine verwaltungsweite neue Ausrichtung im Rahmen eines Kultur-
wandels, um glaubhaft, transparent und „ehrlich“ erlebbar zu sein, um gelebt und
umgesetzt zu werden. Dinge größer zu denken, auch wenn eine solche Mammut-Auf-
gabe möglicherweise erst einmal abschreckend wirkt, ist oftmals die einzige Methode für
den „Großen Wurf“. Und ja, dafür haben wir uns in Krefeld entschieden.
Bei meinem Amtseintritt in Krefeld habe ich mit Oberbürgermeister Frank Meyer und
meinen Kolleg*innen des Verwaltungsvorstands entschieden, einen verwaltungsweiten
Kulturwandel zu initiieren. Unsere Abteilungsleiterin bekam die Aufgabe übertragen,
den Prozess ins Rollen zu bringen, zu begleiten und die Steuerung zu übernehmen. An
dieser Stelle darf ich erwähnen, dass es engagierter und leidenschaftlicher Kolleg*innen
bedarf, die sich einer solchen Herausforderung annehmen.
Braucht Verwaltung ein Diversity Management? … 255

Teil des verwaltungsweiten Kulturwandels ist es, das Bewusstsein der Mit-
arbeiter*innen der Stadt Krefeld für die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten von
Menschen zu schärfen und sie entsprechend für den Umgang zu sensibilisieren. Nur
wenn dieses Bewusstsein in den Köpfen vorhanden ist, wird es gelingen, ein vorurteils-
freies und gegenseitig unterstützendes Miteinander zu gestalten. Nicht auf dem Papier,
nicht in der Schublade, sondern im alltäglichen Miteinander.
Zentrales Element hierfür war die Gestaltung, Konzeption und neue Einführung
des Krefelder Schlüsselkompetenzmodells. Wir haben dafür in einer breit angelegten
Projektgruppe zehn Kompetenzen definiert, die aktuell und zukünftig benötigt werden,
um Aufgaben in den unterschiedlichen Bereichen der Krefelder Stadtverwaltung
erfolgreich meistern zu können. In diesem Zusammenhang haben wir beispielsweise
die Gender- und Diversity-Kompetenz eingeführt. Ziel ist es dabei, Menschen bei der
Stadtverwaltung Krefeld zu beschäftigten, die fähig und bereit sind, geschlechtliche,
kulturelle, sexuelle, religiöse und soziale Unterschiede von Menschen als Potenziale zu
erkennen, die Vielfalt zu fördern und strukturellen und persönlichen Diskriminierungen
entgegenzuwirken. Indem Menschen für die Stadt Krefeld arbeiten, die diese Werte und
Haltung verinnerlicht haben und aktiv dafür eintreten, wird eine Kultur der Diversität
und Offenheit im gegenseitigen Austausch geprägt.
Eine weitere Maßnahme im Rahmen der Personalakquise ist die Öffnung der bisher
nur im Beamtenverhältnis angebotenen Ausbildungsberufe und dualen Studiengänge
im Verwaltungsbereich. Um dort auch neue Zielgruppen für die Verwaltungsberufe zu
erreichen und auch Personen mit unterschiedlichen Staatsangehörigkeiten und unter-
schiedlichen Alters für den Einstieg in der Verwaltung berücksichtigen zu können, bildet
die Stadtverwaltung Krefeld im Verwaltungsbereich nicht länger nur im Beamtenverhält-
nis, sondern auch im Beschäftigtenverhältnis aus. Zudem werden auch die Ausbildungs-
und Studienmöglichkeiten in Teilzeit ausgeweitet.
Die Verfolgung eines ganzheitlichen Ansatzes steht im Vordergrund der Strategie
der Stadt Krefeld. So werden alle Mitarbeitenden aufgefordert und angehalten, ihre
individuellen Fähigkeiten einzubringen – und erfahren dafür Wertschätzung. Diversität
sollte von allen Mitgliedern der Organisation gelebt und in allen Strukturen verankert
sein, sodass diese als Selbstverständlichkeit wahrgenommen wird.

3.2 Einsatz einer Arbeitsgruppe Diversity

Nachwuchskräfte der Stadt Krefeld haben eine Arbeitsgruppe Diversity gegründet und ein
starkes Zeichen für Vielfalt innerhalb der Krefelder Verwaltung gesetzt. Auf verwaltungs-
internen Veranstaltungen und im Rahmen der interkulturellen Woche in Krefeld hat die
Arbeitsgruppe einen Fokus auf das Thema gelegt und so viele Kolleg*innen daran teilhaben
lassen. Weiterhin informieren sie durch einen Newsletter über aktuelle Themen. Hier können
sich auch alle Beschäftigte einbringen und beispielsweise internationale Rezepte teilen. So
wird das gegenseitige Verständnis weiter verfestigt und der Zusammenhalt gestärkt.
256 C. Bern

3.3 Projekt Exit Racism

Darüber hinaus haben Kolleg*innen am Projekt Exit-Racism teilgenommen, dessen


Inhalt es ist, das Hörbuch „Exit Racism – rassismuskritisch denken lernen“ von Tupoka
Ogette zunächst in einem geschützten Raum anzuhören und dann in eine Reflexions-
phase überzugehen. Hierbei wird ein*e externe*r Referent*in eingebunden, um diesen
Austausch zu moderieren. Teilnehmende waren in einem ersten Aufschlag Auszu-
bildende kurz vor dem Ende ihrer Ausbildung. Ebenso wie die Autorin des Buches
beabsichtigt, lag der Fokus nicht darauf, den Teilnehmenden eine Sichtweise aufzu-
oktroyieren, sondern vielmehr eine Selbstreflexion anzuregen, die nachhaltig wirkt. Die
Hemmschwelle, sich kritisch mit der eigenen Einstellung auseinanderzusetzen, soll so
abgebaut werden. Darüber hinaus ist das Ziel hier wie bei jeglichen Maßnahmen, eine
offene Fehlerkultur und -kommunikation weiter zu etablieren.

3.4 Förderung von Frauen auf der Leitungsebene und


Mentoring-Programm für Frauen

Auch die Gleichberechtigung der Geschlechter ist ein erklärtes Ziel der Stadtverwaltung.
Um dies kontinuierlich zu unterstützen und Frauen für die Übernahme von (Führungs-)
Verantwortung zu begeistern und in ihrer Rolle zu stärken, hat die Stadt Krefeld diverse
Maßnahmen eingeführt. Unter anderem geben etablierte weibliche Führungskräfte ihre
Erfahrungen beim Mentoring für Frauen weiter. Sie identifizieren Stärken und Potenziale
von weiblichen zukünftigen Führungskräften und bauen diese gemeinsam aus. Die Reihe
„Frauen in Führung“ unterstützt diesen Prozess und richtet sich an alle Führungsfrauen der
Stadtverwaltung Krefeld.
In den vergangenen zwei Jahren konnten bereits 19 Mentees und 19 Mentorinnen von
dem gemeinsamen Austausch, begleitenden Workshops und der Vernetzung profitieren.
Auch die Möglichkeit, Führungsrollen in Teilzeit auszuüben, führt dazu, dass Diversität
bis in die Führungsebene weiter etabliert wird.

3.5 Einsatz von Sprachlots*innen

Um der erklärten Serviceorientierung Rechnung zu tragen, stehen den Bürger*innen


der Stadt Krefeld Sprachlots*innen zur Verfügung. Diese Sprachlots*innen sind zwei-
oder mehrsprachige Personen, die zumeist über eine eigene Zuwanderungsgeschichte
verfügen. Sie werden im Rahmen von Schulungen durch das Kommunale Integrations-
zentrum Krefeld und Expert*innen aus der Praxis gezielt auf ihre Aufgabe vorbereitet
und arbeiten ehrenamtlich.
Der Einsatz von Sprachlots*innen stellt ein Angebot für Mitarbeitende aus Ver-
waltung, Schule, Kindergarten, Jobcenter und anderen kommunalen Einrichtungen dar.
Braucht Verwaltung ein Diversity Management? … 257

Sie unterstützen Neuzugewanderte dabei, Beratungsleistungen in Anspruch zu nehmen,


indem sie Sprachbarrieren und interkulturelle Hemmnisse abbauen. So erfolgen Gänge
beispielsweise zu Ämtern, Schulen und Institutionen effizienter und reibungsloser für
alle Beteiligten.

3.6 Unterschiedliche Sprachen im Service-Portal

Zusätzlich bietet auch das Service-Portal als direkte Anlaufstelle für Bürger*innen die
Möglichkeit, Auskunft in sieben Sprachen zu erhalten. Dank der Sprachkompetenz der
eingesetzten Mitarbeiter*innen ist eine Auskunft im Serviceportal nicht nur in deutscher,
sondern derzeit in folgenden Fremdsprachen möglich: Englisch, Französisch, Italienisch,
Polnisch, Türkisch und Kurdisch.

3.7 Weitere Maßnahmen

Der Diversitäts-Aspekt findet sich auch im Zuge der in 2023 veröffentlichten Führungs-
leitlinien wieder. Unsere Führungskräfte sollen sich an den Maßstäben, die die Ver-
waltung für die Förderung und Stärkung der Diversität setzt, auch im Rahmen ihres
täglichen Handelns messen lassen.
Wir positionieren uns hinsichtlich LGBTQ – so wird die Ausbildungsleitung mit
knapp 300 Studierenden und Auszubildenden den Support des Christopher Street Days
in 2023 übernehmen. Außerdem werden wir die Zusammenarbeit mit unserer nieder-
ländischen Partnerstadt Venlo – die dort den „Roze Saterdag“ feiert – aktiv unterstützen.

4 Fazit: Brauchen Verwaltungen ein Diversity Management?

Resultierend aus den bisher gesammelten Erfahrungen für unterschiedliche Arbeit-


geber, wertvollen Rückmeldungen meiner Mitarbeitenden und Wegbegleiter*innen sowie
der Informationsgewinnung durch Lektüre und Vorträge: Ja, es braucht ein Diversity-
Management. Jedoch nicht isoliert, separat und durch eine besondere Sparte der Ver-
waltung belegt und bearbeitet.
Vielleicht wagen auch Sie den „Großen Wurf“, trauen sich an einen Kulturwandel,
der das Thema DIVERSITY wie selbstverständlich mitträgt, lebt, ausgestaltet und voran-
treibt. Beteiligen Sie die obere Führung, die Fachbereichsleitungen, die Gleichstellung,
die Schwerbehindertenvertretung, den Personalrat, die Jugend- und Auszubildendenver-
tretung, die Antidiskriminierungsbeauftragte. Informieren Sie Ihre Mitarbeitenden auf
unterschiedlichen Kanälen, lassen Sie Ihre Kolleg*innen partizipieren und mitgestalten.
Bringen Sie Ihre Beschäftigten in den Diskurs und fördern Sie einen aktiven Dialog
zum Thema Vielfalt in allen Fachbereichen und auf allen hierarchischen Ebenen. Nur
258 C. Bern

wenn gemeinsam diskutiert, debattiert und vielleicht sogar kontrovers verhandelt wird,
sind Mitarbeitende wirklich beteiligt und involviert. Und nur dann wird Diversität ein
Thema, das von vielen Akteuren gemeinsam gelebt und getragen wird. Initiieren Sie
Arbeits- und Projektgruppen, unter Beteiligung unterschiedlicher Bereiche, Hierarchie-
ebenen und Interessenvertretungen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen – nämlich ein
Diversity Management als Bestandteil einer modernen, offenen, positiven und neuen
Verwaltungskultur zu entwickeln. Zeigen Sie das Verwaltungen Spiegelbilder der
Bevölkerung sind und darüber hinaus Attraktivität und Orientierung für Bewerbende
bietet. Dann wird das Thema Diversity Management als Teil des Kulturwandels tatsäch-
lich funktionieren.

Cigdem Bern, Stadtverwaltung Krefeld, Personal, Organisation, Recht, Bürgerservice und Feuer-
wehr.
Sie ist Volljuristin und hat sich bereits im Rahmen ihrer Funktionen beim Bundesamt für
Immobilienangelegenheiten, bei der Stadt Honnef sowie der Stadt Viersen und aktuell als Bei-
geordnete der Stadt Krefeld mit dem Thema der diversen Ausrichtung von Behörden befasst und
sich zur Aufgabe gemacht, diese strategisch und aktiv zu steuern.
Teil V Diversity im Personalmanagement fördern

Teil V „Diversity im Personalmanagement fördern“ thematisiert Fragestellungen


aus dem Bereich des Personalmanagements der öffentlichen Verwaltung. Ein Diversity-
orientiertes Personalmanagement umfasst insbesondere die Themen Personalgewinnung
und Personalentwicklung. Beide Themen haben nicht zuletzt vor dem Hintergrund
des wachsenden Arbeitskräftemangels, des demografischen Wandels sowie der hohen
Fluktuationsrate gerade in jüngeren Generationen eine hohe Priorität für die langfristige
Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit einer öffentlichen Verwaltung. Diversity
wird in diesem Zusammenhang als große Chance gesehen, das Personalmanagement
grundlegend neu zu gestalten. Die Öffnung der Verwaltung für vielfältige Menschen
bietet das Potenzial, neues talentiertes Personal für die Verwaltung zu finden und
längerfristig zu binden. Die Fachbeiträge in Teil V geben Anregungen dafür, wie sich die
öffentliche Verwaltung in der Personalgewinnung und Personalentwicklung Diversity-
affin aufstellen kann.
Der Fachbeitrag „Der Mensch im Mittelpunkt – der beste Weg zu einer modernen
Verwaltung“ von Christian Zierau stellt ein wirkungsmächtiges Plädoyer dar: Das
Beben des Arbeitskräftemangels steht unmittelbar bevor und ist bereits spürbar. Die
Maßnahmen der Vergangenheit – Stellenabbau, Lohnverzicht und Arbeitsverdichtung
– haben die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung getroffen. Christian Zierau
macht deutlich, dass wir aus dieser Vergangenheit lernen und die gegenwärtigen
Herausforderungen so lösen müssen, dass wir nunmehr dauerhaft unsere
Funktionsfähigkeit wiederherstellen und erhalten. Statt beim Personal zu sparen, muss
es jetzt Personal stärken heißen. Dies gelingt jedoch nur mit strategischen Ansätzen,
praktischer Umsetzung und einer Kompetenz, die Vielfalt und Diversität fördert.
Christian Zierau gibt hierzu praktische Einblicke und Handlungsempfehlungen.
260 Teil V Diversity im Personalmanagement fördern

Mit dem Fachbeitrag „Was braucht eine vielfaltsbewusste Personalentwicklung?


– Grundlagen und Maßnahmen aus der Verwaltungspraxis“ von Gülcan
Yoksulabakan-Üstüay und Jochen Schiffmann erfolgt anschließend eine Fokussierung
auf die Personalentwicklung. Der Fachbeitrag beschreibt zunächst die Grundsätze einer
vielfaltsbewussten Personalentwicklung. Anschließend werden zahlreiche Maßnahmen,
praktische Tipps und Beispiele im Rahmen der Personalentwicklung vorgestellt.
Zum Abschluss werden Möglichkeiten der Evaluation und Wirkungsmessung einer
vielfaltsbewussten Personalentwicklung aufgezeigt.
In dem Fachbeitrag „Diversity als Chance für das Recruiting in der
öffentlichen Verwaltung“ beschreibt Julia Göpel, wie die Diversity-Dimensionen
(siehe Einleitungskapitel des Buchs) gezielt genutzt werden können, um durch
ein zielgruppenorientiertes Recruiting eine größere und diversere Gruppe an
Bewerber*innen anzusprechen. Hierfür stellt Julia Göpel zu den jeweiligen Diversity-
Dimensionen ihre Praxiserfahrungen und Ideen für die konkrete Umsetzung dar. Darüber
hinaus wird der Vorteil des Einstiegs von Quereinsteiger*innen in die öffentliche
Verwaltung hervorgehoben.
Die Autorinnen Kathleen Jäger und Belma Bekos befassen in ihrem Fachbeitrag
„Affirmative Action in der Verwaltung? Das Berliner Partizipationsgesetz als
Meilenstein moderner Verwaltungspraxis“ mit dem Praxisbeispiel des Berliner
Partizipationsgesetzes (PartMigG). Das Berliner Partizipationsgesetz zielt darauf ab,
die Partizipation von Menschen mit Migrationsgeschichte zu fördern. Zu den Zielen des
Gesetzes zählt die migrationsgesellschaftliche Ausrichtung des Verwaltungshandelns,
wozu auch der Aufbau migrationsgesellschaftlicher Kompetenz der Mitarbeitenden
und die Förderung der Beschäftigung von Menschen mit Migrationsgeschichte im
Öffentlichen Dienst gehören. In diesem Zusammenhang spielt das Konzept von
„Affirmative Action“ eine wichtige Rolle. Kathleen Jäger und Belma Beko zeigen hierzu
spannende Beispiele aus der Berliner Verwaltungspraxis.
Abschließend befasst sich Tessa Hillermann in ihren beiden rechtlichen
Fachbeiträgen „Institutionalisierte Akteur*innen als Impulsgeber*innen
für Vielfalt“ mit der Rolle der Personalverwaltung, Personal- und
Schwerbehindertenvertretung, von Gleichstellungsbeauftragten sowie AGG-
Beschwerdestellen bei der Stärkung von Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung.
Neben der institutionellen Einordnung der genannten Akteur*innen (Teil 1 des
Fachbeitrags) gibt Tessa Hillermann einen Einblick, wie und mit welchen Instrumenten
ein gewinnbringendes Zusammenwirken der genannten Akteur*innen möglich ist, um
zu einem vielfältigeren und inklusiveren öffentlichen Dienst beizutragen (Teil 2 des
Fachbeitrags).
Die genannten Fachbeiträge liefern einen wichtigen Beitrag und praktische
Hilfestellungen zur Ausrichtung eines Diversity-orientierten Personalmanagements. Sie
geben damit wichtige Bausteine für die Schaffung vielfaltsorientierter Strukturen und
Prozesse im Personalmanagement.
Der Mensch im Mittelpunkt – der beste
Weg zu einer modernen Verwaltung

Christian Zierau

Zusammenfassung

Wir sind mitten in einem gewaltigen Umbruch. Das Beben des Arbeitskräftemangels
steht unmittelbar bevor und ist in vielen Branchen bereits spürbar. Diese Realität
wird aber nur verzeichnet wahrgenommen und bleibt zu oft noch ohne Konsequenz,
denn ein Weiter so ist bequem. In der Vergangenheit stand eine Konsolidierung der
Staatsausgaben im Vordergrund, die regelhaft zu Lasten der Mitarbeitenden, z. B.
durch Stellenabbau, Lohnverzicht und Arbeitsverdichtung, durchgeführt wurde.
Innovation, Strategien und geeignete Anpassungen, um der aufziehenden Trans-
formation zu begegnen, gelang öffentlichen Verwaltungen in Deutschland nur ver-
einzelt. Zuletzt wurden zum Erhalt der Handlungsfähigkeit wieder vermehrt Stellen
aufgebaut. Doch immer mehr können nicht besetzt werden. Wir müssen aus dieser
Vergangenheit lernen und die gegenwärtigen Herausforderungen so lösen, dass wir
dauerhaft eine Funktionsfähigkeit erhalten bzw. wiederherstellen. Dies erfordert
Lösungen, die eine Vielzahl von neuen mit klassischen Ansätzen kombinieren. Statt
beim Personal zu sparen, muss es jetzt Personal stärken heißen. Wenn wir am Arbeits-
markt weniger Köpfe finden, müssen wir umso mehr auf die vielfältigen Fähigkeiten
der Mitarbeitenden, selbstbestimmte Teams und engagierte Führungskräfte setzen.
Dies gelingt jedoch nur mit strategischen Ansätzen, praktischer Umsetzung und einer
Kompetenz, die Vielfalt und Diversität fördert. Nur dann werden wir schnell genug
vorankommen, um gegenüber kommenden Herausforderungen und Veränderungen
gewappnet zu sein.

C. Zierau ( )
Stadtrat, Kiel, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 261
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_20
262 C. Zierau

Schlüsselwörter

Fachkräftemangel · Arbeitskräftemangel · Personalstrategie · Arbeitsmarkt ·


Ausbildung · Fortbildung · Weiterbildung · Verwaltung ·
Diversity · Diversität · Vielfalt

1 Einleitung

Wir sind mitten in einem gewaltigen Umbruch. Das Beben des Arbeitskräftemangels
steht unmittelbar bevor und ist in vielen Branchen bereits spürbar. Diese Realität wird
aber nur verzeichnet wahrgenommen und bleibt zu oft noch ohne Konsequenz, denn ein
Weiter so ist bequem. In der Vergangenheit stand eine Konsolidierung der Staatsaus-
gaben im Vordergrund, die regelhaft zu Lasten der Mitarbeitenden, z. B. durch Stellen-
abbau, Lohnverzicht und Arbeitsverdichtung, durchgeführt wurde. Innovation, Strategien
und geeignete Anpassungen, um der aufziehenden Transformation zu begegnen, gelang
öffentlichen Verwaltungen in Deutschland nur vereinzelt. Zuletzt wurden zum Erhalt der
Handlungsfähigkeit wieder vermehrt Stellen aufgebaut. Doch immer mehr können nicht
besetzt werden. Wir müssen aus dieser Vergangenheit lernen und die gegenwärtigen
Herausforderungen so lösen, dass wir dauerhaft eine Funktionsfähigkeit erhalten bzw.
wiederherstellen. Dies erfordert Lösungen, die eine Vielzahl von neuen mit klassischen
Ansätzen kombinieren. Statt beim Personal zu sparen, muss es jetzt Personal stärken
heißen. Wenn wir am Arbeitsmarkt weniger Köpfe finden, müssen wir umso mehr auf
die vielfältigen Fähigkeiten der Mitarbeitenden, selbstbestimmte Teams und engagierte
Führungskräfte setzen. Dies gelingt jedoch nur mit strategischen Ansätzen, praktischer
Umsetzung und einer Kompetenz, die Vielfalt und Diversität fördert. Nur dann werden
wir schnell genug vorankommen, um gegenüber kommenden Herausforderungen und
Veränderungen gewappnet zu sein.

1.1 Anspruchsvolle Zeiten

Wir diskutieren jeden Tag nur über schnell oder noch schneller. Unruhe macht sich
breit, wenn Vorfahrt nicht eingeräumt wird. Es kochen Emotionen hoch und Kritik ist
schnell formuliert. Verkürzung und Zuspitzung helfen selten und belasten Menschen wie
Strukturen. Das hilft im seltensten Fall, denn Sachverhalte und Herausforderungen sind
komplex und nicht schnell lösbar. Der Autor und Kolumnist Sascha Lobo brachte es bereits
vor der Corona-Pandemie 2019 in seinem Werk „Realitätsschock – Zehn Lehren aus der
Gegenwart“ (Lobo 2019) auf den Punkt. Die Rückseite des Buchumschlags titelt: „Haben
Sie auch das Gefühl, die Welt sei aus den Fugen geraten?“. Ja, das Funktionieren steht
mittlerweile zu oft auf der Kippe und könnte perspektivisch sogar für das Zusammenleben
in unserer Gesellschaft gefährlich werden.
Der Mensch im Mittelpunkt – der beste … 263

Fakt ist, die Anforderungen an öffentliche Verwaltungen haben in den letzten Jahren
weiter zugenommen. Megatrends wie zum Beispiel der demografische Wandel, die
Digitalisierung, neue Mobilität, der Anspruch an Partizipation und zuletzt fortgesetzte
Krisen wie die Corona-Pandemie, Fluchtbewegungen und eine unsichere Energiever-
sorgung prägen diese. Für alle öffentlichen Arbeitgeber*innen verschärft sich der immer
stärker offenbar werdende Arbeitskräftemangel, der verbunden mit der gebotenen Neu-
ausrichtung von Strukturen, Prozessen und Services für Mitarbeitende und Führungskräfte
höchst anspruchsvoll ist. Intensivierte Fachthemen wie Gesundheit oder Klimaschutz
sind umfassend mitzudenken. Gesellschaftliche Entwicklungen bei Gleichstellung, die
Ansprüche junger Generationen sowie sich verschiebende Erwartungen an eine aus-
geglichene Work-Life-Balance führen dazu, dass Strategien zum Erhalt der Wettbewerbs-
fähigkeit intensiviert werden müssen.
Wir müssen uns darauf einstellen, dass es anspruchsvolle Zeiten bleiben.

1.2 Blick zurück

Aber diese Entwicklung überrascht nicht. Bereits 1993 beschrieben Michael Hammer
und James Champy in ihrem Wirtschafts-Klassiker „Business Reengineering“ (Hammer
und Champy 1994) eine Krise, die nicht vorübergehen wird. Neben dem Fokus auf
Kunden und Wettbewerb belegten sie, dass der permanente Wandel zur Konstante wird
und die Beschleunigung anhält. Zeitgleich ging insbesondere von Kommunen (vgl.
„Neues Steuerungsmodell“, KGSt 1993) der Impuls nach Reform und moderner Ver-
waltung aus. Neben einigen erfolgreichen Projekten konnte aber kein breit getragener
Wandel angestoßen werden. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass die damalige
Verwaltungsreform keine nachhaltigen Lösungen etabliert hat, die das Funktionieren der
öffentlichen Verwaltungen gesichert bzw. eine eigene Innovationsfähigkeit geschaffen hat.
Seitdem konnte man in verschiedenen Branchen die Auswirkungen des globalen
Handels, von aufziehender Digitalisierung und grundveränderter Kommunikation
zwischen Menschen, wahrnehmen und auch die Folge, dass so einige Geschäftsmodelle
und bekannte Marken auf der Strecke blieben. Besonders eingängig formulierte das
„Cluetrain-Manifest“ im Jahr 1999 die neuen Ansprüche: „Wenn Du heute nur Zeit hast
für eine Einsicht, dann sollte es diese sein: Wir sind keine Zuschauer oder Empfänger
oder Endverbraucher oder Konsumenten. Wir sind Menschen – und unser Einfluß ent-
zieht sich eurem Zugriff“ (Levine et al. 1999).
Es war die Zeit, in der in allen öffentlichen Verwaltungen in Deutschland beim
Menschen gespart wurde, statt in Köpfe zu investieren. Die demografische Entwicklung
war auch damals bereits absehbar. Die Bundeshauptstadt Berlin hat nach der Wiederver-
einigung bis zum Jahr 2014 rund fünfzig Prozent ihrer Stellen abgebaut (über 100.000
Stellen) und seitdem wieder rund 9500 Stellen aufgebaut. Sicher handelt es sich im Zuge
der Wiedervereinigung um eine besondere Situation in Berlin, aber diese Entwicklung
war ein steter Trend von 1995 bis 2014 in ganz Deutschland. Es wurde zudem sichtbar
264 C. Zierau

nicht in Infrastruktur investiert bzw. diese ausreichend unterhalten. Digitalisierung sollte


schlicht Dividende einfahren.
Diese klassische Konsolidierung muss rückwirkend als kontraproduktiv bewertet
werden, da sie damals wie heute Lösungen erschwert hat. Sie hat die angesichts der ein-
getretenen Entwicklungen notwendige Anpassungs- und Innovationsfähigkeit verhindert.
Denn wo an Menschen gespart wird, entsteht Druck, Arbeitsverdichtung und Entfernung.
Neue Wege und Vielfalt wurden auf heute vertagt und müssen jetzt unter wesentlich
schwierigen Rahmenbedingungen schneller strategisch gedacht und praktisch umgesetzt
werden. Es gilt aus dieser Vergangenheit zu lernen, der Blick zurück muss dem Blick
nach vorn weichen. Wir sind Menschen, die mit ihren individuellen Fähigkeiten genau
das ändern können. Wir dürfen nicht zulassen, dass dysfunktionale und nicht zukunfts-
fähige Strukturen den Weg zu einer modernen Verwaltung verhindern.

1.3 Versprechen der Transformation

In öffentlichen Verwaltungen in ganz Deutschland bestätigt es sich jeden Tag: es gibt


einen erheblichen Anpassungsbedarf in Struktur und im Handeln. Es gibt ein hohes
Maß an Überlast und individuellen Belastungen. Aber es gibt nicht die schnelle Lösung,
diesen einen Knopf, der alles gut macht. Es braucht das Versprechen der Transformation.
Das heißt Neues wagen, ausprobieren, reflektieren und schnell anpassen. Eben Plan und
Frequenz, statt einfachem Knopfdruck, um das Versprechen einzulösen. Mittlerweile ist
klar, eine Digitalisierung gibt es nicht mal eben, zu Vieles ist komplex und eingefahren.
Auch der Wunsch der Bürger nach Orientierung, schnellen, kurzen Antworten braucht
Kanäle, Kapazität und eine verständliche Sprache. Innovation und Wandel – die in den
letzten 30 Jahren nicht erfolgt sind, müssen jetzt auf der Überholspur erfolgen! Zu
beachten ist, dass der Begriff Fach- oder Arbeitskräftemangel auch häufig herangezogen
wird, um von strukturellen, prozessualen oder führungsrelevanten Aufgabenstellungen
abzulenken. Festzustellen ist, dass Arbeitskräfte in bestimmten Berufsfeldern schon
heute schwer zu akquirieren und zu halten sind. Angesichts der demografischen Ent-
wicklung wird sich diese Situation in den nächsten fünf bis zehn Jahren stark zuspitzen.
Wenn wir am Arbeitsmarkt weniger Köpfe finden, müssen wir umso mehr auf die viel-
fältigen Fähigkeiten der Mitarbeitenden und selbstbestimmte Teams setzen.
Eine moderne wie funktionsfähige Verwaltung zeichnet die Fähigkeit aus, geeignete
Anpassungen zu finden und umzusetzen, um so vor allem für die Stadt und ihre
Menschen wirksam zu sein. Verwaltung muss dafür den Blick auf die Mitarbeitenden,
eigene Strukturen und Prozesse werfen, und sie mit einer Kultur des Miteinanders ver-
binden. Verbundenheit schafft Handlungsfähigkeit und Resilienz. An diesem Punkt kann
auch Diversität und Vielfalt ansetzen und Wirkung entfalten. Um erfolgreich zu sein,
braucht es einen Kurs, der einem roten Faden sichtbar folgt und darauf neue Ansätze und
Projekte wagt. Dabei kann auch schnell sichtbar werden, dass eine echte Kraft in der
Transformation liegt. Aber wie kann das umfassend gelingen und etabliert werden?
Der Mensch im Mittelpunkt – der beste … 265

2 Basis: Einführung einer Personalstrategie

Viele Organisationen verfolgen strategische Ansätze, die zuletzt eher die mittel- statt
langfristige Perspektive, also den Entwicklungszeitraum von drei bis fünf Jahren,
abbilden. Neben den Perspektiven der Bürger*innen, den verschiedenen Aufgaben
einer Verwaltung (Fachstrategien) und der einer nachhaltigen Finanzwirtschaft, ist für
öffentliche Verwaltungen insbesondere auch die Perspektive der Mitarbeitenden wesent-
lich. Für öffentliche Verwaltungen ist es angesichts des Arbeitskräftemangels alternativ-
los, für möglichst viele Menschen eine attraktive Arbeitgeberin zu sein. Gefragt ist,
die bekannten Vorteile des öffentlichen Dienstes wie Sicherheit des Arbeitsplatzes, die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie und das breite Aufgabenspektrum mit modernen
Angeboten und individuellen Entwicklungsmöglichkeiten zu verbinden. Genau an
diesem Punkt muss eine Personalstrategie ansetzen, die möglichst breit getragen und mit
Frequenz praktisch umgesetzt wird.
Statt klassischer Konsolidierung, mit dem Ziel beim Personal zu sparen, muss diese
Strategie Personal stärken heißen. Es müssen konsequent Mitarbeitende als Menschen in
den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt werden, um ihre individuellen Qualifikationen
optimal einzusetzen und ihr Potenzial zu entwickeln sowie zu erhalten. Es braucht die
Menschen mit ihren Händen und Talenten, um eine funktionierende öffentliche Ver-
waltung zu gewährleisten. Gleichzeitig bedarf es einer gemeinsamen Organisations-
und Verwaltungskultur, die sich an den heutigen Anforderungen ausrichtet und weniger
Tradiertes bewahrt. Auch ein gemeinsames Verständnis von wertebasierter Führung, die
bestmöglich die individuellen Fähigkeiten von Mitarbeitenden wirksam werden lässt,
ist unerlässlich. Nur eine im Verständnis und Gefühl der Mitarbeitenden verankerte und
erlebbare personalstärkende Strategie führt zu einem guten Miteinander, zu gegenseitiger
Wertschätzung und in Folge zu einer Öffnung für den notwendigen kulturellen Wandel.

2.1 Werte und Inhalte der Personalstrategie

Eine Personalstrategie sollte ihre Ziele von Beginn an umfassend beschreiben. Idealer-
weise wird ein Leitsatz, beziehungsweise ein Leitmotiv vorangestellt, das zu einer
erfolgreichen Umsetzung beitragen kann und Ausdruck der mit der Strategie ver-
bundenen Haltung und Werte ist. Der Blick auf die Mitarbeitenden mit ihren
individuellen Fähigkeiten, Bedürfnissen und Entwicklungsmöglichkeiten ist zur
Bindung an die Arbeitgeberin elementar. Dazu gehört die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie. Damit dies nicht nur ein Bekenntnis bleibt, braucht es attraktive Optionen und
Engagement, insbesondere auch das der Führungskräfte. Flexible Arbeitszeiten, Teil-
zeit- und Telearbeit sowie ergänzendes mobiles Arbeiten ermöglichen verschiedene
effektive Formen der Zusammenarbeit. Eine Organisation kann dies kollektiv und jede
bzw. jeder Beschäftigte individuell entwickeln und lernen. Wesentliche Fortschritte und
Erfahrungen sind während der Corona-Pandemie bereits gelungen.
266 C. Zierau

Flankiert werden kann diese Strategie durch konkrete Maßnahmen wie Aufhebung
bestehender Einstellungsstopps oder Überprüfungen der Bewertungsmaßstäbe von
Stellen. Folgende Punkte sollten mindestens berücksichtigt werden:

Aus- und Weiterbildung intensivieren


Neue Wege bei der Personalgewinnung
Gute Arbeit braucht gute Führung
Organisations- und Verwaltungskultur neu bestimmen
Gesundheitsmanagement weiter nachhaltig ausbauen.

2.2 Aus- und Weiterbildung intensivieren

Ausbildung ist bereits jetzt in vielen Berufen in öffentlichen Verwaltungen mög-


lich und ist regelhaft der Einstieg in eine Vielzahl von Möglichkeiten und Karriere-
optionen. Gleichzeitig schafft Ausbildung eine starke Bindung an die Arbeitgeberin. Als
Zielgröße kann gelten, dass die eigene Ausbildung in Organisationen perspektivisch mit
der Altersfluktuation Schritt hält. Daher ist sie – soweit es Kapazitäten an Schulen und
Hochschulen zulassen – zu intensivieren. Darüber hinaus ist interne und externe Weiter-
bildung ein wichtiger Baustein der Personalentwicklung, um individuelle Kompetenzen
zu fördern und gleichzeitig organisationsübergreifende Kontakte, Gruppen und Netz-
werke zu bilden.

2.3 Neue Wege bei der Personalgewinnung

Mitarbeitende können wählen, wo sie zukünftig arbeiten. Auch im öffentlichen Dienst


herrscht mittlerweile ein Wettbewerb um die besten Köpfe. Der Erfolgsfaktor für erfolg-
reiche Einstellungen ist die richtige Ansprache der Zielgruppen, sowie Schnelligkeit und
Verbindlichkeit im Verfahren. Die Ansprache erfolgt neben klassischen Kanälen (z. B.
Tageszeitung) auch über soziale Medien, Kampagnen sowie über ein eigenes Portal.
Nicht zu vernachlässigen ist auch die Ansprache über die eigenen Mitarbeitenden.
Das Verfahren sollte vom Bewerbungsschluss bis zur Entscheidung nur wenige
Wochen betragen. Ein Einarbeitungskonzept („Onboarding“) sollten als selbstver-
ständlich angesehen werden. Insbesondere im Wettbewerb und beim Werben um junge
Generationen braucht es integrative Stellenbeschreibungen, die die Chancen der viel-
fältigen Tätigkeiten mit dem Selbstverständnis als attraktive Arbeitgeberin in klaren und
marktverständlichen Stellenanforderungen formulieren und in einem schnellen Workflow
abwickeln. Kurz: Es braucht für eine starke Arbeitgeber*innen-Marke interne Akzeptanz
und externe Verständlichkeit der Anforderungen wie Verfahren. Nur auf ein Marketing zu
setzen wird dagegen nicht zum Erfolg führen.
Der Mensch im Mittelpunkt – der beste … 267

Es ist unbedingt darauf zu achten, dass Personalgewinnung auch bedeutet, die eigenen
Mitarbeitenden dauerhaft zu binden. Dazu gehört zum einen eine möglichst lange Ver-
weildauer und zum anderen die Möglichkeit, Mitgestaltung zu schaffen wie einzufordern.
Belastungen müssen dabei so kompensiert werden, dass sowohl Leistungsfähigkeit als
auch operative Arbeitsfähigkeit und Gesundheit der Mitarbeitenden erhalten bleibt.

2.4 Gute Arbeit braucht gute Führung

Gute Führung erfordert ausgebildete, befähigte und motivierte Kräfte. Wichtig ist ein
annähernd gemeinsames Verständnis von Verantwortung, Autorität bei Entscheidungen
(„Entschluss“) und ein sensibles Verständnis für die Bedeutung von Kommunikation.
Wichtig ist, die Anforderungen an die verschiedenen Hierarchien zu beschreiben, um
bestmöglich zusammenzuwirken und ausreichend Zeitanteile für die Ausübung der
Führung zu berücksichtigen. Führungskompetenz wird auch durch entsprechende Aus-
bildung erlangt und durch regelmäßigen Austausch der Erfahrungen untereinander und
im Rahmen eines Feedbacks verbessert.
Die stärkere Fokussierung auf eine Führungskultur, die nicht nur Status und Fach-
lichkeit umfasst, sondern Werte, Haltung, Vertrauen, Verantwortung mit Leistungs-
bereitschaft sowie Innovation kombiniert und sozial-kompetent mit den Mitarbeitenden
umsetzt, ist dabei elementar. Dies gelingt nur durch persönliche Entwicklung von
Menschen, durch Freiräume auf Basis von Personalentwicklung mit starker Verbindung
zur Organisation. Das Sehen, Entwickeln und Verankern dieser kulturellen Aspekte hat
das Potenzial, die Führungskraft individuell zu stärken und für die Organisation wirk-
sam einzusetzen. Dazu kann auch eine programmatische Anbindung von Diversität und
Gleichstellung bedeutend beitragen.
Die Kompetenz von Führungskräften entscheidet wesentlich, inwieweit neue Wege
beschritten werden. Führungskultur bildet Werte ab, für die die öffentliche Verwaltung
einsteht. Dabei erleichtert eine Führungskultur in Entwicklung erst neue Wege, eröffnet
Chancen und ist vorbildhaft für die Kultur unter den Mitarbeitenden im Allgemeinen.
Führungskräfte gestalten nicht nur Wandel, sondern verwalten auch oft das Allzu-
menschliche, optimieren die Fachaufgaben und müssen in die Umsetzung der Strategie
eingebunden sein. Zu einer gelingenden Führungskultur gehören auch die offene und
wertsensible Kommunikation und das Ziel- und Verantwortungsverständnis entlang einer
Personalstrategie. Führung ist Information und Austausch in regelhaften Intervallen.
Führung darf keine Angst vor eigener oder prozessualer Weiterentwicklung haben. Ins-
besondere der mittleren Führungsebene – die eine hohe Anzahl an Mitarbeitenden führt
– müssen für die Personalführung ausreichend zeitliche Ressourcen und die Möglichkeit
zum Erwerb spezieller Kompetenzen eingeräumt werden. Dabei sind Feedback und eine
wirksame interne Kommunikation wichtig. Auch interne Kommunikation ist Innovation
und muss von Führungskräften gedacht und verfolgt werden.
268 C. Zierau

Führungs- und Verwaltungskultur sind daher integraler Bestandteil der Gesamt-


und Personalstrategien. Sie müssen in ihrer Bedeutung für Mitarbeitende von Beginn
an offenbar sein, um unter veränderten Rahmenbedingungen und bei neuen Heraus-
forderungen dauerhaft Resilienz wie auch Reflektion zu gewährleisten.

2.5 Organisations- und Verwaltungskultur neu bestimmen

„Kultur verspeist Strategie zum Frühstück.“ (im Original: Culture eats strategy for
breakfast): Dieser bildhafte Satz des Management-Vordenkers Peter Drucker steht dem
aktuellen KGSt-Bericht zum Kulturwandel in Verwaltungsorganisationen voran (KGSt
2020). Die sich rasant verändernden Rahmenbedingungen, zunehmende Ansprüche
und Innovations- und Abstimmungsprozesse, die oft gleichzeitig und sich überlagernd
(iterativ) laufen, fordern die traditionell hierarchische Verwaltungskultur stark und
wirken sich auf die Beteiligten aus. Mit diesem Wandel Schritt zu halten gelingt nur,
wenn neben der Technologie und der Anpassung von Prozessen und Strukturen auch
die Ebene der Organisations- und Verwaltungskultur betrachtet wird. Das beeinflusst
Leistungsfähigkeit und -bereitschaft, was wiederum Auswirkungen auf die Ergeb-
nisse der Organisation hat. Eine positive Verwaltungskultur ist also für die eigene Ver-
änderungsfähigkeit und somit für den Erfolg von entscheidender Bedeutung.
Der Zweck einer Verwaltungsorganisation ist es, Ressourcen einschließlich ihrer Mit-
arbeitenden so einzusetzen, dass die größtmögliche Wirkung erreicht wird. Geltende Grund-
sätze, Spielregeln, Prozesse, Rollen und Verantwortlichkeiten sind in den letzten Jahren
zunehmend veränderten Anforderungen ausgesetzt und müssen sich weiter anpassen. Diese
Anpassungen sind notwendig, um die öffentliche Verwaltung zukunftsfähig zu machen und
Partizipation, Identifikation und eine verbindliche Kommunikation als Voraussetzung der
internen Kultur zu diskutieren und zu etablieren. Eine einfach nachvollziehbare Organisation
gewährleistet Kooperation auf allen Ebenen und gewährt ihren Mitarbeitenden und
Führungskräften größtmögliche individuelle Initiative sowie Orientierung. Projekte auf ver-
schiedensten Ebenen sind Ausdruck einer modernen Verwaltung.

2.6 Gesundheitsmanagement weiter nachhaltig ausbauen

Ein weiterer Fokus muss zwingend auf Erhaltung und Stärkung der Arbeitsbewältigungs-
fähigkeit und somit auf die Gesundheit der Mitarbeitenden ausgerichtet sein. Neben
der individuellen Sicht können durch anonyme Befragungen von Mitarbeitenden über-
greifende Erkenntnisse gewonnen werden. Diese dienen als Ausgangspunkte für die
Zusammenarbeit mit weiteren internen Beratungsdiensten und Querschnittsbereichen,
wie z. B. Arbeitssicherheit, Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) und
einem Arbeitsmedizinischen Dienst (AMD), um Veränderungen herbeizuführen bzw. zu
intensivieren oder Menschen zu stabilisieren. Partizipation, Evaluation von Maßnahmen
Der Mensch im Mittelpunkt – der beste … 269

und Mut zur Veränderung sind in dem lebendigen System „Arbeitswelt“ die Schlüssel
zum Erfolg.
Hier sind insbesondere die Aufgaben der Betrieblichen Gesundheit und Arbeitsschutz
als neues Querschnittsthema dauerhaft zu etablieren und durch Experten, verantwort-
liche Führungskräfte und geschulte Mitarbeitende wahrzunehmen. Dies betrifft auch
Führungskräfte als Mitarbeitende, wenngleich bei Ihnen der Fokus stärker als bisher auf
Umsetzung und Überprüfung der strategischen Zielerreichung liegen muss.

3 Anschluss: Weiterentwicklung einer eingeführten


Personalstrategie

Ist eine Personalstrategie eingeführt, sollte sie bereits nach zwei bis drei Jahren fort-
geschrieben werden. Die Herausforderungen und die Arbeitswelt verändern sich rasant.
Diesem Wandel kann nur mit einer steten Fortentwicklung und Anpassung der Personal-
strategie begegnet werden.
Hierbei sollten auch die angestoßenen Prozesse und ersten Erfolge einer aktiven und
wertschätzenden Personalstrategie dokumentiert und berichtet werden. Wie zum Bei-
spiel Verbesserungen der Stellenbesetzungsquote, Stärkung von Ausbildungsjahrgängen,
anschließende Fachstrategien und Neuausrichtungen von Organisationseinheiten. Die
Fortschreibung der Strategie sollte die weiteren, inzwischen erkannten Ansätze und Ziele
sowie notwendige Priorisierungen aufnehmen und konkrete Zeitpläne aufzeigen.
Auch ist eine breite Beteiligung bei der Umsetzung ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Angefangen bei der für das Personal zuständigen Organisationseinheit, die diesen Prozess
begleitet und steuert. Führungskräfte und alle Mitbestimmungsgremien sollten einbezogen
werden, mit dem Ziel, letztendlich alle Mitarbeitenden zu erreichen, damit sie von dieser
Strategie profitieren und gestärkt werden. Auf die Mitarbeitenden, die miteinander die
vielgestaltigen Aufgaben in öffentlichen Verwaltungen gestalten, kommt es an.

4 Praktische Umsetzung: Erfahrungen mit dem Trainee-


Programm „Stadt*Talente“ in der Landeshauptstadt Kiel
(Schleswig–Holstein)

Das Trainee-Programm „Stadt*Talente“1 wurde erstmals 2020 aufgelegt, um während


der Corona-Pandemie die Fachkräftegewinnung voranzutreiben und die Stadtverwaltung
auch für neue Zielgruppen zu öffnen. Angesprochen waren Personen mit mindestens
einem – nicht näher definierten – Studienabschluss (mind. Bachelor-Abschluss). Ins-

1 Präsentationzum Programm: https://prezi.com/view/MH0mnIuQgKk8J4WstX6J/ (Landeshaupt-


stadt Kiel 2021).
270 C. Zierau

gesamt hatten sich 523 Personen beworben, wovon nach einem Auswahlverfahren 25
Menschen mit sehr unterschiedlichen, z. T. auch verwaltungsfremden Studiengängen
einen Platz im Traineeprogramm erhielten. Die Trainees waren für die Dauer des ein-
jährigen Programms einem Bereich zugeordnet. Parallel dazu gab es ein Programm
mit einem Verwaltungslehrgang, verschiedenen Exkursionen, einer Projektarbeit, einer
Prototyping-Week und Vorstellung verschiedener Aufgabenbereiche in der Kieler Stadt-
verwaltung. Von den insgesamt 25 Personen haben zwei Trainees ihre Arbeitgeberin
während der Trainee-Zeit verlassen und weitere vier innerhalb eines Jahres nach Ende
des Programms. Nach zwei Jahren sind 19 Trainees im Dienst der Stadtverwaltung
verblieben, was eine beachtliche Quote darstellt. Die Einsatzgebiete sind über alle
Dezernate und Fachaufgaben verteilt.
Im zweiten Durchlauf wurde der Ablauf des Traineeprogramms angepasst. Zum einen
wurde die Dauer des Programms auf 18 Monate verlängert, zum anderen rotieren die
Trainees in den ersten zwölf Monaten in drei passende Einsatzbereiche. Die letzten sechs
Monate werden zur Einarbeitung auf der zukünftigen Stelle genutzt. Parallel dazu gibt es ein
ähnliches, aber umfangreicheres Programm als im ersten Trainee-Jahrgang. Zudem wurde
die Betreuung des Programms fest dem Sachbereich der Personalentwicklung im Personal-
amt zugewiesen. Die zweite Staffel umfasst elf Trainees, die aus über 250 Bewerbungen
ausgewählt wurden und zum 1. März 2022 an den Start gingen.
Die Programmgestaltung verursachte Kosten von rund 40.000 € pro Jahr, zuzüglich
der individuellen Personalaufwendungen der Trainees (unbefristeter Arbeitsvertrag nach
EG9b, Stufe 1 TVöD).
Mit dem Trainee-Programm Stadt*Talente wurden für die Landeshauptstadt Kiel
durchweg motivierte Fachkräfte gewonnen, die sonst nicht den Weg in eine öffentliche
Verwaltung gefunden hätten. Herausforderungen liegen aufgrund der vielfältigen und
bislang verwaltungsfremden Studiengänge in der Einarbeitung und der Vermittlung
auf entsprechend passende Stellen. Auch berücksichtigen die bisherigen klassischen
Anforderungsprofile der Stellen bei der Landeshauptstadt Kiel nicht diese vielfältigen
Abschlüsse. Um allen Trainees, unabhängig von ihrem individuellen Abschluss, ein
Weiterkommen zu ermöglichen, wird von der Dienststelle eine generelle Öffnung für
Absolventen des Trainee-Programms (zzgl. zum Studienabschluss) bis zur EG12 TVöD
angestrebt. Hier wird eine Lösung mit den Mitbestimmungsgremien noch verhandelt.
Die bislang gemachten Erfahrungen und Rückmeldungen der Trainees aus der
zweiten Staffel sowie der Einsatzbereiche haben gezeigt, dass sich die Optimierung des
Programms positiv auswirkt.
Das Traineeprogramm „Stadt*Talente“ soll zum September 2023 in der dritten Staffel
starten. Weiter werden aktuell Konzepte erarbeitet, um zum Beispiel Spezial-Trainee-
programme für bestimmte Fachexperten anzubieten (z. B. Tech-Trainee für den Einsatz
im IT-Bereich) oder interne Traineeprogramme, um verwaltungsfremde Mitarbeitende
für verschiedene Tätigkeiten in der Verwaltung fit zu machen. Auch wären unter dem
Aspekt „Diversity“ inklusive Trainee-Programme zu entwickeln, um stärker Menschen
Der Mensch im Mittelpunkt – der beste … 271

mit Migrationshintergrund und Menschen mit Beeinträchtigung (vgl. Leitbild mit


Barrierefreiheit) zu gewinnen.
Das Trainee-Programm „Stadt*Talente“ ist ein gutes Beispiel für eine praktische
Umsetzung, die auf Basis einer etablierten Personalstrategie eingeführt werden kann, um
Vielfalt und Diversität auf allen Ebenen zu fördern und gleichzeitig dem Arbeitskräfte-
mangel entgegen zu wirken.

5 Fortschritt: Vielfalt und Diversität verwirklichen

Erst eine etablierte und breit von Führungskräften wie Mitarbeitenden der Organisation
getragene Personalstrategie kann den Ansatz von Diversität konsequent einbeziehen,
praktisch umsetzen und nachfolgend zum Erfolgsfaktor machen.
Diversität als fortgeschrittener Umsetzungspart muss die Vielfalt von Personen
oder Gruppen sowie Unterschiede grundsätzlich erkennen und fördern. Dies können
Merkmale wie Geschlecht, Alter, Religion, Nationalität und Ethnizität, langfristige
gesundheitliche Beeinträchtigung bzw. Behinderung, sexuelle Orientierung oder
auch die familiäre Situation in Hinblick auf Kinderbetreuung und die Pflege von
Angehörigen, soziale Herkunft und fachliche Profession sein. Es sollten Maßnahmen
erarbeitet werden, die diese Vielfalt in einer Organisation anerkennen, wertschätzen
und die sich daraus ergebenen Potenziale nutzen. Dies wirkt unmittelbar positiv auf die
Organisations- und Verwaltungskultur zurück, hilft bestehende Barrieren intern wie bei
externen Kontakten abzubauen und spricht damit alle Menschen an. Auch sollten diese
Kontexte bei Weiterbildung und Entwicklung der persönlichen Kompetenzen stärker und
als einheitlicher Baustein verwirklicht werden.
Gute Führung sollte gender- und diversitätssensible Grundsätze beinhalten, lernen
und anwenden, beziehungsweise sogar als Führungsgrundsatz aufnehmen, um grund-
sätzlich geschlechtergerecht (zum Beispiel Terminierung von Besprechungen entlang
familiengerechter Arbeitszeiten) und auch selbst vorbildhaft zu agieren. Dies zahlt auf
die schwierige Arbeit der Personalgewinnung einschließlich der Bindung von Mit-
arbeitenden und auf Gesunderhalt der Beschäftigten gleichermaßen ein, da es eine
Organisation zeigt, in der Unterschiede anerkannt werden und in der Individualität alle
stärkt.
Insofern eröffnet die Ausrichtung auf Vielfalt und Diversität im Anschluss an eine
etablierte Personalstrategie die Chance, die Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit
einer öffentlichen Verwaltung zu stärken. Das heißt, auch grundsätzlich zu differenzieren
und eine Vielzahl von Ansätzen, Methoden und Wegen zuzulassen. Eine Kultur des
Ermöglichens muss mit den individuellen Stärken der Mitarbeitenden verbunden werden,
um Funktionsfähigkeit und Wirkung dauerhaft zu gewährleisten. Die Menschen sind ver-
schieden, genau das macht den Unterschied. „Vielfalt, nicht Uniformität, ist Stärke.“
(Willy Brandt).
272 C. Zierau

Literatur

Hammer, M., Champy, J. (1994). Business Reengineering – die Radikalkur für das Unternehmen.
Frankfurt am Main: Campus Verlag
KGSt (1993). Das Neue Steuerungsmodell – Begründung, Konturen, Umsetzung. KGSt-Bericht
05/1993. Köln: KGSt.
KGSt (2020). Kulturwandel in der Verwaltungsorganisation. KGSt-Bericht 08/2020. Köln: KGSt.
Landeshauptstadt Kiel (2021). Stadt*Talente – das Trainee-Programm der Landeshauptstadt Kiel.
https://prezi.com/view/MH0mnIuQgKk8J4WstX6J/. Zugegriffen: 05. Februar 2023
Lobo, S. (2019). Realitätsschock. Zehn Lehren aus der Gegenwart. 3. Auflage. Köln: Kiepenheuer
& Witsch
Levine, R., Locke, C., Searls, D., Weinberger, D. (1999). Das Cluetrain-Manifest. https://cluetrain.
com/auf-deutsch.html. Zugegriffen: 05. Februar 2023

Christian Zierau ist seit Februar 2019 Stadtrat für Finanzen, Personal, Ordnung und Feuerwehr der
Landeshauptstadt Kiel. Zuvor war er ab 2016 Dezernent und Kämmerer beim Kreis Herford (Ost-
Westfalen). Der Diplom-Verwaltungswirt startete seine Laufbahn im Bezirksamt Spandau von Berlin
und leitete danach fünf Jahre den Bereich Finanzen und Betriebswirtschaft in der Bremer Landes-
vertretung in Berlin. 2008 wechselte Christian Zierau zum Rechnungshof der Freien und Hansestadt
Hamburg; zwischen 2011 und 2016 war er in verschiedenen Hamburger Ministerien als Referatsleiter
tätig.
Was braucht eine vielfaltsbewusste
Personalentwicklung? – Grundlagen und
Maßnahmen aus der Verwaltungspraxis

Gülcan Yoksulabakan-Üstüay und Jochen Schiffmann

Zusammenfassung

Das Thema Diversity ist in vielen Personalabteilungen von Verwaltungen


angekommen. Ein Arbeitsschwerpunkt dabei ist die vielfaltsbewusste Personal-
entwicklung. Diese hat das Ziel durch ein Angebot an vielfältigen Themen und
Formaten, unterschiedliche Zielgruppen der Belegschaft mit Diversity-Kompetenzen
auszustatten. Ein weiteres Ziel ist die Förderung von Diversity-Gruppen, die ins-
gesamt oder in Fach- und Führungsverantwortung noch unterrepräsentiert sind.
Eine vielfaltsbewusste Personalentwicklung orientiert sich an Grundsätzen, die die
Umsetzung von Diversity auf Augenhöhe unterstützen. Des Weiteren sollte zur Quali-
tätssicherung eine vielfaltsbewusste Evaluation der Maßnahmen stattfinden. Um all
diese Aspekte in den Blick zu fassen, fokussiert der Artikel auf Maßnahmen aus der
Praxis (im Sinne von Erfahrungsberichten) und nimmt auch theoretische Grundlagen
in den Blick.

Schlüsselwörter

Personalentwicklung · Personalmanagement · Diversity · Diversity-Management ·


Vielfalt · Vielfaltsbewusstsein

G. Yoksulabakan-Üstüay ( ) · J. Schiffmann
Freie Hansestadt Bremen, Bremen, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 273
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_21
274 G. Yoksulabakan-Üstüay und J. Schiffmann

1 Voraussetzungen für eine vielfaltsbewusste


Personalentwicklung

Personalentwicklung1 spielt eine besondere Rolle im Diversity-Management, da sie den


Prozess hin zu einer chancengerechten Personalkultur unterstützt. Gleichzeitig werden
durch eine vielfaltsbewusste Personalentwicklung die unterschiedlichen Kompetenzen
und Potenziale der Mitarbeitenden sichtbar gemacht und wertschätzend für die Arbeits-
ergebnisse genutzt. Vor allem Verwaltungen können von diesem Ansatz profitieren, da
sie den unterschiedlichen Anliegen und Bedürfnissen einer immer selbstbewussteren
vielfältigeren Gesellschaft gerecht werden müssen. Doch wie gestaltet sich eine
vielfaltsbewussten Personalentwicklung? Der Artikel liefert dazu mögliche Ansatz-
punkte, indem er auf Maßnahmen aus der Praxis fokussiert und gleichzeitig wichtige
theoretische Grundlagen für die Voraussetzungen aufzeigt.

1.1 Unterstützende Grundlagen

Ein gemeinsames Verständnis über die Konzepte von Diversity-Kompetenz und


Diversity-Management benötigt eine jeweilige Definition. Zudem hilft es, sich darüber
zu verständigen, welche Gruppen von unterrepräsentierten Beschäftigten priorisiert in
den Blick genommen werden (‚Diversity-Gruppen‘). So können Zielgruppen, Formate,
Zuständigkeiten, beteiligte Akteur*innen oder auch Aufgaben besser abgestimmt werden
(Schiffmann 2020). Die Konzepte sind dabei nicht als statisches Instrument zu verstehen,
sondern unterliegen durch gesellschaftliche oder organisationale Impulse einer gewissen
Dynamik.

Diversity-Kompetenz Bevor eine Personalabteilung sich mit einer genauen Definition


von Diversity-Kompetenz auseinandersetzt, sollte eine Abstimmung mit zentralen
Akteur*innen im Diversity-Bereich (z. B. Frauen-/Gleichstellungsbeauftragte, Schwer-
behindertenvertretungen, LSBTIQ*-Beauftragte) geschehen. Es geht um die Ent-
scheidung, wie der Begriff Diversity-Kompetenz abgegrenzt wird. Ein Blick in die
Praxis lässt zwei unterschiedliche Lösungen erkennen. Einige Kommunen oder Städte
stellen Genderkompetenz und Gendermainstreaming, Interkulturelle Kompetenz,
LGBTIQ*-Kompetenz und Inklusionskompetenz nebeneinander (Landeshauptstadt
München 2023). Eine andere Möglichkeit ist Diversity-Kompetenz als übergeordnete
Kompetenz zu definieren, die alle anderen Kompetenzen umfasst. Diversity-Kompetenz

1 Hinweis:In diesem Artikel bezieht sich die Definition von Personalentwicklung auf das interne
Personal und beinhaltet v. a. Fort- und Weiterbildung, sowie Fördermaßnahmen und Beratungsan-
gebote.
Was braucht eine vielfaltsbewusste Personalentwicklung? – … 275

wird häufig mit allgemeinen Kompetenzmodellen der Organisationspsychologie


beschrieben. Hierbei wird die Kompetenz in vier Ebenen aufgeteilt (Dreas und Rastetter
2016, S. 354):

Ebenen des Wissens: erfasst Kenntnisse über unterschiedliche Diversity-Themen wie


z. B. Entstehung von Vorurteilen und Stereotypen, organisationsspezifische Diversity-
Konzepte etc.
Ebene des Könnens (Methoden): beschreibt die Entwicklung von Erfahrungs- und
Anwendungswissen, um Diversity-Aspekte in der eigenen Arbeit umsetzen zu
können. Zudem werden Fähigkeiten wie Perspektivwechsel sowie Reflexion des
eigenen Handelns auf dieser Ebene abgebildet.
Ebene des Wollens (Sinn): beschreibt die Fähigkeit zur Reflektion der eigenen Werte-
muster. Zudem geht es um die Ausstattung an Lern- und Veränderungsbereitschaft
sowie die Wertschätzung von unterschiedlichen Lösungswegen.
Ebene des Dürfens (Umfeld): die Fähigkeit zur Kooperation und Koordination sowie
dem konstruktiven Umgang mit Widerständen und Konflikten.

Verwaltungen müssen alle vier Ebenen für sich übersetzen, damit ein direkter Nutzen ent-
stehen kann. So gilt es auf der Ebene des Wissens vor allem Themen festzulegen, welche
für unterschiedliche Zielgruppen wichtig sind. Auf der Ebene des Könnens ist ein bewährtes
Mittel die Arbeit mit Fallbeispiele. Es werden Alltagssituationen beschrieben (z. B. im
Bürger*innen-Service), die aufgelöst werden müssen. Die Ebene des Wollens kann vor allem
durch erlebnisorientiertes Lernen in Trainings geschult werden. Für die Ebene des Dürfens
sind auf strategischer Ebene Kommissionen oder Netzwerke spannend, da gegen Widerstände
gearbeitet werden kann. Es geht um die Legitimation für das Thema Diversity.

Diversity-Management Eine Verwaltung, die Diversity-Management nicht nur in


isolierten Einzelmaßnahmen bearbeiten will, benötigt ein ganzheitliches Konzept,
welches Diversity-Management als Querschnittsthema versteht. Ganzheitliche Konzepte
sind komplex, da sie viele Themenbereiche beinhalten (Kutzner 2016; Berninghausen
und Schiffmann 2016). Empfehlenswert ist die Priorisierung von einzelnen Bereichen.
Bezogen auf das Thema vielfaltsbewusste Personalentwicklung kann z. B. der Auf-
trag formuliert werden, Mitarbeitende in der Personalabteilung in den einzelnen
Prozessschritten der Personalauswahl zu schulen. Zentrale Fragestellungen, die in
diesem Kontext bearbeitet werden müssen, sind: Spielt Diversity-Kompetenz auch im
Anforderungsprofil eine Rolle? Sind die Stellenausschreibungen vielfaltsbewusst in
ihrer Wort- und Bildsprache? Wie vielfältig ist das Auswahlgremium besetzt und wie
hoch ist die Diversity-Kompetenz des Auswahlgremiums? Wie können wir bei den
Bewerber*innen Diversity-Kompetenz überprüfen? Wie treffen wir eine Auswahlent-
scheidung, die möglichst frei von Zuschreibungen oder Vorurteilen ist?
276 G. Yoksulabakan-Üstüay und J. Schiffmann

Festlegung von Diversity-Gruppen Im Kontext einer vielfaltsbewussten Personalent-


wicklung gilt es festzulegen, welche Gruppen von unterrepräsentierten Beschäftigten
(auch in Fach- und Führungsverantwortung) mit besonderen Maßnahmen in den Blick
genommen werden sollen. Die Festlegung kann durch politische Vorgaben und Gesetze
(z. B. Partizipationsgesetze) beeinflusst werden. Zudem ergeben sie sich aus der Aus-
wertung von Diversity-Gleichstellungsdaten (siehe Abschn. 4.1). Häufig sind die
festgelegten Gruppen identisch mit den Kategorien des Allgemeine Gleichbehandlungs-
gesetz (AGG). Es können aber auch weitere Gruppen festgelegt werden, wie z. B.
Nicht-Akademiker*innen oder Alleinerziehende. Die festgelegten Gruppen können als
Diversity-Gruppen bezeichnet werden.

