Sie sind auf Seite 1von 146

INHALT

PROLOG 11

FRAUENBEWEGUNG/FEMINISMUS -
ALLGEMEINE ANMERKUNGEN 15
l Die Entwicklung bis zum 2. Weltkrieg 15
2 Simone de Beauvoir 17
3 Der Extremfeminismus der letzten Jahrzehnte 20
4 Der „Zeitgeist" - oder: Opportunität geht vor Recht 25
II FREIE ABTREIBUNG - DIE „KÖNIGSDISZIPLIN"
DES RADIKALFEMINISMUS 27
1 Die Schwierigkeit des Themas 27
2 Zum Diskussionsniveau 28
3 Wichtige Begriffe in der Abtreibungsdebatte 31
4 Die zentrale Frage: Kann ungeborenen Kindern das
Lebensrecht bestritten werden? 32
4.1 Menschenwürde: Warum schützen Menschen ihr
Leben? 33
4.2 Aufspaltung des Menschseins in „personale" und
„nichtpersonale" Existenz? 35
- „Personalität" und Lebensrecht / Peter Singer 35
- Naturgegebenheit des menschlichen Seins 38
- „Überlebensinteresse" 39
- Potentialität 43
4.3 Die Konsequenzen der Position Singers 47
4.4 Zusammenfassende Beurteilung 53
5 Weitere Schlagworte 60
5.1 Selbstbestimmungsrecht der Frau 60
5.2 „Verantwortete Gewissensentscheidung" 62
6 Recht 63
6.1 Sinn des Strafrechts 63
6.2 „Liberales" Strafrecht 65

7
6.3 Zur Rechtslage und ihrer Bewertung 67 - Die gescheiterte Ehe als ein den Staat entlastendes
- Vorbemerkung 67 Versorgungsinstitut 154
- Deutschland 68 - Wegfall bzw. Minderung von Unterhaltsansprüchen
-USA 78 nur bei „grober Unbilligkeit" -
- Andere Staaten 86 Fremdgehen ist erlaubt! 158
7 Die Mär von der ungewollten Schwangerschaft 89 - Der Versorgungsausgleich 173
8 Schlußbetrachtung 92 - Zusammenfassung / Auslandsvergleich 173
6 Die weitgehende Grundrechtswidrigkeit des
III DAS SCHEIDUNGSUNRECHT -
Scheidungsfolgenrechts und der dazu
DIE ABZOCKE DES JAHRHUNDERTS 97
ergangenen Rechtsprechung 180
1 Vorbemerkung 97
6.1 Verletzung des Schutzgebots für Ehe und
2 Zum Ehebegriff und Eheinhalt 98
Familie, Art. 6 Abs. l GG 181
3 Ehescheidung - kurze Historie 103
6.2 Verstoß gegen das Rechtsstaatlichkeitsgebot
4 Die Scheidung nach dem Recht von 1938/1946 104
des Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit
5 Die Reform von 1977 106
Verletzung des Art. 2 Abs. l und des Art. 14 GG 184
5.1 Ursprüngliche Beweggründe 106
6.3 Verletzungen des Gleichheitssatzes, Art. 3 GG 188
5.2 Berechtigung des Zerrüttungsprinzips für die
6.4 Verletzung des Vertrauensschutzes bei Altehen 191
Ehescheidung als*solche 110
6.5 Zusammenfassung; Ideologie und Dogmatismus
5.3 Abkehr vom Schtildprinzip auch für die
statt Gerechtigkeit 193
Scheidungsfolgen? 110
7 Zu allgemeinen Auswirkungen des geltenden
5.4 Zu einzelnen „Begründungen" der
„Rechts" 198
Nichtberücksichtigung von Verantwortlichkeit 113
7.1 Aushöhlung des Stellenwerts der Ehe schlechthin 198
5.5 Die Versuche rechtsethischer Legitimation für
7.2 Nähe zur Prostitution 199
nachehelichen Unterhalt ohne Berücksichtigung
7.3 Herabsetzung des Vertrauens in die Rechtsordnung 199
persönlicher Verantwortung 127
7.4 Vaterlose Kinder 201
5.6 Die Reformergebnisse im einzelnen -
7.5 Staatlich bereitete Ehefalle für Männer 203
ihre Begründetheit, ihre Auswirkungen 136
8 Schlußfeststellungen; Vorschläge 205
- Die Tatbestände des Ehegattenunterhalts
8.1 Allgemeines 205
im Überblick 136
8.2 Warum aus „Fachkreisen" wenig öffentliche
- Das Maß des Unterhalts 138
Kritik kommt 209
- Verpflichtung nur zu „angemessener"
8.3 Vorschläge 211
Erwerbstätigkeit 142
8.4 Schlußbemerkung 212
- Die unglückselige Koppelung von Sorgerecht
und Unterhalt 144
IV WEITERE FRAUENBEVORZUGUNGEN 214 PROLOG
Kein Wehr- oder Ersatzdienst für Frauen;
Todesberufe fast nur für Männer 214
2 Besserstellung vor der Strafjustiz 217 Ich möchte ausdrücklich voranstellen, daß ich Geschlechterkampf
3 Die Quotenfrau 221 grundsätzlich für verfehlt halte. Die Menschheit stand und steht
4 Männerbenachteiligungen in sozialer Hinsicht und ständig vor gewaltigen Herausforderungen. Die Probleme werden
allgemeiner Fürsorge; „Gleichstellungsbeauftragte" nur gemeinsam, nicht aber gegeneinander „geschlechtsspezifisch"
und andere Einseitigkeiten 226 einigermaßen zu bewältigen sein. Auch kann niemand etwas dafür,
5 „Sexuelle Belästigung", „Mißbrauch" und „Ver- mit welchem Geschlecht er in diese Welt hineingeboren wurde.
gewaltigung" als lukrative Einkommensquellen 229 Deshalb ist es Unsinn, wenn die Geschlechter sich gegenseitig zu
6 Eher Verletzung von Grundrechten als verunglimpfen suchen. Es sollte davon ausgegangen werden, daß
Verzicht auf Frauenbevorzugung 237 im großen Querschnitt die Angehörigen des einen Geschlechts
V SIND FRAUEN DIE BESSEREN MENSCHEN? 238 nicht „besser" sind als diejenigen des anderen.
1 Der gewalttätige, kriegführende Mann 238 Zwar trifft es zu, daß Frauen früher rechtlich in mancher Bezie-
2 Der kriminelle Mann; der Umweltverschmutzer 242 hung benachteiligt waren, allerdings sind zumindest in den Indu-
3 Das sensiblere, phantasievollere Geschlecht 245 strienationen diese Ungleichheiten schon seit längerem beseitigt.
4 Die klügere Frau 246 Man sollte dafür eintreten, dies auch in den Regionen der Welt, in
denen es noch nicht so ist, zu erreichen. Natürlich erforderte die
VI RESÜMEE 249 Gleichstellung - auch das sei nicht bestritten - einen gewissen
1 Die wirkliche Machtverteilung der Geschlechter heute 249 Kampf. Dies hätte aber nicht dazu verleiten sollen, neue Ungleich-
2 Was sich ändern muß 254 gewichte, nunmehr zuungunsten der Männer, zu etablieren.
ANHÄNGE Mit diesem Buch möchte ich aufzeigen, in welchem Ausmaß in
1: Der tödliche Betrug: den vergangenen Jahrzehnten den Frauen ungerechtfertigte Frei-
Vortrag von Dr. Bernard Nathanson räume und Bevorzugungen eingeräumt wurden. Eine Lobby von
262
2: Dr. Otto Gritschneder zur Beratungslösung Frauenrechtlerinnen diktiert(e) lauthals schreiend und ohne nen-
277
3: Strafrechtliche Bestimmungen zum nenswerten Widerstand Gesetze, die weit über das Ziel einer blo-
Schwangerschaftsabbruch ßen Gleichberechtigung hinausgehen.
280
4: Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches Es versteht sich deshalb, daß diese Schrift von bestimmten Krei-
zum nachehelichen Ehegattenunterhalt sen schnell mit dem Prädikat „frauenfeindlich" versehen werden
285
wird - einem Schlagwort, das heute als meist wirksame Allzweck-
LITERATUR ZUM TIIEMENKREIS 292 waffe jedem entgegengehalten wird, der versucht, diesen Mißstän-
den in der Gesetzgebung entgegenzutreten.
Männerfeindlich darf man sein soviel man will - das wirkt sich

11
nicht weiter negativ aus, gilt eher als modisch. Männer haben nicht sprechung auszeichnet(e). Die Sprachkörper sind zwar überwie-
den Naturbonus der stets „armen", unschuldigen und hilfsbedürfti- gend männlich besetzt - aber gerade deswegen will man sich offen-
gen Frau. Wehe aber denjenigen in Politik und Gesellschaft, denen bar nicht dem Verdacht aussetzen, „frauenfeindlich" zu entschei-
das Etikett der Frauenfeindlichkeit angehängt wird! Diesem er- den! An dem bewußt irreführenden Gerede, wonach Männer Geset-
presserischen Druck entsprechend sehen die betreffenden Gesetze ze nur für Männer machten, stimmt also nichts. Wäre nicht
dann inhaltlich aus. vielmehr das Gegenteil der Fall, müßte dieses Buch nicht geschrie-
Wenn Sie, sehr geehrte Leser, ohne die eindimensional-egoisti- ben werden. Man kann den Eindruck haben, als wollten die „west-
sche Sicht kompromißloser Feministinnen die einzelnen Abschnit- lichen" Männer durch die Bevorzugung der Frauen und ihre eige-
te des Buchs durchgehen, werden Sie nachvollziehen, in welcher ne Erniedrigung zu Rechtssubjekten zweiter Klasse als besonders
Weise es „Frau" in wichtigen Feldern ermöglicht wurde, weitge- ritterlich und zivilisiert erscheinen.
hend zu tun und zu lassen was sie will. Nur so kann ja auch ein So bleibt die Frage, ob und wann die in der Politik und in der
hoher Grad an „Selbstverwirklichung" erreicht werden - wobei es Rechtsprechung Verantwortlichen wieder den Mut finden werden,
kaum eine Rolle zu spielen hat, ob dies etwa zu Lasten von Kin- dem Diktat radikal-feministischer Gruppierungen entgegenzutre-
dern, von Männern erst gar nicht zu reden, geht. Was alleine zählt, ten und die gegebenen Mißstände zu beseitigen. Auch die in den
ist das Frauen-Ego. Emanzipation wird von männerfeindlichen Ra- Medien Tätigen, die oftmals sogar noch feiger erscheinen als Poli-
dikal-Feministinnen gleichgesetzt mit zügelloser Freiheit und pu- tiker und Richter und bequemerweise nur allzugerne dem „Zeit-
rem Egoismus, notwendige Selbstdisziplin wird mit einem Macht- geist" bzw. dem, was sie dafür halten, opportun hinterher hecheln,
anspruch des Mannes verwechselt. Was über angebliche Männer- sind hier zum Nachdenken aufgefordert. Längst nicht alles, was als
macht hierzulande verzapft wird, hört sich vielfach an, als befän- „modern" verkauft wird, ist auch gerecht und vernünftig.
den wir uns in Afghanistan oder in anderen Weltgegenden, in denen
Frauen noch unterdrückt werden - und soll darüber hinwegtäu- Eine kurze Anmerkung zu meiner Person:
schen, wie sehr sich in Wahrheit die Machtbalance in unseren Brei- Ich wurde 1941 in Passau geboren. Dort durchlief ich meine Schul-
ten längst zugunsten der Frauen verschoben hat. Auf der Tagesord- und weitgehend auch meine Berufsausbildung. Ich war zeitweise
nung des Feminats steht die ständige Selbstüberhöhung, das Sich- Mitarbeiter im Bundesministerium der Justiz und konnte dort auch
selbsternennen zur besseren Menschheitshälfte. „aus der Nähe" mitverfolgen, wie es zu wichtigen einschlägigen
Ich bin mit diesem Werk bestrebt, die jeweils in Betracht kom- „Reformen" kam.
menden gesellschaftspolitischen und rechtlichen Sachverhalte klar
und offen zur Sprache zu bringen, was sonst häufig genug nicht
geschieht. Dazu gehört es auch, die wirklichen Hintergründe von
Gesetzen herauszustellen und verlogene Scheinbegründungen zu
demaskieren. Dies ist nicht möglich ohne eine deutliche „Abrech-
nung" mit den gesetzgebenden Organen, aber auch mit der Justiz,
die sich nur allzu oft durch eine extrem männerfeindliche Recht-

12
I FRAUENBEWEGUNG/FEMINISMUS -
ALLGEMEINE ANMERKUNGEN

l DIE ENTWICKLUNG BIS ZUM 2. WELTKRIEG

Begriffe wie „Frauenbewegung" oder „Feminismus" sind viel-


schichtiger Natur. Die politischen Ziele der einzelnen Strömungen
waren und sind unterschiedlich. Der Bogen reicht von berechtigten
Gleichstellungsforderungen bis hin zu völlig überzogenen Bevor-
teilungswünschen und apartheidlichen Ausgrenzungen der Män-
ner.
In Ansätzen können Ziele der Frauenbewegung bis zur Französi-
schen Revolution zurückverfolgt werden, kommen insbesondere in
deren Gleichheitspostulaten zum Ausdruck. Die ersten „eigent-
lichen", d.h. als solche organisierten Bewegungen entstanden etwa
zur Mitte des 19. Jh. in Nordamerika und England. Sie hatten, wie
ihre ersten Nachfolger in anderen Ländern, die Erlangung der
rechtlichen Gleichstellung der Frauen in wichtigen Lebensberei-
chen zum Ziel. Schwerpunkte waren staatsbürgerliche Rechte wie
das Wahlrecht, ferner das Familienrecht. Auch zur Zeit der Deut-
schen Revolution von 1848 wurden bereits frauenrechtliche Pro-
grammpunkte benannt. Luise Otto-Peters arbeitete 1847 ein erstes
Konzept aus. In Leipzig wurde 1865 der Allgemeine Deutsche
Frauenverein gegründet, der sich in erster Linie mit Frauenbildung
und Frauenarbeit befaßte.
Einen Namen machten sich zu Beginn des 20. Jh. die sog. „Suff-
ragetten" (vom lat. suffragium = Stimmrecht), eine britische Bewe-
gung, in ihrem Kampf um politische Gleichberechtigung. Der ge-
naue Name der Organisation lautete „National Union of Women's
Suffrage Societes", gegründet 1884 von Millicent Garrett Fawcett.
Das Wahlrecht erhielten die Frauen in Großbritannien 1918 teil-
weise und 1928 vollständig. In den USA erlangten die Frauen 1919
in allen Landesteilen das Wahlrecht. Zur selben Zeit wurde ihnen

15
auch in Deutschland aktives und passives Stimmrecht zugestanden. gung des Feminismus besonders durch das oberste und „heiligste"
Im übrigen jedoch hatten die meisten Menschen, Frauen wie Ziel der straflosen Abtreibung, das auch weitestgehend erreicht
Männer, in der Zeit der Frühindustrialisierung im 19. Jh. und zu wurde.
Anfang des 20. Jh. kaum Zeit und Muße, sich über „geschlechts-
spezifische" Bevorzugungen und Benachteiligungen im einzelnen
Gedanken zu machen. Beide Geschlechter waren vollauf damit be- 2 SIMONE DE BEAUVOIR
schäftigt, sich und ihrem oft zahlreichen Nachwuchs das Überle-
ben zu erkämpfen. Das erforderte von den vielen Arbeitern und Ar- Als eine der ersten und namhaftesten Feministinnen der Nach-
beiterinnen in Industrie und Landwirtschaft ebenso wie von den kriegszeit darf die französische Schriftstellerin Simone de Beau-
zahlreichen kleinen Angestellten in der Regel ein Schuften von voir benannt werden. Ihre Vorstellungen zur Geschlechterbezie-
früh bis spät. Gleichermaßen waren Mütter und Hausfrauen gefor- hung brachte sie vor allem in dem Buch „Das andere Geschlecht",
dert. Männer wurden zudem - wie schon zu allen Zeiten - fleißig in Deutschland erstmals erschienen 1951, zum Ausdruck. Dieses
in Kriegen verheizt. Werk gilt Feministinnen in aller Welt nach wie vor als eine Art Bi-
Nach dem 1. Weltkrieg wurde die Frauenbewegung mehr und bel im Kampf gegen den Mann.
mehr radikalisiert. Dieser „neue" Feminismus, der sich in seinen Simone de Beauvoir, in Paris 1908 geboren, studierte Philoso-
Anfängen bereits in den zwanziger Jahren herausbildete, wurde phie und unterrichtete dann an verschiedenen franz. Gymnasien.
zunächst nochmals zurückgedrängt durch die in Europa Überhand Später gab sie den Lehrberuf auf und betätigte sich als freie
nehmenden Nationalismen und durch allgemeine soziale Revolu- Schriftstellerin. Sie wurde die Lebensgefährtin des bekannten Phi-
tionen (Sozialismus, Kommunismus). Vollkommen übersteigerter losophen Jean-Paul Sartre und war wohl auch eine Art Schülerin
Nationalismus und Rassismus führte schließlich in die bekannte von ihm. Simone de Beauvoir galt als linksintellektuell (was be-
Menschheitskatastrophe des 2. Weltkriegs. kanntlich immer dann besonders gut gelingt, wenn man selbst pri-
Nachdem die Aufräumarbeiten dieses Alptraums beendet waren, vilegiert ist) und vertrat wie Sartre einen „Atheistischen Existentia-
etablierte sich während der sechziger und siebziger Jahre in den lismus". Bei dieser philos. Denkrichtung gelten, kurz beschrieben,
westlichen Zivilisationen der radikale Feminismus voll - obwohl folgende Aussagen: Der Mensch muß sich als bestimmungslose,
bis dahin die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern, zur Freiheit verurteilte Existenz sein Wesen durch totales Engage-
jedenfalls in diesem Teil der Erde, schon so gut wie vollständig ment erst schaffen, ohne dies aber je zu erreichen. Deshalb ist der
durchgesetzt war. Während es zu früherer Zeit um die Aufhebung Ekel am Dasein und das Gefühl der „Absurdität" seine Grundstim-
tatsächlich bestehender Ungerechtigkeiten ging - auch freie Ab- mung. „Der Mensch ist nichts anderes als wozu er sich macht".
treibung war nicht Gegenstand des Forderungskatalogs damaliger Eine vorgegebene Grundnatur des Menschen gibt es nicht (einen
Frauenorgansiationen -, strebten die radikalisierten Gruppen nicht Gott sowieso nicht), der Mensch ist lediglich so etwas wie gestalt-
nur rechtliche Gleichstellung, sondern eine glatte Bevorzugung in bare Materie.
möglichst vielen Bereichen an. Gekennzeichnet ist diese Ausprä-

16 17
Aus diesen Grundgedanken des „Sichselbstgestaltens" (bis dahin
deten Fabrikarbeiter, kleinen Angestellten und Beamten, die gerade
ist man eigentlich kein „richtiger" Mensch) leiten sich dann wohl
noch das Nötigste für den Unterhalt ihrer Familien erarbeiten
die einzelnen ßeauvoirschen Einstellungen ab: Um zur Mensch-
konnten, werden sich ihrer überragenden Sonderstellung und Befä-
werdung zu kommen, muß man sich möglichst von allen Zwängen
higung zur Transzendenz wohl jeden Tag mit Stolz bewußt gewe-
befreien, sich selbst verwirklichen. Da Simone de Beauvoir die
sen sein!
Frauen als von den Männern Unterdrückte sieht, ist letzteren der
Zwar stellte sich zu der Zeit, als Simone de Beauvoir ihr Buch
Kampf anzusagen. Zur Selbstverwirklichung und Selbstbestim-
verfaßte, in der Geschlechterbeziehung noch manches anders dar
mung gehört „natürlich" auch das Tötungsrecht am ungeborenen
Kind. als heute. Dennoch muß man es für erstaunlich halten, wie die ge-
radezu infantil anmutende und der Realität schon damals weitge-
Nach Simone de Beauvoir ist die Welt vom Manne geprägt, die
hend nicht entsprechende simple Zweiteilung des Beauvoirschen
Frau ist dieser Welt ausgeliefert. Mann und Frau befinden sich in
Feminismus in selbstverwirklichte, befreite Männer einerseits und
einem ständigen Konflikt. Die dem Weiblichen zugeschriebenen
durchwegs unterdrückte Frauen andererseits soviel Anklang finden
Komponenten des Familienlebens und der Mutterschaft bedeuten
konnte. Besagtes Buch arbeitet viel mit wissenschaftlich unbewie-
in praxi Instrumente der Unterdrückung der Frau. Das Abtrei-
senen oder widerlegten, subjektiv gefärbten Behauptungen, und
bungsverbot behindert, wie gesagt, die Frau in ihrer Selbstbestim-
baut seine Thesen darauf auf. Simone de Beauvoir begibt sich da-
mung und versagt ihr ihre vollständige Menschwerdung. Entspre-
bei auch selbst in größere Widersprüchlichkeiten. So berichtet sie
chend dieser Auffassung wird die Frau - makabrerweise - unter
beispielsweise im geschichtlichen Teil ihres Buchs durchaus über
anderem erst dadurch zum.^„richtigen Menschen", daß sie gegebe-
verschiedene Kulturen und Perioden auch matriarchalischer Domi-
nenfalls die „Menschwerdung" eines noch ungeborenen anderen
menschlichen Wesens straflos verhindern darf! nanz - in ihrer Gesamtbewertung behauptet sie aber wieder die
ausschließliche Gestaltung der Menschheitsgeschichte durch das
Simone de Beauvoir nahm denn auch in Frankreich an einer der
männliche Geschlecht.
ersten Abtreibungskampagnen teil. Die mitwirkenden Frauen - die
Sie erkennt darüber hinaus sehr wohl (siehe z.B. S. 777 der deut-
allermeisten von ihnen ebenfalls sozial privilegiert und „intellektu-
schen Buchausgabe von 1992), daß auch die meisten Männer zur
ell" - bezichtigten sich hierbei der Abtreibung. Sie taten so, als ob
Wiederholung ihrer täglichen Arbeit verdammt sind, daß in vorge-
es sich dabei - und das gerade bei ihrem Status - um wahre Hel-
dentaten gehandelt hätte. fertigten Werten entfremdet, voller Respekt für die öffentliche Mei-
nung und ohne große Ansprüche auf Erden sogar der Angestellte,
Ein nahezu „vollständiger Mensch" kann laut Simone de Beau-
der Kaufmann, der Bürokrat seiner Gefährtin in keiner Weise über-
voir nur ein Mann sein. Nur er ist - gleich einem wahren Wunder-
legen ist. „Sie, die sich um die Küche, die Wäsche, das Haus und
wesen - in der Lage, zu „transzendieren". Darunter versteht man in
die Kinder kümmert, zeigt mehr Initiative und Unabhängigkeit als
diesem Zusammenhang die Möglichkeit, einen anderen, höheren
der von Vorschriften unterjochte Mann, der den ganzen Tag gehor-
Bewußtseinszustand zu erreichen, was wiederum Teil einer besse-
sam seinen Vorgesetzten dienen, einen steifen Kragen tragen und
ren Menschwerdung und Selbstverwirklichung ist. Deshalb sollten
seinen sozialen Rang behaupten muß. Die Frau dagegen kann zu
die Frauen werden wie die Männer. Die vielen philosophisch gebil-
Hause im Morgenmantel herumlaufen, mit Nachbarinnen singen,

18
19
scherzen, lachen. Sie tut, was ihr beliebt, geht minimale Risiken mehr, weibliche Bevorrechtigung in möglichst vielen gesellschaft-
ein, sucht gewisse Resultate zielstrebig zu erreichen. Sie lebt viel lichen Bereichen durchzusetzen.
weniger als ihr Ehemann in der Konvention und in der Scheinbar- In den USA war es zunächst Betty Friedan, die dort mit ihrem
keit." - Wie kommt Simone de Beauvoir trotz solch eigener Fest- 1963 erschienen Werk „The Feminine Mystique" den „offiziellen"
stellungen in ihrem Fazit dann wieder zu dem Ergebnis, nur der Geschlechterkampf auslöste. Sie gründete 1966 auch die National
Mann sei transzendenzfähig, nur er habe Zugang zu den höchsten Organization of Women (NOW), später fortgeführt als „Women's
menschlichen Haltungen wie Heldenmut, Auflehnung, Ungebun- Liberation Movement" („Women's Lib"). Innerhalb dieser radikal-
denheit, Erfindung oder Schöpfung, während die Frau ausschließ- feministischen Organisation machte sich vor allem die Studentin
lich in ihrer Immanenz gefangen sei?
Shulamith Firestone als besonders glühende Männerhasserin einen
Ungeachtet all dieser im Ergebnis zu einseitig beurteilten Ge- Namen.
gebenheiten der gesellschaftlichen Situation der Geschlechter Die Abrechnung mit allem „Männlichen" war erbarmungslos.
- vor allem übersieht Simone de Beauvoir meines Erachtens die im Die Männer erhielten die Kollektivschuld nicht nur für die Unter-
allgemeinen überlegene Sexmacht der Frau mit den daraus resul- drückung der Frau zugewiesen, sie wurden auch verantwortlich ge-
tierenden Konsequenzen, und sie beachtet jedenfalls in ihren macht für alle Kriege und die Zerstörung der Umwelt. In der Ab-
Resümees nicht, daß eine wirklich „transzendente" Stellung treibungsdebatte wurden die unglaublichsten Lügen verbreitet -
jeweils nur wenigen, entsprechend privilegierten männlichen In- dazu ausführlich im Kapitel II und im Anhang.
dividuen zugedacht werden kann - entnehme ich ihren Aussagen All dies konnte natürlich seine Wirkung auch auf Deutschland
insgesamt nicht, daß sie einem Geschlechterkrieg das Wort reden nicht verfehlen. In erster Linie waren es linksorientierte Studentin-
wollte, der im Ergebnis lediglich alte Ungleichheiten durch neue nen, die radikal-feministisches Gedankengut aufgriffen und trans-
ersetzen würde. Ich denke, daß ihr in der Tat an echter, sozusagen portierten. Die allgemeine Hysterie förderte bizarre „Höhepunkte"
„brüderlicher" Gleichberechtigung gelegen war. Sie wollte im We- zutage. Anläßlich einer Delegiertenkonferenz des Sozialistischen
sentlichen Chancengleichheit, nicht aber Vorteile für nur ein Ge- Deutschen Studentenbundes (SDS) 1969 in Frankfurt kam es z.B.
schlecht.
zu einer Flugblattaktion, in der zur Verstümmelung des männlichen
Simone de Beauvoir verstarb 1986 in Paris.
Genitals aufgefordert wurde - als Akt weiblicher Befreiung. Nach
französischem Vorbild gab es 1971 einen STERN-Artikel mit dem
Selbstbekenntnis „Ich habe abgetrieben", in dem sich auch hier
3 DER EXTREMFEMINISMUS DER LETZTEN überwiegend prominente Frauen „outeten". Die „Damen" wußten
JAHRZEHNTE
natürlich genau, daß die staatlichen Organe es in der einseitig
aufgeputschten Situation nicht wagen würden, die bestehenden
Viele, die sich in der Folgezeit als Feministinnen auf Simone de Gesetze zugunsten des Lebensrechts des Kindes zu vollziehen. Es
Beauvoir beriefen, verstanden ihre Darlegungen offenbar als einen gehörte also wirklich kein Mut zu einer derartigen Aktion! Publi-
Aufruf zum gnadenlosen Kampf gegen „die Männerwelt" nicht nur kumswirksam wurde auch in Deutschland die These „Frauenunter-
mit dem Ziel der Gleichberechtigung. Ihr Bestreben war es viel- drückung durch Gebärzwang" vermarktet - und so gingen in der

20 21
aufgeheizten Stimmung sicher auch viele an sich weniger radikale Nach und nach zeigt diese Ideologie weitere erschreckende
Frauen den Abtreibungsbefürwortern auf den Leim. Reklamiert Aspekte des ihr zugrundeliegenden Menschenbildes. Es geht nicht
wurde das Verfügungsrecht „über den eigenen Bauch". mehr nur um den freien Abbruch einer als hinderlich empfundenen
Namentlich hervorzuheben ist für Deutschland natürlich Alice Schwangerschaft, auch darüber hinaus sollte sich Frau kaum noch
Schwarzer, die zu der Zeit, als in Frankreich die Selbstbezichti- in ihrem Selbstverwirklichungsanspruch behindern lassen: Vor al-
gungskampagne lief, in Paris als Korrespondentin tätig war. Sie lem in den USA schlugen bestimmte Kreise innerhalb der Frauen-
„importierte" sozusagen die glorreiche Idee der Selbstbeschuldi- bewegung bereits vor, Frauen sollten ihre gealterten, pflegebedürf-
gung nach Deutschland. Für sie und ihre Mitstreiterinnen scheint tigen Männer (Männer sterben in den westl. Industriestaaten im
Abtreibung eine „natürliche Sache", eine Art Grundrecht der Frau, Durchschnitt 7 Jahre früher als Frauen - anscheinend bekommt ih-
zu sein. nen ihr selbstbestimmt-transzendentes Leben doch nicht so gut)
Feministinnen sprechen viel über Macht an sich und besonders verlassen. Die Pflege eines kranken älteren Mannes beeinträchtige
viel über vermeintliche Männermacht. Unter dem moralischen die Selbstverwirklichung ebenso wie die Mutterschaft! Dafür also,
Deckmantel einer angeblichen Humanisierung der Gesellschaft er- daß der Mann sich in vielen Fällen unter Hintanstellung seiner ei-
reichten sie inzwischen Freiräume und Begünstigungen für Frauen, genen Selbstverwirklichung für die Familie aufopferte und insbe-
die durch nichts zu rechtfertigen sind. Als Höhepunkt des Ganzen sondere seiner Frau zu lebenslanger materieller Absicherung ver-
wurde das „Recht der Frau auf Selbstbestimmung" pervertiert in half - weshalb er ja gerade nicht mehr gesund ist -, darf er zum
ein Tötungsrecht am ungeborenen Kind. Darin kommt nur allzu Dank ins Pflegeheim abgeschoben oder sonstwie sich selbst über-
deutlich ihr eigener Allmachtswahn, und zwar in seiner eisigsten lassen werden. Daran sollten übrigens die vielen Männer denken,
Form, zum Vorschein. Offenbar können die Minderwertigkeits- die dem Feminismus buckelnd ihre Dienerschaft erweisen und z.B.
komplexe vieler Extremfeministinnen am besten dadurch geheilt in der Abtreibungsfrage erhaben verkünden, daß alleine die Frau zu
werden, daß sie ein freies Verfügungsrecht über ungeborenes Le- entscheiden habe. Vielleicht entscheidet „die Frau" dann eines Ta-
ben eingeräumt bekommen. Das bedeutet zweifellos viel Macht! ges auch „alleine" über ihr Männerschicksal im Alter!
Diese weibliche Spezies überhöhte sich und ihr Geschlecht im- Abgesehen von der geschilderten Ungeheuerlichkeit sind Män-
mer mehr - Hand in Hand damit mußte das andere Geschlecht ent- ner ohnedies schon häufig genug reine Arbeits- und Unterhaltsesel.
sprechend verunglimpft werden: Die Männerwelt besteht im we- Vielfach taugen sie gerade noch als Erzeuger eines „Wunschkin-
sentlichen nur noch aus Kriegsverbrechern, Unterdrückern, Verge- des", das mitunter eine lebenslange Anspruchsgrundlage auch im
waltigern und Kinderschändern. Die Frau ist dem in permanenter Falle einer Ehescheidung darstellen kann (an den Erziehungsunter-
Opferrolle hilflos ausgeliefert. Für diese Art von Feminismus ist es halt können sich andere Unterhaltstatbestände anschließen, dazu
nur logisch, daß die Menschheit sich in zwei Hälften aufteilt: In die mehr im Kap. III). Das „moderne" Scheidungsrecht ermöglicht je-
bessere der Frauen und die schlechtere der Männer. Buchtitel etwa derzeit die Flucht aus der Ehe, ohne daß materielle Ansprüche da-
wie „Die Zukunft ist weiblich" oder „Als Frau ist es wohl leichter, durch beeinträchtigt würden.
Mensch zu werden" machten die Runde. Ist solch widerliche
Selbstüberhöhung eigentlich noch überbietbar?

22 23
In der tatsächlichen Lebens- und Rechtswirklichkeit sind es also in Durch die Feminismus-Ideologie ist das Klima zwischen Männern
mehreren westlichen Staaten längst die Frauen, die ihre Männer und Frauen vergiftet worden wie nie zuvor, Mißtrauen entsteht al-
unterdrücken und in Abhängigkeit halten. Jedenfalls können sie es lenthalben. So gibt es manchmal schon keine Soforthilfe mehr für
sehr leicht tun, wenn ihnen danach ist. Wie sehr bereits ein Zwei- verletzte Frauen, weil man(n) Angst hat, hinterher womöglich der
klassenrecht Einzug gehalten hat, verdeutlicht eindrucksvoll War- sittlichen Belästigung bezichtigt zu werden. Vornehmlich in den
ren Farrell in seinem Buch „Mythos Männermacht" (s. Literatur- USA quartieren Chefs ihre Sekretärinnen immer häufiger in Groß-
verzeichnis). Die Lektüre dieses Buches kann ich jedem nur wärm- raumbüros ein, um ebenfalls solchen Anschuldigungen möglichst
stens empfehlen. Einige krasse Beispiele stelle ich unter Kap. IV zu entgehen. In den USA kann eine Frau zu viel Geld kommen,
vor. wenn sie von einem betuchten Mann nur ein bißchen begrapscht
wurde oder wenn es ihr auch nur gelingt, dies „glaubhaft" vorzuge-
Die Berufsfeministinnen nehmen nicht nur für sich in Anspruch, ben. In vielen dieser Fälle werden Männer schon auf bloßen Ver-
der besseren Menschheitshälfte anzugehören. Bei diesem Ausmaß dacht hin belangt - „Sittliche Belästigung" ist daher an der Tages-
an Selbstüberschätzung verwundert ihre weitere Einbildung, für ordnung. Der Fall des obersten Repräsentanten dieses Staates
alle Frauen zu sprechen, nicht mehr. In Wahrheit decken sich ihre spricht für sich Bände. In den westlichen Staaten sind die Femini-
„Ideale" aber oft genug nicht mit den Interessen der meisten Frau- stinnen jedenfalls längst zur mächtigsten politischen Lobby über-
en. Die angestrebte „Enthausfrauisierung" z.B. dürfte dazu gehö- haupt geworden.
ren. Viele Frauen dürften andere Alltagssorgen haben als diejeni-
gen, die in den Ausgrenzungsstrategien männerhassender Ge-
schlechtsgenossinnen propagiert werden. 4 DER „ZEITGEIST" - ODER: OPPORTUNITÄT
Nicht der Frauenbewegung, die sich um eine wirkliche, faire GEHT VOR RECHT
Gleichberechtigung bemüht(e), ist also eine Absage zu erteilen.
Entgegenzutreten ist vielmehr denjenigen, die neuen Ungleichhei- MEYERS LEXIKON beschreibt den Zeitgeistbegriff als „Bezeich-
ten und Diskriminierungen - jetzt zum Nachteil der Männer — das nung für die einer geschichtlichen Periode eigentümlichen Auffas-
Wort reden. Damit wird sich im übrigen weibliche Emanzipation sungen und Ideen".
nicht wirklich erreichen lassen. Neue Ideen kamen (und kommen) in erster Linie „über den gro-
Noch verurteilenswürdiger sind für mich aber diejenigen ßen Teich", sprich aus Nordamerika, nach Europa herüberge-
Männer, die sich unter dem Heiligenschein vorgeblicher Gleichbe- schwappt. Ob nun aus Amerika übernommen und/oder bei uns
rechtigung und Humanität diesem Feminismus als Steigbügelhal- selbst entstehend - das Neue wird insbesondere von den Medien
ter zur Verfügung stellen. Diese jämmerlichen, meist jeder Zeit- meist begierig aufgenommen und transportiert. Das bringt ja dort
geistströmung hinterherlaufenden Figuren scheinen gar nicht zu auch viel Geld ein. Wenig hinterfragt jedoch wird in der Regel der
bemerken, wie lächerlich sie sich mit ihrer Selbsterniedrigung ma- Sinngehalt des Dargebotenen. Das scheint mir besonders für
chen, und wohin dieser Weg noch führen kann. Deutschland zu gelten. Jede abwartende Gelassenheit geht oftmals
über Bord, und es wird auch kaum danach gefragt, ob tatsächlich

24 25

&<&i^iw&&;ä i^l^^P^
»^ÄÄ^^^
eine Bevölkerungsmehrheit hinter einer neuen Idee steht. Minder- II FREIE ABTREIBUNG -
heitenmeinungen und egoistische Gruppeninteressen sollen gerade DIE „KÖNIGSDISZIPLIN" DES
über die Medien anderen aufoktroyiert und so „gesellschaftsfähig" RADIKALFEMINISMUS
gemacht werden. Als „Mehrheitsmeinung" wird dann oft etwas
verkauft, was vom Konsens einer tatsächlichen Mehrheit gar nicht
gedeckt ist. Anders ausgedrückt handelt es sich häufig um „veröf- l DIE SCHWIERIGKEIT DES THEMAS
fentlichte Meinungen" denn um Mehrheitsmeinungen. So bin ich
davon überzeugt, daß etwa das geltende Ehescheidungsrecht von Bei der Frage der Bewertung und Behandlung der Abtreibung ins-
einer Bevölkerungsmehrheit nicht gutgeheißen wird. Auch bezüg- besondere in strafrechtlicher Hinsicht sind umfangreiche und kom-
lich des Abtreibungsrechts darf man zumindest Zweifel haben. plizierte Problemstellungen zu berücksichtigen. Über rein recht-
lich-kriminologische Gesichtspunkte hinaus kommt hier auch me-
Was die Feminismus-Bewegung insgesamt angeht, so wurde sie dizinischen und grundlegenden philosophischen Erwägungen
- auch in ihren unsinnigsten Forderungen - vom größten Teil der besondere Bedeutung zu. Zum Teil schwierigste Abgrenzungsfra-
Medien massiv unterstützt. Es kam, vor allem in den siebziger und gen kennzeichnen diesen Komplex. Fast jede der vertretenen „Stra-
achtziger Jahren, zu wahren Hysterien. Die Bevölkerung wurde ei- tegien" muß hier irgendwo bestimmte Kompromisse eingehen.
ner regelrechten Gehirnwäsche unterzogen in Form eines aggressi- Man kann also nicht „einfach" an das Thema herangehen.
ven Bombardements an entsprechenden Presseveröffentlichungen, Die Meinungen gehen hier auseinander wie bei kaum einer
einseitig besetzten Fernsehdiskussionen usw. Männer, die ja be- anderen Frage. Die einen wollen den Schwangerschaftsabbruch
kanntlich für alle Übel dieser Welt verantwortlich gemacht wurden, nur zulassen, wenn anders das Leben der Frau in ernsthafter Gefahr
schämten sich schon ihrer Existenz als Mann. Politiker wurden wäre, am anderen Ende des Spektrums gibt es die Auffassung,
massiv unter Druck gesetzt, auch die Justiz (erinnert sei z.B. an die ungeborenen Kindern stünde generell kein Lebensrecht zu. Wer
„Memminger Abtreibungsprozesse"). freilich dieser Ansicht folgt, braucht sich allenfalls noch über mög-
Viele Politiker hatten der Zeitgeistwelle nichts entgegenzuset- lichst schonende Abtreibungsmethoden Gedanken zu machen.
zen. Sie wollten „in" sein, als „modern" gelten - und vor allem ihre Falsch wäre es in jedem Falle, nichts zu tun und die Dinge treiben
Posten nicht verlieren. Wer als „frauenfeindlich" eingestuft wird, zu lassen, wenn man von der Unrichtigkeit der gegebenen Geset-
hat kaum noch eine Chance auf Wiederwahl. zeslage überzeugt ist. Die Abtreibungsfrage stellt ein Problem dar,
Das ganze Geschrei hatte bekanntlich Erfolg. In der aufge- bei dem man Farbe bekennen und gegenüber zwar oberflächlichen,
putschten Atmosphäre spielte es keine Rolle mehr, daß ein Großteil aber umso mächtigeren Zeitgeistströmungen Courage zeigen
der diesbezüglich verabschiedeten wichtigen Gesetze bei nüchter- sollte.
ner Analyse als schlicht unsinnig bezeichnet werden muß. Diese
Gesetze fördern, wie ich noch zeigen werde, im Wesentlichen die
Verantwortungslosigkeit. Der Konformismus hatte über das Recht
gesiegt.

26 27
2 ZUM DISKUSSIONSNIVEAU ten, sondern lediglich dazu beitrügen, Frauen zu Nichtfachleuten
zu treiben, was u. U. auch ihren Tod bedeuten könne.
Seit im Jahre 1993 in Deutschland eine Art „abschließende" Ent- In Europa setzte sich die Zahlenpropaganda nahtlos fort. So
scheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Strafbarkeit der wurden auch für Frankreich und Deutschland Abtreibungszahlen
Abtreibung erging, der 1995 eine an diese angelehnte Gesetzesrege- von jährlich l Million ins Feld geführt, um die Abschaffung angeb-
lung folgte, war die „heiße Phase" der Diskussion erst einmal vorüber. lich nutzloser Strafbestimmungen zu erreichen.
Bis dahin wurde ein breit geführter Kampf ausgetragen, der al- Wegen weiterer Einzelheiten darf auf die eindrucksvolle Rede
lerlei Stilblüten, auch grobschlächtigster Art, zu Tage förderte. Ei- des US-Gynäkologen Dr. Bemard Nathanson verwiesen werden,
niges hierzu schilderte ich schon im vorangegangenen Kapitel. die er anläßlich einer in Irland anstehenden Verfassungsänderung
Insgesamt muß ich nach dem Studium umfangreicher Literatur hielt. Dr. Nathanson wußte wie kein anderer, wovon er sprach. Er
zum Thema sagen, daß auf Seiten der Befürworter einer freien Ab- war zuvor selbst Mitbegründer und führendes Mitglied der Natio-
treibung weit emotionaler, unsachlicher und unfairer diskutiert und nal Association for Repeal of Abortion Law (NARAL). Er war
argumentiert wurde als vom anderen Lager aus. Das bezieht sich überzeugter Abtreibungsarzt und leitete die jedenfalls damals größ-
nicht nur auf Deutschland. Bei diesem Urteil über die Form der te Abtreibungsklinik der Welt in New York. Die Abtreibungen, für
Auseinandersetzung bilde ich mir ein, nicht durch meine eigene die er persönlich verantwortlich zeichnet, beziffert er auf 75.000.
Sach-Auffassung in der Abtreibungsfrage beeinflußt zu sein. Zwar In seinem Vortrag zeigte Dr. Nathanson deutlich die gesamte
kam es zu der einen oder anderen Nickligkeit auch aus den Reihen Bandbreite der Machenschaften der Organisation auf, wozu neben
der Abtreibungsgegner, doch hält das keinen Vergleich aus mit den den Zahlenmanipulationen insbesondere auch die geschickte Dif-
„Fußtritten" der Befürworterseite. famierung der katholischen Kirche gehörte, ferner das Abstreiten
So begann die Diskussion Ende der sechziger Jahre zunächst in und Unterdrücken von wissenschaftlichen Beweisen, wonach Le-
den USA mit großen Lügen etwa über die Zahlen der tödlich ver- ben mit der Empfängnis beginnt. Der Bewußtseinswandel vollzog
laufenden - damals noch illegalen - Schwangerschaftsabbrüche, sich bei Dr. Nathanson nach einem beruflichen Wechsel in die Ge-
die von „Kurpfuschern" vorgenommen wurden. Obwohl in den in- burtshilfeabteilung eines anderen Krankenhauses in New York, in
formierten Kreisen, zu denen ja die organisierten Abtreibungsbe- der neue Technologien zum Einsatz kamen, mittels derer die Ent-
fürworter [im angelsächsischen Bereich „Pro-choice"-Bewegung wicklung des Fetus weit besser verfolgt werden konnte als es bis
(sinngemäß: eine Wahl haben) genannt] gehörten, genau bekannt dahin möglich war (u.a. Ultraschall, verbesserte Herzmessungen).
war, daß die Zahl dieser Todesfälle sich auf etwa 250 jährlich be- Dies überzeugte in schließlich davon, daß es sich bei dem Lebewe-
lief, wurde der Öffentlichkeit beständig eine Zahl von rund 10.000 sen in der Gebärmutter um ein vollwertiges menschliches Lebewe-
vorgegaukelt. Ferner wurde die Gesamtzahl illegaler Abtreibungen sen handelt.
mit l Million jährlich beziffert, obwohl sie sich tatsächlich nur auf Der Wortlaut des Vertrags ist im Anhang l abgedruckt.
etwa ein Zehntel dessen belief. Die gesamte Lügenkampagne, die weitgehend von den Medien
Mit den weit überhöhten Zahlenangaben sollte glaubhaft ge- unterstützt wurde, blieb sicher nicht ohne Eindruck auf das oberste
macht werden, daß gesetzliche Abtreibungsverbote nichts bewirk- US-Gericht, das dann Anfang 1973 seine „berühmte" Entschei-

28 29
düng traf, mit der Abtreibung in den meisten Fällen straffrei ge- des Machtanspruchs der Männer, die damit die Frauen in Unter-
stellt wurde. Auf die Einzelheiten dieser Entscheidung werde ich drückung und Abhängigkeit halten wollen.
unten noch ausführlich eingehen.
Die Waffe mit der „Religion" betrifft übrigens nicht nur Kir-
chenorganisationen als solche, sie wird auch gerne ganz persönlich 3 WICHTIGE BEGRIFFE IN DER
gegen Abtreibungsgegner eingesetzt. Da es nicht mehr als beson- ABTREIBUNGSDEBATTE
ders „modern", sondern eher als rückständig-überkommen gilt, re-
ligiös zu sein, taugt das ganz gut für die unterschwellige Herabset- Lebensbeginn
zung unbotmäßiger Widersacher. Vor allem bekennende Katholi- Es ist inzwischen unumstritten, daß ein neues menschliches Indivi-
ken lassen sich damit gut bekämpfen. duum mit dem Augenblick der Zusammenführung einer weibli-
chen Eizelle und einer männlichen Samenzelle entsteht. Ab diesem
Von dieser nebulösen Taktik machen insbesondere diejenigen Ge- Moment liegt bereits die gesamte Anlage des neuen Menschen vor.
brauch, die dem ungeborenen Kind grundsätzlich das Lebensrecht 1973, als der US-Court urteilte, gelang es Abtreibungsbefürwor-
bestreiten - so etwa der australische Philosoph Peter Singer oder tern noch, diesen Zeitpunkt ins Nebulöse zu entrücken. Der Court
der deutsche Rechtsphilosoph Norbert Hoerster, deren Argumenta- ließ sich davon beeindrucken. Er prüfte die Frage gar nicht erst ein-
tionen später noch im Detail dargestellt werden. In ihren Schriften gehender, sondern klammerte sie einfachheitshalber mit dem Hin-
ist wiederholt davon die Rede, die Befürworter des Lebensrechts weis aus, daß er nicht Dinge klären könne, die innerhalb der Fach-
argumentierten meist aus (lediglich) religiösen Motiven heraus. wissenschaft umstritten seien.
Ihre Thesen wären daher nicht als rational einzustufen, seien nicht
„intersubjektiv-vermittelbar". Es soll damit der Eindruck erweckt Embryo/Fetus/Nascitums
werden, daß Rationalität und universelle Wissenschaftlichkeit nur Die beiden ersten Begriffe kommen aus der Medizinwissenschaft
auf ihrer Seite vorzufinden sind - nur sie haben, um es etwas deut- und machen eine zeitliche Zäsur beim heranwachsenden, aber noch
licher auszudrücken, die Weisheit mit dem Löffel gefressen. nicht geborenen Kind. Als Embryo wird der kleine Mensch bis zur
etwa achten Woche nach der Befruchtung bezeichnet, danach als
Die unterste Niveaustufe der Diskussion ist natürlich - wen wun- Fetus (auch: Fötus). Soweit ich auf diese Begriffe zurückkomme,
dert es noch - von den Ultrafeministinnen abonniert. Hier steht nur verwende ich nur den Ausdruck „ Fetus".
der Egoismus der Schwangeren im Vordergrund, die Leibesfrucht Der Ausdruck „Nasciturus" für das ungeborene Kind findet sich
gilt von vorneherein nur als eine Art Zellhaufen, mit dem nach Be- häufig im juristischen Sprachgebrauch.
lieben verfahren werden darf - so, wie es dem Selbstverwirkli-
chungsanspruch der Frau gerade am besten entspricht. Der be- Indikation(en)
rühmt gewordene Ausspruch „Mein Bauch gehört mir" sagt dazu In der Diskussion um die Straffreiheit der Abtreibung spielen die
eigentlich alles. Strafrechtlicher Schutz für das gezeugte, aber noch Indikationsbegriffe eine bedeutende Rolle. Eine Indikation in die-
ungeborene Leben ist von dieser Denkrichtung her nur Ausdruck sem Sinne stellt einen Sachverhalt dar, bei dessen Vorliegen ein

30 31
Schwangerschaftsabbruch - je nach Gesetzgebung im einzelnen - 4.1 Menschenwürde: Warum schützen Menschen
straffrei sein soll. Es gelten: ihr Leben?
- Medizinische Indikation:
Ohne Abbruch der Schwangerschaft bestünde Lebensgefahr Die erste Antwort auf die gestellte Frage kann natürlich - ebenso
(„strenge" med. Indikation) oder Gefahr einer Gesundheitsbe- simpel wie richtig - lauten: Weil sie weiterleben wollen! Allerdings
einträchtigung der Mutter („erweiterte" med. Indikation). darf dieses Wollen auch anderen Lebewesen unterstellt werden.
- Eugenische oder embryophatische Indikation: Der Mensch seinerseits tötet aber Tiere aus den unterschiedlichsten
Es ist eine schwerwiegende, unbehebbare geistige und/oder kör- Gründen, billigt ihnen grundsätzlich also kein Lebensrecht zu (ab-
perliche Schädigung des Kindes zu erwarten. Eine gleichzeitige gesehen davon, daß er auch mit seinesgleichen, z.B. in Kriegen, oft
Gefährdung der Mutter braucht nicht vorzuliegen. genug nicht zimperlich umgeht!). Es muß also weitere Begründun-
- Ethische oder kriminologische Indikation: gen geben, weshalb das menschliche Leben besonders geschützt
Die Schwangerschaft ist Folge einer Sexualstraftat. werden soll.
- Soziale Indikation/Allgemeine Notlagen-Indikation:
Außerhalb der schon genannten Indikationstatbestände besteht Von der Menschenwürde als der wesentlichen Grundlage für die
eine andere, nicht abwendbare Notlage der Schwangeren; in der Schutzwürdigkeit des Lebens jedenfalls geborener Menschen spre-
Praxis sind vor allem wirtschaftliche und andere persönliche chen Abtreibungsgegner ebenso wie Befürworter der straffreien
Notlagen gemeint. Abtreibung. Die Menschenwürde ist auch zentraler Ausgangspunkt
-<r
vieler staatlicher Verfassungen (in Deutschland in Art. l des
Fristenlösung Grundgesetzes), ebenso in diversen internationalen Konventionen.
Gesetzliche Regelung für einen generell straffreien Schwanger-
schaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate der Schwanger- Begrifflich umschrieben wird die Menschenwürde in verschiede-
schaft; zusätzliche andere Gründe (Indikationen) müssen nicht vor- nen Versionen. Zusammenfassend dargestellt kann folgendes fest-
liegen. gehalten werden. Der Mensch stellt eine Ausnahme aus der Ge-
samtheit des Seienden insofern dar, als er nicht nur „vorkommt"
wie jedes andere unter anderem, sondern sich zu allem und darin zu
4 DIE ZENTRALE FRAGE: sich selbst verhält. Zwar ist auch der Mensch in seiner Körperlich-
KANN UNGEBORENEN KINDERN DAS keit gebunden an die Gesetze der Natur, aber zugleich verfügt er
LEBENSRECHT BESTRITTEN WERDEN? über eine Freiheit des Erkennens, Wollens und Handelns. Diese
Freiheit bedeutet das Vermögen, der Vorstellung gewisser Gesetze
Schutzmaßnamen zugunsten ungeborener Kinder setzen - das ist gemäß sich selbst zum Handeln zu bestimmen, also die Selbstbe-
nur logisch - voraus, daß die jeweilige Gesellschaft ihnen ein Le- stimmung des Menschen.
bensrecht zugesteht - sei es von der Zeugung an oder zu späteren Im Menschen äußert sich somit Unbedingtes in allen Bedingt-
Zeitpunkten des Schwangerschaftsprozesses. heiten.

