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Florian Kohler
Alexander Siegmund
Hrsg.
Digitale Bildung
für nachhaltige
Entwicklung
Anwendung und Praxis
in der Hochschulbildung
Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung
Johanna Weselek · Florian Kohler ·
Alexander Siegmund
(Hrsg.)
Alexander Siegmund
Abteilung Geographie
Pädagogische Hochschule Heidelberg
Heidelberg, Baden-Württemberg, Deutschland
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von
Springer Nature 2022
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Johanna Weselek
Florian Kohler
Prof. Dr. Alexander Siegmund
Heidelberger Zentrum Bildung für nachhaltige Entwicklung
V
Inhaltsverzeichnis
VII
VIII Inhaltsverzeichnis
Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
Herausgeber*innen und Autor*innenverzeichnis
Dr. Alda Arias Fachbereich Physik, Universität Heidelberg und Pädagogische Hoch-
schule Heidelberg, Heidelberg, Deutschland
Dr. Christina Bantle Fachbereich Landschaftsnutzung und Naturschutz, Hochschule
für nachhaltige Entwicklung, Eberswalde, Deutschland
Janek Becker Institut für Didaktik integrativer Fächer, Technische Universität
Dortmund, Dortmund, Deutschland
Frederike Bursee Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, Universität Bremen, Bremen,
Deutschland
Dr. Anna Chatel Geographie, Pädagogische Hochschule, Freiburg, Deutschland
Steffen Ciprina Geographisches Institut, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutsch-
land
Prof. Dr. Ingo Eilks Institut für Didaktik der Naturwissenschaften, Abt. Chemie-
didaktik, Universität Bremen, Bremen, Deutschland
Marko Ellerbrake Geographisches Institut, Ruhr-Universität Bochum, Bochum,
Deutschland
M.Ed. Manuel Esterl Geographiedidaktik, Ruhr-Universität Bochum, Bochum,
Deutschland
Prof. Dr. Gregor C. Falk Geographie, Pädagogische Hochschule, Freiburg, Deutsch-
land
Dr. Christina Fiene Abteilung Geographie, Pädagogische Hochschule Heidelberg,
Heidelberg, Deutschland
Sabine Frei Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Zürcher Hochschule für
Angewandte Wissenschaften, Wädenswil, Schweiz
XI
XII Herausgeber*innen und Autor*innenverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1.1 Über das Heidelberger Zentrum Bildung für nachhaltige Entwicklung der
Pädagogischen Hochschule Heidelberg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.2 Über die Beiträge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
J. Weselek (*)
Abteilung Geographie, Heidelberg University of Education, Heidelberg, Baden-Württemberg,
Deutschland
E-Mail: weselek@ph-heidelberg.de
F. Kohler
Abteilung Geographie, Heidelberg University of Education, Heidelberg, Baden-Württemberg,
Deutschland
E-Mail: f.kohler@ph-heidelberg.de
A. Siegmund
Abteilung Geographie, Heidelberg University of Education, Heidelberg, Baden-Württemberg,
Deutschland
E-Mail: siegmund@ph-heidelberg.de
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 1
Springer Nature 2022
J. Weselek et al. (Hrsg.), Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_1
2 J. Weselek et al.
der Agenda 2030 (UN 2015) und der Verabschiedung der SDG wurde die Relevanz von
Bildung für die generelle Umsetzung der Ziele besonders betont und BNE als Unter-
ziel einer inklusiven, gleichberechtigten und hochwertigen Bildung explizit benannt.
Bei der 40. UNESCO-Generalkonferenz 2019 in Paris wurde die zentrale Bedeutung
des Bildungskonzepts BNE für die Erreichung der SDG mit dem Beschluss des
Programms „Education for Sustainable Development: Towards achieving the SDGs“
(ESD for 2030) nochmals untermauert. Das Ziel ist eine nachhaltigere und gerechtere
Welt durch die Stärkung von BNE: „ESD for 2030 aims to build a more just and
sustainable world through strengthening ESD and contributing to the achievement of the
17 SDGs“ (UNESCO 2019, S. 13). Das aktuelle UNESCO-Programm hat sowohl die
transformativen (Handlungs-)Prozesse des Einzelnen als auch die Notwendigkeit eines
strukturellen Wandels im Fokus (UNESCO 2019, S. 10). Diese ambitionierten Ziele
basieren auf einer Förderung der breiten Partizipation von Menschen aus unterschied-
lichen gesellschaftlichen Kontexten durch BNE: „ESD in action is basically citizenship
in action“ (UNESCO 2019, S. 11). Diese soll die Ermöglichung von transformativem
Handeln fördern und strukturelle Ursachen für nicht nachhaltige Entwicklung
fokussieren und bearbeiten. Partizipation und die Wichtigkeit kritischen Denkens sind
dabei ebenso zentral wie der Anschluss an die aktuelle digitale Lebenswelt (UNESCO
2019, S. 12).
Die thematische Breite der BNE und ihre multi-, inter- bzw. transdisziplinäre Viel-
falt bietet diverse Anwendungsbereiche und Anknüpfungsmöglichkeiten an die aktuelle
Lebenswelt von Lernenden, also auch an die mediatisierte, digitale Welt. Durch die
jüngsten Entwicklungen im Kontext der Coronaviruspandemie und der damit ver-
bundenen rasanten Digitalisierung vielfältiger Kommunikations- und Arbeitsprozesse
wird dies deutlich und zusätzlich beschleunigt. Doch nicht erst seit der weltweiten
Coronaviruspandemie schreitet die Digitalisierung in vielen Lebensbereichen voran –
das gilt auch im Bildungsbereich. Damit verbunden ergeben sich vielfältige Potenziale,
aber auch Herausforderungen für eine Bildung für nachhaltige Entwicklung. Neben öko-
logischen und ökonomischen Fragen (u. a. Energieverbrauch von Servern, Kosten für die
Beschaffung von IT-Infrastruktur und Internetausbau etc.) kommt Fragen der sozialen
Gerechtigkeit und unterschiedlichen Facetten von Partizipation im Bildungskontext eine
zentrale Bedeutung zu. Daher wirkt sich die Digitalisierung als gesellschaftliche Heraus-
forderung auch auf die zukunftsorientierte Hochschulbildung und damit beispielsweise
auch auf die Ausbildung von angehenden Lehrkräften aus.
Die Bildungskonzepte BNE und digitale Bildung haben gemeinsame Ziele. Sie
beziehen sich sowohl auf aktuelle als auch zukünftige globale Herausforderungen, sind
dabei aber universitär-disziplinär nicht klar zuzuordnen und müssen damit fächerüber-
greifend integriert und adressiert werden. Zudem wollen beide ein kritisches Bewusst-
sein bei Lernenden in Form von kritisch-reflektiertem Denken, partizipativem Lernen
und interdisziplinären Ansätzen initiieren (KMK/DUK 2007; KMK 2016). Die Möglich-
keit mitverantwortlicher Selbstbestimmung, der Artikulation und der Eingebunden-
heit als reales Partizipationserleben sind sowohl für digitale Bildung als auch für eine
1 Einleitung: Bildung für nachhaltige Entwicklung in … 3
Der Anspruch, digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung fächer- und disziplinüber-
greifend zu behandeln, findet sich auch im vorliegenden Sammelband wieder. Ziel dieses
Bands Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung: Umsetzung in der Lehrkräfte-
und Hochschulbildung ist die Diskussion zur Implementierung und Verschränkung von
(Hochschul-)BNE und Digitalisierung disziplinär, multidisziplinär, interdisziplinär und
transdisziplinär abbilden zu können. Im Rahmen des Sammelbands werden unterschied-
liche Beispiele einer praktischen Umsetzung in der Hochschullehre vorgestellt. Von ver-
schiedenen Apps über digitale Experimentierkoffer und digitale Challenges bzw. Spielen
bis hin zu virtuellen Exkursionen mit Virtual-Reality-Umgebungen ist in diesem Band
alles zu finden. Die dabei thematisierten Lerninhalte reichen von Klimawandel über
Naturschutz und Renaturierung bis zu zukunftsorientierten und diversitätssensiblen
Informatikunterricht. Dabei werden sowohl die theoretische als auch die praktische
Konzeption veranschaulicht. Dieser Band bildet methodisch und inhaltlich eine viel-
fältige Bandbreite einer digitalen Bildung für nachhaltige Entwicklung ab.
Der Band startet mit dem Beitrag von Jan Hiller und Stephan Schuler. Die Autoren
zeigen auf, wie es in einem Design-Based-Research-Ansatz gelingen kann, die Ent-
wicklung didaktischer Konzepte für die Gestaltung digitaler Lernumgebungen in der
BNE eng mit der fachdidaktischen Lehre in Seminaren und Exkursionen zu verknüpfen
und so eine Win-win-Situation für Lehre und Forschung zu schaffen. Im anschließenden
Beitrag von Christopher Groß und Leif O. Mönter wird das Konzept BNE2teach vor-
gestellt, das darauf abzielt, angehenden Lehrkräften den Erwerb zentraler Kompetenzen
an der Schnittstelle zwischen Nachhaltigkeit und Digitalisierung zu ermöglichen. Eine
Voraussetzung dafür ist jedoch die entsprechende Vorbereitung in allen Phasen der
Lehrer*innenbildung. Der Beitrag veranschaulicht, welche Potenziale und Heraus-
forderungen in der ersten Phase der Ausbildung bestehen. Die Lehrer*innenbildung
ist ebenfalls für den Beitrag von Thomas Schmalfeldt relevant. Der Autor expliziert,
warum dem Informatikunterricht als Teil der Allgemeinbildung eine Schlüsselrolle
zukommen sollte. Es wird ein Ansatz vorgestellt, der auf Physical Computing und
Design Thinking basiert und Lehramtsstudierende mit unterschiedlichen Fächerprofilen
auf die Konzeption eines zukunftsorientierten und diversitätssensiblen Informatikunter-
1 Einleitung: Bildung für nachhaltige Entwicklung in … 5
richt vorbereitet. Im darauffolgenden Beitrag von Daniel Wirth und Ulrike Ohl wird eine
Seminarkonzeption zu „Virtual-Reality-Exkursionen in der Bildung für nachhaltige Ent-
wicklung“ vorgestellt. Dabei werden die didaktischen Potenziale von Virtual-Reality-
Lernumgebungen in der BNE im Allgemeinen und von Virtual-Reality-Exkursionen
im Besonderen aufgezeigt. Zudem wird reflektiert, wie die Hochschullehre diesen
Anforderungen gerecht werden und einen motivierenden und zielführenden Beitrag zur
Professionalisierung zukünftiger Lehrkräfte leisten kann. Um Lehrkräftebildung geht es
auch im Beitrag von Anke Renger und Juliane Gröber. Die Autorinnen zeigen, welches
Potenzial in der Verbindung von Analogem und Digitalem für die Reflexion im Kontext
einer BNE in der Lehrkräftebildung liegen könnte. Als Beispiel dienen hier Stopmotion-
Filme.
Im Beitrag von Franziska Hauch, Dana Graulich, Fiona Rochholz, Christina Fiene
und Alexander Siegmund steht die didaktische Vermittlung von Klimaanpassung im
Fokus. Hierzu werden die Potenziale von zwei digitalen Lerntools zur Klimaanpassung
– mobile Apps und Serious Games – für eine gelingende Vermittlung des Themen-
felds im schulischen Kontext diskutiert. Das Thema Klimaanpassung wird auch im
anschließenden Beitrag von Hannes Schmalor, Steffen Ciprina, Marko Ellerbrake und
Janek Becker diskutiert und der Aufbau und die Funktionen einer für die Lehrer*innen-
ausbildung der TU Dortmund entwickelten digital gestützten Exkursion durch die App
„Biparcours“ zur Thematik „Klimaanpassung in Dortmund-Hörde“ vorgestellt. Ziel
ist die Befähigung der Studierenden zur Konzeption und Durchführung eigener digital
gestützter Exkursionen zu Nachhaltigkeitsthemen. Im darauffolgenden Beitrag von Jan
Hohmann, Katja Paulus und Anna Rath wird das Umweltbildungsprojekt LELINA vor-
gestellt, dessen Ziel es ist, Schüler*innen aller Schulformen und Jahrgangsstufen an
außerschulischen Lernorten für die Hintergründe, Besonderheiten und Bedeutung der
Industrienatur zu sensibilisieren. Die im Rahmen des Projekts entstandenen Lern- und
Erlebnismodule dienen dazu, die themen- und raumspezifische Gestaltungskompetenz
der Lernenden im Sinn einer BNE zu fördern.
Christina Bantle, Marleen Jattke, Sabine Frei und Matthias Stucki zeigen im Kontext
des Wettbewerbs „Klimaduell“, inwieweit Gamification bei der Förderung von umwelt-
freundlichem Verhalten wirksam sein kann. Teilnehmende gaben an, sich Wissen über
die Klimarelevanz alltäglicher Handlungen angeeignet zu haben und nach Abschluss
des Wettbewerbs neue umweltfreundliche Verhaltensweisen in den Alltag integrieren
zu wollen. Im darauffolgenden Beitrag von Heike Molitor, Matthias Holzgreve, Jennifer
Krah, Claudia Friede und Kristin Paulokat wird ein mehrtägiges Online-Camp der
Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde vorgestellt. Dabei erhalten Studien-
interessierte wesentliche Einblicke in die fachliche Logik der Studiengebiete Natur-
schutz, ökologisches Bauen und nachhaltige Regionalentwicklung. Ein innovatives
Tool zur Umsetzung der Digitalisierung in der Lehre wird im Beitrag von Carry-Luise
Zimmermann, Georg Müller-Christ, Lisa-Marie Seyfried, Frederike Bursee und Denis
Pijetlovic vorgestellt. Vor dem Hintergrund der BNE wurden ein immersives Lehr-
format entwickelt und erste Erfahrungen gesammelt, wie Virtual Reality und Nachhaltig-
6 J. Weselek et al.
Literatur
Engagement Global (2018) Orientierung gefragt – BNE in einer digitalen Welt. Diskussions-
papier zur wechselseitigen Ergänzung von Bildung für Nachhaltige Entwicklung und Digitaler
Bildung im Bereich Schule. Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen-
arbeit und Entwicklung. https://www.engagement-global.de/files/2_Mediathek/Mediathek_EG/
Angebote_A_Z/GES/Diskussionspapier_Orientierung_gefragt_BNE_in_einer_digitalen_Welt.
pdf. Zugegriffen: 25. Nov. 2021
Kultusministerkonferenz (KMK)/Deutsche UNESCO-Kommission (DUK) (2007) Bildung für
nachhaltige Entwicklung in der Schule. https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_
beschluesse/2007/2007_06_15_Bildung_f_nachh_Entwicklung.pdf. Zugegriffen: 15. Nov. 2021
Kultusministerkonferenz (2016) Bildung in der digitalen Welt. Strategie der Kultusministerkonferenz.
https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2016/2016_12_08-
Bildung-in-der-digitalen-Welt.pdf. Zugegriffen: 25. Nov. 2021
Partnernetzwerk Medien (2019) Thesen und Überlegungen zum Verhältnis von Digitalisierung und
BNE aus Sicht des Partnernetzwerks Medien, http://openbook.nachhaltigkeitskommunikation.
de/wp-content/uploads/2019/09/Thesen-und-%C3%9Cberlegungen-zum-Verh%C3%A4ltnis-
von-Digitalisierung-und-BNE-aus-Sicht-des-PN-Medien-final.pdf. Zugegriffen: 25. Nov. 2021
UN (2015) Transforming our world. The 2030 agenda for sustainable development. http://www.
un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/RES/70/1&Lang=E. Zugegriffen: 25. Nov. 2021
UNESCO (2019) Framework for the implementation of Education for Sustainable Development
(ESD) beyond 2019. Paris
UNESCO (2020) Education for sustainable development. A roadmap. https://unesdoc.unesco.org/
ark:/48223/pf0000374802.locale=en. Zugegriffen: 25. Nov. 2021
Exkursionsdidaktische Konzepte
für das digitale außerschulische 2
Lernen kollaborativ entwickeln
und erproben – Die Integration
von BNE-Projektseminaren mit
Lehramtsstudierenden im DBR-Projekt
ExpeditioN Stadt
Inhaltsverzeichnis
J. Hiller (*)
Abteilung Geographie, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg,
Reutealle 46, 71634 Ludwigsburg, Deutschland
E-Mail: jan.hiller@ph-ludwigsburg.de
S. Schuler
Abteilung Geographie, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg,
Reutealle 46, 71634 Ludwigsburg, Deutschland
E-Mail: schuler@ph-ludwigsburg.de
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 9
Springer Nature 2022
J. Weselek et al. (Hrsg.), Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_2
10 J. Hiller und S. Schuler
„Schau mal. Auf diesem Luftbild sieht man, dass der Platz hier früher eine reine Betonwüste
war.“ – „Ja, und jetzt wächst hier dieses ‚Klimawäldchen‘ neben der großen Kreuzung. Da
haben die Stadtplaner mal eine richtig gute Idee gehabt.“ – „Als nächstes sollen wir mit dem
Handy Fotos machen und in der App hochladen. Im ersten Foto soll der Platz attraktiv und
angenehm rüberkommen, im zweiten dann als stressiger, anstrengender Ort. Sollen wir da
drüben anfangen?“
In der BNE wurde schon früh erkannt, dass die digitale Bildung spezifische Potenziale
bietet, um BNE-Kompetenzen zu fördern, dass dafür aber auch spezifische didaktische
Konzepte und Zugänge benötigt werden (Engagement global 2018). Ein solcher
Zugang, der seinen Ursprung in der Mediendidaktik hat und aus dem E-Learning ent-
wickelt wurde, ist Mobile Learning, im engeren Sinn das mobile ortsbezogene
Lernen mithilfe von mobilen Endgeräten wie Smartphones oder Tablets (de Witt und
Gloerfeld 2018). In der BNE wurde dieses Konzept v. a. von Lude et al. (2013) auf-
gegriffen und konzeptionell fruchtbar gemacht – insbesondere für außerschulische
Lernorte. In unserem Projekt versuchen wir, hierbei auch die exkursionsdidaktische
Tradition der Geografiedidaktik stärker in die Konzeptentwicklung einzubringen (Hiller
et al. 2019, S. 23ff.). So bieten die von Ohl und Neeb (2012) zusammengestellten
exkursionsdidaktischen Leitprinzipen und die Klassifikation von Exkursionen nach
dem Grad der Schüleraktivität eine wertvolle Basis. Davon ausgehend öffnet sich
ein breites Spektrum exkursionsdidaktischer Methoden, das dabei hilft, neben den
häufig eingesetzten kognitivistischen Aufgabenformaten mit Informationsmedien und
Quizaufgaben verstärkt auch konstruktivistische Aufgabenformate wie 360-Grad-Raum-
wahrnehmung, Rollenspiele, Planungsaufgaben und Spurensuchen in den Blick zu
nehmen. Grundlegend sind für uns die im Orientierungsrahmen Globale Entwicklung
formulierten BNE-Kernkompetenzen (KMK und BMZ 2021) in den drei Kompetenz-
bereichen Erkennen (u. a. Informationsrecherche vor Ort, Erkennen soziokultureller
und natürlicher Vielfalt, Analyse von globalen Nachhaltigkeitsproblemen und Ent-
wicklungsprozessen mit dem Leitbild nachhaltiger Entwicklung), Bewerten (u. a.
Perspektivenwechsel, kritische Reflexion und Beurteilen von Entwicklungsmaßnahmen)
sowie Handeln (u. a. Mitverantwortung erkennen, gesellschaftliches Handlungsfähigkeit
sichern, Partizipation und Mitgestaltung).
12 J. Hiller und S. Schuler
Für die Gestaltung digitaler Themenrallyes und Exkursionen als Lernumgebung für
Schulklassen benötigen Lehrpersonen eine Vielzahl unterschiedlicher Kompetenzen.
Um diese für unsere Projektseminare und Fortbildungen zu systematisieren, setzen wir
auf das in der Bildung mit digitalen Medien etablierte TPACK-Modell von Mishra und
Koehler (2006), das den Ansatz von Shulman (1987) für die professionelle Kompetenz
von Lehrpersonen (respektive Lehramtsstudierenden) erweitert. Die drei Dimensionen
pädagogisches Wissen (PK), fachliches Inhaltswissen (CK) und fachdidaktisches Wissen
(PCK) von Shulman (Abb. 2.1) werden dabei um das technologische Wissen (TK)
ergänzt. Die Überschneidungsfelder im Modell zeigen, welche neuen Kompetenzen
durch die Digitalisierung der Lernumgebung erforderlich werden (vgl. Schmid et al.
2020).
Drei klassische Kompetenzdimensionen werden auch bei der Gestaltung analoger
Exkursionen und BNE-Lernrallyes benötigt:
Abb. 2.1 Das TPACK-Modell (Revised version of the TPACK image; © Punya Mishra 2019,
reproduced with permission)
2 Exkursionsdidaktische Konzepte für das digitale außerschulische Lernen … 13
• Didaktische Drehbücher für die Zielplanung helfen dabei, zu Beginn der Bound-
Gestaltung Rahmenbedingungen, Ziele, Zielgruppen und Umsetzungsstruktur eines
geplanten Bound präzise abzustecken.
• Eine didaktische Aufgabentypologie umfasst inzwischen 16 verschiedene Aufgaben-
formate für die kreative Gestaltung von Exkursions- und Lernrallyeaufgaben mit
Apps wie „Actionbound“. Sie sind nach den BNE-Kompetenzbereichen Erkennen,
Bewerten und Handeln geordnet und werden mit Beispielen aus unseren Ludwigs-
burger Projekt-Bounds zur nachhaltigen Stadtentwicklung konkretisiert.
• Ein als Analysespinne gestaltetes Raster mit Qualitätskriterien für die Aufgaben-
gestaltung hilft sowohl beim Entwerfen und Zusammenstellen der Aufgaben wie auch
bei der strukturierten Analyse oder der Weiterentwicklung vorhandener Bounds.
• Konkrete Praxistipps für die Gestaltung und Strukturierung eines digitalen Lehrpfads
sowie für die Durchführung eines Bound mit einer Lerngruppe erleichtern die ersten
Schritte in die Praxis.
• Lehrvignetten sind kompakte, auf je einer A4-Doppelseite angelegte Praxis-
dokumentationen einzelner Aufgabenbeispiele für Lehre und Fortbildungen und
zeigen jeweils die Gestaltung einer Aufgabe in „Actionbound“, exemplarische
Lösungen der Schüler*innen, einzelne empirische Evaluationsergebnisse sowie eine
didaktische Interpretation.
2 Exkursionsdidaktische Konzepte für das digitale außerschulische Lernen … 15
Die ersten vier Werkzeuge wurden im didaktischen Handbuch (Hiller et al. 2019)
publiziert, die letzten beiden sind jüngeren Datums und werden nach und nach in die
Projektwebseite integriert. Dort sind auch die Tabellen der Designprinzipien zu finden
(www.expedition-stadt.de/forschung).
• Didaktische Drehbücher zur Zielplanung der Stadtrallyes unterstützen den Start in die
Entwicklungsarbeit. Bei bereits vorhandenen Bounds können auch vorhandene Dreh-
bücher (bzw. Steckbriefe oder Dokumentationen) bereitgestellt werden. Ein großer
Vorteil der Drehbücher ist, dass sie schnell einen Überblick über die Bound-Inhalte
liefern (Standorte, Aufgaben, Methodenschwerpunkte). Ohne sie ist bei bereits vor-
handenen Bounds aus Spieler*innensicht von außen nur schwer ersichtlich, welche
Inhalte sich in einem Bound befinden.
• Bound-Kopien können technisch einfach zwischen den verschiedenen Gruppen (bzw.
dem Dozierenden) ausgetauscht werden. Über die Funktion „öffentliches Kopieren
erlauben“ wird ein bestehender Bound in einen anderen Account übertragen.
• Actionbound-Bausteine zu ausgewählten Aufgabentypen unterstützen die Ent-
wicklungsarbeit der Kleingruppen, die dadurch idealtypische Vorlagen aus Muster-
Bounds einfach in die eigene Stadtrallye übernehmen und variieren können („copy
and paste“).
• Lehrvignetten veranschaulichen zudem die Wirkungen der als Actionbound-Bausteine
zur Verfügung gestellten Aufgaben auf Grundlage empirischer Daten. Die Lehr-
vignetten sind als doppelseitiges PDF-Dokument gestaltet; angesprochen werden die
Gestaltung der Aufgabe in „Actionbound“, ausgewählte Lösungen von Schüler*innen,
empirische Ergebnisse und ein fachdidaktischer Kommentar.
• Analysespinnen tragen bei der Pilotierung der weiterentwickelten Bounds durch die
Seminargruppe dazu bei, die didaktische Konzeption der entwickelten Aufgaben
und Standorte zu bewerten. Anhand der Bewertung von fünf Dimensionen (BNE-
Kompetenzbereich, Ortsbezug, Aufgabenschwierigkeit, Grad der Beteiligung, Zeit-
bedarf) auf einer vierstufigen Skala entsteht ein für die jeweilige Aufgabe typisches
Merkmalsprofil. Damit lässt sich auch schnell erkennen, ob im Gesamt-Bound auf
Methodenwechsel und Variantenvielfalt geachtet wurde.
Ein weiterer wichtiger Seminarbestandteil ist die Erprobung und Evaluation der ent-
wickelten Bounds mit Schulklassen vor Ort. Die Schüler*innen spielen dabei die ver-
schiedenen Bounds in Kleingruppen und werden von Studierenden begleitet. Neben
der pädagogischen Betreuung schlüpfen die Studierenden in die Forschendenrolle, da
sie zahlreiche Daten erheben. Mittels Pre-Post-Befragungen werden das (Vor-)Wissen
im Kontext BNE und nachhaltige Stadtentwicklung sowie spielbezogene Emotionen
erhoben (Items u. a. aus: Emotional Short Scale, Randler et al. 2011; Kurzskala
intrinsische Motivation, Wilde et al. 2009). Während des Spiels führen die Studierenden
2 Exkursionsdidaktische Konzepte für das digitale außerschulische Lernen … 17
eine teilnehmende Beobachtung der Schülerinnen*gruppen durch, bei der mittels eines
Protokollbogens Daten zu diversen Kategorien (Spielverlauf, didaktische Gestaltung,
motivationale Aspekte, Kompetenzerwerb, räumliche Orientierung/Raumwahrnehmung,
Sozialverhalten und technische Probleme) erhoben werden. Zusätzlich interviewen die
Studierenden die Gruppen nach dem Spiel in Form eines leitfadengestützten problem-
zentrierten Interviews. Anschließend werden alle Bestandteile des Datenkorpus mittels
eines inhaltsanalytischen Verfahrens zusammengeführt, ausgewertet und bei der
Abschlusssitzung mit der Seminargruppe diskutiert.
Insgesamt wird deutlich, welche wichtige Rolle die Projektseminare im Sinn des
DBR für das gesamte Projekt spielen: Die wiederholte Durchführung des Projekt-
seminars stellt jeweils einen in sich geschlossenen Designzyklus dar, in dem die
18 J. Hiller und S. Schuler
Im Projekt „ExpeditioN Stadt“ spielen Studierende, die nicht an der Entwicklung der
Bounds beteiligt waren, diese als Unterrichtssimulation in der Schüler*innenrolle
selbst durch. Im Nachgang der Exkursion fertigen die Studierenden einen Exkursions-
bericht an. Neben inhaltlichen Gesichtspunkten (hier: nachhaltige Stadtentwicklung)
sind weitere verbindliche Gliederungspunkte eine didaktisch-methodische Analyse der
Exkursion sowie eine ausführliche persönliche Reflexion. Damit trägt der Exkursions-
bericht maßgeblich zum Erwerb exkursionsdidaktischer Kompetenzen bei.
Beim Durchspielen der Exkursionsbounds wechseln die Studierenden nach jedem
Standort aus der Schüler*innenrolle in die Rolle von Didaktikexpert*innen: Innerhalb
der App reflektieren und bewerten sie die didaktische Aufgabenqualität unmittelbar vor
Ort in sogenannten In-Bound-Evaluationen. Diese wurden nicht nur für die Evaluation
der Projektarbeit konzipiert, sondern dienen auch als Instrument der fachdidaktischen
Reflexion der Studierenden im Rahmen der Exkursion und sollen deshalb hier kurz vor-
gestellt werden. Forschungsdesign und Ergebnisse der noch laufenden Evaluationsstudie
werden später an anderer Stelle publiziert.
Das Konstrukt „didaktische Aufgabenqualität“ wurde mittels vier kurzer Items
operationalisiert. Drei geschlossene Items mit einer vierstufigen Likert-Skala erfassen
die Dimensionen wahrgenommene Kompetenz/Wissenszuwachs, motivierende Auf-
gabengestaltung und Interessantheit der Inhalte. Ein offenes Antwortformat im Stil einer
Interviewfrage gibt den Spieler*innen die Möglichkeit für weitere Rückmeldungen.
Hervorzuheben ist die einfache technische Umsetzbarkeit der Evaluation, da die Items
direkt in den jeweiligen Bound eingebaut und damit die Daten während des Spiels
erhoben werden können. Die Rohdaten der geschlossenen Items und die Antworten auf
die Interviewfrage in Form einer kurzen Sprachaufnahme stehen für die Lehrenden in
der Bound-Verwaltung unter der Rubrik „Ergebnisse“ zum Download bereit und können
anschließend ausgewertet und interpretiert werden. Um einen schnellen Überblick über
die Ergebnisse zu erhalten, ermöglicht es „Actionbound“ zudem, aus geschlossenen
Items einfache Grafiken (z. B. Kreisdiagramme) zu erzeugen.
2 Exkursionsdidaktische Konzepte für das digitale außerschulische Lernen … 19
Das in Abb. 2.2 dargestellte Aufgabenbeispiel gibt einen Einblick in die Aufgabe
„Subjektive Fotografie“ am Standort „Klimawäldchen“ am Heilbronner Wollhausplatz.
Zu erkennen sind die Rahmengeschichte mit den Figuren Hannes und Nina und die
Gestaltung der Aufgabe als Kern der Standortarbeit (Screenshot links), (Screenshot in
der Mitte) sowie und zwei der vier Evaluationsitems (Screenshot rechts).
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags dauert die Datenauswertung
noch an. Durchgeführt wurden die fachdidaktischen Exkursionen von Geografie-
studierenden der PH Ludwigsburg im Zeitraum von 04/2020 bis 03/2022. Erste Ergeb-
nisse belegen die durchaus positiven Wirkungen dieses DBR-Projekt-Designs. Der
Blick auf den vorliegenden Datenkorpus (n = 172 Studierende mit insgesamt 482
Bound-Durchläufen) zeigt, dass die didaktische Aufgabenqualität generell als hoch ein-
gestuft wird. Die gemittelten Mittelwerte der drei geschlossenen Items sind bei allen
evaluierten Aufgaben (23) im positiv bewerteten Bereich (>2,5 auf einer Skala von
1 bis 4). Als besonders wertvoll werden kreative, offene Aufgaben wahrgenommen,
z. B. Planungs- und Gestaltungsaufgaben, Erstellung von Streifenkarten, Rollen-
spiele oder die oben erwähnte Methode „subjektive Fotografie“. Ein besonderer Reiz
scheint von Orten auszugehen, an denen im Rahmen des Spiels Unerwartetes ent-
deckt bzw. Unbekanntes in einer eigentlich bekannten Umgebung erkundet werden
kann (z. B. Urban Gardening, Stadtbienen etc.). Hier gelingt es besonders einfach,
bei den Spieler*innen Neugierde und Interesse zu wecken. Darüber hinaus zeigen die
Daten, dass auch stärker instruktionale orientierte Aufgabenstellungen (z. B. im Sinn
eines klassischen Lehrpfads) sehr positiv bewertet werden. Aufgabenformate wie Quiz,
20 J. Hiller und S. Schuler
Ausgehend von der Reflexion unserer Erfahrungen und der Auswertung der empirischen
Daten lassen sich einige hochschuldidaktische Konsequenzen formulieren.
Die Projektseminare wurden im Laufe mehrerer Semester sukzessive weiter-
entwickelt, auch bedingt durch jeweils veränderte projektbezogene Zielsetzungen.
Während zu Beginn das Sammeln von Erfahrungen bei der Entwicklung erster Lern-
umgebungen im Fokus stand, konnten durch die sich anschließenden Zyklen bereits
prototypische und empirisch evaluierte Bounds veröffentlicht werden. Im letzten Zyklus
lag der Fokus auf der Erprobung der im Projekt von uns entwickelten fachdidaktischen
Konzepte. Ziel ist schließlich, die optimierten didaktischen Werkzeuge in die schulische
Alltagspraxis zu implementieren, u. a. durch Lehrkräfteworkshops mit unserem Projekt-
partner AIM Heilbronn-Franken. Damit dienen die Projektseminare als Labor für
Lehrkräftefortbildungen. Einerseits sind sie ein Ideenpool, der kreative Umsetzungs-
vorschläge für die digitalen Stadtrallyes hervorbringt, andererseits können die Seminare
als kritische Reflexionswerkstatt für die im DBR-Projekt entwickelten didaktischen
Konzepte angesehen werden.
Durch die vielfältigen Einschränkungen der Coronapandemie haben sich bei beiden
Säulen unseres Lehrkonzepts (Projektseminare und fachdidaktische Exkursionen)
gerade die Digitalisierungsmerkmale als besonders wertvoll erwiesen: Die fach-
didaktischen Exkursionen mit „Actionbound“ konnten als individuell spiel- und plan-
bare Selbstlernexkursionen vor Ort mit integriertem Online-Bericht an die Projektleitung
ausgebracht werden und bilden damit einen wichtigen Teil unseres Exkursionsangebots
während der Pandemie. Weiterhin haben die praktischen Erfahrungen mit „Actionbound“
im unterrichtlichen Einsatz gezeigt, dass die App nicht nur zur Erstellung von mobilen
ortsbezogenen Lernumgebungen für Exkursionen und Lerngänge verwendet, sondern
auch im individualisierten Fernunterricht eingesetzt werden kann. So können einige
Bound-Bausteine auch aus der Ferne gespielt und durch weitere Medien bzw. Methoden
flankiert werden, z. B. als virtuelle Exkursion, unterstützt durch geeignete digitale
Globen (z. B. Google Earth).
2 Exkursionsdidaktische Konzepte für das digitale außerschulische Lernen … 21
Abschließend lohnt sich ein Blick auf die Rolle der Studierenden im Projekt. Sowohl
in den Projektseminaren als auch bei den fachdidaktischen Exkursionen erwerben sie
wertvolle fachdidaktische Kompetenzen an der Schnittstelle zwischen Theorie (Fach-
didaktik und Fachwissenschaft) und Praxis (Schulalltag).
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22 J. Hiller und S. Schuler
Inhaltsverzeichnis
3.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
3.2 Konzept des Wahlmoduls BNE2teach. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
3.3 Bausteine des Wahlmoduls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
3.3.1 BNE 1: Einführung BNE. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
3.3.2 BNE 2: Konzepte BNE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
3.3.3 BNE 3: Reflexion (normativer) Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
3.3.4 BNE 4: Digitalität und BNE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
3.3.5 BNE 5: Schulische Umsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
3.3.6 BNE 6: Erarbeitung eigener BNE-Bildungsmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
3.3.7 BNE 7: Präsentation und Diskussion der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
3.3.8 BNE 8: Exemplarische Erprobung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
3.4 Innovatives Potenzial des Konzepts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
3.5 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
3.1 Einleitung
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 23
Springer Nature 2022
J. Weselek et al. (Hrsg.), Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_3
24 C. Groß und L. O. Mönter
eine integrative Betrachtung erfordern, um nachhaltig zu agieren. Die Agenda 2030 für
nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen definiert 17 Nachhaltigkeitsziele, die
bis 2030 erreicht werden sollen. Die besondere Bedeutung von Bildung zur Erreichung
der Nachhaltigkeitsziele wird dabei explizit betont und durch die Roadmap 2030
konkretisiert (UNESCO 2014; 2020). Ziel ist die strukturelle Berücksichtigung einer
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in allen Bildungsbereichen, um auf diese
Weise die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige
Entwicklung 2017). Bislang zeigt sich jedoch, dass eine strukturelle systematische Ver-
ankerung noch nicht in allen Bereichen erreicht werden konnte (Buddeberg 2016, S. 267;
DUK 2013.) Im schulischen Kontext zeigt sich vielmehr, dass BNE häufig als Aufgabe
und Anliegen einzelner Fächer angesehen wird, die sich fachlich genuin mit Themen der
Nachhaltigkeit beschäftigen. Dabei böte insbesondere die institutionelle Bildungsein-
richtung Schule die Möglichkeit, alle Kinder und Jugendlichen fächerübergreifend mit
Konzepten der Nachhaltigkeit zu erreichen.
Um alle Schüler*innen zu befähigen, im Sinn einer nachhaltigen Entwicklung zu
agieren, bedarf es einer entsprechenden Ausbildung von Lehrkräften, die in diesem
Zusammenhang als zentrale Change Agents bezeichnet werden können (Bedehäsing
und Padberg 2017). Auch die UN betont in der Agenda 2030 die Professionalisierung
von Lehrenden und Multiplikatoren als eines von fünf prioritären Handlungsfeldern
(UN 2015). Tatsächlich zeigt sich im deutschsprachigen Raum jedoch ein geringes Maß
der Implementierung des Bildungskonzepts BNE in der Ausbildung von Lehrkräften.
Studien belegen, dass das Leitbild einer BNE in der überwiegenden Zahl der Lehrkräfte
keine Berücksichtigung in ihrem Studium fand (DUK 2013; LENA 2014; Rieckmann
und Holz 2017). Gleichzeitig beschreiben die Lehrpersonen insbesondere die fehlende
Professionalisierung im Themenfeld BNE als großes Hemmnis bei der Implementierung
des Leitbilds in ihren Unterricht (Brock und Grund 2018). Hierauf muss Lehrer*innen-
bildung und dabei insbesondere die erste Phase der universitären Ausbildung reagieren,
um zukünftigen Lehrkräften sowohl Wissen über verschiedene Konzepte einer BNE
zu vermitteln, als auch die Entwicklung von Kompetenzen zur Gestaltung passender
Lernumgebungen anzuregen, die den Schüler*innen die Entwicklung von Schlüssel-
kompetenzen für eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen (vgl. Rieckmann 2013;
UNECE 2012).
Darüber hinaus stellt die zunehmende Digitalisierung Schulen vor die Heraus-
forderung, Schüler*innen angemessen auf die veränderten Bedingungen einer „Kultur
der Digitalität“ (Stalder 2016) vorzubereiten. Auch diese Entwicklung muss zukünftig
stärker in den Fokus der Lehrer*innenbildung genommen werden, verdeutlichen die
Schulschließungen im Rahmen der COVID-19-Pandemie doch die Bedeutsamkeit der
digitalen Kompetenzen von Lehrer*innen.
Trotz einer grundsätzlich positiven Einstellung von Lehrkräften gegenüber digitalen
Medien zeigt sich eine geringe Nutzungshäufigkeit dieser in Schule und Unterricht in
Deutschland im europäischen Vergleich (Drossel 2019; Fraillon et al. 2014). Der zu
beobachtende niedrige Digitalisierungsgrad von Unterricht kann auch auf die (noch)
3 BNE2teach – Ein innovatives Konzept digitalgestützter … 25
Ziel des ersten, in Präsenz durchgeführten Bausteins ist das Kennenlernen der Teil-
nehmer*innen des Zusatzzertifikats, die Aktivierung von Vorwissen und Vorerfahrungen
im Kontext BNE und die Klärung von Erwartungen an das Wahlmodul. Im Fokus der
Hinführung zum Themenkomplex steht zunächst die Auseinandersetzung mit den durch
Der zweite Baustein ist, wie auch die anderen digitalen Bausteine, vollständig auf
einer webbasierten Lernplattform konzipiert. Im Rahmen des Bausteins erarbeiten die
Studierenden die notwendigen Grundlagen, Konzepte und Leitbilder einer BNE. Durch
eine ergänzende Auseinandersetzung mit Aspekten des globalen Lernens, der Umwelt-
bildung, des interkulturellen Lernens etc. wird eine ganzheitliche Professionalisierung
der Studierenden angestrebt.
Ebenso setzen sich die Studierenden im Rahmen wissenschaftlich fundierter Theorien
mit Elementen der transformativen Bildung auseinander, erarbeiten den Ansatz der
Systemkompetenzen und analysieren unterschiedliche Kompetenzmodelle. Dazu zählen
etwa Ansätze der Gestaltungskompetenz, wie sie von de Haan (2008) bzw. durch den
Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung (Engagement Global,
2016) angestrebt werden, sowie Schlüsselkompetenzen für eine nachhaltige Entwicklung
(Rieckmann 2011; UNESCO 2017; Wiek et al. 2011) und das Göttinger Modell der
Bewertungskompetenz (Eggert und Bögenholz 2016).
Neben dem Erwerb von Wissen über Konzepte steht insbesondere die vertiefte Aus-
einandersetzung mit diesen im Vordergrund. So wird beispielsweise nach der Erarbeitung
des instrumentellen und des kritisch-emanzipativen BNE-Ansatzes das erworbene
Wissen angewendet, indem die Studierenden die vorgestellten BNE-Lernangeboten den
jeweiligen Ansätzen zuordnen und argumentativ begründen, welche Gestaltungselemente
zu ihrer Entscheidung geführt haben.
Auch der dritte Baustein des Wahlmodus ist über die webbasierte Lernplattform
abrufbar. Das übergeordnete Ziel des Bausteins ist die Entwicklung einer eigenen
professionellen Positionierung im Kontext von BNE. Dafür stehen verschiedene
Reflexionsaufgaben zur Verfügung. Hierbei setzen sich die Studierenden bei-
spielsweise intensiv mit den Chancen und Herausforderungen des instrumentellen
3 BNE2teach – Ein innovatives Konzept digitalgestützter … 29
Wurden im zweiten und dritten Baustein digitale Medien vor allem als Werkzeug
einer zeit- und ortsunabhängigen Vermittlung genutzt, erfolgt im vierten Baustein eine
intensive Auseinandersetzung mit dem Verständnis von Bildung im Sinn der Agenda
2030 in einer digitalen Welt. Dazu wird das im Rahmen des Gesamtzertifikats bereits
erlangte Wissen über Konzepte digitaler Bildung nun im Kontext von BNE betrachtet
und Gemeinsamkeiten der Bildungskonzepte erarbeitet. Es wird herausgearbeitet,
welche Kompetenzen Schüler*innen in einer digitalen Welt im Sinn einer nachhaltigen
Entwicklung erlangen sollten und welche dazu notwendigen Veränderungen der Lern-
kultur thematisiert werden müssen, damit Schüler*innen befähigt werden können, an der
Lösung globaler Herausforderungen mitzuwirken.
Der letzte digitale Baustein knüpft unmittelbar an den vierten Baustein an und
beschäftigt sich ausgehend von einem grundlegenden Verständnis der Anknüpfungs-
punkte von digitaler Bildung und BNE mit konkreten Beispielen schulischer- und
außerschulischer Umsetzung, die schlaglichtartig in Form von digitalen Steckbriefen
vorgestellt und anschließend kriteriengeleitet analysiert und bewertet werden. Die
Studierenden lernen in diesem Baustein unterschiedliche Konzepte und Strategie-
papiere zur Implementierung kennen, identifizieren geeignete Methoden und didaktische
Prinzipien und erarbeiten Qualitätsmerkmale digitaler BNE-Bildungsmaterialien.
Im ersten Schritt erfolgt eine Analyse des nationalen Aktionsplans BNE (Nationale
Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung 2017), des schulischen Curriculums
und des Leitfadens BNE in der Schule Rheinland-Pfalz (Pädagogisches Landesinstitut
Rheinland-Pfalz 2017), bei der die Studierenden ausgehend von ihrer unterschiedlichen
Fachperspektive die Beiträge ihrer Fächer analysieren und reflektieren. Anschließend
erarbeiten die Studierenden unterschiedliche didaktische Prinzipien und methodische
Ansätze, die sich zur digital unterstützten Vermittlung von BNE eignen. Dabei erfolgt
eine eigenständige Auswahl durch die Studierenden, u. a. vor dem Hintergrund ihrer
fachlichen Sozialisation. Insbesondere werden schüler*innenzentrierte Methoden
30 C. Groß und L. O. Mönter
Der Baustein sechs gibt den Studierenden die Möglichkeit, ihr bisher erlangtes Wissen
über digitale BNE-Bildungsmaterialien zu vertiefen, anzuwenden und zu prüfen. Dazu
erstellen die Studierenden in Kleingruppen eigene digitale BNE-Bildungsmaterialien,
die im Anschluss allen Teilnehmer*innen des Zertifikats in Form von Open Educational
Resources (OER) zur Verfügung gestellt werden. Die Studierenden können dabei selbst-
ständig entscheiden, ob sie Materialien für ihren eigenen Fachunterricht erstellen, fächer-
verbindende Konzepte erarbeiten oder in fächerübergreifenden Teams Materialien zum
Einsatz in Schulprojekten oder AG erstellen. Durch die Bereitstellung der Materialien
entsteht so langfristig eine große digitale Sammlung von unterschiedlichsten Materialien,
Konzepten und Ansätzen, die sich zur Erarbeitung von BNE in diversen schulischen
Kontexten eignen.
Der letzte Pflichtbaustein stellt den eigentlichen Abschluss des Moduls dar. Im Rahmen
einer Präsenzveranstaltung erfolgt eine kurze Präsentation der Ergebnisse in Form eines
Gallery Walk. Allen Projektteams wird dabei Zeit eingeräumt, sich über die anderen
Arbeitsergebnisse zu informieren und sich Feedback zu ihren Beiträgen einzuholen.
3 BNE2teach – Ein innovatives Konzept digitalgestützter … 31
Aufgrund des beschränkten Workload wird der neunte Baustein als fakultative
Ergänzung angeboten. Dazu wird allen Teilnehmer*innen des Zertifikats die Möglichkeit
geboten, das zuvor erhaltene Feedback zu nutzen und ihre erstellten Bildungsmaterialien
unterrichtspraktisch zu erproben. Die Studierenden können dabei auf das im Rahmen des
Gesamtzertifikats etablierten Netzwerks von Kooperationsschulen zurückgreifen.
