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DIAGNOSE BORDERLINE: WAS TUN, WENN DIE


EIGENE MUTTER ERKRANKT?
Susanne R.* erfuhr erst als Erwachsene, dass ihre Eltern Borderline-Persönlichkeiten waren. Die Qualen
ihrer Kindheit und die Krankheit ihrer Eltern, beides hat Susanne erst durch ihr Studium verstanden. Sie
schildert ihre schwere Kindheit - ein bewegendes Protokoll.

Borderline ist eine Persönlichkeitsstörung, bei der Betroffene zwischen einer schwarzen und weißen Phase
schwanken. In der weißen Phase können sie selbstreflektiert sein und mit Konflikten umgehen, in der schwarzen
Phase kann derselbe Konflikt zum Disaster führen.

Als ich 1961 in Ostberlin zur Welt kam, war ich das Wunschkind meines Vaters. Von ihm erhielt ich viel
zärtliche Zuwendung. Er las mir immer Geschichten vor. Meine Mutter war anders. Sie reagierte zum einen
eifersüchtig auf ihn, zum anderen ließ sie mich spüren, dass ich ungewollt war.
Irgendwann, ich weiß nicht mehr genau, wie alt ich war, sagte Sie einen Satz, der sich in meine Seele
brannte: Sie habe mich nur bekommen, weil mein Vater gedroht habe, sie sonst zu verlassen. Sie habe ja
bereits eine Tochter gehabt und kein weiteres Kind gewollt.

DAS SPIEL MIT DEN GEFÜHLEN

Einmal, ich muss etwa fünf gewesen sein, spielte ich mit meinem Teddy. Wie aus heiterem Himmel sagte
sie: "Wenn dein Papa mal tot ist, legen wir ihn in eine Kiste und den Teddy legen wir mit rein. Und dann
werden die beiden tief in die Erde eingegraben." Ihre Stimme klang dabei ganz sanft. Ich brach in Tränen
aus, so weh tat mir diese Vorstellung. Aber statt mich zu trösten, schrie sie mich an: Das wäre nur ein
Zeichen ihrer Liebe gewesen und ich ein schlechtes Kind. Dann musste ich mich entschuldigen. So etwas
tat sie sehr oft: Sie baute ein Gefühl bei mir auf und bestrafte mich dann dafür. Oder sie machte mir Angst
(/krankheit-behandlung/krankheiten-a-z/nervositaet-innere-unruhe-2656) und rettete mich dann.

DER BRUCH MIT DEM VATER

Als ich acht Jahre alt war, zog meine 16-jährige Schwester aus. Bis dahin war sie der Sündenbock der
Familie gewesen. Von da an stritten meine Eltern täglich. Mit lautem Geschrei und polternden Möbeln. Eines
Abends kam ich dazu: Meine Mutter lag am Boden, mein Vater schrie sie an. Ich schubste ihn weg und
schrie: "Was machst du mit der Mama?" Da entlud sich sein ganzer Hass auf mich.

Bis heute habe ich nicht verarbeitet, was damals geschah. Meine Mutter sah aber offenbar die Chance,
mich auf ihre Seite zu ziehen. Nach diesem Abend hatte sie es geschafft, die Bindung zwischen mir und
meinem Vater zu zerstören. Ich hatte ihn für immer verloren.

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DAS LEBEN IN ANGST

Von da an stellte sie mich dauernd zwischen sich und meinen Vater und vermittelte mir, dass er ihr etwas
antun wird, wenn ich nicht auf sie aufpasse. Ich lebte in ständiger Angst um sie. Jede Nacht gab es diese
Dramen. Und jeden Tag saß ich übermüdet in der Schule, hatte den Kopf nicht frei. Nie war ich so
unbeschwert wie die anderen Kinder und hatte deswegen auch keine Freunde. Mein einziger Trost waren
meine Bücher: So konnte ich mich in eine Fantasiewelt flüchten, raus aus der "normalen" Welt.

