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Prozessmanagement
für Experten
Impulse für aktuelle und wiederkehrende Themen
Prozessmanagement für Experten
Franz Bayer · Harald Kühn
Herausgeber
Prozessmanagement für
Experten
Impulse für aktuelle und wiederkehrende
Themen
Herausgeber
Franz Bayer
Harald Kühn
BOC Information Technologies Consulting AG
Wien, Österreich
Springer Gabler
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht
ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die
Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Springer Gabler ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe
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www.springer-gabler.de
Geleitwort
Forschungsergebnisse in die industrielle Praxis überzuleiten, wenn diese neu für ihre
Anwender und noch nicht intuitiv zugänglich sind, ist eine Herausforderung.
Das liegt daran, dass eine erfolgreiche Ergebnisüberleitung durch drei Aspekte
bedingt wird, die gleichzeitig und über einen längeren Zeitraum zutreffen müssen:
• Es bedarf der Kontinuität einer Forschungsrichtung und -gruppe.
• Es bedarf zur Praxisumsetzung Menschen, die sowohl fachlich als auch sozial von aus-
geprägter Kompetenz sind.
• Es bedarf der Anwendbarkeit der Forschungsergebnisse im gewählten Anwendungsbereich.
Dieses Buch setzt sich mit dem Anwendungsbereich „Prozessmanagement“ auseinander,
welches sich von einer forschungsrelevanten Disziplin der 1990er-Jahre zu einem allgemein
akzeptierten Managementinstrument in der unternehmerischen Praxis entwickelt hat.
Prozessmanagement ist keine Disziplin der exakten Wissenschaften. Wenn Forschung
und Entwicklung in diesem Kontext Erfolg haben sollen, müssen Forschungsergebnisse auf-
grund von Beobachtungen, durch Experimente und auf Basis von Anwendungserfahrungen
empirisch weiterführend untersucht und fortentwickelt werden. Die Entwicklung von
Methoden und Verfahren für diverse Aspekte des Prozessmanagements ist daher kein
Selbstzweck der wissenschaftlichen Arbeit. Die universitären Ergebnisse sind vielmehr dann
erfolgreich, wenn die geschaffenen Grundlagen in der Praxis erprobt und auf breiter Basis
angewendet werden. Das Management von Geschäftsprozessen ist eine dieser Disziplinen,
in der eine Brücke zwischen Forschung und Anwendung nachhaltig etabliert wurde.
Ob und welche Inhalte dieses Buchs für den jeweiligen Leser relevant sind, wage
ich nicht zu beurteilen, da der Wert der Inhalte immer subjektiv empfunden wird. Aus
Forschungssicht sind die Themen des Buchs allerdings von ausgeprägter Bedeutung. Das
liegt unter anderem auch daran, dass die Autoren das Prozessmanagement nicht nur
erlernt und an diversen Einrichtungen selbst gelehrt, sondern es auch in seiner Ganzheit
über viele Jahre erfolgreich praktiziert haben. Sie behandeln immer wiederkehrende
Themen, die den Kern der prozessorientierten Unternehmensführung und -steuerung
betreffen. Besonders hervorzuheben ist, dass dieses Buch in einer Unternehmensgruppe
entstanden ist, die es bis heute geschafft hat, weiterhin sowohl forschungs- als auch
praxisnah zu sein.
V
VI Geleitwort
Warum sollten Sie dieses Buch lesen? Wenn Sie ein Prozessmanagement-Experte
sind, zeigt es Ihnen, wie andere Experten diese Materie interpretiert und angewendet
haben. Wenn Sie am Beginn Ihres Wegs zum Prozessmanagement stehen, bietet es Ihnen
die Möglichkeit, ein Experte zu werden. Denn wie auch schon Sokrates sagte, „es ist keine
Schande nichts zu wissen, wohl aber, nichts lernen zu wollen“.
Den Herausgebern, Autoren und allen Mitwirkenden ist es gelungen, dieses Werk
zusätzlich zu ihren unternehmensspezifischen Aufgaben zu realisieren. Dies ist nicht nur
in der Motivation und Disziplin jedes Beteiligten zu begründen, sondern auch in der aus-
gezeichneten Zusammenarbeit als Gruppe.
Ihnen allen gilt mein größter Dank!
Seit der Gründung der BOC Gruppe im Jahre 1995 sind wir im Umfeld des
Prozessmanagements in den unterschiedlichsten Rollen und Positionen tätig. Im
Rahmen dieser Tätigkeiten hatten wir das Glück, in einer Vielzahl von spannenden
Projekten und Initiativen mit einer großen Anzahl an interessanten Personen und
Kollegen zu mannigfaltigen Prozessthemen arbeiten und gestalten zu dürfen.
Warum haben wir uns nun entschieden, ein BOC Buch zum Thema Prozessmanagement
zu veröffentlichen, zumal es auf dem deutschsprachigen als auch internationalen Buchmarkt
mittlerweile eine stattliche Anzahl an guten Büchern zu beinahe allen Facetten des
Prozessmanagements gibt? Wir hatten hierzu vorrangig drei Beweggründe.
Im Laufe der Jahre wurden wir in unseren Beratungsprojekten von unseren Kunden
immer wieder gefragt, ob es eine publizierte Zusammenstellung der von uns in Projekten
erfolgreich genutzten und praxiserprobten Vorgehensweisen, Handlungsempfehlungen
und Techniken gibt. Hierzu mussten wir bisher immer auf unsere Whitepapers, unsere
Einzelpublikationen in den verschiedensten Fachzeitschriften, Konferenzen und Workshops
sowie unsere Beitragskapitel in anderen Büchern verweisen.
Als Zweites sehen wir, dass andere Prozessmanagement-Bücher teilweise an einem
bestimmten Punkt „aufhören“ und nur das „Was?“, aber nicht das „Wie?“ beschreiben.
An dieser Stelle setzt das vorliegende Buch an und geht „einen Schritt weiter“, um zu
den im Buch behandelten Themen konkrete Handlungsempfehlungen und Techniken
vorzustellen. Sie erhalten Antworten auf Fragen, wie bspw. „Wie erstelle ich eine gute
Prozesslandkarte?“, „Wie identifiziere und etabliere ich die Prozessverantwortung für einen
Prozess?“, „Wie integriere ich Compliance-Anforderungen in das Prozessmanagement?“
oder „Wie ermittle ich den Personalbedarf für einen bestimmten Prozess?“.
Der dritte Grund ist, dass derzeit Prozessmanagement sowie andere Managementansätze
oftmals isoliert voneinander betrachtet und eingesetzt werden. Diese müssen aus unse-
rer Sicht allerdings im Sinne eines integrierten Managementsystems im Zusammenhang
genutzt werden. Hierzu stellen wir für vier weitere Managementansätze die Integration mit
dem Prozessmanagement vor.
Wir haben für dieses Buch die Form einer Herausgeberschaft gewählt, da wir der
Überzeugung sind, nur damit den Zielen des Buchs gerecht zu werden. Zum einen ist
es dadurch besser möglich, einzelne Kapitel unabhängig voneinander zu lesen, was am
VII
VIII Vorwort
ehesten der Nutzung im Arbeitsalltag entspricht. Zum anderen sind die spezifischen
Kapitel von den jeweiligen Praxisexperten verfasst und gehen so den „einen Schritt wei-
ter“, um Ihnen nicht nur allgemeingültige Beispiele, sondern konkretes und erfolgreich
umgesetztes Erfahrungswissen weitergeben zu können.
Zur Entstehung dieses Buchs haben viele Personen beigetragen, denen wir allen ein
herzliches „Dankeschön!“ aussprechen wollen.
Zuerst möchten wir allen Autoren danken, die mit ihrem tollen Einsatz und Fleiß,
oft zusätzlich zum üblichen Tagesgeschäft, die Inhalte des Buchs produziert haben. Das
Buch ist Ergebnis einer ausgesprochenen Teamleistung.
Folgende Autoren haben beigetragen (in alphabetischer Reihenfolge): Lea Appelhans,
Julia Auer, Daniel Bouché, Dr. Franz Bayer, Kai-Helmut Eckert, Tim Farcher, Dr. Anke
Gericke, Erik Guschlbauer, Eckart Hagenloch, Vedran Hrgovcic, Dr. Lutz Kirchner,
Robert Klose, Dr. Harald Kühn, Marcus Landgraf, Manfred Lenhardt, Dr. Christian
Lichka, Christoph Moser, Stefan Müller, Thomas Müllner, Dr. Marion Murzek, Christoph
Prackwieser, Michael Puncochar, Tobias Rausch, Mario Scherber, Stefanie Schmidt, Markus
Schneider, Robert Strobl, Wilfrid Utz, Angelika Widowitz, Dr. Robert Woitsch und Eva Wolf.
Die Autorennamen finden Sie ebenfalls zu Beginn jedes Kapitels inkl. des E-Mail-
Kontakts der jeweiligen Leitautorin bzw. des Leitautors.
Ein besonderer Dank gilt Frau Dr. Anke Gericke, die mit unermüdlicher
Hartnäckigkeit die Zügel des Projekts in ihren Händen hielt und mit viel Charme vor-
antrieb. Ebenfalls gilt unser Dank Frau Julia Burger, Frau Alexandra Rupacher und in
besonderem Maße Herrn David Hauer, die v. a. in der Endphase des Projekts für viele
organisatorische und konsolidierende Tätigkeiten eine tolle Arbeit geleistet haben.
Wir möchten außerdem allen Kollegen in der BOC Gruppe danken, die mit ihren
Ideen, Erfahrungen und Diskussionen zu den diversen Themen beigetragen haben.
Ebenfalls möchten wir allen unseren Kunden und Partnern danken, die im Rahmen
ihrer Projekte viele der im Buch vorgestellten Ansätze zur Anwendung und positiven
Validierung gebracht haben.
Weiterhin möchten wir Herrn Michael Bursik und Frau Janina Sobolewski danken,
die seitens des Verlags immer tolle Ansprechpartner waren und mit Rat und Tat zu
allen möglichen Fragen im Umfeld des Buchs jederzeit schnell und kompetent zur Seite
standen.
Ein abschließender, aber ganz besonderer Dank gilt o. Univ. Prof. Dr. Prof. h.c.
Dimitris Karagiannis, der durch die Gründung der BOC Gruppe als Spin-off der
Universität Wien die Umgebung geschaffen hat, auf Basis derer viele der im Buch vorge-
stellten Ideen entstanden sind und in der Praxis umgesetzt werden konnten.
Wir wünschen Ihnen beim Lesen viel Vergnügen und hoffen, dass wir den einen oder
anderen Impuls für Ihre Prozessmanagement-Aktivitäten geben können.
Teil I Einführung
1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
Anke Gericke, Franz Bayer und Harald Kühn
1.1 Motivation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.2 Fokus und Zielgruppe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.3 Der Process Management Life Cycle im Kontext integrierter
Managementsysteme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.4 Leseempfehlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
2 Der Lebenszyklus des Prozessmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Anke Gericke, Franz Bayer, Harald Kühn, Tobias Rausch
und Robert Strobl
2.1 Überblick über den Lebenszyklus des Prozessmanagements . . . . . . . . . . . . . 12
2.1.1 Einordnung der Begrifflichkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
2.1.2 Die Phasen des Process Management Life Cycle. . . . . . . . . . . . . . . . . 12
2.1.3 Anwendung des Process Management Life Cycle. . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.2 Die Rollen im Rahmen des Prozessmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.2.1 Wesentliche Rollen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.2.2 Weitere involvierte Rollen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
2.3 Einordnung des Process Management Life Cycle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
2.4 Die Phasen des Process Management Life Cycle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
2.4.1 Prozessstrategie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
2.4.2 Prozessdokumentation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
2.4.3 Prozessoptimierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
2.4.4 Prozessumsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
2.4.5 Prozessdurchführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
2.4.6 Prozesscontrolling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
2.5 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
IX
X Inhaltsverzeichnis
Teil II Prozessstrategie
Teil IV Prozessoptimierung
8 Quantitative Analyse und Planung von Prozessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
Harald Kühn und Franz Bayer
8.1 Klassifikation von Verfahren zur Prozessanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
8.2 Phasenmodell zur quantitativen Analyse und Planung
von Prozessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
8.2.1 Zieldefinition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
8.2.2 Modellerstellung/-adaption. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
8.2.3 Validierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
8.2.4 Auswertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
8.2.5 Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
8.3 Betrachtungsobjekte in der quantitativen Analyse von Prozessen. . . . . . . . . 142
8.3.1 Analyseobjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
8.3.2 Quantitative Parameter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
8.4 Ausgewählte Techniken zur quantitativen Analyse von Prozessen. . . . . . . . 147
8.4.1 Statische Analyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
8.4.2 Dynamische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
9 Prozessbasierte Personalbedarfsermittlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
Marcus Landgraf und Manfred Lenhardt
9.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
9.1.1 Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
9.1.2 Motivation der prozessbasierten Personalbedarfsermittlung . . . . . . 160
9.1.3 Abgrenzungen und Definitionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
9.2 Berechnungsmodelle in der prozessbasierten
Personalbedarfsermittlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
9.2.1 Grundmodell der Personalbedarfsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
9.2.2 Erweiterte Modelle in der Personalbedarfsermittlung . . . . . . . . . . . . 164
Inhaltsverzeichnis XIII
Teil V Prozessumsetzung
12 Organisatorische Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
Eckart Hagenloch, Stefan Müller und Mario Scherber
12.1 Prozessumsetzung als Teil des Process Management Life Cycle. . . . . . . . 226
12.2 Rahmenbedingungen und Herausforderungen der
Prozessumsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
12.3 Umsetzungsplanung und Umsetzungsformen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
12.4 Erfolgsfaktoren bei der Umsetzungsplanung/-durchführung . . . . . . . . . . 230
12.4.1 Identifikation der Adressaten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
12.4.2 Zeitliche Gestaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
12.4.3 Personelle Gestaltung (Ressourcen). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
12.4.4 Formen der Einbindung (I-K-B-Modell). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
12.4.5 Festgelegte Medien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
12.4.6 Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
12.5 Veränderungsmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
12.5.1 Veränderungsmanagement im Kontext des
Prozessmanagements. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
12.5.2 Möglichkeit der Vereinfachung wiederkehrender Phasen. . . . . 239
12.5.3 Veränderungsverläufe und Reaktion der Beteiligten. . . . . . . . . . 241
12.5.4 Eisbergmodell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
12.5.5 Umgang mit Widerständen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
12.6 Prozessmarketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
13 Technische Umsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Tobias Rausch, Michael Puncochar, Kai-Helmut Eckert
und Christoph Moser
13.1 Überblick und Zielsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
13.2 Einführung/Implementierung von (neuen) IT-Anwendungen. . . . . . . . . 253
13.2.1 Klassifikation von IT-Anwendungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
Inhaltsverzeichnis XV
XIX
XX Abkürzungsverzeichnis
Zusammenfassung
Es wird das vorliegende Beitragswerk „Prozessmanagement für Experten“ moti-
viert und der Fokus sowie die Zielgruppe des Buchs beschrieben. Zusätzlich wird
eine Leseempfehlung gegeben, welche Kapitel für welche Tätigkeitsbereiche im
Unternehmen interessant sein könnten. Vor dem Hintergrund unserer praktischen
Erfahrungen und Erkenntnisse werden einzelne Aspekte des Prozessmanagements
herausgegriffen und vertiefend behandelt. Dabei werden sowohl aktuell diskutierte
Themen adressiert als auch solche, die immer wieder in Projekten nachgefragt werden.
Um die ausgewählten Themen in einem Gesamtkontext zu positionieren, verwenden
wir den Ansatz des Process Management Life Cycle (PMLC). Darüber hinaus nehmen
wir unter dem Stichwort „Integrierte Managementsysteme“ eine Positionierung des
Prozessmanagements zu anderen Managementansätzen vor. Im Fokus stehen dabei
das strategische Management, das Risikomanagement, das Unternehmensarchitektur-
Management sowie das Wissensmanagement, für welche jeweils eine Integration mit
dem Prozessmanagement beschrieben wird.
1.1 Motivation
Prozessmanagement ist nicht neu. Bereits seit Jahrzehnten wird Prozessmanagement in den
verschiedensten Branchen mit unterschiedlichen Reifegraden und diversen Schwerpunkten
betrieben. Ursprünglich kommend aus der Ablauforganisation haben sich Anfang der
1990er-Jahre insbesondere Business Process Re-Engineering-Ansätze etabliert, die sich seit
den 2000er-Jahren zu ganzheitlichen und kontinuierlichen Prozessmanagement-Ansätzen
weiterentwickelt haben. Treiber dieser Entwicklung ist zum einen die immer weiter fort-
schreitende Automatisierung von Prozessen durch Systeme und Technologien, wie
Standardsoftware, Workflow-Systeme oder dem Cloud Computing. Zum anderen hat sich
das Prozessmanagement von einem reinen Organisations- und Optimierungsinstrument
hin zu einem Führungsinstrument entwickelt und ist heute in den Führungsebenen der
Unternehmen als Managementansatz etabliert.
Es wurde bereits eine Vielzahl an Büchern zum Prozessmanagement veröffent-
licht. Zum Teil handelt es sich hierbei um umfangreiche Kompendien, die sehr detail-
liert, umfangreich und vereinzelt auch recht theoretisch Prozessmanagement-Ansätze
beschreiben. Darüber hinaus existieren zahlreiche Bücher, die einen klaren Fokus auf die
Prozessoptimierung legen.
Warum also ein weiteres Buch zu diesem Thema? Alle Autoren dieser Heraus
geberschaft sind seit vielen Jahren im Prozessmanagement tätig und haben zu
allen im Buch adressierten Themen zahlreiche Projekte sowohl in internationalen
Großkonzernen als auch im Mittelstand durchgeführt. Aus dieser Erfahrung her-
aus hat sich gezeigt, dass andere Werke teilweise an einem bestimmten Punkt „aufhö-
ren“. Als ein typisches Beispiel ist die Ableitung bzw. Erstellung einer Prozesslandkarte
zu nennen. Die Notwendigkeit einer Prozesslandkarte für das weitere Vorgehen
im Prozessmanagement-Zyklus wird meist betont und es wird vielmals auf die
Unterscheidung von Management-, Kern- sowie Unterstützungsprozessen hingewie-
sen. Eine weitergehende Hilfestellung für die Ableitung einer Prozesslandkarte, die
dem jeweiligen Unternehmen mit dessen Geschäftsmodell und Unternehmensstrategie
gerecht wird, wird oftmals nicht oder lediglich rudimentär gegeben. Dabei fehlen
zumeist detaillierte Hinweise, mittels welcher Dimensionen und welcher Schritte eine für
ein Unternehmen individuelle Prozesslandkarte abgeleitet werden kann. Ein ähnliches
Bild zeichnet sich auch für diverse andere Fragestellungen aus dem Prozessmanagement.
An diesem Punkt setzt das vorliegende Buch an und geht „einen Schritt weiter“, um kon-
krete Vorgehensweisen, Empfehlungen und Techniken für aktuelle als auch immer wie-
der in Projekten nachgefragte Themen im Prozessmanagement vorzustellen.
Darüber hinaus werden das Prozessmanagement sowie andere Managementansätze
oftmals isoliert voneinander betrachtet. Im Unternehmen bzw. einer Organisation treffen
jedoch täglich diverse Managementansätze aufeinander, die einer Integration bedürfen. In
diesem Zusammenhang spielt nicht nur die Berücksichtigung des Risikomanagements eine
Rolle. Auch das strategische Management, Unternehmensarchitektur-Management sowie
das Wissensmanagement weisen Berührungspunkte mit dem Prozessmanagement auf.
Vor dem Hintergrund der beschriebenen Erfahrungen und Erkenntnisse ist das Buch als
Herausgeberschaft konzipiert. Es werden einzelne, wichtige Aspekte des Prozessmanage
ments herausgegriffen und vertiefend behandelt. Die Kapitel des Buchs können getrennt
1 Einleitung 5
voneinander gelesen werden, um so dem Arbeitsalltag gerecht zu werden und eine schnelle
Vertiefung des jeweiligen Themenfelds zu ermöglichen. Es wird dabei grundlegendes Wissen
zum Thema Prozessmanagement vorausgesetzt, da kein vollständiger Prozessmanagement-
Ansatz beschrieben wird. Stattdessen skizzieren wir den von uns verwendeten Ansatz des
Process Management Life Cycle (PMLC), um die ausgewählten Themen des Buchs im
Gesamtkontext des Prozessmanagement-Lebenszyklus zu positionieren.
Darüber hinaus nehmen wir unter dem Stichwort „Integrierte Managementsysteme“
eine Positionierung des Prozessmanagements zu anderen Managementansätzen vor.
Im Fokus stehen dabei das strategische Management, das Risikomanagement, das
Unternehmensarchitektur-Management sowie das Wissensmanagement, für welche
jeweils eine Integration mit dem Prozessmanagement beschrieben wird.
In den Kapiteln sind Erfahrungen aus vielen Praxisjahren festgehalten, die das Buch so
zu einem nützlichen Hilfsmittel und Impulsgeber machen. Die Themen sind dabei insbeson-
dere für Unternehmen bzw. Organisationen interessant, die in Bezug auf ihren umgesetzten
Prozessmanagement-Ansatz einen mittleren bis höheren Reifegrad besitzen. Als Konsequenz
bedeutet dies, dass unsere Publikation weniger als Einstiegswerk ins Prozessmanagement
gedacht ist, sondern vielmehr Prozessverantwortliche, Prozessexperten und Prozessberater
im Rahmen eines fortgeschrittenen Prozessmanagements ansprechen soll.
1
Integrierte Managementsysteme
Strategisches Management
15 18
2
Prozessmanagement
3 4
Prozess- 17
strategie
Unternehmensarchitektur-Management
5
14 6
Prozess- 7
Wissensmanagement
Prozess-
Risikomanagement
controlling dokumentation
Process
Management
Life Cycle
Prozess- Prozess- 8
durchführung optimierung 9
10
11
Prozess-
umsetzung
13 12
16
IT-Management
19
11 Organisatorische Prozessoptimierung
Im Gegensatz zu den quantitativen Ansätzen zur Prozessoptimierung wird in Kap. 11 die organisa-
torische Prozessoptimierung beleuchtet. Hierbei wird schwerpunktmäßig auf qualitative Techni-
ken zur Optimierung von Prozessen eingegangen.
12 Organisatorische Umsetzung
Kapitel 12 widmet sich der organisatorischen Umsetzung von Prozessänderungen und geht auf
die Umsetzungsplanung und -durchführung ein. Darüber hinaus wird das Thema Veränderungs
management im Kontext von Prozessanpassungen bzw. der Einführung von Soll-Prozessen
adressiert.
13 Technische Umsetzung
Als Pendant zur organisatorischen Umsetzung wird in Kap. 13 die technische Umsetzung bei
Prozessänderungen beschrieben. Es werden verschiedene Methoden zur Einführung/Implemen-
tierung von IT-Anwendungen sowie ein Best Practice-Projekt vorgestellt.
14 Umsetzung des Prozesscontrollings
Eingebettet in den PMLC wird in Kap. 14 der Prozesscontrolling-Regelkreis bestehend aus der
initialen Einführung, dem Controlling sowie einem Review beschrieben. Ergänzend wird u. a. auf
Aspekte eines IT-gestützten Prozesscontrollings eingegangen.
15 Integration strategisches Management und Prozessmanagement
Kapitel 15 widmet sich dem Thema der Integration des strategischen Managements und des
Prozessmanagements. Für deren Integration wird die Methode der Balanced Scorecard beschrie-
ben sowie der Bezug zum zielorientierten Prozessmanagement hergestellt.
16 Integration von Prozessmanagement und Unternehmensarchitektur-Management –
Konzepte und Vorgehensweisen zum Business IT Alignment
Vor dem Hintergrund einer besseren Unterstützung des Business IT Alignment wird in Kap. 16
die Integration von Geschäftsprozess- und Unternehmensarchitektur-Management beschrieben.
Dafür wird die TOGAF® Architecture Development Method herangezogen und durch Beispiele
unterlegt.
17 Integration von Prozess- und Risikomanagement durch das Interne Kontrollsystem
Die Integration von Prozess- und Risikomanagement ist Gegenstand von Kap. 17. Hierbei wird
das Interne Kontrollsystem (IKS) als Bindeglied zwischen diesen beiden Managementansätzen
betrachtet.
18 Integration von Prozess- und Wissensmanagement
Kapitel 18 widmet sich der Integration des Prozessmanagements mit dem Wissensmanagement.
Hierfür wird eine Vorgehensweise und ein Modellierungsrahmen für das Unternehmenswissen
vorgestellt. Einen besonderen Aspekt bildet dabei die Wissensbilanz.
19 Zusammenfassung und Ausblick auf wichtige Trends
In Kap. 19 wird eine kurze Zusammenfassung gegeben und einige aus Sicht der Herausgeber
wichtige Trends skizziert.
10 A. Gericke et al.
1.4 Leseempfehlung
Literatur
Zusammenfassung
Der Process Management Life Cycle (PMLC) stellt ein zyklisches Vorgehensmodell für
das Prozessmanagement dar und unterstützt Unternehmen darin, durch Geschäfts
prozessmanagement den Unternehmenserfolg zu steigern. Der PMLC besteht aus
den sechs Phasen Prozessstrategie, Prozessdokumentation, Prozessoptimierung,
Prozessumsetzung, Prozessdurchführung und Prozesscontrolling, die im Einzelnen
kurz erläutert werden. Darüber hinaus werden die Anwendungsmöglichkeiten des
PMLC sowie die Rollen beschrieben, die unterschiedliche Aufgaben im Rahmen des
Prozessmanagements wahrnehmen. Zu diesen Rollen zählen primär der Chief Process
Officer, der Prozessverantwortliche, der Prozessexperte, der Prozessmitarbeiter, der
Prozessberater und der Prozesscontroller. Zum einen gibt dieses Kapitel einen kompak-
ten Überblick über einen Prozessmanagement-Ansatz. Zum anderen ist dieses Kapitel
die Grundlage für die weitere Strukturierung des vorliegenden Buchs. Einzelne Themen,
die in den vorgestellten Phasen des PMLC lediglich angerissen werden können, werden
in den folgenden Kapiteln des Buchs vertieft. Der Bezug der einzelnen Themen unterei-
nander kann über den PMLC und die involvierten Rollen stets hergestellt werden.
Definition
Unter einem Prozess (synonym: Geschäftsprozess) wird eine Abfolge von Aktivitäten
verstanden, die von Akteuren durchgeführt und zur Erstellung eines definierten Ergeb-
nisses benötigt werden. Innerhalb der Aktivitäten werden Artefakte, wie z. B. Formu-
lare oder Informationen, unter Zuhilfenahme von Ressourcen bearbeitet. (Junginger
2000; Kühn und Karagiannis 2001)
Definition
Unter Prozessmanagement (synonym: Geschäftsprozessmanagement) wird grundsätzlich
die Planung, Steuerung, Ausführung und Kontrolle aller Geschäftsprozesse unter Berück-
sichtigung des Umfelds verstanden. Das Umfeld beinhaltet z. B. die Unternehmensstrate-
gie, die Aufbauorganisation, technische Ressourcen und die Informationstechnologie (IT).
Um die Aufgaben des Prozessmanagements erfolgreich umsetzen zu können, bietet der PMLC
ein sechsstufiges Vorgehen bestehend aus den Phasen Prozessstrategie, Prozessdokumentation,
Prozessoptimierung, Prozessumsetzung, Prozessdurchführung und Prozesscontrolling (vgl.
ebenso Petzmann et al. 2007). Abbildung 2.1 visualisiert die Phasen in ihrem Zyklus.
2 Der Lebenszyklus des Prozessmanagements 13
Prozess- Prozess-
controlling dokumentation
Prozess- Prozess-
durchführung optimierung
Prozess-
umsetzung
Die Inhalte der einzelnen Phasen werden an dieser Stelle skizziert, ehe in den folgenden
Abschnitten detaillierter darauf eingegangen wird. Die Phasen des PMLC bilden nicht nur
eine einfache „Hülle“. Angereichert durch Methoden, Techniken und Werkzeuge werden
in den folgenden Kapiteln des Buchs konkrete Ansätze vorgestellt, die beschreiben, wie
innerhalb der einzelnen Phasen bzw. bei Teilaspekten davon vorzugehen ist.
Die Phase der Prozessstrategie (vgl. ebenso Abschn. 2.4.1) setzt auf der Unterneh
mensstrategie und den darin formulierten Unternehmenszielen auf und definiert, wie
diese Ziele mithilfe der Geschäftsprozesse eines Unternehmens erreicht werden kön-
nen. Um einen Überblick über die im Unternehmen vorhandenen Geschäftsprozesse zu
erhalten, wird eine Prozesslandkarte aufgestellt. Für ausgewählte Prozesse werden dann
Prozessziele und messbare Kennzahlen abgeleitet.
In der sich anschließenden Phase der Prozessdokumentation (vgl. ebenso Abschn. 2.4.2)
werden die Ist-Prozesse (in Einzelfällen auch Soll-Prozesse, vgl. Abschn. 2.1.3) des
Unternehmens erhoben, dokumentiert und veröffentlicht. Die Dokumentation erfolgt mit-
tels Modellen, wobei Modellierungsrichtlinien eine einheitliche Darstellung sicherstellen.
Dadurch wird nicht nur eine konsistente Abbildung der vorliegenden Sachverhalte, son-
dern ebenso eine leichtere Lesbarkeit der Geschäftsprozessmodelle ermöglicht. Neben der
reinen Modellierung der Prozessabläufe können ebenso Zuordnungen zu Elementen, wie
Organisationseinheiten, Rollen, Dokumenten oder IT-Ressourcen, erfolgen.
Basierend auf der Prozessdokumentation werden in der Phase der Prozessoptimierung
(vgl. ebenso Abschn. 2.4.3) die Ist-Prozesse des Unternehmens analysiert. Darauf aufbau-
end werden mögliche Kandidaten für Prozessoptimierungen priorisiert. Die ausgewählten
Prozesskandidaten werden dann in separaten Projekten einer Prozessoptimierung unterzo-
gen, wobei die Effizienz und Effektivität der Prozesse im Sinne der definierten Prozessziele
14 A. Gericke et al.
verbessert werden soll. Als Grundlage hierfür können Ergebnisse von Performance-Analysen
aus der Phase des Prozesscontrollings herangezogen werden – sofern der PMLC bereits zum
wiederholten Male durchgeführt wird. Für die Prozessoptimierung und die daraus resultie-
rende Erarbeitung von Soll-Prozessen stehen zahlreiche Instrumente zur Verfügung (z. B.
Produkt-/Prozessübersicht, Personalbedarfsermittlung, Prozesskostenrechnung).
In der Prozessumsetzung (vgl. ebenso Abschn. 2.4.4) werden die zuvor erarbei-
teten Soll-Prozesse sowohl in organisatorischer als auch in technischer Hinsicht im
Unternehmen eingeführt und verankert. Es muss dafür Sorge getragen werden, dass
die definierten Soll-Prozesse unternehmensweit „gelebt“ werden, da sie ab diesem
Zeitpunkt die neuen Ist-Prozesse darstellen. Häufig erfolgt die Umsetzung der verän-
derten Prozesse noch im Rahmen der in der vorherigen Phase aufgesetzten, jeweiligen
Prozessoptimierungs-Projekte, wobei insbesondere Konzepte und Techniken aus dem
Veränderungsmanagement berücksichtigt und eingebunden werden sollten.
In der Phase der Prozessdurchführung (vgl. ebenso Abschn. 2.4.5) werden die aktu-
ell geltenden Ist-Prozesse im Rahmen des täglichen Geschäfts des Unternehmens aus-
geführt. Während der Durchführung der Prozesse können Monitoring-Daten für
das sich anschließende Prozesscontrolling aufgezeichnet werden. Alternativ können
ebenso „manuelle“ Prozessaudits durchgeführt werden, bei denen die Compliance bzgl.
bestimmter Vorgaben anhand von Assessments überprüft wird.
Schließlich werden diese Daten im Rahmen des Prozesscontrollings (vgl. ebenso
Abschn. 2.4.6) regelmäßig ausgewertet und hinsichtlich der definierten Prozessziele, Kenn
zahlen oder Vorgaben analysiert und bewertet (z. B. hinsichtlich Kosten oder Nutzen). Die
Ergebnisse dienen der Steuerung der Prozesse im Unternehmen und bilden die Grundlage
für das erneute Durchlaufen des PMLC, insbesondere der Phase der Prozessoptimierung.
Prozess- Prozess-
controlling dokumentation
Prozess- Prozess-
durchführung optimierung
Prozess-
umsetzung
PMLC als
Prozessmanagement-Ansatz
Unternehmensstrategie
Vorgehensmodelle für
Prozessoptimierungs-/
umsetzungsprojekte
Phasen nach
Define Six Sigma
Control Measure
Improve Analyze
2
Phasen
Prozess- des PMLC
strategie
3
Phasen des
DEMING-Zyklus ACT PLAN Prozess- Prozess-
controlling dokumentation
Prozess- Prozess-
durchführung optimierung
Prozess-
CHECK DO umsetzung
Abb. 2.3 Der PMLC als Prozessmanagement-Ansatz vs. als Vorgehensmodell für Optimierungs-/
Umsetzungsprojekte
2 Der Lebenszyklus des Prozessmanagements 17
Die Rolle des Chief Process Officer (CPO) bzw. des Prozesssponsors bezieht sich auf das
gesamte Prozessmanagement-System im Unternehmen. Der CPO trägt die Verantwortung
für die Verbesserung und Weiterentwicklung des Prozessmanagements im Unternehmen.
Darüber hinaus koordiniert er unternehmensübergreifende Geschäftsprozesse und unter-
stützt oder verantwortet strategische Prozessänderungen. Die Geschäftsleitung eines
Unternehmens sollte als Sponsor des Prozessmanagements auftreten und die Verant
wortung für die Ergebnisse des gesamten Prozessmanagement-Systems besitzen. Folglich
sollte auch die Rolle des Chief Process Officer durch die Geschäftsleitung repräsentiert
werden. Da die genannten Aufgaben eines CPO je nach Unternehmensgröße sehr umfang-
reich werden können, kann die Geschäftsleitung die Rolle des CPO auch delegieren, bspw.
an eine Stabsstelle oder eine Organisationsabteilung.
Der Prozessverantwortliche ist für ausgewählte Geschäftsprozesse des Unternehmens
verantwortlich. Seine Verantwortung bezieht sich dabei auf die Erreichung der
Prozessziele, die Durchführung der Prozesse sowie die Gestaltung der Prozesse.
Außerdem ist er für die Einhaltung von Normen, Richtlinien etc., die sich auf die Prozesse
beziehen, verantwortlich. Folglich muss der Prozessverantwortliche die Compliance sei-
ner Prozesse gewährleisten.
Der Prozessexperte besitzt ein tiefes Know-how eines Geschäftsprozesses und unter-
stützt damit insbesondere den Prozessverantwortlichen. Er gibt fachlichen Input für die
Geschäftsprozessmodellierung und führt sie ggf. selbst durch. Die Rolle des Prozess
experten ist im Fachbereich angesiedelt und bezieht sich auf ausgewählte Prozesse aus
dem jeweiligen Fachbereich.
Der Prozessmitarbeiter ist für die operative Ausführung der Geschäftsprozesse zustän-
dig. Er gilt als fachlicher Wissensträger und kann den Prozessexperten in seiner organi-
satorischen Arbeit als wertvoller Inputgeber unterstützen.
Die Rolle des Prozessberaters ist in der Regel als Stabsstelle oder in der Organi
sationsabteilung eines Unternehmens angesiedelt. Sie bezieht sich auf das gesamte
Prozessmanagement-System des Unternehmens. Der Prozessberater unterstützt die
18 A. Gericke et al.
anderen Rollen in methodischer Hinsicht und ist für das Training zu Prozessmethoden
und -tools verantwortlich. Er unterstützt die Planung und Durchführung von Prozess
management- bzw. Prozessverbesserungs-Projekten und führt die Organisation und
Moderation von Prozessmanagement-Workshops durch. Der Prozessberater kann
ebenso innerhalb der Geschäftsprozessmodellierung als Unterstützung und zur methodi-
schen Qualitätssicherung eingesetzt werden.
Der Prozesscontroller führt das Reporting hinsichtlich der Erreichung der Prozessziele
sowie der Umsetzung der festgelegten Maßnahmen durch. Je nach Unternehmen
kann die Ausgestaltung und Verankerung dieser Rolle sehr unterschiedlich sein.
Manche Unternehmen führen die Rolle des Prozesscontrollers explizit ein, insbeson-
dere wenn quantitative Auswertungen bezüglich der Prozesse durchgeführt werden
sollen. Der Aufgabenbereich des Prozesscontrollers kann sich dabei über alle Prozesse
der Prozesslandkarte erstrecken. In diesem Fall ist die Rolle meist als Stabsstelle oder in
der Organisationsabteilung des Unternehmens verankert und die Erstellung von pro-
zessübergreifenden Analysen steht im Vordergrund. Alternativ kann sich die Rolle
des Prozesscontrollers auch nur auf ausgewählte Prozesse des Unternehmens bezie-
hen. Bei dieser Rollenausgestaltung unterstützt der Prozesscontroller zumeist den
Chief Process
Prozessberater
Officer unterstützt
gibt
wirkt mit bei
ist verantwortlich für methodische
Verbesserungen
Unterstützung
Prozessmanagement-System gibt
fachlichen
erhebt/analysiert Daten Input
unterstützt
Prozess-
verantwortlicher
Prozess-
mitarbeiter unterstützt
Abb. 2.4 Das Zusammenspiel der wesentlichen Rollen im Rahmen des Prozessmanagements
2 Der Lebenszyklus des Prozessmanagements 19
Prozessverantwortlichen. In der Praxis hat sich gezeigt, dass durch die Trennung der bei-
den Rollen Prozessverantwortlicher und Prozesscontroller oftmals eine höhere Objektivität
bzgl. der Aussagen der Prozessauswertungen erzielt wird. Schließlich kann auch auf die
explizite Ausgestaltung der Rolle eines Prozesscontrollers verzichtet werden, indem die mit
dieser Rolle verbundenen Aufgaben bspw. von Controllern aus dem zentralen Controlling
wahrgenommen werden.
Abbildung 2.4 zeigt die beschriebene Interaktion zwischen den vorgestellten Rollen
des Prozessmanagements.
• Zielverantwortlicher
• Risikomanager
• Risikobewerter
• Qualitätsmanager
• Compliance-Manager
• Safety-/Security-Manager
• Unternehmensarchitekt
• Business-Analyst
• IT-Architekt
• IT-Analyst
• IT-Servicemanager
Das Thema Prozessmanagement hat sich seit den 1990er-Jahren des letzten Jahrtausends
aus verschiedenen Disziplinen und Ansätzen heraus entwickelt. Maßgebliche Beispiele
hierzu sind das Business Process Re-Engineering, die Automatisierung von Prozessen
mittels Workflow-Management-Systemen sowie das Qualitätsmanagement.
Die Anfänge des Business Process Re-Engineering (BPR) wurden zu Beginn der
1990er-Jahre im Wesentlichen durch Davenport (1993) sowie Hammer und Champy
(1993) gemacht (Harmon 2007b). Verschiedenen BPR-Ansätzen ist gemein, dass sie eine
radikale Veränderung der Prozesse im Unternehmen fordern, um eine größtmögliche
Verbesserung der Prozessleistung zu erzielen.
Mehr oder minder parallel zur BPR-Entwicklung stand zunehmend die Unterstützung
von Prozessen durch IT bzw. Workflow-Management-Systeme im Fokus von Forschung
und Praxis. Als Rahmenwerke, die diesen Aspekt berücksichtigen, sind beispielhaft
der Ansatz bezüglich der Architektur integrierter Informationssysteme (ARIS) (Scheer
1992, 1999; Scheer et al. 2005) und das Business Process Management Systems (BPMS)-
Paradigma (Karagiannis 1995; Karagiannis et al. 1996; Junginger 2000; Kühn und
Karagiannis 2001) zu nennen.
Das Qualitätsmanagement hat sich unabhängig vom Prozessmanagement entwickelt
und erste Ansätze diesbezüglich datieren bereits deutlich früher. So hat der Deming-Kreis,
der auf den Shewart-Zyklus zurückgeht, seine Wurzeln in den 1950er-Jahren (Deming
2000; Kamiske und Brauer 2008). Der Deming-Kreis ist auch unter der Bezeichnung
PDCA-Zyklus bekannt, da er die vier Phasen Plan – Do – Check – Act umfasst (Schmitt
und Pfeifer 2010). Der Zyklus findet ebenso Anwendung beim Kontinuierlichen
Verbesserungsprozess (KVP), der wiederum auf den Kaizen-Ansatz (Imai 1986) zurück-
geht (Witt und Witt 2007). Der KVP und der Kaizen-Ansatz zielen nicht nur auf die konti-
nuierliche Verbesserung von Prozessen in Unternehmen, sondern z. B. auch auf Produkte
ab, werden aber vielfach im Prozess-Kontext im Sinne eines Prozessmanagement-Ansatzes
eingesetzt. Ebenfalls seinen Ursprung im Qualitätsmanagement hat der Six Sigma-Ansatz
(vgl. z. B. Pyzdek und Keller 2009; Toutenburg und Knöfel 2009; Gygi et al. 2010). Six
Sigma folgt den Phasen Define – Measure – Analyze – Improve – Control, um Prozesse zu
verbessern. Dabei kommen insbesondere statistische Verfahren zum Einsatz.
In Forschung und Praxis gibt es aktuell kein standardisiertes Vorgehen für die
Durchführung von Prozessmanagement in Unternehmen. Die existierenden Prozess
management-Zyklen/-Kreisläufe gehen jedoch mehr oder minder stark auf die vorgestell-
ten Ansätze zurück und ähneln sich in ihren Phasen und deren Ablauf.
Der in diesem Kapitel vorgestellte Process Management Life Cycle wurde maß-
geblich durch das oben genannte BPMS-Rahmenwerk beeinflusst. Die Phasen ent-
sprechen im Wesentlichen denen des BPMS-Rahmenwerks. Lediglich die Phase des
Gestaltungsprozesses wurde im PMLC verfeinert und es werden hier die Phasen der
Prozessdokumentation und der Prozessoptimierung unterschieden. Abbildung 2.5 ver-
anschaulicht den Zusammenhang der beiden Ansätze.
2 Der Lebenszyklus des Prozessmanagements 21
Prozess-
strategie
Strategischer
Entscheidungsprozess
Prozess-
dokumentation
Gestaltungsprozess
Prozess-
optimierung
Bewertungs- und Prozess-
Kontrollprozess controlling
Prozess- Umsetzungsprozess
umsetzung
Prozess-
Ausführungsprozess
durchführung
Abb. 2.5 Der PMLC und seine Einbettung in das BPMS-Rahmenwerk (aufbauend auf Karagiannis
1995; Karagiannis et al. 1996)
2.4.1 Prozessstrategie
Die Situation vieler Unternehmen ist dadurch gekennzeichnet, dass die Umwelt- und Rah
menbedingungen immer vielschichtiger werden. Hinzukommend erfolgt oftmals eine
Fokussierung auf die Ergebniszahlen, um den gestiegenen Erwartungen der Investoren
gerecht zu werden. Neben diesen externen Gegebenheiten stehen Unternehmen intern
immer häufiger vor der Herausforderung, bei einer eher heterogenen Anwendungs- und
Informationslandschaft entscheidungsrelevante Informationen zum richtigen Zeitpunkt zur
Verfügung stellen zu können.
Als ein Lösungsansatz bietet das Prozessmanagement die Möglichkeit, die Unterneh
mensstrategie „auf die Straße“ zu bekommen, indem es die Unternehmensziele auf
Prozesse herunterbricht (vgl. ebenso Kap. 4). Hierdurch wird nicht nur das strategi-
sche Denken gefördert, sondern es werden damit auch quantitative und qualitative
Steuerungsgrößen vorgegeben. Diese wiederum sorgen für eine höhere Transparenz und
bessere Kommunizierbarkeit des Steuerungssystems.
Um dies zu realisieren, muss der Chief Process Officer, ggf. mit Unterstützung aus
dem Bereich Unternehmensentwicklung, zunächst die Unternehmensstrategie und
deren Ziele analysieren. Auf dieser Grundlage kann er Gestaltungsprinzipien für die
Prozessarchitektur ableiten. Diese Gestaltungsprinzipien können sehr vielfältig sein –
von der Festlegung einer Prozessoptimierungs-Strategie (Re-Engineering der Prozesse
vs. kontinuierliche Prozessverbesserung) über Festlegungen zur Prozessstandardisierung
bis hin zu Prinzipien bzgl. Prozess-Outsourcing. Parallel dazu können der Prozessberater
und die Prozessexperten sowie die Prozessverantwortlichen eine Prozesslandkarte für
das Unternehmen aufstellen (vgl. ebenso Abschn. 3.4). Darauf aufbauend erfolgt die
Identifikation der Prozesse, die im Rahmen der aktuellen Prozessmanagement-Initiative
berücksichtigt werden sollen. Die Unternehmensziele werden dann gemeinsam durch
den Zielverantwortlichen und den Prozessverantwortlichen sowie falls notwendig
mit Unterstützung aus dem Bereich Unternehmensentwicklung auf die ausgewählten
Prozesse heruntergebrochen und in Form von strategischen/operativen Prozesszielen
dokumentiert.
2 Der Lebenszyklus des Prozessmanagements 23
Tab. 2.1 Vorgehen in der Phase der Prozessstrategie sowie durchführende Rollen
Nr. Vorgehensschritte Durchführende Rollen
1. Unternehmensstrategie und -ziele Chief Process Officer, ggf. mit Unterstützung
analysieren und Gestaltungsprinzipien aus dem Bereich Unternehmensentwicklung
für die Prozessarchitektur ableiten
2. Prozesslandkarte aufstellen Prozessberater, Prozessexperte,
Prozessverantwortlicher
3. Wichtige Prozesse identifizieren Chief Process Officer, Zielverantwortlicher,
Prozessverantwortlicher, ggf. Prozessexperte
4. Ziele auf einzelne Prozesse herunterbrechen: Zielverantwortlicher,
Prozessziele (strategisch/operativ) sowie Prozessverantwortlicher, ggf. mit
ggf. Kennzahlen festlegen Unterstützung aus dem Bereich
Unternehmensentwicklung
Zusätzlich zu den Prozesszielen sollten auch Kennzahlen sowie Zielwerte für diese
Kennzahlen definiert werden, mit deren Hilfe die Erreichung der Prozessziele gemessen
werden kann.
Je nachdem, ob man das erste Mal die Phase der Prozessstrategie durchläuft und
somit erst beginnt, ein Prozessmanagement im Unternehmen aufzusetzen, oder ob der
PMLC bereits mehrfach durchlaufen wurde, besitzt die Ableitung von Kennzahlen unter-
schiedliche Bedeutung. Zu Beginn sollte die Ableitung von Gestaltungsprinzipien und
Prozesszielen im Vordergrund stehen. Die Festlegung von Prozesskennzahlen ist oftmals –
auch mangels einer vorhandenen Prozessdokumentation – gar nicht möglich. Mit zuneh-
mender Reife des Prozessmanagements kann dann ein Kennzahlensystem entwickelt
werden, welches schrittweise aus den Gestaltungsprinzipien/Zielvorgaben abgeleitet wird.
Tabelle 2.1 fasst das beschriebene Vorgehen im Rahmen der Phase der Prozess
strategie noch einmal zusammen.
Im Zuge des mehrmaligen Durchlaufens des PMLC müssen die definierten
Prozessziele regelmäßig auf ihre Wirksamkeit geprüft und an Strategieveränderungen
angepasst werden.
2.4.2 Prozessdokumentation
Prozesse werden häufig in Form von Modellen dokumentiert, um ein Abbild der
Unternehmensabläufe zu ermöglichen. Die Gründe für die Prozessdokumentation sind
vielfältig: Zum einen bilden dokumentierte Prozesse einen Teil des Wissensmanagements,
da die Unternehmensabläufe selbst als Wissen des Unternehmens betrachtet werden
können (vgl. Kap. 18). Dokumentierte Prozesse stellen in diesem Zusammenhang zum
Beispiel die Grundlage für die Schulung (neuer) Mitarbeiter dar. Zum anderen können auf
der Basis existierender Prozessmodelle Prozessanalysen und -optimierungen durchgeführt
24 A. Gericke et al.
Tab. 2.3 Vorgehen in der Phase der Prozessdokumentation sowie durchführende Rollen
Nr. Vorgehensschritte Durchführende Rollen
1. Detaillierungsgrad für die Chief Process Officer,
Prozessdokumentation festlegen Prozessberater
2. Gestaltungs- und Modellierungsrichtlinien Prozessberater
erstellen und vermitteln
3. Prozesse modellieren/dokumentieren Prozessexperte, Input durch
und dabei Gestaltungs-/ Prozessmitarbeiter
Modellierungsrichtlinien anwenden
4. Qualitätssicherung auf die Prozessberater,
dokumentierten Prozesse durchführen Prozessverantwortlicher
(methodisch und inhaltlich) oder Prozessexperte
5. Prozessmodelle veröffentlichen Prozessberater
Modellierungssprache wie zu modellieren ist. Mit diesem Rüstzeug können die Prozesse
dokumentiert werden, wobei der Input von Prozessmitarbeitern herangezogen werden kann.
Zusätzlich zur reinen Dokumentation des Prozessablaufs kann die Dokumentation weitere
Aufgaben umfassen, wie z. B.:
2.4.3 Prozessoptimierung
In der Phase der Prozessoptimierung sollen die Prozesse im Sinne der definierten
Prozessziele optimiert werden. Im Detail bedeutet dies, die Prozesse stärker auf die
26 A. Gericke et al.
Zunächst wird der Ist-Zustand der Prozesse analysiert. Die in der vorherigen Phase erstellte
Prozessdokumentation bildet hierfür die Grundlage. Die potenziellen Schwachstellen in
Prozessen können vielfältig sein. Tabelle 2.4 gibt einen Überblick über mögliche Schwach
stellen, die sich aus einer Prozessdokumentation „ablesen“ lassen.
Die Analyse der Ist-Prozesse schließt neben dem Erkennen potenzieller
Schwachstellen in den Prozessen auch das Ableiten von möglichen Sofortmaßnahmen
(engl. Quick Wins) ein. Weiterhin sollte die Grundlage für weiterführende Kosten-
Nutzen-Analysen geschaffen werden.
In einem zweiten Schritt erfolgt die Zusammenstellung und Priorisierung möglicher
Prozessoptimierungs-Projekte. Für die Bewertung bzw. Priorisierung dieser Projekte
können herangezogen werden:
Abb. 2.6 Ausschnitt einer Heat Map zur Beurteilung des Optimierungspotenzials
Tab. 2.5 Vorgehen in der Phase der Prozessoptimierung sowie durchführende Rollen
Nr. Vorgehensschritte Durchführende Rollen
1. Ist-Zustand der Prozesse analysieren Prozessberater,
Prozessverantwortlicher
2. Mögliche Prozessoptimierungs-Projekte Prozessberater, Chief
priorisieren Process Officer
3. Prozessoptimierungs-Projekte durchführen Prozessverantwortlicher,
Prozessberater, Prozessexperte,
Prozessmitarbeiter, ggf. weitere
Rollen im Projekt
2 Der Lebenszyklus des Prozessmanagements 29
2.4.4 Prozessumsetzung
2.4.5 Prozessdurchführung
In der Phase der Prozessdurchführung steht die tägliche Durchführung der Geschäfts
prozesse durch die Prozessmitarbeiter im Vordergrund. Als Unterstützung der Prozess
durchführung hat es sich in der Praxis bewährt, sogenannte Arbeitsanweisungen (engl.
30 A. Gericke et al.
Tab. 2.6 Vorgehen in der Phase der Prozessdurchführung sowie durchführende Rollen
Nr. Vorgehensschritte Durchführende Rollen
1. Prozesse im Tagesgeschäft durchführen Prozessmitarbeiter
2a. Messdaten zu Prozesskennzahlen Prozesscontroller, Prozessmitarbeiter,
erheben Prozessverantwortlicher
2b. Prozess-Assessments durchführen Prozesscontroller, ggf. Mitarbeiter aus
der Revision
3. Kurzfristige Problemlösung im Prozessverantwortlicher
Tagesgeschäft umsetzen
Während des gesamten Durchlaufens des PMLC, aber insbesondere im Rahmen der
Prozessdurchführung, sollte der Prozessberater die Verankerung des Prozessmanagement-
Gedankens im Unternehmen fördern. Dies kann er beispielsweise durch kontinuierliche
Weiterbildungsmaßnahmen zum Thema Prozessmanagement realisieren.
2.4.6 Prozesscontrolling
Innerhalb der Phase des Prozesscontrollings erfolgt die Bewertung und Kontrolle der
Performance der Geschäftsprozesse des Unternehmens. Dies geschieht unabhängig von
den darunter liegenden Organisationsstrukturen. Mithilfe des Prozesscontrollings kön-
nen die Prozesse in die „richtige Richtung“, d. h. strategiekonform, gesteuert werden.
Im Sinne eines integrierten Ansatzes sollte das Prozesscontrolling deshalb auch mit dem
Unternehmenscontrolling abgestimmt werden.
Zunächst müssen die während der Prozessdurchführung gesammelten Mess
daten bzw. die Daten aus den Prozess-Assessments aufbereitet und aggregiert werden.
2 Der Lebenszyklus des Prozessmanagements 31
Tab. 2.7 Vorgehen in der Phase des Prozesscontrollings sowie durchführende Rollen
Nr. Vorgehensschritte Durchführende Rollen
1. Daten aufbereiten und aggregieren Prozesscontroller/Prozessberater,
Prozessverantwortlicher
2. Analysen durchführen und Ergebnisse Prozesscontroller/Prozessberater,
aufbereiten Prozessverantwortlicher
3. Konsequenzen diskutieren und Chief Process Officer,
veranlassen (Maßnahmen definieren) Prozessverantwortlicher
4. Ergebnisse der Analyse kommunizieren Chief Process Officer,
Prozessverantwortlicher
Möglicherweise müssen sogar zusätzliche Daten erhoben werden, so dass die Performance
und/oder Compliance der Prozesse bewertet werden kann. Ergänzende Instrumente zur
Datenerhebung können beispielsweise Interviews mit Prozessmitarbeitern und/oder
Prozessverantwortlichen oder aber die Analyse bzw. Begutachtung von Prozessergebnissen
sein. Wichtig ist, dass die Datenerhebungen bzw. Messungen regelmäßig durchgeführt
werden.
Im folgenden Schritt werden die aufbereiteten Daten analysiert und ihre Ergebnisse
entsprechend aufbereitet. Die Ergebnisse sollten darüber Aufschluss geben, inwieweit
die in den Prozesskennzahlen definierten Zielwerte durch die Prozesse erreicht bzw.
inwieweit die für die Prozesse definierten Vorgaben eingehalten werden. Sowohl bei der
Aufbereitung als auch bei der Analyse der Daten erhält der Prozessverantwortliche metho-
dische Unterstützung durch den Prozesscontroller und/oder den Prozessberater. Sie stel-
len ebenso entsprechende Instrumente für die Performance-Analyse bereit. Darüber
hinaus verwendet der Prozesscontroller/Prozessberater Erkenntnisse aus der Prozess-
Performance-Analyse bzw. dem Prozess-Assessment, um diese in Form von Lessons
Learned aufzubereiten und den Wissenstransfer im Prozessmanagement im Unternehmen
sicherzustellen.
Anschließend diskutiert der Prozessverantwortliche mit dem Chief Process Officer die
Ergebnisse und es wird festgelegt, welche Konsequenzen aus den Zielerreichungsgraden
der einzelnen Prozesskennzahlen bzw. den Ergebnissen der Prozess-Assessments gezo-
gen werden und in welcher Form diese umzusetzen sind.
Schließlich sollten die Ergebnisse auch veröffentlicht und kommuniziert werden.
Je nach Positionierung des Prozessmanagements geschieht dies zum Teil bis hin zur
Geschäftsleitung des Unternehmens. Das beschriebene Vorgehen wird in Tab. 2.7 noch-
mals dargestellt.
Der Bewertungs- und Kontrollprozess schließt den Process Management Life Cycle.
Im Sinne des Zyklus des PMLC fließen die gewonnenen Prozesscontrolling-Ergebnisse
jedoch in einen neuen Kreislauf und werden insbesondere in der Prozessstrategie, der
Prozessoptimierung sowie ggf. der Prozessdokumentation – sofern Prozesskennzahlen
dokumentiert werden – weiter verwendet.
32 A. Gericke et al.
2.5 Zusammenfassung
Dieses Kapitel stellt den Process Management Life Cycle als ein zyklisches Vorgehensmodell
vor, mit dessen Hilfe Unternehmen ihre Geschäftsprozesse managen, d. h. kontinuierlich
überprüfen und anpassen, können. Der PMLC umfasst die sechs Phasen Prozessstrategie,
Prozessdokumentation, Prozessoptimierung, Prozessumsetzung, Prozessdurchführung und
Prozesscontrolling. Die einzelnen Phasen werden erläutert und dabei die unterschiedli-
chen Aufgaben der involvierten Rollen aufgeführt. Innerhalb des Prozessmanagements
werden primär die Rollen Chief Process Officer, Prozessverantwortlicher, Prozessexperte,
Prozessmitarbeiter, Prozessberater und Prozesscontroller unterschieden. Weitere Rollen,
wie z. B. Risikobewerter oder Unternehmensarchitekt, können ebenso involviert sein.
Wie bereits in Abschn. 1.3 beschrieben, bildet dieses Kapitel die Grundlage für die
weitere Strukturierung des vorliegenden Buchs. Einzelne Themen, die in den vorgestell-
ten Phasen des PMLC lediglich angerissen werden konnten, werden in den folgenden
Kapiteln des Buchs vertieft. Der Bezug der einzelnen Themen untereinander kann über
den PMLC und die involvierten Rollen stets hergestellt werden.
Literatur
Zusammenfassung
Die Prozessarchitektur ermöglicht eine strukturierte Sicht auf die Prozesse einer
Organisation. Bei ihrer Gestaltung kommen sowohl fachliche als auch methodische
Prinzipien zum Einsatz. Die Prozessarchitektur muss in ihrer Struktur und in ihrem
Umfang die Unternehmensstrategie widerspiegeln. Nur so wird sie auch zu einem per-
manent genutzten Instrument des Managements, mit dem Prozessverantwortliche
festgelegt und die Prozesse geplant und gesteuert werden können. Neben der
Steuerung bietet die Prozessarchitektur darüber hinaus noch weitere Nutzenaspekte
wie Information, Transparenz sowie prozessübergreifende Optimierung. Das folgende
Kapitel beleuchtet diese Aspekte und zeigt eine Vorgehensweise sowie Techniken zur
Strukturierung der Prozessarchitektur bzw. der obersten Ebene der Prozesslandkarten
auf. Anhand verschiedener Verwendungsbeispiele wird erläutert, was eine „gute“
Prozessarchitektur ausmacht, wie Prozessverantwortung umgesetzt werden kann und in
welchen Praxisszenarien die Prozessarchitektur von besonderer Bedeutung ist.
3.1 Einleitung
Die Sicht auf ein Unternehmen bzw. eine Organisation auf Basis von Prozessen wird über
eine gut strukturierte Prozessarchitektur erreicht. Die Ordnung dieser Prozessarchitektur
kann auf Basis von unterschiedlichen Gestaltungsprinzipien erfolgen. Es können Prinzipien
angewendet werden, die aus bekannten Methoden des Prozessmanagements resultieren, aber
auch Prinzipien, die sich in einer Branche für das Management der Prozesse bewährt haben.
F. Bayer (*)
BOC Information Technologies Consulting AG, Operngasse 20b, 1040 Wien, Österreich
e-mail: franz.bayer@boc-eu.com
L. Appelhans · E. Wolf
BOC Information Technologies Consulting GmbH, Voßstraße 22, 10117 Berlin, Deutschland
Das Ergebnis dieser Ordnung der Prozesse auf Basis von geeigneten Gestaltungsprinzipien
wird als Prozessarchitektur bezeichnet. Auf den obersten Ebenen dieser Architektur findet
man die Prozesslandkarte, in die alle weiteren Prozesse einsortiert werden.