BNE2teach zeigt exemplarisch das Potenzial der Verbindung von BNE und digitaler
Bildung in der Lehrer*innenbildung und leistet somit einen konkreten Beitrag zur
Professionalisierung angehender Lehrkräfte an der Universität Trier, der gleichzeitig
auch auf andere lehrer*innenbildende Standorte übertragbar ist.
Besonderes Innovationspotenzial besitzt das Konzept aufgrund der partizipativen Aus-
richtung des Bildungsangebots. Die Lernenden werden durch die Ausrichtung der Lern-
angebote und die wiederkehrende Reflexion mithilfe des E-Portfolios stetig ermutigt,
ihre eigene Professionalisierung weiterzuentwickeln. Dies wird durch den handlungs-
orientierten Erwerb von Gestaltungskompetenz erreicht, indem ein Rollenwechsel hin
zu einem partizipativen, selbstgesteuerten Lernen mittels individuell ausgerichteter
Lernbausteine erfolgt, der durch die Erstellung und Erprobung eigener Lernmaterialien
gefestigt wird.
Auch zeichnet sich das Wahlmodul durch die Bezugnahme auf digitale Medien
auf drei Ebenen aus: Erstens werden digitale Medien als Mittel eingesetzt, ein selbst-
organisiertes, orts- und zeitunabhängiges individuelles Lernen zu ermöglichen und so
ein Lernangebot zu schaffen, das den angehenden Lehrpersonen einen stetigen Aus-
tausch mit Studierenden anderer Fächer gestattet. Zweitens wird die Vermittlung
digitalisierungsbezogener Kompetenzen und der damit einhergehende sichere Umgang
mit digitalen Instrumenten als Bedingung für Partizipation an transformativen
gesellschaftlichen Prozessen aufseiten der angehenden Lehrkräfte verstanden. In einer
sich stetig wandelnden Welt ist die Professionalisierung im Bereich Digitalisierung im
Rahmen einer zukunftsfähigen Lehrer*innenbildung unverzichtbar. Und schließlich
steht drittens die Fähigkeit zur Vermittlung digitaler Kompetenzen im Vordergrund der
Professionalisierung. Das Wahlmodul leistet damit einen wichtigen Beitrag dazu, dass
32 C. Groß und L. O. Mönter
3.5 Fazit
Die zunehmende Digitalisierung aller Lebensbereiche und die stärkere Fokussierung der
Öffentlichkeit auf globale Herausforderungen verlangen neue fachliche und didaktische
Ansätze der Lehrer*innenbildung, um diesen Herausforderungen in der Schule
angemessen zu begegnen. Die Bildungskonzepte BNE und digitale Bildung bieten zahl-
reiche Anknüpfungspunkte, deren Berücksichtigung in der universitären Lehrer*innen-
bildung jedoch ausbaufähig erscheint. Dabei bietet insbesondere ein kombinierter Ansatz
dieser zwei Konzepte aufgrund ihrer zahlreichen Gemeinsamkeiten große Chancen für
eine zukunftsfähige Lehrer*innenbildung.
Das im Rahmen des Beitrags vorgestellte Wahlmodul BNE2teach zeigt exemplarisch,
wie eine Integration von BNE und digitaler Bildung in der ersten Phase der
Lehrer*innenbildung gelingen kann. Es bietet den Studierenden in einem Blended-
learning-Seminarkonzept in acht unterschiedlichen Bausteinen ein umfangreiches
Professionalisierungsangebot im Kontext von BNE, das aufgrund der zu erwartenden
Diversität der Studierenden mit der Vermittlung grundlegender Kompetenzen beginnt, sie
zu einer kritischen Reflexion von Bildungskonzepten ermutigt und ihnen anschließend
die Möglichkeit bietet, digitale BNE-Bildungsmaterialien zu erstellen und zu erproben.
BNE2teach bietet durch das zugrundeliegende Design, den partizipativen und hand-
lungsorientierten Ansatz und die Bezugnahme auf digitale Bildung in drei unterschied-
lichen Ebenen ein hohes Innovationspotenzial über den Standort Trier hinaus.
Die Umsetzung auf einer webbasierten Lernplattform ist auch für andere Uni-
versitäten leicht adaptierbar und bietet zahlreiche Möglichkeiten zum Einsatz in der
Lehrer*innenbildung.
Es bleibt abzuwarten, in welchem Umfang das Angebot angenommen wird und
welche Herausforderungen sich in der Umsetzung des Wahlpflichtmoduls ergeben
werden. Eine fortlaufende wissenschaftliche Evaluation und die darauf basierende stetige
Optimierung des Konzepts begleiten jeden Durchgang und stellen sicher, dass eine
Weiterentwicklung des Moduls zu einer langfristigen Steigerung der Qualität führen.
Langfristig ist die Verstetigung und die Implementierung in das Kerncurriculum der
Lehrer*innenbildung vorgesehen, um nicht nur die Studierenden zu erreichen, die ohne-
hin eine Affinität zu BNE und Digitalisierung aufweisen. Außerdem wird eine Adaption
3 BNE2teach – Ein innovatives Konzept digitalgestützter … 33
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3 BNE2teach – Ein innovatives Konzept digitalgestützter … 35
Thomas Schmalfeldt
Inhaltsverzeichnis
4.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
4.2 Computational Thinking als Basis für einen diversitätssensiblen, inklusiven
Informatikunterricht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
4.2.1 Physical Computing als didaktischer Ansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
4.2.2 Physical Computing zur Förderung von Diversität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
4.2.3 Design-Thinking-Prozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
4.3 Ausbildung von Informatiklehrkräften für die Sekundarstufe I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
4.3.1 Didaktisches Konzept der Ausbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
4.3.2 Physical Computing zur Gestaltung eines nachhaltigen Verkehrssystems
(SDG 11.2). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
4.4 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
4.1 Einleitung
Infolge der fortschreitenden Digitalisierung des beruflichen und privaten Alltags hat auch
das Fach Informatik in Grundschule und Sekundarstufe I stark an Bedeutung gewonnen
(Baum et al. 2019) und ist in der Schweiz seit der Einführung des Deutschschweizer
Lehrplans 21 (D-EDK, 2016) in Kombination mit Medienbildung obligatorischer Teil
des Curriculums. Wenn das gesamtgesellschaftliche Bildungsziel hinsichtlich dieses
Fachs darin besteht, künftigen Generationen den Einfluss der Informatik aufzuzeigen
T. Schmalfeldt (*)
Zentrum Bildung und Digitaler Wandel, Pädagogische Hochschule Zürich, Zürich, Schweiz
E-Mail: thomas.schmalfeldt@phzh.ch
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 37
Springer Nature 2022
J. Weselek et al. (Hrsg.), Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_4
38 T. Schmalfeldt
und man sie in der Schule dazu befähigen und ermutigen möchte, sich bei der Nutzung
des Digitalen aktiv einzubringen, dann gilt es nicht nur künftige Anforderungen und
Bedürfnisse zu antizipieren, sondern auch spezifische, verstärkt auf vernetztes Denken,
Kooperation und aktive Beteiligung aller Schülerinnen und Schüler ausgerichtete Unter-
richtskonzepte zu entwickeln. Damit diese inklusiv angelegten Konzepte im Klassen-
zimmer kompetenzorientiert umgesetzt werden können, muss bereits in der Ausbildung
angesetzt werden. Vor diesem Hintergrund wird im vorliegenden Beitrag ein Lehr-
format vorgestellt, das an der Pädagogischen Hochschule Zürich zur Qualifikation von
künftigen Informatiklehrkräften für die Sekundarstufe I genutzt wird. Im ersten Teil des
Beitrags werden die diesem hochschuldidaktischen Ansatz zugrunde liegenden Konzepte
theoretisch erläutert, während im zweiten Teil die konkrete Umsetzung in der Aus-
bildung von Lehramtsstudierenden vorgestellt wird. Abgeschlossen wird der Beitrag
durch ein kurzes Fazit.
Der Begriff Computational Thinking wird in der Literatur wie auch in der Praxis unter-
schiedlich ausgelegt. In diesem Beitrag wird eine Interpretation herangezogen, die
ursprünglich zwar aus dem engen Kontext der Informatik stammt, sich aber auch auf
alltägliche Situationen bezieht (Wing 2006). Computeranwendungen werden gemäß
dieser Auffassung nicht als Selbstzweck gesehen, sondern vielmehr als etwas, was mit
dem Umfeld interagiert. Dies impliziert einen Perspektivenwechsel von „Wie kann ich
etwas programmieren?“ hin zu „Was möchte ich mit meinem Programm bezwecken?“.
Das heißt, mithilfe von Informatik soll etwas Konkretes bewirkt werden. Durch diesen
Perspektivenwechsel rücken neben technischen Aspekten vermehrt auch die Personen,
die Anwendungen entwickeln, in den Vordergrund. Zurzeit lässt sich die Mehrheit der-
jenigen, die die Technologiewelt dominieren, mit den Attributen jung, weiß und männ-
lich charakterisieren (Pournaghshband und Medel 2020), was sich in den Produkten
häufig entsprechend manifestiert. Stichworte sind hier Coded Bias (ein implementierter
Algorithmus zieht systematisch Nachteile für gewisse Nutzende nach sich) oder Color
Bias (z. B. werden bei Gesichtserkennungsprogrammen farbige Personen seltener
korrekt identifiziert als weiße Personen; West et al. 2019).
Wenn die Informatik ihren Einfluss auf die Gesellschaft wie prognostiziert kontinuier-
lich ausweiten und die Digitalisierung in sämtlichen Bevölkerungsgruppen Bestand-
teil des täglichen Lebens wird, muss sich dies künftig auch in der Beschaffenheit
neuer Technologien spiegeln, wozu divers zusammengesetzte Entwicklungsteams
unabdingbar sind. Eine wichtige Grundbedingung dafür besteht darin, dass sich bereits
der schulische Unterricht nicht nur auf die Funktionsweise der Informatik beschränkt,
sondern Diversität gezielt fördert, Vorurteile aufbricht und sich konkret auf den Alltag
der Schülerinnen und Schüler bzw. Fragen mit gesamtgesellschaftlicher Relevanz bezieht
4 Ein fächerübergreifend konzipierter Ansatz … 39
(Denner und Campe 2018). Mit Blick auf die Erreichung dieses Ziels wird nachfolgend
ein didaktischer Ansatz vorgestellt, der auf den Prinzipien von Physical Computing und
Design Thinking basiert.
Mithilfe von Physical Computing lässt sich nicht nur die Motivation für die Beschäftigung
mit informatischen Themen erhöhen, sondern es wird auch ein breites Spektrum von
Schülerinnen und Schülern angesprochen, weshalb u. a. SDG 5 – Geschlechtergleich-
stellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen –
40 T. Schmalfeldt
4.2.3 Design-Thinking-Prozess
Zukünftige Informatiklehrkräfte haben nicht nur die technischen Aspekte des Fachs
zu beherrschen, sondern sollten angesichts künftiger Anforderungen auch in der Lage
sein, Zusammenhänge mit anderen Schulfächern zu erkennen, um das große Potenzial
nutzen zu können, das u. a. Physical Computing im Sinn eines über das Kernfach hinaus-
gehenden, fächerübergreifenden Unterrichts bietet. In der Schweiz belegen Lehramts-
studierende in der Regel vier Schulfächer. An der Pädagogischen Hochschule Zürich
ist das Erlangen der Lehrbefähigung im Fach Medien und Informatik als Zusatzquali-
fikation im Wahlbereich des Masterstudiengangs konzipiert, was fächerübergreifendes
Unterrichten begünstigt. Nachfolgend wird ein hochschuldidaktisches Konzept
beschrieben, das es künftigen Informatiklehrkräften ermöglichen soll, ihr Fachwissen,
ihr fachdidaktisches Wissen sowie ihr Wissen über den Mehrwert eines fächerüber-
greifenden Unterrichts zu erweitern.
Die Informatikmodule der Pädagogischen Hochschule Zürich basieren auf dem Flipped-
Classroom-Prinzip. Dies bedeutet, dass das eigentliche Lernen selbstorganisiert erfolgt.
Anhand von für den Studiengang produzierten Lernvideos und Übungen eignen sich
die Studierenden die notwendigen Programmierkompetenzen selbstständig an, was eine
individuelle Anpassung der Geschwindigkeit und eine flexible Gestaltung der Lernzeiten
ermöglicht. Dank dieser eigenständigen Vorbereitung kann der Schwerpunkt in den
Präsenzveranstaltungen auf die praktische Durchführung von Projekten gelegt werden.
Da auch didaktische Inhalte behandelt werden, gehören Reflexion und Überlegungen
zu einem Transfer auf die Zielstufe ebenfalls zum Konzept. Einen weiteren integralen
Aspekt bildet die Auseinandersetzung mit eigenen Überzeugungen zu gutem Informatik-
unterricht und persönlichen Wertvorstellungen. Insgesamt stehen 90 Arbeitsstunden
zur Verfügung, in denen 14-mal 90 Minuten Präsenzzeit mit bis zu 18 Studierenden
enthalten sind, wobei die einzelnen Projektgruppen aus maximal fünf Studierenden
bestehen. Da diese Gruppen möglichst interessenheterogen zusammengesetzt sein
sollten, wurde bereits bei der Konzeption und der Ausschreibung der Ausbildung ein
Fokus darauf gelegt, eine betreffend Geschlecht und Fächerprofil diverse Gruppe von
Studierenden anzusprechen (Schmalfeldt 2021).
Im Folgenden wird ein konkretes Szenario des praktischen Teils der Informatikaus-
bildung umrissen, das sich auf SDG 11.2, d. h. die Bereitstellung eines nachhaltigen,
sicheren Verkehrssystems, bezieht. Vorgestellt wird ein Projekt, dessen Anforderungen
sich explizit an Studierende richten. Es geht somit nicht darum, ein Schulprojekt selbst
zu „erleben“, sondern vielmehr darum, im Sinn einer curricularen Überhöhung die
4 Ein fächerübergreifend konzipierter Ansatz … 43
eigenen Kompetenzen zu erweitern. Auf diese Weise sollen den Studierenden die grund-
sätzlichen Ansprüche und der Aufbau solcher Projekte aufgezeigt werden, damit sie
später in ihren Klassen selbst Projekte mit anderen Problemstellungen initiieren können.
Typisch für Design-Thinking-Prozesse sind Fragen, die mit „Wie könnte man …“
beginnen. Die Projektteams können sich parallel mit unterschiedlichen Aspekten eines
übergeordneten Problems beschäftigen, was beim abschließenden Austausch einen
breiteren Blick auf die Thematik erlaubt. Wird von allen Gruppen hingegen der gleiche
Aspekt behandelt, kann der Austausch vertiefter erfolgen. Im vorliegenden Fall wurde
einheitlich der folgenden Frage nachgegangen: „Wie könnte man in Städten mithilfe des
Digitalen ein nachhaltiges Verkehrssystem gestalten?“ Das zugrunde liegende Ziel von
SDG 11.2 ist wesentlich ausführlicher und konkreter gefasst: „By 2030, provide access
to safe, affordable, accessible and sustainable transport systems for all, improving road
safety, notably by expanding public transport, with special attention to the needs of those
in vulnerable situations, women, children, persons with disabilities and older persons“
(United Nations 2015). Für die Zwecke des Projekts wurde die Frage jedoch bewusst
offener gefasst, da sie, anders als das ausformulierte Ziel, noch keine konkrete Antwort
vorgibt. Ansonsten hätte die Gefahr bestanden, dass bereits ein konkreter Fokus gesetzt
worden wäre, noch bevor sich die Gruppen im Problemraum mit der Frage auseinander-
gesetzt und eigene Beobachtungen angestellt hätten, wodurch der empathische Bezug
gefehlt hätte. Zur Verbindung mit der Informatik wurde die Fragestellung zudem um die
Bedingung ergänzt, dass das Digitale in die Ideenfindung einzufließen hatte. Die Auf-
gabe bestand nicht in einer vollständigen Beantwortung der Fragestellung – was zeitlich
nicht möglich gewesen wäre –, sondern vielmehr in der Erarbeitung eines konkret auf
die fokussierte Persona bezogenen Beitrags zur Lösung des Problems. Im Folgenden
werden die einzelnen Phasen des Szenarios dargestellt. Die kursiv gesetzten Beispiele
sind fiktiv, basieren aber auf Ideen aus bereits durchgeführten Projekten.
Phasen 1–3: Bearbeitung des Problemraums Diese Phasen finden vollständig in der
Nichtpräsenzzeit statt. Die Projektgruppen organisieren sich selbstständig und können
dabei auf die informatische Infrastruktur der Hochschule zurückgreifen. Beobachtungen
44 T. Schmalfeldt
finden, wenn möglich, vor Ort statt. Interviews können auch als Videokonferenz geführt
werden. Die Festlegung der Persona erfolgt anschließend im Konsens.
Die Projektgruppe beschließt, zuerst während ihrer eigenen Nutzung des öffentlichen
Verkehrs aktiv Beobachtungen zu machen und diese mittels Notizen und Fotos zu
dokumentieren. Zur Identifikation von sogenannten Extremnutzerinnen und Extrem-
nutzern erweitern die Mitglieder die Beobachtungen und nutzen die Verkehrsmittel
auch in den Randzeiten am frühen Morgen und in der Nacht. Zudem fahren sie in
sozial schwache und abgelegene Gebiete und versuchen, mit einzelnen Personen ins
Gespräch zu kommen, um gezielte Fragen zu den persönlichen Bedürfnissen bezüglich
des Verkehrssystems zu stellen. Nach dem Austausch der Beobachtungen bestimmt die
Gruppe folgende Persona: eine 40-jährige Frau aus einem städtischen, sozial schwachen
Gebiet, die den öffentlichen Verkehr hauptsächlich in der Nacht zum Pendeln zwischen
Arbeitsplatz und Wohnort nutzt. Für den Weg von der nächstgelegenen Haltestelle bis zur
Wohnung benötigt sie zu Fuß noch zehn Minuten durch ein Wohnquartier.
Phase 6: Testen Das Testen findet wiederum in der Nichtpräsenzzeit statt. Der Lösungs-
ansatz und der dazugehörige Prototyp werden potenziellen Nutzerinnen und Nutzern
vorgestellt, um Rückmeldungen einzuholen und gegebenenfalls Anpassungen vornehmen
zu können.
4 Ein fächerübergreifend konzipierter Ansatz … 45
Der Prototyp und der Dummy werden von Frauen aus dem erweiterten persönlichen
Umfeld, die in Teilen mit der definierten Persona übereinstimmen, getestet. Anhand
der Rückmeldungen wird das Konzept leicht angepasst, jedoch nicht mehr als Prototyp
umgesetzt.
4.4 Fazit
Bei der Beschreibung des Szenarios wurde von den Voraussetzungen ausgegangen, die
an der Pädagogischen Hochschule Zürich gegeben sind. Es ließe sich aber prinzipiell
auch für andere Hochschulen adaptieren. Wichtig ist grundsätzlich, dass genügend Zeit
für die Arbeit im Problemraum des Design-Thinking-Prozesses eingesetzt wird. Hierin
unterscheidet sich das vorgestellte Konzept von den anderen, technisch orientierten
Inhalten der Ausbildung. Das erforderliche fächerübergreifend-vernetzte Denken erlaubt
es angehenden Informatiklehrkräften, einen empathischen Zugang zum Fach zu ent-
wickeln, die eigenen Überzeugungen eines guten Informatikunterrichts zu reflektieren
und die didaktischen Chancen der Digitalisierung zu erkennen. Diese Erfahrungen helfen
ihnen dabei, einen diversitätssensiblen Unterricht zu erteilen, der die Schülerinnen und
Schüler auf eine Zukunft vorbereitet, in der sie sich verantwortungsvoll in die Gestaltung
einer digital geprägten Gesellschaft einbringen können, in der die Digitalisierung einen
Beitrag zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele beisteuern kann.
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4 Ein fächerübergreifend konzipierter Ansatz … 47
Inhaltsverzeichnis
5.1 Potenziale der Virtual Reality in der Bildung für nachhaltige Entwicklung. . . . . . . . . . . . 49
5.2 Die Virtual-Reality-Exkursion als vielversprechende Methode zur Vermittlung von
BNE-relevanten Inhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
5.3 Digitalitätsbezogene Professionalisierung von angehenden Geografielehrkräften. . . . . . . 53
5.4 Seminarkonzeption „Virtual-Reality-Exkursionen in der Bildung für nachhaltige
Entwicklung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
5.5 Erste Ergebnisse der Seminarevaluation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
5.6 Fazit und Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
Bei der Behandlung der faktisch und ethisch komplexen wie auch häufig kontroversen
Themen der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) im Unterricht besteht oftmals
die Herausforderung, dass die jeweils relevanten Prozesse nicht unmittelbar für die
Schülerinnen und Schüler erfahrbar gemacht werden können. Dies liegt daran, dass sie
D. Wirth (*)
Didaktik der Geographie, Universität Würzburg, Bavaria, Deutschland
E-Mail: daniel.wirth@uni-wuerzburg.de
U. Ohl
Lehrstuhl für Didaktik der Geographie, Universität Augsburg, Augsburg, Österreich
E-Mail: ulrike.ohl@geo.uni-augsburg.de
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 49
Springer Nature 2022
J. Weselek et al. (Hrsg.), Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_5
50 D. Wirth und U. Ohl
oftmals an Orten stattfinden, die den Lernenden nicht oder nur sehr schwer zugänglich
gemacht werden können. Gründe hierfür sind Zeitmangel, Gefahren, ethische Heraus-
forderungen oder hohe Kosten (Freina und Ott 2015). Dabei wäre gerade diese originale
Begegnung oder Anschaulichkeit erforderlich, um die für den Aufbau von Gestaltungs-
kompetenz wichtigen Prinzipien des Perspektivenwechsels und der Evokation von
Empathie bestmöglich zu realisieren (de Haan 2008; Jahn und Haspel 2014) und damit
den Anforderungen einer BNE im Sinn transformativer Bildung (Lange 2012) gerecht zu
werden.
Durch die Verwendung neuer Technologien ist es möglich, diese Lücke ein Stück
weit zu schließen. So bietet der Einsatz von Virtual Reality (VR) didaktische Potenziale,
den genannten Herausforderungen zu begegnen. VR ist eine Technologie, die eine
computergenerierte Umgebung erzeugt und es den Nutzer*innen durch das Aufsetzen
einer VR-Brille ermöglicht, an einem beliebigen Ort in einen dort nicht vorhandenen
Raum „einzutauchen“ (Dörner et al. 2013; Slater und Sanchez-Vives 2016; Buchner und
Aretz 2020). Nachdem Vorüberlegungen zu diesem Prinzip bereits mehrere Jahrzehnte
alt sind, haben technologische Fortschritte (kleinere und leistungsfähigere Mikrochips
und Displays bei gleichzeitig stark sinkenden Preisen) in den letzten Jahren der breiten
Öffentlichkeit eine einfache Zugänglichkeit ermöglicht (Dörner et al. 2013). Zunächst
fand die Technologie vor allem in Computerspielen Verwendung. Im Bildungsbereich
wurde VR zunächst im Rahmen der beruflichen Bildung eingesetzt (z. B. beim Training
der Steuerung von Maschinen).
Hinsichtlich der didaktischen Potenziale von VR wird neben einer Steigerung von
Interesse (Filter et al. 2020) auch die verstärkte Evokation von Empathie postuliert
(Bailenson 2018b). Zudem können raumbezogene Strukturen und Prozesse erklärt werden,
die anderweitig nicht darstellbar sind (Stojšić et al. 2017). Zur Vermittlung geowissen-
schaftlicher Inhalte mittels VR im Schulunterricht wird auch eine gesteigerte Lernleistung
durch VR berichtet (Jitmahantakul und Chenrai 2019; Markowitz et al. 2018). Für die
Perspektive der Studierenden wurde gezeigt, dass die Simulation von Prozessen der Real-
welt durch VR in der Hochschulbildung hinsichtlich der Lernleistung im Vergleich zu
anderen Methoden besonders effektiv ist (Schneider und Preckel 2017). Weiter schlägt der
Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU)
VR auch zur Erkundung von Krisengebieten und Weltnatur- und -kulturerbe im Unterricht
vor (WBGU 2019, S. 86, 283) und Fauville et al. (2020) stellen heraus, dass VR ein viel-
versprechendes Instrument zur Förderung des Bewusstseins für den Klimawandel ist.
Dieser Beitrag soll aufzeigen, inwiefern speziell Virtual-Reality-Exkursionen (VRE)
als besondere Form von VR-Lernumgebungen im Kontext der BNE zielführend ein-
gesetzt werden können. Im Anschluss an eine Klärung der didaktischen Potenziale wird
ein Seminarkonzept vorgestellt, das angehende Geografielehrkräfte dazu befähigt, selbst
VRE zu gestalten und im Unterricht gewinnbringend einzusetzen. Dieses Konzept ist
auch in anderen Fächern als der Geografie bei der Behandlung von BNE-Themen ein-
setzbar. Beispiele sind die Fächer Biologie (z. B. Vergleich des Ökosystems Wald an ver-
schiedenen Standorten) und Physik (z. B. Erkunden eines Wasserkraftwerks).
5 „…als sei man mittendrin“ – Lehramtsstudierende … 51
Abb. 5.1 Links: Cardboard mit optischen Linsen zur Aufnahme des schüler*inneneigenen Smart-
phones. Rechts: Screenshot des Smartphones mit Darstellung des Doppelbildschirms als Voraus-
setzung für das stereoskopische Sehen (links: CC Author „othree“, rechts Ausschnitt aus https://
www.thinglink.com/video/1422578761940860929)
Gestelle aus Karton (sog. Cardboards) eingesetzt, in die die Geräte eingelegt werden
können (Abb. 5.1). Dieses Prinzip hat neben der Kostenersparnis die Vorteile, dass der
Administrationsaufwand an die Lernenden delegiert werden und der Einsatz ohne
größeren technischen Vorbereitungsaufwand erfolgen kann. Jedoch gibt es im Setting des
Bring-Your-Own-Device-Prinzips auch Nachteile. Vereinzelt gibt es Herausforderungen
bei der Kompatibilität von Smartphone, Software, Cardboard und Betrachter. Zudem ist
mit Smartphones und Cardboards gegenüber hochpreisigen Endgeräten mit eingebautem
Monitor (Head Mounted Devices, HMD) eine geringere Bildqualität zu erzeugen (Jensen
und Konradsen 2018). Dies kann gegebenenfalls das Präsenzerleben schmälern.
Wie sich zusammenfassend zeigt, bringt die VR-Technologie im Allgemeinen sowie
die VRE im Besonderen eine Reihe pädagogischer und didaktischer Potenziale bei
der Behandlung von BNE-Themen hinsichtlich der Möglichkeiten des Aufbaus von
Gestaltungskompetenz mit sich (de Haan 2008). Dies gilt insbesondere dann, wenn
eine reale Begegnung nicht möglich ist und wichtige Prinzipien wie Anschaulichkeit
oder das Ermöglichen von Empathie im Fokus stehen. Für die Sekundarstufe I und II
5 „…als sei man mittendrin“ – Lehramtsstudierende … 53
wurden im Kontext des im Abschn. 5.4 vorgestellten Seminars VRE z. B. für die Themen
Textilproduktion und -konsum sowie Nachhaltige Stadtentwicklung weltweit entwickelt.
Entsprechende Unterrichtsthemen für die Primarstufe sind etwa Abfall: sortieren, ver-
meiden, recyclen (mit Visualisierung der globalen abfallwirtschaftlichen Prozesse) und
Nachhaltige und fair produzierte Lebensmittel aus Ländern des Globalen Südens.
Jedoch sind VRE durchaus kritisch zu sehen, wenn Lehrende und Lernende sie realen
Exkursionen gleichsetzen und letztere dadurch seltener durchgeführt würden. Hier sei
betont, dass die reale Exkursion durch keine andere Methode oder Medium ersetzbar
ist. Daraus folgt, dass angehende Lehrkräfte die kritisch-konstruktive Anwendung sowie
das Design derartiger Lernumgebungen erlernen müssen, um diese Potenziale fruchtbar
machen zu können. Dafür muss eine Reihe an Kompetenzen erworben werden, die im
nächsten Abschnitt dargestellt werden.
„[1.] das Wissen und die Erfahrung von Lehrpersonen im Umgang mit Technologien und
digitalen Ressourcen,
[2.] die pädagogisch-didaktischen Kompetenzen der Lehrpersonen zur Gestaltung von
mediengestütztem Unterricht sowie
[3.] das Wissen um die Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler.“
[Nummerierung: Verf.]
Dieser Beitrag bezieht sich gezielt auf die ersten beiden Bereiche. Somit fokussieren die
weiteren Ausführungen vorrangig die Schulung des Umgangs der (angehenden) Lehr-
kräfte mit digitalen Medien, hier am Beispiel von VR. Es soll herausgearbeitet werden,
54 D. Wirth und U. Ohl
Abb. 5.2 Das DPaCK-Kompetenzmodell (verändert nach Huwer et al. 2019b, S. 361)
wie das Wissen, aber auch die Erfahrungen mit dem Einsatz der Technologie in der
Hochschullehre zielführend aufgebaut werden können.
Dabei soll das technologische Wissen entsprechend dem DPaCK-Modell (Abb. 5.2;
Huwer et al. 2019b) um den Aspekt des digitalitätsbezogenen Wissens erweitert werden
(zum Begriff Digitalität s. ausführlich Huwer et al. 2019a). Digitalitätsbezogenes Wissen
geht über das reine technologiebezogene Wissen hinaus. Am Beispiel von VR bedeutet
dies, dass (angehende) Lehrkräfte nicht nur befähigt werden sollten, die Technologie zu
verstehen und zu nutzen. Darüber hinaus ist es essenziell, sich auch kritisch etwa mit
den Manipulationsmöglichkeiten der Technologie auseinanderzusetzen. So können dar-
gestellte Räume z. B. mittels Bildbearbeitungssoftware verändert worden sein, wodurch
dem Betrachtenden eine nichtexistierende Realität vorgespielt wird. Gerade im Hinblick
auf die Ziele der BNE wäre diese Manipulation problematisch. Gleichzeitig sollten Lehr-
kräfte im Sinn des zweiten oben genannten Bereichs auch in der Lage sein, eigene VR-
Umgebungen zu gestalten. Ziel sollte also sein, dass Lehrkräfte über das Wissen und die
Erfahrungen verfügen, die Technologie entsprechend kritisch-reflexiv einzusetzen.
Aus diesen Kompetenzerwartungen resultieren konkrete Ziele für die einzelnen Phasen
der Lehrveranstaltung. Diese werden in Abb. 5.3 aufgeführt.
Skizze der Durchführung Das Seminar wird in fünf Phasen zu je sechs Zeitstunden
gleichmäßig über die Vorlesungszeit verteilt durchgeführt:
56 D. Wirth und U. Ohl
Einen Überblick zu Webapps, mit denen VRE gestaltet werden können, bieten Fuchs
(2018) und Wirth (2021). Eine schrittweise Hinführung zur Nutzung und Erstellung von
VRE, die auch im Seminar verwendet werden, findet sich bei Wirth (2019; 2020).
Lehrveranstaltungen sollten
1. vertiefte Kompetenzen über die Vermittlung von BNE und das Unterrichten mit
digitalen Medien im Unterricht anhand konkreter Unterrichtsthemen vermitteln oder
darauf aufbauen.
2. technisches Hintergrundwissen zu VR vermitteln: Zentrale Begrifflichkeiten wie bei-
spielsweise Immersion und Präsenz müssen literaturbasiert geklärt und verschiedene
Hard- und Softwarezugänge aufgezeigt werden.
3. eigene immersive Erfahrungen am Beispiel von BNE-relevanten Themen und
Raumbeispielen für die angehenden Lehrkräfte ermöglichen: Eigene umfangreiche
Erfahrungen von Immersion und Präsenzerleben bilden die Grundlage für das Ver-
ständnis um die Chancen und Grenzen der Technologie.
4. die Konzeption eigener immersiver Lernumgebungen, die auf den Aufbau von
BNE-spezifischen Kompetenzen abzielen, integrieren: Durch eine Gestaltung von
VR-Lernumgebungen kann eine aktive Auseinandersetzung mit den technischen
Möglichkeiten und Grenzen erfolgen. Peer- und Dozierendenfeedback sollte dabei als
Lerngelegenheit berücksichtigt werden.
5. Reflexionsräume schaffen: Potenziale und Herausforderungen von VR hinsicht-
lich BNE-spezifischer didaktischer Anforderungen sollten sowohl literatur- als auch
erfahrungsbasiert diskutiert werden.
Diese Designkriterien gilt es, künftig vor dem Hintergrund der Förderung professioneller
Handlungskompetenzen von Lehrkräften am Beispiel von VR weiter zu konkretisieren.
Dabei sollten auch die übrigen Facetten professioneller Handlungskompetenz und auch
der Bereich 3 nach Lorenz und Endberg (2019) (s. o., Abschn. 5.3) Berücksichtigung
finden.
58 D. Wirth und U. Ohl
VR könnte eine der disruptivsten Technologien unserer Zeit sein (Coles 30.11.2020).
Daher ist es notwendig, deren Bildungspotenziale gezielt zu eruieren und fruchtbar zu
machen. Wie in diesem Beitrag gezeigt wurde, kann VR einige Anforderungen an eine
BNE wie Anschaulichkeit und die Möglichkeit der Perspektivenübernahme besonders
gut erfüllen und bietet dadurch die Grundlage für eine BNE als transformative Bildung
(Lange 2012). Doch um diese Potenziale tatsächlich ausschöpfen zu können, bedarf es
eines gezielten Ausbaus der digitalitätsbezogenen Kompetenzen von Lehrkräften.
Dabei sollte auch beachtet werden, dass VR Limitationen unterliegt. So ist die Inter-
aktion mit dem computersimulierten Raum begrenzt und beispielsweise olfaktorische
oder gustatorische Wahrnehmung derzeit noch nicht möglich – hier bleibt die originale
Begegnung als alle Sinne ansprechende Darstellungsform deutlich überlegen. Das vor-
gestellte Seminarkonzept stellt eine zielführende Möglichkeit dar, angehende Lehrkräfte
zur Erstellung von VR-Lernumgebungen und zum gewinnbringenden Einsatz von VR
im Unterricht zu befähigen. Nachdem neue Technologien einem stetigen Wandel unter-
liegen, wird es zukünftig unumgänglich sein, vorhandene Konzeptionen wie diese an die
sich verändernden Möglichkeiten anzupassen.
Das Projekt wird durch die Joachim Herz Stiftung im Kolleg Didaktik:digital
gefördert.
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Stopmotion als digitales
methodisches Setting im Kontext 6
von Lernwerkstattarbeit und Bildung
für nachhaltige Entwicklung in der
Lehrkräftebildung
Inhaltsverzeichnis
6.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
6.2 Bildung für nachhaltige Entwicklung und Transformative Literacy . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
6.3 Vom forschenden Lernen zu Variationen experimenteller Methoden. . . . . . . . . . . . . . . . . 65
6.4 Lernwerkstattarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
6.5 Reflexion und Stopmotion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
6.6 Das Ökosystem Wald – von den Baumkronen bis zu den Wurzelspitzen im Boden. . . . . . 68
6.7 Stopmotion-Filme als Reflexionsinstrument im Kontext von
Lernwerkstattarbeit – praktisches Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
6.8 Fazit und Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
6.1 Einleitung
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ist für Lehrkräfte hoch relevant und
curricular verankert. Waltner et al. (2021) stellen fest, dass Lehrkräfte ein hohes
Bewusstsein für nachhaltige Entwicklung haben und BNE relevante Themen unter-
richteten (Waltner et al. 2021, S. 30 ff.). Herausfordernd für Lehrkräfte sind jedoch der
A. Renger (*)
Fakultät für Erziehungswissenschaft (EW5)/Didaktik der Biologie, Universität Hamburg,
Hamburg, Deutschland
E-Mail: anke.renger@uni-hamburg.de
J. Gröber
Sachunterricht und seine Didaktik, Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin, Deutschland
E-Mail: juliane.groeber@hu-berlin.de
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 63
Springer Nature 2022
J. Weselek et al. (Hrsg.), Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_6
64 A. Renger und J. Gröber
Mangel an Weiterbildungen, Materialien sowie Kenntnisse zur Umsetzung von BNE und
die Komplexität der BNE-Konzepte (Waltner et al. 2021, S. 35; Seggern 2019, S. 129f.).
Wissen über BNE, eine reflexive und kritische Haltung und Kompetenzen zur Gestaltung
von Lernumgebungen, in denen Lernende im Mittelpunkt stehen, sind wesentlich für
Lehrpersonen im Kontext von BNE (Rieckmann 2013). Der hier vorgestellte Workshop
zur Fortbildung von Lehrkräften und Lehramtsstudierenden des naturwissenschaftlichen
Sach- und Fachunterrichts fokussiert auf die Aspekte BNE und Reflexion und wurde im
Rahmen von: 1) „Leistung macht Schule“-LemaS Jahrestagung, Karlsruhe, Deutschland,
2019, 2) Lernwerkstatttagung Wien, Österreich, 2020 und 3) MNU-Grundschultag, Pots-
dam, Deutschland, 2020 durchgeführt. Der Workshop orientiert sich an den Methoden
der Lernwerkstattarbeit und des forschenden Lernens und fokussiert die zwei Aspekte
nachhaltiges Wissen und Reflexion. In einem didaktischen Lernwerkstattsetting zum
Klimawandel wird dabei folgenden zwei Fragen nachgegangen:
Der Beitrag gibt zunächst einen Überblick über das zugrundeliegende BNE-Verständ-
nis. Im Anschluss daran werden fachdidaktische, methodische und fachwissenschaftliche
Grundlagen des Workshops dargestellt. In einem Fazit stellen wir erste Ergebnisse hin-
sichtlich der zwei Untersuchungsfragen vor.
Dieses wird im Rahmen der Workshops kontextualisiert und vor dem Hintergrund
des Zielwissens diskutiert. Abschluss der Workshops ist eine Reflexion der eigenen
Bedeutungsperspektiven auf das Lehren sowie der fachwissenschaftlich und fach-
didaktisch bekannten Konzepte vor dem Hintergrund des Potenzials für eine kritisch-
emanzipative BNE.
In der Anlage der Workshops wurden explizit drei Herausforderungen, die u. a. von
Seggern (2019) als Hürden für eine Diffusion der BNE beschrieben wurden, in den Blick
genommen: 1) Umgang mit Komplexität der BNE; 2) Kontroversitätsgebot und Über-
wältigungsverbot, die das normative, gesellschaftliche und politische Leitbild der BNE
erfordert; 3) Herausforderung, aus dem Eingebundenseins in ein komplexes System das
bestehende System zu transformieren.
Um mit diesen drei Herausforderungen in der Lernbegleitung innerhalb der Work-
shops umzugehen, wurde das Prinzip der „safe space for vulnerability“ (Southern
2007, S. 333) aufgegriffen. Dabei wird für die Teilnehmenden ein geschützter Raum
geschaffen, in dem Unsicherheiten und Ängste angesprochen und dennoch Neues aus-
probiert werden kann. Mit Blick auf diese Herangehensweise sind experimentierende,
entdeckende, forschende, projektorientierte und selbstorganisierte Lernformate bedeut-
sam (Singer-Brodowski und Schneidewind 2014, S. 137; Rieckmann 2013, S. 13).
Für die Transformation der Welt hin zu sozialer und ökologischer Gerechtigkeit ist im
Bereich des Systemwissens eine Problemanalyse relevant, die der Frage nachgeht: „Wie
ist es in einem ökologischen System oder sozialem zum nicht nachhaltigen Status-Quo
gekommen?“ (Singer-Brodowski und Schneidewind 2014, S. 134). Im Kontext der
Transformative Literacy geht es um die Erweiterung der Wissensformen und ein Hinter-
fragen des dominierenden Wissenschaftsverständnisses, das von objektiven Natur-
gesetzen ausgeht (Singer-Brodowski und Schneidewind 2014, S. 134). Verschiedene
Lernformen, die sich daran orientieren, dass Lernende lernen, eigene Fragen zu stellen,
Vermutungen zu äußern und diese auf Basis von eigenen Forschungen zu überprüfen,
werden im deutschen Sprachraum als „forschend-entdeckender Unterricht“ und im
englischen Sprachraum unter „inquiry based learning“ subsumiert (Labudde und Börlin
2013, S. 184). Um in diesem Zusammenhang eine Überforderung durch Komplexi-
tät einerseits und einer Selbstüberschätzung andererseits zu verhindern (Gormally et al.
2009) und Lernende entsprechend ihrer Möglichkeiten an das inquiry based learning
heranzuführen, schlagen Bianchi und Bell (2008) vier Ebenen vor:
1) Confirmation Inquiry: Es wird eine Frage und ein Untersuchungsablauf vor-
gegeben, denen Lernende selbstständig nachgehen, die aber vor dem Hintergrund eines
feststehenden Ergebnisses nicht selbst interpretiert werden. 2) Structured Inquiry: Es
werden Frage und Untersuchungsablauf vorgegeben, allerdings interpretieren Lernende
66 A. Renger und J. Gröber
das Ergebnis ihrer Untersuchung selbstständig. 3) Guided Inquiry: Es wird eine Frage
präsentiert, zu deren Beantwortung die Lernenden selbstständig einen Untersuchungs-
ablauf planen. 4) Open Inquiry: Lernende überlegen, welche Frage sie zu einem
bestimmten Themengebiet interessiert und wie sie vorgehen können, um etwas über das
Thema bzw. die Frage herauszufinden. Ihre Ergebnisse können sie dann selbstständig
interpretieren (Bianchi und Bell 2008, S. 26–29).
Im sachunterrichtsdidaktischen Diskurs werden vier verschiedene Variationen
experimenteller Methoden für naturwissenschaftsbezogene Lernsettings aufgeführt,
die sich zum Teil an die Ebenen des forschenden Lernens anknüpfen lassen (Grygier
und Hartinger 2009, S. 13 ff.). 1) Als Versuche werden Lernsituationen verstanden, in
denen die Lernenden, unabhängig von einer Frage, einen vorgebenen Untersuchungs-
ablauf durchführen, diesen dokumentieren und erklären können. 2) Unter Experimenten
werden Lernsituationen verstanden, deren Ausgangspunkt eine Fragestellung und/oder
Vermutung der Lernenden ist, der sie in eigenständig geplanten Untersuchungen nach-
gehen können. Damit entspricht das Experiment nach Grygier und Hartinger (2009) dem
Guided-inquiry-Level, auf dem ebenfalls ausgehend von Fragestellungen eigenständige
Untersuchungen geplant werden können. 3) Als Laborieren werden experimentelle
Methoden bezeichnet, in denen sowohl Frage und Untersuchungsablauf vorgegeben
sind. Damit entspricht diese methodische Variation dem Structured Inquiry. Auf diesem
Level können die Lernenden auch vorgegebenen Fragen und Abläufen nachgehen. 4)
Unter Explorieren werden die Lernsituationen verstanden, in denen die Lernenden die
Möglichkeit haben, sich ohne vorgegebene Fragestellung und Untersuchungsabläufe frei
mit Materialien bzw. Themen zu beschäftigen. Das Explorieren entspricht durch diese
große Offenheit dem Open Inquiry.
6.4 Lernwerkstattarbeit
Reflexionsarbeit eröffnet werden. Hierfür sind z. B. Podcasts (Reder und Lukács 2018,
S. 20 ff) oder Stopmotion-Verfahren (Hoban und Nielsen 2014, S. 68–78) durch ihre
unkomplizierte technische Umsetzung besonders geeignet. Stopmotion-Verfahren, als
Aneinanderreihung einzelner Bilder zu einem Film, eignen sich außerdem gut in der
Lehrkräftebildung, um das eigene wissenschaftliche Verständnis zu verbessern und die
Art des Lernens zu erleben, die von zukünftigen Schüler*innen erwartet wird (Hoban
und Nielsen 2014).
Das Ökosystem Wald bietet sowohl als Lernobjekt als auch als Lernraum die Möglich-
keit, um sich mit den bestehenden Wechselwirkungen von den Baumkronen bis zu den
Wurzelspitzen im Boden auseinanderzusetzen (Nentwig 2004, S. 231).
In diesem Kontext wird oft auch der Wasserkreislauf thematisiert, wobei zumeist auf
ein vereinfachtes Modell des Wasserkreislaufs zurückgegriffen wird. In diesem verein-
fachten Modell wird der größte Teil der Luftfeuchtigkeit der Erde durch Verdunstung der
Ozeane beschrieben. Dabei kondensiert der aufsteigende Wasserdampf in den Wolken
und fällt als Regen zurück. Dieses Modell berücksichtigt jedoch nicht die Rolle der
Vegetation beim Wasserkreislauf. Die Bäume ziehen dabei Wasser für die Photosynthese
über ihre Wurzeln aus dem Boden und transportieren es bis in die Blätter, wo es als
Wasserdampf austritt (Transpiration). Durch die große Fläche der Blätter, gibt ein Wald
oft mehr Wasser in Form von Feuchtigkeit an die Luft ab als ein Gewässer mit gleicher
Verdunstungsfläche (van der Ent et al. 2010).
Seit 2007 besteht eine kontrovers diskutierte Theorie der biotischen Pumpe, wonach
die Wälder auf der Erde nicht nur als „Regenmacher“, sondern zusätzlich auch als
„Windmaschine“ fungieren (Makarieva und Gorshkov 2007). Die Lehrmeinung zur
Entstehung von Wind beruht auf unterschiedlichen Temperaturen in der Atmosphäre.
