Sie sind auf Seite 1von 94

C.S.

Lewis und die natürliche


Sittenlehre

Die Überlegenheit der objektiven Wahrheit gegenüber


einer relativistischen Wertordnung nach C.S. Lewis

Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades


einer Magistra theologiae

eingereicht von
Ulrike Schadl

bei
O. Univ. Bernhard Körner
Institut für Moraltheologie und Dogmatik
an der Kath.
der Karl

Juli 2009
Für meine Eltern

2
Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG .......................................................................................................................... 5

1. HINFÜHRUNG ZUM THEMA........................................................................................ 13

1.1 RATZINGERS SICHT DER „PLURALISTISCHEN THEOLOGIE DER RELIGIONEN“ .................. 16


1.2 DIE VERÄNDERUNGEN DER CHRISTLICHEN WAHRHEIT IM RELATIVISMUS ...................... 18
1.3 DIE DIKTATUR DES RELATIVISMUS ................................................................................. 20
1.4 VOM ATHEISTEN ZUM CHRISTEN – BIOGRAFISCHES ZU C.S. LEWIS ................................ 21
1.4.1 Elternhaus ............................................................................................................... 21
1.4.2 Schulzeit .................................................................................................................. 23
1.4.3 Der Glaubensabfall und die Suche nach der „Freude“ ......................................... 24
1.4.4 Das Wiederfinden der Freude ................................................................................. 24
1.4.5 Antike Dichtung und lebenslange Freundschaft ..................................................... 25
1.4.6 Der Kriegsdienst und seine Folgen......................................................................... 26
1.4.7 Der Weg zum christlichen Glauben ........................................................................ 27
1.4.8 Der letzte Schritt zum Christentum und die Treffen der „Inklings“ ....................... 30
1.4.9 Die Apologetik des Christentums und der „Socratic Club“ ................................... 31

2. DIE ANERKENNUNG EINES GÖTTLICHEN RECHTS ALS GARANT FÜR DIE


FREIHEIT DES MENSCHEN ............................................................................................. 33

2.1 DAS „GRÜNE BUCH“ UND DIE KONSEQUENZEN FÜR DEN MENSCHEN ............................. 33
2.1.1 Die Vermittlung von objektiven Werten durch Gefühle .......................................... 36
2.1.2 Die Entscheidung zwischen objektiven Werten und Konditionierung .................... 38
2.2 LEWIS AUFFASSUNG VON RICHTIG UND FALSCH NACH EINEM OBJEKTIV-SITTLICHEN
WISSEN ................................................................................................................................. 39
2.2.1 Begriffliche Unterscheidung von „Naturgesetz“ und „Naturrecht“ ...................... 40
2.2.2 Die Widerlegung von Einwänden gegen das Sittengesetz....................................... 41
2.2.3 Die Veranschaulichung des Sittengesetzes durch den Vergleich mit einer
Schiffsflotte....................................................................................................................... 44
2.2.4 Die Unterscheidung zwischen Sittengesetz und Trieb............................................. 45
2.2.5 Die Unterscheidung zwischen moralischem Handeln und der Aufgabe der
Psychoanalyse .................................................................................................................. 46
2.3 DER VERSUCH VON LEWIS, DIE EXISTENZ DES SITTENGESETZES AUFZUZEIGEN .............. 47
2.3.1 Die Gegenüberstellung von materialistischer und religiöser Weltanschauung...... 48
2.3.2 Eine Unterscheidung von Beweis und Beweis nach Klaus Müller.......................... 50

3
2.3.3 Die Beweisführung bei Lewis hinsichtlich einer Wirklichkeit hinter der fassbaren
Realität. ............................................................................................................................ 51
2.4 ZWEI MÖGLICHKEITEN, AN DER BEWEISFÜHRUNG VON LEWIS KRITIK ZU ÜBEN ............. 51
2.4.1. Beschreibung der „natürlichen Gotteserkenntnis“................................................ 52
2.4.2 Der Stufenbeweis von Thomas v. Aquin .................................................................. 53
2.4.3 Die Kritik an der „natürlichen Gotteserkenntnis“ nach Karl Barth ...................... 54
2.4.4 Die Kritik an der Erkennbarkeit des allgemeinen Sittengesetzes anhand Kants
Kritik der Metaphysik....................................................................................................... 55
2.4.5 Die Erkenntnistheorie bei Kant als Beleg für das Sittengesetz............................... 57
2.5 GOTT ALS TRANSZENDENTES WESEN UND VERGEBENDE PERSON ................................... 58
2.6 DIE AUFGABE UND FUNKTION DER THEOLOGIE .............................................................. 60

3. DIE DEUTUNGSVERSUCHE ZUR CHRISTLICHEN SOTERIOLOGIE BEI


LEWIS..................................................................................................................................... 62

3.1 DER „SCHOCKIERENDE“ ANSPRUCH JESU ........................................................................ 63


3.2 DER SOTERIOLOGISCHE ANSPRUCH JESU BEI C.S. LEWIS ................................................ 65
3.2.1.Der stellvertretende Tod Christi bei C.S. Lewis...................................................... 66
3.2.2. Kritik Ratzingers an der Satisfaktionslehre des Anselm von Canterbury .............. 69

4. DIE LEUGNUNG EINES GÖTTLICHEN RECHTS ALS GARANT FÜR DIE


ABSCHAFFUNG DES MENSCHEN................................................................................... 74

4.1 DER UNTERSCHIED ZWISCHEN EINER KONDITIONIERUNG UND DER ERZIEHUNG


INNERHALB DES TAO ............................................................................................................. 76

4.2 DER SIEG DES MENSCHEN ÜBER DIE NATUR ALS DER SIEG DER NATUR ÜBER DEN
MENSCHEN ............................................................................................................................ 77
4.3 RATZINGERS SICHT DES RELATIVISMUS ALS VORAUSSETZUNG DER DEMOKRATIE ......... 80
4.3.1. Freiheit als Inhalt der Demokratie......................................................................... 81
4.3.2 Die Frage nach einer objektiven Wahrheit in einer Demokratie............................ 83
4.3.3 Die Pilatus Frage – Was ist Wahrheit? Die relativistische Position...................... 83
4.3.4 Die Frage nach dem Wesen und den Grenzen des Staates ..................................... 85
4.3.5 Die metaphysische und christliche These................................................................ 86
4.3.6 Mittlere Position nach Pierre Bayle und Karl Popper ........................................... 87

5 ZUSAMMENFASSUNG .................................................................................................... 89

LITERATURVERZEICHNIS .............................................................................................. 91

4
Einleitung

Im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht das Konzept von der natürlichen Wertordnung von
C.S. Lewis. Diese Thematik wird vor dem Hintergrund der Darstellung des Relativismus von
Joseph Ratzinger aufgearbeitet.
Ratzingers Standpunkt einer objektiven christlichen Wahrheit in Bezug auf den Relativismus
bildet den äußeren Rahmen dieser Arbeit. Ratzinger sieht den Relativismus als eine der
größten Herausforderungen für das Christentum von heute. In seinem Buch „Einführung in
das Christentum“1 geht Ratzinger auf die 68-er Bewegung, den Marxismus, die
Befreiungstheologie und die Pluralistische Theologie der Religionen ein. An ihnen sieht er
eine Relativierung der christlichen Wahrheit.2 Die Bezugnahme auf Ratzinger bietet sich an,
weil er in ausgewählten Ansprachen und Publikationen gezielt auf die Kontroverse zwischen
christlichem Wahrheitsanspruch und Relativismus eingeht. Seine Meinung über den
Relativismus wurde aber auch deshalb in dieser Arbeit dargestellt, um die bereits erwähnte
Kontroverse in den politischen Kontext des 21. Jahrhunderts zu stellen. So stellt Ratzinger
also die in dieser Arbeit thematisierte Gegenüberstellung von christlichem Wahrheitsanspruch
und relativistischer Weltanschauung in einen am Beginn des 21. Jahrhunderts greifbaren
Kontext.
Lewis Ausführungen über eine göttliche Wahrheit können nun als allgemeine Betrachtungen
der Auswirkungen einer Relativierung der Wahrheit angesehen werden. Ratzinger hingegen
geht gezielt auf spezielle Spannungsfelder zwischen Wahrheit und Relativierung ein. Lewis
bietet eine grundsätzliche Darstellung, was passieren würde, wenn Relativismus alle Bereiche
des Lebens umfassen würde. Ratzinger lokalisiert die Veränderungen, die der Relativismus
mit sich bringt, in den christlichen Glaubensinhalten. Lewis fasst das Szenario weiter. Ihm
geht es um den Menschen. Der Unterscheid zwischen den Ausführungen über Ratzinger und
Lewis in der vorliegenden Arbeit können mit zwei unterschiedlichen Fragestellungen
dargestellt werden. Bei Ratzinger lautet die Frage: Wo und wie wird durch den Relativismus
die christliche Wahrheit verkant? Bei Lewis lautet die Frage: Was ist der Mensch in einer
Welt, in dem Relativismus alle Bereiche des Lebens umfasst?

Diese Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel. Das erste Kapitel ist eine Hinführung zum Thema,
die zwei Themenkomplexe beinhaltet. Der erste Themenkomplex ist, wie bereits erwähnt, die

1
Vgl. Ratzinger, Einführung in das Christentum.
2
Vgl. dazu Seite 16-20 der vorliegenden Arbeit (Kapitel 1.1 – 1.3).

5
Stellung Ratzingers zur 68-er Bewegung, dem Marxismus, der Befreiungstheologie und der
Pluralistische Theologie der Religionen. Seine Position wurde vor allem aus den Büchern
„Einführung in das Christentum“3 und „Glaube–Wahrheit–Toleranz.“4 entnommen.
Gegenüber der 68-er Bewegung ist Ratzinger der Meinung, dass ihr Auftreten und ihr Streben
nach einer gerechteren Gesellschaft einen Gegensatz zum Christentum darstellten. Ratzinger
meint, dass die Generation der 68-er Bewegung die Kirche mit ihren Glaubensinhalten und
religiösen Riten als nicht zeitgemäß betrachteten.5 Er weist darauf hin, dass diese Generation
Anstoß für die Befreiungstheologie war, die die Erlösung des Menschen nicht mehr durch
Gott glaubte, sondern durch revolutionäre Umbrüche in der Gesellschaft.6 Dem Marxismus
wirft Ratzinger vor, dass in ihm die Erlösung des Menschen durch die „Heilsmittel“7
Wirtschaft und Politik gesucht wurde. Gott hätte im Marxismus keine erlösende Funktion
mehr. Die Konsequenz aus dieser verkürzten Sicht der Realität ist für Ratzinger, dass Jesus
Christus nur noch als Sinnbild aller Leidenden gesehen werden konnte. Verborgen blieb laut
Ratzinger der Anspruch Jesu, Gottes Sohn zu sein.8
Im Zusammenhang mit der Theologie der Religionen geht Ratzinger gezielt auf das
pluralistische Modell ein. In dieser Arbeit wurde mithilfe der Literatur von Gerhard Gäde9,
Hans-Gerd Schwandt10 und André Gerth11 ein Überblick über die Theologie der Religionen
gegeben. Die Theologie der Religionen findet deshalb in dieser Arbeit Platz, weil der
pluralistische Ansatz den jeweiligen Anspruch einer Religion auf Wahrheit und Heil
relativiert. Ziel dieser Relativierung der Wahrheit ist es, allen Religionen mit ihren
Ansprüchen gerecht zu werden.12 Durch dieses Vorgehen sieht Ratzinger eine inhaltliche
Veränderung der Gestalt Christi und des Gottesbegriffes.13
Um in dieser Arbeit genau darzustellen, was Ratzinger unter Relativismus versteht, wurde auf
seine Predigt vor dem Konklave 2005 eingegangen. In dieser Predigt spricht Ratzinger davon,
dass, eine „Diktatur des Relativismus“14 herrscht. In dieser Diktatur des Relativismus würde
nichts mehr als endgültig anerkannt werden. Diese Ausführungen von Ratzinger über den
Relativismus bilden also den ersten Themenkomplex im ersten Kapitel dieser Arbeit.

3
Vgl. Ratzinger, Einführung in das Christentum.
4
Vgl. Ratzinger, Glaube–Wahrheit–Toleranz.
5
Vgl. Ratzinger, Einführung in das Christentum, 9f.
6
Vgl. Ratzinger, Glaube–Wahrheit–Toleranz, 93f.
7
Ratzinger, Einführung in das Christentum, 12.
8
Vgl. ebd., 12-14.
9
Vgl. Gäde, Viele Religionen – ein Wort Gottes.
10
Vgl. Schwandt, Vorwort.
11
Vgl. Gerth, Theologie im Angesicht der Religionen.
12
Vgl. ebd.,14.
13
Vgl. Vgl. dazu Seite 18-20 der vorliegenden Arbeit (Kapitel 1.2).
14
Vgl. Ratzinger, Joseph: Heilige Messe. Pro Eligendo Romano Pontifice, 14.

6
Der zweite Themenkomplex soll als inhaltliche Überleitung zu C.S. Lewis verstanden
werden.
Lewis, der 1898 in Belfast geboren wurde, soll in weiterer Folge in dieser Arbeit genauer
behandelt werden. Er vertrat die Meinung, dass es eine objektive Wahrheit gibt. Als ersten
Schritt wird C.S. Lewis anhand seiner biografischen Eckdaten vorgestellt. Der Inhalt für
diesen biografischen Teil, wurde vor allem aus der Autobiografie von Lewis, „Überrascht von
Freude“15 entnommen. In diesem Teil der Arbeit wurde der Weg von Lewis ‚vom Atheisten
zum Christen’ nachgezeichnet. Die inhaltliche Auseinandersetzung dieser Arbeit vom
Übergang eines Menschen, der die Existenz Gottes leugnet, zu einem, der Christ wurde,
geschah deshalb, weil auch Lewis selbst diesen Schwerpunkt in seiner Autobiografie setzt.
Dieser Schwerpunkt ist aber auch deshalb wichtig, um die weiteren Ausführungen von Lewis
über eine göttliche Wahrheit besser verstehen zu können. Aufgrund der Schwerpunktsetzung
wurde im biografischen Teil also eine inhaltliche Selektion vorgenommen: Der in der
vorliegenden Arbeit relevante Blickwinkel auf seine Biographie ist der Weg, den Lewis zu
gehen hatte, um Christ zu werden.16

Das zweite Kapitel bildet den inhaltlichen Kern dieser Arbeit. In diesem Kapitel wird anhand
der Literatur von Lewis aufgezeigt, was er unter dem Sittengesetz versteht und wie er es
beweist. Für diese Ausführungen über Lewis wurden vor allem die Bücher „Die Abschaffung
des Menschen“17 und „Pardon, Ich bin Christ“ 18 verwendet.
Zunächst wird auf ein Schulbuch verwiesen, auf welches sich Lewis selbst in „Die
Abschaffung des Menschen“ bezieht. Dieses Schulbuch wird von ihm das „grüne Buch“ 19
genannt. Anhand dieses Buches zeigt er auf, dass es zwei unterschiedliche Möglichkeiten der
Erziehung gibt. Lewis ist der Auffassung, dass Erziehung einerseits im Lichte einer
objektiven Wertordnung geschehen kann. Er bezieht sich auf Augustinus und Platon, die
beide davon ausgehen, dass Erziehung darin besteht, dem Schüler zu zeigen, was es objektiv
zu lieben und zu hassen gilt.20 Für diese Objektive Wertordnung verwendet Lewis den Begriff
„Tao“21. Erziehung kann laut Lewis andererseits aber auch darin bestehen, selbstentworfene
Werte im Schüler hervorbringen zu wollen. Das „grüne Buch“ veranschaulicht diese

15
Vgl. Lewis, Überrascht von Freude.
16
Vgl. „C.S. Lewis: Sein Leben“, in: http://www.narnialand.de [abgerufen am 14.11.2008].
17
Vgl. Lewis, Die Abschaffung des Menschen.
18
Vgl. Lewis, Pardon, Ich bin Christ.
19
Lewis, Die Abschaffung des Menschen, 13.
20
Vgl. Lewis, Die Abschaffung des Menschen, 25-27.
21
Ebd., 27.

7
Vorgangsweise. Dabei verwendet Lewis den Begriff der „Konditionierung“22. Diese
Darstellungen des „grünen Buches“ und der „Konditionierung“ wurden deshalb an den
Anfang dieses Kapitels gestellt, weil sie meines Erachtens eine gute Hinführung zum „Tao“
sind. Die Ausführungen finden aber auch deshalb hier Platz, weil sie im letzten Kapitel dafür
verwendet werden, um aufzuzeigen, was mit dem Menschen passiert, wenn er eine objektive
Wertordnung leugnet.
In weiterer Folge wird genauer auf die Auffassung von Lewis eingegangen, dass es eine
objektive Wertordnung gibt. Diese objektive Wertordnung nennt Lewis entweder „Tao“23, das
„Gesetz der menschlichen Natur“24 oder das „natürliche Sittengesetz“25. Lewis ist davon
überzeugt, dass es ein Gesetz gibt, welches dem Menschen aufgrund seines Menschsein
zukommt. Dieses Gesetz sei dem Menschen grundgelegt. Mit Beispielen aus dem Alltag zeigt
er auf, dass es in jeder Kultur zu jeder Zeit eine Vorstellung von sittlich richtig und falsch
gab. Er zeigt weiter auf, dass der Mensch um Richtig und Falsch weiß. Dass der Mensch sich
dieses Sittengesetzes bewusst ist, könne man jedoch nicht an seinen Handlungen erkennen.
Die Menschen würden meisten gegen dieses Gesetz handeln. Um dies zu veranschaulichen,
unterscheidet Lewis zwischen „Naturgesetzen“ und dem „Sittengesetz“.26 Die Natur, so
Lewis, folgt ihren Gesetzen – damit gemeint ist beispielsweise die Schwerkraft – immer
gleich. Der Mensch allerdings würde dem Sittengesetz nicht folgen. So kann durch die
Beobachtung des Menschen das Sittengesetz nicht bewiesen werden.
Um besser zu veranschaulichen, was Lewis unter dem Sittengesetz versteht, wird der
Vergleich von Lewis zwischen dem Sittengesetz und einer Schiffsflotte dargestellt. Danach
erfolgt eine Abgrenzung zu „einigen Einwänden“27 gegen das Sittengesetz. Lewis
unterscheidet das Sittengesetz vom menschlichen Trieb und der Psychoanalyse. Dabei wird
deutlich, dass das Sittengesetz von Lewis als ein unabhängiger Maßstab betrachtet wird. Ein
Maßstab, an dem Richtig und Falsch bemessen werden könne, der die Triebe ordnet und an
dem der Mensch sich orientieren kann.28 Nachdem in dieser Arbeit erklärt wurde, was Lewis
unter dem Sittengesetz versteht, wird in einem zweiten Schritt aufgezeigt, wie er es beweist.
Zunächst stellt Lewis die religiöse Auffassung über die Entstehung der Welt mit der
materialistischen Weltanschauung gegenüber.29 In diesem Abschnitt wird herausgearbeitet,

22
Ebd., 31.
23
Ebd., 27
24
Lewis, Pardon, Ich bin Christ, 17.
25
Ebd., 19.
26
Vgl. dazu Seite 40-41 der vorliegenden Arbeit (Kapitel2.2.1).
27
Lewis. Pardon, Ich bin Christ, 22.
28
Vgl. dazu Seite 44-45 der vorliegenden Arbeit (Kapitel 2.2.3 und 2.2.4).
29
Vgl. dazu Seite 48 der vorliegenden Arbeit (Kapitel 2.3.1).

8
dass Lewis mit Vernunftgründen eine Wirklichkeit hinter der fassbaren Wirklichkeit
voraussetzt. Gegenüber der materialistischen Weltanschauung, die in dieser Arbeit mit dem
Stichwort „Zufall“30 skizziert wird, findet Lewis die Erklärung über die Entstehung der Welt
auf dem Hintergrund einer Transzendenz. Dabei zeigt Lewis auf, dass es absolut vernünftig
ist, von einer Wirklichkeit hinter der fassbaren Wirklichkeit auszugehen. Da Lewis’
Beweisführung mit den Mitteln der Vernunft vollzogen wird, kann sie als „natürliche
Gotteserkenntnis“31 bezeichnet werden. In dieser Arbeit wird also das vernünftige Aufzeigen
einer Transzendenz von Lewis mit einer bereits vorhandenen Tradition, Gott beweisen zu
wollen, gleichgesetzt. Die Grundvoraussetzung bei der „natürlichen Gotteserkenntnis“ als
auch bei den Ausführungen von Lewis ist, dass die Vernunft so weit reicht, dass sie Gott
erkennen kann. Um ein traditionelles Beispiel für eine “natürliche Gotteserkenntnis“
darzustellen, wird auf Thomas von Aquin und dessen Beweis der Seinsstufen verwiesen.
Hierbei werden nochmals die Parallelen zwischen der Beweisführung von Lewis hinsichtlich
einer Transzendenz und der „natürlichen Gotteserkenntnis“ herausgearbeitet.
Das ‚Werkzeug’ der „natürlichen Gotteserkenntnis“ ist die Vernunft. Im Gegensatz zu den
Naturwissenschaften kann man das zu Beweisende jedoch nicht beobachten, messen oder
berechnen. Es wird auf dem Weg vernünftiger Argumente aufgezeigt, dass es Gott gibt. In
dieser Arbeit wird auf den Theologen Klaus Müller verwiesen, der in seinem Buch „Gott
erkennen. Das Abenteuer der Gottesbeweise“32 zwischen ‚Beweis und Beweis’ unterscheidet.
Der Bezug auf Müller wurde in dieser Arbeit deshalb hergestellt, um aufzuzeigen, dass keine
Beweisführung voraussetzungslos ist. Die Kritik an einem Beweis kann laut Müller daher auf
zweierlei Weise vollzogen werden: Es könne entweder die logische Schlussfolgerung
kritisiert werden oder es könnten bereits die Grundvoraussetzungen der Beweisführung nicht
anerkannt werden.33
Der nächste Schritt in dieser Arbeit widmet sich der indirekten Kritik an Lewis. Indirekt
deshalb, weil nicht Lewis selbst kritisiert wird, sondern die „natürliche Gotteserkenntnis“.
Diese Kritik wird auf zweierlei Art vollzogen: Die erste Kritik geht vom protestantischen
Theologen Karl Barth aus, der die „natürliche Gotteserkenntnis“ kritisiert. Laut ihm ist die
Vernunft durch die Erbsünde so weit in Mitleidenschaft gezogen worden, dass es für sie
unmöglich wäre, etwas von Gott zu erkennen. Nur durch die Offenbarung könne Gott erkannt
werden.34 Diese Kritik findet auf religiösem Boden statt.

30
Lewis. Pardon, Ich bin Christ, 33.
31
Vgl. Kapitel 2.4.1
32
Vgl. Müller, Gott erkennen.
33
Vgl. dazu Seite 50 der vorliegenden Arbeit (Kapitel2.3.2).
34
Vgl. Müller, Gott erkennen, 15.

9
Die zweite Kritik ist ebenso eine indirekte Kritik an Lewis. Hierbei wird der Frage
nachgegangen, ob die Vernunft prinzipiell so weit reicht, um eine Transzendenz zu erkennen.
Diese Kritik befindet sich im Bereich der Erkenntnisphilosophie. Hierbei wird auf Immanuel
Kant Bezug genommen. Die Metaphysikkritik von Kant beinhaltet den Vorwurf, dass die
Vernunft ohne Erfahrung begrenzt ist, und der Mensch somit keine erfahrungsenthobene
Transzendenz erkennen kann. Es wurde auf Kants „Kritik der reinen Vernunft“35 und auf die
„Kritik der praktischen Vernunft“36 zurückgegriffen. In dieser Kritik findet sich auch das
Sittengesetz wieder. Kant gesteht ein, dass das Wissen um das Sittengesetz das einzige
Wissen sei, welches dem Menschen prinzipiell, d.h. auch ohne Erfahrung bekannt ist.37
Diese ‚gescheiterte’ Kritik an der Überzeugung von Lewis, dass es ein Sittengesetz gibt,
bietet jedoch die Grundvoraussetzung für den nächsten Schritt in dieser Arbeit. Es wird der
inhaltliche Sprung, den Lewis vollzieht, beschrieben. Lewis beginnt hier, den Gott des
Christentums als den Grund des Sittengesetzes zu beschreiben. Für Lewis ist das Sittengesetz
das göttliche Gesetz. Erst wenn der Mensch begriffen habe, dass es ein Gesetz Gottes gibt und
der Mensch mit seinen Handlungen gegen dieses Gesetz verstoßen habe, würde der Inhalt des
Christentums begreiflich werden.38
Da Lewis seine Ausführungen immer mit einfachen Begriffen und Beispielen beschreibt, wird
der Inhalt der Theologie im Allgemeinen, welcher meist mit abstrakten und komplizierten
Begriffen arbeitet, beleuchtet werden. Lewis misst der Theologie eine wichtige Aufgabe zu,
nämlich, all die persönlichen Erfahrungen der Menschen mit Gott in eine einheitliche Sprache
zu fassen und diese Erfahrungen wissenschaftlich zu ordnen.39 Die Ausführung von Lewis
über die Theologie werden deshalb in dieser Arbeit dargestellt, um den Inhalt des nächsten
Kapitels besser verstehen zu können.
Das dritte Kapitel geht der Frage nach, warum Gott im Christentum Mensch wurde. Diese
Frage kann aber nur auf dem Hintergrund der Anerkennung des Sittengesetzes beantwortet
werden. Lewis beschreibt den Sündenfall als den Versuch des Menschen, zu sein wie Gott.
Der Mensch habe also nach absoluter Unabhängigkeit von Gott gestrebt. Dieser Versuch des
Menschen bildet den größten Verstoß gegen das Sittengesetz.40 In dieser Arbeit wird in
weiterer Folge herausgearbeitet, wie Gott auf den Verstoß des Menschen laut Lewis reagiert

35
Vgl. Kant, KrV B 669. Diese Angabe bezieht sich auf die 1911 erschienene Ausgabe der zweiten Auflage der
„Kritik der reinen Vernunft“ im Rahmen der von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu
Berlin herausgegeben Gesamtausgabe von Kants Schriften.
36
Vgl. Kant, KpV A 55-56. Diese Angabe bezieht sich auf die im Rahmen des von Wilhelm Weischedel
herausgegebenen Gesamtwerks von Kant erschienene Ausgabe der „Kritik der praktischen Vernunft“.
37
Vgl. dazu Seite 55-57 der vorliegenden Arbeit (Kapitel 2.4.4).
38
Vgl. Lewis, Pardon, Ich bin Christ, 41.
39
Vgl. dazu Seite 60 der vorliegenden Arbeit (Kapitel 2.6).
40
Vgl. dazu Seite 62-69 der vorliegenden Arbeit (Kapitel 3).

10
hat. Die Schuld des Menschen ist laut Lewis so groß, dass Gott dem Menschen
entgegenkommen müsse, um ihn in den ursprünglichen Zustand seines Menschseins mit Gott
zurückbringen zu können. Der Inhalt dieses Kapitels kann mit einer Frage zusammengefasst
werden: Wie kann die Schuld des Menschen, gegen das Sittengesetz verstoßen zu haben,
getilgt werden? In einem weiteren Schritt dieser Arbeit werden die Gedanken von Lewis über
die Stellung Jesu Christi Gehör finden.
Lewis verweist auf den Anspruch Jesu, Allen ihre Sünden vergeben zu können. Da die Schuld
des Menschen, gegen Gott verstoßen zu haben, zu groß ist, um sie selbst wieder gut zu
machen, müsse Gott selbst diese Schuld tilgen. Gott muss laut Lewis selbst Mensch werden,
um das Gesetz wieder herzustellen. Jesus Christus müsse stellvertretend für alle Menschen
den schweren Weg der Wiedergutmachung gehen. Anhand dieser soteriologischen Deutung
des Todes Christi bei Lewis wird in dieser Arbeit auf die Parallelitäten zwischen Lewis und
der Satisfaktionstheorie des Anselm von Canterbury eingegangen. Die entscheidende
Parallele ist, dass Jesus sterben musste, um die Ordnung Gottes wiederherzustellen. An dieser
Stelle wird auf Ratzinger verwiesen, der die Satisfaktionslehre als eindimensional
betrachtet.41 Es folgt eine Kritik von Ratzinger an der Anselm’schen Soteriologie, welche
wieder als indirekte Kritik an Lewis gesehen werden soll. Mithilfe der Kritik von Ratzinger
wird dargestellt, dass die Person Christi und sein Werk nicht voneinander getrennt betrachtet
werden dürfen. Die inhaltlichen Ergänzungen bezüglich der Satisfaktionstheorie werden u. a.
anhand der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils „Gaudium et Spes“42 und
der päpstlichen Enzyklika „Deus caritas est“43 vorgenommen.

Im vierten Kapitel wird der Frage von Lewis nachgegangen, was passieren würde, wenn der
Mensch das Sittengesetz leugnet. Die dafür verwendete Literatur ist „Die Abschaffung des
Menschen“44. Darin befinden sich die Gedanken von Lewis, dass der Mensch danach strebt,
Macht über die Natur zu bekommen. Es wird die Auffassung von Lewis aufgezeigt, dass die
Macht des Menschen über die Natur immer die Macht weniger Menschen über viele bedeutet.
Die Gruppe der Machthabenden nennt Lewis, die „Konditionierer“.45 Die „Konditionierer“
würden durch ihr Vorhaben, macht über die Natur zu erlangen, das „Tao“ leugnen. Das
Vorhaben des Menschen absolute Macht über die Natur zu erlangen und das „Tao“ zu

41
Vgl. dazu Seite 69 der vorliegenden Arbeit (Kapitel 3.2.2).
42
Vgl. GS
43
Vgl. Benedikt XVI.: Deus Caritas est (25.1.2006).
44
Vgl. Lewis, Die Abschaffung des Menschen.
45
Lewis, Die Abschaffung des Menschen, 31.

11
leugnet, erweist sich bei einer logischen Schlussfolgerung als der Sieg der Natur über den
Menschen.
Die Ausführungen über Lewis enden nach dieser Darstellung des vermeintlichen Sieges des
Menschen über die Natur. Dieses vierte Kapitel setzt die Thematik des Relativismus
zusätzlich in einen für das 21. Jahrhundert aktuellen Kontext. Dabei wird Ratzingers Sicht
über Demokratie und Wahrheitsfrage dargestellt. In seinem Artikel „Was ist Wahrheit?“46
geht Ratzinger der Frage nach, inwieweit objektive Wahrheit mit Demokratie vereinbar ist. Es
werden drei Modelle dargestellt, wie man mit Wahrheit in der Demokratie umgehen kann.
Dabei wird die relativistische Position von Hans Kelsen skizziert, der davon ausgeht, dass
Wahrheit nur durch die ‚Mehrheitsentscheidung’ gefunden wird. Bei diesem Modell dient der
Staat dazu, Wahrheit zu schaffen. Die metaphysische und christliche These hingegen geht
davon aus, dass Wahrheit vom Staat nicht geschaffen werden kann. Die platonischen
Gedanken finden hier Einzug. Ratzinger bezieht sich noch auf eine vermittelnde Position, in
der sowohl die göttliche Wahrheit als auch die vom Staat geschaffene Wahrheit Gehör finden.
Das letzte Kapitel fasst die umfassenden Ausführungen der Sittenlehre nach CS. Lewis vor
dem Hintergrund einer relativistischen Weltanschauung nach Joseph Ratzinger pointiert
zusammen.