1.2 Grundsätze

Für eine vielfaltsbewusste Entwicklung der Mitarbeitenden können fünf Grundsätze fest-
gehalten werden, die eine chancengerechte und zielgerichtete Ausrichtung unterstützen.
Gleichzeitig fördern diese die Mitarbeiter *innen-Bindung und können die Arbeit-
geber*innen-Attraktivität verbessern. Jeder einzelne Grundsatz kann als Lernprozess
verstanden werden, der ständig weiterentwickelt werden kann.

Multidimensionalität Ein Spannungsverhältnis in einer vielfaltsbewussten Personal-


entwicklung besteht darin, alle Diversity-Dimensionen –insbesondere die mit Dis-
kriminierungsrisiko- ernst zu nehmen und gleichzeitig einzelnen Dimensionen gesondert
Aufmerksamkeit zu schenken. Bei begrenzten Ressourcen macht es Sinn, den Fokus auf
Maßnahmen zu richten, die mehreren Dimensionen gerecht werden – hier spricht man
von Multidimensionalität. Diese fördert den Blick auf Gemeinsamkeiten und mindert
vermeintliche Konkurrenzen. (Gardenswartz und Rowe 2010).

Intersektionalität Das Konzept Intersektionalität geht davon aus, dass Diversity-


Merkmale nicht isoliert voneinander wirken. Benachteiligungen/Diskriminierungen
aufgrund dieser Merkmale greifen ineinander und bringen so gesellschaftliche
Positionierungen und individuelle Erfahrungen eigener Art hervor (Crenshaw 1989). Mit
einer intersektionalen Perspektive werden Beschäftigte, die durch die Gleichzeitigkeit
und Kombination von Diversity-Dimensionen strukturell benachteiligt sind, z. B. jung-
Frau-Mutter und Migrantin, in den Blick genommen. Ihnen gilt es eine chancengerechte
Entwicklung zu ermöglichen.

Repräsentation Eine vielfaltsbewusste Personalentwicklung teilt die Ressourcen


der Personalentwicklung gerecht auf die vielfältigen Mitarbeitenden auf, damit sich
alle Personengruppen in den Konzepten und Maßnahmen wiederfinden. Selbstreflexiv
können Personalentwickler*innen z. B. überprüfen, wie viele Ressourcen in Maßnahmen
fließen, von denen auch Mitarbeitende der unteren Tarifgruppen/Besoldungsgruppen
Was braucht eine vielfaltsbewusste Personalentwicklung? – … 277

profitieren. Zudem sollen bei der Umsetzung von Maßnahmen möglichst viel-
fältige Menschen einbezogen werden. Wenn Berater*innen, Coaches, Dozent*innen
(unabhängig von den Themen) die Vielfalt der Gesellschaft abbilden, ist der Grundsatz
der Repräsentation gut umgesetzt (Ette et al. 2021).

Partizipation Inhalte und Formate, die partizipativ mit Personen aus der Zielgruppe
gemeinsam entwickelt werden, ermöglichen passgenaue Lösungen. Dies verhindert, dass
Maßnahmen an den Betroffenen vorbeigehen oder stereotyp sind. Die Bedeutung von
Partizipation nimmt zu, wenn Maßnahmen für Diversity-Gruppen entwickelt werden,
die nicht in der Personalabteilung vertreten sind. Die Einbindung von Beschäftigten
kann z. B. über Fokusgruppen und Mitarbeiter*innen-Netzwerke erfolgen. Weiterhin
ist Partizipation im Kontakt mit zivilgesellschaftlichen Diversity-Organisationen mög-
lich, die häufig auch (Alltags-) Expertise im Kontext von Diversity-Maßnahmen haben
(Himmel 2006, S. 82 f.).

Barrierefreiheit Barrierefreiheit im Kontext einer vielfaltsbewussten Personalentwicklung


beinhaltet sowohl die physische (z. B. Zugänge zu den Räumlichkeiten), wie auch digitale
Barrierefreiheit (z. B. barrierefreie Softwarelösungen für Onlineformate). Die digitale
Barrierefreiheit berücksichtigt zudem den fehlenden Zugang zu digitalen Ressourcen. Ein
Beispiel dafür sind Beschäftigte, die keinen Zugang zu digitalen Endgeräten oder keinen
digitalen Arbeitsplatz besitzen. Hierfür können Leihgeräte oder PC-Schulungsräume zur
Verfügung gestellt werden. Des Weiteren gilt es Lehrmaterialien barrierefrei Aufzubereiten
(z. B. Verwendung von leichter oder verständlicher Sprache) (De Oliveira 2023).

Empowerment Kern des Begriffs Empowerment ist „power“, d. h. die Kraft, Stärke
und Macht, über das eigene Leben zu bestimmen. Der Empowerment-Ansatz in einer
vielfaltsbewussten Personalentwicklung wendet den Blick von (vermeintlichen)
Schwächen ab und richtet sich auf Ressourcen und Stärken. Dabei sollen Beschäftigte
aus Diversity-Gruppen befähigt werden, sich souverän für die eigenen und die Interessen
ihrer Gruppe einzusetzen. Empowerment bedeutet aber auch, Beschäftigte für den
Umgang mit (potenziellen) Widerständen im Kontext Diversity und Chancengleichheit
zu stärken (Beigang et al. 2017).

2 Vielfaltsbewusste Entwicklung von Kompetenzen

Für eine vielfaltsbewusste Personalentwicklung ist es nicht nur wichtig die relevanten
Diversity-Themen abzudecken, sondern ebenfalls zu versuchen, durch unterschiedliche
Formate eine möglichst hohe Anzahl an Beschäftigten zu erreichen. Insgesamt lassen sich
drei wichtige Ansatzpunkte ausmachen: Diversity-Maßnahmen für alle Mitarbeitenden,
Maßnahmen für Führungskräfte (die eine Top-Down-Strategie verantworten) sowie für
Multiplikator*innen (die Diversity in einer Bottom-Up-Strategie umsetzen).
278 G. Yoksulabakan-Üstüay und J. Schiffmann

2.1 Diversity-Seminare für Mitarbeitende

Zentrale Ansatzpunkte für ein vielfaltsbewusstes Fortbildungsprogramm sind sowohl


die Fachinhalte der Fortbildungen als auch die organisatorischen Rahmenbedingungen.
Ziel ist es, dass die Seminare vielfältige Lebenslagen und damit auch vielfältige Fort-
bildungsinteressen und -bedarfe berücksichtigen (Becker 2015, S. 143 ff.). Die Berück-
sichtigung verschiedener Lebenslagen kann u. a. durch den verstärkten Einsatz von
Onlineformaten und kürzeren Formaten wie Vorträgen, Espresso-Formate oder Learning
Nuggets umgesetzt werden, damit z. B. auch Beschäftigte mit hohem Workload oder
Teilzeitbeschäftigte, ohne (größeren) organisatorischen Aufwand an den Fortbildungen
teilnehmen können. Hier können auch Learning Management Systeme (LMS) unter-
stützen. Diese ermöglichen ein örtlich und zeitlich flexibles Lernen durch eine optimale
konzeptionelle und vielschichtige Einbindung von Onlineinhalten. Dadurch, dass Inhalte
wiederholt oder auch übersprungen werden können, werden diese auch der kognitiven
Präferenz- den Unterschieden im Denken und Lernen- gerechter. Fortbildungsinhalte
sollten aus Seminaren, die multidimensional sind (z. B. Anti-Bias-Seminare, Seminare
für eine Diversity-sensible Kommunikation mit Bürger*innen) bestehen. Außerdem ist
eine Auswahl an zielgruppenspezifischen Seminaren (z. B. Seminare zur verständlichen
Verwaltungs-Sprache, zur Sensibilität für trans- und intergeschlechtliche Menschen)
wichtig. Die Seminare sollten die Vielfalt der Beschäftigten und der Bürger*innen in den
Blick nehmen. Wenn die Verwaltung mit Leitfäden im Kontext von Diversity agiert, dann
können begleitende Seminare deren Anwendung unterstützen. Zum Beispiel können
Seminare mit Inhalten zu Sprache und Wahrnehmung zu der Historie von Begriffen
und die Diskussion darum, den Anwendungswillen und die Anwendungskompetenz zur
Diversity-sensibler Sprache erhöhen.

2.2 Diversity-Beratung

Diversity Beratungen für Gruppen und Einzelpersonen eigenen sich insbesondere, um


Diversity-Kompetenzen im unmittelbaren Arbeitsalltag zu trainieren. Im Gegensatz zum
theoretischen Lernen in Seminaren oder in Weiterbildungen setzen diese Beratungen
auf die Vermittlung von Wissen in der individuellen Praxis (Vedder 2006). Die Inhalte
werden von den Mitarbeitenden als Trainees direkt angewandt und langfristig gefestigt.
Beratungen können in konkreten Situationen z. B. in Vorstellungsgesprächen unter-
stützen oder hospitieren und dann ein Feedback bezüglich der Diversity-Sensibili-
tät geben. Auch im Kontakt mit Bürger*innen kann Diversity-Beratung ansetzen. Hier
können Themen wie verständliche Sprache, Beschilderungen, Laufwege und Aus-
stattung der Räumlichkeiten aus Perspektive verschiedener Bürger*innen analysiert und
besprochen werden. Dies geschieht direkt vor Ort und in den konkreten Situationen. Die
Ergebnisse und Erfahrungen einzelner Coachings können als Praxisberichte festgehalten
Was braucht eine vielfaltsbewusste Personalentwicklung? – … 279

und anderen Verwaltungsbereichen zur Verfügung gestellt werden, die vor ähnlichen
Herausforderungen stehen. Idealerweise können die Teilnehmer*innen, auch in einem
Praxisaustausch anderen von ihren Erfahrungen berichten.

2.3 Diversity-Führungskräfteentwicklung (Top-Down-Strategie)

Im Diversity-Management sind Führungskräfte Vorbilder. Wenn diese vielfaltsbewusst


denken und handeln, ist das ein wichtiger Erfolgsfaktoren für ein erfolgreiche
Diversity-Management (Kutzner 2016, S. 498). Die strategische Rolle und auch die
Aufgaben und die damit verbundenen Erwartungen im Kontext von Diversity ändern
sich je nach Führungsebene. Alle Führungskräfte sollte jedoch dazu befähigt werden,
Diversity als Querschnittsaufgabe mitzudenken und mit anderen wichtigen Mega-
trends wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Fach- und Führungskräftemangel in Ver-
bindung zu bringen. Zudem sollten sie in der Lage sein, ihre Teams vielfaltsbewusst
zu führen und zu entwickeln. Grundlegend für alle Führungskräfte sind Kenntnisse zu
Diskriminierungen und Beschwerdewegen, aber auch ein souveräner und nicht ver-
meidender Umgang mit gesellschaftlichen Diskursen wie z. B. zu Rassismus und Sexis-
mus. Der Blick sollte jedoch auch nach außen gerichtet werden. Führungskräfte die
Prozesse die Bürger*innen betreffen so ausrichten, dass z. B. der Bürger*innen-Service
vielfaltsbewusst handelt, können die Anliegen der diversen Gesellschaft angemessen
bearbeiten. Doch wie verankert man das Thema Diversity nachhaltig in der Führungs-
kräfteentwicklung?
In der Praxis hat es sich als effektiv erwiesen, bei der konzeptionellen (Weiter-) Ent-
wicklung von Fortbildungsreihen für Führungskräfte, Diversity-Kompetenz als Quer-
schnittskompetenz einzubauen. Das bedeutet, dass Diversity kein isoliertes Modul/
Seminar ist, sondern die Diversity-Perspektive als selbstverständliche Querschnitts-
perspektive bei verschiedenen Themenfeldern wie ein roter Faden einbezogen wird.
Dies setzt bei den Führungskräfte-Trainer*innen ein hohes Diversity Fachwissen
voraus. Der Vorteil an Diversity im Querschnitt ist, dass die Führungskräfte Diversity
in unterschiedlichen Kontexten reflektieren und kontinuierlich mitdenken. Neben
Fortbildungsreihen können Schulungen zur vielfaltsbewusster Führung als einzelne
Module angeboten werden. Führungskräfte können auch in Themenbereichen geschult
werden, die indirekt die Diversity-Kultur und benachteiligte Gruppen stärken. Ein Bei-
spiel hierfür ist das Thema der Präsenzkultur. Führungskräfte lernen, die Selbstver-
antwortung der Beschäftigten zu stärken und erzielte Ergebnisse wahrzunehmen, statt
direkte Arbeitsprozesse zu kontrollieren. Diese Befähigung ist eine Voraussetzung für
die Karriereförderung von Beschäftigten in Teilzeit (überwiegend Frauen) und erhöht
die Arbeitgeberattraktivität für Menschen, die flexible Arbeitsorte und -zeiten nutzen
möchten (oft jüngere Generationen). Die Initiierung vielfaltsbewusster Führungs-
modelle wie z. B. geteilte Führung, sind ebenfalls hilfreich, um Diversity-Anliegen
280 G. Yoksulabakan-Üstüay und J. Schiffmann

voranzubringen. Die geteilte Führung kann die Arbeits- und Lebensqualität steigern und
ggf. eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine geteilte Verantwortung
ermöglichen. Dies kann Führung für z. B. Mütter und für berufsunerfahrenere Personen
attraktiver machen. Ein weiterer Vorteil ist das vier Augenprinzip auf die Karriereent-
wicklung von Mitarbeitenden. Das vier Augenprinzip kann die Chancengleichheit
erhöhen, da sie eine zu einseitige Beurteilung reduziert. Hilfreich für eine Entwicklung
der Führungskräfte ist es auch, zu überprüfen, inwieweit Diversity in bestehenden
Führungsinstrumenten wie z. B. in Jahresgesprächen verankert und sichtbar gemacht
werden kann. Damit wird Diversity nicht zum On-Top-Thema, sondern in den Quer-
schnitt gebracht.

2.4 Diversity-Multiplikator*innen (Bottom-Up-Strategie)

Diversity-Multiplikator*innen sind Beschäftigte, die die strukturelle Verankerung von


Diversity in ihrem eigenen Arbeitsbereich stärken und Impulse für einen Kulturwandel
setzen (Charta der Vielfalt 2023). Die Rolle der Multiplikator*innen ist deutlich abzu-
grenzen von Diversity-Berater*innen und -Referent*innen, die dies als Arbeitsschwer-
punkte haben. Die Multiplikator*innen bringen Diversity niedrigschwellig, unkompliziert
in die Verwaltung ein, indem Sie z. B. Gespräche zu Diversity und Chancengleichheit auf
alltagsnahe und auf kollegialer Ebene anregen. Zudem bauen die Multiplikator*innen
Brücken für einen konstruktiven Umgang mit Diversity im Arbeitsalltag im Team
und mit den Bürger*innen. Sie werden für diese Aufgabe spezifisch geschult. In der
Schulung wird im Schwerpunkt eine vielfaltsbewusste Haltung gestärkt, es geht aber auch
darum, das nötige Wissen dafür zu erlangen, Diversity im Alltag zu leben und bewusst
zu machen. Inhaltlich sollten in der Schulung mindestens die Diversity-Dimensionen in
den Blick genommen werden, die im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
geschützt sind und um Intersektionalität. Die Multiplikator*innen Gruppe sollte aus
möglichst unterschiedlichen Fachbereichen (Personalentwicklung, Öffentlichkeitsarbeit,
Bürger*innen-Ämter etc.) zusammengesetzt sein. Idealerweise durchlaufen Interessierte
ein kleines Bewerbungsverfahren, welches die Motivationen klärt und einen Bezug zum
Arbeitsalltag sicherstellt. Sehr hilfreich ist es, wenn die Diversity-Multiplikator*innen
nach ihrer Schulung kontinuierlich als Gruppe begleitet werden.

3 Förderung von Diversity-Gruppen

Die Förderung von Diversity-Gruppen hat das Ziel, unterrepräsentierte Gruppen insgesamt
oder in Führungs- und Fachverantwortung zu erhöhen und die Organisationskultur und
-Struktur im Sinne von Chancengleichheit und Vielfalt zu stärken. Viele Verwaltungen
sind im Kontext der Frauenförderpläne bereits in einem systematischen Vorgehen geübt,
um bestehende Benachteiligungen im Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis sichtbar
Was braucht eine vielfaltsbewusste Personalentwicklung? – … 281

zu machen und zu beseitigen. Hilfreich ist es, dieses Vorgehen daraufhin zu überprüfen, ob
es auch auf weitere Diversity-Gruppen angewendet oder angepasst werden kann.

3.1 Diversity-Mentoring

Mentoring-Programme bieten einen Strategiemix aus Personalentwicklung, Recruiting


und Diversity-Management. Als Instrument einer vielfaltsbewussten Personalent-
wicklung, nehmen Mentoring-Programme Gruppen in den Blick, die unterrepräsentiert
sind (Stuber 2014, S. 144 ff.). Im Mentoring werden Mentees mit berufserfahrenen
Mentor*innen als Tandem verbunden. Die Mentees werden dabei individuell bei
der Planung der eigenen beruflichen Karriere unterstützt und praxisnah auf beruf-
liche Anforderungen und auf mögliche Führungspositionen vorbereitet. Auch die
Mentor*innen sind Zielgruppe des Mentorings. Diese werden in den Gesprächen für
strukturelle Barrieren sensibilisiert und ihre Diversity-Kompetenzen werden gestärkt.
Es gibt zwei Arten des Mentorings in Bezug auf die Diversity-Dimensionen: den ziel-
gruppenspezifischen und den zielgruppenübergreifenden Ansatz. Zielgruppenspezifische
Programme richten sich z. B. an weibliche Beschäftigte, alleinerziehende Beschäftigte
oder an Beschäftigte mit Migrationsbiografie. Eine zielgruppenorientierte Ausgestaltung
hat den Vorteil, dass der Fokus auf einer Gruppe liegt und ein sicherer Raum des Aus-
tausches für die Mentees geschaffen wird. Zielgruppenspezifische Ansätze richten sich
gleichzeitig an mehrere Zielgruppen, z. B. an Frauen, Migrant*innen, Alleinerziehende
und queere Beschäftigte. Dies hat den Vorteil, dass es mehr potenzielle Mentees gibt
und eine Vernetzung und Stärkung verschiedener Perspektiven stattfindet. Flankierend
zu den Mentoring-Gesprächen können den Mentees und Mentor*innen begleitende
Seminare angeboten werden. Neben karrierefördernden Seminaren eignen sich auch
Empowerment-Seminare wie, z. B. zum Umgang mit Rassismus. Für den Erfolg
eines Mentoring-Programms ist es sehr wichtig, das Programm potenzialorientiert zu
bewerben. Deutlich werden muss, dass im Diversity-Mentoring keine Defizite abgebaut
werden, sondern die Gruppen, die an eine gläserne Decken stoßen, gestärkt und in den
Blick genommen werden. Im ersten Anlauf kann ein hohes Engagement mit persönlicher
Ansprache notwendig sein, um Beschäftigte zu finden, die sich als Mentee bewerben.

3.2 Diversity-Coaching

Das gezielte Angebot von betrieblichen Coaching-Angeboten für einzelne Beschäftigte


aus Diversity-Gruppen zielt darauf ab, Selbstsicherheit und das Vertrauen in die eigenen
Fähigkeiten zu stärken und Entscheidungsprozesse über die eigenen (beruflichen)
Wünsche und Ziele in Gang zu setzen (Szczyrba und van Treeck 2017). Im Diversity-
Coaching werden nicht nur, aber vor allem Themen behandelt, die in erster Linie die
spezifische Diversity-Gruppe betreffen. Z. B. könnte ein Coaching für alleinerziehende
282 G. Yoksulabakan-Üstüay und J. Schiffmann

Elternteile, diese im Umgang mit Problemen stärken, die daraus resultieren, dass die
Aufgaben und die finanzielle Verantwortung für Kinder nicht geteilt werden können
und Alleinerziehende z. B. bei Krankheiten und Kitausfällen nicht in der Dienststelle
präsent sein können. Idealerweise tauschen sich Personalentwickler*innen regelmäßig
mit den Coaches darüber aus, wo sich aus den Gesprächen Themenkomplexe häufen,
auf die strukturell reagiert werden könnte. Im Beispiel der Alleinerziehenden könnte
das bedeuten, dass ein Angebot einer betrieblichen Notfallkinderbetreuung aufgebaut
werden könnte, welches in Situationen wie Kitausfall die Betreuung übernimmt, damit
betroffene alleinerziehende Beschäftigte arbeiten können.

3.3 Diversity-Netzwerke

Die Sichtweisen der Beschäftigten als „Expert*innen in eigener Sache“ miteinzu-


beziehen, ist ein wichtiger Ansatz im Diversity-Management. Mitarbeiter*innen-Netz-
werke sind hier ein optimales Instrument (Stuber 2014, S. 164 ff.). In Netzwerken
dieser Art schließen sich Menschen (z. B. queere Beschäftigte, Väter und Mütter)
zusammen, um sich auszutauschen und zu unterstützen. Sie verfügen in der Regel nicht
über besonderen Vorkenntnisse bzw. Qualifizierung, sondern sie setzen ihre Ideen als
gelebte Praxis um. Im Kontext der Personalentwicklung können sie als verwaltungs-
interne Berater*innen fungieren und so als Gruppe mögliche Diversity-Maßnahmen
und Angebote kritisch in den Blick nehmen, Barrieren sichtbar machen und hilfreiche
Ansätze stärken und diese authentisch bewerben. So können Mütter und Väter hilfreich
erklären, weshalb viele Eltern-Kind-Büros ungenutzt bleiben und andere Maßnahmen
viel eher die Bedarfe der Zielgruppe abdecken. Netzwerke können auch eigenständig
Diversity-Projekte umsetzen. Mitarbeiter*innen-Netzwerke bergen jedoch auch die
Gefahr einer verstärkten stereotypen Sichtweise auf bestimmte Mitarbeiter*innen-
Gruppen. Um dem entgegenzuwirken ist es wichtig, die Entwicklung von Mitarbeiter-
initiativen potenzialorientiert zu steuern.2

4 Weiterentwicklung der Diversity-Maßnahmen

Damit Entwicklungs- und Förderformate ständig verbessert werden können, müssen


diese auf ihre Wirkung hin überprüft werden (Berninghausen und Schiffmann 2016,
S. 514). Wichtige Maßnahmen in diesem Kontext sind ein vielfaltsgerechtes Monitoring
und eine Diversity-sensible Evaluation der Formate. Hierfür gibt es verschiedene

2 Weitere Hinweise zu Diversity-Netzwerken (Employee Resource Groups) befinden sich in


Kap. 16 „Employee Resource Groups: Beschäftigtennetzwerke zur Stärkung von Diversity und
Inclusion“.
Was braucht eine vielfaltsbewusste Personalentwicklung? – … 283

Möglichkeiten: Fokusgruppen mit Teilnehmenden der Maßnahmen, Befragungen


von Dozierenden, Befragungen von AGG-Beauftragten, gezielte Exitgespräche mit
Teilnehmenden die Maßnahmen abgebrochen haben und viele weitere Ansätze. Auf
jeden Fall sollten für alle Maßnahmen der vielfaltsbewussten Entwicklung von Mit-
arbeitenden, Erfolgsindikatoren und Zielwerte definiert werden. Hier werden komplexere
Maßnahmen wie die Erhebung von Gleichstellungsdaten3 und breite Beschäftigten-
befragungen aufgezeigt und eine fachlich unkompliziertere Maßnahme, wie die
Evaluation von Fortbildungen in den Blick genommen.

4.1 Gleichstellungsdaten und Mitarbeiter*innen-Befragungen

Eine Personalentwicklung, die die Zusammensetzung der eigenen Belegschaft und deren
Bedürfnisse kennt, kann wirksame Maßnahmen ergreifen, um Diversität und gerechte
Teilhabe zu fördern. Hier setzen verschiedene Formen der Beschäftigtenbefragungen
an. Die Erhebung von reinen Gleichstellungsdaten ist geeignet, um festzustellen, wie
die eigene Verwaltung bezüglich der Gleichstellung, Repräsentanz und Teilhabe ver-
schiedener Gruppen aufgestellt ist und sie kann unsichtbare Ungleichverhältnisse trans-
parenter machen (Ahyoud et al. 2018, S. 5). Dies ist insbesondere wichtig, damit sich die
Vielfalt der Bevölkerung in der Personalstruktur in allen Bereichen und auf allen Ebenen
widerspiegelt. Es geht darum, bestehende Schwerpunkte und Instrumente der Personal-
entwicklung vor dem Hintergrund der Daten zu reflektieren, neue Handlungsbedarfe zu
identifizieren und entsprechende Maßnahmen (weiter) zu entwickeln. Eine Befragung
kann quantitativ, qualitativ oder kombiniert durchgeführt werden. Wie bei Genderdaten,
kann man hierbei eine einzelne Gruppe oder aber mehrere Dimensionen und
Intersektionalität den Blick nehmen. Viele größere Verwaltungen beginnen die Diversity-
Erhebung mit Gleichstellungsdaten zum sogenannten Migrationshintergrund nach dem
Mikrozensus. Praktikabel ist es, bei den Neueinstellungen auf freiwilliger Basis danach
zu fragen. Komplexer und aussagekräftiger sind Erhebungen, die Gleichstellungsdaten
der bestehenden Belegschaft nach Hierarchieebene, Befristungen, Verbeamtungen etc.
differenzieren. Das Ergebnis von Befragungen sollte genutzt werden, um gerechte Teil-
habe und Inklusion durch zielgerichtete Maßnahmen zu fördern. Umfragen zum Thema
Vielfalt können aber auch helfen, Diversity-Maßnahmen zu bewerten, z. B. kann erfragt
werden, ob die Belegschaft das Diversity-Programm kennt und sich darin wieder-
findet oder wie es Menschen verschiedener Zugehörigkeiten im Arbeitsalltag geht. Die
Anforderungen an Befragungen, insbesondere an Gleichstellungsdaten sind datenschutz-
rechtlich hoch. Ein Patentrezept hierfür existiert nicht; jede einzelne Befragung bedarf
einer passgenauen Lösung. Bei Gleichstellungsdaten ist die frühzeitige Einbindung eines

3 Gleichstellungsdatensind Daten, die hilfreich sind, um den Status quo von Gleichberechtigung zu
beschreiben und strukturelle Benachteiligungen transparent zu machen (Ahyoud et al. 2018).
284 G. Yoksulabakan-Üstüay und J. Schiffmann

Betroffenen-Beirats hilfreich, um möglichst breit getragene Begrifflichkeiten in der


Befragung zu nutzen und Fragestellungen kritisch zu hinterfragen.

4.2 Vielfaltsbewusste Evaluation von


Fortbildungsveranstaltungen

Die Entwicklung von vielfaltsbewussten Evaluationsbögen ist ein wichtiger Baustein


der Evaluation von Diversity-Maßnahmen. Sinnvoll ist es dort zu beginnen, wo Aus-
wertungsbögen schon genutzt werden wie z. B. bei Fortbildungsveranstaltungen. Die
Bögen können für Diversity-Fortbildungen oder aber im Sinne von Diversity als Quer-
schnittskompetenz für alle angebotenen Fortbildungen -unabhängig vom Thema- ein-
gesetzt werden. Wichtig dabei ist, dass neben der Bewertung der Inhalte bezogen auf
Qualität, Relevanz, Praxisnähe und Aktualität auch die dozierende Person in Bezug
auf Diversity-Kompetenz in den Blick genommen wird. Fragen hierzu können sein:
Die*Der Dozent*in ist konstruktiv mit der Vielfalt der Gruppe (z. B. unterschiedlichem
Vorwissen, Erfahrungen oder Lerntypen) umgegangen? Die*Der Dozent*in hat eine
verständliche und vielfaltsbewusste Sprache genutzt? Die*Der Dozent*in hat die Lehr-
und Lerninhalte so gestaltet, dass Teilnehmer*innen unterschiedlicher Herkunft und
Lebensrealitäten sich damit identifizieren konnten? Die Ergebnisse sollten mit der*dem
jeweiligen Dozent*in besprochen werden. Nach der Auswertung der Ergebnisse, können
dann auch nochmal die bereits beschriebenen Grundsätze herangezogen werden, um die
Formate bei Bedarf weiterzuentwickeln.

5 Fazit

In einer sich ständig verändernden und sich weiterentwickelnden Gesellschaft, ist es


unerlässlich, dass Verwaltungen erfolgreich in die Erhöhung und Stärkung der Vielfalt
ihrer Belegschaft und den Aufbau eines inklusiven Arbeitsumfeldes investieren. Eine
vielfaltsbewusste Personalentwicklung nimmt unterschiedlichen Zielgruppen in den
Blick und orientiert sich an Grundsätzen wie Multidimensionalität, Intersektionalität,
Repräsentation, Partizipation, Barrierefreiheit und Empowerment. Die kontinuierliche
Weiterentwicklung der Diversity-Maßnahmen ist eine Grundvoraussetzung für deren
Erfolg, da Diversity vielen Veränderungen und Dynamiken unterliegt.

Literatur

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daten in der Einwanderungsgesellschaft – eine anwendungsorientierte Einführung. Vielfalt
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fügbar: www.vielfaltentscheidet.de/publikationen
Was braucht eine vielfaltsbewusste Personalentwicklung? – … 285

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Gülcan Yoksulabakan-Üstüay, Aus- und Fortbildungszentrum der Freien Hansestadt Bremen.


Gülcan Yoksulabakan-Üstüay hat eine über 25-jährige Berufspraxis als Trainerin und
Beraterin für Diversity-Management. Sie wurde 1997–2000 von einem New Yorker Institut als
Diversity-Trainerin ausgebildet, hat interkulturelle Pädagogik studiert und hat ihren Schwer-
punkt auf Diversity-Prozesse und Fortbildungen im öffentlichen Dienst gelegt. Seit 2014 ist
sie Referentin für Diversity-Management beim Aus- und Fortbildungszentrum für den öffentlichen
Dienst in Bremen.
286 G. Yoksulabakan-Üstüay und J. Schiffmann

Dr. Jochen Schiffmann, Senatorische Behörde für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen,
Bremen.
Jochen Schiffmann, ist Referent für Diversity-Management beim Senator für Finanzen der
Freien Hansestadt Bremen. Er studierte Kultur- und Wirtschaftswissenschaften und promovierte in
Sozialökonomie. Jochen Schiffmann befasst sich seit mehreren Jahren mit dem Thema Diversity-
Management als Organisationsentwicklungsansatz. Zuvor war er Projektleiter beim IQ-Netzwerk
Bremen im Projekt „Interkulturelle Organisationsberatung“
Diversity als Chance für das Recruiting
in der öffentlichen Verwaltung

Julia Göpel

Zusammenfassung

Dieser Fachbeitrag nutzt die Kerndimensionen von Diversity, um durch ein ziel-
gruppenorientiertes Recruiting eine größere und diversere Gruppe an Bewerber*innen
anzusprechen. Hierfür werden zu den jeweiligen Diversity-Dimensionen Praxis-
erfahrungen und Ideen für die konkrete Umsetzung angeführt. Darüber hinaus wird
der Vorteil des Einstiegs von Quereinsteiger*innen in die öffentliche Verwaltung
hervorgehoben. Denn es ist nicht nur für die Entwicklung der Organisation hemmend,
wenn stets die gleichen Zielgruppen angesprochen werden, sondern in Zeiten des
Fachkräftemangels ist eine solche Strategie auch nicht zielführend. Eine Orientierung
an Diversity kann bisher ungenutztes Potenzial ausschöpfen und damit eine große
Chance darstellen.

Schlüsselwörter

Diversity · Recruiting · Personalmarketing · Auswahlverfahren · Fachkräftemangel ·


Employer Branding

J. Göpel ( )
Land Hessen Regierungspräsidium Kassel, Kassel, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 287
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_22
288 J. Göpel

1 Einleitung1

Der Fachkräftemangel oder eigentlich sogar der Arbeitskräftemangel, da es nicht mehr


in allen Bereichen um ausgebildete Fachkräfte geht, hat auch den öffentlichen Dienst
erreicht. Dies dürften Personaler*innen im Rahmen ihres Recruitings deutlich festgestellt
haben. Es genügt nicht mehr im Sinne von post-and-pray einfach eine (Print-)Anzeige zu
schalten und abzuwarten. Die Dienststelle hat beim aktuellen Arbeitnehmermarkt nicht
mehr die Qual der Wahl, wer nach dem Grundsatz der Bestenauslese ausgewählt werden
kann. Vereinzelt sind Behörden in Bereichen mit besonders hohem Personalbedarf – wie
etwa in der IT – bereits froh, wenn man überhaupt eine geeignete Person auswählen kann.
Dies gilt selbst dann, wenn man schon erkannt hat, dass man sich als Dienststelle bei den
Bewerbenden bewerben muss und nicht umgekehrt. Doch nicht nur der Bedarf in den
vakanten Aufgabenbereichen wird den Personalbereich der Verwaltungen in den nächsten
Jahren vor große Herausforderungen stellen, auch die Größe des benötigten Personal-
bedarfs insgesamt wird sich als kaum lösbar darstellen. Die verschiedenen Prognosen
kommen zu dem Ergebnis, dass mehrere Hunderttausend Einstellungen erfolgen müssen.
Diese Erwartungen basieren auf den erwarteten Altersabgängen. Darüber hinaus wurde in
den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass in Krisenseiten mit weiteren Aufgaben-
zuwächsen und mit einer generell gestiegenen Wechselbereitschaft der Mitarbeitenden
zwischen den Behörden oder auch zur Privatwirtschaft zu rechnen ist. Um diese Mammut-
aufgabe stemmen zu können, bedarf es im Hinblick auf das Recruiting neue Ideen.
Employer Branding und ausgeklügelte Marketingstrategien sind sicherlich in vielen
Behörden noch ausbaubar, werden aber bei der teilweise auch unbewussten Adressierung
der immer gleichen Zielgruppen nicht zum Ziel führen. Die Zielgruppe ist viel breiter und
diverser als von vielen Behörden bisher angesprochen. Die Dimensionen der Charta der
Vielfalt können hierbei eine Orientierung für ein breiteres Recruiting bieten.

2 Recruiting in den Kerndimensionen von Diversity

2.1 Dimension „Alter“

Eine ausgewogene Altersdiversität ist für eine leistungsstarke Verwaltung von Vorteil.
Die Mischung aus Erfahrungswissen und neuen Ansätzen führt im Austausch und in
der Zusammenarbeit wie bei diversen Teams zu guten Lösungen. Die Aufspaltung der

1 Die in diesem Fachbeitrag aufgeführten Vorschläge basieren auf den Erfahrungen der Autorin,
auf nicht repräsentativ gewonnen Erkenntnissen durch den Austausch mit Mitarbeitenden des
Regierungspräsidiums, dem Feedback von Bewerbenden, Auszubildenden, Anwärter*innen sowie
durch Vernetzung im Personalbereich. Die Umsetzung der aufgezeigten Ideen ist im Regierungs-
präsidium Kassel teilweise erfolgt. Die Inhalte stellen die Ansichten der Autorin als Privatperson
dar und erfolgen nicht aus ihrer dienstlichen Rolle heraus.
Diversity als Chance für das Recruiting … 289

Mitarbeitenden und potenziellen Bewerbenden nach Generationen kann man durch-


aus kritisch sehen, zumal die Übergänge oft fließend sind und die Kategorisierung in
so großen Jahrgangsspannen vermutlich kaum der/dem Einzelnen individuell gerecht
wird. Im Hinblick auf Werbemaßnahmen und das Recruiting wird jedoch durch-
aus mit dieser Generationen-Einteilung gearbeitet, um eine zielgruppenspezifische
Ansprache, insbesondere auf Social Media, zu nutzen. Besonders die Generation Z
(Geburtsjahre 1997 bis 2012 laut Pew Research Center) erfährt viel Beachtung, weil
diese auf dem Arbeitsmarkt startet und aktuell die Zielgruppe der Auszubildenden
und Anwärter*innen umfasst. Für viele Behörden ist eine verstärkte Ausbildung für
den eigenen Bedarf ein Schlüsselfaktor, um die zu erwartenden Altersabgänge über-
wiegend abfedern zu können. Der Generation Z sagt man nach, dass sie im Hinblick
auf ihre Wünsche an das Recruiting und ihr Arbeitsumfeld einen im Vergleich zu Vor-
gängergenerationen höheren Anspruch hat. Diese Haltung wird in Auswahlgesprächen
deutlich, da man dort inzwischen ein stärker ausgeprägtes selbstsicheres Auftreten der
Bewerber*innen wahrnehmen kann. Ob dies nun an einem Wertewechsel oder einfach
daran liegt, dass man sich die Ausbildungsstellen nun eher aussuchen kann, sei dahin-
gestellt. Der Recruitingprozess soll digital, schnell, transparent und wertschätzend sein.
Die Arbeit soll sinnstiftend, selbstbestimmt, nachhaltig und in einem krisensicheren
Umfeld stattfinden, das freie Zeiteinteilung, mobiles Arbeiten und Familienfreundlich-
keit erfüllt. Zumindest im Hinblick auf die dienstlichen Aufgaben und das Aufgaben-
umfeld kann die öffentliche Verwaltung punkten – beim Recruitingprozess gibt es
sicherlich oftmals noch Optimierungsmöglichkeiten. Hier gilt es, die Generation Z durch
ein Hervorheben der Vorteile des öffentlichen Dienstes gezielter anzusprechen und sich
gleichzeitig von anderen Dienststellen abzuheben. Sofern es die Kapazitäten zulassen,
hat sich nach meiner Erfahrung die Abkehr von Massenrecruitingverfahren, die durch
externe Beratungsfirmen durchgeführt werden, bewährt. Ein individuell zugeschnittenes
Konzept für die Dienststelle, wie es beim Regierungspräsidium Kassel erfolgt ist, wo
man sich bei den Bewerbenden bewirbt, spricht diese Zielgruppe besser an. Die Vorteile
der eigenen Dienststelle müssen dabei bei der aktuell bestehenden freien Auswahl der
Bewerbenden bis zuletzt in der Verabschiedung im Auswahlgespräch und in der nach-
folgenden Betreuung nach der erfolgten Zusage stets hervorgehoben werden.
Allein auf die Generation Z zu setzen, das wird aber nicht ausreichen. Die Aus-
bildungskapazitäten können in den meisten Dienststellen vermutlich neben der sonstigen
Arbeit nicht in dem Maße ausgebaut werden können, dass der Übernahmebedarf voll-
ständig gedeckt wird. Es bleibt daneben natürlich noch das allgemeine Recruiting von
bereits ausgebildeten Personen aus anderen Behörden oder aus der Privatwirtschaft.
Hierbei wird aber oftmals nur die Zielgruppe der 25- bis 50-Jährigen in den Fokus
genommen. Es wird die weitere Zielgruppe der Ü50 eher vernachlässigt. Die fort-
schreitende Digitalisierung wird hierbei angeführt, warum man lieber die Digital Natives
anspricht. Diese Haltung ist jedoch sehr pauschal. Auch bei den sog. Best Agern gibt
es technikaffine Bewerbende und nicht in jedem Bereich sind so fortgeschrittene Kennt-
nisse oder Fähigkeiten erforderlich, die man nicht mehr erlernen könnte. Erfahrung zählt
290 J. Göpel

ebenfalls und diese kann im Austausch mit jüngeren Kolleg*innen wertvoll genutzt
werden. Ein strukturiertes Wissensmanagement und Mentoring-Programme können als
Instrumente genutzt werden. Ein Reverse-Mentoring, bei dem die jüngere Generation der
erfahrenen Generation beispielsweise ihr Digital-Native-Wissen weitergibt, ist hier ein
möglicher und neuerer Ansatz.
Im Regierungspräsidium Kassel hat sich der Ansatz bewährt, ein neues Einarbeitungs-
konzept zu nutzen. Für die Sachbearbeitung in der Bezügeabrechnung werden spezielle
Fachkenntnisse aus beispielsweise den Bereichen Besoldungs-, Tarif-, Reisekosten-
und Trennungsgeldrecht sowie Sozialversicherungsrecht benötigt, die die meisten
Bewerbenden erst noch erlernen müssen. Auch Quereinsteiger*innen in jeder Alters-
klasse werden regelmäßig eingestellt. Die Einarbeitung erfolgt nicht in den jeweiligen
Fachdezernaten, sondern zentral durch ein Einarbeitungsteam des Dezernats Personalent-
wicklung, Aus- und Fortbildung. Erst nach drei Monaten beginnt der eigentliche Einsatz
im Fachdezernat. Durch diese Lernumgebung mit Schulungen in Kleingruppen in einer
Art geschütztem Raum konnten auch Bewerbende Ü50 gewonnen werden, die sich mög-
licherweise ansonsten als Fachfremde mit einem anderen Erfahrungsschatz den Wechseln
in den öffentlichen Dienst aus der Privatwirtschaft nicht zugetraut hätten oder vielleicht
wieder abgebrochen hätten. Diese Form der Einarbeitung kann bereits in der Stellenaus-
schreibung hervorgehoben werden, um zum Wechsel zu motivieren. Auch ein bestehendes
Patenmodell mit speziell für die Einarbeitungsbegleitung fortgebildeten Kolleg*innen kann
im Rahmen des Onboardings hervorgehoben werden und erzielt einen positiven Effekt.
Wenn man eine Altersdiversität in der Behörde erreichen möchte, muss man auch
bei den Werbewegen auf Vielfalt setzen. Auf den Social-Media-Kanälen zeigt sich
dies deutlich: Facebook hat im Vergleich zu Instagram eine etwas ältere Benutzer-
gruppe und auf TikTok ist im Vergleich dazu die jüngste Zielgruppe zu finden. Aber
auch eine Printkampagne kann bei einer älteren Zielgruppe oder der Zielgruppe der
Eltern und Großeltern bei der Gewinnung von Auszubildenden und Anwärter*innen
immer noch punkten. Auch sollte der Bewerbungseingang nicht ausschließlich über
E-Recruiting eröffnet werden. Auf die einen wirkt dies modern und wird als Standard
angesehen, andere haben Vorbehalte im Hinblick auf ihre Daten oder es ist für sie ein-
facher, vielleicht auch schlichtweg bequemer, den einmal erstellten Lebenslauf per Mail
zu verschicken, statt in teilweise aufwendige Masken die eigenen Daten einzugeben. Es
gilt über möglichst vielfältige Kanäle unterschiedliche Bewerbende anzusprechen. Dazu
können auch zukünftig Bewerbungen per Videos über eine App zählen, wenn dies mit
dem Datenschutz überein gebracht werden kann.

2.2 Dimension „Ethnische Herkunft und Nationalität“

Es reicht sicherlich nicht aus, Bewerbende mit einer anderen ethnischen Herkunft oder
Nationalität durch gekaufte Stockfotos anzusprechen, auf der eine gemischte Gruppe
als Team dargestellt ist – wenn dies auch das Bestreben zeigt, dass man sich als offene
Diversity als Chance für das Recruiting … 291

Behörde zeigen möchte. Dies ist zwar immer noch besser als das in der Vergangen-
heit steife Bild der öffentlichen Verwaltung durch eine ansonsten veraltete Homepage
zu unterstreichen, wirkt aber nicht authentisch. Es bietet sich vielmehr an ein Foto von
mehreren eigenen Mitarbeitenden – je nach Zielgruppe auch in verschiedenen Alters-
stufen – zu nutzen, welches bereits die Realität der Behörde darstellt. Sicherlich gibt es
bereits Mitarbeitende, die eine andere Nationalität oder Migrationshintergrund haben. Im
Regierungspräsidium Kassel wurden beispielsweise im Rahmen einer Fotoausstellung
Mitarbeitende porträtiert, die sich mit einem Schild zu ihrem Herkunftsland bekennen.
Die Vielfalt der Länder war den Beschäftigten der Behörde zuvor gar nicht bewusst und
man kam mit den Kolleg*innen darüber ins Gespräch.
Im Austausch mit Mitarbeitenden des Regierungspräsidiums mit Migrationshinter-
grund wurde die positive Wahrnehmung des Stellenwertes einer Beschäftigung im
öffentlichen Dienst deutlich. Im familiären Umfeld und Freundeskreis wird eine Fest-
anstellung oder sogar Verbeamtung scheinbar viel stärker als etwas Besonderes und
Erstrebenswertes angesehen, auf was man stolz sein kann, da der öffentliche Dienst an
sich häufig positiv bewertet wird. Aufgrund dieser positiven Wahrnehmung bringt diese
Zielgruppe für das Recruiting ein großes Potenzial für die öffentliche Verwaltung mit
sich, da man an die bestehende aufgeschlossene Grundhaltung anknüpfen kann und
nicht erst Vorurteile von der unattraktiven Verwaltung – wie sie teilweise bei sonstigen
Schüler*innen bestehen – abbauen muss.
Im Austausch mit Schüler*innen mit Migrationshintergrund wurde in der Vergangen-
heit deutlich, dass teilweise die Ansicht vertreten wird, man könne sich als nicht EU-
Bürger*in gar nicht bei einer deutschen Behörde bewerben. Was für Beamtenstellen
zutrifft, gilt aber nicht für die Ausbildungsberufe. Diese Unkenntnis kann beispiels-
weise durch Gespräche auf Ausbildungsmessen, gezielte Social-Media-Werbung und
Informationen an die Lehrer*innen und Eltern abgebaut werden. Um die Zahl der
Bewerbenden dieser Zielgruppe zu erhöhen, bieten sich Kooperationen mit Schulen und
sonstigen Bildungs- oder Umschulungsträgern an, wo diese Gruppe stärker vertreten ist.
Auch noch bestehende Sprachbarrieren müssen nicht immer zum Ausschluss der
Bewerbenden führen. Denn die Amtssprache muss in Bereichen, in denen kein Kunden-
verkehr herrscht außerhalb des Regelungsbereichs von § 23 Absatz 1 Verwaltungs-
verfahrensgesetz – wie beispielsweise in Teilen des Zentralbereichs und der IT – nicht
immer perfektes Deutsch sein. Nach der Neueinstellung ist durchaus eine Übergangs-
zeit in einer Fremdsprache, die das gesamte Team spricht, denkbar. Auch eine interne
Verständigung mit immer besseren Übersetzungsprogrammen ist denkbar. Zudem hat
das eigene Team die Gelegenheit, die eigenen Sprachkenntnisse aufzufrischen und anzu-
wenden. Wenn man leistungsstarke Mitarbeitende gewinnt, indem man ihnen eine Über-
gangszeit zum Erlernen der deutschen Sprache gibt und das Lernen gezielt unterstützt,
eröffnet dies ein großes Potenzial. Diese Personen würden ansonsten allein aufgrund der
noch bestehenden Sprachbarriere ausgeschlossen werden.
Auch die Ansprache in Stellenausschreibungen kann attraktiver gestaltet werden. Der
Standardsatz „Bewerbungen von Menschen mit Migrationshintergrund werden ausdrück-
292 J. Göpel

lich begrüßt“ reicht nicht mehr aus – sofern er überhaupt enthalten ist. Der zunächst
positive Effekt könnte aufgrund der Standardisierung mittlerweile verpufft sein. Jedoch
könnte man sich beispielsweise durch weitere Sätze positiv abgrenzen: „Wir möchten
gerne die Vielfalt der Gesellschaft in unserer Behörde abbilden. Bei uns arbeiten schon
viele Kolleg*innen mit Migrationshintergrund. Fragen Sie uns gern, an wen Sie sich
zur Anerkennung Ihrer ggf. ausländischen Schulabschlüsse wenden können.“ Auch
sollte eine solche Formulierung nicht an das Ende der teilweise sehr langen Stellenaus-
schreibungen gesetzt werden, wo sie als Pflichtbestandteil aufgefasst werden könnte oder
untergeht, sondern präsenter auf die erste Seite, wo ggf. auch die Unterzeichnung der
Charta der Vielfalt hervorgehoben wird.

2.3 Dimension „Geschlecht und geschlechtliche Identität“

Besonders durch die in vielen Behörden sehr gut wahrgenommene Rolle der Frauen-
und Gleichstellungsbeauftragten sind die Geschlechter in den einzelnen Laufbahnen,
Entgelt- und Besoldungsgruppen schon viel besser ausgeglichen als es vermutlich noch
vor wenigen Jahren der Fall war. Insbesondere durch eine in einzelnen Behörden ein-
gesetzte Genderbudgetierung konnte durch die gezielte Steuerung viel für das Ziel
der Gleichbehandlung erreicht werden. Die früheren Frauen- und Gleichstellungs-
beauftragten des Regierungspräsidiums Kassel wurden beispielsweise im Jahr 2019
für ihr Konzept zur Umsetzung der Gender-Budgetierung von der Hessischen Landes-
regierung mit dem Elisabeth-Selbert-Preis ausgezeichnet. Aufgrund dieses erfolgreichen
Ansatzes der Dienststelle wurde in § 6 Abs. 4 Nr. 8 des Hessischen Gleichberechtigungs-
gesetzes (HGlG) die Personalkostenbudgetierung unter die möglichen Maßnahmen zur
geschlechtergerechten Personalentwicklung im Rahmen von Frauenförder- und Gleich-
stellungspläne aufgenommen.
Trotz der bereits erreichten Verbesserungen im Hinblick auf die Gleichstellung im
öffentlichen Dienst gibt es nach wie vor typische Bereiche, in denen die Bewerbenden in
der Mehrheit einem Geschlecht angehören. Dies sind beim Regierungspräsidium Kassel
beispielsweise folgende: die Mitarbeitenden im gehobenen nichttechnischen Dienst
sind überwiegend weiblich (68,2 % von insgesamt 629 Personen), hingegen im höheren
technischen Dienst sind Männer stärker vertreten (60 % von insgesamt 65 Personen).
Hier ist man zur Herstellung eines Ausgleichs bemüht, was jedoch vor dem Grundsatz
der Bestenauslese nur sehr eingeschränkt möglich ist. Eine Entscheidung zugunsten
der Unterrepräsentanz kann ja nur als ein Hilfskriterium nach anderen Kriterien wie
Abschlussnoten, dienstlichen Beurteilungen/Arbeitszeugnissen, Auswahlgesprächen
und ggf. Assessment-Center-Elementen herangezogen werden. Ein Gegensteuern kann
eigentlich nur zum Ziel führen, wenn die Anzahl der Bewerbungseingänge im unter-
repräsentiertem Geschlecht besonders hoch ist, da dann theoretisch die Chancen der
Bewerber*innen eines Geschlechts, sich im Sinne der Bestenauslese durchzusetzen, ent-
sprechend höher sind. Hier kann man neben den sonstigen gezielten Werbemaßnahmen
Diversity als Chance für das Recruiting … 293

schon früh ansetzen und bereits Schüler*innen durch Girls’Days und Boys’Days die
entsprechenden Ausbildungsgänge mit Unterrepräsentanzen attraktiv präsentieren. Im
Regierungspräsidium Kassel werden in diesem Rahmen beispielsweise den Schülern der
Ausbildungsberuf der/des Verwaltungsfachangestellten und den Schülerinnen der Aus-
bildungsberuf Fachinformatiker*in vorgestellt.
Durch ein Employer Branding, hinter welchem die eigenen Mitarbeitenden stehen
und dieses gern kommunizieren, können ebenfalls Bewerbende eines bestimmten
Geschlechts für eine Bewerbung motiviert werden. Attraktive Karriereoptionen wie
„Führen in Teilzeit“ und „Führen als Doppelspitze“ nebeneinander oder das Job-
sharing sind in der öffentlichen Verwaltung noch kein Standard und können positiv zur
Abgrenzung von anderen Dienststellen oder Arbeitgebern genutzt werden. Wichtig ist
hierbei, dass sich das Aufgabengebiet auch tatsächlich für diese Formen eignet, damit
das gewählte Modell als solches nicht zum Stressfaktor wird, weil man der Führungs-
rolle zeitlich nicht gerecht werden kann. Auch ein Rückkehranspruch auf den alten
Dienstposten nach einer Elternzeit oder Familienpflegezeit macht als Behörde attraktiv,
denn dies motiviert dazu, diese überhaupt oder länger wahrzunehmen. Besonders männ-
liche Mitarbeitende brauchen Rollenvorbilder zur Wahrnehmung von Elternzeiten – am
besten sogar auf der Führungsebene. Im Regierungspräsidium Kassel ist dies geglückt,
als ein früherer Personalleiter selbst in Elternzeit gegangen ist.
Eine zwischen den Geschlechtern ausgeglichene Bewerbungslage kann durch ein an
alle Geschlechter adressiertes oder geschlechtsneutrales Marketing gefördert werden,
welches „unconscious gender bias“ reduziert. Dies kann im Rahmen der Stellenaus-
schreibungen/Social Media/Homepage/Printwerbung etc. durch ansprechende Fotos
und Formulierungen, bei denen man sich bewusstmacht, welches Geschlecht sich dem
Stereotyp entsprechend eher angesprochen fühlen könnte, erreichen. ITler müssen
eben nicht zwingend männlich und Erzieher*innen nicht zwingend weiblich sein.
Formulierungen wie „durchsetzungsstark“ könnten eher als männlich-kodiert aufgefasst
werden und „empathisch“ als eher weiblich-kodiert. Spätestens seit der Anerkennung
des dritten Geschlechts durch den Gesetzgeber sollte der Zusatz (m/w/d) oder alter-
native Formulierungen, die dieses einbeziehen, hinter der gesuchten Stellenbezeichnung
in Ausschreibungen enthalten sein, um einen Verstoß gegen das Benachteiligungs-
verbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) zu vermeiden. Bei der
Stellenbezeichnung selbst bietet es sich, um nicht nur männliche und weibliche
Bewerber*innen anzusprechen, eine neutrale Bezeichnung zu wählen, damit sich wirk-
lich alle Geschlechter angesprochen fühlen. Das Gender-Sternchen (Asterisk)ist zwar
mittlerweile sehr verbreitet, jedoch kann das Unwissen bestehen, was hiermit gerade
in Abgrenzung zum Schrägstrich gemeint ist. Dann wäre das Ziel verfehlt. Es bietet
sich daher an, wenn es sprachlich möglich ist, statt Sachbearbeiter*in lieber Sachbe-
arbeitung und statt Teamleiter*in lieber Teamleitung zu formulieren. Dem kommt auch
deshalb Bedeutung zu, da nicht überall in der öffentlichen Verwaltung die Verwendung
des Gendersternchens zugelassen ist. Beispielsweise im Hessischen Innenressort ist
die Benutzung des Gender-Sternchens, des Gender-Gaps, des Doppelpunktes und des
294 J. Göpel

Binnen-Is in Bezugnahme auf den Rat für deutsche Rechtschreibung und den Deutschen
Blinden- und Sehbehindertenverband zu unterlassen.
Im Rahmen der Auswahlgespräche gilt es zu beachten, dass das Auswahlgremium
möglichst paritätisch besetzt sein sollte. Dies sieht beispielsweise auch die Soll-
Regelung in § 13 HGlG vor. Hierbei geht es nicht nur um den Zugang zum Kreis der
auswählenden Personen, sondern eine solche Besetzung reduziert auch Beobachtung-
und Bewertungsfehler.
Ferner dürfen die Frage- und Aufgabenstellungen in Eignungstests sowie weiteren
AC-Elementen einem Geschlecht keinen Vor- oder Nachteil verschaffen.

2.4 Dimension „Körperliche und geistige Fähigkeiten“

Durch die weitgehend bestehende Barrierefreiheit, den Anspruch auf ein Vorstellungs-
gespräch gem. § 165 S. 3 und 4 SGB IX SGB sowie die durch die Stellenausschreibung
bekannte Bevorzugung bei gleicher Eignung, ist die öffentliche Verwaltung bei Personen
mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen vermutlich bereits ein bekannter
Arbeitgeber. Der übliche Standardsatz „Bewerber*innen mit nachgewiesener Schwer-
behinderung oder Gleichstellung werden bei gleicher Eignung bevorzugt berück-
sichtigt“ kann auch hier im Hinblick auf die Abgrenzung zu anderen Behörden und
zum Herausstellen, dass dies auch so gelebt wird, in einer ausführlicheren Textversion
formuliert werden, wo beispielsweise auf die – hoffentlich hohe – Quote der schwer-
behinderten Personen im Haus hingewiesen wird. Auch kann auf eine spezielle Home-
pageseite verwiesen werden, auf der man weitere Informationen zu den barrierefreien
Arbeitsbedingungen, zur Beantragung des Schwerbehindertenausweises oder der
Möglichkeit einer persönlichen Assistenz im Arbeitsalltag finden kann. Auch besondere
Förderprogramm der Bundes- oder Landesregierung sowie die jeweils geltenden
Teilhaberichtlinien können hier aufgeführt werden. Die in vielen Behörden bestehenden
Möglichkeiten zur flexiblem Arbeitszeit, Teilzeitarbeit und das Arbeiten im Homeoffice
können je nach bestehender Beeinträchtigung zu einem besonders attraktiven Arbeit-
geber machen. Dies zu bewerben lohnt sich.
Im Vorfeld von Auswahlverfahren muss man auf die Barrierefreiheit der Stellenaus-
schreibung für Sehbehinderte achten und bei einem Recruitingfilm, dass dieser Unter-
titel für Hörgeschädigte oder sogar eine Audiodeskription für Sehbehinderte enthält. Ein
beantragter und attestierter Nachteilsausgleich ist ebenfalls zu berücksichtigen. Dies
kann im Rahmen eines Assessment Centers z. B. eine verlängerte Prüfungszeit sein,
wobei die Zeitverlängerung aus dem Attest selbst hervorgehen sollte, um Verfahrens-
fehler zu vermeiden.
Wenn man einerseits durch Werbemaßnahme als attraktive Behörde von schwer-
behinderten Bewerbenden wahrgenommen werden möchte, sollte andererseits – auch
unabhängig von den möglichen Rechtsfolgen aus § 164 Abs. 1 S. 9 SGB IX bei einem
Verstoß gegen das Begründungserfordernis der Absagen einer schwerbehinderten Person
Diversity als Chance für das Recruiting … 295

– den Bewerbenden eine überzeugende Begründung, die aber nicht zu AGG-Klagen ein-
lädt, im Absageschreiben mitgeteilt werden, um dadurch die Wertschätzung zum Aus-
druck zu bringen. Denn besonders bei diesem Personenkreis kann die Enttäuschung nach
einem nicht erfolgreichen Auswahlverfahren, wenn man zuvor die Öffnung für diese
Zielgruppe betonte und damit gerade Hoffnung weckte, besonders groß sein und zu
einem negativen Ruf führen.

2.5 Dimension „Religion und Weltanschauung“

Aufgrund der einzunehmenden neutralen Haltung ist ein Werben um Personen mit einer
bestimmten Religion oder Weltanschauung eher unangebracht. Die Kommunikation
einer Offenheit für alle Religionen und Weltanschauungen ist jedoch durchaus möglich,
indem man sie in der Behörde lebt. Im Mitarbeiterportal können neben den bekannten
Weihnacht- und Ostergrüßen auch Wünschen zu den wichtigsten nichtchristlichen Festen
veröffentlicht werden. Wenn die Veröffentlichung aus Gründen der Neutralität nicht über
die Behördenleitung erfolgen kann, könnte dies jedoch beispielsweise der Personal-
rat übernehmen. Im Mitarbeiterportal könnte ein Feiertagskalender mit den wichtigsten
religiösen Festen der verschiedenen Religionen hinterlegt werden. Dadurch würden auch
die Feste, die beispielsweise aufgrund der Orientierung am Mondkalender nicht immer
auf den gleichen Tag im Jahr fallen, bei den sonstigen Mitarbeitenden bekannter werden
und man kann im Kolleg*innenkreis aufmerksam darauf reagieren. Die Gewährung von
flexibleren Arbeitszeiten während der Fastenzeit und der respektvolle Umgang mit den
fastenden Kolleg*innen, die vielleicht nicht den Geburtstagskuchen mitessen möchten,
sind weitere kleine Schritte. Auch die Berücksichtigung dieser nichtchristlichen Feste
bei der Urlaubsplanung im Team und die Annahme von Einladungen zu Festen von
Kolleg*innen mit einem anderen religiösen Hintergrund können zu einem vielfältigen
Miteinander beitragen.
Die regelmäßige Wahrnehmung des Fortbildungsangebots zur Förderung der inter-
kulturellen Kompetenz ist im Hinblick auf die Diversity-Dimension „Religion und Welt-
anschauung“ sowie „Ethnische Herkunft und Nationalität“ ein wichtiges Element zur
Reflexion der eigenen Haltung und trägt zur Öffnung der Mitarbeitenden bei. Wichtig ist,
dass dies – wie beispielweise im Regierungspräsidium Kassel – zur Chefsache gemacht und
die Teilnahme ausdrücklich von der jeweiligen Behördenleitung gewünscht wird.