Dabei steigt warme Luft auf und senkt den Luftdruck unter der aufsteigenden warmen
Luft, wodurch eine Sogwirkung auf die umgebende kühlere Luft ausgeübt wird, die
dann aufgrund des Druckausgleichs einströmt und somit Wind entsteht. In ihrer Theorie
postulieren sie noch einen weiteren Prozess (Makarieva et al. 2013): Wenn der Wasser-
dampf über den Wäldern zu Wolken kondensiert, ändert sich der Aggregatzustand von
Wasser von gasförmig zu flüssig. Dadurch verringert sich nicht nur der Druck, sondern
Luft wird horizontal aus den Gebieten mit weniger Kondensation angesogen, sodass das
verdampfende Wasser über küstennahen Wäldern die Meeresbrise verstärkt und feuchte
Luft ins Landesinnere zieht. Dort kondensiert sie und fällt als Regen nieder. Befinden
sich im Landesinneren Wälder, wird dieser Kreislauf immer weiter fortgesetzt und der
Wind ins Landesinnere bewegt – eine biotische Pumpe.
6 Stopmotion als digitales methodisches … 69
Auf Basis der Grundlagen (Abschn. 6.1, 6.2 und 6.3) wurde folgende Workshopstruktur
entwickelt: Die drei Themenbereiche 1) Pflanzen, 2) Wasser und 3) Boden wurden
sowohl unter Verwendung der Variationen experimenteller Methoden als auch durch die
Anbindung an die vier Level of Inquiry fachdidaktisch angebunden und methodisch in
verschiedenen geöffneten Lernwerkstattsettings umgesetzt (Tab. 6.1).
Als ein Einstieg ins Thema wurde ein Filmausschnitt über die Waldbrände in
Brasilien gezeigt (Spiegel 2019) und das kontrovers diskutierte Modell der biotischen
Pumpe (Makarieva und Gorshkov 2007) vorgestellt. Anschließend hatten die Teil-
nehmenden die freie Wahl, mit welchen der drei bekannten Themenbereiche (Wasser,
Pflanzen, Boden) sie sich eingehender auseinandersetzen und diesen durch Stopmotion-
Filme mittels Tablets veranschaulichen wollen.
Nach einer ersten Orientierungs- und Informationsphase entschieden sich die Teil-
nehmenden aktiv für einen der Themenbereiche. In den Gruppen wurden nach erster
Orientierung zum Teil Arbeitsaufträge an einzelnen Personen verteilt. Teilnehmende mit
einem stärkeren Bezug zur Lernwerkstattarbeit sind nach einer Sichtung des Materials
sofort in die Erprobungsphase übergegangen und explorierten.
Im Themenbereich Boden war zu beobachten, dass sich die Teilnehmenden viel
Zeit zur Exploration des Tablets nahmen. Erst im Anschluss untersuchten sie die
verschiedenen Bodenproben sowohl mikroskopisch als auch auf ihre Wasserauf-
nahmekapazität und Wärmeleitfähigkeit. Im Themenbereich Pflanzen wurde der
Stopmotion-Film in allen Workshops am stärksten als Dokumentationsmethode ver-
wendet. In diesem Setting wurde das Laborieren protokolliert und versucht, einen inhalt-
lichen Bezug zur biotischen Pumpe herzustellen. Im Themenbereich Wasser wurden die
verschiedenen Materialien vom Lernbuffet u. a. dazu genutzt, mithilfe von Stopmotion
eine Geschichte über die Abholzung des Waldes und dessen Auswirkungen zu erzählen.
Bei der abschließenden Auswertungsphase wurde im Plenum sowohl über die
Grenzen und Potenziale von verschiedenen Öffnungsgraden der naturwissenschaft-
lichen Arbeitsweisen als auch über den Einsatz von Stopmotion-Filmen als Reflexions-
instrument diskutiert.
Im Ergebnis bietet der Einsatz von Stopmotion in dem hier vorgestellten Lernwerkstatt-
setting das Potenzial zur Erarbeitung und Dokumentation von komplexen fachwissen-
schaftlichen Zusammenhängen. Die bisher durchgeführten Workshops zeigten, dass
beim Laborieren mit geringem Öffnungsgrad (Structured Inquiry/Arbeitsplanmodell)
die entstandenen Stopmotion-Filme primär zur Dokumentation genutzt wurden. Beim
Explorieren in eher offenen Lernsettings (Open Inquiry/Werkstattmodell) wurden die
Stopmotion-Videos selbst zum explorativen Gegenstand und zur Kommunikation über
das eigene Wissen und die eigene Perspektive hinsichtlich BNE eingesetzt. Auch Vogt und
Maier (2014) zeigten, dass Lernende in einem Guided-Inquiry-Setting deutlich häufiger
Vorwissen zur Hypothesenbildung und Versuchsplanung einbrachten als Lernende
in einem Structured-Inquiry-Setting, was ihnen zufolge „eine kritische Auseinander-
setzung mit der Fragestellung begünstigen“ (Vogt und Maier 2014, S. 194f.) kann. Die
Öffnung von Lernsituationen in Kombination mit digitalen Dokumentationsverfahren im
Unterricht birgt somit Potenzial für ein kritisches Hinterfragen des Systemwissens bei
Lernenden im Kontext von BNE. Das könnte in weiteren Workshops untersucht werden.
6 Stopmotion als digitales methodisches … 71
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Klimaanpassung innovativ vermitteln –
Potenziale von mobilen Apps und 7
Serious Games für den Schulunterricht
Inhaltsverzeichnis
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Springer Nature 2022
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https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_7
76 F. Wankmüller et al.
Die Folgen des Klimawandels sind bereits heute deutlich spürbar – nicht nur weltweit,
sondern auch in Deutschland kommt es mit zunehmender Häufigkeit zu Extremereig-
nissen wie Starkniederschlägen, Dürren oder Hitzeperioden (adelphi/PRC/EURAC
2015). Mit den Klima- und Umweltveränderungen gehen damit verbundene Risiken für
den Menschen einher, wie beispielsweise Ernteverluste oder Hitzebelastung in Städten.
Um diesen entgegenzuwirken, werden zwei Strategien verfolgt: Klimaschutz zur
Reduzierung des Ausmaßes an Klimaveränderungen (Mitigation) und Klimaanpassung
zur Verringerung der Risiken durch die unvermeidbaren regionalen Folgen des Klima-
wandels (Adaptation). Sie bilden die beiden Säulen des klimapolitischen Handelns mit
dem Ziel einer widerstandsfähigen und nachhaltigen Gesellschaft (IPCC 2014).
Im Kontext einer schulischen Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) werden
bisher vor allem Inhalte zum Klimaschutz vermittelt (Bofferding und Kloser 2015; Foos
et al. 2014; Krasny und DuBois 2019). Folglich weisen Schüler*innen als zukünftig
handelnde Generation Defizite bei Wissen und Handlungskompetenzen im Bereich der
Klimaanpassung auf (Bofferding und Kloser 2015; Graulich et al. 2021; Schrot et al.
2019). Im Rahmen dieses Beitrags soll daher zu einer Integration des Themenfelds der
Klimaanpassung in den Schulunterricht beigetragen werden. Im weiteren Sinne ent-
spricht dies dem Sustainable Development Goal (SDG) zur Schaffung von Maßnahmen
zur Bekämpfung des Klimawandels und seinen Auswirkungen (SDG 13). Außerdem
wird zu einer hochwertigen Bildung zur nachhaltigen Entwicklung (SDG 4.7) bei-
getragen, die als Schlüssel zur Erreichung aller SDGs im UNESCO-Rahmenprogramm
„Education for Sustainable Development: Towards achieving the SDGs“ (kurz „BNE
2030“) hervorgehoben wird.
Im Rahmen einer hochwertigen Bildung wird in den Strategiepapieren der Kultus-
ministerkonferenz auch eine Digitalisierung der Schulbildung gefordert und gefördert.
Dies wird zusätzlich verstärkt durch die Erfahrungen aus der aktuellen COVID-19-
Pandemie. Der Einsatz von innovativen digitalen Lerntools liegt daher auch in der
BNE nahe. Eine Beurteilung der Potenziale zweier interaktiver Lerntools zur Ver-
mittlung des Themenfelds der Klimaanpassung im schulischen Kontext ist Gegenstand
dieses Beitrags. Zunächst werden durch eine Sichtung und Rezeption bestehender
Literatur die wichtigsten Empfehlungen der Klimawandelkommunikation (Climate
Change Communication) für die Vermittlung von Wissen und zur Förderung von
Kompetenzen zur Klimaanpassung zusammenfassend dargestellt. Im Anschluss werden
diese Empfehlungen die Anwendung von digitalen Lerntools im schulischen Kontext
beleuchtet. Mobile Apps und digitale Serious Games stellen dabei innovative Lerntools
dar, deren Wirksamkeit bei der Wissensvermittlung vielfach gezeigt wurde (Boyle et al.
2016; Crompton et al. 2016; Zhonggen 2019). Daraus ergeben sich folgende zentrale
Leitfragen, welchen im Rahmen des Beitrags nachgegangen werden soll: In welchem
Maß eignen sich mobile Apps und digitale Serious Games für die Vermittlung von Fragen
zur Klimaanpassung? Welche Potenziale, aber auch Grenzen zeigen die Tools bei der
Förderung von Wissen und Kompetenzen zur Klimaanpassung?
7 Klimaanpassung innovativ vermitteln … 77
Abb. 7.1 Überblick der Herausforderungen bei der Vermittlung von Fragen zur Klimaanpassung
(grau) und entsprechende Lösungsansätze. (grün). (Eigene Darstellung)
78 F. Wankmüller et al.
Mobile Apps sind aus der alltäglichen Lebenswelt, beispielsweise beim Überprüfen des
Wetterberichts, der Navigation oder der Kontaktaufnahme mit Freund*innen, nicht mehr
wegzudenken. Unter mobilen Apps (aus dem Englischen „application“ für Anwendung)
werden Anwendungssoftwares für mobile Endgeräte wie Smartphones oder Tablets ver-
standen. Im Folgenden werden die Herausforderungen und Potenziale von mobilen Apps
für die Vermittlung von Fragen zur Klimaanpassung vorgestellt.
In der schulischen Bildung finden Apps immer häufiger Anwendung (Crompton et al.
2016). Unter dem Sammelbegriff Mobiles Lernen (oder M-Learning) werden Lehr- und
Lernprozesse zusammengefasst, in denen mobile Computer- und Telekommunikations-
technologie zum Einsatz kommen, die speziell auf mobile Endgeräte angepasst sind
(Bartelsen 2011). Mobiles Lernen ist somit als Erweiterung des E-Learnings zu ver-
stehen (Döring und Mohseni 2018). Wenn ein konkreter Ortsbezug hinzukommt, wird
von mobilem, ortsbezogenem Lernen gesprochen (Lude et al. 2013).
Der Einsatz von mobilen Apps im Unterricht geht mit Herausforderungen, sowohl
für Schüler*innen als auch Lehrkräfte, einher. So wird beispielsweise auf Plagiats-
oder Ablenkungsmöglichkeiten beim Lernen mit mobilen Apps für Schülerinnen hin-
gewiesen (Döring und Mohseni 2018). Außerdem wird die Unterrichtsvorbereitung
durch fehlende technische Ausstattung an deutschen Schulen (Eickelmann et al. 2019)
und schwer zugängliche methodisch-didaktische Konzepte erschwert (Leuders 2019).
Des Weiteren wird beim Lernen mit der mobilen App bei den Schüler*innen die Fähig-
keit zum kritischen Denken weniger stark gefördert (Heflin et al. 2017) und eine
geringer ausgeprägte emotionale Beziehung der Schüler*innen zum Erlernten festgestellt
(Crawford et al. 2017). Dem entgegen stehen der Spaß am Lernen, der Lernerfolg und
die Lernmotivation, die mit mobilen Apps zumeist positiv beeinflusst werden (Crawford
et al. 2017; Crompton et al. 2016). Im Unterricht kann zusätzlich eine Verknüpfung des
klassischen Lernens mit der digitalen Lebenswelt der Schüler*innen gelingen, in der das
Smartphone mittlerweile fester Bestandteil ist (Montiel et al. 2020). Ein weiterer Vorteil
von mobilen Apps liegt in der Portabilität der Endgeräte, welche ein zeit- und ortsun-
gebundenes Lernen ermöglicht (Crompton et al. 2016).
80 F. Wankmüller et al.
7.3.2 Wie lassen sich mobile Apps für die Vermittlung von Fragen
zur Klimaanpassung nutzen?
Mobile Apps werden bereits beim formellen und informellen Lernen eingesetzt
(Crompton et al. 2016). Auch für die Klimabildung (Climate Change Education) wird
das Potenzial der unterstützenden Tools erkannt (Hiller et al. 2019; Leuzinger et al.
2019; Lude et al. 2013). Bislang stehen im Klimabildungskontext bereits Apps zur Ver-
fügung, von denen der Großteil jedoch den Klimaschutz in den Vordergrund stellt (z. B.
Klima°TRAX, BEATt3°, uRnature). Im Folgenden werden die Potenziale von mobilen
Apps hinsichtlich der oben genannten Vermittlungsempfehlungen für die Klima-
anpassung diskutiert.
Da die Anpassung an den Klimawandel regionalspezifisch ist, sollten mobile Apps,
wie im ersten oben aufgeführten Aspekt genannt, einen Lebenswelt- und Ortsbezug
(1) herstellen. Es zeigt sich hierfür großes Potenzial durch die Portabilität der End-
geräte (Crompton et al. 2016). Eine Möglichkeit für den Ortsbezug besteht beispiels-
weise darin, festgelegte Wege für Führungen z. B. in Stadtparks (Crawford et al. 2017)
oder Museen (Reynolds et al. 2010; „guides tours“) zu definieren und das Smartphone
dabei als digitales Hilfsmittel für Zusatzinformationen zu verwenden. Solche digitalen
Führungen mit mobilen Apps stehen außerhalb des Klimawandelkontexts bereits zahlreich
zur Verfügung. Eine weitere Möglichkeit für einen Ortsbezug bieten GPS-Sensoren, die
Informationen regionsspezifisch liefern oder nutzergenerierte Inhalte („user-generated
content“) mit Ortsbezug ermöglichen können (Kimmig et al. 2016). Wird die regionale
Bedeutung von Anpassungsmaßnahmen verdeutlicht, können die Schüler*innen an den
ihnen bekannten Orten zum Mitgestalten angeregt werden.
Interaktions- und Partizipationsmöglichkeiten (2) für Schüler*innen im Unterricht
können auf verschiedene Art und Weise durch den Einsatz von mobilen Apps gefördert
werden. Beispielsweise können die Schüler*innen sich über einen Chat oder Gruppen-
aufgaben austauschen (Kawas et al. 2019). Durch die Ortsunabhängigkeit der Apps
können sie dabei auch mit der Umwelt interagieren werden, indem beispielsweise vor
Ort nutzergenerierte Inhalte durch die Schüler*innen erstellt werden (Kimmig et al.
2016). Mobile Apps können auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Schüler*innen
gezielt auf ihre Umwelt lenken. Kawas et al. (2019) stellen die Beobachtung der
unmittelbaren physischen Umgebung und die sensorische Interaktion mit ihr als wichtige
Elemente für eine Lern-App heraus. Zur Unterstützung einer aktiven Partizipation der
Schüler*innen können durch die App Tipps für ein klimaangepasstes Handeln im All-
tag (z. B. als Maßnahmenkatalog) geliefert werden (Hiller et al. 2019). Hierbei können
Apps beispielsweise Hinweise zu Bürger*innenaktionen zum Gießen von Stadt-
bäumen in trockenen Sommern oder Initiativen zur Bekämpfung der invasiven und
allergenen Pflanze Ambrosia liefern. Gerade diese gegenseitige Ergänzung realer und
digitaler Erfahrungen ermöglicht es den Schüler*innen, sich die komplexe Wirklichkeit
erschließen zu können (Siegmund et al. 2013).
7 Klimaanpassung innovativ vermitteln … 81
Serious Games sind an der Schnittstelle zwischen Spielen und Lernen einzuordnen und
sollen spielend zum Lernen motivieren (Reckien und Eisenack 2013). Hierzu können
sowohl einfache Rätsel oder Simulationstools, als auch komplexere Abenteuerspiele
gehören. Im Folgenden werden ausschließlich digitale Lernspiele adressiert. Die Idee
dieser Spiele ist nicht neu, gewinnt jedoch durch die Digitalisierung zunehmend an
Bedeutung (Moizer et al. 2019), wodurch eine Diversifizierung von Lernspielen erwartet
wird (Willenbacher et al. 2017). Der spielerische Lernprozess mit digitalen Lernspielen
wird unter der Lernmethode des Digital Game-based Learning zusammengefasst (Gros
2007).
82 F. Wankmüller et al.
7.4.2 Lassen sich Serious Games für die Vermittlung von Fragen
zur Klimaanpassung nutzen?
Derzeit werden Serious Games im Bereich der Klima- und Umweltbildung ein-
gesetzt (Quandt und Breuer 2013; z. B. StadtWasserFluss, Keep Cool mobil, Wasser-
management im Klimawandel). Die Klimaanpassung ist hingegen bisher nur selten
Gegenstand von digitalen Lernspielen (Gampell et al. 2020; Reckien und Eisenack
2013). Im Folgenden werden daher die Potenziale von Serious Games hinsichtlich der
erarbeiteten Punkte für eine gelingende Vermittlung von Fragen zur Klimaanpassung
geprüft (Quandt und Breuer 2013).
In einer vertrauten Spielwelt, die den Spielenden an seine bekannte Umwelt erinnert,
kann ein Lebenswelt- und Ortsbezug (1) für die Jugendlichen zu der Thematik her-
gestellt werden. Der persönliche Bezug kann hierbei durch die Thematisierung von
lokal relevanten Anpassungsmaßnahmen oder individuell wählbaren Spielorten ent-
stehen (Bofferding und Kloser 2015). Ein meist kleinskaliges Spielsetting in Serious
Games hebt die lokale Relevanz bei der Vermittlung von Anpassungsmaßnahmen hervor
(Ouariachi et al. 2017). In dieser übersichtlichen Umgebung können Schüler*innen
interagieren und partizipieren (2). Die Interaktionen beim Spielen von digitalen Lern-
spielen sind meist auf digitale Begegnungen mit fiktiven Charakteren beschränkt. Das
7 Klimaanpassung innovativ vermitteln … 83
Lernen im Serious Game geschieht daher durch das Beobachten und indirekte Erleben
(Bösche 2014; Wachinger et al. 2013) und weniger durch einen aktiven Austausch mit
Mitschüler*innen. Dabei kann kein direkter Bezug zur analogen Umwelt hergestellt,
jedoch die Selbstwirksamkeit der Schüler*innen durch digitale Erfahrungen gestärkt
werden. So kann durch das Wissen zu Möglichkeiten der Anpassung und das visuelle
Erleben der Wirksamkeit dieser Maßnahmen zum eigenen praktischen Handeln angeregt
werden.
Da das Lernen durch Beobachten und indirektes Erleben bei digitalen Darstellungen
genauso funktioniert wie in der analogen Welt (Bösche 2014; Wachinger et al. 2013),
ist die Visualisierung und Animation (3) des Klimawandels und der Anpassungsmög
lichkeiten von großer Bedeutung. Hierfür bieten Serious Games zahlreiche Möglich-
keiten, wie beispielsweise eine dreidimensionale Darstellung oder animierte Elemente.
Diese lassen das Spiel lebendig wirken und machen potenzielle Auswirkungen von
Anpassungsmaßnahmen für die Schüler*innen realistisch erfahrbar (Caserman et al.
2020; Wachinger et al. 2013). In diesem Zusammenhang lassen sich auch Veränderungen
der prognostizierten Zukunft darstellen. Die Visualisierungen können demnach schwer
zu greifende Sachverhalte selbstwirksam erfahrbar machen und schließlich zum
Handeln anregen (Gampell et al. 2020). Dabei können die komplexen Inhalte der Klima-
anpassung im Sinn der didaktischen Reduktion vereinfacht dargestellt werden. Die
Visualisierungsmöglichkeiten eines Serious Game bieten demnach einen frei gestalt-
baren Erfahrungsraum für Schüler*innen, der sich besonders für das lokale Erleben von
Klimaanpassungsmaßnahmen zu eignen scheint (Bösche 2014).
Die Thematisierung der Klimaanpassung erfordert einen systemischen Überblick
(4), da hier zahlreiche Disziplinen und Akteur*innen beteiligt sind, z. B. politische
oder ökologische Vertreter*innen (Neset et al. 2020). Für eine entsprechende multi-
perspektivische Betrachtung eignet sich die vereinfachte Spielwelt mit fiktiven
Charakteren, in die die Schüler*innen eintauchen können (Handgraaf et al. 2013). Hier-
bei können Akteur*innen der Klimaanpassung als neue Botschafter*innen angehört
werden und entsprechende Narrative implizit vermitteln. Die Schüler*innen können in
Rollenspielen und Dialogen (politische) Entscheidungen, Kompromisse oder Konflikte
verfolgen (Neset et al. 2020) und bekommen ein Gefühl für die Bedürfnisse ver-
schiedener Interessensgruppen. Ein besonderes Potenzial für die Identifikation mit
anderen Akteur*innen liegt in Multiplayerspielen. Dabei können Spielende zeitgleich aus
gewählten Perspektiven spielen. Das Nachvollziehen von verschiedenen Perspektiven
im Themenfeld der Klimaanpassung kann demnach als Stärke des Lernens mit Serious
Games gesehen werden.
Schließlich lassen sich sowohl die Visualisierung und Animation (3) als auch der
systemische Überblick (4) durch ein multiperspektivisches Erleben als besondere
Potenziale von Serious Games hervorheben. Auch wenn es aufgrund der seltenen
Nutzung von Serious Games zur Vermittlung der Klimaanpassungsthematik bis-
lang keine Studien zum Lernerfolg gibt (Willenbacher et al. 2017), scheinen die
Potenziale des Lerntools gerade in diesem Themenfeld vielversprechend. Es ist daher
84 F. Wankmüller et al.
Für eine gelingende Vermittlung von Fragen zur Klimaanpassung bedarf es schließlich
eines Lebenswelt- und Ortsbezugs (1) sowie einer Visualisierung und Animation (3)
der Thematik, die den Lernenden durch Interaktions- und Partizipationsmöglichkeiten
(2) einen systemischen Überblick (4) bieten kann. Auf Grundlage dieser Gesichts-
punkte haben sich Serious Games und mobile Apps als vielversprechend für eine
innovative Vermittlung im schulischen Kontext herausgestellt. Die beiden Lerntools
zeichnen sich dabei jeweils durch zwei Stärken aus: Mobile Apps weisen vor allem
Potenziale hinsichtlich des Lebenswelt- und Ortsbezugs (1) und der Interaktions- und
Partizipationsmöglichkeiten (2) auf. Serious Games eignen sich hingegen besonders
für die Visualisierung und Animation (3) der Klimaanpassungsthematik sowie für einen
systemischen Überblick (4) in einer vereinfachten digitalen Spielwelt. Die Stärken der
beiden Lerntools in der inhaltlichen Vermittlung zur Klimaanpassung sind in Abb. 7.2
zusammenfassend dargestellt.
Die Integration von Fragen der Klimaanpassung in den Schulunterricht mit den
beschriebenen interaktiven Lerntools setzt eine Digitalisierung des Unterrichts voraus.
Dafür bedarf es sowohl der Weiterbildung von Lehrkräften als auch einer entsprechenden
technischen Ausstattung der Schulen. Beide Aspekte werden bereits im Zuge der
„Beschleunigung der Digitalisierung des Unterrichts“ in einer Vereinbarung zwischen
Bund und Ländern gefördert (KMK 2017). Des Weiteren ist die Arbeit mit innovativen
Lerntools angemessen in den Schulunterricht einzubetten, verbunden mit einer inhalt-
lichen und technischen Einführung, Begleitung während der Nutzungsphase und Raum
für anschließende Reflexion (Bartsch und Schaal 2014; Leuders 2019). Durch die im
Vergleich zum Klimaschutz geringe Integration der Klimaanpassung in die schulischen
Rahmenpläne (BMU eingereicht; Foos et al. 2014), mangelt es bisher an entsprechenden
methodisch-didaktischen Unterrichtskonzepten. Auch fehlen bislang, beispielsweise
im Rahmen von Modellprojekten, entsprechende Apps und Serious Games in diesem
Themenfeld (Chakravarty 2017; Gampell et al. 2020; Petko 2008). Hierfür werden
passende Anwendungen für den schulischen Einsatz in der Abteilung Geographie –
Research Group for Earth Observation (rgeo) an der Pädagogischen Hochschule Heidel-
berg entwickelt. Finanziert vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft
Baden-Württemberg wird hier eine mobile App zum Thema Klimaanpassung im Projekt
„Klim:ReAction – Dem Klimawandel vor Ort begegnen“ entstehen. Ein thematisch
entsprechendes Serious Game ist Gegenstand des Projekts „Kli:b – dem Klimawandel
interaktiv begegnen“, das vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare
7 Klimaanpassung innovativ vermitteln … 85
Abb. 7.2 Vier Empfehlungen für die Vermittlung von Aspekten der Klimaanpassung (grün) und
entsprechende Potenziale von mobilen Apps und Serious Games als Lerntools in der digitalen
Bildung. (blau). (Eigene Darstellung)
Sicherheit und Verbraucherschutz gefördert wird. Diese beiden Lerntools können als
ein wichtiger Beitrag zu einer innovativen Vermittlungsform zur Klimaanpassung im
schulischen Kontext gesehen werden. Dabei gilt es, die hier dargelegten Potenziale in der
Praxis zu prüfen. Auf diesem Weg sollte das Thema der Klimaanpassung verstärkt Ein-
zug in den Schulunterricht und andere Bildungskontexte der BNE erhalten (Foos et al.
2014; Lutz et al. 2014). Zukünftige Risiken, wie sie im Zusammenhang mit dem Klima-
wandel auftreten, verlangen neue Vermittlungsmethoden, die in diesem Beitrag hinsicht-
lich ihrer Herausforderungen und Potenziale reflektiert wurden.
86 F. Wankmüller et al.
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„Klimaanpassung in der Stadt auf
den Weg bringen“ – Themen der 8
nachhaltigen Entwicklung über die
Exkursionsapp „Biparcours“ erfahrbar
machen
Inhaltsverzeichnis
8.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
8.2 Klimaanpassung als Beitrag für die Bildung für nachhaltige Entwicklung. . . . . . . . . . . . . 92
8.3 Digital gestützte Exkursionen als Teil der Bildung für nachhaltige Entwicklung. . . . . . . . 94
8.4 Biparcours . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
8.5 Praxisbeispiel: Biparcours „Klimaanpassung in Dortmund-Hörde“. . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
8.6 Diskussion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 91
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92 H. Schmalor et al.
8.1 Einleitung
Der Klimawandel ist auch in Deutschland längst angekommen. Zu den Folgen zählen
in Mitteleuropa vielerorts eine Häufung und Intensivierung von Extremwetterereignissen
wie Starkregen und Hitzewellen (Rahmstorf und Schellnhuber 2019, S. 68 f.). So haben
sich Hitzewellen in Mitteleuropa beispielsweise zur größten Naturgefahr im Hinblick
auf die Todeszahlen entwickelt (Kunz-Plapp 2018, S. 20). Nach Modellrechnungen von
Watts et al. (2020, S. 8) sind in Deutschland 20.200 Todesfälle auf den Hitzesommer
2018 zurückzuführen. Auch die Starkregenereignisse im Jahr 2021 haben in Deutsch-
land vielerorts zu materiellen Schäden und Todesopfern geführt. Insbesondere im
urbanen Raum, der oftmals als „Hotspot des Klimawandels“ (Krellenberg 2017, S. 190)
bezeichnet wird, kommt es aufgrund der baulichen Strukturen und stadtklimatischen
Gegebenheiten zu einer Verstärkung der Folgen des Klimawandels. Durch eine fort-
schreitende weltweite Verstädterung steigt zudem die Anzahl potenziell gefährdeter
Personen (UN DESA 2019). Daher gilt es insbesondere im städtischen Umfeld
Maßnahmen zur Reduzierung der Vulnerabilität zu ergreifen, indem eine Anpassung an
die Folgen des Klimawandels vorgenommen wird.
Die Klimaanpassung stellt einen zentralen Bestandteil der Bildung für nachhaltige
Entwicklung (BNE) dar und kann beispielsweise über die Lehrer*innenausbildung in der
Gesellschaft implementiert werden. Ein besonderes Potenzial verschiedene Handlungs-
optionen vor Ort aufzuzeigen und zu diskutieren, könnte in digitalen Tools liegen. Ein
Beispiel hierfür stellt die App „Biparcours“ vom Bildungspartner NRW dar, die für die
Durchführung digital gestützter Exkursionen bereitgestellt wird. Im folgenden Beitrag
soll daher der Fragestellung nachgegangen werden, inwiefern sich die App für die Ver-
mittlung der Thematik Klimaanpassung im Kontext der BNE nutzen lässt.
Der Klimawandel verfügt laut Schönwiese (2019, S. 110) über einen langen „Bremsweg“,
sodass aktuelle Klimaschutzmaßnahmen die gegenwärtigen Auswirkungen des Klima-
wandels nicht unterbinden, sondern wahrscheinlich erst in mehreren Jahrzehnten ihre
volle Wirkung zeigen. Auch bei einem sofortigen Stopp aller Treibhausgasemissionen
werden eine weitere Erwärmung und daraus resultierende Folgen des Klimawandels noch
für Jahrhunderte auftreten (IPCC 2021, S. 29). Aus diesem Grund geht es dem deutschen
Klimaforscher Joachim-Hans Schellnhuber zufolge darum, „das Unvermeidbare zu
beherrschen“ (Endlicher 2007, S. 119). Hierfür ist eine Anpassung an den Klimawandel
notwendig. Unter einer Klimaanpassung (Adaption) ist der „Prozess der Ausrichtung
8 „Klimaanpassung in der Stadt auf den Weg bringen“ … 93
auf das tatsächliche oder erwartete Klima und dessen Auswirkungen [zu verstehen]. In
Systemen des Menschen ist Anpassung darauf gerichtet, Schäden zu vermindern oder zu
vermeiden oder vorteilhafte Möglichkeiten zu nutzen“ (IPCC 2014, S. 126). Beispiele
für strukturelle Anpassungsmaßnahmen sind der Ausbau von grüner und blauer Infra-
struktur, die Schaffung von Luftleitbahnen und Retentionsräumen, die Renaturierung
von Gewässern, eine Flächenentsiegelung sowie eine Verschattung und die Isolierung
von Gebäuden. Hinzu kommen vielfältige individuelle verhaltensbezogene Maßnahmen.
Angesichts der Gefahren durch Extremwetterereignisse kommt Anpassungsmaßnahmen
bereits in der Gegenwart und der näheren Zukunft eine große Rolle bei der Risiko-
minderung zu (IPCC 2014, S. 80f.).
Die Potenziale zur Anpassung variieren jedoch stark nach örtlichen Gegebenheiten
(IPCC 2014, S. 67). Lokale Akteure spielen bei der Umsetzung aus diesem Grund eine
große Rolle, sodass immer mehr Kommunen eigene Klimaanpassungskonzepte erstellen
(MULNV 2020, S. 28). Bohle (2008, S. 437f.) sieht die Entwicklung der Resilienz
einer Gesellschaft als einen lokalen partizipatorischen Prozess, der gemäß den Grund-
prinzipien der Nachhaltigkeit im Sinn eines Bottom-up-Prinzips initiiert werden muss.
Der Deutsche Städtetag (2019, S. 9) weist daher darauf hin, dass die Bevölkerung
„für klimabezogene Schadenslagen und entsprechende präventive Maßnahmen zu
sensibilisieren und in ihrer Selbsthilfefähigkeit zu stärken“ ist. Für die Umsetzung ist
folglich die Förderung von Handlungskompetenz notwendig, was laut Hufschmidt und
Dikau (2013, S. 8ff.) vor allem durch Schulen und Universitäten erfolgen sollte. Die Ent-
wicklung der Handlungskompetenz in der Bevölkerung wird u. a. von de Haan (2008,
S. 33) im Rahmen einer BNE als Teilkompetenz der Gestaltungskompetenz ausgewiesen.
Dass die Thematik Klimaanpassung als zentraler Lerninhalt von BNE vorgesehen ist,
zeigt sich weiterhin in der UNESCO Roadmap, in der sowohl auf den Klimawandel als auch
auf die Katastrophenvorsorge als zentrale Lerninhalte verwiesen wird (DUK 2014, S. 12).
Aktuell wird der Beitrag der Klimaanpassung für eine nachhaltige Entwicklung in den
Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen herausgestellt. Dort findet
sich die Thematik etwa im Bereich „Climate Action“ in den SDG 13.1 und 13.3 wieder,
in denen eine Stärkung der Resilienz in Bezug auf klimabezogene Naturrisiken gefordert
wird. Auch im SDG 11 „Sustainable Cities and Communities“ wird das Ziel ausgewiesen,
Städte sicherer und resilienter gegenüber Naturgefahren zu gestalten (UN 2015, S. 24f.). Die
Behandlung der Thematik Klimaanpassung im Unterricht erscheint aber nicht nur aufgrund
der Verankerungen in politischen Programmen, sondern auch aus lernpsychologischer Sicht
sinnvoll. So zeigte u. a. die Shell-Studie auf, dass der Klimawandel in Deutschland zu den
Themen zählt, die Jugendlichen am meisten Sorgen bereiten: 65 % der befragten Jugend-
lichen im Alter von 15 bis 25 Jahren gaben an, dass der globale Klimawandel ihnen Angst
bereite. Damit wird der Klimawandel von den Jugendlichen mit größerer Sorge beobachtet
als Themen wie Armut oder der Arbeitsplatzverlust (Schneekloth und Albert 2019, S. 57).
94 H. Schmalor et al.
Für das MOL eignen sich Geräte, die über eine Standort-, Navigations- und
Visualisierungsfunktion verfügen, damit raumbezogene Inhalte verortet und medial auf-
bereitet werden. Besonders das Smartphone besitzt umfassende technische Möglich-
keiten, die auf geographischen Exkursionen verwendet werden können. Dazu zählen
beispielsweise Kartenwerke, die GPS-Funktion sowie Kameras oder Audiosensoren,
die als traditionelle Exkursionsgegenstände innerhalb eines Medienträgers vereint
werden (Feulner 2020, S. 23). Generell eignen sich Smartphones für digital gestützte
Exkursionen mit Lehramtsanwärter*innen, da diese in der Altersgruppe von 18 bis 34
in etwa 98 % der Haushalte vorzufinden sind und somit Alltagsgegenstände darstellen
(Statistisches Bundesamt 2018, S. 25). Nach Birkelbach et al. (2018, S. 11f.) hat die vor-
zeitige Auseinandersetzung von Lehrkräften mit digitalen Medien einen positiven Ein-
fluss auf die spätere Lernleistung der Schüler*innen im Unterricht, sodass es notwendig
ist, „schon in der Lehrer*innenausbildung anzusetzen und den kompetenten Umgang mit
digitalen Medien zu fördern“.
8.4 Biparcours
Als Plattform der digital gestützten Exkursion fungiert die Smartphone-App „Biparcours“,
die auf den technischen Grundlagen der App „Actionbound“ basiert, jedoch für Bildungs-
angebote in Nordrhein-Westfalen kostenlos nutzbar ist (Hiller et al. 2019, S. 17). Über den
Internetauftritt Biparcours (www.biparcours.de) ist es registrierten Nutzer*innen mög-
lich, per Webbrowser eigene Biparcours zu erstellen. Die eigentliche Durchführung der
Exkursion findet hingegen über die für iOS und Android frei verfügbare zugehörige Smart-
phone-App statt.
Die Raumerkundung wird durch die in Smartphones integrierte GPS-Funktion unter-
stützt, sodass die Teilnehmer zu verschiedenen Standorten navigieren können. Dabei ist es
möglich, die Navigation über eine Karte mit Live-Standort und Zielort oder einen Kompass
mit Entfernungsangaben durchzuführen. An den verschiedenen Standorten können über
unterschiedliche mediale Zugänge (z. B. Audios, Grafiken, Texte, Videos) Informationen
aufbereitet werden. Über das Aufsuchen von Standorten und der Beantwortung von Auf-
gaben ist es den Nutzer*innen möglich, im Sinn der Gamification Punkte zu sammeln und
sich mit anderen Personen zu messen. Die Exkursionen können sowohl einzeln als auch
in Gruppen stattfinden. Durch das integrierte Punktesystem erhalten die Lernenden im
Gelände eine unmittelbare Rückmeldung. Nach der Erstellung des Biparcours kann zudem
auf die individuellen Antworten der Lernenden zurückgegriffen und so der Lernfortschritt
überprüft werden. Bei der Konzeption des Parcours kann ferner zwischen verschiedenen
abwechslungsreichen und interaktiven Aufgabenformaten gewählt werden (z. B. Quiz-
formate, Zuordnungsaufgaben, Schätzfragen, Umfragen, Video-, Audio- und Texteingaben).
96 H. Schmalor et al.
Die im Folgenden vorgestellte digital gestützte Exkursion wurde für die Lehrer*innenaus-
bildung an der TU Dortmund für zukünftige Grundschul- und Förderschullehrer*innen
für das Fach Sachunterricht im Rahmen des Seminars „Regionale Erkundungen“ ent-
wickelt. Zur Vorbereitung des Biparcours wird den Studierenden einführende Literatur
zu den Themen „Städte im Klimawandel“ sowie „Klimaanpassungsmaßnahmen“ zur
Verfügung gestellt. Die Inhalte der aufzubereitenden Literatur werden vor Beginn der
Exkursion am ersten Standort durch die in Biparcours integrierten Funktionen „Frage“
oder „Aufgabe“ thematisiert. Das als Tagesexkursion ausgelegte Konzept ermög-
licht in dieser Form eine zeitlich flexible und somit studierendenfreundliche Durch-
führung. Die in Einzelarbeit durchführbare Raumerkundung stellt gerade in Zeiten der
Coronapandemie einen weiteren Vorteil dar.
Als Raumbeispiel wurde der Stadtbezirk Dortmund-Hörde ausgewählt, da hier bereits
im Jahr 2017 ein Klimaanpassungskonzept vorgelegt wurde, das zum Teil im aktuellen
„Masterplan integrierte Klimafolgenanpassung“ auf gesamtstädtischer Ebene integriert
wurde. Für den Biparcours wurde der Exkursionsraum auf die Bereiche Hörde-Zentrum
und PHOENIX See begrenzt. Aufgrund der räumlichen Gegebenheiten können in einem
übersichtlichen Exkursionsgebiet verschiedenste Inhalte der Klimaanpassung, wie die
Emscherrenaturierung, die Umnutzung ehemaliger Industrieflächen, verdichtete Innen-
stadtbereiche, der Hochwasserschutz und die Naherholung thematisiert werden.
Die dargestellte Exkursionseinheit, die über den QR-Code gestartet werden kann,
umfasst insgesamt 18 Standorte, die sich auf einer ungefähren Wegstrecke von 8 km ver-
teilen (Abb. 8.1). Für die Absolvierung des Biparcours wird eine ungefähre Zeitdauer
von 4 bis 5 Stunden veranschlagt. Innerhalb der weiteren Auseinandersetzung kann
Abb. 8.1 als räumliche Orientierung im Exkursionsgebiet herangezogen werden.
Mithilfe der Navigationsfunktion der App werden die einzelnen Standorte in chrono-
logischer Reihenfolge erkundet. Start- und Zielpunkt ist der zentrale Marktplatz in
Dortmund-Hörde (genannt „Schlanke Mathilde“). Der Standort (❶) befindet sich in der
Nähe des Hörder Bahnhofs und ist somit gut mit dem ÖPNV und dem Auto erreichbar.
An dieser Station werden die Studierenden zu Beginn der Exkursion für die Thematik
der Klimaanpassung sensibilisiert. An den folgenden 16 Stationen werden anschließend
standortbezogene Informationen und Aufgabenstellungen zu den Schwerpunkten Hitze
und Starkregen erarbeitet. Zum Abschluss sollen die gewonnenen Erkenntnisse am
Marktplatz in Form einer handlungsorientierten Planungsaufgabe auf das konkrete
Raumbeispiel angewendet werden. Der Platz eignet sich als Start- und Zielort, da dort
bislang kaum Klimaanpassungsmaßnahmen umgesetzt wurden, sodass Missstände auf-
gezeigt und am Ende der Exkursion von den Studierenden Klimaanpassungsmaßnahmen
für das konkrete Raumbeispiel entwickelt werden können.
8 „Klimaanpassung in der Stadt auf den Weg bringen“ … 97
Abb. 8.2 Aufgabenbeispiele zu Station ⓭ (Zuordnung von Oberflächen nach ihrer Albedo; links)
und Station ⓰ (verhaltensbezogene Maßnahmen; rechts)
können zudem, wie im Fall von Standort ⓯, bei dem die Dortmunder Skyline von einem
Aussichtspunkt überblickt wird, zur Schulung der räumlichen Orientierung eingesetzt
werden. Dafür werden Himmelsrichtungen zugeordnet und verschiedene vorgegebene
Objekte, wie z. B. der Florianturm, in einem Bild räumlich verortet.
Ein eher konstruktivistischer Ansatz der Exkursionsdidaktik wird in Station ⓰
angewendet (Abb. 8.2). Hier werden im Sinn einer Rollenexkursion verschiedene
Perspektiven von besonders hitzegefährdeten Personen (Joggerin, Rentner, sonnende
Person) eingenommen. Durch den Perspektivwechsel sollen die Studierenden auch für das
eigene Handeln anwendbare verhaltensbezogene Maßnahmen gegenüber Hitze kennen-
lernen.
8 „Klimaanpassung in der Stadt auf den Weg bringen“ … 99
8.6 Diskussion
Der vorgestellte Biparcours ist als exemplarische Umsetzung zu verstehen, die als
Orientierungshilfe für die Erstellung von digital gestützten Exkursionen in anderen
Räumen mit Klimafolgenanpassungskonzepten genutzt werden kann. So können sowohl
Themenbereiche (z. B. klimagerechtes Bauen, blaue und grüne Infrastruktur, Räume
mit besonders hoher Hitzebelastung) als auch exkursionsdidaktische Aufgabenformate
(z. B. Spurensuche, Kartierung, Befragung, Rollenexkursion) übertragen werden. Die
Gestaltung eigener Parcours ist jedoch mit einem hohen Arbeitsaufwand verbunden. Eine
angemessene motivierende didaktische Gestaltung erfordert beispielsweise eine Ein-
bindung verschiedener Methoden, die eine Interaktion mit dem Raum und eine kognitive
Aktivierung der Teilnehmenden anregt. Bei der Gestaltung muss zudem berücksichtigt
werden, dass keine individuellen Rückfragen während der Durchführung des Parcours
gestellt werden können. Nach der Absolvierung des Biparcours bietet es sich daher an,
Inhalte sowie die didaktische Gestaltung der Exkursion mit den Teilnehmenden im Sinn
der Metareflexion kritisch zu diskutieren. Für die eigene Erstellung von Biparcours sei
auf das Projekt „ExpeditioN Stadt“ (https://expedition-stadt.de/forschung/) verwiesen,
bei dem Designprinzipien für digital gestützte Exkursionen formuliert werden. Bei
der Übertragung müssen vor allem die standortspezifischen Eigenschaften, z. B. unter
Zuhilfenahme des jeweiligen zugeschnittenen Klimaanpassungskonzepts, berücksichtigt
werden. Durch die flexiblen Anpassungsmöglichkeiten der App Biparcours können
zudem raumbezogene Exkurse, z. B. zu historischen Entwicklungen eines Standorts
(❿), eingebunden werden.
Die Funktionsweisen der App Biparcours ermöglichen insbesondere während der
Coronapandemie eine individuelle und zeitlich flexible Durchführung der Exkursion.
Limitiert wird die Einsatzfähigkeit der App möglicherweise durch die individuellen
technischen Voraussetzungen der genutzten Smartphones, z. B. Akkulaufzeit, Display-
helligkeit und GPS-Signal.
Der Biparcours kann einen Beitrag dazu leisten, bei den Studierenden einerseits die
raumbezogene Handlungskompetenz zur Thematik Klimaanpassung zu fördern und
andererseits didaktische Inhalte zu vermitteln, die es den Studierenden zukünftig ermög-
lichen, eigene digital gestützte Exkursionen zu Nachhaltigkeitsthemen zu planen und
durchzuführen. In diesem Sinn wird der von der Deutschen UNESCO Kommission
(2014, S. 20) geforderte Kompetenzaufbau von Lehrenden als „wirkungsvolle Change
Agents“ für die gesellschaftliche Etablierung von BNE umgesetzt. Inwiefern der ent-
wickelte Parcours auch aus Sicht der Teilnehmenden einen Beitrag zur Vermittlung
eines BNE-Themas wie der Klimaanpassung bietet, wird aktuell in einer empirischen
Evaluation untersucht.
100 H. Schmalor et al.
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März 2021
LELINA – Lern- und Erlebnislabor
Industrienatur: Praxisbeispiel für ein 9
Projekt an der Schnittstelle zwischen
Bildung für nachhaltige Entwicklung
und Digitalisierung
Inhaltsverzeichnis
9.1 Einleitung
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 103
Springer Nature 2022
J. Weselek et al. (Hrsg.), Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_9
104 J. Hohmann et al.
9.2 LELINA
Das Ruhrgebiet ist in seinem jetzigen Erscheinungsbild stark durch die Industrie-
geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts geprägt worden. Durch die Stilllegung von
Steinkohlenzechen, Kokereien, Stahlwerken und Gleisanlagen infolge mehrerer Wirt-
schaftskrisen und dem damit einhergehenden Strukturwandel fielen große Flächenareale
brach (Keil 2013, S. 157). Diese Brachflächen stellen nach Kasielke und Zepp (2017,
S. 3) eine landschaftsökologische sowie planerische Gegenwarts- und Zukunftsaufgabe
9 LELINA – Lern- und Erlebnislabor Industrienatur: Praxisbeispiel … 105
dar. Einige der Industriebrachen wurden durch die Schaffung von neuen Industrie- und
Gewerbegebieten, die Entwicklung von Dienstleistungs- und Logistikstandorten oder
den Bau von Wohnquartieren wirtschaftlich in Wert gesetzt. Andere Brachflächen und
Halden hingegen wurden durch Rekultivierungsmaßnahmen in regionale und inner-
städtische Grünzüge wie den Emscher Landschaftspark integriert. Beispiele dafür sind
die Kokerei Hansa und der Gleispark Frintrop (RVR 2014, S. 54ff.). Die sogenannte
Industrienatur zeichnet sich durch ihre besonders hohe Artenvielfalt aus. Daher ist sie
sowohl aus der Perspektive der Naherholung als auch aus der des Natur- und Arten-
schutzes bedeutsam (Knapp et al. 2016, S. 165). Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur
urbanen Biodiversität im Ruhrgebiet.