Mein Vater war eine Führungspersönlichkeit: sehr intelligent und ein attraktiver Mann. Auch meine Mutter
war für andere perfekt. Sie kaufte mir die schönsten Spielsachen und kochte mein Lieblingsessen, wenn ich
krank war. Eigentlich hatte ich also tolle Eltern und ich habe sie auch selbst nie hinterfragt. Ich habe sie
geliebt - auch wenn sie meiner Kinderseele Furchtbares antaten.

Meine Mutter hatte nie einen Wutanfall. Sie spann Intrigen, manipulierte. Und war damit viel böser als mein
brüllender Vater: So konnte sie mit einem Lächeln sagen, dass Polizisten Kinder lebendig eingraben, wenn
sie nicht brav sind - da war ich fünf! Oder sie redete mir ein, ich sei krank, damit sie zu Hause bei mir
bleiben konnte und mein Vater allein für uns sorgen musste. Dann sagte sie zu ihm: "Du wolltest das Kind,
jetzt schau, was du davon hast."

DAS ÜBERFORDERTE KIND

Mein Vater hatte den Krieg erlebt. Und war traumatisiert. Er quälte mich, indem er mir Kriegsgräuel in aller
Genauigkeit schilderte. Von Säuglingen, die in den Armen ihrer Mütter erschossen wurden. Dinge, die ihn
nie losgelassen hatten. Hielt ich mir entsetzt die Ohren zu, riss er sie weg und brüllte mir die schrecklichen
Bilder ins Gesicht.

Ich sehe mich heute noch da vor ihm stehen: ein kleines Mädchen, steif vor Angst und unter Schock. Aber
für ihn war das, als ob ich mit den Nazis sympathisieren würde. Erst wenn ich endlich in Tränen ausbrach,
hörte er auf. Doch ich hasste ihn nicht dafür.
Im Gegenteil: Ich hatte das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Weil es mir nicht gelang, ihn glücklich zu
machen.

Meine Eltern stritten oft ums Geld, etwa weil ich neue Sachen brauchte. Und ich dachte: "Wenn ich weg bin,
haben sie sich wieder lieb". Als ich neun Jahre alt war, ging ich zum Bahnhof Ostkreuz. Eine Stunde stand
ich vor den Gleisen, rang mit mir, meiner Angst, meinen Schuldgefühlen. Aber den letzten Schritt wagte ich
nicht. Mit dem noch stärkeren Gefühl, ein schlechtes Kind zu sein, ging ich wieder heim.

In mir wuchs früh ein Kinderwunsch - denn eine Familie war die einzige Möglichkeit, in der DDR eine
Wohnung zu bekommen. Während meiner Schwangerschaft, ich war 19, lebte ich noch bei meinen Eltern.
Mein Vater zwang mich wochenlang Dinge zu essen, die ich nicht vertrug. Ich erbrach mich ständig und
meine Tochter kam schließlich mit einer Rückenmarksspalte zur Welt. Mein damaliger Mann kam mit der

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Behinderung nicht klar und ich heiratete einen anderen - der erste Mensch, der mich annahm, wie ich war.

DIE BEFREIUNG

Doch meine Mutter kontrollierte immer noch meine Gefühle. Sie rief mehrmals am Tag an. Und ich lebte
weiter in Angst um ihr Leben. Obwohl ich nun selbst Mutter war - meine Töchter sind heute 32 und 29 - blieb
ich überangepasst und wollte es jedem recht machen. Meine anhaltende Unruhe war auch für meine Kinder
eine Belastung. Ohne die Ruhe meines Mannes hätte ich das vielleicht nicht geschafft.

Dann, ich war bereits 30, begann sie: meine Befreiung. Wegen Depressionen (/krankheit-behandlung
/krankheiten-a-z/depression-6436) begab ich mich in Therapie - und fing an, mich stärker mit meiner
Persönlichkeit zu beschäftigen. Doch erst als ich mit 43 aus diesem Grund anfing, "Psychologische
Beraterin" zu studieren, verstand ich: Deine Eltern sind Borderline-Persönlichkeiten. Deswegen bist du, wie
du bist. Das war furchtbar, vor allem, weil ich erst da die Manipulationen meiner Mutter durchschaute. Erst
mit 47 fand ich den Mut, ihr vorsichtig Grenzen zu setzen, indem ich sie beispielsweise aufforderte, die
mehrfachen täglichen Anrufe zu unterlassen. Damit kam sie gar nicht klar und versuchte, meine Kinder
gegen mich aufzubringen. Zum Glück gelang ihr das nicht. Den Kontakt zu ihr habe ich schließlich ganz
abgebrochen.