Die Gestaltungsprinzipien können grob in zwei Kategorien unterteilt werden:
Einerseits sprechen wir von methodischen Gestaltungsprinzipien, die bspw. eine
Gestaltung entlang der Managementprozesse, Kernprozesse und Unterstützungsprozesse
vorgibt. Andererseits ist eine rein methodische Gestaltung nicht zielführend, da die
wesentlichen Nutzenaspekte der Architektur nur teilweise berücksichtigt werden.
Aus diesem Grund sind auch fachliche Gestaltungsprinzipien zu überlegen, die sich
aus der Unternehmensstrategie ableiten. Ein einfaches Prinzip wäre die Umsetzung
eines Branchenstandards, der eine klare Struktur der Ordnung für die Gestaltung der
Prozessarchitektur des Unternehmens auf Basis des Branchenwissens vorgibt. Für eine
Vielzahl von Branchen finden sich meist auf den obersten Ebenen der Prozessarchitektur
Best Practice-Prozesslandkarten in den Angeboten von Beratungsunternehmen (vgl.
Abb. 3.1), Interessensvertretungen und Verbänden.
Die Prozessarchitektur ist ein wesentlicher Bestandteil der gesamten Geschäfts
architektur des Unternehmens. Da es in der Regel sehr unterschiedliche Auffassungen
in den Organisationen über die Gestaltung der gesamten Geschäftsarchitektur gibt, ist die
Prozessarchitektur sehr häufig der gemeinsame Nenner, auf dem sich Ziele, Strategien,
Schwerpunkte der geschäftlichen Entwicklung, Benchmarks etc. auf ihren unterschiedli-
chen Ebenen abbilden lassen. Aus diesem Grund ist die Gestaltung der Prozessarchitektur
sehr eng mit der Umsetzung der Unternehmensstrategie verbunden (vgl. ebenso
Kap. 4). Eine „gute“ Prozessarchitektur ist das Spiegelbild der Unternehmensstrategie
und lässt Schwerpunkte der Strategie deutlich erkennen. Eine Postmerger-Integration,
Sourcing-Modelle oder vergleichbare Strukturen in den Kernprozessen für Branchen-
Benchmarks sind Beispiele für diese Strategien, die bereits auf den obersten Ebenen der
Prozessarchitektur, der Prozesslandkarte, entnommen werden können. Die Prozessarchi
tektur zeigt in diesen Fällen einen klar strukturierten Bereich der Kernprozesse und
deren Wertschöpfung auch auf den obersten Ebenen der Prozessarchitektur. Prozessver
antwortung und Schnittstellenübersichten geben eine transparente Übersicht über das
Zusammenwirken der Prozesse in der Architektur in der eigenen Organisation und teil-
weise auch über die Organisationsgrenzen hinweg. Damit wird die Prozesslandkarte
als Repräsentant der Prozessarchitektur auf den obersten Ebenen zu einem wertvollen
Instrument für viele Aufgaben der Unternehmensführung und Kommunikation.
Die Unternehmensstrategie gibt Wege zur Zielerreichung für alle Geschäftsbereiche vor.
Funktionsorientierte und geschäftsbereichsspezifische Vorgaben müssen mit ihren Ursache-
Wirkungs-Beziehungen für alle Teile des Geschäftsmodells überprüft werden. Dies schließt auch
deren Wirkungszusammenhänge auf allen Wertschöpfungsebenen des Unternehmens ein.
Die Architektur der Wertschöpfung wird bereits auf sehr hoher Abstraktionsebene
dadurch festgelegt, dass Geschäftsprozesse als Kernprozesse des Unternehmens gesehen
werden oder lediglich unterstützenden Charakter haben, dass Wertschöpfungsprozesse
vertikal oder horizontal integriert werden müssen oder dass sie ggf. im Umkehrschluss
Kandidaten für ein Outsourcing sind.
40 F. Bayer et al.
Beispiel
Auch wenn eine Online-Bank über ihre zentralen Funktionen mit klassischen Retail-
Banken vergleichbar ist, so weichen nicht nur die Produktportfolios, sondern insbe-
sondere auch die Architektur der Wertschöpfung und damit die Prozessarchitektur
voneinander ab. So werden im Online-Banking vor allem administrative Prozesse in die
Kundenverantwortung ausgelagert. Das Zusammenspiel mit den Backoffice-Prozessen
muss bei einer 24/7-Verfügbarkeit diesen besonderen Anforderungen genügen.
Die Gestaltung der Prozessarchitektur und auf oberster Ebene der Prozesslandkarten ist
daher nicht nur ein Dokumentationsinstrument zur Gestaltung und Navigation durch
die Prozesse des Unternehmens, sie ist ein Managementinstrument mit ganz besonderer
Bedeutung für die Erklärung, Gestaltung und Führung der Wertschöpfungszusammenhänge.
Dabei darf die Prozesslandkarte nicht nur in flachen Tabellenstrukturen abgebildet wer-
den und lediglich als Inventarisierungssystem für Prozesskataloge dienen! Prozesse müssen
bereits auf dieser abstrakten Wertschöpfungsebene strukturiert und gestaltet werden. Die
Prozesslandkarte muss einige allgemeine Nutzenaspekte erfüllen, damit man von einem
erfolgreichen Einsatz dieses Instruments im Geschäftsprozessmanagement sprechen kann.
Diese Nutzenaspekte werden in Abschn. 3.3 erläutert. Sobald die relevanten Nutzenaspekte
für das Unternehmen klar definiert sind, kann mit den Überlegungen zur Gestaltung und
Strukturierung der Prozesslandkarte begonnen werden. Dabei liefert die Dekomposition
des Geschäftsmodells in seine einzelnen Kernelemente die grundlegenden Merkmale für die
Strukturierung. Welche Merkmale aus dem Marktangebot, den Organisationsstrukturen,
dem Ressourcenmodell, dem Finanzierungsmodell, dem Erlösmodell etc. letztlich für
die Gestaltung in Frage kommen und welche eine sinnvolle Auswahl darstellen, wird in
Abschn. 3.4 behandelt. Damit die Prozesslandkarte erfolgreich als Steuerungsinstrument für
das Geschäftsprozessmanagement und als Kommunikationsinstrument für die Überwachung
der Unternehmensstrategie genutzt werden kann, müssen Verantwortlichkeiten auf allen
Ebenen der Prozessarchitektur definiert werden. Abschnitt 3.5 gibt einen ersten Einblick
in die Regelung von Verantwortlichkeiten auf der Ebene der Prozesslandkarten. Mit der
Zuordnung der Verantwortlichen wird das Instrument Prozesslandkarte letztlich operationa-
lisierbar. Eine Auswahl von Anwendungsbeispielen für den Einsatz der Prozesslandkarte als
Gestaltungs- und Steuerungsinstrument wird in Abschn. 3.6 vorgestellt.
Die Nutzenaspekte einer Prozesslandkarte umfassen generell drei Ebenen, welche nach-
folgend erläutert werden. Sie erstrecken sich von der eher operativ ausgerichteten Ebene
(Transparenz und Information), hin zu einer taktischen (Optimierung) und strategi-
schen Ebene (Steuerung).
Als anschaulich erweist sich in diesem Kontext ein pyramidaler Aufbau der
Nutzenaspekte (vgl. Abb. 3.2), denn die Basis stellt in erster Linie die Information und
3 Prinzipien für die Gestaltung der Prozessarchitektur 41
Steuerung
Optimierung
die Schaffung von Transparenz dar. Darauf aufbauend dient die Prozesslandkarte eben-
falls als Optimierungs- und auf oberster (Management-)Ebene als Steuerungsinstrument.
Nachfolgend werden diese Nutzenaspekte im Detail erläutert.
Optimierung
Die Mitte der Pyramide bildet der Nutzenaspekt „Optimierung“. Aufbauend auf dem
Informations- und Transparenz-Aspekt bietet eine Prozesslandkarte die Möglichkeit,
prozessübergreifende Optimierungspotenziale zu identifizieren. Insbesondere eine
Vereinheitlichung und Harmonisierung der bestehenden Prozesse ist mit Hilfe dieser
Sicht „aus der Vogelperspektive“ möglich. Im Rahmen einer tiefergehenden Analyse
können beispielsweise Prozesse identifiziert werden, die aufgrund ihrer Ähnlichkeit
zusammengefasst werden können, oder aber solche, die wegen stärkerer Differenzen in
mehrere Prozesse aufgeteilt werden müssen.
Steuerung
Der dritte Nutzenaspekt betrifft die Möglichkeit der Nutzung der Prozesslandkarte als
Steuerungsinstrument. Dieser beinhaltet folgende Einsatzmöglichkeiten:
Insgesamt beeinflusst der Aufbau der Prozessstruktur wesentlich, wie eine Organisation
über Prozesse strukturiert und geführt wird und wie das Management der Geschäftsprozesse
betrieben wird. Aus diesem Grund ist eine strukturierte Darstellung der Prozessarchitektur
ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Sichtbarkeit und Akzeptanz des Prozess
managements in der Organisation.
Beispiel
Eine Versicherung hat ihre Prozesslandkarte nach dem Produktlebenszyklus struktu-
riert. Folgende Logik wurde zugrunde gelegt:
• Vertrieb: umfasst alle Arten der Anbahnung des Produktverkaufs.
•
Vertragsabschluss: umfasst alle Vertragseröffnungs-Prozesse, z. B. Vertragsab
schluss einer privaten Rentenversicherung.
• Vertragsänderung: umfasst alle Änderungsprozesse, z. B. Adressänderungen.
•
Leistung: umfasst alle Leistungsprozesse, z. B. die Auszahlung einer Lebens-
versicherung.
•
Information: umfasst alle Kundeninformations-Prozesse, z. B. Erstellung der jähr-
lichen Wertaufstellung.
•
Vertragsauflösung: umfasst alle Vertragsschließungs-Prozesse, z. B. Kündigung
einer Haftpflichtversicherung.
44 F. Bayer et al.
Vertragsabschluss-Prozesse
Spezifischer Vertragsabschluss-Prozess
Die daraus resultierende Logik spiegelt sich ebenfalls in der Prozesslandkarte wider (vgl.
Abb. 3.3).
Beispiel
Ein Unternehmen hat seine Prozesse nach mehreren Prozessmerkmalen struk-
turiert (Vertriebskanal, Produktgruppe, Lebenszyklus, Organisationseinheiten/
Verantwortlichkeiten). Als schwierig erwies sich in diesem Kontext die Darstellung
aller Merkmale auf Ebene der Prozesslandkarte. Daher entschied man sich für die
Lösung einer multidimensionalen Prozesslandkarte: Über eine Filterung nach unter-
schiedlichen Merkmalsausprägungen konnte nun gewählt werden, welche Merkmale
die Landkarte zeigen soll.
In einem ersten Schritt ist es notwendig, zentrale Merkmale (vgl. Abschn. 3.4.1), die auf
der Prozesslandkarte abgebildet werden sollen, festzulegen. Merkmale, wie Produkte
oder Vertriebskanäle, sind in jeder Organisation zu finden und sind prädestiniert für die
Strukturierung einer Prozesslandkarte auf oberster Ebene. Für die weitere Detaillierung
muss eine Entscheidung darüber getroffen werden, welche Prozessvarianten gebil-
det werden sollen („Schneidung“ von Prozessen). Dabei können Merkmale wie
Produktlebenszyklus, Kundentypen oder Produktparameter eine Rolle spielen.
Als Hilfestellung zur Identifikation der Prozessvarianten eignet sich eine Matrix-
Technik, welche beispielsweise das Merkmal Produkt den Prozessen gegenüberstellt.
3 Prinzipien für die Gestaltung der Prozessarchitektur 45
Produkt 2
Produkt 3
Matrix
Produkte
Prozesse
Prozess 1 x
Prozess 2 x x x Prozess B
Prozess 3 x x
Prozess A
46 F. Bayer et al.
Bei der Entwicklung einer integrativen Prozesslandkarte sollte dennoch die End-
to-End-Betrachtung im Auge behalten werden, um eine übergreifende Sicht auf die
Unternehmensprozesse zu ermöglichen. Ist das Ziel erreicht worden, einen durchgehen-
den Prozessfluss „vom Kunden zum Kunden“ darzustellen, sollten sich zumindest auf
Ebene der Kernprozesse ausschließlich End-to-End-Prozesse wiederfinden. Auf Ebene
der Unterstützungsprozesse kann es durchaus möglich sein, dass einzelne Teilprozesse
„isoliert“ sind.
Zuletzt erfolgt im dritten Schritt die Entscheidung darüber, welche Prozessmerkmale
zu separaten Prozessen und welche lediglich zu separaten Pfaden im Prozessablauf
führen. Bei der Prozesserhebung und -dokumentation führen unterschiedliche
Merkmalsausprägungen, beispielsweise das Merkmal Kundengruppe (Privatkunden,
Firmenkunden), entweder zu separaten Prozessen (vgl. Abb. 3.5) oder zu Entscheidungen
innerhalb von Prozessen (vgl. Abb. 3.6).
Im Sinne einer möglichst weitgehenden Prozessharmonisierung sollen die Prozesse
merkmalübergreifend ausgestaltet werden, d. h. Merkmale werden möglichst als Pfade
innerhalb eines übergreifenden Prozesses dargestellt. Prozessvarianten für einzelne
Merkmalsausprägungen sollten nur dann in einem separaten Modell abgebildet werden,
wenn die Komplexität des Hauptprozesses sonst zu groß und dieser damit unleserlich wird.
Nach der Analyse der Prozessvarianten müssen die Merkmale final festgelegt wer-
den. Dabei gilt es zu entscheiden, ob die Merkmale auf der Prozesslandkarte selbst
3 Prinzipien für die Gestaltung der Prozessarchitektur 47
vorkommen oder ob sie als Varianten anhand von Entscheidungen innerhalb eines
Prozesses dargestellt werden. In einem letzten Schritt muss die Reihenfolge der
Merkmale auf der Prozesslandkarte festgelegt werden.
Wurden die Prozesse mit Hilfe der Merkmale grob strukturiert, müssen in einem nächs-
ten Schritt die weiteren Merkmale überprüft werden. Zur Prüfung auf Vollständigkeit
eignet sich sowohl eine methodische als auch eine fachliche Vorgehensweise, um eventu-
ell noch fehlende Prozesse zu identifizieren.
Methodische Assessments
Eine Kategorisierung soll eine Vollständigkeitskontrolle ermöglichen, aus der ersichtlich
wird, wo „Lücken“ in der Prozessabdeckung bestehen. Entschließt sich beispielsweise ein
Unternehmen, seine Prozesse nach Vertriebskanälen und Produkten zu strukturieren, so
könnte ein Vollständigkeitscheck folgendermaßen durchgeführt werden.
Abbildung 3.7 zeigt, dass bestimmte Produkte nicht in allen Vertriebskanälen zur
Verfügung stehen. Diese Lücken müssen entsprechend interpretiert werden. Dabei kom-
men grundsätzlich zwei Möglichkeiten in Betracht:
Fachliche Assessments
Wie bereits in der Einleitung dieses Kapitels erwähnt, spiegelt eine gute Prozessarchitektur
die Unternehmensstrategie eines Unternehmens sowie deren Schwerpunkte wider.
Eine einfache Übernahme eines bereits existierenden Architektur-Standards ohne
48 F. Bayer et al.
Produkte
Vertriebskanäle
Kunde Kunde
Verantwortung der
Leitung
Anforderungen Produktrealisierung
Wie bereits in Abschn. 3.2 motiviert, ist die Prozesslandkarte ein Instrument für
das Management. Bereits auf abstrakter Ebene der Wertschöpfungsarchitektur des
Unternehmens werden Strategien für die Gestaltung der Geschäftsprozesse und für
deren Zusammenspiel definiert. In den folgenden Abschnitten sind vier ausgewählte
Anwendungsszenarien zu finden, für die eine gute Prozesslandkarte das Fundament für
alle Entscheidungen über die Ausrichtung der Geschäftsprozesse darstellt.
Auf den unteren Ebenen der Prozesslandkarte werden sich immer wieder Prozesse fin-
den, die gleich oder ähnlich in verschiedenen Unternehmensbereichen ablaufen. Die
Prozesslandkarte als Informationsmedium hilft dabei zu erkennen, welche Prozesse
Standardisierungspotenzial aufweisen. Häufig kann jedoch nicht der gesamte Prozess,
sondern lediglich Teile davon standardisiert werden. In diesem Fall sprechen wir von
52 F. Bayer et al.
3.6.2 Sourcing
Jede Neugestaltung der Wertschöpfung eines Unternehmens beginnt mit der Prozesslandkarte.
Insbesondere Sourcing-Maßnahmen sind ohne Kenntnis der Prozesslandkarte nicht plan- und
steuerbar. Dabei ist es unwesentlich, ob in- oder outgesourced werden soll. In beiden Fällen
ist der Scope nur auf einer in der Organisation anerkannten Prozesslandkarte mit ihren Kern-
und Unterstützungsprozessen festzustellen. Darüber hinaus müssen Schnittstellen identifiziert
und bewertet werden. Neben Integrationsstrategien müssen Service Level Agreements gezielt
an diesen Schnittstellen definiert und später überwacht werden können.
Eine Reihe von Unterstützungsprozessen sind gute Kandidaten für ein Sourcing,
da sie in Unternehmen mehrfach verwendet werden (Shared Services) und durch ihre
Ausgliederung aus den Kernprozessen bereits mit den relevanten Schnittstellen ver-
sehen wurden. Buchhaltung, Lohnverrechnung, Personalmanagement, Prozesse der
Informationstechnologie oder des Gebäudemanagements sind nur einige Beispiele, die
für viele Unternehmen nicht im Kern der Wertschöpfung stehen und damit Kandidaten
für Sourcing-Strategien sind.
Während wenig arbeitsteilige Prozesse, wie z. B. die Lohnverrechnung, klare Input-/
Output-Beziehungen aufweisen, müssen sehr arbeitsteilige Prozesse, wie z. B. die Service
management-Prozesse der IT (vgl. die COBIT-Prozessarchitektur (Information Systems Audit
and Control Association (ISACA) 2013) oder die ITIL® Best Practices (IT Service Management
Forum (itSMF) 2007)), auf der Prozesslandkarte gut vorstrukturiert werden, um die Input-/
Output-Beziehungen der zugrunde liegenden Prozesse klar spezifizieren zu können.
3.6.3 Benchmarking
Benchmarking im Kontext des Prozessmanagements kann definiert werden als ein sys-
tematischer und kontinuierlicher Prozess, bei dem Geschäftsprozesse über mehrere
3 Prinzipien für die Gestaltung der Prozessarchitektur 53
Customer
Strategy Operations
Fulfillment
Infrastructure
Lifecycle
Management Assurance
Enterprise Management
Abb. 3.10 Prozesslandkarte nach dem eTOM® Business Process Framework (TeleManagement
Forum 2013b)
In der Praxis ist es allerdings sehr aufwändig, eine Vergleichbarkeit von Prozessen
auf Ablaufebene herzustellen. Beim organisationsübergreifenden Benchmarking wer-
den detaillierte Ablaufinformationen von den am Benchmarking-Projekt teilnehmenden
Unternehmen in der Regel auch gar nicht preisgegeben. Das organisationsübergreifende
Benchmarking beschränkt sich daher meist auf Prozesszeiten und Prozesskosten.
In der Initialisierungsphase eines Benchmarkings werden die zu vergleichenden
Prozesse bestimmt. Hierbei ist die Prozesslandkarte das wichtigste Instrument, um die-
jenigen Prozesse zu identifizieren, die den Prozessen der anderen Unternehmen entspre-
chen. Auf Landkartenebene lassen sich die zu vergleichenden Prozessfelder gut abgrenzen
und die entsprechenden Prozesse zusammenstellen. Dabei werden in einem sogenannten
Strukturvergleichs-Modell die Prozesslandkarten der Unternehmen gegenübergestellt.
Beispiel
Ein IT-Dienstleister im Bankenumfeld möchte seinen Kunden ein Prozess-Bench
marking ermöglichen. Dazu hat er eine bankübergreifende Prozesslandkarte erstellt.
Jeder seiner Kunden kann seine eigenen Prozesse dann einem der Prozesse aus der
übergreifenden Prozesslandkarte zuordnen. So entsteht eine Vergleichbarkeit, obwohl
jedes Bankinstitut seine Prozessstruktur anders schneidet und seine Prozesse indivi-
duell ausgestaltet.
Beispiel
Ein Versicherungsunternehmen möchte seine Prozesse mit jenen anderer
Versicherungsunternehmen vergleichen. Dazu möchte es den Benchmarking-Katalog
einer Unternehmensberatung nutzen, welcher in der Versicherungsbranche bereits
etabliert ist. Um eine genaue Vergleichbarkeit zu erreichen, müssen alle Prozesse so
geschnitten werden, dass sie sich genau einem Prozessfeld des Katalogs zuordnen
lassen. Die Prozessstruktur wurde daher von vorneherein so aufgebaut, dass sie dem
Benchmarking-Katalog entspricht.
Auch in der operativen Phase des Benchmarkings kann die Prozesslandkarte genutzt
werden. Sowohl Zeiten als auch Kosten können auf Prozesslandkarten-Ebene am jewei-
ligen Prozess hinterlegt werden. Die Daten können dabei aus den darunter liegenden
Prozessen hochaggregiert werden.
3.6.4 Postmerger-Integration
Mit der Fusion zweier Unternehmen geht immer das Ziel einher, durch die
Harmonisierung von Prozessen, aber auch von Produkten, Dokumenten und IT-
Anwendungen, Skaleneffekte zu erzielen und Kosten einzusparen. Hierbei sind die
Prozesslandkarten der fusionierten Unternehmen ein wichtiges Instrument, da auf dieser
3 Prinzipien für die Gestaltung der Prozessarchitektur 55
Literatur
Information Systems Audit and Control Association (ISACA) (2013) COBIT 4.1: Framework for IT
Governance and Control. http://www.isaca.org/Knowledge-Center/COBIT/Pages/Overview.aspx.
Zugegriffen: 07. Jan 2013
IT Service Management Forum (itSMF) (2007) An Introductory Overview of ITIL® V3,
Dokumentation, Wokingham. http://www.best-management-practice.com/gempdf/itsmf_an_
introductory_overview_of_itil_v3.pdf. Zugegriffen: 07. Jan 2013
Supply Chain Council (2012) What is SCOR? http://supply-chain.org/scor. Zugegriffen: 06. Jan 2013
TeleManagement Forum (2013a) Business Process Framework (eTOM). http://www.tmforum.org/
BusinessProcessFramework/1647/home.html. Zugegriffen: 07. Jan 2013
TeleManagement Forum (2013b) Business Process Framework (eTOM) In Depth. http://www.tmf
orum.org/InDepth/6637/home.html. Zugegriffen: 13. Jan 2013
Umsetzung eines zielorientierten
Prozessmanagements 4
Robert Strobl und Angelika Widowitz
Zusammenfassung
Das Kapitel vertieft die relevanten Aspekte der Phase Prozessstrategie des Process
Management Life Cycle: In der Einleitung wird motiviert, warum nachhaltiges
Prozessmanagement in Unternehmen immer mit den strategischen Zielen verknüpft sein
muss. Im Folgenden wird ein Vorgehensmodell beschrieben, wie aus der Strategie eines
Unternehmens die Prozessziele abgeleitet werden können. Im ersten Schritt werden die
Unternehmensprozesse im Hinblick auf ihre Strategierelevanz priorisiert. Danach erfolgt
die Formulierung der strategischen und operativen Prozessziele. Die darauffolgende
Überleitung in die weiteren Phasen des PMLC wird kurz erläutert und entsprechende
Verweise zu den spezifischen Kapiteln gesetzt. Neben dem Vorgehensmodell wird ins-
besondere auch auf die relevanten Rollen und deren Aufgaben im zielorientierten
Prozessmanagement eingegangen. Als weitere praktische Handlungsanleitungen werden
Checklisten zur Beurteilung der Güte von Prozesszielen vorgestellt sowie eine Technik
zur Festlegung von Prozessverantwortlichkeiten und Schnittstellenabstimmung erläutert.
4.1 Motivation
4.2 Vorgehen
Strategische Ziele
analysieren Strategische Operative Controlling -
und Prozesse Prozessziele Prozessziele System
strategisch ableiten ableiten initialisieren
gewichten
Die Fortsetzung des PMLC erfolgt daraufhin unter dem Gesichtspunkt der Festlegungen
in der Phase der Prozessstrategie (vgl. ebenso Kap. 2). Alle weiteren Schritte sollten in
Einklang mit der Zielfestlegung erfolgen.
Im ersten Schritt gilt es, die funktional orientierte Zielsicht auf die Unternehmensprozesse
abzustimmen. Eine strategische Zielvereinbarung findet heutzutage in den meisten
Unternehmen auf Basis der Aufbauorganisation statt: Die Bereichs- und Abteilungsleiter
60 R. Strobl und A. Widowitz
stimmen die entsprechenden Ziele mit ihren Vorgesetzten ab. Diese aufbauorganisa-
torisch abgestimmte Zielhierarchie bildet die Vorgabe für den Einstieg in die Phase
Prozessstrategie.
Mithilfe der Unternehmensprozesslandkarte (vgl. ebenso Kap. 3) erfolgt nun die
Abstimmung der Zielverantwortlichen mit den Prozessverantwortlichen. Der Chief
Process Officer dient hier als Moderator bzw. Eskalationsinstanz und zur Abstimmung
der Schnittstellen zwischen verschiedenen Prozessverantwortlichen.
Der Zielverantwortliche identifiziert gemeinsam mit den Prozessverantwortlichen
die wichtigen Prozesse. Als Input hat er mehrere Informationen zur Verfügung: die
Prozesslandkarte, die Prozessabläufe, Auswertungen etc. Es werden z. B. gemeinsam mit
den Prozessverantwortlichen jene Prozesse identifiziert, welche vom entsprechenden stra-
tegischen Ziel betroffen sind und beeinflusst werden.
Die Prozessgruppen bzw. Hauptprozesse werden in einer Matrixdarstellung im
Hinblick auf die strategischen Ziele gewichtet. Auf der horizontalen Achse werden
die strategischen Ziele (z. B. nach den Perspektiven der Balanced Scorecard (Kaplan
und Norton 1992) (vgl. ebenso Kap. 15)) aufgelistet. Auf der vertikalen Achse wer-
den die Prozessgruppen bzw. Hauptprozesse dokumentiert. In dieser Matrix kann
dann eine erste Zuordnung als auch eine folgende strategische Gewichtung der
Prozesse (Scoping) erfolgen. Daraus ergeben sich drei wesentliche Erkenntnisse zur
Weiterarbeit:
Durch das Scoping der Prozesse wird für den Zielverantwortlichen klar ersichtlich, welche
Prozesse direkt von den Zielvorgaben betroffen sind. Der jeweilige Prozessverantwortliche
erhält dementsprechend eine klare Auswertung, welche Anforderungen an „seine“
Prozesse gestellt werden.
In der Literatur findet man zu diesem Thema auch den Begriff des Prozessportfolio-
Managements: Mit dem Prozessportfolio-Management versucht man sämtliche Unterneh
mensprozesse in einer konsolidierten Sichtweise zu bewerten und zu steuern, um damit
Prioritäten für die Weiterentwicklung von Prozessen zu vergeben (European Association of
Business Process Management EABPM 2009).
Abbildung 4.2 zeigt die oben beschriebene Technik der Priorisierung von
Prozessgruppen bzgl. der strategischen Zielvorgaben in anschaulicher Form. Die
Priorisierungsmatrix zeigt in der linken Spalte die definierten strategischen Ziele
und in den entsprechenden Zeilen die Priorisierungsgewichtung zu den einzelnen
Unternehmensprozessen der Prozesslandkarte.
4 Umsetzung eines zielorientierten Prozessmanagements 61
Beispiel
• Im Zuge eines Audits durch eine Wirtschaftsprüfung wurde festgestellt, dass die
Umsetzung der gesetzlichen IKS-Vorgaben im Unternehmen Lücken aufweist.
Insbesondere muss hier auf die Prozesse des Rechnungswesens (M4, M5) und der
Budgetierung (M6), die Kernprozesse Verkauf (K1) und Bestellmanagement (K2)
sowie Auslieferung (K5, K6) abgezielt werden.
• Das vom Aufsichtsrat beschlossene Kostenziel für 2015 kann am wahrscheinlichsten
in den Prozessen Beschaffung (K3), Lagerverwaltung (K4) und Facility Management
(S1) erzielt werden. Hier soll in Folge auf die Prozesskosten fokussiert werden.
• Die Standardisierung der Kernprozesse über alle internationalen Betriebsstätten
betrifft die Prozesse K1 bis K6 sowie die Unterstützungsprozesse Personal
verwaltung (S2) und IT-Management (S4).
Nach der Priorisierung der Prozessgruppen und Hauptprozesse auf Basis der strategischen
Ziele müssen die strategischen Prozessziele ausformuliert werden. Oft ist der „Gap“ von
den strategischen Unternehmenszielen zu strategischen Prozesszielen sehr groß, sodass
man sich als Basis für die Formulierung der strategischen Prozessziele folgender drei
Stoßrichtungen bedienen kann:
• Kundenfokus,
• Qualitätsführerschaft und
• Kostenführerschaft.
62 R. Strobl und A. Widowitz
Strategische Prozessziele, die unter den Aspekt Kundenfokus fallen, sind bspw. die
Vereinfachung/Vereinheitlichung der Kanäle oder die Verringerung von Response-
Zeiten bei Angebotsannahmen. Eine Qualitätsführerschaft drückt sich im Rahmen
von strategischen Prozesszielen z. B. immer wieder in Form von Fehlervermeidungs-
Zielen aus. Die Kostenführerschaft konzentriert sich im Prozessbereich auf Ziele zum
Minimieren von Prozesskosten. Dies kann durch eine effiziente Bearbeitung erfolgen oder
durch die Integration von Sourcing-Vorhaben auf Prozessebene.
Die festgelegten strategischen Prozessziele werden dann im Rahmen eines
„Strategie-Checks“ mit den Zielverantwortlichen final verabschiedet. Der Chief Process
Officer stellt die Gesamtsicht und Homogenität im Sinne der Gesamt-Prozesslandkarte
sicher.
• Terminierung: Ziele müssen einen entsprechenden Zeitbezug haben, sodass man diese
zu bestimmten Wiedervorlageterminen überprüfen kann.
In Abb. 4.3 sollen Beispiele die Beurteilung von operativen Prozesszielen nach dem
SMART-Prinzip erläutern.
Operatives
Prozess Beurteilung bzgl. SMART
Prozessziel
S - Völlige Beliebigkeit bei der Beurteilung
Abb. 4.3 Beispiele von SMARTen operativen Prozesszielen (Stöger 2009, S. 124)
64 R. Strobl und A. Widowitz
Prozessname: Prozessverantwortlicher:
Übergeordneter Prozess:
Auswirkungen
Beschreibung des Ziels Häufigkeit und
Lfd. Name Anderes Ziel, Qualität Kennzahl/
(inkl. kritischer Zuständigkeit
Nr. des Ziels Kosten, Zeit, Messbarkeit
Erfolgsfaktoren) der Messung
Kundenzufriedenheit
Für jedes operative Prozessziel sollten die folgenden Informationen erhoben und fest-
gehalten werden:
Schon in dieser Phase werden Vorarbeiten für die Phase des Prozesscontrollings (vgl.
Abschn. 2.4.6 sowie Kap. 14) durchgeführt. Hierbei geht es zu Beginn um die „rich-
tige“ Definition von Prozesskennzahlen. Diese sollen die Erreichung der operativen
Prozessziele treiben. Folgende Kennzahlentypen werden zur Messung der Prozessziele
genutzt:
Beschreibung
Name/Beschreibung
der Kennzahl:
Gesamtverantwortlicher:
Begrenzungszeitraum
und -art:
Schwellwert Grün/Gelb
und Gelb/Rot:
Verantwortung
Messgrößen: (Teil-)Größen, die Bezugs- Daten-
Einheit Wert für Daten-
die Kennzahl definieren zeitraum quelle
bereitstellung
1
2
Berichtsverantwortlichkeiten
und Berichtsintervalle:
Aktion und Eskalation bei
Erreichen des Warnwerts:
Ja Nein Kriterium
Mit der Messgröße kann das Erreichen des Ziels abgelesen werden.
Die Entwicklung der Messgröße hinsichtlich des Prozessziels ist durch den
Verantwortlichen maßgeblich beeinflussbar.
Im Rahmen der Zielfestlegung für Prozesse ist die Abstimmung von Prozessverantwortlichen
untereinander bzw. Prozessverantwortlichen zu „ihren“ Teilprozessverantwortlichen ein
wesentlicher Erfolgsfaktor. Hierbei stellt sich immer wieder die „Schneidung“ von Prozessen
als kritisches Element heraus. Im Folgenden soll hier eine Technik vorgestellt werden, mit
der die fachliche „Prozessschneidung“ leichter erfolgen kann. Diese Technik kann auch
genutzt werden, um die Zuweisung von Verantwortlichen in einer Prozessarchitektur durch-
zuführen (vgl. Abschn. 3.5).
Meistens werden die Prozessverantwortlichen aus den Reihen der Bereichs- oder
Abteilungsverantwortlichen ernannt. Folglich werden die Aufgaben der hierarchischen
Funktion um eine Prozessfunktion erweitert.
Zur Beantwortung der Frage „Wer ist Prozessverantwortlicher für Prozess X?“ müs-
sen im Vorfeld zwei Punkte geklärt werden:
Die Beantwortung dieser Punkte kann in einer Matrix visualisiert werden (vgl. Abb. 4.8).
Ja
„Gebe“ White Box: Ja
Prozessverantwortung
Fachliche Vorgabe
Keine
Prozess-
verantwortung
• Die Ausführung der Tätigkeiten eines Prozesses liegt in der betrachteten Orga
nisationseinheit, aber die fachlichen Vorgaben werden von einer anderen Organisa
tionseinheit definiert.
• Die Ausführung der Tätigkeiten eines Prozesses liegt in einer anderen Organi
sationseinheit, aber die betrachtete Organisationseinheit gibt die fachlichen Vorgaben.
Zur Festlegung der Prozessverantwortung für diese Streitfälle hat sich die Black Box-/White
Box-Herangehensweise als vorteilhaft erwiesen.
Eine Black Box-Vorgabe liegt dann vor, wenn nur das Prozessergebnis definiert
wird, aber die eigentlichen Tätigkeiten, wie dieses zu erreichen ist, nicht vorgegeben
werden. Wird also die Vorgabe „nur“ in Bezug auf die Form des Ergebnisses gemacht,
die genaue Festlegung, welche Schritte hier durchgeführt werden sollen, liegt aber im
Verantwortungsbereich der betrachteten Organisationseinheit, dann liegt auch die
Prozessverantwortung in der ausführenden Organisationseinheit.
Wird umgekehrt neben dem Prozessergebnis auch die Ausführung der eigentlichen
Schritte genau vorgegeben (White Box-Vorgabe), dann liegt die Prozessverantwortung
nicht in der ausführenden Organisationseinheit, sondern bei der Organisationseinheit,
die die fachliche Vorgabe gibt (und somit die fachliche Verantwortung besitzt).
Beispiel
Ein Beispiel für ergebnisorientierte Vorgaben (Black Box-Vorgaben) kann wie folgt illus-
triert werden: Bevor der Prozess „Rechnungsbuchung“ im Bereich „Cash Management“
starten kann, müssen die vorgelagerten Tätigkeiten vom Eingang bis hin zur Indizierung
der Rechnungen abgeschlossen werden. Diese Tätigkeiten werden im Bereich „Zentrale
Services“ durchgeführt. Da vom Bereich „Cash Management“ lediglich das Ergebnis
definiert wird, das an dieser Stelle übergeben wird, wird die Prozessverantwortung des
Prozesses „Dokumentenerfassung/-archivierung/-vernichtung“ dem Bereich „Zentrale
Services“ zugeordnet. Die eingehende Rechnung muss gescannt, vorerfasst und indi-
ziert sein. Für den Bereich „Zentrale Services“ besteht jedoch Gestaltungsspielraum, wie
dieses Ergebnis prozessual zu erzielen ist. Der Bereich „Cash Management“ definiert
70 R. Strobl und A. Widowitz
Beispiel
Ein Beispiel für ablauforientierte Vorgaben (White Box-Vorgaben) kann im Zusammen
spiel von den Bereichen „Zentrale Services“ und „Schaden“ illustriert werden: Der Bereich
„Zentrale Services“ führt den Prozess „Aufnahme und Weiterleitung der Schaden
meldungen“ durch. Dabei werden die Schadeninformationen schon im entsprechenden
IT-System vorerfasst. Der Bereich „Zentrale Services“ muss sich bei der Durchführung
des Prozesses an die vom Bereich „Schaden“ definierten Vorgaben halten. Da nun in
diesem Fall die genauen und spezifischen Arbeitsschritte vom Bereich „Schaden“ an
den Bereich „Zentrale Services“ vorgegeben werden, hat der Bereich „Schaden“ die
Prozessverantwortung für die Aufnahme und Weiterleitung der Schadenmeldungen,
obwohl diese im Bereich „Zentrale Services“ durchgeführt werden.
Konkret hat das im Folgenden auch Auswirkungen auf die Modellierung, Ablage und
Aktualisierung der Prozesse: Die Darstellung von Aktivitäten, welche von anderen
Bereichen durchgeführt werden, jedoch in den eigenen Prozessverantwortungsbereich
fallen, erfolgt mittels der Modellierung der „ausgelagerten Aktivitäten“ in einem eigenen
Geschäftsprozessmodell (Subprozess).
Die Modellierung, Verwaltung und Einbindung in die Prozesslandkarte erfolgt in
jenem Bereich, in welchem die Prozessverantwortung liegt – im letzten Beispiel wäre das
beim Bereich „Schaden“. Eine Einbindung des Modells in die zugehörigen Prozesse des
Bereichs „Zentrale Services“ kann in Form eines Prozessaufrufs erfolgen.
Literatur
Zusammenfassung
Eine wichtige Grundlage für ein erfolgreiches Geschäftsprozessmanagement in
Unternehmen oder Organisationen ist die Kenntnis der eigenen Prozesse. Dies wird
unterstützt bzw. erreicht durch eine adäquate Prozessdokumentation, insbesondere
durch eine grafische Prozessmodellierung, die die Arbeitsgrundlage für die prozessbetei-
ligten Rollen bildet und die Basis für weitere Schritte im Geschäftsprozessmanagement
schafft. Der Fokus in diesem Kapitel liegt auf Gestaltungs- und Modellierungsrichtlinien
für die grafische Prozessmodellierung, die ein Rahmenwerk mit Vorgaben darstellen, um
die erstellten Modelle lesbar, verständlich, einheitlich und wiederverwendbar zu gestal-
ten. Diese Eigenschaften sind entscheidende Erfolgsfaktoren für die Prozessmodellierung.
Die wichtigsten Gestaltungs- und Modellierungsrichtlinien werden in diesem Kapitel
vorgestellt und mit praxisnahen Beispielen veranschaulicht.
Während Kap. 3 auf die Prozessarchitektur sowie auf die Gestaltung von Prozessland
karten fokussiert, liegt der Schwerpunkt im vorliegenden Kapitel auf der Prozessmo
dellierung und deren Ausgestaltung.
Beispiel
Ein IT-Mitarbeiter hat im Rahmen einer Vorstudie die Aufgabe, die im Unternehmen
bereits vorhandenen Prozesse bzgl. Optimierungsmöglichkeiten der IT zu analysie-
ren. Je nach Ausgestaltung der Prozesse kann der IT-Mitarbeiter jedoch nur mit hohem
Zeitaufwand die in anderen Bereichen und Projekten entstandenen Prozessdarstellungen
lesen, verstehen und hinsichtlich seiner Aufgabenstellung verwerten.
• Einheitlichkeit
• Lesbarkeit und
• Verständlichkeit.
Diese Punkte sind wesentlich für das Nutzen, Vergleichen und Wiederverwenden von
Prozessmodellen durch einen ggf. großen und heterogenen Anwenderkreis. Durch ein
lesbares und schnell verständliches Modell wird sowohl bei der Einarbeitungszeit für neue
Mitarbeiter als auch bei der Arbeitszeit aller Anwender für die Informationsbeschaffung
im Operativbetrieb gespart.
Das folgende plakative Beispiel soll dies veranschaulichen (vgl. Abb. 5.1). Der obere
Prozessablauf besitzt dieselben Informationen wie der Prozessablauf unten. Die „unge-
schickte“ Modellierung ohne Modellierungsrichtlinien erschwert die Lesbarkeit und die
(Wieder-)Verwendung des Prozessmodells.
Mit Modellierungsrichtlinien
Ohne Modellierungsrichtlinien
Um das untere Modell in Abb. 5.1 zu verstehen und für seine tägliche Arbeit als
Arbeitsanleitung zu benutzen, benötigt ein Sachbearbeiter aufgrund der „ungeschick-
ten“ Modellierung deutlich länger als für das obere Modell. Diese Zeit geht von der pro-
duktiven Arbeitszeit ab und demotiviert den Mitarbeiter, sich mit Arbeitsanweisungen
auseinanderzusetzen. Die Konsequenz daraus ist, die in der Praxis sinkende Akzeptanz
und möglicherweise eine höhere Fehlerquote in der Sachbearbeitung, da die aktuelle
Dokumentation nicht bekannt ist oder nicht verstanden wird.
Die Entwicklung und konsequente Anwendung von geeigneten Gestaltungs- und
Modellierungsrichtlinien verringert den Zeitbedarf und steigert die Dokumentations
qualität der Prozessmodelle. Damit ist sie als ein Meilenstein auf dem Weg hin zu einem
erfolgreichen Prozessmanagement anzusehen.
Bei der Einführung von Richtlinien ist es ein wichtiger Aspekt, das Handbuch der
Richtlinien sowie deren Kommunikation auf eine höchstmögliche Akzeptanz der
Modellierer und Anwendbarkeit in der Modellierung auszurichten. Einerseits sollte
der Regelungsbedarf vollständig abgedeckt werden, andererseits muss die Dokumen
tation für die Leser auch handhabbar sein.
Definition
Ein Dokument mit bspw. 100 Seiten ist so umfangreich, dass nicht garantiert wer-
den kann, dass alle Vorgaben bei der Prozessmodellierung berücksichtigt werden.
Der Modellierer und der methodische Prüfer sollten mit vertretbarem Aufwand die
Inhalte der Richtlinien für die jeweiligen Aufgaben nachschlagen können. Es wird
ein übersichtliches und gut strukturiertes Handbuch oder webbasiertes Wiki-System
empfohlen, dessen Anwendung bereits in Modellierungsschulungen Bestandteil ist.
Idealerweise können die wichtigsten Aspekte auf einem doppelseitigen Faltblatt als
Tischunterlage oder Flyer veröffentlicht werden.
Der Grundsatz der Richtigkeit gliedert sich in zwei Anforderungen: die syntaktische
Richtigkeit und die semantische Richtigkeit.
Als syntaktisch richtig (also formal korrekt) gelten Modelle, welche vollständig und korrekt
gegenüber dem zugrunde liegenden Metamodell sind (Becker et al. 1995). Das Metamodell gibt
hierbei die Informationsobjekte und Notationsregeln für die konkrete Modellerstellung vor.
Beispiel
Für die Modellierung einer Parallelbearbeitung werden die vordefinierten Objekte
und Konnektoren verwendet.
Die semantische Richtigkeit wird an der Struktur und Verhaltenstreue gegenüber dem
zugrunde liegenden Objektsystem gemessen (Becker et al. 1995), d. h. dass der im Modell
dargestellte Sachverhalt die Realität möglichst genau wiedergibt.
Beispiel
Die BPMS-Methode (vgl. Abschn. 6.2) gibt pro Sicht/Ebene/Modelltyp bestimmte
Modellierungsobjekte vor (Knoten) und definiert, ob und mit welchen Konnektoren
(Kanten) diese verbunden werden (syntaktische Richtigkeit). Das kann durch
78 D. Bouché et al.
Der Grundsatz der Relevanz involviert einerseits die Eingrenzung des zu betrachten-
den Bereichs als auch die konkrete Ausprägung im Modell (Umfang). Beide Fälle sind
stark mit dem adressierten Kreis und dem verfolgten Ziel verbunden. Essentiell für die-
sen Grundsatz ist daher eine explizite Formulierung der Modellierungsziele bezogen auf
sämtliche Modellkomponenten (Becker et al. 1995).
Definition
Um die Relevanz eines Prozesses zu identifizieren oder festzulegen, werden typischer-
weise Prozesslandkarten erstellt und hierarchisiert, bevor die Ablaufmodellierung in
Form von Geschäftsprozessmodellen erfolgt (vgl. ebenso Kap. 3 und Priorisierungsmatrix
in Abschn. 4.2.2).
das wiederum sehr eng mit dem Modellierungszweck und somit mit dem Grundsatz der
Relevanz zusammen (Becker et al. 1995).
Definition
Prozessmodellierungs-Werkzeuge, wie z. B. ADONIS®, unterstützen eine wirtschaft-
liche Modellierung mit einer intuitiven Benutzeroberfläche sowie durch Konzepte
für Wiederverwendung, wie Submodelle und sogenannte „Zentrale Modelle“ (vgl.
Abschn. 5.3.2).
Dieser Grundsatz adressiert die Verständlichkeit der Modelle durch Dritte – die
Modellnutzer. Die Forderung nach einem strukturierten, intuitiv zugänglichen und les-
baren Prozessmodell steht in Wechselbeziehung mit dem Grundsatz der Richtigkeit und
kann diesen wiederum beeinflussen (Becker et al. 1995).
Definition
Der Grundsatz der Klarheit kann grundsätzlich durch eine leicht verständliche, intu-
itive Modellierungsnotation umgesetzt werden. Hierbei unterstützen bspw. auch
farbliche Markierungen und Piktogramme, die dem Leser der Modelle vorhan-
dene Detailinformationen symbolisieren, wie z. B. Input/Output oder verknüpfte
Dokumente. Weiterhin kann der Grundsatz der Klarheit durch rollenspezifische
Sichten auf die Prozesse oder durch unterschiedliche Einstiegsszenarien in bzw. Filter
auf die Prozesslandkarte (vgl. Kap. 3) unterstützt werden.
80 D. Bouché et al.
Dieser Grundsatz kann nur in Bezug auf andere Modelle beurteilt werden – ist also keine
modellautonome Eigenschaft – und hat ähnlich dem Grundsatz der Richtigkeit zwei
Dimensionen (Becker et al. 1995):
• Syntaktisch:
Inwieweit sind Modelle vergleichbar, welche mit unterschiedlichen Modellierungs
methoden erstellt wurden?
• Semantisch:
Die semantische Vergleichbarkeit wird auf inhaltlicher Ebene definiert. Sie wird z. B.
zum Vergleich von Ist- und Soll-Modellen, Soll- und Referenzmodellen oder Ist-
Modellen unterschiedlicher Tochtergesellschaften benötigt.
Beispiel
Unternehmen oder Organisationen mit dezentraler Bearbeitung (z. B. die Filialen einer
Bank) streben in der Regel aus Kostengründen eine einheitliche Bearbeitung der Prozesse
an. Trotz allem können sich die erstellten Prozessmodelle bspw. durch die Prozessmen
gen, die Häufigkeit der verschiedenen Ablaufwege oder auch in Bearbeitungszeiten
unterscheiden.
Prozessmodellierungswerkzeuge können bei der Identifikation derartiger Unterschiede
mit Funktionalitäten, wie einem grafischen oder tabellarischen Modellvergleich und
Pfadanalysen, unterstützen.
5 Gestaltungs- und Modellierungsrichtlinien 81
Dieser Grundsatz verlangt, dass bei der Beschreibung in getrennten Sichten, das Metamodell
so konzipiert sein muss, dass Zusammenhänge zwischen den einzelnen Sichten klar sind
und diese bereits während der Modellierung adressiert werden können (Becker et al. 1995).
Beispiel
In Prozessmodellierungs-Werkzeugen werden die Anwendungen eines Unternehmens
oder einer Organisation in einer eigenen Sicht modelliert und gepflegt, bspw. in einem
Modell des Typs IT-Systemmodell. Artefakte aus einem solchen zentralen Modell
oder Repository werden z. B. den Aktivitäten über Referenzen (Verlinkungen) zuge-
ordnet. Im Vergleich zu reinen Präsentationswerkzeugen vereinfacht dies die Pflege
der Informationen. Ändert sich bspw. der Name einer Anwendung, kann dies im
Prozessmodellierungs-Werkzeug an einer Stelle erfolgen, während in Präsentationswerk
zeugen alle Zeichnungen/Dateien durchsucht und separat geändert werden müssen.
5.3.1 Detaillierungsgrad
Beispiel
Das Projektziel ist die Einführung einer neuen Anwendung für die Sachbearbeitung.
Die Prozessmodellierung soll hierbei Informationen liefern, welche fachlichen
Sachverhalte zu implementieren sind. Aus dem Projektziel kann abgeleitet werden,
dass eine sehr detaillierte Modellierung erforderlich ist. Jeder fachliche Sachverhalt
ist mit seinen Varianten und Schnittstellen abzubilden, den die neue Anwendung
zukünftig unterstützen soll. Die Dokumentation sollte zudem auf Datenfeldebene
erfolgen, um die Anforderungen an die Anwendung möglichst genau zu spezifizieren.
Der Detaillierungsgrad muss nicht für alle Prozesse gleich sein. Gemäß dem Grundsatz
der Wirtschaftlichkeit ist der Dokumentationsbedarf für Prozesse mit geringer
Häufigkeit und Kritikalität zu unterscheiden vom Dokumentationsbedarf der Kern-
oder Leistungsprozesse. Bei geringem Detaillierungsgrad kann im Bedarfsfall sogar auf
eine Ablaufmodellierung verzichtet und die Dokumentation auf Ebene der Prozess
landkarte mit einer prägnanten textuellen Prozessbeschreibung und Definition des
Prozessverantwortlichen vorgenommen werden.
Beim Detaillierungsgrad für die Modellierung von Aufgaben/Tätigkeiten können drei
Ebenen unterschieden werden (vgl. ebenso Kap. 2), wobei der Detaillierungsgrad und
Informationsgehalt der Prozessmodelle von Ebene zu Ebene zunimmt.
• Durchführungsverantwortung (Responsible)
• Ergebnisverantwortung (Accountable)
• Mitarbeit/Mitwirkung (Consulted)
• Informieren (Informed)
5 Gestaltungs- und Modellierungsrichtlinien 83
SIPOC
DEMI/RACI
Mit Hilfe eines SIPOC-Diagramms können die folgenden Fragen beantwortet werden:
Ein SIPOC-Diagramm bietet somit die Möglichkeit, neben den Aufgaben/Tätigkeiten auch
deren In- und Outputs zu dokumentieren. In Kombination mit den Verantwortlichkeiten
erhält man bereits auf Detaillierungsebene 1 eine umfassende Sicht zu den Verantwort
lichkeiten und eingesetzten Ressourcen (vgl. Abb. 5.2). Die Entscheidung, einen Prozess
auf der nächsten Detaillierungsstufe zu modellieren, hängt vom Modellierungsziel ab.
Typische Anwendungsgebiete für eine Prozessmodellierung auf Detaillierungsebene 1
finden sich im Qualitätsmanagement oder bei der organisatorischen Reorganisation (z. B.
Dokumentation von Aufgabenzuordnungen oder Optimierung von Ressourcenflüssen).
Detaillierungsebene 2: Bearbeiter-/Medienwechsel
Bei dieser Detaillierungsebene wird eine neue Aufgabe/Tätigkeit modelliert, wenn
ein Bearbeiterwechsel stattfindet. Dieses Prinzip kann auch auf den Wechsel des
Arbeitsmediums angewendet werden, z. B. bei einem Wechsel von Papierbearbeitung auf
eine elektronische Bearbeitung.
Durch den Wechsel des Bearbeiters oder des Mediums können Rückfragen und
Schleifen im Prozessablauf entstehen, Aufgaben/Tätigkeiten werden ggf. doppelt ausge-
führt oder es entstehen zeitliche Verzögerungen und Wartezeiten.
Typische Anwendungsgebiete für eine Prozessmodellierung auf Detaillierungsebene 2 sind:
Detaillierungsebene 3: Unterbrechbarkeit
Bei dieser Detaillierung wird eine neue Aufgabe/Tätigkeit modelliert, solange sie vom
Bearbeiter noch „sinnvoll“ unterbrochen werden kann. Die neue Aufgabe/Tätigkeit erzeugt
auch ein neues Ergebnis. Ist dies nicht der Fall, ist es nicht sinnvoll, die Aufgabe/Tätigkeit
weiter zu detaillieren. Die Aktivität ist „ununterbrechbar“. Typische Anwendungsgebiete
für eine Prozessmodellierung auf Detaillierungsebene 3 sind Arbeitsanweisungen bzw.
Arbeitsanleitungen oder IT-Spezifikationen.
Zum Detailgrad der Ablaufbeschreibung gehört auch die Festlegung, welche Infor
mationen zu den Aktivitäten zu erheben und im Prozessmodell zu hinterlegen sind.
Abhängig vom Ziel der Prozessmodellierung können verschiedenste Informationen rele-
vant sein, z. B.:
5.3.2 Wiederverwendung
Ein Ziel der Prozessmodellierung ist es, eine redundante Informationshaltung zu ver-
meiden und Geschäftsprozesse (Subprozesse), Prozessteile (Patterns), aber auch einzelne
Objekte (Objekte in zentralen Modellen) einmal zu modellieren und an anderer Stelle
wiederzuverwenden.
Die Wiederverwendbarkeit kann hierbei für das gesamte Unternehmen gelten oder
sich auf Unternehmensbereiche oder den jeweiligen Projektkontext beschränken.
5 Gestaltungs- und Modellierungsrichtlinien 85
Beispiel
Asynchrone Prozessaufrufe werden häufig in prozesssteuernden Anwendungen
genutzt. Während bspw. ein Sachbearbeiter einen Prozess bearbeitet, wird – gesteu-
ert von einem Workflow-System – ein Nachfolgeprozess gestartet und zur späteren
Bearbeitung in die Arbeitsliste des Sachbearbeiters eingestellt.
Die Standardisierung eines (Sub-)Prozesses wird dann erreicht, wenn nicht nur die ein-
zelnen Schritte des Ablaufs, sondern insbesondere auch Rollen, Dokumente und IT-
Systeme gleichartig genutzt werden. Abweichungen müssen bspw. als Varianten in den
Prozessen dargestellt werden.
Tabelle 5.1 skizziert die Vor- und Nachteile von Subprozessen und Patterns.
• Auswertungsmöglichkeiten:
Ausgehend vom Objekt kann festgestellt werden, ob und wenn ja, wo bzw. wie oft
es verwendet wird, z. B. in welchen Prozessen ein bestimmtes Dokument verwendet
wird oder welche Prozessschritte ein bestimmtes IT-System benötigen.
• Einheitliche Bezeichnung und Detaillierungsgrad:
Durch die zentrale Vergabe der Namen und die Einbindung über Referenzen
wird eine einheitliche Bezeichnung sowie ein einheitlicher Detaillierungsgrad im
Unternehmen und/oder Projekt sichergestellt und etabliert.
• Effiziente Verwaltung:
Durch die zentrale Verwaltung der Objekte werden Änderungen an einer Stelle durch-
geführt und automatisch über die Referenzierung in allen Prozessen, in die das Objekt
eingebunden ist, nachgezogen. Im Gegensatz dazu muss bei einfachen Präsentations-
oder Zeichenwerkzeugen zunächst identifiziert werden, wo ein Element ggf. meh-
rere Male modelliert wurde, um es dann an jeder Stelle zu ändern. Wurde zudem der
Name nicht einheitlich verwendet, wird die Überarbeitung zusätzlich erschwert.
Beispiel
Bezüglich einheitlicher Bezeichnungen und Detaillierungsgrad kann der allgemeine
Begriff „CRM-Datenbank“ ausreichend sein oder der Projektkontext erfordert die
genaue Beschreibung, welcher Bereich der CRM-Datenbank angesprochen wird, wie
zum Beispiel „Beschwerdemanagement“, „Auftragsverwaltung“, „Kundenkontakte“
etc. Eine Detaillierung ist bspw. sinnvoll, wenn Teile der CRM-Datenbank in ein neues
System ausgelagert werden und die davon betroffenen Prozesse zu ermitteln sind.
Die Modellierungssprache legt die Objekte und Konnektoren und deren Attribute für die
Prozessmodellierung fest. Die Notation gibt die Visualisierung der Sprache vor. Beispiele
für bekannte Sprachen zur Prozessmodellierung sind u. a.:
• Business Process Management Systems (BPMS) (vgl. Kap. 6 bzw. (Karagiannis 1995;
Junginger et al. 1998; Bayer et al. 1999)),
88 D. Bouché et al.
• Business Process Model and Notation (BPMN), ein Industriestandard der Object
Management Group (OMG) (2011) (vgl. Kap. 6),
• Ereignisgesteuerte Prozessketten (EPK), veröffentlicht von einer Arbeitsgruppe unter
Leitung von August-Wilhelm Scheer (Keller et al. 1992).
Für die Festlegung der Modellierungssprache ist ebenso das Ziel der Prozessdokumen
tation ausschlaggebend. Die Modellierungssprachen sind zum Teil sehr umfangreich
bzw. müssen ggf. an individuelle Bedürfnisse angepasst werden.
Die oben genannten Sprachen besitzen verschiedene Stärken. So eignet sich bspw. die
BPMS-Modellierungsmethode für fachliche Einsatzgebiete, wie die Prozessdokumentation
und die Prozessoptimierung. Die BPMN hingegen fokussiert auf die technische Umset
zung mittels prozesssteuernder Systeme.
Im Zusammenhang mit der Sprache sollten die Modellierungsrichtlinien zudem
Folgendes festlegen:
• einheitliche Modellierungsrichtung,
• stringente Vorwärtsmodellierung,
• rechtwinklige Verwendung von Konnektoren,
• Verwendung von Schwimmbahnen und
• Verwendung von Subprozessen.
Definition
Umfangreiche Prozesse mit vielen Tätigkeiten und Bearbeitungsalternativen (Pfaden)
sind unabhängig vom Medium ab einer bestimmten Komplexität nur sehr schwer
zu lesen. In diesem Fall können Richtlinien definiert werden, in welchen Fällen die
Auslagerung von Prozessteilen in Subprozesse die optische Darstellung vereinfachen.
Ein weiterer Punkt in Modellierungsrichtlinien ist die Ablagestruktur der Modelle. Diese
sollte so gestaltet sein, dass die Modellierer/Benutzer die Prozesse oder Modelle, die sie
bearbeiten oder für die sie zuständig sind, rasch identifizieren und auffinden können.
5 Gestaltungs- und Modellierungsrichtlinien 89
• produktbezogen,
• prozessbezogen oder
• abteilungsbezogen.
Oftmals sind auch Mischformen sinnvoll, z. B. eine Ablagestruktur, die auf der höchsten
Ebene produktbezogen ist und sich dann prozessbezogen aufgliedert.
Die Prüfung der Gestaltungs- und Modellierungsrichtlinien ist in der Praxis häufig in
ein Freigabeverfahren für Prozessmodelle eingebettet.
Ein typisches Freigabeverfahren besteht neben einer fachlichen Qualitätssicherung aus
einer methodischen Qualitätssicherung. Die methodische Qualitätssicherung überprüft
die Einhaltung der organisationsspezifischen Gestaltungs- und Modellierungsrichtlinien
und die fachliche Qualitätssicherung die fachliche Vollständigkeit und Korrektheit
der erstellten Modelle. Darüber hinaus wird in einem Freigabeverfahren die Prozess
verantwortung dokumentiert.
Bei der methodischen Qualitätssicherung ist eine Werkzeugunterstützung durch ein
Prozessmanagement-Werkzeug sinnvoll, um z. B.
Eine Qualitätssicherung in einem größeren Rahmen wird Prozessaudit genannt. Hier steht
nicht die Prüfung gegenüber Gestaltungs- und Modellierungsrichtlinien im Vordergrund,
sondern ein Audit der Prozesse des Unternehmens bzw. eines Bereichs für ein bestimmtes
Einsatzgebiet.