Die Zusammensetzung der Arten und deren Angepasstheit an die Gegebenheiten
des Standorts stellen eine Besonderheit im Vergleich zur Naturlandschaft fern von
Siedlungsräumen dar. So handelt es sich um teils neuartige Pflanzengesellschaften, die
in der Regel nicht in der Naturlandschaft anzutreffen sind (Schmitt und Gausmann 2020,
S. 39).
Für die hohe Artenvielfalt auf Industrienaturflächen lassen sich im Wesentlichen zwei
Gründe nennen. Zum einen weisen die Brachflächen eine hohe Standortdiversität auf.
Zwar haben Industriebrachen gemeinsam, dass natürliche Böden durch eine anthropo-
gene Überprägung fast vollkommen fehlen, die Ausgangssubstrate (z. B. Schlacken,
Bauschutt und Bergematerial) unterscheiden sich jedoch in ihren physikalischen und
chemischen Eigenschaften. So können zum Beispiel trockene und feuchte, nähr-
stoffreiche und -arme sowie basenreiche und -arme Standorte auf kleinstem Raum
nebeneinander existieren. Zum anderen begründet sich die große Artenvielfalt in der
Koexistenz verschiedener Sukzessionsstadien (Keil et al. 2007, S. 20f.). Diese ist auf das
zeitlich versetzte Brachfallen der Teilflächen sowie die unterschiedlichen Standorteigen-
schaften zurückzuführen.
Insbesondere Industriebrachen, die noch über großflächige Offenlandbiotope ver-
fügen, stellen wertvolle Lebensräume für eine Vielzahl gefährdeter und geschützter
Lebewesen dar (Schmitt und Gausmann 2020, S. 39). So lassen sich auf den Industrie-
naturflächen viele Arten nachweisen, die NRW- und bundesweit auf den Roten Listen der
gefährdeten Tier- und Pflanzenarten stehen (Keil 2013, S. 168f.). Da sich die ehemaligen
Industriestandorte vielfach durch einen extremen Nährstoff- und Wasserhaushalt aus-
zeichnen, setzt sich die Natur dort weitgehend aus hochspezialisierten Arten zusammen
(Knapp et al. 2016, S. 165). Dunkle Substrate wie Bergematerial oder Schlacken heizen
sich bei Sonneneinstrahlung stark auf und besitzen nur eine geringe Wasserspeicher-
kapazität. Daher siedeln sich vor allem in der Pionierphase viele gebietsfremde Pflanzen
an, die aufgrund ihrer morphologischen und physiologischen Anpassungen extreme
Standorteigenschaften tolerieren und daher auf Industrienaturflächen leben können
(Keil et al. 2007, S. 20). Zu diesen zählen beispielsweise der Klebrige Alant (Dittrichia
graveolens) oder der Unterbrochene Windhalm (Apera interrupta; Keil et al. 2021,
S. 43).
106 J. Hohmann et al.
Abb. 9.2 Standorte der Lern- und Erlebnislabore im Ruhrgebiet. (Eigene Darstellung, Geobasis-
daten: Land Nordrhein-Westfalen 2020)
9 LELINA – Lern- und Erlebnislabor Industrienatur: Praxisbeispiel … 107
In den vergangenen Jahren hat sich der Einsatz digitaler Medien zur Unterstützung von
Lernprozessen schnell weiterentwickelt und unterliegt einem ständigen technischen Fort-
schritt, der immer mehr Potenziale bietet, digitale Medien beim Lehren und Lernen zu
verwenden (Brehmer und Becker 2017, S. 1). Diese Entwicklung schafft auch für das
LELINA-Projekt viele Möglichkeiten, die Lernarrangements für die Schüler*innen
digital aufzubereiten.
Bereits vor der Durchführung der eigens konzipierten Lern- und Erlebnismodule auf
den Industrienaturflächen können die Lernenden einen E-Learning-Kurs absolvieren. In
diesem Kurs werden mithilfe der Lernplattform Moodle Gamification-Elemente genutzt,
um die Lernenden durch motivierende Spielelemente auf die Exkursion vorzubereiten (s.
M. Esterl und K.-H. Otto in diesem Band). Durch die Verknüpfung des mediengestützten
110 J. Hohmann et al.
Lernens und der Lernformen vor Ort handelt es sich hierbei um eine Form des Blended
Learning (Brehmer und Becker 2017, S. 1f.).
Zentrale Aspekte des Projekts sind das bewusste Erleben der Industrienatur und die
unmittelbare Begegnung mit der Industrienatur am jeweiligen Standort. Digitale Medien
wie z. B. eine Drohne, Tablets und diverse elektronische Umweltmessgeräte sollen
dabei als Hilfsmittel dienen (Abb. 9.3). Hierbei werden die im Projekt zur Verfügung
stehenden digitalen Elemente, mit deren Hilfe die Lernprozesse unterstützt werden, als
Netzwerk verstanden. Dementsprechend ist nicht das einzelne Gerät wichtig, sondern
der Verbund der verschiedenen Medien (Petko 2014, S. 17f.). Von zentraler Bedeutung
ist in diesem Zusammenhang außerdem, dass die verwendeten digitalen Medien den
Lernenden neue Möglichkeiten eröffnen und nicht nur analoge Medien ersetzen. Würden
sie ausschließlich diese Funktion besitzen, entstünde durch ihren Einsatz wenig Mehr-
wert (Petko 2014, S. 15). Im LELINA-Projekt werden digitale Medien daher nur ein-
gesetzt, wenn sie beispielsweise neue Aufgabenformate sowie Bearbeitungsweisen der
unterrichtlichen Inhalte bieten. Nach Brucker (2017, S. 64) können Medien, wie sie
in Abb. 9.3 zu sehen sind, Kommunikationsprozesse in Gang setzen und Handlungs-
möglichkeiten schaffen.
Neben Anknüpfungen an die Kernlehrpläne des Landes NRW für die verschiedenen
Schulformen werden auch Kompetenzen aus dem Medienkompetenzrahmen NRW
gefördert. Durch die Nutzung von Medien wie GPS-Anwendungen, digitalen Karten,
Tier- und Pflanzenbestimmungs-Apps sowie digitalen Messgeräten werden haupt-
sächlich Kompetenzen im Bereich „Bedienen und Anwenden“ des Medienkompetenz-
rahmens gefördert (Medienberatung NRW 2020, S. 13). Der Einsatz von (digitalen)
Medien sowie die mit ihnen gewonnenen Daten müssen jedoch mit den Lerngruppen
zusammen kritisch reflektiert werden. Nur so kann Medienkompetenz aufgebaut und ein
kritischer, verantwortungsvoller Umgang mit Medien erlernt werden (Medienberatung
NRW 2020, S. 4). Den neuen Anforderungen für das schulische Lernen kann außerdem
entsprochen werden, da die Lern- und Erlebnismodule des LELINA-Projekts auch den
Aufbau von Kompetenzen aus der von der Kultusministerkonferenz (KMK) 2016 fest-
gelegten Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ fördern. Die geförderten Kompetenzen
lassen sich hauptsächlich im Kompetenzbereich „Problemlösen und Handeln“
und genauer im Bereich „Werkzeuge bedarfsgerecht einsetzen“ verorten (KMK 2016).
Digitale Anwendungen dienen im Rahmen der Lern- und Erlebnismodule weiter-
hin dazu, einen Orientierungsrahmen für Lernende zu schaffen. Kontextualisierungen
werden u. a. mithilfe der App Biparcours durchgeführt, um den Lernenden Problem-
stellungen adressat*innengerecht zu verdeutlichen. So führen die fiktiven Charaktere
Luca, ein Kind aus dem Ruhrgebiet, und Lelina, die Kreuzkröte, vor allem jüngere
Lernende in die Lernsituation ein und motivieren sie, die Fläche eigenständig zu
erkunden und Aufgaben im Sinn des entdeckenden und forschenden Lernens zu lösen.
Die App unterstützt dabei das Aufsuchen der Stationen, stellt papierlos Aufgaben und
Hinweise für die Durchführung der Aufgaben an den Stationen bereit und kann direktes
Feedback zu den Arbeitsergebnissen geben.
9 LELINA – Lern- und Erlebnislabor Industrienatur: Praxisbeispiel … 111
9.6 Ausblick
Das Projekt LELINA bietet die Chance, digitale Medien unterstützend zur Umsetzung
eines hochwertigen Bildungsangebots (SDG 4) einzusetzen. Dabei können digitale
Medien als Werkzeuge zur Erschließung der Umgebung, als strukturierende Elemente
im Zuge von Arbeitsprozessen oder als Mittel zur Aufgabenbereitstellung sinnstiftend
genutzt werden. Zu beachten ist jedoch, dass nachhaltige Bildungsprozesse im Sinn einer
BNE nur dann generiert werden können, wenn ihr Einsatz fortlaufend kritisch reflektiert
wird. Auf diese Weise lassen sich Grenzen ihrer Möglichkeiten und damit verbundene
Fehlerquellen aufzeigen.
Da das LELINA-Projekt in der beschriebenen Form noch bis ins Jahr 2025 durch-
geführt wird, kann noch nicht belegt werden, ob der angenommene Lernerfolg bei den
teilnehmenden Lernenden eintreten wird. Eine abschließende Beurteilung kann dem-
entsprechend erst im Anschluss an das Projekt getroffen werden. Auf Grundlage der
Evaluation unterliegen die Module jedoch einem stetigen Überarbeitungsprozess, der
auch die Mediennutzung umfasst.
Literatur
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114 J. Hohmann et al.
Inhaltsverzeichnis
C. Bantle (*)
Fachbereich Landschaftsnutzung und Naturschutz, Hochschule für nachhaltige Entwicklung,
Eberswalde, Deutschland
E-Mail: christina.bantle@hnee.de
M. Jattke · S. Frei · M. Stucki
Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Zürcher Hochschule für Angewandte
Wissenschaften, Wädenswil, Schweiz
E-Mail: marleen.jattke@zhaw.ch
S. Frei
E-Mail: sabine.frei@zhaw.ch
M. Stucki
E-Mail: matthias.stucki@zhaw.ch
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 115
Springer Nature 2022
J. Weselek et al. (Hrsg.), Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_10
116 C. Bantle et al.
10.1 Einleitung
Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erfüllen und die globale Klimaerwärmung
auf unter 1,5 °C zu begrenzen, muss neben politischen Maßnahmen jede*r Einzelne
einen Beitrag leisten. Doch bei welchen Verhaltensweisen am besten angesetzt werden
soll, darüber herrscht weder in der Forschung noch in der Praxis Klarheit. Auch ist
ungeklärt, wie letztendlich erreicht werden soll, dass sich Menschen für den Klimaschutz
engagieren. Die Lücke zwischen Umweltbewusstsein und umweltbewusstem Handeln ist
groß – wie also können besonders effektive Verhaltensweisen zum Klimaschutz gefördert
werden? Als Ausbildungsstätten tragen Hochschulen Verantwortung für die Entwicklung
eines Wirtschafts- und Gesellschaftssystems, das die natürlichen Grenzen unseres
Planeten berücksichtigt (WWF 2019). Aufgrund dessen leistet das Projekt Klimaduell,
als Kooperation des Department Life Sciences and Facility Management (LSFM) der
Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) und der Hochschule für
nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE), einen Beitrag zur Beantwortung dieser
Fragen.
Die Umsetzung des Klimaduells nach dem Ansatz der Gamification hat zum Ziel,
die Gestaltungskompetenzen der Hochschulangehörigen auf spielerische Art zu fördern.
Mittels der Kommunikation eingesparter THG-Emissionen können Teilnehmende die
Klimarelevanz eigener Verhaltensweisen realistisch einschätzen. Im Sinn einer BNE
möchte das Klimaduell Hochschulangehörige durch die Ermöglichung von Selbstwirk-
samkeitserfahrungen in die Lage versetzen, langfristig nachhaltiges Verhalten umzusetzen.
Das Klimaduell wurde in einer Kooperation der ZHAW LSFM und der HNEE aus-
gearbeitet. Im Jahr 2016 schlossen beide Hochschulen einen Kooperationsvertrag, um
die internationale und interdisziplinäre Zusammenarbeit zu fördern. Im Hinblick auf
die stetig wachsende Bedeutung von komplexen gesellschaftlichen Herausforderungen
wie dem Klimawandel sind internationale Kooperationen von Hochschulen notwendig,
um diesen begegnen zu können (Hampel 2020). Zugleich wächst in Zeiten von Covid-
19 ein Bewusstsein für die Bedeutung von digitalen Hochschulkooperationen und
den Potenzialen, die sich daraus ergeben. Internationale Kooperationen von Hoch-
schulen können durch eine digitale Ausgestaltung intensiver und nachhaltiger gepflegt
werden (Hampel 2020). Die digitale Gestaltung kann daher einen wichtigen Beitrag zur
Skalierung von Internationalisierungsstrategien an Hochschulen leisten – Studierende,
Lehrende als auch Forschende profitieren gleichermaßen (Wannemacher 2016).
10.2.2 Gamification
Das Klimaduell folgt dem Konzept der Gamification, wobei spielerische Elemente
in einem spielfremden Kontext genutzt werden. Gamification-Ansätze gelten als
potenzielles Instrument, um das Interesse an Nachhaltigkeitsthemen zu steigern (Huber
and Hilty 2015). Es hat sich gezeigt, dass mittels spielerischer Formate neue Ziel-
gruppen erreicht werden können, deren Interesse an Nachhaltigkeit als gering eingestuft
wurde (Reisch and Bietz, 2007). Die Bildung von Communities, Wettbewerbe, soziale
Vergleiche und das damit verbundene Feedback zum Verhalten sind Ansätze, die dies
fördern (Huber and Röpke 2015; Schiele 2017).
Um ein nachhaltiges Handeln in der Bevölkerung zu fördern, wurden spielerische
Ansätze an der ZHAW bereits erfolgreich eingesetzt (Berger et al. 2014; Berger und
Schrader 2016; Jaisli et al. 2019). Es zeigte sich, dass Wissen allein nicht ausreicht, um
Verhaltensänderung zu bewirken; vielmehr benötigt es Interventionen, die auf die Selbst-
wirksamkeit und die persönliche Motivation abzielen (Berger und Schrader 2016). Das
Klimaduell wird daher vor dem Hintergrund der bestehenden Forschung im Bereich
118 C. Bantle et al.
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Abb. 10.1 Ausgewählte Elemente der Gamification (angepasst von Herbst et al. 2021, S. 8,
basierend auf Hamari et al. 2014). In grün dargestellte Elemente wurden im Klimaduell umgesetzt
10 Das Klimaduell – Gamification als Ansatz einer BNE … 119
Die ZHAW LSFM als Initiatorin des Klimaduells gab den Startschuss für das Projekt
Anfang 2020. Um bewerten zu können, welche Bereiche des Hochschulbetriebs die
größten Verursacher von THG-Emissionen darstellen und welche Klima-Challenges
somit besonders relevant sind, wurden für ZHAW LSFM und HNEE ökologische
Hotspotanalysen angefertigt. Diese basieren auf Ökobilanzen, die im Rahmen des Nach-
haltigkeitsberichts vom ZHAW Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen erstellt
120 C. Bantle et al.
wurden (Meier et al. 2019). Das Ergebnis der Hotspotanalyse zeigte, dass die größten
Verursacher von THG-Emissionen an beiden Hochschulen die Bereiche Energie und
Mobilität sind.
Auf Grundlage der Hotspotanalyse wurden Nachhaltigkeits-Challenges erarbeitet.
Hierzu wurde für jede Challenge eine Messgröße festgelegt, um die eingesparten THG-
Emissionen evaluieren zu können. Als Datengrundlage für die Berechnung der Ein-
sparung wurde pro Challenge eine Umfrage erstellt, die die Teilnehmenden nach deren
Abschluss ausfüllen können. Die Challenges reichten von „Cool down!“ (Einsparen von
Heizenergie) über „Mit dem Fahrrad unterwegs“ zu „Meat Lover“ (Fleischverzicht).
Sie zielten darauf ab, dass die Teilnehmenden innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens
bestimmte Verhaltensweisen ändern. Die Abb.10.2 zeigt beispielhaft den Infotext zur
Challenge „Cool down!“.
Abb. 10.2 Infotext der Webanwendung zur Klimaduell-Challenge „Cool down!“. (Eigene Dar-
stellung)
10 Das Klimaduell – Gamification als Ansatz einer BNE … 121
Als Ergebnis ihrer Projektarbeit und vorbereitend zum Startevent generierten beide
Gruppen diverse Produkte. Die Gruppe Öffentlichkeitsarbeit verfasste u. a. insgesamt
zehn Social-Media-Posts inklusive Videos, die über die Hochschulkommunikationsab-
teilung der HNEE verbreitet wurden. Die Klimaduellposts erreichten die höchste Like-
Rate der gesamten HNEE-Posts der vorausgegangenen Monate. Ergänzend machten die
Gruppenmitglieder z. B. durch Kontaktaufnahme mit studentischen Vertreter*innen aller
Studiengänge sowie Beiträgen in Lehrveranstaltungen auf das Klimaduell aufmerksam.
Mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit trug die Gruppe wirkungsvoll zu einer erhöhten Aufmerk-
samkeit für das Klimaduell bei. Zudem entwickelte die Gruppe die Challenge „Lass
Netflix & Co los!“ mit dem Aufruf, zwei Wochen das abendliche Streamen durch Lesen,
Spielabende in der WG etc. zu ersetzen (Gebhard et al. 2021).
Die Gruppe Veranstaltungsorganisation plante gemeinsam mit dem Team der
ZHAW LSFM den Ablauf des Startevents und konnte dafür prominente Referenten und
Botschafter akquirieren. Zudem organisierte sie insgesamt 14 Gruppen aus dem Umfeld
beider Hochschulen, die im Rahmen der Veranstaltung hochschulübergreifende, digitale
Workshops durchführten. Auch das Klimaduellfinale wurde von der Gruppe vorbereitet.
Die Gruppe entwickelte die Challenge „Ice, Ice Baby“ mit Aufforderung zum kalten
Duschen (Herbst et al. 2021).
Da das gesamte Klimaduell digital stattfand, entwickelten die Mitglieder der Gruppe
Veranstaltungsorganisation ergänzend analoge Incentives in Form klimafreundlicher
Produkte. Zusätzlich konnten sich die angemeldeten Personen zur Teilnahme an einer
hochschulübergreifenden Postkartenaktion anmelden, womit HNEE-Studierende und
Schweizer Studierende ihre Erfahrungen aus dem Klimaduell austauschen konnten.
Das Startevent und das Finale des Klimaduells wurden in Form zweier digitaler Ver-
anstaltungen durchgeführt. Am Online-Event zum Start des Klimaduells beteiligten
sich rund 175 Studierende und Mitarbeitende beider Hochschulen. Als Gastredner hielt
der Klimaforscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung Prof. Dr. Stefan
122 C. Bantle et al.
Rahmstorf einen Vortrag zur Klimakrise, um die Dringlichkeit zum Handeln zu verdeut-
lichen. Mit Peter Wohlleben (Autor), Dr. Eckart von Hirschhausen (Fernsehmoderator,
Arzt und Schriftsteller) und Prof. Dr. Urs Hilber (Leiter ZHAW Departement LSFM
und ZHAW-Beauftragter für Nachhaltige Entwicklung) konnten weitere prominente
Gastredner für das Klimaduell gewonnen werden. Abgerundet wurde das Event durch
14 interaktive Workshops zu Themen wie Achtsamkeit, Klimagerechtigkeit und klima-
gerechtes Balkongärtnern. Acht Wochen später wurde das Klimaduellfinale gefeiert.
Einen Rückblick auf das gesamte Klimaduell ermöglichte ein interaktiver Teil in Form
eines Quiz. Als Erinnerung an das Klimaduell wurde an beiden Hochschulen ein Baum
gepflanzt. Die Baumpflanzung konnte per Video verfolgt werden. Andrea Kostrowski
von der Klimawette gab Impulse, wie auch nach dem Klimaduell individuell das Klima
geschützt werden kann. Das Startevent sowie das Finale des Klimaduells wurden von
den Teilnehmenden beider Hochschulen sehr positiv bewertet.
An den Challenges des Klimaduells beteiligten sich 375 Personen. Der Wettbewerb
verlief ausgewogen – die ZHAW LSFM gewann mit acht erfolgreich durchgeführten
Challenges gegen die HNEE mit sechs gewonnenen Challenges. Dennoch konnte die
HNEE insgesamt mehr THG-Emissionen einsparen, da sie bei Challenges mit besonders
hohem Einsparpotenzial vorn lag. Insgesamt wurden während des Klimaduells THG-
Emissionen im Umfang von 2,3 t CO2-Äquivalenten eingespart.
Hinsichtlich Fragestellung 1 haben die Erfahrungen aus dem Klimaduell gezeigt, dass
sich Gamification grundsätzlich im Rahmen internationaler Hochschulkooperationen
zur Förderung umweltbewusster Verhaltensweisen eignet. Durch die Durchführung
spielerischer Maßnahmen konnten Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglicht und damit
Fähigkeiten gefördert werden, sich umweltschonend zu verhalten. In einer Umfrage
zum Abschluss des Klimaduells gab der Großteil der Teilnehmenden an, durch die
Teilnahme gelernt zu haben, welche Handlungen im Alltag besonders klimarelevant
sind und welche weniger. Die Teilnehmenden nahmen dabei die Challenges, an denen
sie teilnahmen, überwiegend nicht als Verzicht wahr. Weiterhin gaben zahlreiche Teil-
nehmende an, nach dem Klimaduell neu erprobte Verhaltensweisen langfristig in den
Alltag integrieren zu wollen: 83 % möchten beispielsweise zukünftig den Fleischkonsum
reduzieren und 86 % zukünftig vermehrt mit dem Fahrrad fahren.
Klare Ziele und Spielregeln sind bedeutende Elemente von Gamification, die im
Klimaduell verbesserungsfähig blieben. Teilnehmende gaben an, dass Regeln zur
Durchführung einer Challenge zum Teil nicht ausreichend klar definiert waren. Eine
weitere Herausforderung brachte die ausschließliche Durchführung des Klimaduells im
Online-Format mit sich, das aufgrund der Coronapandemie gewählt wurde. So wurde
10 Das Klimaduell – Gamification als Ansatz einer BNE … 123
Danksagung Unterstützt durch das „Sustainable Campus Living Lab“ des ZHAW Department
Life Sciences and Facility Management sowie durch den Fachbereich Landschaftsnutzung
und Naturschutz und das Präsidium der HNEE durch Bewilligung von Mitteln zur Umsetzung
innovativer Lehr- und Lernformen (ILL).
10 Das Klimaduell – Gamification als Ansatz einer BNE … 125
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Online-Camps zur Studienorientierung
am Beispiels des FutureCamp-Projekts 11
an der Hochschule für nachhaltige
Entwicklung Eberswalde
Inhaltsverzeichnis
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 127
Springer Nature 2022
J. Weselek et al. (Hrsg.), Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_11
128 H. Molitor et al.
• Die Natur von morgen: Landschaftsnutzung wird im Kontext des Naturschutzes dis-
kutiert und visionär betrachtet (mit Bezug zu SDG 15 „Leben an Land“ und SDG
13 „Maßnahmen zum Klimaschutz“).
• Nachhaltiges Bauen: Das Bauen mit Holz kann einen Beitrag zum Klimaschutz
leisten, wobei insbesondere der Energie- und Ressourcenverbrauch reduziert werden
kann (mit Bezug zu SDG 9 „Industrie, Innovation und Infrastruktur“).
• Region im Wandel: das Wirtschaften im Kontext nachhaltiger Entwicklung wird u. a.
mit Pionier*innen aus der Region diskutiert und reflektiert (mit Bezug zu SDG 12
„Nachhaltige Konsum- und Produktionsweisen“).
Grundlage dieses Beitrags, der die Konzeption und methodische Umsetzung der
Online-Camps der HNEE zur Studienorientierung in den Blick nimmt, sind Schlüssel-
kompetenzen im Kontext nachhaltiger Entwicklung in der Hochschulbildung (Brundiers
et al. 2021), wie Abb. 11.1 zeigt.
Das Modell für den Bildungsbereich Hochschule umfasst neben dem Fachwissen der
spezifischen Disziplinen (hier das Fach- bzw. Studiengebiet des Naturschutzes), grund-
legende akademische Kompetenzen sowie spezifische Schlüsselkompetenzen für Nach-
haltigkeit (Brundiers et al. 2021; anknüpfend an Wiek et al. 2011, 2016). Dieses Modell
wurde insbesondere für die Camps genutzt, um Studieninteressierte auf hochschulische
Bildung (für nachhaltige Entwicklung) vorzubereiten. Die Schlüsselkompetenzen für
Nachhaltigkeit umfassen
130 H. Molitor et al.
Topical Knowledge
Implementaon Environmental Sciences
Competency
Chemistry
Strategic-thinking
Competency Humanies
Integrated Problem-Solving
Intra PC
Competency
Educaon Sciences
Competency
Management Studies
Systems-thinking
Competency Economics
1 „[…] die kollektive Fähigkeit, eine geplante Lösung in Richtung einer auf Nachhaltigkeit aus-
gerichteten Vision zu realisieren, den Realisierungsprozess zu monitoren und zu evaluieren und
aufkommenden Herausforderungen zu begegnen (Anpassungen), in dem Wissen, dass die Lösung
von Nachhaltigkeitsproblemen ein langfristiger, iterativer Prozess der Planung, Realisierung und
Evaluation ist. Umsetzungskompetenz ist im Wesentlichen Handlungskompetenz, die handlungs-
relevantes Wissen nutzt, das durch die Kompetenz zum strategischen Denken entwickelt wurde“
(Brundiers et al. 2021, S. 21; Übersetzung der Autor*innen).
11 Online-Camps zur Studienorientierung … 131
Gerade im Fachgebiet des Naturschutzes wird zum Teil sehr praxisorientiert und trans-
disziplinär gelehrt. Die Fähigkeit zur Antizipation, zum systemischen Denken, sowie
eine integrierte Problemlösungskompetenz lassen sich in Natur und Landschaft in der
aktiven Auseinandersetzung mit den Stakeholdern vor Ort leichter erwerben.
Die WorkCamps wurden für den Face-to-face-Kontakt mit erlebnisorientierter, nicht-
formaler Ausrichtung konzipiert. Die Übertragung in die digitale Lernwelt war gerade
aus dem Anspruch einer kompetenzorientierten Lehre besonders herausfordernd. Eine
interaktive Gestaltung der Lehr-Lern-Situationen blieb auch im digitalen Lernkontext der
WorkCamps unabdingbar.
132 H. Molitor et al.
Für eine integrierte Betrachtung von Digitaler Bildung (Ferrari 2013) und BNE eignet
sich das Konzept der Zukunftsbildung (WBGU 2019). Es verbindet beide Bildungs-
konzepte, die je eigene Kompetenzfelder haben. Bildungswissenschaftliche Unter-
suchungen – Lehrendenbefragung aus dem Bereich der schulischen Bildung – zeigen,
wie Lernende Schlüsselkompetenzen für Nachhaltigkeit durch digitale Bildung im
Rahmen virtueller Austausche entwickeln (Lochner et al. 2021).
Setzt man die Bildungskonzepte digitale Bildung und BNE in Bezug zueinander und
fragt, wie die jeweiligen Kompetenzen durch den anderen Bildungsansatz gefördert
werden können, lassen sich in zentralen Bereichen Überschneidungen identifizieren,
z. B. bei der Transformationskompetenz. Zur Transformationskompetenz bedarf es
didaktischer Zugänge, um sowohl Kompetenzen digitaler Bildung als auch hoch-
schulischer BNE zu stärken. Im hochschulischen Kontext besteht der Anspruch die
Lehre nach den didaktischen Prinzipien (der BNE) wie Partizipation (Rieckmann
2016; Bellina et al. 2018), Handlungsorientierung, Lernendenzentrierung und trans-
formatives Lernen (UNESCO 2017) auszurichten. Die Fähigkeit der Gestaltung von
Transformation zeichnet sich darüber hinaus durch inter- und transdisziplinäre Arbeits-
weisen, Studierendenzentrierung und Selbstbestimmung, Reflexivität und kollaboratives
Lernen und insbesondere durch das Element der Handlungsorientierung aus (Bellina
et al. 2018). Unterstützt wird dies durch transformative Lehr-Lern-Formate wie situiertes
Lernen mit konkretem Nachhaltigkeitsbezug sowie einen Ortsbezug (zur Lebenswelt der
Teilnehmer*innen, zum lokalen Ort mit globalen Bezügen; Bellina et al. 2018). Bei den
WorkCamps der HNE wurden didaktische Zugänge gewählt, die den Prinzipien Hand-
lungsorientierung, Partizipation, Lernendenzentrierung, Situiertheit in realweltlichen
Lernumgebungen und transformatives Lernen entsprechen. Im vorliegenden Beitrag
werden insbesondere didaktische Prinzipien der Handlungsorientierung und der Ent-
wicklung von Umsetzungskompetenz (vgl. Abschn. 11.1.2) fokussiert.
Im vorliegenden Beitrag werden BNE-Lehr/-Lernerfahrung in digitalen Kontexten
aufbereitet und mit Blick auf die Entwicklung von Schlüsselkompetenzen für Nach-
haltigkeit reflektiert. In den WorkCamps wurden fachliche Inhalte in transformativen
Lehr- und Lernsettings erarbeitet. Methoden, die erfolgreich in digitale Formate über-
führt wurden, werden im Folgenden beispielhaft vorgestellt. Im Fokus steht die Frage,
wie Schlüsselkompetenzen für Nachhaltigkeit durch digitale Methoden entwickelt
werden können.
11 Online-Camps zur Studienorientierung … 133
Zunächst werden Erfahrungen aus der Übertragung der WorkCamps in das Online-
Format vorgestellt, daran schließt sich die Vorstellung dreier digitaler BNE-Methoden
an. Diese werden mit Blick auf ihre zugrundeliegenden didaktischen Prinzipien und ihr
Potenzial zur Förderung von Schlüsselkompetenzen für Nachhaltigkeit kontextualisiert.
Bei der Übertragung von Präsenz- zu Online-Camps stellten sich grundsätzliche Heraus-
forderungen, insbesondere in der Kompetenzentwicklung. Zuvorderst musste die Auf-
merksamkeit der Teilnehmenden in der Vielfalt der digitalen Angebote gewonnen und
während der Camps gehalten werden. Hier spielt die Bindung zwischen Teilnehmenden
und der Leitung sowie zwischen den Teilnehmenden untereinander eine wichtige Rolle.
Die Gruppenfindung der sich untereinander unbekannten Teilnehmenden galt es verstärkt
zu begleiten, da Face-to-face-Kontakte fehlten. Auch der Methodeneinsatz musste mit
Blick auf die Förderung von Umsetzungskompetenz neu konzipiert werden. Die Heraus-
forderung bestand darin, Antworten auf den Wegfall konkreter Exkursionserfahrungen
und die eingeschränkte Gruppendynamik zu finden.
Da das sozial-situative Lernen im Campalltag entfiel, wurden digitale Begegnungs-
möglichkeiten erforderlich. Durch Kleingruppenphasen in sog. Breakout-Rooms sowie
Online-Planspiele (Abschn. 11.2.2.2.) wurden Möglichkeiten zum individuellen Aus-
tausch geschaffen. Die kollaborative Zusammenarbeit zwischen den Teilnehmenden
wurde durch die Nutzung von Online-Tools wie Webviewer (Abschn. 11.2.2.3.) und Aus-
tauschplattformen wie padlet oder miroboard ermöglicht. Zudem wurden Exkursionen
der Teilnehmenden in das eigene Umfeld zur Sensibilisierung und Reflexion der ver-
mittelten Inhalte als transformative Methode (Abschn. 11.2.2.1) eingesetzt. Ergänzt
wurden diese Methoden durch digitale Exkursionen zu regionalen Unternehmen sowie
Interviews mit Praktiker*innen verschiedener Disziplinen. Die direkten Rückmeldungen
der Teilnehmenden lassen vermuten, dass durch den Einsatz digitaler Methoden inter-
und intrapersonelle Kompetenz, strategische Kompetenz, Umsetzungskompetenz und
systemisches Denken gestärkt wurden.
Methode: Im WorkCamp machen sich die Teilnehmenden von Tätigkeiten und Fertig-
keiten in Studium und Beruf ein Bild. Berufsalltag im Naturschutz ist es, ein Unter-
suchungsgebiet landschaftsökologisch schnell erschließen zu können. Online ist das
Analysieren des Untersuchungsgebiets durch gemeinsame Exkursionen nicht möglich,
stattdessen wird die gemeinsame interaktive Arbeit mit Kartenwerken eingesetzt.
Die Teilnehmenden erhalten eine kurze Einführung in den Webviewer des Landes-
betriebs Landesvermessung und Geobasisinformation Brandenburg (LGB) sowie in das
Geoportal des Landesamts für Bergbau, Geologie und Rohstoffe Brandenburg (LBGR).
Über den Viewer lassen sich Karten über die historische Gebietsentwicklung, ver-
schiedene Luftbilder und topografische Karten abrufen (LGB 2021). Über das Geoportal
für Boden- und Geologiekarten des LBGR können Karten über die Bodenverhältnisse
und die hydrogeologische Situation abgerufen werden (Scharath 2021). Verschiedene
Fachinformationen zu Hydrologie, Geologie, Bodenkunde und potenzieller natürlicher
Vegetation können so zusammengeführt und in Beziehung zu den Habitatsansprüchen
besonders geschützter Arten, wie dem Schreiadler, gesetzt werden.
Die Kartenarbeit findet in einem ersten Schritt in Einzelarbeit statt, um dann in
einem zweiten Schritt im gegenseitigen Austausch Fragen und Ergebnisse zusammen-
zutragen. Unter Zuhilfenahme der Webviewer weisen die Teilnehmenden Flächen aus,
die als Optimalhabitate für den Schreiadler fungieren könnten. Keine Disziplin gibt
alleinige Auskunft über das Habitat eines Schreiadlers, vielmehr werden verschiedene
Perspektiven benötigt, um valide Schutzgebietsgrenzen vorzuschlagen. Diese Arbeit
wirft bei den Teilnehmenden fast zwangsläufig darüber hinausgehende Fragen auf, bei-
spielsweise: Ist das Wasser belastet? Wie wirken sich bestimmte Landnutzungsformen
auf das Nahrungsangebot des Adlers aus? Aus den Fragen fertigen die Teilnehmenden
eine Liste von Aufgaben für eine fiktive Geländebegehung an. Anhand der Kartenarbeit
können zentrale Zusammenhänge und Gefährdungen einer Landschaft herausgearbeitet
werden.
Fazit: Die Kartenarbeit ermöglicht die Entwicklung einer abstrakten und
systemischen Landschaftsvorstellung. Diese interdisziplinäre Arbeit bedarf im
besonderen Maß der Kompetenz, Systeme in ihren natürlichen Wechselwirkungen zu
analysieren; zudem wird die Fähigkeit zum systemischen Denken und die Umsetzungs-
kompetenz gefördert. Durch die Methode lernen die Teilnehmenden, mit frei zugäng-
lichen Online-Ressourcen zu arbeiten. In Präsenz wäre die Umsetzung nur mit höherem
organisatorischen Aufwand möglich. Mit der entwickelten Landschaftsvorstellung
können Entwürfe für eine zukunftsfähige und nachhaltige Landschaftsnutzung erarbeitet
werden (SDG 15).
11 Online-Camps zur Studienorientierung … 137
11.3 Fazit
Literatur
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Inhaltsverzeichnis
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 141
Springer Nature 2022
J. Weselek et al. (Hrsg.), Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_12
142 C. L. Zimmermann et al.
Unter Virtual Reality (VR) werden computergenerierte Welten verstanden, von denen die
Nutzer*innen vollständig umgeben sind und durch Stimulation einer oder mehrerer Sinne
ein immersives Erleben dieser Welten erfahren (Buchner und Aretz 2020). Immersives
Erleben bedeutet, dass mit dem Aufsetzen der VR-Brille ein vollständiges Eintauchen in
die virtuelle Welt stattfindet und die Nutzer*innen diese Welt für den Moment des „Tauch-
gangs“ (Abschn. 12.3.3) als realer wahrnehmen als die sie umgebende physische Welt, in
der sie sich während des Prozesses tatsächlich befinden. Die VR-Brille ermöglicht dieses
immersive Erleben durch sog. Head-Mounted-Displays, also Ausgabegeräte, die auf
dem Kopf getragen werden. Faktisch schaut man dabei auf zwei Bildschirme, die in die
Brille integriert sind. Das Besondere an VR ist die Illusion der Tiefenwahrnehmung, die
sie grundlegend von 2D-Bildschirmen unterscheidet. Durch spezielle Linsen im Inneren
der Brille und Software auf den verwendeten Geräten bekommen die Nutzer*innen den
Eindruck, sich wirklich in einer dreidimensionalen Umgebung zu bewegen und nicht nur
auf zwei zweidimensionale Bildschirme zu schauen. In diesem Kontext wird häufig der
Begriff „presence“ (Präsenz) verwendet. Fühlen sich die Nutzer*innen „in presence“,
bedeutet dies, dass sie sich in der virtuellen Realität als existent erleben (Borrego et al.
2019). Nach ersten Forschungserkenntnissen kommt dies dem Lernzuwachs signifikant
zugute (Krokos et al. 2019; Allocat und von Mühlenen 2018). Diese neue Art der Wahr-
nehmung und des Lernens lässt sich dabei auf verschiedenen Wegen erreichen, z. B.
Im Sinne des Konstruktivismus findet Lernen nicht etwa durch eine passive Informations-
aufnahme statt, sondern durch eigene Wissenskonstruktionen, die auf individuellen
Erfahrungen, sozialen Interaktionen, persönlichen Handlungen und dem stetigen Abgleich
des Konstruierten mit der den Lernenden umgebenden kulturellen Umwelt basieren
12 BNE und immersives … 143
(Neubert et al. 2001). Erst durch diese Wissenskonstruktionen kann Lernen im Sinne von
Verstehen stattfinden (von Glaserfeld 1995), wobei die Lernenden den Lernprozess immer
durch ihre Aktionen selbst initiieren (Neubert et al. 2001). Wir haben diese Zusammen-
hänge in der Abb. 12.1 visualisiert.
In virtuellen Welten kommt demgemäß zwei Faktoren eine bedeutende Rolle zu:
Dem Immersionsgrad und dem Interaktionsgrad der Anwendung. Der Faktor der
Immersion nimmt Einfluss darauf, wie sehr die Lernenden in die virtuelle Welt ein-
tauchen. Mit steigendem Immersionsgrad steigt auch das Gefühl, Teil der virtuellen Welt
zu sein (Lattemann et al. 2009), und damit das Gefühl von „presence“. Der Interaktions-
grad wiederum nimmt Einfluss auf die Interaktionen der Lernenden mit der virtuellen
Umgebung. Sind Immersionsgrad und Interaktionsgrad gering, findet Lernen in Form
reiner Informationsaufnahme statt. Bei virtuellen Frontalvorlesungen findet sich dieses
Szenario beispielsweise wieder (Lattemann et al. 2009). Liegt hingegen ein hoher Inter-
aktionsgrad vor, wird das Erarbeiten eigener Wissenskonstruktionen gefördert. Ein hoher
Immersionsgrad ermöglicht zudem, Erfahrungen zu sammeln und komplexe Sachver-
halte zu betrachten (Lattemann et al. 2009). Gemäß dem Strukturmodell für Lehr-Lern-
Arrangements in virtuellen Welten gestaltet sich der Lernprozess in Abhängigkeit dieser
beiden Dimensionen der Interaktion und der Immersion (Abb. 12.2). Seit der Veröffent-
lichung dieses Modells im Jahr 2009 hat es grundlegende Weiterentwicklungen in VR-
Anwendungen gegeben, auch für VR-Anwendungen in Bildungsräumen (Lee et al. 2021).
Frontalvorlesungen in virtueller Form – wie sie seit dem Beginn der Covid-19-
Pandemie an den Hochschulen häufig über die Konferenzsoftware Zoom stattfinden –
führen durch den geringen Grad an Immersion und Interaktion zu einem passiven Lernen
im Sinne reiner Informationsaufnahme. Virtuelle Seminare hingegen sind zwar auf Inter-
aktion ausgelegt, der Immersionsgrad bleibt unterdessen weiterhin gering. Bei virtuellen
Museen und Ausstellungsräumen wiederum kann ein hoher Grad an Immersion durch
Animationen erzielt werden, dafür verbleibt der Interaktionsgrad auf einem niedrigen
Niveau (Lattemann et al. 2009). Ein hoher Grad an Immersion und Interaktion wird
heute eher im Unterhaltungsraum mit 3D-Computerspielen erreicht.
Mit unserem Projekt wollen wir Bildungsräume in VR entwickeln, die einen hohen
Interaktions- und Immersionsgrad haben, um durch die Aktivierung der Vorstellungswelt
(Imagination) neue Lernerfahrungen zu ermöglichen (Buchner und Freisleben-Teutscher
2020). Imagination wird auch benötigt, um die Inhalte einer nicht sichtbaren Lernwelt
in anregende Exponate zu übersetzen, mithin virtuelle Objekte, die platziert, vergrößert,
verkleinert, zusammengefügt, miteinander in Beziehung, festgesetzt und zu jeder
Zeit wieder verändert werden können. Anders als beim passiven Lernen über Videos,
kommen die Lernenden direkt in Aktion mit ihrer Lernumgebung. Sie können ihre Lern-
räume selbst mitgestalten.
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) hat es sich zur Aufgabe gemacht,
Innovationstreiber*innen für eine nachhaltige Entwicklung auszubilden, und zielt darauf
ab, Lernende mit Kompetenzen auszustatten, die es ermöglichen, die eigenen Handlungen
12 BNE und immersives … 145
In erzählerisch-deskriptiver Art wollen wir in diesem Abschnitt darstellen, wie wir die
Lehrveranstaltung mit dem Titel Experimentallabor: Nachhaltigkeit und Virtual Reality
konzipiert und durchgeführt haben.
Um dem Aspekt der Transdisziplinarität (g) nachzukommen, entstand die Idee, die
Veranstaltung mit Praxispartner*innen durchzuführen. Wir wollten einen ko-kreativen
Prozess gestalten, in dem wir mit Praxispartner*innen neue Erfahrungen sammeln,
die sowohl für die Praxis als auch für die Lehre relevant sind. Daher hatten unsere
interdisziplinär zusammengesetzten Studierendenteams (j, Interdisziplinarität) die Auf-
gabe, zusammen mit ihren Praxispartner*innen Ideen zu entwickeln, wie die jeweiligen
Unternehmen einen Beitrag zur Erreichung der Sustainable Development Goals (SDG)
leisten können (i, Problemorientierung). Darauf aufbauend sollten sie mithilfe der
Möglichkeiten von VR Prototypen entwickeln (a, Handlungen), in denen die für das
jeweilige Unternehmen relevanten SDG-Thematiken behandelt werden.
Um uns mit diesem neuen Format der Lehre nicht einfach an bekannten Mustern
zu orientieren, sondern den Blick für die neuartigen und speziellen Möglichkeiten
sowie Anforderungen von Lehre und Lernen in VR offenzuhalten, entschieden wir uns
dazu, zunächst lediglich den zeitlichen Rahmen in Form von Seminarterminen und
Präsentationen vorzugeben und erste thematisch-inhaltliche Schwerpunkte zu den Grund-
lagen des Nachhaltigkeitsverständnisses und der SDG vorzubereiten. Weitere Inhalte
der Lehrveranstaltung entstanden im Laufe der Veranstaltungszeit durch das Mit- und
Zusammenwirken der drei beteiligten Gruppen (Studierende, Praxispartner*innen,
Wissenschaftler*innen; g, Partizipation). Diese drei Gruppen brachten jeweils
individuelle Eigenlogiken und Zielsetzungen mit, aus deren Zusammenwirken eine
ganz eigene Dynamik entstanden, die genutzt wurde, um die Veranstaltung mit Inhalten
zu füllen. Bei der Vorbereitung der Lehrinhalte orientierten wir uns an den jeweils vor-
herrschenden Bedürfnissen und Erkenntnisständen der Studierenden (e, Lernzentrierung).
Wir als Lehrende nahmen dabei eine Erkundungshaltung ein, weil unsere
Erfahrungen mit klassischen Lehr-Lern-Arrangements in diesem Kontext zwar eine
Unterstützung sein konnten, sie aber nicht alle Antworten auf die Frage lieferten, wie
Lehre in VR ablaufen kann, welche Strukturen und Hilfestellungen die Lernenden
benötigen oder wie Inhalte immersiv vermittelt werden können. Mit dieser Erkundungs-
haltung suchten wir keine Ergebnisse im klassischen Sinne, wie gemessene und über-
prüfbare Kausalitäten; vielmehr sollten durch diese Forschungshaltung „unbekannte
Welten“ erschlossen und dadurch neue Möglichkeitsräume geöffnet werden (Müller-
Christ und Pijetlovic 2018).