46
Vgl Ratzinger, Was ist Wahrheit?

12
1. Hinführung zum Thema

In der Neuauflage seiner „Einführung in das Christentum“ 47 geht Josef Kardinal Ratzinger im
Vorwort auf die „Zeichen der Zeit“ ein. Diese sieht er an einer immer größer werdenden Kluft
zwischen Christentum und Gesellschaft und vor allem an einem Nebeneinander von
Christentum und einem subjektiven Erleben von Religion. Als eine der größten
Herausforderungen sieht er den Relativismus, der für ihn keinesfalls mit dem Christentum
vereinbar ist. Als Beispiele für eine Relativierung der christlichen Glaubensinhalte nennt er
die 68er-Bewegung, den Marxismus, die Befreiungstheologie und die Pluralistische
Theologie der Religionen. Zeitlich erscheinen ihm die Jahre 1968, das Auftreten der 68er
Bewegung, und 1989, der Zusammenbruch der sozialistischen Regime in Europa, als
markante Daten, an denen sich die Entwicklungen des letzten Jahrtausends festmachen lassen.
Die nächsten Seiten werden sich mit Ratzingers Sicht auf den Relativismus hinsichtlich der
christlichen Glaubensinhalte beschäftigen.
Für Ratzinger will die 68er-Bewegung, deren bunte Farben, laute Schreie und
Demonstrationen sich in die Köpfe der Menschen eingebrannt haben, noch heute nachhaltig,
vor allem in Europa, zahlreiche Menschen den Geist der Freiheit spüren lassen. Doch das
farbenvolle Auftreten dieser Generation soll nicht den wesentlichen Kern dieser Bewegung
verdecken: Die ungerechte Verteilung des Wohlstands nach dem Krieg, das kapitalistische
Denken, gesellschaftliche Konformität innerhalb der Staaten und elitäre Entwicklungen auch
nach dem Hitler-Regime nahmen die 68er zum Anlass, ihre Stimmen für eine gerechtere und
freiere Gesellschaft zu erheben. Individualität und Autonomie in den einzelnen
Lebensentwürfen, mehr Solidarität in der Gesellschaft und die Selbstbestimmung über den
eigenen Körper sind nur einige Schlagwörter, welche in Gesängen und auf Bannern auf den
Straßen propagiert wurden.48
Ratzinger verweist darauf, dass die 68er Bewegung mit ihren politischen Inhalten einen
Gegensatz zum Christentum darstellten. Gott, eine Religion der Offenbarung und vor allem
die Kirche wurden als nicht zeitgemäß betrachtet. Es gab keinen Platz für religiöse Werte und
religiöse Riten. In Marx und seinem Denken glaubten die Vertreter der 68er-Bewegung, den
neuen Weg gefunden zu haben.49 Ratzinger zeigt auf, dass die 68er Bewegung und deren
politische Folgen die Erlösung des Menschen nicht im Jenseits durch Gottes Gnade glaubten,

47
Vgl. Ratzinger, Einführung in das Christentum.
48
Vgl. ebd., 9f.
49
Vgl. Ratzinger, Glaube–Wahrheit–Toleranz, 93f.

13
sondern nur im Kampf gegen politische Systeme im Diesseits. Die Strukturen des Unrechts
galt es also zu bekämpfen.50 Ratzinger meint, dass der so genannte ‚Ostblock’ und dessen
Zusammenbruch als gescheitertes Erbe der Grundgedanken von einer diesseitiger
Erlösungstheorie gesehen werden könne. „Das Jahr 1989 brachte den überraschenden
Zusammenbruch der sozialistischen Regime in Europa, die ein trauriges Erbe zerstörter Erde
und zerstörter Seelen hinterließen.“51
Doch der politische Fall einer Gesellschaft, deren Maxime Freiheit für den Menschen,
absolute Gerechtigkeit für jeden und die Gleichheit aller als Inhalt hatte, führte laut Ratzinger
nicht dazu, das Christentum als „epochale Alternative“52 wieder in der europäische
Gesellschaft zu etablieren. Laut Ratzinger schien die marxistische Heilslehre für die
Menschen die einzige Wegweisung in die Zukunft.53
Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) setzte einige Versuche, das Christentum wieder
aus dem Bereich des Privaten zurück in die Öffentlichkeit zu bringen. „Für den Stand des
Christentums in der Zeit wurde vor allem der Gedanke eines neuen Verhältnisses von Kirche
und Welt wirksam.“54 Die Kirche wollte auf die Welt zugehen und die Ängste und Nöte der
Menschen ernst nehmen. Ratzinger verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff des
„Sich-Einlassen“55. Die Kirche wollte sich auf die Menschen und ihre Situation einlassen. Es
sollte ein neues Verhältnis zwischen Kirche und Welt entstehen. Durch diesen Gedanken des
„Sich-Einlassen“ sahen katholische und evangelische Studenten in und außerhalb Europas die
Zeit gekommen, um durch revolutionäre Umbrüche zu einem besseren gesellschaftlichen
Miteinander zu finden.56 „Aber eigentlich gezündet hat der Blitz dieser neuen Umsetzung von
Ideen in Praxis, dieser neuen Verschmelzung von christlichem Impuls und weltlich
politischen Handeln in Lateinamerika.“57
Ratzinger zeigt auf, dass getragen von diesen Grundgedanken eine Theologie der Befreiung
entstand. Er räumt ein, dass nicht von der Hand zu weisen war, dass in diesen Ländern Armut
und Unterdrückung herrschten. Da diese Ungerechtigkeiten zudem in katholischen Ländern
stattfanden, konnte und musste die katholische Kirche dort den Handlungsbedarf stillen. Der
Glaube musste dort Garant für Gerechtigkeit sein. Die Umsetzung konnte keinesfalls als

50
Vgl. Ratzinger, Glaube–Wahrheit–Toleranz, 93.
51
Ratzinger, Einführung in das Christentum, 9.
52
Ebd., 9.
53
Vgl. ebd., 10.
54
Ebd., 11.
55
Ebd.,11.
56
Vgl. ebd., 12.
57
Ebd., 13.

14
schneller revolutionärer Akt vollzogen werden, weshalb sich die Frage nach dem ‚Wie’ stellte.
Das ‚Wie’ wurde in der Philosophie von Marx gefunden.58
Dazu meint Ratzinger:
„Wer aber Marx (in welchen neomarxistischen Variationen auch immer) als den
Vertreter der Weltvernunft aufnimmt, der nimmt nicht eine Philosophie, eine Vision
über Herkunft und Sinn des Daseins an, sondern der übernimmt vor allem eine Praxis.
Denn diese ‚Philosophie’ ist wesentlich eine ‚Praxis’, die erst ‚Wahrheit’ schafft, nicht
eine solche voraussetzt.“59 Mit anderen Worten heißt dies, dass Ratzinger darauf
verweist, dass der Marxismus keine göttliche Wahrheit voraussetzt, sondern durch sein
politisches System erst eine Wahrheit schafft. Die Wahrheit im Marxismus ist demnach
keine objektive, sondern eine selbstgeschaffene Wahrheit.
Die Konsequenz daraus war laut Ratzinger, dass Marx zum Philosophen der Theologie
erhoben wurde und die Erlösung des Menschen durch die „Heilsmittel“60 Wirtschaft und
Politik garantiert wurde. Gott hatte in dieser rein materialistischen Realität keine ‚praktische’,
d.h. keine erlösende Funktion mehr. Jesus Christus konnte in dieser verkürzten Sicht der
Realität nur noch als Sinnbild aller Leidenden gedeutet werden und keinesfalls als der Sohn
Gottes. Verborgen blieb der gesamte Kern der christlichen Religion. Nicht zu übersehen ist
jedoch, dass das Christentum wieder in die Öffentlichkeit gelangte und vor allem, dass es den
Unterdrückten Halt bot.61 Ratzinger sieht durch das Auftreten der 68er Bewegung und im
Marxismus das Christentum in seiner Wahrheit relativiert.
Ratzinger benennt Relativismus als das zentrale Problem für den Glauben in der heutigen
Stunde. Im Bereich der Religion vertritt er eine klare Stellung, die den Relativismus
keinesfalls als zielführend sieht, sondern eher als einen Weg, der das Ziel nicht erkennt, der
kein Ziel annimmt. Für ihn stellt sich die Frage, ob die Christenheit als Ganze nicht mit den
gleichen Gedanken der Funktionslosigkeit Gottes lebt. Im politischen Bereich, so Ratzinger,
bietet der Relativismus eine philosophische Grundlage in einer Demokratie, denn ein
politisches System der Freiheit beruht eben genau auf diesen Grundlagen: Freiheit, offener
Dialog, gemeinsames Arbeiten zu einem Besseren hin.62 „Man kann demnach im politisch-
gesellschaftlichen Bereich dem Relativismus ein gewisses Recht nicht absprechen. Das
Problem beruht darauf, dass es sich selbst grenzenlos setzt.“63

58
Vgl. ebd., 12.
59
Ebd., 13.
60
Ebd., 12.
61
Vgl. ebd., 12-14.
62
Vgl. Ratzinger, Einführung in das Christentum,12-15.
63
Ratzinger, Glaube–Wahrheit–Toleranz,95.

15
1.1 Ratzingers Sicht der „Pluralistischen Theologie der Religionen“

In Bezug auf den Relativismus hinsichtlich der christlichen Religion verweist Ratzinger auf
den Bereich der Theologie der Religionen und vor allem auf den pluralistischen Ansatz,
welcher das theologische Gespräch zu weiten Teilen in der heutigen Zeit bestimmt. Die
pluralistische Theologie der Religionen ist nach Ratzinger ein Produkt der westlichen Welt
und deren philosophischen Denkformen, berühre aber auch die philosophischen Denkformen
und religiösen Vorstellungen Indiens, „so dass gerade die Berührung der beiden Welten ihr im
gegenwärtigen geschichtlichen Augenblick eine besondere Stoßkraft gibt.“64
Bevor Ratzingers Position zur pluralistischen Theologie der Religionen erläutert wird, soll die
Theologie der Religionen anhand der Gedanken von Gerhard Gäde skizziert werden.
Der Theologe Gerhard Gäde meint, „dass im gegenwärtigen Kontext einer pluralen Welt, in
dem unterschiedlichste Weltanschauungen, Verhaltensmuster, Meinungen Anspruch auf
gleichberechtigte Behandlung erheben und in dem eine deutliche Abneigung gegen
Unbedingtes zu konstatieren ist […]65, sich objektive religiöse Wahrheitsansprüche von selbst
verbieten würden. Der Anspruch des Christentums auf Wahrheit und Erlösung für den
Menschen sind laut Gäde heute kaum noch mit einer pluralistischen Gesellschaft zu vereinen.
Der Vorwurf der Vereinnahmung und der Intoleranz würde im Raum stehen. Der Inhalt der
Theologie der Religionen ist eine Verhältnisbestimmung zwischen dem Christentum und
anderen Religionen. Stein des Anstoßes in der Theologie der Religionen ist die Frage nach
66
dem Heil und der Wahrheit in den einzelnen Religionen Gäde sieht die Herausforderung
darin, eine Religionstheologie zu entwerfen, deren Inhalt und Ziel es ist, allen Religionen mit
ihren jeweiligen Ansprüchen gerecht zu werden. Die Vermeidung einer Relativierung des
christlichen Wahrheitsanspruchs erscheint Gäde als eine der größten Herausforderungen in
einer pluralistischen Gesellschaft.67
Auch der Theologe André Gerth benennt die Theologie der Religionen als eine
Verhältnisbestimmung des Christentums zu den anderen Religionen. Wie auch Gäde sieht
Gerth die Problematik in der Wahrheits- und Heilsfrage der einzelnen Religionen verankert.68
„Verfügen andere Religionen auch über wahre Gotteserkenntnis? Sind sie auch Heilswege?
Wenn nicht, warum? Wenn ja, inwieweit? Es stellt sich die Frage nach der Gültigkeit des
christlichen Wahrheits- und Heilsanspruch in Anbetracht ebensolcher Ansprüche seitens der

64
Ebd., 96.
65
Gäde, Viele Religionen ein Wort, 15.
66
Vgl. ebd., 15-16.
67
Vgl. ebd., 15-16.
68
Vgl. Gerth, Theologie im Angesicht der Religionen, 13.

16
anderen Religionen.“69 Der Wahrheits- und Heilsanspruch der christlichen Religion wird in
seiner Gültigkeit auf eine harte Probe gestellt. Das katholische “Extra Ecclesiam nulla salus“
erscheint in der pluralistischen Theologie der Religionen als zu eng, zu intolerant.
In der Theologie der Religionen haben sich mittlerweile drei Relationsmodelle
herausgebildet, in denen die Eigenschaften des Christentums und die der anderen Religionen
formal in den Blick genommen werden:70
• Das exklusivistische Relationsmodell besagt, dass nur einer Religion Eigenschaften
wie beispielsweise wahre Gotteserkenntnis zukommen. Diese Eigenschaften würden
den anderen Religionen fehlen.
• Das inklusivistische Relationsmodell ist ein Modell der graduellen Unterscheidung.
Eine Religion besitzt eine Eigenschaft, z.B. Heilseffizienz, die anderen Religionen
besitzen diese Eigenschaft ebenso, aber immer in einer niederen Form.71 Das beste
Beispiel für ein inklusivistisches Relationsmodell ist – nach Gerth – das im Zweiten
Vatikanischen Konzil entstandene Dokument „Nostra Aetate“. Es ist eine Erklärung
über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. So wird in dieser
Erklärung zwar „das Wahre und das Heilige in den Religionen gewürdigt, gleichzeitig
aber […] zum Ausdruck gebracht, dass das Christentum ‚die Fülle des religiösen
Lebens’ in sich birgt.“72
• Das pluralistische Relationsmodell, auf welches Ratzinger immer wieder kritisch
verweist, beinhaltet, dass mindestens zwei Religionen gleichen Anspruch auf eine
Eigenschaft erheben können.73
Der Religionsphilosoph John Hick kann als Wegbereiter dieses dritten Modells betrachtet
werden. Hick relativiert den jeweiligen Wahrheitsanspruch, um allen Religionen gerecht zu
werden. „Alle großen religiösen Traditionen dürfen sich danach als wahre Manifestationen
einer transzendenten Wirklichkeit verstehen.“74
Der pluralistische Ansatz der Theologie der Religionen stellt für das Christentum eine
Herausforderung dar. Das Christentum erhebt den Anspruch auf die tatsächliche, verbindliche
und gültige Wahrheit, welche es in der Gestalt Jesu Christi findet.75 Dieser
Wahrheitsanspruch würde nach Ratzinger durch den pluralistischen Ansatz relativiert werden.

69
Gerth, Theologie im Angesicht der Religionen, 13.
70
Vgl. ebd., 14f.
71
Vgl. ebd., 14.
72
Schwandt, Pluralistische Theologie der Religionen, 7.
73
Vgl. Gerth, Theologie im Angesicht der Religionen, 14.
74
Gäde, Viele Religionen – ein Wort, 17.
75
Vgl. Ratzinger, Glaube–Wahrheit–Toleranz, 97.

17
Hinsichtlich dieser Gedanken stellt Joseph Ratzinger nun die Frage, wer in einer
pluralistischen Gesellschaft noch den Anspruch einer objektiven und absoluten Wahrheit
erheben könne. Weiters wirft er die Frage auf, ob die Sicht des Christentums und vor allem
die der katholischen Kirche nicht den Geist der Neuzeit mit ihren Inhalten der Toleranz und
der Freiheit verfehle. Mit diesen Fragestellungen lässt sich für Ratzinger sehr schnell die
Notwenigkeit eines dogmatisierten Glaubens und eines Christentums, welches sich im
Diesseits institutionalisiert hat, kritisch betrachten. Denn der moderne Mensch gehe von der
Grundannahme aus, dass das verborgene Geheimnis, das Transzendente, sich nicht in einer
einzigen Offenbarungsgestalt zeigt. Alles sei nur bruchstückhaft zugänglich und könne daher
nur Symbol für das Unendliche sein, welchem der Mensch demütig gegenüber steht.76
Ratzinger sagt:
„Mit solcher Relativierung verbindet sich der Gedanke des großen Friedens der
Religionen, die sich gegenseitig als unterschiedliche Weisen der Spiegelung des einen
Ewigen anerkennen und dem Menschen freistellen sollten, auf welchen Wegen er sich
zu dem sie doch alle Verbindenden durchtastet.“77
Er sieht durch diesen Relativierungsprozess die Gefahr einer Fehldeutung der Gestalt Christi
und des Gottesbegriffes.

1.2 Die Veränderungen der christlichen Wahrheit im Relativismus

Wenn sich Christen zu ihrem Gott bekennen, sagen sie:


„Wir glauben an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem
Vater geboren aus aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren
Gott, gezeugt nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater.“78
Inhalt des christlichen Glaubens ist demnach, dass Jesus Christus Gottes einziger Sohn ist. Er
stellt hier keine Symbolfigur dar, sondern er, das Wort Gottes, ist Fleisch geworden, ist
Mensch geworden. Gott wurde uns in der Gestalt Christi zugänglich, er hat sich uns in seinem
Sohn, in Jesus Christus offenbart. Laut Ratzinger wird dieser Kern, „das nach allen Seiten hin
ausstrahlende und allen anderen Aussagen ihren Ort zuweisende Zentrum“79 durch den
pluralistische Ansatz relativiert. Die Menschwerdung Gottes und der damit verbundene
Wahrheitsanspruch wird laut Ratzinger durch den Relativierungsprozess seiner Absolutheit

76
Vgl. Ratzinger, Einführung in das Christentum, 18.
77
Ebd., 18.
78
Glaubensbekenntnis des ersten Konzils von Konstantinopel, 150.
79
Katholischer Erwachsenenkatechismus. Bd. 1, 143.

18
beraubt. „Christus wird aus dem Menschen, der Gott ist, zu einem, der Gott in besonderer
Weise erfahren hat.“80 Die Einzigartigkeit der Person Christi wird hier, aus der Sicht
Ratzingers, in Frage gestellt. Folgendem Ausspruch aus dem Johannesevangelium kann nicht
mehr die Bedeutung zukommen, die er zum Ausdruck bringt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit
und das Leben“ (Joh14,6)81. Der Unterschied zwischen einem Christus, der wahrhaft Gott ist,
und einem Christus, der Gott erfahren hat, ist nun deutlich. Im Christentum kommt es gerade
auf die Person Christi an, dass dieses „ich Jesu reine Verwiesenheit auf das Du des Vaters ist,
nicht in sich selbst steht, sondern eben wirklich ‚Weg’ ist.“82 Die Einzigartigkeit und der
damit verbundene absolute Wahrheitsanspruch stehen hier ohne Zweifel im Gegensatz zu
einer pluralistischen Theologie der Religionen, in der es viele unterschiedliche Wege Gottes
mit gleichem Grad an Wahrheit geben kann.
Ein weiteres Problem sieht Ratzinger in der grundlegenden Veränderung des Gottesbegriffes.
Ausgangspunkt ist die Frage, ob Gott personal oder apersonal zu denken ist. Diese Frage stellt
sich aber nicht erst seit dem Aufkommen der Theologie der Religionen, sondern sie berührt
sehr viele gläubige Christinnen und Christen bereits länger. Da das Geheimnis Gottes unseren
Wissenshorizont weit überschreitet, ist die Frage nach dem Personsein Gottes für viele schwer
oder gar nicht zu beantworten. Doch hier geht es nicht um eine genaue Definition Gottes,
sondern um das Herzstück des Glaubens der Heiligen Schrift. Personsein Gottes bedeutet,
dass es einen Namen Gottes gibt. Es bedeutet, dass der Mensch eine positive Beziehung zu
seinem Schöpfer hat. Eine Beziehung, in der es möglich ist, zu einem Du zu beten, es zu
preisen, zu loben oder es anzuflehen. Hierzu sagt Ratzinger: „Wo Gott, wie im Buddhismus,
ganz unpersönlich gefasst ist, als das reine Nicht im Verhältnis zu allem, was uns wirklich
erscheint, da gibt es keine positive Weltbeziehung ‚Gottes’.“83 Religion ist in dieser
Vorstellung nur ein Weg zur Überwindung der Welt. Welt ist hier keine Schöpfung, in der es
verantwortungsvoll zu leben gilt, sondern nur noch Last, die man versucht zu überwinden.
Das Christentum selbst kann nicht den Wahrheitsanspruch ablegen, auf den es gegründet
wurde. Im Umgang mit dem Relativismus kann nur gemeinsamer Dialog helfen, sich der
Gegensätzlichkeiten bewusst zu werden. Durch dieses Bewusstsein kann man seine eigenen
Grenzen und die des anderen erkennen und anerkennen.

80
Ratzinger, Einführung in das Christentum, 19.
81
Zitiert nach der Einheitsübersetzung.
82
Ratzinger, Einführung in das Christentum, 19.
83
Ebd., 21.

19
1.3 Die Diktatur des Relativismus

Was Ratzinger mit dem Relativismus meint, stellt er selbst nicht zuletzt anschaulich in der
Predigt vor dem Konklave 2005 dar. In dieser Predigt geht Ratzinger konkret auf die Stelle im
Epheserbrief ein, in der Paulus mahnt, Erwachsene im Glauben zu sein und nicht zu sein „wie
unmündige Kinder, ein Spiel der Wellen, hin und her getrieben von jedem Widerstreit der
Meinungen, dem Betrug der Menschen ausgeliefert, der Verschlagenheit, die in die Irre führt“
(Eph 4,14-15). Ratzinger überträgt die Worte im Epheserbrief in den Kontext für den Christen
von heute, welcher sich im Umfeld von vielen Glaubensmeinungen sieht.
Er sagt:
„Wie viele Glaubensmeinungen haben wir in diesen letzten Jahrzehnten
kennengelernt, wie viele ideologische Strömungen, wie viele Denkweisen… Das
kleine Boot des Denkens vieler Christen ist nicht selten von diesen Wogen zum
Schwanken gebracht, von einem Extrem ins andere geworfen worden: vom
Marxismus zum Liberalismus bis hin zum Libertinismus; vom Kollektivismus zum
radikalen Individualismus; vom Atheismus zu einem vagen religiösen Mystizismus;
vom Agnostizismus zum Synkretismus, und so weiter. Jeden Tag entstehen neue
Sekten, und dabei tritt ein, was der hl. Paulus über den Betrug unter den Menschen
und über die irreführende Verschlagenheit gesagt hat (vgl. Eph 4,14). Einen klaren
Glauben nach dem Credo der Kirche zu haben, wird oft als Fundamentalismus
abgestempelt, wohingegen der Relativismus, das sich ‚vom Windstoß irgendeiner
Lehrmeinung Hin-und-hertreiben-lassen‘, als die heutzutage einzige zeitgemäße
Haltung erscheint. Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig
anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten läßt.“84
Der Umgang des Christentums mit dem Relativismus stellt laut Ratzinger eine der größten
Herausforderungen dar. Die Frage, wie mit einer Position umgegangen werden soll, die
jeglichen Wahrheitsanspruch zu relativieren versucht, wurde hier in dieser Arbeit nicht
beantwortet. Es wurde hier lediglich die Meinung Ratzingers bezüglich des Relativismus
dargestellt.

Diese Arbeit befasst sich in weiterer Folge mit den Gedanken von C.S. Lewis, dessen
Anliegen es ist, die Realität einer göttlichen Wahrheit aufzuzeigen. Lewis stellt sich der
Problematik des Relativismus. Unter anderem will er aufzeigen, dass sich der Mensch selbst
verfehlen würde, wenn er nicht mehr das anerkennt, was ihm auf Grund seiner Natur
84
Ratzinger, Joseph: Heilige Messe. Pro Eligendo Romano Pontifice, 14

20
zukommt: Die göttliche Wahrheit. Für Lewis gehört diese göttliche Wahrheit unweigerlich
zum Menschsein dazu. Nur durch die Anerkennung dieser Wahrheit könne der Mensch um
Richtig und Falsch wissen und sein wahres Menschsein entfalten. Jeder Versuch, diese
Wahrheit zu leugnen, würde zur Entartung des Menschen führen. Durch eine Darstellung
biographischer Eckdaten soll C.S. Lewis zuerst einmal vorgestellt werden.

1.4 Vom Atheisten zum Christen – Biografisches zu C.S. Lewis

1.4.1 Elternhaus

Clive Staples Lewis wird am 29. November 1898 in Belfast als Sohn eines Rechtsanwalts
namens Albert J. Lewis und Florence Augusta Hamilton Lewis, einer Pfarrerstochter,
geboren.
In seiner Autobiografie schreibt Lewis über seine Abstammung: „Dem Temperament nach,
waren die beiden Familien, von denen ich abstammte, ebenso verschieden, wie nach ihrem
Ursprung.“85 Die Verwandten väterlicher Seite „waren echte Waliser, sentimental,
leidenschaftlich und wortgewaltig, zu Zorn und Milde gleichermaßen leicht zu bewegen.
Menschen die viel lachten und viel weinten und nicht viel Talent zum Glücklichsein
besaßen.“86 Die Seite der Hamiltons war anders. Sie waren „von kühlerer Art […] und das
Talent zum Glücklichsein hatten sie in reichem Maß.“87 Die Mutter war, als sie selbst noch
jung war, Mathematikerin und „unersättliche Leserin“88. Dem Vater fiel ein anderes Talent zu
- die Redekunst. In vielen Diskussionen, die laut Lewis eher einem monströsen Monolog
glichen, versuchte der Vater sein Gegenüber mit rhetorischen Mitteln zu belehren. Außerdem
war sein Geist immer schneller als die Fakten es in der Wirklichkeit waren.89 Lewis schreibt
über seinen Vater: „Sein Geist sprühte derartig vor Humor […], dass er lange bevor er
jemanden verstanden oder auch nur bis zum Ende zugehört hatte […], sich seine eigene
Version der Fakten zurechtlegte.“90
C.S. Lewis hatte einen drei Jahre älteren Bruder namens Warren. In seiner Autobiografie, vor
allem in den Teilen, die von seinen ersten 20 Jahren handeln, beschreibt er seinen Bruder als

85
Lewis, Überrascht von Freude, 11.
86
Ebd., 11.
87
Ebd., 12.
88
Ebd., 12.
89
Vgl. ebd., 148.
90
Ebd., 148.

21
die wichtigste Bezugsperson. Mit seinem Bruder entwarf „Jacksi“91, so wurde C.S. Lewis von
seinen Freunden und Verwandten genannt, die Welt der Imagination. „Schon damals hatte er
[Warren, U.S.] Indien zu ‚seinem’ Land gemacht; das meine war ‚Tierland’.“92 Diese Welt
der Imagination könnte man als Parallelwelt bezeichnen, deren Parallelität sich Lewis immer
bewusst war. Liest man seine Autobiografie, findet man dort die Beschreibung und den
Werdegang zweier Welten, die sich niemals überschnitten und unabhängig voneinander
existierten. Waren in der realen Welt oft langatmige Etappen zu bewältigen und wurde Lewis
von Schicksalsschlägen heimgesucht, konnte in der Welt der Imagination dort das Leben oft
in voller Blüte stehen.
1905 übersiedelte die Familie Lewis in ein größeres Haus an den Stadtrand von Belfast,
welches „Little Lea“ genannt wurde.93 In dieser Umgebung konnte Lewis aufgrund einer
großen Bibliothek seiner Leidenschaft besser nachgehen. In handwerklichen Dingen weniger
begabt, entwickelte er schon sehr früh Interesse für das Lesen und das Schreiben eigener
fantastischer Geschichten. Lewis, dessen großer Wunsch es war, selbst Dinge handwerklich
herzustellen, schreibt in seiner Autobiografie: „Was mich zum Schreiben trieb, war eine
ausgesprochene manuelle Ungeschicklichkeit, unter der ich seit jeher leide. Ich schreibe sie
einem körperlichen Defekt zu, den mein Bruder und ich beide von unserem Vater geerbt
haben; wir haben nur ein Gelenk im Daumen.“94
Im Jahre 1908 geschah ein einschneidendes Ereignis im Leben von Lewis. Seine Mutter starb
am 23. August nach einer langen und ausweglosen Krebserkrankung. „Mit dem Tod meiner
Mutter verschwand alles gefestigte Glück, alles Ruhige und Verlässliche aus meinem Leben.
Es gab nur noch Meer und Inseln; der große Kontinent war versunken wie Atlantis.“95
In dieser Zeit entwickelte der damals 10-jährige Lewis seine ersten religiösen Vorstellungen
über Gott und das Gebet. Durch das Gebet, so stellte er es sich vor, würden alle Wünsche, die
man darin zum Ausdruck bringt, erfüllt werden. Gott glich in dieser Vorstellung eher einem
Zauberer als dem gerechten Gott der christlichen Offenbarung, dem man - so Lewis - den Tod
der Mutter hätte vorhalten können. Daher verursachte der Tod der Mutter in diesem
kindlichen, irrationalen Glauben keinen Abfall von dieser Vorstellung.96

91
Vgl. ebd., 11.
92
Vgl. ebd., 14ff.
93
Vgl. Kresák, Clive Staples Lewis als Katechet, 12.
94
Lewis, Überrascht von Freude, 21.
95
Ebd., 32.
96
Vgl. ebd., 31.

22
1.4.2 Schulzeit

Noch im gleichen Jahr wurde Lewis nach England, Hertfordshire, in das Malvern College
geschickt. Sein Bruder Warren war schon kurz zuvor dort eingezogen. Mit dieser Zeit
verbindet Lewis kaum etwas Positives. Der Schulleiter, Oldie genannt, ein unberechenbarer
Sadist, setzte selbst für geringe Vergehen der Schüler harte Strafen.97 Lewis beschreibt in
seiner Autobiografie ein Erlebnis, in welchem ein Klassenkamerad ein Strafe von Oldie
bekam: „Ich habe erlebt, wie Oldie dieses Kind zwang, sich am einen Ende des
Klassenzimmers zu bücken und dann bei jedem Schlag einmal durch den Raum und zurück zu
sprinten. Doch P. hatte schon zahlreiche Prügelstrafen hinter sich und war im Leiden geübt,
und es kam keine Klage über seine Lippen, bis er gegen Ende der Folter ein Geräusch von
sich gab, das nichts mehr mit einem menschlichen Laut zu tun hatte.“98
Diese Schule, von Lewis selbst „Konzentrationslager“99 genannt, ließ ihn aber erstmalig an
einen tieferen Sinn von Religion und Glauben denken. Aufgrund von Schülermangel wurde
diese Schule jedoch geschlossen und Lewis zog in das nicht weit von seinem Elternhaus
gelegene Internat des Campbell College in Belfast. Diese Zeit ging allerdings schon nach
einem Trimester zu Ende und Lewis wechselte zum dritten Mal die Schule. Nach einer
kurzzeitigen Erkrankung wurde er auf Drängen des Vaters an die Prepatory School in Wyvern
geschickt. Sein Bruder besuchte inzwischen das College in derselben Stadt. Lewis bereitete
sich hier intensiv auf die Aufnahmeprüfung für das College vor und entwickelte in dieser Zeit
auch ein großes Interesse für nordische Mythologie. Bedeutend ist diese Zeit, weil Lewis hier
seinen christlichen Glauben ablegte. Ein kindlicher und naiver Glaube, welcher laut Lewis
falsche Vorstellungen von Gewissen und Gebet hervorrief, ließ in ihm ein Verlangen nach
dem Übernatürlichem und dem Okkulten wachsen.100 „Diese lächerliche Last falscher
Pflichten im Gebetsleben lieferten mir natürlich ein unbewusstes Motiv für den Wunsch, den
christlichen Glauben abzuschütteln.“101

97
Vgl. ebd., 33ff.
98
Ebd.,39.
99
Ebd., 33.
100
Vgl. Lewis, Überrascht von Freude, 33-55.
101
Ebd., 80.

23
1.4.3 Der Glaubensabfall und die Suche nach der „Freude“

In dieser Zeit begibt sich Lewis in eine entscheidende Phase seines Lebens. Denn mit dem
Abfall vom Christentum begann auch noch etwas Anderes. Lewis versuchte seine
Persönlichkeit zu verändern. Ein der Welt skeptisch gegenüberstehender Pessimismus ging
mit einem Atheismus in seiner Persönlichkeit Hand in Hand.102 Weiters, und dazu bedarf es
zunächst einer Erklärung, fand Lewis hier zu seiner „Freude“103 zurück.

1.4.4 Das Wiederfinden der Freude

Unter Freude versteht Lewis einen „speziellen Begriff, der von ‚Glück‘ als auch von
‚Vergnügen‘ scharf unterschieden werden muss.“104 Mit „Freude“105 ist hier ein zugleich
positiver als auch negativer Gefühlszustand gemeint. Positiv deshalb, weil es darüber hinaus
nichts Erfüllenderes gibt und negativ deshalb, weil dieser Gefühlszustand nur von kurzer
Dauer ist und man im Moment des Verlustes einen unbeschreiblichen Schmerz erfährt. Diese
Freude hatte Lewis in seinen jungen Jahren verloren und fand sie in der Zeit seines
Aufenthaltes in der Prepatory School in Wyvern wieder. Doch die Freude gewann er nicht
durch ein religiöses Erlebnis zurück, sondern durch seine Beschäftigung mit der nordischen
Mythologie und durch die Musik von Wagner. Erst später versteht Lewis diese Freude als
Ausdruck religiösen Gefühls. Er selbst schreibt rückblickend über die Freude: „Manchmal
kommt mir fast der Gedanke, ich sei zu den falschen Göttern zurück geschickt worden, um
mir dort eine gewisse Fähigkeit zur Anbetung zu erwerben für den Tag, an dem der wahre
Gott mich zu sich zurückrufen würde.“106 Anders ausgedrückt, lernte Lewis durch die
Beschäftigung mit der nordischen Mythologie und die Musik Wagners eine Fähigkeit des
Anbetens. Anbeten meint hier aber nicht das religiöse Beten, sondern eine Art ‚Verehrung’.
Aber auch in den Momenten dieser ‚Verehrung’ wurden die Situationen der Freude immer
seltener, und sie selbst hervorzurufen war Lewis nicht imstande.