2.6 Dimension „Sexuelle Orientierung“

Es erklärt sich von selbst, dass man eine spezielle sexuelle Orientierung im Marketing
nicht gezielt ansprechen wird, da dies wohl eher gekünstelt wirken würde. Die
öffentliche Verwaltung sollte als größter Arbeitgeber die Gesellschaft repräsentieren.
Gleichwohl erscheint die Anzahl der Mitarbeitenden, die der Gruppe LGBTQ angehören,
296 J. Göpel

unter dem gesellschaftlichen Durchschnitt, weil man sich möglicherweise (noch) nicht
zu dieser bekennen möchte, was natürlich jeder/jedem selbst überlassen ist. Auch im
Regierungspräsidium Kassel ist der im Kreis der Kolleg*innen bekannte Anteil der
LGBTQ-Gruppe eher klein, obwohl zugehörige Personen von einer offenen Haltung
des Hauses berichten. Es ist zu wünschen, dass sich nicht nur im Regierungspräsidium
Kassel, sondern in der gesamten Gesellschaft zukünftig eine noch offenere Kultur ent-
wickeln wird. Durch ein Vorleben der Offenheit kann in kleinen Schritten ein guter Bei-
trag hierzu geleistet werden. Dies können beispielsweise regelmäßige Fortbildungen auf
Ebene der Mitarbeitenden sowie der Führungskräfte zu Themen wie Diskriminierung,
Mobbing und sexuelle Belästigung sein. Auch der Wegfall eines inoffiziellen Dresscodes
in Bereichen, wo die Außenwirkung nicht leidet, ist ein weiterer Schritt zur Entfaltung
der Persönlichkeit und einer bunteren Verwaltung. Rollenvorbilder entstehen, wenn bei-
spielsweise Mitarbeitende in gleichgeschlechtlichen Beziehungen ihre Partner*innen bei
Betriebsfesten/Weihnachtsfeiern etc. gern mitbringen oder eine Elternzeit nehmen und
hierbei auf eine aufgeschlossene Haltung stoßen. Die positiven Erfahrungen können
Anlass für Bewerbende oder andere Mitarbeitende sein, die sich vielleicht bisher nicht
getraut haben, von ihrer gleichgeschlechtlichen Beziehung zu erzählen. Gerade auf der
Führungsebene ist die Vorbildwirkung vermutlich besonders groß, da hier sogleich deut-
lich wird, dass die sexuelle Orientierung keine Rolle spielt und der Karriereweg selbst-
verständlich gleichermaßen offensteht.

2.7 Dimension „Soziale Herkunft“

Die öffentliche Verwaltung bietet aufgrund der aufgabenbezogenen Eingruppierung


und Besoldung gute Möglichkeiten Benachteiligungen aufgrund der sozialen Her-
kunft in Bezug auf die Karriere – auch ohne Abitur – auszugleichen. Der Zugang zum
öffentlichen Dienst ist durch die grundsätzlichen Aufstiegsmöglichkeiten bereits mit
einem Mittleren Bildungsabschluss (Realschulabschluss) in der allgemeinen Verwaltung
in vielen Bereichen möglich. Je nach den jeweiligen Regelungen der Bundesländer kann
dieser unter bestimmten Anforderungen nach Abschluss des zehnten Schuljahres auch an
einer Hauptschule erworben werden. Mit dem Realschulabschluss besteht beispielsweise
in Hessen die Möglichkeit, nach der Berufsausbildung zur/zum Verwaltungsfachange-
stellten und einer gewissen Tätigkeitszeit den Lehrgang zur Vorbereitung auf die Prüfung
zur/zum Verwaltungsfachwirt*in anzuschließen. Damit können als Tarifbeschäftigte*r
Aufgaben ab der Entgeltgruppe EG 9b TV-H, vergleichbar mit dem gehobenen Dienst,
wahrgenommen werden und unter bestimmten Voraussetzungen ist in Einzelfällen sogar
eine spätere Entwicklung darüber hinaus möglich. Diese attraktiven Möglichkeiten sind
den Schülerinnen und Schüler im 10. Schuljahr der Hauptschulklassen auf Ausbildungs-
messen kaum bekannt. Hier kann durch gezielte Kooperationen mit Schulen und Info-
Veranstaltungen auf Ausbildungsmessen das Interesse geweckt werden. Insbesondere die
Lehrer*innen und Personen in der Schulsozialarbeit nehmen als Multiplikator*innen, die
die Vorteile des öffentlichen Dienstes vermutlich selbst schätzen, eine Schlüsselrolle ein.
Diversity als Chance für das Recruiting … 297

Es ist offensichtlich, dass bereits die Entscheidung, in welchen Stadtvierteln und bei
welchen Schulformen man sich als Ausbildungsbehörde präsentiert, Auswirkung auf
die eingehenden Bewerbungen hat. Auch hier ist die bunte Mischung der Präsentations-
orte entscheidend, wenn man eine ausgeglichene Bewerbungslage erreichen möchte;
wiederum bei einem konkreten Zielgruppenbedarf ist die strategische Ausrichtung
entscheidend. Wer nur Gymnasien besucht, wird vermutlich wenige Bewerbungen
von Schüler*innen mit einem Mittleren Bildungsabschluss erhalten, obwohl diese
Bewerbungen sehr erwünscht sind. Nicht nur im Sinne eines erweiterten Verständnisses
von Vielfalt sind diese Bewerber*innen attraktiv, sondern auch weil sie nicht direkt nach
der Berufsausbildung ein Studium anstreben, wie es aktuell oftmals bei Bewerber*innen,
die ein (Fach-)Abitur abgeschlossen haben, der Fall ist. Die öffentliche Verwaltung bietet
mit ihrem in vielen Bereichen besonders kollegialen Umfeld zudem für Bewerbende
aus sozialen Brennpunkten ein Arbeitsumfeld, welches sie sich vielleicht besonders
wünschen und wertschätzen, weil man es aus dem persönlichen Umfeld in der Ver-
gangenheit nicht immer erfahren hat. Bei Bedarf sollte hier diesen Mitarbeitenden
durch ein Mentoring oder durch Fortbildungen das Ankommen in der öffentlichen Ver-
waltung erleichtert werden. Im Rahmen der Auswahlverfahren kann eine Umstellung
von Eignungstests, bei denen nur die Allgemeinbildung oder das Schulwissen abgefragt
werden und in denen Schüler*innen der Gymnasien im Vorteil wären, auf Persönlich-
keitstests erfolgen. Die Sozialkompetenzen werden in den nächsten Jahren in Zeiten
von VUCA2 ohnehin einen größeren Stellenwert einnehmen, da ein Fachwissen durch
die Digitalisierung und in Zeiten des Fachkräftemangels, einhergehend mit der nötigen
Öffnung für Quereinsteigende, an Bedeutung verlieren wird. Langfristig wird hier ein
Umdenken im Rahmen der Auswahlverfahren im Sinne von „hire for attitude, train for
skills“ erforderlich sein.

3 Vielfalt außerhalb der Kerndimensionen von Diversity –


Quereinsteiger*innen

Diversity im Recruiting sollte über die sieben Kerndimensionen nach der Charta der
Vielfalt hinausgedacht werden. Die öffentliche Verwaltung muss sich stärker und
schneller für Quereinsteiger*innen aus der Privatwirtschaft und Absolventinnen und
Absolventen außerhalb der klassischen Verwaltungsabschlüsse öffnen. Die verstärkten
Ausbildungskapazitäten innerhalb der Behörden reduzieren zwar etwas das Problem des
Abwerbens der besten Mitarbeitenden der Behörden untereinander, werden aber nicht
ausreichend den enormen Personalbedarf decken. Mit Quereinsteiger*innen hat bei-
spielsweise das Regierungspräsidium Kassel schon gute Erfahren gemacht, wenn das

2 Das Akronym VUCA steht für die englischen Begriffe volatility (Volatilität), uncertainty (Unsicher-

heit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Mehrdeutigkeit).


298 J. Göpel

Onboarding gezielt durchgeführt wird. Durch die Öffnung wird zum einen die Anzahl
an potenziellen Bewerber*innen deutlich erhöht und zum anderen wird der Blick von
außen mit einem anderen Erfahrungswissen, wie es uns diverse Teams schon zeigen,
zu besseren Arbeitsergebnissen führen. Auch die Fachkompetenz wird mit speziell
ausgebildeten oder besonders erfahrenen Mitarbeitenden erhöht. In der allgemeinen
Verwaltung bieten sich weitere Abschlüsse in den Bereichen Wirtschafts- und Politik-
wissenschaften an. Bei den Rechtswissenschaften ist die Zielgruppe der zu einem
Wechsel motivierten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte nach mehreren Jahren
Berufserfahrung noch nicht im Vordergrund. Hier richtet sich das Recruiting noch
eher an Young Professionals, die direkt nach dem Rechtsreferendariat oder nach einer
nur kurzen Berufstätigkeit einsteigen. Für die Behördenkommunikation sind beispiels-
weise ausgebildete Expert*innen im Bereich Social-Media und Mediengestalter*innen
attraktiv. Als alternative Berufsabschlüsse können neben dem klassischen Abschluss als
Verwaltungsfachangestellte*r auch kaufmännische Berufsabschlüsse ausgeschrieben
werden und die Verwaltungskenntnisse werden durch Fort- und Weiterbildung im Sinne
des lebenslangen Lernens vermittelt. Das Regierungspräsidium Kassel hat beispielsweise
sehr gute Erfahrungen mit Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten gemacht.
Mit Ziel der Personalgewinnung und Öffnung der Verwaltung muss die Anerkennung
von Vorkenntnissen aus Ausbildungen und Studienabschlüssen, Teilprüfungen oder
Modulen außerhalb der öffentlichen Verwaltung leichter gelingen und es dürfen auch
keine zu großen Hürden für Weiterbildungen innerhalb der öffentlichen Verwaltung
nach einem Wechsel aus der Privatwirtschaft aufgestellt werden, wie es beispielsweise
in Hessen beim Lehrgang Verwaltungsfachwirt*in der Fall ist, bei welchem erst noch
ein Vorbereitungslehrgang vor dem eigentlichen Lehrgang zu absolvieren ist, wenn die
vorherige Berufsausbildung außerhalb des öffentlichen Dienstes erfolgt ist. Dies macht
den Wechsel aufgrund eingeschränkter Karrierechancen unattraktiv und wird sich die
öffentliche Verwaltung bei Personalmangel langfristig nicht leisten können.
Falls ein dauerhafter Wechsel zur öffentlichen Verwaltung für Quereinsteigende nicht
in Betracht kommt, kann auch bewusst mit einer Karriere auf Zeit in einem unbefristeten
Beschäftigungsverhältnis geworben werden. Wer den Vorteil der sicheren Beschäftigung
nicht nutzen möchte, kann sich auch nur für einige Jahren einbringen und dann wieder in
die Privatwirtschaft oder zu anderen Behörden wechseln. Diese Durchlässigkeit ist auch
für Rotationen aus der öffentlichen Verwaltung in die Privatwirtschaft erforderlich, um
den bekannten „Blick über den Tellerrand“ einnehmen zu können.
Insgesamt ist im Rahmen des Recruitings wichtig, dass die Bewerbenden – ebenso
wie auch das Auswahlgremium – eine für Diversity offene Haltung haben. Nur weil eine
Person selbst einer oder mehreren Dimensionen von Diversity im Sinne der Charta der
Vielfalt angehört, besteht nicht automatisch die Offenheit, die es für das Miteinander
benötigt. Neben den sonstigen Sozialkompetenzen einschließlich der Leistungsbereit-
schaft ist die offene Haltung für Diversity ein Auswahlkriterium, welches bei den bis-
herigen Auswahlverfahren vermutlich noch zu kurz gekommen ist und nun wichtiger
denn je ist, um im öffentlichen Dienst erfolgreich vielfältiger zu werden.
Diversity als Chance für das Recruiting … 299

4 Fazit

Der aktuell bestehende und in den nächsten Jahren noch größere Bedarf an Mit-
arbeitenden wird perspektivisch eine Öffnung der Verwaltung erforderlich machen –
hin zu Vielfalt und auch zu Quereinsteiger*innen. Die in der Vergangenheit vorrangig
angesprochenen Zielgruppen mit einem klassischen Karriereweg dürfen sich jedoch
durch die Öffnung für die neuen Kolleg*innen nicht abgewertet fühlen, weil sie nicht
mehr (ausschließlich) im Fokus stehen, sondern müssen diese Öffnung tatsächlich als
Bereicherung empfinden. Dieser Weg erfordert ein Umdenken, welches aber nicht ver-
ordnet werden kann. Wenn dieses Verständnis vermehrt besteht, ist dies eine gute Grund-
lage für ein modernes Employer Branding und macht die öffentliche Verwaltung neben
den bestehenden Vorteilen und Benefits zu einer noch attraktiveren Arbeitgeberin als
heute. Letzteres ist in den nächsten Jahren wichtiger denn je, denn die öffentliche Ver-
waltung muss als größte Arbeitgeber*in Deutschlands immer leistungsstärker werden, da
auch die Ansprüche der Bürger*innen an eine kunden- und serviceorientiere Verwaltung
– gerade in Zeiten der Digitalisierung – mit großem Tempo steigen werden.

Julia Göpel, Regierungsdirektorin, Land Hessen, Regierungspräsidium Kassel. Die Autorin


war als Rechtsanwältin tätig und wechselte 2013 in den öffentlichen Dienst zum Land Hessen.
Zunächst war sie im Hessischen Kultusressort sowie anschließend im Innenressort Juristin mit
einem Schwerpunkt im Personalrecht. Im Regierungspräsidium Kassel, einer Mittelbehörde des
Landes Hessen mit ca. 1800 Mitarbeitenden, nimmt sie die Dezernatsleitung des Dezernats Z4 –
Personalentwicklung, Aus- und Fortbildung wahr. Daneben ist sie die stellvertretende Leiterin des
Personaldezernats. Ihr Team umfasst 24 Personen an drei Standorten in Kassel und Wiesbaden. Sie
lebt in Nordhessen und ist Mutter von drei Kindern. In den letzten Jahren lagen ihre inhaltlichen
Schwerpunkte auf den Themen Ausbildungsrecruiting, Personalmarketing, Auswahlverfahren und
Konkurrentenstreitverfahren.
Affirmative Action in der Verwaltung?
Das Berliner Partizipationsgesetz
als Meilenstein moderner
Verwaltungspraxis

Kathleen Jäger und Belma Bekos

Zusammenfassung

Das Berliner Partizipationsgesetz (PartMigG) enthält verschiedene Maßnahmen zur


Förderung der Partizipation von Menschen mit Migrationsgeschichte. Der Beitrag
setzt das PartMigG, das sich selbst als Fördergesetz zur Durchsetzung eines Nach-
teilsausgleichs für Menschen mit Migrationsgeschichte versteht, in den Kontext von
affirmative action. Zu den Zielen des Gesetzes gehören die migrationsgesellschaft-
liche Ausrichtung des Verwaltungshandelns, wozu auch der Aufbau migrations-
gesellschaftlicher Kompetenz der Mitarbeitenden gehört und die Förderung der
Beschäftigung von Menschen mit Migrationsgeschichte im Öffentlichen Dienst,
welche ausführlich mit Beispielen aus der Verwaltungspraxis dargestellt wird. Ins-
gesamt zeigt sich das PartMigG als Meilenstein moderner Verwaltungspraxis, da es
Praxis und Diskurs in der Verwaltung weg von der Integration von Menschen mit
Migrationshintergrund und hin zur Partizipation von Menschen mit Migrations-
geschichte verschiebt.

Schlüsselwörter

Positive Maßnahmen · Affirmative action · Quote · Partizipation · Diversity ·


Strukturelle Diskriminierung · Integration · Migrationsgeschichte

K. Jäger ( ) · B. Bekos
Land Berlin, Berlin, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 301
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_23
302 K. Jäger und B. Bekos

1 Einleitung

Das am 5. Juli 2021 in Kraft getretenen Gesetz zur Förderung der Partizipation der
Migrationsgesellschaft des Landes Berlin (Partizipationsgesetz – PartMigG) ist ein
umfassendes Fördergesetz für Menschen mit Migrationsgeschichte. Abzielend auf die
migrationspolitische Ausrichtung der Verwaltung, die Förderung der Beschäftigung von
Menschen mit Migrationshintergrund und die Stärkung von Partizipation fördernden
Strukturen auf Landes- und Bezirksebene, ist das PartMigG das bislang weitreichendste
Landesgesetz seiner Art. Es ersetzt den umstrittenen Begriff des Migrationshintergrundes
in großen Teilen durch den Begriff Migrationsgeschichte. So können rassistische bzw.
migrations- und herkunftsbezogene Teilhabehindernisse und Zugangshürden besser
adressiert werden (AGH Drs. 18/3631, S. 33). Das PartMigG enthält verschiedene
positive Maßnahmen zum Ausgleich struktureller Benachteiligung von Menschen mit
Migrationsgeschichte und wird im Folgenden wegen der umfassenden Bekräftigung, also
Affirmation von Vielfalt als „affirmative action“, als ein affirmatives Gesetz eingeordnet.
Der Beitrag gibt einen Überblick über die verschiedenen Förderinstrumente des
PartMigG, wobei ein Schwerpunkt auf der Förderung der Beschäftigung von Menschen
mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst liegt.

2 Partizipation und Affirmation

In seinen Richtlinien der Regierungspolitik nahm sich der rot-rot-grüne Senat 2017 vor,
das damals geltende Gesetz zur Regelung von Partizipation und Integration in Berlin
(PartIntG), das erste Integrationsgesetz auf Landesebene, durch eine externe Evaluation
überprüfen zu lassen und fortzuentwickeln (AGH Drs. 18/0073, S. 5; Evaluation des
Gesetzes zur Regelung von Partizipation und Integration in Berlin (PartIntG) im Auf-
trag des Integrationsbeauftragten von Berlin, Abschlussbericht Februar 2019). Auf
Grundlage der Evaluation wurde das Konzept der Integration in weiten Teilen durch
das Konzept der Partizipation ersetzt und überwiegend die Zielgruppe des Gesetzes von
Menschen mit Migrationshintergrund in Menschen mit Migrationsgeschichte geändert.
Partizipation im Sinne des PartMigG meint zum einen die chancengleiche Teilhabe
von Menschen mit Migrationsgeschichte in allen Lebensbereichen der Stadt, wozu es
der umfangreichen migrationsgesellschaftlichen Ausrichtung der Verwaltung bedarf.
Zum anderen bedeutet Partizipation auch politische Teilhabe, was sich im PartMigG
unter anderem in der Aufwertung von Beiräten auf Landes- sowie Bezirksebene wider-
spiegelt.
Das PartMigG ist ein Fördergesetz zur Durchsetzung eines Nachteilsausgleichs für
Menschen mit Migrationsgeschichte (AGH Drs. 18/3631, S. 28). Rechtssystematisch
lässt sich das PartMigG unter den Sammelbegriff der positiven Maßnahmen fassen (vgl.
Liebscher 2019, S. 1). Wegen seines umfassenden Bekenntnisses zur Förderung der
Partizipation von Menschen mit Migrationsgeschichte und den Maßnahmen, die dieses
Affirmative Action in der Verwaltung? Das Berliner … 303

Bekenntnis auch in Aktion treten lassen und es bekräftigten, erscheint die Einordnung
als „affirmative action“ passend. Dieser in den USA seit den 1960er Jahren verwendete
Begriff war ursprünglich auf den Nachteilsausgleich von Afroamerikaner*innen gerichtet
(ausführlich Peters und Birkhäuser 2005, S. 11). „Affirmative action“ meint keine spezi-
fische (Rechts-)Form von Fördermaßnahmen, sondern bezeichnet eine „aktive Politik
zur Beseitigung von [Anti]Diskriminierung zugunsten Angehörigen diskriminierter
ethnischer Minderheiten“ (Schuler-Harms 2022, Rn. 26, siehe dort auch zur Rechtsent-
wicklung) und unterscheidet sich inhaltlich nicht von dem im deutschen Rechtsdiskurs
gebräuchlichen Begriff der positiven Maßnahmen.

3 Grundsätze der Anwendung des PartMigG

Im Berliner Landesrecht steht das PartMigG im Kontext weiterer Chancengleichheits-


gesetze, wie dem (bundesweit ersten) Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG),
dem Landesgleichstellungsgesetz (LGG) und dem Landesgleichberechtigungsgesetz
(LGBG). Auf Bundesebene ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) insofern
regelungsverwandt, als dass es positive Maßnahmen zulässt, vgl. § 5 AGG (instruktiv
dazu Schlachter 2022, § 5 Rn. 1-5). Ausweislich der Gesetzesbegründung geht das
PartMigG von einem „funktionalen und konkurrenzlosem Nebeneinander“ (AGH
Drs. 18-3631, S. 29) der Gesetze aus.

3.1 Gesetzesziele und Geltungsbereich

Die Zielsetzung des PartMigG ist ausweislich § 1 S. 1 PartMigG die Förderung der
Partizipation und Stärkung der Integration und die Durchsetzung der gleichberechtigten
Teilhabe von Personen mit Migrationsgeschichte in allen Lebensbereichen. Hierzu
gehört: die migrationsgesellschaftliche Ausrichtung der Verwaltung (§ 1 S. 2 Nr. 1
PartMigG), die Förderung der Beschäftigung von Personen mit Migrationshinter-
grund im öffentlichen Dienst (§ 1 S. 2 Nr. 2 PartMigG) und die Sicherung und Weiter-
entwicklung der die Partizipation fördernden Strukturen auf Landes- und Bezirksebene
(§ 1 S. 2 Nr. 3 PartMigG).
Ein Bekenntnis zu Vielfalt und die Anerkennung und Wertschätzung der Berliner
Migrationsgesellschaft, definiert durch eine von Migration und Vielfalt geprägte Stadt-
gesellschaft (vgl. AGH Drs. 18/3631, S. 32) enthält § 2 Abs. 1 PartMigG. Daneben
wird klargestellt, dass die Migrationsgesellschaft die Integrationsfähigkeit aller Teile
der Bevölkerung voraussetzt. Das meint insbesondere die gesellschaftliche Fähigkeit,
produktiv mit Migration umzugehen und Chancengleichheit und Teilhabechancen für
alle Mitglieder der Gesellschaft zu gewährleisten (§ 2 Abs. 2 PartMigG). § 2 Abs. 3 und
4 PartMigG legen den Rahmen der gesetzlichen Zielsetzung fest, wobei Absatz 3 auf
die Notwendigkeit von Offenheit, Respekt und Veränderungsbereitschaft hinweist und
304 K. Jäger und B. Bekos

Absatz 4 ein Bekenntnis gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus und anderer
Formen der Diskriminierung enthält.
Der Geltungsbereich des Gesetzes erstreckt sich gem. § 4 Abs. 1 PartMigG auf die
gesamte Berliner Verwaltung sowie landesunmittelbare öffentlich-rechtlichen Körper-
schaften (z. B. Handwerkskammer), Anstalten (z. B. Stadtreinigung und Verkehrs-
betriebe) und Stiftungen (z. B. Kulturbetriebe). Gerichte, Staatsanwaltschaft, der
Verfassungsgerichtshof und das Abgeordnetenhaus sind außerhalb ihrer justiziellen
Tätigkeit an das PartMigG gebunden. Soweit das Land Berlin an juristischen Personen
des Privatrechts oder Personengesellschaften Beteiligungen hält, sieht § 4 Abs. 2
PartMigG vor, dass das Land bei einer Mehrheitsbeteiligung auf die entsprechende
Umsetzung der Ziele, Grundsätze und Maßnahmen hinwirkt und sich bei einer Minder-
heitsbeteiligung für die Umsetzung und Beachtung einsetzt.

3.2 Türen öffnen für wen?

In § 3 Absatz 1 und 2 PartMigG wird der persönliche Anwendungsbereich der


Fördermaßnahmen festgelegt. Die Mehrheit der Regelungen im PartMigG adressiert
Personen mit Migrationsgeschichte, also „Personen mit Migrationshintergrund, Personen,
die rassistisch diskriminiert werden und Personen, denen ein Migrationshintergrund
allgemein zugeschrieben wird“ (§ 3 Abs. 1 PartMigG), wobei die Zuschreibung „ins-
besondere an phänotypische Merkmale, Sprache, Namen, Herkunft, Nationalität und
Religion anknüpfen“ kann. Die Regelungen zur gezielten Förderung der Beschäftigung
von Personen mit Migrationshintergrund im Öffentlichen Dienst richtet sich (mit Aus-
nahme des § 10 PartMigG, dazu unten Abschn. 5.4) an Personen mit Migrationshinter-
grund, welcher gem. § 3 Abs. 2 PartMigG vorliegt, wenn die Person selbst oder mindestens
ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt. Das Vor-
gängergesetz PartIntG hatte als Zielgruppe noch ausschließlich Personen mit Migrations-
hintergrund. Im Diskurs wird diese Kategorie auch als „gleichzeitig zu eng und zu weit“
(Grünberger et al. 2021, S. 17) beschrieben: der Migrationshintergrund kann nicht in allen
Fällen Auskunft darüber geben, ob eine Person Zugangshürden oder Benachteiligungen
erfährt. Zudem wird „Migrationshintergrund“ vielfach als stigmatisierend abgelehnt
(Evaluation des Gesetzes zur Regelung von Partizipation und Integration in Berlin,
Abschlussbericht, Februar 2019, S. 12). Mit dem Begriff der Migrationsgeschichte soll
eine „Wertschätzung der Biografien und Geschichten“ ausgedrückt werden. Indem soziale
Zuschreibungen berücksichtigt werden, wird dem Gesetzesziel, strukturelle Nachteile zu
beseitigen, eher entsprochen (AGH Drs. 18/3631, S. 33; siehe auch Liebscher 2019, S. 48).
Als Beispiel für Menschen, die per Definition zwar keinen Migrationshintergrund haben,
aber beispielsweise rassistische Diskriminierung aufgrund ihres Namens, Aussehens,
ihrer Religion oder Sprache erfahren, werden schwarze Deutsche, deutsche Sinti*zze
und Rom*nja oder Personen, deren Einwanderungsgeschichte länger als in die zweite
Generation zurückreicht, genannt (AGH Drs. 18/3631, S. 33).
Affirmative Action in der Verwaltung? Das Berliner … 305

4 Eine migrationsgesellschaftlich ausgerichtete Verwaltung

Die Vorschriften zur migrationsgesellschaftlichen Ausrichtung der Verwaltung und


zur migrationsgesellschaftlichen Kompetenz lösen die Regelungen des PartIntG zur
interkulturellen Öffnung ab. Hiermit nimmt das PartMigG einen überfälligen Para-
digmenwechsel vor. Bei einem geschätzten Anteil von 37 % von Menschen mit
Migrationshintergrund an der Bevölkerung Berlins kann von einer Öffnung keine
Rede mehr sein. Ebenso veraltet erscheint der Begriff der interkulturellen Kompetenz,
suggeriert er doch unterschiedliche, vermeintlich klar voneinander abgrenzbare Kulturen
(vgl. Evaluation des Gesetzes zur Regelung von Partizipation und Integration in Berlin,
Abschlussbericht, Februar 2019, S. 36).

4.1 Belange der Migrationsgesellschaft berücksichtigen

Im Sinne eines „migrationsgesellschaftlichen Mainstreamings“ haben öffentliche Stellen


(§ 4 Abs. 1 PartMigG) nach § 5 Abs. 1 S. 1 PartMigG in ihrem Zuständigkeitsbereich die
Belange der Migrationsgesellschaft zu berücksichtigen. Nach § 5 Abs. 1 S. 2 PartMigG
richten öffentliche Stellen ihre Aufgabenwahrnehmung bedarfs- und zielgruppengerecht
aus, was eine Einbeziehung der jeweiligen Zielgruppe in die Entscheidungsprozesse
voraussetzt. Führungskräfte werden von § 5 Abs. 2 PartMigG bei der Umsetzung dieser
Aufgabe besonders in die Verantwortung genommen. Der Senat soll nach § 5 Abs. 3
PartMigG landesweite Maßnahmen zur Stärkung der gleichberechtigten Teilhabe
und zur Beseitigung struktureller Benachteiligungen von Menschen mit Migrations-
geschichte ergreifen. Zu möglichen Maßnahmen gehören laut Gesetzesbegründung auch
Instrumente wie die Gründung von Mentoring-Programmen für oder Netzwerke von
Personen mit Migrationsgeschichte in der Verwaltung (AGH Dr. 18/3631, S. 37).

4.2 Migrationsgesellschaftliche Kompetenz stärken

Eine migrationsgesellschaftlich ausgerichtete Verwaltung ist auf die Kompetenz ihrer


Mitarbeitenden angewiesen. In § 3 Abs. 4 PartMigG wird migrationsgesellschaftliche
Kompetenz definiert als Fähigkeit:

bei Vorhaben, Maßnahmen und Programmen die Auswirkungen auf Personen mit und
ohne Migrationsgeschichte beurteilen und ihre Belange berücksichtigen zu können,
die durch Diskriminierung und Ausgrenzung von Personen mit Migrationsgeschichte
entstehenden teilhabehemmenden Auswirkungen zu erkennen und zu überwinden
sowie
insbesondere im beruflichen Kontext Personen mit Migrationsgeschichte respektvoll
und frei von Vorurteilen und Diskriminierung zu behandeln.
306 K. Jäger und B. Bekos

Nach § 6 Abs. 1 S. 2 PartMigG kann migrationsgesellschaftliche Kompetenz auch im


Rahmen von Diversity-Schulungen erworben werden, trotzdem steht sie eigenständig
neben Diversity-Kompetenz und ergänzt diese (Evaluation des Gesetzes zur Regelung
von Partizipation und Integration in Berlin, Abschlussbericht, Februar 2019, S. 35 f.).
Migrationsgesellschaftliche Kompetenz ist auch ein Leistungskriterium für
Beschäftigte und wird nach § 6 Abs. 2 PartMigG bei der Beurteilung ihrer Eignung,
Befähigung und fachlichen Leistung berücksichtigt. In Berlin wurde dafür eine Ver-
ankerung im Anforderungsprofil vorgesehen (Rundschreiben der Senatsverwaltung für
Finanzen, SenFin IV Nr. 74 (2021).

5 Türen öffnen – Beschäftigung von Personen mit


Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst

Zur gezielten Förderung der Beschäftigung von Personen mit Migrationshintergrund im


öffentlichen Dienst, werden öffentliche Stellen verpflichtet, den Anteil der Personen mit
Migrationsgeschichte zu erheben. Weiterhin ist eine gezielte Förderung bei Stellenaus-
schreibungen Auswahlverfahren, Einstellungen und der Vergabe von Ausbildungsplätzen
verankert.

5.1 Entsprechend dem Anteil an der Bevölkerung

§ 7 Abs. 1 PartMigG enthält einen Auftrag an das Land Berlin, die Beschäftigung von
Personen mit Migrationshintergrund zu fördern, entsprechend ihrem Anteil an der
Berliner Bevölkerung. Hinter diesem Auftrag und dem PartMigG insgesamt stehen
statistische Daten, die zeigen, dass in Berlin zwar 35 % der Bevölkerung, aber nur
12 % der Beschäftigten einen Migrationshintergrund haben (AGH Dr. 18/3631, S. 39
mit Nachweisen). Referenzgröße und Zielvorgabe ist der Anteil der Personen mit
Migrationshintergrund an der Bevölkerung des Landes Berlin im Sinne des Mikro-
zensus. Da in der Bevölkerungsstatistik zumindest bislang die Größe „Personen mit
Migrationshintergrund“ verwendet wird, muss sich das PartMigG anpassen und könnte
nicht – zumindest nicht ohne Verlust einer Referenzgröße – den weiteren Begriff der
Migrationsgeschichte verwenden.
Nach § 7 Abs. 2 PartMigG muss der Senat eine landesweite Strategie entwickeln und
Maßnahmen ergreifen, um die Beschäftigung von Personen mit Migrationshintergrund
zu fördern. Diese Strategie wird sich mit weiteren landesweiten Strategien koordinieren
müssen, insbesondere mit dem Diversity-Landesprogramm, das zahlreiche Maßnahmen
im Bereich Personalmanagement enthält (AGH-Drs. 18/3015; dazu und zu Diversity
Prozessen in der Verwaltung umfassend Dudek und Collien 2023).
Vom Senat wird die Verantwortung in § 7 Abs. 3 PartMigG wieder zurück zu den
öffentlichen Stellen gegeben, die aktiv auf die Förderung der Beschäftigung von
Affirmative Action in der Verwaltung? Das Berliner … 307

Personen mit Migrationshintergrund hinwirken sollen, entsprechend der detaillierten


Vorgaben der §§ 9 bis 14 PartMigG. Zur Einhaltung der Verpflichtung hält § 7
Abs. 3 S. 2 PartMigG insbesondere Führungskräfte. Im Bereich der Personalentwicklung
sollen Führungskräfte stetig die Möglichkeiten von Qualifikation und Förderung ihrer
Beschäftigten mit Migrationshintergrund prüfen und fördern (AGH Drs. 18/3631, S. 40).

5.2 Datenerhebung

§ 8 PartMigG schafft eine Rechtsgrundlage für die Erhebung des Migrationshinter-


grundes der Beschäftigten und sich bewerbenden Personen. Daneben wurde mit der
Novelle auch die Rechtsgrundlage zur Erstellung der Personalstrukturstatistik ent-
sprechend erweitert (§ 6 Abs. 5 Nr. 2 lit. h und i Personalstrukturstatistikgesetz). Jede
öffentliche Stelle (§ 4 Abs. 1 PartMigG) erhebt nach Einholung einer schriftlichen oder
elektronischen Einwilligung, ob die sich bewerbenden Personen und Beschäftigten
einen Migrationshintergrund (§ 3 Abs. 2 PartMigG, siehe oben Abschn. 3.2) haben,
§ 8 Abs. 1 S. 1 PartMigG. Zielgruppe der Datenerhebung sind nicht nur Personen mit,
sondern auch ohne Migrationshintergrund. Das Datum Migrationshintergrund ist als
eine besondere Kategorie personenbezogener Daten gem. Art. 9 Abs. 1 der Daten-
schutzgrundverordnung (DSGVO) einzuordnen, da gegebenenfalls Rückschlüsse auf
die ethnische Herkunft möglich sind. Die Einwilligung muss sich daher explizit auf den
Migrationshintergrund beziehen und dient dann als Rechtfertigung der Verarbeitung, vgl.
Art. 9 Abs. 2 lit. a) DGSVO. Im Bereich des Beschäftigtendatenschutzes erlaubt Art.
88 Abs. 1 DGSVO den Mitgliedsstaaten eigene Regelungen zur Verarbeitung personen-
bezogener Daten im Beschäftigtenkontext zu erlassen, was auf Bundesebene in § 26
Bundesdatenschutzgesetz erfolgt, auf den § 18 Berliner Datenschutzgesetz verweist.
Aufgrund der Sensibilität sind die Daten zum Migrationshintergrund mit Blick auf die
Zugangsrechte besonders zu schützen. Der Kreis der zum Zugriff Berechtigten muss so
klein wie möglich gehalten werden und die Speicherung nach Möglichkeit getrennt von
den weiteren Personaldaten erfolgen, beispielsweise in einer Beiakte.
§ 8 Abs. 1 S. 3 PartMigG stellt klar, dass Benachteiligungen aufgrund von Angaben
oder fehlenden Angaben verboten sind, während § 8 Abs. 1 S. 4 PartMigG den jeder-
zeit möglichen Widerruf der Einwilligung aufzeigt, welcher eine sofortige Löschung
der Daten zur Folge hat (§ 8 Abs. 1 S. 4 PartMigG). Die Anforderungen an die zur Ein-
willigung zu gebenden Hinweise werden in § 8 Abs. 2 PartMigG aufgeführt.
Die Angabe zum (fehlenden) Migrationshintergrund ist freiwillig (§ 8 Abs. 2 Nr. 1
PartMigG), was der Validität der Daten nicht entgegenstehen soll. Bei entsprechender
Aufklärung der Beschäftigten und sich bewerbenden Personen geht die Gesetzgebung
von einer hohen Bereitschaft der Zurverfügungstellung der Daten und insgesamt von
einer zu erwartenden ausreichenden Datenmenge aus (AGH Drs. 18/3631, S. 41 f.).
In der praktischen Durchführung der Datenerhebung ist je nach Gegebenheiten in der
öffentlichen Stelle eine schriftliche oder elektronische Erhebung zu koordinieren, die
308 K. Jäger und B. Bekos

unbedingt von einer entsprechenden Informations- und Akzeptanzkampagne zu begleiten


ist. Flankierend und der Programmatik des PartMigG folgend, steht die zuständige
Senatsverwaltung im Austausch mit Organisationen von Menschen mit Migrations-
geschichte und weiteren antidiskriminierungspolitischen Akteur*innen. So soll die
Bereitschaft an der Teilnahme an der Datenerhebung erhöht und über die Ziele und
Zwecke der Datenerhebung bestmöglich aufgeklärt werden.

5.3 Bestandsaufnahme und Förderpläne

Zur Umsetzung der Ziele des PartMigG im Bereich Beschäftigung ist eine Bestands-
aufnahme und Analyse der nach § 8 PartMigG erhobenen Daten notwendig. § 9 Abs. 1
PartMigG verpflichtet daher jede öffentliche Stelle (§ 4 Abs. 1 PartMigG) mit 40 oder
mehr Beschäftigten, eine Analyse der Beschäftigtenstruktur durchzuführen. Auf-
gegliedert nach Besoldungs- und Entgeltgruppen sowie Vorgesetzten- und Leitungs-
ebene ist der Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund zu erheben, § 9
Abs. 1 S. 2 PartMigG. Auch der Anteil an Auszubildenden und Beamtenanwärter*innen
mit Migrationshintergrund ist festzustellen, getrennt nach Laufbahn, Fachrichtung und
Ausbildungsberuf, § 9 Abs. 1 S. 3 PartMigG. Aus der Bestandsaufnahme darf kein Rück-
schluss auf einzelne Beschäftigte möglich sein, § 9 Abs. 1 S. 4 PartMigG.
Die Erhebung des Migrationshintergrundes ist insbesondere für die Erstellung der
Förderpläne in den jeweiligen Dienststellen erforderlich, welche § 9 Abs. 2 PartMigG
vorsieht. Erkennbares Vorbild sind die aus der Frauenförderung bekannten Frauen-
förderpläne, § 4 LGG (dazu auch Liebscher 2019, S. 27–29), bzw. Gleichstellungspläne
(§ 11 ff. Bundesgleichstellungsgesetz, BGleiG). Die Planerstellung soll dazu dienen,
genau auf die spezifische Dienststelle angepasste personalplanerische Schritte zum
Abbau von Nachteilen der dort beschäftigten Personen mit Migrationshintergrund ein-
zuleiten und ist unabhängig vom Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund in
der jeweiligen Dienststelle (AGH Drs. 18/2631 S. 43). Denn auch bei einem bereits dem
Anteil an der Bevölkerung entsprechenden (oder darüber hinausgehenden) Anteil von
Beschäftigten mit Migration können weitere Fördermaßnahmen notwendig sein. Aus
datenschutzrechtlicher Sicht ist zu erwähnen, dass der für die Erstellung der Förderpläne
zuständigen Person in der jeweiligen Dienststelle eine Leseberechtigung für das Datum
Migrationshintergrund eingeräumt sein muss, allerdings ohne die Zuordnungsmöglich-
keit zu den konkreten Beschäftigten.
Nach § 9 Abs. 3 PartMigG enthält der Förderplan Maßnahmen zur Personal-
gewinnung und muss darauf ausgerichtet sein, in den einzelnen Besoldungs- und Ent-
geltgruppen der Laufbahnen und Berufsfachrichtungen sowie der Vorgesetzten- und
Leistungsebene den Anteil an Personen mit Migrationshintergrund sicherzustellen, wofür
konkrete Zielvorgaben enthalten sein müssen. Die Förderpläne sollen für einen Zeit-
raum von 5 Jahren erstellt und danach fortgeschrieben werden, wobei nach 3 Jahren eine
Anpassung and die aktuelle Entwicklung vorgesehen ist, § 9 Abs. 2 S. 3 PartMigG.
Affirmative Action in der Verwaltung? Das Berliner … 309

Die im Förderplan festzulegenden Maßnahmen zur Personalgewinnung müssen


mindestens festlegen, in welchem Zeitrahmen und mit welchen personellen,
organisatorischen und fortbildenden Maßnahmen die Ziele der Anhebung des Anteils
der Beschäftigten mit Migrationshintergrund erreicht werden sollen, § 9 Abs. 4
PartMigG. Öffentliche Stellen können dabei auf die Unterstützung der zum PartMigG
einzurichtende Fachstelle (§ 15 Abs. 6 PartMigG) zurückgreifen und sich auch auf die
Strategie des Senats (§ 7 Abs. 2 PartMigG) stützen, § 9 Abs. 5 PartMigG. Als konkrete
Maßnahmen der Personalgewinnung, die die einzelne öffentliche Stelle ergreifen kann,
nennt die Gesetzesbegründung als Beispiel:

„Gezielte Ansprache der Zielgruppe des PartMigG bei der Veröffentlichung der
Stellenausschreibung,
Schulungen für Führungskräfte zum Erwerb von migrationsgesellschaftlicher
Kompetenz
Analyse und ggf. Überarbeitung von Stellenausschreibungen und Anforderungs-
profilen sowie Einstellungsprozessen,
Fortbildungsmaßnahmen zum Thema diversitätsorientierte Bestenauslese für an
Personalauswahlprozessen beteiligte Mitarbeitende“ (AGH Drs. 18/3631).

5.4 Förderung bei Neueinstellungen

Um bei Neueinstellungen den Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund zu


erhöhen, enthält das PartMigG Maßnahmen für Stellenausschreibungen, das Auswahl-
verfahren und schließlich Einstellungen. Für Stellenausschreibungen wies bereits die
Vorgängerregelung des § 4 Abs. 4 S. 2 PartIntG die Verwaltung an, „darauf hinzuweisen,
dass Bewerbungen von Menschen mit Migrationshintergrund, die die Einstellungs-
voraussetzungen erfüllen, ausdrücklich erwünscht sind.“ Diese immer noch verbreitete
Formulierung scheint zu unterstellen, dass sich ohne die Klarstellung in Bezug auf die
Einstellungsvoraussetzungen verstärkt Menschen mit Migrationshintergrund bewerben
würden, die die geforderte Qualifikation nicht erfüllen. Ein mindestens missverständ-
liches bis kränkendes Signal, vor allem da eine vergleichbare Formulierung beispiels-
weise im Bereich Gleichstellung nicht üblich ist (vgl. § 6 Abs. 1 BGleiG, § 5 Abs. 5
LGG). Die nun in § 10 Abs. 1 PartMigG gewählte Formulierung, dass „Bewerbungen
von Menschen mit Migrationsgeschichte ausdrücklich erwünscht sind“ zeigt sich dem-
gegenüber offener. Dass an dieser Stelle Personen mit Migrationsgeschichte adressiert
werden und nicht wie sonst in diesem Abschnitt auf den Migrationshintergrund
abgestellt wird, lässt sich damit erklären, dass es bei der Ausschreibung (nur) darum
geht, den Kreis der sich Bewerbenden möglichst groß zu halten und gleichzeitig die
migrationsgesellschaftliche Ausrichtung der Verwaltung zu betonen. Erst in den weiteren
Auswahlschritten wird ein strikt messbares Datum benötigt und daher der Migrations-
hintergrund verwendet.
310 K. Jäger und B. Bekos

§ 10 Abs. 1 PartMigG begründet keinen Anspruch auf eine bevorzugte Einstellung


aufgrund des Migrationshintergrundes. Eine Vorwegnahme der Auswahlentscheidung
besteht ebenfalls nicht (AGH Drs. 18/3631, S. 44; dazu auch Ziekow 2013, S. 38). Im
vielfältigen Katalog der positiven Maßnahmen lässt sich die besondere Aufforderung
einer Gruppe sich zu bewerben als nicht weiter spezifizierte, gruppenbezogene
Maßnahme einordnen (Schuler-Harms 2022, Rn. 12). Zusätzlich zu öffentlichen Aus-
schreibungen sieht § 10 Abs. 2 PartMigG geeignete Personalmarketingmaßnahmen vor
zur gezielten Ansprache von Personen mit Migrationsgeschichte (siehe zu verschiedenen
Vorstößen BQN Berlin 2022).
Für das Auswahlverfahren schreibt § 11 Abs. 1 S. 1 PartMigG vor, dass mindestens
so viele Personen mit Migrationshintergrund zu Gesprächen einzuladen sind wie es
ihrem Anteil an der Berliner Bevölkerung entspricht. Konkretisiert und eingeschränkt
ist die „Einladungspflicht“ (Janda und Herbig 2022, S. 29) des § 11 Abs. 1 S. 1
PartMiG dadurch, dass die Bewerbungen auch in ausreichender Anzahl und mit der
geforderten Qualifikation vorliegen müssen. Die Regelung zielt darauf, die Chancen-
gleichheit im Auswahlverfahren zu verbessern. § 11 Abs. 1 S. 1 PartMigG kann zu einer
Benachteiligung von Bewerber*innen ohne Migrationshintergrund führen, wenn ins-
gesamt so viele Bewerbungen mit geeigneter Qualifikation vorliegen, dass nicht alle
im weiteren Auswahlverfahren berücksichtigt werden können. Dies ist rechtlich nur
zulässig, weil das Prinzip der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG) nicht angetastet wird
und eine Rechtfertigung dafür vorliegt, das Differenzierungskriterium Migrations-
hintergrund bei der Auswahl heranzuziehen (AGH-Drs. 18/3631, S. 45). Die Besten-
auslese nach Art. 33 Abs. 2 GG gibt als Kriterien des Auswahlverfahrens Befähigung,
fachliche Leistung und Eignung vor. Das gesamte Bewerbungsverfahren muss so aus-
gestaltet sein, dass unter allen Bewerber*innen ein materiell-rechtlich korrekte Aus-
wahlentscheidung getroffen werden kann (BAGE 104, 295, Rn. 31). Dem dient ein
vorher erstelltes Anforderungsprofil, das die für die jeweilige Stelle erforderliche Quali-
fikation, sowie Kriterien zur Würdigung der persönlichen Eignung und Leistung festlegt
(Janda und Herbig 2022, S. 29). Im Anforderungsprofil darf nicht durch Hilfskriterien
– wie beispielsweise das Vorhandensein eines Migrationshintergrundes – bestimmten
Bewerber*innen ein Vorteil gewährt werden (Janda und Herbig 2022, S. 14). Dies
tut § 11 Abs. 1 S. 1 PartMigG nicht, weshalb die Auswahlentscheidung anhand des
Leistungsgrundsatzes nicht beeinträchtigt wird (Janda und Herbig 2022, S. 29; AGH-
Drs. 18/3631, S. 45). Außerhalb von Befähigung, Qualifikation und Eignung ist die
Hinzuziehung eines weiteren Differenzierungskriteriums ist möglich, wenn es dazu
beiträgt, ein Gegengewicht zu den nachteiligen Auswirkungen zu schaffen, die sich für
Bewerber*innen aus diskriminierenden Einstellungen und Verhaltensmustern ergeben,
und damit in der sozialen Wirklichkeit bestehende faktische Ungleichheiten zu ver-
ringern (EuGH NJW 1997, 3429 Rn. 26). Genau auf ein solches zielt die Hinzuziehung
des Migrationshintergrundes. Angesichts der durch Studien belegten Erkenntnis, dass
Menschen mit Migrationshintergrund im Bewerbungsverfahren diskriminiert werden
(AGH-Drs. 18/3631, S. 45 unter Verweis auf Koopmans et al. 2018, S. 41), soll die Vor-
Affirmative Action in der Verwaltung? Das Berliner … 311

gabe des § 11 Abs. 1 S. 1 PartMigG Diskriminierung bei der Bewertung der Eignung
verhindern und mittelbar sichergestellt werden, dass Personen mit Migrationshinter-
grund Zugang zum gesamten Bewerbungsverfahren haben (AGH-Drs. 18/3631, S. 45).
§ 11 Abs. 1 S. 2 PartMiG stellt klar, dass die Regelungen des LGG unberührt bleiben.
Eine Dokumentation des Auswahlverfahrens nach § 11 Abs. 2 PartMigG soll sicher-
stellen, dass die Anstrengungen zum Abbau von Unterrepräsentanzen auch tatsächlich
unternommen werden. § 11 Abs. 3 PartMigG stellt klar, dass die Anforderungen des
PartMigG auch gelten, wenn Dritte mit der Durchführung des Auswahlverfahrens beauf-
tragt werden.

5.5 „Besondere Berücksichtigung“ bei Einstellungen als flexible


Quote

Durch § 12 Abs. 1 S. 1 PartMigG soll die Einstellung von Personen mit Migrations-
hintergrund in allen Laufbahngruppen, Berufsrichtungen und Leitungsfunktionen ent-
sprechend ihrem Anteil an der Berliner Bevölkerung gewährleisten und steigern, unter
Einhaltung der Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG (vgl. Abschn. 5.4) und Wahrung
der Einzelfallgerechtigkeit. Entsprechend geeignete Bewerber*innen sollen nach § 12
Abs. 1 S. 1 PartMigG „gezielt geworben“ und „in besonderem Maße berücksichtigt
werden“. Die allgemein gehaltene Vorgabe steht einer Einordnung der Regelung als
Quote nicht entgegen (vgl. Schuler-Harms 2022, Rn. 8). Das PartMigG bleibt hier –
anders als im Prozess der Neufassung teilweise vorgeschlagen (vgl. Liebscher 2019,
S. 55) hinter vergleichbaren Regelungen in Gleichstellungsgesetzen zurück, welche
bei einer Unterrepräsentanz von Frauen klar eine „Bevorzugung“ aussprechen, eben-
falls unter Wahrung der Einzelfallgerechtigkeit vgl. § 8 Abs. 1 S. 1 BGleiG. Nach § 12
Abs. 1 S. 2 PartMigG. Eine solche Bevorzugung lässt auch § 12 Abs. 1 S. 1 PartMigG
zu – er schreibt sie aber nicht zwingend vor und steht im Konkurrenzfall hinter den
Förderregelungen zugunsten von Frauen und Menschen mit Behinderungen zurück, § 12
Abs. 1 S. 2 PartMigG. Regelungen, die eine Bevorzugung bei gleicher Eignung unter
Wahrung der Einzelfallgerechtigkeit vorsehen, werden als flexible Quote bezeichnet und
als rechtlich zulässig erachtet (vgl. Janda und Herbig 2022, S. 11, 29 unter Darstellung
der EuGH Rechtsprechung), wobei teilweise über die Notwendigkeit einer verfassungs-
rechtlichen Grundlage diskutiert wird (zusammenfassend und überzeugend dagegen
Schuler-Harms 2022, Rn. 68). Die Dokumentationspflicht des § 12 Abs. 2 PartMigG ent-
spricht, auch in ihrer Zielsetzung der des § 11 Abs. 3 PartMigG.

5.6 Eine Quote für die Ausbildung

Für den Bereich Ausbildung macht § 13 Abs. 1 PartMigG die im Bereich der
Beschäftigung stärkste Vorgabe. Ausbildungsplätze sollen verstärkt von Personen mit
312 K. Jäger und B. Bekos

Migrationshintergrund und mindestens ihrem Anteil an der Bevölkerung Berlins ent-


sprechend besetzt werden, wobei die Einzelfallgerechtigkeit zu wahren ist und eine
gleiche Qualifikation wie die der Mitbewerbenden ohne Migrationshintergrund ebenso
wie ausreichend Bewerbungen von Personen mit Migrationshintergrund vorliegen
müssen. Die Gesetzesbegründung stellt klar, dass es sich hierbei um keine Quoten-
regelung handele, da kein absoluter Höchstsatz vorgeschrieben und außerdem kein
absoluter Vorrang festgelegt werde (AGH Drs. 18-3631, S. 48). Dies mag möglicher
Kritik zuvorkommen wollen, abschließend und überzeugend ist diese Einordnung aber
nicht. Quotenregelungen sind vielfältig und können das Besetzungsziel verbindlich vor-
geben oder in Form einer „Soll“-Regelung Spielräume ermöglichen (Schuler-Harms
2022, Rn. 3 ff. und Rn. 7).

6 Partizipation durch Beauftragte und Beiräte

Mit dem Ziel, die Partizipation fördernden Strukturen auf Landes- und Bezirks-
ebene zu stärken und zivilgesellschaftliche Organisationen einzubinden (§ 1 s. 2 Nr.
3 PartMigG), werden die Position und Aufgaben der oder des Beauftragten des Senats
für Partizipation, Integration und Migration in § 15 PartMigG und die der Bezirksbeauf-
tragten für Partizipation und Integration in § 16 PartMigG niedergelegt. Beide Positionen
beinhalten auch die Funktion als Ombudsperson als Beschwerde und Schlichtungsstelle
für Menschen mit Migrationsgeschichte bei Konflikten mit der Verwaltung, wobei von
einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der – mit mehr konkreten Kompetenzen aus-
gestatteten – Ombudsperson nach § 14 LADG ausgegangen wird (AGH Drs. 18/3631,
S. 50, 53).
Der Landesbeirat für Partizipation (§ 17 PartMigG) soll als Gremium von
Expert*innen zu Belangen der Migrationsgesellschaft und von Repräsentant*innen der
Migrationsgesellschaft den Austausch zwischen Zivilgesellschaft und Verwaltung sicher-
stellen. § 17 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 7 S. 5, 6, 8 PartMigG sehen vor, dass sich die Vielfalt
der Migrationsgesellschaft auch in der Besetzung des Beirats widerspiegelt und Ver-
tretungen von Aussiedler*innen, geflüchteter Menschen, einer LSBTI Selbstorganisation
von Menschen mit Migrationsgeschichte, Schwarzer, jüdischer und muslimischer
Menschen unter den stimmberechtigten Mitgliedern sind, davon mindestens die Hälfte
Frauen (AGH Drs. 18/3631, S. 55, vgl. dazu Verordnung über die Wahl zum Landesbei-
rat für Partizipation).
Gegenüber dem PartIntG neu geschaffen ist der in § 18 PartMigG vorgesehene Beirat
für Angelegenheiten für Roma und Sinti, welcher den Senat bei Fragen der Partizipation
und gleichberechtigten Teilhabe von Sinti*zze und Rom*nja unterstützen und beraten
soll, § 18 Abs. 1 PartMigG. Auch hier sind Quotierungen vorgesehen, § 18 Abs. 3 Nr. 1
PartMigG.
Affirmative Action in der Verwaltung? Das Berliner … 313

7 Fazit und Ausblick

In der Zusammenschau seiner Maßnahmen kann das PartMigG als derzeit fortschritt-
lichstes Gesetz seiner Art eingeordnet und damit als Meilenstein moderner Verwaltungs-
praxis im Bereich der Partizipation von Menschen mit Migrationsgeschichte bezeichnet
werden. Die Einführung des Begriffs Menschen mit Migrationsgeschichte ins Recht ist
wegweisend, ebenso wie die umfassende migrationsgesellschaftliche Ausrichtung der
Verwaltung. Wie die Regelungen vor allem zur Erhebung des Migrationshintergrundes
der Beschäftigten den Praxistest überstehen, bleibt abzuwarten, in jedem Fall bilden
sie einen Impuls und Aufschlag für die Weiterentwicklung entsprechender Maßnahmen
auf Landes- und Bundesebene. Die für den Bereich Beschäftigung ergriffenen positiven
Maßnahmen können in Zukunft in ihrer Verbindlichkeit noch gestärkt werden, belegen
aber bereits jetzt, wie auch die weiteren Maßnahmen des PartMigG, eine wahre
Bekräftigung, eine Affirmation von Vielfalt.

Literatur

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Diversity-Landesprogramm
Abgeordnetenhaus Berlin: Drucksache 18/3631 vom 27.04.2021, Vorlage zur Beschlussfassung –
Gesetz zur Neuregelung der Partizipation in Berlin
Abgeordnetenhaus Berlin: Drucksache 18/0073 vom 10.01.2021, Vorlage zur Beschlussfassung –
Billigung der Richtlinien der Regierungspolitik
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Migranten-oeff-Dienst_Prof-Ziekow_2013.pdf (2013). Zugegriffen: 19. Januar 2023

Kathleen Jäger, LL.M., Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, Beauftragte des
Senats von Berlin für Integration und Migration.
Kathleen Jäger ist juristische Regierungsrätin bei der Senatsverwaltung für Inneres,
Digitalisierung und Sport und derzeit zur Beauftragten des Senats von Berlin für Integration und
Migration abgeordnet, wo sie im Referat Partizipation in der Migrationsgesellschaft tätig ist. Als
Juristin und Diversity-Trainerin befasst sie sich seit über 10 Jahren mit Diversity und Antidis-
kriminierung in der Verwaltung. Zuvor war sie bei der Berliner Ombudsstelle für das Landesanti-
diskriminierungsgesetz tätig.

Belma Bekos, Berlin, Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, Beauftragte des
Senats von Berlin für Integration und Migration.
Belma Bekos ist juristische Referentin im Referat Partizipation in der Migrationsgesell-
schaft bei der Beauftragten des Senats von Berlin für Integration und Migration und dort mit
der Umsetzung des Partizipationsgesetzes betraut. Zuvor war sie an der Novellierung des
Partizipationsgesetzes beteiligt. Vor dem Eintritt in die Berliner Landesverwaltung war Belma
Bekos im Bundestag als wissenschaftliche Mitarbeiterin eines Abgeordneten tätig und hat dort
rechtspolitisch unter anderem in den Bereichen soziale Grundrechte, Armutsdelikte und Ersatzfrei-
heitsstrafen gearbeitet.
Institutionalisierte Akteur*innen als
Impulsgeber*innen für Vielfalt (Teil
1): Diversitätspolitischer Auftrag
von Personalverwaltung, Personal-
und Schwerbehindertenvertretung,
Gleichstellungsbeauftragten sowie AGG-
Beschwerdestellen

Tessa Maria Hillermann

Zusammenfassung

Dieser Beitrag widmet sich der Frage, welche Stellung und Handlungsmöglichkeiten
die Personalverwaltung, Personal- und Schwerbehindertenvertretung, Gleichstellungs-
beauftragte sowie AGG-Beschwerdestellen in der öffentlichen Verwaltung haben,
um Vielfalt aktiv wertzuschätzen, zu fördern und wie durch ihr konsensorientiertes
Zusammenwirken ein kultureller Wandel in der Verwaltung gestärkt und erreicht
werden kann. Dabei wird das Bundesrecht zugrunde gelegt.

Schlüsselwörter

Personalverwaltung · Personalvertretung · Personalrat ·


Schwerbehindertenvertretung · Gleichstellungsbeauftragte ·
AGG-Beschwerdestellen

Die Autorin dankt Rechtsanwalt Victor Görlich für das Korrekturlesen.

T. M. Hillermann ( )
Hamburg, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 315
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_24
316 T. M. Hillermann

1 Einleitung

Die Frage danach, wie der öffentliche Dienst vielfältiger, inklusiver und offener gestaltet
werden kann, bietet eine große Chance, bestehende Strukturen der deutschen Ver-
waltung weiterzudenken, institutionalisierte Akteur*innen handlungsstärker zu machen
sowie deren zeitliche und sachliche Ressourcen und Expertisen zusammenzuführen. Nur
durch eine Bündelung von unterschiedlichen Erfahrungswerten und Perspektiven kann
Diversity als Querschnittsthema nachhaltig Eingang in verwaltungsinterne Prozesse und
Strukturen finden.
Dieser Beitrag widmet sich der Frage, welche Stellung und Handlungsmöglichkeiten
verschiedene Akteur*innen in der Verwaltung haben, um Vielfalt aktiv wertzuschätzen,
zu fördern und wie durch ihr konsensorientiertes Zusammenwirken ein kultureller
Wandel in der Verwaltung gestärkt und erreicht werden kann. Dabei wird das Bundes-
recht zugrunde gelegt.
In Teil 1 dieses Fachbeitrages wird zunächst der maßgebliche Rechtsrahmen auf-
gezeigt. Sodann werden die entscheidenden Akteur*innen der Verwaltung und deren
rechtlichen Aufgabenbereiche und Handlungsoptionen zur gemeinsamen Umsetzung von
Diversity-1Ansätzen vorgestellt. In einem Zwischenfazit wird resümiert, inwieweit von
einem diversitätspolitischen Mandat gesprochen werden kann.
Die Fortführung im späteren Teil 2 des Fachbeitrages verdeutlicht an den konkreten
Beispielen Gleichstellungsplan, Inklusionsvereinbarung, Fortbildungsangebot und
Stellenausschreibungen, wie ein gewinnbringendes diversitätspolitisches Zusammen-
wirken aussehen kann. Die Ansätze und Ergebnisse der Untersuchung werden schließlich
in einem Fazit und Ausblick zusammengeführt.
Vorliegend werden vor allem Organisationen, Strukturen und Prozesse in den Blick
genommen. Bei der Lektüre aller hier betrachteten strukturellen Fragen soll aber die
Einzigartigkeit jeder Diskriminierung und der damit einhergehenden Erfahrung hiervon
betroffener Personen nicht vergessen werden.

1 Diversity wird im Deutschen mit dem Begriff Vielfalt übersetzt und meint die Vielfalt aller
Menschen zum Beispiel in Bezug auf Alter, geschlechtlicher Identität, Religion/Weltanschauung
oder sexueller Identität. In diesem Kontext wird der Begriff Diversity vor allem als Organisations-
und Personalentwicklungsinstrument verwendet, das auf Qualitätssicherung in der Entscheidungs-
findung, Konsens und Kreativität in Arbeitsprozessen und mehr sozialer Gerechtigkeit führt, siehe
zur Definition: Diversity-Prozesse in und durch Verwaltungen anstoßen: von merkmalsspezifischen
zu zielgruppenübergreifenden Maßnahmen zur Herstellung von Chancengleichheit – Eine Hand-
reichung für Verwaltungsbeschäftigte –, Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2015, S. 10 ff.
Institutionalisierte Akteur*innen als Impulsgeber*innen … 317

2 Rechtlicher Rahmen

Es gibt eine Reihe gesetzlicher Grundlagen, die Vielfalt und Diversität in der Verwaltung
ermöglichen, vorsehen und unterstützen. Antidiskriminierungsrecht des öffentlichen
Dienstes soll hier in einem weiten Sinne verstanden werden. Es umfasst demnach alle
rechtlichen Grundlagen zum Schutz vor Diskriminierung sowie der Förderung von
Chancengleichheit und Gleichbehandlung und alle Normen, die Vorurteile und dis-
kriminierende Verhaltensweisen abbauen können.
Verfassungsrechtliche Vorgaben, die für Antidiskriminierung und Chancengleichheit
im öffentlichen Dienst eine Rolle spielen, ergeben sich insbesondere aus dem Gleich-
berechtigungsgebot in Art. 3 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz (GG)2 und den Diskriminierungs-
verboten des Art. 3 Abs. 3 GG. Zudem sichern Art. 33 Abs. 2 und Abs. 3 GG mit
dem Prinzip der Bestenauslese einen diskriminierungsfreien, am Leistungsprinzip
orientierten, Zugang zu öffentlichen Ämtern.3 Daneben können sich Pflichten aus völker-
rechtlichen Verträgen ergeben.4
Diese Vorschriften werden durch einfache Gesetze näher ausgestaltet und
konkretisiert. Besonders hervorzuheben sind dabei das Allgemeine Gleichbehandlungs-
gesetz (AGG)5, das Schwerbehindertenrecht (SGB IX)6 sowie Gleichstellungsgesetze
(z. B. BGleiG7) und Behindertengleichstellungsgesetze (z. B. BGG8) des Bundes und der
Länder.

2 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.05.1949, BGBl. 1, zuletzt geändert
durch Artikel 1 des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 87a) vom 28. Juni 2022,
BGBl. I, 968.
3 Hinnerk Wißmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Ver-

waltungsrechts, Band I: Methoden, Maßstäbe, Aufgaben, Organisation, 2006, § 15 Rn. 50; v.