32 33
Zufolge seines Freiheitsspielraums hat der Mensch sein Han- daran denken und darüber beunruhigt sein müßten, jederzeit getö-
deln in der Regel zu verantworten, er versteht sich so - im Gegen- tet werden zu können. Auch wird es als größtmögliche Verletzung
satz zum Tier - als ein sittliches Wesen. Anders ausgedrückt: Der der Autonomie des Menschen verstanden, wenn seine Entschei-
Mensch ist in der Lage, sittliche Entscheidungen zu treffen, er kann dung, weiterleben zu wollen, ohne weiteres konterkariert werden
das „Gute" tun und das „Böse" unterlassen. Auch der Gewissens- kann.
begriffvh*-, das die Sittlichkeit der Person fundierende Phänomen
wird nur in Verbindung mit dem Menschen gebraucht. Ferner kann Der Lebensschutz für Menschen findet also zunächst allgemeine
der Mensch soziale Bindungen aufbauen, Liebe und Freund- Befürwortung. Die Meinungen gehen jedoch darin auseinander, ob
schaften begründen, kulturelle und technische Leistungen voll- er für alle menschlichen Individuen Geltung haben soll oder nur für
bringen. All dies erscheint bei Tieren allenfalls in enger Begren- bestimmte Angehörige der Spezies.
zung möglich.
In der dargestellten Seinsweise begründen sich Würde und Wert
des menschlichen Lebens, dem damit sowohl Pflichten- wie auch 4.2 Aufspaltung des Menschseins in „personale" und
Anspruchscharakter zukommt. Einem Tier etwa können keine „nichtpersonale" Existenz?
Rechtspflichten auferlegt werden. Der Anspruchsgedanke findet
seine grundlegende Ausprägung in den (möglichst) unantastbaren „ Personalität" und Lebensrecht / Peter Singer
Menschenrechten - mit dem Lebensrecht als Fundament. Umge-
kehrt besteht für jedes m&nschliche Individuum die Verpflichtung, Peter Singer, ein in Australien beheimateter Moralphilosoph, ver-
die Menschenrechtsgrundsätze auch anderen gegenüber zu respek- tritt an führender Stelle die Auffassung, daß die bloße biologische
tieren. Zugehörigkeit zur Gattung Mensch noch kein Lebensrecht begrün-
Eine weitere Begründung für menschliches Lebensrecht liefert de. In Deutschland hat er seine Überlegungen zuerst mit dem Buch
die sog. „utilitaristische" Lehre. Als „Utilitarismus" wird eine phi- „Praktische Ethik", Stuttgart 1984, bekannt gemacht.
losophisch-ethische Lehre bezeichnet, deren Grundthese die Wer ein Lebensrecht alleine mit der Gattungszugehörigkeit be-
„Mehrung des Glücks" zum Gegenstand hat. Das Sittliche wird da- gründe, betreibe abzulehnenden „Speziesismus" und benachteilige
bei dem Nützlichen gleichgesetzt. Der Erfolg, nicht die Sittlichkeit so jedenfalls bestimmte höhere Tierarten - etwa Affen, Delphine,
wird zum Maßstab des Handelns gemacht. Es gibt Unterarten die- Wale oder Hunde -, die einigen menschlichen Lebewesen im Ist-
ser Denkrichtung, die vor allem dahin unterscheiden, ob der Nut- vergleich in Sachen Rationalität überlegen seien. Dies gelte beson-
zen von Handlungen mehr auf das Glück aller Menschen oder auf ders gegenüber Feten, Kleinkindern und schwer geisteskranken
das Glück des Einzelnen ausgerichtet ist. Im Hinblick auf die ge- Menschen. Ein Lebensrecht solle nur denjenigen menschlichen
samte Lehre wird auch von „konsequentialistischer Ethik" gespro- Wesen zugesprochen werden, die über ein erkennbares Ichbewußt-
chen. Der Utilitarismus will das Leben jedenfalls „personaler" sein als Inbegriff von „Personalität" verfügten. Dieses Bewußtsein
Menschen - zu diesem Begriff unter 4.2 mehr - schützen, weil die- hat, wer sich selbst als distinkte Wesenheit sehen kann, welche in
se in ihrem Glück erheblich beeinträchtigt wären, wenn sie ständig der Zeit existiert („distinkte Entitäten"). Nur solche Wesen könnten

34 35
über den Augenblick hinausreichende Wünsche und Interessen Mensch, selbst das neugeborene Kind, sie alle sind unbestreitbar
haben (und äußern) - vor allem das Überlebensinteresse selbst, das Angehörige der Spezies Homo Sapiens, aber niemand von ihnen
die Erkenntnis des Todes voraussetzt. besitzt ein Selbstbewußtsein und hat einen Sinn für die Zukunft
Für Lebewesen, die dementsprechend über kein Überlebens- oder die Fähigkeit, mit anderen Beziehungen zu knüpfen."
interesse verfügen und die somit nicht als „Personen" in diesem S. 135: „So scheint es, daß etwa die Tötung eines Schimpansen
Sinne zu definieren sind, mache die Zuerkennung eines Lebens- schlimmer ist als die Tötung eines schwer geistesgestörten Men-
rechts keinen Sinn. Wenn ihr Leben vernichtet wird, würde kein schen, der keine Person ist".
Wert an sich vernichtet. Solche lediglich „empfindenden" Wesen S. 142: „Einige nichtmenschliche Lebewesen scheinen vernunftbe-
hätten damit, sofern sie getötet werden, im Ergebnis nur Anspruch gabt und selbstbewußt zu sein und begreifen sich selbst als di-
auf einen möglichst humanen, sprich schmerzfreien Tod. stinkte Wesen mit einer Vergangenheit und Zukunft. Wenn das
Singer räumt ein, daß es „schwer zu sagen" sei, in welchem Al- so ist oder nach unserem besten Wissen so sein kann, dann ist in
ter ein Kind sich selbst als eine in der Zeit existierende Wesenheit diesem Fall das Argument gegen das Töten so stark wie das Ar-
zu sehen beginnt: „Selbst wenn wir mit zwei- oder dreijährigen gument gegen das Töten unheilbar gestörter Menschen auf glei-
Kindern sprechen, ist es gewöhnlich sehr schwierig, ihnen eine in chem geistigen Niveau."
sich stimmige Vorstellung vom Tod zu entlocken oder von der S. 169: „Ein Neugeborenes von zehn Tagen ist kein rationales und
Möglichkeit, daß jemand - ganz abgesehen von dem Kind selbst - selbstbewußtes Wesen, und es gibt viele nichtmenschliche Lebe-
aufhören könnte zu existieren" (S. 171 Praktische Ethik). Singer wesen, deren Rationalität, Selbstbewußtsein, Wahrnehmungsfä-
schlägt deshalb vor, besser „übervorsichtig" zu sein, und, „falls higkeit, Fähigkeit zu fühlen und so weiter die Fähigkeit eines
man in dieser Sache ein Gesetz zu machen hätte", dem Kind nur Kindes eine Woche, einen Monat oder sogar ein Jahr nach der
innerhalb einer kurzen Zeitspanne nach der Geburt, „vielleicht für Geburt übertreffen. Wenn der Fötus nicht denselben Anspruch
einen Monat", ein volles legales Recht auf Leben abzusprechen. auf Leben wie eine Person hat, dann hat ihn das Neugeborene
Was mit den „schwer geistesgestörten" (erwachsenen) Men- offensichtlich auch nicht, und das Leben eines Neugeborenen
schen geschehen soll bzw. darf, die laut Singer die Person-Kriteri- hat also weniger Wert als das Leben eines Schweins, eines Hun-
en ebenfalls nicht erfüllen, ist seiner Schrift nicht weiter - jeden- des oder eines Schimpansen."
falls nicht ausdrücklich — zu entnehmen.
Zum direkteren Verständnis für die Leser zitiere ich wörtlich und Im deutschsprachigen Raum hat vor allem der Rechtsphilosoph
vorerst unkommentiert noch die nachstehenden aussagekräftigen Norbert Hoerster die Ausführungen Singers vom Grundsätzlichen
Passagen aus dem Buch „Praktische Ethik": her positiv aufgegriffen und dies in entsprechenden Schriften öf-
S. 69: „Der Einfachheit halber werde ich mich auf Kleinkinder fentlich gemacht.
konzentrieren, wobei sich alles, was ich über diese sage, auch Im Gegensatz zu Singer will er aber, aus Gründen der Rechts-
auf ältere Kinder oder Erwachsene anwenden läßt, die auf der praktikabilität, Säuglingen bereits von der Geburt an ein Lebens-
geistigen Stufe eines Kleinkindes verharren". recht zuerkennen. Zum Problem geistesgestörter Menschen vertritt
S. 105: „Der Fötus, der stark zurückgebliebene dahinvegetierende er die Auffassung, daß es zwar gewisse Geisteskranke geben mag,

36 37
die ihre Personalität uneingeschränkt verloren bzw. nie besessen
Es ist heute, wie an früherer Stelle bereits erwähnt, unumstritten,
haben. Eine eindeutig umrissene, in der Praxis absolut fehlerfrei
daß mit der Verschmelzung von menschlicher Ei- und Samen-Zelle
identifizierbare Kategorie von Geisteskranken, die sämtlich und
ein neues menschliches Wesen entsteht. Dieser Lebensanfang ist
ohne jeden Zweifel keinerlei Personalität besitzt, ließe sich aber
Bestandteil des Lebens eines Menschen. Ich denke, daß „persona-
nicht definieren. Deshalb sollte einem geborenen menschlichen
les Menschsein" nicht empirisch objektivierbar ist etwa durch La-
Wesen in seinem späteren Leben sein Lebensrecht unter keinen
borexperimente oder Abzählen von Gehirnzellen. Die menschliche
Umständen wieder entzogen werden. Im Ergebnis sollte Abtrei-
Entwicklung ist ein kontinuierlicher Prozeß, irgendwelche zeitli-
bung also erlaubt sein, das Tötungsverbot jedoch unmittelbar ab
Geburt einsetzen. che oder andere Zäsuren in Verbindung mit der Anknüpfung an ein
Lebensrecht wären willkürlich. Das Lebensrecht eines menschli-
Naturgegebenheit des menschlichen Seins chen Individuums bedarf nicht erst der Zuschreibung durch andere
Menschen.
Die Gegenposition zu Singer, zu deren Vertretern auch ich mich
„ Uberlebensinteresse "
rechne, macht bei der Zuerkennung von Menschenwürde und Le-
bensrecht keinen Unterschied zwischen „personalem" und „nicht-
Schon im Hinblick auf die Festlegung bzw. Feststellung der betref-
personalem" oder noch ungeborenem und bereits geborenem
menschlichen Leben. fenden Voraussetzungen erscheint es äußerst problematisch, die
Zuerkennung von Lebensrecht an das Vorhandensein eines „rele-
Es trifft zwar zu, daß es erst die tatsächliche Anwendung der Fä-
vanten Überlebensinteresses" zu binden.
higkeiten des vernünftigen Verstehens, des Kommunizierens, der
Autonomie usw. ist, die das menschliche Sein über das der Tiere
erhebt. Diese Eigenschaften und Fähigkeiten kommen aber nicht So gesteht Hoerster auch Neugeborenen durchaus gewisse Wün-
nur denjenigen menschlichen Individuen zu, in denen sie nach au- sche - etwa den Wunsch zu trinken - zu und räumt ein, daß auch
ßen hin schon voll entfaltet sind. Sie ergeben sich vielmehr aus der die Erfüllung solcher Wünsche das Überleben des Säuglings vor-
aussetzt. Er fragt sich selbst, ob nicht bereits solche Wünsche ein
der menschlichen Nafur innewohnenden Anlage, welche die Aus-
bildung solcher Fähigkeiten erlaubt. Überlebensinteresse begründen könnten. Um wiederum einen un-
mittelbaren Eindruck in die Überlegungen Hoersters zu vermitteln,
Die Merkmale also, die Singer seinem „Person"-Begriff zugrun-
delegt, beruhen auf der menschlichen Seinsweise. Diese Seins- zitiere ich aus seiner Schrift „Neugeborene und das Recht auf Le-
ben" wörtlich (S. 14,15):
weise bestimmt daher die Fähigkeiten und nicht umgekehrt: Weil
man Mensch ist, hat man gewisse Eigenschaften oder Fähigkeiten
oder kann sie jedenfalls haben. Mensch bzw. „Person" wird man „Dies (Anm, von mir: daß Neugeborene gewisse Wün-
nicht, man /r/es. Diese menschliche Natur wird von allen mensch- sche haben, die ein Überlebensinteresse begründen
lichen Wesen geteilt, so daß Würde und Wert auch allen zukommen könnten) ist sicher in einem eingeschränkten Sinn der
müssen. Fall. Wenn wir die Wünsche des Neugeborenen etH'a mit
den Wünschen des Zehnjährigen vergleichen, so springt

38
39
uns jedoch ein bedeutender Unterschied zwischen die- noch einen ausdrücklichen Überlebenswunsch. Sein aus
sen Wünschen ins Auge: Die Wünsche des Neugebore- all diesen Wünschen resultierendes Überlebensinteresse
nen können offenbar über die Gegenwart bzw. unmittel- ist entsprechend gewichtig.
bare Zukunfi nicht hinaus reichen. Wenn das Neugebore- Nach alledem ist also zuzugeben, daß auch das Neu-
ne beispielsweise trinken will, so will es sofort trinken. geborene bereits ein gewisses Überlebensinteresse ha-
Das Neugeborene kann offenbar noch nicht den Wunsch ben kann. Die extreme Kurzfristigkeit wie die relative
bilden, zunächst eine Stunde zu dösen und erst dann zu Geringftigigkeit dieses in Abständen auftretenden Über-
trinken. Der Zehjijährige dagegen kann ohne weiteres lebensinteresses sprechen jedoch dagegen, ein so ge-
sogar Wünsche bilden, deren Gegenstand — man denke wichtiges Recht wie das Recht auf Leben an dieses In-
etwa an die spätere Ausübung eines bestimmten Berufes teresse zu knüpfen. Das typisch menschliche Überle-
— in ferner Zukunßliegt. Dieser Unterschied hatßir das bensinteresse basiert auf den zukunftsbezogenen, nicht
jeweilige Überlebensinteresse eine wichtige Konse- auf den gegenwartsbezogenen Wünschen eines Men-
quenz: Erstens ist das Überlebensinteresse des Neuge- schen. Wir halten also fest: Das Neugeborene hat jeden-
borenen zu einem gegebenen Zeitpunkt an kaum mehr falls kein für die Einräumung eines Rechtes auf Leben
als an einen einzigen Wunsch gebunden. Und zweitens relevantes Überlebensinteresse. "
ist das Überlebensinteresse des Neugeborenen nur so-
lange vorhanden, wie der jeweilige Wunsch vorhanden Aus diesen Überlegungen, die sicher nicht nur nach meiner Über-
ist; mit dem Verscliwinden des Wunsches (etu'a durch zeugung als schlicht grotesk bezeichnet werden dürfen, lernen wir
seine Erfüllung) verschwindet auch das betreffende alleine vier Begriffe kennen, die das Überlebensinteresse aufspal-
Überlebensinteresse. Solange aber kein neuer Wunsch ten: Es gibt danach ein eingeschränktes, ein gewisses, ein gewichti-
entsteht, ist auch kein Überlebensinteresse vorhanden. ges und ein relevantes Überlebensinteresse!
Das Überlebensinteresse des Neugeborenen ist weder Ich meine, daß der genaue Umkehrschluß gezogen werden müß-
kontinuierlicher Natur, noch hat es größeres Gewicht te: Gerade ein „so gewichtiges Recht wie das Recht auf Leben"
als der jeweils eine Wunsch, dessen Erfüllung es dient. kann eben nicht an derart vage Interessensabwägungen gebunden
Bei dem Zehnjährigen dagegen ist die Situation eine werden!
ganz andere. Hier überspannt das Überlebensinteresse Zunächst werden hier - abgesehen einmal davon, daß lediglich
auch solche Phasen - wie etwa Zeiten des Schlafes -, in Istzustände beurteilt werden und Potentialität nicht berücksichtigt
denen ein zukunßsbezogener Wunsch in bewußter Form wird - die Dinge nur danach bewertet, was der Säugling nach au-
überhaupt nicht vorhanden ist; denn der Gegenstand ßen hin zu äußern bzw. mitzuteilen in der Lage ist. Was er tatsäch-
des Wunsches liegt deutlich jenseits dieser Phasen. Au- lich wünscht und denkt bzw. wünschen und denken kann, ist Au-
ßerdem hat ein Zehnjähriger normalerweise gleichzei- ßenstehenden letztlich nicht zugänglich. Woher will man so genau
tig eine ganze Reihe von zukunftsbezogenen Wünschen wissen, daß ein Fetus oder ein Neugeborenes nicht zumindest zeit-
mit einem für ihn erheblichen Stellenwert und auch weise den Wunsch hat, für eine längere Zeit oder dauernd so weiter

40 41
zu existieren, wie er (es) sich gerade fühlt? Nur weil das nicht aus-
fristigen Wünsche hat, ist makaber. Vielmehr ist von seinem schüt-
drücklich kundgemacht werden kann? Sie könnten durchaus be-
zenswerten Interesse am Weiterleben auszugehen. Er hat auf die
wußt sein und wahrnehmen, ohne daß wir das feststellen können.
Fortdauer lustvoller Empfindungen ebenso Anspruch wie der den-
Ferner gibt es keinen Grund, den Wünschen des Fetus oder des
kende Mensch auf die Vermeidung von Angst. Erst aus einem nach
Kleinkinds nicht denselben Stellenwert einzuräumen wie den
außenhin erkennbaren Todesverständnis auf ein Überlebensinteres-
Wünschen älterer Zugehöriger der Spezies. Ihre Wünsche haben
se zu schließen, ist Willkür.
für sie - und darauf muß es ankommen - ebenso hohen Wert. An-
Singer gerät hier überdies in einen Selbstwiderspruch. Auf
dernfalls müßte man ja weiter schließen, daß wiederum die Wün-
S. 118 seiner „Praktischen Ethik" sagt er, „... ein Wesen kann nicht
sche etwa eines 35-jährigen weitaus gewichtiger als die des Zehn-
Lust empfinden, wenn es tot ist. Daher besagt die Tatsache, daß ein
jährigen einzustufen sind, mit der Folge, daß dem 35-jährigen ein
Wesen künftig Lust empfinden wird, daß es falsch wäre, es zu tö-
bedeutend höherwertigeres Lebensrecht zukommt. Die Beispiele
könnten fortgesetzt werden. ten." Noch ungeborene Kinder und Kleinkinder sind normalerwei-
se Wesen, die künftig Lust empfinden werden (ganz abgesehen da-
von, daß sie auch in ihrem gegenwärtigen Zustand Lust empfinden
Im übrigen sprechen die zitierten Zeilen doch für sich selbst. Diese
können) - also muß es falsch sein, sie zu töten, selbst wenn ange-
Wortklauberei mit ihrem Gewichten und Richten, was denn nun als
nommen wird, daß in diesem Entwicklungszustand noch kein Be-
„relevantes", ein Lebensrecht begründendes Überlebensinteresse
wußtsein vorhanden ist.
in Frage komme - ich denke, daß dies so manchem Leser einen
Schauder über den Rücken gehen läßt.
Nach allem sollte es keine Frage sein, ungeborenen Kindern und
Wieviele geistesschwache,^ geisteskranke und altersdemente
Kleinkindern ein berücksichtigenswertes Interesse zuzugeben, so-
Menschen mag es geben, deren Wünsche man ebenfalls nur als
wohl die momentanen wie die späteren Freuden des Lebens zu ge-
„kurzfristig" und damit nicht als entsprechend „gewichtig" einstu-
nießen.
fen könnte? Merken die Vertreter dieser Theorie eigentlich nicht,
auf welch dünnes Eis sie sich hier begeben, oder wollen sie es nicht
merken? Potentialität
Personsein kann nicht verstanden werden als eine Folge aktuel-
Beim Vergleich bestimmter Tiere mit Kleinkindern kommt Singer
ler Bewußtseinszustände eines Menschen. Man kann es nur wie-
zu dem Schluß, daß erstere über mehr Rationalität verfügten. Er
derholen: Person ist der Mensch selbst, nicht ein bestimmter Zu-
übersieht jedoch wiederum, daß in den menschlichen Vergleichs-
stand des Menschen. Sein Grundrecht auf Existenz kann also nicht
objekten die Befähigung zu weit größerer Rationalität bereite
abhängig gemacht werden von momentanen Zustandserscheinun-
angelegt ist. So handelt es sich letztlich um nichts anderes als um
gen. Man kann nicht mehr oder weniger ein menschliches Wesen
den berühmten Äpfel-Birnen-Vergleich. Schon von ihrer geneti-
sein - mit entsprechend unterschiedlich zu bewertender Würde.
schen Programmierung her scheiden also alle Tiere aus dem Ver-
Dem kleinen Menschen in seiner gegebenen Existenzform das
gleich mit der menschlichen Leibesfrucht oder dem neugeborenen
Lebensrecht abzuerkennen, weil er (angeblich) noch keine länger-

42
43

ffiflf:
«
s.rfis;
Menschenkind aus. Der bloße Istzustandsvergleich aktuell erkenn-
gung der Existenz eines Menschen sei dann nicht etwa nur die
barer Fähigkeiten ist irrelevant.
Nicht-Abtreibung, sondern ebenso die Nicht-Abtötung und die
Singer kontert das Potentialitätsargument mit dem Einwand, daß
Vereinigung der betreffenden Keimzellen. Für die Vereitelung des
„im allgemeinen ein potentielles X nicht auch sämtliche Rechte
derzeitigen Lebensinteresses der Person A mache es keinen Unter-
von X hat." So habe Prinz Charles als pot. Thronfolger noch nicht
schied, ob A gar nicht erst gezeugt oder ob A später abgetrieben
die Rechte eines Königs.
worden wäre: so oder so wäre er heute nicht existent. Man käme
Diese Aussage dürfte in ihrer Hanebüchenheit wohl kaum noch
damit, wie Hoerster meint, letztlich zur Forderung eines Lebens-
zu übertreffen sein. Das Potentialitätsargument besagt doch nicht,
und Befruchtungsrechtes bereits jeder lebenden individuellen Ei-
daß einem potentiellen Anwärter auf irgendeine Position auch be-
zelle - was wohl niemandem akzeptabel erscheinen könne.
reits die (später) damit verbundenen Rechte eingeräumt werden
Bei dieser Argumentation geschieht zunächst eine grundlegende
müßten. Daß Prinz Charles noch nicht im Besitz der Königsrechte
Verwechslung von Seinszuständen mit Existenzbedingungen. Eine
ist, bedeutet ja noch lange nicht, daß man ihn deshalb töten darf.
bestimmte Entwicklungsstufe ist jedoch keine Bedingung, sondern
Das Lebensrecht ist - warum muß man das eigentlich sagen -
eine Seinsweise eines menschlichen Individuums. Andersherum
qualitativ allen anderen Rechten nicht vergleichbar. Es hat fun-
ausgedrückt: Bedingungen können nicht mit Zeitabschnitten
damentalen Charakter und ermöglicht erst alle anderen Rechte.
menschlicher Existenz gleichgesetzt werden. Die menschliche Exi-
Wer erst gar nicht lebt, kann weder König noch sonst etwas wer-
stenz als solche - und die damit verbundene Daseinswürde - unter-
den. Als Prinz Charles noch Schüler war, hatte er auch noch nicht
liegt aber, auch in ihrem Frühstadium, eben nicht der Zuschreibung
alle Rechte, die er heute besitzt (z.B. das Wahlrecht) - doch wer
und der Verfügung anderer. Auf die „Bedingung" - um in der Ter-
hätte auf die Idee kommen können, ihm deswegen das Lebensrecht
minologie Hoersters zu bleiben - der Nicht-Abtreibung besteht da-
zu bestreiten?
her sehr wohl ein Anspruch!
Die Unhaltbarkeit der „Thronfolger-These" liegt also darin be-
Was darüber hinaus das „Befruchtungsrecht der Einzelle" an-
gründet, daß das Dasein selbst keine „Fähigkeit" ist, die man sich geht, so räumt Hoerster ja selbst ein, daß neues Leben (selbstver-
erst erwerben muß. Das Leben als solches stellt vielmehr die
ständlich) mit der Befruchtung beginnt. Erst dann existiert ein We-
Grundlage dar, auf der sich besondere Fähigkeiten und Eigenschaf-
sen, dem Schutz entweder zu- oder abgesprochen werden kann. Der
ten erst ausbilden können.
niemals gezeugte und so niemals zur Existenz gelangende
Hoerster untersucht in diesem Zusammenhang weiter, ob nicht
„Mensch" hat nun in der Tat keinerlei „Interesse", so daß man weder
aktuelle „Personen", die sich ihres Lebens erfreuen, fordern könn-
in seinem noch gegen sein Interesse handeln kann. Eine unbefruch-
ten, als Feten nicht abgetrieben worden zu sein - als eine notwendi-
tete Eizelle bleibt immer das, was sie ist - aus ihr entwickelt sich
ge „Vorbedingung" ihrer derzeitigen Existenz. Dies, so meint er, nichts anderes, in welche Nährlösung sie auch gelegt werden mag.
wäre nur dann der Fall, wenn sich ganz allgemein aus dem Satz „A Bis zu ihrer Verschmelzung mit einer männlichen Samenzelle exi-
soll ein Recht auf X haben" der Satz „A soll ein Recht auf alles stiert also auch kein „nichtpersonales" menschliches Lebewesen.
haben, was notwendige Bedingung dafür ist, daß A ein Recht auf X Es liegt deshalb neben der Sache, im Zusammenhang mit der
hat" folgern ließe. Dies sei zu verneinen, denn notwendige Bedin- Annahme eines Lebensrechtes für das ungeborene Kind auf ein

44
45
„Befruchtungsrecht der Eizelle" zu schließen. Es soll ja nicht die
4.3 Die Konsequenzen der Position Singers
Entstehung menschlichen Lebens erzwungen, sondern bereits be-
stehendes Leben geschützt werden. Wer allerdings - wie etwa Teile
Abtreibung, Kleinkinder,
der katholischen Kirche - schon im Bereich der Empfängnisverhü-
geistig Erkrankte
tung in die Entscheidungsfreiheit potentieller Eltern eingreifen
will, trägt de facto nur dazu bei, daß es, sozusagen hinterher, ver-
Ich habe schon angedeutet, daß eine Position, welche die Zuerken-
mehrt zu Abtreibungen kommt. Er verliert damit in der gesamten
nung des Lebensrechts grundsätzlich von einem „relevanten Über-
Debatte an Glaubwürdigkeit.
lebensinteresse" im ausführlich geschilderten Sinne abhängig
macht, große Gefahren in sich trägt. Wie Singer selbst ausführt,
Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, daß die menschlichen An-
werden die für das „Personsein" geforderten Grundvoraussetzun-
lagen, auf die wir Menschenwürde und Lebensrecht gründen, den
gen wie die Todeserkenntnis an sich von vielen 2-3jährigen Kin-
menschlichen Individuen von Beginn ihrer Existenz an innewoh-
nen. dern noch nicht erfüllt, ebensowenig von einem Teil der älteren
Kinder oder erwachsener Menschen.
Der ungeborene Mensch kann sein Dasein lediglich noch nicht
Singer will zwar „übervorsichtig" sein und das Lebensrecht
eigenständig vollziehen. Die anzunehmenden Interessen derjeni-
Säuglingen „großzügigerweise" schon nach etwa einem Monat zu-
gen Menschen aber, die das noch nicht oder nicht mehr können,
gestehen - schon für sich gesehen eine Horrorvorstellung. Freie
müssen im Wege der sog. „advokatorischen Ersatzvornahme" ge-
Abtreibung ist danach ohnehin rechtens.
schützt werden. Diese Rechfsinstitution ist ja auch aus anderen Le-
Wie erst, wenn jemand, der die Grundvorstellungen Singers
benssituationen wohlbekannt. Erinnert sei etwa an die Hilfelei-
teilt, nicht so „übervorsichtig" ist? Dann kann er ohne weiteres
stungspflicht für Verletzte und Bewußtlose und deren vermutete
auch noch Dreijährigen das Lebensrecht in Abrede stellen. Was
Einwilligung dafür, auf Anwartschaftsrechte aller Art usw. Ebenso
würde dann für geisteskranke oder altersdemente Menschen gel-
wie hier gefragt wird, was das mutmaßliche Interesse etwa eines
ten? Welcher IQ wäre dann letztlich maßgebend?
bewußtlosen Verletzten sei, muß man beim Ungeborenen fragen,
Wenn aber z.B. alte Menschen mit fortgeschrittener Demenz
ob es, könnte es befragt werden, wünschen würde, am Leben zu
kein Lebensrecht besäßen, so hätten sie logischerweise auch kei-
bleiben. Diese Frage wird man - unter Heranziehung des eigenen
nen Anspruch auf irgendwelche Leistungen, etwa Krankenpflege.
Lebensinteresses der meisten (erwachsenen) Fragesteller - zu-
Wenn es immer mehr alte Menschen gibt und sich entsprechend
nächst nur mit einem Ja beantworten können.
auch die Anzahl Demenzkranker erhöht, die mit erheblichem Auf-
Man kann auch nicht argumentieren, ein nichtgewolltes Kind
wand versorgt werden müssen, kann die Versuchung größer wer-
habe kein gutes Leben zu erwarten, und Abtreibung sei somit die
den, sie „einfach" zu beseitigen.
„beste Lösung". Abgesehen davon, daß die künftige Entwicklung
Ist das Überlebensinteresse ausschlaggebend für das Lebens-
nicht vorherzusehen ist, können solche Überlegungen es niemals
recht, so würde man doch auch einen ichbewußten Menschen, der
rechtfertigen, das Leben des neuen Menschen von vorneherein zu
beenden. nachweislich äußert, kein Weiterlebensinteresse mehr zu haben, in
logischer Konsequenz ohne weiteres töten dürfen.

46
47
Das Singersche Konzept führt im übrigen auch zu dem Kurio-
Zuordnungen laufend stellen. Krankenhäuser und Pflegeheime
sum, daß, wie er selbst ausführt, Kleinkinder zwar kein Recht auf
könnten mehr und mehr zu bedrohlichen Institutionen werden. Für
Leben, aber ein Recht auf Nahrung, Kleidung und Hygiene haben.
den ganz jungen Menschen ist der Mutterleib schon jetzt zum ge-
Auch hier wird die Widersprüchlichkeit dieses Gedankengebäudes
fährlichsten Ort geworden.
sichtbar: Warum soll das Kind einerseits diese Ansprüche haben,
Der hippokratische Eid hingegen respektiert jedes menschliche
obwohl es doch auch diese Optionen nicht versteht? Hier wird dem
Leben gleichermaßen und verlangt so vom Arzt keine Unterschei-
Kind offenbar das Interesse unterstellt, daß es nicht hungern, frie-
dung der Menschen in personale und nichtpersonale Wesen mit
ren oder im eigenen Kot liegenbleiben will. Wenn also ein Baby ein
entsprechender Auswirkung auf die Verfügbarkeit ihres Lebens.
Recht auf Nahrung hat, wieso soll es dann kein Recht auf Leben
Die Umsetzung der Singerschen Position bedeutet die Aufhebung
besitzen? Ist nicht das eine Bestandteil bzw. Voraussetzung des an-
deren? des hippokratischen Ärzteethos eben mit der Folge, daß sich die
Furcht vor Medizin und Alterspflege generell vergrößern muß.
Singer meint dazu, die kurzfristigen Wünsche des Babys bezö-
gen sich nicht auf das längerfristige Überleben. Der Säugling habe
Vorübergehender Ausfall des „Ichbewußtseins":
den Wunsch z.B. zu Essen seines aktuellen Hungers wegen, nicht
Schlaf, Bewußtlosigkeit
aber, weil er am Leben bleiben wolle. Ich frage mich, ob man eine
Haarspalterei überhaupt noch mehr ins Absurde treiben kann. Sin-
Während der Zeit des Schlafens oder im bewußtlosen Zustand ist
ger hat wohl schon Tausende von Babys befragt, wie ihre Wünsche
der Mensch, den Definitionen Singers folgend, aktuell kein
konkret auszulegen sind! Nach Meinung Singers würde wohl das
personales Wesen. Er kann in diesem Zustand keine Wünsche
Baby, wenn es „wüßte", daß die Nahrung nicht nur der Abhilfe des
haben und äußern, nicht kommunizieren, auswählen usw. Darf er
momentanen Hungergefühls, sondern auch dem mittel- und länger-
also getötet werden? Singer selbst äußert sich nicht sehr konkret zu
fristigen Weiterleben überhaupt dient, die Nahrungsaufnahme ab-
dieser Fragestellung. Er bezieht sich auf den US-Philosophen
lehnen - oder wie sonst soll man seine Interpretation der Wünsche
Michael Tooley, der es genügen läßt, daß die grundsätzliche Fähig-
eines Babys eigentlich noch verstehen?
keit zu „relevanten" Wünschen auch während dieser Zeiten vor-
handen bleibt.
Zwang zum ständigen Werturteil
Für Hoerster ist hier „ethisch" entscheidend, daß das betreffende
Interesse bereits vor der kritischen Zeitspanne existent war und
Wird nicht jedem menschlichen Leben die gleiche Würde zuer-
zwar dergestalt, daß es sich auf gewisse Ereignisse innerhalb bzw.
kannt, muß jeweils entschieden werden, wem sie denn (noch) zu-
nach dieser Zeitspanne ausdrücklich erstreckte. Nicht erforderlich
kommen soll und wem nicht - wer die „Person"-Kriterien also er-
sei, daß ein Wunsch oder ein Interesse zu jenem Zeitpunkt, zu dem
füllt und wer nicht. Solche Entscheidungen können nur willkürlich
der Wunsch bzw. das Interesse mißachtet wird, noch in bewußter
sein. Lebenswert und -würde der zu beurteilenden Menschen wer-
Form präsent ist.
den voll in das Ermessen anderer Menschen gestellt.
Beim ungeborenen Kind oder beim Säugling sind die Herren
Besonders im Medizinbetrieb würde sich die Frage dieser Wert-
freilich weitaus weniger großzügig. Hier heißt es radikal, es könne

48
49
in diesem Stadium menschlicher Entwicklung die Fähigkeit zu „re-
Zeitpunkte vor der Geburt. Das Abstellen auf die Erkennbarkeit
levanten" Wünschen nicht gegeben sein. Durch die Tötung des Fe-
„auch für den Dümmsten", wie Hoerster es tut, geht fehl. Auch wer
tus könne damit „nichts" verletzt werden, und auf Potentialität
komme es nicht an. eine Schwangerschaft abbricht, weiß, daß es dabei um menschli-
ches Leben geht.
Auch diese Argumentation erscheint nicht konsequent. Wenn
Feten und Kleinkindern grundsätzlich das Lebensrecht abgespro- Als rechtspolitisch einsichtige Grundlage für die Zusprechimg
von Lebensrecht taugt der Geburtszeitpunkt also nicht. Es ergibt
chen wird, weil sie in ihrem Istzustand kein entsprechendes Inter-
sich auch das zusätzliche Problem der Begründung eines Lebens-
esse haben könnten, müßte dieser „Grundsatz" für jeden gelten, der
aktuell nicht bewußt ist und so kein Interesse hat. Wenn ich den rechts für Frühgeborene, wenn es im Gegensatz dazu Feten, die im
Schlafenden töte, könnte folgerichtig ebensowenig ein Lebensin- Mutterleib bereits weiterentwickelt sind, abgesprochen wird.
Insgesamt kann Hoerster nicht für sich in Anspruch nehmen,
teresse wie beim Fetus verletzt werden, da der Betreffende es aktu-
eine Alternative zu dem von ihm verurteilten „biologischen Spezie-
ell nicht hat. Wenn er nicht wieder aufwacht, wurde „nichts" ver-
sismus" anzubieten. Was er letztlich vertritt, ist wiederum nur - um
letzt! Entweder läßt man den Istzustand für beide Fälle gelten oder
in dieser Terminologie zu bleiben- eine andere Spielart von „Spe-
gar nicht. Warum soll entscheidend sein, daß in dem einen Fall „re-
levante" Interessen einmal existent warenl ziesismus": man kann sie als „Geburtsspeziesismus" bezeichnen!
Diese ungleiche Behandlung der Fallgruppen legt doch die An-
nahme des ängstlichen Herbeischwätzens des Schutzes des eigenen
Allgemein geringere Wertschätzung des Lebens
Überlebenswunsches der Gnjppe der „Selbstbewußten" (wenn-
gleich auch zeitweise Ohnmächtigen) nahe, während andererseits Die Befürwortung straffreier Abtreibung und das Bestreiten eines
das Weiterleben der ungeborenen Menschen, die sich noch nicht grundsätzlichen Lebensrechts auch für „nichtpersonale" geborene
selbst zu Wort melden können, dem Gutdünken ihrer Mütter über- Menschen tragen mit Sicherheit nicht dazu bei, die Wertschätzung
lassen bleiben soll! des Lebens ganz allgemein zu festigen.
Die oben schon aufgezeigten Gefahren, die sich aus der Aufspal-
Die Geburtsgrenze als Faktum für ein Lebensrecht tung des Menschseins für alle Menschen ergeben, sind doch nicht
von der Hand zu weisen.
Hoerster will das Lebensrecht mit dem Geburtszeitpunkt verbin- Die Behauptung etwa, durch eine Freigabe der Abtreibung hät-
den. Dies erscheint nun allerdings rein willkürlich. Wenn ungebo- ten die geborenen Menschen keine größeren Befürchtungen für ihr
rene nichtpersonale Menschen kein Lebensrecht besitzen sollen, ist Leben zu vergegenwärtigen, ist durch nichts zu belegen. Wer sagt
nicht einzusehen, warum es geborenen nichtpersonalen Menschen uns denn, daß etwa Jugendliche, die von einer Abtreibung in ihrer
zugestanden werden soll. Die Begründung der Geburtsgrenze als Familie wissen, nicht gerade deshalb eine herabgesetzte Ein-
„Praxisnorm", der am besten gefolgt werden könne, rechtfertigt stellung gegenüber dem Leben anderer Menschen haben
eine solche Unterscheidung keineswegs. Hoersters Schutzargu- oder jedenfalls haben können? Die zunehmende Schwerkriminali-
mente für den Geburtszeitpunkt passen auch für beliebige andere tät gerade unter Jugendlichen und Heranwachsenden ist doch ein
klares Indiz für den schwindenden Respekt vor fremden Leben.

50
51
Was die Abtreibungen unmittelbar angeht, so wird die Leibes- 4.4 Zusammenfassende Beurteilung
frucht inzwischen immer skrupelloser als ein Mittel zum Zweck
mißbraucht. Warren Farrell berichtet in seinem besagten Buch Menschsein und Menschenwürde sind nicht teilbar
„Mythos Männermacht" z.B. davon, daß US-amerikanische Solda-
tinnen sich zunächst schwängern ließen, um nicht zum Einsatz im
Die Gegner des Lebensrechts für ungeborene Kinder stellen wohl
Irak-Konflikt herangezogen zu werden. Später ließen sie dann ab-
schon die Frage falsch: Sie kann nicht lauten, unter welchen Bedin-
treiben - sie wollten also von vorneherein kein Kind, benutzten die
gungen menschlichen Lebewesen ein Lebensrecht erst eingeräumt
Schwangerschaft nur, um vor Unannehmlichkeiten verschont zu
werden muß. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Es muß die Frage
bleiben. Ferner dürfte es - das ist jedenfalls für die westlichen
nach dem Recht gestellt werden, es bestimmten menschlichen Indi-
Staaten mit ihren mannigfachen Möglichkeiten zur Verhütung ei-
viduen absprechen zu können.
ner Schwangerschaft anzunehmen - kaum noch Schwangerschaf- .
Für ein solches Tötungsrecht reichen die dafür abgelieferten Be-
ten geben, die tatsächlich von vorneherein ungewollt sind. Viele gründungen, wie wir gesehen haben, nicht aus.
Frauen werden erst einmal ganz gewollt schwanger, um gerade da-
Wer behauptet zu wissen, daß der kleine Mensch keine „Person"
mit eine Partnerbeziehung zu testen, zu festigen oder auch zu er-
sei und womöglich auch noch Zeitpunkte vorgibt, ab wann er sich
zwingen. Läuft es dann nicht wie erhofft, wird das Ganze als „un-
denn in eine solche verwandelt, begibt sich in den Bereich des Fa-
gewollt" deklariert und die Schwangerschaft abgebrochen.
bulierens. Es gibt keinen präzisierbaren Anfang des Selbstbewußt-
Wenn aber so über ungeborene Kinder verfügt wird, relativiert seins.
sich, unvermeidlich, der Wert der menschlichen Person überhaupt.
Die Würde des Menschen kann nicht von der menschlichen Exi-
Auch die Tatsache etwa der sich häufenden Massenmorde durch stenz als solcher losgelöst werden.
Pflegepersonal an alten Menschen deutet doch nicht auf eine zu-
Wer das Lebensrecht nicht allen menschlichen Wesen zuer-
nehmende Achtung vor menschlichem Leben hin.
kennt, gibt die Idee von der Menschenwürde auf und läßt an ihre
Gerade auch aus militaristischer Sicht sollte es sich deshalb auf- Stelle seinen Schätzwert bestimmter Funktionen treten. Darin liegt
drängen, einen möglichst umfassenden Lebensschutz zum Ziel zu
nicht weniger als das Sicherheben zum Herrn über Leben und Tod
haben. Jeder Versuch, menschliches Leben durch selektive Zeit- anderer Menschen. Es kann aber unmöglich mit der Idee von Recht
punktsetzungen und/oder Eigenschaftskriterien in Frage zu stellen, und Gerechtigkeit vereinbar sein, wenn jemandem ein willkürli-
verkörpert letztlich einen Angriff auf die Gattung Mensch in ihrer
ches Bestimmungsrecht darüber zusteht, wer im Einzelfall Rechts-
Gesamtheit. Es ist kurzsichtig, dies, nur um des „Erfolgs" straffrei- subjekt und somit Adressat von Gerechtigkeit sein soll.
er Abtreibung willen, zu verneinen.
Mit der Aufteilung der Menschen in Personen und Nicht-
personen gerät man in einen Selbstwiderstreit, etabliert unter-
schiedliche Klassen von Menschen und schafft damit Ungleichheit.
Es ist nicht logisch, Gleichheit zwischen den Gattungen zu fordern,
um sie gleichzeitig innerhalb einer biologischen Spezies wieder
aufzuheben.

52
53
Die Vertreter der Personalitätstheorie werfen ihren Gegnern vor,
willkürlich zu sein, weil sie das Lebensrecht bereits mit der len, oder warum sich etwa derzeit existierende Generationen über-
„bloßen Zugehörigkeit" zur Gattung Mensch verbänden. Damit haupt um das Schicksal künftiger Generationen Gedanken machen
stellen sie die Dinge aber auf den Kopf: Ist es nicht viel willkürli- sollen, solange nur ihre eigenen Interessen sicher gewahrt sind.
cher, das Lebensrecht nach vagen Kriterien eigenen Gutdünkens
nur bestimmten menschlichen Wesen zuzuerkennen, als es vorur- Wenn wir sittliche Wesen sein wollen, die die Würde verdienen, auf
teilsfrei allen Angehörigen der menschlichen Spezies einzuräu- die wir den Lebensrechtsanspruch im Wesentlichen gründen, so
men? Meines Erachtens handelt willkürlich, wer eigene Indikatio- gehört gerade der Schutz derjenigen, die ihr Leben noch nicht oder
nen des Menschseins festlegen will, um damit Menschen nach ge- nicht mehr eigenständig vollziehen können, zu unseren würdevoll-
sellschaftlichen Interessen zu selektieren. Ist es etwa keine Willkür, sten Aufgaben. Inbegriff der Würde sind, um es zu wiederholen,
die mit der Zeugung grundsätzlich erworbene Fähigkeit, Ich- nicht nur Rechte, es sind auch - opferabverlangende - Pflichten.
Bewußtsein zu erlangen, nur bei Ungeborenen zu mißachten, bei Die unter dem Etikett des „Selbstverwirklichungsanspruchs der
gerade Geborenen, Schlafenden oder Bewußtlosen aber zu respek- Frau" verkaufte bequeme Freigabe ungeborenen Lebens zur Tö-
tieren?
tung hat mit Menschenwürde nicht das Geringste zu tun. In keiner
Es stellt sich hier auch generell die Frage, welchem ethischen anderen biologischen Spezies ist es üblich, eigene schutzbedürfti-
Anspruch die konsequentialistische Denkrichtung eigentlich genü- ge Artgenossen aus dem Wege zu räumen, nur um die Folgen eige-
gen will - wenn Ethik grundsätzlich noch die Lehre des guten und nen Vorverhaltens nicht in Kauf nehmen zu müssen.
richtigen menschlichen Verhaltens, der Unterscheidung zwischen Nach allem sollte kein Weg an der Feststellung vorbeiführen:
Gut und Böse, sein soll. Eine Lehre, die Handlungen ausschließlich Der Beginn des Lebensrechts eines Menschen fällt mit dem Beginn
an ihrem Ergebnis mißt, richtet sich nicht nach ethischen Maßstä- seines Lebens zusammen.
ben des Gutseins und damit nach Grundsätzen der Moral, sondern
nach beliebig zu beurteilenden außersittlichen Werten etwa nach Tiere
dem Motto: Hinterher ist man immer schlauer! Wenn nach utilitari-
stischer Theorie die Tötung wehrloser Menschen wegen eigen- Tieren wird allgemein nicht die Würde zugesprochen wie Men-
süchtiger Gründe anderer Menschen, etwa für solche, die sich für schen, man versteht sie nicht als sittliche Wesen im besagten Sinne.
die von ihnen ins Leben Gerufenen nicht verantwortlich fühlen, das Dessen ungeachtet bestehen - völlig zu Recht - eine Reihe von
„Leid vermindert" und entsprechend „das Glück vermehrt", so Schutzvorschriften, insbesondere gibt es das Verbot der Tierquäle-
mag sich jeder selbst seine Gedanken darüber machen, ob hier rei.
nicht eine Verkehrung der Maßstäbe vorliegt. Ich denke, daß eine Freilich gibt es beim Tierschutz noch viele Verbessenmgsmög-
derartige Egoisten-Logik den Namen „Ethik" zu Unrecht trägt. lichkeiten, einige sind längst überfällig (erwähnt seien z.B. die
Auf der Basis solcher „Ethik" fragt es sich doch auch, warum es Transportbestimmungen). Fraglich erscheint auch, ob Tiere als
z.B. im Interesse geborener „personaler" Wesen liegen soll, daß „Sachen" schlechthin begriffen werden können.
nicht geborene „unpersonale" Wesen keine Schmerzen leiden sol- Insgesamt wird man Tiere bisher mit Recht als vernachlässigt
betrachten können, und es spricht nichts dagegen, die Gesetze in-
54
55
soweit zu verbessern. Allerdings darf man, was insbesondere ein „Religiöse" Begründung nicht erforderlich
Lebensrecht für Tiere angeht, die praktischen Probleme, die sich
hier stellen würden, nicht übersehen. Sollte z.B. „höheren" Tieren Die grundsätzliche Unbedingtheit und Unverfügbarkeit jedes
ein Lebensrecht zugebilligt werden - wogegen prinzipiell m.E. menschlichen Lebens vom Beginn bis zum Ende seiner Existenz
nichts einzuwenden wäre -, würde sich sogleich die Frage stellen, kann, wie ich es hoffentlich verdeutlichen konnte, ohne weiteres
welche Tiergattungen diesem Begriff zuzuordnen wären. Gehört auf „universeller", „rational-intersubjektiver" (oder wie derlei
der Hund dazu, die Katze nicht? - usw. usf. Jeder Staat brauchte Sprüche sonst noch lauten mögen) Basis begründet werden.
dann wohl mehrere Zusatzparlamente, die sich alleine mit diesen Wir haben gesehen, daß sich, wer das Lebensrecht des Men-
Fragen beschäftigen müßten. Wenn, wie wir feststellen mußten, schen von „Personalität" in besagtem Sinne abhängig macht und es
schon keine Einigkeit darin besteht, ob überhaupt allen Ange- deshalb Ungeborenen verweigert, in erhebliche Argumentations-
hörigen der menschlichen Spezies ein Lebensrecht zustehen soll, schwierigkeiten begibt, was das Lebensrecht auch bereits gebore-
das darüber hinaus nur allzu oft verletzt wird (von der freien ner Menschen betrifft. Dies gilt insbesondere für Kleinkinder, aber
Abtreibung einmal abgesehen etwa in ungezählten Kriegen und in- auch für Menschen mit vorübergehend ausgesetzter oder dauernd
dividuellen Morden) -, wie könnte dann über die ungeheure Viel- verlorener „Personalität".
falt der Tierarten entschieden werden?
Die Ausnahme ungeborener Menschen vom Schutz menschli-
Auch wenn wir also Tieren niemals voll gerecht werden können, chen Lebens ist also ohne weiteres geeignet, Ängste vor weiteren
kann das nicht umgekehrt bedeuten, bestimmten menschlichen In- Ausnahmen, die dann eben den geborenen Menschen treffen wür-
dividuen den Lebensschutz zu beschneiden oder abzuerkennen. den, zu begründen. Auch sind Auswirkungen auf den Umgang mit
Wer vom Lebensrecht des Delphins überzeugt werden soll, muß Menschen in bestimmten Situationen zu befürchten, wenn vom
nicht gleichzeitig zur Tötung menschlicher Feten oder Säuglinge Grundsatz her ein Lebensrecht nur ichbewußten Menschen zuer-
motiviert werden!
kannt werden soll. Einzelheiten hierzu wurden oben benannt. Das
Tiere verdienen Schutz, die Frage ist, wie weit. Zwischen Tieren allgemeine „Verfügbarkeitsdenken" wird mit jeder Ausnahme des
und Menschen muß aber ein - begründeter - Unterschied gemacht Lebensschutzes sicher nicht kleiner.
werden, sonst könnten wir nicht von „Menschenwürde" sprechen. Wenn in diesem Zusammenhang etwa Hoerster meint, eine
Auch ist letztlich jede Rechtsordnung „anthropozentrisch", d.h., Norm, die ausdrücklich die Tötung ungeborener menschlicher
den Menschen in den Mittelpunkt stellend. Sich Rechte und Pflich- Wesen freigibt, gefährde in der Realität keine Wesen, die bereits -
ten zuschreiben können Menschen nur unter ihresgleichen tun. So und sei es auch nur ansatzweise - aktuelle Personalität besitzen, so
können Tiere in einer Rechtsordnung zwar Begünstigte sein — sie daß diese vor einer Freigabe der Abtreibung keine Angst haben
erlangen damit aber noch keine „Rechte" — es kommt ihnen inso- müßten, verharmlost er das Problem massiv. Auch wenn solche
weit lediglich der menschliche Pflichten begründende Tierschutz Folgen des Personalitätsprinzips nicht unbedingt eintreten müssen
zugute. Nichtmenschlichen Wesen können auch keine Pflichten und vielleicht auch nicht ohne weiteres nachweisbar sind, so sind
auferlegt werden, sie lassen sich durch die Existenz von Normen in sie doch jedenfalls nicht unwahrscheinlich oder unplausibel. Hier
ihrem Verhalten nicht beeinflussen.
Ängste vor weitergehenden Entwicklungen als irrational abzutun,

56 57
ist nicht nur kurzsichtig, sondern zeugt wohl auch von Überheb-
lichkeit. eine möglichst lückenlose Akzeptanz der Freigabe von Abtreibun-
gen zu erreichen.
Sie hatten erkannt - und sie räumen das auch ausdrücklich ein -,
Wenn freilich jedes inhaltliche Ergebnis, das nicht der Gegenmei-
daß, falls der menschlichen Leibesfrucht ein Lebensrecht zu-
nung entspricht, von vorneherein als vor religiösem, „jüdisch-
kommt, sich alle anderen von Abtreibungsbefürwortern gebrauch-
christlichen" Hintergrund zustande gekommen abgetan wird, erüb-
ten Argumente nicht durchsetzen können. Man mußte also an das
rigt sich ohnehin jede Diskussion wegen Zirkularität. Entweder
„grundsätzliche Problem" heran: den Fetus zum intellektuellen
man kapituliert dann von Hause aus oder man hat eben nicht „vor-
Nichts erklären mit angeblich nur rudimentären, gegenüber den In-
urteilsfrei" und „rational" diskutiert.
teressen der Mutter nicht ins Gewicht fallenden Interessen, und
Abgesehen hiervon, ich sagte es schon eingangs, müssen Ergeb-
gleichzeitig die jedenfalls potentiellen Fähigkeiten ebenfalls für
nisse nicht schon deshalb „objektiv falsch" sein, weil sie aus der
bedeutungslos erklären. So kann mit seiner Tötung nichts Nen-
Religion heraus begründet werden. Die Meinung etwa eines Athei-
nenswertes vernichtet werden!
sten ist ja auch nicht bereits deswegen falsch oder richtig, weil er
Es galt und gilt gerade auch in wissenschaftlichen Kreisen als
das ist. Allerdings könnte „die Sache mit Gott" bzw. der Religion,
schick, sich an die Seite „der Frauen", insbesondere ihres protestie-
jenseits aller „rationalen" Diskussionen, noch hinzukommen - wir
renden Teils, zu stellen. Ich will es niemandem unterstellen, kann
wissen es nicht. Sollte Gott existent sein, wäre jedenfalls schwer-
mir aber gut denken, daß so mancher, der sich nach außen hin als
lich vorstellbar, daß er Abtreibung gutheißen würde.
Anhänger Singers darstellt, insgeheim gar nicht von dessen Philo-
Eine transzendente Sinngebung des Lebens, die den willkürli-
sophie überzeugt ist. Wer sie dennoch publikumswirksam vertritt,
chen Zugriff auf den Menschen - auch den noch ungeborenen - in
stellt sich jedenfalls gegenüber dem Zeitgeisttrend nicht ins Ab-
aller Regel ausschließt, ist im übrigen nicht nur im christlichen
seits, kann sich vielmehr des Beifalls auch großer Teile der Medien
Kulturkreis anzutreffen. Ich halte es für tröstlich, daß es Menschen
sicher sein. Dies ist allemal „besser", als etwa der Frauenfeindlich-
gibt, denen eine hedonistische Philosophie - mit fast nur der Angst
keit geziehen zu werden.
um das eigene Leben im Mittelpunkt - als ethisches Fundament
nicht genügt, und die deshalb die Frage nach der Transzendenz, die
Eine auffällige Merkwürdigkeit ist es in diesem Zusammenhang,
Frage nach der Religion stellen, um Sinnerfüllung in ihr zu suchen.
daß viele der eifrigsten Abtreibungsbefürworter gerade dort vehe-
ment für die unbedingte Menschenwürde eintreten, wo sie in der
Die wirklichen Hintergründe Tat am ehesten umstritten sein könnte: bei der Frage der Todesstra-
fe für Schwerverbrecher nämlich.
Wer also selbst höchst menschenunwürdige Taten begangen und
Mir scheinen diejenigen, die die Theorie der Teilung der Mensch-
damit das Recht auf die eigene Menschenwürde zumindest in Fra-
heit in personale und nichtpersonale Wesen mit unterschiedlichen
ge gestellt hat, darf hiernach auf keinen Fall getötet werden. „Der
Grundrechten aufstellen, in erster Linie von der Motivation ge-
Staat darf nicht töten" lautet hier die Parole. Auch die „private"
trieben zu sein, mittels dieser pseudowissenschaftlichen Thesen
Lynchjustiz - etwa durch Angehörige der Opfer - wird aus dieser

58
59
Ecke aufs Schärfste verurteilt (in den meisten Fällen wohl dann
men vor allem berufliche und wirtschaftliche Gründe in Betracht.
nicht mehr, wenn sie selbst betroffen wären). Einige dieser Apolo-
Auch Beziehungsprobleme, etwa dergestalt, daß der Partner und
geten halten bereits die lebenslängliche Freiheitsstrafe für men-
schenunwürdig. Vater des Kindes die Schwangere verläßt, sind nicht selten.
Ganz generell bedeutet eine Schwangerschaft für viele Frauen
Ist es nicht höchst widersprüchlich, zwar einerseits Gegner der
eine radikale Umstellung. Das Ankommen eines neuen Menschen
Todesstrafe zu sein, es gleichzeitig aber vom bloßen Willen der
verlangt seinen Eltern viel Verantwortung und Pflichterfüllung ab.
schwangeren Frauen abhängig zu machen, ob massenhaft ungebo-
Die Belastungen, Sorgen und Ängste, die mit einer Schwanger-
rene Kinder getötet werden dürfen? Man entdeckt also plötzlich
schaft verbunden sein können und denen hohes Gewicht zukom-
die Würde des Schwerverbrechers, von der Würde des ungebore-
men kann, sollen also keineswegs verkannt oder verniedlicht
nen Lebens will man hingegen nichts wissen. Ich denke, daß gera-
werden.
de auch in diesem Punkt das ganze Ausmaß an Verlogenheit zum
Dennoch kann das Selbstbestimmungsrecht der Frau nicht als
Vorschein kommt, das der gesamten Debatte vielfach anhaftet.
Rechtfertigung für ein Tötungsrecht an der Leibesfrucht herange-
Stellvertretend für diese höchst widersprüchliche Geisteshal-
zogen werden.
tung möchte ich als prominentes Beispiel den US-Richter Black-
Wer dem ungeborenen Kind ein Recht auf Leben zubilligt, kann
mun, Mitglied des Supreme Court bis 1994, nennen. In seinen rich-
dieses fundamentale Recht niemals aufrechnen gegen andere
terlichen Voten trat er zuletzt ebenso vehement gegen die Todes-
Persönlichkeitsrechte oder Güter. Am Leben zu bleiben ist ja
strafe ein, wie er anderenorts für die freie Abtreibung stritt.
zunächst die absoluteste Form der Persönlichkeitsentfaltung, und
es ist gleichzeitig die Voraussetzung für alle anderen Entfaltungs-
formen.
5 WEITERE SCHLAGWORTE
Wenn die Persönlichkeitsrechte der Schwangeren über das Le-
bensrecht des Fetus gestellt werden, so wäre kein logischer Grund
5.1 Selbstbestimmungsrecht der Frau
ersichtlich, warum dies dann nicht auch noch nach der Geburt so
sein sollte.
Nach nicht wenig verbreiteter Auffassung soll das Selbstbestim-
Manche Zeitgenossen gehen sogar soweit, den mit Strafe be-
mungsrecht der schwangeren Frau es ihr erlauben, ihr ungeborenes
drohten Schwangerschaftsabbruch als „eine gesetzlich verordnete
Kind ohne Strafbedrohung abzutreiben.
Persönlichkeitsveränderung" hinzustellen. Persönlichkeit und
Es sollte unbestritten sein, daß dem Selbstbestimmungsrecht
Persönlichkeitsveränderungen sind aber Dinge, die von außen her
und der Persönlichkeitsentfaltung jedes Menschen ein hoher Stel-
in ihrer jeweiligen Wesenheit kaum „objektiv" verstanden und
lenwert zukommt - beides ist ja Bestandteil der Menschenwürde.
gemessen werden können. Persönlichkeitsveränderungen können
Was im Besonderen die schwangere Frau betrifft, steht weiter au-
durch viele Ereignisse ausgelöst werden, in unserem Kontext kann
ßer Frage, daß vor allem eine nicht gewollte Schwangerschaft im
das eine Schwangerschaft als solche sein, ebenso aber auch ein
Einzelfall für sie eine nicht unerhebliche Belastung darstellen
Schwangerschaftsabbruch. Es ist völlig unsinnig, etwa den Staat
kann. Die Ursachen können vielfacher Art sein. In der Praxis kom-

60
61
- hier in seiner Funktion als Strafgesetzgeber - für alle denkbaren
chen. Das kann aber keinesfalls bedeuten, es Eltern zu erlauben, ihr
Persönlichkeitsveränderungen verantwortlich zu machen.
ungeborenes Kind zu töten.
Das Persönlichkeitsrecht der Frau wird im übrigen ja nicht da-
Es ist ein tragender und selbstverständlicher Rechtsgrundsatz,
durch beeinträchtigt, daß man ihr - von noch zu erörternden Aus-
die Entscheidung eines Konflikts nicht einem von mehreren Betei-
nahmefällen abgesehen - abverlangt, ihr Kind auszutragen. Eine
ligten zu überlassen. Dies hat erst recht dann zu gelten, wenn Le-
Verhaltensweise, die notwendige Bedingung für das Weiterleben
ben auf dem Spiel steht. Es sollte sich von selbst verstehen, daß die
eines anderen Menschen ist, kann normalerweise nicht ihrerseits
Gewissensfreiheit spätestens im Leben anderer ihre unüberschreit-
die Menschenwürde verletzen. Vielmehr sind, wie ich anderenorts
bare Grenze findet.
schon festgestellt habe, Verpflichtungen solcher Art geradezu sinn-
Wie würde eine Gesellschaft aussehen, wenn jeder nach seinem
gebender Bestandteil der Menschenwürde. Im übrigen hat ja ein
individuellen Gewissen tun dürfte, was er gerade für richtig hält?
Paar, das wirklich kein Kind will, alle Mittel, den Eintritt einer
Schwangerschaft zu verhindern. Verbrecher jedweder Couleur könnten behaupten, jeweils nach
„bestem Gewissen" gehandelt zu haben.
So gewichtig das Selbstbestimmungsrecht der Frau auch ist,
Die Geltung grundlegender Menschenrechte kann also nicht von
kann es doch nicht in den Rang eines Rechts erhoben werden, über
der Gewissens-Zustimmung anderer abhängig gemacht werden, sie
Leben und Tod des Kindes zu entscheiden. Damit wäre nichts an-
wären andernfalls vollkommen wertlos. Man kann nur in höchstem
deres als ein unwürdiges Recht des Stärkeren - das Ungeborene
Maße darüber erstaunt sein, welches Rechtsverständnis selbst
kann sich nicht wehren - installiert, für das in einem Rechtsstaat
hochrangige Persönlichkeiten in dieser Debatte zum Vorschein
kein Platz sein dürfte. Die bequeme Freigabe der Abtreibung für
kommen lassen.
praktisch jeden Fall wird der Würde der Frau gerade nicht gerecht!
Dessen ungeachtet beruft sich die Abtreibungslobby auch wei-
terhin lautstark auf das Selbstbestimmungsrecht, etwa nach dem
Motto: Was sachlich nicht begründet werden kann, muß umso hef-
6 RECHT
tiger „gewollt" werden!
6.1 Sinn des Straf rechts
5.2 „Verantwortete Gewissensentscheidung"
Ich darf zunächst die Selbstverständlichkeit vorwegnehmen, daß
schwangeren Frauen mittels Beratung, Sozialleistungen usw. zur
Als ebenso unhaltbar wie die These des Selbstbestimmungsrechts
Seite gestanden werden sollte, um auch von daher einen Beitrag zu
erweist sich bezüglich des Schwangerschaftsabbruchs diejenige
leisten, sie zur Annahme ihrer Kinder zu bewegen.
von der rechtfertigenden Gewissensentscheidung. Diese Auffas-
Allerdings kann daß Maß des Lebensschutzes nicht am Umfang
sung wurde u.a. auch von der ehemaligen Bundestagspräsidentin
Rita Süssmuth vertreten. irgendwelcher materieller Hilfen orientiert sein, denn das Recht
auf Leben besteht selbstverständlich unabhängig von der Gewäh-
Sicher wird niemand behaupten, es würde sich jede Frau, die
rung oder Nichtgewährung derartiger Leistungen. Im übrigen sollte
eine Abtreibung in Erwägung zieht, ihre Entscheidung leicht ma-
durch entsprechende Aufklärungsarbeit darauf hingewirkt werden,

62
63
die Zahl unerwünschter Schwangerschaften schon von vorneherein
weisen generell Abschreckungswirkung haben. Dies mag zwar für
möglichst niedrig zu halten.
die verschiedenen Straftatbestände mehr oder weniger stark zutref-
Jedenfalls kann alleine mit dem Slogan „Helfen statt Strafen"
fen, es wird jedoch keine Strafandrohung geben, die insgesamt kei-
das Strafrecht auch aus diesem Bereich, bei dem es ja um nichts
nerlei AbschreckungsWirkung hat. Was würde wohl geschehen,
weniger als um ein Tötungsdelikt geht, nicht zurückgezogen wer-
wenn etwa Diebstahl, Raub usw. straffrei gestellt würden?
den. Wie anderswo sind auch hier alle Möglichkeiten des Schutzes
Innerhalb der Abtreibungslobby wird demgegenüber häufig
zu nutzen - oder man kann mit dieser Parole das gesamte Strafrecht
abschaffen. - meist wider besseres Wissen - der Standpunkt kundgetan, Straf-
gesetze im Allgemeinen und im Falle der Abtreibung im Be-
Weil im Zusammenhang mit der Abtreibungsdebatte die Verbrei-
sonderen hätten keinen Abschreckungseffekt. Freilich wird nicht
tung von sehr viel Schwachsinn über den Zweck des Strafrechts an
selten von denselben Leuten auf anderen Feldern sehr wohl harte
der Tagesordnung ist, möchte ich zunächst die wesentlichen
Bestrafung eingefordert. Dies gilt vor allem für Umwelt- und
Grundlagen der Strafrechtslehre in Erinnerung rufen.
Wirtschaftsvergehen oder etwa auch für den neu eingeführten
Allgemein kann gesagt werden, daß die Strafe als Ausgleich für
Straftatbestand der „Vergewaltigung in der Ehe", für den man nicht
eine Rechtsverletzung zu verstehen ist, und zwar in der Form der
einmal die Rücknahme einer Strafanzeige zugelassen hat. Hier
Auferlegung eines der Schwere von Unrecht und Schuld angemes-
pocht man auf die Abschreckungswirkung.
senen Übels, in dem die Mißbilligung der staatlichen Gemein-
Wer aber die Gültigkeit eines Arguments danach ausrichtet, wie
schaft zum Ausdruck kommt. Die Strafgewalt sollte nur der Staat
es gerade in seine gesellschaftspolitische Vorstellung eines be-
im Rahmen dafür aufgestellter Rechtsregeln besitzen.
stimmten Bereichs „paßt", zeigt nur ein weiteres Mal seine Unred-
Darüber hinaus gibt es verschiedene Theorien über Zweck oder lichkeit.
Nichtzweck der Strafe. In neuerer Zeit findet die sog. „Vereini-
Strafandrohung wirkt also abschreckend, und der Abtreibungs-
gungstheorie" mehr und mehr Anhänger, die versucht, sämtliche in
tatbestand macht hiervon keine Ausnahme. In all den Ländern, in
Frage kommende Strafzwecke in ein ausgewogenes Verhältnis zu
denen Abtreibung freigegeben wurde, stiegen über kurz oder lang
bringen. Hiernach sind durch das Strafrecht die elementaren
die Abtreibungszahlen - zum Teil ganz erheblich - an.
Rechtsgüter der Gemeinschaft zu schützen. Bei Rechtsver-
letzungen soll durch die Strafe Schuldausgleich und Sühne bewirkt
6.2 „Liberales" Strafrecht
werden. Ferner soll Prävention (Vorbeugung) erreicht werden -
einmal in Richtung auf eine Abschreckungswirkung der Allge-
Man darf annehmen, daß nirgendwo sonst soviel Schindluder mit
meinheit gegenüber, zum anderen im Hinblick auf den konkreten
dem Begriff „liberal" getrieben wird als im Kontext zum Straf-
Täter, der so von Wiederholungstaten abgehalten werden soll. In-
recht.
soweit soll der Strafmaßnahme resozialisierende Wirkung zukom-
men. Der Begriff wird in der Diskussion fast ausschließlich täter-
bezogen verwendet. Dem Strqftäter gegenüber ist ein Recht freilich
Wer halbwegs logisch denken kann, wird nicht in Abrede stel-
liberal, das sowohl in der Strafverfolgung wie in der Aburteilung
len, daß gesetzliche Strafandrohungen für bestimmte Verhaltens-
und auch im Vollzug milde ist.

64
65
Aber das ist eben nur die eine Seite der Medaille. Ein weiches hält sich diametral zum Freiheitsbegriff, den egoistischen Motiven
Strafrecht hat wenig Präventionswirkung, d.h., es trägt zu einer der Stärkeren das Wort zu reden und die Tötung ungeborener Men-
Herabsetzung der Hemmschwelle für die (wiederholte) Begehung schen freizugeben.
von Straftaten bei.
Insgesamt werden so mehr Straftaten begangen mit der logi- 6.3 Zur Rechtslage und ihrer Bewertung
schen Folge, daß jeder Einzelne stärker bedroht ist und sich stärker
bedroht fühlen muß, Opfer einer Straftat zu werden. Vorbemerkung
Allen tatsächlichen und potentiellen Opfern und ihren Angehö-
rigen gegenüber ist ein mildes Strafrecht keineswegs liberal. Sie Gegenstand meiner internationalen Rechtsvergleiche waren in er-
haben oft lebenslang unter den Folgen einer Straftat zu leiden oder ster Linie die westlichen Industriestaaten.
verloren einen nahen Angehörigen durch ein Kapitalverbrechen, Insoweit kann zunächst allgemein festgestellt werden, daß in
und müssen mit ansehen, wie die Täter häufig trotz schwerwiegen- vielen dieser Staaten bis etwa Anfang/Mitte der siebziger Jahre in
der Taten mit verhältnismäßig geringen Strafen davonkommen. So Sachen Abtreibung ein wesentlich strengeres Strafrecht als das
erfahren sie keine ausreichende Genugtuung. heute existente Recht galt.
Der im Strafrecht „stillschweigend" nur eindimensional ge- Danach kam es fast überall unter dem massiven Druck radikaler
brauchte Liberalitätsbegriff ist also irreführend. Präziserweise soll- Feministinnen und der sie unterstützenden Medien zu den „Refor-
te man daher von „täterbezogen-liberal" sprechen. men", die in den meisten westlichen Ländern de facto zu einer
Auf politischer Ebene kann man als Prediger eines „liberalen" weitgehenden strafrechtlichen Freigabe der Abtreibung führten -
Strafrechts (bezogen auf den Täter) neben vielen Grünen als be- sei es in der Form weitgefaßter Indikationen, die fast jede ge-
kanntere Personen etwa die FDP-Politiker Burkhard Hirsch und wünschte Abtreibung ermöglichen, in Form der Fristenlösung oder
Leutheusser-Schnarrenberger erwähnen - freilich meist auch nur durch Beratungsmodelle. Bei letzteren genügt die Teilnahme an ei-
dort, wo das wiederum mit ihren politischen Auffassungen über ner „Beratung", um anschließend sanktionslos abtreiben zu kön-
übereinstimmt: So hatte sich gerade Leutheusser-Schnarrenberger nen. Teilweise gelten die genannten Freigaberegelungen auch ne-
als strikte Kämpferin für die Einführung des Tatbestands der „Ver- ben- bzw. nacheinander.
gewaltigung in der Ehe" hervorgetan. Hier wollte man also von Li- Eine wohl führende Rolle spielten auch hier die USA. Dort eb-
beralität plötzlich nicht mehr so viel wissen - ein weiteres Beispiel nete das oberste Gericht im Januar 1973 in dem berühmten Fall
für Doppelzüngigkeit! Roe versus Wade der straffreien Abtreibung weitgehend den Weg.
Im Hinblick auf den Schwangerschaftsabbruch wird es somit
entsprechend dem geltenden Sprachgebrauch als „liberal" bezeich- In den europäischen Staaten des ehemaligen Ostblocks wurden die
net, wenn ungeborene Kinder straffrei getötet werden dürfen. Das Bestimmungen zur Abtreibung mal gemildert, mal verschärft - je
ist eine Perversion dieses Begriffes. nachdem, was in den dort etablierten Diktaturen der einzelnen Län-
Der wirklich Liberale müßte vielmehr auf der Seite derer stehen, der in bevölkerungspolitischer Hinsicht gerade für wünschenswert
die hier zu wehrlosen Opfern fremder Verfügung werden. Es ver- gehalten wurde.