102
Vgl. ebd., 82-88.
103
Ebd., 28.
104
Ebd., 28.
105
Ebd., 28.
106
Ebd., 96.

24
1.4.5 Antike Dichtung und lebenslange Freundschaft

Ein weiterer wichtiger Schritt erfolgte 1913, als Lewis ein Stipendium für das Wyvern
College erlangte. Diese Zeit war geprägt durch klare hierarchische Strukturen unter den
Studenten. Doch nicht nur die Unterdrückung und Einteilung jüngerer Studenten zu sinnlosen
Diensten durch Ältere stand hier an der Tagesordnung. Päderastie wurde hier täglich forciert
und gehörte wie selbstverständlich zum College-Alltag.107 Lewis bezeichnet die Liebschaften
seiner Kommilitonen als „abscheuliche Sünde“108, aber als eine, zu der er selbst kein
Verlangen spürte. „Ich werde mich nicht in fruchtlosen Tiraden gegen Feinde ergehen, denen
ich nie im Kampf begegnet bin.“109 Viel schlimmer war für ihn hier das soziale Gefüge. Ein
starres Konkurrenzdenken, das Kalkulieren des Fortkommens im Leben und Beruf und
fehlende Solidarität waren für Lewis der Anlass, sich von diesen Strukturen innerlich zu lösen
und sich eine Charaktereigenschaft zu zulegen, welche es ihm erlaubte, sich außerhalb dieses
Gefüges zu betrachten. 110 Er wurde ein so genannter „Snob“111 und „Schöngeist“112.
Doch nicht nur Negatives verbindet Lewis mit dieser Zeit. Durch einen Klassenlehrer
entdeckte er seine Liebe und starkes Interesse für antike Dichtung. Ungefähr zur selben Zeit
lernte Lewis Arthur Greeves kennen, mit dem sich eine über 50 Jahre dauernde Freundschaft
entwickeln sollte. Arthur, ein überzeugter Christ aus seiner Nachbarschaft, hatte ebenso wie
Lewis ein starkes Interesse für nordische Sagen und Mythologie.113 Lewis verstand sich zu
dieser Zeit als Atheist, der die Existenz Gottes leugnete. Er befand sich mit dieser
Überzeugung jedoch in einem inneren Dilemma. Während er nämlich die Existenz Gottes
leugnete, verspürte er gleichzeitig Zorn gegenüber diesem nichtexistenten Gott, gerade weil er
nicht existierte.114
Während der Jahre 1914 bis 1916 wurde Lewis zu einem Privatlehrer und Freund des Vaters
nach Greatbookham, zu W.T. Kirkpatrick geschickt. Dieser hatte zuvor bereits seinem Bruder
Warren durch den Unterricht eine militärische Laufbahn ermöglicht, welcher nun in der Zeit
des Aufenthaltes von Lewis bei Kirkpatrick im Ersten Weltkrieg in Frankreich diente. Mit
heute und auch damals eher untypischen Mitteln schaffte Kirkpatrick es, Lewis für die
Aufnahmeprüfung an der Universität Oxford so vorzubereiten, dass dieser sie mit gutem

107
Vgl. ebd., 103-125.
108
Ebd., 125.
109
Ebd., 125.
110
Vgl. ebd., 103-143.
111
Ebd. 129.
112
Ebd.
113
Vgl. Kresák, Clive Staples Lewis als Katechet, 14.
114
Vgl. Lewis, Überrascht von Freude, 141f.

25
Erfolg absolvierte. Lewis gewann durch diese Leistung eines der drei Stipendien, die jährlich
in Oxford vergeben wurden. Da seine Begabung klar im Bereich der Literatur lag und diese
Begabung, laut Lewis selbst kein Stück auf die Mathematik abfärbte, fiel er zweimal durch
das „Responsions“- Examen, eine Prüfung, die für das Weiterkommen im Studium
entscheidend war. Beinahe hätte ihn dies die Laufbahn als Professor gekostet. Der Entschluss,
im Krieg zu dienen, ebnete Lewis den Weg in zweierlei Hinsicht: Zum einen fiel nach seiner
Rückkehr aus dem Krieg die Pflicht für das „Responsions“-Examen und zum anderen lernte
er dort Edward F.C. Moore kennen, dessen Bekanntschaft sein Leben für sehr lange Zeit
verändern sollte.115

1.4.6 Der Kriegsdienst und seine Folgen

Im Jahre 1917 wechselte Lewis nun von den Räumlichkeiten der Universität in ein
Kadettenbataillon, welches auch in Oxford stationiert war. Das soziale Umfeld erweiterte sich
und Lewis umgaben nun Männer aus allen sozialen Schichten. Mit Edward F.C. Moore,
Paddy genannt, der wie Lewis Ire war, entstand eine zuerst zögerliche Annäherung. Lewis
wusste, dass Paddy ihm intellektuell nicht gewachsen war. Dennoch freundete sich Lewis mit
Paddy und dessen Familie schnell an. Diese Annäherung war sogar so stark, dass dadurch das
Verhältnis zu seinem Vater immer schlechter wurde. Lewis zog nämlich in seinen Urlauben
vom Kriegsdienst die Gesellschaft der Familie Moore vor. Zu dieser Familie gehörten Paddy,
Mrs. Moore und deren Tochter Maureen. Kurz bevor Lewis an die Front nach Frankreich
geschickt wurde, gaben sich Paddy und er ein Versprechen. Da beiden die Tragweite des
Krieges bewusst war und das hohe Risiko, im Krieg zu fallen, gaben sie sich das Wort, sich
um die Familie des anderen zu kümmern, falls einer der beiden nicht mehr aus dem Krieg
heimkehren würde. Lewis wurde im Krieg zwar verwundet und erlitt einmal das
Grabenfieber, ihn ereilte aber nicht das Schicksal, welches seinen Freund Paddy 1918
heimsuchte. Paddy fiel im Kampf und Lewis löste sein Versprechen ein.116
So zog Lewis nach Kriegsende mit Mrs. Moore zusammen, kümmerte sich um sie und
finanzierte ihr Leben. Selbst als Mrs. Moore in den darauf folgenden Jahren älter und kränker
wurde, konnte Lewis die Pflege der Frau und seine Tätigkeiten an der Universität in Oxford
schwer aber doch miteinander verbinden. Nach Kriegsende konnte Lewis sein Studium in den
Jahren 1919-1924 in Oxford wieder aufnehmen. Diese Zeit beendete er mit drei akademischen
Graden. Er erreichte den Abschluss in Griechisch und Latein mit der Bestnote. Zwei Jahre

115
Vgl. Kresák, Clive Staples Lewis als Katechet, 14-15.
116
Vgl Jacobs, Der Mann aus Narnia, 120-150.

26
später, 1922, legte Lewis das „Grats-Examen“117 ab und erreichte den zweiten akademischen
Grad in Philosophie und Alter Geschichte. Danach bewarb sich Lewis als Schullehrer,
studierte aber auf Anraten seiner Dozenten innerhalb eines Jahres Englische Literatur.
Nachdem Lewis trotz seiner Qualifikationen mehrmals als Dozent abgelehnt wurde, durfte er
von 1924-1925 seinen damaligen Philosophiedozenten vertreten. Die ersten Vorlesungen von
Lewis wurden von nur sehr wenigen Studenten besucht. Nach diesem Jahr wurde er
„Fellow“118, Dozent für englische Literatur in Oxford. Damit war die Zeit der beruflichen
Unsicherheit überwunden und er konnte sich ganz der Universitätslehre hingeben. Von da an
fanden seine Vorlesungen bei den Studierenden großen Anklang. Lewis lehrte nur noch in
überfüllten Hörsälen. Zu dieser Zeit machte Lewis auch die Bekanntschaft mit einigen
Männern, die damals und bis ins 21. Jahrhundert die Gesellschaft nachhaltig prägen. 119 Auf
diesen Denkerkreis, „Inklings“120 genannt, wird später noch genauer eingegangen werden.
Zuvor werden die Grundvoraussetzungen beschrieben, die Lewis benötigte um Christ zu
werden.

1.4.7 Der Weg zum christlichen Glauben

Der Übergang von Lewis vom Atheisten zu einem Theisten und weiter zum Glauben an den
Gott der christlichen Offenbarung war - so beschreibt er es selbst - ein sehr langer und
schwieriger Prozess. Um verstehen zu können, warum und wann dieser Schritt vollzogen
wurde, müssen zwei Freundschaften von Lewis beleuchtet werden.
A.K. Hamilton Jenkins lernte Lewis in Oxford kennen und beide verband danach eine
lebenslange Freundschaft. Jenkins Persönlichkeit war es, sich in jeder Situation „gerade das
Charakteristische einer jeden Sache ständig unter die Nase zu reiben, sich daran zu erfreuen,
dass es (auf so großartige Weise) war, was er war.“121 In anderen Worten bedeutet das, dass
Jenkins sich an jeder Situation erfreuen konnte. Lewis lernte von ihm sich „jeder Atmosphäre
vollkommen hinzugeben, wie sie sich im jeweiligen Moment bot; in einer schmutzigen Stadt
gerade nach den Orten zu suchen, wo ihre Schmutzigkeit das Maß der Unerbittlichkeit und
gar der Größe erreichte; an einem scheußlichen Tag den scheußlichsten und triefendsten Wald

117
Kresák, Clive Staples Lewis als Katechet, 17.
118
Ebd., 18.
119
Vgl. ebd., 15-19.
120
Als weitere Referenz zu den „Inklings“ vgl. Fußnote 54 in Kresák, Clive Staples Lewis als Katechet 20.
121
Lewis, Überrascht von Freude, 241.

27
zu finden; an einem windigen Tag den windigsten Bergkamm.“122 Eine weitere wichtige
Person wurde Owen Barfield. Ihn bezeichnet Lewis als „Anti-Ich“123. Lewis und Barfield
teilten genau dieselben Interessen, aber jeder entnahm gerade das Gegenteil aus den
jeweiligen Interessensgebieten. Lewis selbst schreibt: „Er hat all die richtigen Bücher gelesen,
aber aus jedem etwas Falsches entnommen. Es ist, als spräche er ihre Sprache, aber mit einer
falschen Betonung.“124 Ein weiteres wichtiges Element für den Schritt zum Christentum ist,
dass Lewis seine Persönlichkeit veränderte. Diese Veränderung bezeichnet er selbst als den
„New Look“125, den er sich in den ersten beiden Jahren in Oxford ‚zugelegt’ hatte.126 “Darin
sollte es keinen Pessimismus, kein Selbstmitleid, kein Liebäugeln mit irgendwelchen
übernatürlichen Vorstellungen und keine romantischen Verirrungen mehr geben.“127
Beeinflusst durch das Aufkommen einer „neue[n] Psychologie“128, wie Lewis sie bezeichnet,
und damit die Unterscheidung zwischen Phantasie und Wunschdenken und die Bücher von
dem Philosophen Henri Bergson, ein Vorreiter des Existentialismus, wurde das Denken von
Lewis so weit geführt, dass er die Notwenigkeit des Existenten anerkannte.129 Mit dieser
Notwendigkeit des Existenten verband Lewis jedoch zuerst nicht Gott, sondern nur die
notwenige Existenz des Universums. Gleichzeitig hegte Lewis, er nennt es selbst, einen
„chronologischen Snobismus“130. Dies implizierte eine Herabwürdigung all der
Vorstellungen, die nicht in der je eigenen Zeitepoche angenommen wurden. 131
Schockierend war für Lewis, nachdem er sich von all seinen übernatürlichen Vorstellungen
befreit hatte, dass Barfield und einige andere seiner geschätzten Freunde die Gedanken des
Philosophen und Naturwissenschaftlers Rudolf Steiner132 zu lesen begannen. So wurde unter
anderem Barfield ein Anthroposoph, und alles was Lewis bis zu diesem Tag mühsam abgelegt
hatte, fand er in seinen Freunden wieder. Der Übertritt Barfields zum Anthroposophen war
ein Wendepunkt in Lewis’ Leben. Lewis trennte sich von seinem „chronologischen
Snobismus“133 und gab dem Realismus nicht mehr den Anspruch auf Absolutheit. Er erkannte
durch Barfield, dass die Natur nicht unabhängig vom Geist sein konnte, sondern, „dass unsere

122
Ebd., 241.
123
Ebd., 242.
124
Ebd., 242.
125
Ebd., 244.
126
Vgl. ebd., 244.
127
Ebd., 244.
128
Ebd., 246.
129
Vgl, Hirschberger, Geschichte der Philosophie. Bd.2, 571-573.
130
Lewis, Überrascht von Freude, 249.
131
Vgl. ebd., 246-251.
132
Für eine detaillierte Darstellung des Lebens und vor allem der Lehre von Rudolf Steiner vgl. Wehr, Rudolf
Steiner zur Einführung.
133
Lewis, Überrascht von Freude, 249.

28
Logik die Teilhabe an einem kosmischen Logos war.“134 Dennoch verband Lewis diese
Gedanken nach wie vor nicht mit Gott. Diese innere Wandlung zu vollziehen, ohne dabei Gott
als Spitze des Daseins zu setzen, ist dem Einfluss von Gedanken „englischer Hegelianer“135
zuzuschreiben. So wurde sein Realismus von einem Idealismus abgelöst. Lewis, wie bereits
erwähnt, befand die Emotionen, die er mit dieser Denkrichtung verband, nur indirekt als
religiös. Er war sich der Religiosität nicht bewusst. „Diese quasi Religion war eine völlige
Einbahnstraße; der ganze Eros […] dampfte hinauf, aber keine Agape schoss herab.“136 Doch
hier wurden so wichtige Schritte gemacht, dass nur Lewis selbst mit seinen eigenen Worten
dies zum Ausdruck bringen kann:
„Was ich von den Idealisten lernte (und immer noch sehr entschieden festhalte), ist die
Maxime: Es ist wichtiger, dass der Himmel existiert, als dass jemand von uns
hineinkommt. Und so spielte der große Angler mit seinem Fisch, und ich ließ mir nie
träumen, dass mir der Haken schon in der Zunge saß. Zwei große Vorstöße waren
gemacht worden. Bergson hatte mir die Notwendigkeit der Existenz vor Augen geführt;
und durch den Idealismus war ich einen Schritt näher gekommen an ein Verständnis der
Worte: ‚Wir danken dir für deine große Herrlichkeit’.“137
Durch das idealistische Denken war ein Meilenstein in die Richtung eines Theismus gelegt
worden. Wichtig ist es nochmals zu betonen, dass die Bekehrung zum Glauben sich nicht
schnell ereignete. Keine übernatürliche Offenbarung war es, die Lewis die Augen öffnete.
Langsam, manchmal zum Stillstand gebracht, wurde Lewis als der Passive durch Freunde und
Literatur zu Gott ‚durchgekämpft’. Die Frage nach der Vereinbarung von Glaube und
Vernunft, einzelne philosophische Strömungen und das alltägliche Zweifeln an sich selbst und
an Gott sind keine Erscheinungen des 21. Jahrhunderts. Lewis selbst lebte inmitten dieser
Zweifel. Um aber von verworrenen Zweifeln und Überzeugungen zu einem Theismus zu
gelangen, waren weitere Vorraussetzungen und vor allem viel Zeit nötig.
Eine Voraussetzung war die Begegnung mit den Büchern von George MacDonald, einem
Pastor in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Tief beeindruckt von seinen Schriften und
Gedanken, begann Lewis zu bemerken, dass all die Literatur, die seine Seele zu bewegen
vermochte, von christlichen Autoren stammte. „Worauf alles hinauslief, könnte man so
ausdrücken: ‚Christen haben unrecht, Aber alle anderen sind Langweiler’.“138

134
Ebd., 253.
135
Vgl. ebd., 253.
136
Ebd., 254.
137
Ebd., 254.
138
Ebd., 258.

29
1.4.8 Der letzte Schritt zum Christentum und die Treffen der „Inklings“

Wie bereits zuvor erwähnt, lernte Lewis nach dem Krieg einige bedeutende Männer kennen.
Sie nannten sich selbst die „Inklings“139 und begannen im Jahr 1933 ein fester Denkerkreis zu
werden. Ein Denkerkreis, der sich einmal in der Woche bei Lewis im Magdalen College
versammelte, wobei sich die Teilnehmer gegenseitig aus ihren eigenen Schriftstücken
vorlasen. Die Mitglieder waren unter anderem J.R.R. Tolkien, bekannt durch die Trilogie
„Der Herr der Ringe“140, Lewis Bruder Warren und Lewis selbst. Und ohne, dass Lewis den
Schritt zum Glauben gewagt hätte, hätten sich die Mitglieder der „Inklings“ vielleicht niemals
in einer so starken Intensität gegenseitig bereichern können, und Fantasiegeschichten wie
„Der Herr der Ringe“ oder „Die Chroniken von Narnia“141 hätten niemals ein so großes
Publikum erreichen und begeistern können. Die Begegnungen mit den Mitgliedern der
„Inkling“, welche bekennende und überzeugte Christen waren, halfen Lewis, die letzte Hürde
zum Glauben zu übersteigen.142 Lewis gestand es sich damals nicht ein, aber sein Idealismus
war zur damaligen Zeit, in der Zeit der Versperrung gegen den christlichen Glauben, bereits
von einer Ethik durchzogen. Durch Gespräche, in der die Möglichkeit der Historizität des
Christentums zur Sprache kam, ereignete sich plötzlich eine Wahl für Lewis. Er selbst
beschreibt es jedoch als eine Wahl, deren Entscheidung nicht hätte anders ausfallen
können.143
„Im Trinity Term 1929 lenkte ich ein und gab zu, dass Gott Gott war, und kniete nieder
und betete; vielleicht in jener Nacht der niedergeschlagenste und widerwilligste
Bekehrte in ganz England.“144
Der Schritt von einem Theismus zum Christentum war damit noch nicht vollzogen. Erst
Gespräche, Besuche im Gottesdienst und auch die Treffen der „Inklings“ machten aus Lewis
den christlichen Denker, dem wir heute und auch damals haarscharfe und feine Einblicke in
aktuelle Glaubensfragen verdanken.

139
Als weitere Referenz zu den „Inklings“ vgl. Fußnote 54 in Kresák, Clive Staples Lewis als Katechet 20.
140
Vgl. Tolkien, Der Herr der Ringe.
141
Vgl. Lewis, Die Chroniken von Narnia.
142
Vgl, Meyer, Tolkien als religiöser Sub-creator, 159.
143
Vgl. Lewis, Überrascht von Freude, 259-271.
144
Ebd., 274.

30
1.4.9 Die Apologetik des Christentums und der „Socratic Club“

Diesen langen Prozess des Erkennens des christlichen Gottes, gegen den Lewis lange Zeit
innerlich angekämpft hatte und dessen Anerkennung zu einer Befreiung für Lewis führte,
blieb auch für sein Umfeld nicht unbemerkt. Durch seine apologetischen Schriften, deren
Inhalt er mit einer Einfachheit formulierte, sodass jeder verstehen konnte, was Lewis unter
Christentum verstand und was das Christentum vom Menschen forderte, steigerte sich sein
Bekanntheitsgrad enorm. Aus aller Welt bekam Lewis Briefe und Zuschriften zu christlichen
Themen. Lewis bemühte sich, jeden Brief zu beantworten, doch die hohe Anzahl an
Menschen, die sich von ihm Antworten erhofften, irritierte Lewis sehr. Viele der Menschen
sahen in Lewis einen modernen Propheten oder jemanden, der auf alles eine Antwort
wüsste.145 Lewis selbst sah sich jedoch nicht als einen modernen Propheten, es bereitete ihm
aber große Freude, von einem christlichen Standpunkt gegen Atheisten oder Zweifler zu
argumentieren. So gründete er 1941 mit einer Gruppe junger Studenten in Oxford den
„Socratic Club“, deren Vorsitzender er bis 1954 blieb. Der „Socratic Club“ war ein
christlicher Debatierclub, dessen zentraler Punkt bei den Zusammenkünften ein verbaler
Wettstreit zwischen einem Christen und einem Atheisten war. Auch zweifelnde Gläubige und
Nichtgläubige konnten dort ihren Standpunkt vertreten. Diese Treffen waren in der gesamten
Universität sehr beliebt und erfreuten sich einer großen Zuhörerschaft. Lewis, oft selbst
Teilnehmer dieses Wettstreites, war in seinen Argumentationen so erfolgreich, dass es mit der
Zeit immer schwieriger wurde, einen mutigen Atheisten zu finden, der sich Lewis stellen
wollte. Aus diesem Mangel an Gegnern entwickelte sich der „Socratic Club“ zu einer
Zusammenkunft von Christen, die hier ihre Meinungsverschiedenheiten austrugen. Manche
Zuhörer waren schockiert, mit welcher Aggressivität Lewis seinen Standpunkt vertrat.146
„Er war ein beschlagener Christ, ein großer mächtiger Mann, und wenn er eine Sache
als einen guten Kampf betrachtete, dann war er auch bereit, Gefühle zu verletzen. Man
darf sich Lewis nicht als einen zögerlichen und schüchternen Mann vorstellen, dem
mehr um sein geistliches Leben und die zukünftige Welt zu tun war als um die
Gegenwart. Obwohl er der Meinung war, diese Welt sei nur so etwas wie ein
Ankleidezimmer, in dem wir auf die nächste, größere vorbereitet werden, war er doch

145
Vgl. Coren, C.S. Lewis – der Mann, der Narnia schuf, 54.
146
Vgl. ebd., 54-55.

31
ein Mensch aus Fleisch und Blut, der auch die sinnlichen Aspekte des Lebens zu
schätzen wusste […].“147
Hauptanliegen von Lewis war es immer gewesen, die Notwendigkeit des Christentums
hervorzuheben. Ihm ging es nicht darum, das Christentum als eine Religion unter vielen
darzustellen. Er wollte nicht aufzeigen, dass das Christentum eine bessere Religion für den
Menschen wäre. Lewis war davon überzeugt, dass das Christentum die einzige Religion sei,
die den Menschen in seiner Freiheit belassen würde. Es läge in der Natur des Menschen, um
ein göttliches Recht zu wissen. Ein Recht, welches dem Menschen von Gott ausgehend sagt,
was richtig und falsch sei. Viele seiner Schriften und Radioaufzeichnungen handeln genau
von diesem göttlichen Recht.
Vor allem in dem 1944 erschienen Buch „Die Abschaffung des Menschen“ geht er sehr
eindrucksvoll und anschaulich auf diese Thematik ein und verteidigt darin das göttliche Recht
als eine der Grundsäulen des Christentums. Lewis war davon überzeugt, dass der Mensch und
seine Natur von Gott geschaffen wurden. Um im Einklang mit dieser Natur leben zu können,
bedarf es der Übereinstimmung des Menschen mit dem Willen Gottes. Dem Willen Gottes zu
folgen, sich diesem göttlichen Recht zu fügen, sei die einzige Möglichkeit für den Menschen,
zwischen objektiv Gut und Böse unterscheiden zu können. Eine Leugnung dieses göttlichen
Rechts führe unweigerlich in die Versklavung des Menschen, sie würde ohne Ausnahme zu
einer Abschaffung des Menschen führen.148
Hans Urs von Balthasar schreibt im Vorwort von „ Die Abschaffung des Menschen“: „Selten
dürfte auf vierzig Seiten ein solches Crescendo gelungen sein; zu Beginn meint man eine
Fliege summen zu hören, bald darauf einen starken Motor, zuletzt muß man sich, als wäre
man inmitten der Schlacht von Stalingrad, die Ohren zuhalten.“149 Lewis stellt sich der für ihn
apokalyptischen Situation, der Leugnung des göttlichen Rechts, und scheut nicht davor
zurück, dem Leser das vor Augen zu führen, was den Menschen seiner authentischen Freiheit
berauben würde. „Der Mensch steht unmittelbar zum Guten schlechthin, aber er muß es
anerkennen und tun, um innerhalb seines Lichtes zu sein.“150

147
Ebd., 55.
148
Vgl. Coren, C.S. Lewis – der Mann, der Narnia schuf, 59 f.
149
Balthasar, Hans Urs von: Einleitung, in: Lewis, C.S.: Die Abschaffung des Menschen, 10.
150
Ebd., 12.

32
2. Die Anerkennung eines göttlichen Rechts als Garant für
die Freiheit des Menschen
2.1 Das „Grüne Buch“ und die Konsequenzen für den Menschen

Als Ausgangspunkt für seine Ausführungen dient Lewis ein Schulbuch für Literatur151 aus
dem Jahr 1940. Lewis kritisiert an diesem Buch nicht die Auswahl der literarischen Texte,
sondern die grundlegende Tendenz der beiden Autoren, nicht von objektiven Werten
auszugehen. Lewis vermerkt jedoch, dass er die Autoren nicht an den Pranger stellen möchte
und ihre Grundintention, nämlich ein Schulbuch zu schreiben, als durchaus positiv wertet.
„Ich will daher ihre Namen verschweigen, sie einfach Gaius und Titius nennen und ihr Werk
Das grüne Buch“.152 Um die Gedanken Lewis’ hinsichtlich einer objektiven Wertordnung
verstehen zu können, müssen zwei Beispiele aus diesem grünen Buch dargestellt werden:
Das erste Beispiel bezieht sich auf eine Geschichte, in der zwei Touristen vor einem
Wasserfall stehen. Die Touristen versuchen, für den Wasserfall ein passendes Adjektiv zu
finden und ihren Eindruck vom Wasserfall mit passenden Worten auszudrücken. Einer der
beiden Touristen bezeichnet den Wasserfall als ‚erhaben’, der andere als ‚hübsch’.153 Die
beiden Autoren des Lehrbuches bemerken, dass derjenige, der den Wasserfall als ‚erhaben’
bezeichnet, nicht den Wasserfall meint, sondern nur eine Aussage über die eigenen
Empfindungen gemacht hat.154 „Im Grunde sagte er Ich fühle etwas, das ich im Geiste mit
dem Wort ‚erhaben’ verbinde, kurz: Ich empfinde erhaben Gefühle.“155 Die Autoren fügen
hinzu, dass es häufig vorkommt, dass man eigentlich nur eine Aussage über die eigenen
Empfindungen macht, obwohl man eine Aussage über etwas in der Außenwelt machen
möchte. Um den Inhalt der Aussage von Gaius und Titius besser verstehen zu können, zitiert
Lewis diese Aussage selbst: „Wir scheinen sehr Wichtiges zu sagen, während wir in
Wirklichkeit nur etwas über unsre [sic!] eigenen Gefühle äußern.“156 Lewis verweist darauf,
dass in diesem Beispiel des Wasserfalles Gaius und Titus zwar nicht behaupten, dass alle
Werturteile unwichtig seien, aber sie behaupten in diesem Lehrbuch, dass es nur so scheint,
als würde man etwas Wichtiges sagen, während man sich in Wirklichkeit nur über die eigenen

151
Das Schulbuch, welches im Original „The Control of Language: A Critical Approach to Reading and Writing”
heißt, wird von Lewis als „Das grüne Buch“ bezeichnet. Die beiden Autoren Alec King und Martin Ketley
erhalten die Namen Titius und Gaius. Vgl. King/Ketley, The Control of Language. A Critical Approach to
Reading and Writing, zit. nach Balthasar, Einleitung, 9.
152
Lewis, Die Abschaffung des Menschen, 13.
153
Vgl. ebd., 13.
154
Vgl. ebd., 14.
155
Ebd., 14.
156
Ebd., 16.

33
Gefühle äußert. Wichtig für Lewis ist das Wort ‚nur’, welches Gaius und Titius hinsichtlich
der Werturteile verwenden.157
Für Lewis ergeben sich aufgrund des Wortes ‚nur’ zwei folgenschwere Konsequenzen für den
Schüler: Erstens wird der Schüler annehmen, dass es sich in Sätzen mit einem wertenden
Prädikat immer nur um den eigenen Gefühlszustand handelt, und zweitens wird er annehmen,
dass diese Aussagen unwichtig sind. Lewis sagt, dass Gaius und Titius zwar nicht explizit
darauf hingewiesen haben, dass alle Aussagen in Bezug auf Gefühle immer unwichtig seien,
aber er meint, dass der Schüler ohne Hindernis bei allen Sätzen mit einem wertenden Prädikat
gleich verfahren könnte. Und kein Schüler wird sich laut Lewis dem kleinen Wörtchen ‚nur’
widersetzen können. Denn ‚nur’ eine Aussage über die eigenen Empfindungen zu machen, ist
für Lewis eine Abwertung der eigenen Gefühle. Für Lewis wird in diesem kleinen Beispiel
bereits der Nährboden gelegt, um die Auffassung zu vertreten, alle Wertungen seien subjektiv
und daher unbedeutend.158
Das zweite Beispiel auf das Lewis näher in „Die Abschaffung des Menschen“ eingeht,
stammt ebenfalls aus dem Lehrbuch von Gaius und Titius. In einem weiteren Kapitel des
‚grünen Buches“ untersuchen Gaius und Titius den Schreibstil einer dort zitierten Annonce
für eine Vergnügungskreuzfahrt. Der Inhalt dieses Beispiels ist folgender:
Mit dem Kauf eines Billets für die Kreuzfahrt würde man – dem Text der Annonce zufolge –
über den westlichen Ozean dorthin fahren können, „wohin Drake von Devon auf der Suche
nach Indiens Schätzen, sein Leben wagend, gesegelt ist, ja er [der Käufer des Billets] werde
selbst einen Schatz goldener Stunden und glühender Farben nach Hause bringen.“159 Gaius
und Titius erwähnen hier laut Lewis in keiner Weise, dass es vielleicht bessere
Ausdruckmöglichkeiten gäbe, eine Reise zu beschreiben. Sie verweisen jedoch darauf, dass
die Reisenden nicht auf den Spuren von Drake wandeln werden und es dort auch keine
Abenteuer zu erleben gäbe und die heimgebrachten Schätze nicht wirkliche Schätze aus Gold
und Silber seien. Lewis bemerkt, dass Gaius und Titius rational darauf hinzuweisen
versuchen, dass Gefühle im Bezug auf Orte im Gegensatz zur Vernunft stehen würden, da sie
nur den eigenen Gefühlszustand zum Ausdruck bringen. Es erscheint für die beiden Autoren
absolut unvernünftig, Gefühle mit Orten in Verbindung zu bringen. Lewis betont, dass bei
dieser Erörterung des Kreuzfahrtbeispiels der Schüler nichts über Literatur erfahren könne,
vielmehr wird sich der Schüler merken, dass alle Empfindungen und Gefühle, die durch

157
Vgl. ebd., 16.
158
Vgl. ebd., 15-16.
159
Lewis, Die Abschaffung des Menschen, 17.

34
örtliche Assoziationen hervorgerufen werden, im Gegensatz zur Vernunft stehen.160 Mit
diesem Beispiel „haben Gaius und Titius aus seiner Seele die Fähigkeit zu gewissen
Erfahrungen, welche Denker von überlegender Autorität für großherzig, fruchtbar und
echtmenschlich hielten, herausoperiert.“161 In anderen Worten heißt dies, dass Lewis
befürchtet, dass dem Schüler durch das Vorgehen von Gaius und Titius, die Fähigkeit
verloren geht, sich Mittels der eigenen Gefühle über eine Erfahrung zu äußern, welche bereits
bei anderen Menschen dasselbe Gefühl hervorbrachte. Diese Befürchtung von Lewis ist
deshalb zu erwähnen, weil er, darauf wird später noch eingegangen werden, davon ausgeht,
dass es objektive Werte gibt, derer sich der Mensch bewusst ist. Durch dieses Bewusstsein
einer objektiven Wertordnung würde der Mensch bestimmten Ereignissen, Orten, Handlungen
usw. Gefühle und Wertungen entgegenbringen, die objektiv zu entgegenbringen seien. Diese
objektive Wertordnung nennt Lewis das „Tao“.162
Um einen Schritt im Gedankengang von Lewis hinsichtlich einer objektiven Wertordung
weiter zu kommen, müssen zuerst noch Ungereimtheiten und Konsequenzen geklärt werden,
die Lewis an diesen Beispielen auffallen:
1) Es gibt für Lewis genau zwei Arten von Menschen, für die ein „Abtackeln“163, damit
gemeint ist eine Abwertung menschlicher Gefühle zu einem Rationalismus, unnötig
wäre. Lewis nennt sie selbst zum einen den „behosten Affen“164, welcher im Beispiel
des Kreuzfahrtschiffes im Ozean prinzipiell nie mehr sehen würde, als eine große
Ansammlung von kaltem und salzigem Wasser, zum anderen den „Menschen mit
echten Empfindungen“165. Anhand des „behosten Affen“ möchte Lewis darstellen,
dass es Menschen gibt, für die eine Abwertung ihrer Gefühle umsonst wäre. Ihnen
würde die Vorstellung von Gefühlen in Bezug auf Geschichten und Ereignissen
prinzipiell fehlen. Jegliche Freude und emotionale Bewegung an Vorstellungen
würden laut Lewis diesen Personen fremd bleiben.166 Ganz im Gegenteil dazu der
„Mensch mit echten Empfindungen“. Dieser Mensch würde im Bewusstsein leben,
dass bestimmte Geschichten, Ereignisse, Handlungen usw. bestimmte Gefühle
verdienen würden. Diese Menschen würden um das „Tao“167 wissen.

160
Vgl. ebd., 17-20.
161
Ebd., 20.
162
Ebd., 27f.
163
Ebd., 23.
164
Ebd., 19.
165
Ebd., 19.
166
Vgl. ebd., 19-20.
167
Ebd., 27.