In einer gemäßigt konstruktivistischen Haltung haben wir die Lernenden als autonome
Akteur*innen in den Mittelpunkt des Lernprozesses gestellt (e, Lernzentrierung) und den
Fokus auf das eigenständige Handeln der Lernenden gelegt (Lattemann et al. 2009; f,
selbstgesteuertes Lernen). Dies ermöglichten wir einerseits durch das prozess- und
bedürfnisorientierte Angebot von Lehrinhalten und andererseits durch eine große Frei-
heit in der Gestaltung der virtuellen Räume, die gleichzeitig Gegenstand und Ergebnis
12 BNE und immersives … 147
der Lernprozesse darstellten. Denn während die Lernenden die Räume gestalten, wirken
diese gleichzeitig auch auf die Lernenden ein (Ludwig 2012). Lernen in VR zeichnet
sich demnach u. a. durch die aufgehobene Abgrenzung zwischen den Lernenden und
dem Lerngegenstand sowie der Möglichkeit zur Anpassung der virtuellen Räume an
den Lernprozess aus. Die Anpassung erfolgt im Unterschied zu vielen klassischen Lehr-
Lern-Arrangements auch durch die Lernenden selbst, sodass diese die virtuelle Welt
aktiv beeinflussen (1) können. Zudem ermöglicht die Arbeit mit mehreren Lernenden
(h, Kollaboration) in einem gemeinsamen virtuellen Raum (2) soziale Interaktion inner-
halb von VR (d, Interaktion).
Im Rahmen der Lehrveranstaltung arbeiteten wir mit einer VR-Anwendung, die die
Avatare der Nutzer*innen sehr realitätsnah aussehen lässt (die Erstellung der Avatare
basiert auf einem Foto der jeweiligen Person). Auch andere Objekte im virtuellen Raum
dieser Anwendung wirken realistisch. Möglichst realistische visuelle Darstellungen
(3) bilden für uns ein wichtiges Kriterium, um eine gewisse Ernsthaftigkeit im Lern-
prozess zu schaffen und reale Situationen zu imitieren, damit ein hoher Immersionsgrad
gewährleistet werden kann. Die aufgeführten (1–3) Eigenschaften und Möglichkeiten im
virtuellen Raum fördern, wie oben erläutert, das Gefühl der Lernenden, sich als existent
im virtuellen Raum wahrzunehmen und kommen damit dem Lernerfolg zugute (Dede
et al. 2017; Eisenlauer 2020).
Um den Lernprozess in und mit VR zu unterstützen, folgten die Veranstaltungs-
termine einer Abfolge, den wir Tauchprozess nennen. Dieser Prozess beinhaltete die Ver-
mittlung von Inhalten durch die Lehrenden (in Zoom), die kollaborative Arbeit (h) mit
diesen Inhalten und die Gestaltung der Räume und Exponate (in VR; a, Handlung) sowie
eine Phase der Reflexion (in Zoom oder VR; c), in der die Beteiligten das Gelernte und
die Erfahrungen (b) in VR gemeinsam reflektierten. So konnten die Studierenden ihre
Exponate stetig in iterativen Schleifen weiterentwickeln. Wir beschreiben den Prozess
des Arbeitens in VR in Analogie zum Tauchgang unter Wasser. Im folgenden Abschnitt
gehen wir näher auf diesen Prozess des Tauchgangs in VR ein.
Wir wurden mehrfach während des Experiments zurückgeworfen auf die Frage, was der
eigentliche Mehrwert der VR-Technologie gegenüber anderen klassischen und digitalen
Lehrformaten ist. Wir haben festgestellt, dass Immersion eine Qualität ist, die wir auch
als Lehrende zuerst einmal selbst erfahren, reflektieren und versprachlichen müssen, um
ihre Beiträge für anregende Lehr-Lern-Arrangements umzusetzen:
Immersiv leitet sich vom englischen Begriff „immersion“ ab, was so viel wie Ein-
tauchen bedeutet. In diesem Zusammenhang haben wir die Metapher des Tauchgangs
eingeführt, um bei den Studierenden und Praxispartner*innen ein erfahrbares Bild in
Verbindung mit der Arbeit in VR zu gestalten. So wie eine tauchende Person die Welt der
Luft verlässt und in die Welt des Wassers verschwindet, tauchen die Beteiligten während
148 C. L. Zimmermann et al.
der Lehrveranstaltung aus der realen, körperlich erfahrbaren Welt in virtuelle Räume ab.
Obwohl der Körper noch in der realen Welt ist, ist die Wahrnehmung ganz im virtuellen
Raum verschwunden.
Wir haben den Tauchprozess für uns als ein U-Prozess modelliert: eintauchen, tauchen und
erfahren, auftauchen. Wer diesen Prozess durchläuft, erlebt die folgenden fünf Phasen:
Tatsächlich ist es der Effekt der stellvertretenden Wahrnehmung, der vielleicht den
Unterschied im virtuellen Raum zu den Bildungsprozessen im realen Raum ausmacht.
Bislang scheint das Eintauchen in die virtuelle Welt in Bildungsräumen vorrangig von
der Idee gekennzeichnet zu sein, nicht mehr vorhandene Räume (z. B. Schüler*innen
wandern durch das alte Rom), noch nicht real vorhandene Räume (z. B. Architektur-
studierende erkunden die Stadt der Zukunft) oder schwer erreichbare Räume (z. B.
Reisen in den tropischen Regenwald für Schulklassen) fiktiv abzubilden und erfahrbar zu
machen.
BNE braucht sicherlich auch diese virtuellen Erfahrungsräume. Für Studierende
in Hochschulen scheint uns aber ein anderer Effekt ebenso wichtig zu sein:
Akademiker*innen zeichnen sich dadurch aus, dass sie hohe Komplexität bewältigen
sollen. Komplexitätsmanagement als Teil von BNE setzt die Fähigkeit voraus, mit den
nicht sichtbaren stofflichen (ökologischen), aber vor allem mit den nicht sichtbaren
150 C. L. Zimmermann et al.
nebeneinander zur Verfügung gestellt werden konnten. Es entstanden im Sinne der Abb.
12.2 virtuelle Ausstellungsräume. Mit dem iterativen Voranschreiten der Veranstaltung
pflegten die Studierenden jedoch auch Elemente ein, durch die Interaktionen für
Besucher*innen der VR-Räume möglich wurden, sodass im Laufe der Zeit erste Ansätze
für eine interaktive Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand ermöglicht wurden.
Als Beispiel möchten wir an dieser Stelle den Prototypen eines virtuellen Escape Room
hervorheben, dem die Besucher*innen nur entkommen können, wenn sie nachhaltige
Entscheidungen treffen.
Unsere Vermutung und Hoffnung ist, dass das Immersionspotenzial der VR-Welt zu
Bewusstseinsentwicklungen beitragen kann. Der BNE-Diskurs trägt in seinem Fahr-
wasser den Anspruch, dass Hochschulen den jungen Menschen nicht nur Fachwissen
vermitteln, sondern auch fachübergreifende Orientierungen ermöglichen sollen: Sie
sollen sich in einer komplexen Welt zurechtfinden und eine nachhaltigere Gesellschaft
mitgestalten. Hochschulen stehen genauso wie die Gesellschaft vor der bekannten Lücke
zwischen Wissen und Handeln, die so oft im Umweltschutz- und Nachhaltigkeitskontext
beobachtet wird. Die Lücke kann nicht durch noch mehr Wissen, das die Wissenschaft in
Hochschulen schafft, geschlossen werden, sondern vermutlich eher durch Bewusstseins-
entwicklung. Nun ist Bewusstseinsentwicklung für Hochschulen ein sehr schwieriges
Thema, weil es zum einen konzeptionell schwer zu fassen und zum anderen nur indirekt
zu bewirken ist. Und sie gehört bislang nicht zum gesellschaftlichen Auftrag von
Hochschulen. Gleichwohl scheint Erfahrung (b) ein hilfreiches Moment für Bewusst-
werdung zu sein und VR ein hilfreiches Tool, um Erfahrungen (durch Immersion)
sammeln zu können. Ein erster Schritt war es, eine Lehrveranstaltung basierend auf den
konzeptionellen Rahmenbedingungen einer BNE zu gestalten und Erfahrungen mit dem
Tool VR in der Hochschullehre zu sammeln, mit besonderem Fokus auf den Immersions-
effekt. Die besondere Herausforderung liegt nun darin, einen Schritt weiterzugehen und
die oben genannten, unsichtbaren systemischen Eigenschaften in erfahrbare Exponate in
der virtuellen Welt zu übersetzen, zu erforschen und zu versprachlichen.
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Inhaltsverzeichnis
P. Hiebl (*)
Zentrum für Lehrerbildung, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt,
Eichstätt, Deutschland
E-Mail: petra.hiebl@ku.de
M. Schumm
Didaktik der Biologie, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Eichstätt, Deutschland
E-Mail: maximiliane.schumm@ku.de
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Springer Nature 2022
J. Weselek et al. (Hrsg.), Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_13
154 P. Hiebl und M. Schumm
Die Digitalisierung ist aus einer Diskussion über nachhaltige Entwicklung kaum mehr
wegzudenken: Technologien sind zunehmend in jedem unserer Lebensbereiche präsent –
vom Mobiltelefon über das Auto bis hin zum eigenen Haus und Kühlschrank. Ob unsere
Zukunft eine nachhaltige ist oder nicht, hängt dabei maßgeblich davon ab, wie wir mit
diesem digitalen Wandel umgehen. Entscheidend ist, Chancen und Risiken des digitalen
Wandels für eine nachhaltige Entwicklung zu erkennen und den Fortschritt aktiv zu
gestalten.
Die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Agenda 2030)
bietet hierzu einen weltweiten Rahmen, auf den sich die Staatengemeinschaft geeinigt
hat. Dabei erhält die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) eine Schlüsselrolle: Sie
ist der Treiber für die gesamte Agenda 2030 und soll sicherstellen, dass alle Lernenden
die notwendigen Kompetenzen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben
(BMBF 2021).
Sowohl BNE als auch Bildung für eine digitale Welt sind aktuelle Themen, die als
fächerübergreifende Querschnittsthemen an Hochschulen verankert sind. Der Nationale
Aktionsplan fordert zur Umsetzung des UNESCO-Weltaktionsprogramms Bildung
für nachhaltige Entwicklung explizit eine Zusammenführung von BNE und digitaler
Bildung (Engagement Global 2018). Allerdings ist die Integration dieser essenziellen
Themen noch nicht im nötigen Maß im Bildungssektor angekommen (z. B. Dyment et al.
2014; Kramer et al. 2019; Rieckmann und Holz 2017).
Kann die Integration der beiden komplexen Themengebiete mithilfe eines MINT-
Lehr-Lern-Labors (LLL) für Lehramtsstudierende gelingen? Auf der Basis eines
Reviews zum Stand fachdidaktischer Forschung der MINT-Fächer in LLL zieht Priemer
(2020) den Schluss, dass Lernen in LLL prinzipiell für den Kompetenzaufbau in den
Bereichen der Unterrichtswahrnehmung, Diagnose-, Reflexions- und Handlungs-
kompetenz sowie der Vermittlung fachdidaktischen Wissens geeignet sein kann (s. hierzu
ausführlich Priemer 2020, S. 159ff.). Obwohl die Forschung in diesem Bereich noch
Entwicklungspotenzial hat, lässt sich vermuten, dass außerdem durch die Arbeit in einem
LLL eine Steigerung der Selbstwirksamkeitserwartung von Studierenden unterstützt
werden kann (Bautista und Boone 2015; Kofta und Nordmeier 2014).
Allgemein ist die Datenlage in der Beforschung von LLL noch recht dünn, da die
Settings der einzelnen LLL sehr unterschiedlich sind und auch die Personengruppen,
die an Erhebungen teilnehmen könnten, relativ klein sind. Daher ist derzeit auch eine
Ableitung allgemeiner Gelingensbedingungen und Folgen für den Kompetenzaufbau von
Studierenden durch LLL aus der Literatur schwierig (s. auch Priemer 2020). Aufgrund
dessen ist es für die Neukonzeption eines LLL umso wichtiger, die individuellen Voraus-
setzungen und Bedürfnisse vor Ort genau zu analysieren.
13 iLab@KU – Ein MINT-Lehr-Lern-Labor … 155
Die Universität soll für die Studierenden ein Lernort einer nachhaltigen Entwicklung
sein, ganz im Sinn des Whole Institution Approach einer BNE (McMillin und Dyball
2009; UNESCO 2020). Eine BNE zielt darauf ab, dass die zukünftigen Entscheidungs-
träger*innen Gestaltungskompetenz erwerben, um zu einer nachhaltigen Entwicklung der
Gesellschaft beizutragen. Eine solche Bildung erfordert die Verbindung von Forschung
und Lehre und ist dann erfolgreich und glaubhaft, wenn sie auf einem Campus stattfindet,
der sich selbst um eine nachhaltige Entwicklung bemüht (McMillin und Dyball 2009).
Die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) strebt daher an, BNE zu einem
konstitutiven Element in allen Handlungsfeldern ihrer Tätigkeit (Governance, Forschung,
Lehre, Studium, Fort- und Weiterbildung, Campusmanagement, studentisches
Engagement und Initiativen, Transfer) zu machen. Nachhaltigkeit ist an der KU fest im
Leitbild, im Profil und im Alltag verankert. Gemeinsam mit den Universitätsangehörigen
hat die KU begonnen, einen Campus zu gestalten, auf dem auch zukünftige
Generationen gut leben und lernen können (KU 2020a; KU 2020b).
Untrennbar mit dem Whole Institution Approach sind auch strukturelle, digitale
und technologische Veränderungen verbunden (BMZ und KMK 2016; KMK 2017;
Engagement Global 2018), die auch die Lehrkräftebildung an der KU in ihrer gesamten
Komplexität betreffen.
Digital Literacy als Handlungs- und Reflexionskompetenz wird in der Lehrkräfte-
bildung der KU vom Wertehorizont der christlich-humanistischen Sicht des Menschen
bestimmt und berücksichtigt den kritisch-reflexiven Zugang zum Thema Digitalisierung.
Ziel ist ein verantwortungsvoller Umgang mit den Möglichkeiten digitaler Technologien
in Lehre, Forschung und der Vorbereitung der Lehramtsstudierenden auf ihre berufliche
Zukunft.
Um die auf digitale Transformationsprozesse bezogenen Formate und Projekte in der
Lehrkräftebildung dauerhaft aktuell zu halten, müssen sie angesichts der raschen techno-
logischen Entwicklung offen und flexibel bleiben. Diese Flexibilität könnte durch ein
LLL erreicht werden.
Um die Bedarfe der Studierenden vor Ort als Grundlage der Konzeptionierung des
iLab@KU zu ermitteln, wurde der Ist-Stand der Einstellungen und Selbstwirksam-
keitserwartungen der Studierenden zu BNE im Unterricht und Unterricht mit digitalen
Medien erhoben.
156 P. Hiebl und M. Schumm
In den Jahren 2019 und 2020 wurden Lehramtsstudierende für Grund- und Mittel-
schule an der KU zu ihren Einstellungen und selbst wahrgenommenen Kompetenzen
in den Bereichen BNE (Items angelehnt an van Aalderen-Smeets und Walma van der
Molen 2013), MINT-Unterricht (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und
Technik) sowie Unterrichten mit digitalen Medien (Items angelehnt an Vogelsang et al.
2019) befragt. Aus diesem Ist-Stand können KU-spezifische Bedarfe ermittelt werden.
Bei den Studierenden wurden unterschiedliche Mittelwerte für die unterschied-
lichen Facetten zur Einstellung und motivationalen Orientierung gegenüber digitalen
Medien festgestellt (Abb. 13.1). Außer den Mittelwerten für die selbst wahrgenommene
Kompetenz zu digitalen Medien im MINT-Unterricht und der selbst wahrgenommenen
Kompetenz zum MINT-Unterricht an sich, unterschieden sich alle Werte signifikant von-
einander. Die höchsten Durchschnittswerte ergaben sich bei der Einstellung zu digitalen
Medien im Unterricht (Beispiel-Item: Durch den Einsatz digitaler Medien im Unter-
richt können Schüler*innen besser zum Lernen motiviert werden, M ± SD = 3,09 ± 0,46;
1 trifft nicht zu bis 4 trifft zu), gefolgt von der Motivation, digitale Medien im Unter-
richt auszuprobieren und zu nutzen (Beispiel-Item: Ich mag es, mich in die Bedienung
von digitalen Medien, z. B. Apps, Programme für den Unterricht hineinzuarbeiten,
M ± SD = 2,84 ± 0,69; 1 trifft nicht zu bis 4 trifft zu). Für die selbst wahrgenommene
Kompetenz, digitale Medien im MINT-Unterricht einzusetzen (Beispiel-Item: Ich
komme gut damit zurecht, Lernvideos oder Animationen für meinen MINT-Unter-
richt zu erstellen, M ± SD = 2,48 ± 0,49; 1 trifft nicht zu bis 4 trifft zu) sowie die
selbst wahrgenommene Kompetenz im MINT-Unterricht allgemein (Beispiel-Item:
Ich denke, ich kann gut mit Fragen der Schüler*innen zu MINT-Themen umgehen,
M ± SD = 2,52 ± 0,76; 1 trifft nicht zu bis 4 trifft zu) wurden die niedrigsten Mittelwerte
ermittelt.
Bei der Erhebung zum Thema Einstellung zu BNE und naturwissenschaftlichem
Unterricht ergaben sich signifikante Unterschiede zwischen allen abgebildeten Sub-
skalen außer zwischen der selbst wahrgenommenen Kompetenz im naturwissenschaft-
lichen Unterricht und der selbst wahrgenommenen Kompetenz von BNE im Unterricht
(Abb. 13.2). Die geringsten Werte zeigten sich bei der selbst wahrgenommenen
Kompetenz im naturwissenschaftlichen Unterricht (Beispiel-Item: Ich denke, ich habe
genug Wissen über naturwissenschaftliche Zusammenhänge, um diese in der Schule gut
unterrichten zu können, M ± SD = 3,31 ± 0,73, 1 ich stimme absolut nicht zu bis 5 ich
stimme voll zu) gefolgt von der selbst wahrgenommenen Kompetenz, BNE zu unter-
richten (Beispiel-Item: Ich denke, ich kann gut mit Fragen der Schüler*innen zu Themen
Nach Brüning et. al (2020) ist ein LLL eine spezielle Organisationsform, in der Lern-
und Förderangebote für Schüler*innen mit der Lehramtsausbildung verknüpft werden.
Dabei wird neben der Förderung der Schüler*innen die berufsbezogene Qualifizierung
von Lehramtsstudierenden unterstützt. Studierende können dadurch praktische
Erfahrungen sammeln und sich in einem geschützten Raum ausprobieren (Schmidt et al.
2011). Trotz der oben schon genannten großen Vielfalt und Diversität von LLL können
13 iLab@KU – Ein MINT-Lehr-Lern-Labor … 159
gemäß Roth und Priemer (2020) LLL durch einige zentrale Aspekte charakterisiert
werden: Die Entwicklung von Lernumgebungen geschieht theoriegeleitet, Theorie und
Praxis sind eng miteinander verknüpft, die Lernumgebung ist in ihrer Komplexität
reduziert und u. a. werden durch wiederkehrende Selbst- und Fremdreflexion und Ein-
griffe in die Arbeitsprozesse der Schüler*innen prozessdiagnostische Fähigkeiten der
Studierenden geschult.
In Abgrenzung zu bereits längerfristig implementierten Konzepten wie Schüler-
laboren oder Lehrwerkstätten stellen Brüning et. al (2020) zwei bedeutende
Charakteristika von LLL heraus. Zum einen wird in LLL die Qualifizierung von
Schüler*innen und Lehrkräften auf effektive Weise miteinander verzahnt. Zum
anderen arbeiten die Studierenden im LLL wie beim forschend-entdeckenden Lernen.
Dabei durchlaufen die Studierenden in LLL einen zyklischen Prozess der Erkenntnis-
gewinnung, der begleitend von wiederkehrenden Fremd- und Selbstreflexionen schritt-
weise durchlaufen wird (Nordmeier et al. 2014, zit. nach Roth und Priemer 2020).
Neben diesen konstitutiven gemeinsamen Elementen von LLL stellen Brüning et al.
(2020) jedoch auch fest, wie vielfältig die LLL-Landschaft u. a. hinsichtlich der Ziel-
gruppen, der Ausgestaltung, der Art der Einbindung in das Lehramtstudium und der
Zusammenarbeit über mehrere LLL hinweg sein kann. Auch das entstehende LLL an der
KU (iLab@KU) soll neben der Berücksichtigung der gemeinsamen Charakteristika der
LLL, der theoretischen Grundlagen und der lokalen Rahmenbedingungen an die Bedarfe
der Studierenden vor Ort angepasst sein.
Ziel des LLL iLab@KU ist die schrittweise Konzeption und Umsetzung einer
innovativen Lehr-Lern-Umgebung, die aus einer Reihe von medial unterstützten und
didaktisch in verschiedene Richtungen (Schularten, Fächer und Themenbereiche)
erschlossenen Lern- und Explorationsstationen zum Thema Information in Natur und
Technik besteht. Im iLab@KU werden neben der Demonstration von Best Practices auch
MINT-Themen unter BNE-Gesichtspunkten verstanden, digitale Tools erprobt und in
einen unterrichtlichen Kontext eingebettet. Durch das iLab@KU, einem MINT-LLL, soll
die Verankerung von BNE und digitaler Bildung im Lehramtsstudium der KU sowie der
Kompetenzerwerb der Studierenden forciert werden.
Durch die stationäre Kombination der auch transportablen Lernstationen entsteht
ein Labor, das im Endausbau und in Kooperation mit regionalen (Bildungs-)Partnern
als Kompetenzzentrum für die MINT-Lehrkräftebildung an der KU sowie den Transfer
in die Region fungieren kann. Durch unterschiedliche Lehr-, Lern-, Informations- und
13 iLab@KU – Ein MINT-Lehr-Lern-Labor … 161
Durch die LPO I wird die Integration von BNE und Digitalisierung in der universitären
Lehrkräftebildung in Bayern seit 2020, insbesondere in den Fachdidaktiken (§ 33)
gefordert (Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2020). Hierzu
müssen Konzepte innerhalb der Lehrkräftebildung an der KU neu entwickelt werden.
Das innovative Potenzial des LLL iLab@KU liegt in der querschnittsorientierten
Implementierung von BNE und Digitalisierung in die universitäre (MINT-)Lehrkräfte-
bildung.
Nach Hillmayr et al. (2020) kann durch Schulung von (angehenden) Lehrkräften
zur Nutzung von digitalen Werkzeugen der Einsatz dieser Werkzeuge im Unterricht
effizienter erfolgen als ohne Schulung. Durch die Arbeit in einem LLL sollten außerdem
die Selbstwirksamkeitserwartung (Bautista und Boone 2015; Kofta und Nordmeier
2014) und auch unterrichtspraktische Kompetenzen der Studierenden geschult werden
können (Priemer 2020), sowohl was den didaktisch sinnvollen Einsatz von Werkzeugen
angeht als auch die Arbeit mit komplexen Inhalten der nachhaltigen Entwicklung.
Durch die räumliche Verankerung und die Arbeit im iLab@KU können traditionelle
und digitale Unterrichtsmedien kombiniert werden, was zu einer besonders effizienten
Nutzung der digitalen Möglichkeiten im Unterricht führen kann (Hillmayr et al. 2020).
162 P. Hiebl und M. Schumm
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164 P. Hiebl und M. Schumm
Inhaltsverzeichnis
14.1 Problemstellung
Ziel von Schule ist es, im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
einen fächerübergreifenden Beitrag zur Bewahrung der Erde zu leisten sowie das
Bewusstsein für planetare Grenzen, die Rolle des menschlichen Wirtschaftens und der
sozialen Gerechtigkeit zu fördern (BMZ und KMK 2016). Themen des Klimawandels
und der Klimaanpassung sind dabei von besonders großer Gegenwarts- und Zukunfts-
relevanz und stehen deshalb exemplarisch im Fokus der folgenden Betrachtungen.
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 165
Springer Nature 2022
J. Weselek et al. (Hrsg.), Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_14
166 A.-K. Lindau und D. Thürkow
Die Roadmap für Education for Sustainable Development (UNESCO 2020) sowie die
Berliner Erklärung (UNESCO und DUK 2021) weisen auf die zukünftige Ausweitung
einer BNE insbesondere in der schulischen Bildung und der unmittelbar damit ver-
bundenen Lehrkräftebildung hin. Unter anderem heißt es, „jungen Menschen die aktive
Mitwirkung an einer nachhaltigen Entwicklung dadurch zu ermöglichen, dass Lernan-
gebote und Möglichkeiten für bürgerschaftliches Engagement geschaffen und sie mit
Kompetenzen und Instrumenten ausgestattet werden, um durch Beteiligung an BNE zum
individuellen und gesellschaftlichen Wandel beizutragen“ (UNESCO und DUK 2021,
S. 4). Innerhalb der Leitlinien einer BNE wird die Bedeutung von authentischen und
lebensbedeutsamen Lernumgebungen ebenso betont wie die zunehmende Digitalisierung
(BMZ und KMK 2016; Engagement Global 2018). In diesem Kontext ist es notwendig,
geeignete Lernumgebungen zu entwickeln, die verschiedene BNE-affine Ansätze ver-
binden. Im Rahmen der Lehrerprofessionalisierung sind solche Lernangebote relevant,
um zukünftige Lehrkräfte auf ihr komplexes Berufsfeld vorzubereiten.
Um diesen Anforderungen ausreichend Rechnung zu tragen, muss sich auch die
Lehrkräftebildung ständig neu ausrichten. Die Gestaltung sowie die Bewältigung einer
komplexen Lernumgebung stellt hohe Anforderungen an zukünftige Lehrkräfte im Fach
Geographie. Innerhalb der universitären Lehrkräftebildung stellt Keller-Schneider (2013)
die Bedeutung von praxisorientierten Lehrveranstaltungsformaten und angemessenen
Lehranforderungen innerhalb der Lehrerprofessionalisierung heraus. Die in den Lehrver-
anstaltungen gestellten Anforderungen leisten im Sinn von Herausforderungen sowie den
dadurch gesammelten Erfahrungen insbesondere im Theorie-Praxis-Bereich einen wert-
vollen Beitrag zur Lehrerprofessionalisierung, wenn die Studierenden diese komplexen
Herausforderungen annehmen. Durch die Bewältigung von Herausforderungen können
neue Erkenntnisse gewonnen und in die subjektiven Strukturen der einzelnen Personen
integriert werden (Neuweg 2011). Bedeutsam ist dabei die Schnittstelle BNE und
Digitalisierung, obwohl durch die große Komplexität die Anforderungen für angehende
Lehrkräfte besonders hoch sind (Baumert und Kunter 2006). Ein mögliches Lehr-Lern-
Setting für BNE stellt das Konzept des Service Learning dar. „Service Learning – Lernen
durch Engagement“ ist eine Lehr-Lern-Form, bei der Studierende sowie Schülerinnen
und Schüler Kompetenzen und Wissen in Schule oder Hochschule erwerben und dieses
Wissen in der Praxis zum Nutzen sozialer Belange einsetzen (Reinders 2010). Service
Learning fördert damit die sozialen und beruflichen Kompetenzen der Lehramts-
studierenden. Damit einhergehend erfolgt die Transformation der Lernerfahrungen in
aktive, gemeinwohlorientierte Engagements.
Ziel des Beitrags ist es, eine Lernumgebung zu konzipieren, die die eingehend vor-
gestellten Problemstellungen und Anforderungen einer zukünftigen Gesellschaft auf
regionaler und lokaler Ebene berücksichtigt und zusammenführt. Wie kann ein Projekt-
seminar konzipiert werden, in dem Lehramtsstudierende eine Exkursion mithilfe der
digitalen Plattform „Klimaanpassung online verstehen“ und des Service-Learning-
Ansatzes für Schülerinnen und Schüler organisieren?
14 Lehrerprofessionalisierung durch Service Learning … 167
Die Anforderungen an Lehrkräfte sind sehr komplex. Sie zielen in erster Linie auf
die zukunftsfähige Vorbereitung von Schülerinnen und Schülern ab, da die globalen
Herausforderungen in starkem Maß von Klimaveränderungen und resultierenden
Klimaanpassungsmaßnahmen geprägt sein werden. Dies beinhaltet zuerst die Analyse
der systemischen Sichtweise der zentralen Probleme. Darüber hinaus sind aber auch
Fähigkeiten zu entwickeln, die ein solidarisches, mitverantwortliches und nachhaltiges
Handeln auf lokaler und globaler Ebene reflektieren (DGfG 2010, 2020). Der Ansatz des
Service Learning bietet dabei Potenziale für die Lehrkräftebildung, um die unterricht-
lichen und schulischen Lernumgebungen sowie die gesellschaftlichen Perspektiven zu
vereinen. Anderson und Root (2010) verstehen unter Service Learning in der Lehrkräfte-
bildung
1. Designing and facilitating service-learning experiences for [...] students in order to learn
about the use of service-learning as a pedagogy
2. Participating in a service-learning experience to better achieve course goals
In either case, teacher candidates work closely with the community to identify and address
genuine community need and engage in systematic reflection to accomplish course goals,
enhance their personal and professional formation, and develop civic responsibility.“ (S. 24)
Das Konzept Service Learning stellt somit ein Beispiel der universitären Geographie-
Lehrkräftebildung dar, das fachwissenschaftliche, fachdidaktische, geomediale und
schulpraktische Professionalisierungsansätze verbindet und darüber hinaus auch zivil-
gesellschaftliche Perspektiven in Form der Bedürfnisse der Kommune berücksichtigt
(Reinders 2010). Die Lehramtsstudierenden entwickeln mithilfe der digitalen Platt-
form „Klimaanpassung online verstehen“ eine Exkursion für Schülerinnen und Schüler,
indem sie authentische Lernorte, digitale Medien sowie Geländemethoden miteinander
kombinieren und anschließend als Service-Learning-Angebot in der schulischen
Praxis anbieten und erproben. Die gewählte Gesamtkonzeption des Lernsettings
soll bei Lernenden zur Erkenntnisgewinnung von klimatischen Prozessen und ihre
Relevanz im unmittelbaren Lebensumfeld beitragen. Gleichwohl sollen die Lehramts-
studierenden zur Initiierung von komplexen Lehr-Lern-Settings befähigt und durch die
dabei gesammelten praktischen Erfahrungen in ihren Selbstwirksamkeitserwartungen
bestärkt werden. Im Setting kommt dem authentischen Lernort eine wichtige Rolle
zu, da Service-Learning-Projekte tatsächliche, gesellschaftsrelevante Probleme der
Kommune in enger Zusammenarbeit mit der Schule bzw. Hochschule fokussieren und
Reflexionsanlässe zu authentischen Problemkontexten bei Schülerinnen und Schülern
bzw. angehenden Lehrkräften bewirken (Sliwka 2004; Thönnessen 2016). Die gewählten
Service-Learning-Ansätze orientieren sich in Anlehnung an Seifert et al. (2012) und
168 A.-K. Lindau und D. Thürkow
durch vereinfachte Simulationen ergänzt werden. Zusätzlich sind für jede Lerneinheit
interaktive Tests integriert, die den Anwendenden die Möglichkeit geben, den Lern-
erfolg umgehend und selbstständig zu kontrollieren (Thürkow et al. 2019). Aus der
didaktischen Perspektive nimmt in diesem Zusammenhang das Systemkonzept inner-
halb des Geographieunterrichts als Hauptbasiskonzept eine Schlüsselfunktion ein, bei
der die Einbindung von Systemkomponenten (Struktur, Funktion, Prozess) sowie ver-
schiedenen Maßstabsebenen (lokal – global) bedeutsam sind (Mehren et al. 2015; Lindau
et al. 2020). Ausgehend von den thematischen Grundlagen zu den Ausprägungen von
Phänomenen des Klimawandels und daraus resultierenden Folgen werden exemplarisch
anhand eines in Mitteldeutschland befindlichen Trockengebiets repräsentative, auf
andere Räume übertragbare Maßnahmen zur Klimaanpassung determiniert (Abb. 14.1).
Die Lehr- und Lernangebote werden für ihre möglichst breite Nutzung im gesamten
deutschsprachigen Raum innerhalb einer modular aufgebauten E-Learning-Plattform
als Rich Internet Application (RIA) implementiert. Zu diesem Zweck kommt das Open-
Source-basierte Web Content Management System (WCMS) Drupal zum Einsatz. Dieses
WCMS wurde ausgewählt, um innerhalb seines taxonomischen Subsystems Möglich-
keiten zur semantischen Klassifikation raum-, zeit- und themenbezogener Daten zu
bietet. Eine breite Palette von proprietärer Software und Open-Source-Anwendungen
dient der Generierung von im Lernportal implementierten standardkonformen Geo-
diensten und Services. Dies betrifft beispielsweise WFS- und WMS-Dienste ver-
schiedener, den Web Maps und Web Apps zugrunde liegenden Feature-Layers. Diese
visualisieren direkt sichtbare naturräumliche Ausstattungen, z. B. Relief, Bodenart oder
Flächennutzung, sowie nicht unmittelbar sichtbare räumlich-zeitliche Phänomene, z. B.
räumlich-zeitliche Szenarien von Klimaparametern und Landschaftsentwicklungen,
Entstehung und Ausprägung von Hochwasser sowie Szenarien zur Bodenerosion und
Schneebedeckung in mitteldeutschen Mittelgebirgen. Mittels regionaler Fallbeispiele
sind Szenarien durch virtuelle Landschaftsmodelle, modellhafte Simulationen und
interaktive Augmented-Reality-Anwendungen implementiert. Darüber hinaus werden
datenbankgestützte Services von In-situ-Messreihen zu klimatologischen, phäno-
logischen, pedologischen und hydrologischen Parametern programmiert (PHP, Python,
R, JSON). Sämtliche Werkzeuge werden für den Einsatz im Rahmen von Blended-
Learning-Modellen (MacDonald 2006; Mitchell und Honore 2007) entwickelt und
können aufgrund ihrer Vielfalt inhaltlich und methodisch variabel eingesetzt werden.
Zahlreiche integrierte interaktive Übungen ermöglichen den Nutzerinnen und Nutzern
die selbstständige Kontrolle ihres Lernerfolgs. Die Konzeption und Umsetzung der
Online-Lernmodule erfolgen auf Grundlage von Esri Story Maps innerhalb von ArcGIS
Online. Story Maps eignen sich besonders als Werkzeuge aufgrund ihres Designs
und ihrer Benutzerfreundlichkeit für jedes mobile Gerät und somit für den Einsatz an
außerschulischen Lernorten (Abb. 14.2; ESRI 2012; Gutting et al. 2019; Harris 2020).
Weitere detaillierte Informationen zur technischen Umsetzung sind in Thürkow et al.
(2019, 2020) ausgeführt.
170 A.-K. Lindau und D. Thürkow
Abb. 14.1 Aufbau der digitalen Plattform „Klimaanpassung online verstehen“ (Thürkow et al.
2020, S. 3)
14 Lehrerprofessionalisierung durch Service Learning … 171
Abb. 14.2 Konzeption der digitalen Lernmodule „Klimaanpassung online verstehen“ (Thürkow
et al. 2020, S. 6)
Im Folgenden wird eine Konzeption für ein Seminar innerhalb des geographie-
didaktischen Studiums im Kontext des Service Learning im Überblick vorgestellt.
Ziel ist es, dass sich angehende Lehrkräfte fachwissenschaftlich zu globalen und
regionalen bzw. lokalen Klimaveränderungen sowie über Anpassungsstrategien mit-
hilfe der Lehr-Lern-Plattform „Klimaanpassung online verstehen“ befähigen sowie
ein Engagement für Fragen der klimabezogenen Maßnahmen der Kommune und des
eigenen Handelns entwickeln. Darüber hinaus wird angestrebt, dass die Studierenden
ihre fachdidaktischen Kompetenzen in der Planung, Durchführung und Reflexion einer
Exkursion für Schülerinnen und Schüler zum SDG 13 „Klimawandel bekämpfen“ (UN
2015) weiterentwickeln. Das Konzept des Service Learning wurde im Rahmen des geo-
graphiedidaktischen Seminars von den Dozierenden mit dem Ziel vorgestellt, angehende
Lehrkräfte mit projektorientierten sowie konstruktivistischen Unterrichtsmethoden ver-
traut zu machen. Die Qualitätsmerkmale des Service Learning nach Seifert et al. (2012)
172 A.-K. Lindau und D. Thürkow
und Furco (2004) wurden im Seminar diskutiert, wobei es zentrales Anliegen der Lehr-
veranstaltung war, am Beispiel der gegenwärtigen und zukünftigen klimatischen Ver-
änderungen, Anpassungsstrategien und Gegenmaßnahmen zum Klimawandel am
Beispiel des (sub)urbanen Raums Halle (Saale) zu reflektieren. Dazu wurde von den
Studierenden Kontakt zum Stadtplanungsamt der Stadt Halle aufgenommen, um einen
realen Bedarf hinsichtlich der durch Klimaveränderungen notwendigen städtischen
Maßnahmen zu erschließen, um diese in die Exkursionsplanung einbinden zu können.
Im Rahmen des Bildungsangebots sollten exemplarisch extreme Hochwasser- und
Dürreereignisse der Stadt Halle (Saale) fokussiert werden. Als Zielgruppe der Inter-
vention wurde eine neunte Jahrgangsstufe mit 95 Schülerinnen und Schülern eines
Halleschen Gymnasiums gewählt. Die Exkursion führte an das Saaleufer der Stadt Halle,
die im Mitteldeutschen Trockengebiet liegt. Die zentrale Leitfrage der Exkursion lautete:
„Was haben Hochwasser und Dürre in Halle mit dem Klimawandel und mir zu tun?“.
Das Lernformat sollte den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, den Zusammen-
hang zwischen dem globalen Klimawandel und lokalen extremen Wetter- und Klima-
ereignissen zu analysieren und damit einhergehend die eigene Rolle und Potenziale
des eigenen Engagements zu bewerten. Zum Einsatz kamen die Online-Plattform
„Klimaanpassung online verstehen“ für die Erschließung der Komplexität des globalen
Klimasystems und seine Auswirkungen auf verschiedenen Maßstabsebenen sowie das
Beobachten und Messen von lokal wahrnehmbaren Phänomenen am außerschulischen
Lernort (z. B. Wetter- und Gewässerdaten). Zusätzlich wurde mittels der Esri-
Anwendung „Survey 123 for ArcGIS“ eine App zur Dateneingabe von eigenständig
gemessenen Wetterdaten sowie Parametern von Wasseranalysen der Saale entwickelt,
die mithilfe von Tablets eingetragen und mit den Werten der Jahre 2013 (Hochwasser)
und 2018 (Dürre) verglichen wurden. Anschließend erörterten die Studierenden mit den
Schülerinnen und Schülern die Prognosen der klimatischen Entwicklungen des Mittel-
deutschen Trockengebiets sowie Möglichkeiten der Entwicklung von Klimaanpassungs-
strategien und Maßnahmen gegen den Klimawandel auf kommunaler, schulischer
sowie persönlicher Ebene. In den abschließenden drei Seminarsitzungen widmeten
sich die Lehramtsstudierenden der Reflexion der Schülerexkursion sowie der Konzepte
des Service Learning, BNE und Digitalisierung und deren Bedeutsamkeit für das
professionelle Lehrerhandeln bzw. die Lehrkräftebildung. Die Tab. 14.1 zeigt den Ablauf
des Seminarkonzepts.
Die Ergebnisse des Seminars können auf mehreren Ebenen ausgeführt werden.
In Anlehnung an Keller-Schneider (2013) waren die Herausforderungen für die teil-
nehmenden Lehramtsstudierenden sehr komplex. Neben der fachlichen Fragestellung
zur Problematik der Klimaveränderungen und der in Folge notwendigen Anpassungs-
strategien von Kommunen setzten sich die Lehramtsstudierenden mit den konkreten
Herausforderungen der Stadt Halle (Saale) auseinander (Thürkow et al. 2020). Darüber
hinaus erwarben die Studierenden erste Erfahrungen in der Planung einer Schüler-
exkursion und konnten ihre Konzeptionen in der Praxis unter Realbedingungen erproben
(Lindau et al. 2020).
14 Lehrerprofessionalisierung durch Service Learning … 173
Bezogen auf die Studierenden wurde festgestellt, dass ein Großteil der Studierenden
die komplexen Herausforderungen des Lehr- und Lernsettings angenommen haben.
Sie standen den gestellten Aufgaben positiv gegenüber und waren insgesamt offen für
die Gestaltung eines eigenen Service-Learning-Angebots und erkannten auch die Sinn-
haftigkeit des Ansatzes anhand der Kriterien nach Seifert et al. (2012). Die Studierenden
beschrieben die Möglichkeit, mit Schülerinnen und Schülern unter Praxisbedingungen zu
arbeiten, als sehr gewinnbringend für ihre eigene Professionalisierung. Die Einbindung
der Plattform „Klimawandel online verstehen“ unterstützte die angehenden Lehrkräfte
insbesondere hinsichtlich des eigenen fachlichen Kompetenzerwerbs. Darüber hinaus
wurde die didaktisch aufbereitete digitale Lernumgebung als sehr hilfreich für die
Bewältigung der komplexen Herausforderung bewertet.
Die Komplexität der Herausforderungen zu meistern, gelang allerdings nicht allen
Studierenden. So konzentrierten sich einige stärker auf den fachlichen Inhalt, andere
eher auf die methodische Ausgestaltung der Schülerexkursion, wobei die jeweils
anderen Aspekte in den Hintergrund traten. Die Schwerpunktsetzung veränderte sich
hierbei über die Phasen des Seminars. So standen in der Planungsphase vor allem die
174 A.-K. Lindau und D. Thürkow
Das Seminarkonzept kann sowohl inhaltlich als auch medial auf andere Bereiche
angewendet werden. Statt einer Auseinandersetzung mit dem SDG 13 ist es mög-
lich, eine Fokussierung auf andere Nachhaltigkeitsziele anzudenken (UN 2015). Die
Vernetzung zu anderen Zielen wie Nachhaltige Stadtentwicklung und Landnutzungs-
formen kann anhand der Klimabildung verdeutlicht werden und dadurch insbesondere
das Systemdenken schulen. Die Verwendung der Lehr-Lern-Plattform „Klimaanpassung
online verstehen“ bietet Potenziale der Analyse von Räumen auf der globalen, regionalen
und globalen Maßstabsebene. Das Konzept des Service Learning ermöglicht es
angehenden Lehrkräften, neben der inhaltlich-fachlichen Ausrichtung auf Nachhaltig-
keitsthemen durch das Lehr-Lern-Konzept des Service Learning eine transformative
Lehr- und Lernumgebung im Kontext einer BNE kennenzulernen. Durch die theoretische
Durchdringung und Vernetzung der verschiedenen Konzepte sowie die praktische
Umsetzung während einer Schülerexkursion werden Erfahrungen gesammelt, die zur
eigenen Lehrerprofessionalisierung beitragen.
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176 A.-K. Lindau und D. Thürkow
Inhaltsverzeichnis
U. Hobusch (*)
Wirtschaftsuniversität Wien, Institute for Ecological Economics & RCE Vienna,
Wien, Österreich
E-Mail: ulrich.hobusch@agrarumweltpaedagogik.ac.at
U. Poelzl-Hobusch
FH JOANNEUM GmbH, Graz, Österreich
E-Mail: upoelzl@oeversee.at
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 177
Springer Nature 2022
J. Weselek et al. (Hrsg.), Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_15
178 U. Hobusch und U. Poelzl-Hobusch
15.1 Einleitung
Content and Language Integrated Learning (CLIL) als ein sprachdidaktischer Ansatz, der
sich auf die Integration von fachspezifischem Kontext in der Sprachlehre konzentriert
(Marsh et al. 2012), liefert ein etabliertes Modell, das sich mit dem transformierenden
Potenzial von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE; Singer-Brodowski 2016) als
Schlüsselansatz zur Verankerung der Themenbereiche der United Nations Sustainable
Development Goals (UN-SDG; Colglazier 2015) etablieren kann. Online-CLIL-
Lehrveranstaltungen (E-CLIL-LV) können einen entscheidenden Beitrag zu sozialer
Interaktionsfähigkeit bei Problemlösung und interkultureller Zusammenarbeit leisten.
Der vorliegende Beitrag auf Basis eines E-Didaktikkonzepts möchte den inter- und
transdisziplinären Herausforderungen der heutigen Zeit über das verbindende Medium
einer Weltsprache entgegentreten. Die Online-Lernumgebung ermöglicht örtliche und
zeitliche Flexibilität des Lehrens und Lernens, wobei Synchronizität/Asynchronität in
Relation zu den Eigenschaften und Bedürfnissen der Lernenden individuell moduliert
werden können. Teilnehmende Beobachtungen vonseiten der Lehrenden belegen die
Möglichkeiten und Vorteile des Formats, das auch post-COVID als didaktisch sinnvoll
erachtet wird und dem Stigma einer geringeren Qualität von (Notfall-)Fernunterricht
entgegenwirkt (Hodges et al. 2020). In diesem Sinn werden anhand konkreter Beispiele
Bedingungen für Gelingen, Nutzen und Lerneffekte von BN(E)-CLIL als systemischem
Ansatz sowohl im Sekundar- als auch im Hochschulbereich ausgeleuchtet.
Hochwertige Bildung ist eines der 17 Nachhaltigkeitsziele, SDG4, der im Jahr 2015 in
New York verabschiedeten UN-Agenda 2030 (Schreiber und Siege 2015, S. 49 f.) mit
dem Ziel, Weltbürger*innen herkunftsunabhängig gleichwertige Zukunftschancen zu
eröffnen. Die aktuelle Bildungsagenda Globale Agenda 2030 baut insbesondere auf den
internationalen Bildungsprogrammen Education For All (1990–2015), den Millennium
Development Goals (2000–2015) und der Bildung für nachhaltige Entwicklung (2005–
2014) auf und setzt deren Bildungsarbeit bis 2030 fort (Grobbauer 2016, S. 18–22).