66 67

SÄTÄffSlSS
Deutschland — Historie und gegenwärtige Rechtslage Schwangerschaftsabbruch als „Angriff auf die Lebenskraft des
Volkes". Natürlich stand hier nicht der ethische Gedanke des Le-
Als Tatbestand benannt wurde der Schwangerschaftsabbruch erst- bensschutzes im Vordergrund, vielmehr benötigte das „Tausend-
mals in der Bambergischen Halsgerichtsordnung von 1507 (verfaßt jährige Reich" fortwährend vor allem Soldaten zur Eroberung und
von Johann Freiherr zu Schwarzenberg). Dieses Werk diente auch Unterdrückung anderer Völker.
als Vorbild für die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V von Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Todesstrafe durch Art. 102 des
1532, die ihrerseits zu einer Art Grundlage deutscher Strafrechts- Grundgesetzes generell wieder abgeschafft, damit auch für Helfer
pflege wurde. Sie ist auch unter der Bezeichnung „Constitutio Cri- beim Schwangerschaftsabbruch. Bis zum Jahre 1974 war in § 218
minalis Carolina" (Kurzausdruck: „Carolina") bekannt und be- des Strafgesetzbuchs einer Frau, die ihre Leibesfrucht abtötete oder
herrschte bis ins 18. Jahrhundert hinein weitgehend Theorie und die Abtötung durch einen anderen zuließ, weiterhin Freiheitsstrafe
Praxis des deutschen Strafrechts, wenngleich nach und nach eine bis zu fünf Jahren angedroht. Für Helfer war ein Strafrahmen von
gewisse Aufspaltung in Partikulargesetze infolge politischer Zer- einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vorgesehen. Strafaus-
splitterung eintrat. Ein Schwangerschaftsabbruch wurde hiernach schließende Indikationstatbestände enthielt das Strafrecht unmit-
als Verbrechen bewertet und geahndet. telbar bis dahin nicht, jedoch wurde tatsächlich die medizinische
ISP
Für den norddeutschen Bereich wurde die Carolina durch das Indikation entweder aufgrund des in einigen Ländern noch gülti-
Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 abge- gen § 14 Abs. l des nationalsozialistischen Erbgesundheitsgesetzes
löst. In diesem Gesetzes werk, mit dem u.a. allgemein die Todes- oder allgemein als übergesetzlicher Notstand anerkannt, teilweise
strafe aufgehoben wurde, ist im Hinblick auf den Schwanger- auch die eugenische Indikation entsprechend § lOa des genannten
schaftsabbruch bestimmt, daß „die allgemeinen Rechte der Gesetzes.
Menschheit auch den noch ungeborenen Kindern schon vor der Es wurden in der Folge verschiedene Reformentwürfe disku- a ra

Zeit ihrer Empfängnis gebühren". tiert, ehe es 1974 im Bundestag zur Verabschiedung eines Gesetzes
Am 15.5.1871 erhielt das Deutsche Reich insgesamt wieder ein kam, des Straffreiheit für Schwangerschaftsabbrüche in den ersten »fWsI
einheitliches Strafgesetzbuch, das in seiner Grundfassung bis heute drei Monaten vorsah - also eine Fristenlösung.
Geltung hat. Freilich wurde und wird es fortlaufend durch zahlrei- Zufolge einstweiliger Anordnung des Bundesverfassungsge-
che Änderungen reformiert. richts vom 21.4.1974 konnte das Gesetz nicht in Kraft bleiben. Mit
Zunächst behandelte das Strafgesetzbuch von 1871 den dem sog. „1. Fristenregelungsurteil" vom 25.2.1975 entschied das
'K;
.K-J<
Schwangerschaftsabbruch als Kapitalverbrechen mit einer Straf- Bundesverfassungsgericht, daß die völlige Freigabe des Schwan- M
drohung bis zu fünf Jahren Haft. Irgendwelche Ausnahmen waren gerschaftsabbruchs in den ersten zwölf Wochen entsprechend dem
nicht vorgesehen. Erst 1927 erkannte das Reichsgericht auf die Zu- Fristenmodell verfassungswidrig sei (BVerfGE 39, l ff). Derartiges
lässigkeit des Abbruchs, wenn andernfalls Lebensgefahr für die Recht stehe mit dem Grundrecht der Menschenwürde und dem ver-
Mutter bestand. Die Bestimmungen wurden unter nationalsoziali- fassungsrechtlichen Schutz des Lebens und der körperlichen Un-
stischer Herrschaft im Jahre 1943 erheblich verschärft - für Helfer versehrtheit nicht in Einklang. Der Gesetzgeber reagierte mit dem
wurde sogar die Todesstrafe angedroht. Zu dieser Zeit galt ein 15. Strafrechtsänderungsgesetz vom 18. 5. 1976 und entschied sich

68
dabei für eine weitreichende Indikationenlösung, die praktisch auf Auf die Hauptsache bezogen wurden zwar wegen der Entschei-
eine Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs hinauslief. Dies führ- dung des Bundesverfassungsgerichts Teile des SFHG vom
te auch zu einem starken Anstieg der Abtreibungen. Das Gesetz 27.7.1992 aufgehoben, dessen Grundkonzeption, nämlich das
bürdete den öffentlich-rechtlichen Kassen unisono auch die Ko- Beratungskonzept, jedoch übernommen. Das Gesetz folgte
stenübernahme für Abbruche auf. - gezwungenermaßen - im wesentlichen der Vollstreckungsanord-
Wegen seiner Unzulänglichkeiten war dieses Gesetz zwar vielen nung des BVerfG.
Anfechtungen ausgesetzt, blieb aber unverändert, bis durch den Um das neue Recht zu erklären, kann deshalb weitgehend auf
Beitritt der DDR der Gesetzgeber erneut zum Handeln aufgefordert die Leitsätze zurückgegriffen werden, die das BVerfG in seiner 2.
war. Fristenentscheidung vom 28.5.1993 aufstellte. Diese laufen in den
Der Einigungsvertrag ließ die im Beitrittsgebiet geltenden ver- wesentlichen Punkten auf das Folgende hinaus: Der Fetus entwik-
fassungswidrigen Bestimmungen (Fristenlösung) für eine Über- kelt sich nicht zum Menschen, sondern als Mensch, so daß dem
gangszeit in Kraft und sah vor, daß der Gesetzgeber bis 31.12.1992 Ungeborenen Menschenwürde im Sinne des Art. l Grundgesetz
eine Neuregelung, die besser am Lebensschutz orientiert sein soll- zukommt. Eine ausgebildete Personalität ist demnach nicht Voraus-
te, erarbeitet. Der Bundestag verabschiedete dann am 27.7.1992 setzung für die Zuerkennung dieser Würde, der ungeborene
das Schwangeren- und Familienhilfegesetz (SFHG), das eine Fri- Mensch hat ein eigenes, unveräußerliches Lebensrecht - Art. 2 II S.
stenregelung mit Beratungspflicht enthielt. Auch dieses Gesetz l Grundgesetz -, das nicht etwa erst durch die Annahme der Mutter
konnte wegen einstweiliger Anordnungen des Bundesverfassungs- begründet wird.
gerichts vom 4.8.1992 und vom 25.1.1993 nicht in Kraft treten. Es Hieraus folgert das Gericht das grundsätzliche Verbot des
kam schließlich zum „2. Fristenregelungsurteil" des Verfassungs- Schwangerschaftsabbruchs und somit die grundsätzliche Pflicht
gerichts vom 28.5.1993, das verschiedene Vorschriften des bean- zum Austragen des Kindes als untrennbar verbundene Elemente
standeten Gesetzes aufhob und gleichzeitig eine Vollstreckungsan- des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes während der gesam-
ordnung traf, die als quasi Ersatzgesetz bis zum 31.9.1995 galt. ten Dauer der Schwangerschaft. Demgegenüber könnten - so das
Wegen der großen Widersprüchlichkeiten dieses Urteils - dazu Gericht - die Grundrechte der Frau nicht durchgreifen. Die sich
gleich mehr - hatte der Gesetzgeber jedoch weiterhin keinen guten hier gegenüberstehenden Rechtsgüter - das Lebensrecht auf der ei-
Orientierungsmaßstab, was erneut zu einer Reihe verschiedener nen, das Selbstbestimmungs- und Persönlichkeitsrecht auf der an-
Gesetzesvorlagen führte. Endlich kam es am 21.8.1995 zur Verab- deren Seite - können nicht zu einem relativen Ausgleich gebracht
schiedung des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes werden. Von der Rechtspflicht zum Austragen des Kindes könne
(SFHÄndG), das mit dem 1.10.1995 in Geltung gesetzt wurde. die Frau daher nur in Ausnahmesituationen befreit werden, maßge-
Mit diesem Gesetz wurden die §§ 218a I bis III und 219 des bend dafür sei das Kriterium der „Unzumutbarkeit".
Strafgesetzbuchs (StGB) neugefaßt, § 218c wurde neu eingefügt. Dementsprechend stellt der geltende § 218 StGB den Schwan-
Eine Anzahl weiterer gesetzlicher Bestimmungen wurde aufgeho- gerschaftsabbruch weiterhin vom Grundsatz her unter Strafe. Für
ben oder geändert. die Schwangere gilt eine Strafdrohung bis zu einem Jahr, für Helfer
bis zu maximal fünf Jahren Haft.

71
Im Weiteren hat das BVerfG dann aber eine Kehrtwende vollzo- Schwangerschaftsabbruch - §§ 218 bis 219b StGB - sind im AN-
gen: Es hat den Bestrafungsgrundsatz des § 218 praktisch aufgeho- HANG mit ihrem genauen Wortlaut abgedruckt.
ben, indem es dem Gesetzgeber eine „Beratungsregelung" erlaubte
bzw. auftrug, die in § 218a Abs. l StGB verankert wurde. Damit hat Kritik
das Gericht Maßnahmen angeordnet, die in ihren praktischen Aus-
wirkungen in krassem Widerspruch stehen zu den von ihm selbst Die grundsätzlichen Prämissen, die das BVerfG in seiner Entschei-
aufgestellten Thesen, dem Fetus gebühre umfassender Lebens- dung vom 28.5.1993 postuliert hat, stimmen mit der von mir in den
schutz während der gesamten Dauer der Schwangerschaft. Hier- vorangegangenen Kapiteln vertretenen und ausführlich begründe-
nach hätte ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmefällen ten Auffassung von der Menschenwürde und dem damit verbunde-
straffrei gestellt werden dürfen. nen Lebensrecht des ungeborenen Kindes überein.
Die vorgesehene Beratungsregelung jedoch besagt, daß ein an Leider hat das Gericht aber die praktischen Konsequenzen, die
sich strafbarer Abbruch dann straflos bleibt, wenn die Schwangere es aus seinen eigenen Thesen für den Schutz des ungeborenen Le-
dem abtreibenden Arzt durch eine Bescheinigung nachweist, daß bens hätte ziehen müssen, mit der Installierung der „Beratungslö-
fv:Ö
sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff beraten hat lassen. sung" nicht ziehen wollen. Insoweit vermochte es wohl dem Druck
Seit der Empfängnis dürfen nicht mehr als zwölf Wochen vergan- des Zeitgeists nicht zu widerstehen. r «'*!
gen sein. Die Beratungsregelung bedeutet in Kombination mit den zusätz- >.'*-i1
,v.-?«
Darüber hinaus - d.h. auch phne vorangegangene Beratung und lichen, weitgefaßten Indikationen eine faktische Straffreistellung
nach zwölf Wochen - bleibt die Abtreibung straflos, wenn sie nach der Abtreibung. Die grundsätzliche Strafbewehrung von Schwan- « «
ärztlicher Erkenntnis „unter Berücksichtigung der gegenwärtigen gerschaftsabbrüchen in § 218 StGB wird damit ausgehebelt und
und zukünftigen Lebensverhältnissse der Schwangeren" angezeigt reduziert sich auf eine Art bloßer Appellfunktion.
ffffffÜ»
ist, um „eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwer- In der Urteilsbegründung des BVerfG ist zwar mehrfach vom
wiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Ge-
sundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr
sog. „Untermaßverbot" die Rede, wonach Strafandrohungen im
Verhältnis zum umschriebenen Tatbestand einer strafbaren Hand- i
nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden lung nicht zu milde sein dürfen. Die gefundene Gesetzesregelung,
kann" (§ 218a Abs. 2 StGB). die auf der Gerichtsentscheidung basiert, stellt aber im praktischen
In Abs. 3 des § 218a StGB schließlich ist als weiterer die Straf- Ergebnis nicht nur eine Verletzung des Untermaßverbots dar, son-
barkeit ausschließender Tatbestand derjenige der ethischen Indika- dern läuft, wie gesagt, auf eine generelle Strafbefreiung hinaus.
tion genannt, der vorliegt, wenn dringende Gründe für die Annah- Die Letztentscheidung über einen Abbruch ist nach geltendem
me sprechen, daß die Schwangerschaft auf einer gegen die Gesetz der Frau übertragen. Man kann es drehen und wenden wie
Schwangere begangenen Sexualstraftat beruht - hier wieder unter man will: Ihr Persönlichkeitsrecht ist damit über das Lebensrecht
der Voraussetzung, daß seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf des Kindes gestellt - entgegen den anderslautenden hehren Leitsät-
Wochen vergangen sind. § 219 StGB enthält Regelungen zur Bera- zen. Darin liegt der Grundwiderspruch der Gerichtsentscheidung,
tung. Die aktuell geltenden strafgesetzlichen Bestimmungen zum an die sich der Gesetzestext anschloß.

mm
Das Beratungskonzept ist der Sache nach nichts anderes als eine Schwangerschaftsunterbrechung nicht ausgehöhlt wird durch wei-
Fristenregelung mit Beratungspflicht. Das Bemühen einflußreicher testgehende Ausnahmeregelungen. Andersherum ausgedrückt: für
politischer Kräfte, das sich stets auf das Erreichen einer faktisch eine Strafbefreiung dürften nur eng begrenzte, einigermaßen kon-
unkontrollierbaren und risikolosen Letztentscheidung der Frau trollierbare Sondertatbestände in Betracht kommen.
konzentrierte, hatte letztlich Erfolg. In diesen Kreisen wird der Meines Erachtens kommen dafür nur eine strenge medizinische
Schwangerschaftsabbruch in erster Linie als Ausdruck des Selbst-
»
Indikation, d.h. also die ärztlich diagnostizierte Lebensgefahr für
bestimmungsrechts der Frau und ihrer Emanzipation gesehen. Es die Mutter im Fall der Austragung der Schwangerschaft, sowie die
geht dort erkennbar nur um das Recht .»^Abtreibung. kriminologische Indikation in Frage.
Die „beratenen" Schwangerschaftsabbrüche werden darüber Der erste Fall dürfte unumstritten sein (hinter dem gleichwerti-
hinaus noch sozialstaatlich gefördert in Form z.B. eines Anspruchs gen Lebensrecht der Frau muß das Lebensrecht des Fetus wegen
auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber bzw. eines Sozial- Notstandslage zurücktreten), im zweiten Fall muß ausnahmsweise
hilfeanspruchs. Ferner hat man die Länder sogar dazu verpflichtet, das Persönlichkeitsrecht der Frau Vorrang erhalten vor dem Le-
für genügend Abtreibungseinrichtungen Sorge zu tragen (§13 Abs. bensrecht des Kindes, da hier von einem tatsächlichen Überschrei-
2 Schwangerschaftskonfliktgesetz). Wie ist all das noch zu verein- ten der Zumutbarkeitsgrenze gesprochen werden kann. Jemanden
IS
•fti
baren mit dem grundgesetzlich verbürgten Lebensanspruch des 115
zu zwingen, die Folgen einer Gewalttat, sofern sie abwendbar sind,
Kindes? Wenn man die Begründung der Entscheidung des BVerfG zu tragen, ist unzumutbar. Zwar ist einzuräumen, daß in der Aner-
durchliest, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, es müßte kennung der kriminologischen Indikation eine Abweichung von
anstelle der ungeborenen Kinderfaas Beratungskonzept als solches der hier sonst vertretenen Linie der Erstrangigkeit des Lebens-
geschützt werden.
Auf das Strafrecht als zusätzliche und maßgebliche Schutzmaß-
rechts der Leibesfrucht vor anderen Rechten liegt. In dieser Aus-
nahmesituation jedoch, in der der Schwangerschaft keinerlei Mo-
«A
1saSi«*S&
nahme für das ungeborene Leben wurde also hier praktisch ver- ment der Eigenverantwortlichkeit der Frau zugrundeliegt, muß die- .
zichtet, denn § 218a StGB erlaubt insgesamt so gut wie in jedem ser Grundsatz zurücktreten.
Falle eine straffreie Abtreibung, sofern die schwangere Frau es nur iöft
Natürlich versteht es sich, daß der Ausnahmetatbestand nicht
wünscht. bereits auf die bloße Behauptung einer Vergewaltigung hin aner-
Einerseits betont das BVerfG selbst - zu Recht -, das Strafrecht kannt werden kann. Die Schwangere muß durch entsprechende
präge das allgemeine Bewußtsein von Recht und Unrecht am deut- Strafanzeige und sonstige Aufklärung daran mitwirken, daß der
lichsten, andererseits gesteht es dem Gesetzgeber zu, von dem von Täter möglichst gestellt werden kann. Allerdings kann die Gefahr,
ihm selbst reklamierten Erfordernis einer „wachzuhaltenden Ori- daß es vereinzelt zu Abtreibungen kommt, bei denen der Vergewal-
entierung über die verfassungsrechtlichen Grenzen von Recht und tigungstatbestand nur vorgegeben wurde, nicht ausgeschlossen
Unrecht" abzuweichen - das Strafrecht also hier, in der Abtrei- werden. An dieser Unzulänglichkeit kommt man aber letzten En-
bungsfrage, de facto außen vor zu halten. des nicht vorbei.
Das Strafrecht könnte nur dann die zu fordernde wirksame Im übrigen jedoch müßte Abtreibung unter Strafe gestellt sein.
Schutzfunktion erfüllen, wenn der Grundsatz der Strafbarkeit einer Das gilt auch für die Fälle, die vielerorts unter dem Begriff der „eu-

74 75
genischen Indikation" - es ist ein gesundheitlich geschädigtes gefühl ersetzt. Würde man das auch sonst für ausreichend halten,
Kind zu erwarten - strafbefreit sind. Insoweit gibt es inzwischen wäre alles Strafrecht ohnehin überflüssig.
immer bessere Möglichkeiten für potentielle Eltern, schon vor Ein- Warum also führt man das Beratungskonzept nicht auch in ande-
tritt einer Schwangerschaft feststellen zu lassen, ob sie etwa Gen- ren Bereichen ein? Wer eventuell Diebstahl, Raub, Vergewaltigung
träger einer Erbkrankheit sind, auch ohne daß dies bei ihnen selbst oder auch Mord begehen will, könnte sich demnach zunächst bera-
zum Ausbruch der Erkrankung führte. ten lassen. Es wird ihm ein Beratungsschein ausgestellt, und dann
Als Strafrahmen hielte ich Freiheitsstrafe für die Frau von bis zu steht es ihm frei, ob er das in Frage kommende Delikt begehen will
drei Jahren, für Helfer bis zu fünf Jahren - in Wiederholungsfällen oder nicht. Mit dem Vollzug der Tat könnte er sich schließlich Ü
auch mehr -, für angezeigt. ebenfalls aus einer „Notlage", die wirtschaftlich-sozialer, sexueller
Hierbei ist zu sehen, daß der Schwangerschaftsabbruch inner- oder auch seelischer Art sein kann, befreien!
Man sieht, wie kurios es ist, einen derartigen Weg zu beschrei-
i- &A
halb der Tötungsdelikte schon eine Sonderstellung einnimmt: Der
besonderen Situation des Neuen, evtl. auch Ungewollten, verbun- ten. Ich darf insoweit auch auf den Anhang 2 „Plädoyer für einen
den mit seelischen und sozialen Belastungen der Schwangeren, ist Bankräuber" von Rechtsanwalt Dr. Otto Gritschneder hinweisen.
damit bereits grundsätzlich Rechnung getragen. Die angedrohten Die Behauptung, das Berarungskonzept rette insgesamt mehr
Strafen liegen deshalb erheblich unterhalb denjenigen für Mord ungeborenes Leben als eine Strafdrohung es vermöchte, ist reine
oder Totschlag. Illusion. Meist wird sie wider besseres Wissen aufgestellt, ist dann
Weitet man die Indikationstatbestände über eine medizinisch nichts anderes als eine simple Lüge. Eine für die meisten Ab-
strenge Indikation und den Fall der kriminologischen Indikation bruchsfälle geltende Strafdrohung, die auch entsprechend zum
aus in Richtung auf andere gesundheitliche Befindlichkeiten und/ Vollzug käme, würde schon einmal einen größeren Teil „uner- , * •$»'<
oder auf „soziale" Indikation, müßte es konsequenterweise der wünschter Schwangerschaften" überhaupt verhindern, d.h., die
Frau überlassen bleiben, wie sie ihre Situation in Sachen „Zumut- Fälle leichtfertiger Inkaufnahme des Eintritts einer Schwanger- . "if "K

barkeit" einschätzt. Derart ausufernde Sachverhalte können von schaft etwa für „Beziehungsspielchen" - dazu unter Punkt 7 - Uvl
Außenstehenden kaum relevant beurteilt werden. würden sicher zurückgehen. Für die verbleibenden dennoch zu- r?:.y
Mit einem wirksamen Lebensschutz für das ungeborene Kind nächst gewollten Schwangerschaften würde sich die Abbruchsquo-
haben aber, um es noch einmal klarzustellen, eine Beratungs- te zusätzlich reduzieren. Der Abtreibungstourismus in „liberalere"
regelung sowie unbegrenzte „Indikations"-Freiräume nichts mehr Staaten würde zwar ansteigen, insgesamt aber würden die Abtrei-
zu tun. Abtreibungen beschränken sich damit nicht auf tatsächliche bungszahlen bei einem deutlichen Strafrecht erheblich absinken.
Ausnahmelagen - vielmehr ist es die seltene Ausnahme, daß ein Könnte man sich in größeren Teilen Europas wieder zu einer ange-
Abbruch noch mit Strafe sanktioniert wird. Anstatt das Lebens- messenen Ahndung des Tötens ungeborener Kinder entschließen,
recht des wehrlosen Ungeborenen zu schützen und eine Handlung, würde dieser Effekt erst recht eintreten. Ich sagte schon weiter
die schlichtes Unrecht darstellt, zu verbieten, hat man der Be- oben, daß - logischerweise -jede Strafdrohung im Ergebnis zu ei-
findlichkeit der Frau den absoluten Vorrang eingeräumt. Die Straf- ner Eindämmung des betreffenden Delikts führt.
drohung wurde quasi durch einen Appell an das Verantwortungs-

76 77
Ganz offensichtlich gibt es aber Menschen, die andere glauben desverfassung über das rechtliche Gehör, die sog. „due process
machen wollen, daß ein Beratungsschein etwa für straffreien Bank- clause". Die Bestimmung über das rechtliche Gehör umfasse auch
raub die Anzahl dieser Taten vermindern würde! das Recht auf Schutz der Intimsphäre („privacy"). Dieses „Recht
Freilich bleibt eine Strafdrohung dann ohne Wirkung, wenn sie auf Privatheit" wiederum sei so umfassend, daß es die Entschei-
nur auf dem Papier steht. Das ist dann der Fall, wenn sie vor lauter dung einer Frau, ob sie ihre Schwangerschaft abbrechen will oder
Ausnahmen gar nicht greifen kann, oder wenn Verstöße de facto nicht, mitbeinhalte. Die Urteilsbegründung zählt in diesem Zusam-
nicht geahndet werden. menhang eine Reihe von Belastungen auf, denen schwangere Frau-
en ausgesetzt sein können.
U S A - Rechtsstand Das alleinige Entscheidungsrecht wird der Mutter allerdings 311

nicht für die gesamte Dauer des Schwangerschaftsprozesses zuge-


Bis zu der „berühmten" Entscheidung des U.S. Supreme Court in billigt. Das Gericht räumt auch dem Staat, vor allem für das spätere
der Sache Roe v. Wade vom 22.1.1973, in der es um eine Klage Stadium der Schwangerschaft, ein gewisses Regelungsinteresse
gegen ein Abtreibungsgesetz des Staates Texas ging, gab es in den ein, das mit dem Persönlichkeitsrecht der Frau abzuwägen ist.
meisten US-Staaten ein dem texanischen Vorbild ähnliches Recht.
Das texanische Recht stellte die Abtreibung, mit Ausnahme des Entscheidend ist vor allem die Passage des Urteils, in der geprüft ÜP
IÜK
Falles der Gefährdung des Lebens der Mutter, unter Strafe. Die wird, ob nicht auch der Fetus als eine „Person" im Sinne des 14.
Strafandrohungen des Art. 1196 des Texan. Strafgesetzbuchs waren Zusatzartikels anzusehen und ihm deshalb seinerseits ein Recht auf 'Äö,

drakonisch, nämlich fünf Jahre Freiheitsstrafe bis lebenslänglich. Leben zu garantieren ist. Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, daß
Ein kleinerer Teil der Staaten hatte, auf der Grundlage eines vom das Wort „Person" im 14. Zusatzartikel das ungeborene Kind nicht
American Law Institut ausgearbeiteten „Model Penal Code", sein umfaßt.
Abtreibungsrecht allerdings durch Einarbeitung weiterer Indikatio- Zu dem Einwand des Staates Texas, das Leben beginne mit der
m
nen, in wenigen Staaten auch durch Fristenregelungen, bereits re- Empfängnis und sei von diesem Zeitpunkt ab zu schützen, bezieht
formiert. sich das Gericht auf die (damals noch) unterschiedlichen Theorien
Die Entscheidung des US-Courts fiel - ich merkte es früher zum Lebensbeginn und weicht der Frage aus. Es will insoweit kei-
schon einmal an - zu der Zeit, als sich die amerikanische Frauen-
rechtsbewegung auf ihrem hysterischen Höhepunkt befand. Ähnli-
ches vollzog sich gleichzeitig oder etwas später auch in anderen
westlichen Ländern.
ner bestimmten Theorie zustimmen. Die Unsicherheit in diesem
Punkt wird auch darin deutlich, daß mehrfach vom „werdenden"
menschlichen Leben gesprochen wird. Ein ungeborenes Kind ist
aber - heute ist das jedenfalls unbestritten - kein werdendes Leben
r•v»P
- es ist Leben.
Nach den mir vorliegenden Übersetzungen und Kommentaren be-
sagt das Urteil des Supreme Court im Wesentlichen folgendes.
Die Staatsinteressen sieht das Gericht sowohl im Schutz der Ge-
sundheit der Schwangeren als auch im Schutz des werdenden
*-* •«,*
5 >*
Einzelstaatliches Recht, das die Abtreibung verbietet, verletze "<"
menschlichen Lebens. Beide Interessen würden bei fortgeschritte- *ir
die Bestimmung des 14. Zusatzartikels zur amerikanischen Bun- ner Schwangerschaft verstärkt. Der Gesundheitsschutz der Mutter

78 79
Ü
trete etwa gegen Ende des ersten Trimesters in den Vordergrund, da ren sämtliche Einzelstaaten betroffen und mußten ihr Recht ent-
ab diesem Zeitpunkt die Sterblichkeitsraten bei Abbruchen höher sprechend anpassen. Auch dies kann als eine Merkwürdigkeit be-
würden als während des ersten Trimesters. So könne der Staat etwa zeichnet werden, da in den USA den Ländern nur in seltenen Fällen
festlegen, daß von diesem Stadium an nur besonders qualifizierte die Gesetzgebungsbefugnis vom Supreme Court entzogen wurde
Personen Abtreibungen vornehmen dürfen und/oder daß sie nur in und wird. In formaler Hinsicht war noch auffällig, daß die Klägerin
bestimmten Einrichtungen erfolgen dürfen. Dies könne von ent- das Verfahren unter einem Pseudonym führte. Es wurde nie festge-
sprechenden staatlichen Genehmigungen abhängig gemacht wer- stellt, ob sie überhaupt schwanger war. In den späteren Verfahrens-
den. stadien war sie es offenbar nicht. Sie nahm ausdrücklich in An-
Im Hinblick auf den Schutz des werdenden Lebens setze das ge- spruch, für „alle" Frauen zu handeln.
rechtfertigte Staatsinteresse mit dem Zeitpunkt der Lebensfähig- In der Folge wurde in den USA zwar von verschiedenen Seiten
keit außerhalb des Mutterleibes ein. Ab dieser Zeit dürfe der Staat wiederholt verlangt, in einem weiteren Zusatz zur Verfassung auch
die Abtreibung generell verbieten - es sei denn, sie wäre im Einzel- den ungeborenen Kindern den rechtlichen „Person"-Status zuzu-
fall wiederum unabdingbar, um das Leben oder die Gesundheit der billigen, doch blieben diese Versuche bis heute erfolglos. Aller-
Mutter zu bewahren. dings kam es - auch durch die Rechtsprechung des Supreme
Court - zu diversen praktischen Erschwerungen der Abtreibung.
Der Art. 1196 des tex. Strafgesetzes wurde mit 7:2 Richterstimmen Diese liegen in bestimmten verfahrensrechtlichen Details, beson- .£33
aufgehoben, weil er keinen Unterschied zwischen Abtreibungen zu ders aber darin, daß die Staaten grundsätzlich nicht zur Kostentra- Ä!»
•«&';
früheren und späteren Zeitpunkten machte und als Rechtfertigung gung von Abbruchen verpflichtet sind.
eines Schwangerschaftsabbruchs nur den einzigen Grund der Le-
bensgefahr der Mutter anerkannte.
Die zwei Richterstimmen des abweichenden Votums warfen der
In einer vor dem obersten Gericht zur Überprüfung stehenden Ab-
treibungsregelung des Staates Missouri hatte dieser seinem Gesetz
iSÜ
Mehrheit vor, der Bequemlichkeit und den Launen der Mutter eine Präambel vorangestellt, wonach das Leben mit der Empfäng-
mehr Bedeutung beizumessen als dem werdenden Leben. Es sei nis beginnt („life of each human begins at conception") und erklärt,
damit ein neues Grundrecht auf Abtreibung geschaffen worden. daß jedes ungeborene Kind ein schutzfähiges Interesse an Leben,
Man könne einen Schwangerschaftsabbruch aber nicht als private Gesundheit und Wohlergehen habe. Der Supreme Court hat in sei-
Angelegenheit betrachten. Ein weiterer Vorwurf an die Richter- ner Entscheidung vom 29.6.1992 diese Präambel zwar als zulässi-
mehrheit bestand darin, unverhältnismäßig weit in die Befugnisse ge staatliche Wertentscheidung interpretiert. Über ihre Verfas-
des Gesetzgebers eingegriffen zu haben - ein Einwand, der ange- sungsmäßigkeit hat er jedoch nicht entschieden mit der Begrün-
sichts vorangegangener Rechtsprechung des Courts wohl ebenfalls dung, die Präambel weise (noch) keinen unmittelbar regulativen
als gerechtfertigt anzuerkennen ist. Charakter auf. Gleichzeitig bestätigte das Gericht - trotz des heute
unbestrittenen Wissens um den Lebensbeginn eines Menschen -
Zwar bezog sich das Urteil unmittelbar nur auf Texas. Da das Ab- dennoch die wichtigsten Grundsätze des Roe-Urteils. So hielt es an
treibungsrecht jedoch als Verfassungsrecht bezeichnet wurde, wa- dem zentralen Punkt fest, wonach der Einzelne Entscheidungsfrei-

81

tsIfsämtsSSBS?«?
heit darüber habe, ob er ein Kind zeugen oder gebären wolle. Eige- US-Verfassung. Hiernach wurde einerseits gesagt, dieser Artikel
ne Interessen des ungeborenen Kindes werden damit weiterhin in verbürge die persönlichen Freiheitsrechte einer Person, zu denen
Abrede gestellt. Auch an der Grenze der Überlebensfähigkeit des auch das Recht der Familienplanung gehöre. Dieses Recht schließe
Fetus, ab der der Staat Abtreibungen grundsätzlich verbieten kann, auch die Entscheidung einer Frau, eine Schwangerschaft abzubre-
wurde festgehalten - erneut ohne nähere Begründung, warum gera- chen, ein. Dem ungeborenen Kind hat man dagegen, wie dargelegt,
de dann das staatliche Interesse an der Geburt des Kindes in den den verfassungsrechtlichen Personenstatuts abgesprochen und es
Vordergrund treten sollte. damit gleichsam zur „Unperson" erklärt.
Lediglich insofern wurde die Trimester-Regelung gelockert, als
der Staat auch schon für die Zeit des ersten Schwangerschaftsdrit- Ich halte es für falsch, das Lebensrecht ungeborener Kinder davon
tels bestimmte Vorschriften erlassen darf (z.B. solche über die Auf- abhängig zu machen, ob eine Verfassung sie als solche aus-
klärung der Schwangeren). Nicht mehr jede Einschränkung, die die drücklich erwähnt. Natürlich sprechen Verfassungen und Einfach-
Ausübung eines Abbruchs in der Praxis etwas erschwert oder er- gesetze in der Regel den schon geborenen Menschen direkt an, was
schweren kann, wird nunmehr als freiheitseinschränkend im Sinne seinen einfachen Grund darin hat, daß Ungeborene naturgemäß
des 14. Zusatzartikels angesehen. Nur übermäßige Hindernisse noch kaum in tatsächliche Rechtsbeziehungen treten können.
(Stichwort: „undue bürden") sind noch so zu bewerten. Es ist aber kurzsichtig, anzunehmen, daß gerade die Verfassun-
Darüber hinaus beschäftigt sich in diesem Urteil das Gericht gen demokratischer Staaten, die ja vor allem dem Schutz grundle-
mehr mit seiner eigenen Reputation, um deren Beschädigung es gender Menschenrechte dienen sollen, das ungeborene Leben nicht
fürchtet, falls es Roe v. Wade iij. entscheidenden Punkten aufheben genauso meinten wie das geborene. Gerade beim Schwanger-
würde. Sich mit diesem Ruf zu befassen, schien der Richtermehr- schaftskonflikt geht es um das grundlegendste Recht, nämlich das
heit des Courts wichtiger gewesen zu sein, als etwa die grundlegen- Lebensrecht, überhaupt. Man sollte also von einer Verfassung nicht
de Frage des Lebensbeginns und des Lebensrechts des Fetus im „verlangen", daß sie explizit auf das ungeborene Leben Bezug neh-
Lichte der inzwischen eingetretenen wissenschaftlichen Erkennt- men muß, um es in ihren Grundrechte-Schutz einzubeziehen.
nisse erneut zu prüfen. Es kann also nicht richtig sein, wie ein Federfuchser danach
Ausschau zu halten, ob der Fetus ausdrücklich genannt ist. Viel-
Bewertung mehr muß eine Verfassung im Lichte der Gesamtproblematik, im
Lichte der Menschenwürde und des Rechts auf Leben, interpretiert
In ihrer Essenz laufen die Urteile des Supreme Court auf einen Vor- werden.
rang des Persönlichkeitsrechts der Mutter („Right of privacy") bis Der US-Court tat das Gegenteil und nahm damit die Existenz
zu dem Zeitpunkt hinaus, in dem die Leibesfrucht außerhalb des des Ungeborenen praktisch erst gar nicht zur Kenntnis. Das unge-
Mutterleibes lebensfähig wäre. Praktisch kommt dies einer Fristen- borene Kind sei, wie das Gericht meint, keine „Person" im Sinn des
lösung gleich. 14. Zusatzartikels, weil die meisten Bestimmungen der Verfassung
Die Urteile sind in mehrfacher Hinsicht „schlechte" Entschei- in einem Sinn gebraucht würden, der nur auf schon geborene Men-
dungen. Maßgebend war die Auslegung des 14. Amendments der schen sinnvoll Anwendung finden könne - so etwa die Vorschriften

82 83
zur Wählerquaiifikation. Wenn schon so argumentiert wird, muß Selbst wenn man ein eigenes Recht des Ungeborenen außer Be-
man fragen, warum dann andererseits juristische Personen als "Per- tracht läßt, ist diese Abstufung der Interessen der Mutter und des
sonen" entsprechend dem 14. Zusatzartikel angesehen werden. Staates in sich höchst widersprüchlich.
Verfügen sie über demokratische Wählerqualifikationen? Es Einerseits nähert sich in dem Maße, in dem sich die medizini-
scheint, als ob hier ganz bewußt auf nicht vergleichbare Lebensbe- schen Risiken eines Schwangerschaftsabbruchs verringern, der
reiche ausgewichen wurde, anstatt sich etwa auf das kontextual Zeitpunkt, ab welchem der Staat Regelungen zum Schutz der Ge-
einschlägige Strafrecht zu beziehen, welches den Schutz von Le- sundheit der Mutter treffen darf, immer mehr dem Geburtszeit-
bensinteressen zum Gegenstand hat. punkt an. Andererseits ist es mit fortschreitender Medizinwissen-
Konsequenterweise ist so auch an keiner Stelle die Rede von schaft immer besser möglich, das Leben frühgeborener Kinder zu
Rechten des Fetus selbst - es geht immer nur um die Rechte der sichern, so daß umgekehrt der Zeitpunkt der Lebensfähigkeit au-
Mutter oder die des Staates. Für die 1973er-Entscheidung kann ßerhalb des Mutterleibes sich immer mehr dem der Empfängnis
man dem Gericht lediglich zugute halten, daß zu dieser Zeit die nähert.
Frage des Lebensbeginns - also des „human being", um es auf Davon abgesehen wird auch nirgends ersichtlich, warum gerade
amerikanisch zu sagen - noch etwas umstritten war. die Lebensfähigkeit zum entscheidenden Einschnitt für die Straf-
barkeit der Abtreibung gemacht wird. Das Gericht begründet seine
Völlig unvertretbar erscheint es mir weiter, in das „Recht auf Pri- Auffassung in diesem Punkt nicht näher. Wie gesagt, wird sich die
vatheit" auch noch die Entscheidung über einen Schwangerschafts- Lebensfähigkeit immer mehr nach vorne verlagern. Soll also eine
abbruch einzubeziehen. meinetwegen vor 10 Jahren vorgenommene Abtreibung an einem
Das freie Recht auf Familienplanung kann, um es wiederholt zu sechs Monate alten Fetus rechtens gewesen sein, weil es damals
sagen, nur bis zu einer Zeugung relevant sein. Sobald neues Leben noch keine ausreichende Überlebenshilfe für ihn gab, während sie
entstanden ist, kann es kein Persönlichkeitsrecht auf die willkürli- heute, da sein Überleben - jedenfalls in Einzelfällen - ermöglicht
che Vernichtung dieses Lebens mehr geben. Wenn ein Paar kein werden könnte, strafbar wäre?
Kind haben will, verfügt es gerade heute über genug Möglichkei- Dieselbe Schieflage ergibt sich, wenn man den Ort der Hand-
ten, den Zeugungsvorgang zu verhindern. Es ist also schlicht un- lung zugrunde legt. So dürften in großstädtischen Bereichen mit iffPIs

verständlich und unhaltbar, auch das schon gezeugte Leben noch


zum Gegenstand freier Familienplanung zu erklären. Derartige Be-
guten medizinischen Einrichtungen die Möglichkeiten der Überle-
benssicherung für Frühgeborene im allgemeinen besser sein als in i
ÄSs
wertungen sind eben nur vor dem Hintergrund denkbar, das unge- ländlichen Gebieten. Die Überlebensmöglichkeiten des Fetus au-
borene Leben und seine Rechte überhaupt nicht zur Kenntnis zu ßerhalb des Mutterleibes können also auch ortsabhängig sein.
nehmen. Kann also der Lebensschutz von derartigen zeit- und/oder ortsge-
bundenen Zufälligkeiten abhängig gemacht werden? Man sollte
Darüber hinaus ist die Aufteilung der Schwangerschaft in Trime- die Richter nochmals befragen! Es ist also durch nichts zu begrün-
ster rnit jeweils unterschiedlichen Rechtsfolgen aus mehreren den, wieso das Staatsinteresse an der Geburt des Kindes mit dessen
Gründen nicht nachvollziehbar. Lebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibes einsetzen sollte. War-

84 85
um soll dieses Interesse nicht für die gesamte Dauer der Schwan- in einem Urteil vom 8.8.1989 so verfahren: Da auch die dortige
gerschaft angenommen werden? Der vom Gericht gewählte Zeit- Verfassung den Fetus nicht ausdrücklich benennt, hat er ihm nicht
punkt ist nicht weniger willkürlich als jeder andere Zeitpunkt davor nur den Status einer „legal person", sondern auch den eines „hu-
oder danach. man being" kurzerhand abgesprochen!
Daß nach alltagssprachlicher Bedeutung der Begriff des „human
Insgesamt vermag ich in den besagten Entscheidungen des Supre- being" das ungeborene Leben einschließt, wurde damit abgetan,
me Court der Vereinigten Staaten von Amerika kaum etwas zu er- daß dies kein „juristisches" Argument sei.
ken^en, was begründet und einleuchtend erschiene. Dies gilt so- Damit wurden auch in Kanada Recht und Moral in eklatanter
wohl von den Grundsätzen der allgemeinen Logik her als auch in Weise voneinander getrennt, und es wurde so in der Auflösung von
rechtlicher Hinsicht: Nirgendwo erkennt man irgendeine Rechtfer- Rechts- und Lebenswirklichkeit fortgefahren.
tigung für den Trimester-Ansatz.
Während der Erörterung der Interessen der Schwangeren in den Österreich
Urteilsgründen vor allem der 1973er-Entscheidung breitester
Raum gegeben wird, leistet man im Hinblick auf das Lebensinter- Auch in Österreich konnten Gesetzgeber und Verfassungsrecht-
esse des Ungeborenen nichts weniger als einen Denkverzicht. Hät- sprechung offensichtlich nicht darin widerstehen, radikal-femini-
te das Gericht sich seiner Interessen mit gleicher Intensität ange- stischem Druck und medienverordnetem Zeitgeist ihre Referenz zu
nommen, wäre es sicher nicht zu einem Urteil gekommen, welches erweisen.
das Freiheitsinteresse der Frau eindeutig über das Lebensinteresse Der Österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) segnete am
des Kindes stellt. 11.10.1974 eine zuvor vom Gesetzgeber beschlossene Dreimonats-
De facto wird mit den Entscheidungen der US-Gerichte dort Fristenregelung ab. Auch hier vertrat das Gericht den Standpunkt,
nichts anderes als ein Grundrecht auf Abtreibung eingeräumt - Ab- das Verfassungsrecht schütze nur das Leben geborener Menschen. *$
treibung wird der „Familienplanung" zugerechnet. Der Schwan- Österreichisches Verfassungsrecht setzt sich aus drei Gesetzes- t.f.
gerschaftsabbruch sollte aber gerade nicht als ein quasi ursprüng- werken zusammen: Dem Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), dem
liches, im Bereich der Willkürfreiheit verankertes Recht verstan- Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger
den werden. von 1867, dessen Vorschriften nach Art. 149 B-VG als Verfassungs-
gesetz gelten, und der Europäischen Menschenrechtskonvention iÜf
Andere Staaten (MRK), die in Österreich unmittelbaren Verfassungsrang genießt.
Ein interessanter Aspekt ergibt sich hierbei im Hinblick auf die
Kanada nationalen Vorschriften insofern, als diese zwar eine Reihe persön-
licher Freiheitsrechte benennen, das Lebensrecht selbst jedoch
Nicht nur das oberste US-Gericht hat es sich auf die geschilderte (also auch das für geborene Menschen) - im Gegensatz etwa zum
Weise - wie zu vermuten ist - leicht gemacht, zu einer populären Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (Art. 2 Abs. 2) -
Entscheidung zu kommen. Auch der Supreme Court of Canada ist nicht ausdrücklich erwähnen. Das läßt nur den Schluß zu, daß der
ffii
86 87
Schutz dieses fundamentalsten aller Rechte als selbstverständlich 7 DIE MÄR VON DER UNGEWOLLTEN
vorausgesetzt wurde. Auch deshalb sollte man davon ausgehen, SCHWANGERSCHAFT
daß jedenfalls die Verfassungen der als demokratisch angesehenen
Staaten jeweils den umfassenden Schutz menschlichen Lebens be- Die „ungewollte Schwangerschaft" ist - naturgemäß - der Aus-
inhalten, auch wenn dies nicht buchstabengetreu umschrieben ist. gangspunkt der gesamten Debatte. Gäbe es nur erwünschte
Auch für diejenigen aber, die sich auf reine Paragraphenreiterei Schwangerschaften, brauchte man nicht um ihren Abbruch zu
beschränken, sollten alleine schon die (früheren) einfachgesetzli- diskutieren.
chen, teilweise strengen strafrechtlichen Regelungen der meisten Allerdings scheint der Begriff „Ungewollte Schwangerschaft"
Staaten zum Schwangerschaftsabbruch genügen, um schon von da- nirgendwo genauer hinterfragt zu werden.
her einen Einbezug auch des noch ungeborenen Lebens in den ver- Kann man aber bei den Möglichkeiten und dem Angebot an
fassungsrechtlichen Schutz zu erkennen. empfängnisverhütenden Mitteln und Methoden, bis hin zur Sterili-
Die MRK enthält in Art. 2 Abs. l den Lebensschutz, ohne zwi- sation, überhaupt davon reden, daß Schwangerschaften -jedenfalls
schen geborenen und noch nicht geborenen Menschen zu unter- in größerer Zahl - von vorne herein ungewollt sein können? Auch
scheiden. Dennoch glaubte der VfGH urteilen zu müssen, diese an mangelnder Sexualaufklärung kann es wohl im allgemeinen
Bestimmung beziehe sich nicht auf das „keimende Leben". Damit nicht liegen, denn noch nie wurde soviel über Sexualität und Ver-
versagte er diesem den Lebensschutz, so daß der österreichische hütung, auch in den Schulen, gesprochen wie heute.
3vs?Ä töiwÄf
Gesetzgeber nicht gehalten .ist, entsprechende Schutzvorschriften Paare, die wirklich keine Schwangerschaft wollen, können das
vorzusehen. Daß dabei die überwiegende Rechtsliteratur einen an- also nahezu vollkommen ausschließen.
deren Standpunkt vertrat, räumte der VfGH sogar ausdrücklich ein. Vor diesem Hintergrund ist es doch völlig unverständlich, daß es
Die Fristenregelung hat daher in Österreich Bestand, darüber in den vergangenen Jahren jeweils mehr als 130.000 offiziell ge-
hinaus gibt es eine medizinische und eine eugenische Indikation, meldete „beratene" Abbruche in Deutschland gab!
die auch in späteren Stadien der Schwangerschaft gegeben sein Dabei stellen diese Zahlen sicher nur einen Teil der in Deutsch-
können. land tatsächlich durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche dar. Es
sind nämlich bei weitem nicht alle Stellen, die Abtreibungen vor-
Weitere Staaten Europas nehmen und deshalb Meldung machen müßten, den Gesundheits-
behörden und dem Statistischen Bundesamt bekannt. So werden
Viele der anderen europäischen Staaten haben, wie ich oben schon Abtreibungen z.B. nicht nur von Gynäkologen durchgeführt, son-
feststellte, entweder Fristenlösungen und/oder relativ weitgehende dern auch von Allgemeinmedizinern oder Chirurgen. Zumindest
Indikationstatbestände. ihre Adressen werden jedoch von den Ärztekammern in diesem
Strenger gefaßte und auch praktizierte Indikationen gibt es, je- Zusammenhang nicht übermittelt, so daß sie auch keine ent-
denfalls nach dem recherchierten Rechtsstand bis 1993/1994, le- sprechenden Fragebogen vom Statistischen Bundesamt erhalten.
diglich in Irland, Polen, Portugal und Spanien. Abgesehen davon würde es nicht verwundern, wenn viele der Stel-
len, die vorgenommene Schwangerschaftsabbrüche an sich melden

89
müßten, dies infolge feministischer Unterwanderung bzw. Regel an das Verantwortungsbewußtsein (ihr eigenes wird damit
„abtreibungsfreundlicher Gesinnung" nur unvollkommen tun. Die allerdings umso fragwürdiger) und evtl. das Mitleid des Partners
- unzureichenden - Bestimmungen zur Bundesstatistik sind ent- appellieren. Das klappt auch oft genug - immer noch kommen
halten im sog. „Schwangerschaftskonfliktgesetz" (§§ 15-18). Be- mehr als die Hälfte der Eheschließungen erst über eine Schwanger-
stimmte Kreise wollten ohnehin jede Statistik verhindern. schaft zustande. Man könnte das Ganze - wie Esther Vilar es tut -
Viele Insider vermuten wegen der genannte Gründe eine hohe auch als „Schwängerung des Mannes" oder „passive Verge-
Dunkelziffer und nehmen die Zahl der jährlich in Deutschland vor- waltigung" bezeichnen!
genommenen Abbruche nicht mit den offiziell verkündeten 130.000 Läuft es dann nicht wie erhofft, ist natürlich der Mann der Böse,
bis 140.000 an, sondern beziffern sie auf 200.000 bis 250.000. Frau sieht sich „ausgenutzt" und „sitzengelassen". Natürlich gibt t-:«?
Jedenfalls kann es schlechterdings nicht sein, daß diesen so und es auch Fälle, in denen der Kinderwunsch zunächst gemeinsam •• $1
anders hohen Abtreibungszahlen samt und sonders Schwanger- war und gegenseitige Versprechungen gegeben wurden. Dabei *•*!
-<-">
schaften zugrunde liegen, die angeblich von Anfang an nicht ge- dürfte es sich aber eher um Ausnahmen handeln.
wollt waren. Zunächst gewollte Schwangerschaften verwandeln sich also in
Die Lebenswirklichkeit hinsichtlich der jeweils behaupteten großer Zahl erst in ungewollte.
„ungewollten" Schwangerschaften sieht demnach wohl anders aus: Es liegt aber ein großer moralischer Unterschied darin, ob - wie
Fast alle Schwangerschaften sind in Wahrheit, jedenfalls von der zu früheren Zeiten - Frauen tatsächlich mehr oder weniger in
Frau, zunächst einmal gewolk oder werden zumindest „billigend in Schwangerschaften hineingezwungen wurden - sei es wegen noch
Kauf genommen", wenn man (frau) den Einsatz von Verhütungs- nicht oder kaum vorhandener Verhütungsmethoden, sei es unter
mitteln unterläßt. Erst im weiteren Verlauf treten dann Umstände moralischem Druck der Kirchen bzw. der Gesellschaft überhaupt.
ein, die der Frau den Entschluß nahelegen, die Schwangerschaft Seinerzeit waren in der Tat viele Schwangerschaften von Beginn an
abzubrechen. ungewollt. Schon seit einigen Jahrzehnten aber kann davon keine
In vielen Fällen dürfte es bei diesem Verhalten darum gehen, Rede mehr sein.
durch eine Schwangerschaft bzw. ein Kind einen Partner an sich zu Matthias Matussek meint dazu in seinem Buch „Die vaterlose
binden oder eine schwankende Beziehung wieder zu festigen, wo- Gesellschaft": „Daß dennoch (gemeint ist: trotz der vielen mögli-
bei das männliche Pendant zuerst einmal oft gar nicht über „das chen Verhütungsmethoden) so massenhaft abgetrieben wird, läßt
Vorhaben" unterrichtet wird - im Gegenteil wird diesem häufig so- darauf schließen, daß die Frage über das werdende Leben biswei-
gar Verhütung vorgegaukelt, um dann später mit der „Über- len auf das Entscheidungsniveau gesunken ist, auf dem Funktions-
raschung", daß es ausnahmsweise einmal nicht geklappt hat bzw. störungen des Verdauungstrakts oder die Anschaffung eines Kühl-
vergessen wurde, herauszukommen. schranks abgehandelt werden."
Es ist immer noch eine beliebte Methode, die Schwangerschaft Die vielen „ungewollten" Schwangerschaften von heute stellen
als Mittel der Partnerbindung einzusetzen - ich empfehle dazu sich also zumeist als reine Egoismen der betreffenden Frauen dar.
etwa die Lektüre des köstlichen und wirklichkeitsnahen Buches Zunächst wird dabei, wie aufgezeigt, die Leibesfrucht als Test-
von Esther Vilar „Heiraten ist unmoralisch". Frau will damit in der objekt des Beziehungslebens gebraucht. Tritt der gewünschte

90 91
„Erfolg" nicht ein, wird das ungeborene Kind zum lästigen Übel, Was macht es aber für einen Sinn, überhaupt von „Menschen-
dessen man sich möglichst ungehindert wieder entledigen will. Es rechten" zu reden, wenn diese nicht auch für den ungeborenen
treten dann die großen „Notlagen" und „Unzumutbarkeiten" ein, Menschen gelten sollen? Wenn das ungeborene Kind kein Mensch
die die Tötung des Ungeborenen rechtfertigen sollen. Frau will für- ist - was ist es dann? Und wie kann aus einem Nichtmenschen ein
wahr in jeder Lage die freie Wahl haben - der angelsächsische Mensch werden? Jeder von uns befand sich selbst einmal im feta-
Name „Pro-choice"-Bewegung trifft das Ganze nur zu gut! len Zustand, und er ist und bleibt immer noch die Weiterentwick-
Jede Gesetzgebung, die den praktisch straffreien Schwanger- lung desselben. Wenn schon kein einheitliches, verläßliches Bild
schaftsabbruch ermöglicht, unterstützt demgemäß nur die Unver- vom Menschen existiert, ist es schwer, überhaupt wegweisende
antwortlichkeit im Umgang mit dem menschlichen Leben. An die- Wertesysteme zu etablieren. Dann ist die Gefahr groß, daß die Be-
i
ser Stelle sollte nochmals am Extrembeispiel bedacht werden, wie griffe des Rechtsstaats und der Menschenrechte als seiner ver-
weit die Verantwortungslosigkeit gehen kann: Soldatinnen etwa pflichtenden Grundnormen zu Gegenständen leeren Geredes ver-
führen bewußt Schwangerschaften herbei, um nicht zum Kriegs- kommen.
einsatz zu müssen - und lassen dann abtreiben. Für die Ethik gilt im allgemeinen (wenn man einmal von der HP
militaristischen Spezialität, die sich auch als „Ethik" begreift, ab-
sieht), daß sie ohne mindestens einen unbedingten Wert, von dem
n
8 SCHLUSSBETRACHTUNG aus man rechnen kann, keinen Halt findet. Meines Erachtens noch
$. mehr müßte dieser Grundsatz auch auf das Recht Anwendung fin-
Wir haben gesehen, daß im Wesentlichen zwei „Begründungen" den: Ein beständiges, zusammenhängendes Rechtsgefüge ist kaum
vorgebracht werden, um ungeborenen Kindern das Lebensrecht zu denkbar, wenn es nicht wenigstens ein Rechtsgut gibt, das grund-
bestreiten. Es ist einmal die Personalitätstheorie Peter Singers und sätzlich nicht zur Disposition stehen darf. Dafür kann wohl nichts
seiner Anhänger, die grundsätzlich nur dem erkennbar ichbe- anderes in Frage kommen als das Leben der natürlichen Rechtssub-
wußten Menschen ein Lebensrecht zugestehen will. Zum anderen jekte, also der Menschen, selbst.
wird auf juristischer Ebene teilweise behauptet, Verfassungen be- Daher nochmals: Demokratischen Verfassungen sollte es als
zögen das ungeborene Leben nicht in den Grundrechte-Schutz mit selbstverständlich zugrunde gelegt werden, den Schutz allen
ein. Mir erscheint dabei die erstgenannte Denkrichtung - obwohl menschlichen Lebens zu garantieren. Was aber selbstverständlich
sie in ihren Auswirkungen noch weitreichender ist oder es jeden- ist, muß nicht ausdrücklich normiert werden.
falls sein kann, und so sehr ich sie auch ablehne - noch die im Die Frage müßte also richtigerweise danach gestellt werden, ob
Grunde offenere, ehrlichere zu sein. Man versteckt sich mit ihr es denn verfassungsmäßige Gründe gibt, das Lebensrecht für Feten
nicht hinter angeblich fehlenden Rechtsvorschriften. auszuschließen - anstatt krampfhaft danach zu suchen, ob ihr
Wenn Gesetzgeber oder Gerichte dem Ungeborenen den Le- Schutz ausdrücklich in der Verfassung steht. Ich wüßte nicht, wel-
bensschutz versagen, so besagt das im Ergebnis auch nichts che Gründe dafür in Frage kämen.
anderes, als daß sie ihn bis zur Geburt nicht als Menschen bzw. Es erscheint feige, zur Begründung der Ablehnung des Lebens-
Person und mithin als Grundrechtsträger betrachten. rechts vorzugeben, eine Verfassung müsse dieses Selbstver-

92 93
ständliche - nämlich die Bestätigung des Anspruchs, daß die Men- geborene Kind plötzlich nicht mehr gelten? Es erscheint wohl nicht
schenwürde nicht nur die Achtung des im konkreten Falle Ver- nur mir unbegreiflich, daß bei Forschungen an in vitro erzeugten
nunftbegabten, sondern die Achtung der Menschennatur an sich Embryonen schärfste Verbote zur Geltung kommen, während das
umfaßt - explizit textlich aufweisen. Hier liegt doch wohl die An- Kind im Mutterleib so gut wie keinen Schutz genießt.
nahme nahe, so auf möglichst billigem Wege zu zeitgeistkonfor-
men Gesetzen bzw. Urteilen zu gelangen. Ich nenne es perverses Recht, wenn über das Leben der noch un-
In Wahrheit ist es jedoch eine Abkehr vieler Nationen vom Geist geborenen Menschen in der Weise verfügt werden darf, wie es die
ihrer auf-jedenfalls angeblich - humane und christliche Werte ge- geltenden Gesetze in vielen westlichen Staaten heute erlauben. Der
gründeten Verfassungen, wenn ungeborenes Leben zur Tötung frei- verantwortungslose Umgang mit menschlichem Leben wird so ge-
gegeben wird. radezu herausgefordert.
Aber auch in einigen der Staaten, in denen - wie bei uns - von Da ist es dann nur noch selbstverständlich, wenn der Erzeuger
Verfassungs wegen ein Lebensrecht der Ungeborenen grundsätz- der Leibesfrucht, auch als Ehemann, zu einem Schwangerschafts-
lich bejaht wird, zeugt die Zulassung von Beratungsregelungen abbruch überhaupt nicht befragt werden muß - von seiner Einwilli-
und weitgefaßten Indikationen von einer starken Relativierung die- gung erst gar nicht zu reden. Er muß nicht einmal darüber infor-
ses Lebensrechts. Wenn es in großem Maße mit anderen Rechtsgü- miert werden. In vielen Fällen dient er daher - nach dem Fetus
tern aufgerechnet werden kann, so begreift man es eben nicht als selbst - ebenfalls nur als eine Art Versuchskaninchen im Bezie-
ein vollwertiges Lebensrecht, sondern allenfalls als ein durch die hungsspielkasten der gnädigen Frau; auf meine Ausführungen un-
individuelle Bedürfnislage der schwangeren Frau beschränktes Le- ter Punkt 7) darf ich hinweisen.
bensrecht. Man(n) muß schon froh sein, überhaupt noch etwas zu diesem
All dies wird, um es nochmals zu unterstreichen, zugelassen, Thema sagen zu dürfen. Ich habe mir erlaubt, diese Freiheit (noch) 318
obwohl in den in Rede stehenden Nationen und Gesellschaften der in Anspruch zu nehmen.
Eintritt einer Schwangerschaft längst ohne weiteres verhindert
werden kann, sofern sie denn tatsächlich nicht gewollt ist. Bei den existenten Gesetzen braucht man nicht mehr so vorsichtig
zu sein mit der Verhütung. Abtreiben kann man ja „notfalls" immer
Eine Art „Ersatzgewissen" kommt vielfach erst dann zum Tragen, noch!
wenn es etwa um die Verwendung von Embryonen zur wissen- So ging beispielsweise in den USA nach einer Studie des Alan
schaftlichen Forschung kommen soll. Hier kann man strenge Ver- Guttmacher Instituts der Gebrauch von Verhütungsmitteln zwi-
botsgesetze fordern. Zum einen ist es -jedenfalls in Deutschland - schen 1973 und 1982 - also nach der Roe-Entscheidung - stark
modisch, gegen Gentechnologie usw. zu sein, zum anderen gibt es zurück, um sich dann zunächst auf diesem niedrigeren Level zu
hier keine starke Gegnerschaft in Form radikaler Feministinnen stabilisieren. Die Gesamtzahl der „legalen" Schwangerschaftsab-
und entsprechender Medien-Hetzkampagnen. brüche belief sich in den Jahren zwischen 1980 und 1988 auf jähr-
Soll aber, was im Embryonenschutz, beim Schutz von Tieren, lich ca. 1,6 Millionen (!). Vor 1973 kam es lediglich zu etwa ein-
Umwelt und Natur richtigerweise längst anerkannt ist, für das un- hunderttausend Abtreibungen jährlich.