35
2) Weiters, so folgert Lewis, könnte man Gaius und Titius vielleicht doch schlechte
Absichten unterstellen. Denn in ihrer Intention könnte sich doch der geheime Wunsch
verbergen, genau solche Menschen wie den „behosten Affen“ durch Erziehung
hervorbringen zu wollen. Ohne viel Aufwand könnten hier alte Werte, die man zuvor
als schlecht „abtackelt“, durch neue ersetzt werden können. Wohingegen der „Mensch
mit echten Empfindungen“ bereits dir Fähigkeit besitzen würde, Gefühle
darzubringen.168
3) Zu beachten ist natürlich, in welcher Zeit Gaius und Titius dieses Schulbuch verfasst
haben. Die Gesellschaft befand sich inmitten der Kriegspropaganda des Zweiten
Weltkrieges, in der mit emotionalen Mitteln versucht wurde, Menschenmassen in eine
bestimmte Richtung zu bewegen. Das Beste gegen eine emotionale Jugend wäre es,
sie gegen diese Gefühle zu schützen, so zumindest die Vorstellung von Gaius und
Titius.169 Lewis meint dazu: „Meine eigene Erfahrung als Lehrer bezeugt mir das
Gegenteil. Auf jeden Schüler, den man vor einem leichten Überschwang an
Empfindsamkeit bewahren muss, kommen drei, die es aus dem Schlummer kalter
Gefühllosigkeit zu wecken gilt. Die Aufgabe des modernen Menschen besteht nicht
darin, Dschungel auszuhauen, sondern Wüste zu bewässern.“170
4) Lewis sieht jedoch einen tieferen Grund für das Vorgehen von Gaius und Titius: Laut
Lewis besteht ein Teil von Erziehung darin, gewisse Gefühle auszubilden und
hervorzuheben, während es andere als schlecht zu bezeichnen und gegebenenfalls
„auszurotten“171 gilt. Für Lewis befinden sich Gaius und Titius in einem
„erzieherischen Dilemma“172 denn ihre Tendenz zum Rationalismus unterscheidet sich
grundlegend in der erzieherischen Vorgangsweise ihrer Vorgänger. Diese verstanden
ihre Aufgabe darin, den Schüler in das „Tao“ einzuführen.173

2.1.1 Die Vermittlung von objektiven Werten durch Gefühle

Lewis zeigt historisch auf, dass das Grundprinzip der Erziehung in jeder Zeitepoche darin
bestand, den Schüler das zu lehren, was es objektiv zu lieben und zu hassen gilt. Lewis
schreibt selbst: „Bis vor kurzem noch haben alle Lehrer, ja alle Menschen die Welt für so

168
Vgl. ebd., 19-22.
169
Vgl. ebd., 19-23.
170
Ebd., 23.
171
Ebd., 24.
172
Ebd., 24.
173
Vgl. ebd., 25.27.

36
beschaffen gehalten, dass gewisse unserer Gefühlsreaktionen ihr [der Welt] entweder
angemessen oder unangemessen sein können. Sie [die Menschen] dachten also, dass die
Dinge unsere Billigung oder Missbilligung, unsere Verehrung oder Geringschätzung nicht
bloß erhalten, sondern verdienen können.“174 Dies war laut Lewis zumindest eines der
Grundprinzipien, mit der Augustinus die „ordo amoris“175, eine geordnete Zuneigung,
definierte. Nach Augustinus müsse der Schüler darin eingeübt werden, um sich später die
Grundprinzipien der Ethik aneignen zu können. Selbst im platonischen Staat wurde die
Vorstellung vertreten, dass „der wohlerzogene Jüngling“176 noch bevor er in das Alter der
Vernunft eintritt, um ein hochherziger Mensch zu werden, in die richtigen Gefühle eingeübt
werden soll.177
Es gab und gibt laut Lewis die Vorstellung einer objektiven Wertordnung, die im Leben der
Menschen grundgelegt ist. Lewis zeigt auf, dass diese Vorstellung kein Produkt einer
Religion oder einer Kultur ist. Vielmehr weist er darauf hin, dass die Vorstellung eines
Sittengesetzes, welches kultur- und religionsunabhängig ist, durchaus plausibel ist. Selbst den
östlichen Religionen liegt die Vorstellung einer Grundwahrheit zugrunde, der man sich
vernunftgemäß einzufügen hat. Lewis nennt es das „Tao“: „[d]ie Lehre von einem objektiven
Wert, der Glaube, dass gewisse Haltungen, bezogen auf das Wesen des Alls und auf das, was
wir selber sind, wirklich wahr sind und andere wirklich falsch.“178 Lewis ist davon überzeugt,
dass es eine objektive Wertordnung gibt, wonach Richtig und Falsch oder besser gesagt,
vernünftig oder unvernünftig bemessen werden können.
Bevor genauer erklärt wird, wie Lewis das „Tao“ definiert und wie er es beweist, sollen Gaius
und Titius nochmals zur Sprache kommen: Wie verhält sich das grüne Buch nun zum „Tao“,
dem objektiven Wertsystem? Im grünen Buch – dies sollten die Beispiele zeigen – wird die
Möglichkeit eliminiert, dass ein Gefühl vernünftig oder unvernünftig sein könnte. Eine
Einübung in die ‚richtigen Gefühle’, was beispielsweise das Grundprinzip der augustinischen
„ordo amoris“ war, wäre hier nicht mehr möglich. Durch das Vorgehen von Gaius und Titius
würde der Schüler laut Lewis vermittelt bekommen, dass Gefühle sich nicht auf die
Außenwelt beziehen. Gefühle seien nur Ausdruck über den eigenen Gefühlszustand. Ein
Gefühl könne daher nicht vernünftig oder unvernünftig sein. Denn vernünftig oder
unvernünftig könne etwas nur dann sein, wenn es sich auf etwas anderes bezieht, auf eine

174
Ebd., 24.
175
Ebd., 25.
176
Ebd., 26.
177
Vgl. ebd., 25-26.
178
Ebd., 27.

37
Wahrheit dahinter.179 So wollte der Tourist, der den Wasserfall als „erhaben“ bezeichnete,
ausdrücken, dass das Gefühl etwas Wirklichem, entspricht. Laut Lewis redete der Tourist also
nicht bloß von Empfindungen, sondern noch von etwas anderem, „ebenso wie wenn jemand,
der von einem Schuh sagt, er sitze ihm, nicht nur von Schuhen, sondern von Füßen spricht.
Diese Bezogenheit auf etwas außerhalb der Empfindungen wird von Gaius und Titius aus
jedem Satz ausgeschlossen, der ein wertendes Prädikat enthält.“180 Logisch durchgedacht
würde sich daraus ergeben, dass Sätze mit wertendem Prädikat für Gaius und Titius weder im
Einklang noch im Widerspruch zur Vernunft stehen können, denn Irrationalität lässt keine
Annäherung zur Vernunft zu. Die beiden Begriffe befinden sich auf unterschiedlichen
Ebenen. „So betrachtet stehen sich die Welt der Tatsachen, ohne die mindeste Spur von
Werten, und die Welt der Gefühle, ohne die geringste Spur von Wahrheit oder Irrtum,
Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit gegenüber und keinerlei Annäherung ist möglich.“181

2.1.2 Die Entscheidung zwischen objektiven Werten und Konditionierung

Damit muss eine erzieherische Unterscheidung getroffen werden, nämlich zwischen denen,
die sich innerhalb des „Tao“ befinden und jenen, die außerhalb stehen. Bei Ersteren besteht
die Aufgabe des Erziehers darin, bei den Schülern jene Antworten zu wecken, die der
Wahrheit und der Natur des Menschen entsprechen. Bei dem Erzieher außerhalb des „Tao“,
wie Gaius und Titius es sind, muss eine Entscheidung getroffen werden: Entweder sie werten
alle Gefühle als nicht-rational oder sie fördern einige Gefühle durch Suggestion oder
Konditionierung. Hierbei würden Gefühle zu einem Zwecke dienen, der außerhalb der
Freiheit des Menschen liegt. So ergeben sich grundlegende Unterschiede zwischen den beiden
Erziehungssystemen, denn das eine „behandelt ihre Schüler wie Vögel ihre Jungen behandeln,
wenn sie ihnen das Fliegen beibringen; das […] neue verfährt mit ihnen eher wie der
Geflügelzüchter mit Küken er züchtet sie auf eine bestimmte Art zu einem bestimmten
Zweck, von dem die Küken nichts wissen.“182
Was Lewis nun genau mit der „Sittenlehre“, einer objektiven Wertordnung, die jedem
Menschen von Natur aus einsichtig ist, kurz, dem „Tao“ meint, wird in den folgenden Seiten
erklärt werden.

179
Vgl. ebd., 27-28.
180
Ebd., 29.
181
Ebd., 29.
182
Ebd., 31.

38
2.2 Lewis Auffassung von Richtig und Falsch nach einem objektiv-
sittlichen Wissen

Als Ausgangspunkt der folgenden Argumentation zugunsten der Existenz einer objektiven
Wertordnung dient die Sammlung von Rundfunksendungen, in denen Lewis in den Jahren
1941 und 1942 durch die BBC in London zu christlichen Themen Stellung bezogen hat. Diese
gesammelten Rundfunkaufzeichnungen wurden in einem Buch mit dem Titel „Mere
183
Christianity“ veröffentlicht. Lewis, der selbst kein großer Bewunderer des Radios war,
ergriff dennoch die Möglichkeit, sich auf diese Weise einer großen Zuhörerschaft zu
stellen.184 Die Grundintention für Lewis bestand hauptsächlich darin, den christlichen
Glauben wieder zur Sprache zu bringen und ein Bewusstsein für seine Aktualität zu schaffen.
Lewis vertrat die Auffassung, „dass ein Grundstock an elementaren, zentralen christlichen
Gedanken und Glaubenswahrheiten jedem Christen notwendig sind, um den theologischen
Kontroversen des jeweiligen Augenblicks entsprechend begegnen zu können.“185 Für Lewis
steht und fällt der Mensch mit der Entscheidung, Christ zu sein. Was Lewis jedoch von vielen
christlichen Apologeten unterscheidet, ist ein Überschreiten der Konfessionen. Er ergreift
nicht Partei für die anglikanische Kirche oder verurteilt den Katholizismus, er verteidigt das
„Christentum schlechthin“. Er versucht das Christentum mit Vernunftgründen jeden
Menschen zugänglich und einsichtig zu machen. Ein Hauptanliegen ist die Frage nach einem
göttlichen Recht oder Naturrecht. Er beantwortet Fragen, wie man sich als Christ zu verhalten
hat, was der Glaube vom Menschen verlangt und wie man Christentum in einer modernen
Welt leben kann.186 Die Antworten darauf werden von Lewis auf humorvolle und einsichtige
Art gegeben. Die Vernunft soll kein Widerspruch zum Glauben sein. Beide sollen gemeinsam
Weg zu Gott sein. Auf den nächsten Seiten wird skizziert, wie Lewis mit Vernunftgründen
den Leser zur Realität eines göttlichen Rechts, dem „Naturrecht“, hinführt. Um dies zu
veranschaulichen, unterscheidet er zunächst das „Naturgesetz“ vom „Naturrecht“.

183
„Mere Christianity“ war der Titel der ersten Printfassung, in der alle Radioaufzeichnungen die 1952
veröffentlicht wurde. Das Buch besteht aus drei Teilen und wurde mit dem Titel „Christentum schlechthin“ 1959
ins Deutsche übersetzt. Weitere Auflagen erschienen 1977 mit dem Titel „Pardon- ich bin Christ. Meine
Argumente für den Glauben“.
184
Vgl. Kresák, Clive Staples Lewis als Katechet, 187-188.
185
Ebd., 188.
186
Vgl. ebd., 188-191.

39
2.2.1 Begriffliche Unterscheidung von „Naturgesetz“ und „Naturrecht“

Ausgehend von Alltagssituationen eines Streitgesprächs führt Lewis den Leser zu einer
Unterscheidung zweier Gesetze, nämlich dem „Naturgesetz“187 und dem „Naturrecht“188. Zu
dieser Unterscheidung gelangt er durch Beobachtung. Lewis beobachtet
Kommunikationsregeln in Streitgesprächen. Er beschreibt Situationen, die jeder schon
mindestens einmal miterlebt hat. Zum Beispiel empfindet es jeder als ungerecht und falsch,
wenn ein Versprechen nicht eingelöst wird. Jeder würde sich beschwerden, sagt Lewis, wenn
etwas Geborgtes nicht mehr den Weg zurück zum Besitzer findet. Für Lewis kann sich jeder
in diese Situationen hinein versetzen. Nun würde sich im Streitgespräch immer das gleiche
Verhaltensmuster zeigen. Zunächst würde versucht werden, das eigene Verhalten zu
rechtfertigen. Das Wissen um ein Fehlverhalten würde durch die Rechtfertigung des eigenen
Handelns bestätigt werden. So hätten ungewöhnliche Umstände keine andere Handlung
zugelassen. Für Lewis scheint es so, als gäbe es ein Wissen oder eine Art Gesetz von
anständigem Benehmen. Eine Art „fair play“189. Dies sieht er vor allem in der Tatsache, dass
Streit eine Möglichkeit ist, dem anderen zu zeigen, dass er im Unrecht ist.190 Dies wäre jedoch
nicht möglich, wenn es keine Übereinstimmung darüber gäbe, was Recht und Unrecht ist,
„genauso, wie man einem Fußballspieler nicht vorwerfen kann, er habe ein ‚Foul’ begangen,
wenn es keine Fußballregeln gibt.“191
Diese Regeln oder dieses Gesetz, welches aussagt, was unter Menschen als Recht und
Unrecht gilt, ist das Naturrecht. Naturrecht deshalb, weil es in der Natur des Menschen
verankert ist, um zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Wesentlich ist, dass es sich hier
um ein objektives Recht handelt. Ein Recht, welches jedem Menschen auf Grund seines
Menschseins zukommt und nicht aufgrund seiner Herkunft oder seiner Religion. Andere
192
Begriffe dafür wären beispielsweise „natürliches Sittengesetz“ oder „Tao“193. Davon
unterscheidet Lewis die „Naturgesetze“194: Darunter versteht er z.B. die Schwerkraft,
chemische Vorgänge oder die Genetik.195 Der fundamentale Unterschied zwischen diesen
Gesetzen ist der, dass der Mensch sich dem Sittengesetz widersetzen könne, den

187
Lewis, Pardon, Ich bin Christ, 18.
188
Ebd., 18.
189
Ebd., 17.
190
Vgl. ebd., 17-18.
191
Ebd., 18.
192
Ebd., 19.
193
Lewis, Die Abschaffung des Menschen, 27.
194
Lewis, Lewis, Pardon, Ich bin Christ, 18.
195
Vgl. ebd., 18.

40
Naturgesetzen aber nicht. Laut Lewis hat ein Körper aus naturwissenschaftlicher Sicht nicht
die Wahl, sich der Schwerkraft zu widersetzen, während im Gegensatz dazu jeder Mensch die
Möglichkeit hat, sich mit seinen Handlungen gegen das Naturrecht zu entscheiden. Das
Naturrecht ist das Gesetz, welches der Mensch nicht zwingend zu befolgen braucht. „Aber
dem Menschengeschlecht an und für sich, so nahm man an, sei die Idee eines natürlichen
Sittengesetzes grundsätzlich vertraut. Und ich glaube, das ist richtig so.“196

2.2.2 Die Widerlegung von Einwänden gegen das Sittengesetz

Lewis ist sich jedoch bewusst, dass die Vorstellung eines natürlichen Gesetzes, eines
objektiven moralischen Bewusstseins, für viele gänzlich unmöglich erscheint. Die Meinung,
dass es in den unterschiedlichen Religionen und Kulturen zu jeder Zeit gänzlich
unterschiedliche Vorstellungen gab, was man als sittlich richtig oder falsch zu beurteilen
hatte, lässt er jedoch nicht gelten. Er kontert: „Wohl hat es zwischen den einzelnen
Sittenlehren Unterschiede gegeben, doch waren sie nie so groß, dass man von totalen
Gegensätzen hätte sprechen können.“197 Durch die langjährige Beschäftigung mit der
Objektivität der ersten Sittlichkeitsprinzipien studierte Lewis neben den pädagogisch
interessierten Philosophen auch die „Encyclopedia of Religion and Ethics“. Hier wurde Lewis
Überzeugung bestätigt: In allen Kulturen findet sich „ein fundamentaler Sinn für das dem
Menschen angemessene Gute und dessen Gegenteil durch alle Zeitalter hindurch […].“198
Lewis sieht zwar ein, dass es zwischen den einzelnen Sittenlehren Unterschiede gibt, diese
aber niemals so groß sind, um von Gegensätzen sprechen zu können. Eher gibt es zwischen
den einzelnen Sittenlehren eine große Ähnlichkeit, die auf eine einzige Sittenlehre
zurückzuführen wäre. Um dies anschaulich zu machen, bittet Lewis den Leser, sich ein Land
vorzustellen, in dem eine völlig andere sittliche Auffassung herrscht. „Stellen wir uns ein
Land vor, in dem Fahnenflüchtige bewundert werden, oder wo jemand stolz darauf ist, seine
besten Freunde zu betrügen. Genauso gut können wir uns ein Land vorstellen in dem zwei
mal zwei fünf ist.“199 Dies soll keineswegs bedeuten, dass genau diese Beispiele in jeder
Kultur in gleichem Maße verwerflich wären, aber es ist für ihn eine Tatsache, und das soll
diese Aussage von Lewis ausdrücken, dass es in allen Kulturen zu jeder Zeit die Vorstellung
gab, die eigene Person nicht vorzuziehen. Die Frage und der Unterschied bestand nur darin,

196
Ebd., 19.
197
Ebd., 19.
198
Ebd., 10.
199
Ebd., 19.

41
gegen wen man sich uneigennützig zu verhalten hatte. Das eigene Land? Hier wäre die
Fahnenflucht ein Verbrechen. Oder die Uneigennützigkeit gegenüber der eigenen Familie
oder gegenüber jedermann? Darin liegt der Unterschied, denn Selbstsucht, so Lewis, wurde
nie bewundert.200
Um einem Missverständnis vorzubeugen weist Lewis darauf hin, dass das Sittengesetz nicht
mit gesellschaftlichen Konventionen gleichzusetzen ist. Beide Begriffe würden sich
grundlegend unterscheiden. Wer das Sittengesetz mit anerzogenen Konventionen gleichsetzt
und es dadurch zu widerlegen versucht, geht laut Lewis davon aus, dass alles uns Anerzogene
erfunden wäre. Er bezieht sich hierbei auf die Mathematik, die für ihn eine unerschütterliche
Wahrheit darstellt. Er weist darauf hin, dass, auch wenn man noch nie etwas von Zahlen und
mathematischen Regeln gehört hätte, man nicht davon ausgehen könne, sie würden nicht
existieren. Genauso ist es mit dem Sittengesetz. Auch wenn man noch nicht davon gehört hat,
so würde es laut Lewis trotzdem existieren. Die Mathematik stellt er auf die gleiche Ebene
wie das Sittengesetz und unterscheidet es von bloßen Konventionen. Mit Konventionen meint
er z.B. Verkehrsregeln, denn diese könnten ohne weiteres anders aufgestellt sein.201
Um ein weiters Beispiel der Abweichungen in den einzelnen Sittenlehren aufzuzeigen, führt
Lewis das unterschiedliche Eheverständnis in den einzelnen Kulturen an. Durch die
unterschiedliche Auffassung von Polygamie und Monogamie ist ein Sittengesetz nicht
widerlegbar. Viel eher kann man auf ein einziges Gesetz rückschließen, denn eines ist allen
Kulturen gleich: Ein Mann darf nicht jede Frau besitzen. Dafür gibt es in jeder Kultur
Regeln.202
Folglich ist es für Lewis auszuschließen, nicht von einem objektiv gültigen Recht und
Unrecht auszugehen. Selbst diejenigen unter uns, die diese Vorstellung ablehnen, so merkt
Lewis an, würden um dieses Gesetz wissen. „Vielleicht haben wir manchmal falsche
Vorstellungen davon, so wie man beim Rechnen Fehler machen kann. Aber Recht und
Unrecht sind so wenig eine Frage des bloßen Geschmacks oder der Auffassung wie das große
Einmaleins.“203 Auch Unterschiede und Entwicklungen der individuellen Auffassungen von
Sittlichkeit würden – wie bereits erwähnt – nicht ein Widerspruch zu einem objektiven
Sittlichkeitsprinzip entstehen.
Es gibt laut Lewis unter den Menschen die Auffassung von höheren und geringeren sittlichen
Anschauungen. In dem Moment, wo wir über besser und schlechter in den sittlichen

200
Vgl. ebd., 20.
201
Vgl. ebd., 24.27.
202
Vgl. ebd., 19-21.
203
Ebd., 20.

42
Auffassungen urteilen, gehen wir von einem unabhängigen Maßstab aus, an dem wir uns
orientieren. Würde es keine objektive Wertordnung geben, könnte man nicht über besser oder
schlechter entscheiden. Woran sollte gemessen werden?204 „Wenn ‚gut’ und ‚besser’
Ausdrücke sind, die ihre Bedeutung einzig und alleine aus der Ideologie eines Volkes
ableiten, dann kann nicht eine Ideologie besser oder schlechter sein als die andere. Wenn der
Maßstab nicht unabhängig ist von dem zu messenden Gegenstand, dann können wir nicht
messen.“205 Manche Anschauungen orientieren sich mehr an dieser objektiven Wahrheit als
andere Anschauungen und der Fortschritt in diese Richtung ist eine Entwicklung zum
Besseren. Wenn es keinen letzte und wirkliche Sittlichkeit geben würde, wäre das Sprechen
über besser und schlechter sinnlos. Es wäre sinnlos, von einer besseren oder schlechteren
Welt zu reden.206
Lewis argumentiert weiter, indem er die Freiheit des Menschen in seiner Argumentation
einbaut; die Freiheit des Menschen, sich dem Sittengesetz zu widersetzen. Wie bereits oben
erwähnt, bringt das Sittengesetz nicht automatisch eine Verpflichtung der Einhaltung mit sich.
Doch – Lewis weist darauf hin, ohne selbst Moralprediger sein zu wollen – halten sich die
Menschen nicht immer an das Sittengesetz. Das Wichtige ist für ihn, dass die Menschen um
dieses Fehlverhalten wissen. Warum, so Lewis, würde man versuchen sein schlechtes
Verhalten zu entschuldigen? Warum sucht man Ausreden, um sich besser für sein Verhalten
oder für Versäumnisse zu rechtfertigen? Lewis sieht diese Reaktion als einen weiteren Beweis
für ein Gesetz, welches tief im Menschen verankert ist.
„Wenn wir nicht an ein Sittengesetz glauben, warum liegt uns dann so viel daran, uns zu
entschuldigen, wenn wir uns einmal nicht ‚richtig’ verhalten haben? In Wahrheit
glauben wir so sehr daran, wir fühlen die Verpflichtung durch das Gesetz oder die Regel
so stark, dass wir den Gedanken, dagegen zu verstoßen, nicht ertragen können und
deswegen die Verantwortung von uns abzuwälzen versuchen, denn wohlgemerkt, wir
suchen all diese Erklärungen nur für unser schlechtes Verhalten. Nur für unsere
Missstimmungen machen wir Müdigkeit, Sorgen oder Hunger verantwortlich; gute
Laune schreiben wir und selber zu.“207
Es gibt also laut Lewis ein Gesetz der menschlichen Natur. Dieses Gesetz impliziert, dass es
ein objektives ‚richtig’ oder ‚falsch’ gibt. Dem Menschen ist dieses Gesetz aufgrund seiner
Natur gegeben. Dieses Gesetz muss etwas sein, was jenseits unserer Wirklichkeit, also der

204
Vgl. Lewis, Pardon, Ich bin Christ, 24.27.
205
Lewis, Das Gift des Subjektivismus, 115.
206
Vgl. Lewis, Pardon, Ich bin Christ 24.27.
207
Ebd., 21.

43
empirisch fassbaren Wirklichkeit existiert. Um über besser und schlechter überhaupt urteilen
zu können, müsse es einen objektiven Maßstab geben. Der Mensch weiß um dieses Gesetz
und drückt in seinen Handlungen aus, ob er sich für oder gegen das Gesetz entscheidet. Im
Gegensatz zu den Naturgesetzen hat der Mensch eine freie Wahl, was heißt, dass der Mensch
wählen kann, ob er sich dem Gesetz fügt oder nicht. In beiden Fällen muss er Konsequenzen
daraus ziehen, denn „das Sittengesetz kennt keine Nachsicht. Es ist hart wie Stahl. Es befiehlt
uns, das Rechte zu tun, und es scheint keine Rücksicht darauf zu nehmen, wie qualvoll,
gefährlich und schwierig dies sein mag.“208 Diese beiden Tatsachen bilden für Lewis die
Grundlage für alles klare Denken über die Menschen, uns selbst und die Welt.209

2.2.3 Die Veranschaulichung des Sittengesetzes durch den Vergleich mit


einer Schiffsflotte

Um die Sittenlehre für den Leser anschaulich darzustellen, vergleicht Lewis diese in „Pardon,
ich bin Christ“210 mit einer Schiffsflotte:
Der Leser solle sich eine Schiffsflotte vorstellen, die im Verband fährt. Dies würde nur
funktionieren, wenn die einzelnen Schiffe nicht miteinander kollidieren, sich gegenseitig nicht
in die Fahrrinne geraten. Weiters müsse jedes einzelne Schiff seetüchtig sein. Der Motor
müsse funktionieren und auch die Außenfassade des Schiffes müsse wasserdicht sein. Beide
Voraussetzungen müssen immer gegeben sein. Wären einige Schiffe defekt, würden sich
Kollisionen nicht vermeiden lassen. Würden Schiffe auf Grund schlechter Navigation
miteinander zusammenstoßen, würden sie nur für kurze Dauer intakt bleiben. Eine dritte und
wesentliche Voraussetzung für die geglückte Schiffsfahrt ist die Zielbestimmung. Auch wenn
die Schiffe während der Fahrt nicht kollidieren und sie dadurch unbeschädigt bleiben, wäre
die Reise ein Misserfolg, wenn die Flotte am falschen Ziel anlegen würde.211 So scheint es bei
der Sittenlehre um dreierlei zu gehen: „Zum einen um Fairness und Harmonie zwischen den
einzelnen Menschen; zum anderen um die innere Übereinstimmung eines jeden Menschen mit
sich selbst; und schließlich ganz allgemein um den Sinn des menschlichen Lebens. Wozu
wurde der Mensch geschaffen? In welche Richtung soll die Flotte segeln?“212
Lewis musste sich immer wieder Fragen bezüglich des Sittengesetzes stellen. Er beantwortete
bereitwillig Zuschriften, in denen das Sittengesetz bestritten wurde und lediglich als

208
Ebd., 39.
209
Vgl. ebd., 22.
210
Lewis, Pardon, Ich bin Christ.
211
Vgl. ebd., 72 f.
212
Ebd., 72- 73.

44
Herdentrieb oder Gemeinschaftssinn, der sich in Folge von kulturellen Prozessen im Laufe
der Zeit entwickelt hat, beschrieben wurde. Auch auf diese Deutungen geht Lewis mit
einfachen Beispielen ein. Der nächste Abschnitt befasst sich damit, wie Lewis die Sittenlehre
vom menschlichen Trieb unterscheidet.

2.2.4 Die Unterscheidung zwischen Sittengesetz und Trieb

Lewis führt zur Veranschaulichung der Unterscheidung zwischen Sittengesetz und Trieb den
Vergleich mit einem Klavier an. „Das Sittengesetz gibt uns die Melodie an, die wir zu spielen
haben. Unsere Triebe sind lediglich die Tasten.“213 Jeder wisse um das Gefühl, sich von
seinen Trieben gedrängt zu fühlen. Ob Hunger, Durst, Geschlechtstrieb oder auch
Mutterliebe, jeder weiß um den Wunsch, sich in bestimmten Situationen seinen Trieben
hinzugeben. Dies ist keineswegs negativ zu bewerten. Um aufzuzeigen worin der Unterschied
zwischen der Sittenlehre und dem Trieb ist, führt er das Beispiel der Hilfeleistung an. Das
Gefühl, Hilfe leisten zu wollen, ist für Lewis dem Gemeinschaftstrieb zuzurechnen. Als einen
weiteren Trieb nennt Lewis den Selbsterhaltungstrieb. Entsprechend diesem Trieb gibt es
jedoch immer wieder Situationen, man denke etwa an die Gefährdung des eigenen Lebens,
sich einer Hilfestellung zu entziehen. Hier würden also zwei Triebe, der Gemeinschaftstrieb
und der Selbsterhaltungstrieb, in Konkurrenz zueinander treten. Zusätzlich zu diesen beiden
Trieben gibt es noch eine dritte Instanz, nämlich die Stimme, die uns befiehlt, Hilfe zu leisten
und sich der Situation nicht zu entziehen. Logischerweise kann diese dritte Instanz nicht eine
der beiden Triebe selbst sein.214 „Ebenso gut könnten wir sagen, die Note auf dem Notenblatt,
die angibt, welcher Ton auf dem Klavier angeschlagen werden soll, sei selbst eine Taste auf
dem Klavier.“215 Lewis sagt, dass Triebe weder gut noch schlecht sein können. In der
Analogie des Klaviers zeigt sich, dass es an diesem Instrument keine grundsätzlich ‚richtigen’
oder ‚falschen’ Tasten gibt. Erst beim Spielen einer Melodie erweisen sich einige Tasten als
falsch und führen zu Disharmonie und andere als richtig und lassen die Noten in ihrer inneren
Harmonie erklingen. So ist laut Lewis der Trieb der Mutterliebe zwar seltener zu
unterdrücken als der Geschlechtstrieb, beiden müsse jedoch zu bestimmter Zeit nachgegangen
werden. Es kann für Lewis daher keinen Trieb geben, den man absolut über andere Triebe
setzen kann.216 Die Triebe selbst entscheiden also nicht, wie der Mensch handeln soll. Es gibt

213
Ebd., 23.
214
Vgl. ebd., 23.
215
Ebd., 23.
216
Vgl. ebd., 23-24.

45
laut Lewis eine triebunabhängige Instanz, die dem Menschen zeigt, wann er welchem Trieb
Folge leisten soll. Verkürzt gesagt bedeutet das, dass die Sittenlehre und das Einhalten dieser
Gesetzte den Menschen zum Besseren hin entwickeln würde. Das Sittengesetz als objektive
Instanz zeigt, wie der Mensch sich richtig verhalten soll.
Nachdem Lewis erstmals öffentlich Stellung zu seiner Überzeugung hinsichtlich des
Sittengesetzes bezogen hatte, stand der Vorwurf im Raum, Lewis würde der Psychoanalyse
einfach einen neuen Namen geben. Zwar gesteht Lewis ein, dass die Psychoanalyse eng
verbunden mit der Sittenlehre zu sehen ist aber beiden eine andere Technik und ein anderes
Ziel zugrunde liegen würden. Worin sich die Psychoanalyse von der Sittenlehre unterscheidet
wird auf den nächsten Seiten dargestellt.

2.2.5 Die Unterscheidung zwischen moralischem Handeln und der


Aufgabe der Psychoanalyse

Nach Lewis spielen bei jeder sittlichen Handlung zwei Faktoren ein wichtige Rolle: Zum
einen wäre dies der Akt der Entscheidung selbst, damit gemeint ist der freie Wille des
Menschen, und in weiterer Folge das Rohmaterial des Menschen. Unter Rohmaterial versteht
Lewis die psychische Beschaffenheit eines jeden Menschen. Diese Gefühle oder Antriebe
könnten jedem Menschen soweit vertraut sein, um sie als normal zu bezeichnen. Phobien
wiederum hätten ihre Ursache in einer Fehlentwicklung. Die Aufgabe der Psychoanalyse
würde darin bestehen, dem Menschen zu helfen, dieses fehlentwickelte Rohmaterial zu
beseitigen und ihm besseres Material für seine Entscheidungen zu geben. In der Sittenlehre
geht es um den Akt der Entscheidung selbst.217
Lewis drückt den Unterschied zwischen moralischem Handeln und Psychoanalyse mit einem
anschaulichen Beispiel aus: Man solle sich drei Soldaten vorstellen. Einer der drei leidet unter
den üblichen Ängsten vor dem Krieg, überwindet diese jedoch durch moralische Anstrengung
und dient seinem Land auf tapfere Art. Die beiden anderen Soldaten leiden jedoch so sehr an
ihren Ängsten und können diese nicht so überwinden, wie der erste Soldat. Hier stellt Lewis
das Vorgehen der Psychoanalyse verkürzt dar. Er beschreibt nicht das genaue Vorgehen der
Psychoanalyse, sondern unterscheidet hier nur zwischen Rohmaterial und dem freien Willen
des Menschen. Die Psychoanalyse hätte laut Lewis die Aufgabe, den Menschen von seinem
schlechten Rohmaterial zu befreien. Im Soldatenbeispiel wären hier nun die beiden Soldaten
durch die Psychoanalyse von ihren Ängsten geheilt. Genau hier beginnt das moralische
Handeln: Durch die Psychoanalyse, so Lewis, hätten die Soldaten nun gesundes, normales

217
Vgl. Lewis, Pardon, Ich bin Christ, 86-91.

46
Rohmaterial für ihre Entscheidungen zur Verfügung.218 „Denn jetzt, nachdem sie geheilt sind,
können sich die beiden ganz unterschiedlich verhalten.“219 Der eine könne sich nun nach den
moralischen Regeln verhalten, der andere jedoch könnte sich völlig egoistisch gegenüber
seinem Heimatland verhalten und ehrlos handeln. Der Unterschied steht und fällt also mit
dem freien Willen des Menschen.
In dieser Arbeit wurde bis jetzt dargestellt, was Lewis unter der Sittenlehre versteht, aber
nicht, wie er sie beweist. Die nächsten Seiten widmen sich der Beweisführung von Lewis
hinsichtlich der Existenz des Sittengesetztes. In „Pardon, ich bin Christ“ versucht er mit
Vernunftgründen zu beweisen, dass es die Sittenlehre gibt. Lewis zeigt auf, dass es eine
Wirklichkeit hinter der fassbaren Wirklichkeit gibt, der das Sittengesetz entspringt.