Eine erfolgreiche Umsetzung der BNE setzt ineinandergreifende Bildungsparadigmen
(Schreiber und Siege 2015, S. 26f.) und vernetzte Bildungsinstitutionen voraus, um
globale Nachhaltigkeitsziele über hochwertige Bildungsangebote grundständig und zeit-
nah in der Gesellschaft zu verankern. Durch Digitalisierung können in diesem Kontext
Multiplikatoreneffekte genützt und auch Sprachgrenzen überwunden werden, wenn
Internationalisierung mitgedacht wird und Wissenstransfer über den gesamten Bildungs-
sektor hinaus stattfindet.
15 Instrumentalisierung, Institutionalisierung und Internationalisierung… 179
CLIL sticht hinsichtlich der Umsetzung als ein vielversprechender Ansatz heraus, da er
sich auf die Integration von fachspezifischem Kontext in die Sprachlehre konzentriert
(Marsh et al. 2012). Universitärem CLIL, auch Integrating Content and Language in
Higher Education (ICLHE; Valcke und Wilkinson 2017), steht die zunehmende Ver-
wendung von Englisch als Arbeitssprache gegenüber, wobei das Interesse im zweiten
Szenario „vorrangig den Fachinhalten sowie der angestrebten internationalen Aus-
richtung von Lehrenden und Lernenden“ gilt (Smit 2015, S. 2). Dabei wird auf der
Mikroebene oft ein muttersprachliches Normverständnis vorausgesetzt, dem die
Akteur*innen in der internationalen und interkulturellen Kommunikation oft nicht ent-
sprechen (Smit 2015, S. 2). Linguistische Unterstützung Studierender und Lehrender
kann im Rahmen des 4C-Rahmenkonzepts des CLIL-Ansatzes nach Coyle (2007)
durch Interdisziplinarität und kooperative und kontextualisierte Lehrpraktiken zwischen
Englischlehrenden und Fachexperten gewährleistet werden (Smit 2015, S. 16). Bei
den Inhalten („content“) geht es nach Coyle (2007) nicht nur um den Erwerb von
Wissen, sondern um Wissenskonstruktion und die Entwicklung von Fähigkeiten und
Kompetenzen (personalisiertes Lernen). Denkprozesse („cognition“) müssen auf ihre
sprachlichen Anforderungen hin analysiert werden, um Lernen mittels der Nichtmutter-
sprache durch Input- und Output-Scaffolding (Theodorou 2016), d. h. rezeptive und
produktive Unterstützung, zu ermöglichen. Die für das Lernen grundlegende Inter-
aktion („communication“) im Lernkontext geht über rezeptives Zuhören bei Lehrver-
anstaltungen hinaus. Kritisches Denken und Sprache sind laut Blooms Taxonomiestufen
(Bloom et al. 1956) untrennbar miteinander verbunden. Zur kritischen Auseinander-
setzung mit Lerninhalten müssen Lerner zur Umsetzung, Anwendung, Analyse, Synthese
und Beurteilung in einer Zweitsprache befähigt werden (Dalton Puffer 2013). Das vierte
C, „culture“, hat die Förderung von interkulturellem Bewusstsein zum Ziel (Coyle 2007)
und damit auch einen intrinsischen Anspruch auf Verankerung im hier präsentierten
BN(E-)CLIL-Ansatz.
15 Instrumentalisierung, Institutionalisierung und Internationalisierung… 181
Tab. 15.1 E-didaktische Umsetzung der vier C des BN(E-)CLIL im Rahmen einer englisch-
sprachigen, synchronen Online-Sequenz. (Eigene Darstellung nach UCLES 2009)
Developing content Developing Developing cognitive Developing an
vocabulary communication skills skills awareness of culture
Input scaffolding: Explaining the usage Analysing a video in Reading an inter-
LAER: meaning of of active terms of national sales training
acknowledging listening in a active listening blog post about field
and exploring steps in workplace video Evaluating the effects application of
the listen, Using phrases for on the LAER
acknowledge, explore, acknowledging speaker/sender Finding out about
and respond and exploring in a Hypothesizing how the diplomatic language
model for active game (hot seat) 20/80 usage by English
listening and in a simulation rule of listening native speakers by
Output scaffolding: Discussing why active (Pareto’s Law) watching a video
Phrases for listening is could benefit any Reducing or
acknowledging and key in negotiations negotiator modulating directness
exploring Using phrases for Transferring in
Language of proposals acknowledging knowledge to the dealing with people
in formal and exploring in a proposal stage of a from different
negotiations incl. guided formal cultural backgrounds
business terms negotiation task for negotiation relative to the
Diplomatic language paraphrasing norms of the cultures
patterns: and summarizing a at hand
using would, could, proposal
might, Applying diplomatic
introductory phrases language for
counter proposing in a
guided
negotiation task
15.4 Diskussion
Im vorliegenden Beitrag wurde der Wichtigkeit von Synergien zwischen Sekundar- und
Hochschulbereich sowie interdisziplinärer Kooperation innerhalb von Hochschulen, ins-
besondere von Sprachlehrenden und Fachexperten im Vermittlungskontext von BNE im
digitalen und internationalen bzw. interkulturellen Kontext nachgegangen. Durch das
Aufzeigen von Bedingungen bzw. Voraussetzungen für nachhaltige und hochwertige
Lehre gemäß SDG4, die Diskussion des entscheidenden Vorteils von CLIL gegenüber
Englisch als Arbeitssprache zur Emanzipation und Handlungsfähigkeit sowie Nennung
konkreter Lernzielsetzung innerhalb einer Unterrichtssequenz wurde versucht, die Lern-
effekte herauszuarbeiten und nachvollziehbar zu machen, allen voran die Reduktion von
sozioökonomischen Unterschieden. Zur weiteren Veranschaulichung und Rezeption des
innovativen, transdisziplinären Ansatzes der Verschmelzung von BNE und CLIL wurde
der Begriff BN(E-)CLIL eingeführt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit dem
BN(E-)CLIL Ansatz Schüler*innen wie Studierenden die Möglichkeit gegeben wird,
tradierte kulturelle Stereotype und Vorurteile ab- und eine Sensitivität und Achtsamkeit
gegenüber Mitmenschen aufzubauen.
Als ein weiteres Argument für BN(E-)CLIL spricht die eingangs erwähnte bildungs-
systematische Durchlässigkeit. Dem potenziellen Wandel individueller Bedeutungs-
perspektiven im Sinn der Selbstreflexion und der kritischen Hinterfragung bestehender
Machtstrukturen wird im Rahmen eines parallel durchgeführten BN(E-)CLIL-
Schulunterrichts an einem sozioökonomisch benachteiligten Schulstandort der Sekundar-
stufe nachgegangen (Steinlechner und Hobusch 2020). Analog zur Lehrveranstaltung
im tertiären Sektor bildet eine heterogene Schüler*innenschaft aus über 90 % nicht
autochthon-österreichischer Herkunft den kontextuellen Hintergrund. Jugendliche aus
teils geflüchteten Familien (Afghanistan, Syrien, Tschetschenien, Serbien, Bosnien)
kennen strukturelle Ungleichheit aus ihrer eigenen Historie ebenso wie die Studierenden.
Der BN(E-)CLIL-Unterricht ermöglicht die Bewusstwerdung ihrer Situation und
gibt Anstoß zur Selbstreflexion über bestehende hereditäre und traditionell-kulturelle
Wertebilder, die gerade in „Brennpunktschulen“ oft unüberwindbare Barrieren bei der
zwischenmenschlichen Interaktion darstellen und ein hohes Konfliktpotenzial in sich
tragen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den SDG im Fremdsprachenunterricht
schafft eine gemeinsame Ausgangslage und fördert als einheitliches und neutrales Werk-
zeug kulturunabhängiges, emanzipatorisches Lernen, wie anhand ausgewählter Beispiele
deutlich werden soll.
Die Umstellung auf Distance Learning zeigte in beiden Settings Veränderung in
Verhaltensweisen sowie (nach einer anfänglichen Adaptierungsphase im Sekundar-
bereich durch Homeschooling) positive Lerneffekte. Durch die Beschäftigung mit
kontroversiellen Themen, wie struktureller Benachteiligung im digitalen Raum, konnte
die kritische Auseinandersetzung mit verminderter Scham ohne Gruppenzwang zum
Ausdruck gebracht werden. Selbst zuvor als unüberwindbar erachtete Situationen im
realen Klassenraum aufgrund von Stigmatisierung äußerer Merkmale von Schüler-
gruppen und kultureller Barrieren „…mit dem [abwertende Volksgruppenbezeichnung/
Ethnophaulismus] arbeite ich sicher nicht zusammen…“ gerieten in den Hintergrund.
War es in Präsenz nicht möglich, eine Studentin aus Uganda aus kulturellen Gründen
für eine Partnerarbeit neben einen Mann zu setzen oder asiatische Studierende aufgrund
der rezeptiven Lernhaltung zu kritischen Stellungnahmen zu motivieren, so zeigt sich der
Wegfall von kulturell bedingten Einschränkungen und interkulturellen Spannungsfeldern
in einer deutlich höheren Partizipation.
Eigenreflektorische Freiheit, die Wahrung des Gesichts, die Scheu, sich zur Schau zu
stellen oder andere Auffälligkeiten zu zeigen, wie in High-context-Kulturen weit ver-
breitet (Hall und Hall 1977), sowie die aktive Zuhörbereitschaft von Low-context-Kulturen
15 Instrumentalisierung, Institutionalisierung und Internationalisierung… 185
Das Praxisbeispiel legt nahe, dass sich in einer Lehrveranstaltung exemplarisch die drei
Charakteristika transformativer Bildung (UNESCO 2019, S. 14) verwirklichen lassen:
der Wandel individueller Bedeutungsperspektiven, der kollektive Bewusstwerdungs-
und Emanzipationsprozess im Sinn der Selbstreflexion und der kritischen Hinterfragung
bestehender Machtstrukturen sowie die Veränderung von Kulturen und Strukturen, die
emanzipatorisches Lernen behindern.
Angesichts des explorativen Charakters des hier vorgestellten Ansatzes sind weitere
Forschungsarbeiten erforderlich, um eine empirische Evidenz und Verallgemeiner-
barkeit der beobachteten Effekte zu ermöglichen. Die primär auf Basis teilnehmender
Beobachtungen und hochschulüblicher Leistungsüberprüfungen (Lernplattform Moodle)
getroffenen Annahmen und Schlüsse in diesem Beitrag zeigen jedoch hinsichtlich
des Anspruchs eines Praxisbeitrags hinreichende Gründe, BN(E-)CLIL als relevanten
sprachdidaktischen Ansatz weiter zu verfolgen. Die nun schon in der zweiten Kohorte
online durchgeführte BN(E-)CLIL-Lehrveranstaltung zeigt vor allem, dass Sprach-
handlungsfähigkeit und Gleichstellung hohe studentische Motivatoren darstellen, wie
sich auch in den Prüfungsergebnissen, die die inhaltliche und sprachliche Komponenten
abbilden, veranschaulichen lässt. Gegenüber der ersten Online-Kohorte zeigt sich
eine deutliche Leistungssteigerung in der über die Lernplattform Moodle generierten
statistischen Auswertung. Die Anwesenheitsquote bei beiden synchronen Online-Lehr-
veranstaltungen liegt deutlich über dem Schnitt der Prä-Covid-19-Lehre. Künftige
Forschungsbemühungen zu BN(E-)CLIL könnten insbesondere die exakte Messung
und die Schaffung strukturierter und reproduzierbarer Lehr-Lern-Settings in den Vorder-
grund stellen. Für die Weiterführung könnte weitere Literatur aus dem inter- und trans-
disziplinären wissenschaftlichen Umfeld konsolidiert werden, um die Relevanz zu
schärfen und die Rahmenbedingungen gründlicher zu verstehen.
186 U. Hobusch und U. Poelzl-Hobusch
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15 Instrumentalisierung, Institutionalisierung und Internationalisierung… 187
Karin Vogt
Inhaltsverzeichnis
Der Begriff der Nachhaltigkeit als Teil der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
wird auch in der Fremdsprachendidaktik im Zusammenhang mit fremdsprachen-
didaktischen Zugängen zu dem Themenkomplex bearbeitet. Im Jahr 2021 setzten sich
K. Vogt (*)
Pädagogische Hochschule, Institut für Fremdsprachen, Abteilung Englisch,
Heidelberg, Deutschland
E-Mail: vogt@ph-heidelberg.de
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 189
Springer Nature 2022
J. Weselek et al. (Hrsg.), Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_16
190 K. Vogt
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung charakterisiert BNE als Bildung, die
Menschen befähigt, zukunftsfähig zu denken und zu handeln (BNE-Portal o. J.). Eine
zukunftsfähige Handlungsweise ist häufig diskursiv eingebettet in ein Modell von Nach-
haltigkeit als Drei-Säulen-Modell von Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt (Konferenz
der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung 1992; Ott und Döring 2008), in
dem Fremdsprachen erst einmal keinen Platz zu haben scheinen. Auch im schulischen
Bereich erfolgte die Integration von Kunst, Musik, Deutsch und den Fremdsprachen im
sprachlich-künstlerischen Aufgabenfeld erst in der zweiten Auflage des Orientierungs-
rahmens für den Bereich Globale Entwicklung (Appelt und Siege 2007). Dabei sind
BNE-Inhalte schon seit Längerem auch Themen der Fremdsprachendidaktik.
Anders als andere Disziplinen ist der Fremdsprachenunterricht gekennzeichnet durch
die Dualität von Zielen und Inhalten (Vollmer und Vogt 2021). Damit finden sich BNE-
nahe Inhalte wie z. B. Globalisierung, Klimawandel oder soziale Gerechtigkeit thematisch
schon lange abgebildet insbesondere in fremdsprachlichen (multimodalen) Texten, aber
auch als Topoi von literarischen Texten (z. B. Lloyd Sacis dystopischer Jugendroman The
Carbon Diaries zu CO2-Emissionen) im fortgeschrittenen schulischen Fremdsprachen-
unterricht, und die Thematisierung der Ziele Globalen Lernens auf der Inhaltsebene ist
langjährige Praxis des Englischunterrichts. In theoretischer Hinsicht hat sich daraus mit
ecodidactics ein Arbeitsgebiet der Fremdsprachen methodisch-konzeptionell verankert,
das als Teil von fremdsprachendidaktisch adaptierter Global Education US-amerikanischer
Provenienz oködidaktische Ansätze für den Fremdsprachenunterricht aufgreift (Alter 2015)
und ein Bewusstsein entwickelt für BNE-nahe Ziele (Bartosch und Grimm 2014; Römhild
2021) auf der Grundlage multimodaler Texte. Global education als „education that brings
the world into the classroom“ (Kirkwood 2001 S. 3), fremdsprachendidaktische Ziele wie
fremdsprachliche interkulturelle Diskursfähigkeit verbunden mit Teilhabe und der Ent-
wicklung von Verstehen und Verständigung für andere (Bredella 2010) und BNE haben
die globale bzw. internationale Perspektive als Gemeinsamkeit (Gimenez und Sheehans
2008, S. 4) das Postulat der Entwicklung von Planetary Citizenship. Der Begriff „inter-
192 K. Vogt
IKK und im weiteren Sinn Intercultural Citizenship sind ein Schlüssel zu BNE sowie
zu nachhaltigen Veränderungen der Verhaltensweise von Lernenden basierend auf
fremdsprachlichen diskursiven Zugängen (in Form von Fremdsprachenkompetenz)
und einem Verständnis von Alterität in unterschiedlichen kulturellen Kontexten. Inter-
kulturell kompetente Lehrkräfte tragen zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses
und einer pluralistischen Gesellschaft bei und unterstützen die ideals of global learning
(Paik et al. 2015, S. 102). Interkulturelle Kompetenz ist daher eine Schlüsselqualifikation
für Lehrkräfte als Multiplikatoren von Wissen, Fähigkeiten und Einstellungen. Inter-
kulturell kompetent zu sein, ist für Fremdsprachenlehrer besonders wichtig, da ihre
Aufgabe nicht nur darin besteht, die Zielsprache zu unterrichten, sondern auch Aspekte
der Zielkultur(en) in Einklang mit den Zielen von IKK und auf einer transnationalen
Ebene als Intercultural Citizens (Byram et al. 2017) zu vermitteln. Mehrere Studien
haben jedoch gezeigt, dass trotz des Konsenses über die Notwendigkeit interkultureller
Kompetenz bei Lehrkräften es ihnen selbst häufig an interkultureller Kompetenz fehlt
(z. B. Burkart und Thompson 2014).
Ein längerer Auslandsaufenthalt scheint eine Möglichkeit zu sein, die interkulturelle
Kompetenz von Lehrkräften zu verbessern. Alfaro und Quezada (2010) weisen darauf
hin, dass Lehrkräfte, die im Ausland in einem anderen kulturellen Kontext vorüber-
16 Bildung für nachhaltige Entwicklung und digitale… 195
vorbereitet, vom Erfahrungslernen anderer und erhält idealiter Impulse für die eigene
kulturelle Handlungsfähigkeit. So erfolgt eine Vorbereitung auf künftige Begegnungs-
situationen durch die Integration theoretischer kultureller Konzepte und der Reflexion
der Konzepte basierend auf dem kulturellen Erfahrungslernen anderer, mit dem Ziel
des erhöhten interkulturellen Bewusstseins (Byram 2021). Zum dritten erfolgt für
Studierende, die bereits einen Auslandsaufenthalt absolviert haben, diesen aber nicht
angeleitet reflektierten, die Aufbereitung von vergangenen interkulturellen Begegnungen
(z. B. Au Pair, „work and travel“), die bisher nicht reflektiert und von theoretischen
Konzepten flankiert worden sind. Die kritische Reflexion vergangener Erfahrungen auf
der Basis von theoretischen Konzepten und die Ableitung von Handlungsmöglichkeiten
für zukünftige Situationen sind hier zentral. Die Ziele des Seminarkonzepts sind eng
mit interkultureller Kompetenz und Intercultural Citizenship auf einer präpolitischen
Ebene (Byram 2008; O’Dowd 2020) verbunden und befördern diese unter günstigen
Bedingungen (zu Forschungsergebnissen u. a. Vogt 2019).
Digitale Kommunikation ist essenziell für die Kommunikation in der Peergroup mit
Studierenden, die aktuell im Ausland sind, und für die Kommunikation in der Gesamt-
gruppe, die asynchrone (Lernplattform, Foren, e-Lectures, Repositorien) und synchrone
Kommunikation (Videokonferenzen, Chats/Messenger) zur kooperativen und
reflektierenden Entwicklung des interkulturellen Bewusstseins umfasst, die wiederum
in der (interkulturellen) Kommunikation auf der gemeinsamen Erarbeitung theoretischer
Konzepte und deren Anwendung auf eigene Erfahrungen und handlungsleitende
Ideen auf einer präpolitischen Ebene fußt (Byram 2008, S. 212; O’Dowd 2020). Die
digital vermittelte kulturelle Mediation auf unterschiedlichen Ebenen, mit Gesprächs-
partner*innen mit einem ähnlichen und differenten kulturellen Referenzrahmen, mit
dem Ziel der Wertschätzung kultureller Vielfalt und den notwendigen Kompetenzen zu
deren Mediation auf der Grundlage von theoretischen Wissensbeständen hat das Ziel
einer Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit im Blick. Studierende sollen sich
als Angehörige einer Weltgemeinschaft sehen; durch die diversen Formen digitaler
Kommunikation werden wichtige Ziele des SDG 4 in diesem Rahmen erst ermöglicht.
kritisches kulturelles Bewusstsein im Sinn von Byram (2021). Virtual exchange kann
viele Formen annehmen von z. B. bilateralem Austausch zweier Lerngruppen in
Tandems zu kollaborativen Projekten, bei denen Lerngruppen aus mehreren Kontexten
eine komplexe Aufgabe wie eine Romananalyse vornehmen, eine digitale Jugendzeit-
schrift erstellen, kreative Schreibprodukte anfertigen und analysieren oder kulturelle
Artefakte wie Märchen oder Rezepte aus den unterschiedlichen kulturellen Kontexten
zusammentragen und sich über ihren Ursprung oder ihre Bedeutung austauschen. Ein
virtueller Austausch ist nicht mit einer Brieffreundschaft zu verwechseln, denn er ist
weder privat noch sollte er beliebig sein. Kultureller Relativismus, bei dem Kulturen
zwar als gleichwertig, aber auch gegebenenfalls als beliebig aufgefasst werden könnten
(Byram 2008), ist zu vermeiden zugunsten der Entwicklung eines kritischen inter-
kulturellen Bewusstseins, bei dem kulturelles Wissen, Fähigkeiten und Einstellungen für
eine Evaluation von kulturellen Artefakten, Dokumenten und letztlich bei der Interaktion
mit anderen befördert werden (Byram et al. 2017).
Virtual exchange bahnt idealiter Intercultural Citizenship (O’Dowd 2020, S. 24)
im Sinn eines vertieften Verständnisses von unterschiedlichen Weltansichten auf der
Basis von digitalem Austausch an und ermöglicht auf der Grundlage einer virtuellen
Begegnungssituation das Aufgreifen von sozialen und politischen Problemen in
einer zunehmend polarisierten und widersprüchlichen Welt. Auf einer präpolitischen
Ebene (Byram 2008) geht es zunächst darum, mit anderen in den (genuinen) Aus-
tausch zu treten, Lernende ihre eigenen Vorannahmen kritisch reflektieren zu lassen
sowie gegebenenfalls zu revidieren. Als Beispiel für die Entwicklung von Intercultural
Citizenship auf dieser Ebene soll eine Vignette aus einer Studie zu einem video-
konferenzgestützten Seminar der Abteilung Englisch der Pädagogischen Hochschule
Heidelberg dienen. Diese Seminare werden seit 2009 durchgeführt. In diesem Fall
bearbeiteten 24 Heidelberger Studierende und 17 australische Studierende gemeinsam
den Roman Cloud Street des westaustralischen Autors Tim Winton und tauschten sich
neben deutscher und australischer Literatur im Allgemeinen über das Heimattopos in
dem Roman aus. Der Erstkontakt der Studierenden erfolgte bilateral über E-Mail und/
oder soziale Netzwerke, anschließend kommunizierten sie in Kleingruppen über die
Topoi Familie, Heimat und Zugehörigkeit in ihren unterschiedlichen Kontexten. Im Bei-
spiel in Tab. 16.2 geht es um Literatur der Ureinwohner*innen Australiens und implizit
um einen literarischen Kanon zu Beginn des videokonferenzgestützten Austauschs. Die
Interaktion ist aus interkultureller Sicht problematisch, weil die Heidelberger Studentin
scheinbar aus Mangel an soziokulturellem Orientierungswissen irrtümliche Vor-
annahmen zur Existenz eines schriftlichen Literaturkanons im Rahmen von rein münd-
lichen literarischen Aboriginal-Kulturen macht (s. folgende Vignette als Ausschnitt aus
einer Videokonferenz als Teil eines virtual exchange).
Durch die digitale Begegnungssituation wird deutlich, dass die Heidelberger
Studentin eine Konzeptualisierung von Aboriginal literature aus einer weißen,
kolonialisierenden Perspektive vornimmt und in der Kommunikationssituation durch
ihre Frage ihre irrtümlichen Vorannahmen sichtbar macht. Diese Konzeptualisierung
198 K. Vogt
Tab. 16.2 Ausschnitt aus Videokonferenz zwischen zwei Heidelberger Studentinnen und einer
westaustralischen Studentin (eigene Darstellung)
125 Another question I am not aware of any Aboriginal literature. There is a lot of literature
would be, is there about aboriginals. And certainly there has been a movement in the
any Aboriginal last 40 years of Aborigines writing literature. Sally Morgan has
Literature? written a book called My Place. And there has been a trend for
Aborigines in the […] last couple of years to write
But they don’t really have a written culture
wird durch die Klarstellung der Studentin in Westaustralien infrage gestellt, denn diese
widerspricht der Kommunikationspartnerin in der Interaktion die kulturellen Artefakte
der Ureinwohner*innen als mündliche Kultur betreffend, was der Heidelberger Studentin
Anlass geben sollte, ihre Vorannahmen zu überdenken und zu revidieren. Dabei ist die
Rolle der Lehrkraft entscheidend, um die kritischen Reflexionsprozesse anzuleiten und
das kritische kulturelle Bewusstsein als Voraussetzung für Intercultural Citizenship zu
entwickeln (Kurek und Müller-Hartmann 2019). Die Handlungsebene ist in der Vignette
noch nicht enthalten, sondern das Bewusstsein bildet den Schwerpunkt auf der Ziel-
ebene.
Die Handlungsebene dezidierter in den Blick nimmt das Beispiel von O’Dowd (2020)
aus dem EU-Projekt EVALUATE, bei dem die Abteilung Englisch der Pädagogischen
Hochschule Heidelberg als Projektpartner fungierte. Auf einer institutionell-
organisatorischen Handlungsebene geht es darum, unterschiedliche Stakeholder und ins-
besondere bildungspolitische Entscheidungsträger*innen einzubeziehen, um virtuelle
Austauschprojekte europaweit und nachhaltig in den Curricula von Hochschulen zu
verankern. Auf einer didaktischen Ebene kooperieren transnationale Studierenden-
gruppen in problemorientierten Szenarien zu Themen, die in den Bildungssystemen aller
Länder relevant waren, wie z. B. Rassismus, die Verwendung von Online-Technologien
im Klassenzimmer und die Rolle der Religion in Schulen. Sie entwickelten dabei unter
Verwendung von Englisch als lingua franca nicht nur ihr interkulturelles Bewusstsein,
sondern handelten ein konsensuelles Ergebnis aus, etwa in Form von Unterrichtsplanun-
gen zum Thema, das sie dann auch umsetzten – in diesem Beispiel eine Sensibilisierung
ihrer eigenen (zukünftigen) Lernenden im Rahmen des Projekts bzw. von Unterrichts-
praktika in ihren jeweiligen Ländern.
Um die Gefahr von stereotypisierender Übergeneralisierung (O’Dowd 2020) oder
kulturellem Relativismus im Sinne Byrams (2008) zu vermeiden, macht O’Dowd
(2020) eine Tendenz hin zu komplexeren Begegnungssituationen aus, die Lernenden
in transnationalen Gruppen eine komplexe Problemstellung bearbeiten lassen mit
einem konsensuellen Aushandlungsergebnis, das anschließend in eine Handlung über-
führt wird, und zwar mit der Zielrichtung auf gesellschaftliches Engagement und
16 Bildung für nachhaltige Entwicklung und digitale… 199
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202 K. Vogt
Inhaltsverzeichnis
17.1 Mit App-Touren Ziele der Bildung nachhaltiger Entwicklung unterstützen. . . . . . . . . . . 203
17.2 Von der Umwelterziehung zu einer Bildung zur nachhaltigen Teilhabe
am System Erde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
17.3 Das Potenzial des mobilen, ortsgebundenen Lernens zur Bildung für nachhaltige
Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
17.4 App-gestützte Touren zur Bildung für nachhaltige Entwicklung erstellen. . . . . . . . . . . . 207
17.5 Zentrale Aspekte für die Erstellung von Touren zur Bildung für nachhaltige
Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
17.6 Gelingensbedingungen für App-Touren zur Bildung für nachhaltige Entwicklung . . . . . 210
17.7 Transfer in die Öffentlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
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J. Weselek et al. (Hrsg.), Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_17
204 A. Chatel und G. C. Falk
2020), in der Altersgruppe der Schüler*innen (12–19 Jahre) besitzen 96 % ein Handy
oder Smartphone (JIM Studie 2020).
Die „tiefgreifenden Veränderungen der Medienwelt“, die von der Didaktik in Bezug
auf die Digitalisierung schon vor rund 20 Jahren postuliert wurden, werden zwangs-
läufig „neue Anforderungen“ an die Lehre stellen (Siegmund 2002, S. 4). Seit rund
zehn Jahren sind Smartphones und ihre Applikationen auch im Kontext des Lernens
etabliert (Aufenanger 2015, S. 77; Chatel und Falk 2017, S. 157; Ernst 2008, S. 139;
Falk 2003, S. 152) und weisen in verschiedenen Bereichen einen gesteigerten Wissens-
und Kompetenzzuwachs auf (Haimerl 2017, S. 68; Knaus 2015; Zydney und Warner
2016). Inzwischen hat sich die Computer Literacy wie prognostiziert neben Rechnen,
Schreiben und Lesen als vierte Säule basaler Kulturtechniken etabliert (Falk 2003, S. 1).
Welche Rolle Smartphones zum Erwerb von Handlungs- und Gestaltungskompetenzen
im Sinn der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) spielen, wird im Folgenden
erläutert, indem zunächst auf die Etablierung der BNE eingegangen, darauffolgend das
Potenzial digitaler Medien insbesondere in Bezug auf Smartphones zur Unterstützung
der BNE erläutert wird. Schließlich zeigen Best-Practice-Beispiele die Möglichkeiten
der Synthese auf.
Nicht nur in schulischen Bildungskontexten muss der BNE aufgrund der mit rasanter
Dynamik verlaufenden globalen Umweltveränderungen eine besondere Bedeutung bei-
gemessen werden. Dies spiegelt sich auch in den von der UN formulierten Nachhaltig-
keitszielen der Agenda 2030 wider (UN 2021). Im Zentrum des Bildungsansatzes steht
die Intention, Lernende dazu zu befähigen, ihre Handlungen im Kontext des Systems
Erde so zu gestalten, dass die Bedürfnisse der eigenen und künftigeren Generationen
nicht begrenzt werden (vgl. Deutsche UNESCO Kommission 2021).
Noch bis in die 1970er-Jahre stand im Sinn einer Umwelterziehung das Lernen über
die Natur im Vordergrund und nicht primär die Sorge um die möglichen Folgen einer
unangepassten Nutzung der Ressourcen. Auch ökonomische Überlegungen zielten
in dieser Zeit, unter nur geringer Berücksichtigung der Ressourcenendlichkeit, auf
ein fortgesetztes wirtschaftliches Wachstum. Erst mit den von der breiten Öffentlich-
keit wahrgenommenen Schädigungen lebenswichtiger ökologischer Systeme setzte
seit den 1970er-Jahren ein langsames Umdenken ein (Abb. 17.1). Obgleich sich ein
langsam wachsendes Umweltbewusstsein etablierte, stand nach wie vor mehr die
Inwertsetzung der Erde als der Umweltschutz im Fokus ökonomischer Interessen.
Aus didaktischer Perspektive vollzog sich in den darauffolgenden zwei Jahrzehnten
ein Paradigmenwechsel, weg vom Lernenden als reinem Wissensrezipienten (Lern-
objekt) hin zu einem aktiv in den Lernprozess eingebundenen Lernsubjekt. Gedanken
des aktiven Umweltschutzes flossen über die Bildungspläne in die Schule ein und
17 BNE geht App! App-Touren … 205
nach und nach entwickelte sich das Konzept der Umweltbildung. Zunächst dominierte
allerdings noch immer die Vermittlung deklarativer Wissensbestände den Bildungsalltag.
Mit dem wachsenden Bewusstsein für die Endlichkeit der Ressourcen und im Kontext
der sich intensivierenden Globalisierung rückte die Frage in den Vordergrund, wie es
gelingen kann, ökonomische Prozesse so zu gestalten, dass die Tragfähigkeit der öko-
logischen Ressourcen nicht überschritten wird. Insbesondere im Brundtland Report „Our
Common Future“ (WCED 1987) wird dieser globalen Perspektive Rechnung getragen.
Entsprechend etablierte sich auch im Bildungskontext der Ansatz einer BNE, die die
Lernenden zu einer ökologischen Handlungskompetenz befähigen sollte. In diesem
Zusammenhang entwickelte De Haan (2008) den Begriff der Gestaltungskompetenz.
Basierend auf der Erkenntnis, dass Umweltwissen nicht automatisch auch in umwelt-
adäquates Handeln mündet, steht zunehmend die Anbahnung anwendungsbezogener
Wissensbestände über diverse Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung im Vordergrund.
Eine differenzierte Betrachtung liefert die Bonner Erklärung der UNESCO „Proposal for
a Global Action Programme on Education for Sustainable Development“. Darin heißt es,
dass BNE darauf abzielt Lernende zu befähigen, Verantwortung für das eigene Handeln
zu übernehmen (Deutsche UNESCO-Kommission 2014).
Gleichsam bildet das suggestive und anthropozentrische Konzept der nachhaltigen
Entwicklung auch Ansatz für Kritik, insbesondere die oft unreflektierte und kaum
kriteriengestützte Setzung als normative Leitidee scheint problematisch. Konkret stellt
sich die Frage der Intentionalität, die darauf abzielt zu erkennen, von wem und mit
welcher Intention das Konzept „normiert“ wird.
Gesellschaften prägen ihre Umwelten, gleichsam geschieht das im Systemkontext
aber auch umgekehrt. Im Netz dieser mannigfachen Wechselwirkungen hat jede und
jeder seine Relevanz, Bedeutung und Verantwortung, das System in Balance zu halten.
Dieser vernetzende Ansatz schimmert nicht nur schon bei A. v. Humboldt durch, sondern
206 A. Chatel und G. C. Falk
prägt auch maßgeblich den Diskurs um die Deutung ökologischer Probleme seit dem
Cultural Turn (vgl. Mattissek und Wiertz 2020).
Vor dem Hintergrund dieser Gedanken wird vorgeschlagen, das Konzept einer nach-
haltigen Entwicklung in Richtung einer nachhaltigen Teilhabe des Menschen am System
Erde weiterzudenken. Dieser Ansatz unterstreicht die Dynamiken und sich bedingenden
Interaktionen im System Erde und erkennt gleichermaßen die Rolle des Menschen bzw.
der Gesellschaften als integraler Teil des Systems an. Der Einsatz von Apps kann eine
Erweiterung und Verschiebung der Perspektiven und auch die kritische Rezeption von
vermeintlich normativen Setzungen unterstützen.
BNE und digitale Medien werden zunehmend als einander ergänzende Bildungs-
komponenten verstanden, so zeigte sich in den letzten Jahren das enorme Potenzial
im Bildungs- und Ausbildungsbereich (Ehlers et al. 2013; Chatel und Falk 2018). Das
Potenzial mobiler, ortsbezogener BNE-Touren wird nach einer Analyse zahlreicher
Anwendungen von Lude et al. insbesondere in folgenden Bereichen gesehen: zum
einen die Erhöhung der Authentizität und zum anderen dadurch, dass die Studierenden
die Inhalte eigenständig vor Ort erarbeiten können. Ferner können Quellen, die online
zugänglich sind, leicht einbezogen und direkt vor Ort abgeglichen werden (Lude 2013).
Sebastián-López und Gonzáles (2020) bescheinigten anhand einer Studie mit 188
Studierenden dem mobilen Lernen eine deutlich positive Auswirkung auf die BNE sowie
auf die Entwicklung von Kompetenzen zur kritischen Auseinandersetzung mit ver-
schiedenen Themen im Sinn der Ziele einer BNE (Sebastián-López und González 2020).
Motivation Das Lehren und Lernen mit digitalen Medien wird dabei zunehmend
„systemischer, multiperspektivischer, personalisierter“ (Schrüfer und Brendel 2018,
S. 11). Dies gelingt jedoch nur, wenn zunächst Motivation aufgebaut wird (Deimann
2002, S. 61). Neue Informationstechnologien sind, „für die Erstellung reichhaltiger,
realitätsnaher und multiperspektivischer Lernumgebungen zur intrinsischen Motivations-
steigerung gut geeignet“ (Höhnle 2014, S. 50) und zeigen positive Effekte auf den Lern-
erfolg (Schrüfer und Brendel 2018, S. 10).
„dass im BNE-relevanten Unterricht vor allem mit […] neuen Medien wie Internet und
Smartphone (50,9%) gearbeitet wurde“ (Waltner et al. 2021).
17 BNE geht App! App-Touren … 207
Das Erstellen von digitalen BNE-Touren bietet für viele Studierende eine neue Erfahrung
und umfasst eine große Bandbreite an Lernfeldern (detaillierte Anleitung für die
Erstellung bei Chatel 2020), indem Aspekte der BNE von den Studierenden zunächst
identifiziert werden, anschließend inhaltlich vertieft aufgearbeitet und schließlich als
digitale Touren didaktisch umgesetzt, reflektiert und von ihren Kommilitonen und
der Zielgruppe erprobt werden. Abschließend wird die Tour an den didaktischen Leit-
prinzipien und Theorien der Exkursionsdidaktik und der BNE gemessen sowie optimiert.
BNE geht App! Am Institut für Geografie und ihre Didaktik der Pädagogischen Hoch-
schule Freiburg und der Universität Freiburg wurden in den letzten Jahren 18 Seminare
mit insgesamt 368 Studierenden zahlreiche App-Touren von Studierenden für ver-
schiedene Zielgruppen erstellt. Eine eigens am Institut für Geografie und ihre Didaktik
entwickelte App ermöglicht den Studierenden die Entwicklung von App-Touren anhand
von Audios, Kurzfilmen, Texten, Fotos, historischen Bildvergleichen und Augmented-
Reality(AR)-Elementen.
208 A. Chatel und G. C. Falk
Kompetenzen in der BNE stärken Die Studierenden stärken zum einen ihre didaktischen
Kompetenzen im Rahmen der Analyse auszuwählender Inhalte, zum anderen erweitern
sie ihre Kompetenz im Bereich der kritischen Medienrezeption und Methodik, indem sie
eigenständig Themen aus den gesellschaftlichen Diskursen digital aufbereiten, erfahrbar
machen sowie didaktisch reduzieren und rekonstruieren. Die Evaluation des Seminares
zeigte, dass durch das Seminar anhand der Erstellung einer BNE Tour die Kompetenzen
der Studierenden in der BNE gestärkt wurden (X̅ = 8,36; σ = 1,49; Skala 1–10; n = 23). Das
methodische Vorgehen wurde mit X̅ = 7,45 und σ = 1,99 bewertet. In weiteren Seminaren
sollen diese Ergebnisse erweitert und eingehender untersucht werden.
Einige Aspekte haben sich als wesentlich für die Erstellung von BNE-Touren heraus-
kristallisiert.
Lernen in emotionalen Kontexten Besonders effektiv zeigte sich bei der Thematik
auch, das Lernen in einen „emotionalen Kontext“ (Deimann 2002, S. 65) zu stellen.
Wie bereits durch vielfältige Studien aufgezeigt wurde, werden Informationen, die mit
17 BNE geht App! App-Touren … 209
Emotionen verknüpft werden, besser behalten (Spitzer 2009, S. 159). Die Studierenden
scheuen sich zunächst häufig davor, auch werteorientierte Inhalte und Aspekte, die
emotional ansprechen, mit aufzunehmen, erkennen infolge der Erprobung aber schnell
die bessere Erinnerung genau dieser Inhalte. Besonders effektiv fielen Touren auf, bei
denen die Informationen durch selbstständiges Handeln erarbeitet und gleichzeitig mög-
lichst viele Sinne angesprochen wurden. Dies bestätigt auch Siegmund (2002), indem
er hervorhebt, dass bei derartigen Bildungsangeboten der Behaltensquotient bis zu
90 % erreichen kann. Dickel und Glasze (2009) konstatieren ebenfalls, dass das multi-
sensorische Erleben des Raums zur besseren kognitiven Verarbeitung führt (S. 8).
Integration von Slidern und Augmented Reality Durch die Einbindung von Slidern
und AR-Elementen in die Touren können BNE-Phänomene entdeckt und wahrgenommen
werden, wie beispielsweise zum Thema Klima und Hochwasserereignisse (Abb. 17.2). Die
AR-Elemente erweitern die Realität und den Realraum und können den Lernprozess vor
Ort unterstützen (Kamarainen et al. 2013, S. 554f.) und liefern zusätzliche Informationen
(Kanwischer und Gryl 2013b, S. 222). Die Touren beinhalten beispielsweise als AR ein-
geblendete historische Gebäude oder Tierarten, die nur selten gesichtet werden. Ziel ist es,
durch die AR eine eingehendere Interaktion zwischen Realraum, Medium und Individuum
anzustoßen und die Wahrnehmung der BNE-Phänomene zu intensivieren.
Realraumbezug Wichtig bei der Erstellung von digitalen BNE-Touren ist der ständige
Bezug zum Realraum und die Möglichkeiten, die Natur zu erleben und wahrzunehmen,
ohne dass der Blick ständig auf dem mobilen Endgerät liegt (Kubat et al. 2015, S. 34;
Chatel 2020, S. 216). Texte von einer Länge mit einer Lesezeit von durchschnittlich
einer Minute sollten nicht überschritten werden (etwa 200 Wörter); vielmehr sollte das
Geschriebene im Realraum nachvollzogen und untersucht werden. Insbesondere Audios
vermitteln die Inhalte derart, dass die Aufmerksamkeit im Realraum verbleibt und
können daher länger andauern (bis zu 2,5 min).
Die selbst erstellten Applikationen wurden einer SWOT-Analyse unterzogen. Die Ana-
lyse hat insbesondere die Stärken wie den Einsatz von Audios, Storytelling mit einer
Leitfigur, Quizelemente und Interaktivität aufgezeigt sowie die technischen Probleme
des Mediums, z. B. das Abstürzen der App. Die Ergebnisse der Analyse leiten sich aus
der Bewertung von App-Touren durch 92 Studierende ab, die jeweils allein oder zu zweit
bzw. zu dritt eine Tour durchführten. Die Analyse zeigt wichtige Gelingensbedingungen
für BNE-App-Touren auf. Die Tab. 17.1 gibt die Ergebnisse wieder, die Aspekte, die am
häufigsten genannt wurden, stehen entsprechend weiter oben in der Liste. Die Stärken
und Schwächen wurden ferner durch Chancen und Risiken ergänzt.
Die Gelingensbedingungen zur Erstellung von BNE-App-Touren können aufgrund
der Analysen und langjährigen Beobachtungen wie folgt zusammengefasst werden:
17 BNE geht App! App-Touren … 211
1. Die BNE-App-Touren zeigen die Relevanz des Themas im Sinn der BNE-Ziele auf.
2. Die gewählten Phänomene vor Ort werden mit der gewählten Zielgruppe in Ver-
bindung gebracht und haben eine Bedeutung für diese.
3. Die Inhalte werden anhand von Audios, Storytelling und/oder Gamification-
Elementen vermittelt, eventuell durch eine Leitfigur.
4. Die Gestaltungs- und Handlungskompetenzen werden gestärkt.
5. Der Content wird multiperspektiv und multisensorisch präsentiert.
6. Es werden materielle und immaterielle Aspekte verbunden und Emotionen werden zur
besseren Verankerung der Inhalte angesprochen.
7. Das Thema wird interaktiv, partizipativ und werteorientiert aufgearbeitet.
Nach der Erstellung, Erprobung und Optimierung der BNE-App-Touren werden diese
in die jeweiligen App-Stores hochgeladen und stehen anschließend Kommiliton*innen,
Schüler*innen und der Öffentlichkeit im Sinn des Ansatzes Service Learning zur Ver-
fügung. Service Learning zielt als didaktische Methode darauf ab, erlernte wissen-
schaftliche Inhalte der universitären Lehre einem breiten Interessenten- und Nutzerkreis
zugänglich zu machen, und leistet auf diese Weise einen Beitrag zum Wissenstransfer
in die Gesellschaft. Die Digitalisierung kann in diesem Projekt als Inkubator für
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Digitaler Experimentierkoffer zum
Thema Treibhauseffekt und globale 18
Erwärmung
Alda Arias, Paul van Stralen, Udo Frieß, Matthias Hauck und Matthias
Weidemüller
Inhaltsverzeichnis
Wie sähe die ideale Vermittlung eines komplexen Themas wie „Der Treibhauseffekt
und sein Einfluss auf das Klima“ aus? Welche didaktische Herangehensweise würde
einer Unterrichtsstunde oder Vorlesung zugrunde liegen, damit die Lernenden zu einem
A. Arias (*)
Fachbereich Physik, Universität Heidelberg und Pädagogische Hochschule Heidelberg,
Heidelberg, Deutschland
E-Mail: arias@heiedu.uni-heidelberg.de
P. van Stralen · U. Frieß · M. Hauck · M. Weidemüller
Fachbereich Physik, Universität Heidelberg, Heidelberg, Deutschland
E-Mail: vanstralen@physi.uni-heidelberg.de
U. Frieß
E-Mail: udo.friess@iup.uni-heidelberg.de
M. Hauck
E-Mail: matthias.hauck@zsl-rska.de
M. Weidemüller
E-Mail: weidemueller@uni-heidelberg.de
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 215
Springer Nature 2022
J. Weselek et al. (Hrsg.), Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_18
216 A. Arias et al.
deckt den ganzen Prozess eines Experiments ab – von der Problem- und Hypothesen-
bildung bis zur Analyse der Ergebnisse.
D. Auf einer digitalen Plattform können alle Bestandteile des Experimentierkoffers auf-
gerufen und bearbeitet werden. Die Plattform bietet auch Erweiterungsmöglichkeiten,
wie z. B. weitere Videoreihen und Konzeptfragen zu Experimenten der Quanten-
physik.
E. Es steht ein kompakter, ausleihbarer Koffer mit allen notwendigen Materialien
für die eigene Durchführung der in den Videos behandelten Experimente zur Ver-
fügung. Dieses Angebot richtet sich vorwiegend an Physiklehrende, die mit ihren
Schüler*innen die Experimente im eigenen Unterricht an der jeweiligen Schule
durchführen möchten. Durch Kontaktaufnahme mit den Autoren dieses Berichts kann
der Koffer angefragt werden.