94 95
Es kann wohl kaum noch einen besseren Beweis dafür geben, mehr passieren". Die allgemeinen Gefahren, die von einem derarti-
daß vor allem das Strafrecht unabdingbar ist, um ungeborenes Le- gen Umgang mit menschlichem Leben in seinen Frühstadium zu-
sätzlich ausgehen - ich habe sie eingehend dargestellt -, werden
ben zu schützen. Daß der strafrechtliche Lebensschutz unterstützt
vielerorts noch unterschätzt.
fi
und flankiert werden muß durch möglichst weitgehende soziale
Maßnahmen, durch entsprechende Beratung usw., steht ohnehin
außer Frage. Auch sind Adoptionen nach wie vor zu sehr erschwert,
Verbesserungen sind hier angezeigt.
Nur sollten wir nicht annehmen, diese Hilfen könnten an die III DAS SCHEIDUNGSUNRECHT -
Stelle des strafrechtlichen Schutzes treten. Die schutzbewirkenden DIE ABZOCKE DES JAHRHUNDERTS
Maßnahmen müssen nebeneinander existieren, nicht alternativ.
Wem es hauptsächlich darum geht, das straflose Töten zu ermög- l VORBEMERKUNG m
lichen, dem kann man die Ernsthaftigkeit bezüglich angeblicher
anderer Schutzmaßnahmen für das ungeborene Kind kaum abneh- In diesem Hauptkapitel werde ich darlegen, welches ungerechte,
men. Schließlich sollte es im Hinblick auf den strafrechtlichen über weite Strecken durch nichts zu begründende Scheidungsrecht
Schutz auch unbestritten sein, daß dieser in Konfliktsituationen mit seit mehr als zwei Jahrzehnten in Deutschland in Kraft ist. Ich wer-
Dritten, insbesondere dem Lebenspartner, die Frau in der Regel vor de dabei auch schildern, wie es zu diesem „Recht" kam - wie es
erpresserischem Druck schützt. Eine rechtlich risikolose Ab- also gelang, unter dem Deckmantel scheinbar humaner Phrasen
treibung kann viel leichte? „verlangt" werden! und Schlagworte Enteignungsideologien gegenüber „Besserge-
stellten", Männerhaß und (bewußt) falsch eingesetzte Gleichheits-
Ich bin mir natürlich darüber im Klaren, daß meine Vorschläge zur ideale in einem Gesetz zur Wirklichkeit werden zu lassen. fc
»W
•'«ür
strafrechtlichen Bewertung der Abtreibung bei der gegebenen Be- Der mit diesem „Recht" in ungezählten Fällen angerichtete
wußtseinshaltung auf politischer Ebene, wesentlich bestimmt Schaden ist riesig, das Leid der durch diese „Reform" in erster
durch die noch immer vorherrschende, von unverständlicher Ein- Linie negativ betroffenen Männer und Kinder nicht in Worten zu
seitigkeit gekennzeichnete „veröffentlichte Meinung", derzeit beschreiben.
nicht durchsetzbar sind. Das kann aber nicht bedeuten, die Hände Fast jeder, der sich eingehender mit der Materie befaßt, kritisiert
in den Schoß zu legen. Gerade in dieser Zeit sollte verstärkt darauf dieses „Recht" in zumindest dem einen oder anderen Punkt als den
'S*
hingewirkt werden, eines Tages wieder eine Bewußtseinsänderung nach einer Scheidung Unterhaltsverpflichteten gegenüber zu be-
J!
auf breiter Basis zu erreichen. Politik geht meist nur den Weg des lastend, selbst dann, wenn er dem Reformgesetz grundsätzlich
geringsten Widerstandes. wohlmeinend gegenübersteht. Die meisten Kritiker stellen die Er-
gebnisse und die Begründungsversuche dieses „Rechts" zur Gänze
Leider verdrängen viele Erwachsene die Problematik: Man hat den in Frage und bemängeln das so gut wie durchgängige Fehlen über-
fetalen Status längst hinter sich, und so fühlt man sich nicht mehr zeugender rechtsethischer Begründungen der einzelnen gesetz-
betroffen - es kann einem insoweit selbst und unmittelbar „nichts lichen Unterhaltstatbestände, nachdem die Verantwortung für das
} \
u
96 97
Scheitern einer Ehe als früherer hauptsächlicher Rechtsgrund für So gibt es den naturrechtlichen Ehebegriff, aus dem Religiösen
nacheheliche Ansprüche grundsätzlich keine Berücksichtigung kommende oder aus der Soziologie stammende, ferner auch staats-
mehr findet. und ordnungspolitische Definitionen. Die römisch-katholische
Dieses Gesetz und weitgehend auch die dazu ergangene Recht- Kirche etwa sieht, wenn ich es recht verstehe, die Ehe als die ganz-
sprechung werden auch im überwiegenden Teil der Bevölkerung heitliche Verbindung eines Mannes mit einer Frau zu ungeteilter
nicht verstanden und akzeptiert. Das wird wohl auch weiterhin so und unteilbarer Liebes- und Lebensgemeinschaft, die wesensmä-
sein, denn ein derartiges Extremrecht kann schlechterdings nicht ßig auf die Zeugung und Erziehung der Kinder hin geordnet ist.
verstanden werden. Nach klassischen Texten der Schöpfungsgeschichte hat Gott Mann
Es gibt auch im gesamten Ausland kein Scheidungsfolgenrecht, und Frau zu gegenseitiger Hilfe zusammengeführt.
das in einer solchen Vielzahl von Fällen Unterhaltsverpflichtungen Die Ehe wird den naturgegebenen, zunächst unabhängig vom
begründet, sowie in Höhe und Dauer derartige Belastungen der Recht bestehenden Gemeinschaften zugerechnet. Sie wird aber im
Unterhaltsschuldner festschreibt, wie das deutsche „Recht" es tut. Unterschied zu anderen derartigen Gemeinschaften, z.B. dem Kon-
Zudem versagt es mit seinen zwingenden Automatismen und Ge- kubinat, vom Recht anerkannt und geregelt. Rechtlich kann die
neralisierungen, die weitgehend keine Kausalprüfung verlangen Ehe als die von der Rechtsordnung akzeptierte Verbindung eines
und so Gegeneinwendungen von vorne herein ausschließen, Mannes und einer Frau zum Zwecke dauernder Lebensgemein-
großenteils Einzelfallgerechtigkeit - für ein Land, das sich als schaft bezeichnet werden. Meist werden Ehe und Familie unter
Rechtsstaat bezeichnet, ein Novum. staatlichen Schutz gestellt - in Deutschland durch Art. 6 des
-i-
Die wichtigsten derzeit geltenden Bestimmungen zum Ehegat- Grundgesetzes (GG) -, weil man sie als die Grundlage der Gesell-
tenunterhalt nach Scheidung sind zusammengefaßt im ANHANG schaft begreift.
abgedruckt. Insgesamt war und ist die Ehe in fast allen Gesellschaften und in
den verschiedenen Kulturepochen eine soziale Institution. Wäh-
rend sie in früheren Kulturen oft patriarchalisch bestimmt war,
2 ZUM EHEBEGRIFF UND EHEINHALT herrschen heute, vor allem in den hochindustrialisierten Staaten,
gleichberechtigte partnerschaftliche Beziehungen zwischen den
Bevor man sich darüber unterhält, ob, wie und mit welchen Rechts- Ehegatten vor, soweit diese nicht wiederum - wie neuerdings bei
folgen eine bestimmte Institution im Einzelfall wieder aufgelöst uns - durch Gegenübertreibungen gestört sind.
werden kann, sollte man versuchen, über die Einrichtung, deren
Auflösungsregeln im Anschluß zur Debatte stehen, selbst etwas zu Im Vorstehenden war schon mehrmals vom Begriff der „Ehelichen
sagen. Lebensgemeinschaft" die Rede. Was sollte man sich nun darunter
Es gibt eine Vielzahl von Versuchen, das Wesen der Ehe zu defi- im einzelnen vorstellen?
nieren. Viel hängt davon ab, vor welchem jeweiligen Hintergrund Die Ausgestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft betrifft
aus der Definierende agiert, von welchem vorgegebenen Selbstver- den Kern der jeweiligen Ehe. In Ergänzung äußerer (juristischer)
ständnis des Menschen er ausgeht. Definitionen geht es hier sozusagen um den „Innenbereich" der

98 99
Ehe, man könnte auch sagen, um die definitiv „gelebte Ehe". Die erzielen müssen über die konkrete Ausgestaltung ihrer Ehe. Auf-
eheliche Lebensgemeinschaft umfaßt die gesamten persönlichen grund sich ändernder äußerer Umstände wird es notwendig sein,
wie vermögensrechtlichen Verhältnisse der Ehegatten zueinander. über bestimmte Angelegenheiten zu einem neuen Konsens zu fin-
Über das Thema der Ausgestaltung ehel. Lebensgemeinschaften den. Kommt es in wesentlichen Fragen immer häufiger zu keiner
alleine könnten sicher mehrere Bücher vollgeschrieben werden. Übereinstimmung mehr, wird die Ehe gescheitert sein.
Teilweise ergibt sich der Wesensgehalt der ehel. Lebensgemein- Das in Deutschland geltende Gesetz selbst sagt zur Inhalts-
schaft naturgemäß bereits aus den diversen Ehebegriffen selbst. Für bestimmung der Ehe wenig aus. § 1353 Abs. l des Bürgerlichen
eine Ehe im richtig verstandenen Sinne muß zunächst einmal da- Gesetzbuchs (BGB) in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Re-
von ausgegangen werden, daß die Gatten eine gemeinsame Le- form des Ehe- und Familienrechts vom 14.6.1976 (1. EheRG) -
bensführung grundsätzlich bis zu ihrem Lebensende anstreben. dieses Gesetz ist Gegenstand des Scheidungsunrechts und wird
Wer sich etwa von vorne herein deshalb trauen läßt, um auf der deshalb in der Folge immer wieder Grundlage von Ausführungen
Grundlage der formaljuristischen Basis der Ehe möglichst bald und sein - unterstreicht zunächst den Grundsatz der Eheschließung auf
ohne Rücksicht auf ihren Weiterbestand lediglich wirtschaftliche Lebenszeit. In Satz 2 dieser Bestimmung heißt es dann: „Die Ehe-
Vorteile zu ziehen, hat eigentlich keine Ehe geschlossen. gatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflich-
Nach außen hin unbestritten ist, daß eine Ehe bestimmte gegen- tet; sie tragen füreinander Verantwortung."
seitige Rechte und Pflichten mit sich bringt. So schulden sich nach An dieser Stelle eine redaktionelle Anmerkung: alle nachfol-
allgemeiner Auffassung die Ehegatten Treue, Beistand, Achtung gend genannten Gesetzesbestimmungen, die keine zusätzliche An-
und Rücksichtnahme, ehelichen Verkehr, häusliche Gemeinschaft gabe aufweisen, beziehen sich auf das BGB.
und Unterhalt. Diese für jede Ehe als fundamental erachteten
Rechte und Pflichten sind einer abändernden Vereinbarung der Im weiteren sieht § 1356 Abs. l vor, daß die Ehegatten die Haus-
Eheleute weitgehend entzogen. Eine inhaltlich davon abweichende haltsführung im gegenseitigen Einvernehmen zu regeln haben, und
Verbindung wiese kaum noch etwas auf, das den Namen „Ehe" daß derjenige, dem sie überlassen ist, sie in „eigener Verantwor-
verdiente. tung" leitet. Dieser Passus wurde durch das 1. EheRG eingefügt
Über alle sonstigen Aspekte des Zusammenlebens können sich und soll zu Deutsch wohl heißen, man darf dem Haushaltsführen-
die Ehegatten frei verständigen, so z.B. über Nachkommenschaft, den - in der Regel also der Frau- nicht hineinreden. Zwischen den
Aufteilung von Erwerbstätigkeit und Haushaltsführung, Religion, Zeilen gelesen soll es wohl darüber hinaus besagen, daß auch im
Wohnsitz, Ausgestaltung der Vermögensangelegenheiten usw. Al- Falle unbefriedigender Haushaltsführung Interventionen des ande-
lerdings müssen auch diese Dinge jeweils unter dem Gesichtspunkt ren Gatten kaum erwünscht sind.
gegenseitiger Rücksichtnahme geregelt werden. Abs. 2 beinhaltet die Berechtigung beider Eheleute zur Erwerbs-
Der gestaltungsfreie innere Gehalt einer Ehe wird so im wesent- tätigkeit unter gebotener Rücksichtnahme auf die Belange des an-
lichen durch das bestimmt, was beide Ehepartner aufgrund ge- deren Gatten und der Familie. In wirtschaftlicher Hinsicht ist jeder
meinsamer Entscheidung als Sinn ihrer Ehe ansehen. In der Praxis Ehegatte berechtigt, Geschäfte zur angemessen Deckung des Le-
bedeutet das nichts anderes, als daß die Gatten Übereinstimmung bensbedarfs der Familie (sog. „Haushaltsgeschäfte") mit Rechts-

100 101
Wirkung auch für den anderen zu besorgen, § 1357 - allgemein be- 1981, die unter dem Eindruck des sich auf dem HöhepunJkt befind-
kannt unter dem Begriff der „Schlüsselgewalt". § 1360 schließlich lichen zeitgeistigen Emanzipations- und Frauenrechtswahns ver-
normiert die gegenseitige Unterhaltspflicht, die in § 1360a näher faßt wurden, nicht entgegen.
beschrieben wird.
Weiteren Bestrebungen, der „Verpflichtung zur ehelichen Le-
bensgemeinschaft" des § 1353 Abs. l auch im 1. EheRG beispiel- 3 EHESCHEIDUNG - KURZE HISTORIE
haft etwas Ausdruck zu verleihen, etwa dahingehend, die Ver-
pflichtungen vor allem zu Treue und Beistand explizit zu erwäh- Die Frage, ob und gegebenenfalls wie eine Ehe wieder aufgelöst
nen, wurde nicht gefolgt. Diese Ablehnung wurde fadenscheinig werden kann, beschäftigte die Menschen, solange es die Institution
damit begründet, es könnten bei Aufnahme solcher Beschreibun- Ehe gibt.
gen die Weiterentwicklung des Ehebildes sowie die Rechtsaus- Im germanischen Kulturkreis gab es eine Ehescheidung ent-
legung und Rechtsfortbildung gehemmt werden. Als ob etwa die weder aufgrund einer Scheidungsvereinbarung beider Ehegatten,
Treue- und Beistandspflicht in der Ehe dem jeweiligen Zeitgeist aber auch aufgrund lediglich einseitiger Scheidungserklärung des
unterworfen sein könnte! In Wahrheit wollten die Reformeiferer Mannes. Die Frau hatte nicht die Möglichkeit der einseitigen Auf-
eine Berufung z.B. auf die Treuepflicht im Fall des Scheiterns der kündigung der Ehe.
Ehe möglichst verhindern, um so Unterhaltsansprüche vor allem Als sich das Christentum im germanischen Raum verfestigt hat-
aus der Ehe ausbrechender Frauen nicht schon vom Gesetzestext te, konnten Ehen über einen langen Zeitraum hinweg bis auf weni-
her zu unterbinden. ge Einzelfälle, die meist nur einflußreichen Persönlichkeiten vor-
Auch insoweit fällt ins Auge, daß kaum ein Auslandsrecht den behalten waren, nicht aufgelöst werden. Es gab lediglich den Sta-
Begriff der ehelichen Lebensgemeinschaft so unpräzise stehen läßt tus der „Trennung von Tisch und Bett".
wie unser „Recht". In den protestantischen Teilen Deutschlands kam es seit der Re-
Da im übrigen die Verletzung der „Verpflichtung" zur ehel. Le- formationszeit zu einer Lockerung insoweit, als Scheidungen we-
bensgemeinschaft im Scheidungsfolgenrecht des 1. EheRG jeden- gen schwerer Verfehlungen, insbesondere wegen Ehebruchs, zuge-
falls für den „wirtschaftlich schwächeren" Partner - von wenigen lassen wurden. In den katholischen Gebieten verblieb es weiterhin
Extremfällen abgesehen - nicht mehr sanktioniert wird, steht die- bei der generellen Unzulässigkeit der Scheidung.
ser hehre Grundsatz nur noch auf dem Papier. Erst zu Ende des 19. Jahrhunderts wurde in ganz Deutschland
Es wird eingehend zu zeigen sein, daß eine derartige Sinnent- die Scheidung wieder grundsätzlich, wenn auch unter einge-
leerung der Ehe, die in ihren Auswirkungen vielfach sogar zu einer grenzten Bedingungen, zugelassen. Scheidung konnte nun begehrt
materiellen Besserstellung des untreuen Gatten nach einer Schei- werden, wenn der andere Gatte die Ehe gebrochen oder sich sonst
dung führt, einen beträchtlichen Anreiz zum Ausbruch aus der Ehe schwer verfehlt hatte. Die Ehe konnte nur mit entsprechendem
bedeutet oder jedenfalls bedeuten kann, in mehrfacher Hinsicht Schuldspruch geschieden werden.
grundrechtliche Nonnen verletzt. Dem stehen anderslautende Ent- Trotz der jetzt gegebenen Möglichkeit zur Scheidung kam es
scheidungen des Verfassungsgerichts aus den Jahren 1980 und auch in der Folgezeit im gesamten Reichsgebiet nur zu wenigen

102 103
Tausend Scheidungen jährlich, denn der kirchliche und auch der grundlose Verweigerung des ehelichen Verkehrs, mangelnde Rück-
allgemeingesellschaftliche Druck gegen die Scheidung waren nach sichtnahme und Verletzung der Beistandspflicht.
wie vor sehr groß. Die Scheidungsfolgen nach dem Eherecht 1938/1946 waren im
Nach dem l. Weltkrieg gab es zwar verstärkt Bestrebungen, das Wesentlichen wie folgt geregelt: Das Sorgerecht für gemeinschaft-
Scheidungsrecht zu lockern, doch wehrten sich die beiden Kon- liche Kinder mußte einem Elternteil alleine zugesprochen werden.
fessionen weiterhin nachdrücklich dagegen. Einigten sich die Eltern nicht, war es demjenigen Elternteil zu
übertragen, der das Scheitern der Ehe nicht (überwiegend) verur-
sacht hatte, sofern nicht ausnahmsweise besondere Gründe dage-
4 DIE SCHEIDUNG NACH DEM RECHT gen sprachen. Die Gesetzesregelung ging damit mehr oder weniger
VON 1938/1946 stillschweigend von der Annahme aus, daß dieser Elternteil besser
zur Erziehung geeignet war.
Erst das Ehegesetz von 1938 ließ eine Scheidung auch ohne Anspruch auf Ehegattenunterhalt hatte nur der erfolgreiche Klä-
Schuldspruch zu, wenn die Ehegatten länger als drei Jahre getrennt ger nach dem Verfahren der Verschuldensscheidung, also wieder-
gelebt hatten. Es führte damit eine erste Zerrüttungsvariante ein. um derjenige, der nicht oder nur minder die Scheidungsgründe ge-
Mit nur geringfügigen Korrekturen durch die Alliierten in 1946 setzt hatte. Demgegenüber hatte der Zerrüttungskläger, der sich auf
blieb das Recht von 1938 bis zum 30. Juni 1977 gültig. dreijährige Trennung berief, in keinem Falle Anspruch auf Unter-
Im folgenden Kontext unterscheide ich grundsätzlich in Fragen, halt. Er machte sich allenfalls selbst unterhaltspflichtig.
die sich mit den Voraussetzungen der Scheidung der Ehe selbst be- Kam das Gericht zur Entscheidung beidseitig gleich zu bewer-
fassen, und in solche, die sich auf die Folgen einer Scheidung be- tenden Verschuldens, konnte ein Ehegatte bei Bedürftigkeit ledig-
ziehen. lich nach Billigkeitsgesichtspunkten Unterhalt begehren. Dieser
Für die Scheidung der Ehe gab es nach dem Gesetz von 1938 Anspruch, der eher einer Art Beitragspflicht denn einem eigentli-
zwei wesentliche Möglichkeiten. Einmal die Schuldvariante, die chen Unterhaitsansprach gleichkam, wurde meist mehr oder weni-
nur derjenige in Anspruch nehmen konnte, der seinerseits nicht ger zeitlich begrenzt.
selbst - jedenfalls nicht überwiegend - verantwortlich zeichnete Die Kindesbetreuung als solche begründete keinen eigenen Un-
für den schlechten Zustand der Ehe. terhaltsanspruch, dieser konnte auch insoweit nur auf Verschul-
Dann auch die besagte Möglichkeit der Zerrüttungsscheidung, densgründen beruhen.
sofern dem Antrag ein dreijähriges Getrenntleben vorausging. In Soweit nach dem Gesagten Unterhaltsansprüche gegeben waren,
diesem Fall konnte auch der Verursacher der Zerrüttung die Schei- bestimmte sich deren Höhe nach den ehelichen Lebensverhältnis-
dung begehren. sen, die mit einigen Ausnahmen so zu beurteilen waren wie auch
Ehescheidungsgründe waren Ehebruch, aber auch andere nach geltendem „Recht" (dazu später mehr).
schwere Eheverfehlungen, also Verstöße gegen die sich aus der Einen Versorgungsausgleich, d.h. die gleichmäßige Aufteilung
ehelichen Lebensgemeinschaft ergebenden Pflichten, z.B. Be- der während der Ehe von beiden Gatten insgesamt erworbenen Ver-
schimpfungen, herabsetzende Äußerungen gegenüber Dritten, sorgungsanwartschaften, gab es nicht. Der nicht oder weniger

104 105
schuldige Ehegatte konnte frühere Schenkungen vom anderen zu- Scheidung des Einzelnen überlassen bleiben, ob er an einer Ehe
rückfordern. festhalten wollte oder nicht.

(Ungerechtfertigte) Kritik an der


5 DIE REFORM VON 1977 Konventionalscheidung früheren Rechts

5.1 Ursprüngliche Beweggründe Weitere Kritik machte sich - dies allerdings mehr innerhalb von
Juristenkreisen selbst - an der Praxis der sog. „Konventional-
Erleichterung der Ehescheidung selbst / scheidungen" (einverständliche Scheidungen) fest. Beanstandet
Ze rrüttungsp rinzip wurde, daß dabei häufig Scheidungsgründe nur vorgegeben wür-
den, um dem Gesetz Genüge zu tun und leichter eine Scheidung zu
Der Kritik unterworfen waren aus dem Eherecht 1946 zunächst in erreichen. Der Anteil der Konventionalscheidungen betrug ca.
erster Linie die Scheidungsmodalitäten selbst, nicht so sehr die 85 % aller Scheidungen.
Regelung der Scheidungsfolgen. Zu den gesetzlichen Scheidungs- Vor dem Hintergrund des seinerzeit bestehenden Scheidungs-
einschränkungen gesellte sich noch eine restriktive, d.h. „schei- rechts muß allerdings die Kritik an dieser Handhabung der Schei-
dungsunfreundliche" Rechtsprechung. dung weitgehend als ungerechtfertigt erachtet werden. Um eine
Man wollte für die Scheidung den Zerrüttungsgedanken gegen- Scheidung zu erreichen, mußten nun einmal wenigstens von einer
über dem Schuldgedankenf- in den Vordergrund rücken. Mit dem Seite aus gesetzlich anerkannte Scheidungsgründe vorgetragen
Zerrüttungsprinzip sollte Grundlage für die Auflösung einer Ehe werden. Dies geschah nach Absprache mit den Anwälten. Natürlich
nicht mehr ein dem einzelnen Ehegatten zum Vorwurf gemachtes konnte es dabei zur bloßen Vortäuschung von Sachverhalten kom-
ehewidriges Verhalten, sondern der Umstand sein, daß die Ehe men, andererseits mußte es aber nicht so sein. Ich vermag in dieser
- aus welchen Gründen auch immer - „gescheitert" ist. Der nun- Verfahrensweise keine negativ zu beurteilende Abwicklung da-
mehrige § 1565 definiert: „Eine Ehe kann geschieden werden, maliger Scheidungsangelegenheiten zu erkennen. Die Verein-
wenn sie gescheitert ist. Die Ehe ist gescheitert, wenn die Lebens- barungen basierten auf dem Interesse der scheidungswilligen Ehe-
gemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet leute, es mußte nicht die vielzitierte „schmutzige Wäsche" ausge-
werden kann, daß die Ehegatten sie wiederherstellen". Im Streitfall breitet werden, und die Richter waren doch in der Regel froh, wenn
muß das Gericht entscheiden, ob es eine Ehe in diesem Sinne für sie die Verfahren nach einem oder zwei Terminen abschließen
zerrüttet hält. Basis der Überlegungen war, daß niemand gegen konnten. Wenn die Parteien sich einigen konnten, mußte es letzt-
seinen Willen - und sei es nur formal - zu lange Zeit an einer an lich ihrer freien Entscheidung vorbehalten bleiben, auf welche
sich zerbrochenen Ehe festgehalten werden sollte. Das zwangs- Weise sie ihre Ehe beenden wollten.
weise Aufrechterhalten vieler solcher nur noch auf dem Papier
existenter Ehen diente auch nicht der Verbesserung der allge- Viel wesentlicher ist, vor welchem gesetzlichen Hintergrund
meinen Moral. In Zukunft sollte es also mehr der privaten Ent- Scheidungsvereinbarungen getroffen werden. Da das Vorgangs-

106 107
recht im Hinblick auf die Scheidungsfolgen auf das Verantwor- größte Belastungen trotz nicht mehr bestehender Ehe bedeuten
tungsprinzip abstellte, waren die Vereinbarungen in aller Regel können.
auch darauf abgestellt. Auch in den wenigen Verfahren, die früher bis zum Schluß strei-
Aus dem Umstand der hohen Zahl von Konventionalschei- tig blieben, kamen die Gerichte meiner Erinnerung nach - eine Sta-
dungen - wie gesagt, ca. 85 % - kann nur gefolgert werden, daß die tistik gibt es darüber nicht - meist noch zur Feststellung eines allei-
Parteien sich in fast all diesen Fällen sehr wohl ihres Schuldanteils nigen oder überwiegenden Verschuldens eines Eheteils. Auch dies
am Scheitern der Ehe bewußt waren und sie in der Vereinbarung widerspricht der Behauptung, Eheverhalten sei gerichtlich nicht
die entsprechenden Konsequenzen zogen. Wären immer beide bewertbar.
gleich Schuld oder ließe sich Schuld in Ehesachen nicht beurteilen,
wie das Neusprech-Gequassel uns verkünden will, so erschiene die Wesentlich war früher also - ob nun vereinbarte Scheidung oder
hohe Zahl vereinbarter Scheidungen nicht denkbar, wenn man die nicht - die Anlehnung der Scheidungsfolgen an das Verantwort-
damals aus der Schuldfrage abzuleitenden, gravierenden nach- lichkeitsprinzip. Dies wird gestern und heute von den meisten
ehelichen Folgen bedenkt. Menschen - wie für andere Lebensbereiche auch - als das Vernünf-
Wären sich also die Ehegatten nicht zumeist recht gut im Klaren tigste angesehen. Wer eine Ehe selbst maßgeblich zerstört hat, soll-
gewesen über ihre Verantwortlichkeit, hätten sie viel häufiger den te nicht auch noch Ansprüche hieraus ableiten können. Über das
Weg der Streitscheidung gewählt. Dagegen taugt auch der Einwand Schuldprinzip waren die Scheidungsfolgen für beide Eheteile we-
nicht, daß nach außen hin häufig zwar eine Partei die Schuld über- sentlich steuerbar.
nahm, die andere aber dennoch auf Unterhalt verzichtete. Jeder In-
sider weiß, daß in solchen Fällen der Verzichtende - meist die Demgegenüber geschehen die Scheidungsvereinbarungen nach
Frau - in Wahrheit zwar die Zerrüttungsschuld trug, formal jedoch geltendem „Recht" vor dem Hintergrund eines unglaublich einsei-
- etwa im Hinblick auf die Chancen einer Wiederheirat - gerne als tigen Gesetzesdiktats, das regelmäßig den einen Teil, nämlich den
unschuldig dastehen wollte. In solchen Situationen widersetzten sog. „Wirtschaftlich Stärkeren", von vorneherein rechtlos stellt. Er
sich viele Männer diesem Wunsch nicht. Ihnen kam es in erster Li- schließt die „Vereinbarung" nur, weil er auch nach zermürbendem
nie darauf an, wirtschaftlich möglichst unbelastet aus einer solchen Kampf durch die Gerichtsinstanzen keine Chance hätte, vielfach
Verbindung herauszukommen. aber Gefahr liefe, auch noch das Umgangsrecht zu seinen Kindern
An dieser Stelle ist überhaupt darauf hinzuweisen, daß bei ei- zu verlieren. Doch darauf werde ich später noch ausführlich ein-
nem Ehekonkurs es im allgemeinen nicht so wesentlich ist, wie gehen.
sich die Scheidung selbst vollzieht - ob also meinetwegen die Frist
für eine Zerrüttungsvermutung oder für ein Widerspruchsrecht ein
Jahr länger ist oder nicht -, denn die Fälle, in denen ein Gatte trotz
zerstörter Ehe noch mit aller Gewalt an der leeren Ehehülse festhal-
ten möchte, dürften, jedenfalls heute, selten sein. Ungleich gewich-
tiger ist demgegenüber die Regelung der Scheidungsfolgen, die

108 109
5.2 Berechtigung des Zerrüttungsprinzips für die Wer die Frage der Herausnahme des Verantwortlichkeitsprinzips
Ehescheidung als solche für die Regelung der Scheidungsfolgen bejaht, steht vor allem vor
dem Problem, wie in diesem Fall nacheheliche Ansprüche über-
Es waren also zuerst Änderungen in den Scheidungsvoraussetzun- haupt begründet werden können.
gen selbst, um die es bei der Reform gehen sollte. Der Zer- In der „Frühzeit" der Reformgeschichte hatte man - richtiger-
rüttungsgedanke, wie er oben beschrieben wurde, fand Eingang ins weise - noch erkannt, daß eine Übertragung der Zerrüttungsidee in
Gesetz. Dabei wird ohne besondere Prüfung das Scheitern einer das Scheidungsfolgenrecht gegenüber dem bisherigen Recht prin-
Ehe unwiderlegbar vermutet, wenn die Ehegatten seit einem Jahr zipiell nicht zu einer Ausweitung von Unterhaltsansprüchen führen
getrennt leben und beide der Scheidung zustimmen, bei dreijähri- konnte. Als Rechtsgrund solcher Ansprüche konnte dann eigentlich
gem Getrenntleben auch gegen den Widerspruch eines Ehegatten. nur noch eine ehebedingte Bedürftigkeit in Frage kommen. Erste
In diesem Punkt durfte man die Reformbestrebungen des Ge- Reformvorschläge der im Jahre 1968 gebildeten Eherechts-
setzgebers wohl im Wesentlichen für berechtigt halten. Es macht in kommission und ein darauf fußender Diskussionsentwurf des
der Tat keinen Sinn, einen Ehegatten, der nun einmal nicht mehr an seinerzeitigen Bundesjustizministers Gerhard Jahn vom Juli 1970
der Aufrechterhaltung seiner Ehe interessiert ist, formalrechtlich sahen daher im Wesentlichen zeitlich begrenzte Unterhaltsansprü-
noch auf lange Zeit zu binden. che vor. Bei Ehen kürzerer Dauer sollte für die Unterhaltshöhe nur
Zwar sollte es gewisse Ab warte fristen durchaus geben, um der voreheliche Lebensstandard des Unterhaltsempfängers maß-
Scheidungen nicht zu unüberlegt zu ermöglichen und auch einer gebend sein und nicht, wie es später Gesetz wurde, der eheliche
Versöhnung Raum zu belassen. Im Grundsatz aber waren insoweit Lebensstandard. Auch in der Frage der Zumutbarkeit eigener Er-
Änderungen angesagt. Die Schuldfrage vermag zur Rettung einer werbstätigkeit behandelte man den Unterhaltsfordernden noch
kaputten Ehe nichts beizutragen. nicht so großzügig wie im späteren Gesetz.
Das - vernünftige - Prinzip der Eigenversorgung bzw. Eigen-
5.3 Abkehr vom Schuldprinzip auch für die verantwortlichkeit der Ehegatten nach einer Zerrüttungsscheidung
Scheidungsfolgen? war also bis dahin durchaus noch nicht gänzlich aus dem Blickfeld
geraten. Im Ergebnis aber verblieb daraus 1977 lediglich ein bloßer
Eine ganz andere Frage ist es, ob man das Kind mit dem Bade aus- Programmsatz, der praktisch nicht mehr zu Geltung kommt.
schütten und das Zerrüttungsprinzip gleichsam lupenrein auch für Die wichtigste Folge der Herausnahme des Verschuldensgrund-
die Scheidungsfolgen als maßgeblich erachten mußte. Eine Schei- satzes bei Scheidungsfolgefragen aber wollte man - sofern man sie
dung nach Zerrüttungsgrundsätzen präjudiziert keinesfalls die An- überhaupt sah - in Kauf nehmen: Sie entbindet den wirtschaftlich
wendung dieses Gedankens auch auf die der Scheidung nach- schwächeren Ehegatten de facto von der ehelichen Loyalitäts-
gehenden Regelungen. Schon dies verkennt das BVerfG in seiner pflicht, denn er kann Unterhalt nun auch erhalten, wenn er die Ehe
Entscheidung vom 14.7.1981 (BVerfGE 57, 378), wenn es aus- selbst zerstört hat. Die Grundsätze des § 1353 sind deshalb das Pa-
führt, dem Wegfall der Verschuldensprüfung bei der Scheidung ent- pier nicht wert, auf dem sie geschrieben stehen!
spräche es, wenn dies auch im Scheidungsfolgenrecht so sei.

110 111
Als insbesondere in den Frauenverbänden die zunächst vorge- beeinträchtigend und damit störend erwies, ab sofort mit allen Mit-
sehene Einschränkung nachehelichen Ehegattenunterhalts ruchbar teln bekämpft werden. An die Stelle personal veranwortlichen
wurde, gab es lautstarken Protest. Man stand vor der Frage, ob man Handelns in der Ehe trat nun ein Konglomerat verniedlichender
bezüglich der Scheidungsfolgen das Festhalten am bisherigen Ver- Formulierungen. Eine eher geheimnisvolle, unabwendbare
schuldensgrundsatz fordern sollte. Gleichzeitig erkannte man in ei- „Schicksalhaftigkeit" wurde jetzt zur allgemeinen Ursache deut-
nem Umfeld ständigen Gejammers um allgegenwärtige Frauen- scher Ehepleiten erklärt.
benachteiligung die Jahrhundertchance, den Zerrüttungsgedanken
nicht zur Einschränkung, sondern vielmehr zur (uferlosen) Aus- 5.4 Zu einzelnen „Begründungen" der
weitung nachehelichen Unterhaltsrechts einzusetzen. Nichtberücksichtigung von Verantwortlichkeit
Protest kam teilweise auch aus den Reihen der CDU/CSU: Dort
befürchtete man offenbar ein umfangreiches Ausbrechen von Män- „Eheverschulden durch Gerichte nicht feststellbar"
nern aus der Ehe, wenn sie keine nennenswerten Folgen mehr er-
warten mußten auch im Falle selbst zu verantwortender Ehezer- Mit als Erstes wurde die Königsidee geboren, zu behaupten, eheli-
rüttung. Allerdings wurden dabei die Auswirkungen in umge- ches Verhalten entziehe sich gerichtlicher Aufklärung und Bewer-
kehrter Richtung übersehen: Bei der jetzt gegebenen nahezu tung.
lückenlosen unterhaltsrechtlichen Absicherung der Frauen sind sie Stellvertretend auch für andere mehr oder weniger kunstvolle
es, die in großer Zahl die Ehe flüchten. Nicht nur sind die Schei- Beschreibungsversuche dieser These möchte ich aus den Begrün-
£ dungszahlen nach 1977 absolut immer mehr angestiegen, in rund dungsmaterialien des 1. EheRG zitieren:
75 % der Fälle begehren heute die Frauen die Scheidung. Es wurde „ Die Zerrüttung einer Ehe ist in der Mehrzahl der Fälle
ganz einfach unterschätzt, daß die Aussicht, seinen Unterhalt vom ein längere Zeit währender Prozeß, in dem die Bezie-
„Ex" auch zu bekommen, ohne ihm noch das Essen bereiten oder hungen zwischen den Ehegatten sich in steigerndem
seine Wäsche waschen und die Hemden bügeln zu müssen, für vie- Maße so verschlechtern, daß die eheliche Lebensge-
le nur allzu verlockend war und ist. Wenn er ausreichend verdient, meins chafi schließlich zerstört wird. Die Gründe für
klappt das Abkassieren wunderbar. Gleichzeitig schadet auch ein diese Entwicklung der Ehe sind überaus vielgestaltig
neuer Lover nichts, wenn frau es nur einigermaßen geschickt an- und bilden häufig ein unentwirrbares Geflecht. Sie lie-
stellt. gen nicht nur in schuldhafien Eheverfehlungen. Sie sind
!
l Hatte man wirklich ernsthaft geglaubt, Frauen würden die ihnen auch zu suchen in Anlässen und Umständen, die von
j zustehenden Möglichkeiten nicht ausnützen? Vielleicht tun sie es dem Verhalten der Ehepartner unabhängig, von ihren
i
sogar mehr als Männer! Lebensumständen und Lebensverhältnissen bestimmt
In dem schon besagten Umfeld allgemeiner Frauenrechtshyste- oder schicksalbedingt sind. "
rie verfestigte sich in den entsprechenden Kreisen die Idee, aus Dieses Soziologen-Gestammel disqualifiziert sich zunächst schon
dem Zerrüttungsprinzip Kapital zu schlagen. Dazu mußte der aus dem eigenen Sprachgebrauch heraus als Grundlage für eine
Schuldgedanke, der sich nunmehr als grundsätzlich anspruchs- durchgehende Rechtfertigung der Schuldlosscheidung. Selbst

112 113
wenn, wie behauptet, die „Mehrzahl" der Fälle so gelagert wäre häufig auch ohne weiteres nachweisbar ist, soweit es nicht ohnehin
wie vorgegeben, bliebe eine „Minderzahl" (wie groß soll der Anteil zugegeben wird.
sein?), in denen es nicht so ist. Auch wenn weiter die Gründe für Sehen wir uns doch die Probleme an, wegen derer es am häufig-
die Ehezerrüttung „häufig" ein unentwirrbares Geflecht bilden sten zu Ehescheidungen kommt. An erster Stelle finden wir hier
würden, wäre das wiederum „weniger häufig" eben doch nicht der immer noch das Eingehen einer neuen Beziehung, dahinter kom-
Fall. Liegen „nicht nur" schuldhafte Eheverfehlungen vor, lautet men Dinge wie Trunk- oder Drogensucht eines Ehegatten, schlam-
der logische Umkehrschluß, daß dies jedoch meist so ist. pige Haushaltsführung und Kinderbetreuung, Schuldenmachen,
Schon bis hierhin bleibt also völlig unverständlich, wie derartige Beleidigungen und Verleumdungen, körperliche Angriffe und Intri-
Einlassungen von den Verantwortlichen in Gesetzgebung und gen aller Art. Dieses ehebeeinträchtigende Verhalten geht in aller
Rechtsprechung als generalisierendes Prinzip für eine völlige Um- Regel nur von einem der Ehegatten aus.
krempelung eines der bedeutendsten Lebens- und Rechtsbereiche Jetzt werden die ganz schlauen Einebnungskünstler kommen
hingenommen werden konnten. und sagen, man müsse doch untersuchen, warum ein Ehegatte sich
Darüber hinaus hätte natürlich gefragt werden müssen, ob die so verhalte; ob nicht der andere Veranlassung dazu gegeben habe.
Behauptungen überhaupt mit der Lebenswirklichkeit überein- Andernfalls laufe man Gefahr, nur den Letztzustand der Ehe zu be-
stimmen. urteilen. Die Antwort darauf kann nur lauten: Natürlich soll das in
Wie ich schon ausführte, spricht gerade die Scheidungspraxis den umstrittenen Fällen geprüft werden - Verschuldensprüfung
des früheren Rechts nicht dafür: Die Eheleute waren sich in der kann nur umfassend sein. Im übrigen wurde das früher ja auch so
großen Mehrzahl der Fälle (und nicht umgekehrt) der Zurechnung gehandhabt. Am Ergebnis ändert sich dadurch nichts: es wird in der
der Zerrüttungsschuld wohl bewußt, ebenso gingen sie meist von Regel kein ins Gewicht fallender, nachvollziehbarer Grund für das
deren gerichtlicher Nachprüfbarkeit aus. Andernfalls wäre es in schwerwiegende Fehlverhalten eines Gatten erkennbar, der es
Anbetracht der Bedeutung des Verschuldens für die Folgerege- rechtfertigen könnte.
lungen (Kindeszuspruch, Unterhalt) wesentlich häufiger als nur in Kann aber im Einzelfall kein überwiegendes Verschulden ausge-
etwa 15 % zu Streitscheidungen gekommen. Dieses möglichst alles macht werden, so hindert(e) das Gericht niemand, dies festzuhalten
einebnende, persönliche Verantwortung verniedlichende Gelaber und die Scheidungsfolgen daran zu orientieren.
nach dem Motto „es sind immer beide schuld" hat also nicht viel
mit Lebenstatsachen zu tun. Zum Gelingen einer Ehe müssen zwar Manche Zeitgenossen sind im übrigen sogar davon überzeugt, es
beide Partner beitragen, für ihre Zerstörung jedoch reicht einer aus. gäbe menschliche Schuld gar nicht, die Menschen könnten also
nichts für ihr Verhalten. Führt man diesen Gedanken zu Ende, so
Natürlich gibt es Fälle, in denen es in der Tat schwierig ist, die könnte es letztlich auch keinen freien Willen geben. Menschen wä-
Schuldfrage zu klären, und in denen die Eheerosion einen eher ren dann seelisch erst gar nicht therapiefähig, die Menschheit ins-
„schicksalhaften" Verlauf nahm. Sie sind aber in der Minderzahl. gesamt ein pathologischer Fall.
In den meisten Fällen zerbrechen Ehen nun einmal aufgrund eines Selbst wenn diese Vorstellung zuträfe, müßten die Menschen
mehr oder weniger eindeutigen Fehlverhaltens eines Partners, das sich -jedenfalls wenn sie überleben wollen - eine Ordnung setzen,

114 115

'.-,":• ;rSä» ".^


m
l

die ihnen das Überleben einigermaßen sichern kann. Diejenigen, zu bemerken scheinen, auf welch dünnes Eis sie sich selbst bege-
l die diese Ordnung verletzen, müßten auch dann gemaßregelt bzw. ben, wenn sie für das Eherecht die Möglichkeit der Schuldfest-
l stellung verneinen. Der Richter muß schließlich auch im gesamten
weggesperrt werden, wenn man davon ausgeht, sie könnten nichts
für ihr Verhalten, weil sie sozusagen entsprechend „programmiert" übrigen Rechtsbereich ständig menschliches Verhalten bewerten -
sind. Andernfalls würden auch andere, die an sich „normgerecht" es geht ja auch gar nicht anders, um zu einigermaßen gerechten
veranlagt sind, den Ordnungsrahmen überschreiten - insbesondere Urteilen zu kommen. Auch in anderen Prozessen ist es vielfach
dann, wenn sie sähen, daß die „programmierten" Verletzer nicht schwierig, die Sachverhalte aufzuklären und festzustellen, was von
nur sanktionslos bleiben, sondern aus ihrem Verhalten auch noch welcher Partei „zu vertreten" ist. Im Strafprozeß schließlich geht es
Vorteile ziehen können. Und wer vermöchte dann überhaupt noch ohnehin um Schuldermittlung und -feststellung pur.
zu unterscheiden, wer nun wirklich „etwas dafür kann" und wer Die Justizmaschinerie wird also sonst - zurecht - bei jedem
nicht? 500-DM-Prozeß in Gang gesetzt ebenso wie bei einer Straßenver-
kehrsübertretung, und alle Details werden von Amts wegen oder
Die meisten Befürworter der Schuldlosscheidung stellen die Exi- auf Antrag hin geprüft. Im Ehescheidungsverfahren dagegen, wo es
stenz menschlicher Schuld nicht in Abrede - sie geben nur vor, um den Zuspruch des Sorgerechts für Kinder sowie um Entschei-
man könne sie bei Ehestreitigkeiten nicht abklären. Leider kommt dungen mit schwerwiegenden, langdauernden wirtschaftlichen Be-
dieser Einwand zum Teil auch aus Juristenkreisen selbst, gerade lastungen geht, entzieht man sich mit der billigen Ausrede, hier sei
auch von Richtern in Ehesachen. Insoweit dürften allerdings ganz Fehlverhalten nicht abklärbar, seit nunmehr zwei Jahrzehnten weit-
profane, neben der Sache liegende Dinge im Hintergrund stehen: gehend der Aufklärung und Würdigung von Sachverhalten. Das ist
Es ist für einen Familienrichter natürlich viel einfacher, keine in Wahrheit nichts anderes als Rechtsverweigerung und eines an-
Verantwortlichkeitsprüfung vornehmen zu müssen und nach geblichen Rechtsstaats unwürdig.
„Schema F" entscheiden zu können. Alles andere ist wesentlich 100 Jahre lang konnte ScheidungsVerantwortung gerichtlich be-
komplizierter und würde auch viel mehr Arbeit machen. Natürlich urteilt werden - seit 1977 soll das plötzlich nicht mehr möglich
wird dieses eigentliche Motiv kaum zugegeben. sein!
Mehrarbeit und/oder schwierigere Arbeit können aber niemals Wenn die Gerichte menschliches Verhalten nicht mehr bewerten
ein Grund sein für unsachgemäße Gesetze und ungerechte Recht- wollen, sind sie ebenso überflüssig, wie die gesamte Rechts-
sprechung. Dann muß der „Rechtsstaat" eben für die Vorhaltung ordnung es dann selbst wäre. Anarchie und Chaos können sich
entsprechenden Personals Sorge tragen. Manche Juristen, ins- dann ungehindert breitmachen. Die Ehe ist bereits zu einem weit-
besondere auch aus Hochschulkreisen, mögen sich darüber hinaus gehend rechtsfreien Raum gemacht worden.
nicht gerne eingestehen, daß sie sich mit ihrer seinerzeitigen Kritik Die Justiz stellt sich also selbst in Frage, wenn sie sich nicht
des Verschuldensprinzips - immer, wohlgemerkt, auf das Schei- mehr zur Aufklärung und Beurteilung von Lebenssachverhalten in
dungsfolgenrecht bezogen - und in der Einschätzung der Auswir- der Lage sieht. Selbst wenn in Ehesachen die Verantwortlichkeits-
kungen der Scheidungsreform schlicht geirrt haben. prüfung sich allgemein etwas schwieriger darstellen sollte als in
Besonders bedenklich stimmt aber, daß viele Juristen gar nicht anderen Zivilprozessen, kann dies niemals ein Grund sein, eine

116 117
Aufklärung von vorneherein zu verweigern. Wenn eine Partei dies „ Vermeidung des Waschens schmutziger Wäsche "
wünscht, muß sie zumindest ernsthaft versucht werden. Daran än-
dert der Einwand nichts, daß es falsche und ungerechte Entschei- Mit zu den scheinheiligsten und vordergründigsten Argumenten
dungen trotz aller Aufklärungsversuche immer wieder geben wird. gegen die Wiedereinführung des Schuldprinzips gehört das sich
II Wir müssen zufrieden sein mit annähernd vollkommenen Entschei- auf den ersten Blick so human ausnehmende Statement des
dungen. „Schmutzige-Wäsche-Waschens". Um dies zu verhindern, sollte
Ein grob rechtsverkürzend abgefaßtes Gesetz wie das 1. EheRG der Richter nicht in die „Intimsphäre der Ehe" eindringen - die Par-
aber, das dem Richter die exakte Einzelfallprüfung praktisch ver- teien wünschten dies angeblich nicht.
bietet, verletzt die rechtsstaatliche Grundordnung, wie sie auch in Natürlich wird niemand bestreiten, daß es grundsätzlich unange-
Art. 20 Abs. 3 GG normiert ist. nehm ist, vor Gericht mehr oder weniger unschöne Details ausbrei-
ten zu müssen. Freilich können die Parteien das ohnehin vermei-
Noch eine Stufe abwegiger als das allgemeine Argument angeblich den, wenn es ihnen gelingt, sich fair über die Scheidungsbedingun-
mangelnder Justitiabilität ist der gelegentlich zu hörende Einwand, gen zu einigen. Ein unabdingbarer Zwang zum „Wäschewaschen"
S3| der Richter müsse bei der Verschuldensbewertung seine persön- besteht also, welches Scheidungsrecht auch zugrunde liegen mag,
lichen Moralvorstellungen einbringen, was unerwünscht sei, ein- so und anders nicht. Ist eine Einigung aber nicht möglich, so wird
zuordnen. der Ehegatte, der sich im Wesentlichen ehegerecht verhalten hatte,
Man muß sich wirklich fragen, auf welchem Planeten die Leute es gerne in Kauf nehmen, einen Tag schmutzige Wäsche zu wa-
m eigentlich leben, die derartigen Unsinn in die Debatte bringen. Es schen, wenn er damit schwersten nachehelichen Belastungen ent-
ist doch die natürlichste Sache der Welt, daß jeder Richter m jeder gehen kann. Für seinen Gegenpart freilich gilt genau Umgekehrtes:
Sache zwangsläufig auch seine eigene Auffassung von Moral und um möglichst unbehelligt abkassieren zu können, soll der gesamte
Gerechtigkeit in die Entscheidung mit einbringt, ja sogar mit ein- Eheschmutz unter den Teppich gekehrt werden!
m
m bringen soll - andernfalls wäre er kein Mensch. Wir sprechen hier Im übrigen ist der Richter vielfach auch heute dazu gezwungen,
von der irdischen, noch nicht von der göttlichen Gerechtigkeit. In den Ehezustand genau zu untersuchen. So z.B., wenn Uneinigkeit
jedes Urteil eines Strafrichters etwa fließen selbstverständlich sei- über den Zerrüttungstatbestand selbst besteht und gewisse Fristen
ne eigenen Wertungen über das Schuldausmaß mit ein - es geht ja noch nicht erreicht sind. In vielen anderen Fällen führt spätestens
gar nicht anders, denn schließlich ist er es ja, der mit der Entschei- der Streit um das Sorgerecht der Kinder zur Schlammschlacht, weil
dung beauftragt ist. ein Ehegatte dem anderen Erziehungsunfähigkeit nachweisen will.
Oder sollte man in Zukunft anstelle der Richter Paragraphen- Darüber hinaus wird - wenngleich infolge der restriktiven Hand-
m Computer, von einem Programmierer bedient, einsetzen? Auch
kann jemand bekanntlich von weiterführenden Rechtszügen Ge-
habung meist ohne tatsächlichen Erfolg - in einem Teil der Fälle
versucht, das Vorliegen schwerwiegenden Fehlverhaltens im Sinne
jjj
brauch machen, wenn er der Auffassung ist, ein Urteil sei zu sehr des § 1579 nachzuweisen. Selbstverständlich geht dies nur unter
von der subjektiven Haltung des Richters geprägt. Erhebung entsprechender Vorwürfe. Mit einem verschuldensunab-
hängigen Scheidungsfolgenrecht können also keineswegs Härte,

118 119

&tma0atu4ll>iSläUSl*-&<äl*~!' .»JM*."*»!
Schärfe und Verbitterung aus der Auseinandersetzung genommen behalte, während sie der wirtschaftlich Schwächere, in der Regel
werden - vielmehr wird die Verbitterung desjenigen, der jetzt zu also die Frau, bei ehelichem Fehlverhalten verlöre. Dies verletze
Unrecht bluten muß, oft ins Unerträgliche gesteigert werden. Di- sogar das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG.
verse Exzesse haben das schon genug verdeutlicht, und es scheint Diese Auffassung „übersieht" schon einmal ganz bewußt, daß es
eher verwunderlich, daß sie in nicht noch größerer Zahl aufgetreten einen gewaltigen Unterschied ausmacht, ob der Mann nach Schei-
sind. dung Unterhaltsansprüchen ausgesetzt ist, weil er sich wesentlich
Auch im Hinblick auf das „Schmutzige-Wäsche-Waschen" gilt gegen Ehepflichten verfehlt hatte, oder ob er aufgrund ehekonfor-
nun einmal, daß Gerichtsfälle naturgemäß Streitsachen sind. Wie men Verhaltens davon freigestellt ist. Um diesen „kleinen" Unter-
soll ein Gericht zu einem einigermaßen sachgerechten Urteils- schied geht doch letztlich die gesamte Auseinandersetzung, und
spruch kommen, wenn die Streitdetails erst gar nicht aufgeklärt Bücher wie dieses müßten sonst gar nicht erst verfaßt werden.
werden? Überdies ist die Finanzierung von zwei Haushalten bekanntlich et-
I
l Es kann hier also nicht in erster Linie um die Hygiene am Rich-
tertisch gehen. Vielmehr hat zu gelten, was z.B. Friedrich Karl
was teurer als die nur eines Haushalts, so daß es für den unterhalts-
zahlenden Ehezerrütter auch unter der Regie des Schuldgedankens
Fromme in der FAZ vom 3.7.1984 sagte: „Gerichte sind keine ein zusätzlicher wirtschaftlicher Nachteil ist, geschieden zu sein.
Mädchenpensionate, von deren Insassen Häßliches fernzuhalten So mag zwar der sich verfehlt habende Mann seine „Existenz-
wäre. Gerichte haben dann zu entscheiden, wenn zwischenmensch- grundlage" nicht verlieren (nicht selten verliert er sie auch), oft ge-
liche Beziehungen sich nicht mehr autonom regulieren lassen. nug wird er aber auf ein Existenzminimum zurückgestuft oder ge-
Auch in einem Mietprozeß kann das Gericht nicht sagen, es wolle rät in die Nähe dessen. Das Existenzminimum muß in jedem Falle
s all das Häßliche über wechselseitige Quälereien nicht hören. Wer auch der Frau verbleiben - sei es in Form von Unterhalt oder durch
nur mit Angenehmem zu tun haben möchte, wäre besser nicht Rich- öffentliche Unterstützung. „Existenzgrundlage" ist erforderlichen-
ter geworden, und wenn es gälte, nur einen Stempel unter ein von falls anstelle des Mannes eben das Sozialamt. Das Geld der Sozial-
den Parteien vorbereitetes Papier zu setzen, dann istderStemple r'- behörde ist im Zweifel ebensoviel wert.
der Familienrichter - überbezahlt; ein Obersekretär könnte das Die Abschaffung des Verschuldensprinzips kann also in keiner
auch. " Weise für ein geeignetes Mittel gehalten werden, um bei der Schei-
dung von Ehen wirtschaftliche Nachteile nicht oder nicht voll er-
werbstätiger Frauen auszugleichen etwa nach dem Motto „weil du
Die angeblich nachteilige Behandlung der Frau weniger verdienst, darfst du dir in der Ehe alles erlauben und er-
bei Anwendung des Schuldprinzips hältst dennoch Unterhalt". Derartige Einstellungen zeugen nur ein-
mal mehr von einem Verständnis der Ehe als einer immer-
Zur Verunglimpfung des Schuldgedankens wurde eine weitere währenden Versorgungseinrichtung auch über eine Scheidung hin-
Phantasterei in den Diskurs eingeführt. Sie behauptet eine Un- aus. Der wirtschaftliche Nachteil des sozial Schwächeren soll nach
gleichbehandlung der Parteien insofern, als der wirtschaftlich stär- diesen feinen Ansichten durch die Rechtlosstellung des anderen
kere Gatte im Falle seines Verschuldens seine Existenzgrundlage Ehepartners kompensiert werden - noch deutlicher können Umver-

i 120 121

PE
Sl

teilungs- und Enteignungsideologien wohl nicht mehr formuliert Das 1. EheRG setzt im Widerspruch zu seiner Begründung die
werden. Mit Gleichberechtigung aber hat dies nicht das Geringste Alleinverantwortlichkeit eines Teils voraus. Es wird einzig der
zu tun! Schutz des wirtschaftlich Schwächeren bedacht und auch noch un-
i
Das Verschuldensprinzip wird der Gleichbehandlung der Gatten verhältnismäßig überzogen.
viel eher gerecht: Der für das Scheitern der Ehe nicht oder nur min-
der Verantwortliche konnte Ersatz des durch die Scheidung einge- Mit all diesen Einseitigkeiten wird der Gleichheitssatz in der Tat
tretenen Nachteils in Form von Unterhalt verlangen und war sei- tangiert.
nerseits von Unterhaltspflichten freigestellt. Er hatte so - im Ge- Da die Benachteiligten in fast allen Fällen Männer sind, ist de-
gensatz zum geltenden „Recht" - wenigstens nicht auch noch ren materielle Gleichbehandlung zugunsten einer Vorrangstellung
wirtschaftliche Nachteile zu befürchten. Jeder Gatte hatte es damit der Frau aufgegeben. Art. 3 Abs. 2 GG ist damit klar verletzt -
weitgehend selbst in der Hand, über sein Schicksal zu bestimmen. wenngleich, wie bewiesen werden konnte, nicht in dem Sinne, wie
Gerade das Verantwortlichkeitsprinzip wahrt also das Selbst- die feministische Seite dies für das Schuldprinzip vorgeben möch-
bestimmungsrecht und die Möglichkeit freier Selbstentfaltung der te. Sie möchte die Dinge auf den Kopf stellen und begreift von
Eheleute. Es wirkt darüber hinaus eheerhaltend, weil eben die Fol- Hause aus die Ehe als nichts anderes als einen Versorgungshafen
gen eheschädigenden Verhaltens die Gatten verstärkt davon abhal- für die Frau, der unter allen Umständen Bestand haben muß. Es
ten werden, leichtfertig und mutwillig die Lebensgemeinschaft zu scheint dort nicht zur Kenntnis genommen zu werden, daß die
beeinträchtigen oder aufzukündigen. „Existenzgrundlage", deren Verlust befürchtet wird, sich schließ-
Das starke Ansteigen der Scheidungszahlen ist zwar sicher nicht lich in der Person des Mannes manifestiert. Wer aber seinen Ehe-
nur auf die Scheidungsgesetzgebung zurückzuführen, doch wirkt gatten als Vermittler der wirtschaftlichen Basis behalten will, darf
auch diese scheidungsfördernd - ob man das nun wahrhaben diesen doch nicht wie den letzten Putzlappen behandeln. Wenn
möchte oder nicht. doch, so muß er als seine wirtschaftliche Existenz unter Umstän-
Das Prädikat der Ungleichheit verdient also nicht das frühere den eben die Sozialbehörde in Kauf nehmen. Wie kann man sich
Recht, sondern es haftet in eklatanter Weise dem heutigen Gesetz auf eine Existenzgrundlage berufen, die man selbst erschüttert?
an: Die eheliche Verantwortung existiert de facto jetzt nur noch für Hier fehlt doch jede Spur von Gerechtigkeitssinn. Kann sich dahin-
den wirtschaftlich stärkeren Eheteil, während der andere verant- ter etwas anderes verbergen als der Gedanke „von dir als Person
wortungslos handeln darf, ohne daraus irgendwelche Sanktionen möchte ich nichts mehr wissen - deine Kreditkarte aber mußt du
befürchten zu müssen. Dieses „Recht" erlaubt es, ohne Rücksicht- hier lassen!"?
nahme die Rechtsposition eines anderen zu verschlechtern. Der Derart abstruses Gedankengut konnte wiederum nur im Bereich
eine Ehegatte wird vom guten Willen des ändern abhängig und des Eherechts aufgetischt werden und auch Platz greifen. Auch die-
kann sich durch eigenes Verhalten nicht vor einschneidenden nega- se „Idee" findet sich in der Regierungsbegründung des 1. EheRG,
tiven Scheidungsfolgen schützen. Die Risiken des Scheiterns der auch ihr wurde vom BVerfG nicht widersprochen.
Ehe sind damit ungleich verteilt, sie werden einseitig nur einem
Teil - in Form der Unterhaltslast - zugewiesen.