Roetteken, BGleiG, 83. Akt. 01.2021, § 1 Rn. 39, 41, 42; Böhm, ZBR 2016, 145, 151 ff.; zum
Recht auf einen beamtenrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch gemäß Art. 33 Abs. 2 GG in
Verbindung mit den Schutzrechten der Gleichstellungsbeauftragten (Benachteiligungsverbot) nach
§ 28 BGleiG: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.10.2017–1 B 1007/17 –, juris, Rn. 4,
31; vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 13.10.2017–5 ME 153/17 –, juris, Rn. 34; Sodan/
Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 9. Aufl. 2020, § 47 Rn. 3.
4 Z. B. Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechts-

konvention, UN-BRK) vom 13. Dezember 2006.


5 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897), zuletzt geändert

durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. Mai 2022, BGBl. I, 768.
6 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch vom 23. Dezember 2016, BGBl. I, 3234, zuletzt geändert durch

Artikel 13 des Gesetzes vom 24. Juni 2022, BGBl. I, 959.


7 Care-Arbeit bezeichnet Sorgearbeit oder Sorgetätigkeiten für Menschen: Kirsten Schleiwe,

NZFam 2022, 45.


8 Behindertengleichstellungsgesetz vom 27. April 2002, BGBl. I, 1467, 1468, zuletzt geändert

durch Artikel 7 des Gesetzes vom 23. Mai 2022, BGBl. I, 760.
318 T. M. Hillermann

Diese ausdrücklichen antidiskriminierungsrechtlichen Gesetze werden flankiert durch


eine Reihe weiterer gesetzlicher Regelungen, die gerade mit Blick auf intersektionale
Diskriminierungen von großer Bedeutung sind. Gemeint sind zum Beispiel Gesetze, die
Care-Arbeit9 adressieren oder Arbeitszeiten regeln, z. B. Pflegezeitgesetz (PflegeZG)10
oder das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG)11.
In diesem Beitrag soll es daneben auch um Gesetze gehen, die allgemein
(Beteiligungs-) Prozesse in der Verwaltung verankern oder steuern und dadurch Aus-
wirkungen auf eine wertschätzende und diskriminierungsfreie Verwaltungsorganisation
allgemein haben. Das sind zum Beispiel Personalvertretungsgesetze (z. B. BPersVG12)
und Beamt*innengesetze (z. B. BBG13). Diese Gesetze haben wichtige Implikationen
für die Schaffung eines diskriminierungsfreien Verwaltungsalltags, auch wenn sie nicht
immer ausdrücklich Diskriminierungstatbestände regeln.
Darüber hinaus gibt es in einigen Bundesländern Vorgaben, die die vorgenannten
Regelungen zum dienststelleninternen Miteinander modifizieren, zum Beispiel das
Landesantidiskriminierungsgesetz Berlin (LADG)14, welches auch das Verhältnis
von Verwaltungen und Bürger:innen in den Blick nimmt oder das Partizipationsgesetz
(PartMigG)15, das eine gezielte Förderung von Personen mit Einwanderungsgeschichte
im öffentlichen Dienst vorsieht.
Fokus dieses Fachbeitrages ist das Zusammenspiel und Ineinandergreifen rechtlicher
Handlungsoptionen und -anordnungen verschiedener Akteur*innen nach AGG, BGleiG,
SGB IX, BGG und BPersVG, um die darin enthaltenen Ansätze und Rahmenbedingungen
mit Blick auf diversitätssensible Organisationsgestaltung in der Verwaltung aufzuzeigen.

9 Care-Arbeit bezeichnet Sorgearbeit oder Sorgetätigkeiten für Menschen. Davon umfasst sind
alle Arbeiten, die gesellschaftlich und individuell der Versorgung, Unterstützung, Erziehung,
Zuwendung und Pflege anderer Menschen dienen sowie die Gestaltung von Beziehungen, sozialem
Miteinander und Alltagsmanagement. Neben der Sorge für andere ist auch die Selbstsorge umfasst.
Care-Arbeit kann bezahlt und im Rahmen der Erwerbstätigkeit oder unbezahlt und ehrenamtlich
erfolgen. Die Organisation, Bedeutung und Praxis von Care-Arbeit hängen dabei im Einzelfall von
dem Kontext und den Lebensumständen ab, in denen sie ausgeübt wird. Der Begriff wird in ver-
schiedenen Fachgebieten verwendet, Kirsten Schleiwe, NZFam 2022, 45; Regina Frey, GiP 3/2020,
51.
10 Pflegezeitgesetz vom 28. Mai 2008, BGBl. I, 874, 896, zuletzt geändert durch Artikel 3b des

Gesetzes vom 16. September 2022, BGBl. I, 1454.


11 Teilzeit- und Befristungsgesetz vom 21. Dezember 2000, BGBl. I S. 1966, zuletzt geändert

durch Artikel 7 des Gesetzes vom 20. Juli 2022, BGBl. I, 1174.
12 Bundespersonalvertretungsgesetz vom 9. Juni 2021, BGBl. I, 1614.

13 Bundesbeamtengesetz vom 5. Februar 2009, BGBl. I, 160, das zuletzt durch Artikel 1 des

Gesetzes vom 28. Juni 2021, BGBl. I, 2250, geändert worden ist.
14 Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) vom 11.06.2020, GVBl. 2020, 532.

15 Gesetz zur Förderung der Partizipation in der Migrationsgesellschaft des Landes Berlin vom

05.07.2021, GVBl. 2021, 842. Siehe zu diesem Gesetz den Beitrag von Belma Bekos/Kathleen
Jäger in diesem Handbuch.
Institutionalisierte Akteur*innen als Impulsgeber*innen … 319

3 Verwaltungsinterne Akteur*innen und ihr


diversitätspolitischer Auftrag

Institutionalisierte Akteur*innen können alle Organe und Stellen der Verwaltung sein, die
einen bestimmten Aufgabenbereich haben und denen für die Aufgabenerfüllung bestimmte
Befugnisse oder Rechte zugewiesen sind. Diese Befugnisse und Rechte sind gleichsam
Instrumente, um Handlungsschwerpunkte in der Organisation und in den Abläufen der Ver-
waltung zu implementieren. Die diversitätsorientierte Ausübung dieser Instrumente kann ein
Motor für Diversity in der öffentlichen Verwaltung sein. Durch ihr Zusammenspiel auf unter-
schiedlichen Ebenen können Chancen zum Wandel hin zu einer vielfältigeren Verwaltung
gebündelt werden.
Die Organe und Stellen, um die es hier primär gehen soll, sind die Personalver-
waltung, die Gleichstellungsbeauftragte, der Personalrat, die Schwerbehinderten-
vertretung und die AGG-Beschwerdestelle als zentrale Gestalter*innen von
Verwaltungsorganisation und Schlüsselfiguren bei der Bearbeitung antidiskriminierungs-
relevanter Themenbereiche. Ihr gesetzlich angelegtes Tätigkeitsfeld in diesen Bereichen
soll hier auch als diversitätspolitischer Auftrag bezeichnet werden.

3.1 Personalverwaltung

Die Ausgestaltung und Umsetzung eines gleichstellungs- und diversitätsorientierten


Personalmanagements ist die Pflicht der Dienststellenleitung, die diese insbesondere
durch die Personalverwaltung wahrnimmt.16 Die Personalverwaltung ist der
organisatorische und administrative Bereich des Personalwesens, der sich im Wesent-
lichen mit der Anbahnung, Durchführung und Abwicklung von Dienstverhältnissen und
individuellen Personalentscheidungen befasst.17 Die Personalverwaltung ist – wie alle
anderen Verwaltungsstellen – an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Daher
hat sie bei ihren Entscheidungen das geltende oben skizzierte Gleichstellungs- und Anti-
diskriminierungsrecht zu beachten.
Die Personalverwaltung ist in unter anderem zuständig für die Personalauswahl, die
Personaleinarbeitung und sonstige personelle Angelegenheiten von Beschäftigten (z. B.

16 Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, Bundesministerium für Familie, Senioren,

Frauen und Jugend, 06.2017, S. 128; vgl. Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung,
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 06.2017, S. 128; vgl. auch Harald
Steiner, ZfPR 2010, 86 (88).
17 Vgl. Kyrill-Alexander Schwarz, in: Brinktrine/Schollendorf, BeckOK BBG, 20. Ed. 10.2020,

§ 106 Rn. 8.3; Torsten v. Roetteken in: v. Roetteken/Rothländer, Beamtenstatusgesetz, 29. Akt.
06.2020, § 50 Rn. 157.
320 T. M. Hillermann

Anträge auf Teilzeitarbeit oder Kündigungen).18 Personelle Maßnahmen sind grund-


sätzlich alle Maßnahmen, die hauptsächlich die berufliche Situation der Beschäftigten,
die Personalplanung oder die personelle Zusammensetzung der Dienststelle betreffen.
Die Personalverwaltung ist damit eine entscheidende Ebene, wenn es darum geht,
Diversity und Antidiskriminierung in Personalprozessen zu verankern. Die Handlungs-
ansätze der Personalverwaltung für ein diversitätsorientiertes Personalmanagement sind
daher zum Beispiel diskriminierungsfreie Stellenausschreibungen (z. B. stellenspezi-
fische Kompetenzanforderungen, gendergerechte Schreibweise bzw. direkte Ansprache,
Selbstbezeichnung von Personengruppen, Diversity-Kompetenz im Stellenprofil)19 sowie
die chancengerechte Durchführung von Bewerbungsverfahren (z. B. durch die Ver-
ankerung anonymisierter Bewerbungsverfahren). In der Personalauswahl kann zum Bei-
spiel Diversity-Kompetenz im Sinne einer Fachkompetenz und sozialen Fähigkeit bei
der Personalauswahl erfragt und gewichtet werden. In der Personaleinarbeitung können
Mentoringprogramme helfen institutionelles Wissen an Berufsanfänger*innen weiter-
zugeben. Auch kann in der Phase der Einarbeitung schon eine Vermittlung von Wissen
und Methoden zu Diversity Mainstreaming, also Diversity als Querschnittsaufgabe in
Planung, Durchführung und Qualitätssicherung,20 geschaffen werden. Darüber hinaus
sind im Personalmanagement allgemein Personalbeurteilungen, Personalentwicklung,
Entgelt und Fortbildungen Eingangstore für diversitätsorientierte Ansätze.21
Wichtige Rechtsgrundlagen sind dementsprechend in diesem Kontext vor allem
Regelungen zu Personalauswahl(verfahren) wie § 11 AGG (Ausschreibung), §§ 5 ff.
BGleiG (gleichstellungsbezogene gesetzliche Vorgaben zur Personalauswahl), §§ 11 ff.
BGleiG (Gleichstellungsplan) und §§ 8, 9 BBG (Stellenausschreibung und Aus-
wahlkriterien für Menschen mit Behinderungen) sowie §§ 18 ff. BGG (Einstellung,
Beurteilungen und Beförderungen). Außerdem sind diverse Benachteiligungsverbote,
z. B. § 2 BGG (Frauen mit Behinderungen und Benachteiligung wegen mehrerer
Gründe) verankert, deren Einhaltung die Personalverwaltung bei der Bearbeitung
personeller Angelegenheiten sicherstellen muss.
Auch die Organisationspflichten der öffentlichen Arbeitgeberin zum Schutz vor Dis-
kriminierungen sowie das Vorgehen bei Diskriminierungsfällen (§ 12 AGG) müssen
von der Personalverwaltung als verlängerter Arm der Dienststellenleitung eingehalten,

18 Diversity Mainstreaming für Verwaltungen, Schritt für Schritt zu mehr Diversity und weniger
Diskriminierung in öffentlichen Institutionen – Ein Leitfaden für Verwaltungsbeschäftigte –, Anti-
diskriminierungsstelle des Bundes, 2015, S. 29 ff.
19 Siehe dazu auch IV. 4.

20 Chancengleichheit als Qualitätsaspekt in der Arbeit öffentlicher Verwaltungen, Wegweiser

zum Thema gleiche Rechte – verschiedene Belange – zufriedenstellende Maßstäbe – passgenaue


Lösungen, Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2012, S. 11.
21 Diversity Mainstreaming für Verwaltungen, Schritt für Schritt zu mehr Diversity und weniger

Diskriminierung in öffentlichen Institutionen – Ein Leitfaden für Verwaltungsbeschäftigte –, Anti-


diskriminierungsstelle des Bundes, 2015, S. 29 ff.
Institutionalisierte Akteur*innen als Impulsgeber*innen … 321

umgesetzt und überwacht werden. Sie hat zudem entsprechend der gesetzlichen Vor-
gaben die Gleichstellungsbeauftragte (§ 27 Abs. 1 BGleiG) und die Schwerbehinderten-
vertretung (§ 178 SGB IX) (frühzeitig) bei der Entscheidungsfindung, d. h. bevor eine
Entscheidung getroffen wird, umfassend zu informieren und zu beteiligen. Beiden
Stellen ist durch die Personalverwaltung Gelegenheit zur aktiven Teilnahme an allen Ent-
scheidungsprozessen zu personellen, organisatorischen und sozialen Angelegenheiten,
die dort bearbeitet werden, zu geben (§ 30 Abs. 2 BGleiG). Für die Schwerbehinderten-
vertretung ist diese Beteiligung auf die Prozesse, die die Belange schwerbehinderter
Menschen berühren, beschränkt. Für die Gleichstellungsbeauftragte ist ein (sehr weit zu
verstehender) Gleichstellungsbezug erforderlich. Zudem muss die Personalverwaltung
im Anschluss an die Willensbildung der Dienststelle – also zeitlich nach der Beteiligung
der Gleichstellungsbeauftragten und der Schwerbehindertenvertretung – eine (mit-
bestimmungspflichtige) Maßnahme in Personalangelegenheiten dem Personalrat zur Mit-
bestimmung vorlegen (§ 78 Abs. 1 BPersVG).

3.2 Gleichstellungsbeauftragte

Gleichstellungsbeauftragte nehmen durch ihre besondere Verortung in der Verwaltung


eine Schlüsselstellung für Veränderung verwaltungsinterner Strukturen ein.22 Zum
einen sind sie geübt darin, ihre inhaltlichen Schwerpunkte gegen teils beharrliche Ver-
waltungsstrukturen durchzusetzen. Andererseits verfügen sie über das institutionelle
Wissen, das es braucht, um Eingangstore und Schnittstellen für neue Themen und ihre
Implementierung in der Dienststellenverwaltung zu finden. Als Mitglied der Personal-
verwaltung ist die Gleichstellungsbeauftragte in deren Willensbildung unmittelbar ein-
gebunden, wodurch ihre Beteiligung bereits in einem sehr frühen Stadium ansetzt.
Im BGleiG ist die zentrale Norm für das Aufgabenfeld der Gleichstellungsbe-
auftragten § 25 Abs. 1 S. 1 BGleiG. Nach dieser Vorschrift hat die Gleichstellungsbe-
auftragte die allgemeine Aufgabe, den Vollzug des BGleiG und des AGG im Hinblick auf
den Schutz aller Beschäftigten vor geschlechtsbezogener Benachteiligung zu fördern und
zu überwachen. Das Mandat der Gleichstellungsbeauftragten setzt also einen Gleich-
stellungsbezug bzw. potenziell geschlechtsbezogene Auswirkungen von Maßnahmen
voraus.
Geschlechtsbezogene Benachteiligungen können aber nicht für sich betrachtet werden,
sondern wirken intersektional, d. h. in Verschränkung mit anderen Dimensionen von

22 Nicht zu vernachlässigen ist, dass die Person, die das Amt der Gleichstellungsbeauftragten

durchaus bereits als role model in der Verwaltung Ausstrahlungswirkung haben kann. So kann
es sich lohnen, sich bei der Kandidatinnenaufstellung der repräsentativen Wirkung des Amtes
bewusst zu sein und entsprechende Kandidatinnen gezielt zur Übernahme des Amtes anzusprechen
und zu motivieren.
322 T. M. Hillermann

Diskriminierungen. Daraus ergibt sich, dass die Gleichstellungsbeauftragte auch mehr-


dimensionale Diskriminierungen in ihrer Arbeit adressieren muss, soweit sie einen Bezug
zur Geschlechtsidentität aufweisen.23 Die Gleichstellungsbeauftragte kann (und muss) ihr
Mandat also diversitätsorientiert ausüben.
Dies ist gesetzlich teilweise ausdrücklich niedergelegt. § 1 Abs. 3 BGleiG regelt
zum Beispiel, dass die besonderen Belange von Frauen mit Behinderungen und von
Behinderung bedrohter Frauen im Sinne von § 2 Abs. 1 SGB IX bei der Umsetzung von
Maßnahmen zur Geschlechtergerechtigkeit zu berücksichtigen sind.24
Die Gleichstellungsbeauftragte hat diverse Möglichkeiten bereits im Willensbildungs-
prozess der Dienststelle geschlechter- und diversitätspolitische Akzente zu setzen.
Ein Schwerpunkt ihres Aufgabenfeldes bezieht sich auf gleichstellungsorientiertes
Personalmanagement.25 Die Gleichstellungsbeauftragte ist an Auswahlverfahren (bei-
spielsweise an Einstellungen und Beförderungen) zu beteiligen (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 lit. b
BGleiG).26 Sie kann sich bei Personalvorgängen beratend einbringen und beispielweise
durch Nachfragen in Bewerbungsgesprächen aktiv auf Vorgänge einwirken.27 Weitere
wichtige Aspekte ihrer Beteiligung umfassen die Beteiligung bei der Erarbeitung von
Fortbildungskonzepten wie zum Beispiel Diversity-Trainings (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 lit. c
BGleiG) und zum beruflichen Aufstieg von Beschäftigten (also z. B. auch von Frauen
mit familiärer Einwanderungsgeschichte).28
Die Gleichstellungsbeauftragte muss zudem bei allen personellen, organisatorischen
und sozialen Maßnahmen der Dienststelle mitwirken, die den Schutz vor sexueller
Belästigung am Arbeitsplatz betreffen (§ 25 Abs. 2 Nr. 2 BGleiG). Einerseits zielt ihre
Beteiligung damit auf Prävention von sexuellen Belästigungen durch Mitwirkung bei
der Schaffung von entsprechenden Strukturen ab, andererseits auf die Beseitigung, Auf-
klärung und Sanktionierung von bereits eingetretenen und andauernden Belästigungen.
Auch ist die Gleichstellungsbeauftragte an der Erstellung eines Gleichstellungsplans
zu beteiligen (§ 27 Abs. 1 Nr. 5 BGleiG), welcher umfassende Maßnahmen auch zur Ver-
hinderung intersektionaler Diskriminierungen in der Personalentwicklung zum Gegen-
stand hat.

23 Torsten v. Roetteken, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz und Bundesgleichstellungsgesetz,

GiP 2007, 13 (19).


24 Anja Rudek/Ulrike Schultz, BGleiG, 1. Aufl. 2012, § 19 Rn. 1; vgl. OVG Nordrhein-West-

falen, Beschluss vom 21.12.2012–1 A 2043/11 –, juris, Rn. 13; siehe dazu ausführliche Tessa
Hillermann/Christiana Ijezie, KritV 2/2021, 159.
25 Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 04.05.1994–6 A 690/93 –, NVwZ-RR 1995, 98.

26 Eine an Sinn und Zweck und am Wortlaut orientierte Auslegung, gebietet eine großzügige Inter-

pretation der Beteiligung an Auswahlverfahren, Wankel, PersR 1997, 400 (402); Schattat-Fischer,
PersR 1994, 541 (545).
27 Mandy Geithner-Simbine, in: Breger/Späte/Wiesemann, in: Handbuch Sozialwissenschaftliche

Berufsfelder, 2016, 137.


28 Siehe dazu III. 2.
Institutionalisierte Akteur*innen als Impulsgeber*innen … 323

Zudem hat sie das Recht, eine jährliche Versammlung der weiblichen Beschäftigten
einzuberufen und inhaltlich frei zu gestalten – so kann dort auch eine fachliche Aus-
einandersetzung zu Diversity-Konzepten stattfinden (§ 25 Abs. 3 S. 1 2. Hs. BGleiG).
Sie kann zudem an Personalversammlungen teilnehmen und dort Themen, insbesondere
mit Blick auf intersektionale Diskriminierung, platzieren (§ 25 Abs. 3 S. 3 BGleiG).
Die Gleichstellungsbeauftragte ist berechtigt, Sprechstunden abzuhalten (§ 25 Abs. 3
BGleiG). Die Ausgestaltung kann und sollte sie barrierefrei gestalten und die Zeiten und
Formate so wählen, dass Menschen, die Care-Arbeit übernehmen, die Sprechstunden
wahrnehmen.
Diese Rechte kann die Gleichstellungsbeauftragte gegebenenfalls auch gegen den
Willen der Dienststellenleitung durchzusetzen versuchen. Nach den Gleichstellungs-
gesetzen des Bundes und der Länder hat die Gleichstellungsbeauftragte in bestimmten
Fällen ein Beanstandungsrecht gegenüber der Dienststellenleitung (§ 33 Abs. 1 BGleiG).
Daran knüpfen die Klagerechte der Gleichstellungsbeauftragten an, soweit solche im ein-
schlägigen Gesetz verankert sind (vgl. § 34 BGleiG).
Für das Verhältnis der Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten und des Personal-
rates ist wichtig, dass die Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten der Beteiligung
des Personalrates vorausgeht (§ 27 Abs. 3 BGleiG). Wenn in Ausnahmefällen eine
parallele Beteiligung von Personal- oder Schwerbehindertenvertretung, z. B. wegen
Zeitdringlichkeit, erfolgen muss, ist die Gleichstellungsbeauftragte über die Gründe zu
informieren. Das bedeutet, dass die Beteiligung und Mitwirkung der Gleichstellungsbe-
auftragten, die im Rahmen der Willensbildung der Verwaltung und bei der Vorbereitung
einer Maßnahme stattfindet, in der Regel vollständig abgeschlossen sein müssen,
bevor eine Maßnahme der Dienststellenleitung das personalvertretungsrechtliche Mit-
bestimmungsverfahren durchläuft.

3.3 Personalrat

Der Personalrat ist die Personalvertretung im öffentlichen Dienst. Der Personalrat ist
eine Gruppe von Beschäftigten, die die Interessen der Beschäftigten in einer Dienststelle
zu vertreten hat (§§ 13, 62 BPersVG). Seine personelle Zusammensetzung muss die
Vielfalt der Beschäftigungsarten und der Geschlechter in der Dienststelle abbilden (§ 18
BPersVG).
Ein Blick in das BPersVG zeigt vielfältige Handlungsmöglichkeiten und Mandate
des Personalrates, wenn es um die Verankerung die Förderung von diversitätsorientierten
Entscheidungen, Maßnahmen und Prozessen in der Dienststelle geht.
Sein diversitätspolitisches Mandat ist in seinem gesetzlich umrissenen Aufgabenfeld
in besonderer Weise angelegt. Der Personalrat vertritt alle Beschäftigten einer Dienst-
stelle (vgl. § 62 BPersVG). Er nimmt eine gestaltende Rolle dadurch ein, dass er Anträge
für Maßnahmen stellt, die im Sinne der Beschäftigten sind (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 BPersVG).
Zudem hat er einen Überwachungsauftrag im Hinblick auf die Durchführung der
324 T. M. Hillermann

zugunsten von Beschäftigten geltenden Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge, Dienst-


vereinbarungen und Verwaltungsanordnungen (§ 62 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG). Überdies
ist er Ansprechpartner für die Jugend- und Auszubildendenvertretung (§ 62 Abs. 1 Nr. 3
BPersVG). Der Personalrat wirkt der Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen
entgegen und fördert die Inklusion und Teilhabegerechtigkeit in der Dienststelle.
Das betrifft insbesondere die Eingliederung und berufliche Entwicklung schwer-
behinderter und ihnen gleichgestellter Beschäftigter sowie sonstiger besonders schutz-
bedürftiger Menschen, zum Beispiel älterer Beschäftigter, zu fördern und gegebenenfalls
Maßnahmen in diesem Sinne zu beantragen (§ 62 Abs. 1 Nr. 4 BPersVG). Überdies
hat der Personalrat auch ein Mandat zur geschlechtergerechten Gestaltung der Dienst-
stelle: dies betrifft insbesondere die Einstellung, Beschäftigung, Aus-, Fort- und Weiter-
bildung und dem beruflichen Aufstieg (§ 62 Abs. 1 Nr. 5 BPersVG). Darüber hinaus hat
auch der Personalrat die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf zu fördern (§ 62
Abs. 1 Nr. 6 BPersVG) und wirkt im Sinne der Pflege- und Care-Arbeit. Auch nimmt der
Personalrat Aufgaben im Kontext der Integration ausländischer Beschäftigter wahr. Er
wirkt zudem bei der Integration ausländischer Beschäftigter in der Dienststelle mit und
hat das Verständnis zwischen den Beschäftigten zu fördern (§ 62 Abs. 1 Nr. 7 BPersVG).
Auch hat der Personalrat eine besondere Verantwortung für den Nachwuchs und jüngere
Beschäftigte – so hat er mit der Jugend- und Auszubildendenvertretung zur Förderung
der Belange der Beschäftigten, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder
sich in einer beruflichen Ausbildung befinden, eng zusammenzuarbeiten (§ 62 Abs. 1 Nr.
8 BPersVG).
Der Personalrat kann sich auch für Menschen mit (chronischen) Krankheiten ein-
setzen, indem er Maßnahmen des Arbeitsschutzes und des Gesundheitsschutzes in der
Dienststelle fördert (§ 62 Abs. 1 Nr. 9 BPersVG).
Um die skizzierten Aufgaben umzusetzen, stehen dem Personalrat unter anderem
Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte in organisatorischen (§ 80 BPersVG),
personellen (§ 78 BPersVG) und sozialen Angelegenheiten (§ 79 BPersVG) der Dienst-
stelle zur Verfügung. Der Personalrat kann in organisatorischer Hinsicht bei Maßnahmen
etwa zur Arbeitszeit(-modellen), zu Überstunden, Arbeitsplatzgestaltung und Arbeits-
formen mitwirken (§ 80 BPersVG). Als Interessenvertretung hat er zudem auch wesent-
lichen Einfluss auf eine geschlechtergerechte und diversitätsfördernde und -orientierte
Durchführung personeller Angelegenheiten der Dienststelle.29 Zentral sind im Bereich
der Personalplanung die Mitbestimmungsrechte (§ 78 Abs. 1 BPersVG) und die damit
zusammenhängenden Zustimmungsverweigerungsrechte (§ 78 Abs. 5 BPersVG) bei
Personalangelegenheiten. Mitbestimmungspflichtig sind zum Beispiel Einstellungen
(§ 78 Abs. 1 Nr. 1 BPersVG), Beförderungen (§ 78 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG), Über-
tragungen von Tätigkeiten (§ 78 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG), Eingruppierungen (§ 78 Abs. 1
Nr. 4 BPersVG), Ablehnung eines Antrags auf Teilzeitbeschäftigung (§ 78 Abs. 1 Nr.

29 Vgl. zum Betriebsrat Ingrid Schmidt, in: ErfK, GG, 2021, Art. 3 Rn. 94.
Institutionalisierte Akteur*innen als Impulsgeber*innen … 325

11 BPersVG) sowie das Absehen von Ausschreibungen (§ 78 Abs. 1 Nr. 12 BPersVG).


Das bedeutet, dass der Personalrat zum Beispiel Handlungsmöglichkeiten zum Vorgehen
gegen potenzielle Benachteiligungen bei Einstellungen hat. Das kann zum Beispiel der
Fall sein, wenn eine zu besetzende Stelle so ausgeschrieben wird, dass Personengruppen
von vornherein zum Beispiel wegen ihrer Religion von der Auswahl ausgeschlossen sind
(§ 7 Abs. 1 AGG).
Ein wichtiges Druckmittel des Personalrates sind seine Zustimmungsverweigerungs-
rechte. Der Personalrat kann seine Zustimmung zu personellen Angelegenheiten dann
verweigern, wenn die Maßnahme gegen ein Gesetz, eine Verordnung, eine Bestimmung
in einem Tarifvertrag, eine gerichtliche Entscheidung, den Gleichstellungsplan oder
eine Verwaltungsanordnung verstößt (§ 78 Abs. 5 Nr. 1 BPersVG). Außerdem kann er
sie verweigern, wenn die durch Tatsachen begründete Besorgnis besteht, dass durch die
Maßnahme der oder die betroffene Beschäftigte oder andere Beschäftigte benachteiligt
werden, ohne dass dies aus dienstlichen oder persönlichen Gründen gerechtfertigt ist
(§ 78 Abs. 5 Nr. 2 BPersVG), oder die durch Tatsachen begründete Besorgnis besteht,
dass die oder der Beschäftigte oder die Bewerberin oder der Bewerber den Frieden in der
Dienststelle durch unsoziales oder gesetzwidriges Verhalten stören werde (§ 78 Abs. 5
Nr. 3 BPersVG).
Die Zustimmungsverweigerungsrechte des Personalrates bei Personalangelegenheiten
können eine geschlechtersensible Perspektive im Verfahren zum Beispiel dadurch sichern,
dass der Personalrat von seinen Zustimmungsverweigerungsrechten Gebrauch macht,
wenn die Dienststelle die Gleichstellungsbeauftragte nicht beteiligt hat. Der Personalrat
kann dann die Zustimmung zu einer personellen Maßnahme (z. B. einer Einstellung oder
Kündigung) verweigern, weil das Verfahren nicht gesetzesmäßig war (§ 78 Abs. 5 Nr. 1
BPersVG). Das bedeutet, dass die fehlende Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten
in personellen Angelegenheiten durch den Personalrat gerügt werden kann. Folge der Ver-
weigerung der Zustimmung ist, dass die Maßnahme zunächst nicht umgesetzt werden
darf. Die Dienststellenleitung muss die Maßnahme aussetzen (§ 82 Abs. 2 BPersVG) und,
wenn sie die beabsichtige Mitbestimmungsmaßnahme weiterhin durchführen will, das
Stufenverfahren bzw. ein Einigungsverfahren einleiten (§§ 71, 72 BPersVG).
Der Personalrat hat zudem die Interessen schwerbehinderter Menschen in der Dienst-
stelle zu vertreten und deren Eingliederung zu fördern, § 176 SGB IX. Sie müssen
die Leitungsebene auf die Erfüllung der gesetzlichen Pflichten aus dem Gesetz (nach
§§ 154, 155 und §§ 164 bis 167 SGB IX) überwachen. Es ist also auch die Aufgabe des
Personalrates die Eingliederung schwerbehinderter Menschen und sonstiger besonders
schutzbedürftiger Personen zu fördern (§§ 80 Abs. 1 Nr. 4, 88 Nr. 5 SGB IX, § 62
Nr. 4 BPersVG). Dies kann er zum Beispiel dadurch verwirklichen, dass er auf den
Abschluss von entsprechenden Betriebs-, Dienst-, und Inklusionsvereinbarungen hin-
wirkt. Der Personalrat kann zudem seine Unterrichtung-, Vorschlags-, und Initiativ-
rechte (§ 92 Abs. 3 BetrVG, § 62 Nr. 4 BPersVG) im Sinne der Inklusion und Teilhabe
von Menschen mit Behinderungen, insbesondere der Eingliederung und beruflichen Ent-
wicklung schwerbehinderter und ihnen gleichgestellter Beschäftigter, ausüben.
326 T. M. Hillermann

3.4 Schwerbehindertenvertretung

Die Vertrauensperson für schwerbehinderte Menschen ist ein gesetzliches Organ der
Dienststellenverfassung mit der Aufgabe die Eingliederung schwerbehinderter Menschen
in der Dienststelle oder dem Betrieb zu fördern und deren Interessen zu vertreten. Sie
steht Menschen mit Schwerbehinderung beratend und helfend zur Seite.
Die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung sind vielfältig und zentral, um
dienststelleninterne Abläufe inklusiver zu gestalten. Die Schwerbehindertenvertretung
bringt also eine wichtige Perspektive und Expertise mit, wenn es um die Belange von
Menschen mit einer Behinderung geht.
Die gesetzlichen Grundlagen zur Schwerbehindertenvertretung befinden sich in
den §§ 176 bis 183 SGB IX. Die Aufgaben und Rechte sind vor allem in § 178 SGB
IX geregelt. Die Schwerbehindertenvertretung bzw. die Vertrauensperson für schwer-
behinderte Menschen fördert allgemein die Eingliederung schwerbehinderter Menschen
in den Betrieb oder die Dienststelle, vertritt dort ihre Interessen und steht schwer-
behinderten Menschen beratend und helfend zur Seite. Sie wirkt daher von Gesetzes
wegen auf Verwaltungsebene auf inklusive Strukturen hin und ist zugleich Ansprech-
partnerin für die Beschäftigten.
Sie hat darüber zu wachen, dass die zugunsten schwerbehinderter Menschen
geltenden Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstverein-
barungen und Verwaltungsanordnungen durchgeführt und die schwerbehinderten-
rechtlichen Pflichten der Dienststelle wie zum Beispiel präventive Schutzmaßnahmen
oder Inklusionsvereinbarungen (§§ 164 bis 167 SGB IX) eingehalten werden (§ 178
Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB IX). Mit ihrem Antragsrecht gem. § 178 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB
IX kann die Vertrauensperson für schwerbehinderte Menschen (präventive) Maßnahmen,
die Menschen mit Schwerbehinderung dienen, in der Dienststelle beantragen. Nach
§ 178 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB IX muss die Schwerbehindertenvertretung Anregungen und
Beschwerden von schwerbehinderten Menschen entgegennehmen. Wenn diese berechtigt
erscheinen, hat sie durch Verhandlung mit dem Arbeitgeber auf die Beseitigung und
Erledigung der Angelegenheit hinzuwirken.
§ 178 Abs. 2 SGB IX regelt die Unterrichtungs- und Beteiligungsrechte der Schwer-
behindertenvertretung. Sie ist in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die
schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu
unterrichten. Die Beteiligungs- und Unterrichtungsrechte setzen voraus, dass eine
Angelegenheit schwerbehinderte Menschen in besonderer Weise bzw. anders betreffen
kann als Menschen, die nicht unter die Vorgaben des SGB IX fallen. Beteiligungs-
pflichtige Maßnahmen sind z. B. die Kündigung schwerbehinderter Menschen, Ein-
stellungen, Vorstellungsgespräche, Versetzung, Umgruppierung und Kündigung von
Schwerbehinderten. Findet eine Beteiligung nicht statt, wird die Entscheidung ausgesetzt
(§ 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX).
Die Schwerbehindertenvertretung kann mindestens einmal im Jahr eine Versammlung
schwerbehinderter Menschen im Betrieb oder in der Dienststelle durchzuführen
(§ 178 Abs. 6 SGB IX), um Bedarfe zu kommunizieren und sich auszutauschen.
Institutionalisierte Akteur*innen als Impulsgeber*innen … 327

Die Schwerbehindertenvertretung kann auch die Foren des Personalrates nutzen und
kann zudem dessen Beschlüsse blockieren, wenn sie gegen die Belange von Menschen
mit Schwerbehinderung verstoßen. Elementar zur Zusammenarbeit mit der allgemeinen
Personalvertretung bei Anliegen der Beschäftigten mit Schwerbehinderung ist das
Recht der Schwerbehindertenvertretung, beratend an Sitzungen des Personalrates teilzu-
nehmen (§ 178 Abs. 5 SGB IX, § 37 BPersVG) sowie die Teilnahme- und Rederechte
bei Personalversammlungen (§ 178 Abs. 8 SGB IX). Die Vertrauensperson der schwer-
behinderten Menschen kann überdies nach § 36 Abs. 3 Nr. 4 BPersVG eine Beratung
beim Personalrat beantragen in Angelegenheiten, die besonders schwerbehinderte
Beschäftigte betreffen. Sie hat auch die Möglichkeit, die zwingende Aussetzung eines
Beschlusses des Personalrates zu beantragen, wenn eine erhebliche Beeinträchtigung
wichtiger Interessen der durch sie vertretenen Beschäftigten droht (§ 42 BPersVG).
Nach § 182 SGB IX wirken Arbeitgeber*innen, Inklusionsbeauftragte, Schwer-
behindertenvertretung und Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- oder Präsidial-
rat zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben in dem Betrieb oder der
Dienststelle eng zusammen und unterstützen sich gegenseitig bei der Erfüllung ihrer
Aufgaben.

3.5 AGG-Beschwerdestelle

Die AGG-Beschwerdestelle ist eine seitens der Leitungsebene zuständige Stelle und
Ansprechperson innerhalb einer Dienststelle, an die sich Beschäftigte bei (potenziellen)
Diskriminierungen, die unter § 1 AGG fallen, wenden können.30 Beschäftigte haben
das Recht und die Möglichkeit, sich bei den Beschwerdestellen nach § 13 AGG
zu beschweren, wenn sie sich zum Beispiel rassistisch, geschlechtsbezogen oder
religiös diskriminiert fühlen oder wegen eines anderen in § 1 AGG genannten Gründe
(potenziell) benachteiligt werden. Die Beschwerde muss dann inhaltlich geprüft werden
und das Ergebnis muss der beschwerdeführenden Beschäftigten mitgeteilt werden. Die
Beschwerde ist ein wichtiges Mittel, um verschiedene Formen von Diskriminierungen
im öffentlichen Dienst zu begegnen.31 Insgesamt wirkt die AGG-Beschwerdestelle im
Vergleich zu den anderen Akteur*innen eher reaktiv, indem sie erst in (meist) bereits
abgeschlossenen Sachverhalten eingeschaltet wird und zum Beispiel einen Auf-
arbeitungsprozess anstoßen kann. Sie nimmt dann die Beschwerden an und wird nur auf
Antrag von Beschäftigten tätig.

30 Monika Schlachter, in: Erfurter Kommentar, AGG, 22. Aufl. 2022, § 13; Ute Wellner, GiP

3/2007, 19.
31 Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung

des Grundsatzes der Gleichbehandlung vom 08.06.2006, BT-Drs. 16/1780, S. 37.


328 T. M. Hillermann

4 Diversitätspolitischer Auftrag?

Alle institutionalisierten Akteur*innen der Verwaltung weisen ein diversitätspolitisches


Mandat auf und können daher als wichtige Impulsgeber*innen von Diversity in der Ver-
waltung bezeichnet werden.
Insgesamt ist eine Vielzahl von Schnittstellen in ihren Aufgabenfeldern erkennbar,
die ein diversitätspolitisches Zusammenwirken verschiedener Stellen gewinnbringend
erscheinen lassen.
Gleichzeitig setzen die rechtlichen Handlungsinstrumentarien auf verschiedenen
Ebenen eines behördlichen Entscheidungsprozesses an. Während die Gleichstellungsbe-
auftragte und die Schwerbehindertenvertretung vor allem im dienststelleninternen Ent-
scheidungsfindungsprozess wirken, kann der Personalrat von der (Personal-)Verwaltung
bereits getroffene Maßnahmen überwachen und gegebenenfalls Verfahrensfehler geltend
machen. Die AGG-Beschwerdestelle kann durch Beschäftigte gezielt in Einzelfällen
bei (meist) bereits abgeschlossenen Sachverhalten eingeschaltet werden und zum Bei-
spiel einen sensiblen Aufarbeitungsprozess anstoßen, der sich an den Bedürfnissen der
betroffenen Person orientiert.
Wie die Zusammenarbeit der aufgezeigten Akteur *innen für mehr Vielfalt in der
öffentlichen Verwaltung konkret aussehen kann, wird im nachfolgenden Teil 2 dieses
Fachbeitrages aufgezeigt.

Dr. Tessa Maria Hillermann studierte an den Universitäten Trier und Thessaloniki (Griechen-
land) Rechtswissenschaft (Schwerpunkt Umwelt und Infrastruktur) und promovierte anschließend
im Gleichstellungsrecht des öffentlichen Dienstes. Nach Abschluss ihres Rechtsreferendariats am
Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg ist sie seit März 2023 wissenschaftliche Mitarbeiterin
für die Gleichstellungsberichte der Bundesregierung bei der Bundesstiftung Gleichstellung.
Daneben ist sie freiberufliche Referentin und Beraterin für die öffentliche Verwaltung.
Institutionalisierte Akteur*innen als
Impulsgeber*innen für Vielfalt (Teil 2):
Diversitätspolitisches Zusammenwirken
von Personalverwaltung, Personal-
und Schwerbehindertenvertretung,
Gleichstellungsbeauftragten sowie AGG-
Beschwerdestellen

Tessa Maria Hillermann

Zusammenfassung

Dieser Beitrag widmet sich der Frage, wie ein gewinnbringendes Zusammen-
wirken institutionalisierter Akteur*innen der Verwaltung für einen vielfältigeren
und inklusiveren öffentlichen Dienst aussehen kann. Hierzu werden anhand der aus-
gewählten Erarbeitungs- und Gestaltungsprozesse zum Gleichstellungsplan, der
Inklusionsvereinbarung, den Fortbildungsangeboten und den Stellenanzeigen Hand-
lungsmöglichkeiten für ein gemeinsames diversitätspolitisches Tätigwerden in den
Blick genommen. Schließlich werden die untersuchten Aspekte und Ansätze in einem
Fazit und Ausblick zusammengeführt.

Schlüsselwörter

Personalverwaltung · Personalvertretung · Personalrat ·


Schwerbehindertenvertretung · Gleichstellungsbeauftragte · AGG-beschwerdestellen

Die Autorin dankt Rechtsanwalt Victor Görlich für das Korrekturlesen.

T. M. Hillermann ( )
Hamburg, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 329
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_25
330 T. M. Hillermann

1 Einleitung

Nachdem Teil 1 dieses Fachbeitrages der Frage nach den zentralen Rechtsgrundlagen
und den Schlüsselfiguren mit Blick auf deren diversitätspolitischem Auftrag nach-
geht, betrachten die folgenden Ausführungen, wie ein gewinnbringendes Zusammen-
wirken institutionalisierter Akteur*innen der Verwaltung für einen vielfältigeren und
inklusiveren öffentlichen Dienst aussehen kann.
Hierzu werden anhand der ausgewählten Erarbeitungs- und Gestaltungsprozesse zum
Gleichstellungsplan, der Inklusionsvereinbarung, den Fortbildungsangeboten und den
Stellenanzeigen Handlungsmöglichkeiten für ein gemeinsames diversitätspolitisches
Tätigwerden in den Blick genommen. Schließlich werden die untersuchten Aspekte und
Ansätze in einem Fazit und Ausblick zusammengeführt.
Auch in diesem Teil des Fachbeitrages stehen Organisation, Strukturen und Prozesse
im Fokus. Bei der Lektüre aller hier betrachteten strukturellen Fragen soll die Einzig-
artigkeit jeder Diskriminierung und der damit einhergehenden Erfahrung hiervon
betroffener Personen nicht vergessen werden.

2 Diversitätspolitisches Zusammenwirken

Nachdem die (diversitätspolitischen) Aufgabenbereiche und Handlungsoptionen der hier


betrachteten Akteur*innen in Teil 1 des Fachbeitrages aufgezeigt wurden, stellt sich die
Frage, wie ein sinnvolles Zusammenwirken der genannten Stellen aussehen kann.
Ein gemeinsames Tätigwerden einzelner Akteur*innen ist deshalb zentral, weil sie
einerseits eigene inhaltliche Expertise zu verschiedenen Fragen der Antidiskriminierung,
Gleichbehandlung und Chancengerechtigkeit mitbringen. Durch eine Zusammenarbeit
kann vorhandenes Wissen weitergegeben und mit bestimmten Erfahrungswerten und
Perspektiven zusammengebracht werden. Zum anderen werden durch gewählte Organe der
Interessenvertretung Bedarfe unterschiedlichster Personengruppen sichtbar, kommuniziert
und es wird hierdurch jedenfalls mittelbar auch deren Partizipation ermöglicht.
Eine Zusammenarbeit der Dienststellenleitung, der Personalverwaltung, der AGG-
Beschwerdestelle sowie der Gleichstellungsbeauftragten und der Personal- und Schwer-
behindertenvertretung ist in den Rechtsgrundlagen ausdrücklich verankert:
§ 182 SGB IX fordert eine Zusammenarbeit der Arbeitgeberin, der Beauf-
tragten und Personalvertretungen mit Blick auf die Teilhabe schwerbehinderter
Menschen der Dienststelle. § 30 BGleiG statuiert, dass die Dienststellenleitung und
die Gleichstellungsbeauftragte zum Wohle der Beschäftigten und zur Umsetzung einer
geschlechtergerechten und familienfreundlichen Dienststelle zusammenarbeiten und
sich gegenseitig unterstützen. Darüber hinaus enthält § 2 Abs. 1 BPersVG den sog.
Grundsatz der Zusammenarbeit, nach dem die Dienststelle und Personalvertretung ver-
trauensvoll zum Wohl aller Beschäftigten und zur Erfüllung der Dienststelle obliegenden
Aufgaben zusammenarbeiten. § 2 Abs. 4 BPersVG betont in diesem Kontext zudem,
Institutionalisierte Akteur*innen als Impulsgeber*innen … 331

dass beide insbesondere darüber zu wachen haben, dass „jede Benachteiligung von
Personen wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Abstammung oder sonstigen Herkunft,
ihrer Nationalität, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters,
ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen
ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt.“ Insofern ist ein diversi-
tätsorientiertes Zusammenwirken ausdrücklich angelegt. Auch betont § 17 AGG die
soziale Verantwortung der Beteiligten dahingehend, dass Tarifvertragsparteien, Arbeit-
geber*innen, Beschäftigte und deren Vertretungen dazu aufgefordert, im Rahmen ihrer
Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten an der Verwirklichung des in § 1 genannten
Ziels mitzuwirken.
Wie die einzelnen Akteur*innen der Dienststelle sich in Erfüllung der vorgenannten
Handlungsgebote gegenseitig unterstützen und gemeinsam auf eine vielfältigere und
inklusivere Verwaltung hinwirken können, soll beispielhaft am Gleichstellungsplan,
der Inklusionsvereinbarung, der Erstellung von Fortbildungsangeboten und Stellen-
ausschreibungen veranschaulicht werden. Diese Beispiele sind nicht abschließend
zu verstehen. Vielmehr stellen sie nur einige wenige Aspekte einer Bandbreite an
Betätigungsfeldern dar.

2.1 Gleichstellungsplan

Der Gleichstellungsplan ist ein Steuerungsinstrument zur geschlechtergerechten


Personalplanung und -entwicklung in der Dienststelle. Er enthält als Instrument
des Personalmanagements neben der Dokumentation von gleichstellungsrelevanten
Rahmenbedingungen in der Dienststelle auch verbindliche (qualitative, quantitative und
organisatorische) Zielvorgaben und entsprechende Maßnahmen, um diese Zielvorgaben
zu erreichen.1 Seine rechtlichen Grundlagen findet er in den Gleichstellungsgesetzen
des Bundes und der Länder (§§ 11–14 BGleiG). Neben den Quotenregelungen und den
Zielvorgaben kommt auch dem Gleichstellungsplan maßgebliche Bedeutung bei der
Umsetzung der Ziele von Gleichstellungsgesetzen zu.
Grundlage des Gleichstellungsplans ist eine Beschreibung der Situation der Frauen
und Männer sowie die Auswertung der bisherigen Maßnahmen zu deren Gleich-
stellung in den einzelnen Bereichen. Ausgehend von dieser Bestandsaufnahme sind
Maßnahmen und konkrete Zielvorgaben zum Abbau von Unterrepräsentanz von Frauen
und der Verbesserung von Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Berufstätigkeit festzu-
legen (§ 13 Abs. 2 BGleiG, § 15 Abs. 1 bis Abs. 3 LGG).2 Darüber hinaus können (und

1 Anja Rudek/Ulrike Schultz, BGleiG, 1. Aufl. 2012, § 11 Rn. 2, 3; Torsten v. Roetteken, BGleiG,
83. Akt. 01.2021, § 11 Rn. 7.
2 Bernhard Franke, Das Gesetz zur Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern,

NvWZ 2002, 782 (779).


332 T. M. Hillermann

sollen) mit dem Gleichstellungsplan als zentralem Instrument der geschlechtergerechten


Personalentwicklung auch nicht binäre Geschlechtsidentitäten adressiert werden. Gemäß
§ 11 BGleiG ist die Umsetzung die „besondere Verpflichtung der Personalverwaltung,
der Beschäftigten in Führungspositionen sowie der Dienststellenleitung.“
Der Gleichstellungsplan kann als zentrales Instrument des Personalmanagements
in vielerlei Hinsicht diversitätspolitisch genutzt werden. Zum Beispiel können
Maßnahmen zum Schutz von Frauen mit Behinderung Eingang in den Gleichstellungs-
plan oder etwa diversitätsorientierte Anforderungen an Personalauswahlverfahren finden.
Maßnahmen im Gleichstellungsplan können auch sein, dass Stellenanzeigen merkmals-
neutral formuliert und Ermutigungsklauseln eingebaut werden oder dass eine Dienst-
vereinbarung zum Schutz von Frauen mit Behinderungen vor sexueller Belästigung
abgeschlossen werden soll. Es kann auch eine Evaluierung der Bedürfnisse von Frauen
mit Behinderungen oder solchen, die von Behinderung bedroht sind, vorgesehen werden.
Auch können verpflichtende Workshops zum Thema Inklusion und Teilhabe in den
Plänen verankert werden. Denkbar ist es auch, im Gleichstellungsplan das Verfahren
oder die Zuständigkeiten bei geschlechtsspezifischen Diskriminierungen mit Blick auf
die AGG-Beschwerdestelle festzulegen, um so klare Verfahren für alle Diskriminierungs-
fälle und -formen zu schaffen. Auch können konkret Programme zum beruflichen
Aufstieg von Frauen mit einer Einwanderungsgeschichte aufgenommen werden. Ein
wesentlicher Baustein sind auch Ziele und Maßnahmen, um Frauen, die Familien- und
Erziehungsarbeit übernommen haben, eine Rückkehr in den Beruf zu erleichtern.
Die Erstellung des Gleichstellungsplans ist Aufgabe der Dienststelle (§ 12 BGleiG),
welche diese Aufgabe durch die Personalverwaltung wahrnimmt. Sie ist also die
Hauptakteurin bei der Erstellung des Gleichstellungsplans und überlegt sich unter Ein-
beziehung aller vorhandenen Informationsquellen wie der Plan inhaltlich ausgestaltet
werden kann und soll.
Eine zentrale Rolle nimmt im Erstellungsprozess jedoch auch die Gleichstellungs-
beauftragte ein. Das Gebot zu einer frühzeitigen Beteiligung an personellen und
organisatorischen Maßnahmen (§ 27 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 2 BGleiG) verlangt eine
Beteiligung am gesamten Verfahren, von der Planung bis zur Bekanntgabe. Die Gleich-
stellungsbeauftragte hat sogar ein Einspruchsrecht gegenüber der Dienststellenleitung,
wenn diese entgegen § 12 Abs. 1 BGleiG einen Gleichstellungsplan nicht erstellt
oder die Frist nach § 12 Abs. 2 BGleiG erheblich verletzt (Nr. 1) sowie wenn sie einen
Gleichstellungsplan erstellt, der nicht den Vorgaben des § 13 BGleiG entspricht (Nr. 2).
Ein Einspruchsrecht steht der Gleichstellungsbeauftragten auch zu, wenn die Dienststelle
die Gleichstellungsbeauftragte entgegen § 27 Abs. 1 Nr. 5 BGleiG bei der Erstellung
des Gleichstellungsplans nicht beteiligt (Nr. 3) oder aber den Gleichstellungsplan ent-
gegen § 14 BGleiG nicht bekannt gegeben hat (Nr. 4). § 34 Abs. 2 BGleiG ermöglicht
der Gleichstellungsbeauftragten die Anrufung des Gerichts, wenn die Gleichstellungsbe-
auftragte zwar einen Gleichstellungsplan erstellt hat, dieser Plan aber nicht den Vorgaben
der §§ 12 bis 14 BGleiG entspricht (§ 34 Abs. 2 Nr. 2 BGleiG).
Institutionalisierte Akteur*innen als Impulsgeber*innen … 333

Auch der Personalrat hat Möglichkeiten, die Umsetzung der Vorgaben im Gleich-
stellungsplan zu überwachen und durchzusetzen. Er kann gemäß § 78 Abs. 5 Nr. 1
BPersVG seine Zustimmung zu einer personellen Maßnahme, z. B. einer Einstellung oder
Beförderung verweigern, wenn die Maßnahme gegen den Gleichstellungsplan verstößt.
Zudem bestimmt der Personalrat in organisatorischen Angelegenheiten mit. Zu diesen
organisatorischen Maßnahmen gehören alle Maßnahmen, die der Familienfreundlichkeit,
der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, der Durchsetzung der Geschlechtergleichstellung
sowie der Vermeidung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen dienen
(§ 80 Abs. 1 Nr. 13 Hs. 2 BPersVG). Um eine solche organisatorische Maßnahme handelt
es sich auch beim Gleichstellungsplan, der konkrete Maßnahmen und Zielvorgaben zu
ebendiesen Themen beinhaltet. Er kann also nicht nur seine Zustimmung verweigern,
wenn gegen den Gleichstellungsplan verstoßen wird, sondern bestimmt schon bei dessen
Erlass mit und kann hier konstruktive Kritik einbringen.
Die Schwerbehindertenvertretung ist gem. § 178 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX, Abs. 2 S. 1
SGB IX zu unterrichten bzw. anzuhören, wenn Aspekte des Gleichstellungsplans
einzelne oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren.
Bei der Erstellung des Gleichstellungsplans kann eine Abfrage bei der AGG-
Beschwerdestelle hilfreich sein, um Verbesserungsbedarfe und erforderliche Maßnahmen
im Bereich des Diskriminierungsschutz zu erreichen. Auch ist der Gleichstellungsplan für
die AGG-Beschwerdestelle ein wichtiges Instrument mit Blick auf die Bearbeitung von
Beschwerden mit Bezug zur geschlechtlichen Identität, etwa wenn es zum Beispiel um die
mangelhafte Umsetzung von im Gleichstellungsplan vorgeschriebenen Maßnahmen geht.
Der Gleichstellungsplan kann also insgesamt als umfassendes Diversity-Instrument
aufgefasst und gestaltet werden. Inhaltlich kann er in unterschiedlichen Bereichen durch
Maßnahmen der Antidiskriminierung und Chancengleichheit durch die Akteur*innen
angereichert werden. Auch haben. Letztere haben unterschiedliche Möglichkeiten die
Umsetzung des Plans zu kontrollieren.

2.2 Inklusionsvereinbarung

Ein weiteres Feld der diversitätspolitischen Zusammenarbeit verschiedener Akteur*innen


in der Dienststelle ergibt sich bei der Inklusionsvereinbarung. Die Inklusionsvereinbarung
ist ein Steuerungsinstrument der öffentlichen Arbeitgeberin zur Förderung und Sicher-
stellung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben und wird als Verein-
barung zwischen der öffentlichen Arbeitgeberin und der Schwerbehindertenvertretung
sowie dem Personalrat getroffen.3 Beispiele für Regelungen, die in der Inklusionsverein-

3 Christian Rolfs, in: Erfurter Kommentar, SGB IX, 22. Aufl. 2022, § 166 Rn. 1 ff.
334 T. M. Hillermann

barung getroffen werden können, sind Maßnahmen zur angemessenen Berücksichtigung


schwerbehinderter Menschen bei der Besetzung freier, frei werdender oder neuer Stellen
(§ 166 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX), einer anzustrebenden Beschäftigungsquote, einschließlich
eines angemessenen Anteils schwerbehinderter Frauen (§ 166 Abs. 3 Nr. 2 SGB IX),
zu Teilzeitarbeit (§ 166 Abs. 3 Nr. 3 SGB IX), zur Ausbildung von Jugendlichen mit
Behinderungen (§ 166 Abs. 3 Nr. 4 SGB IX), zur Durchführung der betrieblichen Prä-
vention (betriebliches Eingliederungsmanagement) und zur Gesundheitsförderung
(§ 166 Abs. 3 Nr. 5 SGB IX), zur Hinzuziehung des Werks- oder Betriebsarztes auch für
Beratungen über Leistungen zur Teilhabe sowie über besondere Hilfen im Arbeitsleben
(§ 166 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX).
Relevante Akteur*innen bei der Erarbeitung sind hier neben der Dienststellen-
leitung und der Schwerbehindertenvertretung auch der Personalrat. Der Personalrat
hat im Rahmen seiner Mitbestimmungsrechte die Möglichkeit, einzelne Punkte aus der
Inklusionsvereinbarung durchzusetzen, zum Beispiel soweit die Ordnung der Dienststelle
berührt ist (§ 80 Abs. 1 Nr. 18 BPersVG, § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) oder bei Grundsätzen
des behördlichen oder betrieblichen Gesundheits- und Eingliederungsmanagements
(§ 80 Abs. 1 Nr. 17 BPersVG).
Auch handelt es sich bei der Inklusionsvereinbarung um eine organisatorische
Maßnahme, für die eine Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten in Betracht kommt
(§ 27 Abs. 2 BGleiG), sodass über diesen Weg ganz gezielt Fragen der Geschlechterge-
rechtigkeit Eingang in die Inklusionsvereinbarung finden können. So können beispiels-
weise die Belange von Frauen mit Behinderung anders adressiert werden.
Hier können also durch eine Zusammenarbeit von Dienststellenleitung, der Schwer-
behindertenvertretung sowie der Personalvertretung zusammen mit der Beteiligung der
Gleichstellungsbeauftragten an mehreren Stellen wichtige diversitätspolitische Impulse
gesetzt werden.

2.3 Fortbildungsangebot

Ein weiterer Ausgangspunkt zum diversitätsorientierten Zusammenwirken ergibt sich


etwa bei der Erarbeitung von Fortbildungsprogrammen und -angeboten und deren
Durchführung. Fortbildungen sind zentrale Bestandteile, um eine Verwaltung diversi-
tätssensibel und inklusiv zu gestalten. Zum einen kann dadurch Wissen zu relevanten
Themenfeldern wie Inklusion, Familien- und/oder Geschlechtergerechtigkeit an wesent-
lichen Stellen der Verwaltung, vor allem in der Leitungsebene, verankert werden.
Andererseits sind Fortbildungen ein wichtiger Aspekt der geschlechtergerechten
Personalplanung, in dem in einem Bereich unterrepräsentierte Personengruppen durch
gezielte Fortbildungsmaßnahmen zum Beispiel für die Arbeit in Gremien und auf
Leitungsfunktionen vorbereitet werden können.
Die Dienststelle hat gem. § 10 BGleiG die Teilnahme der Beschäftigten an Fort-
bildungen zu unterstützen. Bei der Einführungs-, Förderungs- und Anpassungsfort-
Institutionalisierte Akteur*innen als Impulsgeber*innen … 335

bildung sind Frauen mindestens entsprechend ihres Anteils an der jeweiligen Zielgruppe
der Fortbildung zu berücksichtigen. Neben der Pflicht der Dienststelle zur Ermög-
lichung von Fortbildungen der Beschäftigten, sind gemäß § 10 Abs. 4 BGleiG auch die
Beschäftigten der Personalverwaltung und die Beschäftigten mit Vorgesetzten- oder
Leitungsaufgaben verpflichtet, sich über Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen
und Männern sowie zur Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Berufstätigkeit zu
informieren und entsprechende Fortbildungen zu besuchen. Denkbar sind hier Diversity-
Management-Trainings, Antirassismus-Trainings oder Fortbildungen auf den Gebieten
der Antidiskriminierung oder zu Fragen der Integration, Inklusion oder beispielweise
sexueller oder geschlechtlicher Identität.4
Zuständig und verantwortlich für die Erstellung des Fortbildungsangebotes ist
regelmäßig die Dienststellenverwaltung. Die Gleichstellungsbeauftragte ist bereits im
Erarbeitungsprozess seitens des Fortbildungsangebotes frühzeitig zu beteiligen, da es sich
um eine organisatorische Maßnahme handelt und Fortbildungsprogramme zentral für die
geschlechtergerechte Personalentwicklung sind (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 lit. c, Nr. 2 BGleiG).
Vom Beteiligungsrecht erfasst ist auch die Auswahl an Teilnehmer*innen.
Der Personalrat hat ein Beteiligungsrecht bei allgemeinen Fragen der Fortbildung der
Beschäftigten (§ 80 Abs. 1 Nr. 10 BPersVG). Nur, wenn dies auch im jeweils geltenden
Personalvertretungsgesetz verankert ist, bestimmt er auch bei der Auswahl der Teil-
nehmer*innen an Fortbildungsveranstaltungen mit (§ 78 Abs. 1 Nr. 13 BPersVG).
Dienststellenverwaltung, Gleichstellungsbeauftragte und Personalrat können
also bei der Konzipierung von Fortbildungsprogrammen gemeinsam diversitäts-
politische Schwerpunkte setzen. Dadurch kann einerseits eine Sensibilisierung bei
allen Beschäftigten, insbesondere Personalverantwortlichen geschaffen werden.
Andererseits können über entsprechend gestaltete Qualifizierungsangebote berufliche
Weiterentwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten geebnet werden.