Ein Beispiel hierfür ist eine Prüfung der modellierten Prozesse, ob Detaillierungsgrad
und modellierte Inhalte für ein Risikomanagement geeignet sind und die Identifikation
der ggf. noch zu erhebenden Inhalte. Ein weiteres Beispiel ist eine Prüfung der Prozesse
auf ihre Verwendung für eine Prozessoptimierung mittels Simulation.
Da für ein Prozessaudit ein umfangreiches, übergreifendes Wissen benötigt wird und
das Audit idealerweise von einer neutralen Instanz durchgeführt werden soll, werden
dazu häufig externe Experten eingebunden.
Basierend auf den bisherigen Ausführungen kann die Umsetzung der Gestaltungs- und
Modellierungsrichtlinien im Kontext der Prozessmodellierung in die in Tab. 5.2 darge-
stellten Vorgehensschritte und Verantwortlichkeiten gegliedert werden.
Literatur
Bank for International Settlements (2010) Basel III: International framework for liquidity risk mea-
surement, standards and monitoring, Arbeitsbericht, Basel. http://www.bis.org/publ/bcbs188.
pdf. Zugegriffen: 07. Jan 2013
Bayer F, Junginger S, Kühn H (1999) Concurrent Engineering of Service Products, Business
Processes and Organizational Structure. In: Proceedings of the 6th European Concurrent
Engineering Conference 1999 (ECEC’99), Society for Computer Simulation (SCS), Erlangen,
Nürnberg, S 157–162
5 Gestaltungs- und Modellierungsrichtlinien 91
Zusammenfassung
Die Business Process Model and Notation (BPMN) bietet Modellierungselemente für die
Abbildung vorwiegend technischer Prozessabläufe und Kollaborationen. Im Gegensatz
dazu unterstützt die BPMS-Modellierungsmethode die Abbildung von vorwiegend fach-
lichen Unternehmensinhalten in den vier Kernbereichen Geschäftsprozesse, Produkte,
Organisation und Informationstechnologie. Durch die zunehmende Verbreitung der
BPMN wurde die BPMN 2.0 mit ihren drei Diagrammtypen Geschäftsprozessdiagramm,
Choreographiediagramm sowie Konversationsdiagramm in die BPMS-Modellierungs
methode integriert. Durch diese Integration ergeben sich zwei Vorteile: Einerseits wird
die BPMS-Modellierungsmethode um Modelltypen für die Darstellung von Konver
sationen, Kollaborationen und Choreographien ergänzt. Dies ermöglicht bspw. die
Modellierung ausführungsrelevanter, technischer Aspekte. Andererseits wird durch
die fachlichen Elemente der BPMS-Modellierungsmethode die technisch orientierte
BPMN für die Nutzung in Fachbereichen/-abteilungen einsetzbar gemacht. Das Kapitel
gibt einen Überblick zur BPMS-Modellierungsmethode und beschreibt detailliert die
Integration der BPMN 2.0-Diagrammtypen in die BPMS-Modellierungsmethode. Ein
Best Practice-Beispiel veranschaulicht den Einsatz der so entstandenen integrierten
Modellierungsmethode.
M. Murzek
BOC Information Systems GmbH, Operngasse 20b, 1040 Wien, Österreich
T. Rausch (*) · H. Kühn
BOC Information Technologies Consulting AG, Operngasse 20b, 1040 Wien, Österreich
e-mail: tobias.rausch@boc-group.com
6.1 Motivation
Die Erhebung und Beschreibung von Prozessen in Form von Modellen findet in der
PMLC-Phase Prozessdokumentation statt (vgl. Abschn. 2.4.2). Als Bestandteil des
BPMS-Rahmenwerks (Karagiannis 1995; Karagiannis et al. 1996) bietet die BPMS-
Modellierungsmethode Unterstützung zur Abbildung von Unternehmensinhalten in
den vier Kernbereichen Geschäftsprozesse, Produkte, Organisation und Informations
technologie (vgl. Abb. 6.1).
Die BPMS-Modellierungsmethode besteht aus verschiedenen Modelltypen (vgl.
Abb. 6.2). Die damit zur Verfügung gestellten Modellierungselemente helfen dabei, die
Unternehmensinhalte in den vier Kernbereichen integriert und grafisch darzustellen.
Der in Abschn. 6.3 beschriebene Modellierungsstandard Business Process Model
and Notation (BPMN) Version 2.0 (Object Management Group (OMG) 2011a) bietet
Modellierungselemente für die Abbildung vorwiegend technischer Prozessabläufe und
Kollaborationen. Er ist somit dem Kernbereich Geschäftsprozesse und teilweise dem
Bereich Informationstechnologie zuordenbar. Durch die Standardisierung und die zuneh-
mende Verbreitung der BPMN wurde die BPMN 2.0 mit ihren drei Diagrammtypen in die
BPMS-Modellierungsmethode integriert (vgl. Abschn. 6.4). Zu diesen drei Diagrammtypen
zählen das Geschäftsprozessdiagramm, das Choreographiediagramm sowie das Konver
sationsdiagramm. Das BPMN 2.0-Geschäftsprozessdiagramm kann alternativ zum BPMS-
Modelltyp Geschäftsprozessmodell verwendet werden.
Durch die Einbettung der BPMN 2.0-Diagrammtypen in die BPMS-Modellierungs
methode ergeben sich zwei Vorteile. Einerseits wird die BPMS-Modellierungsmethode im
Produkte
Geschäfts- Organisations-
prozesse einheiten
Informations-
technologie
Abb. 6.1 Übersicht über die vier Kernbereiche des BPMS-Rahmenwerks (Junginger et al. 1998;
Bayer et al. 1999)
6 BPMN als Bestandteil der BPMS-Modellierungsmethode 95
• Organisationsanalyse,
• Arbeitsanweisungen,
• Aufbau und Pflege eines Internen Kontrollsystems (IKS)/Risikomanagements,
• Prozesskostenrechnung sowie Simulation,
• Personalbedarfsplanung und
• Testfall-Management.
Die folgenden Abschnitte erläutern detailliert die Integration der BPMN 2.0-Diagrammtypen
in die BPMS-Modellierungsmethode. Den Abschluss bildet die Beschreibung eines Best
Practice-Einsatzes der BPMS-Modellierungsmethode inkl. der eingebetteten BPMN 2.0. Der
Schwerpunkt liegt dabei auf der Verwendung der durch die BPMN 2.0 hinzugekommenen
Modelltypen.
Das zentrale Element der Modellierung ist ein Modelltyp. Ein Modelltyp gruppiert eine
Menge von Klassen, die zur Abbildung eines bestimmten Sachverhalts/Bereichs verwen-
det werden. Jeder der vier Kernbereiche wird durch einen oder mehrere Modelltypen
unterstützt.
Abbildung 6.2 gibt eine Übersicht über die Modelltypen der BPMS-Modellierungs
methode. Im Zentrum steht dabei das Geschäftsprozessmodell, welches zur Abbildung
von unternehmensinternen als auch -übergreifenden Prozessen eingesetzt wird. Der
Kernbereich Geschäftsprozesse umfasst zusätzlich den Modelltyp Prozesslandkarte.
Der Modelltyp Arbeitsumgebungsmodell ist dem Kernbereich Organisationseinheiten
zuzurechnen. Der Kernbereich Informationstechnologie wird durch die Modelltypen IT-
Systemmodell und Datenmodell unterstützt. Die Modelltypen Dokumentenmodell und
Ressourcenmodell unterstützen die Modellierung sowohl im Bereich Organisation als
auch im Bereich Informationstechnologie. Den Bereich Produkte deckt der Modelltyp
Produktmodell ab.
Eine Erweiterung der vier Kernbereiche stellen die Modelltypen Risiko-Katalog und
der dazugehörige Kontrollen-Katalog dar, die den Aktivitäten in den Geschäftsprozessen
zugeordnet werden können.
Für welche Fragestellung welcher Modelltyp herangezogen werden kann bzw. wie
diese untereinander verknüpft sind, wird in den nächsten Abschnitten erläutert.
96 M. Murzek et al.
C C
C C
R R
Geschäftsprozessmodell
Ze
Ze
Ze
Ze
Detail kann zusätzlich unterschieden werden, welche Prozesse direkt an der Entstehung
eines Produkts beteiligt sind und welche Prozesse als Unterstützungsprozesse gesehen
werden können.
6.2.3 Aufbauorganisation
Durch die Beschreibung von Risiken und Kontrollen in Verbindung mit den anderen
Modelltypen wird die Modellierung auf den Gebieten Governance, Risk & Compliance
(GRC) ermöglicht. Die Modelltypen Risiko-Katalog und Kontrollen-Katalog unterstützen
die Dokumentation des Internen Kontrollsystems (IKS). Hier liegen die Schwerpunkte
vor allem auf der Erfassung, Analyse und Auswertung der Risiken und Kontrollen im
Unternehmen.
Risiken stellen Ereignisse oder Entwicklungen dar, die das Erreichen der gesetzten
Ziele negativ beeinflussen oder unmöglich machen. Die Charakterisierung eines Risikos
wird durch die Dimensionen Auswirkung und Fehlerhäufigkeit vorgenommen. Neben
6 BPMN als Bestandteil der BPMS-Modellierungsmethode 99
der Bezeichnung und der Beschreibung ist es möglich, einem Risiko eine oder mehrere
Kontrollen zuzuordnen, welche das Eintreten des Risikos verhindern oder zumindest
minimieren sollen.
Kontrollen sind Regeln und Prozeduren, die sicherstellen, dass die Risikobewältigungs-
Maßnahmen durchgeführt werden, die im Rahmen des Risikomanagements definiert
wurden. Diese Kontrollen finden in allen Unternehmensbereichen und Funktionen
Anwendung. Darüber hinaus dienen diese Kontrollen der Überwachung der erwarteten
Entwicklung der Kennwerte eines Risikos (Auswirkung, Fehlerhäufigkeit) aufgrund der
getroffenen Maßnahmen. Kontrollen beinhalten eine Reihe verschiedener Aktivitäten, wie
z. B. Freigabe, Autorisierung, Verifikation, Abstimmung oder die Überprüfung der opera-
tiven Leistung.
Die Business Process Model and Notation (BPMN) ist ein Industriestandard der Object
Management Group (OMG) (2011a; Freund und Rücker 2012). Die BPMN bietet Konzepte
und konkrete, grafische Notationen für die Modellierung von Prozessen, Kollaborationen
und Choreographien für Unternehmen, unabhängig von deren Branche.
Die Business Process Modelling Notation – heute Business Process Model and Notation –
wurde von Stephen A. White (IBM) erstmals spezifiziert und später (2006) von der Business
Process Management Initiative (BPMI) veröffentlicht. Im Juni 2005 wurde die BPMN von
der OMG übernommen und nach den BPMN-Versionen 1.0 und 1.2 ist die 2011 von der
OMG verabschiedete Version BPMN 2.0 die aktuell gültige Version.
Laut der OMG ist es das primäre Ziel, „eine Notation zur Verfügung zu stellen, die vom
Business Analysten (zuständig für die Erstellung des initialen Prozessdrafts) bis zum technischen
Entwickler (zuständig für die Umsetzung des Prozesses mittels Ausführungstechnologien) und bis
hin zu den Führungskräften/Prozessverantwortlichen, die die Prozesse managen und monitoren,
verstanden werden soll“ (aus dem Englischen, Object Management Group (OMG) 2011a, S. 1).
Das zweite wichtige Ziel der BPMN ist es, dass XML-basierte Ausführungssprachen, wie zum
Beispiel BPEL, visualisiert werden können (Object Management Group (OMG) 2011a, S. 1).
Diese Zielsetzungen spannen ein sehr weites Feld auf und lassen entsprechende
Spielräume für Interpretation. Tatsache ist in jedem Fall, dass die BPMN ein Ansatz zur
Standardisierung einer Notation zur Prozessabbildung ist und zudem Formate definiert,
über die ein Modellaustausch über Werkzeuggrenzen hinweg möglich sein soll. Zudem
bietet BPMN durch ihre starke Formalisierung und die definierten Möglichkeiten zur
XML-Serialisierung die Möglichkeit, Prozessmodelle leicht(er) in Umgebungen zur
Ausführung der Prozesse zu übernehmen.
100 M. Murzek et al.
Neben der schon erwähnten Standardisierung und Formalisierung liegen die Stärken
der BPMN in der Modellierung vor allem darin, Prozesse über Unternehmensgrenzen
hinweg zusammen mit den wesentlichen Teilnehmern (Kollaborateuren) und der statt-
findenden Kollaboration/Interaktion abbilden zu können. Hierfür bietet BPMN explizite
Konzepte an, wie zum Beispiel die Abbildung unterschiedlicher Teilnehmer in soge-
nannten Pools und die Darstellung von Nachrichtenflüssen zwischen den Teilnehmern.
BPMN 2.0 bietet dahingehend neue, ergänzende bzw. teilweise auch alternative
Konzepte mit den neuen Konversations- und Choreographiediagrammen. Diese fokus-
sieren auf den Nachrichtenaustausch und die Haupt-Interaktionen zwischen den ver-
schiedenen Teilnehmern.
Zudem beinhaltet die BPMN eine stark formalisierte Menge an Modellierungselementen,
die es erlauben, für eine spätere technische Ausführung verschiedenste Arten von Ereignissen
(Nachricht, Eskalation etc.) sowie Ausnahmebehandlungen und Kompensationen zu
modellieren.
Gerade diese große Menge an Elementen ist auch einer der Hauptkritikpunkte an
der BPMN, neben ihrer noch immer sehr starken Fokussierung auf die technische
Ausführung von Prozessen.
Im Detail liegen die Hauptkritikpunkte und Schwächen der BPMN in den folgenden
Punkten:
• Der Fokus der BPMN als Modellierungssprache liegt nach wie vor auf der automatisier-
ten Ausführung von Prozessen. Die Elemente und Attribute, die die BPMN-Spezifikation
vorsieht, sind in erster Linie entworfen worden, um einen Prozess technisch ausführen
zu können (mittels Workflow-Systemen, Web Service-Orchestrierung etc.). Andererseits
fehlen in der Spezifikation die für fachliche Anwender und ihre Szenarien benötigten
Elemente und Attribute (Silver 2009; Object Management Group (OMG) 2011a; Lichka
et al. 2012; Rausch et al. 2012).
• Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die BPMN ihre eigene Zielsetzung, eine Sprache
und Notation für alle Bereiche im Unternehmen zu sein, nicht erfüllt („BPMN stands
for ‚Business People May Not…understand‘“ (Sinur 2010) oder auch „BPMN 2.0: no
longer for Business Professionals“ (Swenson 2010)). BPMN bietet wenige fachliche
Modellierungselemente. Beispielsweise fehlen Elemente für Organisationsstrukturen,
Risiken, Kontrollen oder Produkte.
• Darüber hinaus beinhaltet BPMN mehr als 60 Ereignistypen sowie weit über 150 ver-
schiedene Ausprägungen von Modellierungselementen. Zusätzlich enthält sie z. B.
unterschiedlichste Arten von logischen Konnektoren. Alles in allem ein Ausmaß, das
selbst geübte Anwender überfrachtet und die Sprache und Notation nicht gerade leicht
erlernbar macht. Für eine detaillierte Analyse wird auf (Genon et al. 2010) verwiesen.
• Die große Anzahl an Modellierungselementen wird zudem noch verschärft durch
die Tatsache, dass sich die Objektausprägungen auf den ersten Blick optisch nur
6 BPMN als Bestandteil der BPMS-Modellierungsmethode 101
Kompensation
Terminierung
Bedingung
Eskalation
Nachricht
Mehrfach
Kein Typ
Abbruch
Parallel
Fehler
Signal
Link
Zeit
Top-Level
Startereignisse
Ereignis
Teilprozess
(unterbrechend)
Ereignis
Teilprozess (nicht
unterbrechend)
Sequenzfluss
(eintretend)
Zwischenereignisse
Sequenz-
fluss
(auslösend)
angeheftet
(unterbrechend)
angeheftet (nicht-
unterbrechend)
eignisse
End-
er-
Abb. 6.3 Übersicht der BPMN-Ereignisse (Object Management Group (OMG) 2011a, S. 261)
wenig voneinander unterscheiden. Dies ist zum Beispiel beim Element Ereignis der
Fall, welches prinzipiell durch einen Kreis symbolisiert wird. Die BPMN unterschei-
det dann jedoch weiter mittels einfachen, fetten und doppelten Linien zwischen
Startereignissen, Zwischenereignissen und Endereignissen sowie mittels durchgezoge-
nen bzw. unterbrochenen Linien zwischen unterbrechenden und nicht-unterbrechen-
den Ereignissen (vgl. Abb. 6.3).
Abbildung 6.4 zeigt, wie die Diagrammtypen der BPMN 2.0 in die BPMS-Model
lierungsmethode und somit in die Modelltypen der vier Kernbereiche des Geschäfts
prozessmanagements integriert werden. Dadurch entsteht eine Umgebung für eine
vollumfängliche Geschäftsprozessmodellierung und -analyse (Zivkovic et al. 2007; Kühn
et al. 2010). Da in Abb. 6.4 die Einbettung der Elemente der BPMN 2.0 im Vordergrund
steht, wurden die Elemente des Modelltyps Geschäftsprozessmodell, die sich mit
den Ablaufelementen der BPMN 2.0 überschneiden, der Übersichtlichkeit halber,
weggelassen.
Darüber hinaus sind in der Abbildung die Zusammenhänge zwischen allen Elementen –
sowohl der BPMN-Klassen als auch der BPMS-Klassen – ersichtlich. Ohne im Detail auf
alle Zusammenhänge einzugehen, seien die folgenden hervorgehoben und kurz erläutert:
• Eine Prozesslandkarte ist ein wesentliches und unabdingbares Strukturierungsmedium
im Rahmen der Prozessdokumentation (vgl. Kap. 3). Durch sie wird das zu unter-
suchende Feld strukturiert, ein gemeinsames Verständnis geschaffen und eine
Priorisierung/ein Scoping vorgenommen. Zudem können bereits auf dieser Ebene
(Prozess-)Verantwortungen definiert, Schnittstellen und Service-Level abgestimmt
und nicht zuletzt ein klares Bild des End-to-End-Prozesses gezeichnet werden.
Durch die Integration besteht die Möglichkeit, in einer Prozesslandkarte BPMN-
Prozessabläufe zu referenzieren.
• Zur Abbildung der Produkte und als möglichen alternativen Einstieg in die Prozesswelt
kann zudem ein Produktkatalog erstellt und mit den Geschäftsprozessdiagrammen
in Bezug gesetzt werden. Damit entsteht ein klares Bild der Zusammenhänge und
Abhängigkeiten zwischen Produkten und Prozessen (Produkt-Prozess-Matrix).
• Auf der Ebene der Prozessabläufe selbst sind insbesondere die folgenden Erweiterungen
und Beziehungen hervorzuheben:
– Im Startereignis können Prozessverantwortliche, Produkte und IT-Applikationen hin-
terlegt werden, um zumindest die vier Kernbereiche des Geschäftsprozessmanagements
abzubilden (vgl. Abschn. 6.2). Darüber hinaus können kritische Erfolgsfaktoren und
Prozesskennzahlen referenziert werden, um die Beziehung zu Zielen und der Strategie
herzustellen und entsprechende Prozessreifegrade sowie das Prozess-Performance-
Management zu unterstützen.
6
Assoziation
Artefakt Bahn
1
Nachrichten- Konversations-
Textanmerkung Gruppierung Ablaufelement Nachricht
fluss link
Sequenz-
Kennzahlen- fluss Konversations-
Datenobjekt Ablaufknoten
übersicht Daten- knoten
assoziation
Choreographie- Teil-
Kennzahl Aktivität Gateway Ereignis Konversation
aktivität konversation
2
: BPMN 2.0-Klasse
Rolle IT-Service Anwendung : BPMS-Klasse
Organisations- Risiko Kontrolle : Intra-Modellreferenz
Person Operation Schnittstelle
einheit : Inter-Modellreferenz
Arbeitsumgebungsmodell Risiko-Katalog Kontrollen-Katalog IT-Systemmodell
Abb. 6.4 Die BPMS-Modellierungsmethode mit BPMN 2.0 für die Prozessmodellierung
103
104 M. Murzek et al.
auf der Modellierung von Interaktionen zwischen Teilnehmern und/oder Prozessen auf
verschiedenen Detailebenen (Allweyer 2009).
Die Integration der BPMN 2.0 in die BPMS-Modellierungsmethode macht es mög-
lich, sowohl Interaktionen zwischen Partnern/Prozessen als auch die Verknüpfung mit
Ressourcen in Form von Dokumenten, Daten, IT-Systemen, Rollen, Organisationseinheiten,
Risiken und Kontrollen usw. abzubilden.
Nachfolgend ist der Einsatz der in die BPMS-Modellierungsmethode eingebetteten BPMN
2.0-Diagrammtypen anhand eines Beispiels aus dem Bereich Gesundheitswesen beschrieben.
In diesem Beispiel gibt es folgende Teilnehmende: den Patienten, die Krankenhausstation, die
Verwaltungsaufnahme und den Patientenservice/Empfang. Der hier betrachtete Kernprozess
ist die Patientenaufnahme, der sich aus den Teilprozessen Patienteneingang, Stammda
tenerhebung, Planen der Diagnostik und Stationsempfang zusammensetzt.
Der erste Schritt, um Interaktionen zwischen Partnern abzubilden, ist die Erstellung
eines hierarchisierten Konversationsdiagramms. Konversationsdiagramme dienen zur
Modellierung von Teilnehmern und ihrer Interaktion untereinander. Sie helfen bei der
Klärung der Frage: „Welche Teilnehmer interagieren miteinander?“.
Abbildung 6.5 zeigt die Interaktion der vier Teilnehmer miteinander. Jeder Pool steht
für einen Teilnehmer. Die drei senkrechten Striche im Pool „Patient“ machen deut-
lich, dass es sich um mehrere Patienten handelt, wobei die anderen Beteiligten gleich
bleiben. Bei dem sechseckigen Objekt mit „+“ handelt es sich um ein Objekt der Klasse
Teilkonversation. Diese symbolisiert, dass es zwischen den mit Konversationslink ver-
bundenen Teilnehmern verschiedene Arten der Interaktion gibt.
Abbildung 6.6 zeigt eine verfeinerte Abbildung der Interaktionen. Die Kommuni
kation zwischen den einzelnen Teilnehmern wird jeweils mit einem Konversationsobjekt
abgebildet.
Eine andere Sicht auf die Interaktion zwischen den Teilnehmern bietet der Dia
grammtyp Choreographiediagramm, der in Abschn. 6.5.2 vorgestellt wird.
Das Choreographiediagramm bietet die Möglichkeit, die Pfade der Interaktion zwischen
zwei oder mehreren Teilnehmern abzubilden.
Zentrale Elemente in diesem Diagrammtyp sind die Choreographie-Aufgabe und die
Teilchoreographie. Mit Hilfe der weiteren Ablaufobjekte können hier neben sequentiellen
auch parallele oder Entscheidungsverläufe modelliert werden. Die Klasse Nachricht dient in
diesem Diagrammtyp dazu, auslösende und nicht-auslösende Nachrichten darzustellen und
zu untermauern, dass bei einer einzelnen Interaktion ein Nachrichtenaustausch stattfindet.
Die zentrale Frage, zu deren Beantwortung Choreographiediagramme herangezogen
werden sollten, ist: „Wer interagiert mit wem in welcher Reihenfolge?“. Abbildung 6.7
zeigt die Interaktionsreihenfolge der Teilnehmer aus dem Beispiel.
Auch auf Prozessebene lassen sich mit Hilfe der BPMN 2.0-Diagrammtypen Interaktionen
abbilden. Das BPMN 2.0-Geschäftsprozessdiagramm bietet die Möglichkeit, Prozesse und
Kollaborationen abzubilden. Ähnlich wie im Modelltyp Geschäftsprozessmodell der
BPMS-Modellierungsmethode werden hier atomare Aufgaben und Ablaufobjekte verwen-
det, um die Prozessabläufe eines Unternehmens darzustellen. Zur expliziten Modellierung
von Zuständen, z. B. das Warten auf eine eingehende Nachricht, bietet BPMN 2.0 eine
eigene Klasse Ereignis an.
Die zentrale Frage, die bzgl. der Prozessmodellierung im integrierten BPMN 2.0-
Geschäftsprozessdiagramm beantwortet werden kann, ist: „Welche Aufgaben werden
von wem, in welcher Reihenfolge durchgeführt?“. Durch die Einbettung des BPMN 2.0-
Geschäftsprozessdiagramms in die BPMS-Modellierungsmethode ist es auch möglich,
diesen Diagrammtyp für die Beantwortung der Detailfragen einer Aufgabe (vgl. Aktivität
im Geschäftsprozessmodell) zu verwenden (vgl. Abschn. 6.2.2).
Darüber hinaus kann mit den zur Verfügung stehenden Poolobjekten und
Nachrichtenflüssen dargestellt werden, an welcher Stelle Aufgaben im Prozess mit ande-
ren Teilnehmern bzw. auch mit welchen Aufgaben andere Teilnehmer interagieren.
Abbildung 6.8 zeigt den Prozess „Patientenaufnahme“ als privaten Geschäftsprozess des
Teilnehmers „Verwaltungsaufnahme“ eingebettet in eine Kollaboration mit „Patientenservice/
Empfang“ und der „Station“. Einen privaten Prozess zeichnet aus, dass alle dem Prozess zuge-
hörigen Aufgaben dargestellt werden. Dem gegenüber steht der öffentliche Prozess. Dieser
enthält nur die Aufgaben, die mit den anderen Teilnehmern kommunizieren.
Darüber hinaus sind in einem eigenen Pool die dem Prozess zugehörigen Kennzahlen
abgebildet. Die Klasse Kennzahl steht hier durch die Einbettung von BPMN 2.0 in die
BPMS-Modellierungsmethode zur Verfügung.
Der Prozess beginnt mit der Aufnahme eines Patienten. Nachdem der Teilprozess
„Patienteneingang“ erfolgreich durchgeführt wurde, werden die Patientenunterlagen an
die Verwaltungsaufnahme weitergeleitet.
Das Ereignis „Neue Patientenunterlagen eingetroffen“ löst den Prozess in der
Verwaltungsaufnahme aus. Nach der Stammdatenerhebung, dem Anlegen einer
Patientenmappe oder der Überprüfung der Stammdaten wird noch überprüft, ob eine
Überweisung vorhanden ist. Danach erfolgt das Planen der Diagnostik, hier durch
einen Teilprozess dargestellt. Sind die Unterlagen des Patienten fertig, wird dieser an die
Station weitergeleitet.
In der Krankenhausstation wird der Stationsempfang durch das eintretende Ereignis
„Patient trifft ein“ ausgelöst. Nachdem der Teilprozess „Stationsempfang“ durchlaufen
wurde, endet der Prozess „Patientenaufnahme“.
Abbildung 6.9 zeigt den privaten Teilprozess „Planen der Diagnostik“ mit der
Interaktion mit dem Patienten, welcher in diesem Modell durch einen Black Box-Pool dar-
gestellt ist. Der private Prozess zeigt alle Aufgaben (abgerundete Rechtecke), die in diesem
Prozess enthalten sind, unabhängig davon, ob die Aufgabe mit Partnern kommuniziert
oder nicht. Die Kommunikation zwischen Partnern wird mit Nachrichtenfluss-Relationen
108
Abb. 6.9 Der private Teilprozess „Planen der Diagnostik“ als Geschäftsprozessdiagramm
109
110 M. Murzek et al.
Abb. 6.10 Der öffentliche Teilprozess „Planen der Diagnostik“ als Geschäftsprozessdiagramm
Aufgaben Rollen zuzuordnen, die für diese Aufgaben verantwortlich sind, diese durch-
führen oder dabei mitwirken.
Das in diesem Abschnitt beschriebene Best Practice-Beispiel zeigt zwei Verwendungs
möglichkeiten der BPMS-Modellierungsmethode: einmal „interaktionsorientiert“ mit
dem Fokus auf der Interaktion zwischen den Teilnehmenden und einmal „prozessorien-
tiert“ mit den Prozessen im Vordergrund. Damit werden noch einmal die zwei Vorteile
der BPMN 2.0-Einbettung in die BPMS-Modellierungsmethode illustriert. Einerseits wird
die erweiterte BPMS-Modellierungsmethode für die Abbildung von Kollaborationen und
Interaktionen verwendet. Andererseits erfolgt die Verwendung von BPMN 2.0 mit zusätz-
lichen Modelltypen für die Modellierung von Aufbauorganisation, IT-Systemen, Risiken
und Kontrollen, Dokumenten und Ressourcen.
Literatur
Rausch T, Kuehn H, Murzek M, Brennan T (2012) BPMN for Business Professionals: Making
BPMN 2.0 Fit for Full Business Use. In: Fischer L (Hrsg) BPMN 2.0 Handbook Second Edition,
Future Strategies, Lighthouse Point, S 189–202
Silver B (2009) BPMN Method and Style: A levels-based methodology for BPM process modeling
and improvement using BPMN 2.0. Cody-Cassidy Press, Aptos
Sinur J (2010) BPMN for Business Professionals: Burn Baby Burn. http://blogs.gartner.com/ji-
m_sinur/2010/08/30/bpmn-for-business-professionals-burn-baby-burn/. Zugegriffen: 13. Jan 2013
Swenson KD (2010) BPMN 2.0: no longer for Business Professionals. http://kswenson.wordpress.com/
2010/09/01/bpmn-2-0-no-longer-for-business-professionals/. Zugegriffen: 13. Jan 2013
Zivkovic S, Kühn H, Karagiannis D (2007) Facilitate Modelling using Method Integration – An
Approach using Mappings and Integration Rules. In: Österle H, Schelp J, Winter R (Hrsg)
Proceedings of the 15th European Conference on Information Systems (ECIS2007) – “Relevant
rigour – Rigorous relevance”, St. Gallen, S 2038–2050
Prozess-Compliance
7
Markus Schneider und Julia Auer
Zusammenfassung
Der Anspruch an eine Nachweiserbringung zur Einhaltung von Gesetzen oder Vorgaben
bzw. an einen detaillierten Einblick in die Prozessabläufe eines Unternehmens bean-
sprucht eine Vielzahl an Unternehmensressourcen. Da davon auszugehen ist, dass diese
Anforderungen in Zukunft tendenziell zunehmen werden, sollte sich jede Organisation
die Frage stellen, wie man mit diesen „Mehrleistungen“ umgeht. Dies betrifft sowohl die
einzelnen Unternehmensprozesse, die einen Erfüllungsgrad in Bezug auf Compliance-
Anforderungen nachweisen müssen, als auch den Compliance-Prozess an sich. In diesem
Kapitel wird der Compliance-Prozess näher betrachtet, d. h. es wird eine Vorgehensweise
zur Integration von Prozess- und Compliance-Organisation beschrieben, welche mit
neuen oder geänderten Anforderungen startet und mit der Lieferung der mit den
Stakeholdern abgestimmten Berichte endet. Die Zielsetzung ist, durch eine einheitliche
Herangehensweise die Aufwände, welche Organisationen bei der Nachweiserbringung
leisten müssen, zu minimieren und neue Anforderungen einfach in den Prozess-
Compliance-Ansatz integrieren zu können.
M. Schneider (*)
BOC Information Technologies Consulting AG, Operngasse 20b, 1040 Wien, Österreich
e-mail: markus.schneider@boc-group.com
J. Auer
BOC Unternehmensberatung GmbH, Rabensteig 2, 1010 Wien, Österreich
7.2 Vorgehensweise
Vor der Assessment-Durchführung sollten noch zwei weitere Punkte geklärt werden:
die Normierung der Bewertungen und die Sicherstellung der Bewertungsqualität. Die
Normierung der Bewertungen ist insbesondere dann wichtig, wenn man Assessment-
Ergebnisse über verschiedene Prozesse und Compliance-Anforderungen vergleichen und
aggregieren möchte (vgl. Abschn. 7.4). Vor allem bei dezentralen Assessment-Ansätzen
(Stichwort: Self-Assessments) ist die Sicherstellung der Bewertungsqualität wichtig.
Eine häufige Fehlerquelle ist an dieser Stelle ein zu großer Interpretationsspielraum in
Bezug auf die Bewertung von Compliance-Anforderungen, welcher durch entsprechende
Hilfestellungen eingeengt werden kann (vgl. Abschn. 7.5).
Der nächste Schritt betrifft dann die operative Durchführung der Assessments, wel-
che in der Regel durch sogenannte Scorings erfolgen. Für das Scoring kann bspw. ein
Bewertungsbereich von 0 bis 5 verwendet werden. Nach Abschluss der Assessments
ist die Datenbasis für das Reporting vorhanden und die Berichte für die einzelnen
Compliance-Stakeholder können, im Optimum weitestgehend automatisiert, erstellt
werden (vgl. Abschn. 7.6).
Compliance-Frameworks
ISO® 9000 COBIT COSO II
Managementprozesse (MP)
MP1: Strategischer
x
Entscheidungsprozess
MP2: Produktentwicklung x
MP3: Finanzmanagement x x
… x
Unternehmensprozesse
Kernprozesse (KP)
Unterstützungsprozesse (UP)
UP1: Personalmanagement x
UP2: IT-Management x
UP3: Organisationsentwicklung x x x
… x
Unternehmensprozesse
…
…
…
& Vertrieb
entwicklung
entwicklung
management
management
MP3: Finanz-
MP2: Produkt-
UP1: Personal-
KP2: Fertigung
KP1: Marketing
Prozess-Compliance
Kernprozesse (KP)
MP1: Strategischer
UP3: Organisations-
KP3: Leistungs- und
UP2: IT-Management
Schadenbearbeitung
Entscheidungsprozess
Managementprozesse (MP )
Control Objectives Dimensionen
Unterstützungsprozesse (UP )
x
x
Kundenorientierung
QM-System
x
x
Prozessorientierter Ansatz
x
x x
Qualitätspolitik Verantwortung
x
®
x x
x
x
x
x
ISO 9000
Infrastruktur v. Ressourcen
x
Kundenbezogene Prozesse Produkt-
x
x
Entwicklung realisierung
x
Manage IT-Investitionen
Plan and Organise
x x
Beurteile u. Manage IT-Risiken
x
x x
Manage Changes Acquire and
x
x x x x
Beschaffe IT-Ressourcen Implement
Schule und trainiere User Deliver and
COBIT
x x x
x x
Monitore und evaluiere IT-Performance Monitor and
x
x
Sorge für IT-Governance Evaluate
x
Tätigkeit Überwachungsorgan
Kontrollumfeld
x
x
Compliance -Frameworks
Organisationsstruktur
x
Betriebliche Ziele Risikobe-
x
x x
x
Generelle IT-Kontrollen Kontroll-
COSO II
x x x x
Anwendungskontrollen aktivitäten
x
x x
Aufbauprüfung
Überwachung
x
x x
x x
x
Funktionsprüfung
121
122 M. Schneider und J. Auer
Die Vereinheitlichung der Bewertungen stellt einen wichtigen Schritt dar, um die
Umsetzung der Compliance-Anforderungen effizienter zu gestalten. Nichtsdestotrotz
kann davon ausgegangen werden, dass die Einschätzung in der Bewertungsskala meis-
tens nicht interpretationsfrei ist. Zielsetzung bei der Sicherstellung der Scoring-Qualität
ist daher, den Interpretationsspielraum der Bewertungsnormierungen so eng wie mög-
lich zu halten. Die Ergebnisse der Bewertung sollen also unabhängig von der bewerten-
den Person und auf Basis desselben Assessments am Ende so ähnlich wie möglich bzw.
identisch sein. Dies kann durch entsprechende Hilfetexte erreicht werden.
Die Hilfetexte der Bewertungsskalen sollen inhaltlich die Bedeutung der einzelnen
Intervalle beschreiben. Dies kann vor allem in Tabellenkalkulationsprogrammen (z. B.
Microsoft® Excel®) oder wie im folgenden Beispiel im Prozessmanagement-Werkzeug
ADONIS® erstellt und gepflegt werden (vgl. Abb. 7.4).
Im Beispiel wird die Bewertungsskala des Kontroll- und Steuerungsziels
„Imageverlust“ beschrieben. Die Range gibt an, in welchem Bereich/mit welchem
Intervall bewertet werden soll bzw. wann ein gewisser Wert zum Tragen kommt. Die
Scoring-Skala dient zum Mapping der Ist-Werte zu den normierten Scores (0-1-2-3-4
oder 1-2-3-4-5). Das Scoring gibt an, mit wie vielen Punkten die einzelnen Intervalle
gezählt werden sollen. So würde die Einschätzung von „0 = belanglos“ mit 1 Punkt
gerechnet werden, weil dies die beste Bewertungsmöglichkeit darstellt. Darüber hinaus
können Hilfetexte um Informationen zur Quelle der Intervallbeschreibungen bzw. um
Notizen erweitert werden.
Im Bereich Prozess-Compliance helfen Heat Maps bei der Darstellung von aggregier-
ten Assessment-Ergebnissen pro Prozessbereich (vgl. Abb. 7.5). Sind einem Prozess
verschiedene Control Objectives zugewiesen und verwenden diese eine einheitliche
Bewertungsskala (vgl. auch Abschn. 7.4) reicht eine einfache Berechnung mit Hilfe des
arithmetischen Mittels aus, um einen aggregierten Assessment-Status zu ermitteln.
Dieser aggregierte Status wird in der Regel mit Hilfe einer Farbskala visualisiert (z. B.
wird ein Durchschnittswert zwischen 1 und 1,99 in Rot visualisiert, von 2 bis 2,99 wird
Gelb verwendet usw.). Es können aber auch Icons für die Repräsentation verwendet
werden.
7 Prozess-Compliance 125
ISO®
EFQM ® COBIT COSO II
14000
EFQM®
COSO II COBIT
ISO® 14000
EFQM® 5
Fertigung 3
von Prototypen
2
Soll-Wert
0
Wissen werden gemanagt
Pz werden systematisch
MA-Ressourcen werden
Messergebnisse aus
Leistungsindikatoren
MA werden belohnt,
geplant, verbessert
Informationen und
Finanzen werden
Control Objective
Kundensicht
verbessert
gemanagt
anerkannt
gestaltet
Soll-Wert 4 5 5 3 3 3 4 5
EFQM ®
COSO II COBIT
Produktentwicklung
Fertigung von Prototypen
ISO® 14000 Fertigung
Process Portfolios nutzen dasselbe Berichtstemplate wie die Process Passports mit dem
Unterschied, dass mehrere Prozesse zur besseren Vergleichbarkeit abgebildet werden
(vgl. Abb. 7.8).
7.7.1 Ausgangslage
Befähiger Ergebnisse
Mitarbeiter-
Mitarbeiter bezogene
Ergebnisse
Ergebnisse
Prozesse
Führung
Gesellschafts-
Ressourcen und bezogene
Partner Ergebnisse
Die Mustermann GmbH wählt in einem ersten Schritt aus ihrer Prozesslandkarte die
Prozesse aus, welche sie mit den EFQM®-Normen regelkonform gestalten bzw. einem
EFQM®-Assessment unterziehen will. Die festgelegten acht Unternehmensprozesse
(ausgewählte Management-, Kern- und Unterstützungsprozesse) sind mit einem dicken
Rahmen markiert worden (vgl. Abb. 7.10).
In einem nächsten Schritt bearbeitet die Mustermann GmbH ihre Prozess-Compliance-
Matrix. Sie betrachtet die EFQM®-Anforderungen, strukturiert sie mit entsprechenden
Control Objectives und ordnet sie der Prozess-Perspektive zu (vgl. Abb. 7.11).
UP1: IT
kontrolle
Prototypen
entwicklung
und Planung
management
KP1: Produkt-
UP2: Qualitäts-
KP4: Fertigung
Prozess-Compliance
KP3: Konzeption
MP2: Ressourcen-
Kernprozesse (KP)
Unterstützungsprozesse (UP)
F erarbeitet Vision/Mission
Führung (F)
x
F motiviert/unterstützt Mitarbeiter
x
x
x
P&S werden entwickelt, aktualisiert Politik und
P&S werden kommuniziert und eingeführt Strategie (P&S)
MA-Ressourcen werden geplant, verbessert
Mitarbeiter (MA)
MA werden belohnt, anerkannt
x
x
x
Finanzen werden gemanagt Ressourcen
x
x
x
Informations- u. Wissensmanagement und Partner
x
x
x
Pz werden systematisch gestaltet
x
Messergebnisse aus Kundensicht Kundenbezogene
x
Leistungsindikatoren Ergebnisse
x
Messergebnisse aus Mitarbeitersicht Mitarbeiter-
Compliance-Frameworks
x
Leistungsindikatoren bezogene Ergebnisse
Messergebnisse aus Sicht der Gesellschaft Gesellschafts-
Leistungsindikatoren bezogene Ergebnisse
Ergenisse der Schlüsselleistungen
Schlüsselergebnisse
x
Schlüsselleistungsindikatoren
131
132 M. Schneider und J. Auer
EFQM®-Hilfetext
Name: Prozesse werden systematisch gestaltet und gemanagt.
Wie die Organisation ihre Prozesse gestaltet, managt und verbessert, um ihre
Politik und Strategie zu unterstützen und ihre Kunden und andere
Beschreibung:
Interessensgruppen voll zufriedenzustellen und die Wertschöpfung für diese zu
steigern.
EFQM® 5
Produkt- 3
entwicklung
2
Soll-Wert
0
Pz werden systematisch
Wissensmanagement
F motiviert/unterstützt
entwickelt/aktualisiert
Messergebnisse aus
Informations- und
Control Objective
Finanzen werden
Mitarbeitersicht
P & S werden
Mitarbeiter
gemanagt
gestaltet
Produktentwicklung 3 2 3 3 2 3
Soll-Wert 4 4 5 3 4 3
Nachdem die ausgewählten Personen der Mustermann GmbH das Assessment ihrer acht
Unternehmensprozesse nach den EFQM®-Anforderungen vorgenommen haben, wurden
die Ergebnisse pro Unternehmensprozess in einem Process Passport zusammengefasst
(vgl. Abb. 7.13 für den Prozess „Produktentwicklung“). Dazu wurden die konsolidierten
Werte des Assessments mit den Soll-Werten pro Prozess verglichen.
Demnach wurde festgestellt, dass die Kontrollziele „Informations- und Wissensma
nagement“ sowie „Messergebnisse aus Mitarbeitersicht“ den Zielvorstellungen entsprechen.
Handlungsbedarf wurde vor allem bei den Kontrollzielen „P & S werden entwickelt/aktua-
lisiert“, „Finanzen werden gemanagt“ sowie „Pz werden systematisch gestaltet“ identifiziert.
7.8 Zusammenfassung
Das vorliegende Kapitel beschreibt, wie den steigenden Anforderungen in Bezug auf die
Nachweiserbringung zur Einhaltung von Gesetzen, Richtlinien oder anderen Vorgaben
mit einer methodischen Vorgehensweise begegnet werden kann. Diese Vorgehensweise
zur Umsetzung eines Prozess-Compliance-Ansatzes beschreibt die Tätigkeiten und
Ergebnisse, welche beim Setup, der Durchführung und der Kommunikation beachtet wer-
den müssen. Die Zielsetzung ist, durch eine einheitliche Herangehensweise die Aufwände,
welche Organisationen bei der Nachweiserbringung leisten müssen, zu minimieren und
neue Anforderungen einfach in den Prozess-Compliance-Ansatz integrieren zu können.
Literatur
Bakshi S (2004) Control Self-assessment for Information and Related Technology. Inf Syst Control J 1
CMMI Institute and Clearmodel (2013) Capability Maturity Model Integration (CMMI). http://cm
miinstitute.com/. Zugegriffen: 13. Jan 2013
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efault.aspx. Zugegriffen: 07. Jan 2013
Information Systems Audit and Control Association (ISACA) (2013) COBIT 4.1: Framework for
ITGovernance and Control. http://www.isaca.org/Knowledge-Center/COBIT/Pages/Overview.aspx.
Zugegriffen: 07. Jan 2013
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Meadows. http://www.risikomanagement-in-it-projekten.de/08Literatur/CObIT4_Deutsch.pdf.
Zugegriffen: 07. Jan 2013
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Dokumentation, OMG Document Number: formal/2008-06-01:4. http://www.omg.org/spec/BP
MM/1.0/PDF. Zugegriffen: 13. Jan 2013
Verlag PRO Sozial (2012) Qualitätsmanagement mit dem EFQM-Modell, Bonn. http://www.nonpr
ofit.de/artikel-lesen/artikel/efqm-kriterien/. Zugegriffen: 13. Jan 2013
Wagner K-W, Käfer R (2010) PQM Prozessorientiertes Qualitäts-Management: Leitfaden zur
Umsetzung der ISO 9001, 5. Aufl. Carl Hanser, München
Teil IV
Prozessoptimierung
Quantitative Analyse und Planung
von Prozessen 8
Harald Kühn und Franz Bayer
Zusammenfassung
Die quantitative Analyse von Prozessen ist ein wichtiges Hilfsmittel im Prozess
management, um qualitative Betrachtungen mittels Berechnungen und Simulationen
quantitativ zu ergänzen und zu plausibilisieren. Im vorliegenden Kapitel wird ein
Klassifikationsschema für Prozessanalysen basierend auf den Dimensionen „Zeitliche
Perspektive“, „Prozessstruktur“, „Analysetechnik“ und „Prozessumfeld“ eingeführt. Es
wird ein Phasenmodell für die quantitative Prozessanalyse vorgestellt, welches ausgehend
vom Ist-Zustand eines Prozesses Hilfestellung bietet, eine oder mehrere Soll-Alternativen
auszuarbeiten und diese quantitativ zu bewerten. Wichtige Betrachtungsobjekte in der
quantitativen Prozessanalyse werden anhand einer strukturellen Ebene (Analyseobjekte)
und einer inhaltlichen Ebene (quantitative Parameter) erläutert. Es wird eine Auswahl
wichtiger und in der Praxis eingesetzter Techniken der quantitativen Prozessanalyse vor-
gestellt. Diese reichen von statischen Verfahren der Prozessabfrage bis zu dynamischen
Verfahren, wie rechnerische Auswertung, Simulation und visuelle Animation.
Das vorliegende Kapitel beschreibt ein Verfahren zur quantitativen Analyse und
Planung von Prozessen und gibt einen Überblick zu häufig in diesem Kontext eingesetz-
ten Techniken. Dabei schränkt sich das Kapitel auf ausgewählte Techniken ein, die eine
das Prozessumfeld aus allen beteiligten Akteuren. Wird kein Prozesskontext betrachtet, so
erfolgt die Prozessauswertung ausschließlich auf Basis der im Prozessmodell repräsentierten
Informationen.
8.2.1 Zieldefinition
Beispiel
Eine Zieldefinition, wie „Wir müssen unsere Prozessdurchlaufzeiten um 20 % reduzie-
ren“, würde alle Prozesse eines Unternehmens betreffen und damit eine viel zu breite
Zieldefinition aufspannen. Vielmehr sollte die Zieldefinition für einen konkreten Pro-
zess mit einem sinnvoll eingegrenzten Prozessumfeld durchgeführt werden, wie etwa
„Wir müssen die Prozessdurchlaufzeit im Antragsprozess für Lebensversicherungen
um 20 % reduzieren“. In dieser Zielbeschreibung ist sowohl ein konkreter Prozess
benannt („Antragsprozess“) als auch das Prozessumfeld auf die Sparte „Lebensversi-
cherung“ eingeschränkt.
Weiterhin müssen die notwendigen Input-Parameter festgelegt werden, die zur Berechnung
der zu ermittelnden Ergebnisgrößen vorausgesetzt werden. Bei der Festlegung der Input-
Parameter sollte wie beim zu untersuchenden Problembereich ebenfalls auf die ökonomisch
sinnvolle Ermittelbarkeit geachtet werden. Überschreitet der erwartete Ermittlungsaufwand
für die quantitativen Input-Parameter die erwarteten Einsparungen der geplanten Prozess
verbesserung, so muss die Auswahl der Input-Parameter nochmals überdacht werden.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Zieldefinition ist die Festlegung der Referenz
werte für die zu ermittelnden Ergebnisgrößen. Referenzwerte erlauben für die Entschei
dungsunterstützung im Rahmen einer Szenario-Analyse Besser-Schlechter-Aussagen.
Referenzwerte können bspw. der heutige Ist-Zustand oder auch Benchmark-Werte ver-
gleichbarer Unternehmen oder Branchen sein.
8.2.2 Modellerstellung/-adaption
Im Idealfall kann man in der quantitativen Prozessanalyse bei der Modellerstellung auf
bereits bestehende Prozessmodelle und Modelle zur Beschreibung des Prozessumfelds,
wie Organigramme, Rollenmodelle o. ä., aufsetzen und diese um die noch notwendigen
quantitativen Input-Parameter ergänzen. Sollen aufgrund der Zielvorgaben verschiedene
Alternativen betrachtet werden, so ist in der Modellerstellung darauf zu achten, dass die
alternativen Vergleichswerte für die spätere Validierung ebenfalls in die Modelle aufge-
nommen werden.
Sollten keine oder unvollständige Prozessmodelle vorliegen, so sind in dieser Phase
die notwendigen Modelle zu erstellen bzw. zu ergänzen. An dieser Stelle wird nicht
näher auf die Modellerstellung eingegangen, sondern es wird auf die in diesem Buch
beschriebenen Prinzipien und Richtlinien zur Architektur und Modellierung von
Prozessmodellen aus den PMLC-Phasen Prozessstrategie und Prozessdokumentation
verwiesen (vgl. Kap. 3, 5 und 6).
Eine Modelladaption kann durch einen Feedbackschritt nach der Modellvalidierung
oder nach der Ergebnisinterpretation notwendig werden. Dabei sind ebenfalls die verein-
barten Prinzipien und Richtlinien einzuhalten.
8 Quantitative Analyse und Planung von Prozessen 141
8.2.3 Validierung
Die Validierung von Prozessmodellen hat das Ziel, eine qualitative Absicherung der
erstellten Modelle und der erhobenen quantitativen Informationen durchzuführen (vgl.
ebenso Kap. 5). Schließlich sollen keine unzutreffenden Entscheidungen auf Basis unzu-
reichender oder falscher Informationen getroffen werden.
Im vorgestellten Verfahren wird die Modellvalidierung auf Basis zweier Schritte
durchgeführt. Im ersten Schritt erfolgt eine formale Prüfung der Modellinhalte und
im zweiten Schritt eine Überprüfung, ob die Modellinhalte und Analyseergebnisse den
Werten aus der Realität standhalten (Realitätscheck).
Bei der formalen Prüfung kommen Mechanismen, wie Syntaxchecks, Kardinalitäts- und
Vollständigkeitsprüfungen zum Einsatz. Dabei wird im Sinne eines grammatikalischen
Tests geprüft, ob das erstellte Prozessmodell konform zur gewählten Modellierungssprache
ist. Es wird geprüft, ob vereinbarte Modellierungsrichtlinien, wie bspw. „Jeder Prozess
benötigt einen eindeutigen Start.“ oder „Nach einem Prozessende dürfen keine weiteren
Aktivitäten folgen.“ konsistent eingehalten werden und ob alle für die Prozessanalyse not-
wendigen Input-Parameter, wie Zeiten, Kosten, Übergangswahrscheinlichkeiten oder
Prozessmengen, vollständig eingetragen wurden.
Der Realitätscheck kann aufgrund von Workshops, Interviews oder gemeinsamen Reviews
stattfinden, bei dem sowohl die Prozessmodelle als auch die Auswertungsergebnisse auf
Plausibilität gegenüber dem in der realen Umgebung auftretenden Verhalten validiert wer-
den. Beispielsweise stellt man die Auswertung des Ist-Modells den realen Daten gegenüber
oder führt Auswertungen mit verschiedenen Varianten der Input-Parameter durch und
prüft, ob dies zu plausiblen und nachvollziehbaren Ergebnissen führt. Führt beides zu posi-
tiven Ergebnissen, kann man von einem qualitativ guten Prozessmodell ausgehen. Falls nein,
dann sind eine entsprechende Modelladaption und eine erneute Validierung durchzuführen.
8.2.4 Auswertung
Die quantitative Auswertung liefert die Resultate zu den in der Zieldefinition festgeleg-
ten Ergebnisgrößen. Hierfür können sowohl rechnerische als auch simulationsbasierte
Techniken zum Einsatz kommen (vgl. Abschn. 8.4).
Ein wichtiger Aspekt ist, ob das Prozessumfeld in der Prozessanalyse berücksich-
tigt werden soll. Einfache Auswertungsverfahren konzentrieren sich ausschließlich
auf den Prozess ohne dessen Umgebung. Beispielhafte Ergebnisse sind Durchlauf- und
Bearbeitungszeiten, Liege- und Transportzeiten, aber auch der erwartete Personalbedarf
aufgrund der in der Bearbeitungszeit gebundenen Mitarbeiterressourcen und der
Prozessmenge. Außerdem kann die Analyse bis auf die Ebene einzelner Prozesspfade
erfolgen, was die Betrachtung kritischer Pfade, wie „kürzester Pfad“ (im Sinne der
Durchlaufzeit), „wahrscheinlichster Pfad“ oder „bearbeitungsstärkster Pfad“, ermöglicht.
142 H. Kühn und F. Bayer
Wird zusätzlich das Prozessumfeld in die Auswertung mit einbezogen, können außer-
dem Ergebnisse mit Bezug zur Aufbauorganisation ermittelt werden. Beispielhaft sei hier
der Anteil von Personalkosten an den Prozessgesamtkosten, der Personalbedarf auf Basis
der im Prozess beteiligten Rollen oder auch das Verhalten eines Prozesses in verschiede-
nen aufbauorganisatorischen Varianten genannt.
8.2.5 Interpretation
Die abschließende Phase ist die Interpretation der Ergebnisse. Es werden dabei Entschei
dungsgrößen und diagnostische Größen unterschieden. Die in der Zieldefinition festge-
legten Ergebnisgrößen inklusive etwaiger Referenzwerte bilden die Entscheidungsgrößen.
Auf Basis der Entscheidungsgrößen können Aussagen getroffen werden, welche der
in einer Szenario-Analyse betrachteten Soll-Alternativen jeweils die besseren und die
schlechteren Alternativen sind. Typische Entscheidungsgrößen in der quantitativen
Prozessanalyse sind Durchlauf- und Bearbeitungszeiten eines Prozesses oder der für eine
vorgegebene Prozessmenge notwendige Personalbedarf.
Diagnostische Größen sind Erklärungsvariablen, warum sich ein Prozessmodell bzw.
die in einer Prozessanalyse betrachteten quantitativen Parameter auf eine bestimmte Art
und Weise verhalten. Sie dienen der Ursachenforschung. Häufig genutzte diagnostische
Größen sind bspw. Transport- und Wartezeiten, um die Durchlaufzeit eines Prozesses zu
erklären, oder auch die im Prozess gebundene Bearbeitungszeit, um Rückschlüsse auf die
resultierenden Ressourcenbedarfe ziehen zu können.
Die Interpretation der Ergebnisse folgt dem Grundsatz, dass nicht interpretierbare
Ergebnisse wertlos sind. Dies kann zu einer erneuten Modelladaption, Validierung und
Auswertung führen.
8.3.1 Analyseobjekte
Die Beschreibung der Analyseobjekte erfolgt anhand der vier Kernbereiche des BPMS-
Rahmenwerks (vgl. Abschn. 6.2). Abbildung 8.3 gibt einen Überblick zu wichtigen
Analyseobjekten dieser Kernbereiche. Die quantitative Analyse von Prozessen im engeren
Sinne konzentriert sich ausschließlich auf die Elemente des Prozessbereichs. Die quantita-
tive Analyse im weiteren Sinne schließt auch das Prozessumfeld mit ein, welches durch den
Produktbereich, den Organisationsbereich und den Bereich der Informationstechnologie
abgedeckt wird. Häufig beeinflussen die Elemente aus dem Prozessumfeld den Prozessablauf.
Beispielsweise können bestimmte Produkteigenschaften (Preis, Menge etc.) oder Eigen
schaften im Organisationsbereich (Skills, Kompetenzen etc.) zu unterschiedlichen Entschei
dungspfaden im Prozess führen.
Wichtige Analyseobjekte im Prozessbereich sind die Ereignisse, die den Start und das Ende
eines Prozesses determinieren. Aktivitäten beschreiben die atomaren Bearbeitungsschritte
innerhalb eines Prozesses und Entscheidungen beeinflussen die relevanten Prozesspfade
innerhalb einer Prozessinstanz. Wiederkehrende Prozesssequenzen werden zu Teilprozessen
zusammengefasst, die selbst wieder Gegenstand einer Prozessanalyse sein können.
nutzt
Organisations-
Aktivität
einheit
Teilprozess Lokation
unterstützt unterstützt unterstützt
u. schränkt u. schränkt u. schränkt
ein ein ein
… …
Informations-
technologie
nutzt nutzt
Infrastruktur-
IT-Service Anwendung Komponente Server …
element
Abb. 8.3 Analyseobjekte in der Auswertung von Geschäftsprozessen (nach Junginger et al. 2004)
144 H. Kühn und F. Bayer
Quantitative
Parameter
Sonstige
Zeiten Kosten Kapazitäten
Parameter
Ressourcen- Wahrschein-
Transportzeit Belastungen
kosten lichkeiten
Transaktions- Statistische
Durchlaufzeit Auslastungen
kosten Verteilungen
Unternehmens-
… … Häufigkeiten
arbeitszeit
… …
Abb. 8.4 Quantitative Parameter in der Prozessanalyse (nach Kühn und Karagiannis 2001)
dass nur diejenigen Parameter erhoben werden, die tatsächlich auch für die Prozessanalyse
benötigt werden. Dies ist umso wichtiger, je größer der Anteil an manuell zu erhebenden
Parametern ist, da sonst die Kosten eines Prozessanalyse-Projekts die durch die Analyse
einzusparenden Kosten erreichen oder sogar übertreffen können. Im Idealfall können die
notwendigen Parameter automatisiert ermittelt werden (vgl. ebenso Abschn. 9.3). Gängige
Parameterkategorien hierfür sind Zeiten, Kosten, Kapazitäten und auch Parameter, wel-
che Verfügbarkeiten und statistische Informationen beschreiben. Abbildung 8.4 gibt einen
Überblick über typische Parameter aus den Kernbereichen Prozess und Organisation.
Im Folgenden werden einige wichtige quantitative Parameter näher erläutert. Die
Durchlaufzeit eines Prozesses ist die Zeitdauer vom Start eines Prozesses bis zu des-
sen Beendigung. Durchlaufzeiten werden in der Prozessanalyse sowohl für konkrete
Prozesspfade betrachtet als auch als gewichteter Durchschnittswert über alle möglichen
Prozesspfade hinweg. Ein Beispiel wäre die Bearbeitung eines Kreditantrags, bei dem
bestimmte Entscheidungen und davon abhängige Prozesspfade in Abhängigkeit der
Kreditantragshöhe getroffen werden. Über die Vergabe eines Kleinkredits kann bspw.
direkt durch einen Banksachbearbeiter entschieden werden, ein Immobilienkredit durch
den Bereichsleiter für Immobilienfinanzierungen in einer Filiale und ein Großkredit für
ein Unternehmen durch den verantwortlichen Bereichsvorstand. Diese Prozesspfade
146 H. Kühn und F. Bayer
Eine statische Analyse kommt vorrangig zum Einsatz, wenn die Betrachtungsobjekte auf
einer strukturellen Ebene bereits beschrieben sind, aber noch keine quantitativen Parameter
hinzugefügt wurden oder (noch) nicht zur Verfügung stehen. Dadurch kann bereits in einer
frühen Phase der Prozesserhebung eine erste quantitative Analyse durchgeführt werden.
Bei der statischen Analyse handelt es sich um Abfragen auf Prozessmodelle (engl.
Queries), bei denen die Elemente und deren Abhängigkeiten sowohl innerhalb eines
Prozesses als auch in Verbindung mit dem Prozessumfeld betrachtet werden. Typische
Formen der statischen Analyse sind folgende:
In der dynamischen Analyse erfolgt eine Auswertung des Prozessflusses unter Berück
sichtigung der quantitativen Parameter. Im Folgenden werden einige dynamische
Techniken vorgestellt, die in der praktischen Anwendung zur Prozessanalyse Verbreitung
gefunden haben. Es wird sowohl auf die rechnerische Auswertung eingegangen als auch
auf Verfahren basierend auf Simulation. All diesen Techniken liegt zugrunde, dass
Entscheidungsalternativen im Prozessablauf als Übergangsbedingungen der Nachfolger
beziehung von Entscheidungsobjekten abgebildet werden. Die Übergangs bedingung
kann dabei unter Zuhilfenahme von Wahrscheinlichkeiten oder Variablen basierend auf
statistischen Verteilungen formuliert werden. Die genannten Techniken sind im Prozess
management-Werkzeug ADONIS® umgesetzt.