Heute habe ich einen ganz guten Umgang mit den Defiziten, die ich hatte und noch habe. Glücklicherweise
habe ich endlich meine eigene, gesunde Familie, die mich auffängt.

* Name von der Redaktion geändert

BORDERLINE BESSER VERSTEHEN

"Borderline ist eine Persönlichkeitsstörung, die im ersten Lebensjahr entsteht, in der Kinder die
bedingungslose Nähe der Mutter benötigen:
Sie erleben sich noch nicht als eigenständige Wesen und definieren ihre Existenz über die Bezugsperson.
Gefühle wie Angst, Hunger, Kälte sind noch unbekannt und erst einmal existenziell bedrohlich. Jede
bindungsfähige Mutter schwächt diese Bedrohlichkeit ab, indem sie das Kind spiegelt: Das heißt, sie passt
sich in ihrer Mimik und dem Klang ihrer Stimme an die Situation des Kindes an, zeigt ihm so, dass sein
Gefühl richtig ist und gibt ihm dann, was es braucht.

So lernt das Kind mit der Zeit, dass seine Gefühle in Ordnung, nicht lebensbedrohlich sind. Borderline-
Persönlichkeiten sind oft vernachlässigte, ignorierte und meist auch traumatisierte Kinder. Dadurch, dass sie
nicht gespiegelt wurden, konnten sie ihre Emotionalität nicht in sich integrieren. Auf der Bindungsebene
reagieren sie oft wie ein Kleinkind und erwarten von ihrer Bezugsperson (Kind, Partner) Unmögliches:
Sei mit mir identisch und fühle wie ich - aber sei anders und befriedige mich. Sei wie ich - aber wage es
nicht, so zu sein. Das ist ein schizophrenes Bindungsmuster."

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WAS MACHT DIE DIAGNOSE BORDERLINE SO SCHWIERIG?

"Borderline ist eine instabile Persönlichkeitsstörung. Betroffene schwanken zwischen schwarzer und weißer
Phase. Und jeder hat da seine eigenen Abstände.
Trifft man zum Beispiel eine Borderline-Persönlichkeit in der weißen Phase, kann sie selbstreflektiert und
kritikfähig sein und daher gut mit einem Konflikt konfrontiert werden. In der schwarzen Phase kann derselbe
Konflikt dann aber zu einem Desaster führen. Man kann Borderline nur auf der Bindungsebene
diagnostizieren, im Zusammenspiel mit den Bezugspersonen.

Denn viele Betroffene kompensieren ihre Identitätslosigkeit durch eine hohe Funktionalität, etwa im Job, und
sind hervorragend in der Lage, Rollen auszufüllen, mit denen sie Anerkennung und soziale Integration
erfahren. Man geht von zwei Prozent in der Bevölkerung aus, nach meiner Wahrnehmung sind es
mindestens 15 Prozent.

Die Borderline-Störung wirkt sich zudem generationsübergreifend aus: Eine Mutter, die nicht in Bindung mit
sich ist, gibt das an ihr Kind weiter. Gesunde Bezugspersonen (beispielsweise eine Oma), die das Kind
liebevoll reflektieren, ihm Bindung und Stabilität anbieten, können das verhindern. Leider werden gerade im
Bereich der Jugendhilfe und Familiengerichte diese Personen vom Umgang ausgeschlossen. Hier existiert
massiver Nachholbedarf an Auseinandersetzung mit Borderline."

GEFÜHLE, DIE DEN KINDERN UNTERBEWUSST VERMITTELT WERDEN -


UND LEBENSLANGE KONSEQUENZEN HABEN

Sei wie ich - sei nicht!


Du bist nicht wichtig
Du bist verantwortlich
Du gehörst mir und bist weniger wert als ich
Lebe, was ich erleben musste
Du bist nie sicher
Alles an dir ist falsch

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