122 123

j^ÖWK^e^&^tnW*^^*' *--"**•*»"•'
fJffiSlI^''ii^
„Sanktion ehewidrigen Verhaltens ist der Scheidung erfahrbare" Situationen der Frauen, aus denen sich
unzulässige Scheidungsstrafe " das „beanstandete Verhalten" ergibt, nicht ausreichend berück-
sichtigt (S. 871 aaO). Mit diesem pseudowissenschaftlichen, ge-
Der Reigen skurriler Einwände gegen die Prüfung ehelicher Ver- spreizten Gerede wird der Versuch unternommen, praktisch jedes
antwortung im Scheidungsverfahren wird abgeschlossen mit der Verhalten einer Frau in der Ehe zu entschuldigen. Für mich bleibt
These der „unzulässigen" bzw. „sachfremden Scheidungsstrafe". unerfindlich, wie man derart einseitig an die Problematik heran-
So verstieg sich etwa Jutta Limbach, heute Präsidentin des gehen kann.
BVerfG, in diesem Zusammenhang zu der Äußerung (Neue Juristi- Man muß Limbach doch fragen, ob sie denn allen Ernstes erwar-
sche Wochenschrift - NJW - 1980, S. 874), ehelicher Unterhalt tet, Männer sollten lieblose, ja überhaupt schlechte Ehefrauen und
erschiene insoweit als eine „Gratifikation für Wohlverhalten, die Mütter auf Dauer unterhalten. Billigt sie auch den Männern zu,
Ehefrau und Mutter als eine Hausangestellte mit Liebesdiensten". etwa das Einkommen zu verjubeln, fremdzugehen, womöglich
im Frau und Kinder zu schlagen usw.? Möglicherweise unterliegen ja
IIS Sie kritisierte dabei einen Vorlagebeschluß des Amtsgerichts Lör-
s rach, das es gewagt hatte, einen Unterhaltsanspruch wegen schwer- auch sie „entwicklungspsychologisch-soziologisch erfahrbaren
wiegender Eheverfehlungen der Frau abzulehnen. Hier finden sich Situationen", aus denen sich „solches Verhalten" ergibt!
dann auch so abgedroschene feministische Redewendungen wie Wenn die Frau die „sich wohlverhaltende Hausangestellte mit
etwa die des „gekränkten Männerstolzes", der allgemeinen gesell- Liebesdiensten" ist, als was könnte man dann den Ehemann be-
schaftlichen Benachteiligung der Frau usw. Auch in weiteren Ver- zeichnen: Vielleicht als den sich abbuckelnden Malocher, der auch
öffentlichungen Limbachs wird ihre ideologisch einseitige, wirk- noch Überstunden macht, um den Familienunterhalt zu sichern,
lichkeitsfremde Auffassung zu dem Thema überdeutlich. gelegentlich auch seinerseits für Liebesdienste gut? Wenn er dann
Z.B. spricht sie mehrmals davon, es gäbe nur eine Minderzahl an eine Schlampe geraten ist und sich nicht dennoch ohne weiteres

1
M
aus dem geltenden Scheidungsrecht resultierender Mißbrauchs-
fälle, räumt damit aber den Mißbrauch dieses „Rechts" grundsätz-
lich schon einmal ein. Selbst wenn die Behauptung der geringen
zur Alimentierung bereit zeigt, handelt es sich bei Limbach um
„gekränkten Männerstolz"!

Fallzahl richtig wäre - eine Statistik darüber ist ja nicht möglich -, Wer schon die Sanktionierung ehelichen Fehlverhaltens als „Stra-
so wäre das weder ein ethisches oder auch nur ein rein rechtliches fe" verstanden wissen will, muß sich doch fragen, wie es erst zu
Argument. Entscheidend ist, daß dieses Gesetz dem Mißbrauch bewerten ist, wenn der ehetreue Teil dennoch zu horrenden Unter-
l alle Türen öffnet. Im übrigen sprechen bekanntlich die Heer- haltsleistungen verurteilt wird - allein aufgrund der Tatsache höhe-
scharen zu Unrecht ausgenommener Männer gegen eine geringe ren Einkommens. Ist dies dann nicht erst recht eine unzulässige
Anzahl von Mißbrauchsfällen. bzw. sachfremde Bestrafung, oder wie?
Die Leistung der Frau in der Ehe wird auch bei Limbach maßlos Wir begegnen auch hier wieder einer eigentümlichen Argumen-
l überhöht, die des Mannes so gut wie gar nicht zur Kenntnis genom- tation, die es im gesamten übrigen Rechtsbereich (und früher auch
men. Eheschädliches Verhalten von Frauen wird negiert - es wür- im Eherecht) nicht gibt und nicht geben sollte. Es würde doch nie-
den hierbei sich „aus der Entwicklungspsychologie und Soziologie mand auf den Gedanken kommen, in irgendeinem anderen Streit-

124 125

tüiL,.
fall es als „sachfremde/unzulässige Bestrafung" zu deklarieren, fast schämt, sich mit ihnen auseinandersetzen zu müssen. Da sie
wenn derjenige, der etwa bestimmte Vertragsverletzungen zu ver- aber existent sind, kommt man nicht daran vorbei. Manche Leute
antworten hat, zur Leistung des entsprechenden Schadensersatzes scheinen in der Tat derart verbildet zu sein, daß sie den Wald vor
verurteilt wird. Oder soll künftig auch im Vertragsrecht oder etwa Bäumen nicht mehr sehen, vom offenbar abhanden gekommenen
nach einem Verkehrsunfall immer derjenige verurteilt werden, der Gerechtigkeitsgefühl erst gar nicht zu reden.
über die größere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt? Man hat es hier zu tun mit Diskurslügen, die erfunden werden
Jede Rechts- bzw. Teilrechtsordnung beinhaltet prinzipiell auch mußten, um Frauen entscheidende Vorteile sowohl innerhalb der
Pflichten. Wer sie verletzt, hat mit entsprechenden Sanktionen zu Ehe als auch nach Scheidung einer Ehe zu gewährleisten. In der
rechnen - andernfalls wäre das gesetzte Recht nicht durchsetzbar Ehe sollen sie weitestgehend tun und lassen können, was sie wol-
und damit sinnlos. Zweck jeder Rechtsetzung ist es nachgerade, len - ihre unterhaltsrechtliche Absicherung auch für den Fall der
bestimmte disziplinierende Wirkungen zu entfalten. Wer diesen Scheidung gibt ihnen die Macht dazu. Entschließen sie sich, die
Grundsatz aus dem Eherecht ausklammern will, schafft dort einen Ehe zu verlassen, steht ihnen dieser Weg bequem offen -jedenfalls
rechtsfreien Raum, in dem dann jedwedes Wildwest-Verhalten in all den Fällen, in denen der düpierte Unterhaltsesel ausreichend
•ff
SÄ Platz greifen kann. Aber gerade das dürfte ja insgeheim von einem leistungsfähig ist.
Teil der Reformer hier beabsichtigt gewesen sein.
5.5 Die Versuche rechtsethischer Legitimation für
Fazit nachehelichen Unterhalt ohne Berücksichtigung
persönlicher Verantwortung
»Bf Wie sich gezeigt hat, wird heute im Eherecht mit „Argumenten"
SU jongliert, an die man in allen anderen Lebensbereichen erst gar „Nacheheliche Solidarität/Verantwortung"
nicht denken würde.
Im Wunderland des Ehelebens gibt es demnach kaum noch Ich erwähnte bereits, daß nach ersten Reformvorstellungen die
menschliches Fehlverhalten, und wenn doch, so ist es gerichtlich nacheheliche Eigenverantwortung im Zuge einer Zerrüttungs-
nicht beurteilbar. Jedenfalls aber sollte es nicht „bestraft" werden. scheidung noch im Vordergrund stand, nacheheliche Ansprüche
Die Zeche soll hier immer derjenige bezahlen, der über das höhere also generell nur eingeschränkt und in der Regel befristet vorge-
Einkommen verfügt. Werden die Scheidungsfolgen an die mora- sehen waren, und daß dies insbesondere den Protest von Frauenver-
lische Verantwortung gebunden, so spricht man hier von einer Un- bänden herausforderte.
gleichbehandlung von Mann und Frau. Beispielhaft dafür ist z.B. eine im November 1969 erschienene
lif Jeder Leser mag sich selbst sein Urteil über diese merkwürdige Denkschrift der Familienrechtskommission der Evangelischen Kir-
Üt
Argumentationskette bilden. Nach meiner Auffassung gehen diese che in Deutschland mit dem Titel „Zur Reform des Ehescheidungs-
Einwände gegen das Verschuldensprinzip sämtlich an der Lebens- rechts in Deutschland". Ich zitiere daraus folgende Auszüge:
wirklichkeit vorbei. Zum Großteil sind sie derart an den Haaren „ Vergebung kann nicht empfangen werden, ohne daß sie
PS
«Sät' herbeigezogen und entsprechend hanebüchen, daß man sich schon weitergegeben wird. Das gilt auch für die Beziehung

126 127

„rf»ä&£a „» * rf"*
zwischen geschiedenen Ehepartnern. Nichts kann ihren dienen, mit dem die Familienernährer regelmäßig auch über eine
gemeinsam zurückgelegten Weg nachträglich aus- zerbrochene Ehe hinaus belastet werden sollten.
löschen, auch nicht eine Scheidung, Der eine bleibt ein Die „Arbeitsgemeinschaft der katholischen deutschen Frauen"
Teil der Lebensgeschichte des anderen. Das begründet wollte ihren evangelischen Kolleginnen nicht nachstehen und setz-
ihre auch nach der Scheidung fortdauernde Verantwor- te durch, daß vom „Zentralkomitee der deutschen Katholiken" in
tung füreinander. ... Bad Honnef im Juni 1970 verkündet wurde:
Ein Scheidungsrecht ohne Schuldspruch wird auch in „Aus der nach der Scheidung fortdauernden Verantwor-
Zukunft die Frage der Verantwortung nicht unberück- tung der Ehegatten folgt, daß der Unterhaltsanspruch
sichtigt lassen können, soweit es sich um die Regelung des wirtschaftlich schwächeren Ehegatten nicht Ausnah-
dieser Folgeprobleme handelt. Dabei wird weniger auf me sein darf, sondern die Regel darstellen muß. "
die Verantwortung an dem Scheitern der Ehe gesehen Wenn bis dahin also noch „irgendwelche Unklarheiten" bestan-
werden müssen, mehr hingegen auf die fortwirkende den haben sollten -jetzt mußte auch dem letzten deutschen Fami-
Verantwortung füreinander, die in dem bisherigen ge- lienpolitiker verständlich geworden sein, was organisierte deutsche
meinsamen Leben begründet ist. " Christ(inn)en wollten!
Die offiziellen Kirchen hatten damit dem Zeitgeist wieder ein-
Deutlicher und unverfrorener konnte wohl nicht mehr zum Aus- mal mehr geopfert als irgendeinem anderen Gott. Ihr Einfluß war
druck gebracht werden, was gewollt war. Es soll weniger auf die groß genug, um den Gesetzgeber an die Kandare zu nehmen: Bei-
Verantwortung ßir das Scheitern der Ehe geachtet werden, mehr nahe von Stund an wurde im zuständigen Referat des Bundesjustiz-
hingegen auf die „fortwirkende" Verantwortung füreinander! Das ministeriums fast nur noch an einem möglichst lückenlosen Versor-
dürfte wohl die Geburtsstunde des Schlagworts „nachehelicher So- gungswerk zugunsten des „wirtschaftlich Schwächeren" nach ei-
lidarität" gewesen sein, mit dem dann das Unterhaltsrecht nach ner Scheidung gebastelt, der lange Zeit nicht „genügte" und
Scheidung weitgehend begründet werden sollte. deshalb immer wieder ergänzt werden mußte, bis das Meisterwerk
Kann man den Ehegedanken eigentlich noch stärker pervertie- dann bekanntlich im Jahre 1976 verabschiedet werden konnte.
ren? Gleichzeitig mußte auf die „Reinheit" des Zerrüttungsprinzips
Zieht man den salbungsvollen Gehalt der Wortwahl ab, bleibt im geachtet werden - Eheverhalten sollte sich nur im äußersten Fall
Klartext: Wer sich einmal einen gutmütigen Trottel angelacht hat, anspruchsvermindernd auswirken.
soll ihn ein Leben lang ausbeuten dürfen - auch wenn frau selbst
die Eheauflösung zu verantworten hat! Verantwortung in der Ehe Die große Masse der Männer war natürlich arglos und ahnungslos
ist nicht mehr wichtig, sie soll erst nach geschiedener Ehe - wenn über das, was sich da zu ihren Ungunsten anbahnte - abgesehen
also das Kind schon in den Brunnen gefallen ist - eingefordert wer- von den wenigen Eingeweihten in Recht und Politik, die mehr oder
den, und zwar ausschließlich vom Allein- oder Besserverdiener. weniger beruflich mit diesen Fragen befaßt waren. Die aber erho-
Das so verstandene Zerrüttungsprinzip hatte von nun an als Vor- ben meist keinen Einspruch - in der aufgeheizten Atmosphäre war
wand für die Installation eines beispiellosen Unterhaltskatalogs zu das auch nicht einfach. Insbesondere auch die linke Presse mit ih-

128 129
ren vielen männlichen, katzbuckelnden Redakteuren diente sich denen Gatten auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. l
der Frauenfront als Unterstützer an, niemand wollte als „frauen- GG) unzulässig ein.
feindlich" gelten, es hätte karriereschädlich sein können.
Im übrigen sind Frauen wohl wirklich „klüger" als Männer - vor „Schutz des Vertrauens in den Bestand der Ehe"
allem dann, wenn es um die Durchsetzung profaner Ansprüche
geht! Nachehelicher Unterhalt ist bei einer Scheidung nach Zerrüttungs-
Bis hin wiederum zum BVerfG verschloß man die Augen davor, grundsätzen auch unter der Prämisse des Vertrauensschutzes in den
daß das Schlagwort der nachehelichen Solidarität/Verantwortung (Fort-)Bestand der Ehe grundsätzlich nicht gerechtfertigt.
doch schon begrifflich nicht zur Zerrüttungsscheidung paßt. Es for- An erster Stelle gilt dies wiederum für all jene, die das Scheitern
dert doch die Prüfung der Verantwortlichkeit in der Ehe selbst ge- ihrer Ehe selbst zu verantworten haben. Wer etwas zerstört hat,
radezu heraus. Wenn einerseits in der die Scheidung auslösenden sollte sich selbstverständlich nicht auf ein Vertrauen in den Fortbe-
Ehezerrüttung stets nur „schicksalhafter Verschleiß" gesehen und stand des Zerstörten berufen können.
damit persönliche Verantwortung weitgehend in Abrede gestellt Auch im übrigen aber kann, wenn nach Verantwortung erst gar
wird, so kann sie doch erst recht nicht für die Zeit nach der Ehe nicht mehr gefragt wird, der Vertrauensgrundsatz nicht greifen.
wieder hervorgeholt werden in der Form, daß dann Unterhalts- Zwar hat der Gesetzgeber mit dem 1. EheRG den Grundsatz
erwartungen auf Lebenszeit erfüllt werden sollen. Wenn man für „Die Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen" textlich - im Gegen-
die Ehe selbst nahezu ungehemmten Individualismus, Selbstver- satz zum Vorgangsrecht - ausdrücklich fixiert - wohl mit dem Hin-
wirklichung, Emanzipation usw. gelten läßt, müßte das verstärkt tergedanken, geschiedenen Frauen schon von daher die Geltend-
im Scheidungsfall zu konsequenter Eigenverantwortung der Gatten machung unter Umständen lebenslanger Ansprüche zu erleichtern.
führen. Derselbe Gesetzgeber, der die „Ehe auf Lebenszeit" so theatralisch
Der Solidaritätsbegriff ist also in mehrfacher Hinsicht ver- proklamierte, sah andererseits gleichzeitig - ich wiederhole das -
schränkt. Zum einen läßt er sich zeitlich nicht reduzieren auf den davon ab, die eheliche Lebensgemeinschaft etwa durch ausdrück-
rÜ, nachehelichen Bereich, zum ändern kann er nur auf Gegenseitig- liche Deklamation der Treue- und Beistandspflicht inhaltlich näher
IS keit in Anspruch genommen werden. Dies erfordert aber die Abwä- zu bestimmen. Dies wiederum in der Absicht, Einwände gegen
gung gegenseitigen Verhaltens insbesondere während der Ehe. An- nacheheliche Ansprüche, etwa im Hinblick auf eheliche Untreue,
dernfalls würde Solidarität als etwas begriffen, was sie nicht sein nicht schon aus dem Gesetzestext her zu ermöglichen. Schon bei
I kann: als Einbahnstraße nämlich. All dies sollte eigentlich keiner
großen Erklärungen bedürfen - schon jedem Elementarschüler
der Abfassung des § 1353 ist man also sehr raffiniert vorgegangen,
um das in jeder Hinsicht ausufernde Unterhaltsnetz nicht zu
müßte es begreiflich sein. gefährden. Ferner wurde mit dem 1. EheRG die Ehescheidung
Die Wirklichkeit sieht leider anders aus. Das l. EheRG verlangt erleichtert, und es wurden sogar große Anreize geschaffen, eine
in weiten Bereichen einseitige Solidarität ohne legitimierenden Ehe aufzukündigen.
Rechtsgrund. Damit schränkt es das Grundrecht eines geschie- Der Inhalt der Ehe wurde ausgehöhlt, ihr Stellenwert damit all-
gemein herabgesetzt. Unter solchen Umständen jedoch kann sich

130 131
niemand mehr auf ein Vertrauen in den dauerhaften Bestand seiner das Ziel eines noch gerechtfertigten Lastenausgleichs hinausge-
Ehe berufen, selbst wenn der andere Gatte ihre Auflösung verur- gangen sind.
sacht hat. Auf ehebedingte Bedürftigkeit gestützte Unterhaltsansprüche
Dazu addieren sich gesamtgesellschaftliche Umstände. Allein müßten jedenfalls auf ihre Kausalität hin geprüft werden. Ferner
eine Scheidungsrate von rund 40 % macht deutlich, daß in der müßten sie im Regelfalle zeitlich begrenzt und so in ein angemes-
Lebenswirklichkeit die Ehe allgemein nicht mehr als der unver- senes Verhältnis zur Ehedauer gesetzt werden. Alles darüber Hin-
brüchliche Bund auf Lebenszeit angesehen wird. ausgehende stellt eine unverhältnismäßige Überforderung des Ver-
Denkbar wäre eine Berufung auf den Gesichtspunkt des Ver- pflichteten dar, die wiederum grundrechtlich nicht mehr gedeckt
trauensschutzes allenfalls bei langjährigen Ehen - und selbstver- ist.
ständlich nur für den Ehegatten, der nicht selbst die Vertrauens- Bei der Berufung auf Nachteilsausgleich muß auch bedacht wer-
basis beschädigt hat. Das aber würde unumgänglich wieder die den, daß die Leistungen des Bedürftigen grundsätzlich bereits im
Würdigung ehelichen Verhaltens voraussetzen. Zuge der Einkommensbeteiligung während der Ehezeit sowie
durch Versorgungsausgleich und gegebenenfalls Zugewinnaus-
„Ausgleich ehebedingter Nachteile" gleich abgegolten sind. Jedenfalls begründet die frühere Leistung
des haushaltsführenden Gatten keine „wohlerworbenen Rechte",
Auf der Basis der Zerrüttungsscheidung kommt alleine dem Um- aus denen nachehelicher Ehegattenunterhalt abgeleitet werden
stand ehebedingter Bedürftigkeit eine - in angemessenen Gren- könnte, wie es gelegentlich vertreten wird. Diesen Altleistungen
zen - legitimierende Wirkurig für nacheheliche Unterhaltsansprü- stand die Erwerbstätigkeit des anderen Gatten gegenüber. Die bei-
che zu. derseitigen Eheleistungen hoben sich gegenseitig auf, einseitig
Ehebedingte Bedürftigkeit wird im allgemeinen vorliegen, wenn nachgehenden Ansprüchen fehlt deshalb generell die Berechti-
der Unterhaltsbegehrende sich wegen der Betreuung eines Klein- gung.
kindes nicht selbst unterhalten kann.
Auch wer keine Kinder zu erziehen hat, sich aber dennoch im „Aufopferungsanspruch "
Einvernehmen mit dem Partner ausschließlich auf die Haushalts-
führung beschränkte, kann als Folge dieser Aufgabenverteilung Der Aufopferungsgedanke kann ebenfalls keine geeignete Grund-
nach der Ehescheidung gewisse Probleme haben, wieder in das Er- lage nachehelicher Unterhaltsansprüche sein.
werbsleben eingegliedert zu werden. Deshalb mag auch in solchen Man kann bezüglich einer Ehe im allgemeinen nicht davon spre-
Fällen ein Nachteilsausgleich angebracht sein. chen, daß ein Gatte Opfer alleine zum Vorteil des anderen erbringt.
Allerdings können in beiden Fällen die Ansprüche niemals so Es werden vielmehr gegenseitige Opfer zum gemeinsamen Nutzen
enorm ausgeweitet sein, wie unser Gesetz dies festlegt, und wie die erbracht, und es ist davon auszugehen, daß jeder Gatte daraus in
Rechtsprechung es noch verstärkt hat. Beim später vorzunehmen- der Ehe annähernd die gleichen Vorteile zieht.
den Abgleich der vorgegebenen Unterhaltsbestimmungen wird Eine gescheiterte Ehe kann also nicht „rückwirkend" als ein Op-
sich zeigen, wie weit die beiden Staatsgewalten im Einzelnen über fer nur eines der beiden Ehegatten gewertet werden. Die gemeinsa-

132 133
me Lebensgestaltung entsprach in der Regel dem Willen beider die Menschen tatsächlich so opferbereit, würde manches besser
Partner. aussehen in dieser Welt.
Einmal melir spricht die Lebenswirklichkeit auch hier gegen die Wenn also Frauen die berufliche Karriere weniger wichtig neh-
von interessierter Seite behauptete Aufopferung der Frau, wenn sie men als ihre Pläne, zu heiraten und eine Familie zu haben, und im
ihre Berufstätigkeit aufgibt oder im Einzelfall erst gar keine auf- Zuge dessen ihre Berufstätigkeit aufgeben, sollten sie sich im Falle
nimmt. des Scheiterns dieser Vorgaben nicht als Benachteiligte sehen, die
Man sollte doch nicht so tun, als ob Frauen nur darauf warteten, eine „Opferrolle" auf sich genommen hätten.
sich für einen Mann „aufzuopfern". Vielmehr sind doch die mei- Dann wird die Hausfrauenleistung einmal mehr übertrieben he-
sten Frauen auch heute keineswegs unglücklich darüber, einen Ver- rausgekehrt. Sie wird als „Lebensleistung" dargestellt, die man der
sorger zu finden, der sie im Wesentlichen von eigener Erwerbs- Frau „nicht mehr nehmen könne". Erst durch sie sei die Karriere
tätigkeit freistellt oder jedenfalls freistellen kann. Sie opfern sich des Mannes ermöglicht worden usw. usf. Dabei müßte man solche
nicht selbst auf, sondern warten eher auf einen, der für sie Opfer Behauptungen gerade bei gescheiterten Ehen mit großer Vorsicht
bringt! Hier wird also Egoismus häufig mit Opferbereitschaft ver- nehmen. All diese Selbsterhöhung wird betrieben, um Ansprüche
wechselt. Keine Frau wird doch heute dazu gezwungen, überhaupt auch über die Ehe hinaus geltend machen zu können.
zu heiraten, Kinder zu haben und/oder ihren Beruf aufzugeben. Die Leistung des Mannes erscheint in diesem Diskurs als gar
Frauen können - jedenfalls in den Industriestaaten - schon seit nicht existent. Der Beitrag der Männer ist offenbar so einfach und
Generationen alles studieren, was auch Männer studieren, und sie schonend, daß sie im Schnitt lediglich um die Kleinigkeit von sie-
können auch sonst so gut wie jeden Beruf ergreifen. Die angeblich ben Jahren früher sterben!
immerwährende Benachteiligung von Frauen im Berufsleben ist
nichts weiter als eine substanzlose Behauptung aus der Emanzen- „Teilhabe"
ecke. In wichtigen Bereichen ist sogar das Gegenteil der Fall: Im
öffentlichen Dienst etwa müssen Stellen bei gleicher Eignung be- Schließlich wird zur Begründung nachehelichen Unterhalts noch
vorzugt mit Frauen besetzt werden, gleiches gilt bei Beförderun- das Teilhabeprinzip ins Feld geführt.
gen. Im Gesetz hat es großen Niederschlag gefunden in Form der Be-
Wenn einer Frau das Berufsleben tatsächlich so sehr am Herzen stimmung des Unterhaltsmaßes nach den ehelichen Lebensver-
liegt, wird und muß sie es nicht aufgeben. Die außerhäusliche Er- hältnissen, dem Aufstockungsunterhalt, im sog. „Halbteilungs-
werbstätigkeit scheint aber vielen Frauen gar nicht so angenehm zu grundsatz" und bei den Zumutbarkeitskriterien „angemessener"
sein, sonst würden sie sie nicht in großer Zahl nach einer Ehe- Erwerbstätigkeit. Einzelheiten hierzu werden später auseinander-
schließung einstellen. gesetzt.
Die Story von der sich unter Tränen aus dem Erwerbsleben zu- Für die bestehende Ehe ist es klar, daß die Ehegatten an dem
rückziehenden, sich von nun an ausschließlich dem Mann und der gemeinsam Erwirtschafteten grundsätzlich gleichberechtigt teilha-
Familie opfernden Frau sollte also dahin verwiesen werden, wo sie ben. Das ergibt sich aus dem Sinn der ehelichen Lebensgemein-
hingehört: nämlich in den feministischen Märchenkatalog. Wären schaft.

134 135

,\- »*C-f i * &**l •* ,*•'•'-


v»" • * ' ' » , - ' > ^ :
i,3f
ä>

Nach zerbrochener Ehe jedoch entfällt die Grundlage für eine des Unterhalts, die Kriterien „angemessener" Erwerbstätigkeit und
Ü weitergehende Teilhabe. Das Eheband ist gelöst, ein auf Gegen- die Möglichkeit der zeitlichen Hintereinanderschaltung verschie-
seitigkeit gegründetes Leistungsverhältnis existiert nicht mehr. dener Anspruchsbegründungen lassen den Grundgedanken der Ei-
Pf
Eine Rechtfertigung für das Teilen der beiderseitigen Ressourcen genverantwortlichkeit, der bei einer Zerriittungsscheidung aller-
ist nicht mehr gegeben. Nun sollte jeder Gatte wieder nach seinen erste Priorität haben müßte, fast völlig in den Hintergrund treten.
eigenen Fähigkeiten und in eigener Verantwortlichkeit seinen Weg Im Einzelnen ist ein geschiedener Ehegatte anspruchsberechtigt,
gehen. „solange und soweit" von ihm keine eigene Erwerbstätigkeit ver-
Es ist deshalb ungerechtfertigt, dem (mehr-)verdienenden Gat- langt werden kann, wegen
ten, soweit er überhaupt unterhaltsverpflichtet sein kann, grund- - der Pflege und Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes
sätzlich zur Abgabe der Hälfte seines Verdienstes zu zwingen. (Betreuungsunterhalt),
Ein Teilhabeanspruch ließe sich allenfalls in Bezug auf die - Nichterlangung einer angemessenen Erwerbstätigkeit,
Wahrnehmung von Aufgaben, die noch direkt aus der Ehe nach- - Krankheit oder Gebrechen,
wirken, herleiten. Dafür käme wohl nur der Betreuungsunterhalt in - Alters.
Betracht. Besteht nicht schon aus einem dieser Gründe Anspruch, so kann
Ferner sind beim Unterhalt aus Billigkeitsgründen - § 1576 - dennoch aus Billigkeitsgründen Unterhalt verlangt werden, „so-
Fallkonstellationen denkbar - etwa eine langjährige, besonders en- weit und solange von ihm aus sonstigen schwerwiegenden Grün-
gagierte Mitarbeit im Geschäft des anderen Gatten -, die eine wei- den eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann und die Ver-
tere Teilhabe rechtfertigen ^könnten, sofern insoweit nicht schon sagung von Unterhalt unter Berücksichtigung der Belange beider
eine Abgeltung etwa in Form des güterrechtlichen Zugewinnaus- Ehegatten grob unbillig wäre".
gleichs erfolgte. Wegen der genauen Gesetzestexte der Unterhaltsvorschriften
verweise ich nochmals auf deren Abdruck im Anhang.
5.6 Die Reformergebnisse im einzelnen - Bereits die bloße Auflistung läßt erkennen, wie sich einzelne
ihre Begründetheit, ihre Auswirkungen Konstellationen aneinanderreihen können: Nach einer Kinderbe-
treuung mag sich keine angemessene Erwerbstätigkeit finden las-
Die Tatbestände des Ehegattenunterhalts im Überblick sen, später wird man krank, und schließlich ist man alt. Krankheit
und Erwerbslosigkeit könnten sich auch mehrmals abwechselnd
Auf der Grundlage des Zerrüttungsprinzips hat das am 1.7.1977 in einstellen. Wer es mit einigem Geschick darauf anlegt, kann auf
Kraft getretene l. EheRG zunächst den Grundsatz aufgestellt, daß diese Weise den anderen Gatten lebenslang in Anspruch nehmen -
derjenige Ehegatte, der nach der Scheidung nicht selbst für seinen soweit dieser nur entsprechend leistungsfähig ist.
Unterhalt sorgen kann, gegen den anderen Anspruch auf Unterhalt
hat, sofern dieser seinerseits leistungsfähig ist. Die Anforderungen,
„für sich selbst zu sorgen", wurden jedoch sehr niedrig gehalten.
Die Ausgestaltung der einzelnen Unterhaltstatbestände, das Maß

136 137
Das Maß des Unterhalts eine übertrieben sparsame, noch eine verschwenderische Lebens-
führung zugrunde zu legen. Aus dem nach diesen Grundsätzen er-
Es erscheint zweckmäßig, vorweg die allgemeinen Kriterien zu er- mittelten Einkommensbetrag steht dann in Anwendung des sog.
läutern, die im Falle einer Unterhaltspflicht für jeden Tatbestand „HaJbteilungsgrundsatzes" jedem geschiedenen Gatten die Hälfte
gelten. Dazu gehören der generelle Unterhaltsmaßstab und die An- zu. Ist nur ein Gatte berufstätig, kann er allerdings den „Erwerbs-
forderungsmerkmale an eine eigene Erwerbstätigkeit des Unter- tätigenbonus" beanspruchen. Dieser wird im allgemeinen dadurch
haltsberechtigten. abgegolten, daß ihm 4/7, dem anderen 3/7 des zu verteilenden Ein-
Das Maß des Unterhalts bestimmt sich grundsätzlich nach den kommens zugewiesen werden. Damit soll für ihn ein Anreiz gege-
„ehelichen Lebensverhältnissen" und umfaßt den „gesamten Le- ben werden, erwerbstätig zu bleiben und sich weiterhin als Unter-
bensbedarf' (§ 1578). Der so definierte Unterhalt wird gesetzes- haltssklave zur Verfügung zu stellen. Ferner soll dadurch ein
technisch als „voller Unterhalt" bezeichnet. Zum Lebensbedarf ge- Ausgleich berufsbedingter Nachteile gewährt werden. Der Halb-
hören auch die Kosten einer Krankenversicherung und die einer teilungsgrundsatz kann nicht als sachgerecht erachtet werden, denn
Alters- sowie Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsversicherung. er berücksichtigt nicht den wegfallenden Einsatz des Unterhalts-
Die „ehelichen Lebensverhältnisse" stellen den zentralen Maß- empfängers für den früheren gemeinsamen Haushalt. Dem Ver-
stab dar; es wird damit eine Lebensstandardgarantie eingeräumt. pflichteten sollte daher zugebilligt werden, den Unterhalt um einen
Das bedeutet gleichzeitig, daß in erster Linie Intelligenz und Tüch- entsprechenden Betrag zu mindern.
tigkeit des Unterhaltsverpflichteten, die ja die ehelichen Lebens- Der Halbteilungssatz wird auch im Ausland kaum praktiziert, in
verhältnisse wesentlich - wenn nicht ausschließlich - geprägt ha- aller Regel erhält der Berechtigte dort höchstens ein Drittel des
ben, für die Unterhaltshöhe bestimmend sind, und der Berechtigte aufzuteilenden Betrags. Auch während bestehender Ehe ist der ver-
davon trotz geschiedener Ehe weiterhin profitiert. dienende Ehegatte ja nicht zur hälftigen Teilung seines Verdienstes,
Der Terminus besagt in den Grundzügen die Zusammenrech- sondern lediglich zur Leistung von angemessenem Unterhalt ver-
nung der Einkünfte, die die Eheleute im Zeitpunkt der Scheidung pflichtet (§§ 1360 ff).
hatten, soweit diese für die Deckung des laufenden Lebensauf- Die Anbindung des Maßes des Unterhalts an die ehelichen Le-
wandes verwendet wurden. Der Bundesgerichtshof (BGH) ist aller- bensverhältnisse bewirkt indirekt einen eigenen Unterhaltstatbe-
dings mit seiner Entscheidung vom 21.4.1982 über den Schei- stand, und zwar den des sog. „Aufstockungsunterhalts" im Sinne
dungszeitpunkt hinausgegangen und hat auch erst nach der Schei- des § 1573 Abs. 2. In den Fällen nämlich, in denen beide Gatten
dung eingetretene Beförderungen - hier eines Berufsoffiziers - in erwerbstätig sind, jedoch unterschiedlich hohe Einkommen bezie-
den Lebensstandard einbezogen. Bereits an dieser Stelle möchte hen, ist, um für den weniger verdienenden auf den „vollen" Unter-
ich überhaupt anmerken, daß gerade der BGH sich im Unterhalts- halt zu kommen, der Unterschiedsbetrag der Einkommen zur Hälf-
recht durch eine ganz überwiegend männerfeindliche Rechtspre- te auszugleichen.
chung auszeichnet.
Steht nur ein Einkommen zur Verfügung, bildet dieses den Ver- Mit der Wahl der ehelichen Lebensverhältnisse als Maßstab der
teilungsmaßstab. Der Definition des Lebensaufwandes ist weder Bemessung nachehelicher Unterhaltsansprüche hat der deutsche

138 139
Gesetzgeber eine Höctistmarke gesetzt, die sich auf die gesamte müßte also mitberücksichtigt werden - erst recht, wenn man ande-
Anspruchspalette entsprechend auswirkt - naturgemäß zum Vorteil rerseits so viel über die hohe Familienbelastung der haushalts-
des Unterhaltsempfängers. Da eine getrennte Haushaltsführung zu- führenden Ehefrau jammert (Stichwort „Aufopferung"). Soll der
dem erhebliche Mehrkosten erfordert, läßt sich dieser Grundsatz Wegfall dieser Beschwernisse plötzlich nichts mehr bedeuten?
nicht durchführen, ohne den Lebensstandard des Verpflichteten Zwar ist es nachehelichem Unterhalt systemimmanent, daß er ohne
einseitig zu verschlechtern. Gegenleistung erfolgt. Das kann aber kein Grund sein, diesen Ge-
Ein legitimierender Grund für die weitere Zubilligung des ehe- sichtspunkt bei der Bemessung von Unterhaltsansprüchen völlig
lichen Lebensstandards an den Unterhaltsgläubiger ist, jedenfalls unbeachtet zu lassen. Der Verpflichtete erbringt ja nun alleine, also
in der generalisierenden Art des § 1578, nicht ersichtlich. ohne die weitere Mithilfe des anderen, den gesamten Lebensbedarf
Nach früherem Recht mußte nur der Ehegatte, der die Ehezer- - und das eben in aller Regel nicht leistungslos, sondern im rauhen
rüttung mindestens überwiegend verursacht hatte, dem anderen Alltagskampf des Erwerbslebens.
Unterhalt nach dem Maß der ehelichen Lebensverhältnisse leisten. Es wird gelegentlich eingewandt, in der Praxis komme dem Un-
Es wurde also schlichtweg ein wesentliches Element des Schuld- terhaltsmaß des § 1578 oftmals keine Bedeutung zu, da die Ein-
scheidungsrechts in das Zerrüttungsrecht übernommen, obwohl kommensverhältnisse nicht ausreichten - als ob es nicht genügte,
der frühere Rechtsgrund des Verschuldens dafür nicht mehr gege- wenn jemand bis auf das Existenzminimum herabgepfändet wird!
ben war! Umgekehrt wird zuweilen vorgebracht, es sei dann alles ohne Pro-
Nach Zemittungsgrundsäfeen dürfte Unterhalt aber nicht über bleme, wenn der Unterhaltsschuldner genügend verdiene - dann
den Ausgleich ehebedingter Nachteile hinausgehen. Der Unter- könne und solle er eben bezahlen! Ich denke, daß man auf derartige
haltsbegehrende dürfte also nur so gestellt werden, wie er stünde, Kindergartenargumente, die mit Rechts- und Gerechtigkeitsprin-
wenn er die Ehe nicht geschlossen hätte (im Juristendeutsch: Er- zipien nicht das Geringste zu tun haben, nicht weiter eingehen
satz des „negativen Interesses"). Eine Lebensstandardgarantie hat muß.
in einem Zerrüttungsscheidungsrecht keine Berechtigung. Unser Auch das Argument, die Feststellung des negativen Interesses
Unterhaltsrecht stellt den Unterhaltsgläubiger dagegen so, als ob sei mit erheblichen Berechnungsproblemen verbunden, ist nicht
die Ehe nicht geschieden worden wäre, gewährt ihm also das „po- rechtserheblich. Abgesehen davon dürfte es vor allem bei den vie-
sitive Interesse" und beläßt ihm so die Vorteile, die er in der Ehe len Ehen, die schon nach relativ kurzer Zeit geschieden werden,
hatte. kein besondere Schwierigkeit sein, die Berufe und Einkommen der
Bei der Frage des Unterhaltsmaßes sollte auch nicht außer Acht Anspruchsteller zur Zeit der Eheschließung zu ermitteln und dies
gelassen werden, daß jedenfalls der Berechtigte, der keine Kinder zum Ausgangspunkt der Unterhaltsberechnung zu machen. Die of-
aus der Ehe zu erziehen hat, im Wege des nachehelichen Unterhalts fensichtlich vom Gesetzgeber vorgenommene Unterstellung, der
ein leistungsloses Einkommen bezieht. Es treffen ihn all die Bela- erreichte Lebensstandard wäre ohne die Mitarbeit des wirtschaft-
stungen nicht mehr, die ihm während der Ehe hinsichtlich der lich schwächeren Gatten nicht zustande gekommen, trifft im allge-
Haushaltsführung und Versorgung des anderen Gatten oblagen. meinen nicht zu. Zumindest müßte ein entsprechender Kausalzu-
Der nicht unerhebliche Freizeitwert arbeitslosen Einkommens sammenhang nachgewiesen werden. Gerade bei gescheiterten

140 141
Ehen ist der Behauptung stets loyaler Mitarbeit und Unterstützung er selbst leistungspflichtig ist: bei Sozialhilfe bestimmt § 18
mit Skepsis zu begegnen - nicht selten war hier gerade das Gegen- BSHG, daß eine Arbeit auch dann zuzumuten ist, wenn sie im Hin-
teil Sache. blick auf Ausbildung oder frühere berufliche Tätigkeit des Hilfe-
empfängers als geringerwertig anzusehen ist.
Verpflichtung nur zu „angemessener" Erwerbstätigkeit Gegen die Beschränkung der Erwerbspflicht nach geschiedener
Ehe auf „angemessene" Tätigkeiten muß ferner geltend gemacht
Soweit in Einzelfall der Anspruchsteller an sich verpflichtet wäre, werden, daß dies einem Standesdenken entstammt, das für die heu-
eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, muß er sich lediglich um eine tige, durch Mobilität geprägte Gesellschaft nicht mehr akzeptabel
„angemessene" Tätigkeit bemühen. Als angemessen in diesem Sin- ist. Die Annahme, daß es „unangemessene" Erwerbstätigkeiten ge-
ne beschreibt § 1574 eine Tätigkeit, die „der Ausbildung, den Fä- ben soll, kann sogar als vom Arbeitsrecht und vom Sozialstaats-
higkeiten, dem Lebensalter und dem Gesundheitszustand der ge- prinzip her gesehen skandalös bezeichnet werden. Der Unterhalts-
schiedenen Ehegatten sowie den ehelichen Lebensverhältnissen begehrende sollte sich nicht einbilden dürfen, „etwas Besseres" zu
entspricht". sein. Zumindest sollte ihm kein Status vorschweben dürfen, der
Die Anwendung dieses umfangreichen, die Zumutbarkeit stark oberhalb seines eigenen Ausbildungsstandards angesiedelt ist, und
eingrenzenden Kriterienkatalogs führt dazu, daß es dem Berech- der ihm in der Ehe nur dank des Stellung seines Partners zugute
tigten vielfach unmöglich sein wird - in Zeiten größerer Arbeits- kam.
losigkeit besonders -, eine entsprechende Arbeit zu erhalten, selbst Im Zusammenhang damit ist im Hinblick auf ältere geschiedene
dann, wenn er es ernsthaft anstrebt. Wer sich ohnehin vor der Ar- Ehegatten nicht einzusehen, weshalb auch geringere noch vorhan-
beit drücken will, hat leichtes Spiel. dene Erwerbsfähigkeit nicht eingesetzt werden sollte. Auch dies
Besonders die Zubilligung des ehelichen Standards auch hier wird u.a. in Teilen der USA von geschiedenen Gatten erwartet, so
bedeutet eine große Einschränkung der infrage kommenden, „zu- daß dort auch älteren Hausfrauen regelmäßig nur zeitlich begrenz-
mutbaren" Erwerbstätigkeiten. Wie etwa soll eine ehemalige Se- ter Unterhalt zuerkannt wird.
kretärin, die einen Anwalt geehelicht hatte, einen Arbeitsplatz fin- Bei uns jedoch gehen die Uhren wieder einmal anders. Unsere
den, der irgendwo zwischen den beiden Berufsebenen liegt, und Rechtsprechung tendiert auch in der Frage der Erwerbszumutung
der sie nach ihrer persönlichen Ausbildung nicht überfordern muß? schon nach nur kurzdauernden Ehen zur Einräumung des ehelichen
In derartigen Fällen gäbe es doch gar keine „angemessene" Berufs- Status. Wie u.a. der Familienrichter Siegfried Willutzki feststellt,
tätigkeit mehr! kommt es damit zu einem weltweit einmaligen ehelichen Versor-
Es ist nicht der geringste Grund ersichtlich, warum der Unter- gungswerk, das sozusagen nach nur dreijähriger „Beitragslei-
haltsfordernde nicht ausschließlich auf Tätigkeiten verwiesen wer- stung" und bereits im Alter von vielleicht nur 25-30 Jahren eine
den soll, die allein seinem Ausbildungsstand und seinen Fähigkei- lebenslange Rente gewährt (Zentralblatt für Jugendrecht 1984, 5).
ten entsprechen. Grundsätzlich sollte überhaupt jede anständige So hat etwa das OLG Hamm in einer Entscheidung vom 5.11.1992
Arbeit auch „angemessen" sein. So wird es z.B. in vielen Staaten nach noch nicht einmal 4-jähriger Ehedauer den ehelichen Lebens-
der USA gehandhabt - und so handhabt es auch unser Staat, wenn standard als Gradmesser der Zumutbarkeit einer Berufstätigkeit

142 143
HÜS

bestimmt, obwohl dieses Kriterium nur eines unter mehreren des Das Sorgerecht durfte im übrigen bis zu einer anderslautenden
§ 1574 ist. Selbst eine Tätigkeit, die der Anspruchsteller vor der Entscheidung des BVerfG vom 3.11.1982 nur einem Elternteil al-
Ehe oder innerhalb der ersten Ehejahre noch ausgeübt hat, wird leine übertragen werden, selbst wenn im Einzelfall beide Gatten
nach Scheidung oftmals nicht mehr als „angemessen" erachtet. die Beibehaltung des gemeinsamen Sorgerechts auch nach Schei-
Was haben all diese maßlosen Übertreibungen noch mit den dung gewünscht hatten. Bereits seit 1982 also bestand die prinzi-
Prinzipien des ehebedingten Nachteils und der Eigenverantwort- pielle Möglichkeit der Belassung gemeinsamen Sorgerechts. Aller-
lichkeit zu tun? Diesen Grundsätzen wird doch damit Hohn gespro- dings hatten die Gerichte weiterhin von Amts wegen eine Sorge-
chen! rechtsentscheidung zu treffen, und sie entschieden praktisch nur
Auf der anderen Seite verlangt man vom Unterhaltsschuldner dann auf gemeinsames Sorgerecht, wenn beide Parteien es wollten.
den Verzicht auf Tätigkeiten, die seinen Neigungen und Fähigkei- In strittigen Fällen entschieden die Richter meist nach dem sog.
ten zwar besser entsprächen, aber geringere Verdienstmöglich- „Kontinuitätsprinzip", d.h. sie bewerteten das Verbleiben des Kin-
keiten bieten, weil damit der Unterhaltsanspruch des Ausbeuters des bei demjenigen Elternteil, bei dem es sich nach der Trennung
beeinträchtigt wäre. Ihm mutet man also eine Einschränkung der befand, als vorteilhaft für das Kind, und sprachen das Sorgerecht
Lebensqualität auch insoweit zu. Es müßte aber eine gleichwertige diesem Elternteil zu. Insgesamt erhielten in mehr als 90 % der Fälle
Beziehung in den beiderseitigen Erwerbsanforderungen hergestellt die Mütter das Sorgerecht.
werden. Erst mit dem zum 1.7.1998 in Kraft getretenen Kindschafts-
i rechtsreformgesetz (KindRG) vom 16.12.1997 müssen die Gerich-
Die unglückselige Koppelung von te nach einer Scheidung der Eltern nicht mehr von Amts wegen in
Sorgerecht und Unterhalt Sachen Sorgerecht tätig werden. Nur auf Antrag eines Ehegatten,
ihm das alleinige Sorgerecht zu übertragen, muß nunmehr das Ge-
Der grundsätzliche Wegfall der Verantwortlichkeitsprüfung wirkt richt eine Entscheidung treffen, in allen anderen Fällen verbleibt es
sich besonders gravierend beim Komplex der Sorgerechtszuerken- bei gemeinsamem Sorgerecht (neugefaßter § 1671).
nung in Verbindung mit daraus resultierenden Unterhaltsan- Ob sich damit in der Praxis des Sorgerechts Entscheidendes än-
sprüchen aus. Wer das Sorgerecht für Kinder zugesprochen erhält, dert, muß abgewartet werden. Es wird vor allem davon abhängig
hat gleichsam automatisch auch einen Unterhaltsanspruch, solange sein, ob in vielen Fällen weiterhin Antrag auf alleiniges Sorgerecht
und soweit von ihm wegen der Pflege oder Erziehung des gemein- gestellt werden wird, und ob diesenfalls so wenig fachkundig und
schaftlichen Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht verlangt werden einseitig wie bisher („Kontinuitätsprinzip") entschieden wird. Än-
kann (§ 1570). Die nach früherem Recht geltende Praxis, regelmä- dert sich an diesen Mißständen nichts, kann insoweit auch das neue
ßig demjenigen Elternteil das Sorgerecht zuzuerkennen, dem das Gesetz, das grundsätzlich als ein „Schritt in die richtige Richtung"
Scheitern der Ehe nicht zur Last zu legen war - man ging im allge- zu werten ist, nicht viel Positives bewirken.
meinen von seiner besseren Erziehungseignung aus -, entfiel mit
der Reform von 1977, nach der eine Untersuchung ehelichen Fehl- Wie festgestellt, wurde also seit 1977 fast immer den Müttern das
verhaltens regelmäßig nicht mehr vorzunehmen war. Sorgerecht für Kinder übertragen. Da auch die Unterhaltsfrage de

144 145
prinzipiell nicht mehr von der Bewertung ehelichen Verhaltens ab- Unterhaltsanspruch des Betreuers gegenüber dem anderen Gatten
hängig gemacht wurde, kam es in Kombination dieser „neuen" zu verbinden.
Sachverhalte zu einer dramatischen Ausweitung von Unterhalts- Auch im Falle der Kindesbetreuung sollte zunächst immer der-
fällen insgesamt, die dann zu Lasten in aller Regel des Mannes jenige, der die Ehe selbst zerrüttet hat, den anderen nicht auf Unter-
gingen. halt in Anspruch nehmen können. In diesen Fällen ist nicht einsich-
Die ursprüngliche Gesetzgebung des 1. EheRG sah den An- tig, warum er sich nicht erforderlichenfalls auf die öffentliche Für-
spruch auf Betreuungsunterhalt gegen den anderen Gatten unbe- sorge verweisen lassen sollte. Für das vielzitierte, in diesem
dingtem, d.h., er hatte Bestand auch bei gröbsten Eheverfehlungen Zusammenhang oft heuchlerisch herangezogene „Kindeswohl"
des Sorgerechtsinhabers. Diese Unbedingtheit wurde vom BVerfG spielt es keine Rolle, von wem der Betreuer seinen Lebensunterhalt
am 14.7.1981 aufgehoben. Die entsprechende Vorschrift (§ 1579) bezieht. Eine andere Frage ist, daß es sicher mehr Spaß macht, den
wurde mit dem Gesetz zur Änderung unterhaltsrechtlicher, verfah- Ex-Gatten zu schikanieren, anstatt zum Sozialamt zu gehen.
rensrechtlicher und anderer Vorschriften (UÄndG) vom 20.2.1986 Dagegen läßt sich nicht etwa einwenden, die Zahlungen nach
neu gefaßt. Die völlige Unbedingtheit Kindesbetreuung - Unter- Sozialhilferecht wären niedriger als ein etwaiger Anspruch an den
halt wurde entsprechend der Vorgabe des BVerfG aufgegeben. geschiedenen Gatten, so daß auch der Lebensstandard der Kinder
Allerdings blieb der Betreuungsunterhalt weiterhin (auch) inso- absinke und zudem der betreuende Elternteil versucht sein könne,
weit privilegiert, als nicht nur - wie bei anderen Unterhaltstatbe- Kindesunterhalt für eigene Zwecke zu verwenden.
ständen- „grobe" Unbilligkeit Ansprüche ausschließt oder vermin- Dem Kind gegenüber leistet der Verpflichtete bereits Unterhalt
dert - hier muß es schon so etwas wie „gröbste" Unbilligkeit sein - entsprechend seinem Einkommen. Es ist unkorrekt, dann darüber
was immer man im Einzelfall noch darunter verstehen mag -, denn hinaus wiederum über angebliches Kindesbedürfnis auch für den
es muß zusätzlich geprüft werden, ob „... auch unter Wahrung der Betreuer Unterhalt nach Ehestandard zu fordern. Die beiden Unter-
Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anver- haltsbeziehungen müssen rechtlich auseinandergehalten werden.
trauten gemeinschaftlichen Kindes" die Unterhaltsgewährung grob Die Gefahr der Verwendung von Kindesunterhalt durch den Be-
unbillig wäre (§ 1579 idF von 1986). treuer für eigene Zwecke ist kein Rechtsargument - ganz abgese-
Dem BGH blieb es einmal mehr vorbehalten, mit einer unsäg- hen davon, daß diese Gefahr so und anders nicht ausgeschaltet wer-
lichen Entscheidung vom 27.9.1989 die ohnehin kaum noch nen- den kann.
nenswerten Ausschlußfälle des Betreuungsunterhalts praktisch
wieder zur Gänze auf Null zu reduzieren. Ich gehe auf dieses Urteil Im übrigen ist es zutiefst heuchlerisch, das Kindeswohl immer ge-
im Zusammenhang mit weiteren Ausführungen zu § 1579 noch nä- rade dann in den Mund zu nehmen, wenn es um die Ausbeutung
her ein. des geschiedenen Mannes geht. Ein kinderfreundliches Eherecht,
das nicht jedem Egoisten für den Eheausstieg den goldenen Hände-
Es ist meines Erachtens aus verschiedenen Gründen verfehlt, die druck des düpierten Gatten verspricht, wäre im Sinne der Kinder,
nacheheliche Kindesbetreuung - unabhängig davon, ob gemeinsa- die am meisten unter einer Ehescheidung leiden, die weit bessere
mes oder alleiniges Sorgerecht vorliegt - stets mit einem eigenen Lösung als eine nachgehende, angeblich dem Kindeswohl dienen-

146 147
Ausbeutung zugunsten des Eheflüchtlings. Dann ist die Psyche von Gegenwärtig werden von Gesetz und Rechtsprechung Kindes-
Kindern oft schon irreparabel geschädigt. und Betreuerunterhalt praktisch zu einem Unterhaltstatbestand ver-
Man sollte also nicht das Kindeswohl vorschützen, um in Wahr- schmolzen, das Kindeswohl wird als Hebel benutzt, um auch die
heit geschiedene Mütter zu protegieren. Mutter zu begünstigen - als gemeinsamer Lastesel steht der Vater
Auch der Einwand, es sei der Allgemeinheit nicht zuzumuten, in zur Verfügung. Die Interessen des Kindes sollten aber nicht in die-
erheblichem Umfang die Folgelasten von Ehescheidungen zu fi- ser Weise mit den Interessen eines Elternteils verquickt werden.
nanzieren, rechtfertigt nicht die nacheheliche Belastung eines Gat- Das Kind ist auf seinen Unterhalt absolut angewiesen, während der
ten, der die Scheidung nicht zu vertreten hat. Erleichtert der Staat betreuende Elternteil Möglichkeiten hat, Erziehung und Erwerbs-
obendrein die Scheidung in vielfältiger Weise, so ist erst recht nicht tätigkeit zu verbinden.
einzusehen, warum er dann nicht auch verstärkt eintreten sollte. Je
ungereimter die betreffende Gesetzgebung ist, umso weniger hat So verhilft im Ausland Kinderbetreuung einem geschiedenen Ehe-
der Staat das Recht, das Sozialrisiko von Scheidungen einseitig zu gatten kaum zu einem eigenen Unterhaltsanspruch. Der Lebensbe-
Lasten eines Geschiedenen zu privatisieren. darf des Elternteils, der das Kind nach der Scheidung betreut, wird
also nicht sozusagen automatisch dem Lebensbedarf des unter-
Es ist auch unabhängig von Verschuldensgrundsätzen prinzipiell haltsberechtigten Kindes zugeschlagen.
falsch, über das Kind ohne weiteres einen eigenen Anspruch des
betreuenden Elternteils zu konstruieren. Zwar steht die Betreu- Jedenfalls räumt unser geltendes „Recht" den betreuenden Müttern
ungsaufgabe in Verbindung mit der Ehe, andererseits entfällt aber einen unbedingten Unterhaltsanspruch auch für sich selbst gegen-
jede Fürsorgeleistung für den geschiedenen Ehegatten. Sieht man über dem geschiedenen Gatten ein.
die Ehe - wie es ja heute vielfach gerade im Hinblick auf die Schei-
dungsfolgen geschieht - fast ausschließlich unter wirtschaftlichen Die Anforderungen an eine eigene Erwerbstätigkeit werden hier
Gesichtspunkten, so könnte insoweit der verlassene Gatte Ersatz noch niedriger angesetzt als sonst. Die Rechtsprechung hat ge-
für die entgangenen Dienstleistungen vom anderen verlangen. schiedene Mütter bei uns in nicht zu überbietender Weise in Watte
Wenn sich aber der kindesbetreuende Ehegatte dessen ungeachtet gepackt.
für diese Aufgabe vom anderen auch noch voll unterhalten läßt, so Anstatt vernünftigerweise schon im Vorschulalter des Kindes zu
trägt letzterer doch faktisch auch die gesamte Erziehungslast allei- prüfen, ob nach den Gegebenheiten etwa eine Hortunterbringung
ne! Er könnte dann ebenso gut eine dritte Person anstelle der Mut- des Kindes möglich ist und die Mutter Teilzeit arbeiten kann, billi-
ter mit der Betreuung beauftragen. gen unsere Richter geschiedenen Müttern pauschal ein Däumchen-
In jedem Falle ist es bei Zerrüttungsscheidung ungerechtfertigt, drehen mindestens bis zur Vollendung des 8. Lebensjahres des Kin-
den Betreuungsunterhalt am ehelichen Standard auszurichten. Es des zu. Bis dahin dürfen sie in jedem Fall den „vollen" Unterhalt
kann sich allenfalls um den notwendigen Unterhalt handeln, sofern vom abgehalfterten Mann verlangen. Der BGH hat in Verfolgung
nicht, wie gesagt, überhaupt der Staat als der Verantwortliche sei- seiner „ausgewogenen" Rechtsprechung die Schonfrist sogar auf
nes Gesetzesunsinns in Haft genommen werden sollte. das 11. Lebensjahr ausgedehnt, ohne daß ein besonderer Fall (etwa

148 149
eine Behinderung des Kindes) gegeben war (Entsch. vom Wiedereingliederung umso schwieriger wird, je länger man sie auf-
21.12.1988). schiebt, ist eine Binsenweisheit.
Eine Vollzeittätigkeit der Mutter wird sogar erst nach Vollen- Auch hier zeigt ein Blick über die Grenzen erhebliche Unter-
dung des 16. Lebensjahres des Kindes erwartet! Bei zwei Kindern, schiede zu unserer Handhabung auf. In Anwendung der vorgenann-
bereits 11 und 13 Jahre alt, wurde nicht einmal Teilzeitarbeit gefor- ten Grundsätze wird dort schon bei Kindern im Vorschulalter eine
dert (BGH vom 28.3.1984). Kann Rechtsprechung noch frauen- Erwerbstätigkeit zugemutet. Die im Ausland ohnehin übliche Un-
fixierter sein? terhaltsbefristung muß deshalb wegen des Kinderbetreuungstat-
Dabei sollte es bei Betreuung nur eines Kindes doch der Mutter bestandes nur selten verlängert werden.
zugemutet werden können, z.B. zusätzlich Pflegekinder mitzube- Infolge der Automatik und der in jeder Hinsicht besonderen Pri-
treuen und auf diese Weise eigenes Einkommen zu erzielen, oder vilegierung des Betreuungsunterhalts besteht natürlich ein großer
zusammen mit anderen Alleinerziehenden organisatorische Lösun- Anreiz, das Sorgerecht für Kinder nach Scheidung zu bekommen.
gen zu finden, die wenigstens eine Teilzeitbeschäftigung ermög- Sie bedeuten eine unschlagbare Anspruchsgrundlage zur Erlan-
lichen. gung eigener Alimentation.
Im übrigen begegnet es aber auch erziehungspsychologischen Zumindest bis zum Inkrafttreten des KindRG am 1.7.1998, als
Bedenken, wenn der Betreuer seine ganze Energie nur auf ein Kind der Zuspruch des Sorgerechts an nur einen Elternteil die Regel war,
konzentriert - es besteht dann die Gefahr der bekannten Überbe- führte dies oft zu erbitterten Auseinandersetzungen der Eltern, die
mutterung. ^ nicht selten bis hin zu - fast immer unbegründeten - Mißbrauchs-
Mit kinderbetreuenden Sozialhilfeempfängerinnen verfährt der vorwürfen gegen Väter ausarteten. Es war also nichts mit dem
Staat weit rigoroser. Hier wird schon nach Vollendung des 3. Le- scheinheilig versprochenen Ende des „Schmutzige-Wäsche-
bensjahres des Kindes geprüft, ob der Mutter nicht eine Teilzeitbe- Waschens"! Es wurde schon gesagt, daß dabei die Väter in aller
schäftigung oder eine gemeinnützige Tätigkeit bei teilweiser Hort- Regel den Kürzeren zogen. Zum einen hatten die Mütter meist das
unterbringung des Kindes möglich ist (§ 18 BSHG). Bei der Verga- bekannte „Kontinuitätsprinzip" an ihrer Seite - vielfach, nachdem
be von Wohltaten mutet der Staat dem privaten Unterhaltszahler sie in Nacht- und Nebelaktionen die Ehewohnung verlassen und
also weit mehr zu, als er in vergleichbarer Lage selbst zu leisten die Kinder in der kriminellen Manier der Kindesentziehung, § 235
bereit ist. Strafgesetzbuch, mit sich nahmen. Damit hatten sie auf elegante
Die langjährige Verschonung geschiedener Mütter, die privat ali- Weise den „Kontinuitäts"-Zustand zu ihren Gunsten selbst herge-
mentiert werden, vor eigener Erwerbstätigkeit trägt bei diesen stellt. Solches Verhalten wurde merkwürdigerweise weder von
- auch mit Blick auf die Möglichkeit sich anschließender Unter- Staatsanwaltschaften verfolgt, noch zeigten sich in der Regel An-
haltskonstellationen, etwa Arbeitslosenunterhalt oder Unterhalt wälte bereit, Strafantrag zu stellen. Auch im Verfahren der Sorge-
wegen Krankheit - zu einer Verfestigung der Alimentationserwar- rechtszuerkennung fiel es kaum negativ ins Gewicht - im Gegen-
tung bei. Damit einher geht eine fortschreitende Entfremdung von teil. Um hier zu gewinnen, wurde ja so verfahren. Es gibt sogar
jeglicher außerhäuslicher Tätigkeit, die Bereitschaft zur entsprechende „Ratgeber" - teilweise öffentlich bezuschußt -, die
Eigenverantwortung schwindet immer mehr. Daß die berufliche Frauen zeigen sollen, wie sie den Mann insbesondere unter Geisel-

150 151
nähme der Kinder am besten zum Ausbeutungsobjekt degradieren Unter der Prämisse des Verantwortungsprinzips hatte bekannt-
können. Wehe jedoch einem Vater, der sein Kind entführt - ihm lich der weniger an der Ehezerrüttung schuldige Elternteil eine Be-
wird die halbe Polizei Deutschlands hinterhergehetzt! vorrechtigung bei der Zuerkennung des Sorgerechts. Dies war si-
Erschien das Kontinuitätsprinzip noch nicht als ausreichend, so cher nicht unvernünftig, denn sehr häufig offenbart doch derjenige,
kam den Müttern bei sonst „gleicher Erziehungseignung" der Um- der die Ehezerrüttung in erster Linie zu verantworten hat, gleich-
stand zugute, daß der Mann ja arbeitete und sich so „nicht ausrei- zeitig auch ein Verantwortungsdefizit gegenüber den Kindern, die
chend" um die Kinder kümmern konnte. Auf dieser Linie bewegt sich nichts mehr wünschen als das Zusammenbleiben der Familie.
sich auch ein Beschluß des BVerfG vom 5.11.1980. Darüber hinaus war nach früherem Recht für den überwiegend
Damit war vorprogrammiert, wer künftig die Rolle des Unter- verantwortlichen Teil auch dann kein eigener Unterhaltsanspruch
haltsesels zu spielen und sich über ein meist nur noch kärgliches gegeben, wenn ihm dennoch das Sorgerecht übertragen wurde.
Umgangsrecht zum Kind zu freuen hatte. „Aufsässige" Väter, die Aufgrund dieser Gesamtkonstellation war es praktisch ausge-
sich mit dieser von der „Rechtsordnung" vorgesehenen famosen schlossen, daß jemand um das Sorgerecht nur aus dem egoistischen
Aufteilung nicht ohne weiteres abfinden mochten und es wagten, Motiv seiner Unterhaltsberechtigung kämpfte und das Kind als
den Gerichten, Jugendämtern usw. zusätzliche Arbeit zu bereiten, Mittel dazu mißbrauchte.
verloren nach zermürbenden Instanzenzügen oft auch noch das Unter dem gegenwärtigen Rechtszustand ist dagegen nicht ein-
Umgangsrecht. Insoweit möchte ich insbesondere auch auf das mal auszuschließen, daß Ehefrauen von Hause aus ein Kind nur
ausgezeichnete Buch des Biejefelder Psychologieprofessors Uwe- deshalb „anschaffen", um sich einen todsicheren Versorgungs-
Jörg Jopt „Im Namen des Kindes - Plädoyer für die Abschaffung anspruch, den es sonst niemals gäbe, zu sichern. Ist der Mann nur
des alleinigen Sorgerechts" hinweisen. Seinem Kampf ist es wohl wirtschaftlich potent genug, kann frau ihm den Rücken kehren und
wesentlich zu verdanken, daß mittlerweile das gemeinsame Sorge- sich als gut alimentierte Alleinerzieherin einen schönen Lenz ma-
recht nach der Trennung von Eltern obligatorisch ist. chen. Selbst wenn sie sich schon während der Ehe einen anderen
Die an sich selbstverständliche Tatsache, daß Kinder fast immer Lover angelacht hat - diesmal vielleicht einen „fürs Herz" - beein-
an beiden Eltern hängen und sie sich deshalb auch über eine Schei- trächtigt dies dank BGH den Betreuungsunterhalt nicht. Was will
dung hinaus möglichst viel Kontakt zu beiden wünschen, schien frau eigentlich noch mehr?
auch vielen „Fachleuten" nicht klar gewesen zu sein. Dem steht Daß diese Überlegungen durchaus mit der Lebenswirklichkeit
nicht entgegen, daß es Einzelfälle gibt, in denen es wegen tatsäch- übereinstimmen, dürfte durch die Tatsache der Scheidung vieler
lich mangelhafter Erziehungseignung eines Elternteils gerecht- Ehen heute schon im 4. Ehejahr, und dabei oft relativ kurze Zeit
fertigt ist, ihn nicht mehr am Sorgerecht teilhaben zu lassen. nach der Geburt eines Kindes, belegt sein.
Gerichte, Jugendämter und „Sachverständige" belohnten also An diesem Punkt mag sich so mancher die Frage stellen, warum
nur allzu oft denjenigen mit dem Sorgerecht, der sogar durch sein Frauen nicht in größerem Umfang direkt von der Möglichkeit Ge-
äußeres Verhalten deutlich zu erkennen gab, daß er seinen Bezie- brauch machen, sich ihr „Wunschkind" über die Samenbank „zu
hungskonflikt gerade ohne Rücksicht auf das Kind austrug, es als besorgen". Die Antwort kann wohl nur lauten: von dort gibt's noch
Waffe im Scheidungskampf benutzte. keinen Unterhalt!