2.4 Stellenausschreibungen

Die Ausgestaltung des gesamten Bewerbungs- und Auswahlverfahren ist ein wichtiges
Instrument für die Steuerung von diversitätsorientierter und chancengerechter Personal-
entwicklung. Hierdurch kann insbesondere auch Einfluss auf die Repräsentanz
bestimmter Personengruppen in der öffentlichen Verwaltung genommen werden.
Das Auswahlverfahren beginnt mit der Erarbeitung der Stellenausschreibung. Diese
stellt also eine wichtige Weichenstellung bei der Frage des Zugangs zum öffentlichen
Dienst. Die wesentlichen Vorgaben zur diskriminierungsfreien Gestaltung von Stellen-
ausschreibungen ergeben sich aus dem AGG. Andere Gesetze enthalten ergänzende

4 Siehedazu Gertraude Krell/Barbara Sieben, Diversity Management und Personalforschung, in:


Krell/Riedmüller/Sieben/Vinz (Hrsg.), Diversity Studies, 2007, S. 235 (235).
336 T. M. Hillermann

Regelungen zur Gestaltung (z. B. § 6 Abs. 1 BGleiG) oder verweisen auf das AGG (z. B.
§ 164 Abs. 2 SGB IX).
Die Stellenausschreibung wird durch die Dienststellenleitung, d. h. in der Praxis vor
allem durch die Personalverwaltung, gestaltet. Eine Stellenausschreibung darf nicht
gegen § 7 Abs. 1 AGG (Benachteiligungsverbot) verstoßen (§ 11 AGG, § 24 Nr. 1 AGG).
Sie darf also nicht so formuliert sein, dass Personen nach § 1 AGG diskriminiert werden.
Die mögliche Benachteiligung muss sich dabei nicht zwingend direkt und unmittelbar
aus dem Ausschreibungstext selbst ergeben, sondern kann sich auch aus den Umständen
ergeben (z. B. Verwendung des Begriffs „Muttersprachler“). Eine Diskriminierung kann
sich auch aus dem Gesamtkontext der Ausschreibung ergeben.5
Eine Ausschreibung, die bestimmte durch das AGG geschützte Merkmale ausdrück-
lich und gezielt anspricht, ist nur zulässig, wenn das Differenzierungskriterium wegen
des Vorliegens von Ausnahmen oder Rechtfertigungsgründen verwendet werden darf
(§§ 8 ff. AGG).6 § 6 Abs. 1 BGleiG macht zur Arbeitsplatzausschreibung insbesondere
die Vorgabe, dass diese geschlechtsneutral formuliert sein müssen (§ 6 Abs. 1 S. 1 bis S
. 3 BGleiG) und dass auf die Teilzeitfähigkeit hingewiesen werden muss (§ 6 Abs. 1 S. 4
BGleiG). Zudem müssen Angehörige des in dem jeweiligen Bereich unterrepräsentierten
Geschlechts verstärkt zur Bewerbung aufgefordert werden (§ 6 Abs. 1 S. 3 HS. 2
BGleiG).
Die Dienststelle beteiligt die Gleichstellungsbeauftragte frühzeitig an der Vor-
bereitung personeller Angelegenheiten wie z. B. der Vergabe von Ausbildungsplätzen
und der Einstellung und Versetzung, was auch die Erstellung und Formulierung von
Arbeitsplatzausschreibungen betrifft (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 lit. a und lit. b BGleiG).
Inwieweit der Personalrat an der Erstellung und Formulierung von Arbeits-
platzausschreibungen zu beteiligen ist, hängt davon ab, ob das jeweils einschlägige
Personalvertretungsgesetz ein solches Recht verankert. Teilweise sehen Landes-
gesetze Beteiligungsrechte des Personalrates bei der Ausschreibung von Stellen
vor (z. B. § 88 Abs. 6 Nr. 1 HmbPersVG). Nach § 78 BPersVG ist der Personal-
rat an der Formulierung von Arbeitsplatzausschreibungen grundsätzlich nicht ver-
pflichtend zu beteiligen. Er hat jedoch ein Mitbestimmungsrecht an Einstellungen
(§ 78 Abs. 1 Nr. 1 BPersVG) und kann die Zustimmung zu einer Einstellung verweigern,
wenn die Dienststellenleitung die geltenden Gesetze, wie etwa die diskriminierungsfreie
Gestaltung der Stellenausschreibung gemäß § 11 AGG, nicht eingehalten hat. Darüber
hinaus kann der Personalrat auf den Abschluss von Dienstvereinbarungen zur Gestaltung
von Stellenausschreibungen hinwirken. Der Personalrat kann zudem die Zustimmung
verweigern, wenn die Dienststellenleitung auf eine Ausschreibung verzichtet (§ 78 Abs.
1 Nr. 12, Abs. 5 BPersVG).

5 ArbG Gießen v. 19.05.2020–9 Ca 8/20, BeckRS 2020, 46191.


6 Monika Schlachter, in: ErfKomm, AGG, 20. Aufl. 2020, § 11 Rn. 2.
Institutionalisierte Akteur*innen als Impulsgeber*innen … 337

Die Schwerbehindertenvertretung hat über die Einhaltung der Vorgaben zur dis-
kriminierungsfreien Ausgestaltung von Arbeitsplatzausschreibungen gem. § 164
Abs. 2 SGB IX iVm §§ 11, 7, 1 AGG zu wachen (§ 178 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX). Die
Schwerbehindertenvertretung ist allerdings anders als die Gleichstellungsbeauftragte
nicht schon bereits bei der Formulierung der Stellenausschreibung zu beteiligen
(§§ 81 Abs. 1 S. 6, 95 Abs. 2 SGB IX).
Die gemeinsame Gestaltung von Stellenausschreibungen als Eingangstür zur Ver-
waltung birgt – in Kombination mit einem entsprechend diversitätsorientierten Ablauf
des weiteren Auswahlverfahrens – große Potenziale zur Entwicklung. Insgesamt zeigt
sich bei ihrer Erstellung aufgrund der verschiedenen Beteiligungszeitpunkte und
-ebenen, dass verschiedene Akteur*innen hier bei der richtigen Zusammenarbeit und
Absprache erheblichen Einfluss nehmen können.

3 Fazit und Ausblick

Der Fachbeitrag hat gezeigt, dass alle institutionalisierten Akteur*innen der Verwaltung
einen diversitätspolitischen Auftrag haben und daher wichtige Impulsgeber*innen,
Gestalter*innen, Moderator*innen und Multiplikator*innen von Diversity in der
öffentlichen Verwaltung sind.
Besonders nachhaltig wird sich ein diversitätspolitisches Zusammenwirken aus-
wirken bei der Erstellung von Organisations- und Personalentwicklungsinstrumenten,
die auf struktureller Ebene ansetzen (z. B. Gleichstellungsplan, Inklusionsvereinbarung).
Daneben ist die Zusammenarbeit etwa bei Personalentscheidungen (z. B. im Auswahl-
verfahren) elementar zur Vermeidung und Verhinderung von Benachteiligungen.
Die verschiedenen Zeitpunkte und Ebenen von Beteiligung und Mitbestimmung
ermöglichen nicht nur Eigeninitiative. Durch Absprachen ermöglichen sie den ver-
waltungsinternen Akteur*innen auch, Schallverstärker*innen für die diversitäts-
politischen Impulse der jeweils anderen Stelle zu sein.
Voraussetzung, um das volle Potenzial für Vielfalt in der Verwaltung zu entfalten,
ist, dass alle Beteiligten transparent, kooperativ und konsensorientiert zusammen-
arbeiten. Von Vorteil dürfte dafür gerade bei größeren Dienststellen auch eine räumliche
Nähe zwischen den aufgezeigten Stellen und Organen sein. Ein Grundstein für die Ver-
wirklichung von Vielfalt in der Verwaltung ist dabei in jedem Fall eine ausreichende
sachliche, räumliche und personelle Ausstattung der zentralen Akteur*innen.

Dr. Tessa Maria Hillermann studierte an den Universitäten Trier und Thessaloniki (Griechen-
land) Rechtswissenschaft (Schwerpunkt Umwelt und Infrastruktur) und promovierte anschließend
im Gleichstellungsrecht des öffentlichen Dienstes. Nach Abschluss ihres Rechtsreferendariats am
Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg ist sie seit März 2023 wissenschaftliche Mitarbeiterin
für die Gleichstellungsberichte der Bundesregierung bei der Bundesstiftung Gleichstellung.
Daneben ist sie freiberufliche Referentin und Beraterin für die öffentliche Verwaltung.
Teil VI Mit Diversity Verwaltungsinnovationen
fördern

Teil VI „Mit Diversity Verwaltungsinnovationen fördern“ macht deutlich, dass


mit einer vielfältigen und vielfaltsbewussten Belegschaft in einer Verwaltung mehr
Innovationskraft entfalten werden kann. Eine öffentliche Verwaltung, die aus vielfältigen
Menschen besteht und eine Diversity-orientierte Verwaltungskultur lebt, steigert ihre
Fähigkeiten zum Perspektivenwechsel, zur Empathie, zur Kreativität und mithin zur
Schaffung von nachhaltigen, gemeinwohlorientierten Innovationen. Diversity und
Verwaltungsinnovationen stehen demnach in einem engen Zusammenhang.
Um ein gemeinsames Verständnis aufzubauen, wird im Fachbeitrag „Diversity
und Innovation – eine zukunftsweise Wechselwirkung“ von Jana Janze zunächst
der Innovationsbegriff im Kontext der Diversity-Thematik definiert. Jana Janze
erklärt den Ablauf eines typischen Innovationsprozesses in einer Verwaltung und
differenziert unterschiedliche Innovationsarten. Anschließend macht Jana Janze deutlich,
dass Innovation und Diversity in Wechselwirkung stehen – und dass genau diese
Wechselwirkung für Menschen anstrengend ist. Trotzdem lohnt es sich, Innovation
und Diversity gemeinsam zu denken, weil im gemeinsamen Entwicklungsprozess
Neuerungen entstehen, die Bürger*innen, Mitarbeitenden von Verwaltungen und allen
anderen Menschen Mehrwerte bieten.
Ein wesentlicher Schwerpunkt von Verwaltungsinnovation ist die konsequente
Entwicklung von attraktiven Verwaltungsservices für Bürger*innen und Unternehmen.
In dem Fachbeitrag „Ein neuer Aspekt der Nutzer*innenzentrierung: Beschäftigte
in der deutschen Verwaltung als Spiegel unserer diversen Gesellschaft“ gehen
Irina Eckardt und Ibrahim Köran auf einen zentralen Erfolgsfaktor entsprechender
Innovationen ein: die Nutzer*innenzentrierung. Irina Eckardt und Ibrahim Köran
erläutern, warum es notwendig ist, dass sich Verwaltungen stärker an den Bedarfen ihrer
Kund*innen ausrichten, welchen Einfluss das auf die interne Funktionsfähigkeit einer
Verwaltung hat und inwiefern dies auch zur Stärkung von Demokratie und Partizipation
in der Gesellschaft beiträgt.
340 Teil VI Mit Diversity Verwaltungsinnovationen fördern

John Meister und Matthias Hörmeyer greifen den Gedanken der


Nutzer*innenzentrierung in dem Fachbeitrag „Braucht Service Design mehr
Diversity? – Vorstellung und kritische Analyse“ auf und führen schließlich in das
Service Design ein, einem Methodenset zur nutzer*innenzentrierten Gestaltung von
Verwaltungsservices. Der Fachbeitrag stellt den Ansatz des Service Designs vor und
beleuchtet anschließend, welchen Stellenwert Diversity für das Service Design hat.
Dabei wird analysiert, warum gerade Service Design-Teams in Verwaltungen divers
zusammengestellt sein sollten.
Der Fachbeitrag „Diversität über die Authentifizierung hinaus. Wie das „Team
OnlineRathaus“ der Landeshauptstadt Wiesbaden mit den Mitarbeitenden
Onlinedienste entwickelt und Nutzen validiert“ von Jan Klumb und Edwin Meier
rundet das Thema Nutzer*innenzentrierung als Erfolgsfaktor für mehr Innovation in
der Verwaltung ab. Jan Klumb und Edwin Meier stellen in einem praktischen Bericht
das „Team OnlineRathaus“ sowie das Projekt „Entwicklung der Online-Anmeldung der
Eheschließung“ von der Landeshauptstadt Wiesbaden vor. Dabei beschreiben Jan Klumb
und Edwin Meier, wie Diversität und Nutzer*innenzentrierung dabei geholfen haben, die
Anmeldung zu einer Eheschließung erfolgreich digital für die Kund*innen anzubieten.
Verwaltungsinnovation braucht auch neue Formen der Zusammenarbeit zwischen
Verwaltung und anderen Organisationen. In dem Fachbeitrag „Potenzial im
Unterschied – Wie sich Verwaltung und Start-ups gegenseitig bereichern können“
analysiert Jana Janze die Chancen der Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und
Start-ups – zwei Organisationsformen, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher
sein könnten. Jana Janze legt den Fokus darauf, wie gerade vor dem Hintergrund der
Diversität zwischen diesen beiden Organisationsformen mehr Innovation entstehen kann
und welche Rahmenbedingungen hierfür geschaffen werden müssen.
Der Fachbeitrag „Wenn Künstliche Intelligenz und Diversity aufeinandertreffen:
Handlungsoptionen für Kommunen“ von Anika Krellmann und Marc Groß
schließt den Teil VI mit einem Blick auf das Thema Künstliche Intelligenz als
zukunftsweisende Technologie ab. Auch in Verwaltungen kommt Künstliche Intelligenz
zunehmend zum Einsatz. Der Beitrag beschreibt, welche Potenziale Kommunen im
Einsatz von Künstliche Intelligenz sehen und stell dar, warum Künstliche Intelligenz
und Diversity – im Sinne einer modernden Demokratie – zusammen gedacht werden
müssen. Denn Künstliche Intelligenz kann zum einen dazu beitragen, Entscheidungen
diskriminierungsfreier zu treffen. Sie kann Vorurteile und Stereotypen aber auch
verstärken. Deshalb bedarf es frühzeitig eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit
der Art und Weise, wie wir Künstliche Intelligenz einsetzen wollen.
Die Fachbeiträge in diesem Teil konstatieren verschiedene Zusammenhänge zwischen
Diversity und Verwaltungsinnovation. Sie ermöglichen damit ein tieferes Verständnis,
warum eine vielfältige Verwaltung zu mehr Innovationen in der Lage ist, die allen
Menschen zugute kommt.
Diversity und Innovation – eine
zukunftsweisende Wechselwirkung

Jana Janze

Zusammenfassung

Innovation entsteht durch Diversity. Vielfältige Teams sorgen für vielfältige Ideen,
nehmen vielfältige Sichtweisen ein und sorgen dafür, dass viele verschiedene
Menschen gesehen und gehört werden. In dem Fachbeitrag wird beleuchtet, ob und
wie Vielfalt Innovationen unterstützen kann und wie vielfältige Sichtweisen ein-
genommen werden können. Organisationen, die sich mit Diversity beschäftigen,
passen sich flexibler auf neue Situationen an und entwickeln innovative Geschäfts-
modelle. Sie laufen seltener Gefahr, die eigene Organisation zu gefährden: Diversity
hat einen positiven Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen oder
auf die Reputation von Verwaltungen. Unternehmen müssen verstehen, wer hinter
Kaufentscheidungen steckt. Die Verwaltung muss wissen, ob es regionale oder
kulturelle Unterschiede bei der Nutzung von Services gibt – und, wie sich das auf die
Zufriedenheit der Bürger*innen auswirkt.

Schlüsselwörter

Diversity · Innovation · Innovationsmanagement · GovTech · Start-ups · Digitale


Transformation

J. Janze ( )
GovMarket GmbH, Berlin, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 341
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_26
342 J. Janze

1 Kann Vielfalt Innovation fördern ?

Kann Vielfalt Innovationen fördern? Oder unterstützt Innovation dabei, vielfältige


Sichtweisen aufzunehmen? In der Literatur wird die erste Frage mit „Ja“ beantwortet.
Spezialist*innen aus dem Bereich Innovationmanagement und Diversityexpert*innen
stimmen dem ebenfalls zu. Innovation entsteht durch Diversity. Es heißt: Vielfältige Teams
sorgen für vielfältige Ideen, nehmen vielfältige Sichtweisen ein und sorgen dafür, dass
viele verschiedene Menschen gesehen und gehört werden.
Damit wäre der Fachbeitrag nach wenigen Zeilen beendet.
Diversity in Organisationen (sowohl Verwaltungen als auch Unternehmen) ist damit
verbunden, eine entsprechende Kultur aufzubauen: ein Unternehmen, in dem sich die
Mitarbeitenden wohl fühlen, oder eine Verwaltung, die die verschiedenen Sichtweisen
von Personen zusammenbringt. Häufig wird unterschätzt, dass Diversity einen positiven
Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen oder auf die Reputation von
Verwaltungen hat. Unternehmen müssen verstehen, wer hinter Kaufentscheidungen
steckt. Die Verwaltung muss wissen, ob es regionale oder kulturelle Unterschiede
bei der Nutzung von Services gibt – und auch, wie sich das auf die Zufriedenheit der
Bürger*innen auswirkt. Die Verwaltung bedient eine vielfältige Bürger*innenschicht,
entsprechend sollte dies beim Aufbau von Services berücksichtigt werden.
Unternehmen, die sich bereits länger mit Diversity beschäftigen, haben sich flexibler
auf verschiedene Gegebenheiten angepasst (Vgl. Billerbeck 2021). Auch die Untersuchung
von Dixon-Fyle et al. (2022) bestätigt, dass Unternehmen, die während der Corona-
Pandemie Diversity & Inclusion als „Luxus, den man sich in der Krise nicht leisten kann“
betrachtet haben, Gefahr laufen, sich langfristig als Organisation zu gefährden, weil sie
kaum bereit sind, ihr Geschäftsmodell anzupassen.
Allerdings: Braucht es vielleicht Menschen, die sich über die Meinung von „Vielen“
hinwegsetzen? Ein Satz, der Henry Ford zugeschrieben wird, lautet: „Wenn ich die
Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt, schnellere (bessere) Pferde.“
Kann also durch viele Meinungen wirkliche Innovation entstehen? Diese Frage-
stellung wird in diesem Fachbeitrag beleuchtet. Wir betrachten zunächst, was
„Innovation“ ist: Welche begünstigenden Faktoren gibt es für die Innovationsfähigkeit?
Was hemmt Innovation und wie kann Diversity Innovation begünstigen?

2 Was ist „Innovation“?

Innovation leitet sich von dem Wort „innovatio“ ab, welches bereits um 200 n. Chr. ver-
wendet wurde – entdecken, erfinden oder auch nach Neuerungen suchen. Der heutige
Begriff der Innovation wurde von dem österreichischen Nationalökonomen Joseph Alois
Schumpeter (1883 bis 1950) geprägt: „The doing of new things or the doing of things
Diversity und Innovation – eine zukunftsweise Wechselwirkung 343

that are already done, in a new way“ (Vgl. Fligstein 2021). Ebenso hat Emese Borbély
(2008) fünf Kategorien in Anlehnung an Schumpeters Theorie der wirtschaftlichen Ent-
wicklung von 1912 (Vgl. Röpke et al. 2006) definiert:

1. Neues Produkt bzw. Produktqualität


2. Neue Produktionsmethode
3. Neuer Absatzmarkt oder Industriezweig
4. Neue Bezugsquellen
5. Neue Organisationsformen

Deutlich wird, dass Innovation nicht nur die Schaffung neuer Produkte ist. Innovation
erfordert Dynamik und hat Einfluss auf die Wirtschaft. Eine Innovation kann von der
Durchsetzung am Markt geprägt sein, die eine Adaption von etwas Bestehendem dar-
stellt. Sie muss also nicht zwangsläufig etwas ganz Neues, nie Dagewesenes sein. Das
stellt damit den Unterschied zu einer Erfindung dar. Eine Erfindung ist ein neuartiges
Konzept oder eine neue Technlogie – etwas nie Dagewesenes.

2.1 Innovationsprozesse

Über den Innovationsprozess werden die Wege beschrieben, wie neue Produkte, Dienst-
leistungen oder auch Services entstehen. Der systematische Prozess wird für jede
Organisation anders aussehen. Dennoch ist es empfehlenswert, den Prozess strukturiert
durchzuführen, um sicherzustellen, dass Neuerung erfolgreich ist. Diese kann man in
fünf Schritte zusammenfassen (siehe Abb. 1):

Elemente eines Innovationsprozess (beispielhaft)

Abbruch Abbruch Abbruch Abbruch


ja / nein ja / nein ja / nein ja / nein

Verstehen Ideen- Design- und Pilotierung Skalierung und


Phase Prototyping-Phase Weiterentwicklung

Abb. 1 Elemente des Innovationsprozesses. (Quelle: Eigene Darstellung)


344 J. Janze

1. Verstehen
Im ersten Schritt werden die Herausforderungen betrachtet. Es geht dabei vor allem
um die Relevanz der Fragestellung. Das Problem wird systematisch hinterfragt und
aus den verschiedenen Perspektiven betrachtet, diskutiert und bewertet. Diese Phase
ist eine wichtige Grundlage, mit dem Ziel der Problemidentifikation.
2. Ideen-Phase
In der „Ideation“ werden gemeinsam Ideen entwickelt. Die Idee kann ein Vor-
schlag zur Lösung des Problems sein. Es werden verschiedene Ideen gesammelt und
priorisiert. In dieser Phase werden Methoden wie „Design Thinking“ genutzt, welche
die verschiedenen Sichtweisen von Menschen zusammenfassen.
3. Design- und Prototyping-Phase
In der Konzeptionsphase (Design & Prototyping) wird die Produktidee konkretisiert:
menschorientiert und validiert. Methoden wie Lean Start-up werden hier eingesetzt,
sodass Lösungen bereits prototypisch umgesetzt werden. Die Prüfung findet durch
User Tests statt.
4. Pilotierung
Die Validierung wird auch in der vierten Phase fortgesetzt: Ein MVP (Minimal Viable
Product – ein minimal funktionsfähiges Produkt) wird erstellt und mit weiteren
„echten Kund*innen“ (z. B. durch Marktforschung) verfeinert. In Vorbereitung auf
die nächste Phase werden Strategien für den „Go-To-Market“ entwickelt.
5. Skalierung und Weiterentwicklung
Die Skalierungsphase ist von der iterativen Weiterentwicklung geprägt. Das Produkt
wird durch kontinuierliches Feedback weiterentwickelt.

Im Prozess sind Rücksprünge zugelassen, er kann an jeder Stelle abgebrochen werden


und Phasen können sich (wenn sinnvoll) überlagern. Die Forschung der St. Gallener
Business School bestätigen außerdem das „Erfolgspotenzial einer standardisierten Vor-
gehensweise bei Produktentwicklungsprojekten“. Die Untersuchungen beruhen auf Ana-
lysen von Robert Cooper, dem Erfinder des „Stage-Gate-Prozesses“ (vgl. Abschn. 3.3 Der
Stage Gate Prozess – St. Galler Business School o. D.). Der Stage-Gate-Prozess basiert
auf dem NASA-Innovationsprozess, welcher vor allem der Kontrolle dienen sollte: Die
Aufteilung in verschiedene Phasen soll verhindern, dass Fehler weitergegeben werden.
Cooper entwickelte den NASA-Prozess weiter und setzt zwischen die Schritte (Stages)
die sogenannten Gates, welche als Entscheidungspunkte zum Abbruch oder Weitermachen
gelten.
Diversity spielt im Innovationsprozess eine entschiedene Rolle: Menschen – die
zukünfigen Nutzenden und auch die Personen, die das Problem identifiziert haben –
werden eingebunden, um ihre Sichtweisen und Erfahrungen zu teilen.
Diversity und Innovation – eine zukunftsweise Wechselwirkung 345

2.2 Arten von Innovationen

Im Innovationsprozess und den einzelnen Phasen ist die Menschzentrierung ein wesent-
licher Bestandteil. Innovationen können anhand ihrer Entstehung oder auf Basis der
Neuartigkeit eingeteilt werden.

2.2.1 Einteilung von Innovation anhand der Entstehung


1. Bei „Closed Innovation“ (geschlossene Innovationen) sind alle Beteiligten des
Innovationsprozesses in einer Organisation (oder einer Abteilung) zu finden.
Befragungen, um das Problem zu verstehen, werden ebenso nach innen gerichtet
durchgeführt wie Tests der Prototypen.
Bezogen auf Diversity bedeutet das, dass in der Organisation möglichst viele ver-
schiedene Personengruppen eingebunden sein sollten, anderenfalls kann die Vielfältig-
keit keinen Mehrwert erzeugen.
2. Das Gegenteil dazu ist die „Open Innovation“ (offene Innovation). Hierbei öffnen
sich die Organisationen nach außen und nutzen das Wissen bzw. Impulse, um ihre
eigene Innovationskraft zu verstärken.
Vielfältige Sichtweisen werden eingebracht, da viele verschiedene Menschen
angesprochen werden und man die Organisation bewusst nach außen öffnet.
3. Gleichzeitig kann jede Organisation auf vorhandenes Wissen zurückgreifen und
dieses auf die eigenen Prozesse oder Services transferieren. Diese Art von Innovation
ist die „Transfer Innovation“.
Sofern die verschiedenen Sichtweisen aus anderen Organisationen ebenfalls trans-
feriert werden und man sich auf andersartige (nicht vergleichbare) Prozesse und
Services konzentriert, kann Diversity auch im Rahmen der Transfer Innovation wirk-
sam werden.

2.2.2 Einteilung von Innovationen anhand der Neuheit


Auch wenn Innovation, wie beschrieben, „nicht zwangsläufig etwas ganz Neues, nie
Dagewesenes“ sein muss, so kann es auch eine Gruppierung anhand des Grads der
Neuerung geben (siehe Abb. 2):

1. Erhaltende Innovationen zielen auf die fortlaufende Verbesserung des Services oder
des Produkts ab, man baut auf bereits Bekanntem auf. Diese Art von Innovation ist
auf Erhaltung ausgerichtet und ist daher im Zusammenhang mit „Neu- und Weiter-
entwicklungen“ negativ behaftet.
Erhaltende Innovationen betrachten, wie Menschen mit einem Service oder einem
Produkt umgehen. Sie setzen darauf, dass etwas beibehalten wird. Natürlich kann
Diversity bei der initialen Entwicklung eines Produktes bedacht worden sein. Gibt
es bei der Nutzung durch eine Personengruppe, welche vielleicht in der initialen
Betrachtung nicht eingebunden wurde, Probleme, werden diese in der Regel nicht
346 J. Janze

Arten von Innovation

Hoch

Inkrementelle Innovation
Innovation

Erfindung
Weiterentwicklungsgrad

Erhaltende Innovationen

Radikale Innovation

Innovation
Weiterentwicklung
oder
Nachahmung
Disruptive Innovationen
Gering

Niedrig Hoch
Grad der Neuheit

Abb. 2 Arten von Innovation und Abgrenzung. (Quelle: Eigene Darstellung)

betrachtet. Man fokussiert sich auf die Erhaltung und den Ausbau des Marktes.
Diversity steht selten im Fokus.
2. Inkrementelle Innovationen bedeutet die Weiterentwicklung von bestehenden
Services oder Produkten. Ein Beispiel ist die Speichererweiterung von Smartphones.
Die inkrementelle Innovation kann somit bei der Veröffentlichung einer neuen Version
des Produkts oder des Services am Markt beobachtet werden.
In der Regel haben inkrementelle Innovationen eine technologische Ausrichtung.
Gleichzeitig geht es bei dieser Art von Innovation um die Einbeziehung weiterer Ziel-
gruppen, um ein Produkt oder Service für mehr Menschen attraktiver zu gestalten.
Diversity spielt eine – wenn auch untergeordnete – Rolle. Die Zufriedenheit von
Kund*innen oder Mitarbeiter*innen steht ebenso im Fokus wie die Erreichung
organisatorischer oder finanzieller Ziele.
3. Disruptive Innovationen beginnen in der Regel in einer „Nische“ des Marktes,
wodurch sie zunächst nur einen kleinen Teil der Menschen ansprechen. Die Markt-
durchdringung findet meist über einen längeren Zeitraum statt, wie z. B. bei der
Nutzung von Streaming-Diensten im Vergleich zur CD. Durch die Disruption, welche
der „Marktinnovation“ zugeordnet wird, findet eine Verschiebung von Verhältnissen
am Markt statt.
Diversity und Innovation – eine zukunftsweise Wechselwirkung 347

Bei der Disruption spielt Diversity in der Weiterentwicklung eine wichtige Rolle:
Wie kann ein Produkt oder Service so verändert werden, dass sie für mehr Menschen
attraktiver werden? Gleichzeitig gehört auch das Überzeugen von Menschen dazu,
etwas Neues auszuprobieren. Dieses „Neue“ muss für die neue Zielgruppe interessant
gemacht werden, bzw. einen Mehrwert zeigen. In der Regel entstehen disruptive
Innovationen aus Start-ups heraus, welche per se menschzentriertes Arbeiten in ihrer
Organisation verankert haben.
4. Radikale Innovationen (Breakthrough Innovation) stellen die komplette Neuent-
wicklung von Produkten, Services oder Organisationen dar und sind in der Regel
nicht planbar. Sie sind vergleichbar mit Erfindungen: Die Neuartigkeit hat es in dieser
Form noch nicht gegeben. Die Erfindung des iPhones ist eine radikale Innovation.
Eine radikale Innovation kann, muss aber nicht zwangsläufig mit Diversity
zusammenhängen. Es braucht für die ersten Gedanken und Fragestellungen natürlich
verschiedene vielfältige Sichtweisen. Anschließend wird experimentiert, Expert*innen
werden zu Rate gezogen, es braucht viele Iterationen und den Perfektionismus von
einzelnen Personen. Eine Demokratisierung von Innovation führt zum Durchschnitt –
was keine Radikalität darstellt.

3 Die Innovationsfähigkeit einer Organisation

Innovationen in Organisationen beeinflussen deren Zukunftsperspektiven, Diversity


ebenso. In einem Interview sagt Audhild Aabø (Portfoliomanagerin von Nordeas): „Wir
glauben, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Grad der Geschlechterdiversi-
tät eines Unternehmens und seinem Erfolg gibt. […] Ein Unternehmen, das Diversität
fördert, erweitert dadurch seinen Talentpool und hat damit einen Wettbewerbsvorteil.
[…] Eine solche positive Unternehmenskultur fördert wiederum unterschiedliche Denk-
weisen sowie die Zusammenarbeit, und vermeidet die Gefahr dogmatischen Gruppen-
denkens. Unternehmen mit einem hohen Grad an Diversität unter den Mitarbeitern
weisen häufig bessere Entscheidungsfindungsprozesse auf und sind innovativer.“ (Vgl.
Hedgework 2020). Sie bestätigt den positiven Einfluss von Diversity auf die Innovations-
kraft und die Arbeitsumgebung. Verschiedene Perspektiven, Erfahrungen und Ideen
unterstützen ebenso wie Offenheit (Vgl. Twitter – Titiat Scriptor 2021). All das lässt sich
als Innovationsfähigkeit zusammenfassen.
Konkret versteht man unter der Innovationsfähigkeit einer Organisation (eines Unter-
nehmens und auch der Verwaltung) die Bereitschaft, Ideen einerseits zu entwickeln, aber
auch die Konzepte umzusetzen. Die Arbeitsweise in einer Organisation, die Zusammen-
arbeit zwischen Mitarbeiter*innen und weitere Faktoren haben Einfluss auf die Ent-
stehung von Innovationen. Sie lassen sich in fünf Bereiche unterteilen: Leadership und
Führung, Wissen, Kommunikation, die Umgebung und die grundsätzliche Vielfältigkeit
von Menschen.
348 J. Janze

3.1 Leadership und Führung

Leadership und Führung bezieht sich auf das Management von Organisationen, in denen
Menschen zusammenkommen und Ressourcen genutzt werden. Dazu zählt der Aufbau
der Strategien zur Weiterentwicklung, die Aktivität zur Erreichung von gesetzten Zielen,
aber auch die Entscheidungsfindung. Leadership bezieht sich zusätzlich auf die Fähigkeit
der Führungskräfte, andere Menschen zu inspirieren und zu motivieren, um gemeinsam
Ziele zu erreichen.

3.1.1 Faktoren, die die Innovationsfähigkeit begünstigen


Leadership und Führung befördern und unterstützen diversityfördernde Maßnahmen.
Gleichzeitig ist die Etablierung einer Innovationskultur eine Managementaufgabe, da sie
sehr stark mit der strategischen Ausrichtung der Organisation zusammenhängt.
Strukturen in einer Organisation haben ebenfalls Einfluss auf die Innovations-
fähigkeit: Durch Eigenverantwortung statt Kontrolle übernehmen Mitarbeiter*innen
aus eigenem Antrieb Verantwortung. Flache Hierarchien setzen auf soziale und fach-
liche Kompetenzen. Statt sich auf den Status zu konzentrieren geht es um inhaltliche
Anerkennung. Leadership setzt auf Vertrauen und intrinsische Motivation. Beides hat
ebenfalls einen positiven Einfluss auf die Innovationsfähigkeit.
Auch die Begeisterung von Bewerber*innen gehört zu Führung und Leadership. Es
ist innovationsfördernd, Menschen einzustellen, welche andere Schwerpunkte in ihrer
Arbeit setzen und sich gleichzeitig mit den aktuellen Mitarbeiter*innen ergänzen.
Im Zusammenhang mit der Führung steht ebenfalls die Schulung der Mitarbeitenden:
zeitgemäße Tools, Innovationsmanagement und Kreativitätstechniken. Gleichzeitig
braucht es ein Arbeitsumfeld, in dem das Gelernte ausprobiert werden kann und
Kreativität anerkannt wird.

3.1.2 Faktoren, die die Innovationsfähigkeit hemmen


Der Bereich Leadership und Führung umfasst die meisten Innovationshemmnisse. Das
Management kann so agieren, dass die Mitarbeitenden kein Vertrauen haben. Missver-
standene Strukturen oder zu viele detaillierte Prozesse verlangsamen und verdummen die
Organisation. Je größer eine Organisation ist, umso langsamer und träger wird sie. Viele
Prozesse und lange Entscheidungszyklen sind das Aus für Innovationen.
Titel und Hierarchie fördern das Streben nach Macht. Anerkennung über den eigenen
Status sorgt für eine egozentrische Sicht von Mitarbeitenden. Mitarbeitende sind auf
ihr eigenes Weiterkommen bedacht, was im schlimmsten Fall dazu führt, dass sich für
„nicht-repräsentative“ Fragestellungen keiner zuständig fühlt. Gleichzeitig herrscht
Angst im Team. Menschen unterrepräsentierter Gruppen verlassen in der Regel die
Organisationen, weil sie z. B. nicht gehört werden.
Auch personelle und fachliche Ressourcenknappheit wirkt innovationshemmend:
Viele Aufgaben werden auf wenige Schultern verteilt. Einstellungsprobleme oder zu
lange Einstellungszyklen verstärken diesen Punkt.
Diversity und Innovation – eine zukunftsweise Wechselwirkung 349

3.1.3 Maßnahmen zur Steigerung der Innovationsfähigkeit


Die folgenden Maßnahmen fassen Möglichkeiten zusammen, die einen positiven Ein-
fluss auf die Umkehr der Hemmnisse haben können:

Führungskräfte sensibilisieren durch „Selbst-Erleben“: Teilnahme an Innovations-


workshops oder Partizipation an den Prozessen.
Fehler sind notwendig für das Entstehen von Innovationen. Sie sollten gefeiert
werden, um aus diesen die richtigen Schlüsse zu ziehen und zu lernen. Eine Lern-
kultur ist essenziell für Innovation.
Kleine und schlagkräftige Einheiten mit den entsprechenden Befugnissen etablieren.
Prozesse aktiv hinterfragen: Wie können sie schneller gehen und werden sie über-
haupt gebraucht? Es ist ratsam, die Frage nach den Prozessschritten umzukehren:
„Wie können wir etwas nicht mehr machen?“
Innovation braucht (Frei-)Raum und Möglichkeiten für Mitgestaltung.
Platz für die Vernetzung bieten. Das sorgt für mehr Offenheit und Veränderungsbereit-
schaft.
Transparente Entscheidungsstrukturen und regelmäßige (kurze!!!) Meetings
erleichtern die Arbeit an Innovationen.
Statt zu delegieren besser echte Verantwortung übertragen.

3.2 Wissen

Wissen ist von Informationen und Erkenntnissen geprägt, die Personen erwerben und
verstanden haben – das kann sowohl Faktenwissen als auch die Fähigkeit, das Wissen
in bestimmten Situationen anzuwenden, sein. Gleichzeitig wird eine gewisse Reflektion
und Integration von Informationen impliziert. Wissen trägt zur Vielfalt in der Fachlich-
keit bei.

3.2.1 Faktoren, die die Innovationsfähigkeit begünstigen


Die Faktoren im Bereich „Wissen“ setzen auf den Austausch mit Menschen, mit denen
man in der täglichen Arbeit nicht so viel zu tun hat und auf das Kennenlernen von
Innovationen. Die Organisation muss die Lernfähigkeit der Mitarbeitenden zulassen.
Abteilungs- und bereichsübergreifende Innovationsworkshops – im besten Fall
durch eine erfahrene Moderation unterstützt – schaffen Austausch und bringen die ver-
schiedenen Sichtweisen zusammen. Die Mitarbeitenden lernen die Arbeitsprozesse
der Kolleg*innen kennen, können sie besser einschätzen. Das Verständnis führt zu
inkrementellen Verbesserungen im eigenen Arbeitsalltag.
Auch der innerbetriebliche Wissenstransfer begünstigt Innovationen und die Diversi-
tät. Wird das Wissen zentral an einer Stelle abgelegt, können die Kolleg*innen Impulse
mitnehmen, neue Methoden lernen und ihr Netzwerk erweitern. Neue Technologien, die
von einzelnen genutzt werden, können in „Learningsessions“ geteilt werden. Dadurch
350 J. Janze

verlieren die Kolleg*innen die Scheu und die Lernfähigkeit der Organisation wird ver-
stärkt.
Um Innovationen in der Organisation zu fördern, können Zukunftsworkshops genutzt
werden. Externes Know-How (z. B. durch Kooperationen oder Partnerschaften mit
Forschungseinrichtungen, Universitäten oder externen Unternehmen) kann dabei unter-
stützen, Trends kennenzulernen. Durch den Transfer dieser Erkenntnisse können Ver-
besserungen im eigenen Arbeitsumfeld entstehen.
Ebenfalls wichtig ist, dass Menschen an marktrelevanten Problemen arbeiten und die
volle Verantwortung hierfür haben. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, einen Impact in
der Organisation und darüber hinaus zu erzeugen.

3.2.2 Faktoren, die die Innovationsfähigkeit hemmen


Das mangelnde Know-How über die Organisation hemmt die Innovation. Damit ver-
bunden sind Qualifikationsengpässe durch abgesagte Schulungen (z. B. durch Führungs-
kräfte, weil ein Projekt gerade höhere Priorität hat). Das kann Auswirkungen auf die
Planung und Umsetzung von Innovationen haben. Statt fundiertem Wissen, Standards
und Methoden, wird ausprobiert – und das mehrfach.
Ein weiteres Innovationshemmnis, was mit einer nicht vorhandenen Lernfähigkeit
der Organisation zusammenhängt, ist das Misstrauen gegenüber Expert*innen. Die Mit-
arbeiter*innen sind überzeugt, dass ihre Organisation besonders ist, nur sie ein Verständ-
nis haben und sie das Wissen von außen nicht nutzen können. Dies ist gleichzeitig ein
Zeichen mangelnder Diversität in der Organisation.

3.2.3 Maßnahmen zur Steigerung der Innovationsfähigkeit


Die folgenden Maßnahmen fassen Möglichkeiten zusammen, welche einen positiven
Einfluss auf die Umkehr der Hemmnisse haben können:

Offenheit muss vorgelebt werden, auf allen Ebenen. Transparenz ist ein Schlüssel-
erfolgsfaktor.
Alles Wissen der Menschen ist relevant – sowohl das ausgesprochenen als auch das
unausgesprochenen.
Schulungen und die Wissensvermittlung zur Durchführung von Nutzer*innen-
befragungen unterstützen die Sensibilität zu erlangen.
Diverse Teams erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass kreative Lernansätze in der
Organisation implementiert werden.

3.3 Kommunikation

Die Kommunikation beschreibt den Austausch von Informationen, Ideen und Gefühlen
durch Sprache, Schrift oder andere Symbole. Sie kann sowohl verbal als auch non-
verbal stattfinden. Über Distanzen tauscht man sich z. B. mithilfe von Technologie
Diversity und Innovation – eine zukunftsweise Wechselwirkung 351

(Telefon, E-Mail, Social Media, …) aus. Gleichzeitig kann Kommunikation auch direkt
bei persönlichen Treffen stattfinden. Die Kommunikation ist ein wichtiger Bestandteil
der Interaktion und sozialen Beziehungen zwischen Menschen und spielt damit eine
wichtige Rolle für die Organisation.

3.3.1 Faktoren, die die Innovationsfähigkeit begünstigen


Menschen interpretieren Gesagtes auf unterschiedliche Art und Weise. Damit hetero-
gene, vielfältige Teams innovativ arbeiten können, sollte die Kommunikation offen sein.
So können neue Denkmuster entwickelt werden.
In einer divers aufgestellten Organisation können gleichzeitig keine sofortige
Übereinstimmungen oder schnelle Entscheidungen erwartet werden. Der offene
Kommunikationsstil findet über Abteilungsgrenzen und Hierarchieebenen hinweg statt,
da auch diese Sichtweisen weitere Erkenntnisse z. B. über kulturelle Unterschiede
bringen und helfen, innovative Ideen weiterzuentwickeln.
Man muss sich dessen bewusst sein, dass durch die vielen Kommunikationskanäle
Fehler entstehen können oder Aussagen falsch interpretiert werden. Ist ein Unter-
nehmen bereits innovativ und vielfältig aufgestellt (bzw. das entsprechende Bewusstsein
ist gegeben), werden die Mitarbeitenden den Konflikt nicht scheuen und Misserfolgen
gegenüber tolerant eingestellt sein. Im besten Fall kennen alle ihre Stärken und
Schwächen und sind offen für ein faires Feedback, welches als Möglichkeit zur Weiter-
entwicklung betrachtet wird.
Schlussendlich sorgen die vielfältigen Sichtweisen zu einem besseren Verständnis der
aktuellen Situation.

3.3.2 Faktoren, die die Innovationsfähigkeit hemmen


Unser Gehirn sucht unterbewußt nach Gemeinsamkeiten in einer Gruppe von Menschen
und bevorzugt Homogenität. Menschen mit verschiedenen Hintergründen, die bis-
her nur selten zusammen gearbeitet haben, tendieren dazu, sich nicht zu verstehen und
sich zurückzuziehen. Für alle Menschen ist es anstrengend in Diskussionen zu gehen,
gerade dann, wenn verschiedene Hintergründe und Sichten aufeinandertreffen. Die Folge
sind weniger Gespräche und eingeschränkte Sichtweisen. Die kreative und kooperative
Zusammenarbeit wird erschwert.
Eine fehlende gemeinsame Sprache stellt die größte Herausforderung für vielfältige
Organisationen dar: Es gibt Missverständnisse durch verschiedene Kommunikations-
stile und unterschiedliche Erwartungshaltungen. Das erschwert das Miteinander und den
kreativen Denkprozess. Vorurteile, Misstrauen oder persönlichen Abneigungen werden
geschürt. Im schlimmsten Fall sind die Konflikte unüberwindbar.
Diversität in der Kommunikation erhöht somit zwar die Wahrscheinlichkeit von
kreativen Ideen – aber auch von Konflikten.
352 J. Janze

3.3.3 Maßnahmen zur Steigerung der Innovationsfähigkeit


Die folgenden Maßnahmen fassen Möglichkeiten zusammen, die einen positiven Ein-
fluss auf die Umkehr der Hemmnisse haben können:

Alle Themen ansprechen: Auch wenn es schwer ist, muss man in einem hetero-
genen Team Konflikte ansprechen. Coaches oder Mediator*innen unterstützen diesen
Prozess.
Zuhören und nicht direkt eine Lösung für ein Problem, was man vielleicht erkannt
hat, suchen. Die Wahrheit liegt zwischen den Zeilen.
Aktives Zuhören (und Fragen stellen statt Antworten geben) schafft Verständnis.
Kritisch Denken und Reflektieren in der eigenen Arbeit.
Sichtweisen, die man aufgenommen hat, hinterfragen, im Sinne von „Überträgt man
vielleicht die eigenen Annahmen und Glaubensätze zu Märkten, Technologien oder
Zielgruppen auf die Situation?“.

3.4 Umgebung

Unter der Umgebung versteht man eine Lokalität (einen physischen Raum), in der eine
Person wohnt oder aufgewachsen ist. Gleichzeitig beschreibt die „Umgebung“ auch die
Lebensbedingungen der Personen – in einer Gruppe oder einer Organisation. Klima, die
Landschaft und nutzbare Ressourcen prägen die Umgebung und haben damit Einfluss
auf das Verhalten von einzelnen Personen. Die Umgebung spielt daher unter Diversity-
Gesichtspunkten eine wichtige Rolle.

3.4.1 Faktoren, die die Innovationsfähigkeit begünstigen


Die Umgebung hat gleichzeitig Einfluss auf die Innovationsfähigkeit. Jede*r von uns
hat z. B. ein gutes Verständnis von Fragestellungen in einer Region, in der wir leben.
Beschäftigt man sich dann mit genau diesen, können zum einen neue Innovationen ent-
stehen. Auf der anderen Seite werden regionale Unterschiede erkannt, wenn in einem
Team verschiedene Menschen aus verschiedenen Regionen zusammenarbeiten. Kennt-
nisse aus Regionen können jedoch bei der Weiterentwicklung von Services helfen.
Wohnt man auf dem Land ohne eine ÖPNV-Anbindung, benötigt man vielleicht einen
anderen Service als Menschen, die einen direkten Zugang zu den Services haben.
Gleichzeitig hat die Umgebung auch Einfluss auf den Bewerber*innenmarkt. Viel-
fältig aufgestellte Organisationen benötigen die besten Talente. Diese wohnen vielleicht
nicht an dem Ort, wo eine Behörde ihren Standort oder das Unternehmen den Hauptsitz
hat.

3.4.2 Faktoren, die die Innovationsfähigkeit hemmen


Eine mangelnde Marktorientierung hat Einfluss auf die Innovationskraft einer
Organisation. Sind die Mitarbeitenden zu stark auf eine Umgebung fokussiert, können
Diversity und Innovation – eine zukunftsweise Wechselwirkung 353

sie sich nicht in andere Sichtweisen hineinversetzen. Die Bedürfnisse der Kund*innen
werden, wie z. B. die Erfahrungen mit der Nutzung von ÖPNV-Angeboten, nicht ver-
standen.

3.4.3 Maßnahmen zur Steigerung der Innovationsfähigkeit


Die folgenden Maßnahmen fassen Möglichkeiten zusammen, die einen positiven Ein-
fluss auf die Umkehr der Hemmnisse haben können:

Innovationsprojekte brauchen die Zentrierung auf die Nutzenden (Service Design).


Das Gespräch suchen und „rausgehen“. Am besten geht man direkt zu den
Nutzenden, zu den potenziellen (gewünschten) Kund*innen. Man muss ihre
Umgebung kennenlernen.

3.5 Vielfältigkeit der Menschen

Die Vielfältigkeit der Menschen kann man durch die Diversitätsdimensionen der Charta
der Vielfalt definieren: Es geht um die individuellen Unterschiede und Einzigartig-
keiten der Menschen. Neben den Faktoren wie Alter, Geschlecht oder auch sexuelle
Orientierung spielen die verschiedenen Perspektiven, Erfahrungen und Wissensgebiete
eine wichtige Rolle. Alle Aspekte bedingen sich.

3.5.1 Faktoren, die die Innovationsfähigkeit begünstigen


Die Vielfältigkeit der Menschen, also Diversity, hat einen positiven Einfluss auf die
Innovationsfähigkeit, wenn sie genutzt und verstanden wird. Wird Diversity in einer
Organisation gelebt, schafft sie Anerkennung, einen respektvollen Umgang miteinander
und eine gerechtere Gesellschaft.
Menschen mit Migrationshintergrund haben in der Regel eine gute Vernetzung in ihr
Heimatland. Diese Kenntnisse über z. B. besondere Bedarfe einer Zielgruppe, geben eine
weitere Sichtweise in die Entwicklung von Innovationen. Auch Sprachkenntnisse bei
Nutzendenbefragungen können unterstützen. Gibt es im Team Mitarbeitende aus unter-
repräsentierten Gruppen, können sie eigene Erfahrungen einbringen und (wenn ähnlich)
die Lebensumstände der Zielgruppe besser verstehen.
Um Innovationen in der Organisation zu fördern, muss zudem auf die Geschlechter-
unterschiede geachtet werden. Aufgrund der „homosozialen Reproduktion“ (Gleich und
Gleich gesellt sich gern) haben Männer eher den Zugang zu Mitsprachemöglichkeiten
und können die Rahmenbedingungen für kreative Prozesse beeinflussen.
Schlussendlich verbindet das Feiern von gemeinsamen Erfolgen die Mitarbeitenden.
Beispielsweise tauscht man sich aus und ist fröhlich, weil ein Meilenstein in einem
Projekt erreicht wurde. Diese positiven Erfahrungen werden in die tägliche Arbeit trans-
feriert.
354 J. Janze

3.5.2 Faktoren, die die Innovationsfähigkeit hemmen


Gleichzeitig kann die Vielfältigkeit Menschen auch „Angst“ machen. Angst vor Neuem
oder Akzeptanzprobleme sind einige Beispiele. Titiat Scriptor fasst es so zusammen:
„Für Diversity rein nach äußeren Merkmalen zahlt man vielleicht einen Performance-
preis auf Teamebene“ (vgl. Twitter – Titiat Scriptor 2021).
In der Regel resultieren die Hemmnisse aus Zeitmangel oder zeitlicher Überlastung.
Man hat keine Zeit für die Auseinandersetzung mit anderen Sichtweisen oder will sich
keine nehmen. So tragen die Barrieren des „Nicht-Wollens“ aber auch des „Nicht-
Wissens“ ebenso dazu bei, dass Hemmnisse im Team entstehen. Wenn man etwas
überhaupt nicht will, findet man sicher einen Grund, der das unterstützt. Auch die Fähig-
keitsbarrieren sorgen für Widerstand gegen Innovation, sei es, dass die Person nicht in
der Lage ist (vermeintlich oder wirklich) oder dass die intellektuellen Anforderungen
einer Idee das Verständnis übersteigen.

3.5.3 Maßnahmen zur Steigerung der Innovationsfähigkeit


Die folgenden Maßnahmen fassen Möglichkeiten zusammen, die einen positiven Ein-
fluss auf die Umkehr der Hemmnisse haben können:

Raum für den Austausch schaffen: Begnungszonen sorgen für den Austausch und
schaffen Vertrauen.
Diversity durch Diversity-Schulungen bewusst machen. Die Unterschiedlichkeit muss
transparent und offen angesprochen werden. Schulungen unterstützen den Aufbau
von Empathie und Wertschätzung und stellen den Perspektivenwechsel in den Mittel-
punkt.
Themenabende: Stammtische und/oder ein „Runder Tisch“ ermöglichen es, sich über
die Unterschiedlichkeit auszutauschen. Das kann sowohl geschlossen in einer Gruppe
(z. B. in Form eines Austausches von Best Practices) oder als offener Austausch statt-
finden.
Informationsecken (z. B. zum Thema sexuelle Vielfalt) fördern ebenfalls das gegen-
seitige „voneinander lernen“.

4 Wechselwirkung zwischen Diversity und Innovation für


die Zukunft

Innovation und Diversity stehen in Wechselwirkung – genau diese Wechselwirkung ist


anstrengend für alle Menschen. Es braucht zugleich Offenheit und ständiges Hinter-
fragen, Gemeinsamkeiten und dennoch Unterschiedlichkeit, Diskussion und Verständ-
nis, um das Liebgewonnene wegzuwerfen und Ideen ständig zu hinterfragen. In der
Regel ist genau das für Menschen anstrengend: für alle Menschen in der Verwaltung,
für Menschen in Unternehmen, für Bürger*innen. Und es dauert länger, Dinge zu ent-
wickeln – man hört alle Meinungen und Sichtweisen und achtet auf die Vielfältigkeit.
Diversity und Innovation – eine zukunftsweise Wechselwirkung 355

Auch wenn es anstrengend ist, Innovation und Diversity zusammenzudenken, ist der
Mehrwert für die gesellschaftlichen Fragestellungen, in denen wir uns bewegen, wichtig.
Gerade für die öffentliche Verwaltung. Das Zusammenspiel von beiden Bereichen
bedingt die Innovationskraft von Deutschland – von innen aus der öffentlichen Hand
heraus und von außen durch externe Unternehmen oder Personen. Die Nutzung von
Technologien und die damit verbundene Gestaltung der Zukunft ist eine Bereicherung
für die deutsche Verwaltung – und schlussendlich für uns Bürger*innen. Gemeinsam
können wir mit Erfindergeist wichtige und zukunftsweisende Impulse setzen, denn neue
Technologien begünstigen den Wirtschaftsstandort Deutschland, machen ihn langfristig
konkurrenzfähig, sorgen für künftige Steuereinnahmen (von Unternehmen) und erhöhen
die Standortattraktivität.
Diversity und Innovation gehören ganz klar zusammen! Vielfalt fördert Innovationen.
Innovation unterstützt dabei, vielfältige Sichtweisen aufzunehmen. Durch vielfältige
Meinungen und Sichtweisen kann Innovation entstehen. Vielleicht keine große neue
Erfindung oder eine radikale Erneuerung des Markts – aber Neuerung, die Bürger*innen,
Mitarbeitenden von Verwaltungen und allen anderen Menschen einen Mehrwert bieten.

Literatur

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https://link.springer.com/article/10.1007/s13162-021-00202-2?error=cookies_not_
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Hedgework (2020): „Gender Diversity“ zahlt sich für Unternehmen und Investoren aus [online]
https://www.hedgework.de/archiv_beitrag/gender-diversity-zahlt-sich-fuer-unternehmen-und-
investoren-aus.html. Zugegriffen: 2. Januar 2023
Twitter Titiat Scriptor (2021): Twitter Profil „Titiat Scriptor“, [online] https://twitter.com/
titiatscriptor/status/1445054195430793217?s=20. Zugegriffen: 2. Januar 2023
Dixon-Fyle, Sundiatu/Kevin Dolan/Dame Vivian Hunt/Sara Prince (2022): Diversity wins: How
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2023
Billerbeck, Jens (2021): Diversity Management fördert Innovation und Lernfähigkeit, VDI
nachrichten Das Nachrichtenportal für Ingenieure, [online] https://www.vdi-nachrichten.
com/karriere/management/diversity-management-foerdert-innovation-und-lernfaehigkeit/.
Zugegriffen: 2. Januar 2023
Röpke, Jochen/Olaf Stiller/Joseph Schumpeter (2006): Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung.:
Nachdruck der 1. Auflage von 1912. Hrsg. und erg. um eine Einführung von Jochen Röpke
Olaf Stiller., 1. Aufl., Duncker & Humblot.
356 J. Janze

Jana Janze, GovMarket GmbH.


Jana Janze ist Geschäftsführerin der GovMarket GmbH. GovMarket hat das Ziel das
Innovationsökosystem zu bereichern, indem Start-ups und die öffentliche Hand zusammen-
gebracht und die Beschaffungsprozesse vereinfacht werden. In den letzten 15 Jahre hat Jana an
verschiedenen Innovations- und Digitalisierungsprojekten im öffentlichen Sektor mitgewirkt
und Kund*innen bei Projekten rund um die Digitale Transformation, die Unternehmens- und
Organisationsentwicklung sowie bei der Durchführung von Innovationsvorhaben begleitet.
Ein neuer Aspekt der
Nutzer*innenzentrierung: Beschäftigte
in der deutschen Verwaltung als Spiegel
unserer diversen Gesellschaft

Ibrahim Köran und Irina Eckardt

Zusammenfassung

Im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit der Verwaltung lassen sich Effekte von
Diversity in der Außenwirkung sowie der Innenwirkung beobachten. So kann die
Berücksichtigung und der kritische Umgang mit der Diversität von Bevölkerung
und Wirtschaft eine bessere Adressierung der Anliegen von Bürger*innen und
Unternehmen gewährleisten, was zu einer Erhöhung der Servicequalität führen
kann. In der Innensicht ist in der heutigen Zeit für funktionierende, leistungsfähige
Organisationen auch im öffentlichen Bereich ein Diversity-Management der Schlüssel
zu Mitarbeitendengewinnung und -retention mit unmittelbaren Auswirkungen auf die
jeweilige Organisationskultur. Dies gewinnt vor dem Hintergrund des Fachkräfte-
mangels und der demografischen Entwicklung an Bedeutung. Letztendlich ist eine
funktionierende Verwaltung sowohl für die Aufrechterhaltung der Demokratie als
auch für die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts elementar.

I. Köran ( )
PricewaterhouseCoopers GmbH, Berlin, Deutschland
I. Eckardt
PwC Strategy& (Germany) GmbH, Berlin, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 357
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_27
358 I. Köran und I. Eckardt

Schlüsselwörter

Diversity · Nutzer*innenzentrierung · Digitalisierung · Fachkräftemangel ·


Demografie · Migration · Recruiting · Wirtschaftsstandort

1 Einleitung

Diversity gewinnt als wichtiger Faktor für die Effektivität und Effizienz von
Organisationen an Bedeutung. Dies gilt auch, oder besser: insbesondere für den
öffentlichen Sektor, für den die Anforderung einer diversen Gesellschaft zu dienen, auch
eine Belegschaft erfordert, welche diese repräsentiert. In Deutschland, wo die Gesell-
schaft seit Jahrzehnten ein stetig steigendes Maß an Diversität aufweist, wird es auch
immer wichtiger Mitarbeitende in die Verwaltung zu bringen, welche die Diversität der
deutschen Gesellschaft spiegeln, um den Bedarfen der jeweiligen Gemeinschaften besser
Rechnung zu tragen. Dies gilt im Übrigen auch für die Belange der Wirtschaft, die sich
in Unternehmensgrößen (vom multinationalen DAX-Konzernen bis hin zu Start-ups)
und ihren Fähigkeiten und Aufwänden im Hinblick auf Interaktion mit der Verwaltung
erheblich unterscheiden. Am status-quo einer Verwaltung, deren digitales Leistungs-
angebot stark an den Bedarfen von Bürger*innen und Wirtschaft vorbeigeht und
Nutzungs- und Akzeptanzraten in vielen Fällen auf sehr niedrigem Niveau sind, ist es
notwendig, auch den Einfluss von Diversity auf das Serviceangebot und die Leistungs-
fähigkeit der öffentlichen Organisationen zu prüfen. Im Hinblick auf Gender-Pari-
tät wurden in den vergangenen Jahren Fortschritte erzielt, wenngleich der öffentliche
Sektor seit jeher auch bezüglich Führungspositionen durchaus (im Hinblick auf diese
Dimension der Diversität) ausgeglichener aufgestellt ist als die Privatwirtschaft. Weiter-
hin ist Nutzer*innenzentrierung ein wichtiger Erfolgsfaktor bei der Digitalisierung
von Verwaltungsleistungen an der Schnittstelle zu Bürger*innen sowie Unternehmen
(und insbesondere zu den Menschen, die innerhalb jener mit der Verwaltung inter-
agieren). Hinsichtlich der Nutzer*innen ist die bestehende, faktische Diversität unserer
deutschen Gesellschaft zu berücksichtigen. Diese muss auch den Bereich von digitalen
Verwaltungsleistungen für Unternehmen einschließen, da insbesondere KMUs von
Bürger*innen unterschiedlicher kultureller Herkunft gegründet werden.
In diesem Fachbeitrag soll dargestellt werden, wie Diversity die Leistungsfähig-
keit der deutschen Verwaltung im Hinblick auf die Erbringung von Leistungen an
Bürger*innen und Unternehmen erhöhen kann und es werden die Effekte auf die Ver-
besserung verwaltungsinterner Prozesse und Kultur diskutiert. Dabei werden bisherige
Erfolge, aber auch Herausforderungen anhand von Beispielen und Studien aus Privat-
wirtschaft und internationalem Raum beleuchtet.
Ein neuer Aspekt der Nutzer*innenzentrierung: … 359

2 Bessere Adressierung der Anliegen von Bürger*innen und


Unternehmen

Unsere diverse Gesellschaft im Vorgehen der Nutzer*innenzentrierung bei der


Konzeption und Realisierung von digitalen Verwaltungsleistungen zu spiegeln, erfordert
umfangreiche Maßnahmen:

Wir kennen das Konzept der „Leichten Sprache“ für Menschen, denen das Erfassen
komplexer Satzstrukturen schwerfällt. In der Barrierefreien-Informationstechnik-Ver-
ordnung (BITV) 2.0 sind entsprechende Anforderungen enthalten, die auf den Web-
seiten der Bundesverwaltung verpflichtend umgesetzt werden müssen und zu großen
Teilen auch bereits sind. Oftmals wird aber weder auf den englischen noch aufseiten
in weiteren Sprachen ein Bereich angeboten, der die komplexen Inhalte der Webseiten
in eine andere als die deutsche Sprache übersetzt. Vor allem für Menschen, für die
Deutsch keine Muttersprache ist und die komplexe Texte nur schwer nachvollziehen
können, stellt dies eine Hürde dar.
Die Beantragung, auch digitaler Verwaltungsleistungen erfolgt mehrheitlich
Formular-gestützt. Im Rahmen der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG)
sind viele Anstrengungen unternommen worden, bestehende, Papier-gestützte Ver-
waltungsverfahren nicht einfach nur zu digitalisieren, sondern auch zu optimieren.
Dies umfasste auch die in den Verwaltungsverfahren verwendeten Formulare. In
Bremen leben gegenwärtig 157.391 Menschen mit Migrationshintergrund. Das
sind 28,77 % der Stadtbevölkerung (Freie Hansestadt Bremen 2011). Von diesen
Menschen mit Migrationshintergrund in Bremen werden sich nicht wenige in der
Lebenslage Geburt befinden und Elterngeld beantragen. Bremen hat einen ver-
einfachten Elterngeldantrag entworfen und online gestellt, der die Beantragung
signifikant vereinfachen soll. Auch wenn auf der ELFE-Webseite (Freie Hanse-
stadt Bremen 2023) der Knopf „information in english“ gedrückt wird und man
dann scrollt, bis man die „Application for parental allowance“ und die „Annex
– Declaration of income“ erreicht, so öffnen sich beide Formulare in Deutsch. Das
ist durchaus in Übereinstimmung mit unseren rechtlichen Rahmenbedingungen.
Nutzer*innen dieser Formulare müssen sehr viele Angaben machen – sowohl im
Online-Dialog als auch im Papierformular. ELFE ist nutzer*innenzentriert ent-
wickelt worden und ein echter Leuchtturm für das OZG. Dennoch mit Blick auf die
diverse Bevölkerungsstruktur von Bremen – sind in die entsprechenden Digitallabore
zur Konzeptionierung von ELFE ausreichend Eltern mit Migrationshintergrund ein-
bezogen worden? Haben sie darauf hinweisen können, dass einige Fachbegriffe in den
Formularen für Menschen, deren Muttersprache nicht deutsch ist, nur sehr schwierig
nachzuvollziehen sind? Und gibt es in den Elterngeldstellen in Bremen auch Mit-
arbeitende mit Migrationshintergrund, die nicht nur die Formulare erklären können,
sondern auch die kulturellen Besonderheiten verstehen, wenn bspw. Einkommens-
nachweise in der Detailtiefe angefordert werden, wie es das Formular beinhaltet?
360 I. Köran und I. Eckardt

Destatis hat am 12. April 2022 veröffentlicht, dass 22,3 Mio. Menschen und somit
27,2 % der Bevölkerung in Deutschland einen Migrationshintergrund haben (Destatis
2022). Viele von diesen Menschen sind Gründerinnen und Gründer. Das Bundes-
ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz veröffentlicht in einer Studie von 2021,
dass 20 % der Start-ups Gründerinnen und Gründer mit Migrationshintergrund
haben (BMWK 2021). Die KfW hat bereits 2018 eine Sonderauswertung des KfW-
Gründungsmonitors durchgeführt und festgestellt, dass Menschen mit Migrations-
hintergrund eine „überdurchschnittliche Gründungsaktivität“ aufweisen. Als Ursachen
führt die KfW den Wunsch nach Selbstständigkeit und Arbeitsmarktnachteile an
(KfW 2021). Gehen wir davon aus, dass die Ursachen seit 2018 unverändert sind und
gehen wir auch davon aus, dass der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund
in Deutschland weiterhin steigt, so muss ohne Zweifel der Schluss gezogen werden,
dass gerade in den Gewerbe- und Finanzämtern unseres Landes diverse Teams die
entsprechende Fallbearbeitung nutzer*innenzentrierter umsetzen können.