2.3 Der Versuch von Lewis, die Existenz des Sittengesetzes


aufzuzeigen

Zunächst muss erneut die Unterscheidung zwischen den Naturgesetzen und dem Gesetz der
menschlichen Natur zur Sprache kommen. Wie ist jeweils das Gesetz bestimmt? Wodurch
wird es zum Gesetz?
Bei den Naturgesetzen geschieht dies laut Lewis durch die Beobachtung, dass sich bestimmte
Dinge auf bestimmte Weise verhalten. Dieses immer gleich bleibende Verhalten wurde
dadurch als ein Gesetz bestimmt. Steine fallen aufgrund der Anziehungskraft zu Boden.
Immer dort, wo diese Kraft herrscht, fallen Dinge hinunter. „Die Naturgesetze, auf Steine
oder Bäume angewendet, umschreiben vermutlich nur, was sich in der Natur tatsächlich
vollzieht.“220
Mit dem Gesetz der menschlichen Natur ist es anders. Laut Lewis verhält es sich hier
keinesfalls so, dass dieses Gesetz das ist, was Menschen tun.
„Das Gesetz der Schwerkraft sagt, was Steine tun, wenn man sie fallen lässt. Das Gesetz
der menschlichen Natur dagegen sagt, was die Menschen tun sollten und nicht tun. Mit
anderen Worten: Sobald es sich um Menschen handelt, kommt etwas ins Spiel, das
jenseits der eigentlichen Fakten liegt.“221
Diese Wirklichkeit hinter der fassbaren Wirklichkeit kann für Lewis nicht einfach geleugnet
werden. Ein Versuch der Relativierung eines allgemein gültigen sittlichen Rechts könne nur

218
Vgl. ebd., 86-88.
219
Ebd., 88.
220
Ebd., 29.
221
Ebd., 29.

47
scheitern. Denn ein Gesetz der menschlichen Natur habe keine unterschiedlichen
Vorstellungen von richtig und falsch zur Folge, es ist nicht subjektiv. Dessen Relativierung
würde schon in seiner Argumentationsform zirkulär sein und daher nicht zu einer Leugnung
führen können.
„Wenn wir zum Beispiel fragen: ‚Warum soll ich selbstlos handeln?‘ und die Antwort
lautet: ‚Weil es für die Allgemeinheit gut ist’, können wir weiter fragen: ‚Weshalb soll
ich mich darum kümmern, was für die Allgemeinheit gut ist, solange ich persönlich
nichts davon habe?’ Die Antwort darauf wird lauten: ‚Weil der Mensch selbstlos sein
soll!’. Und damit wären wir wieder am Anfang.“222
Es muss also eine Wirklichkeit auf einer anderen Ebene geben, um überhaupt über richtig
oder falsch urteilen zu können. Jede andere Argumentation würde sich im Kreis drehen. Es
muss objektive Gründe für richtiges Verhalten geben, die selbst nicht auf der Ebene des
Fassbaren liegen.
Natürlich ist dieses Beispiel kein empirischer Beweis. Eine empirische Bestätigung ist in
diesem Zusammenhang sinnlos, da das zu Beweisende hinter der fassbaren Wirklichkeit liegt.
Auch Lewis erkennt dieses Dilemma und versucht, dem Leser seinen Standpunkt auf andere
Art zu erklären. Er möchte zuerst anhand des Universums und daraus folgernd auf Grund des
Menschen aufzeigen, dass es eine Wirklichkeit hinter unserer empirisch fassbaren Welt gibt.
Zunächst vergleicht er die materialistische Ansicht über die Entstehung der Welt mit der
Anschauung einer religiösen Entstehungsgeschichte, hierbei spricht er vor allem über die
christliche Auffassung von Sinn und Zweck der Welt.

2.3.1 Die Gegenüberstellung von materialistischer und religiöser


Weltanschauung

Lewis schlägt als ein Stichwort zur Charakterisierung des Materialismus „Zufall“223 vor:
Spätestens durch Aufklärung und die Umbrüche in der Gesellschaft durch die französische
Revolution beginnt eine Akzentverschiebung zwischen Mensch und Welt. Religiöse
Erklärungen über die Entstehung der Welt, deren Sinn und Ziel wurden einer materialistische
Auffassung gegenübergestellt. Mensch und Welt seien nur durch einen Zufall entstanden. „ Es
gibt lediglich den planlosen Zufall, die Materie und lange Zeiträume.“224

222
Lewis, Pardon, Ich bin Christ, 31.
223
Ebd., 33.
224
Wilder-Smith, Gott: Sein oder Nichtsein?, 11.

48
Lewis gibt eine stark verkürzte Darstellung des Materialismus; er geht nicht im Einzelnen auf
ihre Strömungen ein, sondern verwendet die naturwissenschaftlich-materialistische Lehre als
Gegensatz zu einer religiösen Weltanschauung.
Die Erklärung der Welt aus religiöser Sicht, und hier beginnt Lewis bereits mit der christlich-
philosophischen Weltanschauung zu argumentieren, könnte man unter dem Stichwort,
“Intelligenz“225 zusammenfassen. Ein großer Planer, ein Gott, eine Intelligenz oder ein Logos
steht hinter der fassbaren Wirklichkeit.226 Lewis spricht hier noch nicht vom Gott der
christlichen Religion, von YHWH, von einem persönlichen Gott der Offenbarung, sondern er
versucht dem Leser lediglich klar zumachen, dass das Dasein des Menschen seinen Ursprung
nicht im Zufall haben kann. Den Beweis hierfür findet Lewis beim Menschen selbst. Die
Beweisführung von Lewis arbeitet mit dem ‚Werkzeug’ Vernunft. Er zeigt auf, dass es
absolut vernünftig ist, von einer Wirklichkeit hinter der fassbaren Wirklichkeit auszugehen.
Da mit den Mitteln der Vernunft gearbeitet wird, ist der Beweis kein naturwissenschaftlicher
sondern ein philosophischer Beweis. Mit Vernunftgründen aufzuzeigen, dass es Gott gibt,
wird in der Theologie die „natürliche Gotteserkenntnis“227 genannt. Diese „natürliche
Gotteserkenntnis“ ist Inhalt der Philosophischen Gotteslehre, deren Ziel es ist, Gott zu
beweisen. Der Theologe Klaus Müller meint, dass bereits der „Ausdruck ‚Gottesbeweis’
einen unguten Beigeschmack“228 bei vielen Menschen hervorrufen würde. Müller sieht im
Begriff „Beweis“229 den Anstoß der Kritik. Zum einen würden diejenigen Menschen, die
einen gleichgültigen oder agnostischen Standpunkt in der Gottesfrage einnehmen, meinen,
dass sich die Theologie mit dem Vorhaben, Gott beweisen zu wollen, selbst überschätzen
würde.230 Die Menschen, die ihr Leben in die Perspektive des Glaubens stellen, würden laut
Müller meinen, dass Gotteserkenntnis nur durch den Glauben stattfinden könne. Die Vernunft
würde sich in Bezug auf Gotteserkenntnis etwas anmaßen, was nur religiöser Erfahrung
zugänglich sei.231
Müller meint jedoch, dass es notwendig ist, zwischen Beweis und Beweis zu unterscheiden.
Nur durch diese Unterscheidung wäre es einsichtig, was ein „Gottesbeweis“ genau bezwecken
möchte und wie man ihn kritisieren kann.232 Die nächsten Seiten werden sich mit dieser
Unterscheidung von Klaus Müller beschäftigen.

225
Lewis, Pardon, Ich bin Christ, 33.
226
Vgl. ebd., 33.
227
Müller, Gott erkennen, 13.
228
Ebd., 22.
229
Ebd., 22.
230
Vgl. ebd., 22.
231
Vgl. ebd., 22.
232
Vgl. ebd., 22-26.

49
2.3.2 Eine Unterscheidung von Beweis und Beweis nach Klaus Müller

Da jede Wissenschaft mit unterschiedlichen Werkzeugen operiert und sich ihre Inhalte sehr
oft unterscheiden, also das Formal- und Materialobjekt nicht identisch sind, stellen sich in den
einzelnen Wissenschaften unterschiedliche Fragen. Anhand des Beispieles der Entstehung der
Welt gehe es der Naturwissenschaft eher um den genauen Zeitpunkt der Entstehung der Erde,
der genauen Abfolge von chemischen Prozessen und ihren Zufällen. Die Frage würde hier
also lauten: „Wann und wie ist die Welt entstanden? Die religiöse Frage nach dem Warum,
nach dem Ziel der Welt, also die Frage nach der Schöpfung, findet sich hier nicht. Und dies
ist vielleicht der Angelpunkt einer jeden Wissenschaft, es gibt in ihr selbst immer
Voraussetzungen. Weder die Naturwissenschaft noch die Geisteswissenschaft gehen „mit dem
Gedanken der Lückenlosigkeit, der absoluten Voraussetzungslosigkeit und damit mit dem
einer letzten Erzwingbarkeit einher.“233 Diese Voraussetzungen bilden für Müller die Basis
einer jeden Wissenschaft. Auf dieser Basis wird durch Beobachtungen, Messungen,
Berechnungen usw. eine Behauptung aufgestellt. „Im weiteren Sinn heißt ‚Beweis’, die
strenge Begründung einer Behauptung, im engeren Sinn der gültige Schluss, d.h. dass etwas
aus wahren Prämissen oder wahr angenommenen Hypothese oder unbeweisbaren Axiomen
korrekt gefolgert wird.“234 So sieht Müller zwei Möglichkeiten der Widerlegung eines
Beweises oder der Kritik an ihm.
Der Beweis könnte erstens kritisiert werden, weil er logisch nicht stringent durchgeführt
wurde. Zweitens könnten aber bereits die Voraussetzungen nicht akzeptiert werden. Vor allem
in der Philosophie und der Theologie werden und wurden Beweise auf Grund ihrer
metaphysischen Grundvoraussetzung nicht anerkannt. Da Lewis sich mit seiner
Argumentation bezüglich einer Wahrheit hinter der fassbaren Realität im Bereich der
philosophischen Theologie befindet, könnte man an Lewis die gleiche Kritik üben, mit der
sich schon seine Vorgänger konfrontiert sahen. Mit der Vernunft auf ein göttliches Prinzip zu
schließen, ließ bereits Thomas v. Aquin fünf Wege aufzeigen, welche argumentativ ein
göttliches Prinzip folgerten. Nicht die logische Argumentation soll in den nächsten Seiten der
Anstoß der Kritik an Lewis sein. Gott als Voraussetzung seiner Beweisführung und die
Möglichkeit des Menschen, diesen zu erkennen, werden in weiterer Folge genauer betrachtet
und beurteilt werden.

233
Ebd., 23.
234
Ebd., 22-23.

50
2.3.3 Die Beweisführung bei Lewis hinsichtlich einer Wirklichkeit hinter
der fassbaren Realität.

Lewis Ausgangspunkt für den Beweis einer Wirklichkeit hinter der fassbaren Realität ist der
Mensch selbst. „Es gibt einen Gegenstand, und nur einen auf der ganzen Welt, von dem wir
mehr wissen, als man durch Beobachtungen von außen erfahren kann. Dieser eine ist der
Mensch.“235 Zusätzlich zu der Beobachtung was der Mensch tut, hätten wir nach Lewis die
Möglichkeit, das zu wissen, was der Mensch tun soll. Jene Kraft, die hinter all unserer
Wirklichkeit steht, wäre kein zu beobachtendes Faktum, „sondern die die Fakten schaffende
Wirklichkeit selbst.“236 Man kann diese Kraft also nicht als Bestandteil unserer Wirklichkeit
selbst betrachten, „ebenso wenig wie der Architekt eines Hauses eine Wand, eine Treppe oder
ein Kamin in diesem Haus sein könnte.“237 Lewis geht hier von einem unabhängigen Maßstab
aus, um über Richtig und Falsch entscheiden zu können. Zwar argumentiert Lewis hier noch
nicht auf den Bereich eines christlichen Gottes hin, eher beschreitet er den Weg dorthin. Die
Beweisführung von Lewis in diesem Stadium ist meines Erachtens in enger Verwandtschaft
zu den klassischen Gottesbeweisen anzusiedeln. Als exemplarisches Beispiel für die
Gottesbeweise kann vor allem der Beweis der Seinsstufen bei Thomas von Aquin genannt
werden. Der erste Schritt, um an Lewis Kritik zu üben, beinhaltet eine genauere Betrachtung
der Kritikpunkte selbst. Die Kritikpunkte wären zum einen die „natürliche Gotteserkenntnis“
und zum anderen die Reichweite der Vernunft.

2.4 Zwei Möglichkeiten, an der Beweisführung von Lewis Kritik zu


üben

Die nächsten Seiten werden sich damit beschäftigen auf zweierlei Art an Lewis Kritik zu
üben. Die erste Kritik wird durch Karl Barth erfolgen, der die „natürliche Gotteserkenntnis“
kritisiert. Lewis wird hier also indirekt kritisiert. Der zweite Schritt der Kritik befasst sich mit
den Möglichkeiten des menschlichen Verstandes, prinzipiell etwas Metaphysisches, bei Lewis
das Sittengesetz, erkennen zu können. Hierbei wird die Metaphysikkritik von Immanuel Kant
genauer betrachtet. Die Kritik und der Beleg des Sittengesetzes durch Kant, sind deshalb
notwendig, um den Sprung, den Lewis vollzieht, besser verstehen zu können; den Sprung von

235
Lewis, Pardon, Ich bin Christ, 34.
236
Ebd., 35.
237
Ebd., 35.

51
einem mit Vernunft begründeten Grund des Daseins hin zu einem persönlichen Gott des
Christentums.
Zunächst wird die „natürliche Gotteserkenntnis“ skizziert. Danach wird einer der „quinque
viae“ von Thomas v. Aquin, der Beweis der Seinsstufen, genauer betrachtet.

2.4.1. Beschreibung der „natürlichen Gotteserkenntnis“

Schon seit Menschengedenken stießen Menschen mit ihrem Wissen von Welt und Kosmos an
ihre Grenzen. So waren es bei den Naturvölkern noch Naturphänomene wie z.B. Blitz,
Donner oder der Regenbogen, wohl aber auch eine innere Stimme des Menschen, die ein
Denken an etwas Höheres anregten. Durch das immer weiter fortschreitende Wissen um
physikalische Ereignisse begann eine Akzentverschiebung bei der Beobachtung: „Die
durchgehende und beständige Ordnung der Natur, ihre Schönheit und Pracht, ihre
Regelmäßigkeit und Harmonie[…]“238 boten den Anlass für ein tieferes Nachdenken über
Ursprung und Grund der Welt. Die Frage nach dem Grund der Welt wurde hier gestellt. Wie
bei Lewis konnte dieser Grund nur außerhalb der fassbaren Wirklichkeit anzusiedeln sein.
Schon im sechsten Jahrhundert vor Christus gab es in der „abendländischen Kultur Denker,
welche die religiöse Erfahrung und Überlieferung kritisch reflektierten und auf dem Weg des
Denkens Gott zu erkennen suchten.“239 Diese Tradition beginnt also bereits lange vor dem
Christentum. So sprach Platon in seiner Ideenlehre von der Idee des Guten, Plotin vereinigte
seine Gedanke über die allrealste Wirklichkeit in den Begriffen des Einen und Übereinen,
Aristoteles und in weiterer Folge auch Thomas v. Aquin gingen von einem unbewegten
Beweger aus.240 Der zentrale Einwand gegen diese abendländischen Denker, und darauf wird
später noch eingegangen werden, ist der Vorwurf, der Mensch könne mit den Mitteln der
Vernunft nicht zu einer Gotteserkenntnis gelangen. Die Beweisführung von Lewis um auf
eine Wahrheit hinter der fassbaren Realität zu schließen, wird von ihm mit den Mitteln der
Vernunft vollzogen. Also auch Lewis geht davon aus, dass der Mensch mit seiner Vernunft
Gott erkennen kann. Die große Parallelität zwischen Lewis und den „Gottesbeweisen“ ist der
hohe Stellenwert der Vernunft in der Beweisführung. Um dies anschaulich darzustellen wird
nun auf einen der „quinque viae“ bei Thomas v. Aquin eingegangen.

238
Katholischer Erwachsenenkatechismus. Bd. 1, 25.
239
Ebd., 25.
240
Ebd., 25.

52
2.4.2 Der Stufenbeweis von Thomas v. Aquin

Thomas v. Aquin, wohl einer der prominentesten Theologen der abendländischen


Philosophie, hat in seinem Werk „Summa Theologiae“ fünf Wege dargestellt, in denen das
aufgezeigt werden soll, „was alle als Gott verstehen“241. „Gleichwohl ist unter den fünf
Argumentationsperspektiven keine, die nicht in Grund- und Vorform längst vorher da
gewesen wäre.“242 Vor allem die aristotelischen Grundgedanken werden in den fünf Wegen
weiter entfaltet. Auch Teile der platonischen Lehre finden Eingang. Es geht hier um die Frage
„An Deus sit?“, ob Gott existiert. Diese Existenz soll mit den Mitteln der Vernunft aufgezeigt
werden. Vernunft soll aber nicht den Platz des Glaubens einnehmen, sondern der Glaube soll
sich vergewissern, dass das, was er tut, nicht unvernünftig ist. „Fides quaerens
intellectum“243, der Glaube der das Verstehen sucht, steht hier im Vordergrund. Die
Begründung stützt sich hier aber nicht auf theologische Argumente, sondern ausschließlich
auf philosophische. Wir befinden uns im Bereich der Ontotheologie. Thomas sagt selbst:
„Fünf Wege gibt es, das Dasein Gottes zu beweisen.“244

Thomas von Aquin geht immer von der fassbaren Wirklichkeit aus. Durch Beobachtungen
und der Vernunft schließt er in seinen fünf Wegen immer auf ein Prinzip. Um die
Parallelitäten zwischen Lewis und Thomas von Aquin aufzuzeigen, wird im Folgenden auf
den dritten Weg, den Stufenbeweis bei Thomas näher eingegangen werden.
Man erinnere sich an die Überzeugung bei Lewis von einem objektiv richtig und falsch.
Richtig und falsch könne man Dinge nur dann nennen, wenn man sie an einem Maßstab
misst, der außerhalb der fassbaren Wirklichkeit liegt. Aus einzelnen Wertsystemen folgt
Richtigkeit nur durch Bewertung mittels dieses Maßstabes. Thomas v. Aquin hingegen führt
in seinem „dritten Weg“ diese Beweisführung zurück auf die platonische Ideenwelt und der
daraus entstandenen Lehre der Transzendentalien. Eine Aufgabe der mittelalterlichen
Ontologie war es, herauszufinden, ob es bestimmte Eigenschaften an den Seienden, also
Aussageschemata, gibt. Diese Eigenschaften sind jedoch nicht zu verwechseln mit
kategorialen Bestimmungen. Diese wären z.B. Qualität, Lage oder Relation. Hier sind
transkategoriale Bestimmungen gemeint, welche für alle Seienden gleichermaßen gelten.

241
Thomas v. Aquin: Summa theologica I, quaestio 4, articulus 1 c 44-45.
242
Müller, Gott erkennen, 34.
243
Anselm von Canterbury, der Ahnherr der Scholastik, bringt die Idee von der Notwendigkeit der rationalen
Durchleuchtung von Glaubenssätzen in die geistesgeschichtliche Epoche nach ihm prägenden Motto „fides
qaerens intellectum“, der die Vernunft suchende Glaube, auf den Punkt. Vgl. Hirschberger, Geschichte der
Philosophie. Bd. 1, 404-405.
244
Thomas v. Aquin: Summa theologica I, quaestio 4, articulus 1 c 44-45.

53
Diese Eigenschaften werden Transzendentalien genannt. Diese sind unum, denn jedes Seiende
bildet eine Einheit. Die prinzipielle Erkennbarkeit eines jeden Seienden wird als verum
bezeichnet. Bonum sagt aus, dass alles vom Menschen angestrebt werden kann. Mit pulchrum
ist die Harmonie gemeint, die die Seienden untereinander aufweisen. Thomas folgert also mit
den Gedanken des Aristoteles, dass es ein höchst Wahres geben muss, welches gleichzeitig
auch die höchste Wirklichkeit darstellt.245 Thomas sagt selbst: „So muss es auch etwas geben,
das für alle Wesen die Ursache ihres Seins, ihres Gutseins und jedweder ihrer
Seinsvollkommenheit ist: und dieses nennen wir Gott.“246
Die Art der Beweisführung, mit Hilfe der Vernunft auf ein göttliches Prinzip zu schließen,
wurde von vielen Denkern kritisiert. Die Kritik an der „natürlichen Gotteserkenntnis“ durch
Karl Barth, soll die erste Möglichkeit der Kritik an Lewis darstellen.

2.4.3 Die Kritik an der „natürlichen Gotteserkenntnis“ nach Karl Barth

Der vielleicht berühmteste Kritiker an einer natürlichen Gotteserkenntnis ist der


protestantische Theologe Karl Barth (1886-1968), der Begründer der „dialektischen
Theologie“. Durch das unaussprechbare Leid, hervorgerufen durch den Zweiten Weltkrieg,
forderten Barth und seine Anhänger eine Abkehr von allen „selbst gemachten und
zeitangepassten Vorstellungen von Gott und Religion […]“247 hin zu einem kompromisslosen
„sola scriptura“. Nach Barth ist der Mensch so sehr Sünder, dass auch die Vernunft dadurch
beeinträchtig sei, und folglich sei der Mensch unfähig, von sich aus etwas von Gott zu
erkennen. Klaus Müller fasst die Gedanken Barths zusammen: „Wenn es denn etwas von Gott
zu erkennen gibt, dann einzig deswegen, weil Gott sich selber kenntlich macht als sich
Offenbarender – was freilich mit einer gleichzeitigen Zerschlagung aller menschlichen
Gottesgedanken einhergehen muss. Gotteserkenntnis geschieht damit allein aus Gnade.“248
Natürlich hatte die katholische Kirche, die ihrerseits keinen Widerspruch zwischen Vernunft
und Gotteserkenntnis sah, die Verpflichtung, hier Stellung zu beziehen. Gegründet auf das
biblische Zeugnis des heiligen Paulus, hat das Erste Vatikanischen Konzil (1869-1870) die
Erkennbarkeit Gottes folgendermaßen festgehalten: „Gott, aller Dinge Grund und Ziel, kann

245
Vgl, Zimmermann, Thomas lesen, 120-151
246
Thomas v. Aquin: Summa theologica I, quaestio 4, articulus 1 c 47-48.
247
Müller, Gott erkennen, 14.
248
Ebd., 15.

54
mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen mit
Gewissheit erkannt werden.“249
Auch das Zweite Vatikanische Konzil hat die Gedanken des Ersten Vatikanischen Konzils
aufgegriffen und im Angesicht eines modernen Atheismus weiterentwickelt. Die Konzilien
sahen es als ihre Aufgabe, darzustellen, „dass man jeden Menschen auf Gott hin ansprechen
kann, so dass der christliche Glaube nichts Unvernünftiges oder gar Widervernünftiges ist.“250

2.4.4 Die Kritik an der Erkennbarkeit des allgemeinen Sittengesetzes


anhand Kants Kritik der Metaphysik

Wie bereits erwähnt, kann die Kritik an der Erkennbarkeit einer transzendenten Gottheit auch
und vor allem durch die Philosophie geschehen. Die Kritik der „natürlichen Gotteserkenntnis“
von Karl Barth, fand auf einem religiösen Hintergrund statt. Die Vernunft sei durch die
Erbsünde geschwächt und könne Gott daher nicht erkennen. Die bereits angekündigte zweite
Kritik an der Beweisführung von Lewis befindet sich nun im Bereich der Philosophie, hier
speziell in der Erkenntnistheorie. Ein Ausgangspunkt hierfür ist die Frage nach der
Reichweite der Erkenntnis. Reicht die Vernunft aus, um eine erfahrungsenthobene
Transzendenz zu erkennen? Hier soll nun mithilfe der Gedanken von Immanuel Kant versucht
werden, an C.S. Lewis Kritik zu üben.
Kants Hauptargument gegen das Erkennen Gottes mit Hilfe der Vernunft ist die begrenzte
Reichweite des menschlichen Erkenntnisinstrumentariums. „Weil es für Menschen wirkliche
Erkenntnis nur im Zusammenspiel mit Sinneserfahrung geben kann, Gott aber nicht in den
Bereich der Sinneserfahrung gehört, ist es unmöglich, auf verlässliche Weise – also so wie
von Gegenständen der Welt – etwas von ihm zu erkennen.“251 An diesem Punkt soll auf
Lewis verwiesen werden. Er ist davon überzeugt, dass der Mensch prinzipiell um eine
Transzendenz wisse. Durch die Beobachtung des Menschen könne man laut Lewis jedoch
nicht automatisch auf eine Realität hinter der fassbaren Realität schließen. Wie bereits
erwähnt, könne man an den Handlungen des Menschen nicht erkennen, dass es ein
Sittengesetz gibt. Lewis geht davon aus, dass der Mensch aber um dieses Gesetz wisse. Es ist
laut ihm im Menschen verankert. Bis jetzt sind wir bei Lewis „zu einem unbestimmten Etwas
vorgedrungen, das die Welt lenkt und [im Menschen] als Gesetz sichtbar wird, das […] zum
rechten Handeln anhält und […] mit Schuldbewusstsein und Unbehagen erfüllt, wenn [man]

249
Vatikanum I, Dogmatische Konstitution „Dei Filius“ über den katholischen Glauben, 3004, 27.
250
Katholischer Erwachsenenkatechismus. Bd. 1, 29.
251
Müller, Gott erkennen, 16.

55
etwas Böses getan ha[t].“252 Die philosophische Frage in der Erkenntnistheorie ist, ob es dem
Menschen prinzipiell möglich ist, um ein Gesetz zu wissen, welches seinen Ursprung nicht in
unserer Wirklichkeit hat; ein Wissen ohne Erfahrungsbezug, also ein Wissen a priori.
Ausgangspunkt ist die grundlegende Frage nach der Erkenntnis. In der „Kritik der reinen
Vernunft“253 untersucht Kant, inwieweit der Mensch allein mittels der Vernunft auf etwas
Erfahrungsenthobenes schließen kann.
Laut Kant braucht der Mensch Verstand und Erfahrung, um zu wirklicher Erkenntnis zu
gelangen. „Wirkliche Erkenntnis resultiert für Kant ausschließlich aus der Interaktion
sinnlicher Eindrücke einerseits und unserem Erkenntnisinstrumentariums andererseits: Erst
unter der Prägkraft der reinen Formen der sinnlichen Anschauung – also von Raum und Zeit –
und derjenigen der Kategorien gibt es für uns Erfahrung von etwas – wie umgekehrt ohne das
sinnliche Datenmaterial der Erkenntnisapparat sozusagen leer liefe.“254
Wie steht es um metaphysisches Wissen, also Wissen über etwas außerhalb unserer sinnlichen
Wahrnehmung, im Lewis’schen Denken, die Wirklichkeit hinter der fassbaren Realität? Bei
Kant ist das synthetische Wissen a priori. Laut Kant sind diese Urteile nicht der Empirie
zugänglich. Man kann diese Urteile nicht messen oder beobachten, sie sind der Erfahrung
nicht zugänglich. Doch was passiert nun mit dem Anspruch einer philosophischen Theologie,
ein sicheres Wissen über ein höchstes Wesen erlangen zu können? Ihr Ausgangspunkt, wie
bereits gezeigt, ist einerseits die Welterfahrung und der daraus resultierende Rückschluss auf
eine Transzendenz. Der Gottesgedanke muss laut Kant als ein „Ideal der reinen Vernunft“
betrachtet werden.255 Was bedeutet dieses „Ideal“ aber für die Beweisbarkeit Gottes?
„Das höchste Wesen bleibt also für den bloß spekulativen Gebrauch der Vernunft ein
bloßes, aber doch fehlerfreies Ideal, ein Begriff, welcher die ganze menschliche
Erkenntnis schließt und krönet, dessen objektive Realität auf diesem Weg zwar nicht
bewiesen, aber auch nicht widerlegt werden kann […].“256

252
Lewis, Pardon, Ich bin Christ, 36.
253
Kant, KrV. Diese Angabe bezieht sich auf die 1911 erschienene Ausgabe der zweiten Auflage der „Kritik der
reinen Vernunft“ im Rahmen der von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin herausgegeben
Gesamtausgabe von Kants Schriften.
254
Müller, Gott erkennen, 76.
255
Vgl. ebd., 75-77.
256
Kant, KrV B 669.

56
2.4.5 Die Erkenntnistheorie bei Kant als Beleg für das Sittengesetz

Hier kann man sehen, dass selbst Kant mit den Mitteln der „theoretischen Vernunft“257 weder
die Existenz noch die Nicht-Existenz Gottes beweisen kann. Laut Kant müsse aber dem
Gottesgedanken im Menschen Rechnung getragen werden – und für Kant findet sich dieser
im Bereich der „praktischen Vernunft“258, der Ethik. Wenn es überhaupt eine philosophische
Theologie geben soll, dann, laut Kant, nur in der Form einer Moraltheologie. Und genau hier,
im Bereich der praktischen Vernunft begegnet uns das Sittengesetz, mit welchem Kant eine
Wende vollzieht:259
„Man kann das Bewusstsein dieses Grundgesetzes ein Faktum der Vernunft nennen,
weil man es nicht aus vorhergehenden Datis der Vernunft, z.B. dem Bewusstsein der
Freiheit (denn dieses ist uns nicht vorher gegeben), herausvernünfteln kann, sondern
weil es sich für sich selbst uns aufdringt als synthetischer Satz a priori, der auf keiner,
weder reinen noch empirischen Anschauung gegründet ist, ob er gleich analytisch sein
würde, wenn man die Freiheit des Willens voraussetzte, wozu aber, als positivem
Begriffe, eine intellektuelle Anschauung erfordert werden würde, die man hier gar nicht
annehmen darf. Doch muß man, um dieses Gesetz ohne Mißdeutung als gegeben
anzusehen, wohl bemerken: dass es kein empirisches, sondern das einzige Faktum der
reinen Vernunft sei, die sich dadurch als ursprünglich gesetzgebend (sic volo, sic iubeo)
ankündigt.“260
Kant bezeichnet hier das Sittengesetz als gegeben. Als das einzige Wissen, welches dem
Menschen prinzipiell bekannt ist, ihm von Natur aus gegeben ist. Das Sittengesetz ist für
Kant, das einzige Wissen welches der Mensch prinzipiell besitzt. Der Mensch braucht für das
Wissen keine Erfahrung, es kann laut Kant als ein Faktum der reinen Vernunft angesehen
werden. Kant hätte meines Erachtens keine Einwände gegen die Beweisführung von Lewis
hinsichtlich des Sittengesetzes.
Auf den letzten Seiten wurde ausgeführt, dass die Frage nach Gott oder einer Wirklichkeit
hinter der fassbaren Realität in die Philosophie führt. Es wurde aufgezeigt, dass es nicht
unvernünftig ist, an einen Gott zu glauben. In den Gottesbeweisen geht es nicht um den Gott
der Offenbarung, sondern um den „Gott der Philosophen“261. Zu diesem Gott kann der

257
Müller, Gott erkennen, 79.
258
Ebd., 80.
259
Vgl. ebd., 79-80.
260
Kant, KpV A 55-56. Diese Angabe bezieht sich auf die im Rahmen des von Wilhelm Weischedel
herausgegebenen Gesamtwerks von Kant erschienene Ausgabe der „Kritik der praktischen Vernunft“.
261
Katholischer Erwachsenenkatechismus. Bd. 1, 25.