152 153
Insgesamt also wurde und wird das angebliche Leitprinzip des Hat der Berechtigte eine entsprechende Tätigkeit erlangt, ist die-
Kindeswohls in Wahrheit nur allzu oft umfunktioniert in ein Frau- se aber nicht von Dauer, kann er erneut Unterhalt beanspruchen (§
enwohl - allein ihr Selbstverwirklichungsstreben wird unterstützt, 1573 Abs. 4).
koste es, was es wolle. Hauptleidtragende sind dabei die Kinder Die Arbeitslosigkeit muß laut Gesetz nicht in Verbindung mit der
selbst, die Ansprach auf beide Eltern haben, aber auch die in großer Ehe stehen, eine entsprechende Kausalprüfung findet daher nicht
Zahl ausgegrenzten, zu reinen Unterhaltsbütteln herabgewürdigten statt.
Väter. Dabei gibt es genug Fälle, in denen z.B. ein Gatte schon vor der
Eheschließung nicht berufstätig war oder in denen er ohne sach-
Die gescheiterte Ehe als ein den Staat liche Notwendigkeit eine Berufstätigkeit aufgab - bisweilen auch
entlastendes Versorgungsinstitut gegen den Willen des Partners.
Hierdurch verlagert der Staat allgemeine Lebensrisiken eines
Wie wir soeben eingehend gelernt haben, können Frauen heute Ehegatten, in diesem Fall das Arbeitsplatzrisiko, radikal auf den
auch in den Fällen, in denen sie ihre Ehe selbst zerstört haben, Un- anderen. Es kommt bekanntlich noch hinzu, daß der Kreis der nach
terhalt vom verlassenen Ehegatten verlangen, wenn sie das Sorge- § 1574 angesonnenen Tätigkeiten eng gezogen ist. So trägt der un-
recht über ein Kind erhalten haben. Früher mußte in solchen Fällen terhaltsverpflichtete Gatte nicht nur ein gewöhnliches Arbeitsplatz-
der Staat für die Versorgung der Frau aufkommen, soweit es erfor- risiko des anderen, sondern ein qualifiziertes.
derlich war. In Abs. 5 des § 1573 ist zwar unter bestimmten Umständen eine
zeitliche Anspruchsbegrenzung vorgesehen. Sie ist jedoch zu vage
Unterhalt wegen Arbeitslosigkeit und zur angemessenen Entlastung des Verpflichteten nicht ausrei-
chend. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Befristung Aus-
Wie sehr sich Vater Staat darüber hinaus von Verpflichtungen, die nahme bleiben (Bundestagsdrucksache 10/4514 S. 21).
eigentlich ihn treffen, mit dem 1977er-Scheidungsrecht löste und
sie dem geschiedenen Mann aufbürdete, wird ganz besonders am Vernünftig wäre es gewesen, im Falle nachehelicher Arbeitslosig-
Unterhaltstatbestand wegen Arbeitslosigkeit deutlich. Gleichzeitig keit eines Ehegatten zuerst einmal festzustellen, ob überhaupt eine
wird dabei einmal mehr erkennbar, wie weit man sich von dem ehebedingte Bedürfnislage gegeben ist - anstatt einfach den ande-
Grundsatz der ehebedingten Bedürftigkeit als Anspruchsgrundlage ren Gatten pauschal zu belasten. Wird das im Einzelfall bejaht, so
nachehelichen Unterhalts entfernt hatte. kann aber dennoch keine Leistungspflicht auf Ewigkeit auferlegt
Sofern ein geschiedener Gatte nicht schon aus anderen Gründen werden. Dann sollte Unterhalt in aller Regel nur befristet zugespro-
Unterhalt verlangen kann, hat er gleichwohl Anspruch, solange chen werden, wobei insbesondere eine vernünftige Relation zur
und soweit er keine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden ver- Ehedauer selbst im Vordergrund stehen muß.
mag (§ 1573 Abs. 1). Was hierbei als „angemessen" gilt, wurde Jede darüber hinausgehende Belastung eines geschiedenen Ehe-
oben schon auseinandergesetzt. gatten bedeutet eine unzulässige Privatisierung des Arbeitsplatz-

154 155
risikos. Die Arbeitslosenfürsorge gehört zu den Aufgaben des Staa- stellen. Zusätzlich zum Unterhalt hat der Verpflichtete auch die be-
tes. Ein geschiedener Gatte kann nicht etwa für eine Wirtschafts- treffenden Ausbildungskosten zu übernehmen (§ 1578 Abs. 2) -
politik, die verstärkt Arbeitslosigkeit produziert, verantwortlich ge- wer kann, der kann!
macht werden.
Sofern unsere Gerichte ausnahmsweise Fristen setzen, verfahren Unterhalt wegen Alters, Krankheit oder Gebrechen
sie wiederum äußerst großzügig gegenüber dem Anspruchsteller.
Nicht selten sind sie länger, als die Ehe überhaupt gedauert hat. Ist einem Ehegatten wegen Alters und/oder Krankheit bzw. Gebre-
Im Ausland ist die von vorneherein befristete Unterhaltsgewäh- chen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht zuzumuten, wird
rung allgemeine Regel, und selten betragen die Fristen mehr als die nacheheliche Unterhaltslast noch rigoroser auf den anderen
drei Jahre. Bei dieser Lösung des zeitlich begrenzten Unterhalts Gatten übertragen. In diesen Fällen hat er ohne jede Ansehung der
liegt im übrigen auch die Initiativ- und Beweislast dort, wo sie ei- Umstände und ohne zeitliche Begrenzung zu zahlen (§§ 1571,
gentlich hingehört - nämlich bei demjenigen, der sich auf den Un- 1572). Dies gilt auch für Ehen, die erst im Alter geschlossen wur-
terhaltsanspruch beruft. Ob die Voraussetzungen einer Unterhalts- den. Auch spielt es keine Rolle, ob eine Krankheit schon vor Einge-
berechtigung vorliegen, insbesondere also, ob die Ehe den teilwei- hung der Ehe bestand (z.B. Urteile des BGH vom 23.9.1981,
sen oder völligen Verlust der Berufschancen eines Ehegatten mit 9.2.1994 oder 25.1.1995).
sich gebracht hat, muß im Einzelfall vom Unterhaltsbegehrenden Es werden also auch hier nach Scheidung der Ehe einer Seite
dargelegt und bewiesen werden. Er kann am besten diese in seiner alle Nachteile auferlegt, während die andere ausschließlich die Vor-
Sphäre liegenden Umstände Üartun. teile behält. Diese Regelungen dürften dazu führen, daß kaum noch
jemand bereit sein wird, einen bereits älteren, nichtvermögenden
Unterhalt wegen Aus- und Fortbildung Partner zu ehelichen. Gleiches gilt für kranke Menschen, sofern
ihre Krankheit erkennbar ist oder nicht verschwiegen wird.
Eine weitere Risikoüberantwortung zulasten des erwerbstätigen Dabei entlastet, wer einen solchen Partner heiratet, für die Zeit
Ehegatten liegt im Ausbildungs-, Fortbildungs- oder Umschu- der Ehe den Staat oder andere bis dahin Unterhaltsverpflichtete
lungsunterhalt nach § 1575. Wer „in Erwartung der Ehe oder wäh- ohnehin. Warum sollten diese im Falle des Scheiterns der Ehe nicht
rend der Ehe eine Schul- oder Berufsausbildung nicht aufgenom- wieder eintreten?
men oder abgebrochen hat", kann danach vom anderen Ehegatten
Unterhalt verlangen. Die Frage, wieso dieser haftbar gemacht wird Unterhalt aus Billigkeitsgründen
für Entschlüsse des anderen, insbesondere vor der Ehe eine Ausbil-
dung nicht aufzunehmen oder abzubrechen, bleibt unbeantwortet. Um auch wirklich keine Lücke im Unterhaltsnetz zu belassen, hat
Selbst wenn das erst während der Ehe geschah, müßte erst geprüft der Gesetzgeber in § 1576 all den schon genannten Anspruchs-
werden, ob der Abbrechende das überhaupt wegen der Ehe und im gründen noch einen Anspruch „aus sonstigen schwerwiegenden
Einverständnis mit dem anderen Gatten getan hat. Einmal mehr Gründen" angefügt, soweit „die Versagung von Unterhalt unter Be-
aber sind die Gerichte nicht gehalten, solche Nachprüfungen anzu- rücksichtigung der Belange beider Ehegatten grob unbillig wäre".

156 157
Es kann also u.U. auch dann Unterhalt gefordert werden, wenn Der seither geltende § 1579 lautet wie folgt:
keiner der bisher genannten Gründe der Kindesbetreuung, der Er- „§ J579 Ausschluß des Unterhaltsanspruchs bei grober Unbil-
werbslosigkeit, des Alters oder der Krankheit vorliegt. Genügen ligkeit.
kann hier schon die frühere Mitarbeit im Beruf oder Geschäft des Ein Unterhaltsanspruch ist zu versagen, herabzusetzen oder zeit-
anderen Ehegatten. Besonders großzügig zeigen sich die Gerichte lich zu begrenzen, soweit die Inanspruchnahme des Verpflichte-
bei der Einräumung von „Billigkeits"-Unterhalt, wenn der andere ten auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur
Gatte leistungsfähig ist. Wer hat, soll also möglichst auch zahlen - Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes
ein ganz neues „Gerechtigkeitsmerkmal" hat in unser (Schei- grob unbillig wäre, weil
dungs-)Recht Eingang gefunden! 1. die Ehe von kurzer Dauer war; der Ehedauer steht die Zeit
gleich, in welcher der Berechtigte wegen der Pflege oder Er-
Ganz allgemein muß hier festgehalten werden, daß mit der nach- ziehung eines gemeinschaftlichen Kindes nach § 1570 Unter-
ehelichen Unterhaltspflicht weitgehend öffentliche Aufgaben der halt verlangen konnte,
Daseinsvorsorge privatisiert werden sollten. Diese Verlagerung ist 2. der Berechtigte sich eines Verbrechens oder eines schweren
aber nicht zulässig, soweit sie nicht im Einzelfall rechtsethisch aus- vorsätzlichen Vergehens gegen den Verpflichteten oder einen
reichend begründet werden kann. nahen Angehörigen des Verpflichteten schuldig gemacht hat,
3. der Berechtigte seine Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt
Wegfall bzw. Minderung von Unterhaltsansprüchen nur hat,
bei „grober Unbilligkeit" - Fremdgehen ist erlaubt! 4. der Berechtigte sich über schwerwiegende Vermögensinteres-
sen des Verpflichteten mutwillig hinweggesetzt hat,
Allgemeines 5. der Berechtigte vor der Trennung längere Zeit hindurch seine
Pflicht, zum Familienunterhalt beizutragen, gröblich verletzt
Der Gesetzgeber wollte die Verfassungsmäßigkeit des grundsätz- hat,
lich schuldunabhängigen Unterhaltsrechts dadurch gewährleisten, 6. dem Berechtigten ein offensichtlich schwerwiegendes, ein-
daß ein Anspruch bei Vorliegen besonders schwerwiegender Aus- deutig bei ihm liegendes Fehlverhalten gegen den Verpflich-
schlußtatbestände versagt wird. Entsprechende Sachverhalte wur- teten zur Last fällt oder
den in § 1579 normiert. Der Unterhaltsausschluß sollte aber wie- 7. ein anderer Grund vorliegt, der ebenso schwer wiegt wie die
derum dann nicht in Frage kommen, wenn der Unterhaltsbegehren- in den Nummern l bis 6 aufgeführten Gründe."
de ein gemeinsames Kind betreute. Diese unbedingte Koppelung
wurde, wie bereits geschildert, vom BVerfG mit Urteil vom Um das Verschuldensprinzip nicht „Wiederaufleben zu lassen",
14.7.1981 für verfassungswidrig erklärt. sollte die Bestimmung nur eng begrenzte Ausnahmefälle einer Un-
Mit dem UÄndG 1986 kam die Gesetzgebung dem Urteil nach terhaltsversagung oder -herabsetzung beinhalten.
und berücksichtigte außerdem die inzwischen ergangene weitere Schon die Wortwahl der Vorschrift zeigt den Ausnahmecharakter
Rechtsprechung bei der neuen Ausformulierung der Vorschrift. ihrer praktischen Anwendbarkeit in Redewendungen wie „schwe-

158 159
res vorsätzliches Vergehen" (Nr. 2), „mutwillig herbeigeführte Be- Dieses Prinzip der Billigkeit sollte vernünftigerweise für den ge-
dürftigkeit" (Nr. 3), „mutwillige Hinwegsetzung über schwerwie- samten Rechtsbereich Geltung haben, von wenigen Spezialfällen,
gende Vermögensinteressen" des Verpflichteten (Nr. 4), „gröbliche die hier nicht erörtert werden müssen, abgesehen.
Verletzung" der eigenen Unterhaltspflicht „längere Zeit hindurch" Für das wichtige Gebiet des Eherechts wurde von diesem
(Nr. 5) sowie „offensichtlich schwerwiegendes, eindeutig bei ihm Grundsatz im Zuge der Reformgesetzgebung von 1976/1977 abge-
liegendes Fehlverhalten" in Nr. 6. wichen: hier ist seitdem nur noch „grobe" Unbilligkeit von rechts-
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als ob der Gesetz- erheblicher Bedeutung - wie § 1579 uns lehrt.
geber sich noch eines Sprachwissenschaftlers bedient hat, um mit Ein nachvollziehbarer Grund für diese Einschränkung ist - ge-
besonders eingrenzenden Formulierungen die gewollte Extremhaf- rade für diesen sensiblen Bereich — nicht auszumachen. Aber wen
tigkeit der Ausschlußtatbestände „unmißverständlich" zum Aus- wundert das noch?
druck zu bringen. So gewährt die Scheidungsreform einem moralisch schuldigen
Gatten, der seine Bedürftigkeit selbst herbeigeführt hat, Beistand
Recht und Billigkeit bedingen einander. Der Begriff der Billigkeit auch dann, wenn sein Verlangen „nur" unbillig sein sollte. Erst
im Rechtswesen kann definiert werden als das Gebot, jeweils eine wenn der Richter wegen der Schwere seines Fehlverhaltens sozu-
individualisierte, den Besonderheiten des Einzelfalles gerecht wer- sagen fast vom Stuhl fällt, darf er an eine Einschränkung seiner
dende Entscheidung zu finden. Ansprüche denken.
Gesetzliche Ausprägung hat der Billigkeitsgedanke vor allem in Die Verantwortlichen dieser Gesetzgebung haben also (bewußt)
Verbindung mit dem Begriff des Grundsatzes von „Treu und Glau- außer Acht gelassen, daß bereits Richtersprüche, welche die „ge-
ben" - § 242 - erhalten. „Treu und Glauben" und „Billigkeit" sind wöhnliche" Unbilligkeit nicht berücksichtigen, längst nicht mehr
im Wesentlichen nichts anderes als verschiedene Umschreibungen Recht, sondern Unrecht sind! Die Handlungs- und Entfaltungs-
derselben Sache: Die Verpflichtung zur angemessenen Rücksicht- freiheit des Verpflichteten ist - wie sonst auch - schon bei Vorlie-
nahme auf die schutzwürdigen Interessen etwa eines Vertragspart- gen von „einfacher" Unbilligkeit in unzumutbarer Weise beein-
ners sowie allgemein zu einem redlichen und loyalen Verhalten. trächtigt. Unbilliges ist nun einmal Unrecht, und Unrecht ist nicht
Nur derjenige soll Rechte geltend machen können, der sich selbst zumutbar.
rechtstreu verhalten hat. Darüber hinaus wurden die ohnehin schon vom Gesetzestext her
Auf diese Grundsätze gehen auch andere wichtige Regeln etwa äußerst begrenzten Ausschlußtatbestände durch die Rechtspre-
des Bürgerlichen Rechts zurück - so z.B. die §§ 133, 157 zur Aus- chung in vieler Hinsicht noch mehr eingeengt.
legung von Willenserklärungen und Verträgen; § 162 im Hinblick
auf die Folgen treuwidriger Verhinderung oder Herbeiführung von Zu den einzelnen Fallkonstellationen des 1579 sollte das Nach-
Bedingungen oder § 815, der eine Leistungsrückforderung ablehnt, stehende hervorgehoben werden.
wenn der Eintritt des damit bezweckten Erfolgs durch den Leisten-
den selbst treu widrig verhindert wurde.

160 161
Nr. l: Kurze Ehedauer er nicht zu Unterhaltsansprüchen kommen, weil in einem Großteil
von Ehescheidungen die Ehe noch keine 10 Jahre gedauert hat.
Ein sowohl rechtsinhaltlich wie rechtspolitisch verfehltes Urteil Gerade ein solches „Argument" macht deutlich, welche Fehlvor-
hat in dieser Frage der BGH am 26.11.1980 gefällt. Die Richter des stellungen bei uns im Blick auf ein Zerrüttungsscheidungsrecht
betreffenden Senats vertraten die Auffassung, daß in aller Regel teilweise bestehen. Bei richtigem Verständnis des Zerrüttungs-
eine Ehe mit nur einer Dauer von zwei Jahren noch als kurz im gedankens müssen mit der Scheidung einer Ehe alle Beziehungen
Sinne dieser Vorschrift zu bewerten sei, eine solche von 43 Mona- zwischen den Gatten grundsätzlich erlöschen. Nachgehende An-
ten Dauer jedoch schon nicht mehr. Infolge dieser Entscheidung — sprüche können also nicht die Regel, sondern müssen die Ausnah-
der BGH hat seine Rechtsprechung insoweit leider bis heute nicht me sein. Wenn unser Gesetzgeber dem nicht gefolgt ist, so zeugt
korrigiert - werden also Ehen, die länger als 2 1/2 oder jedenfalls 3 das eben nur von der grundsätzlichen Fehlkonstruktion des nach-
Jahre gedauert haben, nicht mehr als „kurz" erachtet, so daß eine ehelichen Unterhaltsrechts.
Anspruchsbegrenzung wegen kurzer Ehe praktisch fast nie stattfin- Entscheidendes Kriterium für die Kürze einer Ehe sollte es ins-
det. besondere sein, ob sie den Ehegatten noch Lebenszeit und Kräfte
Es hilft bisher nichts, daß die allermeisten Kritiker dieses Urteil übrig ließ, um sich eine neue selbständige Existenz zu schaffen,
ebenso angreifen, wie ich es hier tue - auch insoweit möchte ich vor allem, ob eine Rückkehr des zuletzt nicht erwerbstätigen Ehe-
z.B. nur auf Willutzki im Zentralblatt für Jugendrecht 1984, 5 ver- gatten in den Beruf nicht ausgeschlossen ist.
weisen. Abgesehen von den betreffenden Richtern des Bundesge- Jedenfalls können als Richtwert für eine kurze Ehe in diesem
richtshofs scheint es, wie gesagt, kaum jemandem einzuleuchten, Kontext doch niemals 2 1/2 Jahre angenommen werden.
warum etwa 5- oder 6jährige Ehen nicht auch noch als „regelmä- Ebenso verändert etwa der Hinweis auf den Ausnahmecharakter
ßig" kurz angesehen werden sollten. Im Auslandsrecht werden im des § 1579 gegenüber den Unterhaltstatbeständen der §§ 1570-
Zusammenhang mit der Unterhaltsgewährung ganz überwiegend 1575 dahin, daß die dort geregelten Sachverhalte die Belange des
Ehen bis zu einer Dauer von 10 Jahren noch als kurz bezeichnet. Unterhaltsbegehrenden als besonders schutzwürdig erscheinen lie-
Dies erscheint auch vernünftig. Legt man zugrunde, daß lt. Stati- ßen, nichts am unveränderbaren Sachbegriff der kurzen Ehedauer.
stik alle Ehen eine durchschnittliche Dauer von 32 Jahren aufwei- Abgesehen von der Tatsache, daß die materiale Rechtfertigung die-
sen - darin sind sowohl die Ehebeendigungen durch Tod eines Part- ser Normen selbst weitgehend in Abrede zu stellen ist, und daß
ners als auch diejenigen infolge Scheidung enthalten -, so kann wieder einmal nach der Schutzwürdigkeit des anderen Gatten über-
eben daraus schon begrifflich nur eine ungefähre Drittelung als haupt nicht gefragt wird, kann ein solcher Einwand aus einer kur-
Maßstab für die entsprechende Einordnung einer Ehedauer abge- zen Ehe nun einmal keine lange machen.
leitet werden: Bis zu 10jährige Ehen sind als kurz, solche mit einer Auch die Lebenstatsachen selbst sprechen doch gegen die
Dauer von mehr als 10 bis zu 20 Jahren als mittellang, und über Rechtsauslegung des BGH. Es kann doch in der Tat nicht davon
20jährige Ehen als lang zu deklarieren! ausgegangen werden, daß Ehen nach einer Dauer von lediglich 2-3
Daran kann auch nicht herummanipuliert werden etwa mit dem Jahren im allgemeinen bereits eine Fixierung des beiderseitigen
Einwand, es würde dann vielfach schon wegen der kurzen Ehedau- Lebensplanes mit sich bringen, die Vertrauensschutz auf lang-

162 163
jährigen Unterhalt auszulösen geeignet sind. Selbst wenn ein Gatte nanzieller Vorteile wegen geschlossen zu haben, ist nach Auffas-
seine Berufstätigkeit zunächst aufgegeben und die Haushalts- sung unserer Gerichte nicht geeignet, ihr den Unterhalt zu versa-
führung übernommen hat, ist diese Umstellung nach so kurzer Zeit
doch noch nicht prägend für das gesamte weitere Leben. Diebstahl und Unterschlagung fallen nur dann unter die Nr. 2,
Der Begriff der Kurzehe sollte also richtigerweise regelmäßig wenn dadurch das Einkommen und Vermögen und damit die wirt-
auf Ehen von noch nicht 10-jähriger Dauer Anwendung finden. In schaftliche Grundlage der Unterhaltspflicht erheblich und nachhal-
diesen Fällen müßte Unterhalt entweder völlig versagt oder bei tat- tig beeinträchtigt ist. Sonst kann nach Herzenslust geklaut werden.
sächlichem Vorliegen ehebedingter Bedürftigkeit zeitlich angemes- „Gewöhnliche" Urkundenfälschung oder Untreue (hier im straf-
sen begrenzt werden. rechtlichen Sinne gemeint) reichen ebenfalls nicht (Palandt-BGB,
Was wir heute haben, verlangt doch nur das Abwarten eines for- 56. Aufl., 1467).
malen Scheidungsantrags auf maximal drei Jahre - wobei eine tat- Körperverletzungen müssen die körperliche Unversehrtheit er-
sächliche Lebensgemeinschaft überdies nicht vorausgesetzt wird heblich beeinträchtigen und Folgewirkungen haben, wenn sie für
(BGH vom 9.7.1980), und die Unterhaltstür steht bereits weit of- die Anwendung des § 1579 in Frage kommen sollen.
fen. Es liegt doch auf der Hand, daß damit reinen Abzocker-Ehen,
die schon von vorneherein als solche geplant waren, der Weg geeb- Nr. 3 - Mutwillig herbeigeführte Bedürftigkeit
net wird. Umgekehrt muß der mögliche Unterhaltsschuldner, der
die Gefahr einer Krise heraufziehen sieht, sich schon nach läng- Diese Fallgestaltung steht in der Praxis häufig zur Debatte bei Al-
stens 2 1/2 Jahren Ehedauer zum Scheidungsantrag entschließen, kohol- oder Drogensucht des Unterhaltsbegehrenden. An den
wenn er horrenden Belastungen aus dem Weg gehen will. Nachweis der „Mutwilligkeit" werden hohe Anforderungen ge-
stellt, und beweispflichtig ist ein weiteres Mal der in Anspruch Ge-
Nr. 2 - Verbrechen oder schweres vorsätzliches Vergehen nommene. Hat z.B. die Sucht den Ehegatten „anlagebedingt" oder
sonst „schicksalhaft" befallen, so fehlt es bereits am Tatbestands-
Beleidigungen, Verleumdungen oder falsche Anschuldigungen merkmal des Mutwillens (BGH, 14.1.1987) - und wer könnte
werden hier nur dann als relevant erachtet, wenn sie schwer sind, schon das Gegenteil solchen Vorbringens beweisen? Auch das Un-
wiederholt vorkommen und mit nachteiligen Auswirkungen auf die terlassen einer erforderlichen Heilbehandlung wird nur in Ausnah-
persönliche und berufliche Stellung des anderen Gatten verbunden mefällen als mutwillig angesehen (OLG Hamm, 5.2.1996; BGH,
sind (BGH vom 16.9.1981). In einer anderen Entscheidung vom 13.1.1988). Selbst wer angesichts der sich abzeichnenden Schei-
9.5.1979 hat der BGH z.B. keinen Einwand dagegen erhoben, daß dung eine bis dahin ausgeübte Berufstätigkeit aufgibt, um so einen
ein Vorgangsgericht einen Beweisantrag ablehnte, wonach eine un- Unterhaltsanspruch zu erlangen, ist meist fein raus: es müßte ihm
terhaltsfordernde Frau vor Zeugen ausgesagt hatte, sie habe ihren die Absicht, auf Kosten des anderen leben zu wollen, nachgewiesen
Mann nur geheiratet, um an sein Geld zu kommen - im übrigen werden, was wohl selten möglich sein dürfte (Palandt, 56. Aufl., S.
aber könne er verrecken. Selbst eine derartige Äußerung also, mit 1467).
der die Frau selbst klar zum Ausdruck bringt, die Ehe lediglich fi-

164 165
Nr. 5 - Gröbliche eigene Unterhaltspflichtverletzung über längere on" bekommen wollen (BGH vom 14.1.1987).
Zeit hindurch Das Kammergericht Berlin hat es in einem Urteil vom 12.7.1994
nicht als unter Nr. 6 fallend angesehen, daß eine Frau ihren Mann
Die Wortwahl sagt schon fast alles. Gefordert ist grob fahrlässiges des sexuellen Mißbrauchs an den Kindern bezichtigte und diese
Verhalten, in der Regel muß die Familie dadurch bereits in eine Vorwürfe auch dann noch aufrecht erhielt, als ein gerichtliches
Notlage geraten sein. „Längere Zeit hindurch" bedeutet hier jahre- Sachverständigengutachten sie entkräftet hatte. Die Frau habe in
lang, mindestens zwei bis drei Jahre! „Normale" Haushaltsver- „Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt", nachdem der
nachlässigung etwa oder schlampige Kindererziehung reichen kei- Mann sich auf § 1579 Nr.6 berufen habe! Ein Düsseldorfer Gericht
nesfalls aus. sah „keine Sittenwidrigkeit" im Verhalten einer Frau, die ihren
Mann über Jahre hinweg bewußt über seine Vaterschaft über ein
Nr. 6 - Offensichtlich schwerwiegendes einseitiges Fehlverhalten Kind getäuscht hatte - ich hoffe, liebe Leser, auf Ihr Verständnis,
wenn ich auf eine weitere Kommentierung dieser Richtersprüche
Die „bloße" Hinwendung zu einem anderen Partner - der klassi- verzichte.
sche Alltagsfall einer möglichen Anwendung der Nr. 6 - reicht
nicht aus. Nach „moderner" Ansicht ist das Eingehen einer neuen Nr. 7 - Anderer schwerwiegender Grund
Beziehung nämlich in der Regel nicht Ursache, sondern lediglich
Ausdruck der Ehezerrüttung! .Wie sollte das Gegenteil bewiesen Auch in diesem Punkt geht es zumeist um die Aufnahme neuer
werden, wenn diese Behauptung aufgestellt wird? Partnerschaftsbeziehungen, allerdings mehr unter dem Blickwin-
Von der Rechtsprechung und im Schrifttum werden im übrigen kel „objektiver" Gesichtspunkte und weniger unter dem Aspekt
wahre Eiertänze aufgeführt um die Frage, inwieweit im Rahmen persönlichen Fehlverhaltens. Hat sich eine neue Partnerschaft auch
der Nr. 6 eheliches Fehlverhalten zu untersuchen ist. Das Verant- in ihrem „öffentlichen Erscheinungsbild" in einem Maße verfe-
wortlichkeitsprinzip darf ja unter keinen Umständen „über die Hin- stigt, daß damit gleichsam ein nichteheliches Zusammenleben an
tertür" wieder eingeführt werden - das wäre ein Sakrileg gegen die die Stelle einer Ehe getreten ist, kann die (uneingeschränkte) Un-
reine Lehre! Dabei sollte doch jedem einsichtig sein, daß es ohne terhaltsbelastung für den Verpflichteten unzumutbar sein (BGH v.
Einbeziehung und Würdigung menschlicher Verhaltensweisen gar 21.12.1988). Voraussetzung dafür ist jedoch im allgemeinen ein
nicht möglich ist, den Tatbestand der Nr. 6 zu bewerten. mindestens zweijähriges Zusammenleben solcher Art, hinzu kom-
Die Vereitelung des Umgangsrechts zu den ehelichen Kindern men wiederum die Beweisschwierigkeiten.
führt ebenfalls nur selten zur Einschränkung von Unterhaltsan-
sprüchen. Eine „schuldhafte" Verhinderung des Umgangs ist meist
nicht nachweisbar - die böswilligen Ausreden sind bekanntlich Le-
gion. So beeinträchtigen selbst Auswanderungen, die das Um-
gangsrecht unmöglich machen, die Alimentation nicht. Es muß nur
behauptet werden, frau habe „Abstand von der ehelichen Situati-

166 167
Die zusätzliche Einschränkung des den Unterhaltsanspruch des Betreuers ganz oder teilweise abzu-
Anwendungsbereichs des § 1579 bei Betreuung lehnen.
IBS eines Kindes durch den Unterhaltsbegehrenden Der BGH schließlich hat mit seinem Urteil vom 27.9.1989 wis-
sen lassen, wie er die neue Vorschrift auszulegen gedenkt.
Bereits an früherer Stelle war davon die Rede, daß der Gesetzgeber Es ging in dem zu entscheidenden Fall um eine Ehe, in der die
in Gestalt des zunächst geltenden § 1579 Abs. 2 eine ausnahmslose Frau eine Beziehung zu einem anderen Mann aufgenommen hatte.
Verbindung zwischen Kindesbetreuung und eigenem Unterhaltsan- Mit diesem hatte sie zudem ein Kind gezeugt, dessen Ehelichkeit
spruch hergestellt hatte, die vom BVerfG am 14.7.1981 für un- der Mann erst anfechten mußte. In der Folge lebte sie weiterhin mit
rechtmäßig erklärt wurde. Das BVerfG führte als Begründung sei- dem neuen Partner zusammen. Der BGH bewertete diesen Sach-
ner Entscheidung in Bezug auf § 1579 Abs. 2 aF u.a. wörtlich aus: verhalt zwar als „allgemein" grob unbillig im Sinne des § 1579 Nr.
„ Wenn ein Ehegatte sicher sein dürfte, seinen Unter- 6, gestand der Klägerin aber dennoch Unterhalt zu, weil sie ein ge-
haltsanspruch im Fall der Betreuung eines gemeinsa- meinsames Kind der Ehegatten betreute. Die „Belange des Kin-
men Kindes auch bei einem schwerwiegenden, eviden- des", für das der Vater ohnehin Unterhalt bezahlte, ließen laut BGH
ten ehelichen Fehlverhalten nicht zu verlieren, könnte er die grobe Unbilligkeit wieder entfallen. Sie wären nach Ansicht der
verleitet werden, sich beim Auftreten ehelicher Schwie- Richter nicht mehr gewahrt, wenn die Mutter Sozialhilfe beanspru-
rigkeiten nicht ?nehr um den Erhalt der Ehe zu bemühen, chen müsse. Die Sozialhilfe sei subsidiär gegenüber der Unter-
sondern sich statt dessen - unter Mitnahme des Kin- haltspflicht des Ehegatten.
des - einem anderen Partner zuzuwenden. Derartige, Das OLG Koblenz hatte in der Vorinstanz (Entsch. vom
ehebeeinträchtigende Wirkungen unterhaltsrechtlicher 4.10.1988) vernünftigerweise noch darauf erkannt, Unterhalt in
Regelungen verbietet aber Art. 6 Abs. / GG. " Fällen wie dem vorliegenden auch dann zu versagen, wenn die be-
dürftige Partei auf Sozialhilfe - etwas anderes kommt ja dann in
Es folgte dann 1986 die Neufassung des § 1579 insgesamt, wie sie aller Regel nicht mehr in Betracht - verwiesen ist. Dem stünden die
oben abgedruckt wurde. Diese Fassung versagt nunmehr einen Un- Belange eines betreuungsbedürftigen Kindes nicht entgegen, da
terhaltsanspruch ganz oder schränkt ihn ein, soweit bei Vorliegen sich an dessen Betreuungssituation wegen des Ersatzes von Unter-
einer der übrigen Voraussetzungen der Vorschrift die Inanspruch- halt durch Sozialhilfe nichts ändere.
nahme des Verpflichteten auch unter Wahrung der Belange eines
dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemein- Die Entscheidung des BGH ist unverständlich.
schaftlichen Kindes grob unbillig wäre. Nicht nur müßten wegen der Schwere der Eheverfehlungen im
Diese Formulierung bedeutet, daß die grobe Unbilligkeit, wie gegebenen Fall „die Belange des Kindes" - gemeint sind ohnehin
sie ihren Ausdruck in den Nummern 1-7 des § 1579 findet, den- die der Mutter, denn es geht ja um ihren Unterhalt, das Kind wird
noch nicht zur Unterhaltsversagung führen muß, wenn ein gemein- hier nur vorgeschützt - hinter denen des Unterhaltsverpflichteten
sames Kind betreut wird. Man kann also folgern, es müsse diesen- zurücktreten. Abgesehen davon waren sie im konkreten Fall ohne-
falls noch mehr als „nur" grobe Unbilligkeit (i) gegeben sein, um hin in keiner Weise beeinträchtigt, denn die Sozialhilfeleistungen

168 169
wären hier mindestens ebenso hoch gewesen wie der Unterhalt, korrekt. Die Rechtsprechung des BGH führt vielmehr zu einer un-
den der Vater zahlen konnte. gerechtfertigten Bevorzugung geschiedener Mütter gegenüber an-
Vor allem aber verkannte der BGH, daß, wenn gem. § 1579 eine deren alleinerziehenden Müttern.
Verwirkung von Ehegattenunterhalt in Betracht kommt, doch kein Der BGH begibt sich mit dieser Art Rechtsprechung in eine Zir-
Raum mehr bleibt für die Frage der Subsidiarität der Sozialhilfe. kularität, die einen Vergleich mit der mittelalterlichen Prozedur des
Die Frage der Subsidiarität kann sich nur im Rahmen bestehender „Gottesurteils", angewandt etwa bei Hexenprozessen, nahelegt:
Unterhaltsansprüche stellen. Wenn aber im Einzelfall von Verfas- Zeigte die betreffende Folter die normalerweise vorherzusehenden
sungs wegen eine Inanspruchnahme des geschiedenen Gatten we- Folgen, so galt das ohnehin als Bestätigung der Schuld des Delin-
gen unzulässiger Einschränkung seines Persönlichkeitsgrundrechts quenten. Wurde sie ausnahmsweise ohne größere Blessuren über-
aus Art. 2 Abs. l GG nicht in Betracht kommt, so kann dies nicht standen, half ihm vielerorts auch das nicht: dann mußte er ja mit
wieder wegen einfachgesetzlicher Subsidiaritätsregeln ad absur- dem Teufel im Bunde stehen, denn wie sonst hätte er die Folter
dum geführt werden. Es ist vielmehr die unvermeidliche Konse- unbeschadet überstehen können!
quenz der Versagung eines privaten Unterhaltsanspruchs, daß der Die neuzeitliche Version lautet in unserem Zusammenhang so:
Bedürftige in Ermangelung anderer Bezugsquellen öffentliche Un- Erkennt das hohe Gericht - wie es der Normalfall ist - nicht auf
terstützung in Anspruch nehmen muß. Andernfalls wäre Bedürftig- einen der Tatbestände des § 1579, zahlst du ohnehin. Liegen die
keit ja ohnehin nicht gegeben, und ein Unterhaltsanspruch käme Voraussetzungen der Vorschrift aber an sich vor, zahlst du trotz-
schon deswegen nicht in Betracht. dem, denn der Unterhaltsbegehrende müßte sonst Sozialhilfe be-
Der BGH aber reicht den „Schwarzen Peter" an den geschiede- ziehen!
nen Gatten zurück, weil die Unterhaltsfordernde sonst Sozialhilfe
beanspruchen müßte! Das bedeutet in der praktischen Auswirkung Ein Unterhaltsanspruch kann - zumindest in den Fällen des
nichts anderes als die Wiedererlangung des Zustandes, den das § 1579 - auch nicht etwa damit begründet werden, es sei der Mut-
BVerfG als unzulässig beanstandet hatte: Die unbedingte Ver- ter mit der Sorgerechtsentscheidung trotz ihres ehewidrigen Ver-
schränkung von Kindesbetreuung und Unterhalt. haltens die Aufgabe der Kindesbetreuung übertragen worden, die
Der Hinweis des BGH auf § 18 Abs. 3 des Bundessozialhilfe- vom geschiedenen Ehemann entsprechend honoriert werden müs-
gesetzes, wonach hier strengere Anforderungen an die Aufnahme se. Wie ich bereits früher deutlich machen konnte, vollziehen sich
einer Erwerbstätigkeit des Betreuers gestellt werden, vermag an heute viele Sorgerechtszuweisungen ungetrübt von jeglichem
der Unhaltbarkeit der Entscheidung nichts zu ändern. Das Gericht Sachverstand meist nach Schema F „Vater muß arbeiten, Mutter
sieht darin wohl eine indirekte Beeinträchtigung der Kindesinter- hat Zeit" und ohne jegliche Ansehung des Eheverhaltens der El-
essen. Es drückt sich in dieser Passage der Urteilsbegründung sehr tern. Folge ist in mehr als 90 % der Fälle die Übertragung des Sor-
unklar aus. Jedenfalls könnte dies keine Inanspruchnahme des ge- gerechts auf die Mutter. Erfahrungsgemäß verteilt sich aber die
schiedenen Gatten rechtfertigen. Wenn die Sozialbehörde Müttern bessere Erziehungseignung etwa gleichmäßig auf die Elternteile.
unter bestimmten Voraussetzungen eine Erwerbstätigkeit zumutet, Deshalb ist davon auszugehen, daß schlicht 40 % der Sorgerechts-
so handelt sie damit in dem ihr vorgegebenen gesetzlichen Rahmen entscheidungen nicht sachgerecht sind. Der somit eher rein forma-

170 171
^--»•»^TOEfeS-rf«^-—,-:~Ä .,--„,„~:^^.^*^±^^^^^a±^.

le Akt der Sorgerechtszuweisung rechtfertigt grundsätzlich keinen Der Versorgungsausgleich


Unterhaltszuspruch. Dies gilt insbesondere für den unterhaltsbean-
spruchenden Ehezerrütter, und zwar unabhängig davon, ob er die Die Institution des Versorgungsausgleichs wurde - als weltweit
elterliche Gewalt im Rahmen alleiniger oder gemeinsamer Sorge bisher einmalige Konstellation dieser Art - ebenfalls mit dem
ausübt. 1. EheRG mit Wirkung vom 1.7.1977 ins Leben gerufen.
So verdeutlicht sich auch bei § 1579 die gesamte Fehlkonstruk- Man wollte es mit den ausgedehnten nachehelichen Unterhalts-
tion der unbedingten Anbindung eines eigenen Unterhaltsan- regelungen noch nicht genug sein lassen - die „wirtschaftliche
spruchs an die Betreuung eines Kindes: Perfide wird ein künstli- Ehe" soll wirklich erst aufgelöst werden, bis der Tod die Gatten
cher Konflikt der Interessen des Kindes zu denen des Unterhalts- scheidet!
verpflichteten konstruiert, obwohl es in Wirklichkeit um die
Interessen des Betreuers geht, der sich jedenfalls in diesen Fällen Gegenstand des Versorgungsausgleichs ist die gleichmäßige Auf-
auch noch höchst ehewidrig verhalten hatte. teilung der während der Ehezeit von den Ehegatten erworbenen
Das Urteil des BGH erscheint mir als eine Art Krönung einer Versorgungsansprüche. Das können z.B. Ansprüche aus der gesetz-
frauenbevorzugenden Rechtsprechung, die sich kontinuierlich über lichen Rentenversicherung oder Pensionsansprüche sein. Bei freien
die gesamten 80er-Jahre erstreckt hat. Auffällig ist auch die uner- Berufen kommt deren jeweilige Altersversorgung in Betracht.
klärliche Scheu vor einer Verweisung des Bedürftigen an die öf- Der Grundsatz der Ehezerrüttung gilt auch für den Versorgungs-
fentliche Fürsorge selbst in ^Extremfällen. Erschüttern muß die ausgleich. Verschuldensaspekte werden deshalb ebenso wie beim
Kaltblütigkeit, mit der die Richter in einem derartigen Fall dem nachehelichen Unterhalt nur in Extremfällen berücksichtigt
geschiedenen Mann alle Lasten aufgebürdet haben - es zeigt sich (§ 1587 c). Alles insoweit zum Unterhalt Gesagte gilt also entspre-
keine Spur von Sensibilität gegenüber seiner Situation. chend für den Versorgungsausgleich.

Im Ergebnis ist festzuhalten, daß § 1579 nicht annähernd ausreicht, Zusammenfassung /Auslandsvergleich
um fundamentalen Billigkeitserfordernissen im Bereich des Ehe-
gattenunterhalts nach Scheidung zu genügen. Sowohl Gesetzestext Wie gezeigt werden konnte, beinhaltet das geltende Gesetz eine
wie Rechtsprechung engen den Anwendungsbereich der Vorschrift praktisch lückenlose Abfederung jedweden Lebensrisikos, dessen
auf ein Minimum ein. Zudem trägt der Unterhaltsverpflichtete fast sich der „wirtschaftlich schwächere" Eheteil nach einer Eheschei-
ausschließlich die Beweislast. dung ausgesetzt sehen könnte. Daß ein Teil der Unterhaltsschuld-
Es gibt keine Statistik darüber, wie oft § 1579 tatsächlich zur ner de facto nicht entsprechend leistungsfähig ist, steht auf einem
Anwendung kommt. Wegen der besagten Eingrenzungen wird das anderen Blatt und hat nichts zu tun mit der Frage des prinzipiellen
selten der Fall sein, so daß die Bestimmung rechtstatsächlich mehr Gerechtigkeitsgehaltes eines Gesetzes. Es reicht ja wohl vollkom-
oder weniger bedeutungslos sein dürfte. men, wenn jemand, um es wiederholt zu sagen, wegen eines un-
treuen Gatten bis auf den notwendigen Selbstbehalt herabge-
pfändet wird, auch wenn dieser so geleistete Unterhalt noch durch

172 173
Sozialhilfe ergänzt werden muß. Der Verpflichtete ist so und anders darüber hinaus. Der häufig herangezogene Gedanke nachehelicher
ruiniert! Solidarität kann grundsätzlich nicht durchgreifen, weil er, schon
Die gesetzlich geregelten Unterhaltssachverhalte sind aus- begrifflich, Gegenseitigkeit voraussetzt - vor allem für die Zeit der
nahmslos auf die Belange des Unterhaltsgläubigers zugeschnitten. Ehe selbst. Nachdem hierauf aber nicht mehr abgestellt wird, ist
Beim Maß des Unterhalts wurde mit der Zubilligung des ehelichen Solidarität einseitig gefordert. Das aber ist mit dem Rechtsstaats-
Lebensstandards die mögliche Höchstgrenze gewählt. Die Anfor- grundsatz materieller Gerechtigkeit unvereinbar.
derungen an eine eigene Erwerbstätigkeit des Unterhaltsempfän-
gers wurden dagegen auf ein Mindestmaß begrenzt - nur eine „an- Auslandsvergleich
gemessene" Tätigkeit, die sich wiederum auch am ehelichen Le-
bensstandard orientiert, wird angesonnen. Unser Scheidungsfolgenrecht ist - ich deutete es schon mehrfach
Bei Wiederverheiratung des Verpflichteten genießt der Unter- an - auch im Vergleich zu Auslandsrechten in seiner Einseitigkeit
haltsanspruch des geschiedenen Ehegatten grundsätzlich Vorrang - konkret also in seiner Überbelastung des Unterhaltsschuldners
vor dem des neuen Ehegatten. Der Anspruch erlischt auch nicht mit bei entsprechender Bevorzugung seines Gegenparts - unerreicht.
dem Tod des Unterhaltsschuldners, sondern geht als Nachlaßver- Allerdings würde sich am Unrechtsgehalt unserer Gesetzgebung
bindlichkeit auf dessen Erben über. auch dann nichts ändern, wenn die Auslandsrechte mit diesem
Das gesamte Reformwerk gilt im übrigen rückwirkend auch für Recht weitgehend deckungsgleich wären.
diejenigen Ehen, die bereits vor dem 1.7.1977 geschlossen wurden, Im einzelnen kann - die Ermittlungen beziehen sich zumeist auf
aber erst nach diesem Zeitpunkt zur Scheidung kommen. Das den Rechtsstand von etwa 1995/1996 - folgendes festgehalten wer-
BVerfG sah auch darin keinen Grundrechtsverstoß (Entscheidun- den:
gen vom 28.2.1980 und 14.7.1981).
Der wirtschaftlich stärkere Ehegatte hat also nach einer Schei- Berücksichtigung von Verschuldensgesichtspunkten
dung für alle Lebensrisiken des anderen einzustehen, als da sind:
Kinderbetreuung, Arbeitslosigkeit, Aus- und Fortbildung, Krank- Mit Ausnahme von Kanada, das durch ein Bundesgesetz unver-
heit, Alter. All das wohlgemerkt auch dann, wenn ihm die Schei- ständlicher Weise dem Richter die Einbeziehung der Verschuldens-
dung der Ehe nicht vorwerfbar ist. Einzelne Tatbestände können frage geradezu verbietet (allerdings erlauben die dortigen Länder-
sich nahtlos aneinanderreihen, letztlich bis hin zu lebenslanger gesetze wenigstens eine Berücksichtigung bei der Festsetzung der
Dauer. Unterhaltshöhe), spielt die Verantwortlichkeit für die Ehezerrüt-
An einer überzeugenden rechtsethischen Begründung für diese tung überall eine mehr oder weniger große Rolle. Eine starre Ein-
überbordenden Ansprüche fehlt es zum größten Teil. Nach Wegfall engung auf besonders krasse Fälle wie in Deutschland - § 1579 -
der Berücksichtigung der Verantwortung für die Ehezerrüttung gibt es nicht, generell ist den Richtern hier viel Gestaltungsfreiheit
käme dafür lediglich die ehebedingte Bedürftigkeit in gewissem belassen.
Umfang in Frage - das Gesetz stellt aber zumeist nicht auf diesen Besonders in Frankreich, Italien, Österreich, der Schweiz und
Umstand ab, sondern geht mit seinen Unterhaltsregelungen weit Liechtenstein hat in streitigen Verfahren ein Schuldspruch zu erge-

174 175
hen. Der allein oder überwiegend für verantwortlich erkannte Ehe- trägt der Unterhalt ein Viertel der Differenz der Bruttoeinkommen
gatte hat hier grundsätzlich keinen Unterhaltsanspruch, in Italien der Ehegatten. In Italien wird ein Drittel bis zur Hälfte desjenigen
erfolgt meist eine Reduzierung, unter Umständen kann Unterhalt Einkommens zugesprochen, das der Unterhaltsverpflichtete bei der
auch völlig versagt werden. In den USA ist die Verschuldensfrage Steuerbehörde angibt; das so deklarierte Einkommen stellt aller-
einer unter mehreren Gesichtspunkten, die zu prüfen sind. dings meist nur einen Teil seines tatsächlichen Einkommens dar.
In Dänemark und den Niederlanden etwa besteht zwar kaum ein Nur geringer bzw. notdürftiger Unterhalt ist in Norwegen und
Zusammenhang zwischen Scheidungsgründen und Unterhalt, doch Tschechien zu leisten. In Österreich wird ein Drittel der Nettoein-
wird z.B. bei Hinwendung zu einem anderen Partner, selbst wenn künfte zugesprochen.
das erst nach der Scheidung geschieht, nach eher „objektiven" Selbst wenn für Kinder unt/den Ehegatten bezahlt werden muß,
Aspekten kein Unterhalt mehr gewährt. Man will es dort nieman- hat z.B. in England und Frankreich dem Mann mindestens die
dem zumuten, eine neue Gemeinschaft des anderen Gatten (mit) zu Hälfte seines Einkommens zu verbleiben, in Dänemark muß er die-
finanzieren. senfalls höchstens ein Drittel seines Bruttoeinkommens abführen.
In den ehemals sozialistischen Staaten Osteuropas galt derjeni-
ge, der die Eheauflösung durch ehewidriges Verhalten herbeige- Dauer / zeitliche Begrenzungen
führt hatte, als „unwürdig", es mußte ihm kein Unterhalt bezahlt
werden. Ich nehme an, daß diese Gesetze zumeist unverändert blie- In diesem Punkt bestehen besonders deutliche Unterschiede zum
ben. *• deutschen „Recht".
So besteht in Frankreich und England eine Neigung zum sog.
Unterhaltshöhe „clean break", d.h., man möchte mit den nachehelichen Regelun-
gen möglichst einen klaren Schlußpunkt fixieren, damit die Partei-
Der eheliche Lebensstandard scheint nirgends - wie bei uns über en sich besser auf ihr zukünftiges Leben einrichten können. Das
§ 1578 - offiziell als strikter Ausgangspunkt vorgeschrieben zu bedeutet für die weitaus meisten Fälle eine zeitliche Begrenzung
sein. Da allerdings in vielen Fällen der Praxis die Gerichte kaum des Unterhalts, nach deren Ablauf es in aller Regel keine Verlänge-
hypothetisch nachvollziehen wollen, wie sich die berufliche und rung mehr geben kann. Ob die Frau dann Arbeit gefunden hat oder
wirtschaftliche Entwicklung des Unterhaltsbegehrenden ohne Ehe- nicht, spielt keine Rolle - notfalls muß nach dieser Zeit eben die
schließung dargestellt hätte - jedenfalls bei etwas länger dauern- öffentliche Fürsorge eintreten. Besonders in Frankreich gibt es
den Ehen -, wird meist doch mehr oder weniger von den Verhält- auch die Möglichkeit der Festsetzung einer einmaligen Abfin-
nissen ausgegangen, wie sie zum Zeitpunkt der Einreichung des dungssumme („prestation compensatoire").
Scheidungsantrags gegeben sind. Unterhaltsbefristungen, und zwar von relativ kurzen Zeitspan-
Allerdings gibt es den „Halbteilungsgrundsatz" nur bei uns. In nen, stehen auch in den USA im Vordergrund. Nur bei langdauern-
England und Belgien z.B. muß der Unterhaltsschuldner nicht mehr den Ehen, nach denen der Unterhaltsgläubiger schon ein relativ
als ein Drittel (in Belgien Höchstgrenze) abgeben. In den USA lie- hohes Alter erreicht und so gut wie keine Berufschancen mehr hat,
gen die Sätze regelmäßig unterhalb eines Drittels, in Dänemark be- wird auch unbefristeter Unterhalt zuerkannt.

176 177
In Schweden, Dänemark, Norwegen und Ungarn erfolgt in der der Unterhaltsgläubiger nicht schon alt ist oder wegen Krankheit
großen Mehrzahl der Fälle eine zeitliche Begrenzung auf nur 1-3 bestimmte Arbeiten nicht ausführen kann.
Jahre, in Polen und Tschechien beträgt die Höchstgrenze 5 Jahre.
In der Schweiz gibt es oft eine Befristung auf die Hälfte der Ehe- Resümee
dauer.
Der Streifzug durch ausländisches Recht zeigt deutlich, daß wir
Bedeutung der Kindeserziehung; Einfluß der Ehedauer mit unseren Unterhaltsregelungen nach Scheidung so gut wie in
jeder Beziehung „Spitze" sind in Sachen einseitiger Belastung des
Dem Umstand der Kindesbetreuung kommt im Ausland beim Ehe- Verpflichteten. Egal, ob es um die Unterhaltshöhe, die Unterhalts-
gattenunterhalt ebenfalls erheblich weniger Gewicht zu als bei uns. dauer, den Einfluß von Kinderbetreuung oder die Zumutbarkeit ei-
In aller Regel wird von der Mutter schon nach der Vollendung des gener Erwerbstätigkeit geht - in keinem einzigen dieser Punkte
3. Lebensjahres des Kindes mindestens eine Teilzeitbeschäftigung wird der Unterhaltsfordernde so in Watte gepackt wie in Deutsch-
erwartet. „Anschlußtatbestände" irgendwelcher Art nach Beendi- land.
gung des Betreuungsunterhalts sind nicht bekannt. Die Unterhaltsrechte des Auslands entsprechen vielmehr den
Deswegen und aufgrund der Tatsache, daß ganz generell nur re- wirklichen Kriterien des Zerrüttungsprinzips: Je leichter eine Ehe
lativ kurzbefristeter Unterhalt zugesprochen wird, spielt auch die selbst aufgelöst werden kann und umso weniger dabei nach der
Ehedauer als solche bei der *Unterhaltsgewährung nur eine be- Verantwortung für ihr Scheitern gefragt wird, umso weniger kön-
grenzte Rolle. Nur wirklich langdauernden Ehen kann insoweit nen die Ehegatten auch in wirtschaftlicher Hinsicht auf den Fortbe-
eine Bedeutung zukommen, und auch dann müssen meist noch be- stand der Ehe und ihre Funktion als ein Versorgungsinstitut ver-
sondere Umstände hinzukommen. Den Begriff unserer „kurzen trauen. Eine „fortwirkende Verantwortung" bzw. „nacheheliche
Ehe" im Sinne des § 1579 Nr. l scheint man deshalb nirgends zu Solidarität" - oder wie diese Schönfloskeln sonst lauten mögen,
kennen, oder besser gesagt, er wird nicht relevant. Im allgemeinen, mit denen ein möglichst leistungsloses Einkommen auf Kosten ei-
insbesondere in den USA, werden im übrigen Ehen mit einer Dauer nes anderen zugebilligt werden soll - kann als Rechtfertigungs-
von bis zu 10 Jahren, bisweilen sogar bis zu 15 Jahren, als kurze grund allenfalls für eine kurze Übergangszeit, als Hilfe zur Selbst-
Ehen angesehen mit entsprechend unterhaltseinschränkender Wir- hilfe sozusagen, herangezogen werden.
kung. Dadurch, daß auch im Fall der Kindesbetreuung schon bei Kin-
dern im Vorschulalter eine Erwerbstätigkeit des Erziehers verlangt
Zumutbarkeitskriterien für Erwerbsarbeit wird und nicht, wie in Deutschland, erst einmal mindestens bis zur
Vollendung des 8. Lebensjahrs Däumchen gedreht werden darf,
Auch dieser Begriff wird im Ausland wegen der allgemein nur gewinnt die Kindesbetreuung im Ausland kaum unterhaltsrecht-
übergangszeitlichen Unterhaltsansprüche kaum bedeutsam. Inso- liche Bedeutung.
weit konnte ich nur für die USA nachlesen, daß dort grundsätzlich Diese Zeit geht regelmäßig nicht über die allgemein gewährten
jede Art von Erwerbstätigkeit für zumutbar gehalten wird, soweit Unterhaltsfristen hinaus. Es wird also nicht scheinheilig über das

178 179
«W*«**¥>««<»ft^^ ieSöaUMMi&jtowfii&ata&K*.

„Kindeswohl" in Wahrheit ein Mütterwohl etabliert - Kinder eig- korrigieren ihre Rechtsprechung im übrigen laufend selbst, auch
nen sich daher regelmäßig nicht als Waffe und Anspruchsgrandlage das BVerfG hat das schon mehrfach getan.
in der Scheidungsauseinandersetzung. Jedenfalls müssen sich auch Gerichte Kritik gefallen lassen.
Die allgemein zeitlich beschränkte Unterhaltspflicht im Ausland
impliziert im übrigen eine Aufforderung an den Unterhaltsempfän- 6.1 Verletzung des Schutzgebots für Ehe und Familie,
ger, meist also die Frau, auf bestimmte Sicht wirtschaftlich eigen- Art. 6 Abs. l GG
ständig zu werden. Eine solche Pflicht ist zwar auch mit einem
Unterhaltsrecht vereinbar, in dem Unterhalt zunächst ohne zeit- Wird ein Ehegatte im Falle der Scheidung durch das Recht in wei-
liche Begrenzung gewährt wird und Änderungen erst über neue ten Teilen besser gestellt als innerhalb der Ehe, so stellt dies einen
Prozesse erreicht werden können. Die zeitliche Begrenzung bedeu- erheblichen Anreiz dar, sich durch Aufkündigung der Ehe zwar von
tet aber vielfach einen stärkeren Druck auf den Berechtigten, sich den ehelichen Pflichten zu lösen, andererseits aber die durch das
auch aktiv um diese Unabhängigkeit zu bemühen. Gesetz zugesicherten Vorteile aus der Ehe zu behalten. Der durch
§ 1578 grundsätzlich garantierte Lebensstandard erlaubt dem wirt-
Insgesamt kann eine geschiedene Ehe in keinem anderen Land der- schaftlich schwächeren Ehegatten im Falle der Scheidung diesen
art zu einem Ausbeutungsinstrument benutzt werden, wie es bei Beibehalt der ehelichen Vorteile, während die in der Ehe zugunsten
uns geschieht. des anderen Gatten erbrachten Gegenleistungen entfallen. Der
nach Scheidung Unterhaltsberechtigte erhält damit leistungsloses
Einkommen und stellt sich so entschieden besser als in der Ehe.
6 DIE WEITGEHENDE GRUNDRECHTS- Selbst wenn er Kinder betreut - das tat er in diesen Fällen auch
WIDRIGKEIT DES SCHEIDUNGSFOLGEN- während der Ehe schon überwiegend -, verbleibt es bei dem Vorteil
RECHTS UND DER DAZU ERGANGENEN des Wegfalls jeglicher Dienstleistungen für den anderen Ehegatten.
RECHTSPRECHUNG Bezieht er auch noch Einkommen, das im Sinne des § 1577 Abs. 2
S. 2 nicht anzurechnen ist, verbessert sich seine Situation noch zu-
Zwar hat der Gesetzgeber grundsätzlich eine relativ weitgehende sätzlich.
Gestaltungsfreiheit bei der Erstellung seiner Regelungen. Mit den Daß die besagte Besserstellung schon nach regelmäßig 2 1/2-
Vorschriften zum nachehelichen Unterhalt sind jedoch Verfas- jähriger Ehedauer erreicht werden kann, verstärkt die ehefeind-
sungsgrundsätze in mehrfacher Hinsicht verletzt worden, die Le- liche Wirkung der Regelung. Es besteht dadurch nicht nur ein An-
gislative hat hier ihren Spielraum deutlich überschritten. reiz zum Ausbruch aus bestehender Ehe, sondern es wird - jeden-
Die bedauernswerte Tatsache, daß das 1. EheRG vom BVerfG falls bei entsprechender wirtschaftlicher Bonität des Partners -
mit Ausnahme des § 1579 Abs. 2 aF für grundrechtskonform er- darüber hinaus ein Lockmittel geboten, eine Ehe schon von vorne
klärt wurde, steht dem nicht entgegen. herein in der Absicht einzugehen, sie nach kurzer Zeit aufzukündi-
Auch Gerichte können bekanntlich irren - und das BVerfG hat gen und die gesetzlich garantierte Versorgung in Anspruch zu neh-
in dieser Sache schlicht und einfach falsch entschieden! Gerichte men.