Es gibt sicher noch viele weitere Beispiele, die aufgeführt werden können. Diversität in
der Verwaltung bedeutet vor allem, dass wir uns den Realitäten unserer Bevölkerungs-
struktur stellen. Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) hat in einer
Pressemitteilung aufgeführt, dass Personen mit Migrationshintergrund zu 12 % in der
Bundesverwaltung vertreten sind (BiB 2022) – bei 27,2 % Bevölkerungsanteil. Daten zu
den Anteilen auf kommunaler oder Landesebene waren nicht auffindbar.
Vorbildlich schneidet die Bundesverwaltung bei der Beschäftigungsquote von Frauen
ab: 40 % Frauen arbeiten der BiB-Studie zufolge in der Bundesverwaltung bei 49 %
Anteil an der gesamten Erwerbsbevölkerung. Diese hohe Beschäftigungsquote ist ein
großer Diversity-Erfolg, der sich nicht von allein eingestellt hat. Vielmehr waren gezielte
Maßnahmen dafür erforderlich – und sind es noch heute, um die Vertretung von Frauen
in den Leitungsebenen zu stärken.
Aus dem Erfolg oder auch Misserfolg dieser Maßnahmen kann gelernt werden, wenn
es darum geht, den Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund in den Verwaltungen
zu erhöhen.
Grundsätzlich gibt es eine Vielzahl möglicher Vorteile, die Diversity für die Verwaltung
mit sich bringen kann. Dazu gehören die unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen,
die eine diverse Belegschaft abbilden und die in der Folge zu kreativeren oder effektiveren
Lösungen führen können. Diversity kann auch ein Treiber von Innovation sein, da unter-
schiedliche Ideen und Standpunkte aufeinandertreffen können und damit große Potenziale
für neuartige Ansätze bilden. Zugleich kann Diversity auch unter bestimmten Voraus-
setzungen zu höherer Mitarbeitenden-zufriedenheit und -retention führen, da sie zu einer
inklusiven und unterstützenden Organisationskultur beitragen kann.
Ein neuer Aspekt der Nutzer*innenzentrierung: … 361

3 Verbesserte interne Funktionsfähigkeit

In diesem Abschnitt soll näher auf die unterschiedlichen positiven Effekte von Diversity
auf die Mitarbeitendengewinnung, -weiterbildung und -retention sowie die Schaffung
einer Innovationskultur eingegangen werden. Nicht zuletzt soll an dieser Stelle auch
auf die Bedeutung des demografischen Wandels in diesem Zusammenhang eingegangen
werden. Dabei werden auch Beispiele aus der Privatwirtschaft und Best-Practices zur
Etablierung von Diversity im öffentlichen Sektor angeführt.
Betrachtet man die Vorteile, die Diversity für die Gewinnung neuer Mitarbeitender
haben kann, so zeigt sich schnell, dass eine vielfältige Belegschaft ein wahrer Magnet
für neue Talente sein kann. Der Weg dahin führt über einen größeren Pool bezüg-
lich Herkunft, Ausbildungswegen und anderen Faktoren, die das Feld der möglichen
Kandidat*innen in einem hart umkämpften Arbeitsmarkt erweitern. Auch auf die
Willkommenskultur einer Organisation hat Diversity Auswirkungen, die die Arbeit-
geberattraktivität stark steigern können. Für den öffentlichen Sektor hat zudem auch
die Aufgabe einer zunehmend diversen Gesellschaft zu dienen eine Bedeutung und
stellt für einige Individuen auch einen ganz wesentlichen Teil ihrer Motivation bei der
Arbeitsplatzwahl dar. Dies ist auch für die Performance der letztendlich eingestellten
Kandidat*innen relevant, die sich dadurch merklich erhöhen kann, wie Studien zu einer
signifikant höheren Profitabilität im Hinblick auf Genderdiversity in der Privatwirtschaft
nahelegen (Simionescu et al. 2021; Bertrand 2018).
Ein weiterer Vorteil von Diversity in der Verwaltung, insbesondere mit Blick auf
direkte Erbringung von Leistungen „an“ dem oder der Bürger*in, ist die Tatsache,
dass verschiedene Blickwinkel und Erfahrungen direkt in die Überlegungen einfließen
können. Diese können für die Lösung der zumeist komplexen Herausforderungen und
die Erfordernisse diverser Gemeinschaften sehr wertvoll sein. So kann beispielsweise
ein Team mit einer Mischung aus verschiedenen kulturellen Hintergründen besser dazu
in der Lage sein, die Belange und Bedarfe einzelner Gruppen innerhalb der jeweiligen
Gemeinschaft zu verstehen und daher effektivere und gezieltere Lösungen zu entwickeln.
Hier greift auch eine kulturelle Dimension, die andernfalls eine (sich in Teilbereichen
bereits realisierende) Gefahr der Entkopplung von der Gesellschaft mit sich bringen
kann. An dieser Stelle sind insbesondere durch eine gezielte Organisation der internen
Wissensweitergabe auch positive Effekte auf Fortbildung und professionelle Weiter-
entwicklung möglich.
Für die Innovationsfähigkeit einer Organisation bringen diverse Teams weitere Vor-
teile, die im Hinblick auf ihre Bedeutsamkeit für neuartige Problemlösungskompetenz
insbesondere im öffentlichen Sektor eine Rolle spielen können. Dafür finden sich im
Privatsektor Belege wie, dass die Wahrscheinlichkeit von diversen Führungsteams einen
Anstieg des Marktanteils ihrer jeweiligen Unternehmen zu berichten 45 % höher ist und
für die Erschließung neuer Märkte gar um 70 % höher als bei nicht-diversen Teams der
Vergleichsgruppe (Hunter und Cushenbery 2011). Die Gründe dafür können unterschied-
362 I. Köran und I. Eckardt

lich sein: von der Etablierung einer offeneren und inklusiveren Unternehmenskultur, die
das Teilen von Ideen und die kritische Auseinandersetzung mit bestehenden Geschäfts-
modellen fördert, bis hin zu einem stärkeren „out-of-the-box“-Denkens durch gezielte
interne Challenges zur Lösung spezifischer Herausforderungen einzelner Anspruchs-
gruppen. Eine Übertragbarkeit dieser Maßnahmen in den Bereich der öffentlichen Ver-
waltung erscheint naheliegend.
Diversität innerhalb der öffentlichen Verwaltung stärker zu fördern, ist ein Lösungs-
weg, den Folgen des demografischen Wandels zu begegnen. Dieser wird bis zum Jahr
2030 zu einem prognostizierten Fachkräftemangel von ca. 1 Mio. Verwaltungsmit-
arbeitenden führen (PwC Strategy& 2022). Der Fachkräftemangel in dieser Dimension
kann nicht mehr mit den bekannten Maßnahmen, wie bspw. einer umfangreicheren
Digitalisierung, mitigiert werden. Vielmehr ist die Lücke bereits heute so groß, dass sie
auch perspektivisch nur zu Anteilen gefüllt werden kann. Deshalb kommt der Steigerung
von Effektivität und Effizienz (im Hinblick auf die Erhaltung der Handlungsfähigkeit)
eine besondere Bedeutung zu. Hinter einem besseren Diversitätsmanagement in der
Verwaltung versteckt sich folglich nicht nur die Einstellung diverser Teams. Vielmehr
sollten jene Effekte zum Tragen kommen, für die Wirtschaftsunternehmen Diversi-
tät massiv fördern: effizientere und effektivere Zusammenarbeit. McKinsey hat in der
2020 veröffentlichten Studie „Diversity wins – How inclusion matters“ deutlich heraus-
gearbeitet, dass „Inklusion und Diversität ein wichtiger Faktor für den Geschäftserfolg
sind“ (McKinsey & Company 2020). Geschäftserfolg entsteht, wenn Unternehmen
erfolgreich ihre Produkte an den Markt bringen und zufriedene Kund*innen diese
Produkte erwerben. Dazu gehört vor allem, dass entsprechend der Kund*innenbedarfe
neue, innovative Produkte entwickelt werden, mit denen ein hoher Grad an Kund*innen-
zufriedenheit erzeugt wird. Kund*innenzufriedenheit mit der Verwaltung ist ein
gesellschaftlicher Stabilisierungsfaktor. Gerade in Zeiten, in denen unser gesellschaft-
licher Zusammenhalt durch innere und äußere Krisen auf den Prüfstand gestellt wird,
kann ein breiteres Diversitätsmanagement dazu beitragen, dass dieser Stabilisierungs-
faktor aktiv genutzt wird.
Die großen Potenziale der Vielfalt am Arbeitsplatz zu heben, erfordert vor allem ein
strategisch gut aufgestelltes und proaktives Diversitätsmanagement. Im Rahmen einer
Meta-Analyse existierender Literatur zu dem Gebiet (Ding & Riccucci 2022) zeigt
sich, dass die Vorteile von Diversität dann besonders zum Tragen kommen, wenn eine
vorausschauende Steuerung erfolgt, wohingegen auch nachteilige Auswirkungen auf
die Funktionsfähigkeit von Organisationen möglich sind, wenn dies nicht der Fall ist
(Miller & del Carmen Triana 2009). Dies lässt sich oft auf Unterschiede in der sozialen
Identifikation, den Werten sowie daraus entstehenden Konflikten innerhalb der Beleg-
schaft zurückführen und damit unweigerlich die Behinderung von Entscheidungs-
prozessen bedingen, wie Beispiele aus der Privatwirtschaft zeigen (Jehn et al. 1999).
Augenmerk sollte also stets auf Inklusion, Wertschätzung, Einbeziehung und Schutz
von Meinung und Perspektiven verschiedener Gruppen innerhalb der Belegschaft gelegt
werden. Hinzu treten dann mit dem Bezug zur Weiterbildung der Individuen und Weiter-
Ein neuer Aspekt der Nutzer*innenzentrierung: … 363

entwicklung der Organisation das Mentoring, Vielfalt in den Führungsteams, Festlegung


klarer Diversitätsziele und auch eine Überwachung des Fortschritts der Umsetzung.
Daraus lassen sich dann neben der Priorisierung auch Verantwortlichkeiten und Rechen-
schaftspflichten für Führungskräfte ableiten.
Deutlicher wird das anhand der Ergebnisse einer Studie zur US-amerikanischen
Verwaltung auf Ebene der amerikanischen Bundesbehörden. In dieser Studie wurden
zwei Maßstäbe für das Diversitätsmanagement entwickelt – ein subjektiver und ein
objektiver Maßstab. Auch wenn die Ergebnisse dieser beiden Messgrößen nicht genau
übereinstimmen, ist das Muster der Auswirkungen konsistent. Die Ergebnisse deuten
darauf hin, dass die Auswirkungen des Managements die Hauptauswirkungen von
Diversity auf die organisatorischen Ergebnisse verstärken oder sogar umkehren können.
Wenn die Mitarbeitenden einer Behörde den Eindruck haben, dass Führungskräfte die
ethnische Vielfalt wirksam managen, verbessert ein höheres Maß an ethnischer Viel-
falt die wahrgenommene Leistung der Organisation. Dies ergibt sich im Wesent-
lichen aus moderierenden Effekten. Im Gegensatz dazu verringerte ein höheres Maß an
ethnischer Vielfalt in Behörden, in welchen Diversität nicht erfolgreich gesteuert wurde,
die wahrgenommene Leistung der Behörde erheblich. Diese Ergebnisse unterstützen
die Integrations- und Lernperspektive in Bezug auf die Diversität, die besagt, dass die
Vielfalt eine Quelle des Wachstums, des Lernens und der Intuition sein kann, wenn
Organisationen die unterschiedlichen Perspektiven der Mitarbeitenden richtig handhaben
und so die Leistung der Organisation verbessern (Choi & Rainey 2010).

4 Stärkung der Zukunftsfähigkeit des Standorts

Die Corona-Pandemie hat die Arbeitswelt signifikant verändert. Homeoffice, Workation


und die Nutzung neuer Tools für virtuelle Zusammenarbeit und Interaktion bereichern
die Arbeitswelt von Wissensarbeitern, ebenso wie die der Mitarbeitenden von Ver-
waltungen, nicht nur in Deutschland. Die Welt ist, was die Veränderung dieser Arbeits-
plätze angeht, ein wenig enger zusammengerückt.
Deutschland kann nur mit einer funktionierenden, effizienten und vor allem diversen
Verwaltung im weltweiten Wettbewerb um Fachkräfte punkten und bspw. zu einem
„Hotspot von digitalen Nomaden“ oder z. B. internationales, medizinisches Fachpersonal
gewinnen. Dies stärkt unseren Wirtschaftsstandort nachhaltig.
Eine Verwaltung als Spiegel unserer diversen Gesellschaft ist darüber hinaus ein
wichtiger Garant unserer bundesdeutschen Demokratie. Das Bundesverfassungsgericht
stellt im Urteil des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 (so genanntes NPD-Urteil)
fest „b) Ferner ist das Demokratieprinzip konstitutiver Bestandteil der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung. Unverzichtbar für ein demokratisches System sind die
Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess
der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an
das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG)“ (BVerfG 2017). „ALLER BÜRGERINNEN UND
364 I. Köran und I. Eckardt

BÜRGER“ steht im Urteil! Insofern ist eine diverse Verwaltung Voraussetzung dafür,
dass Teilhabe und Partizipation gleichberechtigt für alle Bevölkerungsgruppen aus-
geübt werden kann und so in der Konsequenz auch staatliches Handeln nachvollziehbar
legitimiert.
Wenn Diversität in Unternehmen wesentlichen Einfluss auf deren Positionierung im
globalen Wettbewerb hat, so entfaltet eine diverse Verwaltung in einer demokratischen
Gesellschaft einen Einfluss auf die Glaubwürdigkeit staatlichen Handelns, auf die
Integration von Menschen mit Migrationshintergrund und auf die Innovationskraft
unserer deutschen Wirtschaft.

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Ibrahim Köran, Master of Public Policy, PricewaterhouseCoopers GmbH, Berlin. Ibrahim


Köran befasst sich mit strategischem Innovationsmanagement im öffentlichen Sektor. Er berät
Organisationen der Europäischen Kommission und der Bundesverwaltung mit einem Schwerpunkt
auf Digitalthemen. Ein besonderes Anliegen ist ihm die Förderung der Zusammenarbeit von Ver-
waltung und (GovTech) Start-ups, welche er auch aus einer Venturing-Perspektive begleitet.

Dr. Irina Eckardt, PwC Strategy& (Germany) GmbH, Berlin. Dr. Irina Eckardt beschäftigt sich
seit mehr als 20 Jahren mit der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen, v. a. an der Schnitt-
stelle zu Bürger*innen und Unternehmen. Das wesentliche Erfolgskriterien für alle Projekte und
Programme in diesem Themenfeld ist für Frau Dr. Eckardt die Umsetzung eines hohen Grades an
Nutzer*innenorientierung. An diesem hat Frau Dr. Eckardt in den von ihr betreuten Projekten stets
gearbeitet. Frau Dr. Eckardt arbeitet als Directorin bei Strategy& im Public Sector Team. Davor
war sie viele Jahre in IT-Unternehmen wie Capgemini tätig.
Braucht Service Design mehr Diversity? –
Vorstellung und kritische Analyse

John Meister und Matthias Hörmeyer

Zusammenfassung

Der Schrei nach mehr Nutzer*innenzentrierung in der Verwaltung ist laut. Service
Design ist die Antwort. Service Design ist ein Framework, in welchem unterschied-
liche Methoden bereitgestellt werden, um mehr Empathie für unterschiedliche
Nutzer*innen von Verwaltungsservices aufzubauen und dadurch Verwaltungsservices
nutzungsfreundlicher zu gestalten. Der Fachbeitrag stellt den Ansatz des Service
Designs vor und beleuchtet anschließend, welchen Stellenwert Diversity für das
Service Design hat. Dabei wird analysiert, warum gerade Service Design-Teams in
Verwaltungen divers zusammengestellt sein sollten.

Schlüsselwörter

Service Design · Design Thinking · Innovationen · Innovationsmanagement · Diversity

J. Meister ( )
Freie und Hansestadt Hamburg, Hamburg, Deutschland
M. Hörmeyer
KGSt, Köln, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 367
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_28
368 J. Meister und M. Hörmeyer

1 Einleitung: Service Design und Diversity?

Die digitale Transformation der Verwaltung schreitet mit einem rasanten Tempo
voran. Nicht zuletzt das Onlinezugangsgesetz (2017) bzw. „Onlinezugangsgesetz 2.0“
(2023) schaffen rechtliche verbindliche Vorgaben zur Umsetzung digitaler Anträge
und digitaler Strukturen in öffentlichen Verwaltungen. Wichtig ist allerdings, dass
die digitale Transformation der Verwaltung nicht erfolgreich sein kann, wenn keine
konsequente Beteiligung von Nutzer*innen stattfindet. Es geht nicht darum, bestehende
Verwaltungsprozesse lediglich digital abzubilden, sondern diese radikal zu hinterfragen
und organisatorisch auf Basis technologischer Strukturen komplett neu zu denken. Nur
so können Mehrwerte geschaffen werden für Verwaltungskund*innen (zum Beispiel
Bürger*innen oder Unternehmen), aber auch für die Verwaltungsmitarbeitenden. Die
Forderung ist klar: Jede digitale Transformation muss bedarfsgerecht für Nutzer*innen
sein und den Nutzer*innen sinnstiftende Mehrwerte bringen. Ansonsten setzt eine Ver-
waltung regelmäßig „Geld in den Sand“.
Angesichts dieser hohen Betonung von Bedürfnissen von Nutzer*innen stellt sich
die Frage, inwiefern Service Design und Diversity sich wechselseitig beeinflussen.
Service Design hat das Potenzial, ein ganzheitlicher Ansatz zu sein, um Verwaltungs-
leistungen und Prozesse menschenorientiert zu verbessern, gar komplett neu zu denken
und nutzer*innenzentrierte Innovationen zuzulassen. Vor dem Hintergrund vielfältiger
Nutzer*innen in der heutigen Gesellschaft müssen dabei aber auch Diversity-Aspekte
beachtet werden. Auf diese Weise wirkt Diversity wie ein „Quality Gate“ als eine sinn-
stiftende Qualitätssicherung für echtes, menschenorientiertes Service Design in der
öffentlichen Verwaltung.
Der nachfolgende Fachbeitrag geht auf diese Aspekte ein und schafft ein Grundver-
ständnis über den Zusammenhang von Service Design und Diversity.

2 Konzept von Service Design

Vor dem Hintergrund sich verändernder Rahmenbedingungen ist Service Design eine
neue Art, um an Probleme oder komplexe Fragestellungen heranzugehen. Die öffentliche
Verwaltung, insbesondere die kommunale Ebene, versteht sich in großen Teilen als
Service- und Dienstleistungsanbieterin. Zentrales Element hierbei ist der Begriff
„Kund*innenorientierung“, der schon seit Mitte der 1990er-Jahre etabliert ist (vgl. KGSt
1993). Im Service Design wird der Begriff Kund*innenorientierung nunmehr grund-
legend modifiziert, indem die Orientierung an den Bedürfnissen und Ansprüchen von
Nutzer*innen deutlich konsequenter und nachhaltiger verfolgt wird. Darüber hinaus
wird mit Service Design eine neue Haltung („Mindset“) im Verwaltungsdenken und Ver-
waltungshandeln verbunden. Diese Haltung zeigt sich in einer veränderten, positiven
und innovationsfreudigen Grundeinstellung in der öffentlichen Verwaltung (z. B.
„Experimentierkultur“) um die Werte Nutzer*innenzentrierung, Veränderungswille,
Braucht Service Design mehr Diversity? – … 369

Optimismus, Freiraum und Dinge auch einmal anders zu denken (Hörmeyer 2019).
Um diese Werte mit Leben füllen zu können, bietet Service Design der öffentlichen
Verwaltung zudem ein Set an diversen Methoden und Werkzeugen. Damit lernen Ver-
waltungen, ihre Nutzer*innen besser zu verstehen und so das Handeln stärker an deren
tatsächlichen Bedürfnissen auszurichten.

Service Design umfasst sämtliche nutzer*innenzentrierte Ansätze, die dazu beitragen,


dass Services stärker an den Bedürfnissen unterschiedlicher Gruppen von Nutzer*innen
ausgerichtet sind. Service Design bedeutet, durch die Brille der Nutzer*innen auf
Services und Prozesse der öffentlichen Verwaltung zu blicken und so mehr Empathie für
die Bedürfnisse und Wünsche von Nutzer*innen zu entwickeln (vgl. KGSt 2020, 7).

Service Design beschreibt demnach die Gestaltung von Verwaltungsservices und Ver-
waltungsprozessen konsequent aus Sicht der Nutzer*innen. Quasi setzt die Verwaltung
die Brille von Nutzer*innen auf und betrachtet Verwaltungsprozesse nicht aus der
eigenen Sichtweise, sondern aus der Sichtweise von Nutzer*innen. Dabei wird unter-
schieden zwischen externen sowie internen Nutzer*innen (KGSt 2020, 8):

Externe Nutzer*innen Hierbei handelt es sich um die Kund*innen der öffentlichen


Verwaltung. Der Kund*innenbegriff kann je nach Kontext neben Bürger*innen und
Unternehmen beispielsweise auch Tourist*innen, gesellschaftliche Verbände und Ver-
eine oder andere Akteur*innen, die mit der Verwaltung interagieren, umfassen. Externe
Nutzer*innen haben ein grundlegendes Interesse daran, dass sie Services der Verwaltung
möglichst einfach und bequem in Anspruch nehmen können.

Interne Nutzer*innen Hierbei handelt es sich um Mitarbeitende in der öffentlichen


Verwaltung, die an den Prozessen, die für die Serviceerbringung relevant sind, beteiligt
sind bzw. diese ausführen (z. B. Beratungsgespräche, Bescheiderstellung, Arbeit mit IT-
Fachverfahren). Interne Nutzer*innen haben ein grundlegendes Interesse daran, dass ein-
heitliche Servicestandards definiert (= „klare Vorgaben haben“), Prozesse vereinfacht
oder intuitive Fachverfahren eingesetzt werden.

Das Service Design betrachtet den Verwaltungsprozess auf mehreren Ebenen und ganz-
heitlich aus Sicht aller Nutzer*innen. Wieso das relevant ist, lässt sich einfach am Bei-
spiel einer typischen Verwaltungsleistungen, der Ausstellung eines Ausweises, erklären.

Beispiel

Aus Sicht der Verwaltung fängt der Prozess „Ausweis ausstellen“ dann an, wenn
eine Person einen Antrag hierauf schriftlich gestellt hat. Der Prozess endet wiederum
mit der Ausgabe des Ausweisdokuments. Zwischen dem Startereignis „Antrags-
eingang“ und Endereignis „Dokumentenausgabe“ wird betrachtet, welche Arbeits-
370 J. Meister und M. Hörmeyer

schritte seitens der Verwaltung (durch die internen Nutzer*innen) ausgeführt werden,
welche Daten den Prozess durchlaufen und welche IT-Systeme für die einzel-
nen Prozessschritte benötigt werden. Was aber in der Praxis häufig nicht betrachtet
wird, ist der Blick der externen Nutzer*innen (in diesem Fall ein*e Bürger*in) auf
die Verwaltungsleistung „Ausweis ausstellen“. Aus Sicht der externen Nutzer*innen
könnte die Leistung zum Beispiel deutlich früher beginnen; etwa dann, wenn man
Informationen zum Ausweisdokument einholt („Wann brauche ich überhaupt einen
neuen Ausweis? Wo/wie kann ich einen Antrag stellen? Welche Unterlagen werden
benötigt?“) oder wenn eine Person erst einmal darauf aufmerksam werden muss, dass
der Personalausweis abgelaufen ist und ein neuer benötigt wird („Warum erinnert
mich niemand daran, dass mein Personalausweis abgelaufen ist?“).

Es ist daher notwendig, dass Verwaltungsprozesse ganzheitlich im Front- und im Back-


stage betrachtet werden:

Frontstage Hierunter fallen alle Servicemomente, die aus Sicht der externen
Nutzer*innen „auf der Bühne“ stattfinden. Diese Momente im Service können durch
externe Nutzer*innen bewusst wahrgenommen werden (z. B. Informationsangebote auf
dem Serviceportal einer Verwaltung, Servicegespräche am Kund*innenschalter im Rat-
haus oder ein ausgestellter Bescheid) (KGSt 2020, 9).

Backstage Hierunter fallen alle Servicemomente, die „hinter der Bühne“ ablaufen.
Diese Momente im Service können durch externe Nutzer*innen nicht bewusst wahr-
genommen werden, da sie rein verwaltungsintern stattfinden. Hierzu gehören zum Bei-
spiel die Arbeit und Abläufe in IT-Fachverfahren, durch einen Antrag angestoßene
verwaltungsinterne Bearbeitungsschritte oder notwendige interne Abstimmungen
zwischen verschiedenen Fachbereichen (ebd.).

In der praktischen Betrachtung von Verwaltungsservices werden das Front- und Back-
stage stets zusammenhängend analysiert. Wichtig Ansatzpunkte zur Analyse von Ver-
waltungsservices sind häufig dort zu finden, wo es Kontaktpunkte zwischen dem
Front- und Backstage gibt (beispielsweise, wenn ein Antrag abgegeben wird, wenn
ein Telefonat zwischen Verwaltung und Kund*in stattfindet oder wenn die Verwaltung
Statusmeldungen an Antragstellende herausgibt). Anlässe für Optimierungspotenziale
ergeben sich dabei häufig aus sogenannten „Schmerzpunkten“, also Kontaktpunkten,
die von internen und/oder externen Nutzer*innen als negativ wahrgenommen werden.
Das kann aus Sicht der externen Nutzer*innen zum Beispiel ein Bescheid sein, der nicht
verständlich geschrieben ist oder aber eine lange Wartezeit auf dem Amt. Aus Sicht der
internen Nutzer*innen sind typische Schmerzpunkte unvollständig ausgefüllte Anträge
oder wiederholte Rückfragen durch Kund*innen.
Braucht Service Design mehr Diversity? – … 371

ERKUNDEN-PHASE FOKUSSIEREN-PHASE ENTWICKELN-PHASE UMSETZEN-PHASE


Die Nutzer*innen Die konkreten Lösungsansätze Bessere Services
verstehen Schmerzpunkte generieren schaffen
definieren

Abb. 1 Service Design-Framework in Anlehnung an Design Council 2019

Im Service Design geht es darum, genau solche Schmerzpunkte zu identifizieren


und davon ausgehend neuartige verbesserte Serviceerlebnisse für interne und externe
Nutzer*innen zu kreieren. Häufig gibt es schnelle und einfach Lösungsideen (sogenannte
„Quick Wins“), um bestehende Schmerzpunkte aufzulösen und einen Verwaltungsservice
dadurch punktuell zu optimieren. Es sollte jedoch auch immer der Service im Gesamten
infrage gestellt werden und analysiert werden, ob eine teilweise oder vollständige Neu-
organisation des Services mittelfristig nicht zu einer höheren Nutzer*innenzufriedenheit
führt als das bloße Umsetzen einzelner Quick Wins.
Die strukturierte Teamarbeit mit Service Design kann durch Heranziehung von
sogenannten Frameworks erfolgen. Ein Framework gibt einen klar definierten Vorschlag
für den Ablauf eines Service Design-Projektvorhabens. In der Praxis hat sich das Modell
des sogenannten „Double Diamonds“ (Abb. 1) durchgesetzt (siehe hierzu u. a. Design
Council 2019). Der Double Diamond untergliedert sich grundsätzlich in vier Phasen:
Erkunden-Phase, Fokussieren-Phase, Entwickeln-Phase und Umsetzen-Phase.
Die vier Phasen werden idealtypisch von links nach rechts durchlaufen, wobei
es zu Überlappungen der Phasen oder zur Wiederholung von Phasen kommen kann.
Der erste „Diamant“ (Erkunden-Phase und Fokussieren-Phase) dient dabei der Ana-
lyse der Bedarfe von Nutzer*innen. Es geht darum, tiefgreifend zu verstehen, welche
Erfahrungen Nutzer*innen in einem Service machen und welche Schmerzpunkte
im Service unbedingt aufgelöst werden müssen. Erst der zweite Diamant („Ent-
wickeln-Phase“ und „Umsetzen-Phase“) wird lösungsorientiert verstanden. Im zweiten
Diamanten geht es also darum, Lösungsansätze für Serviceoptimierungen und -neu-
organisationen zu erarbeiten und diese letztendlich umzusetzen.
Typische Methoden in den einzelnen Phasen sind folgende1:

1 Eine ausführliche Beschreibung des Frameworks „Double Diamond“ sowie Methoden-


beschreibungen befinden sich beispielsweise in KGSt 2020, 11–33.
372 J. Meister und M. Hörmeyer

Erkunden-Phase

Stakeholderanalysen
Interviewtechniken zur Befragung von Nutzer*innen

Fokussieren-Phase

Personamethoden
Nutzer*innenreisen/Customer Journeys
Service Blueprints

Entwickeln-Phase

Kreativ-Brainstorming
Prototypings

Umsetzen-Phase

Realisierung von Prototypen


Agile Umsetzungs-Strukturen

Der Großteil der hier genannten Methoden kann nur in Teamarbeit erfolgen. Grundsätz-
lich gilt für das Service Design, dass Teams aus mehreren Personen zusammenarbeiten
sollten, um so Synergien zu nutzen, kreatives und gemeinschaftliches Arbeiten zu
fördern sowie Aufgaben aufzuteilen.

3 Diversity als Quality Gate für gelungenes Service Design

Der Zusammenhang zwischen Service Design und Diversity ist im deutschsprachigen


Raum bislang kaum betrachtet worden. Dies erscheint verwunderlich, da mit der
Betonung auf die Bedürfnisse von Nutzer*innen im Service Design verschiedene
kontroverse Folgefragen verknüpft sind:

Grundfrage: Kann ein Service Design-Team, welches nicht divers ist, in der Lage
sein, die Bedürfnisse von Nutzer*innen in einer vielfältigen Gesellschaft zu erfassen
und zu verinnerlichen?
Legitimationsfrage: Ist es vertretbar, wenn ein nicht diverses Service Design-Team
postuliert, die Bedürfnisse vielfältiger Gruppen von Nutzer*innen verstehen und
repräsentieren zu können?
Methodenfrage: Können professionell angewandte Service Design-Methoden
fehlende Diversität im Team kompensieren, gar ersetzen?
Braucht Service Design mehr Diversity? – … 373

Die Grundfrage hat durchaus „bissigen Charakter“. Die verschiedenen Frameworks


und Methoden im Service Design haben ja gerade den Anspruch, trotz Distanz zu
den Nutzer*innen ein tiefes Verständnis für deren Bedürfnisse, Gedanken und Wahr-
nehmungen zu entwickeln. Service Design insinuiert folglich, dass zwischen einer
etwaigen Diversität im Team und dem Verständnis für Nutzer*innen kein Konnex
besteht. Demnach müsste die Zusammensetzung eines Service Design-Teams völlig egal
sein: Hauptsache, das Team ist fähig, die Methoden des Service Designs professionell
umzusetzen. Ob das Team alters-, kultur-, geschlechts- oder sozialdivers ist, wäre nach
der Logik irrelevant. Doch kann das wirklich sein?
Dieser vermeintliche Widerspruch lässt sich gleichwohl auflösen, wenn die Effektivi-
tät der Service Design-Methoden an sich hinterfragt wird, sofern diese von homogenen
statt diversen Teams angewendet werden:

Konformitätsdruck und Gruppendenken: Homogene Teams sind besonders anfällig,


Konformitätsdruck zu entwickeln und mithin Gruppenzwang und Gruppendruck zu
entwickeln. Statt kontroversen Diskussionen werden andere Sichtweisen und Argu-
mente nicht mehr in Entscheidungen einbezogen oder überhaupt nicht eingebracht
(„Selbstzensur“). In der Folge gehen wichtige Perspektiven verloren.
Über die Diversity-Kerndimensionen hinaus: Der zuvor erläuterte Konformitäts-
druck bezieht sich nur auf die Diversity-Kerndimensionen (Alter, Ethnische Herkunft
und Nationalität, Geschlecht und geschlechtliche Identität, Körperliche und geistige
Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, Sexuelle Orientierung und Soziale Her-
kunft), sondern auch auf die fachliche Diversität von Teams. Arbeiten in einem
Service Design-Team nur Kolleg*innen aus einem Fachbereich, so ist die Wahr-
scheinlichkeit hoch, dass das Team ausschließlich in bestehenden Strukturen denkt.
Innovatives Denken bzw. Denken „über den Tellerrand hinaus“ kann nur erschwert
stattfinden. Es empfiehlt sich daher, fachfremde Kolleg*innen, Personen aus anderen
Verwaltungen oder Personen aus der Gesellschaft in Service Design-Teams zumindest
punktuell aufzunehmen. Solche Personen hinterfragen vermeintliche Selbstverständ-
lichkeiten und lassen sich nicht zu voreilig von bestehenden Strukturen und recht-
lichen Rahmenbedingungen einschränken.
Confirmation Bias: Gerade in homogenen Teams finden sich einheitliche Grund-
annahmen und Überzeugen häufig wieder. Angesichts dieses Gruppendenkens (s. o.)
kommt es schnell zum Confirmation Bias (Bestätigungsfehler). Haben alle in der
Gruppe die gleiche Auffassung, wird diese schnell als bestätigt gesehen. Die not-
wendige Recherche wird dann als bloße „Pflichtaufgabe“ gesehen. Statt eigene
Ansichten kritisch zu hinterfragen, werden in der Folge Erhebungen (unbewusst) so
selektiv durchgeführt, dass sie die eigenen Annahmen bestätigen.
Unconscious Bias: Ein weiteres Phänomen ist Unconscious Bias. Damit werden
unbewusste Vorurteile, Stereotypen oder Denkmuster beschrieben, die tief verwurzelt
sind und daher außerhalb der bewussten Wahrnehmung stattfinden. Unconscious
Bias wirken sich auf alle Dimensionen von Diversity aus und sind daher besonders
374 J. Meister und M. Hörmeyer

gefährlich (vgl. Charta der Vielfalt 2014). Insbesondere homogene Teams laufen
Gefahr, unter dem Phänomen von Unconscious Bias zu geraten. Durch unbewusste
Voreingenommenheit werden zum Beispiel die Ergebnisse von Interviews, die mit
Nutzer*innen geführt werden, fehlerhaft ausgewertet und interpretiert.

Beispiel

Manfred S., ein etwas „älterer“ Bürger, der zu seinen Erfahrungen zu einem
Online-Dienste der Verwaltung befragt wird, gibt an, dass der Online-Dienst nicht
komfortabel ist. Ein Service Design-Team ohne jegliche Altersdiversität läuft mög-
licherweise Gefahr, pauschal abzuleiten, dass dies an der mangelnden Digital-
kompetenz älterer Menschen liege – statt zu hinterfragen, ob der Online-Dienst nicht
zu wenig barrierefrei oder generell unkomfortabel ist.

Ein weiteres Beispiel ist, dass sich zum Beispiel männerdominierte Teams schwertun,
geschlechtsspezifische Bedürfnisse richtig zu verstehen und zu priorisieren. Dieses
Phänomen wird auch als Gender Bias bezeichnet.

Beispiel

Zeynep L., eine Kundin im Rathaus, sagt im Interview, sie hätte gern im Wartebereich
auch Rückzugsorte, etwa um ihr Baby zu stillen. Das Service Design-Team registriert
das Bedürfnis im Rahmen der Erkunden-Phase. In den anschließenden Phasen wird
das Anliegen aber depriorisiert, weil mehrheitlich die Auffassung vertreten wird, dass
das Problem „nicht so wichtig“ sei.

Überschätzung von Methoden: Bekannt ist die Fähigkeit gemischt zusammen-


gesetzter Teams gegenüber homogenen Teams, unterm Strich innovativere und
kreativere Lösungen zu entwickeln (u. a. Rock & Grant 2016). Diese Erkenntnis
wird in der Verwaltungspraxis aber leichtfertig negiert. Stattdessen verfällt die Ver-
waltungspraxis ohnehin in eine Art „Überschätzung von Methoden“. Der Glaube an
Methoden und Werkzeuge führt zur generellen Überhöhung ihrer Effektivität. Service
Design ist ein – sehr guter! – Ansatz, um ein besseres Verständnis für Nutzer*innen
zu entwickeln. Service Design ist aber kein Substitut für Diversität. Die Service
Design-Methoden können bei fehlender Diversität im Team die Diskrepanz zur viel-
fältigen Realität sehr gut im relativen Maße (!) reduzieren, aber eine etwaige Lücke
keineswegs schließen.

Die soeben aufgezeigte Auflistung von Phänomenen ist keineswegs abschließend. Die
kursorische Auseinandersetzung mit einigen – typischen – Negativphänomenen von
homogenen Teams soll gleichwohl deutlich machen, weshalb es ein Trugschluss ist,
Service Design und Diversity gegeneinander auszuspielen.
Braucht Service Design mehr Diversity? – … 375

Damit ist die Grundfrage (s. o.) soweit geklärt: Auch im Service Design ist es not-
wendig, den Blick nach innen zu richten und Projektteams so divers wie möglich zu
gestalten.
Damit verbunden ist auch die Beantwortung der Legitimationsfrage (s. o.): Die
Erhöhung der inneren Diversität erhöht einerseits die Funktion des Teams als „Spiegel-
bild der Gesellschaft“, sodass die Akzeptanz des Teams bei den Nutzer*innen selbst
(Input-Legitimation) erhöht wird. Das fördert ein offenes Klima, generiert wechsel-
seitiges Vertrauen und erleichtert die Zusammenarbeit mit den Nutzer*innen. Die
Fähigkeit zur Co-Kreation wird auf diese Weise nachhaltig gesteigert. Eine hohe innere
Diversität leistet darüber hinaus aber auch einen signifikanten Beitrag, die methodische
Orientierung an den Bedürfnissen der Nutzer*innen noch stärker sicherzustellen.
Dadurch wird die Qualität der erarbeiteten Ergebnisse weiter gesichert und gesteigert
(Output-Legitimation).
Mit diesen Erkenntnissen ist schließlich auch die Methodenfrage (s. o.) geklärt:
Nein, die professionelle Anwendung von Service Design-Methoden kann eine fehlende
Diversität im Team nicht kompensieren. Wenn wir die Orientierung an den Bedürfnissen
von Nutzer*innen wahrhaftig und konsequent meinen, führt auch im Service Design kein
Weg an Diversity vorbei.

4 Fazit

Service Design ist ein Framework, welches ermöglicht, durch Berücksichtigung einer
innovationsförderlichen Haltung und durch Anwendung von Methoden Verwaltungs-
services und Verwaltungsprozesse neuzugestalten, die eine hohe Orientierung an die
Bedürfnisse von Nutzer*innen aufweisen können. Damit ist Service Design geeignet, um
zum Beispiel Digitalisierungs-, Organisations- und Fachprojekte nutzer*innenzentriert
zu entwickeln.
Service Design ist gleichwohl, trotz der hohen methodischen Nähe zu den Para-
digmen von Diversity, nicht per se als „Diversity-affin“ zu sehen. Auch im Rahmen von
Service Design bedarf es einer aktiven Auseinandersetzung mit Phänomenen mangelnder
Vielfalt, insbesondere in der Zusammensetzung von entsprechenden Teams in Service
Design-Projekten. Die bewusste Befassung mit Diversity schützt Teams im Service
Design davor, in „Bias“-Situationen zu geraten, welche Wahrnehmungen und Ergeb-
nisse signifikant verzerren und mithin die Effektivität von Service Design massiv beein-
trächtigen können. Vor diesem Hintergrund wirkt eine aktive Gestaltung von Diversity
im Service Design-Kontext wie ein Quality Gate: Es wird insgesamt deutlich, dass
Service Design und Diversity stets zusammen gedacht werden müssen. Gemeinsam
entsteht eine vielfältige Innovationshaltung, die einen diversitätsbewussten Methoden-
einsatz in der öffentlichen Verwaltung ermöglicht. Durch Diversity wird sichergestellt,
dass mit Service Design tatsächlich das gelingt, was mit der Methodik beabsichtigt
376 J. Meister und M. Hörmeyer

wird: Einen Beitrag zu menschenfreundlicheren Verwaltungsservices und Verwaltungs-


prozessen für alle zu erreichen.

Literatur

Charta der Vielfalt (2014). Vielfalt erkennen – Strategien für einen sensiblen Umgang mit
unbewussten Vorurteilen. Berlin.
Design Council (2019). Framework for Innovation: Design Council’s evolved Double Diamond.
Onlinequelle: https://www.designcouncil.org.uk/our-work/skills-learning/tools-frameworks/
framework-for-innovation-design-councils-evolved-double-diamond/. Abrufdatum: 11.02.2023.
Hörmeyer, M. (2019). Service Design in Kommunen? Einfach mal machen!. In: Innovative Ver-
waltung, Heft 03/2019, S. 27.
KGSt (1993). Das Neue Steuerungsmodell – Begründung, Konturen, Umsetzung. KGSt-Bericht
05/1993. Köln: KGSt.
KGSt (2020). Service Design: Services und Prozesse nutzerzentriert gestalten – eine methodische
Erweiterung der Prozessoptimierung. KGSt-Bericht 05/2020. Köln: KGSt.
Rock, D., Grant. H. (2016). Diversity and Inclusion: Why Diverse Teams Are Smarter. Boston:
Harvard Business Publishing.

Dr. John Meister ist Experte für Reform- und Transformationsthemen in der öffentlichen Ver-
waltung. Er verfügt über breite interdisziplinäre Verwaltungserfahrung von über 15 Jahren und
war u. a. in Sozial-, Finanz-, Justiz-, Digitalisierungsressorts sowie auf Staatskanzleiebene tätig.
Er leitet aktuell das Referat „Inklusive Jugendhilfe“ in der Hamburger Sozialbehörde und ver-
antwortet die inklusive Ausgestaltung der Kinder- und Jugendhilfe. Daneben ist er Dozent für
Public Management mit Schwerpunkt in sozialwissenschaftlichen Themen an der Hochschule für
Angewandte Wissenschaften Hamburg.

Matthias Hörmeyer ist Referent im Programmbereich Organisations- und Informations-


management der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt). Er
ist Experte für das kommunale Diversity Management, für prozessorientiertes kommunales
E-Government, kommunalen Bürger*innenservice, Service Design und eine nutzenzentrierte
Organisationsgestaltung. Zu diesen Themen hält er Vorträge und schreibt Artikel, Strategien sowie
Konzepte. Außerdem begleitet er Digitalisierungsprojekte im kommunalen Sektor.
Diversität über die Authentifizierung
hinaus. Wie das „Team OnlineRathaus“
der Landeshauptstadt Wiesbaden mit
den Mitarbeitenden Onlinedienste
entwickelt und Nutzen validiert

Jan Klumb und Edwin Meier

Zusammenfassung

Diversität hat viele Gesichter. Das „Team OnlineRathaus“ (kurz gennnt „ToR“) der
Landeshauptstadt Wiesbaden ist eines davon. Das innovative Nachwuchskräfte-
projekt „Team OnlineRathaus“ in der Abteilung „Standesamt und Bürgerbüro“ des
Ordnungsamtes ist eine Kooperation mit dem Personalamt der Stadt und fördert
zum einen die Entwicklung einer zukunftsorientierten Stadtverwaltung und zum
anderen eine vielseitige Ausbildung der Nachwuchskräfte. Unter dem Arbeitstitel
„Team OnlineRathaus“ arbeiten Nachwuchskräfte jeden Alters aus unterschiedlichen
Fachbereichen und Ausbildungsberufen an der Zukunft der modernen Verwaltung.
Besonderes Augenmerk wird hierbei auf die Entwicklung von Standards in der
Kommunikation der Verwaltung, Optimierungen von Arbeitsabläufen und Prozessen
im Fachbereich sowie die Entwicklung neuer Onlinedienste für die Bürger*innen
Wiesbadens gelegt. Dieser Fachbereich zeigt, wie das „Team OnlineRathaus“ sowie
die Zusammenarbeit mit den Fachbereichen organisiert ist und welche Mehrwerte
sich hieraus für die Verwaltungsentwicklung ergeben.

J. Klumb ( ) · E. Meier
Landeshauptstadt Wiesbaden, Wiesbaden, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 377
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_29
378 J. Klumb und E. Meier

Schlüsselwörter

Verwaltungsmodernisierung · Online-Verwaltung · Service Design ·


Eheschließung · Nachwuchskräfte

1 Einleitung

Schaut man im alten Rathaus in Wiesbaden direkt hinter dem Eingang im Gebäude rechts
durch die Schalterluke, so trifft man vielleicht auf ein für eine Verwaltung ungewöhnliches
Bild: Mehrere Personen im Alter von circa 14 bis 35 teilen sich einen Arbeitsbereich und
verrichten ihre Aufgaben gemeinsam und auf Augenhöhe. Es ist der Urkundenservice
des Standesamtes, welcher zu einem Großteil von Nachwuchskräften betrieben wird.
Angeleitet von zwei Standesbeamt*innen stellen hier Schüler- und Jahrespraktikant*innen,
Auszubildende und Studierende Urkunden aus den Wiesbadener Personenstandsregistern
aus. Doch nicht nur im Urkundenservice, sondern auch im Bereich der Eheschließung, der
Geburtsanmeldung, der Namensänderungen und Sterbefälle, im Pass- und Ausweiswesen
des Bürgerbüros sowie in den übrigen Fachbereichen des Standesamtes und Bürgerbüros
leisten Nachwuchskräfte einen großen Beitrag. Dabei unterstützen sie die Mitarbeitenden
sowohl in der alltäglichen Sachbearbeitung als auch in kleinen und größeren Projekten ver-
schiedener Komplexität und Tragweite.
Die Annahme, ein Nachwuchskräfteprojekt dieser Größe erzeuge viel Mehrauf-
wand, liegt nicht fern. Schließlich denkt man zuerst, dass Nachwuchskräfte intensiv
von Mitarbeitenden der Sachbearbeitung eingearbeitet und umfangreich betreut werden
müssen. Doch die tatsächliche Einarbeitung und Betreuung zeigt, dass dies eine falsche
Annahme ist und nur bedingt der Realität entspricht. Warum also wurde das „Team
OnlineRathaus“ ins Leben gerufen? Wie wird dort gearbeitet? Wie wird ein hohes
Arbeits- und Betreuungsniveau garantiert? Welche Unterstützung stellt das „Team
OnlineRathaus“ bei der Gestaltung und Entwicklung innovativer Online-Dienste dar?

2 Die Idee des „Team OnlineRathaus“

Bereits im Jahr 2009 begannen erste Überlegungen zur Etablierung eines Nachwuchs-
kräfteprojektes. Die zugrundliegende Idee war, das Potenzial junger, technikaffiner
Menschen zu nutzen und ihnen im Gegenzug eine zeitgemäße und zukunftsorientierte
Ausbildung zu bieten. So startete das Projekt mit einer Testphase noch im selben Jahr
im Personalamt. Hierfür wurden gemeinsam mit der dortigen Abteilung für Aus- und
Fortbildung Kriterien und Bedingungen für eine fachübergreifende Projektausbildung
festgelegt. Mit dem Wechsel der damaligen Projektleitung vom Personalamt ins Standes-
amt zog auch das „Team OnlineRathaus“ in das alte Rathaus in Wiesbaden mit ein. Die
traditionelle, ursprüngliche Art zu Arbeiten reichte bis zu diesem Zeitpunkt im Jahr 2014
Diversität über die Authentifizierung hinaus. Wie das … 379

hinein. So fanden sich neben einer gelegentlich noch genutzten Schreibmaschine über-
durchschnittlich viele Aktenschränke in den Büros und auch der Servicegedanke war
im Vergleich zu heute noch nicht so fest im kollektiven Gedächtnis der Mitarbeitenden
verankert. Seitdem hat das Standesamt eine große Entwicklung hinter sich gebracht,
stets begleitet vom „Team OnlineRathaus“, das dabei half, die Behörde von/mit einem
traditionell und historisch gewachsenem Fach- und Aufgabenbereich zu einem „Leucht-
turm“ zu transformieren, der nicht nur innerhalb der Stadtverwaltung Wiesbadens,
sondern auch bundesweit Vorreiter in Sachen Digitalisierung und Innovation wurde.
Das „Team OnlineRathaus“ setzt also auf ein Team, das aus unterschiedlichen Nach-
wuchskräften jeden Alters, beruflicher und schulischer Ausbildung besteht. Neben den
Auszubildenden und Inspektoranwärt*innen der Stadt (Duales Studium) werden auch
Schülerpraktikant*innen, Jahrespraktikant*innen, Volontär*innen und Gastauszu-
bildende von Bund und Land integriert. Diese absolvieren ihre Praktika als Teil ihrer
Ausbildung, ihres (dualen) Studiums oder aus eigener Initiative. Die Zeit, die sie dabei
im Projekt verbringen, ist ebenfalls unterschiedlich. Während die Nachwuchskräfte
der Stadt Praxisabschnitte von drei bis sechs Monaten absolvieren müssen, decken die
Praktika der externen Teilnehmenden alle Zeiträume von einer Woche bis zu einem Jahr
ab.
Nachdem die Projektleitung 2019 aus dem Dienst ausschied, wird das „Team
OnlineRathaus“ von zwei Mitarbeitenden der Abteilung weitergeführt. In diesem Zuge
erfolgte eine Erweiterung auf das Bürgerbüro, wo nach dem Vorbild des Standesamtes
die Digitalisierung, Innovationen und Bürgerservice mithilfe der Nachwuchskräfte
vorangetrieben werden sollen.

2.1 Auftrag und Ziele

Die Ziele des Nachwuchskräfteprojekts wurden zu Beginn der Testphase in einem


Projektauftrag festgehalten und bilden noch heute die Grundlage der Zusammenarbeit
zwischen den Mitarbeitenden von Standesamt, Bürgerbüro und den Nachwuchskräften:

Gewährleistung einer zeitgemäßen und zukunftsorientierten Ausbildung der Nach-


wuchskräfte,
Erkennen und Fördern der Nachwuchskräfte als Personal der Zukunft. Sie werden
zukünftig Sachbearbeitung, Steuerung, Führung und Verantwortung in den Behörden
übernehmen,
Vermittlung zukunftsweisender Qualifikationen zur Bewältigung der Heraus-
forderungen der Transformation der Verwaltung wie E-Government und demo-
grafischen Wandel,
Nutzung des kreativen Potenzials und der Technikaffinität der Nachwuchskräfte,
380 J. Klumb und E. Meier

Einsatz der Nachwuchskräfte als zusätzliche Personal-Ressource für „Change-


Management“-Projekte, Organisationsentwicklungen oder zur Aufgabenunterstützung
(Betriebs- und Organisationsprojekte) in den Fachbereichen.

2.2 Arbeitsweise und Methoden

Grundpfeiler der erfolgreichen Arbeit des „Team OnlineRathaus“ ist die Diversität der
Mitglieder des Teams. Diese ergibt sich insbesondere aus den unterschiedlichen Altern
sowie den unterschiedlichen fachlichen Hintergründen und Erfahrungen der Mitglieder.
Die Diversität führt insbesondere dazu, dass mehr Diskussionspotenzial und Kreativität
im Team entstehen. Hierdurch erhöht sich die Chance, dass Projektergebnisse des „Team
OnlineRathaus“ stärker an den Bedarfen von Kund*innen (zum Beispiel Antragstellenden)
ausgerichtet sind.
Um eine erfolgreiche Integration der zahlreichen Nachwuchskräfte in die Fach-
bereiche sicherzustellen, distanzierte man sich von der bisherigen Art der Einarbeitung.
Dies bedeutet, konkret dass nicht mehr Mitarbeiter*innen mit einer Nachwuchskraft
über einen längeren Zeitraum zusammen am Arbeitsplatz Prozesse und Abläufe durch-
gehen. Seit Beginn des Projekts haben die Nachwuchskräfte eigenständig und seit-
dem kontinuierlich Schritt-für-Schritt-Anleitungen für jegliche Prozesse erstellt. Diese
Anleitungen werden „ReadMe“ genannt, mit denen sich die neuen Nachwuchskräfte
Wissen aneignen und bei Bedarf nachlesen können. Durch die „ReadMes“ sind ein-
fache Arbeitsabläufe zu Beginn des Praktikums eigenständig bearbeitbar, wie im Bereich
Urkundenservice beispielsweise die Bearbeitung einer Urkundenbestellung vom Eingang
der Bestellung, über das Heraussuchen des Personenstandseintrages in den standesamt-
lichen Registern bis hin zur Erstellung einer Rechnung oder die Digitalisierung eines
Papier-Personenstandseintrages ins elektronische Personenstandsregister.
Die Nachwuchskräfte lernen hierbei selbständiges und eigenverantwortliches Arbeiten.
Bei Rückfragen, Unsicherheiten oder dem Wunsch einer individuellen Einarbeitung in
einen Prozess stehen die Mitarbeitenden der Fachbereiche auch zur Verfügung.
Neben den „ReadMes“ werden Erklärvideos und Visualisierungen unterschiedlichster
Art genutzt, um die Nachwuchskräfte auf ihre Aufgaben vorzubereiten – auch um die
verschiedenen Lerntypen anzusprechen. Während manche einen Prozess am ehesten
mithilfe einer schriftlichen Anleitung verstehen und verinnerlichen können, bevor-
zugen wiederum andere ein besprochenes Erklärvideo. Um Lerneffekte zu verstärken
und Wissen zu vertiefen, liegt die Erstellung von „ReadMes“, Erklärvideos und anderen
Medien zu einem großen Teil in ihrem Verantwortungsbereich der Nachwuchskräfte.
Eine weitere Besonderheit der Arbeitsweise des „Team OnlineRathaus“ ist die gegen-
seitige Einarbeitung der Nachwuchskräfte. Die dienstälteren, erfahrenen und versierteren
Nachwuchskräfte geben ihr Wissen und ihre Erfahrungen an diejenigen weiter, die ihre
Zeit im „Team OnlineRathaus“ gerade beginnen. Eine besondere Herausforderung ist die
Diversität über die Authentifizierung hinaus. Wie das … 381

Wissensvermittlung, wenn mehrere Nachwuchskräfte gleichzeitig ihre Zeit im „Team


OnlineRathaus“ beenden und mit der Übergabe an die Neuankömmlinge zur Sicherstellung
nahezu ununterbrochener Arbeit und Aufrechterhaltung der Arbeitsqualität beitragen. So
kommt es beispielsweise vor, dass ein 17-jähriges Mitglied des „Team OnlineRathaus“ zum
Ende seiner Zeit sein Wissen und seine Fähigkeiten an einen wesentlich älteres neues Mit-
glied weitergibt.
Abgesehen von der Einarbeitung und der täglichen Arbeit operieren die Nachwuchs-
kräfte des „Team OnlineRathaus“ auch in der Projektarbeit mit verschiedenen, teil-
weise selbst erarbeiteten Methoden und Instrumenten. Paradebeispiel hierfür ist das
„Verwaltungs-Canvas“, eine abgewandelte Form der Soll-Ist-Analyse. Hier wird eine
(Online-) Dienstleistung zunächst anhand verschiedener vordefinierter Fragen unter-
sucht, um Stärken, Schwächen, Chancen und Potenziale zu erkennen. Im Anschluss
werden, ausgehend von festgelegten Prioritäten, eine optimierte Version der Dienst-
leistung konzeptioniert, mit Kernfragen die einzelnen Prozessschritte dargestellt und für
die Umsetzung in der Praxis vorbereitet. Neben dem „Verwaltungs-Canvas“ arbeiten die
Nachwuchskräfte auch mit Methoden wie „Kanban“ oder „Lego Serious Play“. Bei allen
genutzten Arbeitsweisen und Methoden stehen Flexibilität, Kreativität und modernes,
zeitgemäßes, eigenverantwortliches Arbeiten im Vordergrund. Außerdem stellen der-
artigen Methoden sicher, dass die Bedarfe der diversen Zielgruppen der Verwaltung (zum
Beispiel Antragstellende) intensiver berücksichtigt werden.
Über den projektinternen Podcast „ToRTalk“ („ToR“ steht hier für „Team
OnlineRathaus“) werden neue Nachwuchskräfte, Mitarbeitende und Führungskräfte vor-
gestellt. Aufgrund der Größe der Abteilung bietet dieses Format eine Erreichbarkeit aller
Personen und sorgt durch interessante, witzige und humorvolle Interviews und inhalt-
liche Themen für einen guten Einstieg ins Team.
Allein im Jahr 2022 waren rund 40 Menschen verschiedenen Alters und mit unter-
schiedlichen Ausbildungen Teil des „Team OnlineRathaus“. Eingesetzt in den viel-
fältigen Fachbereichen von „Standesamt und Bürgerbüro“, trugen sie tagtäglich zur
Bewältigung der Aufgaben bei und leisteten in Projekten zur Erarbeitung moderner und
bürgerfreundlicher (Online-) Dienstleistungen ihren Beitrag.
Seit mehr als zehn Jahren bringt das „Team OnlineRathaus“ Nachwuchskräfte aller
Art in die Verwaltung, welche dank dieser durch Unterstützung im Alltag, aber auch
durch Einflüsse und den Blick von außen profitieren. Auch in Zukunft sollen „Standes-
amt und Bürgerbüro“ profitieren, mit den Nachwuchskräften gemeinsam an Heraus-
forderungen wachsen und Erfahrungen sammeln sowie durch erfolgreiche Praktika
individuelle personelle Zugewinne für die Zukunft generieren.
382 J. Klumb und E. Meier

3 Praxisbeispiel aus dem „Team OnlineRathaus“:


Entwicklung der Online-Anmeldung der Eheschließung

Keine Terminsuche, kein Warten beim Amt: Wer in Wiesbaden heiraten möchte, kann
seit Dezember 2020 aufgrund der Covid-19-Situation die Anmeldung zur Eheschließung
(früher: das Aufgebot) online durchführen. Üblicherweise müssen Traupaare persön-
lich und gemeinsam vor Ort erscheinen, um sich auszuweisen und die Anmeldung zu
unterschreiben. Das können die Traupaare in Wiesbaden bequem nach Feierabend von
Zuhause aus digital per Qualifizierter Elektronischer Signatur (QES) signieren.

3.1 Die Idee zur Online-Anmeldung

Das Standesamt Wiesbaden schuf Ende 2020 die Möglichkeit mit seinen Projekt-
partner*innen, dass Traupaare bequem nach Feierabend von Zuhause aus die Anmeldung
der Eheschließung im Traukalender mit Video-Ident durchführen und digital per Quali-
fizierter elektronischer Signatur (QES) unterschreiben können. Bereits 2018 stießen
die Kolleg*innen des Standesamtes Wiesbaden auf Video-Ident als digitale und ein-
fache Lösung für die Online-Authentifizierung. Das Standesamt Wiesbaden startete
gemeinsam mit dem Nachwuchskräfteprojekt „Team OnlineRathaus“ und anderen
städtischen Behörden die Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen für einen Einsatz
in seinen Fachbereichen. Sie nahmen Kontakt zum Dienstleister auf – auch ein Besuch
direkt vor Ort im Hochsicherheits-Ident-Center folgte. Aufgrund rechtlicher Hindernisse
konnte eine Umsetzung der Idee zunächst nicht erfolgen.
Entsprechend dem Fachgesetz soll die Anmeldung der Eheschließung persönlich und
vor Ort im Standesamt vollzogen werden. Trotz des Onlinezugangsgesetzes (OZG) ist
bislang das Personenstandsgesetz als bindendes Fachgesetz nicht angepasst worden. Nur
in Ausnahmesituationen kann laut dem Fachgesetz auf die persönliche Anwesenheit der
Traupaare verzichtet werden. So mussten die ersten Überlegungen aus 2018 erstmal in
der „Schublade verschwinden“.
Die Begebenheiten der Corona-Pandemie ermöglichten dann die oben genannte Aus-
nahmeregelung für die Anmeldung der Eheschließung zu nutzen. Mit dem Lockdown
fiel fast von einem Tag auf anderen der Zugang zur Anmeldung der Eheschließung als
eine der (emotional) wichtigsten Dienstleistungen aus. Gleichzeitig jedoch entstand eine
neue Situation: Das Personenstandsgesetz erlaubte jetzt von der persönlichen Anwesen-
heit abzusehen, da ein wichtiger Grund vorlag – die Pandemie. Nun konnte auf Vorüber-
legungen zurückgegriffen werden.
Bei der Ausgestaltung des Pilot-Prozesses war einerseits zu beachten, dass alle not-
wendigen Aspekte der Rechtskonformität gewahrt wurden und die Weiterbearbeitung
der Anmeldung im Amt möglich war. Auf der anderen Seite sollte eine größtmögliche
Nutzungsfreundlichkeit erreicht werden und der Prozess im Lebensalltag anwendbar
sein. Beispielsweise musste es möglich sein, dass das Brautpaar getrennt, örtlich und
Diversität über die Authentifizierung hinaus. Wie das … 383

zeitlich unabhängig voneinander, die Anmeldung unterzeichnet, die Signaturen aber auf
derselben Anmeldung zusammengeführt werden.

3.2 Die Entwicklung und Gestaltung der Online-Anmeldung

Nachdem die rechtlichen und praktischen Voraussetzungen geprüft waren, ging es an die
Gestaltung des Prozesses. Hierfür wurde das „Verwaltungs-Canvas“ genutzt. Dieses von
den Nachwuchskräften des „Team OnlineRathaus“ mit den Mitarbeitenden des Standes-
amtes entwickelte Werkzeug ist die optimierte Form der Ist- und Soll-Analyse. Durch
gezielte Fragestellungen im Canvas wurden in mehreren Workshops gemeinsam mit den
Nachwuchskräften und den Mitarbeitenden der Prozess hinterfragt, entwickelt und dann
neu gestaltet. Die technische Umsetzung der Online-Anmeldung und die Programmierung
der Schnittstelle zum Dienstleister der Authentifizierung mit Video-Ident gestaltete sich
anschließend problemlos und verlief zügig.
Viele Onlinedienste sind kompliziert, umständlich und verschachtelt aufgebaut. Die
Onlinedienste werden zudem von langen und komplexen Dienstleistungsbeschreibungen
begleitet. Ein besonderes Augenmerk in der Entwicklung wurde hier auch auf die
Sprache gelegt. So wurden intern definierte „Klartext“-Regeln im Satzbau und in der
Satzgestaltung befolgt. Die Beschreibung für die Online-Anmeldung besteht aus nur 38
Wörtern. Ergänzt wird diese durch ein Erklärvideo. Die „Munnis“, individuell gestaltete
Strich-Männchen, erklären den Onlinedienst anschaulich, auditiv und visuell.