Es gibt eine Vielzahl weiterer Verfahren für dynamische Analysen, wie bspw. die
Monte-Carlo-Simulation, System Dynamics (Sterman 2000; Senge 2011) oder Petri-
Netze (Petri 1962; Reisig 2010). Aus Platzgründen werden diese Verfahren im vorliegen-
den Kapitel nicht weiter ausgeführt und stattdessen auf die relevante Literatur verwiesen.
8.4.2.1 Rechnerische Auswertung
Die rechnerische Auswertung berechnet das Ergebnis eines Prozesses. Es wird keine
Prozesssimulation durchgeführt (Junginger 1998; BOC 2012, Abschnitt 3.4 „Rechnerische
Auswertung“, S. 366 ff.). Bei jeder Entscheidung werden an den ausgehenden Nachfolger
beziehungen Wahrscheinlichkeiten hinterlegt (vgl. Abb. 8.5). Die Summe der einzelnen
Wahrscheinlichkeiten muss dabei eins ergeben. Ist keine Wahrscheinlichkeit angegeben,
so wird dieser Pfad immer ausgeführt (= 100 %). Es werden alle möglichen Pfade des
Prozessmodells analysiert und die Wahrscheinlichkeiten des jeweiligen Prozesspfads ermit-
telt. Dabei werden zwei Fälle unterschieden: (1) Prozessmodelle ohne Schleifen und (2)
Prozessmodelle mit Schleifen.
(8.1)
Die durchschnittliche Bearbeitungszeit pro Aktivität erhält man durch die Gewichtung
der Bearbeitungszeit (BZ) der Aktivität mit ihrer Häufigkeit.
Durchschnittliche BZAktivität = HäufigkeitAktivität × BZAktivität (8.2)
Zur Berechnung der durchschnittlichen Bearbeitungszeit des gesamten Prozesses bildet man
die Summe über alle mit ihrer Häufigkeit gewichteten Bearbeitungszeiten der Aktivitäten.
8 Quantitative Analyse und Planung von Prozessen 149
Durchschnittliche BZProzess = Durchschnittliche BZAktivität (8.3)
Alle Aktivitäten
Für den Prozess aus Abb. 8.5 ergeben sich anhand der vorgegebenen Bearbeitungszeiten
der Aktivitäten die in Tab. 8.1 angeführten durchschnittlichen Prozessbearbeitungszeiten.
Schleife 1 Schleife 2
Schleife 1 besitzt eine Besonderheit: Nicht alle Aktivitäten, die zur Schleife gehören,
werden vor dem Eintritt in die Schleife vollständig durchlaufen, d. h. die AktivitätUnterlagen
nachfordern wird vor dem Schleifeneintritt noch nicht ausgeführt. Um jedoch die Formel
der geometrischen Reihe anwenden zu können, müssen die einzelnen Terme jeweils voll-
ständig in die Reihe eingehen, d. h. alle Prozessschritte der Schleife beinhalten. Um dies
zu erreichen, wird beim ersten Term die „fehlende“ AktivitätUnterlagen nachfordern ergänzt.
8 Quantitative Analyse und Planung von Prozessen 151
Damit das Ergebnis aber korrekt bleibt, wird die Ergänzung auch gleich wieder neutrali-
siert, indem die ergänzte Aktivität subtrahiert wird und die Änderung dadurch insgesamt
null ist. Die nachstehende Formel zeigt Schleife 1 unter Anwendung der Formel der geo-
metrischen Reihe, wobei die Terme schrittweise zusammengefasst werden.
Schleife 1 = (AktivitätAntrag prüfen + AktivitätUnterlagen nachfordern − AktivitätUnterlagen nachfordern )
+ 0,1 × (AktivitätUnterlagen nachfordern + AktivitätAntrag prüfen
+ 0,1 × (AktivitätUnterlagen nachfordern + AktivitätAntrag prüfen
+ 0,1 × (. . .)))
Somit ergibt sich für die durchschnittlich in Schleife 1 gebundene Bearbeitungszeit eine
Dauer von 2 Min. 47 Sek.
8.4.2.2 Simulation
Stoßen rechnerische Verfahren an ihre Grenzen, so bieten bspw. simulationsba-
sierte Techniken (Rabe und Knothe 2010) alternative Auswertungsmöglichkeiten.
Das Grundprinzip dabei ist, das Prozessmodell hinreichend oft „durchzuspielen“ und
die Ergebnisse pro Prozesspfad zu protokolieren. Im Folgenden werden einige in der
Prozessanalyse-Praxis eingesetzte Simulationstechniken skizziert (Herbst et al. 1997;
Kühn und Karagiannis 2001; BOC 2012, Abschnitt 4 „Simulation“, S. 374 ff.). Sie basie-
ren alle auf diskreten, ereignisgesteuerten Simulationsverfahren.
Pfadanalyse
In der Pfadanalyse erfolgt eine reine Pfadbetrachtung eines Geschäftsprozesses, d. h. das
Prozessumfeld wird nicht berücksichtigt (BOC 2012, Abschnitt 4.2 „Pfadanalyse“, S. 386 ff.).
Ausgehend von einer vor der Pfadanalyse festgelegten Anzahl von Simulationsläufen
n wird das Prozessmodell n-mal von Anfang bis Ende durchgeführt. Die Anzahl der
Simulationsläufe gibt nicht an, wie oft der Prozess in der Realität durchgeführt, son-
dern nur wie oft der Prozess in der Simulation ausgeführt wird. Je höher die Anzahl der
Simulationsläufe, desto genauer werden die Simulationsergebnisse.
Bei der Durchführung werden an den festgelegten Stellen jeweils Zufallsgeneratoren
ausgeführt, die anhand einer vorgegebenen statistischen Verteilung Zufallszahlen erzeugen
und diese ihren assoziierten Variablen zuweisen. An den Entscheidungen im Prozessablauf
werden die Variablen in Form von Übergangsbedingungen abgefragt und steuern damit die
Ablaufpfade (vgl. Abb. 8.7). Werden in einer Übergangsbedingung mehrere Variablen über
logische Operatoren wie UND, ODER und NICHT miteinander verknüpft, so können damit
auch komplexe Geschäftsregeln (engl. Business Rules) formuliert und ausgewertet werden.
Durch die Simulationsläufe wird nach und nach eine Pfadtabelle aufgebaut, in der
alle aufgetretenen Ablaufpfade inkl. ihrer jeweiligen Pfadwahrscheinlichkeit fest-
gehalten werden. Am Ende der Simulation können dann die ausgewerteten quan-
titativen Parameter (vgl. Abschn. 8.3.2) pro Prozesspfad betrachtet oder auch
8 Quantitative Analyse und Planung von Prozessen 153
Belastungsanalyse (Kapazitätsanalyse)
Die Belastungsanalyse ergänzt die Pfadanalyse um die Betrachtung des Prozessumfelds,
d. h. sie verknüpft sie mit den Elementen der Aufbauorganisation (BOC 2012, Abschnitt
4.3 „Belastungsanalyse“, S. 398 ff.). Die Verknüpfung erfolgt durch Zuweisung
von ausführenden Rollen, Stellen, Organisationseinheiten oder Ressourcen mittels
Zuweisungsregeln. Die Definition der Zuweisungsregeln erfolgt analog der Definition
von Übergangsbedingungen im Prozessablauf zur Steuerung des Prozessflusses.
Beispiel
Zur Illustration einer solchen Zuordnungsregel ein Beispiel aus dem Bankbereich:
In einem Kreditprozess wird die Kontrollaktivität von verschiedenen Bearbei-
tern in Abhängigkeit von der Kredithöhe durchgeführt. Bei einer Kredithöhe grö-
ßer 500.000 EUR erfolgt die Kontrolle durch den Leiter der Organisationseinheit
154 H. Kühn und F. Bayer
„Kreditabteilung“, bei einer Kredithöhe kleiner oder gleich 500.000 EUR von Bearbei-
tern der Rolle „Sachbearbeiter“. In ADONIS® würde eine solche Zuordnungsregel bei
einer Aktivität wie folgt formuliert werden:
Auslastungsanalyse (Leistungsanalyse)
Die Auslastungsanalyse verknüpft die Pfadanalyse ebenso wie die Belastungsanalyse mit
der Betrachtung des Prozessumfelds (BOC 2012, Abschnitt 4.4 „Auslastungsanalyse“,
S. 411 ff.). Im Gegensatz zur Belastungsanalyse geht die Auslastungsanalyse allerdings
von einem vorgegebenen Stand an Personal- und Sachressourcen aus. Die Verfügbarkeit
dieser Ressourcen wird über Kalender beschrieben. Ebenso über einen Kalender wird
das Auftrittsverhalten eines Prozesses beschrieben, d. h. in welchen Tagesabschnitten ein
Prozess mit welchen Ankunftsraten angestoßen wird (vgl. Abb. 8.8). Im Gegensatz zur
Pfad- und Belastungsanalyse simuliert die Auslastungsanalyse auf der Zeitachse und ist
somit eine zeitablaufbezogene Betrachtung.
Eines der Hauptergebnisse der Auslastungsanalyse ist die Ermittlung von dynami-
schen Wartezeiten im Prozessablauf. Die Personal- und Sachressourcen stehen nur
anhand ihrer definierten Menge und in der in den Kalendern spezifizierten Zeit zur
Verfügung. Wird aufgrund der Prozesskalender eine Arbeitslast erzeugt (Menge von
Aktivitäten), die durch die vorgegebenen Ressourcen nicht zeitgerecht abgearbeitet wer-
den kann, so entstehen bei den Aktivitäten überhöhte Wartezeiten, die sich wiederum in
einer verlängerten Durchlaufzeit des Prozesses niederschlagen.
Die Auslastungsanalyse unterstützt bei der Beantwortung der Frage „Welche Prozess
menge kann eine Organisation mit gegebener Ressourcenzahl unter Einhaltung eines vor-
gegebenen Service-Level bearbeiten?“ bzw. „An welchen Stellen in einer Organisation treten
Engpässe auf, die sich in unnötig langen Warte- und Prozessdurchlaufzeiten niederschla-
gen?“. Die Stellen mit überhöhter Auslastung sind anschließend die Anknüpfungspunkte,
um durch Verbesserungen zu einer adäquaten Auslastung und damit zu verbesserten
Prozessdurchlaufzeiten zu kommen.
8.4.2.3 Animation
Die quantitative Prozessanalyse kann um Mittel der Animation ergänzt werden, um
zusätzlich auch eine visuelle Analyse zu unterstützen. Es werden dabei zwei Arten der
Animation unterschieden.
Bei der geschlossenen Animation werden während der Auswertung kein Benutzereingriff
und keine Veränderung der zugrunde liegenden quantitativen Parameter vorgenommen.
Die Animation visualisiert den Ergebnisverlauf oder das Verhalten eines Prozesses oder
auch des Prozessumfelds während der Durchführung einer Auswertung. In Abb. 8.9 (links)
sieht man bspw. die Entwicklung der Prozessdurchlaufzeit während eines Simulationslaufs.
Man kann im Bild deutlich erkennen, dass die Durchlaufzeit zu Beginn der Simulation
stark oszilliert und sich dann mit steigender Anzahl von Simulationsläufen sukzessive
dem erwarteten Wert annähert („einschwingt“). Dies kann u. a. dazu genutzt werden,
um zu identifizieren, wie viele Simulationsläufe benötigt werden, um zu einer validen
Ergebnisaussage zu kommen.
Auf der rechten Seite in Abb. 8.9 sieht man ein Beispiel zur Animation von Stellen
in einer Organisation, denen Prozessaktivitäten zur Ausführung zugeteilt sind. Die
Schreibtische symbolisieren die Stellen, die kleinen Vierecke neben und auf den
Schreibtischen die Aktivitäten, die noch vor der Ausführung im Wartestapel der Stelle
liegen bzw. bereits von der Stelle bearbeitet werden.
Bei der interaktiven (offenen) Animation kann während der Auswertung vom Benutzer
Einfluss genommen werden. Dies reicht von einfachen Fällen, in denen der Benutzer aus
einer vorgegebenen Anzahl von Alternativen während der Animation eine auswählen
156 H. Kühn und F. Bayer
00:000:00:35:00
00:000:00:32:30
00:000:00:30:00
Abb. 8.9 Beispiele visueller Animationen: Durchlaufzeitentwicklung und Arbeitslast von Stellen
kann, bis hin zu Änderungen von Input-Parametern während der Auswertung, die dann
zu einer Veränderung im Ergebnisverlauf führen können und damit dem Benutzer hel-
fen, wichtige diagnostische Größen zu erkennen. Abbildung 8.10 zeigt ein Beispiel einer
interaktiven Prozessanimation, bei der ein konkreter Prozessverlauf durch schrittwei-
ses Markieren des Prozesspfads animiert wird. Bei Entscheidungsalternativen wird der
Benutzer gefragt, welche der möglichen Alternativen gewählt werden soll, um damit
Einfluss auf den Prozessablauf zu nehmen. Zusätzlich zum Bereich der Prozessanalyse
werden solche Prozessanimationen auch im Bereich des Prozesstrainings eingesetzt, um
Mitarbeiter auf bevorstehende Prozessänderungen vorzubereiten.
8 Quantitative Analyse und Planung von Prozessen 157
8.4.2.4 Hybride Analyse
In der hybriden Analyse werden Techniken der dynamischen und statischen Analyse
kombiniert eingesetzt. Das typische Vorgehen ist dabei der Einsatz der dynamischen
Analyse, um gewünschte quantitative Ergebnisgrößen zu ermitteln. Auf den Ergebnissen
der dynamischen Analyse werden dann mit zielgerichteten Abfragen der statischen
Analyse bestimmte Sachverhalte extrahiert.
Ein typisches Beispiel einer hybriden Analyse ist die Ermittlung von Durchlaufzeiten
und Personalauslastungen für eine Menge von Prozessalternativen auf Basis der
Prozesssimulation, aus denen dann anschließend mit Abfragen diejenigen ermittelt werden,
die die geringste Durchlaufzeit bei gleichzeitig geringstem Personalaufwand aufweisen.
Literatur
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Information Technologies Consulting AG, Wien
Herbst J, Junginger S, Kühn H (1997) Simulation in Financial Services with the Business Process
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Herbst J, Karagiannis D (2000) Integrating Machine Learning and Workflow Management to
Support Acquisition and Adaptation of Workflow Models. Intell Syst Account Finance Manag
9(2):67–92
Junginger S (1998) Quantitative Bewertung von Geschäftsprozeßmodellen: Eine Gegenüberstellung
von Rechnerischer Auswertung und Simulation. BPMS-Bericht, Abteilung Knowledge Engineering,
Universität Wien, Wien
Junginger S, Kühn H, Bayer F, Karagiannis D (2004) Workflow-based Business Monitoring. In:
Fischer L (Hrsg) Workflow Handbook 2004. Future Strategies, S 65–80
Kühn H, Karagiannis D (2001) Modellierung und Simulation von Geschäftsprozessen. WISU 30
(8–9/01):1161–1170
Petri C-A (1962) Kommunikation mit Automaten. Dissertation, Institut für instrumentelle
Mathematik, Universität Bonn, Bonn
Rabe M, Knothe T (2010) Geschäftsprozess-Simulation. In: Jochem R, Mertins K, Knothe T (Hrsg)
Prozessmanagement, Symposion, Düsseldorf, S 473–490
Reisig W (2010) Petrinetze: Modellierungstechnik, Analysemethoden, Fallstudien. Vieweg + Teubner,
Berlin
Senge P-M (2011) Die fünfte Disziplin, 11. Aufl. Schäffer-Poeschel, Stuttgart
Sterman J-D (2000) Business Dynamics: Systems Thinking and Modeling for a Complex World.
McGraw-Hill Higher Education, Kingsport
van der Aalst W-M-P (2011) Process Mining: Discovery, Conformance and Enhancement of
Business Processes. Springer, Berlin
Prozessbasierte
Personalbedarfsermittlung 9
Marcus Landgraf und Manfred Lenhardt
Zusammenfassung
Die Personalbedarfsermittlung als Grundlage für alle Planungs- und Umsetzungsschritte
im Rahmen des betrieblichen Personalmanagements ist der Ausgangspunkt für die
Verfügbarkeit der Ressource „Mitarbeiter“ im notwendigen Umfang und in der ent-
sprechenden Qualifikation in den Arbeitsprozessen einer Organisation. Im vorlie-
genden Kapitel werden ausgehend von einem Grundmodell erweiterte Parameter der
Aufbau- und Ablauforganisation betrachtet. Mithilfe dieser Parameter wird Schritt für
Schritt eine prozessbasierte Personalbedarfsermittlung etabliert. Auf Basis der entwi-
ckelten Berechnungsmodelle werden neben funktionalen und prozessualen Auswer
tungsmöglichkeiten die Ermittlung und Gestaltung der verschiedenen Modellparameter
erläutert. Ausgewählte Fragestellungen, die im Rahmen einer Personalbedarfsermittlung
behandelt werden müssen, bilden den Abschluss dieses Kapitels.
9.1 Einleitung
9.1.1 Überblick
M. Landgraf (*)
BOC Information Systems GmbH, Operngasse 20b, 1040 Wien, Österreich
e-mail: marcus.landgraf@boc-eu.com
M. Lenhardt
BOC Information Technologies Consulting GmbH, Voßstraße 22, 10117 Berlin, Deutschland
abgestellt. Daraus resultiert, dass die ermittelten Ergebnisse immer einen strikten Bezug
zu den Prozessen der Organisation besitzen.
Im Kontext des Prozessmanagements ist die P-PBE ein weiterführendes Thema, das
entsprechend fortgeschrittenes Wissen über das Managen von Prozessen bedingt. Das
aktuelle Kapitel befasst sich mit grundsätzlichen Fragestellungen, die im Kontext einer
P-PBE durch eine Organisation betrachtet werden müssen.
Für die erstmalige Durchführung einer P-PBE in einer Organisation bietet dieses
Kapitel Hilfestellung bei der Projektvorbereitung. Für Organisationen, in welchen eine
Personalbedarfsermittlung bereits etabliert ist, kann das Kapitel als Grundlage für eine
Reflektion der bestehenden Ablauf- und Aufbauorganisation zur Durchführung einer
Personalbedarfsermittlung genutzt werden.
Eingeleitet wird das Kapitel durch die Motivation für den Einsatz und Umsetzung
einer P-PBE (vgl. Abschn. 9.1.2). Ergänzt wird die Einleitung durch Abgrenzungen
und Definitionen zur P-PBE (vgl. Abschn. 9.1.3). Auf Ergebnisarten sowie auf die
notwendigen Parameter für die Berechnung der Personalbedarfe wird in den
anschließenden Abschnitten eingegangen (vgl. Abschn. 9.2 und 9.3). Im Anschluss
wird die Erhebung der Berechnungsparameter näher erläutert (vgl. Abschn. 9.4). Die
Betrachtung von Fragestellungen, welche bei der Umsetzung einer P-PBE berück-
sichtigt werden müssen, bildet den Schwerpunkt des abschließenden Abschnitts
(vgl. Abschn. 9.5).
In einem globalen, vor allem auf Kosten basierenden wirtschaftlichen Wettbewerb ist
der kosteneffiziente Einsatz der Produktionsfaktoren ein wesentlicher Erfolgsfaktor.
Der Faktor „Personal“ als einer der kostenintensivsten Produktionsfaktoren ist dabei
von besonderer Bedeutung. Dabei ist nicht ausschließlich die reine Arbeitskapazität
von Interesse. Im Besonderen muss neben der Arbeitskapazität auch die entsprechende
Qualifikation, welche für die Erledigung der geplanten Arbeit notwendig ist, im entspre-
chenden Umfang zur Verfügung stehen. Ein Stillstand der Personalkapazitäten muss im
Rahmen einer kosteneffizienten Produktion und Dienstleistungserbringung möglichst
vermieden werden.
Das Konzept „Just in time“, welches auf einem kontinuierlichen prozessorientier-
ten Bearbeitungsverfahren mit möglichst geringem Stillstand der Produktionsfaktoren
und des Produktionsgegenstands abzielt, ist in der Industrie seit langer Zeit Praxis.
Dienstleistungsbereiche, in welchen just in time ebenfalls seit vielen Jahren als
Grundlage für die Personalbedarfsplanung zum Einsatz kommt, sind bspw. Callcenter
und der Konsumgütervertrieb in Form von großen (Super-)Märkten. Beobachtet wer-
den kann, dass just in time auch in hochqualifizierten Dienstleistungssektoren immer
häufiger zum Einsatz kommt (vgl. bspw. die Entwicklung der Arbeitsorganisation im
Finanzsektor oder in der Softwareentwicklung).
9 Prozessbasierte Personalbedarfsermittlung 161
Definition
Personalmanagement umfasst alle Aktivitäten, die in einer Organisation im Zusam
menhang mit der betriebswirtschaftlichen Planung und Umsetzung von personalrele-
vanten Fragestellungen auftreten.
Der Ermittlung des Personalbedarfs als Grundlage für alle weiteren Personalplanungs-
Phasen sowie der anschließenden operativen Umsetzung durch die verantwortlichen
Führungskräfte kommt eine Schlüsselfunktion im gesamten Personalmanagement zu.
Die eben vorgenommene Einordnung und Abgrenzung im Rahmen des Personalma
nagements führt uns zu weiteren Definitionen im Kontext der Personalbedarfsermittlung.
Definition
Unter einer Personalbedarfsermittlung wird die „Festlegung des Arbeitskräftepotenzials
[verstanden], das ein Unternehmen momentan bzw. zu einem zukünftigen Zeitpunkt in
quantitativer und qualitativer Hinsicht benötigt, um die geplanten Aktivitäten durch-
führen zu können“ (Gabler Verlag 2013a).
Definition
Unter einem Prozess (synonym: Geschäftsprozess) wird eine Abfolge von Aktivitäten
verstanden, die von Akteuren durchgeführt und zur Erstellung eines definierten
162 M. Landgraf und M. Lenhardt
Definition
Die prozessbasierte Personalbedarfsermittlung umfasst die Festlegung des Arbeits
kräftepotenzials, welches zur Erstellung eines definierten Ergebnisses als Abfolge
geplanter Aktivitäten in einem Prozess unter Zuhilfenahme quantitativer und qualitati-
ver Ressourcen benötigt wird.
Wie bereits zu Beginn dieses Kapitels ausgeführt, steht der (vollständige) Prozess im
Mittelpunkt der Personalbedarfsermittlung. Daraus resultiert, dass alle Parameter, wie
bspw. Mengen oder Zeiten, welche in die Berechnung des Personalbedarfs einbezogen
werden sollen, auf Basis eines Prozesses erhoben werden müssen. Die Konsequenz für
die größtmögliche Granularität von Ergebnissen in der P-PBE ist, dass diese immer den
Personalbedarf eines einzelnen Prozesses reflektieren.
Andere Formen der Personalbedarfsermittlung, bspw. eine aktivitäts- oder produkt-
basierte, erzwingen die Ermittlung der Berechnungsparameter auf entsprechend unter-
schiedlichen Basen. Die Ergebnisse können als größtmögliche Granularität immer nur
die gewählte Grundbasis reflektieren.
Beispiel
Im Fall eines Callcenters kann ein Auslöser bspw. die Entgegennahme eines Telefon-
anrufs durch einen Agenten sein. Im Zusammenhang mit der Entwicklung von Soft-
ware stellt bspw. die Anforderung eines Hotfixes einen Prozessauslöser dar. Mit einem
Hotfix wird üblicherweise die Behebung eines technischen Fehlers bezeichnet, der die
laufende Produktion gefährdet. Fast immer müssen diese Fehlerklassen just in time
einer Lösung zugeführt werden.
Beispiel
Im Fall des Callcenters wäre dies der Zeitpunkt des Auflegens oder des Gesprächsen-
des, ggf. inkl. der notwendigen Dokumentationsarbeiten durch den Agenten. Im Fall
des Hotfixes können die technische Verfügbarkeit, der erfolgreiche Test oder sogar der
produktive Rollout des Hotfixes mögliche Endzeitpunkte darstellen.
Wir sprechen im Kontext der P-PBE daher auch von der Netto-Bearbeitungszeit (net-
toBZ) eines Prozesses.
Die bisherigen Erläuterungen führen zu einer Präzisierung des ursprünglichen
Grundmodells, in welchem eine Jahres-Gesamtarbeitszeit (JGAZ) berechnet wird:
Jahres-Gesamtarbeitszeit = Prozessmenge × Netto-Bearbeitungszeit
oder
JGAZ = PM × nettoBZ (9.2)
Das hier vorgestellte Grundmodell kann in zunehmend komplexer werdenden
Organisationen nur für einen begrenzten, lokalen Prozess Gültigkeit besitzen. Im
Kontext der Jahres-Gesamtarbeitszeit ergibt sich u. a. die Frage: Wie viele Arbeitstage
umfasst ein Arbeitsjahr? Beispielsweise müssen Unternehmen, die in Deutschland bun-
desweit agieren mit einer Schwankungsbreite von mehreren Arbeitstagen umgehen, die
sich aufgrund regional unterschiedlicher Feiertage ergibt.
Bei der Durchführung einer P-PBE muss das Grundmodell auf die jeweiligen organisa-
torischen Gegebenheiten angepasst werden. Dies führt im hier betrachteten Kontext zu ver-
schiedenen Erweiterungen des Grundmodells, die Gegenstand des folgenden Abschnitts sind.
In der Realität stößt das Grundmodell sehr rasch an seine Grenzen, um die komplexen
Fragestellungen einer P-PBE adäquat zu unterstützen. Im Folgenden werden grund-
legende Modellparameter vorgestellt, die helfen, die Komplexität der Realität für die
P-PBE im Berechnungsmodell beherrschbar zu machen.
Die folgenden Modellparameter werden vorgestellt und das Grundmodell anschlie-
ßend um den jeweiligen Parameter erweitert:
Zu beachten ist, dass die Liste der möglichen Modellparameter nicht abschließend ist.
Vielmehr muss für jede Organisation entschieden werden, welche und in welcher Form
relevante Modellparameter berücksichtigt werden sollen (vgl. ebenso Abschn. 8.3.2).
Eine Organisation ist im prozessualen Kontext niemals eindimensional. In der
Realität besteht eine Organisation immer aus einer Vielzahl an operativen Prozessen,
die in der P-PBE berücksichtigt werden müssen. Diese prozessuale Mehrdimensionalität
kann durch die Erweiterung des Grundmodells berücksichtigt werden:
n
JGAZ = (PMi × nettoBZi ) (9.3)
i=1
9 Prozessbasierte Personalbedarfsermittlung 165
Es ist selbstredend, dass mit einer steigenden Anzahl von Prozessen das Rechenverfahren
langwieriger wird. Problematisch ist allerdings weniger die Dauer des Rechenverfahrens,
als die Vielzahl an validen Prozessmengen, die von der Organisation erhoben und
zur Verfügung gestellt werden müssen. Fragestellungen, die sich im Rahmen der
Datenerhebung zu den einzelnen Parametern ergeben, werden in Abschn. 9.4 behandelt.
Die Anzahl der notwendigen Mengenwerte ist ein weiterer Grund für die Empfehlung
einer P-PBE. Würde die Personalbedarfsermittlung auf der Ebene von Aktivitäten eines
Prozesses erfolgen, wäre der Umfang an notwendigen, validen Mengenwerten noch ein-
mal um ein Vielfaches größer als auf der Prozessebene.
Ein weiteres Thema im operativen Tagesgeschäft ist der Umstand, dass Prozesse
nicht immer von der gleichen Person durchgeführt werden. Es handelt sich immer um
Individuen, die mit unterschiedlichen Attributen, bspw. in Bezug auf Qualifikation,
Erfahrung oder Bearbeitungsgeschwindigkeit, ausgestattet sind. Erschwerend kommt
hinzu, dass auch das einzelne Individuum kein konstantes Verhalten in Bezug auf die ange-
führten Attribute aufweist. In Abhängigkeit der jeweiligen Tageszeit, der aktuellen beruf-
lichen und außerberuflichen sowie individuellen Stresssituation(en) und vielen weiteren
möglichen Einflussgrößen mehr wirken diese Attribute laufend auf die individuelle Netto-
Bearbeitungszeit pro Prozessdurchlauf ein. Als Vereinfachung wird im weiteren Verlauf
nur mehr von der unterschiedlichen Qualifikation gesprochen. Der Begriff „Qualifikation“
subsumiert die verschiedenen, hier beispielhaft angeführten, Einflussgrößen.
Die Folge ist eine große Bandbreite der Netto-Bearbeitungszeiten, die im Rahmen der
Prozessbearbeitung auftreten und beobachtet werden können. Der damit entstehende
Komplexitätsgrad ist kein zielführendes Vorgehen bei der Abbildung der Realität mit
Hilfe eines Modells. Ein Modell wird bewusst zur Reduktion der realen Komplexität auf
ein gewolltes Minimum gewählt. Aufgrund der Komplexitätsreduktion können sehr effi-
zient Entscheidungspotenziale für mögliche reale Szenarien identifiziert und kommuni-
ziert werden.
Eine Lösung für dieses Problem ist der Einsatz von durchschnittlichen Bear
beitungszeiten (øBZ). Mit der durchschnittlichen Bearbeitungszeit können die unter-
schiedlichen Qualifikationen im Berechnungsmodell adäquat berücksichtigt werden.
Ein weiterer Parameter, der in unserem Berechnungsmodell berücksichtigt werden
soll, ist die Anzahl der unterschiedlichen Prozesspfade und die pro Pfad zugeordnete
Prozessmenge (PfM, für die Prozesspfadmenge), die über den jeweiligen Prozesspfad
„läuft“. Mit diesem Parameter kann dem Umstand Rechnung getragen werden, dass
neben der Qualifikation auch der jeweilige Prozesspfad wesentlichen Einfluss auf die
durchschnittliche Bearbeitungszeit nimmt.
Beispiel
Ein Antragsprozess tritt 1.000 Mal pro Monat auf, d. h. die Prozessmenge (PM) ist 1.000
pro Monat. Innerhalb des Prozesses gibt es zwei mögliche Pfade, d. h. die Anzahl der
unterschiedlichen Prozesspfade ist 2. Pfad 1 betrifft den Fall, dass der Antrag angenommen
166 M. Landgraf und M. Lenhardt
wird und hat eine Wahrscheinlichkeit von 80 %. Pfad 2 betrifft den Fall, dass der Antrag
abgelehnt wird und hat eine Wahrscheinlichkeit von 20 %. Damit ist die Prozesspfad-
menge (PfM) von Pfad 1 800 pro Monat und die PfM von Pfad 2 200 pro Monat.
Die Jahresarbeitszeit (JAZ), die als ein weiterer Parameter auf die Gestaltung des
Berechnungsmodells einwirkt, ermöglicht die Interpretation der rechnerisch ermittel-
ten Jahres-Gesamtarbeitszeit als Jahreskapazität. Nur aufgrund der Jahreskapazität kann
die beispielhafte Aussage „… 10,5 Personalkapazitäten pro Jahr werden benötigt …“
getroffen werden. Die Definition der Jahresarbeitszeit als zweistufiger Parameter ist im
Rahmen des gewählten Berechnungsmodells von großer Bedeutung.
Definition
Die Jahresarbeitszeit ist jene Zeitsp§anne, die eine Personalkapazität in Vollzeit durch-
schnittlich pro Kalenderjahr einer Organisation produktiv zur Verfügung stehen kann.
Die maximale Jahresarbeitszeit wird begrenzt durch die Unternehmensarbeitszeit.
Auf eine formale Darstellung (Formel) der Jahresarbeitszeit wird an dieser Stelle verzich-
tet. In der Realität wird der konkrete Wert der Jahresarbeitszeit durch die Organisation
festgelegt und nivelliert damit mögliche Ausprägungen der Jahresarbeitszeit, die sich auf-
grund unterschiedlicher Dienstverträge ergeben können. Die Jahresarbeitszeit ist in der
Personalbedarfsermittlung eine Rechengröße, die in den Phasen Personalbeschaffung
und Personaleinsatz auf die realen Gegebenheiten, den individuellen Dienstvertrag,
Rücksicht nehmen muss.
Definition
Die Unternehmensarbeitszeit ist jener zeitliche Umfang von max. einem Kalenderjahr,
den eine Organisation gewillt ist, Produkte herzustellen und Dienstleistungen zur
Verfügung zu stellen.
auf Jahresbasis ermittelt. Dies erleichtert die Ergebnisinterpretation und die weiterführende
Nutzung der Personalbedarfsermittlungs-Ergebnisse, bspw. als Grundlage für die weiteren
Phasen in der Personalplanung.
Wir erweitern das Berechnungsmodell und stellen den Fokus von einer Jahres-
Gesamtarbeitszeit auf eine berechnete Kapazität auf Basis der gewollten Unternehmensar
beitszeit um und berechnen mithilfe der folgenden Formel die Jahres-Unternehmenskapazität
(JUKAP).
n m
PfMij × øBZij
JGAZ i=1 j=1
(9.5)
JUKAP = oder JUKAP =
UAZ UAZ
Damit definiert sich das (vorläufig) finale, erweiterte Berechnungsmodell für die hier
vorgestellte P-PBE als Gesamt-Jahres-Personalbedarfskapazität (Gesamt-JPBKAP), die
9 Prozessbasierte Personalbedarfsermittlung 169
Beispiel
In Tab. 9.2 wird die Beratung eines Bauspardarlehens (vgl. „1.2.1.2 GP Bauspardarle-
hen beraten“) 823 Mal pro Jahr durchgeführt. Die durchschnittliche Beratungsdauer
von ca. 3,5 Stunden (215,41 min/60 min) führt zu einem Arbeitsaufwand von ca. 369
Arbeitstagen bei 8 Arbeitsstunden pro Tag (177.282 min/(8 × 60 min)). Unter der
Annahme, dass die durchschnittliche Nettoarbeitszeit eines Bankmitarbeiters pro Jahr
193,30 Tagen entspricht, ergibt sich sodann ein Personalbedarf von ca. 1,91 Mitarbei-
terkapazitäten pro Jahr (369 Jahresarbeitsaufwand in Tagen/193,30 Nettoarbeitstage
pro Jahr).
Die hierarchische Aggregation der Ergebnisse beginnt auf der Ebene von Einzelprozessen
(bottom-up) und steht für die Ergebnisanalyse sowohl top-down als auch bottom-up
zur Verfügung. Die prozessbasierte Ergebnisdarstellung inklusive der Prozessmengen
9 Prozessbasierte Personalbedarfsermittlung 171
Neben den Ergebnissen für die Ablauforganisation ist die Sicht auf die Aufbau
organisation von besonderem Interesse. Funktionale Ergebnisse repräsentieren die
erwarteten Kapazitäten einer dezidierten Qualifikation. Die Bedarfe zu den verschie-
denen Qualifikationen sind eine grundlegende Eingangsgröße für die nachfolgen-
den Phasen in der Personalplanung. In diesen Phasen stehen die Beschaffung, die
Entwicklung sowie der operative Einsatz von entsprechend qualifiziertem Personal im
notwendigen Umfang im Mittelpunkt. In der Freisetzungsphase ist darauf zu achten,
dass benötigte Qualifikationen ggf. länger in der Organisation verbleiben.
Um funktionale Ergebnisse in der P-PBE nutzen zu können, muss im Berech
nungsmodell ein Parameter für die Verteilung der Prozessmenge auf die möglichen pro-
zessbearbeitenden Qualifikationen berücksichtigt werden. Wird dieser Parameter im
Berechnungsmodell nicht berücksichtigt, dann kann die funktionale Ergebnisdarstellung
nur für jene Prozesse eingesetzt werden, in welchen eine 1:1-Beziehung zwischen
Prozess und Qualifikation gegeben ist. Auf die Ergebnisdarstellung dieser einfachen
Konstellation wird bewusst verzichtet.
In der Realität sind meistens komplexere Varianten im Zusammenwirken von
Prozessen und Qualifikationen anzutreffen. Diese komplexeren Varianten entsprechen
einer der folgenden Konstellationen:
Beispiel
Tabelle 9.3 zeigt eine reale Ergebnisausprägung. In dem angeführten Beispiel werden
von der Qualifikation „1.2.1.2 Bearbeitung Immobilien“ 3,25 Mitarbeiterkapazitäten
pro Jahr benötigt. Eine Aussage über den Arbeitsinhalt dieser Qualifikation ist in der
gewählten Ergebnisrepräsentation nicht möglich, auch nicht gewollt.
Gut erkennbar ist, dass sowohl eine Aggregation als auch ein Drill down der Personalbedarfe
über die verschiedenen Organisationsebenen, bspw. Qualifikation, Gruppe, Team, Abtei
lung, Bereich etc., möglich ist. Auf diese Art und Weise können Grundlagen wieder für alle
Entscheidungsebenen (strategisch, taktisch und operativ) zur Verfügung gestellt werden.
Ein wichtiges Kriterium für die Qualität des Berechnungsverfahrens ist, dass egal aus
welchem Blickwinkel die Ergebnisse der P-PBE betrachtet werden, funktional oder pro-
zessbasiert, das Gesamtergebnis immer identisch sein muss. In dem hier vorgestellten
Beispiel ist das jeweils eine Jahres-Personalbedarfskapazität (JPBKAP) von 16,02.
Bereits erwähnt wurde, dass die bisher vorgestellten Ergebnisrepräsentationen unter-
schiedliche Vor- und Nachteile aufweisen. Die Vorstellung einer Mischform für die
Ergebnisrepräsentation vereint die jeweiligen Vorteile.
In Tab. 9.4 findet sich eine beispielhafte Darstellung für eine reale Ergebnis
ausprägung zur P-PBE als Mischform. Wie bereits in Abschn. 9.3.2 ausgeführt, finden
wir in der Realität meistens komplexe Kombinationen von Prozessen und den durch-
führenden Qualifikationen. Um die Ergebnisse entsprechend der hier vorgestellten
Mischform repräsentieren zu können, muss das zugrunde liegende Berechnungsmodell
speziellen Anforderungen genügen.
• Ablauforganisation (Prozesse),
• Verteilung der Qualifikation sowie
• Aufbauorganisation.
Die Bereiche Ablauf- und Aufbauorganisation beinhalten Informationen und Daten, die
bereits bei der Entwicklung von Berechnungsmodellen in Abschn. 9.2.2 erläutert wurden.
Der Bereich „Verteilung der Qualifikation“ führt zur Etablierung eines weiteren
Parameters für das zugrunde liegende Berechnungsmodell. Dieser Parameter wird als
„Qualifikationsverteilung pro Prozess“ (QVP) bezeichnet. Wie aus Tab. 9.4 ersichtlich
ist, ist der QVP ein Faktor, der die ermittelten Prozesskapazitäten auf die vorhandenen
Qualifikationen verteilt.
Die errechnete Jahres-Personalbedarfskapazität (JPBKAP) von 2,19 für den Prozess
„1.2.1.1 GP Immobilienkauf beraten“ verteilt sich mit 1,64 Vollzeitkapazitäten auf
die Qualifikation „1.2.1.1 Sachbearbeitung Immobilien“ bei einem QVP von 75 %.
Die verbleibenden 0,55 Vollzeitkapazitäten werden aufgrund des QVP von 25 % der
Qualifikation „1.2.1.2 Bearbeitung Immobilien“ zugerechnet.
Da die in der P-PBE zugrunde gelegte Prozessmenge (Arbeitsmenge pro Jahr) inner-
halb der Unternehmensarbeitszeit (Arbeitsjahr) vollständig abgearbeitet werden muss,
ergeben sich für das Berechnungsmodell zwei Qualitätsparameter, mit deren Hilfe die
rechnerische Validität des ermittelten Ergebnisses sehr einfach überprüft werden kann:
• Für den Parameter QVP gilt, dass die Summe aller QVP zu einem Prozess gleich
100 % sein muss.
• Die ermittelte Jahres-Personalbedarfskapazität (JPBKAP) aus dem Blickwinkel der
Prozesssicht (Ablauforganisation) muss ident sein mit dem Ergebnis aus Sicht der
Qualifikationen (Aufbauorganisation). In Tab. 9.4 entspricht dies einer Vollzeitkapazität
von 16,02.
16,02 4,21 1,99 2,21 11,81 9,61 6,36 3,25 2,20 1,27 0,93
3,25 3,25 1,07 2,18 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00
33 % 67 % 0% 0% 0% 0% 3,25 3,25 1,07 2,18 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00
… … … … … … … … … … … … … … … … …
9,20 0,96 0,92 0,04 8,24 6,04 3,68 2,36 2,20 1,27 0,93
5,84 0,55 0,55 0,00 5,29 5,29 3,38 1,91 0,00 0,00 0,00
0% 0 % 75 % 25 % 0% 0% 2,19 0,00 0,00 0,00 2,19 2,19 1,64 0,55 0,00 0,00 0,00
15 % 0 % 50 % 35 % 0% 0% 1,91 0,29 0,29 0,00 1,62 1,62 0,96 0,67 0,00 0,00 0,00
15 % 0 % 45 % 40 % 0% 0% 1,74 0,26 0,26 0,00 1,48 1,48 0,78 0,70 0,00 0,00 0,00
3,36 0,41 0,37 0,04 2,95 0,75 0,30 0,45 2,20 1,27 0,93
20 % 10 % 0% 0 % 20 % 50 % 0,37 0,11 0,07 0,04 0,26 0,00 0,00 0,00 0,26 0,07 0,19
10 % 0 % 10 % 15 % 40 % 25 % 2,99 0,30 0,30 0,00 2,69 0,75 0,30 0,45 1,94 1,20 0,75
… … … … … … … … … … … … … … … … …
3,57 0,00 0,00 0,00 3,57 3,57 2,68 0,89 0,00 0,00 0,00
… … … … … … … … … … … … … … … … …
• Die Untersuchung und Begleitung der Frage, ob die spezifische Ausprägung der
Generalisierung und Spezialisierung in einem einzelnen Prozess oder in der gesam-
ten Prozessarchitektur gewollt ist, kann untersucht und begleitet werden. Dieses
Einsatzszenario ist häufig von strategischer Bedeutung und nimmt Einfluss auf alle
Phasen der Personalplanung.
9.4.1 Geschäftsprozesse
Eine P-PBE ist ohne die Identifikation der Prozesse, für welche die Kapazitäten der
Personalbedarfe ermittelt werden sollen, nicht möglich (vgl. ebenso Abschn. 9.1.3).
Da die Prozesse bildlich betrachtet das Fundament der P-PBE darstellen, wird auf die
Erhebung dieses Parameters kurz eingegangen.
Grund für die knappe Erläuterung ist die Tatsache, dass den Themen der
Prozessidentifikation und Prozesserhebung eigenständige Kapitel im Rahmen des vorlie-
genden Buchs gewidmet sind (vgl. Abschn. 3.4, Kap. 5, 6 sowie Abschn. 11.4).
9 Prozessbasierte Personalbedarfsermittlung 177
9.4.2 Bearbeitungszeiten
Die Bearbeitungszeit ist einer von lediglich zwei Parametern, welcher ein zwingender
Bestandteil in Berechnungsmodellen für jede Art von Personalbedarfsermittlungen ist
(vgl. ebenso Abschn. 9.2.1).
Prinzipiell stehen die folgenden Verfahren zur Erhebung von Bearbeitungszeiten zur
Verfügung:
• Schätzungen,
• automatisierte Messungen,
• teilautomatisierte Messungen oder
• manuelle Messungen.
Aus Sicht der Autoren sind Schätzungen kein valides Verfahren, um eine aussagekräf-
tige P-PBE zu etablieren. Die P-PBE hat im Rahmen der gesamten Personalplanung
eine Schlüsselfunktion (vgl. ebenso Abschn. 9.1.3). Schätzungen als Basis einer
Schlüsselfunktion sind unbedingt zu vermeiden.
Messungen verbleiben als einzige Verfahren, welche valide Grundlagen für die
Ermittlung von durchschnittlichen Bearbeitungszeiten zur Verfügung stellen können.
Die Validität der erhobenen Messwerte steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem
eingesetzten Messverfahren.
Automatisierte Messungen basieren auf Zeitwerten, die vollautomatisiert von einem
technischen System erfasst wurden, bspw. durch ein Workflow-System. Eine gesonderte
Interaktion durch den Anwender ist nicht erforderlich. Im Rahmen der P-PBE wer-
den diese Daten maximal einer Analyse zur Eliminierung von technisch nicht korrek-
ten Messungen unterzogen, welche bspw. durch einen Systemabsturz oder technische
Verarbeitungsfehler, entstehen können. Nachteile hat dieses Messverfahren bei den fol-
genden Konstellationen:
• Sind die technischen Messpunkte nicht sauber im Vergleich zu den Prozessen der
Prozesslandkarte abgegrenzt, dann kann eine Zuordnung der einzelnen Messwerte zu
den relevanten Prozessen, und damit die Gestaltung einer validen durchschnittlichen
Bearbeitungszeit pro Prozess, schwierig werden.
178 M. Landgraf und M. Lenhardt
• Liegen die technischen Messpunkte zu „weit“ voneinander entfernt, dann können unter
Umständen gewollte Unterbrechungen nicht als solche erkannt werden. Bspw. ist beim
Start eines weiteren Prozesses die Messung des ursprünglichen Prozesses zu unterbre-
chen und erst wieder fortzusetzen, wenn die Bearbeitung wieder aufgenommen wird.
• Unterbrechungen der Bearbeitung durch äußere Einflüsse, vor allem durch persönli-
che Verteilzeiten (vgl. ebenso Abschn. 9.4.4), sind kaum erkennbar.
Den Nachteilen bei der automatisierten Messung kann über den Einsatz von teilautoma-
tisierten Messungen begegnet werden. Im Rahmen von teilautomatisierten Messungen
der durchschnittlichen Bearbeitungszeit startet und stoppt der Mitarbeiter die jeweilige
Messung selbstständig. Unterstützt wird der Mitarbeiter dabei durch eine „intelligente“
IT- bzw. datenbankgestützte Stoppuhr. Unter der hier gemeinten Intelligenz wird bspw.
verstanden,
• dass dem Mitarbeiter nur jene Prozesse zur Verfügung stehen, die er in der Realität
auch bearbeiten kann.
• dass Prozesse beliebig oft unterbrochen und zur weiteren Bearbeitung wieder gestartet
werden können.
• dass Bearbeitungszeiten von Prozessen, die vom Mitarbeiter nicht eindeutig als been-
det markiert wurden, nicht als gültige Messung interpretiert werden.
• dass durchschnittliche Bearbeitungszeiten pro Prozess, ggf. auch pro Qualifikation,
automatisch berechnet werden.
Ein wesentlicher Nachteil der teilautomatisierten Verfahren sind mögliche Fehler, deren
Ursache im Verhalten des Mitarbeiters liegt oder durch einen Dritten bereits im Vorfeld
der Messung hervorgerufen wurde. Beispiele hierfür sind eine falsche Auswahl des
Messprozesses durch den Mitarbeiter oder eine zu grob geschnittene Prozesslandkarte.
Das letzte Messverfahren, die manuelle Messung, unterscheidet sich von der teilauto-
matisierten Messung vor allem durch die unterstützenden Messinstrumente. Diese sind
eine Stoppuhr und „Papier“. Papier in dem hier gemeinten Kontext kann auch jede Art
von Datei sein, die für eine manuelle Aufzeichnung der Messdaten eingesetzt wird. Die
„intelligente“ Nutzung der unterstützenden Messinstrumente obliegt ausschließlich dem
Mitarbeiter. Die Nachteile dieses Systems sind evident:
Als Abschluss zu diesem Abschnitt wird angeführt, dass in der Realität die Festlegung
von durchschnittlichen Bearbeitungszeiten in sinnvoller Art und Weise nur mit Hilfe
von automatisierten oder teilautomatisierten Messungen erfolgen kann. Die Bildung von
durchschnittlichen Bearbeitungszeiten auf Basis einer manuellen Messung ist nur für
eine geringe Anzahl von Prozessen oder in einer Pilotphase zielführend.
9.4.3 Mengen
Auf den ersten Blick erscheint die Verfügbarkeit und Nutzung von Mengeninformationen
eine relativ triviale Aufgabe zu sein. Diese Trivialität verliert sich häufig bei einer genau-
eren Betrachtung der verfügbaren Quellen über Mengeninformationen. In den meis-
ten Fällen ist die eindeutige Zuordnungsmöglichkeit zwischen mengenspezifischen
Informationsquellen und den Prozessen in der P-PBE schwach ausgeprägt.
Am ehesten ist die eindeutige Beziehung zwischen mengenspezifischen Informations
quellen und den Prozessen beim Einsatz eines Workflow-Systems zu beobachten. Hier
wird die Anzahl der Startvorgänge pro Prozess protokolliert. Diese Protokolle können,
ggf. auch für mehrere Jahre, als Basis für die Bildung von prozessbasierten, durchschnitt-
lichen oder erwarteten Jahresmengen herangezogen werden.
Die eindeutige Korrelation zwischen mengenspezifischen Informationsquellen und
den Prozessen in der P-PBE ist auch bei entsprechenden IT-Anwendungen nicht immer
vollständig gegeben. Je geringer die fachliche und technische Beziehung zwischen den
eingesetzten IT-Systemen und den realen Prozessen ausgeprägt ist, umso geringer ist die
eindeutige Zuordenbarkeit von Mengen aus den Informationsquellen zu den Prozessen.
In den bisherigen Ausführungen wurden zwei Aspekte angesprochen, die bei der
Ermittlung von Mengen eine wesentliche Rolle spielen und näher betrachtet werden
müssen. Diese Aspekte sind die fachliche und die technische Prozesszuordnung von men-
genspezifischen Informationsquellen.
Fachliche Aspekte
Die erste Frage, die sich im Rahmen der P-PBE stellt, ist „Für welche Prozesse müssen
Mengen erhoben werden?“. Einen ersten Anhaltspunkt zur Klärung dieser Frage bietet
die Prozesslandkarte als maximale Ausprägung der fachlichen Prozesse. Prozesse, die
nicht Bestandteil der Prozesslandkarte sind, sind in der P-PBE nicht zu berücksichtigen.
Eine weitere Einschränkungsmöglichkeit der Prozesse, die für die P-PBE
von Bedeutung sind, kann die Gliederung der Prozesslandkarte, bspw. nach der
Kategorisierung von Kern-, Unterstützungs- und Managementprozessen, darstellen (vgl.
ebenso Abschn. 2.1.1). Zumindest die Kernprozesse sollten Bestandteil der P-PBE sein.
Ist die Frage nach den Prozessen geklärt, führt das konsequenterweise zur Frage
„Was soll gezählt werden?“. Klar ist, dass die Zählung von Prozessmengen in einem
eindeutigen Zusammenhang mit dem zu zählenden Prozess stehen muss. Der ein-
fachste Zählpunkt ist das Ende eines Prozesses. Hier bietet sich aufgrund der Definition
180 M. Landgraf und M. Lenhardt
eines Prozesses (vgl. ebenso Abschn. 9.1.3) mit Hilfe der Prozessergebnisse ein idea-
ler Zählpunkt an. Können Prozessergebnisse nicht eindeutig einem Prozess zugeordnet
werden, dann handelt es sich um eine Fragestellung der korrekten Verteilung auf die
Prozesse (vgl. hierzu die Ausführungen zu den technischen Aspekten). Ggf. kann das
Schneiden der Prozesslandkarte bspw. über die Definition eines Teilprozesses entspre-
chend überarbeitet werden.
In Prozessen, die mehr als nur ein Ergebnis zur Verfügung stellen können, erfolgt
die Zählung der verschiedenen Endergebnisse analog zu einem Einzelergebnis. In die-
sen Konstellationen muss allerdings auf die korrekte Berechnung der durchschnittli-
chen Bearbeitungszeit geachtet werden. Dieses Szenario kann über die Berücksichtigung
der Entscheidungen, an welchen über das abschließende Prozessergebnis entschieden
wird, abgebildet werden (vgl. hierzu auch den Parameter Prozesspfadmenge (PfM) im
Abschn. 9.2.2).
Ein weiterer Zählpunkt, der die Aussagekraft der P-PBE erhöhen kann, ist der
Prozessstart. Eine Zählung des Prozessstarts ist häufig durch einen oder mehrere
Auslöser möglich. Die Ausführungen zur Zählung von Prozessergebnissen gelten analog.
Sind die fachlichen Aspekte geklärt, können die technischen Aspekte zur Erhebung
von Mengeninformationen betrachtet werden.
Technische Aspekte
Typischerweise wird der Personalbedarf als jährliche Vollzeitkapazität auf Basis
der Jahresmenge eines Prozesses berechnet. Die Prozessmengen müssen daher als
Jahreswerte zur Verfügung stehen.
Eine grundsätzliche technische Zielsetzung muss es sein, dass die Mengen automa-
tisch aus IT-Systemen abgefragt oder berechnet werden können. Keine Organisation
kann es sich aus Kosten- und Zeitgründen leisten, eine laufende, manuelle Zählung über
einen längeren Zeitraum oder auf Dauer zu etablieren. Eine manuelle Zählung kann
maximal im Rahmen einer fachlichen Evaluierung von Mengeninformationen durchge-
führt werden.
Über die fachlichen Aspekte wurden die Zählpunkte „Prozessende“ und „Prozessstart“
zur Ermittlung von Prozessmengen identifiziert. Aus welchen IT-Systemen können aber in
massenverarbeitenden Organisationen entsprechende Prozessmengen abgefragt werden?
Für produzierende Organisationen ist dies (meistens) relativ einfach zu bewerkstel-
ligen. Über ERP- oder Lagerhaltungs-Systeme stehen sehr gute Informationen über die
ein- und ausgehenden Vor-, Teil- und Endprodukte zur Verfügung. Über den Input der
Vor- und Teilprodukte als Auslöser eines Prozesses sowie die Prozessergebnisse als Teil-
oder Endprodukte werden diese häufig hoch automatisiert bspw. per Barcode erfasst.
Für service- oder dienstleistungsorientierte Organisationen ist ein analoges Vorgehen
nur dann möglich, wenn ein workflowbasiertes IT-System eingesetzt wird. Ist dies
nicht der Fall, müssen im Rahmen der P-PBE Alternativen identifiziert werden, die
einen möglichst hohen Grad an automatisierten prozessualen Mengenermittlungen
gewährleisten.
9 Prozessbasierte Personalbedarfsermittlung 181
Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Allen Quellen ist gemein,
dass eine Ermittlung der Prozessmengen meist nur über verschiedene Transformations-
und Aggregationsschritte möglich ist.
Die Ausführungen zu den Mengenerhebungen werden mit einem Hinweis auf die
Messung der Bearbeitungszeiten als Quelle für Prozessmengen abgeschlossen. Dies ist
vor allem dann möglich, wenn flächendeckende Zeitmessungen über einen adäquaten
Zeitraum stattfinden.
9.4.4 Jahresarbeitszeit
Diffiziler wird es im Hinblick auf die Feiertage, die durchschnittlich pro Jahr anfallen.
Die beispielhaften Ausführungen im Kontext der Bankarbeitstage (vgl. Tab. 9.5) sind ein
Einflussfaktor, der zu berücksichtigen ist. Ein weiterer Faktor ist das „Wandern“ von Fei
ertagen im Ablauf eines Kalenderjahrs. Damit gemeint ist, dass nicht alle Feiertage jährlich auf
einen Arbeitstag fallen, sondern im Ablauf der Jahre auch auf Wochenenden fallen können.
Welche Möglichkeiten stehen zur Verfügung, um die durchschnittlichen Feiertage
pro Kalenderjahr zu berücksichtigen?
• Explizite Berechnung der Feiertage für jene Periode, für die eine P-PBE durchgeführt
werden soll
• Ermittlung der durchschnittlichen Feiertage in den letzten Jahren
• Nutzung von offiziellen Referenzwerten, welche durch Branchenvertretungen oder
öffentliche Behörden bekannt gegeben werden
Für die Parameter „Krankheitstage“ und „Urlaubstage“ gelten analog die Ausführungen
zum Parameter „Feiertage“. Quellen, die sich für die beiden angeführten Parameter
häufig zusätzlich nutzen lassen, sind entsprechende Statistiken, welche in der
Personalabteilung der Organisation geführt werden.
Die bisher betrachteten Parameter werden von den 365 ursprünglichen Kalendertagen
abgezogen. Das errechnete Teilergebnis ist eine erste Bruttoarbeitszeit, die für viele
Branchen und Regionen eine ähnliche Ausprägung erfahren kann.
Der Parameter „Fortbildungstage“ führt meistens zu einer Individualisierung der
Jahresarbeitszeit im Vergleich zu ähnlichen Organisationen. Grund hierfür ist die oft
unterschiedliche strategische Ausrichtung im Hinblick auf wissensintensive oder weni-
ger wissensintensive Arbeitsprozesse in Organisationen,
Nach Abzug der Fortbildungstage erhält man ein weiteres Bruttoergebnis, welches
ggf. noch um den Faktor Verteilzeiten reduziert wird, um die Nettoarbeitszeit einer
Personalkapazität auf Vollzeitbasis zu erhalten.
Lediglich erwähnt wird an dieser Stelle, dass sich die Verteilzeit aus den sachlichen
und persönlichen Verteilzeiten zusammensetzt. Während die sachlichen Verteilzeiten
immer Bestandteil der gemessenen Bearbeitungszeiten sind, ist die Festlegung der per-
sönlichen Verteilzeiten fast immer eine Herausforderung im Rahmen der P-PBE.
Die Festlegung einer organisationsweit gültigen persönlichen Verteilzeit kann sinn-
voller Weise nur über die explizite Messung und die Bildung eines entsprechenden
Durchschnittswerts oder über den Einsatz von pauschalen Verteilzeitfaktoren, die bspw.
von öffentlichen Organisationen evaluiert wurden, erfolgen.
Um die Bedeutung des konkreten Werts für den Parameter „Jahresarbeitszeit“
zu illustrieren, werden in Tab. 9.7 exemplarisch erhobene Werte von öffentlichen
184 M. Landgraf und M. Lenhardt
Literatur
Zusammenfassung
Die Kostenstruktur der eigenen Produkte und Services zu kennen und die damit
einhergehende Identifikation von kostenverursachenden Einflussgrößen sind Voraus
setzung für die erfolgreiche Durchführung von Optimierungsprojekten und die
Grundlage vieler betriebswirtschaftlicher Entscheidungsprozesse. Die Anwender des
Instruments Prozesskostenrechnung erzielen durch die konsequente Fokussierung
auf die Unternehmensprozesse und deren Ressourcenverbrauch transparente, nach-
vollziehbare und verständliche Ergebnisse. Das Kapitel soll zum Einsatz dieses mächti-
gen Analyseinstruments motivieren und ein Grundverständnis für die Anwendung der
Prozesskostenrechnung schaffen. Anhand des Process Management Life Cycle wird die
Methode positioniert und die notwendige Einbindung beteiligter Unternehmensbereiche
erläutert. Eine in Praxisprojekten bewährte methodische Vorgehensweise und Berech
nungslogik wird vorgestellt und deren Anwendung anhand eines intuitiven Beispiels
beschrieben. Den Abschluss bildet eine kritische Diskussion der Methode.
C. Prackwieser (*)
BOC Information Technologies Consulting AG, Operngasse 20b, 1040 Wien, Österreich
e-mail: christoph.prackwieser@boc-group.com
K.-H. Eckert
BOC Information Technologies Consulting GmbH, Voßstraße 22, 10117 Berlin, Deutschland
Stattdessen wird versucht, die Kosten über indirekte Einflussfaktoren, wie z. B. benötigte
Bearbeitungszeit oder Kompetenz der durchführenden Bearbeiter zu beeinflussen.