Bei der Konzeption des Digitalen Experimentierkoffers wurden über den gesamten Ent-
wicklungsprozess Kriterien angewandt, die ihn zu einem didaktisch durchdachten und
attraktiven Lerntool machen sollen. So war es uns etwa wichtig, sowohl reale Auf-
nahmen von einfachen Experimenten als auch anschauliche Animationen zu integrieren
(didaktische Elemente A). Letztere helfen dabei, Konzepte zu erklären, die in der realen
Welt nicht einfach zu erkennen sind, wie etwa die Bewegung von Molekülen inner-
halb eines Körpers. In den hier vorliegenden Lernvideos werden die Vorteile beider
Ansätze kombiniert: Einerseits kann anhand der verwendeten Schemata der Fokus auf
die essenziellen Elemente eines Experiments gerichtet werden, gleichzeitig findet aber
keine Entkopplung von der Realität statt und die Lernenden haben stets die Möglichkeit,
sich des tatsächlichen, äußeren Aussehens des behandelten Versuchs zu vergewissern. In
Abb. 18.1 sieht man etwa, wie das reale Experiment sowie ein dazugehöriges Schema
gleichzeitig eingeblendet werden. Im animierten Schema können die Infrarotstrahlung
der Metallplatte (repräsentiert durch eine rote Hervorhebung) sowie die Gasmoleküle
im Rohr (in Form blauer Punkte) aufgezeigt werden. Es ist uns wichtig, dass Lernende
zwischen der realen Welt und einem Modell differenzieren können.
Als Einleitung oder Verbindung zwischen einzelnen Videos werden sog. Konzept-
fragen gestellt. Sie treten teilweise in Form von Multiple-Choice-Fragen auf und
Abb. 18.1 Im Experiment zum Treibhauseffekt (links) wird die durch das gasgefüllte Rohr
gelangende Wärmestrahlung von einem Messgerät erfasst. In der dazugehörigen Animation
(rechts) werden die Wärmestrahlung sowie die Gasmoleküle veranschaulicht, um das Verständnis
zu vertiefen. (Eigene Darstellung)
18 Digitaler Experimentierkoffer zum Thema … 219
bieten der Lehrperson die Möglichkeit, ein direktes Feedback über den Wissensstand
der Lernenden zu bekommen. Die Fragen sind so konzipiert, dass sie zwar prinzipiell
anhand der in den Videos eingeführten Konzepte gelöst werden können, jedoch selbst
noch nicht im Video beantwortet wurden. Die falschen Antwortmöglichkeiten beziehen
typische Missverständnisse im Allgemeinen sowie bekannte Fehlvorstellungen von
Schülerinnen und Schülern ein, sodass bei der Falsifizierung und Diskussion der
Lösungen eine fachliche Vertiefung ermöglicht wird. Diese Herangehensweise lehnt
sich an das Peer-Instruction-Modell von Eric Mazur an (Mazur 2017), wobei es sich um
einen in der Praxis erfolgreich erprobten Ansatz handelt, in dem eine tiefe Auseinander-
setzung der Lernenden mit der Bedeutung der Inhalte stattfindet.
Die didaktischen Elemente B sollen vorwiegend Räume zur unvoreingenommenen
Hypothesenbildung eröffnen. Diskussionen werden gefördert, indem die Beobachtungen
und Ergebnisse der Experimente nicht direkt erklärt werden, sondern durch angeleitete
Fragen eine Annäherung an ein widerspruchsfreies Modell stattfindet. Im Speziellen
werden in den Lernvideos dafür an geeigneten Stellen offene Fragen aufgeworfen und
anschließend ein großes Pausenzeichen eingeblendet. Dies stellt eine Empfehlung dar,
das Video kurz anzuhalten und über mögliche Antworten nachzudenken. Sofern der Lern-
prozess durch eine Lehrperson begleitet wird, empfiehlt sich hier ein kommunikativer
Austausch. So lautet eine einführende Frage im ersten Video etwa: „Wie kommt die
Wärmeenergie der Sonne zur Erde, obwohl wir so weit von ihr entfernt sind?“. Die
Frage bietet den Lernenden die Möglichkeit, eigene Hypothesen zu formulieren, um ein
forschend-entdeckendes Lernen zu fördern (Kircher et al. 2015). Gleichzeitig führt sie
ein erstes wichtiges Konzept für das Verständnis der Thematik ein, nämlich die Wärme-
strahlung. Die während dieser Reflexionsphase aufkommenden Gedanken können dann
in der nächsten Videosequenz mit der richtigen Lösung abgeglichen werden. Gerade diese
Räume zur eigenen Reflexion unterscheiden ein professionell gestaltetes E-Learning-
Angebot von einem herkömmlichen Lernvideo (Ehlers 2011).
Neben der angeleiteten Hypothesenbildung sollen vor allem auch die Parallelen der
Videoreihe zu einem empirischen, naturwissenschaftlichen Forschungsprozess hervor-
gehoben werden (didaktisches Element C). An erster Stelle steht daher die menschliche
Neugier. Die Lernenden erkennen im Idealfall eine Verbindung zwischen der Lern-
thematik und ihrem persönlichen Alltag. Erst im nächsten Schritt geht es dann darum,
die grundlegenden Phänomene der Thematik zu verstehen und eigene Hypothesen über
die neuen physikalischen Konzepte zu entwickeln. Den Lernenden wird dann nicht ein-
fach eine Versuchsreihe präsentiert, sondern ihre eigenen Fragen und Annahmen zur
behandelten Thematik legitimieren erst die Durchführung entsprechender Experimente.
Die vorwiegend angeleitete Form des Experimentierens erfährt hierdurch eine moderate
Öffnung, was einer Entfaltung des Lernpotenzials zuträglich scheint (Baur et al. 2020).
Nachdem der Versuchsaufbau jeweils klar erläutert wird, können die Lernenden auch die
notwendigen quantitativen Messungen nachvollziehen. Auf Basis der ermittelten Ergeb-
nisse kann dann ein physikalisches Modell entwickelt werden, das die Beobachtungen
und Messungen erklärt. Falls die erste Fassung des Modells die Beobachtungen nicht
220 A. Arias et al.
vollständig erklären kann, werden weitere Experimente durchgeführt und das Modell auf
deren Grundlage sukzessive erweitert. Der Experimentierkoffer deckt damit alle Unter-
richtsphasen ab – von der Motivation bis zur Zusammenfassung.
Abb. 18.2 Struktur der Lerneinheit in sechs Episoden zum Thema Treibhauseffekt. Sie teilt sich
in sechs Episoden. Auf der rechten Hälfte sind repräsentative Ausschnitte aus den dazugehörigen
Videosequenzen. (Eigene Darstellung)
222 A. Arias et al.
Als zweites Phänomen wird ein Leslie-Würfel – ein metallischer Würfel mit vier
verschiedenen Oberflächen – verwendet und mit heißem Wasser befüllt. Mithilfe der
Infrarotkamera kann für jede der verschiedenen Oberflächen die Intensität ihrer Wärme-
strahlung veranschaulicht werden. Bevor dies geschieht wird jedoch erneut eine eigene
Reflexion und Hypothesenbildung erwirkt und die Frage aufgeworfen: „Welche der
Oberflächen haben die höchste Strahlungsintensität? Gebe eine Reihenfolge an!“ Hierbei
handelt es sich um eine knifflige Frage, da in unserer Alltagserfahrung dunkle Objekte
häufig heißer werden als helle, vor allem, wenn sie der Sonne ausgesetzt sind. Zahlreiche
eigene Testdurchläufe legen nahe, dass die Antworten hierbei typischerweise sehr unter-
schiedlich ausfallen. Dies ermöglicht anschließend eine aktive Diskussion, die von der
begleitenden Lehrkraft angeregt werden kann. Im Video wird nach der Auflösung der
Frage erklärt, warum wir uns nicht immer auf unsere Alltagserfahrung verlassen können.
Der Unterschied zwischen der sichtbaren Sonnenstrahlung und der (ohne Hilfsmittel
unsichtbaren) Infrarotstrahlung wird erläutert.
Dadurch findet eine erste, alltagsnahe Annäherung an das Thema Wärmestrahlung
statt, die für das Verständnis des weiteren Fortgangs notwendig ist. Die Experimente
waren bis hierhin bewusst nur qualitativer Natur, um das selbstständige Aufstellen
von Hypothesen und das Beantworten von Konzeptfragen zu fördern. Neben einer
kurzen Zusammenfassung des Erlernten endet das Video mit der Frage: „Wie hängen
die Strahlungsleistung eines Körpers und seine Temperatur zusammen?“. Nachdem
die Lernenden anhand der qualitativen Versuche bereits erste Beobachtungen machen
konnten, können sie sich jetzt überlegen, welche quantitativen Analysen notwendig sind
(Hypothesenbildung, didaktische Elemente B).
Die Episoden 3 und 4 starten im darauffolgenden Video. Der Fokus wird hier auf
quantitative Messungen gelegt. Zunächst erfolgt die Darbietung eines Versuchs, in dem
die Strahlungsleistung einer aufgeheizten, schwarzen Metallplatte gemessen wird. Mit-
hilfe einer Animation wird der Versuchsaufbau schematisch erklärt (Episode 3). Dies hat
den Vorteil, dass einige Aspekte (wie z. B. die Wärmestrahlung der Metallplatte) ver-
anschaulicht werden können, was bei bloßer Darbietung des realen Experiments nicht
ersichtlich wäre. Um der klaren Abgrenzung zwischen Schemata und realem Experiment
gerecht zu werden, wird der reale Versuchsaufbau weiterhin eingeblendet (didaktische
Elemente A). Die gewonnenen Daten werden im Video direkt analysiert, um die
Abhängigkeit zwischen Temperatur und Wärmestrahlung der Metallplatte festzustellen.
Auf Basis der in Episode 4 gewonnenen, quantitativen Erkenntnisse kann in Episode
5 ein erstes einfaches physikalisches Modell zur Berechnung der Erdtemperatur ent-
wickelt werden. Durch das Aufstellen der Strahlungsbilanz der Erde werden die von
der Sonne eingehende Strahlungsleistung sowie die von der Erde ausgesendete Wärme-
strahlung in eine Gleichung überführt. Da hierfür zunächst keine weiteren Experi-
mente nötig sind, besteht die entsprechende Videosequenz nur aus Animationen und den
mathematischen Textbausteinen der Strahlungsbilanz. Da es einen positiven Zusammen-
hang zwischen der Anzahl an Zeichen einer Gleichung und dem Abschreckungsgrad
der Lernenden gibt (Strahl et al. 2010) enthält die hier vorgestellte Strahlungsbilanz an
18 Digitaler Experimentierkoffer zum Thema … 223
manchen Stellen einfache Symbole, wie etwa eine Sonne oder eine Erde, anstatt ent-
sprechender mathematischer Abkürzungen. Dies hat zudem den Vorteil, dass schnell
ersichtlich wird, welche der Terme der Sonneneinstrahlung oder eben der Wärme-
strahlung der Erde zugerechnet werden. Außerdem werden Terme bildlich hervor-
gehoben während ihrer Erwähnung im Sprechertext. Diese Art der doppelten Kodierung
(visuell und auditiv) hat sich als lernförderlich herausgestellt (Paivio 1990; Kerres 2013).
Durch Auflösen der Gleichung nach der Temperatur erhält man allerdings ein Ergeb-
nis von –15 °C, wohingegen die tatsächliche Durchschnittstemperatur auf der Erde
+15 °C beträgt. Mithilfe einer anleitenden Frage sollen die Lernenden auf die Idee
kommen, dass das verwendete Modell noch unvollständig ist. Hier wird ein Pausen-
zeichnen eingeblendet, um der Lehrperson die Gelegenheit zu geben, eine Diskussion
mit den Lernenden zu führen (didaktische Elemente B). Das Modell ist unvollständig,
weil die Wirkung der Atmosphäre darin noch nicht beachtet wird.
Im nächsten Video wird deshalb ein zweites Experiment durchgeführt, um die
Absorption von Wärmestrahlung durch Treibhausgase quantitativ zu überprüfen. Episode
4 (Quantitative Messung) und Episode 5 (Modellbildung) können also in einem Wechsel-
spiel auftreten, bis ein Modell entwickelt wird, das die durchgeführten Messungen und
Beobachtungen widerspruchsfrei erklärt. Zunächst erfolgt ein Versuch mit einer Glüh-
birne, einer Wasserküvette und einem Rohr, das mit verschiedenen Gasen gefüllt wird.
Die Kombination aus Glühbirne und Wasserküvette simuliert die Strahlung der Sonne,
was durch die Einblendung einer entsprechenden Animation verdeutlicht wird. Anhand
eines Strahlungsmessgeräts wird die Strahlungsleistung am anderen Ende des Rohrs
ermittelt. Man stellt fest, dass Treibhausgase die Sonnenstrahlung nahezu ungehindert
passieren lassen. In einem zweiten Versuch wird die Wärmestrahlung der Erde anhand
einer schwarzen Metallplatte simuliert. Im Gegensatz zum sichtbaren Sonnenlicht wird
die aus der Metallplatte austretende infrarote Wärmestrahlung offensichtlich von den
Treibhausgasen absorbiert, da am Ende des Rohrs nun eine geringere Strahlungsleistung
gemessen wird.
Mithilfe dieser Erkenntnis kann das Modell für die Strahlungsbilanz angepasst
werden, indem ein zusätzlicher Term eingefügt wird, der den Einfluss der Atmosphäre
abbildet. Um dies zu verdeutlichen, wird aufgezeigt was passiert, wenn die Atmosphäre
dichter wird. Die Terme werden einzeln analysiert, sodass die Lernenden feststellen
können, dass eine dichtere Atmosphäre in doppeltem Maß zu einer Temperaturerhöhung
führt. Einerseits, weil ein größerer Anteil der Infrarotstrahlung über die zusätzlichen
Treibhausgase zurück zur Erde gesendet wird. Und andererseits, weil durch die damit
verbundene Temperaturerhöhung vereiste Erdoberflächen schmelzen und kleiner werden,
wodurch weniger Sonnenlicht ins Weltall zurückreflektiert wird.
Die Lernenden stellen dabei fest, dass eine gewisse Menge an Treibhausgasen in der
Atmosphäre notwendig ist, um eine lebensfreundliche Temperatur zu erhalten (+15 °C).
Darüber hinaus stellen sie allerdings eine existenzielle Gefahr dar, weil ein ausufernder
Treibhauseffekt zu lebensfeindlich hohen Temperaturen führen kann. Im letzten Schritt,
Episode 6, erfolgt eine Zusammenfassung mit einer Verbindung zur anfänglichen
224 A. Arias et al.
Motivation. Mithilfe der erlangten Kenntnisse über die Wärmestrahlung sowie deren
Absorption durch Treibhausgase können die anfangs gezeigten Grafiken der NASA
(Abb. 18.2) mit einem tieferen Verständnis nachvollzogen sowie erste Anzeichen der
globalen Erwärmung, wie etwa lange Dürreperioden und die Erhöhung des Meeres-
spiegels, erklärt werden.
Der Digitale Experimentierkoffer soll für alle Lernende sowie Lehrpersonen zur Ver-
fügung stehen. Deswegen planen wir eine digitale Plattform, auf der alle Komponenten
in ansprechender Darstellung abrufbar sind (didaktisches Element D). Außerdem wurden
die Videos bewusst so gestaltet, dass keine Sprecher*innen im Video zu sehen sind.
Dies trägt nicht nur zum Fokus auf die tatsächlichen Lerninhalte bei, sondern ermög-
licht auch ein späteres Adaptieren der Videos in weitere Sprachen. Versionen für den
englischen und spanischen Sprachraum sind bereits in Planung, mit dem Ziel weitere
Schüler*innen zu erreichen. Es bestehen bereits Kontakte zu Schulen in Kolumbien, um
unsere Materialien dort als Lernunterstützung anzubieten.
Neben dieser leichten Erreichbarkeit des Digitalen Experimentierkoffers soll auch
der Zugang so einfach wie möglich sein. Um die Lernvideos für Lernende unterschied-
licher Vorwissensstände verständlich zu gestalten, wurde durchweg auf eine relativ ein-
fache Sprache geachtet. So werden komplizierte Fachbegriffe möglichst vermieden
und – sofern sie für eine korrekte Erklärung dennoch nötig sind – in einem Nebensatz
erklärt. Zudem wurde die Länge der einzelnen Videos mit etwa zwei Minuten bewusst
kurzgehalten, was einer konzentrierten Auseinandersetzung mit den behandelten Inhalten
zuträglich ist (Guo et al. 2014; Krämer und Böhrs 2017; Brame 2017).
Zu den digitalen Materialien haben wir im Rahmen des Digitalen Experimentier-
koffers zum Treibhauseffekt ein kompaktes Set mit allen Versuchen, die in der Video-
reihe gezeigt werden, beigelegt. Experimente bilden die Grundlage jeder physikalischen
Erkenntnis, liefern ein Verständnis über die Naturgesetze und haben den Vorteil,
Phänomene zu veranschaulichen (Harlen 1999; Franklin 1999; Koponen und Mäntylä
2006). Durch einen zielgerichteten Einsatz im Unterricht können die Hypothesen der
Lernenden direkt überprüft werden. Die physisch ausleihbaren Experimente werden in
einem handlichen Koffer und mit einer Versuchsanleitung dargeboten, ergänzt durch eine
fachliche Vertiefung der Lerninhalte für Lehrkräfte sowie durch diskussionsförderliche
Konzeptfragen. Er kann durch Kontaktaufnahme mit den Autoren dieses Berichts an
interessierte Lehrer*innen ausgeliehen werden.
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Seltene Erden & Co: Digitales Lernen
in Unterricht, Schülerlabor und 19
Lehrer*innenbildung über die stofflichen
Auswirkungen der zunehmenden
Nutzung digitaler Medien
Inhaltsverzeichnis
19.1 Einleitung
J. Huwer (*)
Fachdidaktik der Naturwissenschaften, Universität Konstanz, Konstanz, Deutschland
E-Mail: johannes.huwer@uni-konstanz.de
A. Siol · I. Eilks
Institut für Didaktik der Naturwissenschaften, Abt. Chemiedidaktik, Universität Bremen,
Bremen, Deutschland
E-Mail: asiol@uni-bremen.de
I. Eilks
E-Mail: ingo.eilks@uni-bremen.de
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 227
Springer Nature 2022
J. Weselek et al. (Hrsg.), Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_19
228 J. Huwer et al.
(Rockström et al. 2009) sind vielleicht die bekanntesten. Kombiniert im Wedding Cake
Model von Rockström und Sukhdev (2016) wird die Priorität ökologischer Nachhaltig-
keit gegenüber gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung betont. Das ist sicher
richtig, aber: Was ist mit anderen Nachhaltigkeitsüberlegungen, die mehr wirtschaft-
liche und gesellschaftliche Entwicklungen in den Vordergrund rücken? Dies betrifft
etwa das Konzept der kritischen Rohstoffe der Europäischen Union (EU; EC 2020)
oder verwandte Überlegungen in anderen Ländern (z. B. Schulz et al. 2017; Hayes und
McCollough 2018).
Kritische Rohstoffe sind solche mit einer hohen wirtschaftlichen Bedeutung bei
gleichzeitigem Versorgungsrisiko (EC 2020; Hayes und McCollough 2018). Das
bekannteste Beispiel sind wahrscheinlich die leichten und schweren Seltenerdelemente,
die ganz oben auf der alle drei Jahre veröffentlichten EU-Liste der kritischen Roh-
stoffe stehen, was das Versorgungsrisiko angeht (EC 2020). Zwar sind einige dieser
Seltenerdelemente quantitativ auf der Erde gar nicht so selten, aber man findet sie eben
nur in wenigen wirtschaftlich erschließbaren Quellen – vorrangig in China, insbesondere
der Inneren Mongolei. Ein anderes bekanntes Beispiel sind die Platingruppenmetalle, die
in der Tat sehr selten sind. Platin kommt nur zu etwa 0,0005 ppm in der oberen Erdkruste
vor (Zientek et al. 2017).
Eine bislang unzureichend erschlossene Quelle für einige dieser kritischen Roh-
stoffe wäre das konsequente Recycling von Elektronikschrott – gerade in Zeiten einer
zunehmenden Digitalisierung von Wirtschaft, Mobilität oder Bildung. Das Projekt
„Seltene Erden & Co“ nimmt sich dieses Themas an (Huwer et al. 2021). Es kombiniert
das Lernen mit und über digitale Medien. Unter Nutzung einer digitalen Lernumgebung
mit Augmented- und Virtual-Reality-Anwendungen wird das Thema des Recyclings
von Elektronikschrott in Kombination mit Versuchen für Schule und Schülerlabor
auf einem neuen Weg erschlossen und in die Lehrer*innenbildung integriert. Der Bei-
trag fokussiert die grundlegenden Anliegen des Projekts, die praktische Umsetzung und
erste Erprobungen.
Diese Entwicklung hat aber auch eine Kehrseite. So wird immer wieder der
zunehmende Flugverkehr in der internationalen Diskussion als einer der Hauptver-
ursacher des Klimawandels kritisiert; die etwa gleich hohe Klimabelastung durch
digitale Infrastruktur (Schmidt 2019) und der ständig wachsende Datenverkehr werden
jedoch nicht in gleichem Maß infrage gestellt. Bildung muss darauf fokussieren, dass
im Sinn eines nachhaltigen und systemischen Denkens (Mahaffy et al. 2018) vieles mit
vielem zusammenhängt. Digitalisierung bietet neuartige Lernchancen, erfordert aber
auch Ressourcen und kann die Umwelt belasten. Damit ist die Digitalisierung eine Nach-
haltigkeitsfrage mit vielen Facetten. Digitalisierung erfordert Investitionen in Infra-
struktur vom digitalen Endgerät in der Hand bis hin zu Datenleitungen, Speichern und
Rechenzentren. All dies hat Auswirkungen auf die Umwelt, von der Rohstoffgewinnung
über die Verarbeitung und Nutzung bis hin zu Entsorgung oder Recycling. Auch soziale
und politische Auswirkungen hat die Digitalisierung, etwa wenn es um die Gewinnung
von mineralischen Rohstoffen und den oftmals politisch beeinflussten Handel mit ihnen
geht (EC 2020).
Bei allen Schritten der Entwicklung digitaler Infrastruktur spielt die Chemie eine
zentrale Rolle. Die Bereitstellung und Verarbeitung entsprechender Rohstoffe hat nicht
nur Auswirkungen auf das Leben an Land, unter Wasser (SDG 14 und 15) oder das
Klima (SDG 13). Dies betrifft auch Fragen globaler Gerechtigkeit (SDG 10) bei der
Ausbeutung von Bodenschätzen in verschiedenen Teilen der Erde, nachhaltiger und
sauberer Energienutzung (SDG 7) oder eines nachhaltigen Konsums (SDG 12). Letzt-
lich ist die Chemie auf die eine oder andere Weise mit allen SDGs verbunden, wie im
Global Chemical Outlook II des Umweltprogramms der Vereinten Nationen von 2019
diskutiert (UNEP 2019). Auch geopolitische und wirtschaftliche Interessen spielen eine
wichtige Rolle. Politisch wird diskutiert, wie Lieferengpässe vermieden und Abhängig-
keiten begrenzt werden können, etwa zu politisch instabilen Ländern oder solchen, in
denen unter ökologisch und sozial fragwürdigen Bedingungen Erze gewonnen werden,
z. B. beim Coltan-Abbau zur Gewinnung von Tantal im Kongo (Behrendt et al. 2007).
Aus diesem Grund ist die Rohstoffversorgung auch eine politische Angelegenheit, z. B.
geregelt in der EU-Verordnung zum Umgang mit Mineralien aus Konfliktgebieten,
die 2021 in Kraft getreten ist. Diese fordert ein System, das die Möglichkeiten für
bewaffnete Gruppen und Sicherheitskräfte beim Handel mit entsprechenden Erzen ein-
schränken soll.
Europa ist bei vielen für die Digitalisierung wichtigen Rohstoffen nahezu vollständig
von Erzimporten als Primärrohstoffe abhängig (EC 2020). Es fehlen eigene wirtschaft-
lich erschließbare Quellen. Die Europäische Kommission veröffentlicht hierzu seit
2011 regelmäßig Einschätzungen zur Verfügbarkeit nichtenergetischer und nichtland-
wirtschaftlicher Ressourcen. Im Jahr 2020 wurden 30 Stoffe als aktuell kritische Roh-
stoffe benannt. Bei ihnen sind das Risiko eines Versorgungsengpasses und dessen
Folgen für die Wirtschaft für die EU größer als bei anderen Rohstoffen (EC 2020). Zu
den mit der Bereitstellung verbundenen Risiken kommt hinzu, dass kritische Rohstoffe
in ihren Anwendungsbereichen meist gar nicht oder nur schwer substituierbar sind.
230 J. Huwer et al.
China wird oft als das Schlüsselland für die weltweite Versorgung mit vielen kritischen
Rohstoffen benannt, z. B. den Seltenerdelementen. Andere Länder dominieren die Ver-
sorgung in anderen Bereichen, etwa Brasilien (Niob) oder die USA (Beryllium und
Helium). Metalle der Platingruppe (u. a. Palladium und Platin) sind in Russland und
Südafrika konzentriert. In der Liste der kritischen Rohstoffe sind schwere und leichte
Seltenerdelemente und die Platingruppe als Gruppen aufgeführt. Es sind somit nicht nur
30, sondern inzwischen über 40 Rohstoffe mit kritischem Versorgungsstatus.
Aus diesen Gründen besteht Handlungsbedarf für ein nachhaltiges Recycling von
Elektro- und Elektronikschrott. Pro Person fallen in Deutschland jährlich etwa 20 kg
Elektroschrott an (Statista 2020). Doch obwohl die Altgeräterückgabe an kommunalen
Sammelstellen und Händler kostenlos ist und die Hersteller die Entsorgung übernehmen,
gelangen nur 45 % in den Kreislauf zurück (UBA 2020a). Als Reaktion auf die Ent-
sorgungsproblematik hat die EU-Kommission bereits 2002/2003 Richtlinien erlassen,
um den Anteil elektronischer Geräte im Hausmüll zu reduzieren. Durch die kontrollierte
Entsorgung sollen seltene und wertvolle Rohstoffe zurückgewonnen werden. In Deutsch-
land wird dies durch das Kreislaufwirtschafts- bzw. das Elektro- und Elektronik-
gerätegesetz umgesetzt. Langfristiges Ziel ist die Schaffung eines so weit wie möglich
geschlossenen Wertstoffkreislaufs (UBA 2020b).
In der öffentlichen Diskussion wird beim Recycling von Elektronikschrott ein
besonderes Augenmerk auf die Edelmetalle und die als Technologiemetalle bezeichneten
Seltenerdelemente gelegt (Goonan 2011, Emilsson & Dahllöf 2019). Keines dieser
Seltenerdelemente kommt in der Natur in reiner Form vor, sondern immer als Gemisch
verschiedener Verbindungen. Viele der insgesamt 16 stabilen Seltenerdelemente sind
Bestandteil von Elektronikbauteilen, Magneten, Akkus, Energiesparlampen oder LEDs.
Aufgrund des stetig wachsenden Bedarfs ist die Aufbereitung einiger Seltenerdelemente
in den letzten Jahren stark gestiegen, insbesondere von Neodym, Dysprosium und
Praseodym. Ein Beispiel: Aus der Legierung Neodym-Eisen-Bor mit der Zusammen-
setzung Nd2Fe14B werden die derzeit stärksten Dauermagnete hergestellt, die in Wind-
energie- und Elektroanlagen, aber auch in Datenspeichern, kompakten Kopfhörern oder
Vibrationselementen von Handys verbaut sind.
Die Primärgewinnung der Seltenerdelemente birgt große Umweltrisiken. Die ver-
bleibenden Rückstände enthalten meist giftige Abfälle und werden in künstlichen
Teichen gelagert, die aufgrund oftmals unzureichender Umweltauflagen nicht immer
als sicher gelten können. Einmal verbaut, können Seltenerdelemente aus Elektroschrott
bislang nur schwer wieder zurückgewonnen werden. Das Recyclingpotenzial ist unter-
schiedlich, die Verfahren kompliziert und aktuell in industrieller Skalierung kaum
bezahlbar. Weniger als ein Prozent der verarbeiteten Seltenerdelemente werden der-
zeit recycelt (Bensmann et al. 2020). Dennoch sieht die wirtschaftliche Prognose für
ein Recycling bei den Seltenerdelementen auf lange Sicht günstig aus, weil die Preise
ständig steigen. Gleiches gilt auch für andere Rohstoffe, u. a. Gold, Kupfer oder die
Metalle der Platingruppe.
19 Seltene Erden & Co: Digitales Lernen … 231
Schülerlaboree sind außerschulische Lernorte. Sie unterliegen somit nicht der Bindung
an curriculare Vorgaben in Bildungsstandards und Lehrplänen. Dies erlaubt ihnen,
aktuelle Themen aufzugreifen und als Ergänzung zum schulischen Lernen anzubieten.
Sie sind damit auch ein Ort der Unterrichtsentwicklung und Innovation, etwa im Bereich
der Nachhaltigkeitsbildung (Eilks et al. 2018). Aktuelle Themen können aufgearbeitet
werden, neue Versuche mit Lernenden getestet oder alternative unterrichtliche Zugänge
erprobt werden.
Allerdings sollte das Lernen in Schülerlaboren sinnvoll eingerahmt, also vor- und
nachbereitet werden. Dies ist nicht immer einfach, wenn es um neue Themen und Inhalte
geht, die vielleicht auch für die begleitende Lehrkraft neu sind. Zudem muss man sich
232 J. Huwer et al.
Abb. 19.1 Virtuell zerlegtes iPad mit Informationen zu den Bauteilen. (Eigene Darstellung)
auf das reale iPad projiziert. Den Nutzer*innen kommt es durch diese Technik so vor,
als ob sie das Gerät wirklich zerlegen (im Unterschied zu reinen Displayanimationen).
Ausgehend vom virtuellen Zerlegen können dann entweder reale Experimente im
Schülerlabor oder in hinreichend ausgestatteten Schulen durchgeführt werden oder die
Lernenden vertiefen weiter in der digitalen Lernumgebung.
Danksagung Wir danken der Deutschen Bundesstiftung Umwelt für die umfassende Förderung
des beschriebenen Projekts (Aktenzeichen 34467/01).
236 J. Huwer et al.
Literatur
Inhaltsverzeichnis
20.1 Einleitung
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 239
Springer Nature 2022
J. Weselek et al. (Hrsg.), Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_20
240 K.-H. Otto und M. Esterl
zu. Um nicht zuletzt dem Sustainable Development Goal 4 (SDG 4) der Agenda 2030
(Hochwertige Bildung für Alle, die auch außerhalb des schulischen Umfeldes ein lebens-
langes Lernen ermöglicht) gerecht werden zu können, ist eine stärkere und umfang-
reichere Nutzung von digitalen Anwendungen und Medien im Rahmen von NE und BNE
zwingend erforderlich.
Um digitale Medien in Bildungsprozesse einzubeziehen, nutzen Universitäten und
Hochschulen schon seit Längerem Lernplattformen, wie z. B. Moodle oder ILIAS (Wende-
born et al. 2018, S. 62). Auch in den Schulen spielen Lernplattformen zunehmend eine
wichtige Rolle. Diese Entwicklung wurde durch die COVID-19-Pandemie enorm ver-
stärkt (Schuknecht und Schleicher 2020, S. 68 ff.). Lernplattformen ermöglichen es,
die Lernarrangements und -prozesse von Lernenden auch im Rahmen von NE und BNE
didaktisch-methodisch neu zu gestalten. Eine dieser Neugestaltungsmöglichkeiten bietet die
Gamifizierung (Gamification) (Breitenstein et al. 2019, S. 198). Diese Gestaltungsmöglich-
keit wird im Folgenden am Beispiel des fächerverbindenden BNE-Projekts LELINA vor-
gestellt und erläutert. Die im Rahmen von LELINA entstandenen Lern- und Erlebnismodule
dienen dazu, die themen- und raumspezifische Gestaltungskompetenz der Lernenden
im Sinn einer BNE aufzubauen und zu fördern. Das Projekt LELINA wird gefördert im
Bundesprogramm Biologische Vielfalt durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit
Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Ver-
braucherschutz (BMUV) sowie mit Mitteln des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft,
Natur- und Verbraucherschutz des Landes NRW (MULNV NRW). LELINA ist ausführlich
im Beitrag von J. Hohmann, K. Paulus und A. Rath in diesem Band (S. 103 ff.) beschrieben,
so dass an dieser Stelle auf weitere diesbezügliche Ausführungen verzichtet werden kann.
20.2 Lernplattformen
20.2.1 Definitionen
Das Angebot an Lernplattformen ist vielfältig. Sie gelten als Basistechnologie des 21.
Jahrhunderts. Lernplattformen sind, bevor die Lehrenden und Lernenden sie mit Inhalt
füllen, leere Hüllen. Bei der Auswahl der Lernplattform spielen der Inhalt und der
Hersteller eine untergeordnete Rolle. Wichtige Faktoren sind hier vor allem Finanzier-
barkeit, Verfügbarkeit, Stabilität, Benutzer*innenfreundlichkeit, Datensicherheit und
Funktionalität (Steppuhn 2019, S. 38 ff.). Beispiele für Lernplattformen sind Logineo
NRW LMS, Office 365/Teams, Moodle, ILIAS und Blackboard Learn.
Paradigmenwechsel erzielt werden, bei dem es zu einer stärkeren Zentrierung auf die
Lernenden kommt (Wendeborn et al. 2018, S. 62). Lernplattformen sind für Lehrende
und Lernende ein nicht an zeitliche oder örtliche Grenzen gebundener digitaler Lehr-/
Lernraum und sie sollen asynchrone sowie synchrone Lernphasen auch außerhalb des
Präsenzunterrichts ermöglichen (Mayr et al. 2009, S. 21). Dadurch sollen schüler*innen-,
projekt- und problemorientierte Lehr-/Lernprozesse gefördert werden, die losgelöst von
traditionellen Lernorten durch kollaborative Projekt- und Gruppenarbeit geprägt sind. Im
Sinn des moderaten Konstruktivismus und des Konnektivismus sollen die Schüler*innen
auf diese Weise selbstbestimmter und eigenständiger lernen und die Lehrperson eher die
Rolle eines*r Berater*in und Lernbegleiter*in einnehmen (Eichhorn et al. 2020, S. 81).
Gerade für den Aufbau und die Förderung von BNE-Kompetenzen ist selbstbestimmtes
und eigenständiges Lernen sowie verantwortungsvolles Handeln von zentraler Bedeutung
(Ministerium für Schule und Bildung des Landes NRW 2019, S. 9).
Wie gestaltet sich die Nutzung der Lernplattformen durch Schulen, die Zugriff auf
eine solche haben? Lernplattformen werden trotz ihrer vielfältigen Funktionen und
unzähligen Komponenten bisher überwiegend nur für die Administration und Verwaltung
von Lehr-/Lernprozessen verwendet (Wendeborn et al. 2018, S. 67 ff.). Dies lässt sich
wohlmöglich auf die Gebrauchstauglichkeit der Lernplattformen zurückführen, die mit
ihren vielfältigen Funktionen Nutzende oftmals abschrecken bzw. überfordern. Wende-
born et al. (2018, S. 67 ff.) wiesen in einer Studie zum Moodle-Einsatz in Schulen nach,
dass von den 29 auf einer Lernplattform zur Verfügung stehenden Komponenten bzw.
Werkzeugen durchschnittlich nur 4,2 je Kurs genutzt wurden. Die wichtigsten Werkzeuge
waren das Forum, das Bereitstellen von Arbeitsmaterialien (Content-Management), das
Verlinken von externen Informationen durch Links und URL, das Bereitstellen von Ver-
zeichnissen und das Schreiben von Textseiten. Die Untersuchungen von Wendeborn
et al. (2018, S. 67 ff.) und Eichhorn et al. (2020, S. 86 ff.) belegen zudem, dass die oben
beschriebenen Erwartungen an einen Paradigmenwechsel bei Lehr-/Lernprozessen in
der Schule bisher noch nicht erfüllt werden. Die breitere und intensivere Nutzung der
von Lernplattformen bereitgestellten Werkzeuge, speziell auch der Gamification-Tools
von Moodle, könnte dazu beitragen, diesem Desiderat insbesondere bei BNE-Bildungs-
prozessen entgegenzuwirken. Um dies bei zukünftigen Lehrer*innen zu erreichen,
ist eine darauf ausgelegte Hochschulausbildung unerlässlich, d. h. konkret, bereits in
der ersten Phase der Lehrer*innenausbildung müssen die Studierenden die vielfältigen
Funktionen von Lernplattformen in ihrer gesamten Breite kennen und anwenden lernen.
20.3 Gamification
Eine Chance der Digitalisierung ist es, den angeborenen Spieltrieb der Menschen in der
Universität und in der Schule auch im Rahmen von BNE zu nutzen, um den Lernerfolg
der Schüler*innen zu fördern und zu steigern (Landesamt für Medien NRW 2016).
Dieser Spieltrieb kann z. B. durch Gamifizierung ausgelöst werden. Unter Gamifizierung
20 Gamification – ein „neuer“ Weg der … 243
Ziel des BNE-Projekts LELINA ist, dass Schüler*innen die Besonderheiten der Industrie-
natur vor Ort auf Altindustriestandorten forschend erkunden, erschließen und dadurch
Wertschätzung für diese einzigartigen Biodiversitätshotspots entwickeln (s. Beitrag
von J. Hohmann, K. Paulus und A. Rath in diesem Band, S. 103 ff.). Dabei werden
auch Kompetenzen im Sinn einer BNE gefördert, die sich in den Kompetenzbereichen
Erkennen, Bewerten und Handeln des Lernbereichs Globale Entwicklung verorten
244 K.-H. Otto und M. Esterl
Abb. 20.1 Hierarchische Verortung von 30 Spielelementen nach Werbach und Hunter
(2012; Breitenstein et al. 2019, S. 199)
lassen (Schreiber 2016, S. 95). Das Sustainable Development Goal (SDG) 4 („Hoch-
wertige Bildung“) steht bei LELINA besonders im Fokus. Daneben spielen aber auch die
SDG 11 („Städte und Siedlungen“) und SDG 15 („Landökosysteme“) eine zentrale Rolle
(Deutsche UNESCO-Kommission o. J.).
Bei der Planung und Entwicklung der Lern- und Erlebnismodule für das LELINA-
Projekt im Geographischen Institut der Ruhr-Universität Bochum wurden neben anderen
analogen und digitalen Anwendungen und Medien auch Spielelemente der Lernplatt-
form Moodle genutzt und angewendet. Diese wurden in eine Unterrichtseinheit zum
Strukturwandel des Exkursionsstandorts der Halde Sachsen integriert. Diese Unter-
richtseinheit richtet sich an Schüler*innen der Sekundarstufe II und bereitet auf die
nachfolgende Exkursion zur Halde Sachsen vor. Die gamifizierte Einheit ist als Lern-
pfad angelegt, sodass die Lernenden diese selbstbestimmt und eigenständig und in ihrem
individuellen Lerntempo im Klassenraum, zu Hause oder unterwegs bearbeiten können.
Die gegebene räumliche und zeitliche Unabhängigkeit auch bei BNE-Lernprozessen ist
ein wesentlicher Vorteil digitaler gegenüber analoger Varianten. Dadurch kann ebenso
der Inklusionsgedanke leichter berücksichtigt und umgesetzt werden.
20 Gamification – ein „neuer“ Weg der … 245
Abb. 20.2 a) Ausschnitt des Level up!-Blocks aus dem Moodle-Kurs mit Erklärungen
(macrovector 2020, verändert durch Esterl 2020), b) Beispiel einer mit dem Level up!-Tool ver-
knüpften Aufgabe aus dem Moodle-Kurs
20 Gamification – ein „neuer“ Weg der … 247
Abb. 20.3 Der Einstiegsmonolog des Nicht-Spieler-Charakters Ilyas Ackermann (Esterl 2020)
248 K.-H. Otto und M. Esterl
Bei den dargestellten Spielelementen, dem „Level up!“-Tool und den Storyelementen,
handelt es sich um eine strukturelle Gamifizierung. Die Inhalte und Aufgabenformate
werden dadurch nicht verändert. So lassen sich leistungs- und motivationsfördernde
Spielelemente auch in bestehende Moodle-Kurse einbauen, wodurch sich der Arbeitsauf-
wand für Lehrer*innen reduzieren lässt.
Bei dem in Ausschnitten vorgestellten digitalisierten Moodle-Kurs wurden folgende
Merkmale von BNE-Lehr- und Lernprozessen berücksichtigt: Es wurde(n)
20.5 Fazit
Die Nutzung von digitalen Lehr- und Lernarrangements schafft die Möglichkeit, neue
didaktisch-methodische Konzepte zu entwickeln und dadurch das Angebot an innovativen
Lehr- und Lernarrangements zu erweitern. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die große
Vielfalt von angebotenen Möglichkeiten, die z. B. bei der Lernplattform Moodle existiert,
auch in ihrer ganzen Breite genutzt wird. Eine entsprechend ausgerichtete Universitäts- und
Hochschulausbildung von Lehramtsstudierenden ist dafür allerdings obligatorisch.
Die Anwendung digitaler Werkzeuge fördert insbesondere selbstbestimmtes und eigen-
ständiges Lernen, was für den Erwerb von BNE-Kompetenzen von zentraler Bedeutung ist.
Die gegebene räumliche und zeitliche Unabhängigkeit bei der Nutzung und Anwendung
von Lernplattformen auch im Rahmen von BNE-Lernprozessen ist ein wesentlicher Vorteil
gegenüber analogen Medien und Methoden, womit auch der Inklusionsgedanke leichter
berücksichtigt und umgesetzt werden kann.
Mit den Gamifizierungstools der Lernplattform Moodle werden psychologische
Grundbedürfnisse des Menschen nach der Selbstbestimmungstheorie befriedigt und ins-
besondere die intrinsische Motivation signifikant gesteigert, die eine zentrale Voraus-
setzung für die hohe Lernbereitschaft und den Lernerfolg von Schüler*innen auch im
Rahmen von BNE ist.
Will man Bildung für nachhaltige Entwicklung im schulischen Kontext stärken, so kann
dies insbesondere über das Fach Geografie gelingen. Entsprechend sollte dem Fach Geo-
grafie in der Diskussion um ‚wichtige Fächer‘ beziehungsweise Kernfächer eine größere
Bedeutung gerade auch bezüglich der zur Verfügung stehenden Stundenkontingente bei-
gemessen werden. (Aktionsrat Bildung 2021, S. 51)
Literatur
Aktionsrat Bildung (2021) Nachhaltigkeit im Bildungssystem – was jetzt getan werden muss.
(Autor*innen: Yvonne A, Daniel H-D, Hannover B, Köller O, Lenzen D, McElvany N,
Roßbach H-G, Seidel T, Tippelt R, Wößmann R; Herausgeberin vbw). https://vbw-aktionsrat-
bildung.de/download/ARB-Kurzgutachten_WEB.pdf. Zugegriffen: 21. Aug. 2021
Arnold P, Kilian L, Thillosen A, Zimmer G (2011) Handbuch E-Learning. Lehren und Lernen mit
digitalen Medien. Bertelsmann, Bielefeld
Breitenstein M, Münster S, Niebling F (2019) Gamifizierte Augmented Reality-Anwendungen
im Tourismuskontext: Ein Literaturreview zu Gestaltungsansätzen, Chancen und Risiken. In:
Köhler T, Schoop E, Kahnwald N (Hrsg) Gemeinschaft in neuen Medien. Erforschung der
digitalen Transformation in Wissenschaft, Wirtschaft, Bildung und öffentlicher Verwaltung. 22.
Workshop GeNeME’19. TUDpress, Dresden, S 197–210
Deutsche UNESCO-Kommission (o. J.) Agenda Bildung 2030. Bildung und die Sustainable
Development Goals. https://www.unesco.de/bildung/agenda-bildung-2030/bildung-und-die-sdgs.
Zugegriffen: 21. Aug. 2021
Eichhorn M, Tillmann A, Müller R, Rizzo A (2020) Unterricht in Zeiten von Corona: Praxis-
theoretische Untersuchung des Lehr-Handelns während der Schulschließung. In: Müller Werder
C, Erlemann J (Hrsg) Seamless Learning – lebenslanges, durchgängiges Lernen ermöglichen.
Waxmann, Münster, S 81–90
250 K.-H. Otto und M. Esterl
Inhaltsverzeichnis
21.1 Einleitung: Das Potenzial digitaler Medien für die Professionalisierung von
angehenden Geografielehrkräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
21.2 Bildung für nachhaltige Entwicklung und Digitalisierung am Beispiel erneuerbarer
Energien zur Professionalisierung angehender Geografielehrkräfte in der ersten
Phase der Ausbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
21.2.1 Bildung für nachhaltige Entwicklung am Beispiel erneuerbarer Energien. . . . . 254
21.2.2 Digitalisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
21.3 Vorgehensweise des Seminars und Best-Practice-Material. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
21.3.1 Ablauf des Seminars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
21.3.2 Erläuterung des angehängten Materials. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
21.3.3 Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
21.4 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
21.5 Methode: Animation-Live-Speaking. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 251
Springer Nature 2022
J. Weselek et al. (Hrsg.), Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_21
252 M. Morawski und M. Kuckuck
Digitale Bildung und der Einsatz digitaler Medien birgt gerade im Geografieunter-
richt große Chancen, den vielfältigen Anforderungen des Unterrichts gerecht zu
werden. Lehrpersonen wie auch die Schüler*innen finden heutzutage eine Vielzahl an
digitalen Filmen, Videos, Beiträgen etc. zu geografisch-relevanten Themen im Internet
(z. B. bei YouTube, Mediatheken der TV-Sender, Dokumentationen bei Netflix etc.),
die immer häufiger auch Themen einer nachhaltigen Entwicklung behandeln (z. B.
Ressourcenverbrauch, Wasserknappheit, Klimawandel, Globalisierung). Mit der all-
täglichen Nutzung digitaler (Geo-)medien gewinnen neben inhaltlichen zudem auch
technische und geomediale Kenntnisse sowie reflexive Fähigkeiten an Bedeutung.