3.3 Qualitätssicherung und Weiterentwicklung der Online-


Anmeldung

Der neue Onlinedienst ist sehr gut angenommen worden: Seit der Einführung im
Dezember 2020 meldeten sich bereits über 2000 (Stand Dezember 2022) Paare digital
zur Eheschließung an, was einer Nutzungsquote von 98 % entspricht. Hierbei ist
besonders interessant, dass die Nutzung hauptsächlich zur Mittagszeit (vermutlich in der
Mittagspause) oder am Abend ab 19:30 Uhr erfolgt.
Das Standesamt konnte seit Einführung der Online-Anmeldung auf 4000 Personen-
kontakte verzichten und Bürger*innen sowie Standesbeamt*innen in der Pandemie
schützen. Denn gerade in der Anfangszeit der Covid19-Pandemie war es besonders
wichtig, die Personenkontakte strikt zu reduzieren. Aufgrund der regen Nutzung des
neuen Onlinedienstes meldeten sich bereits im ersten Quartal 646 Menschen online
zur Eheschließung an. Im Oktober 2021 erfolgte eine Erweiterung um eine ePayment-
Schnittstelle. So war es nicht nur möglich, die Eheschließung schnell und einfach digital
anzumelden, sondern auch gleich die dafür anfallenden Gebühren digital zu begleichen.
Zur Begleichung der Gebühren stehen PayPal und Giropay als Zahlungsvariante zur Ver-
384 J. Klumb und E. Meier

fügung. Damit erreicht die Anmeldung der Eheschließung mit Video-Ident die komplette
OZG-Konformität.
Im Dezember 2022 konnte zum zweijährigen Jubiläum die 4000ste Nutzung ver-
zeichnet werden. Gleichzeitig wurde die eID-Ausweisfunktion als etablierte Art der
Authentifizierung als Alternative zum Video-Ident-Verfahrens eingeführt. Es wurde
damit ein Onlinedienst entwickelt, welcher verschiedene Varianten der Authentifizierung
in einem Onlinedienst anbietet. Die hier geschaffene Auswahlmöglichkeit ermög-
licht den Nutzer*innen selbst zu entscheiden, welche Art der Authentifizierung bevor-
zugt wird. Das Prinzip der Auswahlmöglichkeit kennen Antragstellende bereits aus
dem privaten Online-Verhalten (zum Beispiel beim Online-Shopping die Auswahl ver-
schiedener (Online-)Zahlungsalternativen).
Grundsätzlich werden zur Überprüfung, Bewertung und zur iterativen Weiter-
entwicklung der Onlinedienste diese mit einem Feedback-Modul am Ende versehen.
Über drei farblich abgrenzende „Smileys“ können Bürger*innen direkt ein Feedback
hinterlassen. Ebenso besteht die Möglichkeit der Abgabe eines Kommentars. In der
Online-Anmeldung der Eheschließung ist das Feedback-Modul integriert worden. So
lassen sich aktuelle Feedbacks und Kommentare auswerten. 85,8 % der Bürger*innen
sind sehr zufrieden und 9,9 % zufrieden (Stand Dez. 2022) mit dem Onlinedienst.

3.4 Ausblick zur Entwicklung weiterer Onlinedienste im „Team


OnlineRathaus“

Weitere Dienstleistungen sollen den Bürger*innen online im Fachbereich zur Ver-


fügung gestellt werden. Die Nachwuchskräfte erforschen und entwickeln bereits weitere
Onlinedienste. Gleichzeitig wird in einer Art „Marktbeobachtung“ sondiert, welche
Behörden an ähnlichen Projekten der Digitalisierung arbeiten. Oftmals arbeiten unter-
schiedliche Behörden – gerade auf kommunaler Ebene – an gleichen oder ähnlichen
Digitalisierungsprojekten. In diese werden viel Energie, Kosten und Personalressourcen
investiert. Doch das „Rad“ muss nicht mehrfach „erfunden“ werden. Durch Vernetzung
werden Kontakte gepflegt, sodass auch hier behördenübergreifend Synergien entstehen.
Nach dem OZG ist der Fachbereich „Standesamt und Bürgerbüro“ verpflichtet,
künftig rund 60 Verwaltungsleistungen digital anzubieten. Das „Verwaltungs-Canvas“
ist hierbei eine von vielen Methoden zur Erarbeitung von Onlinediensten in Workshops.
Auch die standesamtliche Beurkundung soll digitalisiert und optimiert werden. Hierfür
sollen Bürger*innen gemeinsam mit Mitarbeiter*innen der Verwaltung im Rahmen der
Bürgerbeteiligung neue Onlinedienste gestalten und mitentwickeln.
Diversität über die Authentifizierung hinaus. Wie das … 385

4 Résumé

Die Personen hinter dem Projekttitel „Team OnlineRathaus“ zeigen, dass fern von
klassischen Hierarchien und Erfahrungswerten neue Methoden, Instrumente und Online-
dienste entwickelt werden können.
Gerade durch die Diversität der Nachwuchskräfte in Zusammenarbeit mit Mit-
arbeitenden aus der Sachbearbeitung kann zusammenfassend gesagt werden, dass daraus
eine besondere Symbiose entsteht. Junge Nachwuchskräfte bringen neue Perspektiven
und Ansprüche an die Arbeitsgestaltung in den Arbeitsalltag der Sachbearbeitung mit
ein. Diese können mit den Erfahrungswerten aus den Fachbereichen optimal gematcht
werden, sodass regelmäßig bessere Ergebnisse erzielt werden.
Um aber schlussendlich alle vorgeschriebenen Verwaltungsleistungen gemeinsam mit
den Nachwuchskräften und den Mitarbeitenden im Fachbereich zu digitalisieren, müssen
darüber hinaus auch die Fachgesetze angepasst werden. Nur mit digital umsetzbaren
Fachgesetzen lässt sich eine Skalierung über alle Verwaltungsdienstleistungen hinaus
erwirken. Das Beispiel der Online-Anmeldung der Eheschließung beweist, dass Fach-
gesetze hier Defizite in der Umsetzbarkeit einer digitalen, innovativen und modernen
Verwaltung aufzeigen. Die hohe Nutzungsquote zeigt eindeutig, dass die Gesellschaft
gewillt ist Onlinedienste zu nutzen, dies gleichermaßen fordert und auch den Anspruch
an eine digitale und zeitgemäße Verwaltung hat.

Jan Klumb, Landeshauptstadt Wiesbaden, Ordnungsamt, Standesamt und Bürgerbüro.


Jan Klumb ist Verwaltungsfachwirt und Standesbeamter und leitet die Sachgebiete „Standes-
amtsbetrieb und Ausbildungskoordination“, sowie „Bürgerbüro Frontoffice“. Zusätzlich leitet er
das Nachwuchskräfteprojekt „Team OnlineRathaus“. Gemeinsam mit Kolleg*innen und Nach-
wuchskräften „entstaubt“ er die Amtsstube(n). Ehrenamtlich ist er stellv. Vorsitzender des NExT
e. V. und Koordinator des dortigen „NExTcamp“ zur behördenübergreifenden Vernetzung.

Edwin Meier B.A., Landeshauptstadt Wiesbaden, Ordnungsamt, Standesamt und Bürgerbüro.


Edwin Meier ist Standesbeamter und seit Ende seines Public Administration Studiums 2020 im
Standesamt und befasst sich dort vor allem mit den Themen OZG-Umsetzung und Digitalisierung
im Personenstand und Meldewesen. Er leitet in Co-Funktion das Nachwuchskräfteprojekt „Team
OnlineRathaus“ und erarbeitet dort in Projekten Lösungen, informiert über den internen Podcast
über Neuerungen und setzt sich aktiv für die moderne Verwaltung ein.
Potenzial im Unterschied – Wie sich
Verwaltung und Start-ups gegenseitig
bereichern können

Jana Janze

Zusammenfassung

Start-ups und Verwaltung: Zwei Welten, die auf dem ersten Blick unterschied-
licher nicht sein könnten. Kaum ein Arbeitsfeld hat so ein angestaubtes Image wie
das der öffentlichen Hand. Auf der anderen Seite die Start-ups-Szene: Innovation,
neue Arbeitsweisen, junge Menschen, Diversity und der Einsatz von Technologie.
Das sind (Vor-)Urteile: Die beiden Welten sind in sich geschlossen wenig vielfältig,
jedoch untereinander unterschiedlich – schlussendlich liegt das Potenzial in genau
diesem Unterschied. Start-ups und die Verwaltung können sich bereichern, wenn sie
sich nähern, Synergien nutzen und schlussendlich gemeinsam Lösungen für unsere
gesellschaftlichen Herausforderungen entwickeln. Um dahin zu kommen, braucht es
neben der Entfaltung von Diversity die Umsetzung verschiedener Forderungen, die zu
innovativen Ideen und einer kollaborativen Verwaltung führen. Diese werden im vor-
liegenden Fachbeitrag erläutert.

Schlüsselwörter

Diversity · GovTech · Digitale Transformation · Kulturwandel · Zukunftsblick · Start-


ups

J. Janze ( )
GovMarket GmbH, Berlin, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 387
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_30
388 J. Janze

1 Einführung

Start-ups und Verwaltung. Zwei Welten, die auf dem ersten Blick unterschiedlicher nicht
sein könnten. Auf der einen Seite die Verwaltung: Kaum ein Arbeitsumfeld hat so ein
angestaubtes Image wie die öffentliche Hand. Gleichzeitig sorgt die Verwaltung dafür,
dass unsere gesellschaftlichen Prozesse und Strukturen funktionieren und die öffentliche
Sicherheit gewahrt wird. Sie steht für Unerschütterlichkeit, Sicherheit, Struktur ebenso
wie für Zuverlässigkeit und Neutralität.
Auf der anderen Seite Start-ups: Innovation, neue Arbeitsweisen, junge Menschen
und der Einsatz von Technologie sind Begriffe, die in diesem Zusammenhang fallen.
Oft verbindet man mit Start-ups auch Diversität. Start-ups sind in der Regel komplett
auf Wachstum ausgerichtet. Wir verbinden mit Start-ups auch deshalb Risiken, hohen
Arbeitsaufwand, finanzielle Unsicherheit und großen Konkurrenzdruck.
Beide Seiten kämpfen mit vielen (Vor-)Urteilen – und können sich gleichzeitig
bereichern, wenn sie sich nähern, Vorurteile überwinden, Unterschiede und Gemeinsam-
keiten erkennen, potenzielle Synergien nutzen und schlussendlich gemeinsam Lösungen
für unsere gesellschaftlichen Herausforderungen entwickeln. Das ist es auch, was
Diversity ausmacht. Diversity ist mit Vielfalt gleichzusetzen. Vielfalt und unter-
schiedlichen Eigenschaften, die Menschen aufweisen. Sie bietet Potenzial für Gleich-
behandlung und Chancengleichheit in den Strukturen, in denen wir uns bewegen.
Um Diversity zu erreichen, sind verschiedene Sichtweisen und Menschzentrierung
wichtig. Beide Seiten müssen sich öffnen, denn ein divers aufgestelltes Team, welches
aus Menschen verschiedener Hintergründe und Perspektiven besteht, kann zu einem
breiteren Denkansatz und zu innovativen Ideen beitragen. Wir müssen zusammen-
arbeiten, um die Entwicklung von neuen Ideen voranzutreiben. Wir brauchen Techno-
logie, um Prozesse zu automatisieren. Wir wollen verschiedene Sichtweisen, um
passgenaue Lösungen zu erarbeiten. Wir müssen Barrieren beseitigen, die aktuell den
Zugang von unterrepräsentierten Gruppen zu Unternehmensgründungen und Wachstum
behindern. Wir brauchen den offenen Zugang zur Verwaltung, der z. B. für Menschen
mit Migrationshintergrund das Ankommen in der Gesellschaft bedeutet.
Doch: Wie steht es eigentlich um Diversity in Start-ups im Vergleich zur Ver-
waltung und der Erwerbsbevölkerung Deutschland? Sind Start-ups wirklich so viel-
fältig aufgestellt, wie gemeinhin angenommen wird? Welche Herausforderungen in
der Zusammenarbeit gibt es für beide Seiten? Um zu mehr Kollaboration zu gelangen,
die Unternehmen und Verwaltung zusammenbringt und das „Cultural Gap“ zwischen
beiden Welten verkleinert, identifizieren wir Forderungen aus der Praxis der aktuellen
Zusammenarbeit von Start-ups und Verwaltung, die Diversität beflügeln und aufzeigen,
welche Potenziale in den wahrgenommenen Unterschieden von Start-ups und Ver-
waltung liegen.
Potenzial im Unterschied – Wie sich Verwaltung und Start-ups … 389

2 Die Innovationskraft von Start-ups

Die Innovationskraft, die Nutzung von Technologien und die damit verbundene
kollaborative Gestaltung der Zukunft ist eine Bereicherung für die Gesellschaft. Sie
zahlen in die Zukunftsfähigkeit Deutschlands ein – und den damit verbundenen Steuer-
einnahmen und seiner Standortattraktivität. Kreative Start-ups setzen mit Erfindungsgeist
wichtige und zukunftsweisende Impulse, die helfen, Rohstoffe nachhaltig zu nutzen oder
mit Hilfe von künstlicher Intelligenz Prozesse effizienter und ressourcenschonender zu
organisieren, um zwei Beispiele zu nennen.
Als ein Start-up definiert Prof. Dr. Tobias Kollmann im European Startup Monitor
ein junges Unternehmen, das maximal zehn Jahre alt ist. Es hat eine skalierbare – im
besten Fall innovative – Geschäftsidee, wobei die Innovation sowohl die eingesetzte oder
zu entwickelnde Technologie als auch das Geschäftsmodell umfassen kann. In der Regel
sind Start-ups durch externe Kapitalgeber*innen finanziert. Dies ermöglicht es ihnen,
auch in einer sehr frühen Phase, Arbeitsplätze schaffen zu können, was die Bedeutung
von Start-ups für den Wirtschaftsstandort Deutschland unterstreicht (vgl. European
Startup Monitor 2015, o.S.).
Start-ups, KMUs (kleinen und mittleren Unternehmen) und Unternehmen, die sich
auf die Arbeit mit und in der öffentlichen Verwaltung fokussieren bzw. auf die Ent-
wicklung von Technologien für den öffentlichen Sektor spezialisiert haben, nennt man
Government Technologies (GovTechs). Ihre Lösungen, Produkte oder Services bieten
einen Mehrwert für die öffentliche Hand bzw. Bürger*innen (B2G2C – Business to
Government to Citizen) und forcieren die Effektivität bzw. Effizienz der Verwaltung
(B2G – Business to Government). In Deutschland gibt es ca. 300 GovTech Start-ups
(Vgl. Govtech in Deutschland 2021, Seite 7). Die Zusammenarbeit mit GovTechs ist
für den Public Sector von großem Nutzen, da sie die Möglichkeit bietet, von Innovation
und Flexibilität der Start-ups zu profitieren und neue Technologien und Innovationen zu
nutzen.
Der Begriff „GovTech“ spiegelt in allen Facetten auch die Komplexität der Ver-
waltung wider: Bildung und Schule, Krankenversorgung und Pflege, Soziales, Bau,
Sicherheit oder auch Verkehr sind nur einige Felder, die GovTechs abbilden. Sie
orientieren sich damit an den Strukturen der Verwaltung und subsumieren sich unter
HealthTech, EduTech, AgeTech usw. – aber schließen auch FinTechs ein, die beispiels-
weise für Kämmereien einen Mehrwert bieten.
390 J. Janze

3 Diversity in Start-ups im Vergleich zur Verwaltung und


Erwerbsbevölkerung

Per se wird (GovTech-)Start-ups „Innovationskraft“ zugeschrieben: „Denn ohne die


Innovationskraft junger Unternehmen und Start-ups wäre die digitale Transformation
des öffentlichen Sektors nicht möglich“, sagt das Bundesministerium für Wirtschaft
und Klimaschutz (Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz 2023).
Innovation und Diversity bedingen sich, da verschiedenen Perspektiven, Erfahrungen
und Ideen in eine Situation eingebracht werden. Ein Team, das divers aufgestellt ist,
kann besser auf die Bedürfnisse und Anforderungen von verschiedenen Gruppen ein-
gehen und damit innovativ(er)e Lösungen entwickeln, Vorurteile und Diskriminierung
minimieren und eine inklusivere und gerechtere Gesellschaft schaffen. Start-ups wird
auch deshalb nachgesagt, dass sie im Allgemeinen divers(er) aufgestellt sind.
Nachfolgend wird beleuchtet, wie es um die Diversity der 1976 Start-ups, 4815
Gründer*innen, 34.539 Mitarbeiter*innen (Vgl. Bundesverband Deutsche Startups
e. V. et al. 2022) steht. Dies wird den Charakteristika der Erwerbsbevölkerung1 und der
öffentlichen Hand gegenübergestellt. Um eine Einschätzung zum Stand der Diversität
treffen zu können, werden die sieben Kerndimensionen von Diversity (Vgl. Diversity
Dimensionen – Für Diversity in der Arbeitswelt o. D.) betrachtet. Für die Dimensionen
„Sexuelle Orientierung“, „Religion und Weltanschauung“ sowie „Körperliche und
geistige Fähigkeiten“ sind keine aussagekräftigen Daten vorhanden. Zudem existieren
kaum demografische Daten zu GovTechs. Aus diesem Grund konzentriert sich die Aus-
wertung auf „Start-ups“.

3.1 Soziale Herkunft – Gründer*innen sind Akademiker*innen

Die soziale Herkunft von Personen hat nach wie vor starken Einfluss auf Bildungs- und
Arbeitsmarktchancen – so auch auf die Gründungen von Start-ups. Menschen haben
aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Schicht keinen Zugang zu
Netzwerken, Bildung oder auch zu Vermögen, welches in der Anfangsphase eines Unter-
nehmens ohne Investor*innen relevant ist. In der Diversitätsdimension „Soziale Her-
kunft“ betrachten wir den Bildungsabschluss.
Wie Abb. 1 zeigt, sind Gründer*innen von Start-ups in der Regel Akademiker*innen.
Sie verfügen zu 87,2 % über einen Hochschulabschluss, zu 4,7 % über Abitur oder haben
zu 4,1 % eine Berufsausbildung abgeschlossen. MINT-Fächer (46,6 %) und Wirtschafts-

1 DieDaten zur Erwerbsbevölkerung stammen aus Auswertungen aus GENESIS (Gemeinsames


neues statistisches Informationssystem), ein Statistisches Informationssystem von den Statistischen
Ämtern des Bundes und der Länder bzw. aus dem Mikrozensus. Aus diesen Daten konnten die
Informationen zu Start-ups und zur Verwaltung nicht extrahiert werden.
Potenzial im Unterschied – Wie sich Verwaltung und Start-ups … 391

Akademischer Akademischer Abschluss Akademischer


Abschluss (Besoldungsgruppe) Abschluss
Soziale 20,3% 51,6% 87,2%
Herkunft
2021 2021 2022
Erwerbsbevölkerung Öffentliche Hand Start-ups
in Deutschland* in Deutschland in Deutschland*

* Erwerbsbevölkerung: Vgl. Statistisches Bundesamt 2021a | Start-ups: Vgl. Bundesverband Deutsche Startups e. V. et al. (2022)

Abb. 1 Vergleich Soziale Herkunft. (Eigene Darstellung. Zahlen nach Statistisches Bundesamt
2021a, Statistisches Bundesamt 2021b.)

wissenschaften (38,0 %) sind bezogen auf die Hochschulabschlüsse die relevantesten


Studiengänge. Im Vergleich zu allgemeinen Erwerbsbevölkerung ist der Anteil der
Akademiker*innen besonders hoch, hier beträgt der Anteil der Personen mit einem
akademischen Abschluss im Jahr 2021 20,3 % (Vgl. Statistisches Bundesamt 2021a).
Die Anzahl der Akademiker*innen (Abschluss höher als Fachhochschulabschluss oder
qualifizierte Berufsausausbildung mit entsprechender Tätigkeit) beträgt im öffentlichen
Dienst ca. 51,6 %. Dieser Wert leitet sich auf Basis der Entgeltgruppen bzw. Besoldungs-
gruppen ab (ab E9b für Fachhochschulstudium oder Bachelor bzw. E13 bis E15 für ein
wissenschaftliches Hochschulstudium oder Master – bzw. analog zu denjenigen der
Besoldungsgruppen der Beamt*innen)2 (Vgl. Statistisches Bundesamt 2021b).

3.2 Alter – Gründer*innen sind jünger als der Durchschnitt der


Erwerbsbevölkerung

Im Durchschnitt liegt das Alter der Erwerbsbevölkerung bei 43,3 Jahren – selb-
ständige Personen sind im Schnitt 50,9 Jahre alt (Vgl. Statistisches Bundesamt 2021a).
Das Durchschnittsalter in der öffentlichen Verwaltung (Beamt*innen und Angestellte
Personen) liegt bei 43,9 (die Bundesverwaltung liegt im Altersschnitt von 41,4 unter dem
übergreifenden Schnitt) (Vgl. Statistisches Bundesamt 2021b). Start-up Gründer*innen

2 Die Ableitung vom Dienstgrad der Mitarbeitenden aus der öffentlichen Verwaltung auf die Aus-
bildung wurde auf Basis der Eingruppierung des Bundes getroffen (Bildungsabschlüsse im TVöD
Bund – https://t.ly/Zkrl). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Eingruppierungen im Regel-
fall auf Basis der beruflichen Ausbildung (zum Beispiel Bachelor-Abschluss) getroffen werden.
Darüber hinaus können aber auch abschlussäquivalente Leistungen (zum Beispiel besondere beruf-
liche Erfahrungen oder ein Aufstieg über Qualifikation/Weiterbildung) für die Eingruppierung ent-
scheidend sein.
392 J. Janze

Durchschnittsalter Durchschnittsalter Durchschnittsalter


(Beamt*innen & Angestellte)

Alter 43,3 43,9 36,4


2021 2021 2022

Erwerbsbevölkerung Öffentliche Hand Start-ups


in Deutschland in Deutschland in Deutschland

* Erwerbsbevölkerung: Vgl. Statistisches Bundesamt 2021a | Öffentliche Hand: Vgl. Statistisches Bundesamt 2021b | Start-ups: Vgl. Bundesverband Deutsche
Startups e. V. et al. (2022)

Abb. 2 Vergleich Alter. (Eigene Darstellung. Zahlen nach Statistisches Bundesamt 2021a,
Statistisches Bundesamt 2021b.)

sind mit einem durchschnittlichen Alter von 36,4 Jahren in allen Vergleichsfällen deut-
lich jünger (vgl. Abb. 2).

3.3 Ethnische Herkunft und Nationalität – Kaum Unterschiede im


Vergleich zur allgemeinen Erwerbsbevölkerung

Gründer*innen von Start-ups haben in Deutschland – laut Bundesverband Deutsche


Startups e. V. et al. – im Jahr 2022 zu 84,1 % eine ausschließlich deutsche Staats-
angehörigkeit. 4,2 % haben neben der deutschen eine weitere ausländischen Staats-
bürgerschaft und 11,7 % eine oder zwei ausländische Staatsangehörigkeiten. Die Zahl
der Start-up Gründer*innen mit Migrationshintergrund liegt nur leicht hinter ihrem
Anteil in der allgemeinen Erwerbsbevölkerung: 21,1 % zu 25,9 %. Fokussiert man auf
die Selbstständigen, hatten 2021 23,1 % einen Migrationshintergrund. Im Vergleich dazu
arbeiteten 12,8 % Personen mit Migrationshintergrund in der öffentlichen Verwaltung
(Vgl. Statistisches Bundesamt 2021c).
Betrachtet man zusätzlich die Mitarbeitenden in den Start-ups, ist festzustellen, dass
mehr als ein Viertel (27,5 %) der Mitarbeitenden aus dem Ausland (13 % aus Europa,
6,9 % aus Asien und 2,3 % aus Nordamerika) stammt (Bundesverband Deutsche Startups
e. V. et al.) (vgl. Abb. 3).

Migrations- Migrations- Migrations-


hintergrund hintergrund hintergrund

Ethnische
Herkunft und
25,9% 12,8% 21,1%
Nationalität 2021 2020 2022

Erwerbsbevölkerung Öffentliche Hand Start-ups


in Deutschland in Deutschland in Deutschland

* Erwerbsbevölkerung: Vgl. Statistisches Bundesamt 2021c | Öffentliche Hand: Vgl. Statistisches Bundesamt 2021c | Start -ups: Vgl. Bundesverband Deutsche
Startups e. V. et al. (2022)

Abb. 3 Vergleich Ethnische Herkunft und Nationalität. (Eigene Darstellung. Zahlen nach Bundes-
verband Deutsche Startups e. V. et al., Statistisches Bundesamt 2021c.)
Potenzial im Unterschied – Wie sich Verwaltung und Start-ups … 393

3.4 Geschlecht und geschlechtliche Identität – Der Anteil der


Gründerinnen steigt

Gründerinnen von Start-ups sind in Deutschland stark unterrepräsentiert: Der


Gründerinnenanteil ist 2022 zwar im Vergleich zu den Vorjahren gestiegen (Vgl.
Bundesverband Deutsche Startups e. V. et al. 2022), jedoch liegt der Anteil bei nur
20,3 % (2021: 17,7 %, 2013: 12,8 %). Auch Gründungsteams sind in der Regel männ-
lich besetzt: fast zwei Drittel (62,2 %) der Start-ups werden von reinen Männer-Teams
gegründet. Legt man allerdings die Diversitätsdimensionen Alter und Geschlecht bzw.
geschlechtliche Identität übereinander, stellt man fest, dass der Anteil der Frauen, die
unter 30 Jahren gründen, leicht höher ist als bei Männern (27,6 % zu 24,1 %) (Vgl.
Bundesverband Deutsche Startups e. V. et al. 2022). Der Frauenanteil das Beschäftigen
von Start-ups liegt mit 36,6 % (Vgl. Bundesverband Deutsche Startups e. V. et al. 2022)
weit hinter dem Wert der allgemeinen Erwerbsbevölkerung (46,8 %) (Vgl. Statistisches
Bundesamt 2021a) und dem Frauenanteil in der öffentlichen Verwaltung (55,8 %) (Vgl.
Statistisches Bundesamt 2021b). Alle Untersuchungen beziehen sich nur auf Männer und
Frauen (vgl. Abb. 4).

Frauen- Frauen- Frauen-


anteil anteil anteil

Geschlecht und
geschlechtliche
46,8% 55,8% 36,6%
Identität 2021 2021 2022

Erwerbsbevölkerung Öffentliche Hand Start-ups


in Deutschland in Deutschland in Deutschland

* Erwerbsbevölkerung: Vgl. Statistisches Bundesamt 2021a | Öffentliche Hand: Vgl. Statistisches Bundesamt 2021b | Start-ups: Vgl. Bundesverband Deutsche
Startups e. V. et al. (2022)

Abb. 4 Vergleich Geschlecht und geschlechtliche Identität in den Teams bzw. der Belegschaft.
(Eigene Darstellung. Zahlen nach Bundesverband Deutsche Startups e. V. et al. 2022, Statistisches
Bundesamt 2021a, Statistisches Bundesamt 2021b.)
394 J. Janze

3.5 Anders und dennoch gleich: Diversity in Start-ups und der


Verwaltung

Start-ups und die Verwaltung sind sehr verschieden – aber dennoch auf ihre eigene Art in
sich geschlossen und teilweise wenig divers.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der durchschnittliche Start-up Gründer männ-
lich ist, 1985 geboren wurde, eine deutsche Staatsangehörigkeit und einen Studien-
abschluss im Bereich MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und
Technik) hat. Sein Start-up hat den Sitz in Nordrhein-Westfalen.
Die Verwaltung ist dagegen diverser aufgestellt: die durchschnittliche Verwaltungs-
mitarbeiterin ist weiblich, hat keinen Migrationshintergrund, wurde 1979 geboren und
ein Studium abgeschlossen. Sie arbeitet in der Landes- oder Kommunalverwaltung (vgl.
Abb. 5).

Diversity im Vergleich
Start-ups
Männlich – deutsche Staatsangehörigkeit – 1986 geboren – MINT-Studiengang abgeschlossen – Start-up Gründung in Nordrhein-Westfalen

87,2% 36,4 Jahre 78,9% 79,7%

Hochschul- Durchschnitts- ohne Migrations- männlichen Sexuelle Religion und Körperliche und
abschluss alter hintergrund Geschlecht Orientierung Weltanschauung geistige
zugeordnet Fähigkeiten

51,6% 43,9 Jahre 87,2% 44,2%

Verwaltung
Weiblich – deutsche Staatsangehörigkeit – 1979 geboren – eher Studium abgeschlossen – Arbeitet für ein Bundesministerium

Auswertungen und Daten vorhanden Keine Daten vorhanden

Abb. 5 Zusammenfassung „Diversity in Start-ups“. (Eigene Darstellung)


Potenzial im Unterschied – Wie sich Verwaltung und Start-ups … 395

3.6 Arbeitsweise in Start-ups

Neben den Zahlen, welche Diversität messbar machen, ist die tägliche Arbeitsweise ein
Unterscheidungsmerkmal zwischen Verwaltung und Start-ups.

1. Diversität als Merkmal der Unternehmenskultur: Einige Start-ups haben sich bewusst
dafür entschieden, diverse Teams aufzubauen und eine inklusive Unternehmens-
kultur zu fördern. In der Regel profitieren die Unternehmen von dieser Strategie. Eva
Balmaks, CEO und Gründerin von „winkt“ sagt: „Start-ups, die langfristig und groß
denken, brauchen diverse Teams. Das liegt am Arbeits- und Absatzmarkt, denn in
beiden Bereichen spielen bisher vernachlässigte Gruppen eine immer größere Rolle.
Frauen, Senior*innen, Migrant*innen und viele weitere Gruppen gewinnen also an
Bedeutung – das führt auch zu mehr Offenheit und einer Normalisierung von Diversi-
tät.“ (Vgl. Bundesverband Deutsche Startups e. V. et al. 2022)
2. Fokus auf das Kerngeschäft: Im Durchschnitt arbeiten 18,4 Personen (Vgl. Bundes-
verband Deutsche Startups e. V. et al. 2022) in einem Start-up. Durch die begrenzte
Anzahl von Mitarbeitenden müssen die Prioritäten sorgfältig gesetzt werden:
Start-ups müssen sich auf die wichtigsten Aufgaben und Ziele konzentrieren und
Ablenkungen vermeiden. Auch wenn Start-ups oft finanziert sind und damit leichter
an Personal kommen, werden Aufgaben stärker verteilt – Jede*r muss alles machen
können. Gleichzeitig ist die Teamarbeit ein entscheidendes Kriterium für die
Fokussierung auf das Kerngeschäft: Es ist wichtig, gut zusammenzuarbeiten und sich
gegenseitig zu unterstützen, um das Unternehmen voranzubringen.
3. Bereitschaft zur Innovation und Agilität: Start-ups sind innovativer und häufiger
bereit, Risiken einzugehen, um neue Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Das gilt
nicht nur für das initiale Geschäftsmodell, sondern auch für die Bereitschaft, schnell
auf neue Gegebenheiten einzugehen. Start-ups müssen schnell auf Veränderungen
reagieren und sich an neue Situationen anpassen: Es ist wichtig, offen für neue Ideen
und Herangehensweisen zu sein und sich nicht von Rückschlägen entmutigen zu
lassen. Im öffentlichen Sektor gibt es hingegen häufig Strukturen, formelle Prozesse
und Hierarchien, die die Arbeitsweise bestimmen und so Innovationen behindern.
4. Auswahl von Personal und Zusammenarbeit: Mitarbeitende in einem Start-up müssen
gut in das Team und die Kultur des Unternehmens passen. Sie sind gefordert, neue
Ideen einzubringen und sich gegenseitig zu unterstützen. In der Regel setzen Start-
ups auf eine offene und kooperative Arbeitsatmosphäre – deshalb ist es wichtig, dass
die Kandidat*innen für einen Job gut zum Team passen und bereit sind, sich aktiv
einzubringen. Auch wenn die Auswahl von neuen Teammitgliedern nach keiner fest-
gelegten Methode abläuft, ist die Auswahl von Transparenz und Schnelligkeit geprägt.
5. Ziel- und gleichzeitige Kund*innenorientierung: Start-ups haben in der Regel
klare Ziele und Visionen, die sie erreichen wollen. Es geht dabei vor allem um eine
Herausforderung, zu der eine Lösung gesucht wird. Die Lösung soll dabei möglichst
396 J. Janze

menschenzentriert aufgesetzt sein. Im Global Startup Ecosystem Report 2022 sagen


Mari Sako und Matthias Qian „Access to diverse knowledge is important at the very
early stages of ideation and exploration.“ (Der Zugang zu vielfältigem Wissen ist vor
allem in den sehr frühen Phasen der Ideenfindung und Erkundung wichtig.) Start-ups
haben in der Regel eine klar definierte Zielgruppe und sind daher stärker auf deren
Bedürfnisse fokussiert. Schnelles Erarbeiten einer Lösung, Dinge verwerfen und neu
erfinden: Das steht im Fokus.

Die verschiedenen Herangehensweisen im Alltag, der Umgang mit Prozessen und


Strukturen, aber auch die Arbeitskultur unterscheidet sich von der üblichen Arbeit der
Verwaltung: Prozesse bremsen die Verwaltung durch lange Entscheidungsfindung aus.
Stellenbesetzung dauern aufgrund von Standards und maximal ordnungsgemäß erfüllter
Prozesse zwei Monate bis 1,5 Jahre. Und gleichzeitig liegt der Fokus der öffentlichen
Verwaltung auf der Erfüllung öffentlicher Aufgaben und Dienstleistungen. Hierfür sind
Strukturen, Zuverlässigkeit und Neutralität wichtig. Zudem steht die Verwaltung vor
einer der größten Herausforderung: Der Kund*innenkreis umfasst alle Menschen in
Deutschland. Beide Seiten können voneinander lernen und die Kombination der Arbeits-
weisen kann dazu beitragen, zu mehr Diversity zu kommen.

4 Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit Start-ups

Eigentlich hört es sich einfach an: Start-up und die Verwaltung können sich optimal
ergänzen. Beide können Stärken einbringen, um gemeinsam die Digitale Trans-
formation voranzutreiben. Automatisierung, welche durch GovTech Start-ups voran-
getrieben wird, kann dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Lösungen bzw. Produkte
in einem nicht 100 %-igen Stand zu veröffentlichen, ermöglicht schnelles Feedback
und Menschenzentrierung. Die Verwaltung bringt große Erfahrung mit, mit unter-
schiedlichsten Kund*innenkreisen umgehen zu müssen. Ihre Prozessstabilität macht sie
langsam, garantiert aber Verlässlichkeit in einer langfristigen Zusammenarbeit. Doch
warum funktioniert eine schnelle und direkte Zusammenarbeit (noch) nicht? Schließlich
hat die Untersuchung des Bundesverband Deutsche Startups e. V. et al. aus dem Jahr
2022 gezeigt, dass Start-ups nur 4,4 % ihre Gesamtumsätze mit der öffentlichen Hand
erzielen.
GovTech Start-ups sehen sich in der Zusammenarbeit mit der Verwaltung mit einer
für sie wesentlichen Herausforderung konfrontiert: Beschaffung und Vergabe. Laut der
Befragung des Bundesverband Deutsche Startups e. V. et al. aus dem Jahr 2022 sagen
76,1 % der Start-ups, dass die Vereinfachung der öffentlichen Vergabe eine zentrale
Maßnahme zur Stärkung der Zusammenarbeit sei. Gleichzeitig zeigt die Studie, dass
sich nur 21,4 % der befragten Start-ups überhaupt um öffentliche Aufträge beworben
haben. Als Grund nennen Start-ups zu kompliziert gestaltete Ausschreibungen und die
Langwierigkeit der Verfahren. Für das „Nicht Bezuschlagen“ wird der „noch nicht reife“
Potenzial im Unterschied – Wie sich Verwaltung und Start-ups … 397

Entwicklungsstand der Produkte genannt. Schlussendlich heißt das, dass der Wesenskern
von Start-ups, innovative Ideen und Produkte anzubieten und damit neue Impulse zu
setzen, genau auf Grund dieser Neuheit abgelehnt wird. Werden fortlaufend die gleichen
Maßstäbe angesetzt, werden auch weiter die gleichen Unternehmen in den Vergaben
bezuschlagt.
Die Gründe für die bisher wenig etablierte Zusammenarbeit lassen sich auf drei
Felder zusammenfassen: Undurchsichtigkeit, Kulturelles Unverständnis und wechsel-
seitig wahrgenommene Risiken.

Gegenseitige Undurchsichtigkeit: Für Start-ups ist nicht klar, was genau in den Aus-
schreibungsunterlagen gefordert und wie die Vergabeprozesse strukturiert sind.
Viele Dokumente müssen immer wieder ausgefüllt werden. Zudem behindern lange
Beschaffungszyklen die Wachstumspotenziale von Start-ups. Gleichzeitig sagt die
Verwaltung, dass Start-ups sehr gut im Marketing sind – dadurch ist unklar, was sie
wirklich können und was von dem Produkt bereits existiert oder bereits eingesetzt
wird.
Kulturelles Unverständnis: Ausschreibungen, die einen höheren organisatorischen
Aufwand verursachen, als inhaltliche Fragestellung zu forcieren, schrecken viele
Start-ups ab. Oft werden in verschiedenen Ausschreibungen von der gleichen Behörde
gleiche Unterlagen gefordert. Sätze wie „In der Verwaltung wird aber immer so aus-
geschrieben.“ sind für die Unternehmen schwer hinnehmbar, arbeiten sie selbst doch
anders und passen sich auf die Bedürfnisse der Kund*innen und Partner*innen an.
Auch auf der anderen Seite – der Verwaltung – verhindert der „cultural gap“ die
Zusammenarbeit: Mangelndes Fachwissen über den Tech-Markt macht es der Ver-
waltung schwer, den Überblick zu bewahren.
Wechselseitig wahrgenommene Risiken: Start-ups müssen schnell handeln: Wenn
sich der Prozess länger zieht oder sie „fallen gelassen werden“ ist das riskant für ihre
Existenz. Die Vertriebskosten sind vergleichsweise hoch. Das häufigste Argument aus
Sicht der Verwaltung ist, dass die Beauftragung von Start-ups, deren Bestehen von
weiteren Kapitalgeber-Runden abhängig ist, ein zu hohes Risiko bzgl. der Kontinuität
in der Leistungserbringung darstellt.

5 Forderungen zur Entfaltung des Potenzial der


Zusammenarbeit

Es gibt viele Unterschiede zwischen Start-ups und Verwaltung. Risiken werden von
beiden Seiten gesehen. Und schlussendlich könnten beide Seiten fragen: Warum
sollten wir eigentlich zusammenarbeiten? Start-ups machen bisher kaum Umsatz mit
Aufträgen aus der Verwaltung. Die Verwaltung setzt auf Sicherheit. Und gleichzeitig
stehen wir vor einem großen Fachkräftemangel. „Über eine Millionen Fachkräfte
könnten dem öffentlichen Sektor im Jahr 2030 fehlen.“, sagt die Fachkräftestudie von
398 J. Janze

PricewaterhouseCoopers (2022). Schlussendlich geht es um nicht weniger als „die


Frage, ob der öffentliche Sektor seine Kernaufgaben in Zukunft noch erfüllen kann“
(Volker Halsch in PricewaterhouseCoopers 2022). Die Gesellschaft wird zudem immer
inklusiver und diversifizierter, Fragestellungen werden immer komplexer. Die Nutzung
und der Einsatz von Produkten von Start-ups und auch die Zusammenarbeit mit ihnen
unterstützt die Verwaltung, zu digitalisieren. Schlussendlich können die verschiedenen
Akteur*innen durch die jeweils andere Arbeitsweise voneinander lernen, um Unsicher-
heit, Komplexität und Risiken zu entgegnen.
Die Transformation der Verwaltung für die Zukunft liegt in der Kollaboration – ver-
schiedene Akteure kommen zusammen. In der Literatur (z. B. Dener et al. 2021, Seite
3) wird die „Analoge Verwaltung“ als Startpunkt beschrieben. Sie ist in sich geschlossen
und handelt nach innen orientiert. Die Weiterentwicklung ist „e-Government“, ein
menschzentrierter Ansatz der Verwaltung, welche vorallem durch IT-Anwendungen
in der täglichen Arbeit unterstützt wird. Der Plattformgedanke und das proaktive Mit-
einander sind Elemente der „Digitalen Verwaltung“. In dieser Phase werden bereits erste
externe Impulse integriert.
Langfristig – und um auch das Potenzial von Diversity in der Zusammenarbeit
zwischen Start-ups und Verwaltung auszuschönen – muss Kollaboration viel stärker in
den Mittelpunkt rücken. Die Verwaltung entwickelt sich weiter zur „Kollaborativen
Verwaltung“, die ganzheitlich auf die Digitale Transformation fokussiert. Gemeinsame
Ziele, die gemeinsame Nutzung von Ressourcen und der Ausbau von Methoden über die
organisatorischen Verwaltungsgrenzen hinweg sind im Fokus (vgl. Abb. 6).
Um sich zur Kollaborativen Verwaltung zu entwickeln, sind kulturelle Anpassungen
an der Arbeitsweise in der Verwaltung notwendig. Neue Strukturen müssen geschaffen,
Prozesse angepasst und Strategien langfristig entwickelt und fortlaufend iteriert werden.
Die Verwaltung kann Partnerschaften und Kooperationen mit Start-ups nutzen, um selbst

Digitale Transformation
Kollaborative
der öffentlichen Verwaltung Verwaltung
(Ausblick)
GovTech

Digitale Ganzheitlicher Ansatz für die


fortlaufende digitale
Verwaltung Transformation
Menschzentrierung für alle
Verfahren, die von vornherein Dienste
e-Government digital sind Serviceorientierung
Menschzentrierte, Einfache, effiziente und
Menschzentrierter Ansatz, Bürger*innenorientierte transparente
aber angebotsorientiert öffentliche Dienste Verwaltungssysteme
Analoge Einseitige Kommunikation
und Dienstleistungserbringung
Universell zugängliche
Dienste
Ausgründungen aus der
Verwaltung
Verwaltung IT-gestützte Verfahren, die Verwaltung als Plattform Förderprogramme
jedoch oft analog konzipiert (GaaP) Mentoring
Geschlossener Betrieb und sind Standardmäßig offen Partnerschaften
interne Ausrichtung Geteilte IT-Entwicklung und - Datengesteuerter öffentlicher Investition & Venture Capital
Analoge Verfahren Beschaffung Sektor aus der Verwaltung
Regierung als Anbieterin Regierung als Anbieter Proaktive Verwaltung Proaktive Verwaltung

Abb. 6 Digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung. (Quelle: Eigene Darstellung, Weit-
entwicklung in Anlehnung an Dener et al. 2021, S. 3)
Potenzial im Unterschied – Wie sich Verwaltung und Start-ups … 399

Diversity zu fördern und sicherzustellen. Um das Potenzial, welches im Unterschied liegt


und durch die Kollaboration von Start-ups und Verwaltung begünstigt wird, zu entfalten,
müssen die folgenden Forderungen umgesetzt werden.

5.1 Arbeitskultur

Die Arbeitskultur bezieht sich auf die Werte, Normen und Verhaltensweisen, die in
einer Organisation herrschen. Durch sie wird die Art und Weise zusammengefasst, wie
Menschen miteinander arbeiten und sich engagieren oder auch, wie die Führungskultur
aufgebaut ist. Elemente der Kultur sind Diversität, agile Arbeitsweisen, die Innovations-
kultur oder auch das gegenseitige Feedback.

Forderung 1: Ausgründungen aus der Verwaltung


Ausgründungen aus der Verwaltung sind in einer gewissen Art „Start-ups“.
Organisationen werden Freiheitsgrade zugesprochen. So sprechen sie andere Menschen
an, als sie typischerweise in der Verwaltung arbeiten. Das trägt zur Diversität bei – denn
sie öffnen sich für Neues.
Gleichzeitig sorgen diese neu gegründeten Unternehmen dafür, dass Mit-
arbeiter*innen aus den verschiedenen Bereichen voneinander lernen können, da die
Berührungsängste kleiner sind. Kleine Unternehmen treffen schnelle Entscheidungen,
sind kund*innenorientierter und haben weniger Prozesse. Langfristig überträgt sich die
Art der Zusammenarbeit aus dem gegründeten Unternehmen in die Kernverwaltung und
lässt die „Kulturunterschiede“ kleiner werden.
Beispiel: ShiftDigital Government Solutions GmbH (eine Ausgründung der Stadt
Bochum) oder die digital@M (die Digitalisierungstochter der Landeshauptstadt
München) sorgen als Ausgründungen dafür, dass Lösungen „selbst umgesetzt“ werden
können. In den Einheiten arbeiten Service Designer*innen, erfahrene Berater*innen
oder Agilist*innen – nah an der Verwaltung und dennoch in einer eigenen Einheit.3

Forderung 2: Mentoring zum Voneinander lernen


Mentoring und Reverse Mentoring können sowohl der Verwaltung als auch Start-ups
helfen, die Herausforderungen zu bewältigen, gegenseitig voneinander zu lernen und
das Wachstum der Unternehmen zu unterstützen. Mentoringprogramme können auf
verschiedene Arten ausgestaltet sein: von individuellen Mentoring-Unterstützung von
Expert*innen bis hin zu Reverse Mentoring (junge Gründer*innen unterstützen Mit-

3 Informationen zum Unternehmen „Shift Digital Government Solutions GmbH“ gibt es unter
https://shift-studio.de/shift-digital. Informationen zum Unternehmen „Digital@M“ gibt es unter
https://digital-at-m.de/.
400 J. Janze

arbeitende aus der Verwaltung mit z. B. Gründungserfahrungen). Durch das Teilen der
Perspektiven wird die gemeinsame Diversität gefördert.

Forderung 3: Neue Arbeitsräume, die Zusammenarbeit ermöglichen


Die Nutzung und Schaffung von neuen – gemeinsamen – Arbeitsräumen ermöglicht es,
Arbeit zusammen zu erledigen. Man trifft sich an der Kaffeemaschine, tauscht sich aus.
Ideen entstehen. Co-Working in gemeinsamen Arbeitsräumen schafft Platz für Inter-
aktionen, welche z. B. in den frühen Entwicklungsphasen eines Services helfen, direktes
Feedback zu erhalten. Digitallabs oder die Schaffung eines gemeinsamen Campus sind
Möglichkeiten.
Um die Forderung wirksam zu machen, müssen alle Mitarbeitenden aus der Ver-
waltung, aber auch aus Unternehmen, uneingeschränkten – nicht nur projektbezogenen
– Zugriff auf die Räumlichkeiten haben. Nur so ist eine wirkliche Interaktion möglich.
Perspektivisch ist auch die Einbindung und Öffnung der Zivilgesellschaft sinnvoll.

5.2 Strukturen

Ein Unternehmen oder auch die Verwaltung kann auf verschiedene Weisen strukturiert
sein: funktional (entsprechend der Fachgebiete oder verschiedenen Fragestellungen), in
einer Matrix (mit parallel verlaufenden Hierarchieebenen), in Projekten oder als Netz-
werk. Die Arbeitsweisen der einzelnen Mitarbeitenden haben Einfluss auf die Strukturen.
Gleichzeitig hat jede Struktur einer Organisation Auswirkung auf Diversity.

Forderung 4: Die Herausforderung steht im Mittelpunkt, nicht die Lösung


Die Forderung umfasst die Öffnung für neue Ideen, da die Verwaltung „nur“ eine
Fragestellung veröffentlicht (und nicht die Lösung einschränkt). Lösungsideen werden
menschenzentriert in kurzen Iterationen erarbeitet.
Kooperation und Wettbewerb können sich gleichzeitig begünstigen und zu einer
wirtschaftlichen Lösung führen: Warum also nicht mehrere Start-ups für die Entwicklung
einer neuen digitalen Plattform beauftragen (und bezahlen), schnell starten und nach
einer definierten Zeit der besten Lösung den Zuschlag für die Weiterentwicklung geben?

Forderung 5: Wissensmanagement, über Verwaltungsgrenzen hinweg


Kein doppeltes Entwickeln von Lösungen! Ein stärkerer Rückgriff auf Open Source
begünstigt das übergreifende Wissensmanagement über Länder- oder kommunale
Grenzen hinweg. Das ist nur ein Schritt. Die Forderung umfasst den Aufbau von Netz-
werken (z. B. Community of Practices) über Organisationsgrenzen hinweg: Unter-
nehmen und die Verwaltung. Menschen, die in ähnlichen Bereichen unterwegs sind,
können das Netzwerk für den Erfahrungsaustausch nutzen.
Beispiel: Es gibt bereits viele informelle Netzwerke, in denen sich die Mitarbeitenden
aus der Verwaltung organisieren. In der Regel sind diese nach außen geschlossen.
Potenzial im Unterschied – Wie sich Verwaltung und Start-ups … 401

Einzelne Organisationen, wie OTT (Orga Think Tank) öffnen sich, um Impulse nach
außen zu geben (z. B. über Podcasts).4

5.3 Prozesse

Wie bereits beschrieben, sind die Beschaffungsprozesse eine große Herausforderung für
die Zusammenarbeit und für die Nutzung des Potenzials von Start-ups und Verwaltung.
Die Forderungen beziehen sich auf diesen Prozess.

Forderung 6: Keine neuen Prozesse – weder in der Vergabe noch in anderen


Bereichen
Es braucht keine neuen Prozesse! Die bestehenden Vergabeprozesse müssen ausgereizt
werden und werden dann direkt Erfolg zeigen: Innovationspartnerschaften, Techno-
logiepartnerschaften, dynamische Beschaffungssysteme oder Public Procurement
of Innovation (PPI). Durch die Bildung von Einkaufsgemeinschaften (über die ver-
schiedenen Ebenen der Verwaltung hinweg) werden Partnerschaften als „Zentrale
Beschaffung“ etabliert: eine gemeinsame Einkaufsstelle, die für alle Vergaben ver-
antwortlich ist und welche alle Einkäufe koordiniert. Damit können Kosten gespart, Syn-
ergieeffekte genutzt und höhere Qualitätsstandards festgelegt werden.

Forderung 7: Fehler sind gut, wenn man davon lernt


Steht nicht direkt zu Beginn einer Ausschreibung eine Lösung im Fokus, geht es um
die Herausforderung. Diese Herangehensweise ist bei Start-ups etabliert: schnelle Tests
mit den Nutzenden, ständiges Hinterfragen und das Verwerfen der Idee, wenn sie nicht
angenommen wird. So kann man sich nach wenigen Iterationen auf eine Lösung einigen
und diese weiterentwickeln: Prozesse und etablierte Pfade werden verlassen, um viel
schneller zur Umsetzung ohne Hürden zu kommen.

5.4 Strategie

Strategien sind Pläne oder Methode – sie helfen einer Organisation die Ausgangslage
zu beschreiben, ein Ziel zu definieren und die Schritte zu beschreiben, um dahin zu
kommen. Schlussendlich geht es um eine gemeinsame Sichtweise: über die Verwaltungs-
grenzen hinweg. Eine Fokussierung auf Innovation und Unternehmertum fördert neue
Ideen und Technologien. Gleichzeitig darf es nicht bei der Strategie bleiben. Ohne die
Umsetzung ist eine Strategie nichts wert.

4 Siehehierzu z. B. den „pOTTcast“ des OTT-Netzwerkes der Hamburger Verwaltung: https://fyyd.


de/episode/9882860.
402 J. Janze

Forderung 8: Projektbezogene Förderprogramme für mehr Diversität bei Start-ups


Förderprogramme für Start-ups können deren Wachstum und Entwicklung unterstützen.
Dies kann in Form von finanzieller Unterstützung oder Zugang zu Netzwerken und
Ressourcen geschehen. Durch eine projektbezogene Begleitung kann für Gründer*innen
aus unterrepräsentierten Gruppen das Risiko miniert werden: neue Impulse werden in
die Projekte getragen, Innovationen und neue Lösungen für gesellschaftliche Heraus-
forderungen entwickelt.

Forderung 9: Partnerschaften ausbauen


Durch Partnerschaften erhält die Verwaltung Zugang zu neuen Technologien und
Lösungen, um ihre Arbeit effektiver und effizienter zu gestalten. Inkubatoren oder
Acceleratoren, die Start-ups direkt unterstützen, finanzieren oder Fördermittel bereit-
stellen, ermöglichen auch die Partnerschaft mit Risikokapitalgeber*innen (Venture
Capital, VC-Firmen): Start-ups erhalten schnellen Zugang, jedoch ohne, dass die Ver-
waltung direkt investiert. Es muss sichergestellt werden, dass VC-Finanzierung fair und
transparent vergeben wird.

Forderung 10: Wirtschaftlicher agieren


Die Digitale Transformation der Verwaltung ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland
elementar. Sie kann nur gelingen, wenn Technologien und Trends genutzt werden. Dazu
gehört auch, Standards, die am Markt etabliert sind, einzuführen. Wir können das Rad
nicht mehrfach neu erfinden und versuchen die Entwicklungen von Jahrzehnten aufzu-
holen. Es ist unwirtschaftlich, Lösungen nachzubauen. Zudem müssen wir schnell in die
Umsetzung, um Feedback zu erhalten. Die Stärke liegt in der Zusammenarbeit: Start-
ups, Unternehmen, Konzerne, Beratungen, die Zivilgesellschaft, die Verwaltung und
noch viele mehr.

6 Fazit

In Deutschland gibt es bereits erste Ansätze, die Verwaltung mit externen Sichten zu
bereichern: Bürger*innenbeteilungen oder Wettbewerbe, die für alle Unternehmen offen
sind. Diese ermöglichen die Potenziale aus beiden Welten – Verwaltung und Start-ups –
zu nutzen.
Auch in anderen Ländern entwickelt sich die Verwaltung weiter zu mehr Inklusion.
In Schweden wird das Konzept der „Gemeindeentwicklung“ umgesetzt, bei dem
Gemeinden und andere Akteur*innen zusammenarbeiten, um lokale Probleme zu lösen
und die Lebensqualität in der Gemeinde zu verbessern. „Malmö Innovation“ (Vgl.
Unops Global Innovation Challenge 2022 for Startups 2022) ist ein Programm der
Stadt Malmö, welches Start-ups und andere Akteure zusammenbringt, um gemeinsame
Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen zu entwickeln. In den USA gibt
Potenzial im Unterschied – Wie sich Verwaltung und Start-ups … 403

es z. B. das Konzept der „Gemeinde-Polizei-Partnerschaft“. Polizei und Gemeinden


arbeiten zusammen, um für mehr Sicherheit zu sorgen.
Aus diesem Grund ist die Zusammenarbeit von Start-ups und der Verwaltung, die
jeweiligen Perspektiven, aber auch der Technologieeinsatz, eine langfristig zielführend
Ausrichtung, sich gegenseitig zu befruchten und damit Diversity mit Leben zu füllen.
Eine kollaborative Verwaltung legt den Fokus auf Zusammenarbeit und Partnerschaft,
richtet sich nach den verschiedenen Interessen und Perspektiven von verschiedenen
Akteur*innen und setzt auf Dialog. Dadurch können alle Seiten voneinander lernen,
ihre Erfahrungen teilen und gemeinsam Diversity praktisch erlebbar machen. Dieser
Perspektivwechsel sorgt dafür, dass Diversity in der Arbeitsweise ausgebaut wird und
letztlich sowohl Start-ups als auch Verwaltung diverser aufgestellt sein werden. Gegen-
seitiges Vertrauen und Respekt von allen Beteiligten in der Zusammenarbeit ist die Basis
von Innovationen. Diese werden wir zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts in Deutsch-
land und zur Zukunftsfähigkeit seiner Verwaltung zwingend brauchen.

Literatur

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to-Malmo/Business-in-Malmo/UNOPS-Global-Innovation-Challenge.html. Zugegriffen: 15.
Dezember 2022

Jana Janze, GovMarket GmbH.


Jana Janze ist Geschäftsführerin der GovMarket GmbH. GovMarket hat das Ziel das
Innovationsökosystem zu bereichern, indem Start-ups und die öffentliche Hand zusammen-
gebracht und die Beschaffungsprozesse vereinfacht werden. In den letzten 15 Jahre hat Jana an
verschiedenen Innovations- und Digitalisierungsprojekten im öffentlichen Sektor mitgewirkt
und Kund*innen bei Projekten rund um die Digitale Transformation, die Unternehmens- und
Organisationsentwicklung sowie bei der Durchführung von Innovationsvorhaben begleitet.
Wenn Künstliche Intelligenz und
Diversity aufeinandertreffen:
Handlungsoptionen für Kommunen

Anika Krellmann und Marc Groß

Zusammenfassung

Künstliche Intelligenz (KI) gilt als eine der Zukunftstechnologien für Kommunen.
Gleichzeitig leben wir in einer von Vielfalt geprägten Welt: Vielfalt beispielsweise mit
Blick auf die geschlechtliche Identität, die Herkunft oder die Religion und Weltan-
schauung. Der Beitrag beschreibt, welche Potenziale Kommunen im Einsatz von KI
sehen und geht sodann darauf ein, wie KI und Diversity im Sinne einer modernen
Demokratie zusammen gedacht werden müssen. Denn KI kann zum einen dazu
beitragen, Entscheidungen diskriminierungsfreier zu treffen. Sie kann Vorurteile
und Stereotypen aber auch verstärken. Dafür bedarf es frühzeitig eine gesellschaft-
liche Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie KI von der öffentlichen Hand
und Kommunen eingesetzt werden sollte und es braucht Managementinstrumente,
Prozesse und Strukturen, um einen Diversity-orientierten Einsatz von KI zu gewähr-
leisten. Erste Ansätze dafür beschreibt der zweite Teil des Beitrags.

A. Krellmann ( ) · M. Groß
Co:Lab e. V. Berlin, Berlin, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 405
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_31
406 A. Krellmann und M. Groß

Schlüsselwörter

Künstliche Intelligenz · KI · Diversity · Bias · Diskriminierungsfrei · Vielfalt ·


Algorithmische Entscheidungssysteme · AES

1 KI als zentrale Zukunftstechnologie in Kommunen

Wir befinden uns inmitten disruptiv technologischer Veränderungen. Künst-


liche Intelligenz (KI) spielt bei der Transformation und der Zukunftsfähigkeit von
Kommunen, insbesondere unter den Auswirkungen des Fachkräftemangels, eine ent-
scheidende Rolle (vgl. Abel et al. 2020, S. 8–11).
KI ist der Versuch, menschliches Denken und Lernen auf den Computer zu über-
tragen. Technologien wie Machine Learning, Deep Learning oder Natural Language
Processing werden genutzt, um menschliche Fähigkeiten, wie Hören, Sehen, Analysieren
oder Entscheiden zu imitieren oder zu (ver)stärken. Funktionen wie Muster-, Sprach-,
Text-, Bild-, Gesichtserkennung sind Beispiele dafür. Gängig ist, KI in schwache
und starke KI zu unterscheiden. Unter die schwache KI fallen Systeme, die mensch-
liche kognitive Fähigkeiten ersetzen können, um eine definierte Aufgabe zu lösen.
Bilder erkennen oder gesprochene Sprache in Text umwandeln, sind Beispiele dafür.
Mit dieser Form von KI haben wir es im Alltag oft zu tun – auch wenn wir es nicht
bewusst wahrnehmen. Unter die starke KI hingegen fallen Systeme, die menschliche
Fähigkeiten erreichen oder sogar übersteigen. Damit sind also Maschinen gemeint, die
Probleme genereller Art lösen können. Solche Systeme finden selbständig Probleme,
untersuchen diese systematisch und entwickeln dann eine eigene Lösung dafür. Diese
sind zwar Untersuchungsgegenstand der Forschung, aber für praxisrelevante Szenarien
in Kommunen erst in ferner Zukunft von Bedeutung.
Durch selbstlernende Algorithmen ist KI also dazu geeignet, Daten, beispiels-
weise im Rahmen der Entscheidungsfindung, effektiver zu nutzen, Prozesse effizienter
zu gestalten und Services attraktiver anzubieten. Potenzial hat KI dabei in sämtlichen
kommunalen Gestaltungsfeldern wie Bildung, Stadtentwicklung, Mobilität, Pflege oder
Politik & Verwaltung. Dabei geht es nicht um das technisch Mögliche. Es geht vielmehr
um die Haltung und Einstellung der Menschen, um Aufklärung und Überzeugungsarbeit.
Kommunale Entscheider*innen und Bürger*innen müssen befähigt und ermutigt werden,
die Technologien der Gegenwart zu verstehen und für die Gemeinschaft zu nutzen.
„Algorithmen sind keine fremden Mächte“, schreibt Wolfgang Gründinger. Es sind nach
wie vor die Menschen, die mit Hilfe von KI die Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftswelt
gestalten. KI ist kein „anonymer Code“. Menschen verantworten ihre Entwicklung, ihr
Training, ihren Einsatz.
Viele Arten menschlicher Arbeit wird KI übernehmen (können). Kein Wunder, dass
das Thema KI zu den zentralen Trends im Zuge der zunehmenden Digitalisierung
Wenn Künstliche Intelligenz und Diversity aufeinandertreffen: … 407

gehört und auch Kommunalverwaltungen sprichwörtlich „elektrifiziert“. Das zeigt nicht


zuletzt eine gemeinsame Studie von Co:Lab e. V., KGSt und Capgemini aus dem Jahr
2023, in der Kommunen KI als zentralen Trend im Kontext der Digitalisierung und einer
zukunftsfähigen Kommune benennen.