Mit dem folgenden Kapitel wollen wir Interesse an und ein Grundverständnis
für die Anwendung der Prozesskostenrechnung schaffen und dabei motivieren, die
Prozesskostenrechnung in den Werkzeugbaukasten mit aufzunehmen. Wir zeigen, wel-
che praxisrelevanten Zielsetzungen erreicht werden können und stellen eine, in unseren
eigenen Kundenprojekten bewährte, Methode detailliert vor und veranschaulichen deren
Anwendung anhand eines intuitiven Beispiels.
Wenngleich die Prozesskostenrechnung keinen revolutionär anderen Ansatz im
Vergleich zu traditionellen Kostenrechnungsmethoden darstellt, so bietet sie doch ihren
Anwendern, durch die konsequente Fokussierung auf die Unternehmensprozesse, einen
neuen Blickwinkel auf die Orte und Situationen der Kostenentstehung. Sie sorgt damit für
mehr Transparenz und stellt wertvolle Informationen zur Entscheidungsunterstützung
zur Verfügung.
Die Einsatzbreite der Prozesskostenrechnung ist je nach betrachteter Branche sehr
unterschiedlich. Während sie im produzierenden Bereich bereits zum Standardrepertoire
jedes Controllers und Kostenrechners gehört, wird sie bspw. im Dienstleistungsbereich
nur vereinzelt angewendet und ist dort noch seltener integraler Bestandteil des
Kostenrechnungssystems. Während ähnliche Ansätze, wie z. B. das Activity-based Costing,
im Produktions- oder Logistikbereich schon länger bekannt sind und verwendet werden,
rücken durch verstärkte Industrialisierungsbemühungen vieler Dienstleistungsunternehmen
auch die internen Kosten der eigenen Dienstleistungen stärker in den Fokus und müssen
sich mit denen von externen Anbietern messen lassen.
Typischerweise wird die Prozesskostenrechnung als Ergänzung zu bestehenden, im
Unternehmen bewährten Kostenrechnungsverfahren eingesetzt. Während in klassischen
Systemen die Kosten auf Kostenträger, wie Produkte oder Services, und Kostenstellen
geschlüsselt werden, betrachtet die Prozesskostenrechnung den gesamten Ablauf der
Produktion eines Produkts oder der Erbringung einer Dienstleistung. Diese Ausrichtung
auf die innerbetriebliche Entstehung der Leistung, also den Wertschöpfungsprozess,
trägt stark zu einer transparenteren Sicht auf die Kostenentstehung bei und ermöglicht
unter Betrachtung des Prozesses auch für Nicht-Controller eine verständliche und verur-
sachungsgerechte Zuordnung verschiedener Kostenarten.
• Schaffung von Grundlagen für die Kalkulation von Preisen und Kundengeschäften
• Angemessene Bewertung und Verrechnung von innerbetrieblichen Leistungen
• Verbesserung der Produkt- und Kundenergebnisrechnung (durch Zurechnung der
Prozesskosten auf Produkte, Kunden, Marktsegmente)
• Unterstützung von strategischen Entscheidungen (z. B. Make or Buy, Outsourcing)
Dabei stehen die Beobachtung von Veränderungen der Prozesskosten und deren
Zusammensetzung im Vordergrund. Durch eine analytische Durchdringung der berechne-
ten Daten können Potenziale zur kostenrelevanten Prozessverbesserung erzielt, aber auch
Hinweise für strategische Änderungsmöglichkeiten herausgearbeitet werden.
Es liegt auf der Hand, dass ein so breites Instrument wie die Prozesskostenrechnung eine
Vielzahl von Zuarbeitern verschiedener Rollen benötigt.
Da gerade für Kostenstellenverantwortliche und deren Vorgesetzte die gestei-
gerte Transparenz in ihrem Bereich zu einer gewissen Abneigung gegenüber dieser
Methode führen kann, ist ein einflussreicher, von der Methode überzeugter Sponsor
sehr wichtig, um diese zentralen Personen zur Mitwirkung zu motivieren. Neben
Prozessverantwortlichen, Prozessexperten, Prozessberatern und Prozesscontrollern
(vgl. Abschn. 2.2) sind vor allem Kenner der Kostenstruktur des Unternehmens, also
Kostenrechner oder Controller mit einzubeziehen. Es hat sich auch als vorteilhaft her-
ausgestellt, wenn das Projekt unmittelbaren Zugriff auf Mitarbeiter hat, die aus dem
Kostenrechnungssystem bzw. dem Data Warehouse Auswertungen erstellen können.
Generelles Ziel einer Prozesskostenrechnung ist die Beherrschung und in weiterer Folge
die Senkung der stetig steigenden Gemeinkosten einer Organisation. Dies wird versucht,
durch eine erhöhte Transparenz der Gemeinkostenbereiche herbeizuführen. Eine solche
Transparenz kann unter anderem dadurch erreicht werden, dass die in den Kostenstellen
anfallenden Tätigkeiten sowie die durch sie anfallenden Kosten dokumentiert wer-
den. Weiterhin liefert eine Aufschlüsselung der Tätigkeiten und Prozesse nach ihrer
Beanspruchung der betrieblichen Ressourcen wertvolle Informationen über mögliche
Rationalisierungspotenziale und Ansatzpunkte zur Geschäftsprozessoptimierung.
Kostenstelle
Kostenträger
10 Prozesskostenrechnung 193
Als Antwort auf das Problem der steigenden Gemeinkosten wurden in den USA Mitte
der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts sogenannte Activity-based Costing-
Systeme (ABC-Systeme) entwickelt, die die fixen Gemeinkosten nicht mehr über die
Lohnstunden, sondern über in Anspruch genommene Aktivitäten den Produkten
zurechnen sollten. Ziel des ABC war somit eine verursachungsgerechtere Umlage der
direkten und indirekten Gemeinkosten auf die Produkte. Das Activity-based Costing
wird hauptsächlich für die Kostenanalyse in direkten Unternehmensbereichen, also z. B.
der Produktion, angewendet.
Den Startschuss für das Thema Prozesskostenrechnung im deutschsprachigen Raum
gab der von Horváth und Mayer (1989) veröffentlichte Aufsatz „Prozeßkostenrechnung –
Der neue Weg zu mehr Kostentransparenz und wirkungsvolleren Unternehmensstrategien“.
Die Kernphilosophie der Prozesskostenrechnung ist es, die betrieblichen Gemeinkosten
entsprechend der tatsächlichen Inanspruchnahme betrieblicher Aktivitäten oder Tätigkeiten
den Kalkulationsobjekten – in dem Fall den Prozessen – zuzurechnen. Im Unterschied zum
Activity-based Costing werden in der Prozesskostenrechnung Prozesshierarchien, also z. B.
Haupt- und Teilprozesse, eingeführt und die Kosten danach unterschieden, ob sie mit der
Output-Menge in einem linearen Zusammenhang stehen oder nicht. Diese Neuerungen
erleichtern den Einsatz der Prozesskostenrechnung in indirekten Unternehmensbereichen,
wie bspw. Personal oder Finanzen, und in Dienstleistungsunternehmen. Als oberstes Gebot
steht demnach das Verursachungsprinzip im Vordergrund.
Da in der Prozesskostenrechnung neben den Gemeinkosten auch die direkt zuorden-
baren Einzelkosten den Kostenträgern zugeordnet werden, entspricht die Prozesskosten
rechnung in ihrem Wesen einer Vollkostenrechnung.
Im Zentrum der Prozesskostenrechnung stehen die unternehmensinternen Abläufe.
Die in einer Organisation durchgeführten Aktivitäten können dabei zu kostenstellen-
übergreifenden Prozessen aggregiert werden.
Abteilungsübergreifende Prozesse werden in der Prozesskostenrechnung als Hauptpro
zesse, ihre abteilungsspezifischen Komponenten als Teilprozesse bezeichnet (vgl. Abb. 10.2).
Die Idee der Prozesskostenrechnung ist es nun, die durchgeführten Tätigkeiten
in Teilprozessen zusammenzufassen und diesen Teilprozessen Kosten zuzuordnen.
Dabei werden die Prozesse in leistungsmengeninduzierte (lmi) und leistungsmen-
genneutrale (lmn) Prozesse unterschieden. Ist die Anzahl der Durchführungen eines
Prozesses von der Ausbringungsmenge der Kostenstelle variabel, so handelt es sich um
einen leistungsmengeninduzierten Prozess. Wird der Prozess jedoch unabhängig vom
Leistungsvolumen der Kostenstelle durchgeführt, so ist er leistungsmengenneutral.
194 C. Prackwieser und K.-H. Eckert
Indirekte Kostenstelle
Fertigungsaufträge abwickeln
prozesse
Haupt-
Teilenummern verwalten
prozesse
Teil-
Tätigkeitsanalyse
1. Prozessanalyse
Zu Beginn der Prozesskostenrechnung erfolgt eine Prozessanalyse mit dem Ziel der
Ermittlung der zu den zu untersuchenden Geschäftsbereichen gehörenden Prozesse.
Hierbei werden schwerpunktmäßig die wertschöpfenden Geschäfts- und Subprozesse
analysiert.
Ausgangspunkt der Prozessanalyse ist vielfach eine Tätigkeitsanalyse zur Ermittlung der
einzelnen Aktivitäten. Dabei wird für alle Aktivitäten ermittelt, wer diese durchführt
10 Prozesskostenrechnung 195
oder wo diese durchgeführt werden sowie welche Zeiten für die Durchführung der
Aktivitäten benötigt werden.
4. Prozesskostenkalkulation
Den Abschluss der Prozesskostenrechnung bildet die Prozesskostenkalkulation. Hierfür
werden zunächst Prozesskostensätze ermittelt. Der Prozesskostensatz als Quotient aus
ermittelten Prozesskosten und Kostentreibermengen gibt an, welche direkten Kosten mit
der einmaligen Durchführung des Prozesses entstehen.
Prozesskosten
Prozesskostensatz = (10.1)
Kostentreibermenge
Als nächstes müssen die leistungsmengenneutralen Kosten auf die Prozesse umge-
legt werden. Hierbei können verschiedene Umlageverfahren angewendet werden. Am
Ende ergibt sich ein Gesamtprozesskostensatz als Summe aus Prozesskostensatz und
Umlagesatz.
Gesamtprozesskostensatz = Prozesskostensatz + Umlagesatz (10.2)
10.6.2 Umlageverfahren
oder mal das andere Umlageverfahren geeignet sein. Die wichtigsten Umlagearten sollen
hier vorgestellt werden.
• Gleichverteilung
Alle Prozesse erhalten den gleichen Anteil der leistungsmengenneutralen Kosten.
lmn-Kosten
Umlagesatz = (10.3)
Anzahl der Prozesse
• Mengenverteilung
Die Prozesse mit der größten Prozessmenge erhalten anteilig den größten Anteil der
leistungsmengenneutralen Kosten.
• Prozentverteilung
Die Prozesse mit dem größten Prozesskostensatz erhalten den größten Anteil der
leistungsmengenneutralen Kosten.
lmn-Kosten
Umlagesatz = × Prozesskostensatz (10.5)
lmi-Kosten
10.6.3 Praxisbeispiel
Einleitung
Das Hotel Bärlina ist ein renommiertes Viersternehotel im Herzen Berlins, exklusiv gele-
gen am Gendarmenmarkt. Die zentrale Lage und die sehr gute Anbindung machen es
zum perfekten Ausgangspunkt für Berlin-Besucher sowie Geschäftsreisende.
Das klare Design im puristischen Stil der Hotelzimmer spiegelt urbane Trends wider
und verleiht den Zimmern eine angenehme Atmosphäre zum Wohlfühlen. Viele der
Zimmer sind mit einem privaten oder französischen Balkon ausgestattet und bieten
traumhafte Ausblicke auf die Hauptstadt.
Das Hotel verfügt insgesamt über 100 identische Hotelzimmer zu je 59 EUR pro
Nacht.
in der Preispolitik des Hotels herrsche. Preise wurden bisher aus dem „Bauch heraus“
definiert und scheinen irgendwie nicht zu stimmen.
Nach Prüfung der Zimmerpreise stellte die Geschäftsführung fest, dass die Zimmer
reinigung einen enormen Kostenblock einnimmt. Insbesondere durch die schwankende
Auslastung (durchschnittlich 50 %) müssen enorm viele Arbeitskräfte vorgehalten werden
(konstante Kosten trotz schwankender Auslastung!). Vor diesem Hintergrund kommt die
Geschäftsführung zu der strategischen Überlegung, die Zimmerreinigung an einen exter-
nen Dienstleister auszulagern (Outsourcing). Für diesen Fall stellt sich die Frage, welcher
Preis maximal pro Zimmerreinigung zu akzeptieren wäre.
Aktuell liegt ein Angebot der externen Reinigungsfirma CleanTeam GmbH vor.
Diese würde die Zimmerreinigung (inkl. Reinigung der anfallenden Schmutzwäsche) für
6 EUR pro Zimmer anbieten.
Um diese Do or Buy-Entscheidung (Selbst reinigen oder reinigen lassen?) auf ver-
ursachungsgerechten Informationen basierend richtig treffen zu können, sollen für die
Kalkulation alle Kosten funktionsübergreifend ermittelt und prozessorientiert aufgeteilt
werden. Die Prozesskostenrechnung soll für die nötige interne Kostentransparenz sorgen
und folglich den Ausgangspunkt für die Marktanalyse liefern.
Zimmerreinigung im Bärlina
Die Zimmerreinigung im Bärlina erfolgt mit Hilfe des leistungsmengeninduzierten
Prozesses „Zimmereinigung Abreise-/Bleibezimmer“. Sämtliche Aktivitäten, die für die
Zimmerreinigung anfallen, werden durch die internen Reinigungskräfte erbracht. Bei dem
Reinigungsprozess wird unterschieden zwischen Abreise- und Bleibezimmer. In einem
Bleibezimmer (d. h. der Gast bleibt noch eine weitere Nacht) wird die tägliche Standardrei
nigung durchgeführt. Im Abreisezimmer (d. h. der Gast reist ab) wird zusätzlicher
Reinigungsaufwand betrieben, um das Zimmer an einen neuen Gast übergeben zu können.
Für die Zimmerreinigung der Abreise-/Bleibezimmer konnten die in Abb. 10.3 dar-
gestellten Aktivitäten und Zeiten im Rahmen des ersten Schritts „Prozessanalyse“ (vgl.
Abschn. 10.6.1) identifiziert werden.
Bei der „Bestimmung der Kostentreiber“ gemäß Schritt 2 (vgl. Abschn. 10.6.1) konnte
die Anzahl der durchgeführten Zimmerreinigungen als Kostentreiber identifiziert werden.
• Lohnkosten „Reinigung“
Die gesamte Zimmerreinigung wird auf die Kostenstelle 1200 gebucht. Dieser
Kostenstelle werden die Reinigungskräfte zugeordnet (vgl. Tab. 10.1).
• Ermittlung der leistungsmengeninduzierten (lmi) Kosten
Für eine verursachungsgerechte Verrechnung der Zimmerreinigung im Bärlina
sind gemäß Schritt 3 „Bestimmung der Kostentreibermengen und Prozesskosten“
(vgl. Abschn. 10.6.1) die Zeiten und Mengen der Durchführung sowie der
Stundenlohn der Reinigungskräfte relevant. Die lmi-Kosten können dann direkt über
Prozesskostensätze zugerechnet werden.
• Tabelle 10.2 zeigt die Mengen, Zeiten und Kosten, die für die Zimmerreinigung ermit-
telt werden können.
198 C. Prackwieser und K.-H. Eckert
Werte kleiner eins in der Spalte „Menge: Pro Durchführung“ weisen auf Tätigkeiten
hin, die nicht bei jeder Zimmerreinigung durchgeführt werden. So wird bspw. die
Minibar nur bei jeder vierten Zimmerreinigung aufgefüllt.
Die Kostentreibermenge je Aktivität ist in der Spalte „Menge: Gesamt“ aufge-
führt. Die Menge 12,5 für die Aktivität „Minibar auffüllen“ ergibt sich beispielsweise
aus der Multiplikation der Faktoren 50 %-ige Auslastung der 100 Zimmer und einer
Durchführungsrate von 0,25.
Für die Zimmerreinigung ergibt sich somit ein Prozesskostensatz in Höhe von
4,18 EUR.
Aus dem Controlling liegt die Information vor, dass jährlich eine Betriebskosten
pauschale von insgesamt 40.000 EUR anfällt. Die Leasinggebühr der Geräte sowie der
Strom- und Wasserverbrauch sind in der Pauschale enthalten.
Ergebnis
Die Prozesskostenrechnung sorgt für die interne Kostentransparenz, die hinsichtlich der
strategischen Entscheidung „Selbst reinigen oder reinigen lassen?“ erforderlich ist. Durch die
prozessorientierte Aufteilung der Kosten wird ersichtlich, welche einzelnen Kostenblöcke
in der heutigen Situation (Selbstreinigung) bestehen und demzufolge, welchen Preis das
Bärlina im Falle einer externen Auslagerung der Reinigung bereit ist zu zahlen.
In Schritt 4 „Prozesskostenkalkulation“ (vgl. Abschn. 10.6.1) können bzgl. der Frage
„Selbst reinigen oder reinigen lassen?“ folgende Ergebnisse berechnet werden.
Für die Selbstreinigung der Zimmer entstehen dem Bärlina folgende Kosten (vgl.
ebenso Tab. 10.3):
• 365 [Tage im Jahr] × 100 [Anzahl Zimmer] × 0,5 [Ø Auslastung] × 4,18 EUR [lmi-
Kosten Reinigung]
Tab. 10.3 Kosten für Selbstreinigung der Zimmer durch Hotel Bärlina
lmi-Kosten Zimmereinigung 76.285 EUR
Kosten Reinigung Schmutzwäsche +40.000 EUR
Gesamtkosten Selbstreinigung 116.285 EUR
200 C. Prackwieser und K.-H. Eckert
Tab. 10.4 Kosten für Fremdreinigung der Zimmer durch CleanTeam GmbH
Gesamtkosten Fremdreinigung 109.500 EUR
Für die Fremdreinigung bei der CleanTeam GmbH würden hingegen folgende Kosten
entstehen (vgl. ebenso Tab. 10.4):
• 365 [Tage im Jahr] × 100 [Anzahl Zimmer] × 0,5 [Ø Auslastung] × 6 EUR [Preis pro
Zimmerreinigung durch CleanTeam]
Das oben angeführte Beispiel zeigt deutlich, dass die Prozesskostenrechnung eine objek-
tive und nachvollziehbare Entscheidungsgrundlage für kosten- und preisinduzierte
Fragestellungen bieten kann. Dennoch muss sich der Anwender bewusst sein, dass die
in der Methode der Prozesskostenrechnung geforderte leistungsmengeninduzierte
Variabilität der Einzelkosten in der Realität selten gegeben ist. Beispielsweise können die
Mitarbeiterressourcen, gerade wenn es sich um angestelltes Personal handelt, nicht kurz-
fristig auf den jeweils benötigten Stand angepasst werden. Diese Annäherung der vor-
gehaltenen Kapazität mit der tatsächlich benötigten kann in der Praxis nur auf längere
Sicht erreicht werden, weshalb die Prozesskostenrechnung oft als taktisch oder strate-
gisch ausgerichtetes Entscheidungsinstrument verstanden wird.
Nicht von ungefähr wird in der Literatur, wenn es um die Optimierung von Prozessen
geht, meistens die zeitliche Straffung des Geschäftsvorgangs verfolgt. Es ist vielfach einfa-
cher, einem Teilprozess oder einer Aktivität eine durchschnittliche Dauer zuzuweisen als aus
den traditionellen Kostenrechnungssystemen die Kosten zu extrahieren, die in Abgrenzung
und Granularität den bei der Prozesskostenrechnung benötigten entsprechen. Oftmals hat ja
auch eine Verkürzung der Bearbeitungszeit eines Prozesses direkte Auswirkung auf dessen
verursachte Kosten, da die kalkulatorischen Personalkosten des Prozesses sinken.
Dieser Zusammenhang dürfte jedem Mitarbeiter, der sich mit Prozessen beschäftigt
klar sein. Die Prozesskostenrechnung geht aber noch einen Schritt weiter, indem sie wei-
tere Kostenarten betrachtet und den Prozessen zuordnet. Erfahrungsgemäß stehen diese
weiteren Kostenarten nicht immer im Blickfeld der Prozessverantwortlichen, können
aber für eine gesamtheitliche Optimierung sehr wesentlich sein.
10 Prozesskostenrechnung 201
Literatur
Zusammenfassung
Die organisatorische Prozessoptimierung beinhaltet die Analyse von Schwachstellen in
einem oder mehreren Ist-Prozessen, um darauf aufbauend Verbesserungsmaßnahmen
zu erarbeiten und neue Soll-Prozesse zu entwickeln. Im folgenden Kapitel werden
schwerpunktmäßig Veränderungen in der Aufbau- und Ablauforganisation sowie der
IT-Unterstützung betrachtet. Hierfür eignen sich unterschiedliche qualitative Methoden,
um vom Ist-Zustand zum gewünschten Soll-Zustand zu gelangen. Das Kapitel stellt
Techniken zur Bewertung und Analyse des erhobenen Ist-Zustands vor, wie z. B.
Checklisten, Interviews, Prozess-Assessments, Reifegradmodelle oder die Verwendung
von Referenzprozessen. Des Weiteren wird dargestellt, wie sich aus dem erhobenen Ist-
Zustand Verbesserungsvorschläge ableiten, priorisieren und darauf basierend konkrete
Maßnahmen zur Umsetzung identifizieren lassen. Ebenfalls wird ein Überblick über
die jeweiligen Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Techniken sowie Hinweise zur
Anwendung unter Berücksichtigung verschiedenartiger Rahmenbedingungen gegeben.
11.1 Einleitung
Häufig wird die Prozessoptimierung mit einer Kosten- oder Personalreduktion gleichge-
setzt. Dies ist zu kurz gedacht, denn das vornehmliche Ziel einer Prozessoptimierung ist
die Verbesserung der Leistungen und Produkte des Unternehmens. Der Zusammenhang
zwischen Prozessen und Produkten sollte nie aus den Augen verloren werden, denn
eine Verbesserung der Prozesse führt direkt oder indirekt zu einer Verbesserung
der Produktqualität, des Preis-Leistungs-Verhältnisses und damit letztendlich der
Kundenzufriedenheit.
Ist-Prozess Soll-Prozess
IT-Unterstützung
• IT-Unterstützung • IT-Unterstützung
• Automatisierung • Automatisierung
Geschäftsprozessen im Hinblick auf die zukünftige Zielsetzung, welche sich dann in der
Soll-Konzeption widerspiegelt.
Die Soll-Konzeption (vgl. Abschn. 11.6) beinhaltet schließlich die Beseitigung der mit-
tels der Prozessanalyse identifizierten Schwachstellen in den Ist-Prozessen. Hierfür werden
eine oder mehrere Soll-Prozess-Alternativen erarbeitet. Abbildung 11.1 fasst den Betrach
tungsgegenstand der organisatorischen Prozessoptimierung noch einmal zusammen.
Die Prozessanalyse und -optimierung stehen in Beziehung zueinander: Auf Grundlage
der in der Prozessanalyse identifizierten Schwachstellen und Optimierungspotenziale
können Prozesse optimiert und in einen gewünschten Soll-Zustand gebracht werden.
Abbildung 11.2 veranschaulicht diesen Zusammenhang.
Die organisatorische Prozessoptimierung versucht, Prozesse nicht nur aufgrund auf-
wendiger empirischer Analysen von Prozesszeiten und Prozesskosten, sondern vorran-
gig aufgrund des bei den Prozessexperten und Kunden vorhandenen Wissens über die
Prozesse – und damit auch über Schwachstellen und Verbesserungspotenziale – mittels
qualitativer Techniken zu optimieren.
Wie in der Einleitung erwähnt, können sich Verbesserungspotenziale innerhalb eines
Geschäftsprozesses sowohl auf ablauf-, aufbau- sowie IT-gestützte Aspekte beziehen.
Typische Fragestellungen der organisatorischen Prozessoptimierung sind:
Prozessanalyse Prozessoptimierung
Die Prozessverbesserungen können, abhängig von den definierten Zielen, welche eine
Organisation verfolgt (vgl. ebenso Abschn. 2.4.3), und den Strategien, die sie zur Erreichung
dieser Ziele einsetzt, unterschiedliche Bereiche tangieren. Die häufigsten Optimierungs
maßnahmen betreffen die Umgestaltung der Aufbau- und Ablauforganisation, also die
organisatorische Ebene, oder aber die technische Verbesserung, welche auf die Auto
matisierung von Prozessen oder Prozessschritten abzielt.
In der Regel wird zur Prozessoptimierung ein mehrstufiges Vorgehen gewählt (vgl.
Abb. 11.3).
Ausgehend von der Zieldefinition für das Optimierungsprojekt ist es im Anschluss
daran zu empfehlen, das Optimierungsprojekt aufzusetzen bzw. zu planen. Hierzu
müssen insbesondere das verantwortliche Projektteam zusammengestellt und die
notwendigen personellen Ressourcen eingeplant werden (zum Thema „Aufsetzen
des Optimierungsprojekts“ vgl. ebenso Abschn. 2.4.3). Sofern noch nicht vorhan-
den, erfolgt anschließend die Erhebung der Ist-Prozesse oder die Vervollständigung
der vorhandenen Prozessdokumentation. Auf dieser Grundlage kann sodann die
Bewertung und Analyse der ausgewählten Prozesse stattfinden. Schließlich erfol-
gen die Erstellung des Soll-Konzepts und die Umsetzung der Maßnahmen. Details zu
Sollten die Ist-Prozesse in einem Unternehmen noch nicht erhoben worden sein, so muss
die Erhebung an dieser Stelle erfolgen. Sind sie bereits vorhanden, so wird die Bewertung
und Analyse auf Basis der bestehenden Ist-Prozessdokumentation durchgeführt. Weisen
die Ist-Prozesse einen für eine fundierte Prozessanalyse zu geringen Informationsgehalt
auf, so müssen sie ggf. um zusätzliche Informationen angereichert werden.
Falls die Prozesse zunächst erhoben werden müssen, so eignen sich dafür, je nach-
dem, wie viel Zeit ein Unternehmen in die Erhebung der Ist-Prozesse investieren möchte
und kann, unterschiedliche Erhebungsmethoden.
Eine große Rolle spielt in diesem Kontext der Detaillierungsgrad, mit dem die
Prozesse erhoben werden (vgl. ebenso Abschn. 5.3.1). Sollten die zeitlichen Ressourcen
begrenzt sein, genügt es in einem ersten Schritt, einen niedrigen Detailgrad zu wählen
und nur den groben Ablauf der Prozesse aufzunehmen. Eine detaillierte Aufnahme kann
auch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Insbesondere hängt der Detailgrad auch von
der Zielsetzung des Unternehmens ab: Reicht ein grober Überblick über die Prozesse zur
Analyse bereits aus oder sollen diese auf Detailebene analysiert werden, um beispiels-
weise Medienbrüche oder Prozesskosten und -zeiten zu betrachten?
Zur Erhebung der Ist-Prozesse eignen sich im Kontext von Prozessoptimierungs-
Projekten aus unserer Erfahrung drei Modellierungstechniken, welche unterschiedliche
Zielsetzungen verfolgen:
• Produkt-Prozess-Übersicht,
• Kooperations- bzw. Kommunikationsbilder,
• Prozessablaufsicht.
Nachfolgend sollen die Vor- und Nachteile der drei vorgestellten Techniken erörtert
werden.
11.4.1 Produkt-Prozess-Übersicht
Abb. 11.4 Ausschnitt einer Produkt-Prozess-Übersicht mit der Zuordnung von Leistungen
11 Organisatorische Prozessoptimierung 209
Kooperations- bzw. Kommunikationsbilder haben zum Vorteil, dass sie zügig erho-
ben werden können und leicht verständlich sind. Sie stellen damit eine gemeinsame
Kommunikationsbasis für alle beteiligten Personen dar. Darüber hinaus ermöglichen sie
die komprimierte Darstellung der wesentlichen Prozessinhalte und stellen in übersicht-
licher Form die Schnittstellen zwischen den einzelnen beteiligten Akteuren dar.
Als nachteilig kann sich erweisen, dass Schwächen aus dem Detailablauf nicht erkennbar
werden, da Kooperations- bzw. Kommunikationsbilder ein sehr hohes Abstraktionsniveau
aufweisen.
In Abb. 11.5 ist ein Beispiel für ein Kooperationsbild abgebildet.
ist es von Vorteil, zusätzlich zur Erhebung der einzelnen Prozessschritte auch fachliche
Aspekte mit zu betrachten.
Im Rahmen einer solchen Detailerhebung werden insbesondere Informationen zu fol-
genden Aspekten erhoben:
Auf diese Weise ist ein leichteres und umfassenderes Analysieren, z. B. im Hinblick auf
Medienbrüche, Prozessverbesserungen durch IT-Unterstützung, häufige Bearbeiterwechsel
oder Vereinheitlichung von Dokumenten, möglich (zum Thema „Dokumentation von
Prozessablaufmodellen“ vgl. ebenso Kap. 5).
Der Nachteil der Methode besteht in dem relativ hohen Zeitaufwand zur Erhebung
der Prozesse. Falls noch keine Prozessablaufmodelle im Unternehmen vorhanden
sind, empfiehlt es sich zunächst, beispielsweise anhand einer Prozesslandkarte oder
Produkt-Prozess-Übersicht, eine grobe Einschätzung der Prozesse hinsichtlich ihres
Optimierungspotenzials durchzuführen. Nachfolgend ist ein Beispiel für einen detailliert
erhobenen Prozessablauf abgebildet (vgl. Abb. 11.6).
Auf der Grundlage der vorhandenen bzw. erstellten Prozessdokumentation kann die
Bewertung und Analyse der gewählten Prozesse durchgeführt werden. In diesem Schritt
werden die Prozesse auf ihre Optimierungspotenziale hin untersucht. Der Ist-Zustand
der Prozesse wird demnach einer tiefergehenden Analyse unterzogen. Auf dieser Basis
werden Schwachstellen und Verbesserungspotenziale ermittelt.
Insbesondere sind in diesem Schritt die Ursachen für unerwünschte Abweichungen vom
Zielzustand zu identifizieren. Es genügt also nicht, nur die Symptome für Schwachpunkte
zu beseitigen, sondern es müssen auch deren Ursachen und Wirkungen analysiert werden.
Beispiel
Im Rahmen der Prozessanalyse stellt sich heraus, dass die vom Mitarbeiter eingereichte
Reisekostenabrechnung zunächst durch das Sekretariat und anschließend nochmals
durch die Buchhaltung geprüft wird. Es kommt also zu einer Doppelarbeit und ggf.
sogar zu einem doppelten Korrekturvorgang beim einreichenden Mitarbeiter. Hier
ist zu analysieren, warum eine einmalige Kontrolle nicht ausreicht. Folgende Gründe
kommen in Betracht:
Diese Gründe sind in der Folge sehr wichtig für die Erarbeitung von Verbesserungsvor-
schlägen (vgl. Abschn. 11.6). Diese könnten bei Vorliegen des letzteren Grundes bspw.
eine Einweisung der Sekretariatsmitarbeiter durch die Buchhaltung beinhalten oder
auch die Erstellung einer Checkliste über die Prüfungskriterien.
Zur Analyse der Prozesse eignet sich eine Reihe von Instrumenten, um Schwachstellen
effizient identifizieren zu können und Verbesserungspotenziale daraus abzuleiten.
Geläufig im Rahmen der Analyse ist die Verwendung von Checklisten, in denen über
typische Fragen eine Identifikation von Schwachstellen erfolgt. Aber auch andere
Methoden sind probat, um Prozessverbesserungspotenziale zu erkennen. Diese sowie die
genannten Checklisten werden in den folgenden Unterabschnitten erläutert.
Im Rahmen der Identifikation der Schwachstellen ist ebenfalls eine Priorisierung der
Schwachstellen notwendig, d. h. welches Problem ist für das Unternehmen besonders
kritisch, welches eher weniger kritisch.
Hier kann mit einem Punktesystem verfahren werden, indem die einzelnen Probleme
in Workshops bewertet werden. Die Wichtigkeit eines Problems ist insbesondere abhän-
gig von der Beziehung zum Prozessziel und dem Einfluss auf das Prozessergebnis, z. B.
Kundenzufriedenheit, Umsatz oder Image.
212 E. Wolf et al.
Ein weiterer Einflussfaktor in der Bewertung liegt in der Dringlichkeit der Beseitigung
eines Problems. Hier wird also der zeitliche Faktor betrachtet. Beide Aspekte sind dem-
nach zu berücksichtigen.
Nachdem die Schwachstellen identifiziert und bewertet wurden, müssen diese einer
tiefergehenden Analyse unterzogen werden. Auch hierfür stehen Techniken bzw.
Ansätze zur Verfügung, die es erlauben, den Ursachen der identifizierten Probleme auf
den Grund zu gehen (vgl. Abschn. 11.5.6 und 11.5.7).
11.5.1 Checklisten
Der Vorteil bei der Verwendung von Checklisten liegt in der strukturierten Abfrage
wichtiger Prozess-Fragestellungen. Diese ermöglichen eine schnelle Identifikation von
Schwachstellen in den Prozessen.
Klassischerweise sind solche Checklisten in drei Kategorien untergliedert. Tabelle 11.1
listet diese Kategorien auf und führt beispielhafte Fragestellungen an.
11.5.3 Kundenumfragen
Etwas aufwendiger, aber durchaus sehr aufschlussreich ist der Einbezug der Kundensicht
in die Prozessanalyse. Hierzu muss zunächst ein Fragebogen entwickelt werden, der
den Kunden durch offene Fragen die Möglichkeit bietet, Schwachstellen und Verbesse
rungspotenziale zu benennen. Dieser Fragebogen kann bspw. bei Abholung des bestell-
ten Produkts ausgehändigt werden. Möglich ist auch die IT-gestützte Beantwortung der
Fragen über einen Aufruflink im Newsletter oder einem Online-Mailing. Erfahrungsgemäß
ist allerdings die Rücklauf- bzw. Teilnahmequote bei Kundenumfragen sehr gering.
Das Prozess-Benchmarking ist die vergleichende Analyse von Prozessen mit einem fest-
gelegten Bezugswert. Dabei sind folgende Ausprägungen möglich:
Üblich und besonders praktikabel ist der Vergleich zwischen mehreren Standorten oder
Einheiten eines Unternehmens, in denen identische Prozesse ablaufen. Häufig stellt sich
dabei heraus, dass einzelne Standorte oder sogar einzelne Mitarbeiter bereits bestimmte
Prozessverbesserungen für sich umgesetzt haben. Diese lokal vorhandenen Best Practices
können dann meist auf andere Standorte übertragen werden.
Beispiel
Zwei Teams bearbeiten die Abrechnung von staatlich geförderten Projekten. Team A
erhält die Rechnungskopien und erstellt daraus eine eigene Nachweis-Liste für den Förder-
mittelgeber. Team B lässt sich neben den Rechnungskopien auch die Projektcontrolling-
Liste zusenden, in der alle Rechnungen bereits eingetragen sind, und erweitert diese um
einige wenige fördertechnisch relevante Spalten. Dadurch vermeidet Team B einen Groß-
teil des Aufwands für die erneute Erfassung der Rechnungen.
Schwieriger, aber bei standardisierten Prozessen ebenfalls denkbar, ist ein Vergleich
mit anderen Organisationen zur Identifizierung von Verbesserungspotenzialen. Im
Zuge des Lernprozesses von anderen Unternehmen können eigene Schwachstellen
aufgedeckt werden. Meist scheitert ein Austausch von Prozessmodellen jedoch an
den Barrieren der Datenvertraulichkeit und Informationszurückhaltung einzel-
ner Organisationen. Ein positives Beispiel stellt diesbezüglich u. a. die Kommunale
Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt®) in Deutschland dar, welche
den Austausch von Prozessen in der öffentlichen Verwaltung durch den Aufbau einer
kommunalen Prozessbibliothek fördern möchte (Kommunale Gemeinschaftsstelle für
Verwaltungsmanagement (KGSt) 2013).
Neben den vorgenannten Varianten des Prozess-Benchmarking kann ebenso die
Orientierung an Referenzmodellen erfolgen, die oftmals leichter zu beschaffen sind.
Referenzmodelle sind Best Practices, die als Vorlage zur Erarbeitung der Soll-Prozesse
dienen können und damit sowohl zu einer Aufwandsreduktion als auch zu einer höhe-
ren Qualität der Ergebnisse führen können. Referenzmodelle sind sowohl branchenspe-
zifisch (z. B. Versicherung, Kommunaler Master) oder aber themenbezogen erhältlich.
Im Bereich der themenbezogenen Referenzprozesse können die IT-Servicemanagement-
Prozesse gemäß der IT Infrastructure Library (ITIL®) (IT Service Management Forum
(itSMF) 2007) als Beispiel genannt werden. Hierbei erfolgt ausgehend von definierten
Prozessen die organisationsspezifische Adaption des vorgegebenen Prozesses.
11.5.5 Verbesserungsmanagement
Problem
… Methode Prozess
Impulse für Prozessverbesserungen gegeben werden. Insbesondere ist bei dieser Form
der Analyse der Blick aus der Kundenperspektive wertvoll.
Eine Schwierigkeit besteht allerdings darin, die für die zu untersuchenden Prozesse
relevanten Beschwerden bzw. Verbesserungsvorschläge herauszufiltern.
Nachdem mit Hilfe der bisher vorgestellten Instrumente mögliche Schwachstellen iden-
tifiziert wurden, kann nun die Analyse dieser Schwachstellen erfolgen. Eine Technik
für die Analyse ist das Ishikawa-Diagramm oder auch Fischgräten- oder Ursache-
Wirkungs-Diagramm. Mit dieser Technik sollen Problemursachen identifiziert und ihre
Abhängigkeiten in einem Diagramm anschaulich dargestellt werden. Abbildung 11.7
zeigt ein Beispiel eines Ishikawa-Diagramms.
Um alle möglichen Ursachen zu berücksichtigen, werden verschiedene Dimensionen
betrachtet, z. B. Mensch, Maschine, Methode, Prozess, Management, Umfeld. Diese
bilden die Basisgräten des Fischs. Bei der Fischgrätenanalyse wird – in der Regel im
Rahmen eines Brainstormings – generell drei Mal nach dem „Warum?“ gefragt, da
man sich nicht mit „vorgeschobenen“ Aspekten zufrieden gibt, sondern den tatsäch-
lichen Ursachen sowie Nebenursachen auf den Grund gehen will. Diese mehrstufige
Ursachenforschung wird durch die verschiedenen Pfeile in der Abbildung repräsentiert.
Ziele und
Kennzahlen
Prozesse und
Tools und
Vorgehens-
Automatisierung
weisen
Geschäftsprozess
Prozess- und
Rollen und
Risiko-
Verantwortlich-
bewusstsein und
keiten
Kommunikation
Fähigkeiten und
Kompetenzen
REIFEGRAD
5
Optimiert
REIFEGRAD
4 Prozesse sind
Gesteuert und bis zur Stufe
messbar von „Good
REIFEGRAD
Practices“
3 Das verfeinert. Dies
Management basiert auf den
Definierter
überwacht und Resultaten der
REIFEGRAD Prozess
misst die kontinuier-
2 Die Vorgehens- Einhaltung der lichen
Wiederholbar weisen sind Verfahren und Verbesserung
aber intuitiv standardisiert, führt und dem
REIFEGRAD
dokumentiert Maßnahmen Reifegrad-
1 Wiederholbare, und wurden durch, wenn vergleich mit
aber intuitive durch Prozesse anderen Orga-
REIFEGRAD Initial/Ad -hoc Prozesse Schulungen nicht effizient nisationen. IT
wurden vermittelt. zu sein
0 Die entwickelt
wird in einer
Es ist ver- scheinen. Auto- integrierenden
Organisation in dem bindlich, dass matisierung Art und Weise
Nicht existent hat erkannt, Ausmaß, dass dem vor- und Tools verwendet, um
dass die ähnliche geschriebenen werden in
Erkennbare Arbeitsabläufe
Fragestellung Vorgehens- Prozessablauf begrenztem
Prozesse zu
existiert und weisen von gefolgt wird. Maße genutzt. automatisieren,
fehlen beantwortet verschiedenen Die Vorgehens-
komplett. Die bietet
werden muss. Bearbeitern der weisen sind
Organisation Werkzeuge zur
Es gibt Ad-hoc- gleichen nicht verfeinert,
hat nicht Verbesserung
Ansätze, die Aufgabe aber aus exis -
einmal erkannt, auf der Qualität
durchgeführt tierenden und Effizienz
dass die individueller werden. Es gibt Verfahren
Fragestellung und schafft
oder Fall-zu- eine hohe formalisiert.
überhaupt eine hohe
Fall-Basis Abhängigkeit
existiert. Wandlungs-
angewendet von indivi- fähigkeit der
werden. Der duellen Organisation.
übergreifende Bearbeitern.
Ansatz ist ohne Das Auftreten
formale von Fehlern ist
Organisation. wahrscheinlich.
Abb. 11.9 Reifegradstufen von Prozessen (in Anlehnung an das PAG-Modell (Schmelzer und
Sesselmann 2008))
218 E. Wolf et al.
Fragen- und Bewertungskatalog werden dezidiert Kriterien abgefragt, anhand derer die
Reifegradbestimmung des Prozesses erfolgt. Nicht erreichte Kriterien – diese orientieren
sich in der Reifestufe 5 am optimalen Zustand – zeigen gleichzeitig Verbesserungspotenziale
sowie den Weg auf, um zum nächsten Reifegrad-Level zu gelangen.
Auf Basis des ermittelten Zustands des Prozesses erfolgt die Definition des Soll-
Reifegrads (vgl. Abb. 11.10). Diese Einschätzung ist insbesondere von den zu erfüllen-
den Kriterien bzw. Bedingungen abhängig, die erforderlich sind, um die nächsthöhere
Reifegradstufen
6. Tools und
Zielsetzung und Definition 1. Ziele und Kennzahlen
Automatisierung
von Kennzahlen
Prozesse zur Messung
Kontroll- und Prüfaktivitäten
und Überwachung
Kontinuierliche
Prozessautomatisierung
Verbesserung
Nutzung von
Prozessstruktur
Anwendungen
und Tools 2. Prozesse und
Vorgehensweisen
Internes
Kontrollsystem Prozessablauf und
-dokumentation
5. Prozess- und
Risiko- Wissens- Akzeptanz der Rollen
bewusstsein austausch und Empowerment
und Kommunikation Schulungen und Kompetenzen
Mitarbeiter- und Qualifikationsniveau
entwicklung
3. Rollen und
4. Fähigkeiten und Kompetenzen Verantwortlichkeiten
11.6 Soll-Konzeption
Nach der Identifikation und Analyse von Schwachstellen sollen darauf aufbauend
Verbesserungsvorschläge für die Beseitigung der Schwachpunkte und Umsetzung der
Optimierungspotenziale entwickelt werden.
Zu empfehlen sind in diesem Kontext Listen, in denen die Schwachstellen aufge-
führt, priorisiert und mit Verbesserungsvorschlägen versehen werden können. Für die
Erarbeitung von Verbesserungsvorschlägen werden häufig Brainstorming-Methoden
verwendet, wie z. B.:
Nach der initialen Auflistung von Vorschlägen ist die Bewertung der einzelnen Verbes
serungsvorschläge von großer Bedeutung. Nutzen und Aufwand für die Umsetzung
müssen in Relation gesetzt werden. Umfangreiche Verbesserungsvorschläge werden häu-
fig in einer separaten Machbarkeitsstudie im Hinblick auf ihre Umsetzbarkeit bewertet.
Es ist also zu evaluieren, welche erforderlichen Aufwände mit der Umsetzung verbunden
sind und welcher Nutzen für das Unternehmen durch eine Umsetzung realisiert werden
kann.
Kommen mehrere Vorschläge für Prozessänderungen in Betracht, so ist es sinnvoll,
Soll-Prozessvarianten zu erstellen und diese miteinander zu vergleichen, um anschlie-
ßend die geeignetste zur Umsetzung heranzuziehen. Sind zum Beispiel bereits Kosten
und/oder Zeiten für die Ist-Prozesse erhoben worden, können diese für die verschiede-
nen Soll-Varianten prognostiziert und die Ergebnisse separat bewertet werden.
Bewegt man sich noch auf einem niedrigeren Detailgrad und hat noch keine
Berechnungsdaten erhoben, kann auch das Hervorheben von Verbesserungsvorschlägen
im Prozess sinnvoll sein: Modellierungswerkzeuge bieten die Möglichkeit, sowohl
Änderungen im Modell durch Kennzeichnungen sichtbar zu machen als auch die
Verbesserungsvorschläge textuell zu beschreiben, wie anhand von Abb. 11.11 beispiel-
haft gezeigt wird.
Auch auf dieser Basis ist eine Bewertung von Prozessvarianten möglich. Nach der
Bewertung der Varianten soll eine Entscheidung darüber gefällt werden, welche der
220 E. Wolf et al.
• Es sind jene Ideen, mit deren Umsetzung ein schneller Erfolg realisiert werden kann.
• Sie erzielen mit geringem Aufwand ein sichtbares und verbessertes Ergebnis.
11 Organisatorische Prozessoptimierung 221
• Die dadurch erzielten Resultate tragen dazu bei, Akzeptanz für Neuerungen (durch
mentale Einbindung der Beteiligten) und umfassendere Prozessverbesserungen zu
schaffen.
• Sie können mittels Sofortmaßnahmen direkt umgesetzt werden. Nur selten ist hierfür
ein Projekt notwendig.
Das Augenmerk sollte also bei der geplanten Umsetzung auf der Realisierung dieser
Quick Wins liegen.
Literatur
Zusammenfassung
Die organisatorische Umsetzung von Soll-Prozessen stellt für die direkt und indi-
rekt beteiligten Menschen eine große Herausforderung dar. Aufbauend auf den
vorangegangenen Kapiteln in diesem Buch werden methodische und praktische
Grundlagen für die Umsetzung von Soll-Prozessen gegeben. Innerhalb des Kapitels
wird auf wichtige Rahmenbedingungen eingegangen, die zu den angestrebten
Veränderungen geführt haben und/oder bei der Umsetzung berücksichtigt wer-
den müssen. Mit den Ausführungen zur Umsetzungsplanung werden praktische
Hinweise und Empfehlungen gegeben, die über ein Projektmanagement hinaus für
die Planung der anstehenden Veränderungen relevant sind. Neben der Vorstellung
wichtiger Erfolgsfaktoren, wie der Identifikation der Adressaten sowie der zeitlichen
und personellen Planung, wird umfänglich auf Aspekte der geeigneten Einbindung
von Beteiligten und Betroffenen eingegangen. Es werden Techniken für ein effizientes
Veränderungsmanagement, unterstützt durch Elemente des Prozessmarketings, ver-
mittelt. Das Kapitel verschafft einen Überblick von der formalen Umsetzungsplanung
bis hin zu den weichen Faktoren (engl. Soft Facts), wie z. B. den Umgang mit
Widerständen für eine erfolgreiche Einführung von Soll-Prozessen mit dem wichtigen
Erfolgsfaktor „Mensch“.
Ein wichtiger Faktor für den Erfolg von Prozessoptimierungs-Projekten ist die struktu-
rierte und gut geplante Prozessumsetzung. Nicht selten scheitern Prozessverbesserungs-
Projekte trotz hervorragend ausgearbeiteter Soll-Konzepte an einer mangelnden
Vorbereitung und Strukturierung der Prozessimplementierung und somit an den orga-
nisatorischen und sozialen Gegebenheiten einer Organisation.
Die Phase der Prozessumsetzung ist ein zentrales Element des Process Management
Life Cycle (PMLC, vgl. Abschn. 2.4.4). In der Praxis erfolgt die Prozessumsetzung
entweder im Rahmen der Prozessoptimierungs-Projekte oder im Anschluss an ein
Verbesserungsprojekt. Die Basis bilden letztlich aber immer die freigegebenen Soll-
Prozesse bzw. abhängig vom Grad der Änderungen das freigegebene Soll-Konzept. Nur
so können dem Prozessimplementierungs-Team eine Orientierungshilfe und Grundlage
gegeben werden.
Da Prozessverbesserungen häufig Einfluss auf die Aufbauorganisation haben, Menschen
neue oder geänderte Aufgaben gestellt bekommen bzw. andere Kommunikations- und IT-
Kanäle nutzen müssen, spielt das Thema Veränderungsmanagement ebenso eine wichtige
Rolle im Rahmen der Prozessumsetzung.
Die Begrifflichkeiten Prozessumsetzung, -einführung bzw. -implementierung wer-
den häufig synonym verwendet. Letztlich versteckt sich hinter allen Begriffen die prak-
tische Umsetzung und Überführung der Soll-Prozesse in den Regelbetrieb, d. h. die
Verankerung in organisatorischer und technischer Hinsicht. Die Prozessumsetzung
ist daher eine systematische, meist projektartige Vorgehensweise, die alle unmittel-
bar und mittelbar Beteiligten mit den jeweils notwendigen Informationen versorgt,
Rückkopplungen aus Umsetzungsschritten berücksichtigt und die Soll-Prozesse prak-
tisch ausführbar gestaltet.
Bestandteile der Prozessumsetzung sind somit der Umsetzungsplan (vgl.
Abschn. 12.3), die Umsetzung selbst (vgl. Abschn. 12.4) sowie das begleitende Verände
rungsmanagement (vgl. Abschn. 12.5) und ggf. ein Prozessmarketing (vgl. Abschn. 12.6).
Der Zusammenhang der Begrifflichkeiten untereinander wird durch Abb. 12.1
veranschaulicht.
Das Veränderungsmanagement umfasst die aktive Beeinflussung von organisatori-
schen Veränderungen mit verschiedenen Formen der Information, Kommunikation
und Beteiligung. Im Mittelpunkt des Veränderungsmanagements steht hierbei der
Mensch als Erfolgsfaktor einer Prozessimplementierung. Beim Prozessmarketing steht
vor allem die Vermarktung von Prozessoptimierungs-Projekten und Veränderungen im
Mittelpunkt, um einen frühzeitigen Austausch mit allen Adressaten zu gewährleisten.
Häufig wird dieser Teil der Prozessimplementierung auch als Akzeptanzmanagement
bezeichnet.
12 Organisatorische Umsetzung 227
• Zielgerichtetes Planen,
• Steuern und
Veränderungsmanagement • Umsetzen von komplexen
Veränderungen in Organisationen
• Regelmäßige Informationen
Prozessmarketing • Kontinuierliche Feedback-Verarbeitung
Prozessumsetzung ist eine Managementaufgabe, die nur auf Basis hoher Akzeptanz bei
allen Beteiligten erfolgreich und im zeitlichen und finanziellen Rahmen erfüllt werden
kann. Allerdings stehen genau diese Projekte häufig unter enormem Zeitdruck. Um
erfolgreich zu sein, müssen fünf wichtige Rahmenbedingungen berücksichtigt werden:
1. Wirtschaftliche Rahmenbedingungen
Prozessumsetzungen stehen einerseits unter dem Einfluss des wirtschaftlichen Drucks
der Prozessveränderung und andererseits selbst unter der Vorgabe eines Projektbudgets.
2. Organisatorische Rahmenbedingungen
Prozessverbesserungen haben üblicherweise einen Einfluss auf die Aufbauorganisation.
Neue Rollen oder Aufgabenverlagerungen müssen mit der vorhandenen Ressourcen
ausstattung abgeglichen werden. Besondere Berücksichtigung muss vorhandenen
Betriebsvereinbarungen geschenkt werden, die letztlich einen wesentlichen Einfluss auf
den Grad einer Prozessumsetzung haben können.
3. Technische Rahmenbedingungen
Einführung oder Veränderung von neuen bzw. bestehenden IT-Anwendungen sind
wesentliche Erfolgsfaktoren von Prozessverbesserungen (vgl. ebenso Kap. 13). Im
Rahmen der Prozessumsetzung sind allerdings technische Begrenzungen zu berück-
sichtigen. Die vorhandene IT-Infrastruktur oder auch mangelnde IT-Kapazitäten
können wesentlichen Einfluss auf die Prozessumsetzung nehmen.
228 E. Hagenloch et al.
4. Soziologische/kulturelle Rahmenbedingungen
Die Unternehmenskultur und -flexibilität sind wichtige zu berücksichtigende
Faktoren im Rahmen einer Prozessimplementierung. Ist die Unternehmenskultur
nur bedingt veränderungsbereit, muss auch das Projektteam während der Prozess
umsetzung darauf reagieren.
5. Persönliche Rahmenbedingungen
Persönliche Erfahrungen der Adressaten im Umgang mit Veränderungen sind wich-
tig für eine proaktive Mitwirkung im Rahmen der Veränderung oder Ursache für auf-
tretenden Widerstand.
Die Umsetzungsplanung und -durchführung, vor allem aber das begleitende Verän
derungsmanagement, müssen genau diese Rahmenbedingungen berücksichtigen, um
Soll-Prozesse erfolgreich in der Organisation zu verankern.
Beispiel
Die Mustermann GmbH ist gewillt, das vorgelegte Soll-Konzept für den Dienstrei-
seantrag erfolgreich umzusetzen. Die Umsetzung ist enorm durch wirtschaftliche
Vorgaben getrieben, da die Reisekosten in den letzten Jahren um 20 % gestiegen sind
und nun gesenkt werden sollen. Technische Rahmenbedingungen sind insbeson-
dere durch das vorgeschlagene neue IT-System gegeben, welches webbasiert einen
Workflow zur Verfügung stellt. Das Umsetzungsteam ist zudem aufgrund der orga-
nisatorischen Umstrukturierung der Reisestelle und der telefonischen Auskunft mit
organisatorischen Rahmenbedingungen konfrontiert.
Grundlage für die Planung und Festlegung der Ziele der Prozessumsetzung bietet in
der Regel das Soll-Konzept. Hier sind die Soll-Prozesse beschrieben und aus den Soll-
Konzept-Schwerpunkten lassen sich die Meilensteine für den Umsetzungsplan ableiten.
Dabei ist es wichtig, zu beachten, dass die Ziele der Prozessumsetzung auch vom Soll-
Konzept abweichen können.
Beispiel
Nach Vorlage des Soll-Konzepts beim Betriebsrat wurden klare Bedenken vor-
gebracht. Einerseits müssen dadurch Änderungen im Soll-Konzept hinsichtlich
der Umstrukturierung der Aufbauorganisation berücksichtigt werden und ande-
rerseits wurden Kriterien bei der Auswahl der neuen Software im Rahmen des
Beteiligungsrechts durch den Betriebsrat nicht bestätigt. Deshalb muss auch hier
eine erneute Anpassung erfolgen.
12 Organisatorische Umsetzung 229
• Schlagartig
Die kompletten Prozesse (oder Anwendungen) werden bei allen Betroffenen
gleichzeitig eingeführt und vorhandene Abläufe werden sofort verworfen. Ein
Parallelbetrieb ist demnach nicht möglich.
• Stufenweise
Teile der Prozesse (oder Anwendungen) werden nacheinander eingeführt. Häufig
wird hierfür eine Pilotierung durchgeführt, auf welche andere Organisationseinheiten
aufsetzen.
• Parallel laufend
Der neue Prozess (oder die neue Anwendung) wird eingeführt und die bisheri-
gen werden als Back-up vorgehalten oder es werden beide Lösungen nebeneinander
genutzt (seltenerer Fall).
Maßgeblich für die Entscheidung, welche Variante gewählt wird, sind die bereits
beschriebenen fünf Rahmenbedingungen der Prozessumsetzung (vgl. Abschn. 12.2). Die
230 E. Hagenloch et al.
Wahl der Umsetzungsform wird bspw. dadurch beeinflusst, wie hoch der wirtschaft-
liche Druck der Prozessumsetzung ist oder ob im Rahmen der Umsetzung auch die
Einführung einer neuen IT-Anwendung ansteht (vgl. Kap. 13).
Weitere Einflussfaktoren zur Bestimmung der jeweiligen Umsetzungsform kön-
nen bestimmte individuelle Gegebenheiten sein, wie z. B. der entstehende Aufwand,
das Thema Sicherheit (d. h. eher stufenweise oder parallel laufende Einführung anstatt
schlagartige Einführung) aber auch die personelle Ressourcenverfügbarkeit.
Beispiel
Die Mustermann GmbH hat sich bei der Einführung des Soll-Konzepts für eine
schlagartige Umsetzung entschieden. Organisatorisch hat die neue Struktur maß-
gebliche Änderungen zur Folge, sodass das parallele Vorhalten der alten Struktur
nicht sinnvoll erscheint. Das neue IT-System soll zu einem festen Stichtag für alle
Mitarbeiter zur Verfügung stehen.
Ein Hauptaugenmerk liegt auf der Identifikation der Adressaten, also wer über die
Prozesseinführung informiert oder in diese involviert werden sollte. Alle Adressaten
benötigen einen unterschiedlichen Grad an Informationen. Einige müssen konkret
wissen, wie zukünftig der Prozess detailliert zu durchlaufen ist. Anderen reicht die
Information, was sich grundsätzlich im Prozess ändert.
12 Organisatorische Umsetzung 231
Beispiel
Auch für die Mustermann GmbH ist die Identifikation sämtlicher Adressaten ein wich-
tiger Erfolgsfaktor. Das Projektteam konnte die Sachbearbeiter der Reisestelle und der
internen Abrechnung als direkt betroffene Aufgabenträger identifizieren. Für diese
Rollen wird sich die zukünftige Arbeit grundlegend ändern. Als indirekt betroffene
Aufgabenträger wurden die IT-Abteilung und der Betriebsrat identifiziert. Die zentrale
Telefonauskunft wird vom neuen Prozess entlastet. Zukünftig werden diese Mitarbei-
ter nicht mehr beim Dienstreiseantrag involviert sein. Da der Reisevorschuss entfällt,
wird der Sachbearbeiter „Reisekasse“ anderweitig eingesetzt werden müssen.
Ein weiterer Erfolgsfaktor für ein gelungenes Prozessumsetzungs-Projekt ist die solide
zeitliche Planung. Abhängig von der gewählten Umsetzungsform kann die Zeitplanung
stark in ihren einzelnen Phasen variieren.
Sobald der zeitliche Rahmen (Start- und Endtermin) für das Umsetzungsprojekt
bestimmt wurde, kann die tatsächliche Planung beginnen. Das ganze Projekt wird in
einzelne Arbeitspakete aufgeteilt und Meilensteine zur Überprüfung der Zwischenergeb
nisse definiert. Weiterhin sollte im Zeitplan für jedes Arbeitspaket vor Beendigung ein
232 E. Hagenloch et al.
Das Projekt setzt sich klassischerweise aus einem Projektleiter und Projektmitarbeitern
zusammen. Der Projektleiter überwacht und steuert dabei die Veränderungen im Rahmen
des Umsetzungsprojekts. Optimal wird diese Rolle durch den Prozessverantwortlichen des
Soll-Prozesses besetzt, da er später die dauerhafte Verantwortung für den Erfolg bzw. die
Zielerreichung des Prozesses übernimmt.
Die Projektmitarbeiter zeichnen sich durch ihre jeweilige Sachkompetenz aus
und bestehen dabei aus Fachexperten, IT-Mitarbeitern, Mitarbeitern mit Schulungs
kompetenzen, aber idealerweise auch aus Führungskräften der Betroffenen, um eine
höhere Akzeptanz bei der Einführung zu schaffen. Ein guter Weg, das Know-how des
Optimierungsprojekts in die Umsetzungsphase zu integrieren, besteht darin, Mitarbeiter
zu involvieren, die bereits während der Optimierung und der Erstellung der Soll-Prozesse
beteiligt waren. Des Weiteren kann es hilfreich sein, einen Veränderungsmanager ins
Projektteam zu holen, der in Fragen der Organisationsentwicklung berät, aber der auch
auf menschlicher Ebene mit den Betroffenen agiert.
Neben der Sicherstellung der qualitativen Kompetenzen der Projektmitarbeiter sollte
das Vorhandensein der personellen Ressourcen geprüft werden. Dabei ist zu ermitteln,
welche Projektmitarbeiter in welchem Umfang in den verschiedenen Arbeitspaketen
benötigt werden und ob eine Unterstützung durch externe Ressourcen zur Erfüllung des
Zeitplans notwendig ist.
Sobald die vier genannten Adressaten für den Prozess identifiziert wurden (vgl.