180 181
All dies ist umso leichter möglich, als es weitestgehend nicht ten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet;
mehr auf die Ursachen der Ehescheidung ankommt. Das Gesetz sie tragen füreinander Verantwortung" nur noch bloßen Appellcha-
billigt die Ansprüche auch bei eigenem Fehlverhalten zu und be- rakter aufweist.
günstigt mit dieser Risikofreistellung ehezerstörende Tatbestände. Manche konstruieren im Falle des Betreuungsunterhalts eine Art
Eine derartige Ausgestaltung nachehelichen Unterhalts verletzt Konkurrenzverhältnis zwischen Art. 6 Abs. l und Abs. 2 GG.
den nach Art. 6 Abs. l GG gebotenen Schutz von Ehe und Familie. Abs. 2 proklamiert das Recht und die Pflicht der Eltern auf die Er-
Leider hat das BVerfG diese Wirkungen des 1. EheRG weit- ziehung ihrer Kinder. Mit dem gleichsam unbedingten Betreuungs-
gehend nicht gesehen. Es hat in dieser Hinsicht lediglich die zu- unterhalt schütze, so heißt es, der Staat die Restfamilie. Diese Ein-
nächst unbedingt vorgesehene Verbindung von Unterhalt und Kin- lassung übersieht, daß auch Abs. 2 des Art. 6 GG vor allem die
desbetreuung moniert - ein viel zu enger Blickwinkel. Die Praxis intakte Familie im Blick hat und im Blick haben muß. Das staat-
bestätigt nur allzu deutlich die besagten Auswirkungen der Reform liche Bestreben muß sich doch logischerweise zuerst auf den Er-
- nicht nur im starken Anstieg der Scheidungszahlen seit der Re- halt von Ehen konzentrieren und darf nicht dazu beitragen, mög-
form allgemein, sondern besonders in dem steigenden Anteil der lichst viele Restfamilien zu erzeugen. Dem steht der Schutz auch
die Scheidung begehrenden Frauen (derzeit mindestens 70 %), die der Restfamilie nach einer Scheidung nicht entgegen, er kann aber
in fast allen Fällen die Nutznießer der Unterhaltsregelungen sind. nicht Vorrang vor dem Schutz der intakten Familie haben. Gerade
das Interesse der Kinder erfordert doch die Aufrechterhaltung
Der Eheschutz wird mit dem angegriffenen Gesetz besonders da- möglichst vieler Ehen.
durch beeinträchtigt, daß esvdie Verantwortlichkeitsmaßstäbe auf Der eklatante Widerspruch des ehelichen Pflichtenmaßes im
den Kopf stellt. Während es die Verantwortung der Ehegatten für Verhältnis zur nachehelichen Verantwortung wirkt selbstverständ-
den Bestand der Ehe selbst auf ein Mindestmaß zurücknimmt, for- lich auf das eheliche Verhalten der Partner zurück und führt wieder-
dert es nach einer Scheidung von einem der Gatten eine ungleich um zu leichtfertigen oder schon von Hause aus beabsichtigten Ehe-
höhere Verantwortung ein. Diese reicht zeitlich häufig über die zerstörungen.
Ehedauer hinaus und erstreckt sich nicht selten bis ans Lebens- Das BVerfG vermochte auch diesen Zusammenhang nicht zu er-
ende. kennen, jedenfalls hat es dazu in seinen einschlägigen Entschei-
Die gesetzlichen Nachwirkungen einer Ehe sind damit wesent- dungen nichts ausgeführt.
lich stärker ausgeprägt als die Hauptwirkungen selbst. Die Recht- Die gegebene Rechtssituation läßt darauf schließen, daß es dem
sprechung verlangt für diese Nachwirkungen nicht einmal das Zu- Staat offenbar nicht mehr um den Schutz der Familie als solcher,
standekommen einer ehelichen Lebensgemeinschaft überhaupt sondern ausschließlich um die Sicherung der Machtposition der
(z.B. BGH vom 11.2.1987). Frau geht.
Eine Verletzung der Hauptverpflichtungen der Ehe ist wegen der
Aufgabe des Verantwortlichkeitsprinzips in aller Regel nicht mehr
sanktionierbar, so daß § 1353 Abs. l S. 2, der die Ehepflichten
ohnehin äußerst knapp formuliert, mit seiner Aussage „Die Ehegat-

182 183
6.2 Verstoß gegen das Rechtsstaatlichkeitsgebot habe ihren Mann nur geheiratet, um an sein Geld zu kommen - im
des Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit übrigen aber könne er verrecken, den die Gerichte als unerheblich
Verletzung des Art. 2 Abs. l und des Art. 14 GG abgetan hatten. Nur in ihrer jeweils schwerwiegendsten Form - ich
verweise auf die Erläuterungen zu § 1579 - können solche „eheför-
Art. 20 Abs. 3 GG bindet die Gesetzgebung an die verfassungs- dernden" Verhaltensweisen noch von Relevanz sein.
mäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung
an Gesetz und Recht. Das Gesetz statuiert in seinem Aufbau zuerst eine Reihe überbor-
Art. 2 Abs. l GG schützt das Grundrecht auf freie Entfaltung der dender Unterhaltstatbestände. Diese sind in großzügigster Weise
Persönlichkeit, Art. 14 GG verbietet ungerechtfertigte Eingriffe in auf die Belange des Unterhaltsbegehrenden abgestimmt. Gleich-
das Eigentum der Bürger. zeitig sind die Bestimmungen so abgefaßt, daß sie Sachverhalte
Mit der Außerkraftsetzung des Treu- und Glaubensprinzips in einfach unterstellen und regelmäßig keine Prüfung auf ihr tatsäch-
seinem allgemein anwendbaren Sinne für den Bereich des nach- liches Vorliegen fordern, so etwa im Hinblick auf ehebedingte Be-
ehelichen Unterhalts wurde ein bedeutender Rechtsgrundsatz ver- dürftigkeit. Damit werden der Gegenpartei bereits Einwände ob-
letzt. jektiver Art weitgehend abgeschnitten.
Wie oben schon einmal dargelegt, besagt der Billigkeitsbegriff, Die Regelungen der §§ 1570 bis 1578 weisen deshalb schon für
der mit dem Begriff von Treu und Glauben verschränkt ist, daß sich genommen wenig materiellen Gerechtigkeitsgehalt auf. Wie
- jedenfalls in einem Staat, der sich als „Rechtsstaat" verstehen bei ihrer Einzelinterpretation festgestellt werden konnte, mangelt
.£•
will -, ein zur Beurteilung stehender Einzelfall nach sorgfältiger es ihnen weitgehend an rechtsethischer Begründung. Die Begrün-
Prüfung seiner Besonderheiten ohne einen Widerspruch zu den Ge- dungsversuche des ehebedingten Nachteilsausgleichs oder der
boten der Gerechtigkeit entschieden werden soll. nachehelichen Verantwortung reichen nicht aus oder sind generell
Im Hinblick auf den Ehegattenunterhalt nach Scheidung gilt nicht zutreffend, um dieses ausufernde Netz von Unterhaltsbestim-
- im Gegensatz zum Vorgangsrecht - seit 1977 nicht mehr die Bil- mungen zu rechtfertigen.
ligkeit schlechthin als allgemein anwendbarer Rechtsgrundsatz - Mit § 1579 wird lediglich für wenige Ausnahme fälle versucht,
hier muß es sich seitdem um „grobe" Verletzungen der Billigkeit Unbilligkeit zu vermeiden. Diese Fälle sind in ihrer gesetzlich nor-
handeln, wenn sie rechtliche Bedeutung erlangen sollen. „Normal" mierten Extremform kaum zu beweisen, ferner engte die Recht-
ehewidriges Verhalten wie Ehebruch, Kindesentzug, Beleidigun- sprechung den Anwendungsbereich der meisten Tatbestände dieser
gen, Verleumdungen, Körperverletzungen, schlampige Haushalts- Vorschrift zusätzlich ein. Bei Kindesbetreuung des Anspruchstel-
führung und Kindererziehung, Diebstahl, Trunksucht usw. reicht lers ist aufgrund der BGH-Entscheidung vom 27.9.89 auch eine
nicht mehr aus, um einen Unterhaltsanspruch zu beeinträchtigen. Berufung auf § 1579 de facto ausgeschlossen.
Entsprechende Beweisanträge werden von den Familiengerichten § 1579 reicht also in keiner Weise aus, um dem Billigkeitsgrund-
in der Regel mit der Begründung „darauf kommt es nicht an" zu- satz noch ausreichend Geltung zu verschaffen. Dem Rechtsstaats-
rückgewiesen. Zu erinnern ist beispielhaft nochmals an den Fall gebot der Einzelfallgerechtigkeit kann somit nicht entfernt genügt
des abgelehnten Beweisantrags über die Aussage einer Frau, sie werden.

184 185
Der Begriff der „Härteklausel" taugt für § 1579 ohnehin nicht. Verantwortung für das Scheitern der Ehe bei seinem
Normalerweise kommt solchen Klauseln die Funktion zu, eventu- Partner liegt, bei Erfüllung der Voraussetzungen eines
elle Ungereimtheiten, die sich aus an sich richtigen (Grund-)Re- der Unterhaltstatbestände der §§ 1570 ff. BGB mit der
geiri ergeben, zu begradigen. Hier sind aber schon die Bestim- finanziellen Belastung abfinden. "
mungen, denen § 1579 abhelfen soll, als weitgehend materiell-
ungerecht einzustufen. Recht viel deutlicher und zynischer konnte man die gesetzlich ver-
Da mithin der gesamte Regelungskomplex des nachehelichen ordnete Rechtsverkürzung wohl nicht auf den Punkt bringen und
Unterhalts dem Billigkeitsgedanken und dem Grundsatz von Treu ihr die verfassungsmäßige Absolution erteilen!
und Glauben nicht gerecht wird, liegt ein Verstoß gegen Art. 20 Selbst wenn die Verschuldensbewertung im ehelichen Bereich
Abs. 3 GG vor. etwas diffiziler sein sollte als in anderen Verfahren, so dürfte sie
In widersprüchlicher Weise hat das BVerfG in der Entscheidung doch niemals generell verweigert bzw. auf wenige Ausnahmefälle
vom 14.7.1981 zunächst selbst die sehr eingegrenzte Wirkung des beschränkt werden.
§ 1579 betont und dabei eine dahingehende Rechtsprechung des Abgesehen davon gibt es genug Fälle eindeutig zutage liegender
BGH bestätigt (BVerfGE 57, 380), um dann zugleich festzustellen, Unverantwortlichkeit auch im Eheleben - ich habe das oben schon
der Gesetzgeber habe mit dieser engen Ausnahmebestimmung ge- auseinandergesetzt.
währleistet, daß der Eingriff in die Handlungsfreiheit des Ver- Nicht umsonst wurde und wird doch in diesem Bereich in un-
pflichteten die vom „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gezogenen zähligen juristischen Aufsätzen, Zeitungsartikeln, Leserbriefen
Grenzen" nicht überschreite! usw. die Forderung nach „mehr Einzelfallgerechtigkeit" erhoben.
Weiter oben (S. 379 aaO) hat das Gericht im übrigen die äußerst Gibt es ein besseres Indiz dafür, daß unser „Recht" diese beim
schwachen, weitgehend unzutreffenden Begründungen der damali- Scheidungsunterhalt verwehrt?
gen Bundesregierung zum grundsätzlichen Wegfall der Verantwort- Der Gesetzgeber mißachtet hier das Gebot der Einzelfallge-
lichkeitsprüfung auch für die Scheidungsfolgen schlicht übernom- rechtigkeit in doppelter Hinsicht: Zum einen dadurch, daß der die
men - als da bekanntlich sind die angebliche Nichtfeststellbarkeit Gerichte weitgehend von der Ermittlung der Verantwortlichkeit für
ehelichen Fehlverhaltens und die These der Ungleichheit der Frau das Scheitern einer Ehe entbindet - man könnte das als die Behin-
unter der Ägide eines Schuldscheidungsrechts. Es hat diese „Be- derung der Aufklärung des „subjektiven" Sachverhaltes bezeich-
gründungen" mit keinem Wort hinterfragt, sondern lediglich fest- nen. Hinzu kommt die Verhinderung gerechter Ergebnisse in der
gestellt, daß sie „verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden" seien. Abfassung der Unterhaltstatbestände der §§ 1570 ff selbst. Diese
Tiefergehende Überlegungen sind vom Gericht hier offenbar gar Vorschriften sind, um es nochmals zu unterstreichen, so gestaltet,
nicht erst angestellt worden! daß sie zumeist weit über ehebedingte Bedürfnislagen hinausgehen
Zur Situation des Unterhaltsschuldners bemerkt das Gericht la- und den Richter so nicht dazu anhalten bzw. es ihm sogar verbie-
konisch (S. 381 aaO): ten, den Einzelfall darauf abzuprüfen. Damit ist es dem poten-
„... Andererseits muß sich der Verpflichtete, selbst wenn tiellen Unterhaltsschuldner auch „objektiv" verwehrt, eine dahin-
er an der Ehe festhalten möchte und aus seiner Sicht die gehende Untersuchung zu verlangen. Die Bestimmungen unter-

186 187
stellen Lebenssachverhalte, die in jedem konkreten Fall erst nach- sollten „Frauenrechte" gestärkt werden! Andersherum ausgedrückt
gewiesen werden müssten! wird davon gesprochen, besagtes „Recht" schütze die Frauen. Daß
Mit der Einschränkung des Billigkeitsgebots auf wenige Ex- Männer in gleicher Weise Schutz beanspruchen dürfen, wird völlig
tremfälle wird der Unterhaltsverpflichtete in seinem Grundrecht ausgeklammert.
auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, offiziell niedergelegt in
Art. 2 Abs. l GG, in krasser Weise eingeschränkt. Daß langdauern- Nacheheliche Unterhaltsleistungen sollten jedoch ausgleichend
de und hohe Unterhaltsbelastungen eine gravierende Beeinträch- wirken, sie bedürfen eines rechtfertigenden Grundes, da sie dem
tigung der Lebensperspektive bedeuten, muß wohl nicht besonders einen Lebenschancen gewähren, die sie dem anderen in gleicher
vertieft werden. Weise wegnehmen. Eheliche und nacheheliche Verantwortung
Das BVerfG hat hier die Zumutbarkeitsgrenze viel zu weit aus- müssen sich entsprechen.
gedehnt. Das ist nicht der Fall, wenn der eine Ehegatte - regelmäßig also
Gleichzeitig wird damit ungerechtfertigt und in massiver Weise die Frau - ohne Furcht vor Sanktionen verantwortungslos handeln
in die Eigentumsrechte des unterhaltsverpflichteten geschiedenen und die Ehe ohne rechtliche Nachteile verlassen kann, während der
Ehegatten eingegriffen, die durch Art. 14 GG geschützt sind. andere an seiner Verantwortung festgehalten wird. Der eine Partner
wird so vom guten Willen das anderen abhängig.
6.3 Verletzungen des Gl^ichheitssatzes, Art. 3 GG Das 1. EheRG begründet damit die Alleinverantwortlichkeit nur
eines Ehegatten, nämlich des wirtschaftlich Stärkeren, und lädt so
Gleichberechtigung von Männern und Frauen - die Risiken des Scheiterns der Ehe nur diesem auf. Das „Recht"
Art. 3 Abs. 2 GG schützt also hier nur den einen, den anderen läßt es schutzlos.
Wenn eine rechtliche Regelung in einem derart überwältigenden
Der „Buchstabe des Gesetzes" verheißt im Bereich des nachehe- Verhältnis - wie gesagt, mindestens 9:1 - geschlechtsspezifische
lichen Unterhaltsrechts nur eine Scheinneutralität zwischen den Ungleichbehandlungen bewirkt, kann angebliche Geschlechts-
Geschlechtern, wenn insoweit die Rede davon ist, daß „ein ge- neutralität nicht mehr lediglich aus nach außen hin egalisierenden
schiedener Ehegatte von dem anderen Unterhalt verlangen kann, Worthülsen abgeleitet werden. Daß die krassen Ungerechtigkeiten
solange und soweit ...." . Sowohl aus den Begründungen zum des Gesetzes gelegentlich auch eine Frau treffen können, wurde
1. EheRG und zur Novelle von 1986 wie auch aus der übrigen Lite- billigend in Kauf genommen. Es ändert nichts an der Beeinträchti-
ratur wird nur allzu deutlich, wer dabei jeweils wirklich gemeint gung des Gleichheitsgebots.
ist. Die Termini lauten dort „Wirtschaftlich Stärkerer" und „Wirt-
schaftlich Schwächerer" - und man weiß und wußte nur zu genau, Die materiale Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ist hier
daß dies mindestens im Verhältnis von 9:1 „Mann" auf der einen also nicht mehr gegeben, ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 GG offen-
und „Frau" auf der anderen Seite bedeutet. Teilweise wird auch sichtlich.
ganz unverhohlen zugegeben, daß mit diesem „Recht" eine deut-
liche Besserstellung der Frau in der Familie beabsichtigt war. Es

188 189
Ungleichbehandlung von Müttern und Kindern den Betreuungsumfang einschränkt, während er über seine Gerich-
te in den Fällen, in denen ein privater Unterhaltszahler zur Verfü-
Eine weitere Beschädigung des Gleichheitsgebots im Sinne des gung steht, diesen weit länger in Anspruch nimmt und sich auf des-
Art. 3 Abs. l GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 5 GG (Gleichbe- sen Kosten höchst großzügig gegenüber Mutter und Kind zeigt.
handlung nichtehelicher Kinder) vollzieht die Rechtsprechung in- Die Gerichte verstoßen mit solcher Rechtsprechung gegen Art. 3
sofern, als sie geschiedenen Müttern eine Erwerbstätigkeit erst zu Abs. l GG, denn jedenfalls in puncto Betreuungszeit müßten alle
einem wesentlich späteren Zeitpunkt zumutet als anderen alleiner- alleinerziehenden Mütter und Kinder von Gesetz und Recht gleich
ziehenden Müttern. behandelt werden.
Es bleibt unerfindlich, warum die einschlägige Rechtsprechung Soweit ich es absehe, ist diese Frage bisher verfassungsrechtlich
- die betreffenden Urteile wurden bereits weiter oben zitiert - von noch nicht geprüft worden.
einer geschiedenen Mutter sogar nur eine Teilerwerbstätigkeit erst
nach Vollendung des 8. Lebensjahres des Kindes fordert, während 6.4 Verletzung des Vertrauensschutzes bei Altehen
andererseits der Staat, wenn er einer Mutter sozialhilfepflichtig ist,
generell bereits nach Vollendung des 3. Lebensjahres eine solche Zu den Rechtsstaatsgrundsätzen des Art. 20 GG gehört auch das
erwartet. Da auch die Unterhaltspflicht eines nichtehelichen Vaters Prinzip der Rechtssicherheit der Staatsbürger. Rechtssicherheit in
regelmäßig spätestens drei Jahre nach der Geburt des Kindes endet diesem Sinn bedeutet vor allem Schutz des Vertrauens in die Be-
(§ 1615 1), sind diese Mütter^auch von daher angehalten, schon ständigkeit gesetzlicher Regelungen. Dieser Grundsatz wäre beein-
wesentlich früher eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. trächtigt, wenn neue Gesetze beliebig mit rückwirkender Kraft in
Eine geschiedene Mutter treffen diese Einschränkungen nur, Geltung gesetzt werden könnten. Im Strafrecht ist es sogar gänz-
wenn der Vater so wenig leistungsfähig ist, daß auch sie Sozialhilfe lich untersagt, neue Straftatbestände mit Rückwirkung einzufüh-
in Anspruch nehmen muß. Ansonsten kommt ihr, wie gesagt, eine ren, Art. 103 Abs. 2 GG.
zeitliche Bevorzugung von bis zu fünf Jahren (!) zugute, eventuell
sogar noch mehr (BGH, s. oben). Mit seinen Entscheidungen vom 28.2.1980 und 14.7.1981 hat das
Diese Ungleichbehandlung der Mütter bezüglich der Zumutbar- BVerfG jeweils auch zur Frage der Rückwirkung des 1. EheRG im
keit einer Erwerbsarbeit beinhaltet gleichzeitig auch eine unter- Hinblick auf die Ehescheidung als solche, den Versorgungsaus-
schiedliche Behandlung der zu betreuenden Kinder. gleich und das Unterhaltsrecht entschieden und diese im Gesetz
Wenn die Rechtsprechung der Meinung ist, ein Kind brauche vorgesehene Rückwirkung auf die bereits vor dem 1.7.1977 ge-
eine Rundumbetreuung durch den Erziehungsberechtigten bis zur schlossenen Ehen (sog. „Altehen") in allen Punkten als verfas-
Vollendung mindestens des 8. Lebensjahrs, so kann das nicht nur sungskonform bestätigt.
für die Kinder geschiedener Eltern gelten, es müßte für alle Kinder
alleinerziehender Mütter verbindlich sein. Es geht nicht an, daß der Auch in diesem Punkt können die Gründe, die das Gericht anführt,
Staat, sofern er selbst leistungspflichtig ist, der Mutter weit früher nicht überzeugen. Das Gericht meint, daß abzuwägen war zwi-
eine Erwerbstätigkeit ansinnt und damit für das zu erziehende Kind schen dem Vertrauen auf den Fortbestand des Rechtszustandes

190 191

j&ÜB&ibfa:&äius~£&jäe*y'*. .iwi iWuxUJ-


nach der bisherigen gesetzlichen Regelung und der Bedeutung des Beibehaltung des bisherigen Rechtszustandes erfordert hätte. Man
gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit. In muß doch hier die Frage stellen, wann denn überhaupt das Vertrau-
den folgenden Ausführungen seiner Entscheidung unterstellt es en in bestehendes Recht noch geschützt sein sollte - wenn nicht
einmal mehr das neue Recht als das bessere - auch bezüglich der hier. Neue Steuergesetze etwa bewirken in den seltensten Fällen
Scheidungsfolgen - unter nicht hinterfragter Übernahme der satt- derart gravierende wirtschaftliche Einschnitte, wie sie im geän-
sam bekannten Scheinbegründungen des Gesetzgebers. Zu Un- derten Scheidungsrecht beinhaltet sind. Wenn der Spielraum in der
recht räumt es einem daraus konstruierten Allgemeininteresse das Frage der Rückwirkung für den Gesetzgeber so groß ist, wie ihn
Übergewicht über das Vertrauen der betroffenen Bürger in den Be- das Gericht hier sieht, ist er eigentlich unbegrenzt - den Rechts-
stand des bisherigen Rechts ein. Besonders im Hinblick auf das staatsgrundsatz des Vertrauens in die Rechtssicherheit kann man
neue Unterhaltsrecht wird dabei geflissentlich übersehen, daß die dann vergessen.
Veränderungen hier ganz besonders gravierend sind, weil sie ge- Neben anderen hat z.B. auch der ehemalige Präsident des
genüber denn Vorgangsrecht in vielen Fällen zu hohen und langdau- BVerfG Wolfgang Zeidler die Substanzarmut der Urteilspassagen
ernden Belastungen führen, die bei Fortbestand dieses Rechts ent- des Gerichts kritisiert, mit denen es die Anwendung des neuen
weder überhaupt nicht oder allenfalls begrenzt entstanden wären. Rechts auf die Altehen bestätigt hat (in: Benda/Maihofer/Vogel -
Es kommt hinzu, daß diese Eheleute sich nicht mehr ohne weiteres Hrsg. - Handbuch des Verfassungsrechts, Berlin 1983, „Ehe und
gegen diese geänderten Rechtsfolgen einer Scheidung ehevertrag- Familie" S. 587).
lich absichern konnten - der^jetzt bevorteilte Gatte war dazu, je-
denfalls bei schon kriselnder Ehe, kaum bereit. Auch die gänzlich 6.5 Zusammenfassung; Ideologie und Dogmatismus
neue Institution des Versorgungsausgleichs belastete einen Gatten statt Gerechtigkeit
im Fall der Scheidung gegenüber dem bisherigem Recht erheblich,
besonders bei länger dauernden Ehen. Sowohl Gesetzgebung als auch höchstrichterliche Rechtsprechung
Das sind schwerwiegende Gesichtspunkte, gegen die niemals haben nicht gesehen - oder besser: wollten nicht sehen -, daß hier
Dinge - wie das Gericht es tut - ins Feld geführt werden können ein im Wesentlichen verfassungswidriges Recht gesetzt wurde. Es
wie etwa das Argument der Praktikabilität - will heißen, die Ge- stellt im praktischen Ergebnis den wirtschaftlich stärkeren Ehegat-
richte hätten zweierlei Recht anwenden müssen. Das aber müssen ten im Fall der Scheidung so gut wie rechtlos, während es dem an-
sie zwangsläufig immer tun, wenn ein neues Recht nicht rück- deren Gatten nahezu unbegrenzte Macht über Kinder und Geld ein-
wirkend gilt! Diesem Umstand kann allenfalls dann Bedeutung zu- räumt. Der Erwerbstätige wird in die Rolle des bloßen Arbeitsskla-
kommen, wenn auf der anderen Seite die Rechtsnachteile Betroffe- ven gedrängt. Das maßlose Überspannen der Unterhaltsansprüche
ner nicht allzu gravierend sind. Davon kann aber hier, wie gesagt, trägt, wie man es auch im juristischen Schrifttum nachlesen kann,
keine Rede sein. „Züge der Leibeigenschaft". Auch von „Unterhaltsknechtschaft"
Es ist daher völlig unverständlich, wenn das Gericht vor diesem ist - zutreffenderweise - die Rede.
Hintergrund „kein derart besonders schützenswertes Vertrauens- Vor allem in den Fällen, in denen ein Kind aus der Ehe hervorge-
interesse von Ehegatten aus Altehen" konstatiert, das für sie die gangen ist, reiht sich oft ein Unterhaltstatbestand an den anderen -

192 193
jede Verhältnismäßigkeit zur Dauer der Ehe wird aufgehoben. Der seine Stelle trat der Grundsatz der größtmöglichen Ausbeutung des
Treu- und Glaubenssatz wurde aus dem Eherecht herausgenommen Erwerbstätigen. In unzulässiger Weise werden Fürsorgeaufgaben
bzw. drastisch eingeschränkt - menschliches Fehlverhalten, das des Staates, insbesondere die Abdeckung des Arbeitsplatzrisikos,
sonst überall die maßgebende Komponente gerichtlicher Entschei- dem geschiedenen Ehegatten aufgebürdet.
dungen ist, wurde ersetzt durch den äußeren Umstand des höheren Eine häufig grundrechtswidrige, männerfeindliche Rechtspre-
Einkommens. Einzelfallgerechtigkeit steht nur noch im Hinter- chung vor allem des BGH hat die Schiefläge des Gesetzes noch
grund. Was sonst in jedem kleinen Zivilprozeß Berücksichtigung verschärft. Sie mutet insbesondere dem privaten Unterhaltsschuld-
findet, wird im Unterhaltsrecht als bedeutungslos behandelt. ner wesentlich mehr zu, als der Staat in vergleichbarer Lage zu ge-
währen bereit ist. Dies gilt an erster Stelle für den Zeitpunkt der
Die für die Gesetzgebung Verantwortlichen scheinen sich ebenso- Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit des kinderbetreuenden El-
wenig wie das das Verfassungsgericht ernsthaft mit der Grundfrage ternteils. Damit werden erhebliche Ungleichheiten zwischen ge-
auseinandergesetzt zu haben, mit welchem Recht es einer Person schiedenen Müttern und ihren Kindern und anderen alleinerziehen-
zugunsten einer anderen unter einschneidendem Verzicht auf eige- den Müttern und deren Kindern geschaffen.
nes Einkommen tatsächlich zugemutet werden kann, Unterhalt zu Die Rechtsprechung ist ferner unbegreiflich zurückhaltend in
leisten, weil sie mit dieser Person einmal verheiratet war. der Frage des Rückgriffs auf Sozialhilfe zur Entlastung des ge-
Es ist über weite Strecken verkannt worden, daß jede Durch- schiedenen Ehegatten selbst bei Vorliegen von Fällen grober Unbil-
brechung der unterhaltsr&htlichen Eigenverantwortung nach ligkeit im Sinne des § 1579. Mindestens hier ist aber eine der All-
Scheidung einer Ehe, also jede Mark, die ein geschiedener Ehegat- gemeinheit auferlegte finanzielle Belastung ohne weiteres hinzu-
te von seinem Ex-Gatten fordert, einer allgemein nachvollziehba- nehmen (auch geschiedene Ehemänner sind im übrigen Bestandteil
ren, rechtsethischen Begründung bedarf. Die nach Wegfall des Ver- der „Allgemeinheit", auch sie sind Steuerzahler) - erst recht dann,
schuldensprinzips vorgegebenen Begründungen tragen aber, wie wenn der Gesetzgeber ein Scheidungsrecht statuiert hat, das Ver-
wir gesehen haben, die ausufernd normierten Unterhaltssachver- antwortlichkeit in der Ehe selbst klein schreibt und ihre Aufkündi-
halte entweder gar nicht oder nur zu einem geringen Teil. gung leicht macht. Ein Staat, der durch die Liberalisierung des
Nacheheliche Unterhaltsverpflichtung ist Freiheitsbeschrän- Ehewirkungs- und Ehescheidungsrechts die uneingeschränkte
kung, nämlich Einschränkung von Lebensmöglichkeiten in fortlau- Selbstverwirklichung eines Eheteils ohne Rücksicht auf das Leid
fender, die gesamte Lebensführung prägender Weise. Das Grund- des anderen ermöglicht, sollte nicht so zurückhaltend darin sein,
recht des Art. 2 Abs. l GG wurde für den Unterhaltsschuldner prak- auch die hieraus resultierenden Kosten zu tragen, anstatt sie alleine
tisch ignoriert. Man hat grundsätzlich nicht danach gefragt, was es dem anderen Gatten aufzubürden - nur weil dieser einmal so
für einen geschiedenen Gatten bedeutet, insbesondere denjenigen, leichtsinnig war, einen Trauschein zu unterzeichnen.
der die Ehe zerrüttet hat, noch auf unabsehbare Zeit alimentieren
zu müssen. An die Stelle von Gerechtigkeit ist im Eherecht weitgehend rechts-
Mit diesem „Recht" wurde der Grundsatz nachehelicher wirt- ideologischer Dogmatismus getreten. In dem Teil des Schrifttums,
schaftlicher Eigenverantwortung praktisch außer Kraft gesetzt; an der dem geltenden „Recht" eher wohlwollend gegenübersteht, wird

194 195
zuweilen das Verantwortlichkeitsdenken um jeden Preis verteufelt. „Konsens, Meinungsforschung und Verfassung" in der Zeitschrift
Wenn es gilt, einmal erlangte Pfründe zu verteidigen, ist offenbar „Die öffentliche Verwaltung" 1982 S. 879, es erschienen Einzel-
jedes Mittel recht. Hartnäckige Uneinsichtigkeit ist hier an der Ta- regelungen der Scheidungsfolgen oder des Unterhaltsrechts mit
gesordnung. Auch das BVerfG spricht in seiner Urteilsbegründung dem Gerechtigkeitsempfmden vieler schwerlich vereinbar. Mußte
vom 14.7.1981 in Nachvollzug der Regierungsbegründung davon, dann aber ihm und seinen Richterkollegen nicht klar geworden
es solle das Schuldprinzip „nicht wieder aufleben", so daß etwa sein, daß mit einem derartigen Recht wohl grundlegend etwas nicht
§ 1579 Abs. l Nr. 4 aF nur bei „schwerwiegendem und klar bei in Ordnung sein konnte, so daß eine andere verfassungsrechtliche
einem Ehegatten liegenden, evidenten Fehlverhalten" anwendbar Weichenstellung angezeigt gewesen wäre?
sein soll. In den Begründungen des UÄndG 1986 z.B. mußte die Ich bin davon überzeugt, daß sich der Gesetzgeber sowieso, aber
Regierung mit fast jedem zweiten Satz beschwichtigend erklären, auch die höchstrichterliche Rechtsprechung von der hysterischen
daß „damit" nicht die Wiedereinführung des Verschuldensprinzips Zeitgeistwelle, die von der allgegenwärtigen Unterdrückung der
beabsichtigt sei - so verängstigt war man angesichts des Kessel- Frau redete und deshalb ihre „Befreiung" forderte, maßgeblich un-
treibens der Gegner der Novelle! ter Druck setzen ließen. Anders ist es kaum zu erklären, daß man
Das gängige Schlagwort lautet „Keine Wiedereinführung des die wie gezeigt größtenteils haltlosen Begründungen, die von femi-
Schuldprinzips durch die Hintertür". Dabei sollte diesem Prinzip nistischer Seite und der sie unterstützenden Kreise in Medien und
der Königseingang vorbehalten sein, wenn das zu mehr Gerechtig- Politik für solches „Recht" vorgebracht wurden, mehr oder weni-
keit führt. * ger abschrieb und sie ohne Hinterfragung ihrer Logik und ihres
So wurden, wie schon betont, in Rechtsprechung und Schrifttum Wahrheitsgehalts als eigene Begründungen übernahm. Man wollte
größte Verrenkungen um die Frage vorgenommen, ob und inwie- nicht als „unmodern" gelten, vor allem aber nicht als „frauenfeind-
weit etwa im Rahmen des § 1579 persönliches Fehl verhalten eines lich", und brachte so nicht genügend Mut auf, um sich diesem -
Ehegatten zu prüfen und zu würdigen ist. erkennbaren - Unsinn zu widersetzen. Man kann sich des Gefühls
nicht erwehren, daß dieses „Recht" seinerzeit einfach „durchgezo-
Demgegenüber wurde auch in Umfragen schon festgestellt, daß gen" werden mußte.
eine deutliche Bevölkerungsmehrheit sich für eine Berücksich- Allerdings dürften manche der maßgebenden Ideologen, die als
tigung des persönlichen Verhaltens bei Ehescheidungen ausspricht. Antreiber des Gesetzes aktiv waren, insgeheim selbst davon über-
Dazu gehört auch ein Teil der Frauen, obwohl sie in der Regel rascht gewesen sein, wie leicht sich ihre Forderungen durchdrük-
durch das geltende Recht bevorzugt sind. Es dürfte sich hierbei in ken ließen. Aber Recht scheint Mode zu sein - und die war beson-
erster Linie um Zweitehefrauen oder um Mütter von Söhnen han- ders zu jener Zeit frauenbewegt und männerfeindlich, und sie ist es
deln, die durch das fragliche „Recht" um ihre Lebenschancen ge- heute noch.
bracht wurden.
Selbst der ehemalige Präsident des BVerfG Ernst Benda, der an
den drei verfassungsgerichtlichen Entscheidungen von 1980 und
1981 als Senatsvorsitzender beteiligt war, erklärt in seinem Aufsatz

196 197
7 ZU ALLGEMEINEN AUSWIRKUNGEN die es gerade nicht haben sollte: Es wird zum Instrument der Ge-
DES GELTENDEN „RECHTS" meinheit! Die Institution Ehe wird zur inhaltsleeren Hülse degra-
diert, wenn das Recht nicht mehr zur gegenseitigen Einhaltung von
7.1 Aushöhlung des Steilenwerts der Ehe schlechthin Ehepflichten anhält, sondern deren Bruch sogar noch prämiert.
Zumindest von einem Teil der Reformer war es wohl so gewollt:
Mit der durch die Scheidungsreform von 1977 geschaffenen Mög- Kern des neuen Gesetzes sollte der problemlos mögliche Ausstieg
lichkeit, eine Ehe nicht nur auch bei eigener Verantwortungs- für Frauen aus der Familie sein.
losigkeit aufkündigen zu können, sondern dabei in fast allen Fällen
sogar noch die Ehevorteile in Form weiterer Alimentierung unter 7.2 Nähe zur Prostitution
Lebensstandardgarantie (jedenfalls bei entsprechend leistungs-
fähigem Partner) mitzunehmen, ist auch der gesetzlich noch vorge- Da die Rechtsprechung eine Lebensstandardgarantie schon nach
gebene Rest von Eheinhalt zu Makulatur geworden. einer Ehedauer von nur 21/2 Jahren zugebilligt hat, bietet sich ein
Die in § 1353 festgelegten Pflichten zur ehelichen Lebensge- zusätzlicher Anreiz, berechnend die Ehe von Hause aus nur als Ba-
meinschaft und zu gegenseitiger Verantwortung füreinander verka- sis zur Erlangung dieses Status zu benutzen. Mehr denn je wird sie
men zum bloßen Lippenbekenntnissen, da ihre Verletzung für den damit in die Nähe der - scheinheilig sonst so geächteten - Prostitu-
wirtschaftlich schwächeren Partner sanktionslos bleibt. Zufolge tion gerückt.
der Unterhaltsbemessung nach dem ehelichen Lebensstandard Die Schriftstellerin Gabi Hauptmann drückte es in einem
stellt dieser sich nach Scheidung regelmäßig besser, denn es ent- STERN-Interview etwas zugespitzt so aus: Eine Frau, die heute
fallen die Gegenleistungen für den anderen Gatten. nach der dritten Scheidung noch keinen Porsche fährt, muß etwas
Ein so gestaltetes Scheidungsfolgenrecht eröffnet die Ehe als ei- falsch gemacht haben!
nen rechtsfreien Raum und kann entsprechend auf das eheliche Die Ehe kann also unter der Ägide unseres „Rechts" ohne weite-
Verhalten zurückwirken. Der wirtschaftlich Stärkere liefert sich res als Mittel zeitlich begrenzter Wegelagerei dienen. Ist aber nicht
dem anderen Gatten aus, umso mehr er ihm die Haushaltsführung jede Prostituierte, die offen zu ihrem Erwerb steht, moralisch weit
überläßt. Kinder erhöhen das nacheheliche Unterhaltsrisiko beson- höher einzustufen als eine Schlampe, die ihre Käuflichkeit (ver-
ders. Damit erhält - um es noch einmal zu unterstreichen - der deckt) über unser Eherecht zur Geltung bringt?
wirtschaftlich schwächere Eheteil, in aller Regel also die Frau, eine
Machtposition, die nur allzu leicht ausgenutzt werden kann und 7.3 Herabsetzung des Vertrauens in die Rechtsordnung
bekanntermaßen auch oft genug ausgenutzt wird. Frauen neigen
unter diesen Umständen verstärkt - die Scheidungsstatistiken be- Ein derart vom natürlichen Rechtsempfinden der meisten Bürger
weisen es deutlich - vielfach schon bei kleineren Eheproblemen entferntes Recht kann nicht geeignet sein, das Vertrauen in die
zum Verlassen des Partners. Rechtsordnung zu stärken. Ich komme an dieser Stelle nochmals
Die Möglichkeiten des Mißbrauchs sind groß, der Mann ist je- auf Wolfgang Zeidler zurück, der dazu in der Festschrift für Faller,
derzeit erpressbar. Das Recht erhält auf diese Weise eine Funktion, 1984, 158 wörtlich ausführt:

198 199
„ Der grundsätzlichen Entscheidung für den Übergang aus die Konsequenz der Trennung zieht, anders zu beur-
zum Zerrüttungsprinzip folgend sieht das seit J977 gel- teilen als diejenige, die vielleicht ihren Tennislehrer at-
tende Gesetz auch fiir die Scheidungsfolgen eine Ab- traktiverfindet als ihren am Schreibtisch, an dem er das
wicklung unabhängig vom Verschulden vor, mit wenigen Familienvermögen erarbeitet hat, alt gewordenen
Ausnahmen für Extremfälle. Die Folge ist, daß sowohl Mann. Wenn diese unterschiedlichen, in ihrer mora-
Regelungen über den Unterhalt wie über den Versor- lischen Qualität verschiedenen Lebenssachverhalte vom
gungsausgleich mit ihren teilweise sehr einschneiden- Recht in bezug auf die Folgen für Unterhalt und Alters-
den Wirkungen fiir die Beteiligten zu treffen sind, ohne versorgung völlig gleichartig behandelt werden, wird
daß der Verlauf der Ehe und die Ursachen für die Tren- die Rechtsordnung weithin nicht mehr verstanden.
nung der Ehepartner erforscht und rechtlich bewertet Die im Gesetzgebungsverfahren und später in der
werden. Diese grundsätzliche Entscheidung des Gesetz- Verteidigung der zugrunde liegenden Rechtsauffassung
gebers , der das neue Prinzip bis zu seiner letzten Kon- angeführten Gründe für diese Gleichschaltung von
sequenz zu verwirklichen suchte, hat keine Akzeptanz in Scheidungsrecht und Scheidungsfolgenrecht vermögen
der Bevölkerung gefunden und weithin das Rechtsgefühl allesamt nicht zu überzeugen."
nicht befriedigt. Für das Empfinden des natürlich den-
kenden Menschen und des juristisch unverbildeten Bür- Dem möchte ich nichts hinzufügen.
gers kann es für die Bestimmung der Scheidungsfolgen
nicht unerheblich sein, auf welche Weise es zum Schei- 7.4 Vaterlose Kinder
tern der Ehe gekommen ist. Für die Lebenswirklichkeit
bedeutet es einen erheblichen Unterschied, ob ein Ehe- Zwar ist die Scheidungshäufigkeit nicht nur eine Folge des jeweils
partner dem anderen aus Lust und Laune wegläuß oder geltenden Rechts, andererseits läßt sich aber auch nicht leugnen,
ob er in bösartiger Weise von ihm verstoßen wird. Es ist daß dem Recht auch insoweit Bedeutung zukommt.
für das Rechtsgefühl nicht das gleiche: der eine Ehe- Schon mehrmals war auf die Tatsache hinzuweisen, daß mit un-
mann trennt sich von einer zänkischen und streitsüchti- serem „Recht" die Eheflucht insbesondere von Frauen enorm be-
gen Frau, die außerdem den Haushalt verwahrlosen günstigt wird. Da gerade Kinder einen praktisch „unschlagbaren"
läßt und die Kinder schlecht behandelt und sucht sich eigenen Unterhaltsanspruch garantieren - Anschlußtatbestände
eine neue Partnerin, bei der er persönliche Harmonie locken zusätzlich -, ziehen viele Frauen es vor, lieber zu allein er-
findet und sein Leben in Ordnung bringen kann; der an- ziehenden Müttern zu werden, als eine kriselnde Ehe fortzuführen.
dere läuft davon, nachdem er vielleicht lange Jahre ver-
heiratet war und seine Frau in den Pflichten der Ehe alt Daß Hauptleidtragende einer Scheidung die Kinder sind, muß
geworden ist, um sich einer attraktiveren und jüngeren nicht besonders betont werden. Wie geschildert, kam es in der Ver-
Partnerin zuzuwenden. Ebenso ist die Ehefrau, die von gangenheit oft zu erbitterten Streitigkeiten um das Sorgerecht, bei
ihrem Mann drangsaliert und mißhandelt wird und dar- denen fast immer der Vater unterlag. An dem Faktum des Unter-

200 201
haltsanspruchs des Betreuers und dem damit gegebenen Anreiz tion im Scheidungskampmf mißbraucht und die Vaterrolle auf die
zum Ausbruch aus der Ehe ändert sich auch durch das gemeinsame Unterhaltsüberweisung reduziert wurde.
Sorgerecht nichts, wenngleich vor allem im Interesse der Kinder zu
hoffen bleibt, daß dadurch wenigstens die Sorgerechtsstreitfälle 7.5 Staatlich bereitete Ehefalle für Männer
zurückgehen und die Väter allgemein einen verbesserten Zugang
zu ihren Kindern bekommen. Mit den bisherigen Ausführungen konnte ich hoffentlich in hinrei-
Durch die Scheidungshäufigkeit, hervorgerufen auch durch das chender Weise deutlich machen, welche unabsehbaren Risiken
Recht, wird das Ansteigen der Zahl von Kindern, die mehr oder eine Eheschließung heute für denjenigen mit sich bringt, der in
weniger ohne Vater aufwachsen, zur bedauernswerten Realität. eine Ehe das größere Potential an beruflicher Bildung und Lei-
iü Die Folgen dieser Saat bekommt die Gesamtgesellschaft mehr stungsfähigkeit einbringt. Anders ausgedrückt: Wer den Part der
K und mehr zu spüren. Kinder, denen der Vater vorenthalten wird, materiellen Versorgung der Familie übernimmt, liefert sich in Kri-
leiden häufig unter Defiziten, unter anderem sind sie durchschnitt- sensituationen dem anderen Gatten weitgehend aus.
lich auch leistungsschwächer. Unzählige Studien weisen das aus. Es wird nun auf die Möglichkeit des vertraglichen Ausschlusses
Wen aber können solche Defizite verwundern, wenn ein Kind etwa von Ehegattenunterhalt und Versorgungsausgleich hingewiesen
bei einer egozentrischen Mutter, die es krampfhaft und mit allen werden. Einmal abgesehen davon, daß ein wirksamer Ausschluß
Mitteln vom Vater fernhält, aufwachsen muß? Was wird z.B. in ei- des Unterhalts im Falle des Betreuungstatbestandes nach der
nem Kind vorgehen, das mit ansehen mußte, daß derjenige Eltern- Rechtsprechung allenfalls begrenzt möglich ist, wird doch hier be-
teil, der die Ehezerrüttung bewirkte, vom „Recht" auch noch in je- wußt an der Lebenswirklichkeit vorbeigesehen.
der Hinsicht unterstützt wurde und deshalb als „Sieger" aus der Zwar gibt es durchaus immer wieder den einen oder anderen
Auseinandersetzung hervorging? Müssen solche Kinder nicht Zeitungsartikel, der die Ungereimtheiten des Scheidungsrechts
zwangsläufig zu der Meinung kommen, man könne allgemein aus zum Gegenstand hat, und so manches Buch mit in diese Richtung
unrechtmäßigem, verantwortungslosem Verhalten Vorteile ziehen? gehendem Inhalt wird aufgelegt. Viele junge Menschen wissen
aber - sofern es sich nicht gerade um Rechtsstudenten handelt -
Es erscheint dann nur noch folgerichtig, daß vaterlos aufwachsen- dennoch kaum Näheres über den Horrorcharakter dieser Gesetzes-
de Kinder und Jugendliche auch in erheblichem Maße mehr als an- materie, sie haben in jungen Jahren auch meist andere Sorgen, als
dere alkohol- und drogenanfällig werden, Straftaten begehen und sich mit den Einzelheiten dieses „Rechts" zu befassen. Auch ver-
schließlich in eine kriminelle Karriere hineinschlittern. Einige su- mutet wohl kaum ein Rechtslaie, daß dieser Rechtsbereich derart
chen sich auch gefährliche politische Ersatzväter aus. Die Lübek- einseitig ausgelegt sein könnte.
ker Brandstifter etwa wuchsen vaterlos auf - und das ist nur ein Vor allem aber befindet man sich im Zustand der „großen Lie-
Beispiel. Welche Ehepartner später einmal aus ihnen selbst wer- be" - besonders bei Männern gilt es ja nicht als Geheimnis, daß der
den, ist vielfach absehbar. Verstand oft aussetzt, sobald die Liebe einsetzt. Sie sind in der Re-
So sieht also in Wirklichkeit oft die heile feministische Wunder- gel sexuell weit abhängiger. Das berechnende Moment ist bei Frau-
welt der alleinerziehenden Frau aus, in welcher das Kind als Muni- en oftmals schon von Anfang an viel stärker ausgeprägt als bei

202 203
Männern. Wer das für den Regelfall nicht zugibt, macht sich etwas zur Eheschließung anmeldet oder sich sonst dafür interessiert, soll-
vor. Es ließe sich auch eingehend begründen - dies ist aber nicht te ein umfassendes Merkblatt mit den wichtigsten einschlägigen
Hauptthematik des Buches und würde daher den Rahmen spren- Regelungen zur Verfügung gestellt werden. Es sollte klar darüber
gen. unterrichtet werden, daß eheliches Fehlverhalten Unterhaltsan-
Jedenfalls können die Ehekatastrophen nur anderswo passieren, sprüche nur im äußersten Fall auszuschließen vermag, vom Lei-
für die eigene Beziehung hält man(n) ihr Eintreten für ausgeschlos- stungsfähigen aber in jedem Falle Verantwortung in hohem Maße
sen. Der Himmel hängt also, um den abgedroschenen, aber zutref- eingefordert wird. Das wäre ein Spiel mit offenen Karten. Das Vor-
fenden Spruch zu gebrauchen, voller Geigen. halten der Gesetzbücher in juristischen Bibliotheken reicht nicht
Aber auch bei denjenigen, die etwas vorsichtiger sind, stellen aus. Am besten wäre es, bereits im Sozialunterricht der Schulen mit
sich gegen die Abfassung eines Ehevertrags oft so manche „Skru- einer entsprechenden Aufklärung zu beginnen. Doch nichts der-
pel" ein: Gibt man damit nicht zu erkennen, daß gewisse Zweifel gleichen geschieht, vielmehr ködert der Staat mit erheblichen Steu-
an der Dauerhaftigkeit der Verbindung, am anderen Partner über- ervorteilen schon für die kinderlose Ehe zum Eingehen des Ehe-
haupt, bestehen? Um die Angebetete unter Umständen nicht schon bundes.
von Beginn an zu vergraulen, scheuen sich viele, mit dem Ansin-
nen ehevertraglicher Regelungen in Bezug auf die Folgen einer Nach allem kann man ohne weiteres von einer staatlich gestellten
möglichen Scheidung an sie heranzutreten. Es soll doch bald der Ehefalle sprechen, in die „der wirtschaftlich Bessergestellte" hin-
„schönste Tag im Leben" gefeiert werden - wer wollte da schon eintappt und wohl auch hineintappen soll. Alle künftigen Risiken
wieder an Scheidung denken? werden ihm aufgeladen, der Trauschein wird zum grundsätzlich le-
So darf es nicht verwundern, wenn der Gang zum Standesamt benslänglichen Versorgungsschein auch für den Fall des Scheiterns
immer noch stark an der Tagesordnung ist. Nur geringfügig geht der Ehe. Der Staat verhält sich seinen jungen Bürgern gegenüber
die Zahl der Eheschließungen zurück. Würden viele junge Männer insoweit vergleichbar etwa einem Versicherungsvertreter, der je-
kühlen Kopf bewahren, müßten sie unter den heutigen Bedingun- mandem unter geschicktem Verschweigen des Kleingedruckten ei-
gen vor der Ehe zurückschrecken - insbesondere dann, wenn sie nen ungünstigen Vertrag aufschwätzen will.
über eine gute Ausbildung mit entsprechenden Zukunftsaussichten
verfügen. Ohne größeres Risiko bleibt die Ehe nur für diejenigen,
die wenig Einkommen und Vermögen haben, oder die andererseits 8 SCHLUSSFESTSTELLUNGEN; VORSCHLÄGE
gleich derart vermögend sind, daß es keine Rolle spielt, für wie-
viele (ehemalige) Partner unter Umständen bezahlt werden muß. 8.1 Allgemeines
Die breite Mitte dagegen erwischt es im Ernstfall mit voller Härte.
Mit der Reform von 1977 hat der Gesetzgeber zwar das sog. „Zer-
Bei einem Scheidungsrecht unserer Art wäre es also nur fair, wenn rüttungsprinzip" auch für den Bereich der Scheidungsfolgen über-
der Staat - etwa über seine Standesbeamten - die Ehewilligen nommen, die Unterhaltsmaßstäbe aber nach wie vor an dem Rah-
rechtzeitig über dieses Recht informieren würde. Jedem, der sich men orientiert, wie er nach früher geltendem Verschuldensrecht nur

204 205
für den Ehezerrütter galt, und diesen teilweise sogar noch ausge- Es wäre sicher nicht zur Abschaffung des Verschuldensprinzips
weitet. Der Allein- oder Mehrverdienende ist an die Stelle des frü- bei den Scheidungsfolgen gekommen, wenn nicht gleichzeitig die
her schuldigen Eheteils getreten, wird so wie dieser oder sogar besagte Ausdehnung des Unterhaltskatalogs stattgefunden hätte.
noch strenger behandelt. Man wird deshalb auch von einer raschen Wiedereinführung der
Die Feministinnen und ihre Helfershelfer haben es damit in Verschuldensgrundsätze ausgehen dürfen, wenn in der Gesetz-
Deutschland als einzigem Land geschafft, trotz Wegfalls der Ver- gebung und/oder der Rechtsprechung der Mut aufgebracht würde,
antwortlichkeit als dem hauptsächlich legitimierenden Grund die Unterhaltsregelungen auf dasjenige zurückzuführen, was dem
nachehelichen Unterhalts die Anspruchspalette für Frauen (sie sind Zerrüttungsprinzip tatsächlich gemäß ist. Dann würden wohl all
fast immer die „wirtschaftlich Schwächeren") erheblich auszuwei- die scheinheiligen Begründungen von der angeblichen Nichtjusti-
ten. Nun müssen auch alle die Männer Unterhalt leisten, die nach tiabilität, der Vermeidung des Schmutzige-Wäsche-Waschens oder
Vorgangsrecht als der nicht oder weniger verantwortliche Teil ohne die absurde Theorie der Ungleichbehandlung von Mann und Frau
Haftung aus der Ehe gegangen wären. Für den (hauptsächlichen) bei Anwendung des Verschuldensgrundsatzes schnell in den
Familienernährer ist so die Eheschliessung zum nicht mehr steuer- Schubladen derer verschwinden, die sie sich ausgedacht haben.
baren, allgemein größten wirtschaftlichen Lebensrisiko geworden. Gleiches würde sich bestimmt auch dann einstellen, wenn es tat-
Er bleibt unabhängig von eigenem ehekonformen Verhalten im Fall sächlich zu einer dramatischen gesellschaftlichen Umwälzung der
des Scheiterns der Ehe mit einer möglicherweise lebenslangen Un- Verhältnisse insoweit käme, als in wesentlich mehr Familien die
terhaltspflicht belastet - und dies schon nach sehr kurzer Ehedauer. Frauen die Ernährerrolle und die Männer die Haushaltsführung
Gerade bei einem Zerrüttungsrecht aber hätte - um das noch ein- übernähmen. Daß solche Umstände so schnell nicht eintreten wer-
mal zu unterstreichen - im Hinblick auf die Zuerkennung von Un- den, liegt nicht an der gebetsmühlenartig behaupteten beruflichen
terhaltsansprüchen mit äußerster Vorsicht vorgegangen werden Diskriminierung von Frauen - eher ist inzwischen das Gegenteil
müssen. Wenn es Fehlverhalten in einer Ehe nicht mehr geben bzw. der Fall -, sondern in erster Linie an der schlichten Tatsache, daß
solches regelmäßig nicht mehr ausschlaggebend sein soll, Verant- sie selbst in ihrer großen Mehrzahl nach wie vor - und dies ganz
wortung also insoweit zum Tabu erklärt wird, so kann doch erst freiwillig und ohne „Opferrolle" - den innerhäuslichen Part und
recht für die Zeit nach aufgelöster Ehe nicht plötzlich Verantwor- damit eine lebenslange Fremdversorgung vorziehen.
tung konstruiert werden - die Dinge werden sonst von den Füßen Träte die besagte Veränderung der gesellschaftlichen Verhält-
auf den Kopf gestellt. nisse im Ehebereich tatsächlich ein, so möchte ich den Aufschrei
Nacheheliche Ansprüche dürften dann also nicht - wie bei uns - der Frauen nicht hören, wenn sie es dann sind, die in großer Zahl
die Regel sein, jedenfalls keine längerfristigen Ansprüche. Im all- etwa ihren untreuen Männern langjährig hohen Unterhalt bezahlen
gemeinen könnte nur eine höchstens zwei- bis dreijährige Über- müßten! Ob dann auch von „verletztem Frauenstolz" die Rede
gangshilfe in Betracht kommen, soweit sie erforderlich erscheint. wäre? So aber haben Männer Gesetze gegen Männer geschaffen,
Anstelle einer Kompensation für den Notfall aber ist unser über- durch die sie im Scheidungskonflikt allzu häufig zu rechtlosen, ih-
bordendes Unterhaltsrecht zu einer Ermunterung zur Trennung ren Kindern gegenüber oft ausgesperrten Arbeitsdrohnen gestem-
ausgeartet. pelt werden.