2 KI und Diversity zusammen denken

Der Einsatz von KI ist also einer der zentralen Trends, um Kommunen zukunftsfähig zu
gestalten. Aber welche Rolle spielt vor diesem Hintergrund das Thema Diversity? Und
was haben Kommunen beim Einsatz von KI mit Blick auf Diversity zu berücksichtigen?
Diversity beschreibt zunächst einmal eine „Perspektivenvielfalt“ (KGSt 2022,
S. 3). Sie rückt die Individualität der Menschen in den Mittelpunkt und berücksichtigt
deren individuelle Erfahrungen, aktuelle Lebenssituationen oder Bedürfnisse. Dies
wird in einer globalisierten und zugleich zunehmend individualisierten Welt immer
wichtiger. In hochindustrialisierten Gesellschaften spielt in diesem Kontext die Theorie
des Pluralismus eine große Rolle: Der Pluralismus zielt auf ein freies politisches und
gesellschaftliches Zusammenleben in einer modernen Demokratie ab. D. h. unterschied-
liche Lebenskonzepte, Ideen und Interessen stehen gleichberechtigt nebeneinander.
Etwaige Konflikte werden in einem gesellschaftlich akzeptierten Aushandlungsprozess
ausgetragen bzw. gelöst (vgl. Woyke 2021). Um dies zu erreichen, ist zunächst ein
professioneller Umgang mit Diversity sowie eine dementsprechende Gestaltung des
gesellschaftlichen Zusammenlebens, aber auch der Unternehmen und Organisationen
gefragt. Ansätze und Maßnahmen dafür werden mit einem Diversity Management
umgesetzt (vgl. KGSt 2022, S. 3).
Diversity bedeutet also unter anderem „Vielfalt gestalten“. KI hingegen arbeitet viel-
fach mit Mustern, die sie auf Basis bekannter Daten analysiert und der Wahrscheinlich-
keitsrechnung folgend interpretiert. Dabei ist eine KI immer nur so gut, wie die Daten,
die ihr aus vergangenen Entscheidungen vorliegen. Denn eine KI wird mit einem
sog. Trainingsdatensatz trainiert und die ihr zugrunde liegenden Algorithmen ziehen
Korrelationen auf Basis dieses Datensatzes in Form von Entscheidungsregeln heran.
Wie genau sie mit diesen Datensätzen arbeitet, lässt sich aber durchaus beeinflussen
(vgl. Zweig 2019, S. 202). Die Arbeit mit „Mustern“ trifft also auf ein Konzept, das
Individualität groß schreibt: KI trifft auf Diversity. Oder umgekehrt: Diversity trifft auf
KI.

2.1 KI trifft auf Diversity

So viele Potenziale KI auch hat, sie hat auch ihre Schattenseiten. Sowohl im behörd-
lichen als auch im wirtschaftlichen Kontext gibt es mittlerweile zahlreiche Beispiele, die
gezeigt haben, dass KI diskriminieren kann.
408 A. Krellmann und M. Groß

In Österreich etwa wurde ein algorithmisches System zur Sortierung von Arbeitslosen
von Wissenschaftler*innen scharf kritisiert. Zwar durfte der Arbeitsmarktservice Öster-
reich (AMS) ein System einsetzen, um die Arbeitsmarktchancen von Jobsuchenden zu
bewerten. Expert*innen wiesen aber mehrfach darauf hin, dass Diskriminierungen nicht
ausgeschlossen seien (vgl. Kolleck & Orwat 2020, S. 47–49). So würde der Algorithmus
etwa Frauen offen benachteiligen, da sie aufgrund ihres Geschlechts niedrigere Chancen
prognostiziert bekommen, wieder Arbeit zu finden. Dies wurde vom AMS zwar zurück-
gewiesen, ließ sich aber nicht wissenschaftlich belegen, da der Faktor „Geschlecht“
stets in die Kategorisierung einbezogen würde. Selbst wenn die KI hier am Ende keine
Entscheidungen trifft, so sei laut der Wissenschaftlicher*innen zumindest eine Beein-
flussung der Sachbearbeiter:innen gegeben. Ein Lösungsansatz wird in einer ethischen
Evaluierung aller Systeme der öffentlichen Hand gesehen (vgl. Köver 2019).
Ein anderes Beispiel kommt aus den USA: Dort wurde ein algorithmisches Ent-
scheidungssystem (AES) namens COMPAS eingesetzt. Es wurde bei Risikoab-
schätzungen im Strafvollzug herangezogen. Diese Software beurteile das individuelle
Rückfallrisiko von dunkelhäutigen Straftäter*innen systematisch als zu hoch und
das der hellhäutigen Straftäter*innen als zu niedrig – so lautete der Vorwurf. Für die
Beurteilung werden Daten zum sozialen, ökonomischen und familiären Hintergrund
einer Person sowie zu Persönlichkeitsmerkmalen herangezogen, die teils durch Akten-
analyse, teils durch eine Befragung erhoben werden (Kolleck & Orwat 2020, S. 50).
In der Konsequenz schafften einige US-Richter entsprechende KI-Systeme ab (vgl.
Fesefeldt 2018, S. 26). Auch hier gilt es einen gesellschaftlichen Konsens zu finden:
Über das Fairnessmaß können nicht einzelne Entwickler*innen entscheiden, es braucht
eine „öffentliche und transparente Entscheidung“ (Zweig 2019, S. 225).
Es wird deutlich, dass der Einbezug von Faktoren wie beispielsweise Hautfarbe
oder Geschlecht problematisch sein kann, da die KI an dieser Stelle aufgrund von
Daten aus der Vergangenheit womöglich falsche und mit Bias behaftete Empfehlungen
für die Zukunft gibt. Diese „Bias“ (Vorurteil, Voreingenommenheit, Verzerrung) sind
den Menschen häufig nicht bewusst (sog. „Unconscious Bias“) und geraten so auch in
die Algorithmen der KI. Denn diese verfügt keinesfalls über eine eigene „Intelligenz“.
„Selbstlernend“ darf auch nicht dahingehend missverstanden werden, dass sie mensch-
liche Fehler aus der Vergangenheit hinterfragen und ausmerzen könnte. An dieser Stelle
müssen also ganz gezielt Maßnahmen ansetzen, die eine diskriminierungsfreie KI sicher-
stellen. Ansätze sind etwa die bewusste ethische Bewertung von Kriterien, mit denen die
KI arbeitet und evtl. auch der Ausschluss von solchen oder die systematische Gestaltung
des Prozesses der Entwicklung einer KI, die ausdrücklich nicht einzig der IT überlassen
wird. Wie mit sog. Bias in Algorithmen umgegangen wird, ist vielmehr eine gesellschaft-
liche Frage als eine technische.
Richtig entwickelt, trainiert und eingesetzt kann KI Diversity aber auch fördern.
Denn es sind ja die Menschen, die nicht frei von Vorurteilen sind und sich dadurch auch
– bewusst oder unbewusst – den Potenzialen von Diversity verschließen. Besonders
deutlich werden die Chancen von KI bei einer genaueren Betrachtung der Diversity-
Wenn Künstliche Intelligenz und Diversity aufeinandertreffen: … 409

Dimensionen, wie sie die Charta der Vielfalt vorschlägt. Die sieben Kerndimensionen
sind demnach das Alter, die ethnische Herkunft und die Nationalität, das Geschlecht
und die geschlechtliche Identität, körperliche und geistige Fähigkeiten, Religion und
Weltanschauung, die sexuelle Orientierung und die soziale Herkunft (Charta der Viel-
falt e. V. 2023). Der Einbezug von Daten in den Algorithmus einer KI, die auch nur
eine dieser Dimensionen betreffen, ist also systematisch und intensiv zu hinterfragen.
Vielfach spielen sie für den Sinn und Zweck einer KI-basierten Auswertung keine
Rolle. KI ermöglicht auf diese Weise beispielsweise die Personalauswahl, um Faktoren
wie Geschlecht, ethnische und soziale Herkunft und weitere zu bereinigen. Auf diese
Weise trägt sie dazu bei, den Prozess der Personalauswahl diskriminierungsfreier zu
gestalten. Bestenfalls werden Entscheidungsträger*innen sogar für „Unconscious
Bias“ sensibilisiert und Offenheit, Transparenz und Respekt werden durch den Einsatz
von KI gestärkt sowie „Verzerrungen“ minimiert. Zu beachten ist allerdings, dass auch
bei diesen sog. „sensitiven Daten“ ein einfacher Ausschluss nicht immer die richtige
Entscheidung sein kann, da Diskriminierung auch durch das Weglassen sensitiver
Informationen entstehen oder verstärkt werden kann, nämlich dann, wenn diese Eigen-
schaften ursächlich für unterschiedliches Verhalten sind (Zweig 2019, S. 216 ff.).

2.2 Diversity trifft auf KI

Die westliche Welt ist geprägt von einer diversen Gesellschaft. In der EU und in
Deutschland teilen die Menschen einen entsprechenden Wertekanon. Die öffentliche
Hand und so auch die Kommunen sind daher in einer besonderen Verantwortung,
wenn sie KI einsetzen: Sie müssen diesen Werten auch beim Einsatz der Technik
gerecht werden. Nur so lassen sich sowohl die Daseinsvorsorge für die Bürger*innen
als auch individuelle Leistungen der Verwaltung zukunftsfähig und im Einklang mit
einer modernen Demokratie gestalten. Wenn Kommunen KI also als eine „Schlüssel-
technologie“ betrachten, wie es eingangs auf Basis der Umfrage deutlich wurde, so
kommen sie nicht umhin, den gesamten Prozess des KI-Einsatzes Diversity-orientiert zu
gestalten und KI und Diversity zusammenzudenken. Das oberste Ziel muss daher eine
diskriminierungsfreie KI sein, die im Einklang mit Recht und Gesetz, aber auch mit
ethischen Gesichtspunkten eingesetzt wird. Letztere sind gesellschaftlich zu diskutieren.
Zu beachten ist, dass KI immer auch risikobasiert, d. h. mit Blick auf das Schadens-
potenzial zu betrachten ist. Eine recht simple Möglichkeit, algorithmische Ent-
scheidungssysteme anhand ihres Schadenspotenzials zu beurteilen, bietet die
Risikomatrix nach Zweig. Das Schadenspotenzial setzt sich dabei zusammen aus den
Schäden von Individuen, insbesondere bei Fehlurteilen der Maschine, und einem mög-
licherweise darüber hinausgehenden Schaden für die Gesellschaft bei Einsatz des Ent-
scheidungssystems (vgl. Zweig 2019, S. 234). Beispielsweise sind individueller und
gesellschaftlicher Schaden gering, wenn dem Nutzenden einer Online-Plattform eine
410 A. Krellmann und M. Groß

falsche Buchempfehlung ausgesprochen wird oder eine Streaming-Plattform einen Film


empfiehlt, der letztendlich nicht dem Geschmack des Nutzenden entsprochen hat.
Individueller und gesellschaftlicher Schaden wären groß, wenn eine Überwachungs-
software auf öffentlichen Plätzen eingesetzt würde. Der gesellschaftliche Schaden wäre
außerdem groß bei der Verbreitung von Verschwörungstheorien in sozialen Medien,
gleich wenn hier der individuelle Schaden gering ist. Und umgekehrt ist der individuelle
Schaden groß, wenn Bewerber*innen in einem Auswahlverfahren falsch eingeschätzt
werden, selbst wenn diese Fehlentscheidung nicht zu einem gesellschaftlichen Schaden
führt (vgl. Zweig 2019, S. 236).
Zieht man bei dieser Analyse zusätzlich heran, inwiefern das algorithmische Ent-
scheidungssystem von einem „Monopol“ eingesetzt wird, das heißt Einsicht, Ein-
spruch und Änderungen nur schwer möglich sind oder von vielen Anbietern, was dem
Nutzenden einen einfachen Wechsel und/oder Einsicht, Einspruch und Änderung ermög-
licht, lässt sich zusätzlich die notwendige Regulierung im Sinne der Wahrung einer
modernen Demokratie einordnen (vgl. Zweig 2019, S. 239).
Die EU verfolgt bei der Klassifizierung von KI-Anwendungen ebenfalls einen
risikobasierten Ansatz, der im Rahmen des Entwurfs der Verordnung zur Festlegung
harmonisierter Vorschriften für Künstliche Intelligenz („Gesetz über Künstliche
Intelligenz“) 2021 vorgelegt wurde und diskutiert wird. Die Europäische Kommission
betont, dass von den meisten KI-Systemen nur ein geringes oder gar kein Risiko aus-
geht (Europäische Kommission 2019). Dieser Ansatz ist auch für die kommunale Ebene
interessant: Zum einen, weil der Rechtsrahmen auch für Kommunalverwaltungen als
Nutzer oder Anbieter gelten wird und zum anderen, weil die Risikoklassen mit praxis-
nahen Beispielen für unterschiedlich risikobehaftete Anwendungen unterlegt werden
können, die sich schon jetzt im Rahmen des Einsatzes von KI-Systemen heranziehen
lassen.
Die Risikoklassen reichen von 1 bis 4. Wobei Systeme der Klasse 1 nur einem
minimalen Risiko unterliegen, z. B. Spamfilter oder KI-gestützte Videospiele; Systeme
der Klasse 2 ein geringes Risiko aufweisen, z. B. Chatbots, und Lösungen in der Klasse
3 mit einem hohen Risiko einhergehen, z. B. Systeme mit Bezug zur Personalauswahl
oder zu kritischen Infrastrukturen. KI-Systeme in der Klasse 4 gelten als „unannehm-
bar“. Dies ist z. B. bei Social Scoring-Systemen der Fall. Sie dürfen nicht eingesetzt
werden. Für Systeme der Klassen 1–3 sind unterschiedlich hohe Anforderungen zu
erfüllen.
KI trifft auf Diversity und Diversity trifft auf KI. Die Ausführungen dieses Kapitels
haben gezeigt, was das für den Einsatz von KI, aber auch für ein Diversity Management
bedeutet. Im nächsten Abschnitt werden entsprechende Instrumente, Prozesse und
Strukturen, die bei der konkreten Umsetzung in der kommunalen Praxis eine Stütze sein
können, vorgestellt.
Wenn Künstliche Intelligenz und Diversity aufeinandertreffen: … 411

3 Instrumente, Prozesse und Strukturen für eine Diversity-


orientierte KI

Im Thema KI steckt für Kommunen enormes Potenzial in unterschiedlichen


kommunalen Gestaltungsfeldern. Ein möglicher Nutzen besteht beispielsweise darin,
bestehende Diskriminierungen mit Blick auf alle Diversity-Dimensionen wie etwa
Geschlecht, Alter, Herkunft und sexuelle Orientierung zu verringern. Gleichzeitig besteht
die Herausforderung darin, sowohl bei der Entwicklung als auch beim Einsatz von KI
in den Blick zu nehmen, dass bestehende Ungleichheiten nicht sogar technologisch
„zementiert“ oder verschlimmert werden. Dafür braucht es entsprechende Instrumente,
Prozesse und Strukturen. Zentrale Aspekte sind in diesem Zusammenhang Beteiligung
und Mitgestaltung, Leitlinien, Standards sowie strukturelle Elemente wie ein
„Board der Vielfalt“.
Beteiligung und Mitgestaltung stehen nicht umsonst an erster Stelle, denn beim
Einsatz von KI sollten alle Akteur*innen im kommunalen Ökosystem zu einem breit
angelegten Diskurs eingeladen werden. Dazu gehören: Politik, Zivilgesellschaft,
interessierte Bürger*innen, ortsansässige Unternehmen, kommunale Unternehmen, Ver-
eine, Verbände, Schulen, Kultureinrichtungen und selbstverständlich die Mitarbeitenden
in den Verwaltungen. Ihre fachliche und menschliche Expertise sollte von Beginn an
die technologische KI-Umsetzung begleiten. Dazu braucht es eine offene und ehr-
liche Debatten- und Diskurskultur. Dazu eignen sich bereits etablierte Formate. Es
müssen aber auch neue Formate und Diskussionsplattformen entstehen – innerhalb und
außerhalb der Verwaltung, virtuell und/oder physisch. Für einen breiten Diskurs sind
besonders die sogenannten „Dritte Orte“ wie Bibliotheken, Fablabs und die VHS, wo
nicht nur über den Einsatz von KI diskutiert werden kann, sondern wo Menschen mit
KI experimentieren und ganz haptisch Erfahrungen sammeln können, interessant (vgl.
Wagner et al. 2022, S. 23 ff.).
Über den zuvor beschriebenen Prozess der Teilhabe und über einen ergebnisoffenen,
transparenten und ehrlichen Diskurs können Leitlinien für einen wirksamen Einsatz
von KI entstehen, welche die Transparenz und damit Vertrauen und Akzeptanz von KI
in Kommunen fördern. Ansonsten werden mit Blick auf den Zugang zu Informationen
und Debatten gegebenenfalls Macht- und Ungleichverhältnisse reproduziert, statt den
Menschen in den Mittelpunkt der technischen Entwicklung und Zukunftsgestaltung von
Kommunen zu stellen.
In solchen Leitlinien sollten die bereits genannten Diversity-Dimensionen eine
besondere Rolle spielen. Sie machen einen höchst sensiblen Teil der Identität des
Menschen aus. Das Ergebnis einer solchen Leitlinie ist dann beispielsweise ein Konsens
darüber, welche Entscheidungen und Prozesse durch KI realisiert werden können, um
den menschlichen (Arbeits-) Alltag zu erleichtern, und welche nicht. So könnte bei-
spielsweise festgelegt werden, dass KI nur in einer geringen Risikoklasse genutzt wird
oder in personalintensiven Prozessen und Daten wie beispielsweise zum Alter und zur
412 A. Krellmann und M. Groß

sexuellen Orientierung keine Berücksichtigung finden. Aus einem solchen Konsens wird
dann über die Diskussion und Verabschiedung in politischen kommunalen Ausschüssen
ein entsprechender gesellschaftlicher Standard.
Bei der Entwicklung solcher Leitlinien muss keine Kommune auf der „grünen Wiese“
beginnen. Die Ethik-Leitlinie für eine vertrauenswürdige KI kann beispielsweise heran-
gezogen und auf die individuelle Ausgangslage angepasst werden. Diese Leitlinie wurde
von einer Expert*innengruppe erarbeitet, die von der Europäischen Union eingesetzt
wurde (vgl. Europäische Kommission 2019). Hilfestellung für ein systematisches Vor-
gehen bietet in diesem Zusammenhang auch der KGSt-Prozesskatalog und die Methode
des Verwaltungsscreenings (vgl. KGSt 2019). Darüber können Entscheidungen und vor
allem Prozesse entsprechend der festgelegten Kriterien in der Leitlinie betrachtet und
analysiert werden.
Viele mögliche Sorgen und Herausforderungen mit dem Einsatz von KI sind nicht
von Anfang an erkennbar. Um diese nach Möglichkeit präventiv zu adressieren, sollte
eine strukturelle Verankerung gerade des Themas KI und Diversity erfolgen. Eine
solche Verankerung schafft Verbindlichkeit und verleiht diesen beiden wichtigen Themen
den entsprechenden Stellenwert in der Verwaltung, in der Politik aber auch in der ört-
lichen Gemeinschaft.
Eine Möglichkeit für eine solche strukturelle Verankerung ist beispielsweise ein
„Board der Vielfalt“, wie es die Initiative KIDD – KI im Dienste der Diversität – vor-
schlägt. Denn Fragen nach Fairness, Gerechtigkeit und den Dimensionen der Vielfalt
müssen von Menschen beantwortet werden, die die konkrete Situation und Umstände
beurteilen können. Diese Initiative ist im Oktober 2020 als vom Bundesministerium
für Arbeit und Soziales (BMAS) gefördertes Forschungsprojekt unter dem Dach der
Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) gestartet (vgl. female.vision e. V. 2023).
Ein solches Board hat die Aufgabe, Bewertungskriterien für den Einsatz von KI zu
entwickeln, KI-Anwendungen mit Blick auf diese Kriterien zu testen und die Testergeb-
nisse mit einer Empfehlung an Politik und Verwaltung zu kommunizieren. In ein solches
Board der Vielfalt müssen daher Personen aus Politik und unterschiedlichen Bereichen
Verwaltung berufen werden. Dazu gehört beispielsweise die fachliche Expertise aus
Personalrat, Datenschutz, Gleichstellung, Orga, IT und Diversity. Darüber hinaus
braucht es aber auch Akteur*innen aus allen Bereichen des kommunalen Ökosystems,
d. h. insbesondere auch aus der Zivilgesellschaft. Nicht zuletzt ist darauf zu achten,
dass Menschen unterschiedlichen Geschlechts, sexueller Orientierung, Alters etc. dieses
Board repräsentieren. Nur so kann die erforderliche Wirkung und Akzeptanz für den Ein-
satz von KI erzeugt werden.
Wenn Künstliche Intelligenz und Diversity aufeinandertreffen: … 413

4 Fazit

Die Forderung KI und Diversity zusammenzudenken, macht zugleich deutlich, dass


technologisch geprägte Errungenschaften wie insbesondere algorithmische Ent-
scheidungssysteme heute nicht in einem technischen „Vakuum“ entstehen, eingeführt
und weiterentwickelt werden dürfen. Vielmehr braucht es eine gesellschaftliche Aus-
einandersetzung mit den Chancen und den Grenzen von KI und insbesondere mit dem
Umgang mit Stereotypen und Verzerrungen, die sog. „Bias“, die ihr „menschengemacht“
innewohnen können. Umso wichtiger ist es, KI zu „entmystifizieren“: Chancen und
Grenzen müssen klar herausgearbeitet und kommunizierbar sein. Gleichzeitig gilt es,
sich auch aus dem Blickwinkel eines Diversity Management mit KI auseinanderzusetzen
und zu untersuchen, wie sie Vielfalt stärken und fördern kann.
Kommunen sind hier in einer ganz besonderen Verantwortung. Für sie gilt es, KI
im Sinne des Gemeinwohls für mehr Arbeits-, Lebens- und Standortqualität einzu-
setzen. Dabei muss sie eine verlässliche, hohe Qualität aufweisen, transparent und fair
eingesetzt werden. Das kommunale Management hat dafür unterschiedliche Ansatz-
punkte: Sie reichen von einer breit geführt politisch-gesellschaftlichen Debatte, die
über offene Experimentierräume, Partizipation und Beteiligung die Gestaltung der
kommunalen Lebens- und Arbeitswelt mit KI für alle öffnet, über eine KI-Strategie, die
sich unter anderem auf die Ethik-Leitlinien für eine vertrauenswürdige KI stützt, bis hin
zu konkreten Managementinstrumenten und -maßnahmen. So sind beispielsweise ins-
besondere die sensitiven Daten, wie Herkunft, Alter oder Geschlecht nur mit besonderem
Augenmaß in einem Algorithmus heranzuziehen und eben dies ist breit zu diskutieren.
Für den Diskussions-, Konzeptions-, Entwicklung-, Einführungs- und Umsetzungs-
prozess braucht es dann Standards, denen sich kommunale Entscheidungsträger*innen
und alle am Prozess beteiligten verpflichten. Dies kann auch Ausfluss in speziellen
Strukturen, wie etwa einem „Board der Vielfalt“, finden.
Vor dieser Herausforderung steht keine Kommune allein. Denn diese Prozesse müssen
bewusst geöffnet werden und Akteur*innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivil-
gesellschaft aktiv einbinden. Es braucht Orientierungsmarken im föderalen System und
– darüber hinaus – mit Anschluss an die Entwicklungen auf der Ebene der EU. Die not-
wendige Transparenz, Offenheit, Zusammenarbeit und Kommunikation „vor Ort“ zu
schaffen – das hingegen kann nur die Kommune, ggf. auch im regionalen Verbund, lösen.
Schließlich ist es auch im Sinne der Daseinsvorsorge, Räume zu schaffen – Räume der
Begegnung mit KI, aber auch der kritischen Auseinandersetzung und Reflexion eben
ihrer Chancen und Grenzen. KI gehört daher gerade vor dem Hintergrund von Diversity
auch in den örtlich-politischen Dialog. Expert*innen-Kommissionen und Verordnungen
auf übergeordneten Ebenen allein werden nicht ausreichen, um Kommunen zukunfts-
fähig und nachhaltig zu gestalten und eine gemeinsam getragene Vision von einer
diversen Gesellschaft, die sich KI gemeinwohlorientiert zu Nutze macht, zu schaffen.
414 A. Krellmann und M. Groß

Literatur

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Zweig, K.: Ein Algorithmus hat kein Taktgefühl. Wo künstliche Intelligenz sich irrt, warum uns
das betrifft und was wir dagegen tun können. Wilhelm Heyner Verlag, München (2019)

Anika Krellmann, Co:Lab e. V. Berlin. Anika Krellmann ist Geschäftsführerin des Ver-
eins Co:Lab e. V. Hauptberuflich ist sie Referentin im Programmbereich Organisations- und
Informationsmanagement in der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement
(KGSt) und verantwortet Themen wie Digitalisierungsstrategien, Rollenkonzepte, Technologische
Trends sowie Digitale Souveränität und Open Source.

Marc Groß, Co:Lab e. V. Berlin. Marc Groß ist Co-Vorsitzender des Vereins Co:Lab e. V.
Hauptberuflich leitet er den Programmbereich Organisations- und Informationsmanagement
in der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) und Vertritt
dort den Vorstand. In dieser Rolle verantwortet er die Vision und die Strategie einer zukunfts-
fähigen kommunalen Digitalisierung und eines progressiven Organisations- und Informations-
managements.
Teil VII Schlussbetrachtung: Diversity und
Verwaltung zusammenführen
Diversity in der öffentlichen Verwaltung
– eine Zusammenfassung in 15 Thesen

John Meister und Matthias Hörmeyer

Zusammenfassung

In diesem Kapital werden die zentralen Erkenntnisse aus den Fachbeiträgen dieses
Buchs zusammengefasst und weiterentwickelt. Die Erkenntnisse werden in Form
eines Manifest formuliert, welches 15 Thesen für ein zukunftsweisendes Diversity
Management in der öffentlichen Verwaltung umfasst.

Schlüsselwörter

Fazit · Zusammenfassung · Manifest · Diversity Management · Zukunft · Verwaltung

1 Resümee: Wo stehen wir?

Im vorliegenden Buch erfolgte eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit


den Rahmenbedingungen, Strukturen, Herausforderungen, Zielen, Visionen und
Umsetzungsmöglichkeiten von Diversity Management in der öffentlichen Verwaltung.

J. Meister ( )
Freie und Hansestadt Hamburg, Hamburg, Deutschland
M. Hörmeyer
KGSt, Köln, Deutschland

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein 417
Teil von Springer Nature 2023
J. Meister und M. Hörmeyer (Hrsg.), Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41702-4_32
418 J. Meister und M. Hörmeyer

Lange Zeit ist Diversity als ein wirtschaftlich orientiertes Unternehmenskonzept


verstanden worden. Doch angesichts der zahlreichen Herausforderungen, vor denen
die öffentliche Verwaltung steht – angefangen vom demografischen Wandel über den
Arbeitskräftemangel, Klimawandel, Digitalisierung, Krisenbewältigungen bis hin zu ver-
änderten Ansprüchen der Bürger*innen –, ist Diversity in den letzten Jahren auch in der
öffentlichen Verwaltung immer mehr als zeitgemäße und erfolgsversprechende Antwort
erkannt worden (vgl. Charta der Vielfalt 2017, S. 4). Es ist dringend und unabweisbar,
dass entsprechende Veränderungsprozesse in der öffentlichen Verwaltung jetzt stattfinden
müssen. Aydan Özo uz, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte für
Migration, Flüchtlinge und Integration von 2013 bis 2018, stellte hierzu fest (ebd.):

Deutschland ist vielfältiger geworden. Den Verwaltungen von Bund, Ländern und
Kommunen kommt bei der Gestaltung der wachsenden gesellschaftlichen Vielfalt eine ent-
scheidende Rolle zu.
Als größter Arbeitgeber Deutschlands haben sie eine Vorbildfunktion und müssen
sich stärker als bisher für alle Bürgerinnen und Bürger – unabhängig von ihrer Herkunft
– öffnen. Unsere plurale Gesellschaft sollte sich in einer vielfältigen Verwaltung wider-
spiegeln. Davon haben alle Vorteile, denn vielfältig zusammengesetzte Verwaltungsbeleg-
schaften können oft viel zielgerichteter auf die Bedürfnisse und Anliegen unterschiedlicher
Bürgerinnen und Bürger eingehen. Verwaltungen müssen soziale Verantwortung über-
nehmen und wichtige demokratische Werte wie „Chancengleichheit“, „Gleichberechtigung“
und „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ im Alltag leben und stärken.
In den vergangenen Jahren konnte vieles angestoßen und umgesetzt werden, um
Behörden und Verwaltungen zu attraktiven Arbeitgebern für Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter unterschiedlichster Herkunft zu machen. Dies geschieht jedoch nicht von allein,
sondern erfordert aktives Handeln mit unterschiedlichen Maßnahmen. Auf den vielen guten
Erfahrungen und Ansätzen lässt sich aufbauen und weitere gemeinsame Schritte auf dem
Weg zu vielfältigen, offenen und inklusiven Verwaltungen gehen.

Das vorliegende Buch folgt diesen Prämissen und leistet einen Beitrag, jenes Handeln
und jene Maßnahmen in der Praxis zu fördern und vielfältige Erfahrungen und Ansätze
zu vermitteln. Wir sind überzeugt: Diversity und öffentliche Verwaltung gehören
zusammen.
In Teil 1 des Buchs erfolgte zunächst die Entwicklung einer theoretischen, zugleich
praxisorientierten Fundierung von Diversity. Diesem Buch liegt ein Diversity-Modell
zugrunde, welches die Vielfalt von Menschen 1) mit unterschiedlichen körperlichen
und geistigen Fähigkeiten, 2) unterschiedlichen Alters, 3) unterschiedlicher ethnischer
Herkunft und Nationalität, 4) mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen, 5) mit
unterschiedlicher sozialer Herkunft und unterschiedlichen Lebenssituationen, 6) unter-
schiedlicher Geschlechter und unterschiedlichen geschlechtlichen Identitäten und 7)
unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen beschreibt. Diversity bedeutet,
diese Vielfalt von Menschen uneingeschränkt positiv wertzuschätzen und einen ganzheit-
lichen Ansatz zu verfolgen, der sich auf alle Dimensionen bezieht.
Eine offene, diverse und inklusive Gesellschaft anzustreben, bedeutet, dass Diversity
uns alle angeht. Die Bedeutung des Leitsatzes „Diversity geht uns alle an“ wird gleich-
Diversity in der öffentlichen Verwaltung – … 419

wohl schnell zur bloßen Plattitüde, zu einer kurzfristigen aufmerksamkeitsgenerierenden


Symbolik oder gar Selbstinszenierung, wenn mit ihm nicht ein ehrlicher, engagierter
und nachhaltiger Impetus für Veränderungen in Staat, Verwaltung und Gesellschaft ver-
bunden ist. Aus dem Leitsatz „Diversity geht uns alle an“ lässt sich im wahrsten Sinne
ableiten, dass nicht nur diejenigen, die Benachteiligungen wahrnehmen, angesprochen
sind. Damit Vielfalt in der Arbeitswelt und in allen weiteren gesellschaftlichen Systemen
vorankommt, brauchen wir den Einsatz und die Unterstützung jeder einzelnen Person.
Vor allem Menschen, die dem tradierten Bild einer homogenen Mehrheitsgesellschaft
entsprechen, müssen 1. sich selbstreflexiv ihrer vielen Privilegien bewusst werden,
2. lernen, aus der Selbsterkenntnis über die eigene privilegierte Position heraus dis-
kriminierungskritisch zu handeln und entschlossen gegen Diskriminierung vorzugehen,
3. hierfür ihre Komfortzone verlassen und wahrhaftig dafür eintreten, diskriminierende
Strukturen und Prozesse abzubauen und 4. mithin Verantwortung übernehmen, die Dis-
kriminierung allerorts zu überwinden1 (vgl. Bonköst 2021). Es müssen Allianzen und
Bündnisse in der öffentlichen Verwaltung geschmiedet werden, um – gemeinsam – für
die Wertschätzung von Vielfalt entschieden einzutreten. Zugleich darf Diversity aber
kein patriarchal geprägtes Bevormunden sein, wo privilegierte Menschen eine „quasi-
Mission“ verfolgen, andere Menschen aus Notlagen zu befreien und damit suggerieren,
dass diese außerstande sind, sich selbst helfen zu können (vgl. Trunk 2023, S. 226). Die
Unternehmerin und Diversity-Expertin Mirijam Trunk fasst dies pointiert zusammen:
Wenn Menschen ihre Privilegien nutzen, um Minderheiten zu unterstützen, bedeutet
dies, nicht zu retten, sondern zur Seite zu stehen (ebd.).
Neben dieser normativ-affirmativen und gesellschaftlichen Sicht wird in diesem Buch
zugleich die klare Überzeugung hergeleitet und vertreten, dass die Förderung von Viel-
falt in der öffentlichen Verwaltung auch handfeste Leistungs- und Wettbewerbsvorteile
mit sich bringt. Damit dies gelingt, müssen Perspektiven gewechselt, Empathie trainiert,
systematische Strategien und Maßnahmen umgesetzt, ja auch Irritationen ausgehalten

1 Der Gedanke hinter diesen Ansätzen beruht auf dem ursprünglichen „Allyship-Konzept“ aus
der Rassismusforschung. Über den Begriff Allyship wird inzwischen kontrovers debattiert. Im
Raum steht vor allem die Kritik der Vereinnahmung des Begriffs durch Weiße*, durch die ins-
besondere eine Reduzierung von Allyship zu einem bloßen „Label“ und eine Zweckentfremdung
von Allyship hin zu einer opportunen Selbstdarstellung erfolge, ohne dass das Handeln tatsächlich
verändert werde (vgl. Bonköst 2021, S. 2). Infolge dieser Kritik werden in Forschung und Praxis
inzwischen alternative Begriffsvorschläge vielfach diskutiert. Die Kritik richtet sich demnach
nicht an das theoretische Konzept von Allyship, sondern vielmehr an die Verfehlungen in der
Implementierung bzw. an die Zweckentfremdung des Begriffs. Vor diesem Hintergrund erfolgt hier
eine praxisorientierte Übertragung der theoretischen Fundierung des Konzepts, die weiterhin über
ein anerkanntes, normativ wertvolles und praktisches Gehalt verfügt, das auch für Diversity sinn-
stiftend genutzt werden kann, ohne sich den Begriff „Allyship“ eigen zu machen. Die Herausgeber
empfehlen für eine erstmalige Befassung mit dem Thema „Allyship“ das Kurzpaper von Bonköst
2021, in welchem der kritische Diskurs kompakt beschrieben wird.
420 J. Meister und M. Hörmeyer

werden (vgl. Charta der Vielfalt 2022, S. 3). Diversity in der öffentlichen Verwaltung
bedarf eines langen Transformationspfades, der schließlich sichtbare Wirkungen ent-
faltet, von denen alle gemeinsam profitieren. Zu diesem Zweck befassen sich die Teile
2–6 mit interdisziplinären Themengebieten, die miteinander eng verwoben sind und in
ihrer Gesamtheit zu einem ganzheitlichen Diversity Management in der öffentlichen
Verwaltung beitragen: Verwaltungskultur (Teil 2), Führungsverantwortung (Teil 3),
Verwaltungsorganisation (Teil 4), Personalmanagement (Teil 5) und Verwaltungs-
innovationen (Teil 6). Um die Erkenntnisse aus diesen Teilen zu verdeutlichen und daran
praxisorientiert anzuknüpfen, werden im Nachfolgenden „15 Thesen für ein zukunfts-
weisendes Diversity Management in der öffentlichen Verwaltung“ abgeleitet. Die
Erkenntnisse aus den Fachbeiträgen werden mit den konzeptionellen Ansätzen, welche
die Charta der Vielfalt für öffentliche Verwaltungen entwickelt hat, kombiniert und ver-
zahnt2 (vgl. Charta der Vielfalt 2017). Dieses Manifest trägt dazu bei, ein gemeinsames
Verständnis über Eckpunkte und Vorgehen bei der Implementierung eines Diversity
Management in der öffentlichen Verwaltung zu schaffen. Das Manifest erhebt keines-
wegs den Anspruch, 1:1 in der Praxis umgesetzt werden zu müssen. Es liefert viel-
mehr grundsätzliche Paradigmen für die strategische Entwicklung und Umsetzung des
Diversity Management, an denen sich orientiert werden kann.

2 Manifest: 15 Thesen für ein zukunftsweisendes Diversity


Management in der öffentlichen Verwaltung

These 1 – Diversity ist Kulturarbeit: Es geht nicht nur darum, eine vielfältige
Belegschaft aufzubauen, sondern auch wechselseitige Wertschätzung und
Empathie innerhalb der Belegschaft zu fördern.
Eine Verwaltung, die „Spiegelbild der Gesellschaft“ ist, ermöglicht die
Repräsentanz aller gesellschaftlichen Gruppen in der Belegschaft. Auf Basis dieses
Fundaments muss eine Verwaltungskultur gepflegt werden, die von wechselseitiger
Wertschätzung und Empathie für jede einzelne Person geprägt ist. Führungskräfte
wie auch Mitarbeitende müssen diese Paradigmen erkennen, teilen und leben.
Damit dies gelingt, müssen gemeinsam geteilte Werte, Normen und Symbole
entwickelt werden. Dieser Entwicklungsprozess gelingt nur partizipativ. Ziel
muss es sein, allen Mitarbeitenden und Führungskräften einer Verwaltung eine
Orientierung für ein vielfaltsförderndes Verwaltungsdenken und -handeln zu geben
sowie gleichzeitig kulturelle Perspektivwechsel und Austausche zu fördern.

2 DieHerausgeber bedanken sich noch einmal herzlich bei Ana-Cristina Grohnert und der Charta
der Vielfalt e. V. für die Unterstützung dieses Buchs.
Diversity in der öffentlichen Verwaltung – … 421

These 2 – Diversity geht einher mit Veränderung: Verwaltungen müssen


Widerstände im Veränderungsprozess akzeptieren.
Die Verwaltungskultur zu gestalten ist ein fundamentaler Veränderungsprozess.
Eine Verwaltung, die auf allen Hierarchieebenen vielfältiger wird, weckt bewusste
und unbewusste Ängste und in der Folge auch offene und verdeckte Widerstände.
Menschen spüren es, wenn „ein neuer Wind weht“. Dies gilt selbst dann, wenn
die beabsichtigten Veränderungen nur graduell, also behutsam Schritt für Schritt
erfolgen (z. B. im Rahmen von Stellennachbesetzungen). Langjährige Gewohn-
heiten, hierarchische Privilegien, Statusdenken sowie alte „Traditionen“ werden
hinterfragt und geraten dadurch in Bewegung. Vor diesem Hintergrund sind Wider-
stände als immanenter Teil des Veränderungsprozesses zu sehen, von Anfang an
aufzugreifen und konstruktiv zu gestalten (vgl. Charta der Vielfalt 2017, S. 17).

These 3 – Diversity braucht Mut: Nicht alles läuft von Anfang an gut und
richtig. Ein langer Atem wird die Entwicklung des Diversity Management
beflügeln.
Unterschiede aufgrund persönlicher Merkmale dürfen nicht mehr Anlass für
Ungleichbehandlung sein oder als Mittel der Hierarchisierung dienen, auch nicht
auf informeller Kulturebene, wo immer noch Diskriminierungen verschleiert statt-
finden. Im Diversity Management geht es häufig um sehr sensible Themen und
Erfahrungen. Vielen Menschen fällt es nicht leicht, beispielsweise über ihre Erleb-
nisse von Diskriminierung zu sprechen. Gleichzeitig tun sich auch Verwaltungs-
organisationen (genau wie privatwirtschaftliche Unternehmen) schwer damit, nach
innen und außen dazu zu stehen, dass es in der Organisation Missstände in Bezug
auf Diversity-Themen gibt. Dabei ist der Dialog über Erfahrungen und Missstände
das Fundament eines funktionierenden Diversity Management. Nur wenn klar und
offen adressiert wird, was nicht funktioniert und woran gearbeitet werden muss,
werden Entwicklungen für die Zukunft auch authentisch angestoßen. Der Weg zum
Idealbild, in dem Vielfalt die neue Verwaltungsnormalität darstellt, ist daher lang –
und erfordert Übung, Mut und langem Atem.

These 4 – Diversity braucht Vorbilder: Führungskräfte müssen vorleben, was


eine Diversity-orientierte Kultur und Verwaltung ausmacht.
Machen wir uns nichts vor: Die öffentliche Verwaltung ist im höchsten Maße
top-down geprägt. Daher kommt den Führungskräften in der Verwaltung, ins-
besondere den „höheren“ Vorgesetzten, eine besondere Verpflichtung zu. Eine
Diversity-orientierte Kultur kann sich nur dann entwickeln, wenn Führungs-
kräfte mitmachen und ihre Rolle als sichtbare Vorbilder einnehmen. Führungs-
kräfte müssen einerseits in ihren Teams Vielfalt aktiv fördern und unterschiedliche
Perspektiven zusammenbringen. Überdies tragen Führungskräfte die besondere
Verantwortung, ihr eigenes Führungsverhalten diversitätsbewusst zu reflektieren.
422 J. Meister und M. Hörmeyer

Mutige Führungskräfte eröffnen hierüber den offenen Dialog im Team, fördern


damit Zusammenhalt und Vertrauen (und im Falle vorheriger Konflikte Versöhnung
und Verständigung!) und signalisieren allen Teammitgliedern, dass Diversity offen
diskutiert werden kann und sollte.

These 5 – Führung in einem diversen Umfeld braucht Übung: Diversity-


orientierte Führung bedeutet, sich selbst zu reflektieren.
Eine authentische Führung, die gegenüber einem vielfältigen Team zugewandt,
wertschätzend und empathisch ausgelegt ist, kann nur durch eine Führungskraft
gelingen, die über ein hohes Maß an Selbstreflexionsvermögen verfügt. Selbst-
reflexion bedeutet in diesem Fall, dass sich Führungskräfte über ihre eigenen Ein-
stellungen und Voreingenommenheiten gegenüber anderen Personen bewusst sein
müssen. Niemand kann sich davon frei machen, völlig vorbehaltslos gegenüber
allen anderen Menschen zu sein. Daher ist es wichtig, dass Führungskräfte ihr
Verhalten diversitätsbewusst reflektieren und erkennen, welchen Personen gegen-
über oder in welchen Situationen sie unbewusste Voreingenommenheiten haben
(Unconscious Bias). Schließlich führen solche Phänomene häufig zu negativen
Denkmustern wie etwa „Schubladendenken“, mit der Folge, dass das persönliche
und fachliche Potenzial von Menschen fahrlässig nicht erkannt wird. Hierdurch
gehen wertvolle Potenziale für Teams und Organisationen verloren.

These 6 – Diversity ist ein emotionales Thema: Das erfordert neue


Kompetenzen in der Führung.
Diversity kann auch „Reibung“ bedeuten: Immer dann, wenn Menschen mit viel-
fältigen Erfahrungen und Blickwinkel in die Diskussion gehen, werden unter-
schiedliche Positionen und Standpunkte aneinander gerieben. Dies gilt für
fachliche Diskussionen, die leidenschaftlich geführt werden, und erst recht für
Diskussionen um Diversitätsthemen, denen eine hohe persönliche Sensibilität inne-
wohnt. Reibung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass es emotional werden
kann. Emotionen werden in der Arbeitswelt jedoch häufig mit Skepsis beäugt –
auch in der Verwaltung. Doch dafür gibt es keinen Grund. Emotionen zu unter-
drücken, kostet sehr viel Energie, führt zu Angst und Fehlern. Auch hier liegt
daher ein wesentlicher Schlüssel von Diversity-orientierter Führung: Führungs-
kräfte in der Verwaltung müssen lernen, auch emotional zu führen. Sie müssen ver-
stehen, warum Menschen wie reagieren. Ein solcher diversitätsbewusster Umgang
mit Emotionen bildet die Grundlage für Verständnis und Empathie – und sorgt
dafür, dass Menschen in der Verwaltung motivierter und leistungsfähiger sind.
Emotionale Führung bedeutet zugleich, als Führungskraft auch eigene Verletzlich-
keiten zuzulassen. Führungskräfte sollten offen damit umgehen, Ängste zu haben,
Fehler zu machen, nicht allwissend zu sein oder Unterstützung zu brauchen. Auch
das sind Beiträge zu einem vielfaltsfördernden Teamspirit.
Diversity in der öffentlichen Verwaltung – … 423

These 7 – Diversity muss strategisch verankert sein: Zu einer Diversity-


Strategie gehören Ziele, Maßnahmen und Evaluation.
Kaum eine Verwaltung ist heute nicht in irgendeiner Form im Kontext von
Diversity aktiv. Häufig finden Diversity-Maßnahmen aber in keinem strukturierten
Rahmen oder gar nur unbewusst statt. Wird zum Beispiel mobiles Arbeiten oder
flexible Arbeitszeitgestaltung ausgebaut, profitieren viele Mitarbeitende davon.
Doch die wenigsten haben im Blick, dass Home-Office auch als direkte Maßnahme
einer Diversity-Strategie gesehen werden kann. Abgeleitet von einem Leit-
bild kann die Entwicklung einer Diversity-Strategie dabei helfen, konkrete Ziele
zu bestimmen, Transparenz über das Geschehen zu entwickeln, zielgeleitete
Maßnahmen zu treffen und diese zu überprüfen. Leitfragen einer solchen Strategie-
erstellung können sein: Warum ist Diversity für unsere Organisation wichtig?
Welche positiven Effekte erwarten wir von einer diversen Belegschaft? Welche
wichtigen Maßnahmen müssen umgesetzt werden, um diese Effekte zu erreichen?
Der Diskussionsprozess und die Ergebnisse zu diesen und weiteren Fragen sollten
in einem Strategiepapier festgehalten werden. Die Umsetzung der Diversity-
Strategie muss von der Verwaltungsleitung aktiv unterstützt werden. Gleichzeitig
muss die Strategieumsetzung regelmäßig in Hinblick auf ihre Wirkungen evaluiert
werden.

These 8 – Diversity Management braucht eine organisatorische Verankerung:


Diese muss für alle sichtbar sein und braucht Rahmenbedingungen.
Die öffentliche Verwaltung wird in Organigrammen gedacht. Vor diesem Hinter-
grund stellt sich die Frage, wie Diversity als Thema organisatorisch verankert
werden sollte. Hierfür gibt es unterschiedliche Modelle: Die grundsätzliche
Frage ist, ob das Thema Diversity als eigene Organisationseinheit (beispiels-
weise „Stabstelle Diversity“ oder „Fachliche Leitstelle Diversity“) verankert wird
oder ob es in eine bestehende Organisationseinheit (in der Praxis häufig in die
Personalabteilung) integriert wird. Bei einer Integration des Themas Diversity in
bestehende Organisationseinheiten besteht gleichwohl die Gefahr, dass Diversity
an Wert verliert und im Vergleich zu anderen Fachaufgaben depriorisiert wird
(„keine Zeit für Diversity“, „erst die Pflichtaufgaben, dann die Kür“). Vor
diesem Hintergrund empfehlen wir die Schaffung einer eigenen Diversity-
Stelle in der Organisationsstruktur. Dieses Vorgehen verschafft die dringend not-
wendige Sichtbarkeit für das Thema und eine klare Verantwortlichkeit für die
Steuerung und Koordination von Diversity-Themen. Eine solche Stelle braucht
aber auch folgende drei zentrale Voraussetzungen: Erstens muss die Diversity-
Stelle „hoch gehangen“ werden, idealerweise direkt unter der Verwaltungs-
leitung (Bürgermeister*in, Minister*in, Staatssekretär*in oder vergleichbar).
Zweitens muss dieser Verankerung echter Ausdruck verliehen werden, indem
sich die Verwaltungsleitung das Thema tatsächlich zur Agenda macht und mithin
424 J. Meister und M. Hörmeyer

zu einer wichtigen Verwaltungsaufgabe legitimiert. Das verschafft der Diversity-


Stelle einen starken Einfluss. Drittens bedarf die Diversity-Stelle auch einer
angemessenen Personal- und Sachmittelausstattung, um die Leistungsfähigkeit und
Nachhaltigkeit der Diversity-Stelle zu gewährleisten.

These 9 – Diversity ist eine gesamtorganisationale Aufgabe: Alle Mit-


arbeitenden und Führungskräfte müssen sich für eine vielfältige Verwaltung
einsetzen!
Eine zentrale Diversity-Stelle (siehe These 8) verschafft zwar Sichtbarkeit und
bündelt Steuerungs- und Koordinationsleistungen für die Diversity-Themen.
Sie kann gleichwohl nur dann erfolgreich sein, wenn in der Gesamtorganisation
ein gemeinsames Verständnis vorliegt, dass Diversity zugleich geteilte Aufgabe
und geteilte Verantwortung aller Mitarbeitenden und Führungskräfte ist. Die Ver-
waltung als Organisation hat die Aufgabe, allen Mitarbeitenden und Führungs-
kräften die Möglichkeiten zu geben, sich für Diversity zu engagieren. So sollte
die Verwaltungsleitung beispielsweise die Gründung von Diversity-Netzwerken
aktiv unterstützen. Mitarbeitende und Führungskräfte können sich zum Beispiel
im Rahmen von Onboarding-Prozessen engagieren, um neuen Kolleg*innen den
Einstieg in die Organisation zu erleichtern und dadurch ein inklusives Teamver-
ständnis zu fördern. Oder sie organisieren niedrigschwelle themenbezogene
Diversity-Veranstaltungen, um den Austausch innerhalb der Belegschaft zu fördern
(zum Beispiel Infoveranstaltungen zum Deutschen Diversity-Tag, Workshops oder
Lesungen und Panels mit Expert*innen).

These 10 – Diversity muss das Leitmotiv von Personalstrategien sein: Nur so


wird Diversity als fundamentale Querschnittaufgabe aller Maßnahmen im
Bereich des Personalmanagement gelebt.
Mit dem Diversity-Ansatz kann eine signifikante Verbesserung des gesamten
Personalmanagement erzielt und damit eine hohe Attraktivität der öffentlichen Ver-
waltung als Arbeitgeberin erreicht werden (a.a.O., S. 21). Indem mehr Menschen
aus der vielfältigen Gesellschaft angesprochen werden, können entsprechend
mehr potenzielle Beschäftigte für die öffentliche Verwaltung gewonnen werden
(ebd.). Insbesondere in Zeiten des Arbeitskräftemangels ist es wichtiger denn je,
auch gesellschaftliche Gruppen anzusprechen, die bislang am Rand des Arbeits-
markts stehen, unterrepräsentiert oder benachteiligt sind (a.a.O., S. 17) oder
für die die öffentliche Verwaltung bislang nicht als potenzielle Arbeitgeberin in
Erscheinung getreten ist. Ein offenes, vielfältiges und inklusives Umfeld trägt
auch zur Motivation, Bindung und Leistungsfähigkeit von Mitarbeitenden bei.
Eine wichtige Aufgabe ist es, das Personalmanagement auf der Grundlage der
gesellschaftlichen Vielfalt entsprechend neu aufzubauen und die neue diversitäts-
orientierte Personalpolitik sichtbar nach außen zu vermitteln. Grundvoraussetzung
hierfür ist, dass Diversity das Leitmotiv von Personalstrategien ist.
Diversity in der öffentlichen Verwaltung – … 425

These 11 – Diversity ist die Antwort auf den angespannten Personalmarkt:


Ein Diversity-orientiertes Recruiting bedeutet Zukunftsfähigkeit von Ver-
waltungsorganisationen.
Die angespannte Situation auf dem Personalmarkt wird sich weiter zuspitzen.
Verwaltungen stehen nicht nur untereinander, sondern auch mit privatwirtschaft-
lichen Organisationen in Konkurrenz, wenn es darum geht, neue Talente zu
gewinnen. Dem Recruiting kommt hier eine besondere Aufgabe zu: Ein diversi-
tätsorientiertes Recruiting muss dafür sorgen, dass sich Verwaltungen stärker
denn je für die Menschen in einer vielfältigen Gesellschaft öffnen. Außerdem
müssen Verwaltungen mehr als bisher Quereinsteiger*innen zulassen. Ein
Diversity-orientiertes Recruiting setzt zum Beispiel voraus, dass Personalaus-
wahlprozesse auf Diskriminierungsmerkmale untersucht werden oder dass
Personalmarketingmaßnahmen verstärkt alle Menschen erreichen. Dabei sollten
gerade für die in der Verwaltung unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppen
Maßnahmen zum Recruiting zielgruppengerecht eingesetzt werden. Eine solche
sichtbare Vielfaltsförderung trägt auch zum Image der öffentlichen Verwaltung als
gute Arbeitgeberin bei (Employer Branding).

These 12 – Diversity verlangt ein Neudenken in der Personalentwicklung:


Maßnahmen der Personalentwicklung müssen kontinuierlich ausgehend von
den Bedarfen der Belegschaft weiterentwickelt werden.
Die Aufgabe der Personalentwicklung ist es, allen Mitarbeitenden und Führungs-
kräften Möglichkeiten zur persönlich-fachlichen Weiterentwicklung und Ent-
faltung zu geben. Dies erfolgt über den gezielten Einsatz von Maßnahmen
im Bereich der Personalentwicklung (zum Beispiel Fortbildungsmöglich-
keiten, Mentorings oder Coachings). Die bislang praktizierten, traditionellen
Personalentwicklungsinstrumente werden einer vielfältigen Belegschaft in einer
Verwaltung gleichwohl zunehmend weniger gerecht. Mit Blick auf die Diversity-
Dimensionen sind die Bedarfe, die einzelne Mitarbeitende und Führungskräfte
haben, sehr individuell. Genau diese Individualität braucht es auch bei der Aus-
wahl und der Anwendung von Personalentwicklungsinstrumenten. Die Devise
lautet: Weg von starren Fortbildungskatalogen, die über Jahre hinweg unver-
änderten Bestand haben. Stattdessen braucht es ein System der Personalent-
wicklung, das Anforderungen und Lernbedarfe in der vielfältigen Belegschaft
erkennt, die Lernerfahrungen auf den Nutzen der individuellen Mitarbeitenden aus-
richtet und in der Lage ist, situative Bedarfe zeitnah abzudecken. Hierfür muss die
Personalentwicklung in der Verwaltung neu gedacht und entsprechend mit Priori-
tät finanziert werden. Zur Stärkung der Diversity-Kompentenzen sind Konzepte
wie Intersektionalität, Barrierefreiheit und Empowerment als Querschnitt in den
Personalentwicklungsmaßnahmen berücksichtigen.
426 J. Meister und M. Hörmeyer

These 13 – Diversity braucht Kooperation: Verwaltungen müssen sich in


Zukunft mehr dafür öffnen, mit anderen Akteur*innen und Organisationen
zusammenarbeiten und Synergien zu nutzen.
Die Fachbeiträge in dem vorliegenden Buch haben aufgezeigt, dass Verwaltungen
neue Wege in der Zusammenarbeit gehen müssen – etwa mit zivilgesellschaft-
lichen Initiativen oder innovativen Start-ups. Diese Zusammenarbeitsformen
müssen konsequent ausgebaut werden. Insbesondere brauchen Verwaltungen
mehr Mut in Bezug auf die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft. Das hat
den positiven Effekt, dass die Bedarfe der diversen Gesellschaft mehr Gehör
finden, Verwaltungsservices mithin stärker an den Bedürfnissen der Menschen aus-
gerichtet sind und Verwaltungsentscheidungen an Legitimation gewinnen. Es gibt
viele Arten der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft. Hierzu zählen beispiels-
weise bekannte Partizipationsstrukturen wie etwa bei Planungsvorhaben, aber auch
neue Formen der Zusammenarbeit wie beispielsweise innovative Co-Kreationen
bei der Entwicklung von digitalen Verwaltungsservices.

These 14 – Diversity, Innovation und Nutzer*innenzentrierung gehören


zusammen: Sie sind Grundlage für eine zukunftsfähige Verwaltung.
Innovation und Diversity stehen in enger Wechselwirkung. Innovative Methoden
unterstützen dabei, vielfältige Sichtweisen aufzunehmen. Wiederum entstehen
durch vielfältige Sichtweisen kluge Ideen, die Grundlage für Innovationen sind.
In der Perspektivenvielfalt liegt ein wesentliches Potenzial von Diversity, das zur
Steigerung der Innovationskraft in der Verwaltung beiträgt. Diese Wechselwirkung
kann für Beteiligte aber auch anstrengend sein. Es braucht kontinuierliche Offen-
heit und ständiges Hinterfragen, intensive Diskussionen und ein wechselseitiges
Verständnis. Im innovativen Rahmen zu arbeiten, erfordert überdies von einer
Verwaltung, sich nutzer*innenzentriert aufzustellen. Nutzer*innenzentrierung
bedeutet, dass sich die Angebote der Verwaltung konsequent an den Bedürfnissen
unterschiedlicher Gruppen von Nutzer*innen ausrichten. Diese innovationsförder-
liche Haltung ist aber nur in Kombination mit Diversity erfolgreich. Diversity
vermittelt die notwendige Vielfaltsperspektive, damit Innovationen für die
gewählten Zielgruppen in der Gesellschaft tatsächlich gelingen können. Diversity
und Nutzer*innenzentrierung kombinieren kreatives Innovationsdenken mit den
Ansprüchen aus den verschiedenen Diversity-Dimensionen.

These 15 – Diversity agiert auch im digitalen Raum: Die Verwaltung der


Zukunft hat die Stärkung der digitalen Teilhabe im Blick.
Die digitale Teilhabe wird immer stärker zur Basis der gesellschaftlichen Teil-
habe. Die öffentliche Verwaltung steht folglich vor der großen Herausforderungen,
die digitale Teilhabe aller Menschen in Staat, Verwaltung und Gesellschaft zu
Diversity in der öffentlichen Verwaltung – … 427

gestalten. Digitale Teilhabe bedeutet, Menschen unabhängig von ihrer persön-


lichen Situation einen Zugang zur digitalen Welt zu ermöglichen. Im unmittelbaren
Verwaltungskontext umfasst das insbesondere den barrierefreien und niedrig-
schwelligen Zugang zu digitalen Verwaltungsservices und digitalen Beteiligungs-
möglichkeiten. Insbesondere die Barrierefreiheit muss zentraler Leitgedanke
bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes und anderer Digitalisierungs-
projekte sein. Dagegen können größere Teilhabethemen wie etwa die Stärkung
von digitalen Kompetenzen in der Bevölkerung oder der Ausbau des digitalen
Ehrenamts kaum allein von der Verwaltung bewältigt werden. Hier bedarf es der
engen Zusammenarbeit mit der vielfältigen Zivilgesellschaft – auf Kommunal-,
Landesund Bundesebene. Überdies darf die Verwaltung keine „Technologie-
Angst“ haben – im Gegenteil: Es braucht die Offenheit für neue Technologien (z.
B. Künstliche Intelligenz), um diese antizipatorisch aus Diversity-Sicht gemein-
wohlorientiert zu gestalten.

3 Schlusswort: Auf bald!

Unsere Gesellschaft ist im Wandel. Sie wird immer diverser und ist bereits heute von
vielfältigen Lebens- und Arbeitsformen geprägt. Diese vielfältige, offene und inklusive
Gesellschaft ist längst Alltagsnormalität, trägt zu unserer hohen Lebensqualität bei und
ist zugleich unsere große gemeinschaftliche Stärke. Der Wandel zu mehr Vielfalt ver-
dient deshalb in der öffentlichen Verwaltung eine starke Aufmerksamkeit und erfordert
neue Denk- und Arbeitsweisen, damit die öffentliche Verwaltung

Teil dieser gesellschaftlichen Entwicklung ist,


mit einer an Vielfalt orientierten Haltung und entsprechendem Handeln eine Vorreiter-
rolle einnimmt,
die vielfältige Gesellschaft in ihrer Beschäftigtenstruktur widerspiegelt – und zwar
auf allen Hierarchieebenen,
die Motivation der Mitarbeitenden fördert und erhält,
sich stärker denn je ihren Bürger*innen öffnet,
den sich verändernden Bedürfnissen vielfältiger Bürger*innen mit unterschiedlichen
Lebenskonzepten und unterschiedlichen Arbeits-/Lebenslagen gerecht wird,
die wirtschaftlichen Chancen, die mit einer diversen, offenen und inklusiven Gesell-
schaft verbunden sind, erfolgreich nutzt,
Effizienz und Leistungsfähigkeit sichert sowie an Innovationskraft gewinnt,
zu einer diversitätsbewussten und modernen Arbeitgeberin, Dienstleisterin,
Gestalterin, Kooperationspartnerin, Auftraggeberin, Fördermittelgeberin und Aus-
führungsorgan wird.
(Auflistung in Anlehnung an Charta der Vielfalt 2017, S. 8 ff.).
428 J. Meister und M. Hörmeyer

Mit Diversity können wir die öffentliche Verwaltung nachhaltig stärken. Es ist deutlich
geworden, dass die öffentliche Verwaltung langfristig nur erfolgreich sein wird, wenn
sie die Vielfalt der Menschen anerkennt und nutzt. Die Vielfalt in der öffentlichen Ver-
waltung ist eine politische, gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Chance.
Als Herausgeber freuen wir uns, dass Sie das Buch bis zum Abschluss gelesen haben.
Wir hoffen, dass wir Sie an der einen oder anderen Stelle wachrütteln konnten. Trotz
der Handlungsnotwendigkeit sollten Sie aber unbedingt „unaufgeregt“ und – in einem
angemessenen Maße – „gelassen“ bleiben. Diversity ist keine spontane, affektuelle
Hauruckaktion, sondern wird nur dann erfolgreich gestaltet sein, wenn Sie das Thema
empathisch, strukturiert und langfristorientiert angehen.
Lassen Sie uns diesen verantwortungsvollen Transformationsprozess gemeinsam
gehen – mit professioneller Expertise und selbstbewusster Entschlossenheit. Wir freuen
uns, von Ihnen zu hören.

Literatur

Bonköst, J. (2021). White Allyship: Keine Selbstbeschreibung, sondern Handeln. Berlin: Institut
für diskriminierungsfreie Bildung.
Charta der Vielfalt (2017). Vielfalt, Chancengleichheit und Inklusion – Diversity Management in
öffentlichen Verwaltungen und Einrichtungen. Berlin: Charta der Vielfalt e. V.
Charta der Vielfalt (2022). Factbook Diversity. Berlin: Charta der Vielfalt e. V.
Trunk, M. (2023). Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte: Warum im
Berufsleben nicht alle die gleichen Chancen haben - und wie wir uns trotzdem durchsetzen.
München: Penguin Verlag.

Dr. John Meister ist Experte für Reform- und Transformationsthemen in der öffentlichen Ver-
waltung. Er verfügt über breite interdisziplinäre Verwaltungserfahrung von über 15 Jahren und
war u. a. in Sozial-, Finanz-, Justiz-, Digitalisierungsressorts sowie auf Staatskanzleiebene tätig.
Er leitet aktuell das Referat „Inklusive Jugendhilfe“ in der Hamburger Sozialbehörde und ver-
antwortet die inklusive Ausgestaltung der Kinder- und Jugendhilfe. Daneben ist er Dozent für
Public Management mit Schwerpunkt in sozialwissenschaftlichen Themen an der Hochschule für
Angewandte Wissenschaften Hamburg.

Matthias Hörmeyer ist Referent im Programmbereich Organisations- und Informations-


management der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt). Er
ist Experte für das kommunale Diversity Management, für prozessorientiertes kommunales
E-Government, kommunalen Bürger*innenservice, Service Design und eine nutzenzentrierte
Organisationsgestaltung. Zu diesen Themen hält er Vorträge und schreibt Artikel, Strategien sowie
Konzepte. Außerdem begleitet er Digitalisierungsprojekte im kommunalen Sektor.

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