Abschn. 12.4.1), bleibt zu entscheiden, in welchem Ausmaß diese nun in die Umsetzung
eingebunden werden. Für die differenzierte Einbindung der Adressaten haben wir ein
Modell entwickelt, welches insbesondere für Planungs- und Entscheidungsphasen eine
Auswahl der Formen der Einbindung vereinfachen soll. Dieses „I-K-B-Modell“ unter-
scheidet drei Formen der Einbindung (Scherber et al. 2011):
• Information
Ziel ist es, die Adressaten ausreichend über die Umsetzung sowie über die Notwen
digkeit zur Veränderung zu informieren, um Bewusstsein und Verständnis zu schaffen.
12 Organisatorische Umsetzung 233
Die reine Information der Mitarbeiter schließt dabei die Kommunikation und direkte
Beteiligung aus.
• Kommunikation
Ziel ist es, die Umsetzung und Veränderung ausreichend zu kommunizieren, um
Transparenz und Verständnis zu schaffen. Bei der Kommunikation handelt es sich
um den Austausch von Informationen und nicht um eine unidirektionale Weitergabe
von Informationen.
• Beteiligung
Ziel ist es, alle Betroffenen mit ins Boot zu holen und entsprechend am Verände
rungsprozess zu beteiligen, um Ängsten und Widerständen zu begegnen. Damit
werden Betroffene zu Beteiligten gemacht und können sich später besser mit den
Veränderungen identifizieren.
AP4
Start Implementierung
AP3
und Optimierung GPM
AP2
AP1
KW01 KW02 KW03 KW04 KW05 KW06 KW07 KW08 KW09 KW10 KW11 KW12
Ereignis AP1 Legende:
Arbeitspaket
QS AP1
Berichterstattung
Ereignis AP2 Qualitätssicherung
Informationsbedarf I
QS AP2
Kommunikationsbedarf K
Beteiligungsbedarf B
I K K I I I I I
B B B K B K B
Abb. 12.2 Beispiel für eine Projektplanung unter Berücksichtigung der Formen zur Einbindung
von Projektadressaten
234 E. Hagenloch et al.
Reichweite
Engagement
E-Mail- Diskussions - Opinion
hoch des
Groupware Newsletter forum Board Vorstands
Intranet
Schwarzes
Brett Projekt-
Kick-off-Meeting
Schulung erfahrungs - Erfolge feiern
austausch
Präsentation
Workshops, Projektarbeit
in Leitungs- Einzel-
gering Klausuren im Team
meetings gespräche
Abb. 12.3 Übersicht über Reichweite und Wirkungstiefe von Medien für die Formen der Einbindung
Beispiel
Aufgrund der Vielzahl an Adressaten und der enormen organisatorischen Veränderun-
gen sollen die identifizierten Adressaten unterschiedlich eingebunden werden. Geplant
ist es, frühzeitig sämtliche Mitarbeiter über die geplanten Änderungen zu informieren
und auch Kommunikationsmittel zur Verfügung zu stellen. Die Reisestelle soll früh-
zeitig im Umsetzungsprojekt eingebunden werden, da sich deren Abläufe verändern
werden. Auch die interne Abrechnung bekommt neue Aufgaben und soll daher direkt
eingebunden werden. Der Betriebsrat muss für die Softwareauswahl eingebunden
werden, soll aber auch während des Projekts fortlaufend informiert werden. Mit der
Adressatengruppe der Entlasteten soll frühzeitig in eine Kommunikation eingestiegen
werden. Insbesondere muss für den Sachbearbeiter der Reisekasse eine neue Perspek-
tive diskutiert werden.
Der gezielte Einsatz der richtigen Medien ist ein wichtiges Werkzeug bei der Einbindung
der Adressaten in die Prozesseinführung. Dabei ist jeweils das Medium auszuwählen, das
für die Adressaten zum gewählten Zeitpunkt sinnvoll ist.
12 Organisatorische Umsetzung 235
• Information
Um die Mitarbeiter über Prozessveränderungen zu informieren, kann bspw. ein
Mailing oder ein Newsletter genutzt werden. Die Reichweite dieser Medien ist hoch,
führt aber zu keiner merklichen Verhaltensänderung der Mitarbeiter. Folglich ist die
reine Information nicht zwangsläufig für alle Adressaten von Vorteil. Daher müssen
von Beginn an diejenigen identifiziert werden, die in die Kommunikation eingebun-
den oder sogar beteiligt werden müssen.
• Kommunikation
Als Medium zur Kommunikation über eine Prozesseinführung kann ein Diskus
sionsforum im Intranet genutzt werden. Hier können sich alle Mitarbeiter über
das Projekt und die daraus resultierenden Veränderungen austauschen. Dies
sollte idealerweise unter Moderation des Projektleiters erfolgen. Die Reichweite
eines Diskussionsforums ist hoch, da alle Mitarbeiter Zugriff zum Intranet haben,
und kann dazu beitragen, Anstöße zum Umdenken im Rahmen der zukünftigen
Prozessveränderungen zu geben.
• Beteiligung
Um die Mitarbeiter an der Prozesseinführung zu beteiligen, können Schulungen
durchgeführt werden. Dabei kann es sich bspw. um die Schulung einer später im
Prozess verwendeten IT-Anwendung handeln. Es ist aber auch möglich, die Aufgaben
der einzelnen Prozessmitarbeiter in Rollenspielen oder Prozess-Walk-Throughs zu
schulen, um dabei erste Erfahrungen zu sammeln und um die spätere Akzeptanz
gegenüber den Veränderungen zu erhöhen. Diese Medien versprechen eine gute
Wirkungstiefe, haben jedoch eine eher geringe Reichweite, da nur wenige Beteiligte
involviert werden können.
Beispiel
Um den Projektplan und die vorgesehenen Einbindungsformen zu detaillieren, hat sich
das Projektteam der Mustermann GmbH entschieden, konkrete Medien im Rahmen
des Umsetzungsprojekts festzulegen. Mit den entlasteten Mitarbeitern sollen zu Beginn
Einzelgespräche geführt werden. Anschließend sollen sämtliche Mitarbeiter im Rahmen
der Betriebsversammlung über die geplanten Strukturreformen und die Einführung des
neuen Systems informiert werden. In Workshops sollen anschließend die direkt betrof-
fenen Aufgabenträger eingebunden werden, während die IT-Abteilung laufend im Rah-
men der IT-Systemauswahl und -Einführung direkt eingebunden ist. Parallel werden die
236 E. Hagenloch et al.
Gespräche mit dem Betriebsrat geführt. Während der IT-Systemeinführung sollen die
Sachbearbeiter der Reisestelle und internen Abrechnung über Prozess-Walk-Throughs
und IT-Schulungen ausgebildet und in die neuen Abläufe eingeführt werden. Für die
Mitarbeiter, die später das neue System im Rahmen der Beantragung und Abrechnung
von Reisen nutzen werden, soll eine E-Learning-Plattform freigeschaltet werden.
12.4.6 Interaktion
12.5 Veränderungsmanagement
Im Rahmen des Veränderungsmanagements ist es daher wichtig, ein hohes Maß an allge-
meiner Information in sinnvoller Kombination mit individueller Kommunikation und
Beteiligung zu erreichen. Dabei umfasst das Veränderungsmanagement selbst eben diese
aktive Beeinflussung von organisatorischen Veränderungen mit verschiedenen Formen der
Information, Kommunikation und Beteiligung. Das Veränderungsmanagement beinhaltet
die Integration aller Adressaten (unmittelbar und mittelbar Beteiligte) in der jeweils geeig-
neten Form und stellt dabei eine systematische Vorgehensweise zur Unterstützung der fach-
lichen Aufgabenstellung durch methodisch untersetzte Interaktionen dar.
Im Ergebnis sind alle Adressaten mit den jeweils notwendigen Informationen ver-
sorgt und deren Rückkopplungen aus Umsetzungsschritten hinreichend berücksichtigt.
Das Veränderungsmanagement fungiert so als Vertretung der Adressaten (im Sinne
einer Interessenvertretung). Für eine Projektorganisation zur Prozessimplementierung
Zeit
Technik Budget
238 E. Hagenloch et al.
empfiehlt sich eine Trennung zwischen Projektleitung und der Leitung des
Veränderungsmanagements (z. B. als Stabsfunktion), da nicht selten in diesen Rollen
Interessenkonflikte entstehen können.
„Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen Wind
mühlen!“ (Chinesisches Sprichwort)
Veränderungsmanagement soll im Rahmen der Prozessimplementierung das
Schaffen einer gemeinsamen Orientierung aller Beteiligten und die Identifikation
mit dem Veränderungsprozess unterstützen. Als Drehscheibe für transparente
und zielgerichtete Information und Kommunikation mit den Beteiligten beinhal-
tet es auch die Entwicklung geeigneter Beteiligungsformen für die Beschäftigten (ggf.
Initiierung übergreifender Personalentwicklung und Qualifikation; ggf. Begleitung bei
Rahmenvereinbarungen zu Personalveränderungen).
Das Veränderungsmanagement soll am Projektplan zur Prozessimplementierung
ausgerichtet werden. Dies kann mit einem Informations-, Kommunikations- und
Beteiligungskonzept (ggf. inkl. Schulungskonzept) unterstützt werden. Darin sollen fol-
gende Themen ausgeführt werden:
Beispiel
Auch die Mustermann GmbH hat sich für die Erweiterung der Projektorganisation um
einen Veränderungsmanager entschieden. Dieser soll als Mittler zwischen Projektlei-
tung und Adressaten wirken. Konkret obliegt ihm die regelmäßige und sachgerechte
Verbreitung der Informationen des Projekts an alle Mitarbeiter und die stetige Beteili-
gung der Sachbearbeiter der Reisestelle. Darüber hinaus ist er Ansprechpartner für die
Adressaten zu Komplikationen bei der Umsetzung der Projektschritte.
Nachdem über die Entscheidung hinreichend informiert wurde, sollte keine erneute
Diskussion der Entscheidung angestoßen werden! Damit würde die Entscheidung selbst
in Frage gestellt und Unsicherheit signalisiert werden. Darüber hinaus würde dies die
Aussicht eröffnen, dass die Entscheidung revidiert werden könnte. Im Anschluss an
die Information über die Entscheidung soll auch deren Umsetzung kontrolliert wer-
den. Dies wiederum ist eine grundsätzliche Voraussetzung für den Start in die nächste
Kommunikationsphase. Denn zumindest die Umsetzung der Entscheidung in Ansätzen
sollte dabei Gegenstand der Kommunikation sein, um für weitere Entscheidungen mit
vertieftem Detaillierungsgrad nun kommunikativ darauf aufsetzen zu können. Sofern
Anpassungen oder Korrekturen an bereits gefällten Entscheidungen notwendig werden,
sollte dies zu diesem Zeitpunkt mit berücksichtigt werden. Aus dem voran beschriebe-
nen Vorgehen ergibt sich ein wiederkehrender Kreislauf, wie er in Abb. 12.5 grafisch
dargestellt ist.
Der Einsatz dieser Methodik soll die zunehmende Komplexität im Veränderungs
management während eines Projekts etwas senken und den Verantwortlichen rela-
tiv einfache Orientierungshilfen liefern. Die Methodik kann auch einfach in die
Umsetzungsplanung aufgenommen und somit deren konsequente Einhaltung gesichert
werden.
Kommunizieren
Projektmanagement-
Soll-Konzept
Aufgaben
Projekt- Detail-
management konzept
Kontrollieren Entscheiden
Umsetzungs-
Medium
schritte
Informationsziele
(Reichweite, Umsetzung
Wirkungstiefe) Informieren
Abb. 12.5 Methode KEIK zur Vereinfachung der Abfolge von der Entscheidungsfindung bis zur
-umsetzung
12 Organisatorische Umsetzung 241
Einfrieren Auftauen
Bewegen
242 E. Hagenloch et al.
Tab. 12.1 Beispiele zum Umgang mit den Phasen der Veränderung
Phasen Auftauen Bewegen Einfrieren
Was ist zu tun? • E rwartungen und • V eränderungsziele • Realisierung
Befürchtungen festlegen vereinbarter
transparent machen • Soll-Zustand erarbeiten Maßnahmen
• Überwindung von • Erarbeitung der • Kontrolle
Widerständen Soll-Prozesse durch • Nachjustierung
• Verstärkung der Prozessmodellierung • Stabilisierung des
fördernden Kräfte • Erhebung der neuen Verhaltens
• Analyse der Situation Anforderungen auf
und Definition von Basis der Prozesse
Ansatzpunkten für • Erarbeitung der
Veränderungen zukünftigen IT-
Infrastruktur
• Wissensvermittlung
• Stetige Information
über den aktuellen Stand
Methoden • Klärungsworkshops • Prozessmodellierungs- • Umsetzungsteams
• Befragung Workshops • Übergabe in
• Diagnoseworkshops • Arbeitsteams Linienverantwortung
• Feedbackrunden • Führungskreise • Training und Feedback
• Soll-Ist-Vergleiche • Soll-Ist-Vergleiche
12.5.4 Eisbergmodell
1 • Fehlende Information
• Nicht wahrhaben wollen
• Schock und kurzzeitige Euphorie
• Gerüchte
Betroffene
Beteiligte 2 • Schlechtes Klima, Ausklinken
• Konflikte, Kritik,
„Geht nicht“-Haltung
• „Sabotage“
• Unterstellungen, negative
Verleugnungsphase Emotionen
(1)
Stabilisierung 3 • Moment maximaler Instabilität:
(5) Das Alte loslassen,
Widerstand das Neue noch nicht da.
(2) • Einbruch der Leistung
Versuch, Irrtum und • Frustration, Depression, Mutlosigkeit
Ausprobieren • Verunsicherung, Angst
(4)
4 • Ungeordnete Aktion, Probehandeln
• Experimentieren
Tal, Krise, • Chaos, Reibungsverluste, …
Instabilität
(3) 5 • Nach vorne schauen
• Neuorientierung
• Sich wiederfinden, ordnen
• Neue Rituale und Traditionen
• Blick auf die nächste
Herausforderung
Abb. 12.7 Veränderungsverläufe und typische Reaktionen der Beteiligten verstehen (Manage-
ment School St. Gallen 2011, S. 31)
Situationen bewusst durch uns gesteuert. Freud zog mit dieser bis heute in zahlreichen
Studien bestätigten und untersetzten Erkenntnis sozusagen einen Schlussstrich unter
die bis dahin geltenden Auffassungen, die menschliches Verhalten allein auf bewusstes
Denken und rationales Handeln zurückführen wollten.
Einleitend wurde bereits auf die Bedeutung der Menschen im Rahmen des
Veränderungsmanagements verwiesen. So ist auch das Wissen um das Eisbergmodell
wichtig, um insbesondere Reaktionen auf Veränderungen (inkl. der entsprechenden
Vorgehensweise) positiv im Sinne der Gesamtzielsetzung zu verarbeiten. Bei aller Planung
und Vorbereitung der Prozessimplementierung bleibt ein wesentlicher Anteil an nicht
direkt oder bewusst zu steuernden Reaktionen auf anstehende Veränderungen bestehen.
Hier ist es oft sehr hilfreich, sich mit vorherigen Veränderungen und den daraus resultie-
renden Erfahrungen zu befassen. Sind z. B. frühere organisatorische Veränderungen posi-
tiv umgesetzt worden, so kann darauf sicherlich gut aufgebaut werden. Bei gegenteiligen
Erfahrungen kann insbesondere in einer Start-Phase der Prozessimplementierung eine
intensive Kommunikation helfen, Erfahrungen, Bedürfnisse und Befürchtungen zu erfas-
sen, die spätere unterbewusste Reaktionen auslösen können. Abbildung 12.8 verschafft
244 E. Hagenloch et al.
Beobachtbares
Träume Fehlleistungen
Verhalten
Bewusstes
Gedanken,
Testantworten Gefühle, Assoziationen
Wünsche
Abwehrmechanismen Auslösender
Umweltreiz
Vorbewusstes
Angst
Verdrängte Konflikte
Persönlichkeitsmerkmale
Unbewusstes
Psychosexuelle Entwicklung,
traumatische Erlebnisse
Erbanlagen,
Instinkte
einen Überblick über die theoretischen Hintergründe des Eisbergmodells, wie es nach
dem Freud’schen Ur-Modell durch andere Personen weiter verfeinert wurde. (Ruch und
Zimbardo 1974)
• Rationaler Widerstand
– Bezieht sich auf logische Argumente gegen den Wandel
– Form des Widerstands, der am Einfachsten durch eine Begründung des Wandels
zu handhaben ist (Sensibilisierung!)
• Politischer Widerstand
– Entsteht durch die Angst von Mitarbeitern, aufgrund von Veränderungen im
Unternehmen an Einfluss und Macht zu verlieren
– Diese Angst entsteht z. B. beim Abbau von Hierarchieebenen im Unternehmen
12 Organisatorische Umsetzung 245
• Emotionaler Widerstand
– Entwickelt sich aus mehr oder weniger konkreten Befürchtungen und Ängsten der
Mitarbeiter vor dem Wandel
– Lässt sich nicht mit logischen Argumenten erklären
– Subjektive, nicht rational erklärbare Gefühle spielen die größte Rolle
– Angst, mit den Veränderungen nicht zurechtzukommen
Nach einer Studie von Capgemini Consulting (Capgemini Deutschland 2010, S. 48 ff.)
können die Hauptgründe für mangelnde Veränderungsbereitschaft mit mangelnder
Einsicht für die Notwendigkeit, der Angst vor Entscheidungen und dem Verlust an
Einfluss zusammengefasst werden (vgl. Abb. 12.9). An eben diesen Widerständen soll-
ten deshalb die Beteiligungsformen angesetzt werden und in geeigneter Intensität und
Kontinuität dazu führen, dass eine passgenaue Einbindung der Beteiligten erreicht wird.
Für diesen Ansatz, Beteiligte mit ins Boot zu holen, gibt es einige Tipps, die nachfol-
gend aufgelistet werden:
• Eine Veränderung kann nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn alle Beteiligten
„mitziehen“.
• Folgende Gruppen sollten bereits zu Beginn des Veränderungsprozesses involviert
werden:
– Personalrat,
– Betriebsrat,
– Gleichstellungsbeauftragte.
12.6 Prozessmarketing
Für die Nutzung der Medien sind jeweils drei Fragestellungen von großer Bedeutung:
• Wer soll mit dem Medium erreicht werden? Aus dieser Fragestellung kann eine
sinnvolle Auswahl geeigneter Medien vorgenommen werden. Wichtige Kriterien
sind dabei wieder die Reichweite und die Wirkungstiefe, die bei der identifizierten
Zielgruppe erzielt werden sollen.
12 Organisatorische Umsetzung 247
• Was soll mit dem Medium erreicht werden? Mit dieser Fragestellung werden
die bereits ausgewählten Medien weiter gefiltert. Dabei spielen dann stärker die
Formen der Einbindung (I-K-B-Modell, vgl. Abschn. 12.4.4) eine Rolle. Mit ihrer
Unterstützung werden Informationen, Kommunikation oder Beteiligung an oder mit
den Zielgruppen ermöglicht. Diese Formen der Einbindung sind auch für die letzte
Fragestellung relevant.
• Wie soll mit dem Medium informiert, kommuniziert oder beteiligt werden? Nach
der Auswahl stehen dann die entsprechenden Vorbereitungen für den Einsatz des
Mediums an.
Die Dokumentation des Auswahlverfahrens nach diesen drei Fragestellungen ist für die
Vorbereitung des Medieneinsatzes oft sehr hilfreich. Sie liefert bereits den Rahmen für
die vorbereitende Konzeption, z. B. von Veranstaltungen, und sichert von Anfang an den
Erfolg der Aktivitäten.
Literatur
Zusammenfassung
Dieses Kapitel fokussiert auf die technische Umsetzung von Prozessen durch
Informationstechnologie als Teil der Phase Prozessumsetzung des PMLC. Die
Ergebnisse der Geschäftsprozessmodellierung und -analyse bilden hierfür die Basis.
Dafür werden die Rolle und Tätigkeiten des Business- und IT-Analysten näher
betrachtet. Das Kapitel beantwortet die Frage: Wie kann es erfolgreich gelingen, die
fachlichen Anforderungen zu „übersetzen“ und den Transformationsprozess für das
Design zur technischen Umsetzung zu gestalten? Basierend auf einer Klassifikation von
IT-Anwendungen, praktischen Erfahrungen und Best Practices wird die technische
Umsetzung von Prozessen durch Einführung von Standardsoftware/ERP-Systemen,
mittels Workflow-Systemen sowie durch Entwicklung von Individualsoftware vor-
gestellt. Der Fokus liegt dabei auf den Möglichkeiten und Herausforderungen,
die bei der technischen Umsetzung bestehen sowie auf konkreten Methoden und
Vorgehensmodellen. Abschließend werden ein Vorgehen sowie Erfahrungen als Best
Practice-Fallbeispiel aus einem der größten individuellen Softwareentwicklungs-
Projekte der letzten zehn Jahre in Europa präsentiert.
Dieses Kapitel fokussiert auf die technische Umsetzung von Prozessen durch
Informationstechnologie als Teil der Phase Prozessumsetzung des Process Management
Life Cycle (PMLC, vgl. Abschn. 2.4.4). Wie in Abb. 13.1 dargestellt, bilden die Ergebnisse
der Geschäftsprozessmodellierung und -analyse der PMLC-Phasen Prozessdokumentation
sowie Prozessoptimierung hierfür die Basis.
Genauso wie die Geschäftsprozesse selbst, unterliegen auch die für die Ausführung
der Prozesse erforderlichen IT-Anwendungen (Softwarelösungen) einem Lebenszyklus
(Application Management Life Cycle (van der Pols 2005; Meijer et al. 2008)). Im
Optimalfall wird der Takt für diesen Lebenszyklus vom PMLC vorgegeben, sodass
Anpassungen der zugrunde liegenden IT-Anwendungen immer durch fachliche
Erfordernisse gesteuert werden.
Geschäftsprozessanalyse
PMLC
und -modellierung
An-
forderungen
Optimierung Design
Application Management
Life Cycle
Implemen-
Betrieb tierung und
Test
Produktiv-
setzung
Abb. 13.1 Einordnung in den PMLC sowie Application Management Life Cycle (in Anlehnung
an van der Pols 2005; Meijer et al. 2008)
13 Technische Umsetzung 251
Anwendungen
Business Analyst
Anforderungen
Vorgehensmodelle
Rollen
(z. B. Practice,
(z. B. UML)
BPMN) kunden-
spezifisch)
Programmierer
Abb. 13.2 Motivation und Fokus des Kapitels inkl. involvierter Rollen
252 T. Rausch et al.
konzentriert sich das vorliegende Kapitel auf die Rollen und Tätigkeiten in Bezug auf die
Definition von Anforderungen sowie die weitergehende Spezifikation für das Design zur
technischen Umsetzung (vgl. Mitte der Abb. 13.2).
Folglich stehen die Rolle und die Aufgaben des Business-Analysten (European
Association of Business Process Management EABPM 2009) als „Übersetzer“ und
„Transformator“ der fachlichen Anforderungen im Mittelpunkt. Der Business-Analyst
besitzt sehr gute analytische und konzeptionelle Fähigkeiten und hat neben einem brei-
ten fachlichen Verständnis ebenso gute Kenntnisse der Anwendungslandschaft und
-logik. Somit ist er das zentrale Bindeglied zwischen den Prozessexperten im Fachbereich
und der IT/Entwicklung. Er kann mit beiden Seiten gleich gut kommunizieren und stellt
das viel zitierte Business IT Alignment sicher.
Der Begriff des Business-Analysten kommt traditionell aus dem anglo-amerikanischen
Raum. Im deutschsprachigen Raum werden diese Aufgaben oft durch Absolventen der
Wirtschaftsinformatik wahrgenommen oder auch durch Mitarbeiter des Fachbereichs,
die sich über mehrere Jahre Erfahrung und Know-how in der IT-Umsetzung erarbei-
ten konnten (z. B. durch die Mitarbeit in IT-Projekten in ihrem Bereich, durch fachli-
che Anwendungsbetreuung etc.). Je nach Projekt und Personen/Team kann die Rolle des
Business-Analysten ggf. auch personell mit der des IT-Analysten zusammenfallen oder
auch von mehreren Personen wahrgenommen werden.
Neben der zentralen Rolle des Business-Analysten spielen im Rahmen der techni-
schen Umsetzung weitere Akteure eine wichtige Rolle. Tabelle 13.1 fasst die maßgeblich
involvierten Rollen und deren Tätigkeiten zusammen.
Tab. 13.1 Rollen und deren Tätigkeiten im Rahmen der technischen Umsetzung
Rolle Tätigkeiten
Prozessexperte (Fachbereich) • Definiert fachliche Anforderungen und beauftragt deren
Spezifikation und Umsetzung
• Nimmt die realisierten Anforderungen am Ende der
Umsetzung ab
Business-Analyst („Übersetzer“) • Versteht die fachlichen Anforderungen und erstellt die
detaillierte Spezifikation
• Steht für Detailfragen zur Spezifikation im gesamten
Prozess zur Verfügung
IT-Analyst • Nimmt Anforderungen entgegen, gibt Feedback aus
technischer/IT-Sicht
• Erstellt das Software-Design
• Schätzt Umsetzungsmöglichkeiten (Machbarkeit),
Abhängigkeiten zu anderen Anwendungen/Bereichen
sowie Aufwände
Programmierer/Entwickler • Technisches Design der Software
• Implementiert die Anforderungen
13 Technische Umsetzung 253
Die Implementierung und Einführung neuer IT-Anwendungen ist in der Regel eine
große Herausforderung für Unternehmen, wobei diese Herausforderung mit zuneh-
mender Unternehmensgröße und Anzahl der Einsatzgebiete der Anwendung steigt
– im Extremfall bis zur kompletten Neuentwicklung und dem Austausch der gesamten
System- und Anwendungslandschaft. Damit derartige Vorhaben gelingen können und
nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt sind, müssen nicht nur die fachlichen
Abläufe und Anforderungen dokumentiert und bekannt sein, sondern auch in detail-
lierte Vorgaben für das Design und die Implementierung überführt werden.
Bevor die (Neu-)Implementierung bzw. Einführung von IT-Anwendungen näher
beschrieben wird, nehmen wir im folgenden Unterabschnitt eine Klassifikation von IT-
Anwendungen vor, um dann in Folge auf Vorgehensmodelle und Methoden einzugehen,
wie IT-Anwendungen auf Basis von fachlichen Analysen und Prozessen technisch umge-
setzt werden können.
Standardsoftware/
Systemsoftware
ERP-Systeme
Software
WF-Systeme/-Engines,
Anwendungssoftware modifizierte
Standardsoftware
Individualsoftware
Abb. 13.3 Klassifikation von Software bzw. IT-Anwendungen (in Anlehnung an Diehl 2000;
zitiert aus Vaher 2003/2004)
254 T. Rausch et al.
Bei der Einführung von Standardsoftware ist es ein entscheidendes Kriterium, inwieweit
der Umfang und Inhalt der Software des gewählten Anbieters als gegeben hingenommen
und akzeptiert wird bzw. wie groß die Notwendigkeit und der Wille zu Modifikationen
13 Technische Umsetzung 255
der Standardsoftware sind. Dies geschieht in der Regel durch sogenanntes Customizing
der Standardsoftware, was bei größeren Modifikationen einer Neuprogrammierung der
betroffenen Teile entspricht und entsprechende Aufwands- und vor allem Pflegepro
blematiken nach sich zieht.
Bei der Einführung von Standardsoftware, insbesondere wenn es sich um Unter
nehmenssysteme wie SAP®, Oracle® etc. handelt, ist zu beachten, dass die fachli-
che Modellierung im Hinblick auf die Granularität in der Regel nicht direkt auf
die Transaktionen/Funktionen des gewählten Systems abgebildet werden kann.
Standardsoftware wird heutzutage als prozessbasierte Software platziert, für die Hersteller
(bzw. Berater) Prozess-Templates zur Einführung anbieten. Diese sind jedoch in der
Regel eine Ansammlung von eher technischen Transaktionen/Funktionen und haben so
nur indirekten Bezug zum fachlichen Prozess. Zudem kennt der fachliche Prozess auch
rein manuelle Aktivitäten, die im System keine Entsprechung finden.
Zwischen fachlichen Geschäftsprozessen und ERP-Systemen treten somit folgende
Beziehungen auf:
Bidirektionaler
Austausch
Ausführungs-
modell
Execution Graph = PSM
(Sprache des BPMS, ggf.
herstellerspezifisches BPEL)
Legacy-System, Referenzmodelle
UML-Modelle
keine Modellierung (Standardsoftware)
Abb. 13.5 Trennung von Business, Workflow und Execution Graph (Junginger et al. 2000, S. 199)
Wie der Name bereits nahelegt, wird hierbei Software individuell entwickelt und auf
die individuellen Bedürfnisse des Anwenders/Unternehmens im Detail eingegan-
gen, d. h. das Ergebnis ist im Alltag durchaus vergleichbar mit einer Maßanfertigung.
Maßanfertigungen von Produkten, wie zum Beispiel Schuhen oder Anzügen, sind
in Bezug auf ihre Individualität durchaus vergleichbar. Allerdings ist dabei in der
Regel das Zielprodukt bereits deutlich definiert (bekannt), wodurch die Möglichkeit
Maß zu nehmen (also die Spezifikation zu erstellen), erheblich besser gegeben ist. Bei
Individualsoftware hingegen ist das Zielbild oft nur teilweise vorhanden, Architektur-
Entscheidungen sind noch zu treffen und das Vorgehen zur Erstellung der Spezifikation
ist nicht vorgegeben. Einzelne Parameter können sich sogar noch im Laufe des Projekts
ändern.
Oft handelt es sich hierbei um Lösungen, die nur von einem Unternehmen eingesetzt
werden. Andererseits besteht auch die Möglichkeit, eine Software, die ursprünglich als
Individualsoftware entwickelt worden ist, in weiterer Folge zu einer Branchenlösung und
damit de-facto zu einer Standardsoftware weiter zu entwickeln.
Zur Erstellung einer maßgeschneiderten Software ist es essenziell, die fachlichen
Anforderungen detailliert zu kennen, wie auch die Rahmenbedingungen und nicht-
funktionalen Anforderungen (wie z. B. Antwortzeiten, Offline-Nutzung) in einem
Pflichtenheft vorab zu spezifizieren.
Hierbei ist zu beachten, dass das Zielbild und die entsprechenden Zielvorgaben (tech-
nisch wie inhaltlich) in frühen Stadien oft nicht ausreichend bekannt sind bzw. sich
im Laufe der Zeit ändern können. Zudem kann im Unterschied zu Standardsoftware
kein vorhandenes Zielsystem als Referenzpunkt genommen werden, sondern die
Anforderungen sind als Soll-System von Grund auf zu beschreiben. Inwieweit eine
Ist-Analyse (und Ist-Prozessaufnahme) hierfür hilfreich ist, ist im Einzelfall zu ent-
scheiden. Dies hängt v. a. auch von der Zielsetzung der Neuentwicklung ab: Je revolu-
tionärer die geplanten Änderungen in Bezug auf die Arbeitsabläufe, Organisation und
IT-Anwendungen sind, umso weniger Relevanz und Vorteile hat eine Ist-Analyse.
Im Folgenden werden Methoden zur Erfassung der fachlichen Anforderungen im
Rahmen einer prozessbasierten IT-Spezifikation dargestellt, wobei die Autoren hier-
bei auf ihre Erfahrungen aus großen Softwareentwicklungsprojekten zurückgrei-
fen. Anforderungen an IT-Systeme werden aus geschäftlichen Zielen, Prozessen und
13 Technische Umsetzung 259
Erwartungen abgeleitet, analysiert und sukzessive verfeinert. Bei großen Systemen entsteht
dabei eine Komplexität, die nur methodisch und werkzeuggestützt zu beherrschen ist.
Stellt man die Anforderungen in den Mittelpunkt, werden diese, wie in Abb. 13.6
dargestellt, aus den fachlichen Prozessmodellen, Anwendungsfallbeschreibungen und
GUI-Entwürfen (engl. Graphical User Interface; dt. grafische Benutzeroberfläche) im
Rahmen des Anforderungsmanagements abgeleitet und dokumentiert (vgl. Nr. 1 in
Abb. 13.6).
Hierzu zählen auch die Vorgaben, die sich aus der Softwarearchitektur selbst ergeben
(BOC 2007). Auf Basis der Anforderungen werden dann:
Diese Artefakte bilden auch das Gerüst für eine Methode zur Entwicklung von Individual
software, die im nächsten Abschnitt anhand eines Best Practice-Projektbeispiels im Detail
vorgestellt wird.
Facharchitektur Softwarearchitektur
Fachliche Technische
Prozessmodelle Anforderungen
1
Anwendungsfall- Anforderungen 1
beschreibungen 1
Technische
Geschäftsprozessmodelle
Workflow- und
Testfälle
Datenmodelle
Im Folgenden werden Konzepte, Vorgehen und Erfahrungen aus einem der größ-
ten individuellen Softwareentwicklungsprojekte der letzten zehn Jahre in Europa als
Best Practice-Fallbeispiel präsentiert. Für das ausgewählte Projekt haben sich Ende der
1990er-Jahre neun unabhängige Sozialversicherungsträger mit dem Ziel einer komplet-
ten Neuentwicklung ihrer gesamten IT-Anwendungen zusammengeschlossen. Diese
sollten auf Basis vereinheitlichter Prozessabläufe und basierend auf der damals noch
recht neuen Java- und der noch jungen, aber schon den Kinderschuhen entwachsenen
Workflow-Technologie entstehen.
Hierbei entstand eine Best Practice-Spezifikationsmethode, die im Folgenden näher
beschrieben wird. Grundsätzliche Überlegungen zum Vorgehen und insbesondere zur
Identifikation von Anwendungsfällen für die Workflow-Steuerung finden sich auch in
Herzog (1998).
13.3.1.1 Geschäftsprozessmodellierung
In der Geschäftsprozessmodellierung werden ausgehend von den in der Prozesslandkarte
identifizierten Prozessen die fachlichen Abläufe beschrieben. Ein besonderes Merkmal
in der gewählten (EPK-nahen) Methodik liegt in der konsequenten Modellierung von
Ereignissen, die nicht nur als Ausgangs- und Endzustände der Prozesse dienen, sondern
13 Technische Umsetzung 261
auch die fachlichen Zustände im Laufe des Prozesses beschreiben und somit für die
zweite Phase der Anforderungsdefinition Input für Transaktionsgrenzen liefern. Hierbei
hat sich gezeigt, dass es zielführend ist, die Aktivitäten und Ereignisse für das gemein-
same Verständnis der zukünftigen Arbeitsweise und als Input für die nachfolgende Phase
sehr detailliert zu beschreiben (vgl. Detaillierungsebene 3 in Abschn. 5.3.1).
Zu beachten gilt es jedoch, dass durch die Geschäftsprozessmodelle keine Details der
Informationsverarbeitung oder konkrete Anforderungen (z. B. die Interaktion zwischen
Benutzer und System oder die Gestaltung der Benutzeroberfläche) beschrieben werden
(Phase der Prozessdokumentation). Sie definieren und dokumentieren somit noch nicht
die funktionalen Anforderungen an das System, sondern bilden vielmehr die Grundlage
für deren Erarbeitung in der nachfolgenden Anforderungsspezifikation.
Als erster Schritt zur Anforderungsspezifikation werden zentrale Objekte („Dinge“),
die der Prozess benötigt bzw. verarbeitet, durch Benennung und Formalisierung in Form
von Domänenobjektmodellen (DOM) abgebildet.
Das DOM kann als fachliches Klassenmodell gesehen werden und ist eine wich-
tige Verbindung zum Geschäftsobjektmodell (GOM), das von der Entwicklung erstellt
und gepflegt wird. Die im Domänenobjektmodell modellierten Zusammenhänge
sind Kandidaten für Klassen und Beziehungen im GOM und damit Grundlage für das
Datenmodell der zugrunde liegenden Datenbank.
Der Übergang zur Phase der Anforderungsanalyse ist dabei durchaus fließend bzw. die
Erstellung des DOM kann auch der erste Schritt darin sein. Im vorgestellten Projekt wurde
mit dem DOM im Laufe der Geschäftsprozessmodellierung begonnen. Jedoch ist es wichtig
zu erwähnen, dass dieses im Laufe der Projektzeit immer weiter verfeinert und mit zuneh-
mender Implementierungstätigkeit mehr und mehr durch die Technik geprägt wurde.
13.3.1.2 Anforderungsanalyse
In der Anforderungsanalyse und -spezifikation entstehen die detaillierten Vorgaben für
die Entwicklung der Individualsoftware. Im Vordergrund stehen hierbei insbesondere
Informationen und Vorgaben zu:
Abbildung 13.7 zeigt die beiden Phasen und die darin maßgeblichen Artefakte für die
Spezifikation.
262 T. Rausch et al.
Prozesslandkarte
1 Geschäftsprozessmodell
Anwendungsfall
Vorgang 1 Vorgang 2
ENDE
Verteilregeln
Kompetenzen
Plausibilitäten/Regeln
Meldungen
Grunddaten
Formularelemente/
Dokumententypen
Klassendefinition
Domänenobjektmodell
Wie man erkennt, ist das Geschäftsprozessmodell (vgl. Nr. 1 in Abb. 13.7) hier-
bei das Bindeglied zur detaillierten Anforderungsanalyse. Insbesondere dient es als
direkter Ausgangspunkt für die Spezifikation der Transaktionsgrenzen und Workflow-
Steuerungseinheiten auf Basis des folgenden Vorgehens:
• Bei einem Abbruch des Vorgangs vor dessen regulärer Beendigung werden alle bis
dahin eingegebenen Daten nicht in die Datenbank geschrieben. Das System hat genau
den Zustand wie vor dem Start des Vorgangs.
• Bei regulärer Beendigung des Vorgangs werden alle eingegebenen Daten unwiderruf-
lich in die Datenbank geschrieben.
Die beiden wesentlichen weiteren Elemente der Spezifikation sind die detaillierte
Beschreibung der Benutzer- und Systeminteraktion (vgl. Nr. 2 in Abb. 13.7) sowie die
Definition der grafischen Benutzeroberfläche (vgl. Nr. 3 in Abb. 13.7).
Die detaillierte Beschreibung der Benutzer- und Systeminteraktion wird in sogenann-
ten Interaktionsmodellen vorgenommen (vgl. in Analogie auch die Interaktionsdiagramme
der UML 2.0 (Object Management Group (OMG) 2011b)). Hierbei gilt es, für
jede im Prozess identifizierte fachliche und nicht zu 100 % manuelle Aktivität, ein
Interaktionsmodell zu erstellen und darin Schritt für Schritt zu erläutern, welche Aktionen
das System bzw. der Benutzer durchführt. Rein manuelle Aktivitäten werden ausschließ-
lich im Geschäftsprozessmodell beschrieben. Somit wird einerseits sichtbar, wie das
System auf Benutzerinteraktionen reagieren soll, und andererseits erkennt man, welche
Möglichkeiten der Benutzer zur Interaktion vorfindet. Die grafische Modellierung ähnelt
hierbei der Logik eines Prozessablaufs, wodurch nicht nur mögliche Entscheidungen
(z. B. nach Systemprüfschritten) sowie Schleifen explizit dargestellt werden können,
sondern auch auf Elemente zurückgegriffen wird, die Modellierern und Lesern aus der
Geschäftsprozessmodellierung vertraut sind.
264 T. Rausch et al.
Abbildung 13.8 zeigt ein Beispiel für eine Interaktionssequenz für die fachliche
Aktivität „Partner anlegen“.
Ein weiterer Vorteil dieser Methode liegt darin, dass sie ebenso für vollautomatische
Prozesse bzw. Teilprozesse eingesetzt werden kann.
Wichtige Bestandteile der so beschriebenen Interaktionsschritte sind insbesondere auf
Systemseite sogenannte Regeln und Plausibilitäten. Regeln, welche in der Literatur oft auch
als Geschäftsregeln (Business Rules) bezeichnet werden, beschreiben hierbei die Art der
Partner anlegen
Partnerstammdaten
eingeben
Meldungen:
Partnerstammdaten LW MF AL 10061 Fehlgeschlagene
überprüfen Pflichtfelder Prüfungen ausgeben
nicht erfüllt 1.00
LW PL AL 10094
Partnerstammdaten
Systemprüfungen 0.01
XOR
Partnerstammdatenüberprüfung
fehlgeschlagen
Partnerstammdaten OK
• Regel
– Berechnungsregeln für Zinsfüße
– Ablaufregel zur GUI-Steuerung: „Wenn Option <Optionsname> aktiviert, dann
werden folgende Buttons deaktiviert: <Buttonaufzählung>“
– Regeln zur Identifikation potenzieller postalischer Adressdubletten
• Plausibilität
– Ein Datum muss größer als das Tagesdatum sein (Datum > Tagesdatum), ansons-
ten erscheint eine Fehlermeldung.
– Wird das Betragsfeld <Feldname> befüllt, darf das Datum <Feldname> nicht ein-
getragen werden. Wird das Betragsfeld nach dem Datum befüllt, erfolgt die Info-
Meldung „Datum <Feldname> wird entfernt“.
Eine Plausibilität führt zudem immer zur Ausgabe von Meldungen an den Benutzer.
Solche Systemmeldungen stellen einen weiteren Bestandteil der Spezifikationsmethodik
dar.
Regeln, Plausibilitäten und Systemmeldungen sind Elemente, die sich auch direkt
in der Systemarchitektur wiederfinden und insbesondere auch in verschiedensten
Geschäftsprozessen bzw. Interaktionen wiederverwendet werden können (vgl. Nr. 4 in
Abb. 13.7).
Weitere Elemente mit analogen methodischen Eigenschaften, die ebenso Teil der
Spezifikation der Anwendung bilden, sind:
• Grunddaten
Diese werden zentral verwaltet (zum Beispiel Mehrwertsteuersätze) und können so
bei Bedarf leicht geändert werden (Systemparameter).
• Formularelemente/Dokumenttypen
Sie dienen der Beschreibung von benötigten Formularen und Dokumenten (für Scan
und Druck).
• Verteilregeln
Diese beschreiben Regeln für die Verteilung der Aufgaben (engl. Work Items) im
Workflow.
• Kompetenzen
Sie definieren Kompetenzen zur Durchführung.
Für die Definition der grafischen Benutzeroberfläche ist es empfehlenswert, mit einer
Übersicht der Abfolge der Vorgangsfenster eines Anwendungsfalls bzw. Prozesses zu
beginnen (vgl. Nr. 5 in Abb. 13.7). Hier kann im ersten Schritt der grobe Ablauf der
266 T. Rausch et al.
einzelnen Vorgänge modelliert werden, der bereits aus der fachlichen Modellierung
bekannt sein sollte. In der technischen Beschreibung der Vorgangsfensterfolge wird
die Funktionsweise der grafischen Oberfläche beschrieben, welche Voraussetzungen
(Plausibilitäten, Regeln etc.) erfüllt sein müssen und wie der technische Ablauf aussieht.
Welche Fenster schlussendlich im konkreten Fall aufgerufen werden, hängt von den
Entscheidungen des Benutzers im Kontext der jeweiligen fachlichen Fallbearbeitung ab.
Nun ist für jedes Vorgangsfenster (Maske) die grafische Benutzeroberfläche im
Detail zu beschreiben. Für die Spezifikation dieser GUI-Details stehen gängige Konzepte
für Oberflächenelemente, wie Formulare, Dialoge, Gruppen, Panels, Registerkarten
(-sets), Split Panels, Menüs, Kontextmenüs, Treelist-Bäume etc. zur Verfügung. Auf
den Oberflächenelementen können nun Felder unterschiedlichen Typs sowie zur Ein-
oder Ausgabe von Daten oder Schaltflächen definiert werden. Zudem wird auch bei
der Definition der Oberfläche wiederum auf Regeln, Plausibilitäten, Grunddaten sowie
Meldungen zurückgegriffen, zum Beispiel um Wertebereiche für Drop Down-Felder
oder Prüfungen bei der Eingabe von Daten zu definieren. Auch Verweise auf Attribute
von DOM-Klassen sind hier sinnvoll und möglich, um so die Felder und deren Typen
näher zu definieren.
Beispiel
Im Rahmen des Projekts wurde die beschriebene Methode in vollem Umfang mit dem
Geschäftsprozessmanagement-Werkzeug ADONIS® umgesetzt. Dies gilt ebenso für
die Definition der grafischen Benutzeroberflächen, die zu 100 % modelliert werden
können. Dazu wurde auf technischer Ebene eine weitgehende Integration mit einem
Open Source-GUI-Builder (ohne Verfasser 2013) vorgenommen, um die modellierten
Benutzeroberflächen als Java-Swing-Oberflächen anzuzeigen.
Die Anwendung, die im Rahmen des beschriebenen Projekts umgesetzt wurde, ist
mittlerweile seit mehreren Jahren produktiv im Einsatz. Dadurch liegt der Fokus
auf der Pflege und Weiterentwicklung des Systems. Hierfür wurde in Ergänzung der
Spezifikationsmethode ein System zur Verwaltung von Anforderungen und zur kon-
trollierten Spezifikation (Change Request (CR), vgl. die Schritte 1–6 in Abb. 13.9)
sowie zur Begleitung der Umsetzung geschaffen (Auftragsmanagement, vgl. die
Schritte 7–8 in Abb. 13.9).
Entscheidend dabei ist, entsprechende Quality Gates im Rahmen der Freigabe vor-
zusehen und hierfür methodische und inhaltliche Standards zu definieren. Zudem sind
neben einer technischen Tool-Unterstützung vor allem die organisatorischen Aspekte im
Zuge des Anforderungsmanagement-Prozesses nicht zu unterschätzen.
13 Technische Umsetzung 267
5
3
Abb. 13.9 Prozess für den Umgang mit Change Requests und das Auftragsmanagement
Eine iterative Vorgehensweise bei der Entwicklung hat sich, unabhängig von der
Softwarekategorie, in nahezu allen Fällen als sinnvoll erwiesen, insbesondere wenn es
sich um größere Neuentwicklungen bzw. die Einführung von unternehmensweiter
Standardsoftware handelt.
Tabelle 13.3 bietet abschließend eine Zusammenfassung für die drei identifi-
zierten Softwarekategorien im Hinblick auf mögliche Methoden, Vorgehen und
Einführungsansätze.
Literatur
BOC (2006) Wege zu einer serviceorientierten Architektur (SOA). Whitepaper, BOC Information
Technologies Consulting AG, Wien
BOC (2007) Prozessorientierte Anwendungsentwicklung mit ADONIS. Whitepaper, BOC
Information Technologies Consulting AG, Wien
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org/spec/BPMN/2.0/PDF. Zugegriffen: 13. Jan 2013
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Infrastructure – Version 2.4.1. Dokumentation, OMG Document Number: formal/2011-08-05
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http://www.wfmc.org/xpdl.html. Zugegriffen: 07. Jan 2013
Teil VI
Prozessdurchführung und Prozesscontrolling
Umsetzung des Prozesscontrollings
14
Erik Guschlbauer und Christian Lichka
Zusammenfassung
Das Prozesscontrolling erlaubt es Unternehmen, sich adäquat, zeitnah und mit effizientem
Einsatz der Ressourcen der sich kontinuierlich wandelnden Umwelt anzupassen. Konträr
zu klassischen Controlling-Ansätzen (basierend auf der Aufbauorganisation, funktional)
werden die Ressourcen kundenorientiert anhand der Wertschöpfungskette flexibel ver-
teilt, um stetigen Erfolg zu gewährleisten. Die Zielsetzung des Prozesscontrollings besteht
darin, über Prozesse benutzergruppenspezifisch zu informieren, Transparenz hinsicht-
lich der Prozessleistung und möglicher Optimierungspotenziale zu schaffen und zur
Implementierung der Unternehmensstrategie beizutragen. Das folgende Kapitel beleuch-
tet die Aufgaben und Ziele des Prozesscontrollings und beschreibt die Komponenten eines
Kennzahlensystems. Die Bestandteile, d. h. Ziele, Kennzahlen und Maßnahmen, werden
erläutert und in Zusammenhang gesetzt, um eine ausführliche Entscheidungsgrundlage
zu etablieren. Die Definition ausgewählter Regelkreise sichert die Verankerung und
Kontinuität des Prozesscontrollings in der Unternehmung. Auszüge zu technischen und
organisatorischen Implementierungsansätzen sowie ein exemplarischer, phasenbasierter
Vorgehensvorschlag schließen das Prozesscontrolling im Rahmen des Kapitels ab.
E. Guschlbauer (*)
BOC Information Technologies Consulting AG, Operngasse 20b, 1040 Wien, Österreich
e-mail: erik.guschlbauer@boc-group.com
C. Lichka
BOC Information Technologies Consulting GmbH, Zürcherstrasse 21, 8400 Winterthur, Schweiz
Prozessinformation
14 Umsetzung des Prozesscontrollings 275
Zur Erfolgskontrolle der definierten Ziele sowie als Indikator für Potenziale werden
innerhalb des Prozesscontrollings Kennzahlen genutzt. Es wird zwischen Kennzahlen
der Unternehmung und Prozesskennzahlen unterschieden. Key Performance Indicators
(KPeI) stellen aus Sicht des Managements erfolgskritische Messfaktoren dar, beispiels-
weise die Rentabilität der Unternehmung. Key Process Indicators (KPrI) hingegen wer-
den durch die Prozessverantwortlichen definiert und beschreiben Kennzahlen, die
zur Beurteilung eines Prozesses oder einer Prozessgruppe herangezogen werden, zum
Beispiel die prozentuale Erfolgsquote eines Produktionsprozesses.
Definition
Kennzahlen sind Messgrößen, die den Leistungsstand eines Unternehmens nach Inhalt,
Zeit und Ausmaß genau bestimmen. Im Gegensatz dazu sind Prozesskennzahlen
278 E. Guschlbauer und C. Lichka
Messgrößen, die den Leistungsstand von Prozesszielen nach Inhalt, Zeit und Ausmaß
genau bestimmen.
Bei der Definition einer Kennzahl gilt es festzulegen, welche Erwartungshaltung diese zu
erfüllen hat. Die Aussagekraft einer Kennzahl hat sich direkt auf das zugewiesene Ziel zu
beziehen, beschreibt dieses und erlaubt Rückschlüsse auf die Historie, den gegenwärtigen
Status und die mögliche künftige Entwicklung. Beispielsweise beschreibt die Erfolgsquote
eines Produktionsprozesses fortwährend dessen Verlauf. Anhand der Historie sowie
möglicher Hochrechnungen kann die weitere Entwicklung und die Wirksamkeit von
Opti mierungsmaßnahmen eingeschätzt werden. Ein konträres Beispiel beschreibt
die alleinige Betrachtung der Kosten pro Prozessdurchlauf. Aufgrund sich wandeln-
der Gegebenheiten (wie bspw. Verfügbarkeit der Ressourcen, Marktlage oder einmalige
Investitionen) kann die Entwicklung der Prozesskennzahl nicht eindeutig eingeschätzt
und beurteilt werden.
Des Weiteren gilt es bei der Erarbeitung von Kennzahlen die Anforderungen des
Unternehmens und des Prozessmanagements zu berücksichtigen. Eine generelle Prämisse
umfasst beispielsweise die ökonomische Auswertung und Erhebung einer Kennzahl.
Es gilt den Aufwand zur Pflege einer Kennzahl dem Nutzen gegenüberzustellen. In vie-
len Fällen empfiehlt es sich, bereits vorhandene Daten (beispielsweise aus einem Data
Warehouse) zu nutzen und anhand der Erfordernisse aufzubereiten/zu aggregieren.
Kennzahlen sollen der aktiven Steuerung der Prozesse und des Unternehmens dienen. Aus
diesem Grund ist es erforderlich, dass die etablierten Werte zeitnah erhoben und ausge-
wertet werden können. Das bedingt, dass die Aussagekraft einer periodischen Bewertung
für die nächste Bezugsperiode (und gegebenenfalls die fortfolgenden) weiterhin gültig ist.
Bei der Definition einer Kennzahl ist darüber hinaus der Bezug zu den als SMART defi-
nierten Zielen zu wahren und ebenso einzuhalten (vgl. Abschn. 4.2.4). Die Werte der KPeI
und KPrI sind periodisch und fortwährend zu erheben. Von besonderer Bedeutung sind
dabei die Stabilität der Datengrundlage und die Kontinuität der Entwicklung. Zu beachten
ist jedoch, dass Unternehmen zukunftsorientiert zu agieren haben; dementsprechend ist
bei der Definition jene Ausprägung zu berücksichtigen, die den geringsten Einfluss durch
vergangene Faktoren aufweist (Hamel 2009). Um die Auswertung auf unterschiedlichen
(Management-)Ebenen zu ermöglichen, sind die Periodenwerte von Kennzahlen in defi-
nierten Skalen zu gestalten (bspw. alle Finanzkennzahlen im Format Millionen Euro). Die
Daten zur Kennzahlenerhebung sollten direkt aus dem zu beurteilenden Prozess stammen
und müssen diesen direkt beeinflussen. Beide Faktoren unterstützen die Akzeptanz des
Prozesscontrollings auf der Ebene der Prozesse.
Definition
rozesskennzahlen sind stets gemäß dem Ziel, das durch den Prozess realisiert wird,
P
zu gestalten und sollen Information betreffend Effizienz, Effektivität und Steuerung
für den Verantwortlichen repräsentieren. Die visualisierten Werte sollen Aufschluss
darüber geben, in welcher Form der Prozess zur Zielumsetzung beiträgt.
14 Umsetzung des Prozesscontrollings 279
Bei der Erarbeitung von Kennzahlen gilt es jedoch, den Umfang des Unternehmens und
seiner Prozesse zu erfassen. Daher ist es von Bedeutung, dass man von einer rein wer-
tegetriebenen Betrachtungsweise abkehrt. Sogenannte harte Kennzahlen (zum Beispiel
finanzielle Auswertungen oder prozentuelle Verteilungen) stellen weiterhin einen essen-
tiellen Bestandteil der Unternehmenssteuerung dar. Jedoch sind diese im Rahmen des
Prozesscontrollings um sogenannte weiche Faktoren (unter anderem Prozessumfelder,
Prozesskultur, Konflikt- und Ressourcenmanagement) zu ergänzen. Externe Faktoren
(beispielsweise die Marktentwicklung und die Kundenstruktur) können im Rahmen des
Prozesscontrollings angeführt und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden,
sind jedoch gesondert anzuführen oder zu kennzeichnen, da sie nicht direkt durch die
Prozessgruppe oder den Prozess zu beeinflussen sind. Darüber hinaus sollten Kennzahlen
markiert werden, die ein Unternehmen pflegen muss, beispielsweise aufgrund von
Zertifizierungen (z. B. ISO 9001 (International Organization for Standardization (ISO)
2005)) oder rechtlichen Ansprüchen (z. B. BASEL III (Bank for International Settlements
2010)). Zuletzt sollte im Rahmen des Prozesscontrollings angeführt werden, ob eine
Kennzahl aktiv oder reaktiv ausgeführt ist. Aktive Kennzahlen können durch den Prozess
präventiv gestaltet werden (bspw. die Prüfung der Qualifikation und Liquidität vor der
Beauftragung). Reaktive Kennzahlen bedürfen adaptiver Vorgänge im Anschluss an
deren Erhebung (bspw. die Aufzeichnung eingesetzter Ressourcen).
Die Elemente Strategie, Prozess, Ziel sowie Kennzahl befinden sich in einer Unternehmung
in einem gegenseitigen Spannungsfeld. Entscheidungen und Änderungen beeinflussen
diese Elemente wechselseitig auf den unterschiedlichsten Ebenen. Im Rahmen des
Prozesscontrollings ergibt sich auf unterster Ebene die Wechselwirkung aus den in
Abb. 14.2 beschriebenen Elementen.
Kenn- Prozess
zahl beeinflusst
280 E. Guschlbauer und C. Lichka
Hauptprozess
Marketing und Vertrieb
Unterstützungsprozess Unterstützungsprozess
Organisationsentwicklung Prozessziel: Markt- Personalmanagement
führerschaft erlangen
Prozessziel: Prozess- Prozessziel:
qualität erhöhen Marktanteil Produktivität steigern
Durchlaufzeit
Umsatz je Mitarbeiter
Anzahl Reklamationen
Die anhand der Unternehmensstrategie definierten Ziele sind durch die Leistungen
des Unternehmens zu realisieren. Prozesse definieren die Leistungserbringung inner-
halb einer Organisation und sind somit für die Umsetzung der Ziele maßgeblich. Die im
Rahmen der Prozessdurchläufe erzielten Ergebnisse werden mit Hilfe von Kennzahlen
gemessen und bewertet. Durch den Abgleich von Zielen und Kennzahlen kann der
Erfolg des Unternehmens beurteilt werden und in weiterer Folge eine Potenzialanalyse
sowie eine darauf basierende Umgestaltung der Prozesslandschaft erfolgen.
Die Wechselwirkung der Elemente wird jedoch um weitere Ausprägungen unter-
schiedlicher Art ergänzt. Ziele, Prozesse und Kennzahlen wirken auf unterschiedlichen
Ebenen aufeinander ein und beeinflussen somit die jeweiligen Ergebnisse. Am verein-
fachten Beispiel in Abb. 14.3 ist zu erkennen, dass ein auf strategischer Ebene definiertes
Ziel (höhere Ertragskraft erzielen) sowohl durch Kernprozesse (Marketing & Vertrieb)
als auch Unterstützungsprozesse (Organisationsentwicklung und Personalmanagement)
beeinflusst wird.
Die Wechselwirkung zwischen Elementen wird durch ein geeignetes Kennzahlensystem
visualisiert und aufbereitet. Es muss das Ziel der Unternehmung sein, den jeweiligen
Anwendergruppen die benötigte Information adäquat und entscheidungsrelevant aufbe-
reitet zur Verfügung zu stellen.
Das Prozesscontrolling eines Unternehmens ist entsprechend aufzubauen und sollte
darüber hinaus die Vernetzung der Anforderungen, die definierten Leitlinien sowie die
Strukturen von Kennzahlen, Zielen und Prozessen berücksichtigen. Entscheidend ist,
dass Abhängigkeiten und Aggregationen visualisiert werden und den Nutzern die benö-
tigte Information zur Verfügung steht. Dies umfasst sowohl den Datenumfang, deren
zielgruppenspezifische Aufbereitung (so viel wie nötig, so wenig wie möglich) sowie
die Möglichkeit, tiefer in die Strukturen blicken zu können (engl. Drill Down). Beim
Aufbau des Prozesscontrollings ist darüber hinaus zu beachten, dass ebenso ausgewählte
14 Umsetzung des Prozesscontrollings 281
Information aus dem Unternehmenscontrolling integriert wird und für weitere Analysen
zur Verfügung steht. Nur eine vollständige Betrachtung der Unternehmung (Strategie
und Prozesse) gewährt eine adäquate Entscheidungsgrundlage.
Definition
rozesscontrolling stellt die notwendige Information zur erfolgreichen, zukunftsorien-
P
tierten Fortführung des Unternehmens zur Verfügung. Es bietet den Verantwortlichen
eine adäquate Entscheidungs- und Argumentationsgrundlage.
Initiale Controlling
Einführung &
Betrieb
der Unternehmung vorhanden ist und welche noch erarbeitet werden muss. Mittels der zur
Verfügung stehenden Information wird eine Machbarkeitsstudie anhand einer repräsenta-
tiven Prozessgruppe durchgeführt. Das Ergebnis umfasst einen Erstentwurf der Kennzahlen
und Ziele, der ebenso eine Revision der bisherigen Arbeiten enthält. Durch die Definition
von Abhängigkeitsbeziehungen und zielgruppenspezifischen Auswertungen wird ein ers-
tes Kennzahlensystem realisiert und an der repräsentativen Prozessgruppe erprobt. Die
Ergebnisse des Testbetriebs fließen in das finale Konzept zum Prozesscontrolling ein, bevor
dieses in den Betrieb wechselt. Der Übergang in den Betrieb ist pro Prozessbereich durch-
zuführen, wobei zu beachten ist, dass Organisationseinheiten nach Möglichkeit nicht in
einem Mischbetrieb zu führen sind.
Der laufende, zyklische Betrieb eines Prozesscontrollings besteht aus vier Kernschritten,
die in Abb. 14.6 angeführt sind.