Kanwischer (2014, S. 14 f.) beschreibt das Durchschauen der Filter- und Konstruktions-
effekte, die bei der Nutzung digitaler Geomedien stattfinden, als eine zentrale Heraus-
forderung der geografischen Bildung. Diese Effekte zu erkennen, sind Kompetenzen
einer reflektierten Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Nach Gryl und Jekel
(2012) stellen die Fähigkeiten zur Teilhabe an der Geoinformationsgesellschaft (Spatial
Citizen) und die darauf aufbauenden räumlichen Analysefähigkeiten (Spatial Analyst)
die Hauptziele der schulischen Geomedienbildung dar. Insbesondere bei gesellschaft-
lich relevanten Diskursen wie z. B. Klimawandel und Ausbau erneuerbarer Energien
sind diese Kompetenzen von großer Bedeutung. Die Schule sollte den Schüler*innen
durch motivierende und reflexive Methoden Kompetenzen vermitteln, damit sie (noch)
handlungsfähiger in zukünftigen Diskursen werden. Kompetent reflektiert agieren und in
Diskursen zu nachhaltiger Bildung partizipieren zu können, ist eine wichtige Stufe hin
zu einer gleichberechtigten Mündigkeit in der Gesellschaft.
Dem Potenzial und der Notwendigkeit von digitalen Medien im Geografieunter-
richt steht gegenüber, dass (auch angehende) Lehrkräfte sich zum einen hinsichtlich
ihrer Digitalkompetenz unsicher fühlen, und zum anderen, dass professionalisierende
Methoden für einen Geografieunterricht mit digitalen Medien noch nicht flächendeckend
in der fachdidaktischen Ausbildung zu finden sind (BMBF 2020).
In dem hier vorgestellten Best-Practice-Seminar verfolgen wir den (kompetenz-
orientierten) Expertiseansatz (u. a. Herzmann und König 2016, S. 61; Terhart 2011,
S. 206). Dieser betrachtet Lehrpersonen als Expert*innen, die dann besonders erfolg-
reich sind, wenn sie hohe Kompetenzen in verschiedenen Kompetenzbereichen – hier zu
digitalen Medien und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) – besitzen. Grund-
sätzlich wird dabei angenommen, dass die (erfolgreiche) Tätigkeit von Lehrkräften auf
Wissen und Können beruht, das in der Ausbildung in theoretischen und praktischen
Phasen gewonnen und anschließend durch die Berufserfahrung weiterentwickelt wird.
In unserem Beispiel fokussieren wir uns auf Studierende des Fachs Geografie, demnach
auf die erste Ausbildungsphase. Mithilfe der Methode „animation live speaking“,
21 Professionalisierung digitaler Kompetenzen … 253
Beide Kompetenzbereiche machen deutlich, dass sowohl BNE als auch die
Digitalisierung in der Ausbildung angehender Geografielehrkräfte zu verorten ist. Um
die Teilkompetenzen erwerben zu können, verfolgen wir in unserem Best-Practice-Bei-
spiel den Expertiseansatz, der Lehrpersonen als Expert*innen betrachtet, deren Tätig-
keit auf Wissen und Können beruht, das sie in der ersten Phase in theoretischen und
praktischen Übungen erworben haben (Bromme 2008). Das Wissen der (angehenden)
Lehrer*innen wird dabei als Grundlage des Handelns verstanden, das sie benötigen,
um zentrale Anforderungen ihres späteren Berufs bewältigen zu können (Herzmann
und König 2016). Zentrale Anforderungen an den Lehrerberuf sind u. a. der Umgang
mit Digitalisierung und der Einsatz von (Geo-)Medien sowie die komplexen Heraus-
forderungen des 21. Jahrhunderts, die im Rahmen der Lehrer*innenbildung (erste Phase)
erlernt werden können (Morawski und Kuckuck 2022). Die Professionalisierung beider
Bereiche wird hier verflechtend gefördert.
Bildung wird als eine wichtige Komponente für die Transformation zu einer nach-
haltigen Zukunft angesehen (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale
Umweltveränderungen [WBGU] 2011; United Nations 2015; Bundesregierung 2016).
Die Rolle der Lehrpersonen ist dabei von besonderer Bedeutung, da sie nicht nur durch
ihren Unterricht die Schüler*innen erreichen, sondern auch institutionell Veränderungen
anregen können (Bedehäsing 2020). Daher wird in einigen Ansätzen der Lehrpersonen
(auch des Fachs Geografie) die Rolle eines „Change Agents“ zugesprochen, eine
Bezeichnung, die seit 2014 im Kontext einer BNE genutzt wird (Deutsche UNESCO-
Kommission 2014; Bedehäsing und Padberg 2017). BNE ist in vielen Bundesländern
bereits Bestandteil der Lehrer*innenbildung oder soll es laut Nationalem Aktions-
plan (BMBF 2017) werden (Gräsel 2020). Auch im Weltaktionsprogramm wurde
mit der Agenda 2030 und den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDG) an
Bildungsmaßnahmen gedacht (Ziel 4). Denn Bildung wird als wichtige Bedingung
zur Umsetzung der Ziele angesehen. So betont auch die Deutsche Gesellschaft für
21 Professionalisierung digitaler Kompetenzen … 255
Geographie (DGFG 2020) die Bedeutung des Fachs Geografie für BNE. In unserem
Best-Practice-Seminar wurden neben den genannten Papieren auch Publikationen
diskutiert, die die Grenzen von BNE besprechen (z. B. Jickling 1992; Gryl und
Budke 2016; Hamborg 2017) bzw. die Thematisierung von BNE im Geografieunter-
richt beinhalten (z. B. Kuckuck und Lindau 2020; Pettig und Kuckuck 2021), um die
Studierenden für einen kritischen und reflektierten Blick zu sensibilisieren und ihnen
damit zu helfen, bei den Videos (s. unten) „blinde Flecken“, offene Punkte bzw. ein-
seitige Berichterstattungen zu identifizieren. So sollen die Studierenden diese in ihren
Videos ansprechen und thematisieren können.
Die Zielsetzung und Strukturierung des Seminars ist auf verschiedenste BNE-
Themen oder andere geografiedidaktische Konzepte (z. B. sprachsensibler Unterricht,
s. Morawski und Kuckuck 2022) übertragbar. In diesem Seminar wurde der Fokus
auf erneuerbare Energien und damit auf das SDG 7 (nachhaltige und saubere Energie)
gelegt. Der Ausbau erneuerbarer Energien ist ein viel diskutiertes und zum Teil konflikt-
behaftetes Thema, das sowohl eine gesellschaftliche als auch eine hohe Relevanz im
Geografieunterricht hat und unabhängig vom Standort der Schule umgesetzt werden
kann (Venjakob 2020). Demnach lassen sich auch viele Berichterstattungen und
Dokumentationen in diesem Bereich online finden.
21.2.2 Digitalisierung
Die Idee des Best Practice ist es, dass Studierende sensible BNE-Themen mit digitalen
Medien reflektieren und diese im Unterricht später umsetzen können.
Mithilfe der Animationsvideos und der Methode können verschiedene Kompetenz-
bereiche der Digitalisierung in der Lehrer*innenbildung thematisiert werden.
Auch der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltver-
änderungen (WBGU 2019) spricht sich für eine Bildung für eine digitalisierte Nach-
haltigkeitsgesellschaft aus. Unter den Bereich der Nachhaltigkeitskompetenzen fallen
„systemisches Denken, Integration von naturwissenschaftlichen, sozialwissenschaft-
lichen und technischen Wissen sowie (der) Umgang mit Multiperspektivität und
normativen Gewichtungen“ und ferner im Bereich der Digitalisierungskompetenzen „der
Umgang mit digitalen Medien und Wissensquellen […] psychologische Effekte digital
vermittelter Kommunikation […]“ (WBGU 2019, S. 388). Durch die Coronapandemie
bedingt, wurde das Best Practice als Uni@Home-Variante angeboten. Auch die KMK-
Vorgabe betont unabhängig von der Pandemie die Bedeutung von digitalen Lehrformaten
(KMK 2017a, S. 46). Dadurch ist ein barrierefreier Zugang zu den Materialien gegeben;
die Studierenden können sich in ihrem eigenen Lerntempo Themen erschließen. Ebenso
bereitet dieses Seminar die Studierenden u. a. auf die Anforderungen ihrer zukünftigen
Arbeitswelt vor (KMK 2017a, S. 49), indem in unserem Seminar u. a. der Medien-
kompetenzrahmen für das Land NRW als Grundlage herangezogen wird.
256 M. Morawski und M. Kuckuck
Die KMK (2017a, S. 49) fordert, dass „Lernende in die Lage versetzt werden sollen,
selbstständig mit neuen Techniken umzugehen, diese sinnvoll einzusetzen und kritisch
zu reflektieren.“ Die Kompetenzen der Studierenden im Umgang mit und in der
Anwendung von digitalen Medien und Werkzeugen werden insbesondere durch die
digitale Praxis in Lehre und Forschung gefördert. Besondere Chancen liegen in den
Möglichkeiten, die Studierenden mittels digitaler Technologien intensiv und interaktiv
in Lehr-Lern-Prozesse einzubinden. Das hier vorgestellte Seminar will genau diese
Kompetenzansprüche adressieren. Studierende sollen durch ein professionalisierendes
Seminar lernen, wie sie Animationsvideos einsetzen, um mit ihren Schüler*innen kritisch
bestimmte Themen (hier: erneuerbare Energien) in Nachhaltigkeitsdiskursen beleuchten
zu können. Die angehenden Lehrkräfte erlernen zudem verschiedene Bereiche der KMK-
Kompetenzen einer digitalen Welt bzw. Kompetenzen des Medienkompetenzrahmens
(NRW) sowie Methoden zur Umsetzung dieser in Unterrichtskontexten. Je nach Schwer-
punktsetzung der Methode können verschiedene Bereiche der Kompetenzen adressiert
werden. In dem später aufgeführten Material sollen die Studierenden unterschied-
liche Videos aus dem Videoportal Youtube hinsichtlich ihrer Verwendbarkeit für die
Methode im Unterricht überprüfen. In der unterschiedlich aufgefächerten Arbeit mit den
Schüler*innen werden u. a. die Bereiche Informieren und Recherchieren, Produzieren
und Präsentieren sowie Kommunizieren und Kooperieren und vor allem Reflektieren und
Analysieren des Medienkompetenzrahmens NRW adressiert (Abb. 21.1).
Das hier vorgestellte Seminar aus dem Master sowie die Methode wurden während
der Coronapandemie zunächst digital durchgeführt. Der Projekttag an der Schule konnte
vor Ort stattfinden. Projektaufgaben im Rahmen des Praxissemesters und/oder Blockver-
anstaltungen sind für den Einsatz in der Hochschullehre ebenfalls denkbar.
An dem Best Practice lässt sich besonders gut zeigen, wie Studierende Schüler*innen
dazu befähigen, anhand digitaler Medien fachsprachlich differenziert geografische
Inhalte motivierend und bezogen auf eine BNE reflektiert zu erarbeiten. Der Schwer-
punkt liegt dabei auf der Herausforderung präziser didaktischer Reduktion durch die
Studierenden und der Identifikation von „blinden Flecken“ in der zunächst gegebenen
Informationslage der Animationsvideos. Die Methode wurde an einer Pionierschule
für Digitalisierung in NRW durchgeführt. Die vorhandene Ausstattung war überdurch-
schnittlich. Alle Schüler*innen und Studierende hatten beispielsweise Zugriff auf ein
eigenes Tablet. Dieser digitale Vorteil sollte bei der Durchführung weiterer Seminare
reflektiert werden.
Das Seminar wurde mit einer zehnten Klasse (EF) an einem Gymnasium in NRW
durchgeführt, in der das Thema erneuerbare Energien im Kernlehrplan eine zentrale
Rolle spielt. Es ließe sich allerdings auch in diesem Themenbereich beispielsweise auf
die Qualifikationsphase der Oberstufe übertragen.
21 Professionalisierung digitaler Kompetenzen … 257
Abb. 21.1 Schematischer Ablauf des Seminars zur Professionalisierung reflexiver Methoden zur
Vermittlung relevanter Themen der Bildung für nachhaltige Entwicklung anhand digitaler Medien.
(Eigene Darstellung)
Die Abb. 21.1 zeigt den Ablauf des Seminars, in das das Best-Practice-Beispiel
implementiert ist. Die hellgrünen Blöcke illustrieren Seminarsitzungen, die die Diagnose
der fachinhaltlichen Fähigkeiten der Schüler*innen durch die Studierenden und die
kritische Reflexion des Nachhaltigkeitsthemas erneuerbare Energien von Studierenden
im Einsatz digitaler Medien im Geografieunterricht behandeln. Die Studierenden dis-
kutierten in kooperativ angelegten Gruppenarbeiten den Einsatz verschiedener digitaler
Medien, Methoden sowie die Notwendigkeit von BNE im Fachunterricht.
In einem ersten Projekttag probierten die Studierenden Methoden aus, um die Kennt-
nisse der Schüler*innen zu erneuerbaren Energien zu diagnostizieren, mit denen sie dann
auch die Unterrichtsstunde durchführten. Die dunkleren Blöcke (Abb. 21.1, ab 4.) kenn-
zeichnen die Sitzungen, die eine praktische Umsetzung der geplanten Unterrichtsein-
heiten durch die Studierenden und die folgende gemeinsame Reflexion dieser auf Basis
der vorher erfolgten Erkenntnisschritte zum kritisch-reflektierten Einsatz von digitalen
Medien im Geografieunterricht behandeln.
Neben dem Einsatz in einem Semester sind auch Projektaufgaben im Rahmen des
Praxissemesters und/oder Blockveranstaltungen in der Schule denkbar.
258 M. Morawski und M. Kuckuck
Ein digital verfügbarer Reader begleitete das Seminar und die Studierenden erhielten
über angebotene Sprechstundentermine die Möglichkeit, erste Ideen über die Unter-
richtsplanung zu erneuerbaren Energien mit der Lehrperson zu besprechen, bevor
sie diese im Plenum zur Diskussion freigaben. Im Reader für Uni@Home/Distanz-
lernphasen sind Hilfestellungen für die Unterrichtsplanung (beispielsweise Ziel-
formulierungen, Phrasierungen etc.), aber auch Arbeitsaufträge und Lerneinheiten zum
Methodeneinsatz integriert. Eine dieser Lerneinheiten soll als Best-Practice-Beispiel im
Material präsentiert werden (s. Anhang).
Im Folgenden sollen nun die Struktur und Zielsetzung des im Seminar verwendeten
Materials, das dieser Band ebenfalls veröffentlicht, erläutert werden.
1. Auf der ersten Seite im Material werden ausführlich die Methode und die Ziele den
Studierenden vorgestellt. In der ersten Aufgabenstellung sollen die Studierenden
sich verschiedene Beispiele für Animationsvideos zur Thematik anschauen und die
Anforderungen, die diese an die Schüler*innen stellen, beurteilen (s. Anhang).
2. Anschließend sollen die Studierenden in der Gruppe diskutieren, welches Video für
die geplante Schulstunde/Methode geeignet sein könnte oder ob sie sich ein anderes
Video für den Unterrichtseinsatz suchen wollen. Diese Entscheidung gilt es didaktisch
reflektierend festzuhalten.
3. In der nächsten Aufgabe sollen die Studierenden ihr Video anhand der Nachhaltig-
keitsdimensionen analysieren und anhand der Schablone Schwerpunkte in der
Betrachtungsweise analysieren (s. Material). Dabei sollte identifiziert werden,
inwiefern bestimmte Bereiche gegebenenfalls unterrepräsentiert sind und somit als
„blinde Flecken“ zu charakterisieren sein könnten. Die Aufgabe soll das kritische
Bewusstsein der Studierenden schulen und die Erwartungshaltung der Studierenden
an die Schüler*innen reflektieren.
4. In der nächsten Aufgabe sollen die Studierenden erarbeiten, welche Formen der
Differenzierung die Methode bietet. Zunächst sollen die Studierenden allein darüber
diskutieren, um dann mit den Hilfestellungen zu überlegen, welche Differenzierungs-
stufen für die Schüler*innengruppe ihrer Meinung nach am geeignetsten wären. Die
qualitative wie quantitative Differenzierung bezieht sich auf fachsprachliche und fach-
inhaltliche, aber auch auf digitale Kompetenzen. Hier sollen die Studierenden eine
Auswahl für ihre Schüler*innengruppe treffen.
5. Abschließend sollen die Studierenden in der letzten Aufgabe diskutieren, inwiefern
sie den Schüler*innen Feedback zu den Videos geben und wie u. a. dieses Feedback
zu strukturieren ist. Außerdem werden Hinweise auf unterschiedliche Apps und
Programme gegeben, mit denen die Studierenden auch eigene Videos mit den
Schüler*innen erstellen können, um gegebenenfalls ausgewogenere Kommentare bzw.
Animationen zu erneuerbaren Energien in Videos präsentieren zu können (s. Material).
21 Professionalisierung digitaler Kompetenzen … 259
21.3.3 Reflexion
Den Abschluss des Seminars bildet die Reflexion, inwiefern der schulpraktische Einsatz
(Projekttag) und die hochschuldidaktischen Konzepte (BNE und digitale Medien) den
Studierenden bei der Entwicklung von Lehrkompetenzen anhand digitaler Unterrichts-
einheiten geholfen haben. Hier ist im besonderen Maß die Reflexion der individuellen
Fähigkeiten und der Weiterentwicklung dieser in Bezug auf die Lehrprofessionalität
in den Vordergrund zu rücken. Durch Feedbackformate wie anonyme Auswertungs-
bögen und Padlets sowie offene Gesprächsrunden konnten die Dozierenden detaillierte
Rückmeldungen der Studierenden analysieren. Besonders positiv wurde durch die
Studierenden hervorgehoben, dass der Einsatz digitaler Medien für die Seite der
Studierenden und die der Schüler*innen motivierend ist. Ebenfalls sei ihnen die Not-
wendigkeit reflexiven Unterrichtens bezogen auf BNE-Themen klarer geworden. Positiv
wurden ferner die Diskussionen der Differenzierungsstufen und der „blinden Flecken“
im BNE-Bereich hervorgehoben. Vielen Studierenden war diese Art der Differenzierung
und der detaillierte Körnungsgrad dieser nicht bewusst. Eine weitere große Heraus-
forderung, nämlich die der präzisen didaktischen Reduktion, wurde ebenfalls mit der
Methode gezielt und erfolgreich geübt. Diesbezüglich wurde auch die direkte Reflexion
nach den praktischen Erfahrungen positiv bewertet.
Von den Studierenden wurden sich eine größere Freiheit bei den Themen und
Methoden sowie ein größerer Zeitrahmen gewünscht. Je nach Vergabe der Leistungs-
punkte wurde der erhebliche Leistungsaufwand der Studierenden angesprochen.
21.4 Fazit
2. Aufgabenstellung: Videoauswahl
Schauen Sie sich bie die folgenden Beispielvideos/Animaonen an, die sich für einen Unterrichtseinsatz
anböten.
Bioenergie hps://www.youtube.com/watch?v=hdHOdLSWdB0
Windkra hps://www.youtube.com/watch?v=k1Rw_pi2RDY
Wasserkra hps://www.youtube.com/watch?v=ccVv8BBEtVE
Nun diskueren Sie bie mit Ihrer Gruppe, wie sich die Videos hinsichtlich der inhaltlichen Komplexität an
die Schüler*innen unterscheiden und welche Aufgaben in der didakschen Auereitung ggf. noch auf Sie
zukämen. Welches Video würden Sie am ehesten in Ihrer Klasse einsetzen?
Begründen Sie Ihre Entscheidung. Sie können gerne weitere Videos an dieser Stelle auswählen, die für Ihren
Unterrichtsentwurf/Ihr Thema in Frage kommen.
21 Professionalisierung digitaler Kompetenzen … 261
Aufgabe: Inwiefern werden in den von Ihnen ausgewählten Videos die verschiedenen Dimensionen
beleuchtet? Welche Punkte (blinde Flecken, mangelnde Komplexität) machen Sie aus? Noeren Sie die
Inhalte.
Soziale Dimension
Ökologische Dimension
Ökonomische Dimension
Aufgabe: Markieren Sie in der Schablone, wo die Videos Ihrer Meinung nach Schwerpunkte setzen und die
Videos ggf. noch für eine krisch-ausgewogene Unterrichtung nachsteuern sollten. Diese Schablone kann
auch bei den Schüler*innen eingesetzt werden. Dadurch häen die Schüler*innen eine Vorlage, um ggf. bei
der Produkon eines eigenen Videos oder bei der Erstellung des Kommentars Tipps zu finden. „Blinde
Flecken“ der Videos können Sie in den Dreiecken oder Kreisen kennzeichnen. Damit sind Inhalte gemeint,
die offensichtlich in einer krischen Betrachtungsweise fehlen. Was wird angesprochen und was fehlt
inhaltlich, um ein für sie angemessen krisches Bild zu zeichnen?
Blinde Flecken
Quelle:
Geändert nach Bild: Verständnis einer nachhalgen Entwicklung
im Tourismus der Hochschule Luzern (HSLU), 2012.
Differenzierungsstufen
1. Stufe 1:
2. Stufe 2:
3. Stufe 3:
4. Stufe 4:
Folgend finden Sie Beispiele für Differenzierungsstufen. Entscheiden Sie, welcher Differenzierungsgrad für
Sie und Ihre Klasse in Frage käme. Geben Sie Gründe an. Ggf. finden Sie auch noch eine weitere
Differenzierungsmöglichkeit?
264 M. Morawski und M. Kuckuck
5. Methodisch-didaksche Entscheidung
Entscheiden Sie nun, inwiefern Sie die Methode für Ihr Unterrichtsvorhaben einsetzen wollen. Diskueren
Sie in Ihrer Gruppe und geben Sie Gründe an. Erstellen Sie anschließend ein Arbeitsbla für Ihre Klasse.
21 Professionalisierung digitaler Kompetenzen … 265
6. Besprechung/Reflexion
Was würden Sie mit der Klasse nach Ablauf des Videos besprechen und warum? Wie würden Sie mit
Fehlern umgehen?
Explain hps://explaineverything.com/
everything
hps://medienkompetenzrahmen.nrw/fileadmin/dokumente/
Weitere
user_upload/Erkl%C3%A4rvideos-im-Unterricht.pdf
Inspiraonen
für die mögliche
Videoerstellung
hps://www.youtube.com/watch?v=jB3HFfK4SCU
Animaonen
mit
Keynote/PPP
Schauen Sie sich die verschiedenen Apps/Programme zur Erstellung von eigenen Videos an. Welche(s) würden
Sie am ehesten verwenden und warum? Die Apps/Programme können mit den Schüler*innen eingesetzt
werden, um Videos/Anima onen zu kreieren, die Themen ggf. kri scher und ausgewogener betrachten.
Disku eren Sie hinsichtlich Ihres Unterrichtsthemas die für Sie sinnvollste Lösungen und geben Sie Ergebnisse
der Diskussion an.
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Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) (2019)
Unsere gemeinsame digitale Zukunft. Hauptgutachten. WBGU, Berlin
„Lehren und Lernen mit digitalen
Medien“ – Lesson Learned 22
Bernadette Spieler
Inhaltsverzeichnis
22.1 Einleitung
Im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung hat die Europäische Union verschiedenen
politischen Initiativen zur Förderung neuer Kompetenzen in der Bildung Priorität ein-
geräumt. Bis 2030 soll die „Qualität der Bildung“ als eines der Ziele für nachhaltige
Entwicklung (SDG) die Zahl der jungen Menschen und Erwachsenen mit den für
Beschäftigung, menschenwürdige Arbeit und Unternehmertum erforderlichen Fähig-
keiten, einschließlich technischer und beruflicher Fähigkeiten, deutlich erhöhen (vgl.
Agenda 2030 Sustainable Development Goals 2020). Des Weiteren argumentiert das
B. Spieler (*)
Zentrum für Medienbildung und Informatik, Zentrum für Bildung und Digitaler Wandel,
Pädagogische Hochschule Zürich, Zürich, Schweiz
E-Mail: bernadette.spieler@phzh.ch
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von 269
Springer Nature 2022
J. Weselek et al. (Hrsg.), Digitale Bildung für nachhaltige Entwicklung,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65120-9_22
270 B. Spieler
fristig für die Online-Umsetzung angepasst und entsprechend mit aktuellen Themen der
digitalen Transformation ergänzt. Ziel dieser Fortbildungsreihe war es, theoretische und
praktische Grundlagen im Bereich der Medien zu vermitteln und speziell auf digitale
und mediale Anwendungsfelder im Kontext der Sekundarstufe I einzugehen. Die Inhalte
dieser Fortbildungsreihe wurden als Beitrag zur Erweiterung digitaler Kompetenzen in
Unterrichtsprozessen gesehen.
Um die Ergebnisse dieses Beitrags auch für zukünftige Weiterentwicklungen nutzen
zu können, soll die folgende Fragestellung beantwortet werden: Wie können medien-
pädagogische Inhalte für Lehrpersonen verschiedener Fächer zugänglich gemacht
werden? Zur Beantwortung dieser Frage wurde die Bewertung der in der Fortbildungs-
reihe verwendeten Formate und Inhalte durch die Teilnehmenden analysiert.
Ein digitales Lernen betont den Einsatz digitaler Tools und Software, um eine Archi-
tektur der Beteiligung mit Kommunikation (z. B. Chats, Foren) und Interaktion (z. B.
MOOCs, Webinare; Herzig 2017) zu schaffen.
Brandhofer et al. (2019, S. 310) und Honegger (2016, S. 43) interpretieren die
Nutzung digitaler Medien auf vier verschiedene Arten: Lernen mit digitalen Medien,
Lernen über digitale Medien, Lernen durch digitale Medien und Lernen trotz digitaler
Medien. Ersteres soll einen kritischen und reflektierten Umgang mit digitalen Medien
beschreiben. Letzteres beschreibt den Lernprozess, der durch die Ablenkung durch
digitale Medien beeinträchtigt werden kann. Brandhofer et al. (2019) haben zusätzlich
den übergreifenden Begriff „Bildung unter den Bedingungen und Kontexten der Digitali-
tät“ eingeführt (S. 310).
Mediengestütztes Lernen ist die Nutzung von Medien zur Bereitstellung von
Informationen, Anleitungen, Dateien, Präsentationen oder Aufgaben (vgl. Arnold 2018).
Es umfasst auch die Organisation von Lerneinheiten, Prüfungen oder Sprechstunden (z.
B. in einem Lernmanagementsystem, kurz LMS; vgl. Taraghi et al. 2013). Diese Inhalte
werden von den Autor*innen bestimmt.
Der Begriff Medienkompetenz wurde erstmals 1973 von Baacke eingeführt.
Im Gegensatz zu ähnlichen Begriffen konnte dieser eine größere Bedeutung und
Anwendung erlangen (Brandhofer et al. 2019, S. 308). Der Begriff Medienkompetenz
wird häufig als Synonym für den Trendbegriff Media Literacy (Brandhofer et al. 2019)
verwendet, der sich zunächst auf die gedruckte Sprache konzentrierte. Im Zuge des
272 B. Spieler
technologischen Fortschritts wurde diese Definition erweitert und beschreibt auch die
kritische Beobachtung und Durchdringung von Medieninhalten (Brandhofer et al. 2019,
S. 308 f.). Ein weiterer Begriff, der synonym zur Medienkompetenz verwendet wird, ist
die digitale Kompetenz (Brandhofer et al. 2019, S. 309). Im Gegensatz dazu ist Medien-
kompetenz jedoch weiter gefasst und beschreibt neben der digitalen Kompetenz auch die
Nutzung physischer Medien (Brandhofer et al. 2019). Brandhofer et al. (2019) wählten
Medienkompetenz als umfassenden Oberbegriff.
Grundsätzlich können digitale Medien im Unterricht als Bereicherung eingesetzt
werden, z. B. durch den Einsatz von Videos, Bildern oder digitalen Whiteboards (Arnold
et al. 2018, S. 141; vgl. Taragh et al. 2013). Es besteht auch die Möglichkeit, die
Schüler*innen mithilfe verschiedener Apps und Lernsoftware aktiv einzubinden (Arnold
et al. 2018, S. 14.). Beispiele hierfür sind Abstimmungen mit Umfragen oder Quizzes
(Schmidt und Hinderer 2017). Dies wird auch als synchrones Lernen bezeichnet. Ein
asynchrones, d. h. zeitversetztes Lernen, kann durch die Bereitstellung von Online-
Materialien in einem virtuellen Lernraum oder Lernsystem, wie z. B. in einem LMS,
erreicht werden. Hier können Aufzeichnungen, Foren und Arbeitsmaterialien zur
Verfügung gestellt und genutzt werden (Arnold et al. 2018, S. 141). Virtuelle Ver-
anstaltungen können sowohl synchron als auch asynchron durchgeführt werden (Arnold
et al. 2018). Zu den reinen Online-Bildungsveranstaltungen gehören z. B. Massive Open
Online Courses (MOOCs). Dabei handelt es sich um offen zugängliche Online-Kurse für
eine große Anzahl von Teilnehmern (Ebner et al. 2020).
Der Begriff Computational Thinking (CT) oder informatisches Denken, wurde ursprüng-
lich von Seymour Papert (1989) geprägt. Jannette Wing wiederum popularisierte
den Begriff im Jahr 2006 und führte diese Konzepte in die Lehrpläne mehrerer
amerikanischer Bundesstaaten sowie in K-9-Bewegungen (Kindergarten bis 9. Klasse)
ein. CT beschreibt in erster Linie die Denkweise professioneller Programmierer*innen
und wird im weiteren Sinn als Methode zur Problemlösung und zum Verständnis
menschlichen Verhaltens gesehen, die sich auf grundlegende Informatikkonzepte bezieht
(Wing 2017). Schülerinnen und Schüler können diese Kompetenzen nicht nur durch
Programmieren erwerben, sondern auch durch eine neue Art des kritischen und kreativen
Denkens, z. B. in der Projektarbeit oder bei der Erstellung von (digitalen) Artefakten
(CSTA, Computer Science Teacher Association n. d.). Daher wird CT als eine komplexe
Kompetenz beschrieben, die zahlreiche miteinander verknüpfte Fähigkeiten kombiniert
(Wing 2006).
22 „Lehren und Lernen mit digitalen Medien“ – Lesson Learned 273
Tab. 22.1 Fortbildungsreihe „Lernen und Lehren mit digitalen Medien“6 (eigene Darstellung)
Modulnummer Modultitel
Modul 1 Lehren und Lernen mit digitalen Medien – Eine Einführung
Modul 2 Techniken und Technologien im Bereich Medieninformatik und Medien-
didaktik
Modul 3 Computational-Thinking-Aktivitäten im Unterricht
Modul 4 Rechtliche Rahmenbedingungen für den Einsatz digitaler Medien im Unter-
richt
Freie Bildungsressourcen (suchen, nutzen und erstellen)
Modul 5 Einsatz von digitalen Medien im Schulalltag
Modul 6 Präsentation der Praxisarbeiten, Abschluss
nen Module. Die gesamte Schulungsreihe wurde online durchgeführt. Hierfür wurde
das Konferenztool BigBlueButton genutzt und direkt in das hochschulinterne LMS
integriert und mit asynchronen Teilen bestehend aus Arbeitsblättern, externen Tools oder
Videos im Sinn des Inverted Classroom begleitet (vgl. Roemver and Hagemus-Becker
2018). Durch diese Lernarchitektur hatten die Teilnehmenden Zeit für selbstorganisiertes
Lernen, konnten aber auch die Vorteile der Gruppe nutzen und die Lernergebnisse im
Rahmen des gemeinsamen Lernprozesses teilen (vgl. Salmon 2011; Ebner et al. 2013).
Das Modul 1 befasst sich mit einer allgemeinen Einführung in E-Learning (mediales,
digitales und hybrides Lernen; s. Abschn. 22.2.1 bzw. vgl. Kergel und Heidkamp-Kergel
2020), verschiedenen digitalen Kompetenzmodellen (vgl. DigComp n. d.; Europass n. d.;
Geier 2015), Phasen im E-Learning-Zyklus und Informationen zur Medienauswahl (vgl.
Ebner et al. 2013). Im zweiten Modul lag der Fokus auf Lernvideos (Schön und Ebner
2013), Mediennutzung, Multimediales Lernen und Medienkompetenz (Taragh et al.
2013; Geier und Höfler 2017) und Internet und Schule (Soziale Medien; vgl. Lehrer-
Online.de n.d., Wampfler 2021). Modul 3 beschäftigt sich mit Themen rund um CT
(Wing 2006; Bollin und Micheuz 2018), mit einer Definition von CT (s. Abschn. 22.2.1),
verschiedenen informatischen Rätseln und Aufgabenstellungen7 sowie visuellem
Programmieren mit der App Pocket Code8 (Spieler et al. 2017). Das Modul 4 widmete
sich Themen rund um offene Lizenzierungen, Datenschutz und dem Urheberrechtgesetzt.
Im 5. Modul lag der Fokus zum einen auf dem DigitalPakt Schule (BMBF n. d.) sowie
auf Ansätzen zur Bewertung von Medien im Schulalltag nach Ebner (2015, S. 29 f.),
Zimmer (2009, S. 8–14, 14–20) und Mikuszeit (2017, S. 331–342). Die abschließende
Praxisarbeit diente der Vertiefung und Festigung der Inhalte und Lernerfahrungen aus
den Modulen. Ziel dieser Praxisarbeit war es, eine exemplarische eigene digitale Unter-
richtsstunde auf Basis eines digitalen Drehbuchs zu präsentieren.
Die maximale Teilnehmerzahl pro Modul lag bei 20 Teilnehmenden. Module 1 und 3
wurden von 16 Teilnehmenden besucht, Module 2 und 5 von 13, Modul 4 von 17 und
Modul 6 und damit die gesamte Fortbildungsreihe von 7 Teilnehmenden. Insgesamt
waren 30 verschiedene Lehrpersonen an der Fortbildungsreihe beteiligt (15 männ-
lich, 15 weiblich, Schulformen: Gymnasium 7, Oberschule 6, Realschule 5, Berufs-
bildende Schule 4, Sonstige 4). Die Hälfte der Teilnehmenden hat mindestens zwei
der angebotenen Module besucht. Nach jedem Modul und am Ende der gesamten
7 Biber
der Informatik: https://bwinf.de/biber/
Computer Science-Unplugged: https://www.csunplugged.org/
8 Pocket Code: https://catrob.at/pc, Catrobat: https://catrobat.org.
22 „Lehren und Lernen mit digitalen Medien“ – Lesson Learned 275
ortbildung wurde ein Fragebogen durchgeführt. Der letzte Fragebogen, der für diesen
F
Beitrag relevant ist, wurde von allen Teilnehmenden der gesamten Fortbildungsreihe aus-
gefüllt (n = 7).
Ausnahmslos alle Teilnehmenden gaben an, dass sie LuLmdM ihren Kolleg*innen
weiterempfehlen würden; 29 % der Teilnehmenden gaben an, dass Modul 5 für sie
am nützlichsten war, ebenso wie Modul 3 und Modul 4 (jeweils 14 %); 43 % der Teil-
nehmenden machten keine Angaben zu einem bestimmten Modul. Im Gegensatz dazu
wurde Modul 3 von 29 % der Teilnehmer am schlechtesten bewertet. Fragen zu einzel-
nen Methoden und Formaten der Schulungsreihe (z. B. grafische/textliche Darstellung,
Navigation, Aufwand, Lernziele/Inhalte, Betreuung) ergaben das folgende Bild: Die
grafische Darstellung der Kursinhalte erhielt die beste Durchschnittsbewertung (Ø1,71)
und die Möglichkeiten des Austauschs wurden im Durchschnitt als zufriedenstellend
bewertet (Ø3). Die Schulungsreihe wurde mit einer durchschnittlichen Gesamtbewertung
von Ø2,29 als gut empfunden. Die Abb. 22.1 zeigt die durchschnittliche Bewertung des
Kurses in Bezug auf diese Einzelmerkmale.
Fragen zu Inhalten der Trainingsreihe zeigten das Folgende: Die Teilnehmenden
stimmten zu, dass mehr Zeit für die Bearbeitung der einzelnen Inhalte nötig gewesen
wäre (Ø1,43). Durchschnittlich wurden die Inhalte als neu empfunden und als sehr gut
für den eigenen Unterricht nutzbar (Ø1,86). Die Inhalte entsprachen weitgehend den
Erwartungen und die Teilnehmenden gaben an, dass sie gern mehr ausprobiert hätten
(Ø2). Die Abb. 22.2 zeigt erneut die durchschnittliche Bewertung des Kurses bezüglich
der einzelnen Fragen.
Kritisch angemerkt wurde, dass die Schulungsreihe zu viele Inhalte für zu wenig Zeit
enthielt. Dadurch war es nicht möglich, alles selbstständig auszuprobieren. Ein Pro-
zentsatz von 29 sprach sich weiterhin für ein zukünftiges reines Online-Format der Ver-
anstaltung aus, während 71 % der Teilnehmenden ein hybrides Format mit Online- und
Präsenzzeit bevorzugen würden.
Abb. 22.1 Bewertung einzelner Formate der Fortbildungsreihe „Lehren und Lehren mit digitalen
Medien“, n = 7. (Eigene Darstellung)
276 B. Spieler
Abb. 22.2 Bewertung der Themeninhalte der Fortbildungsreihe „Lehren und Lehren mit digitalen
Medien“, n = 7. (Eigene Darstellung)
Abschließend kann festgestellt werden, dass die Ergebnisse aus dem Fragebogen eine
positive Akzeptanz der Fortbildung seitens der Teilnehmenden abbilden und diese gut
dafür geeignet erscheint, medienpädagogische Inhalte für Lehrpersonen verschiedener
Fächer zu vermitteln. Andererseits ist zu erwähnen, dass digitale Medien im Unterricht
oft eine persönliche Vorliebe sind und die einfache Handhabung den Vor- und Nachteilen
vorgezogen wird (vgl. Rink und Walter 2020, S. 9). Dies führt zu einer subjektiven und
nicht didaktisch begründeten Einschätzung (Rink und Walter 2020). In Bezug auf die
Digitalisierung in der Schule lassen sich zwei gegensätzliche Lager erkennen: Während
sich einzelne Vertreter*innen der Bildungspolitik deutlich positiv für digitale Medien aus-
sprechen, zeigen spezielle Kritiker*innen wie Lembke und Leipner (2015), die das Buch
Die Lüge der digitalen Bildung: Warum unsere Kinder das Lernen verlernen veröffent-
lichten, ihre Missachtung. Das Problem vieler digitaler Lernsoftwares und Apps ist, dass
ihre Werbeslogans und Werbeversprechen in den meisten Fällen nicht durch Fachdidaktik
untermauert werden. Auch die Lehrkräfte bewegen sich zunehmend zwischen diesen
beiden Extremen (vgl. Rink und Walter 2020, S. 9). Es kann also davon ausgegangen
werden, dass die Fortbildungsreihe zwar im Durchschnitt sehr positiv bewertet wurde,
dies aber nur einen sehr kleinen Teil der Realität abbildet. Neben der kleinen Stichprobe
der vorliegenden Studie ist auch die anfängliche Hürde zu sehen, überhaupt ein solches
Online-Format zu wählen. Einerseits bestätigt die anfänglich hohe Nachfrage nach der
Trainingsreihe das hohe Potenzial dieses Online-Formats, andererseits sind die kurz-
fristigen Absagen vieler Teilnehmer sehr kritisch zu sehen (vgl. Khalil und Ebner 2014).
Auf Basis der Ergebnisse dieses Berichts ergeben sich die folgenden Empfehlungen
für eine zukünftige Weiterentwicklung: Die Zielgruppe sollte enger definiert werden
(bezogen auf Schulart und -stufe). Zusätzlich sollten fachspezifische Inhalte zur Ver-
tiefung angeboten werden (z. B. Apps im Mathematikunterricht). Die Fortbildungs-
reihe als hybrides Format in Kombination mit Präsenzmodulen (s. Inverse Blended
22 „Lehren und Lernen mit digitalen Medien“ – Lesson Learned 277
Learning; vgl. Ebner et al. 2017) könnte, wie von den Teilnehmenden genannt, mehr
Raum zum Experimentieren bieten. Für die Zukunft sind ähnliche Formate an der Uni-
versität Hildesheim geplant und das Angebot an Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten
im Bereich der digitalen Medien am Kompetenzzentrum der Universität Hildesheim soll
weiter ausgebaut werden.
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Stichwortverzeichnis
K
G Klima, 217
Gallery Walk, 30 Klimaanpassung, 76, 92
Gamification, 116, 240, 242, 243 Klimaanpassung online verstehen, 168
Geomedien, 252 Klimawandel, 215
Gestaltungskompetenz, 155, 160, 162, 207 Kompetenzaufbau, 154
Global Citizenship, 190 Kompetenzmodell, 28
global citizenship education, 192 Kompetenz zum strategischen Denken, 130
global education, 190, 199 Kompetenz zum systemischen Denken, 131,
globale Erwärmung, 215 137
globale Zieldimension, 179 Kompetenz zur Antizipation, 131
Greening, 128 Kooperation, 160
Guided Inquiry, 70 kooperatives Lernszenario, 270
kritischer Rohstoff, 228, 229
Kultur der Digitalität, 24
H
Handlungskompetenz, 155
Handlungsorientierung, 128, 132, 134, 135, 137
Stichwortverzeichnis 283
L Modellbildung, 223
Learning by Doing, 66 multimediales Lernen, 274
Learning-Content-Managementsystem, 241 Multiperspektivität, 26, 160, 162, 208
Learning-Managementsystem, 241 Multiplikator*innen, 178
Leben an Land, 108
Lebenszyklus, 116
Lehramtsausbildung, 112 N
Lehrer*innenbildung, 24, 32, 96, 155, 162, Nachhaltige Stadtentwicklung, 15, 16
166, 228 Nachhaltige Städte und Gemeinden, 108
Lehr-Lern-Labor (LLL), 154 Nachhaltigkeits-Challenges, 116
Lehr- und Lernkonzepte, 216 Nachhaltigkeitsziel, 227
Lehrvignette, 14, 20 Narrativ, 245
Leitfaden BNE in der Schule Rheinland-Pfalz, NASA, 220
29 nationaler Aktionsplan BNE, 29
LELINA (Lern- und Erlebnislabor Industrie- Naturschutz, 128, 129, 136
natur), 103, 240 normative Kompetenz, 131
Lernendenzentrierung, 132
Lernpfad, 244
Lernsoftware, 272, 273 O
Lernstation, 160 offene Lernumgebung, 270
Lern- und Erlebnislabor, 106 Ökobilanz, 116
Lernvideo, 216, 222, 274 Online-Camp, 128, 129, 133–135, 137
Level of Inquiry, 69 Online-Kurs, 272
Level up!-Tool, 247 Online-Materialien, 272
Life Cycle Thinking, 116 Open Educational Resources, 30
lingua franca, 198 Open Inquiry, 70
M P
Massive Open Online Courses (MOOCs), 272, Partizipation, 132, 135
273 partizipatives Lernen, 31, 270
Media Literacy, 271 Peer Instruction, 219
mediengestütztes Lernen, 271 peer reflection session, 195
Medienkompetenz, 206, 271, 274 Phänomen, 219
Medienkompetenzrahmen NRW, 110 Physical Computing, 39
Mediennutzung, 274 planetare Leitplanke, 227
medienpädagogische Kompetenz, 25, 269, 270 Planetary Citizenship, 191
medienpädagogischer Inhalt, 271, 276 Planspiel, 128, 135, 137
Messung, 219 Plattform, 168, 216, 240, 241
MINT-Fach, 154 presence, 142, 143, 145
Mixed-Methods-Ansatz, 158 Problemlösung, 272
mobile App, 79 Problemlösungsfähigkeit, 270
Mobile Learning, 11, 13 Professionelle Kompetenz, 12
mobiles Lernen, 79 Projektarbeit, 270, 272
mobiles ortsbezogenes Lernen, 79, 94 prozessdiagnostische Fähigkeit, 159
Mobilität, 15 Punkte, 245
284 Stichwortverzeichnis
Q Transdisziplinarität, 26
Qualifizierung, 158 Transfer, 160
Qualität der Bildung, 269 Transformationsprozess, 155
transformative Bildung, 25, 28, 185
Transformative Literacy, 64, 65
R transformatives Lernen, 132
reale Aufnahme, 218 transversales Lernsetting, 26
Recycling, 228 Treibhauseffekt, 216
Reflexionskompetenz, 155 Treibhausgas, 215
Remote-Unterricht, 217
Ruhrgebiet, 104
U
Umsetzungskompetenz, 132, 133, 135, 137
S Umweltbildungsprojekt, 103
safe space for vulnerability, 65 umweltfreundliches Verhalten, 116
Schlüsselkompetenz für Nachhaltigkeit, 128, unterrichtspraktische Kompetenz, 161
129, 132 Unterrichtsprozess, 271
Schüler*innenlabor, 228, 231 urbane Biodiversität, 105
Selbstbestimmungstheorie, 243
selbstgesteuertes Lernen, 26
selbstorganisiertes Lernen, 274 V
Selbstwahrnehmung, 131, 134 Verhaltensänderung, 117
Selbstwirksamkeitserwartung, 154, 155, 161 virtual exchange, 191, 193
Seltenerdelement, 228 Virtual Reality, 50, 142, 144, 228, 231
Serious Games, 81 Virtual-Reality-Exkursion, 54
Service Learning, 166, 167, 211 Virtual-Reality-Exkursionen, 50
situiertes Lernen, 132, 162 virtuelle Exkursion, 20
sozioökonomische Ungleichheit, 181 virtueller Lehr-/Lernraum, 240
Spatial Analyst, 252 virtueller Lernraum, 272
Spatial Citizen, 252
Spielelement, 243
sprachbewusste Förderung, 259 W
Story, 245, 247 Wärmestrahlung, 220
Strahlungsbilanz, 222 Webviewer, 133, 136
Structured Inquiry, 70 Whole Institution Approach, 119, 155
Sustainable Development Goal, 108, 116, 129, Wissensvermittlung, 216
135, 142, 227 WorkCamp, 128, 129, 131, 132, 134, 136, 137
systemisches Denken, 229
Systemkompetenz, 28
Z
Zukunftsbildung, 132, 137
T Zusatzzertifikat, 26
TPACK-Modell, 12
transdisziplinäre Perspektive, 179