57
Mensch nicht beten und flehen, kann sein persönliches Schicksal nicht in seine Hände legen,
doch kann der Weg hin zu einer Erkenntnis eines ersten Prinzips dem Menschen als
Selbstvergewisserung dienen. Die grundsätzliche Frage nach der Erkenntnis des
Sittengesetzes konnte mit Kant und seiner Denkweise beantwortet werden. Die Antwort von
Kant ist, das Sittengesetz als Realität anzuerkennen. Die Macht hinter der Realität und das
Sittengesetz sind die Basis, von der aus Lewis den Sprung zum Christentum vollzieht.
„Erst wenn man begriffen hat, dass sowohl das sittliche Gesetz als auch die Macht
dahinter Realitäten sind, wenn wir eingesehen haben, dass wir dieses Gesetz gebrochen
haben und uns dieser Macht gegenüber falsch verhalten haben, erst dann – und nicht
einen Augenblick früher – beginnt das Christentum uns etwas zu sagen.“262

2.5 Gott als transzendentes Wesen und vergebende Person

Die Ausführungen von Lewis haben dem Leser eine Möglichkeit der Anerkennung einer
Kraft hinter dem sittlichen Gesetz aufgezeigt. Durch das sittliche Gesetz, als quasi
„Insiderinformation“263, könne der Mensch nun mehr über Gott erfahren. Dieser Gott oder
dieses Wesen würde laut Lewis höchsten Wert auf sittliches Verhalten legen. Ein Sprechen
von der Gutheit dieses Wesen lässt Lewis zwar zu, verweist jedoch darauf, dass diese Gutheit
Gottes keinesfalls mit Nachsicht oder Milde gleichzusetzen wäre. So würde Gott keine Milde
bei menschlicher Habgier, Schwindelei oder Ausbeutung gelten lassen, vielmehr würde
gerade er dieses Verhalten vehement ablehnen. Würde Gott bei unsittlichem Verhalten
nachsichtig sein, so könne laut Lewis nicht von einer Gutheit Gottes gesprochen werden.264
Lewis folgert daraus, dass dieses Wesen fast alle menschlichen Handlungen hassen müsse.
Und genau dies führe den Menschen in ein Dilemma: Würde die Welt nicht von einem
absoluten Guten bestimmt, würden alle menschlichen Anstrengungen vergebens bleiben;
existiert dieses absolut Gute, so würde der Mensch, laut Lewis, es mit seinen Handlungen sich
täglich zum Feind machen, ohne Aussicht darauf, es am nächsten Tag besser zu machen. Der
Mensch könne weder mit noch ohne dieses „Gute“ leben.265 Gott wäre hier der einzige Trost,
zugleich jedoch auch größter Schrecken, nämlich „das Wesen, das wir am meisten brauchen
und vor dem wir uns am meisten verbergen möchten. Er ist unser einziger Verbündeter, und

262
Lewis, Pardon, ich bin Christ, 41.
263
Ebd., 39.
264
Vgl. ebd., 39-40.
265
Vgl. ebd., 39.

58
wir haben uns selbst zu seinen Feinden gemacht.“266 Lewis sieht bei diesen Ausführungen
seine Aufgabe darin, dem Menschen genau diesen Schock vor Augen zu führen. Denn Trost,
so Lewis, würde man im Christentum niemals finden, ohne genau diese Wahrheit, so
schockierend sie für den Menschen auch sein mag, zu durchleiden.
„In der Religion wie im Krieg und überall sonst ist der Trost das einzige, was man nicht
erhält, wenn man danach sucht. Wer die Wahrheit sucht, findet am Ende vielleicht auch
den Trost. Wer den Trost unbedingt haben will, wird weder Trost noch Wahrheit finden,
am Anfang vielleicht nur Geschwätz, am Ende aber Verzweiflung. In der Politik haben
wir gelernt, unsere Wunschträume zu begraben. Es ist an der Zeit, dass wir in der
Religion dasselbe tun.“267
Hat der Mensch jedoch begriffen, dass seine Lage aussichtslos ist, weil er sich mit fast jeder
seiner Handlungen schuldig macht und jede Geste der Sühne ihm nur seine Ohnmacht
beweisen kann, den unendlichen Abgrund zu schließen, den er selbst aufgerissen hat268, erst
dann würde der Mensch verstehen, was Christen und Christinnen meinen:
„Sie zeigen uns, wie wir dahin kommen konnten, das Gute sowohl zu hassen als auch zu
lieben. Sie haben eine Erklärung dafür, wie Gott unpersönlicher Geist hinter dem
sittlichen Gesetz und gleichzeitig Person sein kann. Sie sagen uns, wie die Forderungen
des sittlichen Gesetzes, die wir alle nicht erfüllen können, für uns erfüllt worden sind,
wie Gott Mensch wurde, um den Menschen vor der Verurteilung durch Gott zu
retten.“269
Lewis spricht hier davon, dass im Christentum Gott unpersönlicher Geist hinter dem
Sittengesetz ist. In Gott selbst würde sich der Ursprung des Sittengesetzes befinden. Gott ist
im Christentum aber nicht nur unpersönlich und unberührbar, sondern er ist laut Lewis
gleichzeitig auch Person. Er spricht davon, dass die Menschen das Sittengesetz nicht erfüllt
haben, Gott jedoch Mensch wurde und das Gesetz für die Menschen erfüllt hat. In anderen
Worten ausgedrückt: Der Urheber des Sittengesetzes wurde Mensch.
Hier ist der Punkt erreicht, an dem Lewis das Sittengesetz mit dem Gott der Christen und
Christinnen gleichsetzt. Wo aus einem unpersönlichen Wesen ein ansprechbarer, sich
offenbarender Gott zum Vorschein kommt. Wo der Logos zum Sarx, Fleisch, wurde, unter
uns wohnte und für unsere Sünden gestorben ist, um den Menschen einen Neuanfang in Gott
zu ermöglichen. Gott ist nicht mehr bloß das, was die Welt trägt und sie begründet, sondern

266
Ebd., 40.
267
Ebd., 42.
268
Vgl. Ratzinger, Einführung in das Christentum, 218.
269
Lewis, Pardon, ich bin Christ, 41.

59
wurde ein Punkt in ihr, die daraus resultierende Verwandlung des Weges vom Sein zum Sinn,
„von Wort und Fleisch, von Glaube und Geschichte. Der geschichtliche Mensch Jesus ist der
Sohn Gottes, und der Sohn Gottes ist der Mensch Jesus?“270 Doch wie wurde aus dem einen
Gott der Juden ein dreifaltiger Gott? Wer war Jesus Christus, der die Sünden der Menschen
laut Lewis getilgt hat. Im nächsten Kapitel wird ausgeführt, welche Bedeutung C.S. Lewis
Jesus für die Menschen beimisst. Die Theologie als Wissenschaft über Gott, der Lewis einen
sehr hohen Stellenwert einräumt, soll im Folgenden als Stütze für ein besseres Verständnis
dienen.

2.6 Die Aufgabe und Funktion der Theologie

Bevor die Gedanken von Lewis zu Jesus Christus einer genaueren Untersuchung unterzogen
werden, wird Lewis’ Sicht der Stellung der Theologie und ihrer Aufgabe kurz
zusammengefasst:
Laut Lewis gibt es ein „verwässertes Christentum“271, welches sich über die schwierigen
Fragen über Gott und sein Wesen und die Lehren über die Sünde, Hölle und Erlösung keine
Gedanken machen möchte. Diese Themen wären zu schwierig und würden für den Glauben
des Einzelnen unbrauchbar sein. Lewis sieht in den Auffassungen dieses verwässerten
Christentums über die christliche Religion nichts anderes als Schulbubenweisheiten und
betont mit Nachdruck, dass das Christentum eben keine einfache Religion sei. Es wäre für
Lewis sinnlos, alle schwierigen Fragen über Gott und Welt zu umgehen, denn die
Wirklichkeit selbst sei nichts Einfaches. In der Religion und vor allem im Christentum gehe
es immer um ein ‚Mehr’, welches Einfachheit übersteigt.272 Um jedoch von diesem ‚Mehr’
klarere Vorstellungen zu erhalten, würde man eine Wissenschaft benötigen, die gerade diese
schweren Themen zum Inhalt hat. Dies sei laut Lewis die Theologie, die Wissenschaft über
Gott. Warum nun Theologie keine abgehobene, dem Glauben ferne Wissenschaft ist,
illustriert Lewis mit einem Beispiel aus seiner Vergangenheit:
„Ich erinnere mich, wie einmal nach einem Vortrag, den ich vor Fliegern hielt, ein alter,
verbissener Offizier aufstand und sagte: ‚Ich kann mit all dem Zeug nichts anfangen.
Aber verstehen Sie mich recht: Ich bin kein unreligiöser Mensch. Ich weiß, dass es
einen Gott gibt. Ich habe ihn gespürt, da draußen in der Wüste: das große Geheimnis.
Aber gerade deswegen glaube ich nicht an die vielen kleinen Dogmen und Formeln, die

270
Ratzinger, Einführung in das Christentum, 182.
271
Lewis, Pardon, ich bin Christ, 46.
272
Vgl. ebd., 47.

60
ihr für ihn habt. Für jeden, dem Gott wirklich begegnet ist, ist das alles so unbedeutend,
so pedantisch und unwirklich’“.273
Lewis will diesem Mann die Erfahrung eines echten Gotteserlebnisses nicht absprechen und
verweist hier lediglich auf den Schritt, den dieser Offizier vollzogen hat, als er sich negativ
den christlichen Glaubenssätzen zuwandte. Laut Lewis ging der Mann von einer für ihn realen
Welt, nämlich der Realität seiner Gottesbegegnung, zu einer für ihn weniger realen abstrakten
Realität. Lewis vergleicht dies mit einem Menschen, der vom Strand aus in die weite Ferne
der See hinausblickt und sich danach zu Hause das Meer auf einer Karte im Atlas anschaut.
Auch hier wird der Schritt von einer realen zu einer schematischen, abgebildeten Welt
vollzogen. Von wirklichen Wellen, Salzgeruch und Sonnenuntergang hin zu einem bloßen
Stück Papier.274 Aber nun kommt für Lewis das Entscheidende. Hier ist zweierlei zu
bedenken. Erstens befinden sich in dieser einen Seekarte die Erkenntnisse vieler, vielleicht
tausender Seeleute, die selbst wirklich diese See befahren haben. So würden in dieser einen
Karte selbst viele reale Erlebnisse miteingeflossen sein. Es handelt sich bei der Karte also
nicht nur um einen einzigen Blick auf die See. Durch die vielen Erlebnisse hat sich die Sicht
vergrößert. Zweitens ist eine Seekarte für Reisende unentbehrlich, wohingegen bei einem
Strandspaziergang der Blick auf das Meer sicherlich schönere Momente mit sich bringen
würde als der Blick in den Atlas. Für Lewis ist Theologie wie die Landkarte. So sei das
Wüstenerlebnis sicherlich ein realeres und aufregenderes Erlebnis als das bloße Studieren der
Lehren über das Christentum, denn die Lehre ist nicht Gott selbst, sie ist nur eine Landkarte.
Eine Landkarte vieler tausender Menschen, welche jedoch selbst mit Gott in Berührung
standen und vielleicht unsere eigenen Erfahrungen dazu bruchstückhaft erscheinen lassen. Um
weiter zu kommen, so Lewis, braucht man eine Landkarte, denn „wir kommen kaum nach
Neufundland, wenn wir das Meer nur vom Strand aus studieren, und wir erlangen kein ewiges
Leben, wenn wir uns darauf beschränken, Gottes Gegenwart in Blumen oder Tönen zu
erfühlen. Weder werden wir irgendwohin gelangen, wenn wir nur auf die Karte starren und
nicht aufs Meer gehen, noch werden wir allzu sicher sein, wenn wir aufs Meer gehen ohne
Karte.“275
Und genau auf dieses Meer bittet Lewis den Leser. Er möchte die Menschen weg von ihren
einfachen Vorstellungen von Christentum hin zu einem besseren Verständnis vom Glauben an
den dreieinen Gott führen. Die Aufgabe der Theologie ist es hier jedoch nicht, die Menschheit
vor vollendete, gesicherte Tatsachen zu stellen. Ihre Mittel stoßen sehr bald an Grenzen.

273
Lewis, Pardon, ich bin Christ, 138.
274
Vgl. ebd., 138-139.
275
Ebd.,140.

61
Immerhin bedeutet Glaube auch Mysterium. Theologie kann hier als Stütze bezeichnet
werden, um einerseits aufzuzeigen, dass Gottes, seine Menschwerdung und der Glaube an die
Trinität keine menschlichen Erfindungen sind. Andererseits bedient sich die Theologie
anhand ihrer erfahrungsbezogenen Lebendigkeit Begriffe und Formulierungen, die auch
persönliche Gotteserlebnisse in einen geschichtlichen Kontext stellen können. Dennoch
betreten wir in der christlichen Religion „einen Bereich, in dem jede falsche Direktheit allzu
genauen Bescheidwissenwollens zur verhängnisvollen Torheit werden muss; einen Bereich, in
dem nur das demütige Geständnis des Nichtwissens wahres Wissen und nur das staunende
Verbleiben vor dem unfassbaren Geheimnis rechtes Bekenntnis zu Gott sein kann […].“276
Es wurde bereits angedeutet, dass der Mensch laut Lewis gegen das Sittengesetz verstoßen
habe. Wodurch er das Gesetz gebrochen hat und welchen Stellenwert Jesus Christus dabei
hat, wird auf den nächsten Seiten dargestellt.

3. Die Deutungsversuche zur christlichen Soteriologie bei


Lewis

Ausgangspunkt für das Verstehen der Person Christi ist für Lewis der Blick in die Geschichte
des Alten Testaments. Laut Lewis ist die Welt nach dem Sündenfall des Menschen aus ihrer
rechtmäßigen Bahn geglitten. Den Fall des Menschen beschreibt Lewis, in Anspielung auf das
Alte Testament, als den Wunsch des Menschen, zu „sein wie Gott“277, über absolute
Unabhängigkeit zu verfügen und in weiterer Folge auch von Gott unabhängig zu sein. Laut
Lewis hatten die Menschen den Wunschgedanken, sich selbst erschaffen zu können, selbst
Herr über sich zu sein und Glückseligkeit getrennt und unabhängig von Gott finden zu
können. Aus diesem Unterfangen des Menschen wäre alles hervorgegangen, was die
Geschichte des Menschen negativ zeichnet: Geldgier, Hunger, Armut, Unterdrückung, Krieg,
Prostitution, diejenigen Dinge, mit denen der Mensch versuchte, sich unabhängig von Gott
glücklich zu machen.278 Die Erfolglosigkeit des Menschen führt Lewis darauf zurück, dass
Gott den Menschen erschaffen habe, Teil von ihm wäre, dass der Mensch immer in einer
gewissen Abhängigkeit zu Gott stehen würde. „Ein Auto ist so konstruiert, dass es mit Benzin
läuft und mit nichts anderem. Die ‚menschliche Maschine’ hat Gott so konstruiert, dass sie

276
Ratzinger, Einführung in das Christentum, 150.
277
Lewis, Pardon, ich bin Christ, 55.
278
Vgl. ebd., 54-55.

62
nur mit ihm läuft. Er selbst ist der Treibstoff, den unser Geist verbrennen, oder die Nahrung,
an der unser Geist sich stärken soll, eine andere gibt es nicht.“279
Der Mensch, um die Metapher von Lewis aufzugreifen, läuft also mit „falschem Benzin“280.
Lewis stellt sich nun die Frage, wie Gott auf diesen Fall des Menschen reagierte. Zunächst
hätte er dem Menschen das Gewissen gelassen, das Wissen um Recht und Unrecht. Ein
weiterer Schritt, so Lewis, bestand darin, dass Gott den Menschen „schöne Träume“281 sandte.
Darunter versteht Lewis die Geschichten aus den heidnischen Religionen, die von einem Gott
erzählen, welcher stirbt, danach wieder lebendig wird und durch seinen Tod dem Menschen
neues Leben schenkt. Drittens, und nun bezieht sich Lewis auf den jüdischen Glauben, hätte
Gott ein Volk erwählt, sich diesem als einziger Gott offenbart und ihm Gesetze gegeben.
Gesetze, die ausdrücken sollen, dass es diesem einen Gott nicht egal wäre, wie sich die
Menschen verhalten würden. Das Alte Testament berichtet ausführlich über diesen
Lernprozess des jüdischen Volkes. 282

3.1 Der „schockierende“ Anspruch Jesu

Doch in der Geschichte des Volkes Israel ereignet sich etwas, das Lewis als „das
Schockierende“283 bezeichnet: Aus den eigenen Reihen dieses Volkes erhebt sich ein Mann,
der von sich behauptet, der Menschensohn zu sein, von Ewigkeit an gewesen zu sein, er
werde am Ende der Zeiten kommen um die Welt zu richten und er könne den Menschen ihre
Sünden vergeben. Um das ‚Schockierende’ in diesen Aussagen aufzuzeigen, vergleicht Lewis
die pantheistische Weltanschauung mit der des Judentums. Im Gegensatz zum Pantheismus,
so Lewis, erscheint die Vorstellung im Judentum von einem Menschen, der Gott ist, als etwas
Undenkbares. Im Pantheismus werde laut Lewis nämlich die Vorstellung vertreten, dass Gott
jenseits von gut und böse steht. Er würde die Natur beseelen und wäre demnach Natur selbst.
Würde es die Natur nicht geben, würde Gott dieser Vorstellung nach auch nicht existieren.
Alles, was sich in der Natur vorfindet, ist Teil von Gott, ist Gott. 284
Im Gegensatz dazu ist Gott im jüdischen Glauben eine Transzendenz, der zwar mittels der
Offenbarung die Welt berührt, aber trotzdem nicht greifbar ist. Dieser Gott hat die Welt
erschaffen und der Mensch darf diese Welt Schöpfung nennen, er ist aber nicht wie im

279
Ebd., 55.
280
Ebd., 55.
281
Ebd., 56.
282
Vgl. ebd., 55-56.
283
Ebd., 56.
284
Vgl. ebd., 44-56.

63
Pantheismus mit ihr ident. Es gibt keinen Punkt in der Welt, der Gott so ähnlich wäre, um
direkt auf den Schöpfer schließen zu können. Mit dem Auftreten Jesu ist das Denken über
Gott als den Unberührbaren aber zugleich sich Offenbarenden durchbrochen. „Der Sinn, der
alles Sein trägt, ist Fleisch geworden, das heißt: er ist in die Geschichte eingetreten und einer
in ihr geworden; er ist nicht mehr bloß das, was sie umgreift und trägt, sondern ein Punkt in
ihr selbst.“285 Damit verbunden legt Lewis den Fokus auf die Botschaft und den Anspruch,
den Jesus mit seinem Auftreten mit sich brachte: den Anspruch, Sünden vergeben zu können.
„Was dieser Mann sagte, war schlechthin das Schockierendste, was je über menschliche
Lippen gekommen war.“286 Der wesentliche Aspekt der Behauptung Jesu, nämlich die
Sünden der Menschen vergeben zu können, muss laut Lewis für das Judentum damals so
ungeheuerlich und zugleich „komisch“287 gewirkt haben, solange diese Behauptung nicht von
Gott selbst komme. Dies wiederum würde nicht zu dem Gott passen, den die Juden als ihren
Gott verstanden. Lewis geht es in seinen Ausführungen aber nicht um das veränderte
Gottesbild, sondern um den Anspruch Jesu, ‚Allen ihre Sünden’ vergeben zu können.
„Wir alle wissen, wie ein Mensch ihm angetanes Unrecht vergibt. Jemand tritt mir auf
den Fuß, und ich verzeihe ihm; jemand stiehlt mir mein Geld und ich vergebe ihm. Was
aber würden wir von einem Menschen halten, der – selber unberaubt und unbehelligt –
verkündet, er vergebe allen, die anderen Leuten auf die Füße treten und anderer Leuten
Geld stehlen? Eselsdumme Albernheit wäre doch die zarteste Umschreibung für ein
derartiges Verhalten.“288
Und genau so hat Jesus laut Lewis gehandelt. In seiner Botschaft verkündetet er den
Menschen, dass ihnen ihre Sünden vergeben seien, ohne erst diejenigen zu fragen, denen
Unrecht angetan wurde. Durch das Verhalten von Jesus könnte man laut Lewis darauf
schließen, dass er derjenige sei, der am meisten betroffen ist, derjenige, an dem man sich am
meisten vergangen habe. Logisch wäre dieses Verhalten nur, wenn er wirklich der Gott ist,
dessen Gesetze gebrochen wurden „und dessen Liebe durch jede Sünde verletzt wird.“289
Hätte nicht Gott selbst diese Botschaft verkündet, sondern ein normaler Mensch, würden
diese Worte, so Lewis, nur ein Maß von „Einfältigkeit“290 und „Einbildung“291 beinhalten.
Was Lewis mit dieser Ausführung bezweckt, ist, dass er dem Leser das vor Augen führen
will, was die ersten Konzilien der Kirche über Jesus sagen. Er ist wahrer Gott und wahrer

285
Ratzinger, Einführung in das Christentum, 181-182.
286
Lewis, Pardon, ich bin Christ, 56.
287
Ebd., 56.
288
Ebd.,56.
289
Ebd., 57.
290
Ebd., 57.
291
Ebd., 57.

64
Mensch292 und nicht bloß ein großer Morallehrer. Lewis geht noch weiter: Ein Mensch, der
diesen Anspruch Jesu erheben würde, wäre kein großer Morallehrer293, sondern viel eher ein
„Irrer oder Satan in Person.“294 Lewis geht hier nicht näher auf die Wesensbestimmung des
Sohnes und dessen Verhältnis zum Vater ein, er drängt den Leser jedoch zu einer
Entscheidung.
„Wir müssen uns deshalb entscheiden: Entweder war – und ist – dieser Mensch Gottes
Sohn, oder er war ein Narr oder Schlimmeres. Wir können ihn als Geisteskranken
einsperren, wir können ihn verachten oder als Dämon töten. Oder wir können ihm zu
Füßen fallen und ihn Herr und Gott nennen. Aber wir können ihn nicht mit gönnerhafter
Herablassung als einen großen Lehrer der Menschheit bezeichnen. Das war nie seine
Absicht; diese Möglichkeit hat er uns nicht offen gelassen.“295
Lewis geht in einem weiteren Schritt, der im Folgenden nachgezeichnet werden soll, gezielt
auf den Erlösungsanspruch Jesu ein. Dieser Anspruch könne nur dann wahr sein, wenn Jesus
wahrhaft Mensch und wahrhaft Gott wäre.

3.2 Der soteriologische Anspruch Jesu bei C.S. Lewis

Lewis stellt fest, dass im Christentum nicht nur das Auftreten Jesu und damit verbunden seine
Worte und Taten das Zentrum des Glaubens bilden, sondern sein Tod und seine
Wiederauferstehung. Für Lewis ist es augenfällig, dass die Christen genau dies für das
Wichtigste halten.296 „Sie meinen, er sei hauptsächlich deshalb auf die Erde gekommen, um
zu leiden und ermordet zu werden“.297 Lewis scheint es so, als wäre der Inhalt des christlichen
Glaubens eine Theorie, um den Sinn und Zweck dieses Sterbens zu verstehen. Nach dieser
Theorie, so Lewis, wollte Gott die Menschen strafen, weil sie durch die Sünde von ihm
abgefallen seien. Christus trat an unsere Stelle und erklärte sich dazu bereit, sich für all unsere
Sünden bestrafen zu lassen, um so die große Schuld zu tilgen. Lewis folgert jedoch, dass
weder diese noch eine andere Theorie wirklich das wiedergeben kann, was Christentum
bedeutet. Es gibt für Lewis in jeder dieser Theorien nur einen Kernpunkt, nämlich die
Wiederversöhnung mit dem Vater und den Neubeginn mit und in ihm. All die Konstrukte und
Theorien würden darum niemals all das aufzeigen können, um die Wirklichkeit ganz zu

292
Glaubensbekenntnis des Konzils von Chalcedon, 301.
293
Vgl. Lewis, Pardon, ich bin Christ, 57.
294
Ebd., 57.
295
Ebd.,57.
296
Vgl. ebd., 58.
297
Ebd., 58.

65
entschlüsseln. Lewis will aufzeigen, dass es im Christentum nicht darum geht, an eine
Erklärung zu glauben, sondern um den Kernpunkt der Erlösung selbst. Lewis illustriert dies
mit dem Beispiel eines Kernphysikers, der versucht, ein Atom zu erklären:298
„Wenn zum Beispiel ein Kernphysiker versucht, uns ein Atom oder etwas ähnliches zu
erklären, dann gibt er uns eine Beschreibung, mit deren Hilfe wir uns ein Bild machen
können. Gleichzeitig weist er uns darauf hin, dass es nicht wirklich dieses Bild ist, an
das der Wissenschaftler glaubt. Der Wissenschaftler glaubt seine mathematische
Formel. Das Bild soll uns lediglich helfen, die Formel zu verstehen. Es ist nicht in dem
Sinne wahr, wie die Formel selbst; es soll uns nur helfen. Und wenn es das nicht tut,
dann können wir darauf verzichten. Die Sache selbst kann nicht im Bild dargestellt
werden, sie lässt sich nur mathematisch ausdrücken.“299
Anhand dieses Beispiels soll aufgezeigt werden, dass laut Lewis der menschliche Verstand
unzureichend ist um die Wirklichkeit ganz fassen zu können. Wenn das Bild des Atoms
unsere Vorstellung übersteigt, wie sollte der menschliche Verstand über diese empirische
Welt hinaus das fassen können, was sich in Jesus Christus ereignet hat? Laut Lewis würde ein
volles Begreifen des Christusgeheimnisses nur in die Irre führen können, denn hätte der
Mensch die Möglichkeit, die Tatsache Wiederauferstehung Christi rational zu fassen, wäre
der Tod Christi demnach nicht das, „was er zu sein behauptet – das Unbegreifliche,
Unerschaffene, jenseits aller Natur, das wie ein Blitz in die Natur hineinfährt.“300 Laut Lewis
würde es sich dennoch lohnen, einige Theorien über die Auferstehung Christi und die
Erlösung des Menschen näher zu betrachten, aber immer mit dem Wissen darum, dass diese
Theorien nicht das Geheimnis selbst sind. In einem nächsten Schritt wird eine Theorie von
Lewis über den Tod Christi und dessen Auferstehung beschrieben werden.

3.2.1.Der stellvertretende Tod Christi bei C.S. Lewis

Ausgangspunkt für die Ausführungen von Lewis über die Erlösung des Menschen ist der
Mensch selbst. Er, der das Gesetz Gottes gebrochen hat und an ihm schuldig wurde. Laut
Lewis erhielt nicht der Mensch die angemessene Strafe für diese Tat, sondern ein
Unschuldiger ließ sich anstelle des Menschen von Gott bestrafen. Für Lewis erscheint dieses
Vorgehen Gottes auf den ersten Blick sehr einfältig.301 Es stellt sich die Frage: Wozu braucht

298
Vgl. ebd., 58-59.
299
Ebd., 59.
300
Ebd., 60.
301
Vgl. ebd., 60.

66
es einen Unschuldigen, wenn Gott dem Menschen diese Strafe offensichtlich erlassen wollte?
Warum tat er es nicht einfach, welchen Sinn hatte es einen Unschuldigen leiden zu lassen.
Laut Lewis hätte es überhaupt keinen Sinn, wenn man Strafe nur im Sinne des Gesetzbuches
versteht.
Weiters führt Lewis hier den Begriff der Buße ein, welche er auch als „bedingungslose
Kapitulation“302 bezeichnet. „Denken wir aber an einen Menschen, der Schulden hat, dann
müssen wir zugeben, dass es durchaus sinnvoll sein kann, wenn ein anderer, der über
ausreichende Mittel verfügt, für ihn die Schuld bezahlt.“303 In der Darstellung von Lewis hatte
der Mensch, wie bereits erwähnt, versucht, absolut unabhängig von seinem Schöpfer zu sein.
Er beanspruchte sein eigenes Sein ganz aus sich selbst heraus. Er wollte sich selbst gehören.
Laut Lewis sei der Mensch dadurch nicht nur ein unvollkommenes Wesen, welches
verbesserungswürdig sei, sondern auch ein Rebell, der sich ergeben und seine Taten bereuen
muss, seine Waffen niederlegen und von Grund auf neu beginnen muss, um diesen Irrweg,
den er gegangen ist, wieder rückgängig zu machen. Das meint Lewis mit dem Stichwort
„Bedingungslose Kapitulation“304, und das wäre laut ihm auch das, was Christen unter Buße
verstehen würden.305 Dieser Schritt der Kapitulation wäre kein Vergnügen für den Menschen,
ganz im Gegenteil, eher würde es bedeuten, einen Teil von uns selbst zu töten; der Mensch
müsse eine Art Tod erleiden. Es bedeutet, all die schlechten Eigenschaften und den
Eigenwillen abzulegen, den der Mensch sich im Laufe der Jahrtausende selbst anerzogen
hat.306 Wesentlich ist für Lewis, dass dieser Tod, den der Mensch zu erleiden habe nicht die
Bedingung dafür sei, um von Gott wieder angenommen zu werden und er diese Demütigung
der Kapitulation dem Menschen erlassen könne. Zugespitzt formuliert ist genau diese
Demütigung der Weg zurück zu Gott, den der Mensch beschreiten muss. Würde der Mensch
Gott bitten, ihn ohne diesen schweren Weg der Demütigung zu ihm zurückkommen zu lassen,
hieße dies laut Lewis, Gott zu bitten, den Menschen zurückkommen zu lassen, ohne dass der
Mensch eigentlich zurückkehren müsse. Der Weg müsse beschritten werden.307 Aufgrund der
großen Schuld - Lewis nennt es in diesem Zusammenhang „Bosheit“308 - würde der Mensch
aber gehindert werden, er würde sich selbst hindern, diesen Weg zu gehen. Nur mit Gottes
Hilfe könne der Mensch diesen Weg gehen. Unter Gottes Hilfe versteht Lewis die Liebe
Gottes. Lewis sagt selbst: „Wenn wir versuchen, einem Kind das Schreiben beizubringen,

302
Ebd., 61.
303
Ebd., 60.
304
Ebd., 61.
305
Vgl. ebd., 61.
306
Vgl. ebd., 61.
307
Vgl. ebd., 61.
308
Ebd., 61.

67
dann führen wir ihm die Hand, während er die Buchstaben formt; das heißt, es malt die
Buchstaben, weil eigentlich wir sie formen. Und genauso ist es mit uns.“309 Da der Mensch
von Gott abgefallen sei und den Weg der Demütigung und des Sterbens gehen müsse, er es
selbst aber nicht kann, müsse Gott den Menschen an die Hand nehmen und diesen Weg für
ihn und mit ihm gehen. Problematisch ist laut Lewis nun der Punkt, an dem Gott etwas tut,
das seinem göttlichen Wesen vollkommen widersprechen würde. Gottes Wesen wäre es
nämlich völlig fremd, sich ausliefern und demütigen zu lassen, zu leiden und in weiterer
Folge zu sterben. Nur der Mensch hätte diese Möglichkeit des Leiden, der Unterwerfung und
des Sterbens.310 Lewis gelingt es meines Erachtens hier, auf einfache Weise und in
vollkommener Klarheit die menschliche und göttliche Natur Jesu Christi darzustellen.
„Nehmen wir aber einmal an, Gott würde Mensch; nehmen wir an, unsere menschliche
Natur, die leiden und sterben kann, würde sich mit Gottes Wesen in einem Menschen
vereinigen. Dieser Mensch könnte uns helfen. Er könnte seinen Willen aufgeben, er
könnte leiden und sterben, weil er Mensch wäre; und er könnte es vollkommen tun weil
er Gott wäre. Wir können diesen Weg nur gehen, wenn Gott ihn in uns geht; Gott auf
der anderen Seite kann ihn nur gehen, wenn er Mensch wird. Uns Menschen kann dieses
Sterben nur gelingen, wenn wir an Gottes Sterben teilhaben; genau wie unser Denken
nur deshalb zu etwas führt, weil es ein Tropfen aus dem Meer seiner Intelligenz ist.
Aber wir können an Gottes Tod nicht teilhaben solange er nicht wirklich selbst stirbt;
und Gott kann nicht sterben, es sei denn, er würde ein Mensch.“311

Und genau hier zeigt Lewis auf, wie Gott selbst unsere Schuld begleicht und den Weg
durchlitten hat, den er selbst nie hätte durchleiden müssen. Auf die Anfragen an Lewis, ob
Jesu Leiden am Kreuz aufgrund seiner Göttlichkeit nicht zu einfach für ihn gewesen sei und
dadurch an Bedeutung verlieren würden, kontert Lewis damit, dass die vollkommene
Unterwerfung, das vollkommene Leiden und der vollkommene Tod Christi nicht nur
einfacher waren, sondern erst dadurch möglich wurden, weil er Gott war. Aufgrund dieser
Tatsache ist der Vorwurf der Bedeutungslosigkeit für Lewis abzulehnen.312 Lewis sagt selbst:
„Wenn ich in einem reißenden Strom versinke, kann mir ein Mann, der noch einen Fuß
auf dem Ufer hat, mit seiner ausgestreckten Hand das Leben retten. Sollte ich, während
ich nach Luft ringe, zurückschreien: ‚Das ist unfair! Sie sind im Vorteil! Sie stehen noch

309
Ebd., 62.
310
Vgl. ebd., 62.
311
Ebd., 62.
312
Vgl. ebd., 63.

68
mit einem Fuß am Ufer!’? Man mag diesen Vorteil meinetwegen unfair nennen, aber
allein dieser Vorteil ermöglicht es dem Mann, mir zu helfen. An wen wollen wir uns um
Hilfe wenden, wenn nicht an jemanden, der stärker ist als wir?“313 Mit anderen Worten
bedeutet das, dass Christus der Einzige war, der die Sünden der Menschen tilgen konnte.
Nur indem Gott selbst Mensch wurde, konnte er den schweren Weg der Kapitulation für
den Menschen gehen. Laut Lewis war es für Christus nicht ‚einfach’, am Kreuz zu
sterben, sondern er war der Einzige, der für den Menschen sterben konnte.
Die soteriologische Deutung des Todes Christi bei Lewis weist entscheidende Parallelen zur
Satisfaktionstheorie des Anselm von Canterbury auf. Bei Anselm und auch bei Lewis musste
Jesus sterben, um das sittliche Recht Gottes wieder herzustellen. Joseph Ratzinger verweist
darauf, dass in der Satisfaktionstheorie des Anselm eine Trennung zwischen der Person
Christi und seinem Werk stattfindet.314 Im Folgenden wird ein Blick auf die Satisfaktionslehre
des Anselm von Canterbury geworfen, um die Parallelität zu Lewis aufzuzeigen. Danach wird
die Eindimensionalität dieser Theorie durch Ratzinger kritisiert.