Periodisch sind die benötigten Daten der definierten Ziele und Kennzahlen zu erheben
und aufzubereiten, wie dies bspw. auch in der PMLC-Phase Prozessdurchführung geschieht
(vgl. Abschn. 2.4.5). Als Datenquellen stehen die manuelle Erhebung, die Nutzung operativer
Informationssysteme (z. B. ERP-Systeme) als auch Workflow-Instrumente zur Verfügung.
Manuelle Erhebungen sind auf ein Minimum zu reduzieren, da sie erheblichen Aufwand
bedeuten und die höchste Fehlerwahrscheinlichkeit aufweisen. Der Einsatz empfiehlt sich
im Rahmen der initialen Einführung, da somit flexibel mit vorhandener Information gear-
beitet werden kann. Die operativen Informationssysteme einer Unternehmung bieten meist
eine Vielzahl an Information, jedoch ohne Bezug zu Prozessen, Zielen und Kennzahlen.
Bei der Nutzung dieser Informationsquelle ist es von Bedeutung, dass die Verknüpfung zur
Prozesslandschaft sämtlichen involvierten Unternehmensbereichen bewusst ist und strin-
gent gepflegt wird. Workflow-Systeme dienen der Ablaufsteuerung und bieten oftmals bereits
Controlling Daten-
Controlling & auswertung
Betrieb
Maßnahmen-
definition
284 E. Guschlbauer und C. Lichka
einen Prozesskontext. In vielen Fällen kann die Information direkt weiter verarbeitet werden.
In der Praxis ergibt sich meist ein Mischbetrieb aus den drei genannten Datenquellen. Zu
beachten ist, dass die gewonnenen Rohdaten anhand der Zielgruppen, Konventionen und
Erfordernisse aufzubereiten sind. Dies umfasst unter anderem die Umrechnung auf nor-
mierte Skalen, die Aggregation von der Abteilungs- hin zur Unternehmensebene sowie eine
Plausibilitätsprüfung.
Die Ergebnisdaten sind innerhalb des Kennzahlensystems zu hinterlegen und den
verantwortlichen Personen zur Auswertung zur Verfügung zu stellen. Als geeignetes
Instrument haben sich Management-Cockpits etabliert, die sowohl eine übersichtliche
Darstellung der Gesamtsituation gewähren als auch detaillierte Information (engl. Drill
Down) für die weitere Analyse zur Verfügung stellen.
Im Rahmen der Auswertung steht die Umsetzung der Prozessziele im Vordergrund.
Zu diesem Zweck ist durch den Prozesscontroller speziell die Entwicklung des Prozesses
unter Einbezug von Umweltkriterien und der Historie zu beurteilen. Das etablierte
Kennzahlensystem erlaubt den Verantwortlichen die Auswertung hinsichtlich definierter
Schwellwerte und prognostizierter Hochrechnungen.
Die Verantwortung für die Ziele und Kennzahlen der Prozesse trägt typischerweise der
Prozessverantwortliche. Daher sind in Absprache mit ihm geeignete Maßnahmen und
Projekte aufzusetzen, die eine optimale Nutzung der vorhandenen Ressourcen hinsicht-
lich der Zielerreichung sicherstellen. Maßnahmen sind mit den entsprechenden Prozessen,
Zielen und Kennzahlen zu verknüpfen und in weiterer Folge in den Controlling-Zyklus zu
integrieren. Die Definition umfasst sowohl den Auslöser einer Maßnahme, deren Zielsetzung
als auch eine Beschreibung und Argumentation der geplanten Tätigkeiten. Darüber hinaus
werden die geplanten Ressourcen hinterlegt und eine zeitliche Meilensteinplanung definiert.
Die Planung einer Maßnahme oder eines Projekts erlaubt dessen Integration in den
Controlling-Zyklus. Es ist sicherzustellen, dass die Maßnahme für sich entsprechend
der Unternehmensstandards durchgeführt wird und eine positive Auswirkung auf
die gesamte Zielerreichung hat. Bei der Beurteilung einer Maßnahme gilt es sämtliche
Einflussfaktoren innerhalb der prozessorientierten Unternehmung zu berücksichtigen,
da positive wie negative Korrelationen innerhalb des Prozessszenarios zu erwarten sind.
Durch die kontinuierliche Evaluation und Steuerung der Prozesse hinsichtlich deren
Ziele sowie durch die ergriffenen Maßnahmen wird innerhalb der Unternehmung eine
vollständige Realisierung der Unternehmensstrategie ermöglicht.
Evaluation
Controlling Review (strategisch)
Maßnahmen-
definition
für eine erneute Evaluation hinterlegt. Diese kann sowohl periodisch ausgelöst werden
(beispielsweise jährlich) als auch ereignisbezogen (zum Beispiel beim Abschluss einer
Maßnahme oder dem Vorliegen eines Quartalsberichts) sein.
Die operative Evaluation behandelt die einzelnen Elemente eines Kennzahlensystems
hinsichtlich ihrer Eigenschaften. Auf Basis des Datenbestands aus dem Betrieb
(vgl. Abschn. 14.4.3) gilt es zu bewerten, ob Information erhoben, gepflegt und
zum Controlling der Entwicklung genutzt wurde. In weiterer Folge ist durch die
Kompetenzträger zu evaluieren, ob das Element seinen Zweck gemäß der definierten
Richtlinien erfüllt und das Controlling eine adäquate Steuerung erlaubt. Die Resultate
sind, gekennzeichnet als operative Lücken, in die Maßnahmendefinition zu überführen.
Die strategische Evaluation behandelt das Gesamtbild des Prozesscontrollings (abge-
bildet durch ein Kennzahlensystem, vgl. Abschn. 14.3.3) bezogen auf die Leistung
zur Steuerung des Unternehmens, der Zielerreichung und Realisierung der Strategie.
Für die Steuerung der Unternehmung ist es erforderlich zu prüfen, ob Information
termingerecht zur Verfügung stand, verarbeitet und als Entscheidungsinstrument
genutzt wurde. Die Zielerreichung des Prozesscontrollings ist am Umsetzungsgrad
der Unternehmensstrategie zu messen. Da diese durch die Prozessziele umzusetzen
ist, gelten diese wiederum als zu aggregierende Leistungsindikatoren. Aufgrund der
Entwicklung einer Organisation und ihrer Strategie sind das Prozesscontrolling sowie
das Kennzahlensystem hinsichtlich der Strategieumsetzung zu evaluieren. Es gilt fest-
zustellen, ob mit der etablierten Methodik eine adäquate Umsetzung der Strategie und
deren Steuerung gewährleistet werden kann. Die Resultate der Analysen sind als strategi-
sche Lücken in die Maßnahmendefinition zu überführen.
Die Maßnahmendefinition wird genutzt, um Entwicklungspotenziale des
Prozesscontrollings in einer Unternehmung zu nutzen. Basierend auf den strategischen und
operativen Lücken gilt es zu entscheiden, welche Aktionen durch die Organisation auszu-
lösen sind. Projekte und Maßnahmen eignen sich zur partiellen Adaption von Prozessen
und Prozessgruppen sowie von Elementen des Kennzahlensystems. Sie sind definiert
durch Auslöser, Zielsetzung, Beschreibung und Argumentation der Tätigkeiten. Darüber
286 E. Guschlbauer und C. Lichka
hinaus sind sowohl Ressourcen als auch zeitliche Meilensteine zu planen. Sofern erheb-
licher Handlungsbedarf identifiziert wurde (dies umfasst bspw. die Einführung neuer
Prozessgruppen oder die Restrukturierung der bestehenden Organisation) ist dies in Form
eines Reengineering-Programms (als Summe einer Mehrzahl an Projekten) durchzuführen.
Die Planung einer Maßnahme oder eines Projekts erlaubt dessen Integration in den
Controlling-Zyklus. Es ist sicherzustellen, dass die Maßnahme für sich entsprechend der
Unternehmensstandards durchgeführt wird und sich positiv auf die Implementierung der
Unternehmensstrategie auswirkt. Bei der Beurteilung gilt es sämtliche Einflussfaktoren
innerhalb der prozessorientierten Unternehmung zu berücksichtigen, da positive wie
negative Korrelationen innerhalb des Prozessszenarios zu erwarten sind.
Durch die kontinuierliche Evaluation und Steuerung des Prozesscontrollings hin-
sichtlich der Strategieumsetzung sowie durch die ergriffenen Maßnahmen wird inner-
halb der Unternehmung eine vollständige Realisierung derselben gewährleistet.
Die zentrale Aufgabe des Controllings besteht darin, Daten übersichtlich und struktu-
riert aufzubereiten, um Entscheidungsträgern ein verständliches Bild zur wirtschaft-
lichen Lage und Entwicklung des Unternehmens liefern zu können. Aus Sicht des
Prozesscontrollings ergeben sich daraus die in Abb. 14.8 angeführten Teilschritte.
Prozessintegration
Auswertung
Aggregation Datenbestand
operative Workflow-
Erhebung manuell
Systeme Instrumente
Ausgehend vom Datenbestand der Unternehmung und dem definierten Bedarf des
Prozesscontrollings sind die benötigten Daten zu erheben. Als Datenquellen können
beispielsweise manuelle Informationen, operative Systeme oder Workflow-Instrumente
dienen. Um eine prozessorientierte Verarbeitung gemäß dem Kennzahlensystem zu
ermöglichen, ist der erarbeitete Datenbestand zu aggregieren. Die aggregierten Daten
können entsprechend definierter Controlling-Prämissen ausgewertet werden. Mögliche
Auswertungen stellen Reports, tabellarische Sichten sowie Grafiken dar. Der letzte
Schritt besteht in der Verknüpfung der erzielten Auswertungen mit den zugewiesenen
Geschäftsprozessen (Allweyer 2005).
Der Einsatz technischer Lösungen erlaubt die automatisierte Verarbeitung der
beschriebenen Teilschritte. Controlling-/Management-Cockpits stellen einen etablier-
ten Lösungsansatz dar, da sie es erlauben, die Datenverarbeitung und -auswertung zu
automatisieren. Darüber hinaus ermöglichen es Cockpits, Zusammenhänge aufzuzei-
gen und ein vernetztes System (bestehend aus Controlling, Prozessmanagement und
Organisation) zu etablieren (Konnopka 2008).
Das Beispiel in Abb. 14.9 zeigt ein Management-Cockpit und verdeutlicht die
Möglichkeiten, die sich durch den Einsatz technischer Komponenten ergeben.
Durch den vermehrten Einsatz von IT in Unternehmen aller Branchen ergibt sich, dass
Daten unterschiedlichster Art gesammelt und archiviert werden. In den meisten Fällen
werden diese Daten im Zuge spezifischer Prozesse erhoben und genutzt. Der Ansatz des
Process Mining betrachtet den Datenbestand einer Organisation als globales Ganzes auf
dessen Basis neue Information zur Unternehmung und einzelnen Prozessen gewonnen
werden soll. Analog dem Data Mining möchte man Potenziale erkennen und zur unter-
nehmerischen Weiterentwicklung nutzen (Remberg 2008).
Anhand standardisierter Kennzahlen und Zielwerte (beispielsweise betreffend des
Ressourceneinsatzes) können mit Hilfe der ABC-Analyse Schwerpunkte innerhalb der
Unternehmung definiert werden. Es gilt eine Priorisierung der Ziele und Prozesse zu
erarbeiten, die zur Strategieumsetzung erforderlich sind. Die Klassifikation erfolgt dabei
in drei Kriterien: A – erfolgskritisch; B – wichtig; C – geringe Bedeutung. Aufgrund
der Einstufung können seitens des Managements Vorgaben zur Bereitstellung von
Ressourcen und hinsichtlich des Controllings getroffen werden (Schneider et al. 2008).
Demnach sind erfolgskritische Ziele unter anderem einer häufigeren Prüfung zu unter-
ziehen als jene von geringer Bedeutung und deren Grenzwerte enger anzusetzen.
Dem weiteren Ausbau der Marktposition eines Unternehmens widmet sich der
Ansatz zur Analyse gemäß Process Intelligence, welcher auf der Kombination des
Wissens der Bereiche Business Intelligence und Prozessmanagement beruht. Im
Rahmen der Business Intelligence verwaltet und pflegt ein Unternehmen markt- und
wirtschaftsorientierte Kennzahlen sowie das Wissen über den Markt selbst. Das
Prozessmanagement einer Unternehmung kapselt die Leistungserbringung und somit
die Kernkompetenz (das Know-how) einer Unternehmung. Durch die gezielte Fusion
beider Management-Disziplinen können Potenziale frühzeitig erkannt und genutzt
werden. Beispielsweise verringert sich durch diese Kombination die Reaktionszeit auf
Marktveränderungen sowie die Produkteinführungszeit (time to market), wodurch die
Position des Unternehmens nachhaltig gestärkt werden kann.
wird. Die Gliederung in Phasen erlaubt einen sequenziellen Aufbau sowie den spezifi-
schen Einsatz von Know-how und Kompetenzen. Abbildung 14.10 beschreibt ein exem-
plarisches Vorgehen, dessen Phasen nachstehend umrissen werden.
In Folge des Entscheids zur Einführung eines Prozesscontrollings gilt es, die benö-
tigten technischen Komponenten zu erheben. Oftmals wird zu Beginn auf vorhandene
technische Ressourcen, bspw. das Microsoft® Office®-Paket o. ä., zurückgegriffen, die
jedoch erhöhten Personaleinsatz und Qualitätssicherung erfordern. In einem ersten
Kick-off-Meeting, dem alle Stakeholder beiwohnen sollten, gilt es, die weiteren Phasen
zu definieren und erste Eckdaten zu erheben. Die Ergebnisse des Meetings sind im
Nachgang aufzubereiten und dienen als Grundlage für das weitere Vorgehen.
Im Folgenden müssen die Vision, Mission und Strategie auf Aktualität und Akzeptanz
geprüft werden, ebenso unter Berücksichtigung aktueller wirtschaftlicher Faktoren.
Basierend auf den Ergebnissen werden die kritischen Erfolgsfaktoren zur Umsetzung
erhoben und mit der aktuellen Prozesslandschaft abgeglichen. Sofern sich Abweichungen
ergeben, sind Korrekturen anzusetzen und die Phase zu wiederholen. Die Ergebnisse
sind in einer Strategiedokumentation festzuhalten und ein Zeitpunkt für ein neuerliches
Review ist festzulegen.
In Abstimmung mit den Stakeholdern werden Perspektiven und Sichten für das zu
definierende Kennzahlensystem erhoben, die die jeweiligen Rollen und Funktionen
abdecken. Dadurch soll den Involvierten ausschließlich die entscheidungsrelevante
Information zur Verfügung gestellt werden – so wenig wie möglich, so viel wie nötig.
Die zuvor erarbeiteten kritischen Erfolgsfaktoren werden gruppiert, zu Zielen aggregiert
und priorisiert. Anschließend sind die Abhängigkeiten der Ziele herauszuarbeiten unter
Berücksichtigung, dass diese Kette von Beginn bis zum Ende der Wertschöpfungskette
des Unternehmens zu gestalten ist. Pro Ziel sind im Anschluss Kennzahlen und erste
Maßnahmen zur Umsetzung festzusetzen.
Für die definierten Kennzahlen wird im Folgenden die Datenanbindung erhoben. Zu
diesem Zweck werden die Verfügbarkeit geprüft, etwaige Rechenlogik abgebildet und die
Quellsysteme direkt oder per Export angebunden. Sofern die Erhebung abgeschlossen
werden konnte, kann eine erste Aktualisierung erfolgen.
Die Auswertung der Ergebnisse bildet die Entscheidungsgrundlage des Prozess
controllings. Aus diesem Grunde ist eine adäquate Publikationsform zu definieren.
Oftmals orientiert sich diese an der jeweiligen Zielgruppe und umfasst Druckdokumente,
tabellarische Auswertungen, dynamische Cockpits oder Grafiken.
Nachdem die Komponenten in die Umgebung integriert wurden, ist das System in den
Testbetrieb zu überführen. Ziel der Testphase ist es, in einem definierten Prozessbereich
erste Erfahrungen und Rückmeldungen zu sammeln sowie nach Möglichkeit umzu-
setzen. Darüber hinaus wird versucht die Historie des Systems anzureichern, um den
Entscheidungsträgern von Beginn an eine adäquate Grundlage zur Verfügung zu stellen.
Nach Abschluss der ersten Tests wird der Übergang zum produktiven Betrieb abgestimmt.
Dies umfasst die Schulung sämtlicher involvierten Personen sowie erneute Kommunikation
der Zielsetzung und des Vorgehens aller Unternehmensbeteiligten. Zu diesem Zeitpunkt
sollte das System als stabil angesehen werden, da bei Änderungen (bspw. dem Austausch
einer Kennzahl) die Historie und somit die Entscheidungsgrundlage verloren geht.
Nachdem das System sämtlichen relevanten Bereichen der Unternehmung zur Verfügung
gestellt wurde, gilt es die Ergebnisse zu dokumentieren und den Auftraggebern zu präsen-
tieren. Im Speziellen sind darin die nächsten Schritte sowie die zu erwartenden Ergebnisse
anzuführen.
Literatur
Zusammenfassung
Das strategische Management fokussiert vorrangig auf die Sicherung der langfris-
tigen Existenz sowie auf die Erfüllung von Wachstumszielen eines Unternehmens.
Das operative Management unterstützt dabei maßgeblich unter Zuhilfenahme
betriebswirtschaftlicher Steuerungsmechanismen. Über das Business Process
Management Systems-Rahmenwerk kann nun ein Bezug zum Prozessmanagement
hergestellt werden, wobei es konkreter Ansätze für die Integration dieser beiden
Managementansätze bedarf. Um eine Integration zu erreichen, gilt es, ein Zielsystem
zu erstellen, welches einen Bezug zwischen dem strategischen Management und dem
Prozessmanagement herstellt. Das Kapitel reißt hierfür zum einen den Ansatz des
zielorientierten Prozessmanagements an, der auf eigene, prozessuale Zielsysteme
fokussiert. Zum anderen wird der Schwerpunkt des Kapitels insbesondere auf die
Methode der Balanced Scorecard gelegt, welche als strategische Steuerungsmethode
auch als Steuerungselement des Prozessmanagements gelten kann – vor allem aus
einer integrativen Sicht. Ein detailliertes Beispiel rundet die Erläuterungen ab.
C. Lichka (*)
BOC Information Technologies Consulting GmbH, Zürcherstrasse 21, 8400 Winterthur, Schweiz
e-mail: christian.lichka@boc-group.com
E. Guschlbauer
BOC Information Technologies Consulting AG, Operngasse 20b, 1040 Wien, Österreich
Entwicklung
einer Gesamt-
unternehmens-
strategie
Analyse des
Marktes Entwicklung Entwicklung
Initiierung des einer Vision einer
Strategie-
Strategie- und von Geschäfts-
umsetzung
prozesses Langfrist- bereichs-
Analyse der zielen strategie
Firma
Entwicklung
von
funktionalen
Strategien
Leistungs-
kontrolle
Re-Engineering
Process
Performance
Evaluation Process
Ressource Allocation
Process
Workflow
Process
Kurz zusammengefasst beinhaltet der Strategic Decision Process alle jene Vorgaben
und Rahmenbedingungen, die für den langfristigen, strategischen Betrieb eines
Unternehmens notwendig sind. Der Re-Engineering Process deckt die Gestaltung
der Vorgehensweisen zur Umsetzung dieser Ziele ab. Insbesondere in diesem Bereich
298 C. Lichka und E. Guschlbauer
kann das Prozessmanagement gut positioniert werden. Ressource Allocation ist mit
der vorhergehenden Phase eng verknüpft, da dabei die notwendigen Ressourcen (IT,
Personal etc.) zur Umsetzung der Vorgehensweisen bereitgestellt werden müssen. Die
nachfolgende Ausführung (Workflow Process) sowie die Evaluation der Ergebnisse
(Performance Evaluation) schließen den Kreislauf ab. Vergleichbar ist dies mit dem
PDCA-Zyklus (vgl. Abschn. 2.3), wobei in BPMS spezifischer auf Unternehmens
kreisläufe eingegangen wird.
Auf eine sehr einfache und anschauliche Art und Weise kann mithilfe von Mintzberg
(1978) und Porter (1996) abgeleitet werden, dass ein „Pattern in a stream of decisions“
die strategische Führung ausmacht. Porter detailliert weiter, indem er auf ein „unique
set of factors“ abstellt, welches die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit sicherstellt. Die
Aufgabe von Managementmethoden ist es nun, dieses „Pattern“ – also ein transparentes
Entscheidungsrahmenwerk – aufzuzeigen und allen verständlich zu machen (und somit
zu einem „intended set“ (of factors) zu konvertieren). Die operative Umsetzung muss
sicherstellen, dass die Festigkeit und Länge der Wertschöpfungskette eine möglichst
hohe kompetitive Wettbewerbsfähigkeit ermöglicht.
Für die Integration des strategischen Managements und des Prozessmanagements
lässt sich dementsprechend ableiten, dass
Die Balanced Scorecard (Kaplan und Norton 1992, 1996) kann als ein Vertreter eines strate-
gischen Managements sehr gut zum Erzeugen dieses „Pattern“ (Entscheidungsrahmenwerks)
eingesetzt werden, wohingegen das Prozessmanagement (bspw. in der Ausprägung von ISO-
Qualitätsmanagement) für die Nachhaltung und Kommunikation der Wertschöpfungskette
zuständig ist (vgl. „unique set of factors“, das durch Aufzeigen und Kommunikation bzw.
Erläuterung zu einem „intended set“ (of factors) wird).
15 Integration strategisches Management und Prozessmanagement 299
P1 P3
Strategic Level
(Process Scorecard) P2 Pn …
1:n Aggregation
…
Tactical Level
(Process Types)
Aggregation of Aggregation of Aggregation of
Instances of Instances of Instances of
Process Type 1 Process Type 2 Process Type n
1:n Aggregation
… … …
Operational Level …
(Process Instances)
…
1:1 Mapping
Runtime Environment
(Execution Data) Data Data Data Data
Source 1 Source 2 Source 3 Source n
Beispiele hierzu sind nicht nur die Messung von Prozessen nach Durchlaufzeiten,
Prozesskosten, Personalkapazitäten o. ä., sondern auch die Definition einzelner
Maturity-Dimensionen, wie Dokumentation, Kommunikation oder Management. In
jeder dieser Dimensionen werden den Prozessen oder Prozessgruppen unterschiedliche
Maturity-Vorgaben gesetzt.
Allen bisher genannten Verfahren ist jedoch weiterhin eigen, dass die Steuerung
bzw. die Zielvorgaben zumeist aus dem Kontext der Prozessorganisation, d. h. aus
dem eigenen Kontext, heraus erfolgen und nur sehr selten sauber aus dem strategi-
schen Management übergeleitet werden. Integration würde in diesem Zusammenhang
bedeuten, sowohl eigene (prozessgetriebene) als auch unternehmensweite (strategische)
Vorgaben zu integrieren und zu harmonisieren.
Die Balanced Scorecard (BSC) stellt einen modernen Vertreter des Performance-
Managements dar, wobei sie im Vergleich zu anderen Verfahren erstaunlich viel Gewicht
in methodische und weniger datenlastige Umsetzungsverfahren legt.
Die BSC geht von einer ausgeglichenen Betrachtung von Zielen, Kennzahlen und
Maßnahmen in unterschiedlichen Unternehmensperspektiven aus. Diese Perspektiven
sowie deren Inhalte sind direkt aus der Strategie abgeleitet und stellen das zentrale,
strategische Steuerungsinstrument dar. Die klassischen Perspektiven sind Finanzen,
Kunden, Prozesse sowie Lernen & Entwicklung (vgl. Abb. 15.4). Um eine Übersicht zu
gewährleisten, schafft die BSC Komplexitätsreduktion durch die Vorgabe, nicht mehr als
10–15 Ziele und 20–25 Kennzahlen zu verwenden. Zwischen den Perspektiven werden
zeitliche Abhängigkeiten dargestellt. So hat eine Steuerung in der Perspektive Lernen &
302 C. Lichka und E. Guschlbauer
1
Finanzen
Maßnahmen
Kennzahlen
Vorgaben
Wie treten wir
ggü. Teilhabern
Ziele
auf, um
finanziellen
Erfolg zu
haben?
2 3
Kunden Interne GPs
Maßnahmen
Maßnahmen
Kennzahlen
Kennzahlen
Vorgaben
Vorgaben
Wie treten wir In welchen GPs
ggü. unseren Vision, müssen wir die
Ziele
Ziele
Kunden auf, Besten sein,
Strategie
um unsere um Teilhaber
Vision zu und Kunden zu
verwirklichen? befriedigen?
4
Lernen & Entw.
Maßnahmen
Kennzahlen
Vorgaben
u. Wachstums-
potenziale, um
die Vision zu
verwirklichen? GP… Geschäftsprozess
Abb. 15.4 Balanced Scorecard: Perspektiven (in Anlehnung an Gabler Verlag 2013)
• Kommunikationsfunktion
Durch eine sehr plakative Umsetzung der BSC im Rahmen von Ursache-Wirkungs-
Beziehungen kann das strategische Konzept leicht transportiert und im Unternehmen
kommuniziert werden. Dies fördert die Identifikation mit dem Unternehmen sowie
mit den relevanten Zielen.
• Integrationsfunktion
Durch die Betrachtung aller wesentlichen Bereiche eines Unternehmens wird eine
Steuerungsintegration geschaffen. Darüber hinaus werden hierarchisierte Einheiten
durch ein Herunterbrechen der BSC in den Steuerungsprozess stringent inkludiert.
• Reduktionsfunktion
„Von Daten zu Informationen“: Unter dieser Parole kann der Gedanke der BSC, durch
Fokussierung auf eine begrenzte Menge an Steuerungsgrößen Komplexitätsreduktion
zu erzielen, zusammengefasst werden.
Abbildung 15.5 zeigt den Mehrwert eines solchen Szenarios anschaulich. Aus BSC-Sicht
wurde (als Ausschnitt) ein Ziel der Kundenzufriedenheit mit mehreren Kennzahlen
definiert. Der KPI „avg. number of complaints“ berechnet sich aus der Anzahl der
Bestellungen sowie der Anzahl der Beschwerden. Die Datenquellen der beiden
Kennzahlen sind jeweils die operativen Systeme. Parallel dazu existiert eine Verbindung
304 C. Lichka und E. Guschlbauer
Strategic
# complaints …
(avg)
div
Tactical
# complaints
# orders
Business
Business -driven
Operational
Working Instruction
Data-driven
Drill Down
Drill Down
Accounting
Workflow Principles
von Kennzahlen (in diesem Beispiel die „Orders“) oder Zielen mit den dahinterliegenden
Prozessen (in Abb. 15.5 schematisch die Prozessdokumentation).
Somit wird Mehrwert in mehreren Dimensionen erzielt:
• Aus Sicht des Prozesses sind die aus der BSC zugewiesenen Kennzahlen (und Ziele)
maßgeblich. Der direkte Zusammenhang ist klar ersichtlich.
• Aus Sicht der Interpretation der Kennzahlen (aus der BSC) stehen dem Anwender
nicht nur die datentechnische Drill down-Sicht (klassischerweise ein OLAP oder
Daten-Drill) zur Verfügung, sondern auch ein fachlich-orientierter Drill down (vgl.
die Verbindung mit den Working Instructions und den Accounting Principles).
Hierdurch können bspw. Prozessveränderungen hinterfragt und Zusammenhänge zu
Kennzahlenentwicklungen aufgezeigt werden.
15 Integration strategisches Management und Prozessmanagement 305
Eine weitere Vorgehensweise zur Integration des strategischen Managements und des
Prozessmanagements stellt das zielorientierte Prozessmanagement dar. In Kap. 4 fin-
det sich bereits eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Zum einen
handelt es sich dabei um die Erweiterung des klassischen Prozessmanagements um die
Definition eines Zielsystems für das Prozessmanagement. Zum anderen beinhaltet es
die Integration des Zielsystems (d. h. folglich die laufende Messung und Steuerung) in
die Prozessorganisation.
Im Vergleich zur BSC handelt es sich dabei um die Definition eines Zielsystems, das
sowohl auf das Herunterbrechen von Zielen aus einem übergeordneten – strategischen –
Kontext als auch auf eigene Prozessziele spezialisiert ist. Im Unterschied zur BSC, die
klare Vorgaben hinsichtlich Struktur und Vorgehensweise der Methode vorsieht, han-
delt es sich dabei eher um die Erweiterung des Prozessmanagements um klassische
Management by Objectives-Überlegungen.
Abbildung 15.6 stellt den Kreislauf der Methode dar, der im Wesentlichen aus der
Definition, der Ausführung sowie der Kontrolle der Vorgaben besteht. Darüber hin-
aus wird in ablauforganisationsbezogene sowie aufbauorganisationsbezogene Ziele
Strategie Aufbauorganisations-
bezogene Ziele
Reporting und Controlling Management
Ablauforganisations-
Unternehmenssteuerung bezogene Ziele
Definition
Kontrolle
Ausführung
Prozessindividuelle
Ziele und Maßnahmen
Unternehmensbezogene,
prozessrelevante
Ziele und Maßnahmen
Unternehmensbezogene,
aufbauorganisationsbezogene
Ziele und Maßnahmen
Abb. 15.6 Aufbau eines Zielsystems nach dem Ansatz des zielorientierten Prozessmanagements
306 C. Lichka und E. Guschlbauer
unterschieden. Aus dem Kontext der BSC wurde – neben der Steuerung von Zielen und
Kennzahlen – die Fokussierung auf Maßnahmen einbezogen.
Eine Integration, wie sie aus methodischer oder theoretischer Sicht machbar wäre, ist
im Realeinsatz die absolute Seltenheit. Hierzu tragen einige Faktoren bei. Einerseits
würde eine solche Integration einen hohen Reifegrad der Organisation in methodi-
scher Umsetzung und Steuerung prozessualer und strategischer Themen voraussetzen.
Darüber hinaus müsste das Management den Mehrwert der Integration sowie der damit
einhergehenden organisatorischen Matrixstruktur die notwendige Relevanz einräumen
und mit der daraus resultierenden Komplexität umgehen (wollen).
Im Rahmen dieses Kapitels sei jedoch ein Szenario dargestellt, das den Mehrwert
der Methodenintegration anhand eines Beispiels aufzeigen soll. Zu diesem Zweck dient
eine exemplarische Umsetzung mit den Softwareprodukten ADOscore® zur Balanced
Scorecard-Steuerung sowie ADONIS® zur Prozessdokumentation.
Anhand sechs einzelner Schritte wird die Integration aus Sicht der Interpretation einer
negativen Abweichung einer Kennzahl detailliert. Startpunkt (vgl. Abb. 15.7) ist eine im
Kontext der BSC-Steuerung identifizierte Abweichung der Kennzahl „Durchlaufzeit beleg-
gebundene Überweisung“.
Balanced Scorecard
Die Kennzahl „Durchlaufzeit (DLZ) beleggebundene Überweisung“ ist rot.
Abb. 15.7 Schritt 1 des Integrationsbeispiels: Negative Abweichung einer Kennzahl wird erkannt
15 Integration strategisches Management und Prozessmanagement 307
BSC-Controlling
Starker Anstieg der Kennzahl „Durchlaufzeit (DLZ) beleggebundene Überweisung“ wird
festgestellt.
2
Abb. 15.8 Schritt 2 des Integrationsbeispiels: Allgemeiner Grund für die Abweichung wird festgestellt
Prozessanalyse
Durchlaufzeit ist abhängig von der Kennzahl „Anzahl der Unterschriften, die nicht in Ordnung
gewesen sind“.
3
Abb. 15.9 Schritt 3 des Integrationsbeispiels: Mögliche Ursache für Anstieg der Durchlaufzeit
wird identifiziert
308 C. Lichka und E. Guschlbauer
Prozesscontrolling
Die Ursache für den Anstieg der Durchlaufzeit liegt möglicherweise im Anstieg dieser Kennzahl.
Abb. 15.10 Schritt 4 des Integrationsbeispiels: Anstieg der Durchlaufzeit ist im Cockpit ersichtlich
IT-Serviceanalyse
Identifikation von Kennzahlen, die dem IT-Service „Risk Rating“ zugeordnet sind.
Abb. 15.11 Schritt 5 des Integrationsbeispiels: Zuordnung der identifizierten Kennzahl ist nach-
vollziehbar
15 Integration strategisches Management und Prozessmanagement 309
IT-Servicecontrolling
Verzögerung liegt auch an der schlechten Performance des IT-Services „Risk Rating“. Es sind
entsprechende Maßnahmen zur operativen Ursachenabklärung und Behebung zu treffen.
6
Abb. 15.12 Schritt 6 des Integrationsbeispiels: Eine weitere mögliche Ursache für die Verzöge-
rung ist im Cockpit ersichtlich
Schritt 2 (vgl. Abb. 15.8) zeigt im Rahmen des BSC-Controllings den plötzlichen
Anstieg der Kennzahl in den roten Bereich.
Aufgrund der Verbindung der Kennzahlen zu den zugewiesenen Prozessen können
die direkt involvierten Prozesse sofort identifiziert und betrachtet werden. Dies betrifft
sowohl die fachliche Ablaufdarstellung (vgl. Abb. 15.9) als auch die zum jeweiligen
Prozess gehörigen Detail-Cockpits (vgl. Abb. 15.10). Der Zusammenhang möglicher
fachlicher Prozessänderungen (anhand der Prozessdokumentation ersichtlich) kann im
Kontext der Kennzahlenentwicklungen des Prozess-Cockpits evaluiert werden. In die-
sem Beispiel wird als negativer Treiber eine operative Prozesskennzahl gefunden.
Die identifizierte Kennzahl ist aus dem Bereich des IT Risk-Ratings, welche in der
Prozess- und Servicedokumentation (vgl. Abb. 15.11) des IT-Bereichs zu finden ist.
Die Identifikation der Fehlerquelle (vgl. Abb. 15.12) ist die Basis für eine geeignete
Maßnahmendefinition. Sinnvollerweise erfolgt deren Controlling im Einklang mit den
hier aufgeführten Steuerungsebenen. Dies kann bspw. IT-technisch unterstützt werden,
indem die Steuerungs-Cockpits der einzelnen Ebenen (vgl. die Schritte 2, 4 und 6) nicht
nur die aktuellen Ziele und Kennzahlen, sondern auch Maßnahmen beinhalten.
Anhand des aufgezeigten Szenarios wird ersichtlich, dass die Integration des strate-
gischen Managements und des Prozessmanagements eine sehr starke Vernetzung der
einzelnen Themen voraussetzt. IT-gestützt und auch fachlich hat es sich erfahrungsge-
mäß als vorteilhafter erwiesen, dabei mit sauberen Schnittstellen – bspw. zwischen BSC,
310 C. Lichka und E. Guschlbauer
15.5 Fazit
Literatur
Zusammenfassung
Unternehmensarchitektur-Management (engl. Enterprise Architecture Management,
EAM) befasst sich mit dem ganzheitlichen Management aller relevanten Elemente
einer Unternehmensarchitektur sowohl auf Seiten des Business als auch der IT. Durch
die integrative Betrachtung von Prozessmanagement und Unternehmensarchitektur-
Management entsteht eine solide Basis für das Business IT Alignment. Die im
Prozessmanagement konzipierten Prozesse werden als Teil der Geschäftsarchitektur in die
Unternehmensarchitektur eingebettet und mit der IT-Landschaft verknüpft. Die dadurch
gewonnene Transparenz bietet eine gemeinsame Planungsbasis für die Fachbereiche und
IT-Abteilungen. Anstehende Änderungen der Architektur werden nicht isoliert betrach-
tet, sondern gemeinsam geplant und umgesetzt. Das vorliegende Kapitel gibt einen ein-
führenden Überblick über das Unternehmensarchitektur-Management. Im Vordergrund
stehen jene Konzepte und Verfahren, die eine möglichst nahtlose Integration der
Geschäftsarchitektur – repräsentiert durch die Geschäftsprozesse – und der IT-Landschaft
ermöglichen. Den konzeptuellen Rahmen bildet dabei mit TOGAF® ein international
anerkannter Standard für das Unternehmensarchitektur-Management. Die theoretischen
Konzepte werden anhand eines praktischen Beispiels aus der Luftfahrtbranche erläutert.
C. Moser (*)
BOC Information Technologies Consulting AG, Operngasse 20b, 1040 Wien, Österreich
e-mail: christoph.moser@boc-eu.com
L. Kirchner
BOC Information Technologies Consulting GmbH, Voßstraße 22, 10117 Berlin, Deutschland
Definition
Im Kern beschreibt die Unternehmensarchitektur das Zusammenspiel von Elementen
der geschäftlichen Tätigkeit des Unternehmens und der Informationstechnologie.
Unternehmensarchitektur-Management liefert Entscheidungsgrundlagen zur Weiterent
wicklung des Unternehmens; oftmals in Form von sogenannten Bebauungsplänen.
Technologiearchitektur
Risikoarchitektur
Risiko Schutzobjekt
Geschäftsprozesse und
Organisationseinheiten
Geschäftsfunktionen
Anwendungen und
Technologien
318 C. Moser und L. Kirchner
Wettbewerbsstrategie - Wertschöpfungskette
Unternehmensinfrastruktur
Unterstützungs -
aktivitäten
Technologieentwicklung
Beschaffung
Marge
Interne Externe Marketing
Produktion Service
Logistik Logistik und Verkauf
Primäraktivitäten
Beispiel
Abbildung 16.4 zeigt ein Beispiel für eine Business Capability Map mit mehreren Ebenen
für einen Flughafen. Das Beispiel orientiert sich an der Porter’schen Wertschöpfungskette.
Unternehmensinfrastruktur
Technologieentwicklung
Beschaffung
Marketing
Aviation Non-Aviation Service
und Verkauf
Boden- Retail
abfertigung Mgmt.
Sicher- Gebäude
heitsdienst und Park…
Terminal-
betrieb
Eine weitere Hilfestellung für die Erstellung von Business Capability Maps bieten oftmals
auch branchenspezifische Referenzmodelle. Beispiele sind u. a.:
Die Phasen der ADM werden im Folgenden kurz beschrieben, wobei etwaige Schnittstellen
zum Prozessmanagement, z. B. die Verwendung von Geschäftsprozessen als Input oder
Output, jeweils explizit erwähnt werden.
16 Integration von Prozessmanagement und Unternehmensarchitektur-Management 321
Preliminary:
Framework
& Principles
A:
Architecture
Vision
H:
B:
Architecture
Business
Change
Architecture
Management
C:
G:
Requirements Information
Implementation
Management Systems
Governance
Architectures
F: D:
Migration Technology
Planning Architecture
E:
Opportunities
& Solutions
Preliminary
In dieser frühen Phase wird u. a. festgelegt, welche Bereiche der Organisation zu berück-
sichtigen sind (Scope), welche Stakeholder zu beachten sind, wie die Schlüsseltreiber
aussehen, welche Architekturprinzipien einzuhalten sind und wie das zu nutzende
322 C. Moser und L. Kirchner
Requirements Management
Die parallel zu allen anderen Phasen der ADM durchzuführenden Aktivitäten
des Anforderungsmanagements sollen gewährleisten, dass jederzeit auf geänderte
Anforderungen reagiert werden kann. Diese werden zentral verwaltet und stehen in
den einzelnen Phasen als Input für die durchzuführenden Aktivitäten zur Verfügung.
Insbesondere Anforderungen, die zu Änderungen der Geschäftsarchitektur führen,
sollten auf Geschäftsfähigkeiten verweisen und in weiterer Folge auch in Form von
Geschäftsprozessen detailliert werden.
A. Architecture Vision
Die Architekturvision beschreibt den gewünschten Zustand der Organisation für die kom-
menden Jahre. Sie enthält die Beschreibung der Strategien und Ziele. Sie beschreibt, wie
die neu zu schaffenden bzw. zu optimierenden Fähigkeiten die Strategien und Ziele der
Organisation unterstützen. Dabei steht vor allem die Definition der Anforderungen (engl.
Business Requirements) an die zu entwickelnde Architektur im Vordergrund. Business
Capability Maps oder Prozesslandkarten dienen hier als Hilfsmittel zur Ableitung der
geschäftlichen Anforderungen und helfen beim Verständnis auf Geschäftsseite insgesamt.
B. Business Architecture
Die Beschreibung der Unternehmensarchitektur in Form von Strategien,
Geschäftsprozessen, Aufbauorganisation und Funktionen auf der Basis der Festlegungen
der Architecture Vision ist Gegenstand dieser Phase. Geschäftsprozesse werden
genutzt, um die zukünftige Struktur der Ablauforganisation zu beschreiben. Im Zuge
des Prozessmanagements werden Gap-Analysen durchgeführt, um entwickelte Soll-
Prozesse mit den Ist-Prozessen zu vergleichen. Zur Strukturierung und Einordnung der
Geschäftsprozessmodelle wird idealerweise die Business Capability Map genutzt.
D. Technology Architecture
Ausgehend von den Anforderungen an die Architektur wird die notwendige Unterstützung
durch die technische Infrastruktur spezifiziert. Die konkrete Ausprägung der Technologie
architektur hat in der Regel keinen direkten Bezug auf die Geschäftsprozesse, wobei neue
Technologien oftmals Enabler für neue Geschäftsmodelle sein können.
F. Migration Planning
In dieser Phase wird ein konkreter Zeitplan für die Realisierung der Zielarchitektur
entwickelt. Die erforderlichen Veränderungen an der Architektur werden unter
Berücksichtigung von Abhängigkeiten, Risiken und Ressourcen erarbeitet.
G. Implementation Governance
Die Implementierung der neuen Architektur wird begleitend überwacht, wodurch sicher-
gestellt wird, dass die Konformität der in den einzelnen Projekten erstellten Produkte zu
den zuvor erstellten Architekturbeschreibungen und Vorgaben jederzeit gegeben ist.
Anhand der drei Phasen Business Architecture, Information Systems Architectures und
Opportunities and Solutions wird skizziert, an welcher Stelle eine besonders enge Integration
des Prozessmanagements mit dem Unternehmensarchitektur-Management zielführend ist.
unterstützt werden sollten. Hierzu empfiehlt es sich, klare Kriterien – etwa in Form
eines standardisierten Fragenkatalogs – zu erstellen. Bewertet werden u. a. der funkti-
onale Abdeckungsgrad, nicht-funktionale Anforderungen (wie Verfügbarkeiten und
Performance) und die Betriebskosten.
Die Maßnahmen zur Optimierung können dann vielfältiger Natur sein. Die Bandbreite
zur Optimierung des Business IT Alignment reicht von der Optimierung der (IT-)
Supportprozesse über Anpassungen/Optimierung bestehender Anwendungen bis hin zur
Einführung neuer Anwendungen. Der Fokus dieser Standortbestimmung sollte aber nicht
ausschließlich auf die Qualität der IT-Unterstützung – die IT-Fitness der zugrunde liegen-
den IT-Architektur – gelegt werden. Selbstverständlich können Optimierungspotenziale
auch innerhalb der Geschäftsarchitektur an sich identifiziert werden. Ein Beispiel wären
hohe Fehlerraten in Prozessen einer Business Capability, die nicht auf die zugrunde lie-
gende IT zurückzuführen sind, oder heterogene, nicht-standardisierte Geschäftsprozesse
bei verschiedenen Unternehmensstandorten. Dies kann dazu führen, dass für die identi-
fizierten Bereiche die Geschäftsprozesse im Detail modelliert und analysiert werden müs-
sen. Hohe Fehlerraten können dann ggf. durch Training der Mitarbeiter, Bereitstellung von
(prozessbasierten) Arbeitsanweisungen oder Reorganisation der Prozesse reduziert werden.
Auf Basis der Business Capability Map kann somit aus strategischer Sicht entschieden
werden, in welche der identifizierten Geschäftsfähigkeiten investiert werden muss, um eine
erforderliche Differenzierung am Markt zu erreichen und den langfristigen Geschäftserfolg
des Unternehmens sicherzustellen. Fehlinvestitionen, wie etwa Projekte in Bereichen, die
strategisch von geringer Bedeutung sind, werden aufgedeckt bzw. vermieden.
Für die identifizierten Bereiche erfolgt dann eine hierarchische Zerlegung der
Geschäftsfähigkeiten, sodass auch taktische Anforderungen auf einer entsprechend tie-
feren Ebene der Capability Map zugeordnet werden können. In TOGAF® werden die
Geschäftsfähigkeiten – im Sinne funktionaler Bausteine – als Architekturbausteine
(Architecture Building Blocks) bezeichnet. Mit dieser Vorgehensweise wird sichergestellt,
dass der mögliche Lösungsraum nicht bereits in frühen Phasen von IT-Projekten – ohne
Detailkenntnis über die fachlichen Anforderungen – durch Festlegung von Technologien
bzw. durch unreflektierte Annahmen zu bestehenden Organisationsstrukturen bzw.
Geschäftsprozessen eingeschränkt wird.
Für die konkrete Ausgestaltung der Business Capability Map, insbesondere für deren
Detaillierung in tiefere Ebenen, empfiehlt es sich, die wesentlichen Kriterien, die das
Geschäft beeinflussen, vorab zu definieren. Kriterien, die eine einheitliche Zerlegung
ermöglichen, können beispielsweise folgende sein:
• Kundentyp
Ein Flughafen unterscheidet beispielsweise zwischen Airlines, Retail-Kunden (Shops)
und Passagieren.
• Produkte/Dienstleistungen
Auf oberster Ebene unterscheidet ein Flughafen zwischen Aviation- und
Non-Aviation-Dienstleistungen.
16 Integration von Prozessmanagement und Unternehmensarchitektur-Management 325
• Vertriebskanäle
Shops des Flughafens werden beispielsweise via Direktvertrieb und/oder via Inter
netvertrieb angeboten.
• Fertigungstiefe
Hierbei ist zu klären, welche Fähigkeiten durch den Flughafen direkt abgedeckt wer-
den bzw. welche durch mögliche Partner erbracht werden. Beispielsweise könnte die
Gepäckförderanlage direkt durch Mitarbeiter des Flughafens oder aber auch durch
einen Sourcing-Partner betrieben und gewartet werden.
Ähnliche Kriterien werden auch in Kap. 3 zur Zerlegung und Strukturierung von
Prozesslandkarten empfohlen. Grundregel für die hierarchische Zerlegung im Rahmen
des Unternehmensarchitektur-Managements ist jedoch, dass die Geschäftsfähigkeiten
nur dann detailliert und aufgespalten werden, wenn aus funktionaler Sicht auf der jewei-
ligen Abstraktionsebene tatsächlich Unterschiede berücksichtigt werden müssen. So ist
eine Aufspaltung einer Geschäftsfähigkeit im Hinblick auf unterschiedliche ausführende
Organisationseinheiten oder unterschiedliche Standorte (soweit dies aufgrund unter-
schiedlicher regulatorischer oder rechtlicher Anforderungen nicht zwingend erforderlich
ist) in der Regel nicht zielführend.
Fokussiert man nun auf eine konkrete Geschäftsfähigkeit, lassen sich die Geschäfts
funktionen im Sinne erforderlicher IT-Unterstützung zuordnen. Diese dienen zunächst
der funktionalen Beschreibung benötigter Informationssysteme. Eine Menge von
Geschäftsfunktionen bildet somit die funktionale Detailebene einer Geschäftsfähigkeit aus.
Beispiel
Abbildung 16.6 bezieht sich erneut auf das Flughafenszenario. Am Beispiel der
Geschäftsfähigkeit „Aviation > Terminalbetrieb“ wird aufgezeigt, wie eine hierarchische
Zerlegung erfolgen kann. Diese Geschäftsfähigkeit wird auf dritter Ebene etwa in fol-
gende Geschäftsfähigkeiten detailliert: „Check-in“, „Sicherheitskontrolle“, „Boarding“
etc. Weiterhin erfordert die Geschäftsfähigkeit „Boarding“ eine Reihe von Geschäftspro-
zessen (von der Aufbauorganisation wird in der Abbildung abstrahiert) sowie IT-Unter-
stützung, repräsentiert durch die von der IT angebotenen Geschäftsfunktionen. Wird
der Geschäftsprozess „Pier-Boarding durchführen“ im Detail betrachtet, wird schnell
klar, dass eine Reihe an Geschäftsfunktionen zur Realisierung des Prozesses erforderlich
ist. Exemplarisch zu nennen sind an dieser Stelle „Fluginformationen bereitstellen“ und
„Dynamische Hinweisschilder bespielen“. Abbildung 16.6 zeigt die hier beschriebene
Geschäftsarchitektur in Form eines Abhängigkeitsdiagramms.
Es wird deutlich, dass die Geschäftsfunktionen als zentrales Bindeglied zwischen den
Geschäftsprozessen auf der einen Seite und der IT auf der anderen Seite als integra-
tive Schicht dienen können. So kann in der Form von Geschäftsfunktionen seitens der
Fachabteilung formuliert werden, welche Anforderungen an die IT existieren, ohne
326 C. Moser und L. Kirchner
Geschäftsarchitektur
Geschäftsfähigkeiten
Aviation
Terminalbetrieb …
Geschäftsprozesse
Bus-Boarding Pier-Boarding …
durchführen durchführen
Geschäftsfunktionen
dass die Struktur der Anwendungsarchitektur zwingend bekannt sein muss. Seitens der
IT kann mittels Funktionslandkarten dargestellt werden, welche Funktionen angeboten
werden, wodurch eine Grundlage für die Erstellung einer Gap-Analyse geschaffen wird.
Die identifizierten Geschäftsfunktionen müssen in weiterer Folge von konkreten
Anwendungen realisiert werden. Die Konzeption hierfür erfolgt in der Phase „Information
Systems Architectures“.
Boarding
durchführen
Buseinsatz
steuern
Durchsage
durchführen
Dynamische Hinweis-
schilder bespielen
Fluggastbrücken
aktivieren
Zutrittskontrolle
durchführen
Beispiel
Wird wiederum das Beispiel des Flughafens aufgegriffen, könnten die identifizierten
Geschäftsfunktionen aktuell durch Anwendungen wie „FIDS“ (Flight Information Dis-
play System), „BA“ (Beschallungsanlage) und „ACS“ (Aviation Core System) realisiert
sein. Abbildung 16.7 zeigt die Zusammenhänge in Form einer Matrixdarstellung.
Jede der Anwendungen ist im Kontext der von ihr bereitgestellten Geschäftsfunktionen zu
bewerten. Zentrale Kriterien hierzu sind beispielsweise Business-Fitness, IT-Fitness und
Kosten-Fitness. Diese oder vergleichbare Bewertungsansätze sind ein zentrales Instrument
im Rahmen des Anwendungsportfolio-Managements. Zur Bewertung der Business-
Fitness werden beispielsweise der funktionale Abdeckungsgrad (Grad der Erfüllung der
Anforderungen der Nutzer), aber auch nicht-funktionale Anforderungen (wie Sicherheit,
Performance, Usability) ermittelt. Die Bewertung wird in der Regel gemeinsam mit
den jeweiligen Prozessverantwortlichen durchgeführt. Zur IT-Fitness werden sowohl
die technologische Architektur der Anwendungen als auch die zugrunde liegenden,
betriebsrelevanten IT-Verfahren (bspw. ein funktionierendes Störungs-, Change- oder
Release-Management) bewertet. Die Verknüpfung der Anwendung mit den verwendeten
Technologien ist hier von Vorteil. Werden diese Technologien etwa in einer Technologie-
Roadmap (diese wird in der Phase Technology Architecture definiert) regelmäßig bewer-
tet, so können wertvolle Schlüsse in Hinblick auf die IT-Fitness gezogen werden.
Abbildung 16.8 zeigt ein Beispiel anhand von Technologie-Lebenszyklen. Die Anwendung
FIDS verwendet Technologien, für die ein Ablösedatum (engl. End-of-Life) gesetzt wurde.
Für die Ermittlung der Kosten-Fitness werden schließlich u. a. Investitionskosten und
Betriebskosten bewertet. Die Gesamtheit der Parameter dient zur Entscheidungsfindung,
wie in Zukunft mit bestehenden oder geplanten Anwendungen zu verfahren ist. Hier
steht in aller Regel vor allem die Entscheidung Make or Buy, also kaufen oder selbst
328 C. Moser und L. Kirchner
BA
Java SE v6
Oracle Version 11g R2 25.02.2010 -26.02.2016
FIDS
Cobol 2002 01.01.2002 -26.02.2014
entwickeln, im Vordergrund. Es wird auf diese Weise eine Investitionsstrategie für jede
der Anwendungen definiert.
Beispiel
Abbildung 16.9 zeigt eine Darstellung eines Anwendungsportfolios, wiederum am Bei-
spiel des Flughafens. Betrachtet man in diesem Beispiel die Anwendung FIDS, so ist
unmittelbar ersichtlich, dass die Anwendung zwar strategisch wichtig ist, jedoch weder
bezüglich IT-Fitness noch Business-Fitness zufriedenstellende Bewertungsergebnisse
liefert. Die Anwendung ist somit ein Ablösekandidat. Die Investitionsstrategie wird auf
„Desinvestieren“ gesetzt.
Beispiel
Im nachfolgenden Beispiel (vgl. Abb. 16.10) werden die Geschäftsprozesse auf der
horizontalen und die Organisationseinheiten auf der vertikalen Achse dargestellt. In
den Zellen der Matrix werden die Anwendungen inklusive ihrer Investitionsstrategie
abgebildet. Für Anwendungen mit Investitionsstrategie Desinvestieren (Pfeil nach
unten, vgl. Abb. 16.10) sind alternative Anwendungen einzuplanen. Geplante, d. h.
zum Betrachtungszeitpunkt noch nicht produktive, Anwendungen werden in der Mat-
rix mit gestricheltem Rahmen visualisiert.
16 Integration von Prozessmanagement und Unternehmensarchitektur-Management 329
IT-Fitness
Exzellent
Gut
Ausreichend
Mangelhaft
Ungenügend
Nicht
anwendbar
Kein Eintrag
Nicht anwendbar Mangelhaft Gut
Kein Eintrag Ungenügend Ausreichend Exzellent
Business-Fitness
In den nachfolgenden Phasen, insbesondere in der Phase Opportunities and Solutions, wer-
den nun unterschiedliche Lösungsvarianten im Detail erarbeitet. Auf die Phase Technology
Architecture wird hier aufgrund ihres geringen Bezugs zum Prozessmanagement nicht näher
eingegangen.
Airline BA BA
Sicherheitsdienst SUS
FIDS FIDS
FIDS NP FIDS NP
Beispiel
Abbildung 16.11 zeigt ein Beispiel, welches die betroffenen Artefakte auf den Ebenen der
Unternehmensarchitektur darstellt und entsprechend ihres Planungsstatus hervorhebt.
Diejenigen Elemente der Architektur, die im Zuge der Umsetzung der Anforderung abge-
löst werden sollen, werden durchgestrichen markiert. Elemente, die angepasst werden müs-
sen (etwa ein zu adaptierender Geschäftsprozess), werden mit einem Stern gekennzeichnet.
Neu zu implementierende Architekturobjekte werden mit einem Schild gekennzeichnet.
Geschäftsarchitektur
Pier-Boarding
durchführen
Informations-
system-
architektur
FIDS FIDS NP
Für die Bewertung der Alternativen erscheinen auch Methoden des Prozessmanagements
hilfreich. Verfahren, wie die Simulation der Geschäftsprozesse, tragen dazu wesentlich
bei. So erlauben diese die Bewertung der alternativen Lösungsszenarien im Hinblick auf
Prozesskosten, Personalbedarf etc. (vgl. Kap. 8, 9, und 10).
Beispiel
In unserem Flughafenbeispiel wird eine mögliche Prozessänderung bei der Geschäfts-
funktion „Boarding durchführen“ identifiziert. Auf vielen Flughäfen kann diese Akti-
vität mittlerweile durch Bereitstellung eines Self-Service-Scanners durch die Passagiere
selbst durchgeführt werden. Somit ergibt sich eine Prozessänderung, wobei die Aktivität
„Registrierung des Passagiers“ nicht wie bisher durch Boardingpersonal durchgeführt
werden muss. Langfristig kann der Personaleinsatz dadurch reduziert werden.
16.4 Zusammenfassung
Literatur
Zusammenfassung
Innerhalb des Prozessmanagements werden durch die Prozessanalyse operationelle
Risiken identifiziert und bewertet, die das Erreichen der Prozessziele sowie im Weiteren
das Erreichen der Unternehmensziele erschweren oder sogar verhindern. Diesen ope-
rationellen Risiken zu begegnen, ist die Aufgabe des Internen Kontrollsystems (IKS),
das Sorge dafür zu tragen hat, die Prozessziele zu erreichen, Vermögenswerte zu sichern
und gesetzliche Vorgaben einzuhalten. Das Verhindern und Vermeiden von opera-
tionellen Risiken durch das IKS sollte auf effektive und effiziente Weise erfolgen. Um
dies zu gewährleisten, ist es essentiell, die Managementsysteme Risikomanagement
und Prozessmanagement integriert zu betrachten. Dieses Kapitel zeigt die wesentli-
chen Anknüpfungspunkte der Integration dieser Managementsysteme mittels unseres
Vorgehensmodells für das Interne Kontrollsystem – des „IKS-Life Cycle“ – auf. Anhand
dieses Vorgehensmodells, welches sich in die Phasen „IKS-Strategie“, „Risikoanalyse“,
„Kontrolldefinition und Risikooptimierung“, „Implementierung der Kontrollen“,
„Ausführung der Kontrollen“ und „Evaluierung der Risiken und Kontrollen“ glie-
dert, wird die Integration im Detail erläutert. Abschließend stellt dieses Kapitel das
IKS als Erfolgsfaktor für das Prozessmanagement dar und zeigt auf, wie es mithilfe von
Methoden des unternehmensweiten Risikomanagements laufend verbessert werden kann.
„Risiko“ stellt einen Begriff dar, über den nicht nur heute viel gesprochen, geschrieben
und diskutiert wird. Der Begriff fand mit dem italienischen Wort „risico“ bereits im 16.
Jahrhundert Einzug in die kaufmännische Sprache. Damals wie heute versteht man dar-
unter die Gefahr, das angestrebte Ziel nicht zu erreichen (Eisele 2004).
Alle Tätigkeiten, die ausgeführt werden, um eine Organisation hinsichtlich Risiken
zu steuern, zu verbessern und zu kontrollieren werden im Risikomanagement bzw. im
Risikomanagement-System zusammengefasst (Austrian Standards 2010a). Zu diesem Zweck
bildet das Risikomanagement eine Querschnittsfunktion und weist Schnittstellen sowohl zum
strategischen Management, zum Prozessmanagement, zum IT-/Unternehmensarchitektur-
Management als auch zum Wissensmanagement auf (vgl. ebenso Abschn. 1.3).
Das vorliegende Kapitel betrachtet im Detail die Integration von Risikomanagement
und Prozessmanagement. Die Basis dieser Integration stellt das Interne Kontrollsystem
(IKS) dar, welches damit ein wesentlicher Teil des Prozessmanagements und auch des
Risikomanagements wird.
Definition
Unter dem Internen Kontrollsystem (IKS) werden Grundsätze, Maßnahmen und Ver
fahren verstanden, die
Hierzu wirkt das Interne Kontrollsystem gegen Risiken, die infolge von Unangemes
senheit oder Versagen von internen Prozessen, Personen oder Systemen oder aufgrund
von externen Ereignissen eintreten können. Diese Risiken werden unter dem Begriff
„operationelle Risiken“ zusammengefasst (Oesterreichische Nationalbank (OeNB) und
Finanzmarktaufsicht (FMA) 2005).
Das Interne Kontrollsystem ist somit, wie eingangs beschrieben, integraler Bestandteil
sowohl des unternehmensweiten Risikomanagements wie auch des Prozessmanagements
und stellt das wesentliche Bindeglied dieser beiden Managementbereiche dar. Das IKS ist
auf Seiten des Prozessmanagements ein Erfolgsfaktor, der die Effektivität und Effizienz
der Geschäftsprozesse positiv beeinflusst, indem die operationellen Gefahren/Risiken
vermindert oder sogar vermieden werden können. Diese Gefahren/Risiken stellen ihrer-
seits wiederum einen wesentlichen Bestandteil des unternehmensweiten Risikoportfolios
dar, das im Managementbereich des unternehmensweiten Risikomanagements liegt.
Aus diesen Zusammenhängen heraus lässt sich das Argument ableiten, dass das IKS
einen wesentlichen Erfolgsfaktor des Prozessmanagements darstellt und im Sinne der
Prozessoptimierung eine wichtige Rolle spielt.
17 Integration von Prozess- und Risikomanagement 335
Nach Bungartz (2011) gliedert sich das IKS in aufbau- und ablauforganisatorische
Kontrollen sowie in Überwachungssysteme.
Die aufbauorganisatorischen Kontrollen spiegeln sich in der Struktur der Aufbauorga
nisation bzw. in der Infrastruktur wider. Beispiele hierfür sind Funktionstrennung,
Kompetenzregelungen oder Zugriffsbeschränkungen im IT-Bereich. Des Weiteren fordern
diese Kontrollen die Definition von Rollen, deren Verantwortungen und Qualifikationen.
Kontrollen in der Ablauf- bzw. Prozessorganisation sollen die effektive und effizi-
ente Durchführung der Geschäftsprozesse sicherstellen. Dies erfolgt durch die teilweise
Implementierung von Kontrollen in den verwendeten IT-Systemen, aber auch durch
Arbeitsanweisungen und Richtlinien, die von den Prozessmitarbeitern einzuhalten
sind.
Die Überwachung dieser aufbau- und ablauforganisatorischen Kontrollen obliegt
in erster Linie der internen Revision, der Geschäftsführung, dem Aufsichtsrat und den
Wirtschaftsprüfern, welche im Zuge der Überwachung den ordnungsgemäßen Aufbau
und Betrieb des IKS sicherstellen sollen. (Bungartz 2011)
Die Implementierung, der Betrieb und die laufende Weiterentwicklung dieses
Systems kann durch Anwendung unseres IKS-Vorgehensmodells, des IKS-Life Cycle,
sichergestellt werden, welches nachfolgend vorgestellt wird.
Der IKS-Life Cycle stellt – wie der Process Management Life Cycle (PMLC, vgl. Kap. 2) –
einen Managementkreislauf dar, der in regelmäßigen Abständen durchlaufen wird und
die kontinuierliche Verbesserung des Prozessmanagement-Systems zum Ziel hat.
336 T. Müllner et al.
IKS-Strategie
Evaluierung
der Risiken Risikoanalyse
und Kontrollen
Kontrolldefinition
Ausführung der
und
Kontrollen
Risikooptimierung
Implementierung
der Kontrollen
Der IKS-Life Cycle besteht aus den folgenden sechs Phasen, die im Anschluss näher
erläutert werden (vgl. Abb. 17.1):
• IKS-Strategie,
• Risikoanalyse,
• Kontrolldefinition und Risikooptimierung,
• Implementierung der Kontrollen,
• Ausführung der Kontrollen und
• Evaluierung der Risiken und Kontrollen.
17.2.2.1 IKS-Strategie
In der Phase IKS-Strategie wird der Bezug des IKS zum strategischen Managementsystem
hergestellt und das organisatorische Rahmenwerk des IKS auf Basis der strategischen
Zielsetzungen erstellt. „Welche Ziele verfolgt das IKS?“ bzw. „Welche strategischen
Zielsetzungen sollen durch das Interne Kontrollsystem unterstützt werden?“ sind die zentralen
Fragen in dieser Phase. Auf Basis dieser Zielsetzung wird das organisatorische Rahmenwerk
des Internen Kontrollsystems definiert, welches u. a. aus folgenden Elementen besteht:
17.2.2.2 Risikoanalyse
In der darauffolgenden Phase des IKS-Life Cycle werden die im Scope liegenden Prozesse
einer Risikoanalyse unterzogen. Hierbei werden mögliche Ereignisse oder Entwicklungen
identifiziert, die das Erreichen der definierten Ziele erschweren bzw. unmöglich machen.
17 Integration von Prozess- und Risikomanagement 337
Als Grundlagen für die Identifikation von Risiken können, meist in Kombination, ver-
schiedene Methoden angewendet werden, um eine möglichst vollständige Darstellung
des Risikoportfolios des einzelnen Prozesses zu erreichen. Beispiele solcher Methoden
sind die „Prozess-Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse“ (P-FMEA, Process Failure
Mode and Effects Analysis) (Verband der Automobilindustrie (VDA) 2009) oder kreative
Methoden wie Brainstorming. Die Anwendung dieser Methoden führt zu Risiken, die die
Zielerreichung des jeweiligen Prozesses erschweren bzw. unmöglich machen. Mit welcher
Wahrscheinlichkeit diese Risiken eintreten und welche Auswirkung sie beim Eintritt haben,
ist ebenso im Zuge der Risikoanalyse festzulegen. Hierzu stehen qualitative und quantita-
tive Skalenmodelle zur Verfügung, wobei im Bereich der operationellen Risiken meist die
qualitative Bewertung herangezogen wird. Durch die Bewertung der identifizierten Risiken
ergibt sich ein qualifiziertes Risikoportfolio des einzelnen Geschäftsprozesses, welches in
der nächsten Phase einer Optimierung in Form von Kontrolldefinitionen unterzogen wird.
• kein Handlungsbedarf,
• Handlungsbedarf und
• akuter Handlungsbedarf.
Die drei genannten Kategorien dienen der Priorisierung der Risikobewältigung. Risiken der
Kategorie „kein Handlungsbedarf“ werden keine Kontrollen gegenübergestellt und daher
bewusst akzeptiert, da sich deren Verminderung oder Vermeidung auf Basis einer Kosten-
Nutzen-Analyse nicht als sinnvoll erweist. Risiken, die der Kategorie „Handlungsbedarf“ zuge-
ordnet werden, sollten mittelfristig durch eine oder mehrere Kontrollen optimiert werden,
da sie einen beträchtlichen Schaden anrichten können. Risiken mit akutem Handlungsbedarf
stellen für die Organisation existenzbedrohende Risiken dar und müssen umgehend durch
geeignete Kontrollmaßnahmen vermieden, vermindert oder abgewälzt werden.
Nach der Implementierung und der notwendigen Befähigung der betroffenen Mitarbeiter
soll die Durchführung dieser Kontrollen den betroffenen Risiken entsprechend vermin-
dernd oder vermeidend begegnen.
Nachhaltiges
Iteration 3
Internes
Kontrollsystem
Iteration 2
Einführung des
Internen Iteration 1
Kontrollsystems
• Nach der Einführung Nachweis des Nutzens der IKS-Einführung anhand von
Risikobewertungen, Kontrollbewertungen oder Reifegradmodellen
• Weitere Verbesserungen durch wiederholtes Durchlaufen des IKS-Life Cycle
• Kontinuierliche Verbesserung und nachhaltige Verankerung des IKS mit jeder weiteren „Runde“
Lerneffekt der Mitarbeiter einstellt und das IKS als etwas Selbstverständliches angesehen
wird (vgl. Abb. 17.2). Wesentlich hierfür ist es, den Nutzen des IKS für das Prozess- wie
auch für das Risikomanagement laufend ins Bewusstsein der Mitarbeiter zu rufen, die
wesentliche Inputgeber für mögliche Verbesserungen des IKS darstellen.
Der IKS-Life Cycle stellt neben einem Vorgehensmodell für das Interne Kontrollsystem
auch die Basis der Integration des Prozessmanagements und Risikomanagements
dar. Abbildung 17.3 zeigt beispielhaft die vielfältige Interaktion von Prozess- und
Risikomanagement im Zuge des Internen Kontrollsystems.
Diese Übersicht stellt deutlich die vielfältigen Schnittstellen zwischen dem Prozessma
nagement und dem Risikomanagement durch das IKS dar. Die Pfeilrichtungen in den
einzelnen Phasen des IKS-Life Cycle stellen den In- bzw. Output dar, welcher vom IKS in
Richtung des Prozessmanagements bzw. des Risikomanagements empfangen bzw. geliefert
wird. Daraus kann z. B. in der Phase der Risikoanalyse (vgl. Abschn. 17.2.2.2) entnommen
werden, dass der Input für die Risikoanalyse durch das Prozessmanagement geliefert wird,
der Output der Risikoanalyse in das unternehmensweite Risikoportfolio Einzug findet und
hier das IKS als „Lieferant“ für das Unternehmens-Risikomanagement fungiert.
Im Zuge der näheren Betrachtung der Schnittstellen des IKS zum Prozessma
nagement wie auch zum Risikomanagement soll in den nachfolgenden Abschnitten im
Detail auf das IKS als Erfolgsfaktor des Prozessmanagements und auf die Optimierung
des IKS im Zuge des Risikomanagements eingegangen werden.
340 T. Müllner et al.
Geschäftsprozesse Risikoportfolio
Risikoanalyse
werden analysiert der operationellen Risiken
Kontrolldefinition
Optimieren der Geschäfts- Optimierung des Risikoportfolios
und
prozesse durch Kontrollen der operationellen Risiken
Risikooptimierung
Ausführung der
Kontrollen
Evaluierung
Sicherstellung Effektivität und Sicherstellung der gewünschten
der Risiken
Effizienz der Geschäftsprozesse Entwicklung des Risikoportfolios
und Kontrollen
Abb. 17.3 Integration des Prozess- und Risikomanagements durch den IKS-Life Cycle
Die Integration von Prozessmanagement und IKS kann z. B. anhand der beiden Vorgehens
modelle vorgenommen werden. So zeigt Abb. 17.4 anhand des Process Management Life
Cycle (PMLC) und des IKS-Life Cycle, welche wesentlichen Informationen in den einzel-
nen Phasen zwischen diesen Systemen ausgetauscht werden und jeweils wichtige Inputdaten
darstellen.
Wie das Interne Kontrollsystem einen Erfolgsfaktor des Prozessmanagements im
Rahmen des PMLC darstellen kann, wird in den nachfolgenden Abschnitten anhand der
PMLC-Phasen detailliert diskutiert.
Gemäß der einleitenden Definition dient das IKS der Erreichung von Zielen in den
Bereichen der Finanzberichterstattung, der Einhaltung von geltenden Gesetzen,
Richtlinien oder unternehmensinternen Vereinbarungen (z. B. Corporate Governance)
17 Integration von Prozess- und Risikomanagement 341
Prozessdokumentation Geschäftsprozesse
Risikoanalyse
werden analysiert
Prozessoptimierung Kontrolldefinition
Optimieren der Geschäfts-
und
prozesse durch Kontrollen
Risikooptimierung
Prozesscontrolling Evaluierung
Sicherstellung Effektivität und
der Risiken
Effizienz der Geschäftsprozesse
und Kontrollen
Diese betrieblichen Ziele sind es, die, wie in Abschn. 2.4.1 Prozessstrategie darge-
stellt, als Prozessziele von übergeordneten Unternehmenszielen abgeleitet wurden (vgl.
ebenso Kap. 4). Im Zuge dieser Phase wurden den einzelnen Prozessen ein oder meh-
rere Prozessziele zugewiesen, die der Prozessverantwortliche mit seinen Mitarbeitern
versucht zu erreichen. Geht der Prozessverantwortliche mit den vorhandenen, limitier-
ten Ressourcen bewusst um, so zählt es auch zu seinen Aufgaben abzuwägen, welche
Probleme, Gefahren oder negative Entwicklungen die Erreichung dieser Prozessziele
erschweren bzw. unmöglich machen. Gegen diese operationellen Risiken wirkt das IKS,
342 T. Müllner et al.
17.3.2.1 Involvierte Rollen
Bevor die einzelnen Betrachtungsgegenstände des Geschäftsprozesses untersucht werden
können, ist zu klären, welche Personen an der Risikoanalyse teilnehmen sollten, um eine
möglichst hohe Quote bei der Entdeckung von Risiken des Geschäftsprozesses zu erzie-
len. Je nach definiertem Betrachtungsgegenstand sind dies:
• der Prozessverantwortliche,
• der Prozessexperte bzw. Prozessmitarbeiter,
• der Prozess- bzw. IKS-Berater und/oder
• der Prozesscontroller.
17 Integration von Prozess- und Risikomanagement 343
Geschäftsprozess
Risiken Kontrollen
Im Zuge der Risikoanalyse ist es oft hilfreich, auch eine fachbereichsfremde Person hin-
zuzuziehen, um die „Betriebsblindheit“ der genannten Rollen zu kompensieren.
17.3.2.2 Angewendete Methoden
Wie in Abschn. 17.2.2.2 beschrieben, kann eine Reihe verschiedener Methoden verwen-
det werden, um operationelle Risiken zu identifizieren und zu bewerten. Abbildung 17.6
zeigt häufig angewendete Methoden gemäß ihrer Eignung zur Identifikation und
Bewertung von Risiken.
344 T. Müllner et al.
Brainstorming +++ +
FMEA +++ ++
CIRS +++ +
Brainstorming
Im Zuge von Brainstorming-Workshops identifizieren die involvierten Personen die mög-
lichen Problemfelder des Geschäftsprozesses und dessen Betrachtungsobjekte (Brühwiler
2007). Hierzu werden neben anderen Hilfsmitteln sogenannte Key Questions verwendet,
wie z. B.:
Da Brainstorming zu den Kreativitätstechniken zählt, eignet es sich sehr gut zur Identifikation
von möglichen Risiken, jedoch weniger zur Bewertung derselben (Brühwiler 2007).
FMEA
Die Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA oder Funktionsanalysen bzw. engl.
Failure Mode and Effects Analysis) ist eine weit verbreitete Methode im Bereich des
Risikomanagements (Werdich 2011). Dabei werden technische wie auch organisatorische
17 Integration von Prozess- und Risikomanagement 345
Die Bewertung der Risiken findet in jeder FMEA durch Anwendung der Risikoprioritätszahl
statt. Die Risikoprioritätszahl (RPZ) ist das Produkt der Wahrscheinlichkeit des Auftretens,
der Auswirkung und der Wahrscheinlichkeit des Entdeckens des Risikos, wobei für jede die-
ser drei Dimensionen eine gewisse maximale Punktzahl vergeben werden kann. Die daraus
resultierende RPZ kann in weiterer Folge gut mit der Risikotoleranz des Unternehmens ver-
glichen werden, um entsprechende Maßnahmen abzuleiten (Brühwiler 2007).
Szenarioanalysen
Szenarioanalysen sind sowohl für die Identifikation als auch die Bewertung von operati-
onellen Risiken sehr gut geeignet. Eine oft angewendete Methode dieser Kategorie stellt
die „Fehlerbaum- und Ablaufanalyse“ dar, welche nachfolgend beschrieben wird.
Die Fehlerbaum- und Ablaufanalyse oder Analyse von „Top Events“ definiert ein
unerwünschtes, fiktives, negatives Ereignis und bestimmt alle Möglichkeiten, wie ein sol-
ches eintreten könnte. Diese Ursachen werden optisch in einer Baumdarstellung logisch
verknüpft und wenn möglich mit Wahrscheinlichkeiten belegt. Basierend darauf kann
die Eintrittswahrscheinlichkeit des Top Events näherungsweise sehr gut bestimmt wer-
den. Ausgehend von diesem Top Event werden im Zuge der Ablaufanalyse die mögli-
chen Ablaufszenarien des Ereignisses dargestellt (vgl. Abb. 17.7).
Die Fehlerbaum- und Ablaufanalyse findet meist auf aggregierter Ebene (Bereich
Prozesslandkarte) Anwendung, wobei mehrere Prozesse in Betracht gezogen werden, um ein
übergeordnetes, meist strategisches Ziel einer Risikoanalyse zu unterziehen. Die Ursachen
dieses negativen Ereignisses werden den betroffenen Geschäftsprozessen zugeordnet und
gemäß ihrer Wahrscheinlichkeit bewertet. Die Eintrittswahrscheinlichkeit des Top Event
kann nun auf Basis der Einzelwahrscheinlichkeiten ermittelt werden (Brühwiler 2007).
CIRS
Ein Critical Incidents Reporting System (CIRS) ist ein weit verzweigtes Meldesystem in
einer Organisation, bei dem sogenannte Vorkommnisse gesammelt und ausgewertet
346 T. Müllner et al.
Fehlerbaum Ereignisbaum
Folgeereignis
W1 Ursache 1
1
W2 Ursache 2
Folgeereignis
2
W3 Ursache 3 Top
Event
Folgeereignis
n
Wn Ursache n Wtop
werden, die beinahe zu einem Schaden hätten führen können. Je mehr eine Organisation
über kritische Vorkommnisse weiß, desto besser kennt sie ihre Risiken, deren Häufigkeit
und Fehlerquellen in den betrieblichen Abläufen. Dabei ist CIRS nicht zu verwechseln
mit einem Schadenmeldesystem, wo eingetretene Schadensfälle gesammelt und ausge-
wertet werden. Gängige Anwendungsgebiete des CIRS sind die Luftfahrt, der öffentliche
Verkehr und die klinischen Pfade im Gesundheitsbereich (Brühwiler 2007).
Gemäß Abschn. 2.4.3 Prozessoptimierung sollen die Prozesse im Sinne der definierten
Prozessziele hinsichtlich Effektivität und Effizienz optimiert werden. Dem PMLC folgend
fließen die analysierten Risiken in die Priorisierung der möglichen Optimierungsprojekte
ein und legen neben den weiteren Kriterien, wie z. B. der strategischen Relevanz, dem
17 Integration von Prozess- und Risikomanagement 347
Risikoportfolio
Auswirkung
Ergebnis der Kosten-Nutzen-Analyse, der Anzahl der Prozessdurchläufe oder der Größe des
jeweiligen Handlungsbedarfs, jene Optimierungsprojekte fest, welche durchzuführen sind.
Den Handlungsbedarf der analysierten Risiken kann man z. B. anhand einer Risikoport
folio-Darstellung ableiten (vgl. Abb. 17.8), welche die Risiken den drei Kategorien:
• kein Handlungsbedarf,
• Handlungsbedarf und
• akuter Handlungsbedarf
• Automatische Kontrollen
• Benutzerberechtigungen, automatische Benachrichtigungen, Alarming (Hinweis-
oder Fehlermeldungen), automatische Problembehandlung, Plausibilitätsprüfungen,
Summenprüfungen etc.
• Semiautomatische Kontrollen
• Authentifizierung, erforderliche Benutzerbestätigung, Log-Dateien, Alarming etc.
348 T. Müllner et al.
• Manuelle Kontrollen
• 4-Augen-Prinzip, manuelle Validierung, Sichtkontrolle, Überprüfung etc.
Nach der Art der Einbindung in den Geschäftsprozess kann man die Kontrollen nach
folgenden Arten gruppieren:
• Parallele Kontrollen
Hierbei erfolgen die Bearbeitungsschritte gleichzeitig und die Ergebnisse werden mit-
einander verglichen.
• Serielle Kontrollen
Bei dieser Kontrollart werden Arbeitsergebnisse verglichen, die zu unterschiedlichen
Zeitpunkten entstehen.
• Redundante Kontrollen
Zu Kontrollzwecken ist es hierbei erforderlich, Bearbeitungen zu wiederholen, um
sicherzustellen, dass zuvor das richtige Ergebnis erzielt wurde.
• Plausibilitätskontrollen
Das Arbeitsergebnis wird nach vorgegebenen Regeln, auch zeitlich versetzt, auf
Stimmigkeit und Korrektheit überprüft.
Wie in Abschn. 2.4.4 Prozessumsetzung beschrieben, wird im Zuge dieser Phase des
PMLC der Soll-Prozess „zum Leben erweckt“ und die Prozessmitarbeiter führen diesen
Prozess innerhalb eines bestimmten Zeitraums (teilweise zu Testzwecken) durch. In die-
ser Anfangsphase des neuen Prozesses ist es wichtig, dem Prozessverantwortlichen ein
Instrument zur Überwachung und ggf. Steuerung der Prozessumsetzung zur Verfügung
zu stellen. Vermehrte Stichproben oder definierte Kontrollpunkte sind Beispiele für tem-
poräre Kontrollen, die als Teil des IKS die Einführung von Soll-Prozessen und deren
Einhaltung unterstützen sollen. Im Sinne ihrer Aufgabe dienen Kontrollen dazu, die neu
gestalteten Prozesse einzuhalten und durchzuführen. Sobald diese Anfangsphase been-
det wurde und der Prozess in das „daily business“ übergeht, können diese anfänglichen
Kontrollen teilweise reduziert werden.
Neben der Erhebung von Messdaten für Prozesskennzahlen sowie kurzfristigen Problem
lösungen steht vor allem die Durchführung der Prozesse im Tagesgeschäft im Fokus der
PMLC-Phase Prozessdurchführung (vgl. ebenso Abschn. 2.4.5).
Die implementierten Kontrollen des IKS sollen im Zuge dieser Phase die Erreichung
der Prozessziele sicherstellen, wie sie in Abschn. 2.4.1 Prozessstrategie definiert wurden.
Hierzu wurden verschiedenste Kontrollen gemäß deren Definition in den nachfolgenden
Bereichen implementiert:
• Infrastruktur,
• Personal,
• Organisation/Prozesse,
• Hardware/Software,
• Kommunikation und
• Notfall- und Krisenmanagement.
Im Rahmen der Prozessdurchführung werden auch die Kontrollen des Internen Kontroll
systems ausgeführt, teilweise automatisch, teilweise halbautomatisch oder manuell durch
die Mitarbeiter des Unternehmens. Bei Kontrollen, die nicht automatisch durch ein IT-
System ausgeführt werden, muss sichergestellt werden, dass diese Anwendung finden und
durch die Mitarbeiter nicht bewusst oder unbewusst außer Acht gelassen werden. Daraus
ergibt sich der Bedarf der Überwachung und Sicherstellung der Kontrolldurchführung.
Zu diesem Zweck werden Monitoring-Kontrollen verwendet, die die Durchführung der
350 T. Müllner et al.
Wie in Abschn. 17.2.2.6 „Evaluierung der Risiken und Kontrollen“ beschrieben wurde,
wird auch an das IKS der Anspruch der laufenden Optimierung gestellt, welcher im
Kontext des unternehmensweiten Risikomanagements umgesetzt werden kann.
17 Integration von Prozess- und Risikomanagement 351
Neben der Identifikation und Bewertung von Risiken ist die laufende Optimierung
des Risikoportfolios des Unternehmens eines der grundlegenden Ziele des unter-
nehmensweiten Risikomanagements. So fordern Risikomanagement-Standards, wie
z. B. das COSO II-Rahmenwerk, die laufende Überwachung und Verbesserung des
Risikomanagements (The Committee of Sponsoring Organization of the Treadway
Commission (COSO) 2004/2006). Während dieser laufenden Überwachung und
Optimierung werden natürlich auch die Instrumentarien hinterfragt, welche die Risiken
der Organisation vermeiden oder vermindern sollen. Demzufolge ist auch das IKS im
Fokus dieser Optimierungsbestrebungen, weil es gegen einen wesentlichen Teil des
Risikoportfolios des Unternehmens wirkt – den Teil der operativen Risiken.
Im Zuge der IKS-Life Cycle-Phase Evaluierung der Risiken und Kontrollen wird diesen
Optimierungsbestrebungen des Risikomanagements Rechnung getragen, indem die einzelnen
Kontrollen auf ihre Funktion hin untersucht werden und das IKS als System evaluiert wird.
Im Detail werden die einzelnen Kontrollen in einer Prüfung hinsichtlich ihrer Effektivität
und Effizienz evaluiert. Durch die laufende Überprüfung der Kontrollen soll die dauer-
hafte Wirksamkeit des IKS unter Berücksichtigung des Ressourceneinsatzes und damit die
Effektivität und Effizienz des Internen Kontrollsystems gewährleistet werden.
Zu diesem Zweck wird für jede Kontrolle definiert, in welchen Abständen diese
Funktionsprüfung durchzuführen ist, jedoch mindestens einmal im Jahr. Die Frequenz der
Bewertung der Kontrollen richtet sich nach verschiedenen Gesichtspunkten, wie z. B.:
Bei jeder Bewertung einer Kontrolle wird eine Überprüfung auf die Design Effectiveness
durchgeführt und die operative Effektivität (engl. Operating Effectiveness) überprüft. Dabei
wird die Design Effectiveness der Kontrolle insofern überprüft, ob sie in der Lage ist, dem
adressierten Risiko zu begegnen. Bei der Überprüfung der operativen Effektivität (engl.
Operating Effectiveness) wird festgestellt, ob die Kontrolle in der Art durchgeführt wird, wie
es die Definition erfordert, und ob die Personen, die die Kontrolle durchführen, über die not-
wendige Qualifikation und Kompetenz verfügen (Bungartz 2011). Für die Funktionsprüfung
352 T. Müllner et al.
Optimiert
Bungartz 2011)
Überwacht
(5)
Definiert
(4)
Wieder-
holbar
(3)
Initial
(2)
(1)
• Nicht verlässliche Kontrolle
1
• Die Kontrolle wird nur fallweise ausgeführt
der Kontrollen wird meist die Dokumentation der Kontrolldurchführung aus der vorange-
gangenen Phase oder das Ergebnis der Monitoring-Kontrollen herangezogen und z. B. durch
Stichprobenkontrollen überprüft. Die Überprüfungen der Design Effectiveness und der
Operating Effectiveness führen zu einer umfassenden Bewertung der Kontrolle, die zu einer
Beibehaltung der Kontrolle, zu einer Verbesserung der bestehenden Kontrolle oder zu einem
Ablösen der derzeitigen Kontrolle durch eine neue Kontrolle führen kann.
Die durch die Funktionsprüfung gesammelten Ergebnisse für die Wirksamkeit und
Funktion der Kontrolle können anhand eines Reifegradmodells Aufschluss über die
Qualität der einzelnen Kontrolle geben. Das in Abb. 17.9 dargestellte Reifegradmodell,
welches sich am CMMI-Reifegradmodell (Capability Maturity Model Integration) (CMMI
Institute and Clearmodel 2013) orientiert, soll dies beispielhaft veranschaulichen.
Als Beispiele für Kennzahlen des IKS können folgende verwendet werden:
Wie die einzelnen Kontrollen kann das IKS als System ebenfalls anhand des bereits ver-
wendeten Reifegradmodells bewertet werden (vgl. Abb. 17.10).
Durch die Bewertung des IKS anhand der Reifegradskala können Handlungs
maßnahmen zur Verbesserung des IKS, wie auch zur Verbesserung von einzelnen
(5)
Definiert
(4)
Wieder-
holbar
(3)
Initial
(2)
(1)
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Integration von Prozess-
und Wissensmanagement 18
Robert Woitsch, Wilfrid Utz und Vedran Hrgovcic
Zusammenfassung
Der Produktionsfaktor „Wissen“ gewinnt immer mehr an Bedeutung und entschei-
det zunehmend über den Unternehmenserfolg. Trotzdem ist für viele Organisationen
das systematische Anwenden des Führungsinstruments „Wissensmanagement“ eine
Herausforderung. Dieses Kapitel stellt das Wissensprodukt als Bindeglied zwischen
Prozess- und Wissensmanagement vor. Wissensprodukte definieren Wissen in kon-
sumierbarer Form und ermöglichen somit das Steuern von Wissen. Dabei werden
drei Arten von prozessorientiertem Wissensmanagement unterschieden: (1) Der
Prozess als Inhalt stellt normative organisatorische Abläufe dar, (2) der Prozess als
Know-how- und Integrationsplattform integriert Prozess- und Wissensmanagement
durch Wissensprodukte, und (3) der Prozess als Managementinstrument ermög-
licht die prozessorientierte Erstellung von Wissensprodukten. Das vorgestellte
Wissensmanagement-Rahmenwerk unterstützt bei der Integration von Prozess- und
Wissensmanagement durch das Wissensmanagement-Modell und durch ein Wissens
management-Projektportfolio. Die Wissensbilanz ermöglicht die Beobachtung und das
zielgerichtete Steuern von Organisationswissen. Neben dem theoretischen Fundament
beschreibt das Kapitel auch Erfahrungen aus Praxisprojekten mit der Ableitung von
Wissensprodukten, der Darstellung von Wissensmanagement-Prozessen und der
Verwendung von Wissensbilanzen.
18.1 Motivation
Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie, ist ein treffendes Zitat von Lewin und
Feynman, das den Wert eines methodischen Vorgehens für praktische Lösungen unter-
streicht. Das Wissensmanagement stellt sich der Herausforderung, eine Balance zwischen
Zeit, Geld und Qualität der Wissensbereitstellung zum Erreichen der Unternehmensziele
zu ermöglichen.
Der Begriff „Wissensmanagement“ entstand aus der Informationstechnologie und der
Wissensverarbeitung um 1940, wird seit ca. 1995 (Despres und Chauvel 1999) als eigenstän-
diges betriebswirtschaftliches Instrument gesehen und hatte um das Jahr 2000 einen Hype.
Wie die Schlagwörter „Wissensgesellschaft“, „Komplexitätsgesellschaft“, „Lifelong
Learning“ oder „Social Media“ zeigen, ist Wissensmanagement heutzutage – teilweise unter
anderen Namen – noch immer eine Herausforderung für Organisationen, die sich mit
der Kernfrage „Wie kann das Wissen zum Nutzen der Organisation verwendet werden?“
beschäftigen.
Dabei befindet sich das Fachwissen in den Köpfen der Mitarbeiter, in der gelebten nor-
mativen Praxis sowie in den verwendeten technischen Infrastrukturen. Die organisato-
rische Wissensbasis ist daher die Summe der Mitarbeiter, der organisatorischen Abläufe
(Prozesse) sowie der technischen Infrastruktur, in denen die Inhalte gespeichert sind.
Das Wissen und die Fähigkeiten von Mitarbeitern und der Einsatz von Informations
technologie stellen wesentliche Ressourcen dar, um mit den massiven Datenmengen,
der Abhängigkeit von Schlüsselmitarbeitern und der Kommunikationsflut umgehen zu
können. Obwohl die Wurzeln des Wissensmanagements mit der Katalogisierung der
Bibliothek von Alexandria – als Vorläufer semantischer Taxonomien – tausende Jahre
zurückreicht und Organisationen aktuell mit Themen, wie sozialen Netzwerken, Web 2.0,
Semantik oder Visual Analytics, konfrontiert sind, stellt das methodische Verwenden des
betriebswirtschaftlichen Führungsinstruments „Wissensmanagement“ immer noch eine
Herausforderung dar, um das Wissen für die Organisation zielgerichtet in betrieblichen
Nutzen umzusetzen.
Dieses Kapitel zeigt in zwei Abschnitten, wie Wissensmanagement als betriebli-
ches Führungsinstrument in das Prozessmanagement integriert werden kann. Im ersten
Abschnitt wird ein Wissensmanagement-Rahmenwerk vorgestellt, anhand dessen das
Wissen transparent dokumentiert und somit verbessert werden kann. Anwendungsfälle sind
die Wahrung der betrieblichen Haftung, die Risikoeinschätzung, das Qualitätsmanagement,
das Archivieren impliziter Entscheidungsfindungen von Führungskräften, die Kollaboration
von Schlüsselarbeitskräften, das Lernen der Mitarbeiter und die Realisierung von techno-
logischen Lösungen gemäß organisatorischen Vorgaben. Im zweiten Abschnitt wird ein
Evaluations-Rahmenwerk vorgestellt, anhand dessen das Wissen zielgerichtet gesteuert wer-
den kann. Anwendungsfälle sind das betriebliche Verbesserungs- und Innovationswesen,
die Effizienzsteigerung, die Aus-, Fort- und Weiterbildung, Technologietransfer sowie der
organisatorische Wandel.
18 Integration von Prozess- und Wissensmanagement 357
Dieses Kapitel stellt ein Vorgehen vor, mit dem die beiden oben genannten
Abschnitte je nach Zielsetzung mit Hilfe von Projekten umgesetzt werden können.
Zuvor werden empfohlene Grundlagen beschrieben.
in der Praxis unterschiedlich ausgeprägt sein können und sich teilweise auch überlappen. Wir
verstehen diese Bausteine oder Tätigkeiten als Wissensmanagement-Prozesse (Karagiannis
und Telesko 2000).
In der Informationstechnologie werden Daten, Informationen und Wissen folgender-
maßen abgegrenzt: Daten sind kontextfrei, Informationen beziehen sich auf einen Kontext,
jedoch ist Wissen die intelligente Interpretation und daraus abgeleitete Handlungsfähigkeit
(Karagiannis und Telesko 2001).
In der betrieblichen Praxis ist es notwendig, die sogenannten Wissensprodukte, die
in (Mak und Woitsch 2005) und (Göllner et al. 2008) entwickelt worden sind, zu identi-
fizieren, um das für die Geschäftsprozesse verwendbare – und damit „konsumierbare“ –
Wissen zu kennen und dieses in weiterer Folge zu bearbeiten und zu steuern. Diese Sicht
auf Wissensprodukte hat sich in der Praxis auch in hochkomplexen und sicherheitskriti-
schen Anwendungen bewährt und ist als Führungsinstrument zu empfehlen.
Die vorangegangenen Kapitel des Buchs behandeln ausführlich den Prozess als inhaltliche
Darstellung normativer Organisationsabläufe, indem die organisatorischen Abläufe beob-
achtet, erhoben und in einer für den Menschen ansprechende Repräsentationsform, in Form
von grafischen Diagrammen, dokumentiert werden sowie durchsuchbar gemacht werden.
Der Prozess als Integrations- und Wissensplattform beschreibt die Integration von
Prozess- und Wissensmanagement. Die größte Herausforderung dabei ist die Identifikation
des notwendigen Wissens, wobei das Wissen oft für das Ableiten betriebswirtschaftlicher
Führungstätigkeiten zu ungenau definiert ist. Das Wissensprodukt hingegen stellt einen
Ankerpunkt für die Integration von Prozessmanagement und Wissensmanagement dar und
ermöglicht das gezielte Steuern von Wissensmanagement-Tätigkeiten.
Der Prozess als Managementinstrument stellt Prozessmanagement-Instrumente für
die Produktionsprozesse und Nutzungsprozesse von Wissensprodukten zur Verfügung,
um das zielgerichtete Wissensmanagement zu unterstützen.
18 Integration von Prozess- und Wissensmanagement 359
Wissensprodukt
Wissens-
Wissens-
management-
umgebung
Prozesse
Wissensstrukturen
Wissens- Wissens-
werkzeuge ressourcen
2
Wissensmanagement
5 Wissens-
Performance
3 Monitoring
Operationalisieren
von Wissen
4
Wissensarbeit
und -verwendung
bezüglich Wissen und Kompetenzen. Die zweite Phase modelliert die Wissensprodukte
und deren Zusammenhang mit den Geschäftsprozessen und ermöglicht, je nach
Reifegrad des Wissensmanagements in der Organisation, die Umsetzung von:
Die dritte Phase unterstützt die Transformation der Wissensmodelle in konkrete betrieb-
liche Lösungsansätze mittels Projektportfolio zu den Themen:
• personalbezogenes Wissensmanagement,
• organisatorisches Wissensmanagement,
• IT-bezogenes Wissensmanagement,
• inhaltliche Arbeiten und
• Dokumentationsarbeit.
Diese Phase dient der Vorbereitung und dem Aufbau des Wissensmanagement-Systems.
Die vierte Phase ist das operative Arbeiten im Wissensmanagement-System.
Hier werden konkrete Wissenswerkzeuge in den Bereichen Komposition, Content,
Kollaboration und Kompetenzen für den Wissensarbeiter zur Verfügung gestellt, um die
konkreten Geschäftsprozesse abarbeiten zu können (Woitsch et al. 2010).
Die fünfte Phase beschäftigt sich mit der Evaluation des Wissensmanagement-
Systems. Dabei werden die Kennzahlen der Wissensprodukte gemäß eines Beurtei
lungs-Rahmenwerks erhoben, mit Soll-Werten verglichen und entsprechende
Wissensmanagement-Maßnahmen zur Steuerung abgeleitet. Somit stellt die letzte Phase
das Steuerungsrahmenwerk für Wissensmanagement auf Basis der Wissensbilanz von
Göllner et al. (2008, 2010) dar.
18 Integration von Prozess- und Wissensmanagement 361
Beispiel
An eine Dokumentationsabteilung des öffentlichen Dienstes wurden ständig neue Aufga-
ben herangetragen und weniger Ressourcen zur Verfügung gestellt. Daraufhin entschloss
sich der Leiter dieser Abteilung, die Wissensmanagement-Prozesse zu erheben. Ziel war es,
alle Produktionsprozesse der bestehenden Informationsprodukte, Dienstleistungen und
Anwendungen zu untersuchen, um Zeit, Ressourcen und benötigte Finanzmittel transpa-
rent darzustellen. Der Abteilungsleiter konnte somit die unterschätzten Aufwände für Infor-
mationsprodukte darlegen und erhielt eine Aufstockung der Ressourcen.
Beispiel
Der Organisationsleiter einer ca. 120 Mitarbeiter zählenden Einheit ging in Pension
und wollte seinem Nachfolger seine auf Erfahrung beruhenden, kritischen und wis-
sensintensiven Entscheidungsfindungen mittels einer Wissensbilanz dokumentieren.
Ziel war es daher, die Entscheidungsfindung der langjährigen Führungsperson für den
Nachfolger nachvollziehbar zu dokumentieren.
Beispiel
In einer Abteilung einer internationalen Organisation gibt es Aufklärungsmissionen, die
von hochspezialisierten Fachkräften durchgeführt werden. Obwohl die rechtlichen und
organisationsinternen Vorgaben mittels eines Geschäftsprozesses für alle Spezialisten
gleich sind, entwickelte jedoch jeder Mitarbeiter ein eigenes Vorgehen. Ziel des Projekts
war es, alle Informationsquellen, die im Laufe der Zeit von den Experten gefunden und
als hilfreich erachtet worden waren, mit dem offiziellen Geschäftsprozess abzugleichen,
Verbesserungspotenziale aufzuzeigen und Vorschläge zu Verbesserungen zu erarbeiten.
Die Wissensprodukte sind der Einstiegspunkt für das Wissensmanagement. Tabelle 18.1
zeigt das vorgeschlagene Wissensmanagement-Modell von PROMOTE® anhand sei-
ner Komponenten. Die einzelnen Komponenten werden in den folgenden Abschnitten
jeweils weiterführend erläutert.
362 R. Woitsch et al.
18.3.3.1 Das Wissensprodukt
Die Wissensprodukte ermöglichen die „Konsumation“ von Wissen innerhalb eines
Wissensmanagement-Systems. Sie werden in Informationsprodukte, Beratungsprodukte
und Anwendungen unterteilt und werden aus dem Geschäftsprozess heraus konsumiert.
Abbildung 18.3 zeigt einen anonymisierten Ausschnitt einer Produktlandkarte. Die
gesamte Produktlandkarte spezifiziert alle Wissensprodukte für einen Geschäftsprozess.
Der hier angeführte Ausschnitt listet Wissensprodukte für nur einen Prozessschritt, die
„Gefahreneinschätzung“, auf. Für diesen Prozessschritt stehen fünf Wissensprodukte zur
Verfügung.
Wissensprodukte für
Gefahreneinschätzung
Expertenliste für
Kontaktaufnahme
Gefahrenanalyse-
Bericht
Die Risikomatrix ist ein Microsoft® Excel® Template, das mit einer Reihe von
Funktionalitäten die Erstellung einer individuellen Risikomatrix unterstützt. Die Liste von
Experten-Statements ist eine von Fachexperten gewartete Wiki-Seite. Die Kontaktliste für
Experten zur Gefahreneinschätzung ist eine Adressdatenbank für ausgewählte Kontakte. Der
Bericht zur Gefahrenanalyse ist als PDF-Dokument in einem Dokumentenmanagement-
System gespeichert. Das Beratungsprodukt „Stakeholder Meeting“ ist eine physische
Veranstaltung, die regelmäßig abgehalten wird und mittels einer Webseite angekündigt wird.
Die Aufteilung in Informationsprodukte, Beratungsprodukte und Anwendungen
wurde im Rahmen eines Praxisprojekts entwickelt (Mak und Woitsch 2005).
Informationsprodukte bieten dabei explizite Informationen an, die von einem Mitarbeiter
interpretiert werden können, wie Handlungsanleitungen, Dokumente, Bücher, Richtlinien,
Protokolle, schriftliche Regeln, Präsentationen, Filme, Datenbankabfragen oder ähnliches.
Beratungsprodukte hingegen bieten implizite Informationen an, die von einem
Mitarbeiter zu einem anderen Mitarbeiter übermittelt werden, wie Auskünfte, Beratungen,
Moderationen, das Abhalten von Kursen, periodische Besprechungen oder ähnliches.
Anwendungen wiederum stellen explizite Informationen zur Verfügung, die nicht
von Mitarbeitern, sondern von einem Computerprogramm verarbeitet werden, wie
Entscheidungsunterstützungs-Systeme, Workflow-Systeme, automatische Textanalysen
oder ähnliches.
Die weiteren Komponenten des Wissensmanagement-Modells werden in den folgen-
den Abschnitten jeweils weiterführend erläutert.
18.3.3.2 Der Wissensmanagement-Prozess
Die Wissensmanagement-Prozesse verstehen alle Tätigkeiten des Wissensmanagements als
Prozess und können daher als themenspezifische Sammlung von Prozessen gesehen wer-
den. Ursprünglich wurden die Wissensmanagement-Prozesse als Unterstützungsprozesse
gesehen. Jedoch hat die betriebliche Praxis gezeigt, dass sie als Managementprozesse
anzuerkennen sind, da die Herausforderungen des Wissensmanagements in Form von
Mitarbeiterkommunikation, dem Veränderungsmanagement und dem Abschätzen von
Risiken auftreten und daher den Managementprozessen zugeordnet werden.
Der prozessorientierte Ansatz PROMOTE® beschreibt die vorhin erläuterten Wissens
bausteine in Form von Prozessen. Daher werden folgende Wissensmanagement-Prozesse
unterschieden:
Diese Prozesse ergeben Teil-Wissensprodukte, die direkt oder indirekt an der Erstellung
oder Verwendung eines Wissensprodukts beteiligt sind. Die Entscheidung, welche
364 R. Woitsch et al.
18.3.3.3 Die Wissensumgebung
Die Wissensumgebung beschreibt die Mitarbeiter, ihre Fähigkeiten sowie deren Aufgaben
gebiete. Die Hauptgruppen sind die (1) Wissensmanager, welche für die Führung und
Steuerung der Wissensmanagement-Prozesse und die Bereitstellung von Wissensprodukten
verantwortlich sind; die (2) Wissensarbeiter oder Wissensnutzer, die für die Verwendung
und Erzeugung von Wissen verantwortlich sind, sowie die (3) Wissensadministratoren, die
für die Konfiguration des Systems zuständig sind.
Jeder Mitarbeiter hat ein Fähigkeitenprofil, das mit dem Soll-Profil seiner Wissensrolle
verglichen werden kann. Somit ergibt sich ein Fähigkeitenradar, der die Fähigkeiten auf
Mitarbeiterebene, auf Abteilungsebene und letztendlich auf Organisationsebene nach vor-
her bestimmten Kriterien je nach Ausprägung auflistet.
18.3.3.4 Die Wissensstruktur
Die Wissensstruktur beschreibt den Inhalt – die Domain – eines Unternehmens. Diese
unterteilt sich sowohl in die fachliche Wissensstruktur als auch in die systemische
Wissensstruktur. Die systemische Wissensstruktur wird durch Prozesse, Organisa
tionsabteilungen, Rollen o. ä. definiert. Die fachliche Struktur beschreibt die Fachgebiete, in
denen das Unternehmen tätig ist.
Die Detaillierung beginnt mit der Terminologie, einer Auflistung von meist alpha-
betisch sortierten relevanten Begriffen, und kennzeichnet somit organisationsrelevante
Terme. Eine weiterführende Detaillierung ist das Glossar, der Thesaurus sowie die der-
zeit höchste Ausprägung einer formalen Begriffsdefinition, die Ontologie.
18.3.3.5 Die Wissensressourcen
Die Wissensressourcen sind jene Wissensquellen, aus denen die Organisation ihr
Wissen bezieht. Zentraler Informationsträger ist das Dokument. Die Abgrenzung eines
Dokuments ist durch eine eindeutige Identifizierung eines Dokuments, bspw. über eine
URL, gegeben.
Wissensquellen beinhalten oder erzeugen eine Menge von Dokumenten, und brin-
gen aufgrund derselben Abfrage auf dieselbe Informationsquelle wiederholbar dieselbe
Menge an Dokumenten hervor. Beispiele sind Dokumentenmanagement-Systeme,
Datenbanken, Data Warehouses oder Content Management-Systeme.
Wissensressourcen beinhalten oder erzeugen ebenfalls eine Menge an Dokumenten;
allerdings bringen diese auf dieselbe Abfrage nicht notwendigerweise dieselben
Dokumente hervor. Die Wissensressource ist ein informeller Wissensraum, wie persönli-
che Netzwerke, Experten oder assoziative Beobachtungen.
Die Summe der explizit genannten Dokumente, der aufgelisteten Wissensquellen und
der Wissensressourcen werden oft vereinfacht als Wissensressourcen der Organisation
gesehen.
18 Integration von Prozess- und Wissensmanagement 365
18.3.3.6 Die Wissenswerkzeuge
Wissenswerkzeuge sind in IT-Werkzeuge und Human-Werkzeuge untergliedert. Unter
IT-Werkzeugen versteht man technische Infrastrukturen und IT-Anwendungen, die
Funktionalität für die Wissensarbeit anbieten. Traditionelle IT-Systeme sind Such
maschinen, Datenbanken, E-Mail-Systeme, Archive und dergleichen. Human-Werkzeuge
sind organisatorische und intrinsische Methoden und Verfahren, um Gruppen und
Einzelpersonen als Wissensträger zu gewinnen. Somit sind bspw. Kollaborationen, Space-
Management, Zeitmanagement, Kaffeeküche und Teambuilding-Veranstaltungen typi-
sche Human-Werkzeuge.
Die unterschiedlichen Werkzeuge arbeiten auf unterschiedlichen Formaten. Daher
müssen die jeweiligen Formate der Wissenswerkzeuge erkannt werden.
Dieser Abschnitt beschreibt, wie Wissensmodelle in den lauffähigen Betrieb überführt wer-
den. Die Modelle ermöglichen daher eine geordnete Realisierung von Wissensmanagement-
Projekten.
Bei einer schrittweisen Umsetzung oder Verbesserung des Wissensmanagement-Systems
werden zuerst die Wissensprodukte analysiert und notwendige Verbesserungsmaßnahmen
aufgelistet. Diese Maßnahmen werden in Form von Projekten formuliert und mittels üblicher
Projektmanagement-Verfahren umgesetzt. Als Hilfsmittel hat sich ein Wissensmanagement-
Portfolio mit folgenden Projektkategorien bewährt (Woitsch et al. 2010):
• Kategorie Mensch/Mitarbeiter:
Diese Kategorie umfasst Aus-/Weiter- und Fortbildung von Mitarbeitern. Somit wird
der Ausbildungsgrad der Organisation verbessert, beispielsweise unter Nutzung eines
Ausbildungskonzepts oder eines Leitfadens für Lessons Learned.
• Kategorie Technologie:
Diese Kategorie umfasst die Implementierung, Anschaffung, Konfiguration und Adaption
von Systemen und Technologien, wie die Einführung eines Kollaborationswerkzeugs oder
die Integration zweier Systeme.
• Kategorie Organisation:
Diese Kategorie umfasst organisatorische Notwendigkeiten für das Wissensmanagement,
wie die Einführung von Wissensbilanzierung oder des Qualitätsmanagements.
• Kategorie Inhalt:
Diese Kategorie umfasst die inhaltliche Qualität, Aktualität und Verarbeitung relevan-
ter Informationen, wie ein Rechercheprojekt für ein Thema oder die Einführung von
Bewertungsheuristiken von Inhalten.
• Kategorie Dokumentation:
Diese Kategorie umfasst die Sicherstellung unternehmensrelevanter Dokumente sowie
die semantische Interoperabilität des Wissens. Somit wird die semantische Qualität
366 R. Woitsch et al.
der Metadaten für die langfristige Sicherstellung und Nutzbarmachung des Wissens
ermöglicht. Beispiele sind die Erstellung eines unternehmensweiten Terminologie-
Frameworks oder eine Langzeitarchivierung.
Da das Wissensmanagement ein sozio-technisches System ist, ist der operative Betrieb
die Summe aller kommunikations- und informationsbezogenen Aktivitäten von
Mitarbeitern und IT-Systemen. Grundsätzlich hat also jede Organisation ein im operati-
ven Betrieb befindliches Wissensmanagement-System.
Die vorher beschriebenen Wissensmanagement-Initiativen beeinflussen:
Ein Wissensmanagement-System besteht daher in der Regel nicht nur aus einer Wissens
management-Initiative oder einem konkreten IT-System, sondern aus einer Fülle von
ständig neuen Wissensmanagement-Initiativen, die sich schrittweise in ein geordnetes
Wissensmanagement-System integrieren und je nach Notwendigkeit ständig verändern.
Trotz der Selbstverständlichkeit der ständigen Veränderung im Informationszeitalter
ist es schwierig, den korrekten Zeitpunkt für eine konkrete Maßnahme zu finden.
Eine Entscheidungshilfe kann das Steuerungsinstrument „Wissensbilanz“ sein. Die
Wissensbilanz beurteilt die Nutzung und Erstellung der Wissensprodukte mittels zwölf
Feldern und zeigt Verbesserungspotenziale auf.
werden (1) produziert, (2) müssen an den Nutzerkreis kommuniziert und vermarktet wer-
den und (3) sind einem ständigen Wandel ausgesetzt (Göllner et al. 2009).
Auf Basis von bekannten Ansätzen der Wissensbilanzen wurden in einem Pilotprojekt
im österreichischen Bundesheer vier Sichtweisen auf die genannten drei Wissensprodukt-
Säulen erarbeitet (Göllner et al. 2008). Je nach Organisation gibt es unterschiedliche
Vorgehensweisen, um die zwölf Themenfelder – die sich aus drei Säulen und je vier
Sichtweisen zusammensetzen – zu entwickeln.
Abbildung 18.4 stellt sowohl die drei Säulen als auch die vier Sichtweisen vor.
WISSENSBILANZ
ZUR PERFORMANCE-STEIGERUNG
Ansicht Aussagekraft
- Produkte
Transformation für die Innenwirkung
Humankapital, Beziehungen
und Fähigkeiten
- Personen „Verwertbares Wissen“
- Fähigkeiten
- Beziehungen
Ressourcen und
Unterstützung
- Budget
- Infrastruktur „Verfügbarer Input“
- Material und Gerät
- Information und
Kommunikation
• Produktsicht,
• Prozess- und Struktursicht,
• Humankapital-, Beziehungskapital- und Fähigkeitensicht sowie
• Ressourcen- und Unterstützungssicht.
Die Steuerung von Wissensprodukten kann daher durch insgesamt zwölf Kennzahlenfelder
erfolgen, die sich aus den drei Säulen und vier Sichtweisen ergeben:
Die weiteren Abschnitte geben einen Überblick, wie eine Wissensbilanz erstellt wird.
Zunächst werden die Systemgrenzen der Organisationseinheiten, der Input in Form von
Wissensressourcen und Wissenswerkzeugen, der Output in Form von Wissensprodukten,
die Ressourcenbereitstellung, die Transformation in Form von Wissensmanagement-
Prozessen und der Wissensumgebung sowie die Zielvorgaben festgehalten.
Aus diesem Wissensmanagement-Modell lassen sich dann alle vorher genannten
zwölf Kennzahlenfelder für eine Wissensbilanz ableiten.
Nachdem die Ausgangslage festgehalten ist, werden zunächst die kritischen Erfolgsfaktoren
und danach die Ziele des zu steuernden Systems für jedes der zwölf Themenfelder
abgeleitet.
Ziele werden je nach organisatorischer Praxis zu Sub- oder Hauptzielen zusammenge-
fasst und konkrete Kennzahlen, die die Erreichung der Ziele messen können, werden als
eine Art organisatorische Sensoren definiert.
Bereits bestehende Kennzahlen werden aus den relevanten Betriebsführungs-
Systemen übernommen und um gängige Wissenskennzahlen aus Kennzahlenkatalogen
(Göllner et al. 2010, S. 64 ff.) ergänzt. Abschließend werden fehlende Kennzahlen
bedarfsgerecht hinzugefügt.
Beispiel
Als Beispiel werden Kennzahlen der Forschungsbilanz ÖBH (Mak et al. 2010, S. 36) zur
Steuerung der Wissensgenerierung kurz vorgestellt. Insgesamt wurden 93 Kennzahlen
zur Wissenssteuerung definiert. Konkrete Kennzahlen sind bspw. die Ergebnisbeurtei-
lung, die Verwertbarkeit der Ergebnisse, die Umsetzungsquote, die Abnahmequote oder
der Befüllungsgrad des Organisationsplans.
18.5 Zusammenfassung
In diesem Kapitel wird die Integration von Prozess- und Wissensmanagement basie-
rend auf einem theoretischen Rahmenwerk, das in Forschungsprojekten (BOC 2013b)
entwickelt worden ist, sowie auf Erfahrungen, die in Praxisprojekten mit ADONIS®,
PROMOTE® und ADOscore® gesammelt worden sind, beschrieben.
Neben einer allgemeinen Motivation und Begriffsabstimmung wird das PROMOTE®-
Wissensmanagement-Modell, insbesondere das Wissensprodukt, vorgestellt, das eine
Integration von Prozess- und Wissensmanagement ermöglicht. Das Wissensmanagement-
Modell bildet die Grundlage für das Erstellen, Betreiben und ständige Verbessern eines
Wissensmanagement-Projektportfolios. Die Wissensbilanz wird als individuelles und flexi
bles Steuerungsinstrument für Wissensmanagement vorgestellt.
Die Integration von Prozess- und Wissensmanagement ermöglicht die Erweiterung
des Geschäftsprozesses zu einer integrativen Wissensplattform. In Folge werden einige
Erfahrungen aus Praxisprojekten vorgestellt.
Die Sichtweise auf Wissensprodukte wird als vorteilhaft angesehen, da Wissen in
einer konkreten, anwendbaren und messbaren Form dargestellt wird. Oft ist es eine
erstmalige detaillierte Darstellung von Aufgaben, Tätigkeiten, notwendigen Fähigkeiten
und Infrastruktur für notwendiges Wissen in der Organisation. Wie in den beschriebe-
nen Praxisprojekten erwähnt, hilft die Darstellung von Wissensprodukten zur besseren
Darstellung der Wissensarbeit, zur besseren Koordination von Wissensmanagement-
Initiativen und zur besseren Strukturierung von Web-Plattformen.
Das Steuerungsinstrument Wissensbilanz ermöglicht dem Management, Wissens
lücken, die zu Risiken führen können, in Form von nicht erreichten Kennzahlen dar-
zustellen und auf frühzeitiges Erkennen des Wissensbedarfs mit zielgerichteten und
transparenten Maßnahmen zu reagieren. Wie in den angeführten Praxisprojekten erwähnt,
können Erfahrungen von Managemententscheidungen dargestellt und Wissensflüsse aus
Projektergebnissen besser gesteuert werden.
Abschließend kann zusammengefasst werden, dass das Erzeugen, Verteilen und
Verwenden von Wissen in Organisationen in unterschiedlichen Formen stattfin-
det. Das zielgerichtete Steuern des Wissens, durch die Verwendung des Instruments
„Wissensmanagement“, zur Steigerung des Nutzens, zur Minimierung des Risikos und zur
Entwicklung von Fähigkeiten ist in vielen Organisationen eine Herausforderung, die mit
dem vorgestellten Ansatz unterstützt werden kann.
18 Integration von Prozess- und Wissensmanagement 371
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PROMOTE® in der Zentraldokumentation der Landesverteidigungsakademie. Schriftenreihe
der Landesverteidigungsakademie, Wien
Mak K, Hofmeister K, Göllner J, Woitsch R (2010) WM-Projekt Forsschungsmanagementsystem
(FMS) – ÖBH Modell: „Die Forschungsbilanz ÖBH“, Sonderpublikation, Schriftenreihe der
Landesverteidigungsakademie in Zusammenarbeit mit BMLVS/WFE und der Fa. BOC, Wien
Nonaka I, Takeuchi H (1995) The knowledge creating company. How Japanese companies create
the dynamics of innovation, Oxford UP, New York
Probst G, Raub S, Romhard K (1997) Wissen managen: Wie Unternehmen ihre wertvollste
Ressource optimal nutzen. Gabler, Wiesbaden
Telesko R, Karagiannis D, Woitsch R (2001) Knowledge Management, Concepts and Tools:
The PROMOTE project. In: Gronau N (Hrsg) Forum Wissensmanagement, Systeme –
Anwendungen – Technologien. Shaker, Aachen
372 R. Woitsch et al.
Zusammenfassung
Im vorliegenden Abschlusskapitel wird eine kurze Zusammenfassung des Buchs gege-
ben. Weiterhin werden wichtige Prozessmanagement-Trends für die kommenden
Jahre skizziert.
3. Partizipation im Prozessmanagement
Community-Systeme, wie Facebook® und Google+® vorrangig im privaten Bereich
sowie XING® und LinkedIn® mit dem Schwerpunkt im geschäftlichen Umfeld, haben
neue Möglichkeiten geschaffen, den Informationsaustausch von Personengruppen
zu unterstützen. Es ist damit zu rechnen, dass Unternehmens-Community-Systeme,
wie bspw. JIVE™ oder blueKiwi™, in den nächsten Jahren ebenfalls verstärkt Einzug
in die Unternehmensinfrastruktur halten und damit als ergänzende Hilfsmittel im
Prozessmanagement zur Verfügung stehen werden.
Die zentralen Rollen bei der Ist-Erhebung und Soll-Konzeption von Prozessen sind
der Prozessverantwortliche, der Prozessexperte und der Prozessberater. Die ande-
ren Rollen werden jeweils nach Bedarf involviert. Heute interagieren diese Rollen typi-
scherweise mit Hilfe von Feedback-Interviews, organisatorischen Freigabeprozessen,
19 Zusammenfassung und Ausblick auf wichtige Trends 377
I
IKS. Siehe Internes Kontrollsystem O
IKS-Life Cycle, 335 Operating Effectiveness, 338, 352
Individualsoftware, 258
Integration
mit Risikomanagement, 339 P
mit strategischem Management, 298 Personalbedarfsermittlung, 159
mit Unternehmensarchitektur- Definition, 161
Management, 314 Ergebnisdarstellung, 169
mit Wissensmanagement, 358 erweitertes Modell, 164
Sachverzeichnis 385
R U
Rechnerische Auswertung, 148 UAZ. Siehe Unternehmensarbeitszeit
Reifegradmodell, 216 Umsetzungsplanung, 229
Risikomanagement, 334 Erfolgsfaktor, 230
Rolle I-K-B-Modell, 232
im Anforderungsmanagement, 269 Medium, 234
im Prozessmanagement, 17 Unternehmensarbeitszeit (UAZ), 146, 166
Prozesscontrolling, 31 Unternehmensarchitektur
Prozessdokumentation, 25 Bewertung, 329
Prozessdurchführung, 30 Definition, 314
Prozessoptimierung, 28 Geschäftsarchitektur, 324
Prozessstrategie, 23, 50 Informationssystemarchitektur, 326
Prozessumsetzung, 252 Unternehmensarchitektur-Management, 314
weiterführende, 19 Vorgehen, 320
Unternehmenskapazität, 167
Ursache-Wirkungs-Diagramm, 215
S
Simulation, 152
Animation, 154 V
Auslastungsanalyse, 154 Veränderungsmanagement, 236
Belastungsanalyse, 153 Eisbergmodell, 242
Pfadanalyse, 152 Phase, 241
Standardisierung
Pattern, 52, 85
Prozess, 52, 85 W
Subprozess, 52, 85 Wissensmanagement, 356
Standardsoftware, 254 Definition, 357
Strategisches Management, 296 Vorgehen, 359
Integrationsmethode, 301 Wissensbilanz, 367
Praxisbeispiel, 306 Wissensmanagement-Rahmenwerk, 358
Wissensprodukt, 358, 361
Workflow-System, 255
T
The Open Group Architecture Framework
(TOGAF), 315 Z
Architecture Development Method, 320 Zielorientiertes Prozessmanagement, 58, 305
Phase Business Architecture, 323 Verantwortung, 65
Phase Information Systems Architectures, Vorgehen, 58
326
Phase Opportunities and Solutions, 329
TOGAF. Siehe The Open Group Architecture
Framework