3.2.2. Kritik Ratzingers an der Satisfaktionslehre des Anselm von


Canterbury

In seinem Buch „Einführung in das Christentum“ geht Ratzinger auf die historische
Entwicklung der Christologie und der Soteriologie ein. Beide würden laut ihm unweigerlich
zusammengehören. Eine inhaltliche Trennung, wie sie sich im Laufe der Geschichte
abgezeichnet hatte, würde nur zu einem Unverständnis und inhaltlicher Einseitigkeit führen.
Nachdem man laut Ratzinger in den ersten Konzilien das Sein Jesu begrifflich festgelegt und
das Verhältnis zwischen Vater und Sohn bestimmt hatte, begann man getrennt davon eine
Lehre von der Erlösung, die Soteriologie, zu entwickeln.315 „Nachdem man das ontologische
Kreuzworträtsel, wie Mensch und Gott in Jesus eins sein konnten, behandelt hatte, fragte man
ganz getrennt davon, was Jesus eigentlich getan habe und wie die Wirkung seiner Tat uns
zukomme.“316 Man hatte also die Person Christi und ihr Werk zum Inhalt zweier
unterschiedlicher Überlegungen gemacht. Die Folge dieser inhaltlichen Trennung hätte laut
Ratzinger dazu geführt, dass beide Traktate, die Soteriologie und die Christologie,
unverständlich blieben. Hier verweist er auf die Satisfaktionslehre, welche laut Ratzinger in

313
Ebd., 63.
314
Vgl. Ratzinger, Einführung in das Christentum, 217.
315
Vgl. ebd., 217.
316
Ebd., 217.

69
ihrer klassischen Gestalt eine Einseitigkeit aufweist und in weiterer Folge, bei näherer
Betrachtung, sich als „grausamer Mechanismus“317 erweist, der immer weniger
nachvollziehbar werde.318 Wie bereits angekündigt, wird nun die Satisfaktionstheorie des
Anselm von Canterbury dargestellt.
Laut Ratzinger ging es Anselm von Canterbury in seiner Satisfaktionslehre darum, das Werk
Christi mit notwenigen Gründen so zu deuten, dass es, so wie es geschah, geschehen musste.
Ausgangspunkt bei Anselm, wie auch bei Lewis, ist der Mensch. Durch die Sünde des
Menschen wurde die Ordnung der Gerechtigkeit unendlich verletzt und Gott dadurch
unendlich beleidigt. Anselm vertrat die Vorstellung, dass sich das Ausmaß der Beleidigung
graduell nach dem Beleidigten richtet. Danach hätte die Beleidigung gegenüber eines
Staatspräsidenten ein stärkeres Gewicht als gegenüber eines Bettlers. Die Beleidigung
gegenüber Gott, der der Unendliche ist, hätte demzufolge unendliches Gewicht. Da dieser
Gott auch ein Gott der Ordnung und der Gerechtigkeit ist, müsse die Ordnung Gottes
wiederhergestellt werden. Der Mensch wäre allerdings nicht imstande, diese unendliche
Gutmachung zu erbringen. Er, der Endliche, hätte keine Mittel gegenüber dem Unendlichen,
um Wiedergutmachung zu leisten. Der Mensch würde sich in einem selbstverschuldeten
Dilemma befinden. Die Kraft seiner Zerstörung würde weiter reichen als seine Fähigkeit,
wieder aufzubauen. Und genau hier ist der Punkt, an dem Anselm auf die Gestalt Christi stößt
und die Frage nach dem „Cur Deus homo“319 ,also die Frage nach der Menschwerdung Gottes
beantwortet.320 Gott selbst stellt die Ordnung wieder dadurch her, „dass der Unendliche selbst
Mensch wird und dann als Mensch, der dem Geschlecht der Beleidiger zugehört und der
dennoch die dem bloßen Menschen versagte Kraft unendlicher Gutmachung besitzt, die
erforderte Sühne leistet.“321 Nach dieser Theorie würde Erlösung ganz aus Gnade geschehen
und der Wiederherstellung des Rechts dienen. Die große Parallele zwischen Anselm und
Lewis ist die Wiederherstellung der verletzten Ordnung, und dass Jesus am Kreuz sterben
musste. Zwar spricht Ratzinger der Satisfaktionslehre den Anspruch nicht ab, biblische und
menschliche Einsichten komprimiert zusammengefasst zu haben. Jedoch würde aus der
Perspektive des Anselm eine Trennung zwischen der Person Christi und seinem Werk
entstehen. Die Dinge würden sich laut Ratzinger ganz anders darstellen, wenn es „bei Jesus

317
Ebd., 217.
318
Vgl. ebd., 217.
319
Ebd., 219.
320
Vgl. ebd., 218-219.
321
Ebd., 219.

70
Christus nicht um ein von ihm selbst losgetrenntes Werk, nicht um eine Leistung geht, die
Gott einfordern muss, weil er auf Ordnung verpflichtet ist.“322

Der Schlüssel, um aus der Einseitigkeit der Anselmschen Argumentation zu entkommen,


findet sich für Ratzinger in der Aussage des Apostel Paulus über Christus: „So steht es auch
in der Schrift: Adam, der erste Mensch, wurde ein irdisches Lebewesen. Der letzte Adam
wurde lebendigmachender Geist.“ (1Kor 15,45). Laut Ratzinger muss man zuerst Christus als
den „letzten Menschen“ verstehen, als den endgültigen Menschen, der den Menschen in die
Zukunft bringt, sich selbst übersteigt und eins wird mit Gott. Christus müsse verstanden
werden als der „exemplarischer Mensch“323, exemplarisch deshalb, weil er sein Menschsein
überschreitet, denn laut Ratzinger ist der Mensch umso mehr bei sich, je mehr er über sich
hinausgeht. Und genau das würde auch in seiner letzten Tiefe gelten. Der Mensch wäre
zuletzt auf den wahrhaft anderen, auf Gott hin bestimmt. Er würde umso näher bei sich sein,
je näher er beim ganz anderen, bei Gott wäre. Er wäre demnach ganz bei sich, wenn er
aufgehört hätte, in sich selbst zu stehen und er die „reine Eröffnetheit auf Gott hin“324 wäre.
Für Ratzinger ist Christus der wahrhaft zu sich gekommene Mensch, weil er ganz über sich
selbst hinausgekommen ist. Er wäre demnach die wahre Gestalt des Menschen, die
ursprüngliche Idee Gottes vom Menschen, die sich nach der Sünde des Menschen verändert
hatte. Laut Ratzinger ist die Gestalt Christi, der wahre Mensch, nicht eine Ausnahme, in
welcher Gott demonstriert, was alles möglich sein kann. Die Existenz Christi betrifft die
ganze Menschheit. Und genau das soll ausgedrückt werden, wenn der Apostel Paulus Christus
als „Adam“ bezeichnet. Auch das Zweite Vatikanische Konzil hat die biblische Bezeichnung
Jesu als den „neuen Adam“ (GS 22.) aufgegriffen und so den universellen Anspruch seiner
Person und seines Werkes entfaltet.
„Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis
des Menschen wahrhaft auf. Denn Adam, der erste Mensch, war das Vorausbild des
zukünftigen, nämlich Christi des Herrn. Christus, der neue Adam, macht eben in der
Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den
Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung. Es ist also nicht
verwunderlich, daß in ihm die eben genannten Wahrheiten ihren Ursprung haben und
ihren Gipfelpunkt erreichen. Der ‚das Bild des unsichtbaren Gottes‘ (Kol 1,15) ist, er ist
zugleich der vollkommene Mensch, der den Söhnen Adams die Gottebenbildlichkeit

322
Ebd., 220.
323
Ebd., 220.
324
Ebd., 221.

71
wiedergab, die von der ersten Sünde her verunstaltet war. Da in ihm die menschliche
Natur angenommen wurde, ohne dabei verschlungen zu werden, ist sie dadurch auch
schon in uns zu einer erhabenen Würde erhöht worden. Denn er, der Sohn Gottes, hat
sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt. Mit
Menschenhänden hat er gearbeitet, mit menschlichem Geist gedacht, mit einem
menschlichen Willen hat er gehandelt, mit einem menschlichen Herzen geliebt.“(GS 22)
Was Anselm laut Ratzinger und meines Erachtens auch Lewis in ihren Erlösungstheorien
schuldig bleiben, ist die Neuwerdung aller Menschen durch und in Christus. So ist die Person
Christi laut Ratzinger zugleich auch schon Werk, an dem alle Menschen teilhaben. Der
Mensch würde zurückgeholt werden in das „Sein eines einzigen Adam, eines einzigen
‚Leibes’ – des kommenden Menschen.“325
Ratzinger verweist auf die Darstellung des Kreuzestodes Christi im Johannesevangelium, in
welcher der irdische Jesus in seinem Leiden absolute Offenheit auf den Vater zeigt. Jesus, der
in dieser Szene noch ganz Mensch ist, die festen Grenzen überwindet, sich selbst übersteigt
und ‚neuer Adam’ wird.326 „Einer von den Soldaten stieß mit der Lanze in seine Seite, und
sogleich kam Blut und Wasser heraus“ (Joh19,34). In diesem Bild gipfelt laut Ratzinger nicht
nur der Kreuzestod, sondern die gesamte Geschichte Jesu und mit ihr der ganzen Menschheit.
Durch den Lanzenstich wurde das irdische Leben Jesu beendet, dadurch „ist seine Existenz
ganz offen; nun ist er gänzlich ‚Für’, nun ist er wahrhaft nicht mehr ein Einzelner, sondern
‚Adam’, aus dessen Seite Eva, eine neue Menschheit gebildet wird.“327 Ratzingers Gedanken
über die Zusammengehörigkeit der Person Christi und seinem Werk und das damit
verbundene neue Schöpfungsgeheimnis für den Menschen finden sich in seiner Enzyklika
„Deus caritas est“:
„Das eigentlich Neue des Neuen Testaments sind nicht neue Ideen, sondern die Gestalt
Christi selber, der den Gedanken Fleisch und Blut, einen unerhörten Realismus gibt.
Schon im Alten Testament besteht das biblisch Neue nicht einfach in Gedanken,
sondern in dem unerwarteten und in gewisser Hinsicht unerhörten Handeln Gottes.
Dieses Handeln Gottes nimmt seine dramatische Form nun darin an, dass Gott in Jesus
Christus selbst dem ‚verlorenen Schaf’, der leidenden und verlorenen Menschheit,
nachgeht. Wenn Jesus in seinen Gleichnissen von dem Hirten spricht, der dem
verlorenen Schaf nachgeht, von der Frau, die die Drachme sucht, von dem Vater, der auf
den verlorenen Sohn zugeht und ihn umarmt, dann sind dies alles nicht nur Worte,

325
Ratzinger, Einführung in das Christentum, 225.
326
Vgl. ebd., 226.
327
Ebd., 226.

72
sondern Auslegungen seines eigenen Seins und Tuns. In seinem Tod am Kreuz vollzieht
sich jene Wende Gottes gegen sich selbst, in der er sich verschenkt, um den Menschen
wieder aufzuheben und zu retten — Liebe in ihrer radikalsten Form. Der Blick auf die
durchbohrte Seite Jesu, von dem Johannes spricht (vgl. 19,37), begreift, was
Ausgangspunkt dieses Schreibens war: ,,Gott ist Liebe’’ (1 Joh 4,8). Dort kann diese
Wahrheit angeschaut werden.“328
Ratzinger zeigt hier auf, dass der Kreuzestod Christi die einzige Wahrheit für den Menschen
ist und dass sich seine Zukunft am Kreuz immer wieder realisiert. Hier vollzieht sich laut
Ratzinger auch die eigentliche Geschichtsdynamik, welche im Alten und Neuen Testament
unter dem Begriff Verheißung steht. Für ihn ist christlicher Glaube nicht nur eine
Verankerung in der Vergangenheit, deren Inhalt eine ständige Rückschau auf den Ursprung
ist. Auch die Schau nach dem Ewigen würde das Christentum nicht in seiner Ganzheit
beschreiben. Es ist vor allem Ausblick auf die zukünftige Hoffnung, welche durch den „neuen
Adam“ Realität wurde.329 „Sie ist wahre Hoffnung eben dadurch, dass sie im
Koordinatensystem aller drei Größen steht: der Vergangenheit, das heißt des schon
geschehenen Durchbruchs – der Gegenwart des Ewigen, die die zertrennte Zeit als Einheit
sein lässt – des Kommenden, in dem Gott und Welt einander berühren werden und so
wahrhaft Gott in Welt, Welt in Gott als das Omega der Geschichte sein wird.“330

In den letzten beiden Kapiteln wurden die Gedanken von Lewis dargestellt, dass es eine
objektive Wahrheit, ein göttliches Recht gibt. Der Mensch stehe vor der Entscheidung, dieses
anzuerkennen, oder sich einem Relativismus hinzugeben. Mit der Entscheidung eines objektiv
gültigen Rechts müsse der Mensch anerkennen, gegen dieses Recht verstoßen zu können. Er
müsse die Konsequenzen seiner Handlungen tragen. Dies führte Lewis zum Inhalt der
Soteriologie, wonach Christus die Schuld der Menschen tilgen konnte, indem er wahrhaft
Gott und wahrhaft Mensch wurde. Durch die Person Christi und dessen Werk hätte der
Mensch die Möglichkeit eines Neuanfanges in Gott, welcher ihn in den Ursprung seines
Menschseins zurückführe. Würde der Mensch sich gegen das Sittengesetz stellen, würde dies
laut Lewis unweigerlich zu einer Abschaffung des Menschen führen. Im nächsten Kapitel
wird aufgezeigt werden, was Lewis mit diesem Stichwort der ‚Abschaffung des Menschen’
meint.

328
Benedikt XVI.: Deus Caritas est (25.1.2006) Nr. 12.
329
Vgl. Ratzinger, Einführung in das Christentum, 227-228.
330
Ebd., 228.

73
4. Die Leugnung eines göttlichen Rechts als Garant für die
Abschaffung des Menschen

In seinem Buch „Die Abschaffung des Menschen“ geht Lewis im dritten und letzten Kapitel
auf den Sieg des Menschen über die Natur ein. Nachdem er die wohltätigen und aufopfernden
Facetten, Lewis meint damit beispielsweise die medizinischen Errungenschaften, dieses
Sieges als durchaus positiv wertet, will er diesen Prozess des Sieges über die Natur einer
genaueren Prüfung unterziehen. Er stellt die Frage: „In welchem Sinn besitzt der Mensch
zunehmend Macht über die Natur?“331
Anhand dieser Fragestellung betrachtet Lewis drei typische Beispiele, die für ihn den Sieg des
Menschen über die Natur bedeuten: das Flugzeug, den Rundfunk und die Verhütungsmittel.
Lewis verweist darauf, dass diese Dinge in Friedenszeiten jedem Menschen, der über die
notwendigen finanziellen Mittel verfügt, zur Verfügung stehen. Bei genauerer Betrachtung
würden die Überwindung der Schwerkraft, die Überwindung von Distanzen, um etwas weit
Entferntes zu hören und der Eingriff in den natürlichen Entwicklungslauf des Menschen nicht
den Sieg über die Natur bedeuten. Jeder dieser drei Siege des Menschen über die Natur
könnte jederzeit gewissen Menschen vorenthalten werden. Es gibt laut Lewis immer
Menschen, denen diese Mittel ausreichender zur Verfügung stehen, die zudem dadurch
profitieren könnten, sie anderen Menschen vorzuenthalten oder sie damit zu manipulieren.
Der technische Sieg des Menschen über die Natur hat für Lewis nur eine Folge, nämlich die
Macht Einzelner gegenüber anderen Menschen.332 „Was wir die Macht des Menschen nennen,
ist in Wirklichkeit Macht in den Händen von Einzelnen, die anderen gestatten oder nicht
gestatten, davon zu profitieren.“333 So sei der Mensch gegenüber dem Flugzeug und dem
Radio immer Besitzer und Untertan zugleich. Einige Wenige könnten also diese Mittel
anderen vorenthalten und würden so Macht ausüben. Im Beispiel der Verhütungsmittel sieht
Lewis einen paradoxen negativen Sinn. Paradox und negativ deshalb, weil hier die
zukünftigen Generationen Leidtragende der Machtausübung der heutigen Generation seien.
Denn die zukünftigen Generationen würden der Willkür einer einzigen Generation
ausgeliefert sein, deren Eigeninteressen der späteren Generation vorangestellt würden.334
„Unter diesem Gesichtspunkt erweist sich, was wir des Menschen Macht über die Natur

331
Lewis, Die Abschaffung des Menschen, 57.
332
Vgl. ebd., 57-58.
333
Ebd., 58.
334
Vgl. ebd., 58-59.

74
nennen, als eine von wenigen mit Hilfe der Natur über andere ausgeübte Macht.“335 Die
Situation könnte laut Lewis entschärft werden, wenn Fabriken und Rohstoffe in der
öffentlichen Hand liegen oder wissenschaftliche Forschung durch einen Weltstaat kontrolliert
würde. Aber selbst dann hätte im Falle eines Weltstaates die Regierung Macht über das
Volk.336
Um ganz verstehen zu können, was die Macht einzelner über andere bedeutet, müsse man die
Gattung Mensch zeitübergreifend in ihrer Ganzheit betrachten: vom Auftreten der ersten
Menschen bis zum Untergang und der Auslöschung dieser Gattung. Lewis weist darauf hin,
dass jede Generation Macht über die nachfolgende ausübt. Diese wiederum würde sich der
vorigen Generation zu widersetzen versuchen. Die jeweils nachfolgende Generation würde
die vererbte Umwelt verändern und sich gegen Traditionen auflehnen.
Lewis will in weiterer Folge aufzeigen, dass es niemals eine einseitige Machtsteigerung für
den Menschen geben kann. Einseitige Machtsteigerung meint, dass der Mensch niemals
Besitzer oder Wächter einer Macht sei, ohne damit seine eigene Gattung zu versklaven.337
„Jede von Menschen neu erlangte Macht ist gleichzeitig Macht über Menschen.“338 Man
müsse sich ein Zeitalter vorstellen, Lewis nennt es das „einzig herrschende Zeitalter“339. Die
Menschen, die in diesem Zeitalter leben, sind die Beherrscher. Dieses „einzig herrschende
Zeitalter“ hätte sich allen vorangehenden Zeitaltern widersetzt und würde die nachfolgenden
in einem erschreckenden Maße durchschaut haben und sie leiten und formen können. Aber
selbst hier, so Lewis, wäre dies nur die Macht einer kleinen Gruppe gegenüber Millionen von
Menschen. Jeder Fortschritt dieses Sieges mache die Menschheit stärker, aber in einem
zunehmenden Maße auch schwächer.340 „In jedem Sieg ist er [der Mensch] nicht nur der
triumphierende General, sondern auch der Gefangene, der dem Triumphwagen folgt.“341
Lewis wertet diesen vermeintlichen Sieg des Menschen über die Natur nicht, er will nur
aufzeigen, was die Eroberung der Natur in Wirklichkeit bedeutet.
„Das Endstadium ist da, wenn der Mensch mithilfe von Eugenik und vorgeburtlicher
Konditionierung und dank einer Erziehung, die auf perfekt angewandter Psychologie
beruht, absolute Kontrolle über sich selbst erlangt hat. Die menschliche Natur wird das

335
Lewis, Die Abschaffung des Menschen, 59.
336
Vgl. ebd., 58-61.
337
Vgl. ebd., 59-61.
338
Ebd., 61.
339
Ebd., 61.
340
Vgl. ebd., 60-61.
341
Ebd., 61.

75
letzte Stück Natur sein, das vor dem Menschen kapituliert. Dann ist die Schlacht
gewonnen.“342
Die Gruppe der Menschen, die große Macht über andere besitzt, nennt Lewis die
„Konditionierer“343 Die Aufgabe der Konditionierer besteht für Lewis darin, Werturteile in
anderen Menschen zu bilden. Laut Lewis haben sich die Konditionierer dem Tao widersetzt.
Die Beweggründe ihrer Handlungen würden also nicht vom Tao geleitet sein.344 Der
Unterschied zwischen einer Erziehung, die geleitet vom Tao ist und einer Erziehung der
Konditionierer wird auf den nächsten Seiten dargestellt.

4.1 Der Unterschied zwischen einer Konditionierung und der


Erziehung innerhalb des Tao

Im zweiten Kapitel dieser Arbeit wird darauf verwiesen345, dass Lewis davon ausgeht, dass es
in der Geschichte immer ein System der klassischen Erziehung gab. Der Lehrer würde den
Schüler in die Werte des Tao einüben. Beide, nämlich der Lehrer als auch der Schüler,
würden um eine objektive Wertordnung wissen. Lewis bezieht sich auf ein Schulbuch, das
bereits erwähnte grüne Buch, in dem die beiden Autoren, Gaius und Titius den
entgegengesetzten Weg der Erziehung gehen. Ihnen ist die Objektivität von Werten fremd.
Man erinnere sich an das Beispiel der beiden Touristen, die vor einem Wasserfall stehen und
versuchen, jenes Adjektiv zu finden, welches dem Wasserfall zukommen würde. Einer der
beiden Touristen bezeichnete den Wasserfall als „schön“, der andere als „erhaben“. Beide
Werturteile wurden von Gaius und Titius zurückgewiesen, nicht um eine neue Wertung
einzuführen, sondern um darauf hinzuweisen, dass der Wasserfall nicht „erhaben“ oder
„schön“ sei. Wertende Prädikate wären bloße Ausdrücke über den eigenen Gefühlszustand
und würden nicht das zum Ausdruck bringen, was Gegenständen oder Orten aufgrund eines
objektiven Wertsystems zukommen würde. Der Unterschied in diesen beiden
Erziehungsmodellen ist der Ausgangspunkt und das Ziel. In der alten Erziehung steht sowohl
der Lehrer als auch der Schüler innerhalb des Tao. Das Tao als Ausgangspunkt und Weg. Der
Erzieher hätte in diesem System die Aufgabe, den Schüler in das einzuführen, wonach seine
menschliche Natur streben würde. Und nur innerhalb des Tao könne der Mensch im Lichte
seines wahren Menschsein stehen.

342
Lewis ,Die Abschaffung des Menschen, 62.
343
Ebd., 64.
344
Vgl. ebd., 63-64.
345
Vgl. Seite 33-62 der vorliegenden Arbeit.

76
Ganz anders verhält es sich in der Erziehung, in der weder der Lehrer noch der Schüler,
innerhalb dieser objektiven Wertordnung stehen. Werte würden hier nur noch als rationale
Phänomene gelten. Die Aufgabe der Erzieher, Lewis nennt sie die Konditionierer, ist es,
Werturteile im Schüler zu bilden. Der Ausgangspunkt ist hier nicht das Tao selbst, sondern
eine unbestimmte Leere und das Ziel ein neues künstliches Tao. Während im alten Modell die
Motivation, der Weg und das Ziel das Tao waren, finden sich hier ein unbestimmter
Ausgangspunkt und ein Ziel, welches durch entartete Motivation erreicht werden soll.346
Für Lewis bedeutet das Zeitalter der Konditionierer und ihrer Erziehung, ganz durchgedacht,
die Abschaffung des Menschen. Der Fortschritt und die Macht der Manipulation haben sich
laut Lewis in diesem Zeitalter so sehr gesteigert, dass es kein natürliches Gewissen mehr gibt,
nur noch ein von den Konditionierern produziertes Gewissen, welches nicht den
menschlichen Trieben folgt, sondern einzig und allein den Konditionierern. Nur sie
entscheiden, welches Gewissen sie produzieren wollen und stehen selbst darüber. Hier ist für
Lewis der Punkt erreicht, an dem der Mensch versucht, das letzte Stück Natur zu erobern. Es
geht hier um den Kampf des Menschen gegen die menschliche Natur. 347

4.2 Der Sieg des Menschen über die Natur als der Sieg der Natur
über den Menschen

Die Aufgabe der Konditionierer sei es, zunächst auszuwählen, welches künstliche Tao sie im
Menschen hervorbringen wollen. Sie müssen prüfen, was sie im Menschen schaffen wollen,
um ihre Eigeninteressen ganz zur Geltung bringen zu können. Lewis stellt sich hier die Frage,
wodurch die Konditionierer motiviert werden, nach welchen Kriterien sie ihr Vorgehen
prüfen. Zunächst würden sie durch die Überreste des alten Tao motiviert werden. Sie würden
es als ihre „Pflicht“348 sehen, das „Gute“349 weiter zu tragen. Doch genau die „Pflicht“, eine
der größten Überreste des Tao, gilt es unter Kontrolle zu bringen. Lewis verweist darauf, dass
die Konditionierer selbst außerhalb dieser „Pflicht“ stehen würden, sich von ihr losgelöst
haben und deshalb keinesfalls diese als Richter für ihre Handlungen hinzuziehen könnten.
Auch die Frage, welches „Gute“ sie im Menschen produzieren wollen, ist eine Frage, die,

346
Vgl. Lewis, Die Abschaffung des Menschen, 62-64.
347
Vgl. ebd., 64.
348
Ebd., 65.
349
Ebd., 65.

77
wenn sie in ihrem Vorgehen konsequent bleiben wollen, vom Tao wegführt. Woran sollen sie
das „Gute“ messen, wenn sie den objektiven Maßstab nicht anerkennen?350
Die Frage, warum Lewis die Konditionierer so negativ bewertet und sie dadurch als schlechte
Menschen bezeichnet werden könnten, beantwortet er selbst: „Aber ich glaube gar nicht, dass
sie schlechte Menschen sind. Viel eher sind sie überhaupt keine Menschen mehr, im alten
Sinne. Sie sind, wenn man so will, wie Menschen, die ihren Anteil an der traditionellen
Menschlichkeit geopfert haben, um sich der Aufgabe zu widmen, darüber zu entscheiden, was
‚Menschlichkeit’ von jetzt an heißen soll.“351 Ebenso könne man sie weder als „gut“ noch
„schlecht“ bezeichnen, denn der Inhalt dieser Begriffe hänge nur noch von den
Konditionierern selbst ab. Lewis weist darauf hin, dass die Konditionierer das feste
Fundament des Tao verlassen haben und sich in einer Leere befinden würden. Die von ihnen
abhängigen Menschen sind laut Lewis nicht zwingend unglücklich, denn ebenso wie die
Konditionierer hätten sie bereits die Menschlichkeit verloren.352 „Die endgültige Eroberung
des Menschen erweist sich als die Abschaffung des Menschen.“353
Die anfangs gestellte Frage, wodurch das Handeln der Konditionierer motiviert werde, kann
nicht dadurch beantwortet werden, dass sie ihre Motivation außerhalb des Tao finden. Wie
bereits gesagt, würden sie sich auf haltlosem Boden befinden. Laut Lewis haben sie alle
Motive, die vom Tao abhängig sind, verlassen, und die einzige Motivation würde dem „sic
volo, sic iubeo“354, „so will ich, so befehle ich“, entspringen. Da diese Motivation niemals
Objektivität für sich beanspruchen würde, könne diese durch die Subjektivität niemals zerstört
werden. An die Stelle des vom Tao entsprungenen „das ist gut“355 tritt das „ich will“356 der
Konditionierer. Dieses „ich will“ müsse von den Konditionierern nicht geprüft und
durchschaut werden. Jegliche zu vermeidende Objektivität wäre hier nicht auffindbar. Für
Lewis ist die einzige Motivation der Konditionierer demnach das eigene Belieben. Das
Problem für Lewis hierbei ist, welchem Belieben, welchem Impuls die Konditionierer folgen,
wofür sie sich entscheiden. Die Frage nach dem Vorzug eines Impulses kann außerhalb des
Tao nicht beantwortet werden. Impulse stehen laut Lewis je nach Situation in Konkurrenz
zueinander. Erst anhand eines objektiven Maßstabes könne der Mensch entscheiden, welchem
Impuls er in der jeweiligen Situation den Vorzug geben soll. Nur innerhalb des Tao gebe es
eine Ordnung der Impulse, wohingegen die Konditionierer nur durch Zufall diesem oder

350
Vgl. Lewis, Die Abschaffung des Menschen, 64-65.
351
Ebd., 65-66.
352
Vgl. ebd., 64-67.
353
Ebd., 67.
354
Lewis, Die Abschaffung des Menschen, 67.
355
Ebd., 67.
356
Ebd., 67.

78
jenem Impuls eine höhere Wertigkeit einräumen könnten. Was bedeutet dieser Zufall in
Bezug auf die Impulse? Für Lewis ist dies die Schlüsselstelle, um aufzuzeigen, dass der wahre
Sieg des Menschen über die Natur im Letzten der Sieg der Natur über den Menschen ist. Die
zufällige Entscheidung, einem Impuls zu folgen, wäre laut Lewis Natur selbst. Wer sich nicht
dem Tao einfügen will, nicht danach handeln möchte, dem bleibt nur noch ein Weg: Man
muss den eigenen zufälligen Impulsen folgen und muss somit der Natur gehorchen.357 Das
Zeitalter der Konditionierer ist laut Lewis dadurch gekennzeichnet, dass der Mensch, „der
sich selbst als Rohmaterial verstehen will, auch Rohmaterial wird; nicht, wie er sich
gutgläubig einbildet, Rohmaterial, das er selbst manipulieren wird, sondern das manipuliert
wird durch den bloßen Trieb, das heißt durch die bloße Natur in der Gestalt seiner
entmenschlichten Konditionierer.“358
Wer sich vom Tao entfernt, entfernt sich von seiner Menschlichkeit und von seiner
authentischen Freiheit. In dem Versuch, mit allen Mitteln die Natur zu besiegen, zeigt sich der
Mensch als der wahre Verlierer dieses Kampfes. Lewis fasst den vermeintlichen Sieg des
Menschen über die Natur wie folgt zusammen:
„Jeder vermeintliche Sieg hat uns, Schritt für Schritt, zu diesem Ergebnis geführt. Was
wie ein Zurückweichen der Natur aussah, war bloß ein taktischer Rückzug. Wir meinen
sie zurückzudämmen, während sie uns voranlockte. Was für uns wie zur Übergabe
erhobene Hände aussah, waren in Wirklichkeit ausgebreitete Arme, die uns endgültig
einfangen sollten. Ist die restlos durchgeplante und konditionierte Welt (mit ihrem Tao
als reinem Planungszeugnis) einmal Wirklichkeit, dann wird die Natur nicht mehr
durcheinandergebracht von der störrischen Gattung, die sich vor so vielen Millionen
Jahren gegen sie erhob, sie wird sich nicht länger ärgern müssen über ihr Geschwätz von
Wahrheit, Barmherzigkeit, Schönheit und Glück. Ferum victorem cepit; und wenn die
Eugenik sich wirksam erweist, wird es keinen zweiten Aufruhr mehr geben, sondern
alles wird wohlig vor dem Konditionierer kuschen und die Konditionierer vor der Natur,
bis der Mond vom Himmel fällt.“359

Auf den letzten Seiten wurde gezeigt, dass die Leugnung eines göttlichen Rechts zur
Entartung der Menschheit führt. Lewis hat das Szenario eines Relativismus ganz
durchgedacht. Durch die absolute Relativierung der göttlichen Wahrheit und der damit
verbundenen Werte, kann der Relativismus in Bezug auf das Christentum keinesfalls als

357
Vgl. Lewis, Die Abschaffung des Menschen, 67-69.
358
Ebd., 74.
359
Ebd., 70.

79
zielführend betrachtet werden. Ratzinger spricht von einer „Diktatur des Relativismus, die
nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten
lässt“360. Die Gedanken von Lewis enden in einer Apokalypse. Diese Gedanken können zwar
als Orientierung gesehen werden, für den politischen Bereich erscheinen sie jedoch nicht
brauchbar. Meines Erachtens kann das Szenario von Lewis warnende Funktion haben.
Lewis Auffassung von einer objektiven Wahrheit und der Konsequenz, diese nicht
anzuerkennen, betrifft den Menschen selbst. Lewis’ Ausführungen über eine göttliche
Wahrheit können als allgemeine Betrachtungen der Auswirkungen einer Relativierung der
Wahrheit angesehen werden. Ratzinger hingegen geht gezielt auf spezielle Spannungsfelder
zwischen Wahrheit und Relativierung ein. Lewis bietet eine grundsätzliche Darstellung, was
passieren würde, wenn Relativismus alle Bereiche des Lebens umfassen würde. Ratzinger
sieht im Relativismus eine Veränderung der christlichen Glaubensinhalte und verweist auf die
Politik. Im politischen Bereich stellt Relativismus für ihn eine Voraussetzung für die
Demokratie dar. Für Ratzinger ergibt sich im politischen Bereich eine Kontroverse zwischen
objektiver Wahrheit und Demokratie. Die brennende und aktuelle Frage nach dem Anspruch
eines göttlichen Rechts in einer Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, deren Weltanschauung
kaum noch absolute Wahrheit beinhaltet, wird im Artikel „Was ist Wahrheit?“361 von
Ratziger bearbeitet. Auf den nächsten Seiten wird anhand der Gedanken Ratzingers versucht,
Antwort zu geben auf die Frage des Miteinanders von Wahrheitsanspruch des Christentums
und demokratischer Gesellschaft. Dies soll nicht zuletzt deshalb geschehen, um das von
Lewis konstruierte Gedankengebäude in einem etwas greifbareren Umfeld zu verorten.

4.3 Ratzingers Sicht des Relativismus als Voraussetzung der


Demokratie

In der Frage nach der Wahrheit sieht Ratzinger eine der größten Herausforderungen für eine
demokratische Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Wo finden religiöse Wahrheiten in einer
demokratischen Gesellschaft ihren Platz? Wie kann das Christentum seine Wahrheit in einer
Demokratie etablieren? Soll sie es überhaupt? Braucht man für eine demokratische
Gesellschaft überhaupt Wahrheit, oder genügt die Entscheidung der Mehrheit? Mit diesen und
sehr ähnlichen Fragestellungen geht Ratzinger in seinem Artikel „Was ist Wahrheit“ auf die
heutige pluralistische Gesellschaft ein. Er bezieht sich unter anderem auf den Relativismus als

360
Ratzinger, Joseph: Heilige Messe. Pro Eligendo Romano Pontifice, 14.
361
Ratzinger, Was ist Wahrheit?

80
Voraussetzung für die Demokratie. Dieser kurze Überblick dient – wie bereits erwähnt –
dazu, das von Lewis durchgedachte Szenario in ein greifbares Umfeld zu bringen. Wie kann
der absolute Wahrheitsanspruch einer objektiven Sittenlehre Kern einer pluralistisch-
demokratischen Gesellschaft sein?

4.3.1. Freiheit als Inhalt der Demokratie

Ratzinger weist zunächst darauf hin, dass nach dem Zusammenbruch der totalitären Regime
des 20. Jahrhunderts sich die Überzeugung durchgesetzt hat, dass die Demokratie nicht die
ideale politische Form einer Gesellschaft sei, aber – praktisch gesehen – die einzige politische
Ordnung, um die Freiheit und Gleichheit aller Bürger zu garantieren. Sie wäre ein Instrument,
um sich gegen Willkür und Unterdrückung einiger Weniger zu schützen. Die
Machtbeteiligung käme allen in gleichem Maße zu, jeder könne sich ins politische Handeln
einbringen und genau dies wäre Ausdruck von Freiheit.362 „Das eigentliche Gut, das bei der
Machtbeteiligung angestrebt wird, ist also die Freiheit und die Gleichheit aller.“363 Diese
Machtbeteiligung könne jedoch nicht kontinuierlich von Allen gleich gelenkt werden und
müsse daher temporär delegiert werden. Diese nur kurzfristige Übertragung der
Machtausübung sei Kontrolle dafür, dass der Wille derjenigen, die Macht übertragen haben,
gewährleistet bleibt und sich nicht durch andere verselbstständigt.364 Der Staat als Garant für
die Freiheit des Einzelnen hätte somit sein Ziel erreicht. Auf dem Hintergrund dieser
Überlegungen zeigt Ratzinger auf, dass Gemeinschaft dieser Ansicht nach keinen Wert in sich
hat. Gemeinschaft wäre nur da, um die Freiheit des Einzelnen zu garantieren. Diese Freiheit
des Einzelnen nennt Ratzinger „inhaltslose Individualfreiheit“365. Diese Freiheit würde sich
selbst aufheben, denn wahre Freiheit könne nur in einer Ordnung der Freiheiten entstehen, um
Maß halten zu können und nicht in Gewalt auszuarten. Ratzinger zieht auf dem Hintergrund
dieser Gedanken eine Parallele zum Aufbau von totalitären Regimen. Diejenigen, die diese
Herrschaft anstreben würden, hätten zunächst eine ordnungslose Freiheit des Einzelnen
eingeführt. Diese Freiheit ohne Ordnung würde einen Zustand des Kampfes unter dem
Stichwort ‚jeder gegen jeden’ verursachen. Diejenigen Menschen, die das totalitäre Regime
hervorrufen wollen, könnten sich, nachdem sie den Zustand des Kampfes verursacht haben,
als die Retter der Menschheit erweisen. Was Ratzinger in diesem Zusammenhang aufzeigen

362
Vgl. Ratzinger, Was ist Wahrheit?, 49.
363
Ebd., 49
364
Vgl. ebd., 49.
365
Ebd., 50.

81
möchte, ist, dass Freiheit immer eines Inhalts bedarf, einer Ordnung.366 Ohne Inhalt würde
Freiheit, egal nach welcher Definition, zum Kampf führen.
Die Definitionen von Freiheit sind vielschichtig und entspringen unterschiedlichen
Anschauungen von Welt und Gesellschaft. In einer demokratischen Gesellschaft könne man
Freiheit als die Sicherung der Grundrechte, vor allem der Menschenrechte, definieren.
Weiters wäre der Mensch in der Demokratie nur dann frei, wenn er im angestrebten Ziel oder
an den angestrebten Gütern sein eigenes Gut wiedererkennen könne.367
„Durch diese Überlegungen sind nun neben die Idee der Freiheit zwei weitere Begriffe
getreten: das Recht und das Gut. Beide, das heißt die Freiheit als Lebensform der
Demokratie und das Recht wie das Gute als ihr Inhalt, stehen in einer gewissen
Spannung zueinander, die der wesentliche Gehalt des heutigen Ringens um die rechte
Form von Demokratie und Politik überhaupt darstellt.“368
Ratzinger sagt, dass in einer Demokratie Freiheit als das wahre Gut gesehen wird, alle
anderen Güter aber könnten in dieser Staatsform nicht von Allen in gleichem Maße akzeptiert
werden. Zu groß wäre die Gefahr, anderen Gütern soviel Macht einzuräumen, dass durch sie
ein Missbrauch entstehen könnte. Der Staat hätte nicht das Recht, eine bestimmte Idee des
Guten seinen Bürgern aufzudrängen. Noch schwieriger ist es laut Ratzinger, wenn man anstatt
des Begriffs des Guten den Begriff der Wahrheit verwenden würde. Würde die
Wahrheitsfrage vom Staat entschieden werden, würde dies nicht mehr die Freiheit
garantieren, die angestrebt wird. Vorwiegend würde die Meinung herrschen, dass Wahrheit
nicht gemeinschaftlich erkennbar sei. Das Gewissen jedes Einzelnen könne sich niemals an
eine vom Staat vorgegebene Wahrheit anschließen. Laut Ratzinger wurde Wahrheit somit in
den Bereich der Intoleranz und der Antidemokratie gerückt. Über die Frage der Wahrheit
könne nur noch subjektiv entschieden werden.369
„Anders ausgedrückt: Der moderne Begriff von Demokratie scheint mit dem
Relativismus unlöslich verbunden zu sein; der Relativismus aber erscheint als die
eigentliche Garantie der Freiheit, gerade auch ihrer Mitte – der Religions- und
Gewissensfreiheit.“370

366
Ebd., 50.
367
Vgl. ebd., 50.
368
Ebd., 50.
369
Vgl. ebd., 50-51.
370
Ebd., 51.

82
4.3.2 Die Frage nach einer objektiven Wahrheit in einer Demokratie

Ratzinger stellt die Frage, ob nicht doch ein Kern an objektiver Wahrheit auch in einer
Demokratie vorfindlich sein müsse. Er beantwortet diese Frage selbst, indem er darauf
hinweist, dass die Menschenrechte selbst schon eine Grundwahrheit in der Demokratie bilden.
Demokratie sei nach Ratzinger um die Menschenrechte herum gebaut worden. Diese Rechte
seien unverletzlich und sie unterliegen nicht dem Pluralismus- und Toleranzgebot.
Demokratie ist nötig, um die Menschenrechte zu sichern. Die Menschenrechte seien im
Gegenzug der Inhalt der Toleranz und der Freiheit.371
„Das bedeutet, dass ein Grundbestand an Wahrheit, nämlich an sittlicher Wahrheit, gerade für
die Demokratie unverzichtbar zu sein scheint.“372 Es würde sich laut Ratzinger auch kein
Unterschied ergeben, würde man, um nicht mit dem Gedanken des Relativismus in Konflikt
zu geraten, den Begriff der Wahrheit durch den Begriff der Werte ersetzen. Denn Werte
würden ihre Untastbarkeit daraus beziehen, dass sie wahr sind und dem menschlichen Wesen
entsprechen.373
Auf dem Hintergrund dieser Gedanken ergeben sich für Ratzinger nun folgende Fragen: „Wie
sind Grundwerte zu begründen, die nicht dem Spiel von Mehrheit und Minderheit
unterworfen sind? Woher kennen wir sie? Was ist dem Relativismus entzogen, warum und
wie?“374 Diese eben gestellten Fragen sind in der gegenwärtigen politischen Philosophie von
großer Bedeutung. Hier geht es um die Begründung der wahren Demokratie. In diesem
Ringen um das Wesen der Demokratie erkennt Ratzinger zwei unterschiedliche
Grundpositionen: die relativistische Theorie und die metaphysisch-christliche These. Beide
Positionen werden in Folge anhand ausgewählter Vertreter näher erläutert. Ratzinger nennt
noch eine vermittelnde Position, deren Vertreter Pierre Bayle und Karl Popper sind. Auch
diese Position wird skizziert.375

4.3.3 Die Pilatus Frage – Was ist Wahrheit? Die relativistische Position

Ratzinger nennt den Rechtsgelehrten Hans Kelsen als einen Vertreter der relativistischen
Position. Das Stichwort der relativistischen Position wäre ‚Mehrheitsentscheidung’, die hier

371
Vgl. Ratzinger, Was ist Wahrheit?, 51.
372
Ebd., 51
373
Vgl. ebd., 51.
374
Ebd., 51
375
Vgl. ebd., 51-61.

83
die Stelle der Wahrheit einnimmt. Laut Ratzinger wäre Wahrheit dieser Position nach nicht
vorausgesetzt, sondern würde erst durch die ’Mehrheitsentscheidung’ geschaffen werden. Die
relativistische Position würde laut Ratzinger Demokratie nicht inhaltlich, sondern nur formal
bestimmen. Recht würde in einem Gefüge von bestimmten Regeln entstehen und könne daher
nur politisch verstanden werden. Die relativistische Position lässt sich anhand des Beispiels
vom Prozess Jesu darstellen. Pilatus stellt die Frage nach der Wahrheit. „Pilatus sagte zu ihm:
Was ist Wahrheit? Nachdem er das gesagt hatte, ging er wieder zu den Juden hinaus und sagte
zu ihnen: Ich finde keinen Grund, ihn zu verurteilen.“ (Joh 18,38.) Für Kelsen ist Pilatus der
vollkommene Demokrat, denn er wartet die Antwort Jesu nicht ab, sondern wendet sich sofort
an das Volk. Da Wahrheit unerreichbar sei, überlässt Pilatus der Mehrheit des Volkes die
Entscheidung darüber, was gerecht sei. Er stützt sich hier also nicht auf Werte und Wahrheit,
sondern geht den Weg der Prozedur. Dass in diesem Falle ein Unschuldiger verurteilt wird,
beleuchtet Kelsen nicht. Es gebe in einer Demokratie nur die Entscheidung der Mehrheit.
Politik und Religion seien hier in einem negativen Verhältnis zu sehen. Es sei hier ein
absoluter Gegensatz zu den im Christentum gelehrten Wahrheiten und der notwendigen
Skepsis in der relativistischen Demokratie vorhanden.376
Ratzinger verweist in diesem Zusammenhang auf den Exegeten Heinrich Schlier, der diese
Bibelstelle aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Schlier zieht bewusst eine Grenze
zwischen Glaube und Volk. Die Frage nach der Wahrheit könne niemals von der Politik
beantwortet werden. Hinzuzufügen ist, dass Schlier seine Überlegungen aufgrund eigener
biografischer Erlebnisse anstellt. Er selbst wurde Zeuge, als der Nationalsozialismus die
Macht in Deutschland ergriff. In Bezug auf das angeführte biblische Beispiel begrenzt Schlier
die richterliche Vollmacht des Staates, indem er darauf hinweist, dass Pilatus als Vertreter des
Staates seine Macht nicht aus sich selbst hat, sondern „von oben“ (Joh 19,11) erhält. Jesus
selbst begrenzt die Macht des Pilatus, indem er sagte: „Du hättest keine Macht über mich,
wenn es dir nicht von oben gegeben wäre“ (Joh 19,11). Laut Schlier verfälscht Pilatus seine
Macht. Er verwaltet die ihm übertragende Macht nicht mehr für die Erhaltung einer höheren
Ordnung, sondern benützt sie nur noch zu seinen eigenen Gunsten. Er fragt nicht mehr nach
der Wahrheit, sondern versteht Macht als reine Macht, die nicht mehr von einer Wahrheit
abhängig ist. 377
Die Frage nach der Wahrheit führt laut Ratzinger auch unweigerlich zu der Frage nach dem
Staat. Was ist der Staat und wozu dient er? Wo sind seine Grenzen? Die beiden
unterschiedlichen Interpretationen des biblischen Zeugnisses, haben gezeigt, dass sich mit der
376
Vgl. Ratzinger, Was ist Wahrheit?, 51-57.
377
Vgl. ebd., 53f.

84
Definition des Staates auch die Stellung von Macht und Wahrheit ändert. Während bei der
Auslegung von Schlier der Staat die Macht ‚von oben’, von Gott erhält und die Macht damit
nur verwaltet, ist es bei Kelsen so, dass der Staat sich die Wahrheit selbst schaffen muss. In
einem nächsten Schritt wird aufgezeigt, dass die relativistische Position das Wesen des
Staates laut Ratzinger fehlinterpretiert.

4.3.4 Die Frage nach dem Wesen und den Grenzen des Staates

Laut Ratzinger wäre es Aufgabe des Staates, dass er regiert. Damit ist der Anspruch
verbunden, dass dieses Regieren nicht einfach Ausübung von Macht ist, sondern Schutz sein
soll: Schutz für die Rechte des Einzelnen, die in weiterer Folge dem Wohlergehen Aller
dienen sollen. Seine Grenzen überschreitet der Staat dann, wenn er versucht, die Frage nach
dem Glück zu beantworten; Wenn er den Anspruch hätte, das Diesseits in ein Paradies zu
verwandeln; Wenn er versuchen würde, neue Menschen zu schaffen. Hier würde der Staat
seine eigentlichen Grenzen übertreten, denn er würde für sich die Macht Gottes beanspruchen.
In diesem Zusammenhang bezieht sich Ratzinger auf zwei Bibelstellen: Röm 13 und
Apokalypse 13. Die erste Stelle macht laut Ratzinger deutlich, dass Paulus den Staat als den
Treuhänder der Ordnung versteht. Bei Paulus ist es nicht die Aufgabe des Staates, Quelle der
Wahrheit und des Rechts zu sein. Wahrheit und Recht stammen allein von Gott. Im Staat
könne durch Ordnung und Gehorsam gegenüber dem Recht die Bedingung für die Freiheit
verwirklicht werden. In der zweitgenannten Bibelstelle, der Offenbarung des Johannes, zeige
sich der Staat als zerstörerische Kraft. Hier erklärt sich der Staat selbst zu Gott. Er würde laut
Ratzinger dadurch sein eigenes Wesen verneinen und könne dadurch auch keinen Gehorsam
mehr einfordern.378
„Staat als Staat richtet eine relative Ordnung des Zusammenlebens auf, kann aber nicht
allein die Antwort auf die Frage der menschlichen Existenz geben. Er muss nicht nur
Freiräume für ein Anderes und vielleicht Höheres offen lassen; er muss auch die
Wahrheit über das Recht immer wieder von außen empfangen, da er sie nicht in sich
selbst trägt. Aber wie und von wo? Das ist die Frage, der wir uns endgültig stellen
müssen.“379
Die absolute relativistische Position scheint für Ratzinger nicht die Antwort auf die gestellten
Fragen zu sein. In der relativistischen Position würde der Staat alleine über die Wahrheit

378
Vgl. Ratzinger, Was ist Wahrheit?, 54f.
379
Ebd., 55-56.

85
entscheiden. Ratzinger sieht dadurch das Wesen des Staates verunstaltet. Der relativistischen
Position gegenüber soll eine weitere Position Gehör finden.

4.3.5 Die metaphysische und christliche These

Laut Ratzinger ist der berühmteste Vertreter der metaphysischen These Platon. Die
platonischen Gedanken finden sich bei Lewis wieder. Lewis geht davon aus, dass nur
derjenige gut regieren könne, der um das Gute wisse, es selbst erfahren habe, darin eingeübt
wurde. Die Meinung von Platon ist, dass Wahrheit nicht von der Politik geschaffen werden
könne. Das biblische Zeugnis sagt, wie bereits erwähnt, dass das Gute und somit die Wahrheit
unabhängig vom Staat existieren würden. Die Auslegung der Stelle aus dem Römerbrief
durch den Exegeten Heinrich Schlier sollte dies deutlich machen. Wahrheit würde dem Staat
vorausgehen.380 Mit diesem metaphysischen Ansatz müssen laut Ratzinger noch weitere
Personen genannt werden: Der Philosoph Jacques Maritain, der davon ausgeht, dass
„Regierung des Volkes“381 und „Regierung für das Volk“382 immer zusammen gehören. Das
Recht des Volkes könne niemals das Recht sein, über alles zu entscheiden. Es gäbe immer
eine ontologische Größe zu berücksichtigen.383 In dieser Tradition verweist Ratzinger auf den
Philosophen Vittorio Possenti. Possenti meint, dass als Wahrheitsquelle nicht das Christentum
als Offenbarungsreligion gesehen werden soll, sondern als „Sauerteig“384. Christentum ist hier
als geschichtlich bewährte Lebensform gemeint. Die Wahrheit des Christentums ist dieser
Theorie nach allen Menschen aufgrund der Vernunft zugänglich.385 Die metaphysische und
christliche These geht davon aus, dass der Mensch Mittels seiner Vernunft die Wahrheit
erkennen kann. Es gibt dieser Position nach also objektive Wahrheit. Im Gegensatz zur
relativistischen Position, wo Wahrheit erst durch ‚Mehrheitsentscheidung’ geschaffen werden
muss, findet sich in dieser Position die allen Menschen zugängliche objektive Wahrheit. Die
Voraussetzung dieser Tradition ist die Evidenz des Moralischen, das heißt, dass jeder Mensch
Einsicht in die objektive Wahrheit hat. Und genau diese prinzipielle Einsicht, ist laut
Ratzinger einer der kritischen Punkte in der Vermittlung zwischen dem relativistischen
Ansatz von Demokratie und der christlichen Auslegung.386

380
Vgl. Ratzinger, Was ist Wahrheit?, 58-59.
381
Ebd.,59.
382
Ebd., 59.
383
Vgl. ebd., 58-59.
384
Ebd., 59.
385
Vgl. ebd., 61-62.
386
Vgl. ebd., 58-60.

86
Wie bereits angekündigt verweist Ratzinger noch auf eine dritte Position. Sie kann als
vermittelnde Position bezeichnet werden. In ihr findet sich sowohl die allen einsichtige
Wahrheit als auch die Aufgabe des Staates, Wahrheit zu schaffen, wider.

4.3.6 Mittlere Position nach Pierre Bayle und Karl Popper

Der Cartesianer Pierre Bayle (1647-1706) kann als ein Vorläufer dieser mittleren Position
angesehen werden. Er unterscheidet zwischen der praktischen Wahrheit und der
metaphysischen, von Gott gegeben Wahrheit. Der Staat und damit seine Existenzgrundlagen
bedürfen der metaphysischen Wahrheit nicht, die praktische Moral alleine genüge für das
politische Zusammenleben. Was die Erkennbarkeit der praktischen Moral angeht, setzt Bayle
jedoch einen Optimismus voraus. Dieser Optimismus muss aber mit dem Jahrhundert in
Verbindung gebracht werden, in dem Bayle seine Überlegungen anstellte. Das allgemeine
Bewusstsein dieser Zeit ließ den Glauben entstehen, göttliche Wahrheit könne von jedem
Menschen mit der Vernunft wahrgenommen werden.387 Für Bayle herrschte die positive
Vorstellung, dass zwar der Staat alleine die praktische Wahrheit gebrauchen würde, diese
jedoch von Gott kommt und der Bezugspunkt für Gesetze und Normen ist.388 Bayle
unterscheidet also zwischen einer göttlichen Wahrheit und einer praktischen Wahrheit. Der
Staat benötigt für das Zusammenleben laut Bayle nur die praktische Wahrheit. Woher die
Einsicht in die praktische Wahrheit kommt, beantwortet er damit, dass der Bezugspunkt der
praktischen Wahrheit Gott sei. Der Mensch könne laut Bayle Mittels seiner Vernunft diesen
Bezugspunkt erkennen.389
„Aber was damals als zwingende Einsicht der von Gott geschenkten Vernunft erschien,
behielt seine Evidenz doch nur, solange die ganze Kultur, der ganze
Lebenszusammenhang von der christlichen Überlieferung geprägt war. In dem Maß, in
dem sich der christliche Grundkonsens zersetzte und eine nackte Vernunft übrig blieb,
die sich von keiner geschichtlichen Realität belehren lassen, sondern nur auf sich selbst
hören will, zerfiel auch die Evidenz des Moralischen.“390
Laut Ratzinger wurde die im Geschichtlich-Religiösen verwurzelte Vernunft zu einer
empirischen Vernunft. Nur das Materielle und Verifizierbare stehe allen augrund der Vernunft
offen. Die Wahrheiten, welche über die materielle Ebene hinausreichen würden, könnten nur

387
Vgl. Ratzinger, Was ist Wahrheit?, 60-61.
388
Vgl. ebd., 60f.
389
Vgl. ebd., 60-63.
390
Ebd., 61.

87
noch durch Mehrheit und Minderheit bestimmt werden. Ratzinger bezeichnet diese Vernunft
als „blind“391, da sie die Wirklichkeit des Nicht-materiellen nicht erkennen kann.392
Die sozialphilosophische Position Karl Poppers greift die Grundvision Bayles auf. Das
Stichwort bei Popper ist „freie Diskussion“393. Wahrheiten sind laut Popper rational nicht
einsichtig, es könne jedoch eine Annäherung an sie im Prozess der Einsicht und Kritik
stattfinden. Laut Popper gibt es einerseits keine Evidenz der moralischen Wahrheiten,
andererseits stützt er sich auf einen vernünftigen Glauben. Das Mehrheitsprinzip gilt für
Popper nicht unbegrenzt.394
„Bayles große Idee der gemeinsamen Vernunftgewissheit in Sachen Moral ist hier
zusammengeschrumpft zu einem durch Diskussion sich vorantastenden Glauben, der
immerhin, wenn auch auf unsicherem Boden, Grundelemente moralischer Wahrheit
öffnet und sie dem reinen Funktionalismus entzieht.“395

Die Fragestellung, was die Quelle der Wahrheit im Staat sein solle, konnte in dieser Arbeit
nicht umfassend beantwortet werden. Es konnten hier nur Positionen dargestellt werden, die
versuchen, auf ihre Weise Antwort zu geben. Auch Ratzinger bezieht hier nicht klar Stellung
und beleuchtet eher die unterschiedlichen Aussagen der einzelnen Vertreter.
Lewis, der zwar das endgültige Szenario einer Gesellschaft ohne Wahrheit vor Augen hatte,
musste sich mit den relativistischen Strömungen des 21. Jahrhundert nicht auseinandersetzten.
Für ihn führt eine Leugnung der göttlichen Wahrheit zur Abschaffung des Menschen.
Ratzinger bleibt die Antwort darauf schuldig, was passieren würde, wenn der Relativismus
alle Bereiche des Lebens umfassen würde. Lewis gibt mit einer eher apokalyptischen
Vorstellung darauf Antwort. Er konnte noch keine Antwort auf die pluralistische Situation in
Europa geben, in der die Wahrheitsfrage Kern der Auseinandersetzung ist. Ratzinger sagt auf
dem Hintergrund der drei vorgestellten Modelle, dass die Wahrheit nicht vom Staat
geschaffen werden könne. Der Staat würde immer ein „Außen“396 benötigen um das Recht zu
verwalten.

391
Ratzinger, Was ist Wahrheit?, 61.
392
Vgl. ebd., 61.
393
Ebd., 61.
394
Vgl. ebd., 61f.
395
Ebd., 62.
396
Ebd., 64.

88
5 Zusammenfassung
Diese Arbeit hat gezeigt, dass die Thematik des Relativismus nicht fern aktueller Debatten
anzusiedeln ist. So wurde unter anderem ausgeführt, dass die Frage nach Wahrheit in einer
Demokratie in der gegenwärtig geführten Auseinandersetzung zwischen Relativismus und
objektiver Wahrheit zu verorten ist.
Um den zentralen thematischen Kern dieser Arbeit nochmals zusammenzufassen, sei gesagt,
dass diese Debatte zwischen Relativismus und einer absoluten Position wie der eines
göttlichen bzw. natürlichen Rechts aus zwei unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden
kann. Zum einen können die christlichen Glaubensinhalte im Vordergrund stehen. Ratzingers
Ausführungen zeigen, dass jeglicher Versuch der Relativierung der christlichen Wahrheit zu
einem verzerrten Bild des Christentums führt. Das Christentum schöpft aus einer göttlichen
Wahrheit. Diese Wahrheit ist ihr Fundament. Dieses Fundament ist der zentrale Anker der
christlichen Weltanschauung für die Bejahung der Frage nach einer objektiven Wahrheit. Wie
die Relativierung der Wahrheit durch die pluralistische Theologie der Religionen gezeigt hat,
müsse das Christentum, um seinem Wesen treu zu bleiben, derartige Relativierungen
vermeiden. Christen glauben daran, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist, dass er die einzige
Wahrheit für den Menschen ist. Dem Johannesevangelium gemäß sagt Jesus: „Ich bin der
Weg, die Wahrheit und das Leben“(Joh 14,6). Der christliche Glaube kann nicht relativiert
werden. Der Anspruch Jesu, die Wahrheit zu sein, bezieht seinen göttlichen Anspruch eben
daraus, dass er nicht relativierbar ist. Wahrheit kann nur Wahrheit sein, wenn sie, wie
Ratzinger sagt, „sich nicht von jedem Windhauch herumtreiben lässt“.397 Mit der Leugnung
einer absoluten Perspektive, einer göttlichen bzw. natürlichen Wahrheit, würde dem
Christentum das Fundament entzogen. Aus der Sicht des Christentums muss der Relativismus
also kritisch betrachtet werden.
Die zweite Perspektive, um an die Debatte zwischen objektiver und relativistischer
Wertordnung heranzugehen, wurde in dieser Arbeit durch die dargelegten Ausführungen von
C.S. Lewis eröffnet. Für Lewis ist es absolut notwendig, von einer objektiven Wahrheit
auszugehen. Die Konsequenzen einer Relativierung dieser Wahrheit sind für Lewis so
weitreichend, dass diese zu einer Entartung des Menschen führen. Da für Lewis die göttliche
Wahrheit dem Menschen von Gott grundgelegt, d.h. in der menschlichen Natur verankert ist,
würde eine Leugnung der Wahrheit zur Verleugnung des Menschen führen.

397
Ratzinger, Joseph: Heilige Messe. Pro Eligendo Romano Pontifice, 14.

89
So apokalyptisch die Darstellungen von Lewis auch sein mögen, sie können zum Nachdenken
anregen. Verfehlt der Mensch seine Natur schon heute? Was und wie viel kann der Mensch
relativieren, um seiner menschlichen Natur noch treu bleiben zu können? Das
Schreckensszenario einer Abschaffung des Menschen, wie Lewis es beschreibt, ist sicherlich
überzeichnet, dennoch sollte die Herausforderung, die der Relativismus für den Menschen mit
sich bringt, nicht unterschätzt werden.

90
Literaturverzeichnis

Balthasar, Hans Urs von: Einleitung, in: Lewis, C.S.: Die Abschaffung des Menschen,
Einsiedeln, Freiburg: Johannes62007, 9-12.

Benedikt XVI.: Deus Caritas est (25.1.2006).

Coren, Michael: C.S. Lewis – der Mann, der Narnia schuf. Eine Biographie, Moers: Brendow
2005.

Gäde, Gerhard: Viele Religionen – ein Wort Gottes. Einspruch gegen John Hicks
pluralistische Religionstheologie, Gütersloh: Kaiser, Gütersloher Verlagshaus 1998.

Gaudium et Spes. Die pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute, in:
Rahner, Karl/Vorgrimmler, Herbert (Hg.): Kleines Konzilskompendium, Freiburg i.Br.:
Herder302003, 449-552.

Gerth, André A.: Theologie im Angesicht der Religionen, Paderborn u.a.: Schöningh 1997 (=
Beiträge zur ökumenischen Theologie 27).

Glaubensbekenntnis des vierten ökumenischen Konzils von Chalcedon, in: Denzinger,


Heinrich: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen,
verb., erw., ins Dt. übertr. unter Mitarb. von Helmut Hoping, herausgegeben von Peter
Hünermann, Freiburg i.Br. u.a.: Herder392001, 301.

Glaubensbekenntnis des ersten Konzils von Konstantinopel. „Bekenntnis der 150 heiligen
Väter“, in: Denzinger, Heinrich: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen
Lehrentscheidungen, verb., erw., ins Dt. übertr. unter Mitarb. von Helmut Hoping,
herausgegeben von Peter Hünermann, Freiburg i.Br. u.a.: Herder392001, 150.

Hirschberger, Johannes: Geschichte der Philosophie. Bd. 1. Altertum und Mittelalter,


Frankfurt a.M.: Zweitausendeins 2002.

91
Hirschberger, Johannes, Geschichte der Philosophie. Bd. 2. Neuzeit und Gegenwart, Frankfurt
a.M.: Zweitausendeins 2002.

Jacobs, Alan: Der Mann aus Narnia. C.S. Lewis – sein Leben und seine Welt,
Lahr/Schwarzwald: Johannis 2007.

Kant, Immanuel: Kritik der praktischen Vernunft, in: Kant, Immanuel: Werke in 12 Bänden.
Bd. 7, herausgegeben von Wilhelm Weischedel, Frankfurt: Suhrkamp131996.

Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft, in: Kant, Immanuel: Kants gesammelte
Schriften. Bd. 3, herausgegeben von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
2. Auflage 1787, Berlin: de Gruyter 1911.

Katholischer Erwachsenenkatechismus. Bd. 1, Das Glaubensbekenntnis der Kirche,


herausgegeben von der Deutschen Bischofkonferenz, Kevelaer u.a.: Butzon & Bercker
u.a.41989.

Kresák, Wolfgang: Clive Staples Lewis als Katechet. Sein Beitrag zur Neuentdeckung des
Glaubens, Würzburg: Echter 2007 (= Erfurter Theologische Studien 93).

Lewis, C.S.: Das Gift des Subjektivismus, in: Lewis, C.S.: Gedankengänge. Essays zu
Christentum, Kunst und Kultur, Basel: Brunnen 1986 (= ABC team A 375), 113-126.
Lewis, C.S.: Gedankengänge. Essays zu Christentum, Kunst und Kultur, Basel: Brunnen 1986
(= ABC team A 375).

Lewis, C.S.: Die Abschaffung des Menschen, Einsiedeln, Freiburg: Johannes62007.

Lewis, C.S.: Die Chroniken von Narnia. Farbig illustrierte Gesamtausgabe, Wien:
Ueberreuter 2005.

Lewis, C.S.: Pardon, ich bin Christ. Meine Argumente für den Glauben, Basel:
Brunnen192008.

Lewis, C.S.: Überrascht von Freude. Eine Autobiographie, Gießen: Brunnen52007.

92
Meyer, Martin J.: Tolkien als religiöser Sub-creator, Münster: Lit 2003 (= Anglistik,
Amerikanistik 17).

Müller, Klaus: Gott erkennen. Das Abenteuer der Gottesbeweise, Regensburg: Pustet 2001 (=
Topos plus Taschenbücher 405).

Rahner, Karl/Vorgrimmler, Herbert (Hg.): Kleines Konzilskompendium, Freiburg i.Br.:


Herder302003.

Ratzinger, Joseph: Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische


Glaubensbekenntnis, München: Kösel92007.

Ratzinger, Joseph/Benedikt XVI.: Glaube-Wahrheit-Toleranz. Das Christentum und die


Weltreligionen, Freiburg i.Br.: Herder42005.

Ratzinger, Joseph: Heilige Messe. Pro Eligendo Romano Pontifice. Predigt von Kardinal
Joseph Ratzinger, Dekan des Kardinalskollegiums. Patriarchalbasilika St. Peter. Montag, 18.
April 2005, in: Benedikt XVI.: Der Anfang. Papst Benedikt XVI. Joseph Ratzinger. Predigten
und Ansprachen April/Mai 2005, Bonn: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 2005 (=
Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 168), 12-16.

Ratzinger, Joseph: Was ist Wahrheit?. Die Bedeutung religiöser und sittlicher Werte in der
pluralistischen Gesellschaft, in: Ratzinger, Joseph: Werte in Zeiten des Umbruchs. Die
Herausforderungen der Zukunft bestehen, Freiburg i.Br.: Herder 2005 (= Herder spektrum
5592), 49-66.

Ratzinger, Joseph: Werte in Zeiten des Umbruchs. Die Herausforderungen der Zukunft
bestehen, Freiburg i.Br.: Herder 2005 (= Herder spektrum 5592).

Schwandt, Hans-Gerd: Vorwort, in: Schwandt, Hans-Gerd (Hg.): Pluralistische Theologie der
Religionen. Eine kritische Sichtung, Frankfurt a.M.: Otto Lembeck 1998, 7-8.
Schwandt, Hans-Gerd (Hg.): Pluralistische Theologie der Religionen. Eine kritische Sichtung,
Frankfurt a.M.: Otto Lembeck 1998.

Tolkien, J.R.R.: Der Herr der Ringe. Trilogie (3 Bände), Stuttgart: Klett-Cotta181991.

93
Thomas von Aquin: Gottest Dasein und Wesen. Vollst., ungek. Deutsch-lateinische Ausgabe
der Summa theologica Bd. 1, herausgegeben vom Kath. Akademikerverband, Salzburg:
Pustet21933.

Vatikanum I, Dogmatische Konstitution „Dei Filius“ über den katholischen Glauben, in:
Denzinger, Heinrich: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen
Lehrentscheidungen, verb., erw., ins Dt. übertr. unter Mitarb. von Helmut Hoping,
herausgegeben von Peter Hünermann, Freiburg i.Br. u.a.: Herder392001, 3001-3004.

Wehr, Gerhard: Rudolf Steiner zur Einführung, Hamburg: Junius 1994 (= Zur Einführung
99).

Wilder-Smith, A. Ernest: Gott: Sein oder Nichtsein?. Eine kritische Stellungnahme zu


Monods naturwissenschaftlichem Materialismus, Neuhausen, Stuttgart: Hänssler 1973 (=
Telos Wissenschaftliche Reihe 4003).

Zimmermann, Albert: Thomas lesen, Stuttgart: Frommann-Holzboog 2000 (= Legenda 2).

94

Das könnte Ihnen auch gefallen