206 207
Durch die weitgehende Herausnahme des Billigkeitsgrundsatzes und dann die Früchte dieses Mißbrauchs einheimsen dürfen. Hier
aus dem Ehegatten-Unterhaltsrecht kann, um auch das noch einmal gilt nichts anderes wie sonst auch: Wo es (angeblich) kein Ver-
zu betonen, Einzelfallgerechtigkeit hier in weitem Umfang nicht schulden gibt, gibt es auch keine Verantwortung! Verschlagenheit,
mehr gewährleistet werden. Diese Rechts Verweigerung ist eine Tücke, moralische Schwäche werden so prämiert.
Ausnahmeerscheinung, das nacheheliche Unterhaltsrecht bildet Der Feminismus jedenfalls hat mit diesem „Recht" ein weiteres
damit einen Fremdkörper im gesamten Rechtsgefüge. Kein Wun- Ziel seiner Losung, frau solle möglichst immer „eine Wahl" haben,
der also, daß dieses „Recht" in weiten Teilen der Bevölkerung erreicht. Hier ist es die Wahl, entweder - wenn's denn beliebt - in
nicht verstanden wird. einer Ehe zu verbleiben, oder den einmal Angetrauten zu verlassen,
Matthias Matussek schreibt in seinem Buch „Die Vaterlose Ge- wenn es angenehmer erscheint, ihn nicht länger zu bekochen, seine
sellschaft" zu diesem „fairen" Recht u.a.: Wäsche zu waschen und den Haushalt zu führen - sein Geld aber
„Das Menschenbild, das die Rechtspsychologie mit der dennoch zu vereinnahmen.
Scheidungsreform von J977 entwarf, kann nur von
wirklichkeitsfremden Narren zusammengekrakelt wor- 8.2 Warum aus „Fachkreisen" wenig
den sein. Die Gesetzgeber rechneten mit der rousseau- öffentliche Kritik kommt
haft-naturguten Frau, die die Machtfülle, die ihr gege-
ben wurde, mit großer Verantwortung nutzt. Den Mann So mancher Leser wird sich vielleicht verwundert fragen, warum
dagegen sahen sie als schuldhaßen Bösewicht, dem denn von seilen der „Fachleute" - also insbesondere aus der Rich-
etwa Kinder nach emer Trennung nur selten anvertraut terschaft und der Anwaltschaft - wenig öffentlichkeitswirksame
werden können. Kritik zu vernehmen ist.
Im Unterhaltsrecht dagegen kalkulierten sie ihn eiri Es gibt zwar durchaus eine große Anzahl von Aufsätzen und
als endlos leidensfähigen, absurd sanften, selbstver- Stellungnahmen innerhalb der fachwissenschafltichen Literatur, in
leugnenden Zahler, der selbst Mißbrauch, Rache, Will- denen sehr dezidiert und eindeutig gegen das Scheidungsfolgen-
kür still duldend erträgt. Sicher, den gibt es. Aber es gibt recht Front bezogen wird. Doch trifft es zu, daß sich „nach außen
ihn - ein positives Zeichen — zunehmend weniger. " hin" insoweit relativ wenig abspielt. Man zitiert sich gegenseitig
und bleibt unter sich.
Wer einiges zur Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes gelesen Besonders nachdenklich muß machen, daß die offiziellen Ver-
hat, kann nur darin zustimmen, daß hier eine Reihe naiver, wirk- bände, insbesondere der Richterbund, sich gegen eine Ablösung
lichkeitsfremder Politiker und Rechtswissenschaftler mitgemischt des bestehenden Gesetzesunsinns wenden. Dies wurde besonders
haben. Es waren aber auch andere mit von der Partie, die ganz ge- deutlich anläßlich der bescheidenen Gesetzesnovellierung von
nau wußten, was sie wollten, und die Folgen voraussahen. Sie wa- 1986, die von dieser Seite sehr kritisch begleitet wurde. Dabei geht
ren ja auch nicht so schwer zu erraten. es, ich deutete es oben schon einmal an, jedoch weniger um Sach-
Im Zweifel sind es doch gerade die charakterlosen Frauen, die argumente - wie könnte es auch -, vielmehr steht (zu Recht) der
den Verlockungen des Machtmißbrauchs nicht widerstehen können Gesichtspunkt befürchteter Mehrarbeit, vor allem komplizierterer

208 209
Arbeit, Pate. Vorgeschützt freilich wird vor allem der schon aus- betroffen wurden und die froh gewesen wären, wenn die früheren
führlich abgehandelte, weitgehend unzutreffende Einwand der an- Rechtsregeln für ihre eigene Scheidung noch Geltung gehabt hät-
geblichen Nichtbewertbarkeit ehelichen Fehlverhaltens. ten. Der größere Teil der Juristen aber hat es „einfacher" in dem
Natürlich ist es in der Rechtspraxis viel einfacher, wenn (auch) aufgezeigten Sinne.
die Scheidungsfolgen in den meisten Fällen nicht mehr mit der Ver- Das Ganze offenbart natürlich einen bedenklichen Zustand un-
schuldensfrage verknüpft werden müssen. Man hat dann im We- serer gesamten Rechtskultur selbst. Der mangelnde Gerechtig-
sentlichen nur noch zu prüfen, ob die Trennungszeiten etc. erfüllt keitssinn gerade in weiten Kreisen derer, die für die Rechtsanwen-
sind, und für die Feststellung der Unterhaltslast des rechtlos ge- dung zuständig sind - mit der Rechtsprechung der obersten Ge-
stellten Verdieners braucht's lediglich eine Einkommensbescheini- richte als Spitze - vermag einen nur in Erstaunen zu versetzen.
gung und die „Düsseldorfer Tabelle". Das Sorgerecht kann in
Streitfällen nach bekanntem Muster abgenickt werden. 8.3 Vorschläge
Ein gut abgerichteter Schimpanse wäre wohl nicht mehr weit
davon entfernt, derartige „Rechtsprechungs"-Aufgaben auch zu Aus dem Gesagten ergeben sich einfache Schlüsse für die Revision
meistern. Jedenfalls genügt heute für die allermeisten Scheidungen des angegriffenen, von der Ideologie der Frauenbevorzugung ge-
ein Registerbeamter, der die gesetzlich praktisch vorgegebene bzw. tragenen Rechts.
erzwungene Scheidungs-"Vereinbarung" noch abstempelt.
Ähnliches gilt auch für die_ Anwaltschaft. Man muß nicht mehr Wenn die Scheidungsfolgen zwischen den Parteien streitig sind,
umständlich Beweis führen über Fehlverhaltenstatbestände, die muß die jetzt praktizierte Rechtsverweigerung aufgegeben werden.
Schriftsätze fallen kürzer und einfacher aus, können nahezu stan- Die Entscheidungen müssen wieder uneingeschränkt auf der Basis
dardisiert werden. Der „Sieger" steht zumeist von vorneherein fest. von Billigkeit und Treu und Glauben getroffen werden. Derjenige,
Falls man das etwas unangenehmere Los der Vertretung des Man- der alleine oder überwiegend für die Ehezerrüttung verantwortlich
nes gezogen hat, geht es nur noch darum, ihm das bevorstehende zeichnet, sollte - wie es auch sonst tragender und selbstverständli-
Debakel möglichst schonend nahezubringen - eher eine Aufgabe cher Rechtsgrundsatz ist - keine Ansprüche aus dieser von ihm
für Psychologen. Das Geld verdient sich mit diesen Vereinfachun- selbst zerstörten Ehe herleiten können.
gen schneller und leichter als sonst. Daß die Gerechtigkeit dabei in Der so häufig beklagte wie ebenso selten gewesene Fall der
den Hintergrund tritt, spielt keine große Rolle - sie würde sich hier langjährig treuen, kindererziehenden Frau, die sich „einmal ver-
eher als ein Störfaktor erweisen. fehlt" hatte und dann ohne Anspruch „verstoßen" werden konnte,
Die Frage, die sich hier vor allem stellt, ist doch folgende: Wozu kann dabei leicht korrigiert werden - sofern man solchenfalls über-
besteht -jedenfalls für den ohnehin rechtlos Gestellten - eigentlich haupt zu einem überwiegenden Schuldspruch kommen könnte.
Anwaltszwang? Die Düsseldorfer Tabelle kann er sich in jedem In jedem Falle hat das geltende Gesetz viel mehr Ungerechtig-
Buchladen besorgen und sich seinen Ruin selbst berechnen! keit über ungezählte Menschen gebracht, als das alte es je ver-
Freilich gibt es inzwischen bereits viele Rechtsanwälte und mocht hätte. Kann ein überwiegendes Verschulden einer Partei
Richter, die höchstpersönlich sehr negativ vom Scheidungsrecht nicht in hinreichender Weise festgestellt werden, sind - ähnlich

210 211
wiederum dem früheren Recht - übergangsweise Leistungen unter Allerdings legt(e) die Verfassungsrechtsprechung in anderen Be-
dem Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe für den wirtschaftlich reichen oft einen weit engeren Maßstab an - sonst könnte man ja
Schwächeren vorzusehen, sofern das erforderlich scheint. Diese gänzlich auf sie verzichten.
nachehelichen Belastungen sollten in aller Regel nicht länger als Die ideologisch geprägten Ehefeinde unter den Gesetzesinitiato-
zwei bis drei Jahre andauern. ren wollten vielleicht die Ehe endgültig als dasjenige entlarven,
was sie ihrer Meinung nach ohnehin nur ist: eine Versorgungsinsti-
Will man jedoch unter allen Umständen - und an der Lebenswirk- tution für Frauen - eine Art bessere Prostitution also. Zumindest
lichkeit vorbei - am Zerrüttungsgrundsatz auch für die Schei- teilweise ist ihnen das gelungen! Wer Umverteilungsideologie
dungsfolgen festhalten, so können nacheheliche Ansprüche eben- durchsetzen wollte, darf sich ebenfalls gratulieren. Die Ausbeutung
falls nur am Prinzip einer eventuell nötigen Übergangshilfe auf des Menschen durch den Menschen hat in unserem Unterhaltsrecht
zwei bis drei Jahre - wie eben ausgeführt - orientiert sein. Für alles fröhliche Urständ gefunden.
Weitergehende besteht dann keine Rechtfertigung. Darüber hinaus- Wenn es um das Ausnehmen von Männern geht, klammert frau
gehende Unterstützungen sind bei einem derartigen Recht vom sich plötzlich wieder mit Vehemenz an Heim, Herd und Kindes-
Staat selbst zu tragen, der es ja auch zu verantworten hat. erziehung - von wirklicher Emanzipation will dann keine Rede
Auch für langdauernde Ehen muß gelten, daß nicht ein Gatte mehr sein. Frau „emanzipiert" sich dann zwar vom Mann als Per-
ohne weiteres aus der Ehe ausbrechen und Unterhalt beziehen darf, son, aber nur höchst ungern auch von seinem Geld.
während er den anderen, eventuell schon pflegebedürftigen Gatten Dieses „Recht" stellt nachgerade nichts anderes dar als eine Ver-
seinem Schicksal überläßt. höhnung erwerbstätiger Frauen schlechthin - mögen sie Kinder er-
ziehen oder nicht. Gerade die Frauen, die selbst kaum etwas gelernt
8.4 Schlußbemerkung und gearbeitet, aber einen beruflich erfolgreichen Partner geheira-
tet haben, können sich auf Lebenszeit Unterhalt auf dem Standard
Wie wir gesehen haben, bedarf es in Deutschland nicht einmal ei- des anderen sichern, auch wenn sie die Ehe aufgeben. Der SPD-
ner formalen Diktatur, um Unrechtsgesetze ins Leben zu rufen. Es Abgeordnete Ulrich Lohmar hat es in einem SPIEGEL-Beitrag
genügt kräftiges Zeitgeistgeschrei aus bestimmten Ecken, um Ge- zum neuen Eherecht so ausgedrückt: „ Merke: Die Karriere der er-
setzgebung und Rechtsprechung ohne weiteres in den Veitstanz folglosen Frau beginnt mit der Ehe, die des erfolgreichen Mannes
einzubeziehen. Besonders leicht geht das, wenn angebliche Frau- ohne sie. Und - in seltenen Fällen - umgekehrt. "
enbenachteiligungen behauptet werden. Der richtig verstandenen Frauenemanzipation leistet dieses
Es besteht in diesem Lande eine Neigung zur ideologisch- familienpolitische Unrechtssystem also einen Bärendienst. Wenn
radikalen Übertreibung, wenn man glaubt, etwas „Neues" entdeckt es gerade von Feministinnen verbissen mit allen möglichen und
zu haben. unmöglichen Mitteln verteidigt wird, kann das nur heißen, daß
Wenn das, was wir im Scheidungsrecht seit 1977 haben, noch doch in Wahrheit nicht wirkliche Emanzipation, sondern lediglich
verfassungsgemäßes Recht sein soll, kann jeder Gesetzgeber ohne- weibliche „Selbstverwirklichung" auf der Basis reiner Männeraus-
hin tun und lassen, was er will. beutung angestrebt ist.

212 213
IV WEITERE FRAUENBEVORZUGUNGEN Frauen tragen also mindestens dieselbe Verantwortung wie Männer
im Hinblick darauf, ob Krieg geführt oder Friede gehalten wird.
i KEIN WEHR- ODER WEHRERSATZDIENST
FÜR FRAUEN; TODESBERUFE FAST NUR Gerade beim Problem des Wehrdienstes wird besonders deutlich,
FÜR MÄNNER daß Männer nicht mehr, sondern weniger Macht haben. Sie werden
gezwungen, etwas zu tun, was die Mehrheit von ihnen nicht will.
Bekanntlich leisten Frauen in den meisten Ländern weder Wehr- Welches Geschrei würde sich erheben, wenn es die Wehrpflicht
dienst noch einen zivilen Ersatzdienst. Selbst in Israel, wo die Ver- für Frauen gäbe, aber nicht für Männer? Warren Farrell bringt dazu
pflichtungen von Frauen am höchsten sind, reichen sie nicht an die in seinem Buch „Mythos Männermacht" eine drastische Vision, in-
der Männer heran. dem er schreibt:
Durch diese Bevorzugung können junge Frauen ihre Berufsaus- „Stellen Sie sich vor: Im Autoradio läuft Musik. Die
bildungen früher abschließen und haben damit einen erheblichen Stimme eines Ansagers unterbricht: , Wir bringen eine
Startvorteil. Sonderbotschaft des Präsidenten. ' (Aus irgendeinem
In verschiedenen Ländern haben Frauen zwar das Recht, in die Grund schalten Sie nicht auf einen anderen Sender um.)
Armee einzutreten, aber eben nicht die Pflicht dazu. Treten sie ein, Der Präsident verkündet: ,Da 1,2 Millionen Männer im
haben sie weiterhin die Wahl, der Kampftruppe anzugehören oder Krieg gefallen sind, werden wir, als Teil meines neuen
ihren Dienst auf andere, weniger gefährliche Truppenteile einzu- Gleichstellungsprogramms, so lange nur noch Frauen
schränken. zum Militär einberufen, bis J,2 Millionen Frauen im
In kaum einem Land ist von Feministinnen zu hören, daß hier Krieg gefallen sind. '"
eine Gleichstellung mit den Männern und demzufolge eine Quote
für Frauen in den Kampftruppen gefordert wird. Manche Leser werden diese Gedanken ungewöhnlich finden. Das
Ein sachlicher Grund für die krassen Ungleichbehandlungen der hat aber nichts mit ihrer Unhaltbarkeit zu tun, sondern damit, daß
Geschlechter beim Wehrdienst ist nicht erkennbar. Männern über Jahrhunderte hinweg die Beschützerrolle anerzogen
Wer zum Militär einberufen wird, wird gezwungen, gegebenen- wurde. Das sitzt tief in den Gemütern. Wenn sie in der Schlacht
falls sein Leben im Krieg aufs Spiel zu setzen. Warum mutet man meist andere Männer töteten oder getötet wurden, nannte man sie
das Frauen nicht in gleicher Weise zu? Die scheinheilige Ausrede, „Helden". Dies war und ist eine Art Belohnung dafür, sich in das
daß Kriege von Männern angezettelt würden, ist nicht akzeptabel. Sklaven- und Opfertum des Kriegsdienstes zu begeben.
Abgesehen davon, daß Frauen, soweit sie Regierungsverant- Die Opferrolle liegt also hier eindeutig bei den Männern, nicht
wortung trugen, Kriege in gleicher Weise befahlen wie Männer, den Frauen. Je besser Männern diese Rolle als selbstverständlich
sind es heute aufgrund ihrer Bevölkerungsmehrheit letztlich mehr eingetrichtert wird, umso mehr sind sie bereit, sich zu opfern und
Frauen als Männer, die die jeweiligen Regierungen ins Amt wäh- - vor allem Frauen - zu beschützen.
len. Sie können Frauen oder Männer wählen, und sie können Par- Es sollten aber, wie gesagt, im Konfliktfall beide Geschlechter
teien wählen, die sie für mehr oder weniger „kriegslüstern" halten. gleichermaßen in den Krieg ziehen, für den sie direkt oder indirekt

214 215
gestimmt haben. Erst dann wird es vielleicht auch weniger Kriege 2 BESSERSTELLUNG VOR DER STRAFJUSTIZ
geben.
Vor allem in den USA, aber auch in anderen westlichen Ländern
Die anerzogene Beschützerrolle des Mannes führt auch im privaten genießen an sich straffällig gewordene Frauen zum Teil unglaub-
Bereich dazu, daß in aller Regel er es ist, der sich bei Gefahr opfert. liche Privilegien. Diese Entwicklung ist brandgefährlich, da sie in
Damit wird er praktisch zum unbezahlten Leibwächter seiner Part- vielen Fällen Frauen selbst bei Kapitalverbrechen vor der ange-
nerin. Bei Einbrüchen etwa oder bei Überfällen sind es fast immer messenen Strafverfolgung verschont.
die Männer, die sich dem Aggressor stellen und damit ihr Leben So wurde im Jahre 1994 die Amerikanerin Lorena Bobbitts, die
riskieren. Wird eine Frau angegriffen, schreitet der Mann meist un- ihrem schlafenden Mann das Glied abgetrennt hatte, freigespro-
verzüglich ein, um ihr Leben zu retten. Männer gewähren also chen. Von Feministinnen wurde sie als Heldin gefeiert. Eine Nach-
Frauen größeren Schutz als sich selbst! Umgekehrt verhält es sich ahmerin fand sie in Deutschland, als in Frankfurt an der Oder eine
meist nicht so. Frauen rennen oft schreiend davon oder sehen zu, arbeitslose Putzfrau ihrem Ex-Freund mit einem Brotmesser eben-
ohne dem bedrängten Mann unmittelbar zu helfen. falls das Glied abtrennte. Sie erhielt nur drei Jahre Haft.
Auch vom Wehrdienst abgesehen sind in den gefährlichsten Be- In New York bekam 1998 Denise Solers, die zusammen mit ih-
rufen nahezu ausschließlich Männer tätig. Dazu zählen insbeson- rem Freund ihre eigene Tochter ermordet hatte, nicht einmal eine
dere Berufszweige wie Feuerwehr, Müllabfuhr, Bergbau, Bauar- Haftstrafe. Gegen bestimmte Auflagen wurde sie auf freien Fuß ge-
beit, Waldarbeit, gefährlichere Arbeit in der Landwirtschaft, Fern- setzt. Ihr Freund, gegen den sie sich zur Kronzeugin gemacht hatte,
transporte - um nur einige zu nennen. Wie amerikanische erhielt - zurecht - eine hohe Zuchthausstrafe. Sie aber stellte sich
Untersuchungen ergaben, sind von allen Berufsunfällen zu 95 % gleichzeitig als „mißhandelte Frau" dar und hatte so die mächtige
Männer betroffen - das sagt wohl alles. Bei all diesen Gefahr-Beru- Frauenbewegung und die Justiz an ihrer Seite.
fen hört man wiederum keine Feministin, die eine „Gleichstellung" Bezüglich Kindesmord weisen entsprechende Statistiken im üb-
durch Frauen, etwa in Form von Quotenregelungen, verlangt. Sol- rigen aus, daß in 55 % der Fälle die biologischen Mütter die Täter
che Forderungen werden nur dort erhoben, wo es um die feineren sind, in nur 6 % ist es der Vater, beim Rest sind es dritte Personen.
Jobs geht - wie etwa im öffentlichen Dienst. Hätten Sie es gewußt? Derartiges wird natürlich gerne verschwie-
Männer arbeiten also dort, wo die Gefahren am größten sind. gen - zerstört es doch den Mythos der allzeit guten Frau und Mut-
Wenn diese Arbeiten dann etwas besser bezahlt sind als viele kör- ter.
perlich ungefährliche Berufe, in denen vielfach Frauen tätig sind, In den USA ist, wie gesagt, die unterschiedliche Strafzumessung
wird das als „Diskriminierung" bezeichnet! für Männer und Frauen besonders kraß. Bei Verurteilung wegen
Diese wesentlich stärkere Gefährdung vieler Männer im Berufs- Mordes wird zwanzig mal öfter die Todesstrafe gegen einen Mann
leben wird kaum wahrgenommen. Dies ist vor allem auf den Um- verhängt als gegen eine Frau. Hingerichtet wurden seit 1976 etwa
stand zurückzuführen, daß Männer kein großes Aufsehen um diese 140 Männer, aber nur zwei Frauen. Niedrig fallen die Strafen für
Opferrolle machen. Man möchte sich das Geschrei nicht vorstellen, Frauen insbesondere dann aus, wenn sie „nur" einen Mann ermor-
wären die Verhältnisse umgekehrt. det haben!

216 217
Auch bei anderen Vergehen ist das Strafmaß im Schnitt für Män- aber war zur Tatzeit weit vom Tatort entfernt, was von zwei Zeugen
ner erheblich höher als für Frauen, Frauen erhalten öfter Bewäh- bestätigt werden konnte. Dennoch glaubte der oberste Gerichtshof
rung und werden häufiger vorzeitig aus der Strafthaft entlassen. der Frau und verurteilte den Mann zu 25 Jahren Gefängnis. Ledig-
lich von einigen Zufällen hing es dann ab, daß seine Unschuld noch
Eine der Ursachen für die weitaus mildere strafrechtliche Behand- bewiesen werden konnte.
lung von Frauen liegt in dem tiefverwurzelten Bild von der „un- All das bestätigt: Die Frau wird fast automatisch für unschuldig
schuldigen Frau". Sie werden für glaubwürdiger gehalten als Män- gehalten und der Mann für schuldig, solange nicht das Gegenteil
ner, man(n) traut ihnen insbesondere schwere Verbrechen kaum zu. bewiesen ist - es gilt der Grundsatz der „unschuldigen Frau".
Wenn sie ihre Unschuld beteuern, wird ihnen oft geglaubt. Umge- Über dieses „Grundprinzip" hinaus sind - in besonderem Maße
kehrt wird, wenn sie sich selbst eines Verbrechens bezichtigen, ihre wiederum in den USA - eine Reihe weiterer Entschuldigungsgrün-
Glaubwürdigkeit eher angezweifelt. de für Frauen konstruiert worden.
Warren Farrell nennt erschütternde Beispiele. Eine von ihrem Da ist einmal zu nennen das sog. „Prämenstruelle Syndrom"
Ehemann verlassene Frau rächte sich am Freund des Ehemannes, (PMS). Es besagt, daß die weiblichen Hormone während der Men-
indem sie dessen sieben Kindern das Essen tödlich vergiftete. Es struation oder der Menopause die Entscheidungsfähigkeit der Frau
wurde kein Verdacht gegen sie erhoben, vielmehr wurde der Vater einschränkten. So wurde in einem Fall in England eine Frau freige-
der Kinder beschuldigt und ohne ausreichende Beweise zunächst sprochen, die mit ihrem Auto, in dem ihr Freund saß, einen Strom-
zum Tode verurteilt, die Strafe aber nicht vollstreckt. Als die Mör- mast gerammt hatte, um ihn vorsätzlich zu töten. Ihre „prämen-
derin endlich zugab, die Kinder vergiftet zu haben, saß er bereits 20 struellen Spannungen" wurden ihr höchst mildernd angerechnet.
Jahre im Gefängnis. Die Frau hatte zuvor schon ihren ersten Mann Farrell schildert in diesem Zusammenhang auch noch andere Bei-
vergiftet und ihren zweiten erschossen. Beim erstenmal wurde sie spiele. Käme umgekehrt wohl jemand auf die Idee, einen Mann
freigesprochen, im zweiten Fall war sie nur kurze Zeit im Gefäng- von Mord oder Vergewaltigung freizusprechen oder ihm auch nur
nis. Trotz ihrer Geständnisse wurde Bessie Reese - so der Name mildernde Umstände zuzubilligen, wenn er sich auf den Einfluß
der Mörderin - bis zur Abfassung von Farrell's Buch (1993) noch von Testosteron herauszureden versuchte?
nicht verurteilt. Auch der Umstand der „nachgeburtlichen Depression" kann ei-
In einem weiteren Fall bedurfte es dreier Giftmorde einer Frau ner Mörderin zum Freibrief gereichen. So überrollte Sheryl Lynn
an Männern, ehe sich die Polizei dazu bequemte, endlich zu ermit- Massip ihren sechs Monate alten Sohn mehrmals mit dem Auto.
teln. Es bestand daraufhin der Verdacht, daß sie noch weitere Mor- Die „Strafe": sie mußte sich einer ambulanten medizinischen Be-
de begangen hatte. 25 Jahre lang jedoch galt sie als unschuldig, handlung unterziehen. Eine andere Kindsmörderin führte „Depres-
obwohl sich alle Morde im selben Ort abgespielt hatten. Hätte es sion" als Entschuldigungsgrund an, weil ihr Kind sich gerade im
bei einem Mann als Mörder ebenso lange gedauert? „Trotzalter" befunden hätte. Auch sie mußte nicht ins Gefängnis,
Die Haare zu Berge stehen einem schließlich in einem Fall, in sondern erhielt Beratung und Antidepressiva.
dem eine Frau ihre Mutter erstochen hatte und eiskalt behauptete, Gute Chancen haben Mörderinnen auch, die behaupten, von ih-
daß ihr Mann die Tat „vor ihren Augen" begangen hätte. Dieser rem Opfer zuvor geschlagen oder mißbraucht worden zu sein. In

218 219
vielen Staaten der USA gibt es Gesetze, die das ohne große Nach- ren sind die Entschuldigungs- bzw. Strafmilderungsgründe viel
prüfung generell als „Notwehr" auslegen. Natürlich gilt das kaum weiter gefächert als beim Mann - bis hin zum unterschiedlichen
für den umgekehrten Fall, wenn also ein Mann eine Frau getötet Notwehrbegriff etwa in den USA -, so daß Frauen selbst beim
hat und Notwehr behauptet. schwersten Verbrechen, dem Mord, oft ein Freibrief an die Hand
Wenn eine Frau sich mißhandelt fühlt, braucht sie also ihren gegeben wird. Sie können damit fast nach Belieben die „Todesstra-
Mann nicht zu verlassen, sondern kann ihn - sogar im Schlaf - fe" gegen einen Mann verhängen.
umbringen. Auf einer solchen wahren Geschichte beruht der Film Nicht ohne Grund vertreten Anwälte meist viel lieber straffällig
„The Burning Bed" aus dem Jahr 1984 mit Farrah Fawcett in der gewordene Frauen vor Gericht als Männer, weil das System ganz
Hauptrolle. Sie steckte, während der Mann schlief, sein Bett in klar auf der Seite der Frauen ist.
Brand - und wurde freigesprochen, denn er hatte sie ja zuvor miß- Auch bei fahrlässigen Vergehen oder im Zivilrecht - über das
handelt! Scheidungsrecht hinaus - werden Frauen im allgemeinen weitaus
Zumindest in den USA gibt es demnach eine geschlechtsspezi- milder angefaßt als Männer. Farrell wiederum nennt ein eindrucks-
fische Definition von Notwehr, die Männer praktisch zum Freiwild volles Beispiel: Kapitän Joseph Hazelwood, der mit seinem Tanker
machen kann. Es gibt bereits eine Anzahl von entsprechenden Fäl- „Exxon Valdez" eine Umweltkatastrophe hervorrief, wurde öffent-
len. lich verrissen, vor Gericht gestellt und mit Gefängnis bestraft. Der
Im Dezember 1990 entließ der Gouverneur von Ohio 25 Frauen Umstand, daß er durch eine unvorhergesehene Terminplan-
aus dem Gefängnis, die zunächst wegen Mordes an ihren Ehe- änderung trotz seiner und der Mannschaft Übermüdung zum Wei-
männern oder Freunden verurteilt worden waren. Sie alle hatten terfahren gezwungen worden war, wurde kaum mildernd berück-
behauptet, von ihren Opfern mißhandelt worden zu sein. Andere sichtigt. Ganz anders der Fall einer US-Fluglotsin, durch deren
Gouverneure folgten diesem Beispiel. Fehler dreißig Menschen den Tod fanden. Sie wurde von ihren Kol-
Hier sind wir also schon soweit, Mord als ein legitimes Mittel legen in einem Hotel untergebracht und von der Öffentlichkeit ab-
anzusehen, um sich von „einem Problem" zu befreien! geschirmt, tagelang betreut und getröstet. Sie bekam psychothera-
In anderen Fällen kommen mordende Frauen auch deshalb nicht peutische Hilfe, Anklage wurde nicht gegen sie erhoben. Ihr Name
ins Gefängnis, weil sie für Kinder zu sorgen haben. Für Väter gilt blieb unveröffentlicht.
dieser großzügige Bonus natürlich nicht. Noch krasser kann das
angebliche Kindeswohl nicht zugunsten von Müttern mißbraucht
werden. Wie kann man solchen „Müttern" überhaupt noch die Er- 3 DIE QUOTENFRAU
ziehung von Kindern anvertrauen?
Mit einem Urteil vom 17.10.1995 bewies der Europäische Gerichts-
Wir haben gesehen, daß die generell größere Unschuldsvermutung hof in Luxemburg noch Mut: Er verbot Quotenregelungen der Län-
für Frauen zunächst einmal dazu führt, daß gegen sie in vielen Fäl- der als Männerdiskriminierung. Es ging in dem Verfahren um eine
len erst gar nicht ermittelt wird. Oft sind es nur Zufälle, die Ver- leitende Stellung beim Bremer Gartenbauamt. Das Bremer Gesetz
dacht erregen, aber keine gezielte Polizeiuntersuchung. Im weite- sah bei gleicher Qualifikation eine Bevorzugung der Frau vor.

220 221
Dem europaweiten Druck der Feminismus-Lobby konnte der Das urteilende Richterkollegium bestand ausschließlich aus
Gerichtshof schließlich aber nicht widerstehen. Mit einer weiteren Männern, und doch fällten sie — einmal mehr - ein männerfeind-
Entscheidung vom 11.11.1997 weichte er sein früheres Urteil auf: liches Urteil. Die Richter hatten wohl Angst, sonst der Partei-
Nunmehr gilt es nicht mehr als diskriminierend, „bei gleicher Qua- lichkeit geziehen zu werden nach dem sattsam bekannten Kampf-
lifikation von Bewerbern unterschiedlichen Geschlechts in bezug spruch „Männer machen Recht für Männer", der in realita längst
auf Eignung, Befähigung und fachliche Leistung weibliche Bewer- nicht mehr gilt.
ber in behördlichen Geschäftsbereichen, in denen im jeweiligen Im Ergebnis gibt es heute in fast allen Bundesländern aufgrund
Beförderungsamt einer Laufbahn weniger Frauen als Männer be- sog. Gleichstellungs- und Frauenförderungsgesetze für den öffent-
schäftigt sind, bevorzugt zu befördern, sofern nicht in der Person lichen Dienst sowohl im Hinblick auf Einstellungen als auch bei
eines männlichen Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen." Beförderungen Quotenregelungen, die bei gleicher Eignung von
Was solche „in der Person des männlichen Mitbewerbers liegen- Männern und Frauen solange der Frau den Vorzug geben, bis insge-
den Gründe" sein sollen - wenn nicht wiederum leistungsbezoge- samt ein Frauenanteil von 50 % in der jeweiligen Verwaltung und
ne -, die ihm ausnahmsweise doch den Vorzug geben sollen, wird im jeweiligen Beförderungsamt erreicht ist.
nicht gesagt. Der EuGH sieht wegen dieser völlig unklaren und da- Umgekehrt gilt das Ganze jedoch nicht in den Sektoren, in de-
her nichtssagenden „Öffnungsklausel" im Gegensatz zu seiner Ent- nen Frauen ohnehin schon überrepräsentiert sind - so etwa im ge-
scheidung vom 17.10.95 jetzt keine Gleichheitsverletzung mehr. samten Lehrbereich. Hier wird also nicht danach verfahren, Män-
Das seinerzeit zur Beurteilung stehende Bremer Recht habe eine ner zunächst solange zu bevorzugen, bis sie einen 50%-Anteil
solche Klausel nicht enthalten. erreicht haben. So kann z.B. auch ein Textverarbeitungsspezialist
Im übrigen machte sich der EuGH in seiner zweiten Entschei- keine Stelle im Schreibdienst fordern, obwohl dort der Frauenan-
dung den völlig unbewiesenen Feminismus-Quatsch zu eigen, wo- teil wesentlich überwiegt.
nach angeblich bei gleicher Qualifikation aufgrund einer Reihe Die „Gleichstellungsgesetze" sind also nicht nach beiden Seiten
von Vorurteilen und stereotypen Vorstellungen über die Rolle und hin offen und disqualifizieren sich schon deshalb. Sie bedeuten in
die Fähigkeiten der Frau im Erwerbsleben Männer bevorzugt wür- vielen Fällen für Männer nichts anderes als ein Berufs- bzw. Beför-
den, so daß Frauen faktisch nicht die gleichen Chancen hätten. derungsverbot, eine staatlich geförderte Verdrängung der Männer
Das oberste europäische Gericht betet einerseits unhinterfragt insbesondere vom öffentlichen Arbeitsmarkt. Manche Länder-
eine derart dubiose „Argumentation" nach, andererseits übersieht Gleichstellungsgesetze schreiben noch eine zusätzliche frauenbe-
es, wenigstens darauf zu achten, ob das zu prüfende Gesetz aus- vorzugende Aufstiegsfortbildung vor.
gleichenderweise auch Männer bevorzugt, wenn sich in einem All diese einseitigen Frauenbevorzugungen sind grundrechts-
bestimmten Beförderungsamt bereits mehr Frauen als Männer be- widrig, denn es gibt kein Grundrecht auf irgendeinen Proporz!
finden. Spätestens hier fällt doch ins Auge, wie tendenziös und In einige politische Parteien hat die Frauenquote ebenfalls kräf-
zeitgeistkonform derlei „Rechtsprechung" ist. Bei dem zu beur- tig Einzug gehalten. Bei der SPD müssen seit 1994 alle Vorstands-
teilenden Fall ging es um eine Lehrerbeförderungsstelle in Nord- posten zu 40 % mit Frauen besetzt sein. Für die verschiedenen Par-
;a rhein-Westfalen. lamentsmandate gibt es eine Quote von einem Drittel. Noch höhere
i,
II.' 222 223
Pf
SS' 1
"
Anteile sollten es nicht sein, weil man wußte, daß es für die vorge- Postens mit einer Frau voraussichtlich mehr verdient werden kann,
sehenen Prozentsätze ohnehin kaum genug Bewerberinnen geben wird dies ohnehin geschehen - wenn nicht, ist es betriebswirt-
würde. schaftlich eben nicht rentabel. So einfach stellen sich hier die öko-
Bei den GRÜNEN haben Frauen Anspruch auf 50% der Posten nomischen Realitäten dar. Es könnte für Betriebe zu verheerenden
in Gremien, Wählerlisten etc. Dies zeigt ja dort auch die Besetzung Folgen führen, würden die Quotenregelungen des öffentlichen
von Vorstandsstellen etc. In dieser Partei existiert ein männerdiskri- Dienstes auch für sie zur Pflicht gemacht. Private Unternehmen
minierendes, antidemonkratisches Frauenstatut. Jeder uner- können es sich also nicht leisten, das Geschlecht ihrer Mitarbeiter
wünschte Antrag kann alleine mittels Frauenvotums abgebügelt stärker zu bewerten als Erfolg, Leistung etc. Dennoch wird weiter-
werden, sofern es sich um Fragen handelt, die „das Selbstbestim- hin vehement versucht, vor allem mittleren und größeren Betrieben
mungsrecht von Frauen betreffen". eine frauenpolitische Zwangsjacke überzustülpen. So sollen Be-
Im öffentlichen Dienst Nordrhein-Westfalens etwa werden die triebe, die sich „frauenpolitisch richtig" verhalten, verstärkt mit öf-
Vorgesetzten in Landesbehörden bei ihren Beurteilungen daran ge- fentlicher Auftragsvergabe belohnt werden! Auch Dinge wie der
messen, inwieweit sie die verschiedenen, einseitigen Frauenförde- „Lila Punkt" für Erzeugnisse aus „frauenfreundlicher Produktion",
rungspläne in die Tat umsetzen. also von Herstellern, die sich im „richtigen Sinne" frauenfreund-
lich verhalten, sind und waren im Gespräch.
Die Quotenregelungen wollen „Gleichheit" über Ungleichbehand-
lung und Diskriminierung herbeiführen. Glaubt man wirklich, daß Selbst im Bereich der Kunst wird seit gut zehn Jahren eine speziel-
den Frauen geholfen ist, wenn sie ihre Posten deshalb erlangen, le Frauenförderung verlangt. Es gibt bereits verschiedene Institu-
weil sie Frauen sind? Jede Frau, die aufgrund solchen Proporzes tionen und Programme, die nur Frauen speziell ausbilden und för-
anstelle von Leistung eine bestimmte Position erhalten hat, kann dern. Sogar bei Preisverleihungen wird möglichst eine 50%-Quote
doch darauf nicht stolz sein. Im Grunde diskriminieren sich die angestrebt. Der freien Kunstszene wird zunehmend Ausstellungs-
Frauen also selbst („Quotendummchen"), wenn sie auf dieser Be- raum zugunsten „feministischer" Kunst entzogen. Dabei kann es
vorzugungsschiene weiterfahren! Derartige Frauenfördergesetze doch so etwas wie „geschlechtsspezifische Kunst" ohnehin nicht
schaffen also mehr Ungerechtigkeit, als sie zu beseitigen vorgeben. geben. Einer Plastik oder einem Gemälde merkt man nicht von sich
Über den öffentlichen Dienst und die Parteien hinaus wird ver- aus an, ob das Werk von Männer- oder Frauenhand geschaffen wur-
sucht, die entsprechende „Frauenförderung" auch in den Bereich de. Eine Kunst, die sich die geschlechtsbezogen quotierte Anzahl
der privaten Wirtschaft zu übertragen. von Preisverleihungen zur Basis macht, wäre das Ende aller Kunst.
Kommt für die Fehlentwicklungen im öffentlichen Dienst noch Geht es mit der Frauenquote so weiter, werden am Ende auch
der brave anonyme Steuerzahler auf, so wären die Folgen im priva- noch die Nobelpreise nach sexistischen Grundsätzen vergeben
ten Wirtschaftsbereich ungleich dramatischer. Hier geht es um har- werden müssen!
ten Wettbewerb, so daß nicht ohne weiteres die Stellenbesetzung
nach bestimmten sexistischen Schlüsseln vorgenommen werden
kann. Soweit hier durch die Besetzung etwa eines Manager-

224 225
4 MÄNNERBENACHTEILIGUNGEN IN Frauen werden nunmehr gezielt gefördert, Männer bleiben au-
SOZIALER HINSICHT UND ALLGEMEINER ßen vor. So gibt es z.B. spezielle Förderprogramme für Frauen in
FÜRSORGE; „GLEICHSTELLUNGS- der Jugendarbeit, für Nachwuchswissenschaftlerinnen, für Land-
BEAUFTRAGTE" UND ANDERE frauen und Existenzgründerinnen, für die berufliche Integration
EINSEITIGKEITEN von Sozialhilfeempfängerinnen, Projekte für wohnungslose Frau-
en, Programme für behinderte Frauen usw. Extramittel werden
Nach wie vor können Frauen in der Regel bereits ab dem 60. Le- auch bereitgestellt für die Frauenforschung, für Frauenkulturarbeit
bensjahr Altersrente beziehen, während Männern dies grundsätz- sowie für Mädchenprojekte. Selbst im Schulbereich werden Mäd-
lich erst ab dem 63. Lebensjahr oder sogar noch später möglich ist. chen vielerorts mehr gefördert als Jungen. Reine Frauenhoch-
Auch für diese krasse Ungleichbehandlung gibt es keinen nach- schulen werden angestrebt.
vollziehbaren Grund. Da Frauen die wesentlich höhere Lebens- Darüber hinaus gibt es Frauenhäuser, Frauengesundheitszentren
erwartung haben, wäre es eher gerechtfertigt, Männern früher die und viele Notrufdienste für tatsächlich oder angeblich mißhandelte
Rente zuzubilligen. und vergewaltigte Frauen und Mädchen - alles gefördert mit öf-
fentlichen Mitteln, während kein Geld bereitgestellt wird für ent-
Die besagten Frauenfördergesetze haben ihre Breitenwirkung nicht sprechende Männereinrichtungen. In New York gibt es z.B. nur vier
verfehlt. So wurden in einer Zeit, in der es im Grunde genommen Einrichtungen des Sozialdienstes, die sich mit Kriegsveteranen ins-
zugunsten von Frauen kaurrf noch etwas gleichzustellen gab, näm- besondere des Vietnamkrieges befassen - aber über 50 Sozialstel-
lich in den 80er- und 90er-Jahren, eine Unzahl von Frauen-Gleich- len, die sich mit öffentlichen Fördergeldern ausschließlich um
stellungsstellen in den Gemeinden errichtet. Der gesamte Apparat Frauenprobleme kümmern.
entwickelte sich zu einer teuren, aus Steuergeldern finanzierten
Frauenbevorzugungsmaschinerie. Teilweise wurde sogar an den Diese gesamte sexistische Einseitigkeit - Felix Stern spricht zutref-
Länderverfassungen, vor allem in SPD-regierten Ländern, gedreht, fend von antidemokratischen Zwangsgesetzen - dividiert also die
die nun einseitige Frauenförderungen in den verschiedensten Be- Geschlechter auseinander und kostet außerdem immenses Steuer-
reichen erlauben. geld. Die übermächtige Frauenbürokratie verschlingt immer grö-
Die Gleichstellungsbeauftragten in den Gemeinden haben eine ßere Beträge, die Posten und Pöstchen werden immer mehr ausge-
starke Stellung, sie können sich in so gut wie alle Angelegenheiten weitet, und die Posteninhaberinnen müssen ihre Existenzberech-
einmischen. Verfassungsbeschwerden einiger Gemeinden gegen tigung in Form meist unsinniger Aktivitäten unter Beweis stellen.
den Zwang zur Bestellung von Gleichstellungsbeauftragten - das Aufrechterhalten wird der gesamte Wirbel vor allem mit der stereo-
dürfen übrigens nur Frauen sein - wurden - einmal mehr - zeit- typ vorgetragenen Behauptung angeblich nach wie vor bestehender
geistgemäß vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen. Das Männerbevorzugung und Männermacht sowie der Verteufelung des
Gericht sah das kommunale Selbstverwaltungsrecht dadurch nicht Mannes als einem ständig gefährlichen, potentiellen Gewalttäter.
gefährdet. Es drängt sich die Frage auf, wann dies denn noch der Besonders ärgerlich sind Frauenbevorzugungen dort, wo Män-
Fall sein soll. ner ohnehin schon kraß benachteiligt sind. Dies gilt z.B. für die

226 227
Obdachlosen. Obwohl der Anteil der Männer rund 85 % dieser ge- dominierte Berufe. Zudem gibt es dort große Ungleichheiten bei
sellschaftlich benachteiligten Menschen ausmacht, gibt es nur Son- Sozialleistungen.
derprogramme für obdachlose Frauen. Ähnlich verhält es sich bei Feministinnen sprechen inzwischen schon ganz offen davon,
den straffällig gewordenen Personen. Auch hier beträgt der Män- daß sie für möglichst viele gesellschaftliche Bereiche nicht wirkli-
neranteil nahezu 80 %, und dennoch gibt es eine einseitige För- che Gleichstellung, sondern reine Frauenbevorzugung anstreben.
derung lediglich vorbestrafter Frauen. Grob diskriminierend ist es Dies solle ein Ausgleich dafür sein, daß Fraueninteressen lange
ferner, selbst bei Behinderten Unterschiede zu machen und auch Zeit ignoriert worden seien.
insoweit Fördermittel überwiegend für Frauen einzusetzen. Diese Argumentation kann nicht zielführend sein. Selbst wenn
Was das Gesundheitswesen betrifft, so gibt es z.B. in den USA es früher Frauendiskriminierung gegeben hat, sollte dies jetzt nicht
keine einzige mit Gesundheitsfragen befaßte staatliche Institution, mit neuen Ungerechtigkeiten quasi „vergolten" werden. So gerät
die für die Gesundheit von Männern gleichviel Geld ausgibt wie man in eine Endlosspirale gegenseitiger Vergeltungen, die letztlich
für die Gesundheit von Frauen - obwohl deren Lebenserwartung beiden Geschlechtern nur schaden kann. W. Farrell meint dazu:
wesentlich höher ist. Es gibt eine Forschungsstelle für Frauenge- „Wenn nur eines der beiden Geschlechter gewinnt, verlieren
sundheit, aber keine für Männer. In medizinischen Fachzeitschrif- beide".
ten kommt auf 23 Artikel über die Gesundheit von Frauen lediglich
einer, der sich mit Männergesundheit befaßt. Für die Erforschung
von Brustkrebs wird sechsmal soviel Geld ausgegeben wie zur Er- 5 „SEXUELLE BELÄSTIGUNG, MISSBRAUCH
forschung von Prostatakrebs. Insgesamt liegt der Wissensstand UND VERGEWALTIGUNG" ALS LUKRATIVE
über den männlichen Körper im Vergleich zur Frauenforschung um EINKOMMENSQUELLEN
rund 30 Jahre zurück!
Die Einseitigkeiten gehen aber noch weiter, nämlich bis in Be- Die folgenden Ausführungen werden zeigen, daß es in den west-
reiche wie den Wohnungsbau und die Stadt-, Verkehrs- und Raum- lichen Staaten, einmal mehr unter „Führung" der USA, für Männer
planung. „Frauenrelevante Aspekte" sollen auch hier verstärkt Ein- immer riskanter wird, überhaupt noch eine Partnerschaft mit einer
zug halten - südafrikanische Apartheid, diesmal geschlechtsbezo- Frau einzugehen. Die Gefahr erhöht sich, wenn Kinder aus der Be-
gen, läßt grüßen! ziehung hervorgehen.
Ein wichtiges Feld ist die Arbeits(losen)förderung und -bera- Was hier gemeint ist, geht noch über die im Kap. III eingehend
tung. Hier gibt es inzwischen ebenfalls viel mehr Sonderförderun- beschriebenen finanziellen Belastungen im Falle einer Eheschei-
gen für Frauen. Es soll eine Umverteilung von Arbeitsplätzen zu- dung hinaus.
gunsten von Frauen erreicht werden. Männer werden damit über Vorweg ist noch anzumerken, daß es sexuelle Belästigung, Kin-
Steuergelder am Arbeitsmarkt benachteiligt. In den USA dürfen in desmißbrauch und Vergewaltigung leider gibt. Hier geht es aber um
Berufen, die männerdominiert sind, Frauen sogar dann bevorzugt die ausufernde Tatbestandserweiterung dieser Delikte und um eine
eingestellt werden, wenn sie weniger qualifiziert sind. Auch diese De-facto-Beweislastumkehrung, die zu inflationärem „Gebrauch"
Regelung gilt - wen wundert es noch - nicht umgekehrt für frauen- mit vielen Falschanschuldigungen führen.

228 229
Zunächst einmal hat in alle möglichen Gleichstellungs- und zwei Millionen US-Dollar an „Schadensersatz", weil der Präsident
Frauenfördergesetze, ferner in Betriebsvereinbarungen usw. der angeblich vor ihr die Hosen heruntergelassen hatte. Im Grunde
Begriff der „Sexuellen Belästigung" Einzug gehalten. Bei der Aus- kann heute jede raffinierte Amerikanerin, die Geld braucht und dies
legung des Begriffes wird häufig soweit gegangen, daß alleine der mit „sexueller Belästigung" zu kombinieren weiß, zu horrenden
Betroffenen aus ihrer subjektiven Sicht heraus die Definitions- Summen kommen - sei es am Arbeitsplatz, sei es auf andere Weise.
macht eingeräumt wird, ob sie eine bestimmte Situation als sexuell Sie kann z.B. einem betuchten Bürger nachstellen und es einrich-
belästigend bzw. diskriminierend empfindet - eine objektive Prü- ten, alleine mit ihm im Aufzug zu sein und sich dann die Bluse
fung hat dann erst gar nicht stattzufinden. Daß mit einer solchen aufreißen - der Coup ist geschafft! Der Düpierte wird sich in der
Tatbestandsauslegung dem Mißbrauch alle Tore geöffnet werden, Regel auf einen Vergleich einlassen, um einen größeren Skandal
muß wohl nicht näher erläutert werden. So kann bereits eine Unter- möglichst zu vermeiden.
haltung über Pornographie, ein als anzüglich empfundener Blick, Zu den berühmten Fällen gehört auch der des US-Richters
eine Anrede als „Schätzchen" wider das Gesetz sein. Clarence Thomas. Wegen lächerlicher Vorwürfe seiner ehemaligen
Andererseits wird, wenn eine Frau sich etwa sexuell aufreizend Mitarbeiterin Anita Hill aus 10 Jahre zurückliegender Zeit wäre er
kleidet, ihr dies nicht als Mitverantwortung zugerechnet, obwohl beinahe nicht in den obersten US-Gerichtshof gewählt worden.
jeder, der nicht ganz weltfremd durchs Leben geht, weiß, daß sol- Fünf Tage lang mußte er sich peinlichsten Verhören unterwerfen,
che Anmache ihrerseits nun einmal provozierend wirkt - und im die Abstimmung ging nur knapp zu seinen Gunsten aus.
allgemeinen auch so wirken soll.*- Damit soll freilich auch in sol- Die sexuelle Prüderie hielt in alle Bereiche der USA Einzug, ins-
chen Fällen Männern kein Freibrief ausgestellt sein - aber es kann, besondere auch in die Universitäten des Landes. Ungezählte Pro-
wie in anderen Lebensbereichen auch, nicht unberücksichtigt blei- fessoren verloren ihren Job, weil sie sich irgendwelche „anzügliche
ben, ob eine „sexuelle Belästigung" im besonderen Fall nicht gera- Bemerkungen" oder Witze erlaubt hatten, viele Studenten flogen
dezu herausgefordert wurde. von den Unis, weil sie ebenfalls gegen den neuen sexuellen Verhal-
Aufgrund der leichten Möglichkeit der Anschuldigung schnellte tenscodex verstießen.
die Anzahl sexueller Belästigungen besonders in den USA in unge- Steht Aussage gegen Aussage, muß, wie erwähnt, nicht die
ahnte Höhen, extrem gefördert auch dadurch, daß die Gerichte den Schuld des Angeklagten nachgewiesen werden - es genügt die blo-
„Opfern" völlig überzogene Entschädigungssummen zubilligen. ße Behauptung der Frau.
Frau kann entweder den „Belästiger" selbst verklagen - dies wird Offiziell wurden in den USA zwischen 1980 und 1990 nicht we-
in der Regel der Fall sein, wenn er wirtschaftlich entsprechend po- niger als 50.000 Fälle sexueller Belästigung angezeigt. Frauen ha-
tent ist -, aber auch den Betrieb, in dem sie arbeitet, sofern er die ben am Arbeitsplatz jetzt größeren Schutz vor Sexwitzen als Män-
Belästigung ermöglicht hat (Schaffung einer „feindseligen Atmo- ner vor Arbeitsunfällen, weil die Firmen aus Furcht vor hohen Ent-
sphäre"). Auch hierbei muß der Betrieb den Entlastungsbeweis schädigungssummen nun mehr Geld in die Gestaltung einer
führen. Im Einzelfall können auch beide belangt werden. „frauenfreundlichen Umgebung" investieren als in Arbeitsschutz-
Das Beispiel des US-Präsidenten Clinton kann hier natürlich maßnahmen.
nicht unerwähnt bleiben. Paula Jones verlangte nicht weniger als

230 231
Noch eine Stufe tragischer sind die Fälle einzuordnen, in denen zeigt werden. Alleinerziehende Mütter etwa, die Kindesmißbrauch
Männer zu Unrecht des sexuellen Mißbrauchs, meist an ihrem ei- begehen, können im übrigen ja auch kaum entdeckt und angezeigt
genen Kind, bezichtigt werden. Solche Vorwürfe werden von Frau- werden - sie leben ja mit ihrem Kind alleine.
en besonders in gescheiterten Beziehungen gegen ihre Partner vor- Auch darin dürfte bisweilen ein Grund für die Ausgrenzung von
gebracht. Der Grund ist oft reine Rachsucht, aber auch die Be- Vätern liegen - Frau will beim Mißbrauch ihres Kindes nicht auf-
fürchtung, es könnte sonst Schwierigkeiten bei der Zuerkennung fliegen! Ein Washingtoner Institut beispielsweise bestätigt, daß in
des Sorgerechts in Verbindung mit hohen Unterhaltsansprüchen besonderem Maße solche Kinder gefährdet sind, die ohne ihren
geben. Vater aufwachsen.
Auch bei der Mißbrauchslüge sind die Männer den anklagenden Dem Frontland des radikalen Feminismus, den USA, blieb es
Frauen meist wehrlos ausgeliefert. Eine in den letzten Jahrzehnten wiederum vorbehalten, eine zusätzliche Form des Inzests zu ent-
etablierte, feministisch beherrschte Mißbrauchsindustrie an Bera- decken: Bereits erwachsene Frauen kommen mit Hilfe entspre-
tungsstellen mit entsprechenden „Therapeuten" „konkretisiert" in chender Therapeuten zu der Erkenntnis des verdrängten Miß-
vielen Fällen die Vorwürfe. Unter anderem mit solchen „Aktivitä- brauchs - will sagen, sie erinnern sich plötzlich, in ihrer Kindheit
ten" müssen sie wohl ihre Existenzberechtigung nachweisen. Eini- von ihren Vätern, Großvätern oder etwa einem (meist vermögen-
ge bekannte Fälle aus letzter Zeit zeigen nur zu deutlich, wie dabei den) Onkel sexuell mißbraucht worden zu sein. Da mit solchen
vorgegangen wird. „Irgend etwas bleibt immer hängen" - und so „Erinnerungen" einmal mehr viel Geld gemacht werden konnte,
sind die beschuldigten Väter ihre Münder los und zu den gewünsch- sahen sich oft schon ergraute Herren plötzlich vor dem Kadi und
ten bloßen Unterhaltszahlern degradiert. Der Satz an den Schei- wurden für den Rest ihres Lebens ruiniert. Es kam zu einer regel-
dungsanwalt „Können wir nicht einfach sagen, er hat das Kind rechten Erinnerungs-Epidemie.
mißbraucht" ist leider keine Seltenheit mehr, wenn andernfalls die
gewünschten Ziele ins Wanken geraten könnten. Dieses üble Spiel Weitere Keulen im Kampf gegen den Mann stehen in dessen be-
hat sich in den westlichen Staaten also ebenfalls breitgemacht - haupteter „allgemeiner Gewalttätigkeit" und natürlich im Verge-
nicht zuletzt auch, wie wir wissen, in Deutschland. Eine Folge der waltigungsvorwurf selbst zur Verfügung. Auch derartige Anschul-
Mißbrauchshysterie ist z.B., daß viele Väter ihre kleinen Kinder digungen werden nur zu oft zu Unrecht erhoben. Rache und Er-
kaum noch wickeln oder baden wollen. Manche haben sogar schon pressung mit dem Ziel, Kapital daraus zu schlagen, gehören auch
Angst, alleine mit ihren Kindern zu spielen. Väter werden so ihren hier zu den gängigen Motiven.
Kindern entfremdet - das Mißtrauen regiert! Es sollte in diesem Bereich zunächst mit einem großen Vorurteil
Dabei mißbrauchen, etwa nach einer englischen Studie, Mütter aufgeräumt werden: Gewalt in der Ehe ist nicht einseitig auf den
ihre Kinder doppelt so häufig wie Väter - das aber ist natürlich Mann begrenzt, sie ist beidseitig! Frauen werden bei Beziehungs-
wieder ein Tabu. Am edlen Mutterbild darf schließlich nicht ge- auseinandersetzungen genauso gewalttätig wie Männer - abgese-
kratzt werden. Für den Feminismus sind Frauen ohnehin immer hen einmal davon, daß eine Ohrfeige, ohne es verharmlosen zu
nur Opfer männlicher Gewalt. Es kommt hinzu, daß Frauen selte- wollen, „ehrlicher" und weit weniger beziehungsschädlich sein
ner entdeckt, jedenfalls aber weniger wegen dieses Delikts ange- kann als etwa eine hinterlistige Intrige.

232 233
l Nach mehreren amerikanischen Studien sind innerfamiliäre Tät-
lichkeiten auf Seiten der Frauen sogar etwas häufiger, außerdem
der hat, kann anderentags die Frau behaupten, „eigentlich nicht
einverstanden" gewesen zu sein! Es wird alleine darauf abgestellt,
sind sie öfter die Aggressoren. Um den körperlichen Nachteil aus- ob sie sich vergewaltigt fühlte. Tatsächliche Vergewaltigung wird
zugleichen, benutzen sie auch öfter häusliche Gegenstände als durch solchen Unfug verharmlost. Zudem gibt es in Amerika Ge-
Waffen. Die überwiegende Zahl der als schwerwiegend eingestuf- setze, die es verhindern, im Rahmen von Vergewaltigungspro-
ten Verletzungen wurde von Frauen beigebracht. Ferner wenden zessen das sexuelle Vorleben der Frau gegen sie zu verwenden,
sich Männer bei Gewaltvorkommnissen in der Familie weit weni- während das des Mannes wohl mit einbezogen werden darf. In an-
ger an Notdienste als Frauen - sie fürchten, sich sonst der Lächer- deren Strafverfahren dagegen wird früheres Verhalten berücksich-
lichkeit preiszugeben. Die Statistik würde andernfalls noch mehr tigt, muß sogar berücksichtigt werden. Der in aller Regel „frauen-
zu Lasten der Frauen gehen. Einfältigem feministischen Diskurs freundlich" entscheidende oberste US-Gerichtshof hat auch diese
zufolge handelt freilich jede prügelnde Frau stets nur in „Not- weitere Frauenbevorzugung bestätigt, obwohl sie bei vernunftiger
wehr", sie muß sich gegen männliche Demütigung und Grausam- Auslegung klar gegen die US-Verfassung verstößt. Man ging von
keit zur Wehr setzen. der irrationalen, geradezu kindischen Auffassung aus, Frauen hät-
In der Öffentlichkeit wird meist nur die männliche Gewalt zur ten keinen Grund, Vergewaltigungen zu erfinden und anzuzeigen.
Kenntnis genommen. Anerzogen in langer Historie und daher vor- Daß es genug Motive für solche Falschanzeigen geben kann, haben
urteilsbedingt fühlt man sich von der Frau-als-Opfer angezogen, wir schon mehrfach festgestellt.
vom Mann-als-Opfer eher abgestoßen. In Deutschland hat man inzwischen das Delikt der „Vergewalti-
Was im übrigen die außerhäusliche Gewalt angeht, werden etwa gung in der Ehe" eingeführt. Es soll nicht geleugnet werden, daß es
dreimal so viele Männer ermordet als Frauen. Auch die Opfer an- auch so etwas wie Vergewaltigung in der Ehe gibt bzw. geben kann.
derer Gewaltverbrechen sind ganz überwiegend Männer. Was aber Problematisch ist aber, daß sich eine solche Anklage leicht erheben
machte man in Amerika und was beabsichtigt man in Deutschland? läßt und daß der Beschuldigte - im Gegensatz zum übrigen Straf-
Man beschloß ein Gesetz oder will ein solches beschließen, das recht - seine Unschuld beweisen soll. Die Anklage dient also be-
sich ausschließlich mit der Gewalt gegen Frauen befaßt, womit er- reits als Beweis.
neut die Ungleichheit zum Gesetz erhoben ist. Ein solches Gesetz Das Gesetz ist noch nicht lange in Kraft - es wird aber damit zu
wäre nur dann verfassungsgemäß, wenn Frauen wesentlich häufi- rechnen sein, daß besonders im Gefolge von Scheidungsverfahren
A*
v
ger die Opfer von Gewalt wären denn Männer. Gerechtfertigt wäre entsprechende Anschuldigungen erhoben werden. Das Miß-
i *fr
IS *$
also eher ein Gesetz, das sich verstärkt mit der Gewalt gegen Män- brauchsrisiko einer derartigen Strafbestimmung ist jedenfalls
ner auseinandersetzt. enorm hoch.

In den schon vielbesagten USA wurde auch der Begriff der Verge- Auch das oft falsche Geschäft mit dem „Schlagenden Mann" oder
waltigung derart ausgedehnt, daß böswillige Frauen diesen Vor- der „Vergewaltigung" bringt viele Menschen in Lohn und Brot:
wurf schon fast bei jeder Gelegenheit erheben können. Wenn z.B. Frauenhäuser, Helferinnen, Therapeuten, Polizei und Justiz. Das
i! ein Paar angetrunken ins Bett geht und anschließend Sex miteinan- wiederum verlangt geradezu nach einer höheren Zahl von Miß-

234 235
brauchen, Vergewaltigungen usw., um Planstellen vor allem im fe- 6 EHER VERLETZUNG VON
-:. ministischen Apparat zu sichern und auszuweiten. GRUNDRECHTEN ALS VERZICHT
Ich möchte noch einmal festhalten: Normalerweise bestimmt AUF FRAUENBEVORZUGUNG
das Strafgesetz, daß die Schuld einer angeklagten Person zweifels-
frei feststehen muß. In Belästigungs-, Mißbrauchs- oder Vergewal- All die im Vorstehenden aufgezeigten Ungleichbehandlungen der
tigungsfällen ist dieser Grundsatz praktisch aufgehoben! Geschlechter im Wehrrecht, Sozialrecht, im öffentlichen Dienst
Bei solcher Rechtsanwendung kann jetzt eigentlich jeder Mann, und vor der Justiz stellen nichts anderes dar als eklatante Verfas-
sei es anläßlich eines Rendezvous, sei es in der Ehe, leicht sein sungsverstöße, nämlich grundsätzlich in Form unterschiedlicher,
Leben ruinieren - denn im Grunde ist er dabei jederzeit Anschul- sexistischer Bewertung der Menschenwürde und damit speziell in
digungen ausgesetzt, gegen die er sich kaum effektiv zur Wehr set- der Verletzung des Gleichheitssatzes (in Deutschland niedergelegt
zen kann. Daß gottlob die meisten Frauen nicht „so schlecht" sind, in Art. l und Art. 3 des Grundgesetzes). Die nur mit Frauen besetz-
unbegründete Anschuldigungen zu erheben, ändert nichts an der ten „Gleichstellungsstellen" und „Frauenbeauftragten" sind mit
grundsätzlichen Möglichkeit des Mißbrauchs. Die Folgen sind dem einseitigen Ziel der Besserstellung von Frauen geschaffen
Mißtrauen schon beim Flirt und im gesamten Beziehungsgeflecht worden, obwohl es inzwischen längst die Männer sind, die in den
generell, mit dem Ergebnis weiterer Vereinsamung der Menschen. meisten Bereichen aufzuholen hätten und einer Gleichstellung be-
Aber genau dies ist ja wohl eines der Ziele des radikalen Feminis- dürften.
mus. Ganz besonders hinzuweisen ist nochmals auf Dinge wie die
Ich möchte erneut W. Farrell zitieren, der meint, daß die Hoff- ausdrückliche oder faktische Beweislastumkehr bei Delikten wie
sexueller Belästigung, Kindesmißbrauch oder Vergewaltigung in
^.
S l» nung auf ein Rendezvous mit Liebe zu tun hat, und daß Liebe auch
Risiko bedeutet. Gesetze aber, die hier alle Risiken für eine Seite der Ehe, bei denen Anschuldigung mehr oder weniger gleich Be-
Ä.« '

zu verhindern suchen, verhindern auch die Liebe. Es ist fatal, wenn weis gestellt wird. Hingegen werden falsche Anschuldigungen, die
kein Unterschied mehr gemacht wird etwa zwischen dem Fall, in den angeblichen Täter in den meisten Fällen ruinieren, kaum in an-
dem eine Frau aus freien Stücken mit einem Mann ausgeht, Alko- gemessener Weise verfolgt und verurteilt.
hol trinkt und zu Sex bereit ist, anschließend aber Vergewaltigung In den USA gipfelt das Ganze, wie dargelegt, sogar in einer un-
behauptet, und dem Fall, in dem sie z.B. von einem Fremden unter terschiedlichen, sexistischen Auslegung des Notwehrbegriffs. Von
Todesdrohung und/oder Waffengewalt zu Sex gezwungen wird. Feministinnen wird die gesamte Unglaublichkeit als „positive Dis-
kriminierung" bezeichnet.
Wir sehen: Gesetze dürfen eher mit den Grundrechten der Män-
ner in Konflikt geraten, als daß der einseitige Schutz bzw. die Be-
vorzugung von Frauen aufgegeben wird. Die Verfassungswidrig-
keit eines Gesetzes als solche reicht also nicht mehr aus, um das
•*3
"*W
' J! Gesetz zu ändern, wenn das politische Klima dazu nicht gegeben
ist.
P"-
^iftiST''

Hf 236 237
f

Der Schutz der weiblichen Befindlichkeit scheint sich zur höch- lich für die Kriege und damit bereits zu einem Gutteil für den
sten Form des Menschenrechtsschutzes auszubilden. schlechten Zustand der Welt verantwortlich. Es trifft zwar zu, daß -
jedenfalls nach außen hin - in der Geschichte viele Kriegsent-
schlüsse von Männern getragen wurden. Das aber bedeutet noch
lange nicht, daß „die Männer" damit auch die Alleinverantwort-
V SIND FRAUEN DIE BESSEREN lichen der Kriege sind oder waren. Der Krieg ist nicht schlechter-
MENSCHEN? dings eine Männererfmdung. Zu früherer Zeit entstanden Kriege
aus jedenfalls vermeintlicher Überlebensnotwendigkeit, sie sollten
Man müßte sich auf die unsinnige Diskussion, ob ein Geschlecht zuvorderst gerade auch dem Schutz der Frauen der jeweiligen
„besser" ist als das andere, nicht erst einlassen, wenn im unver- kriegführenden Parteien dienen.
nünftigen Geschlechterkrieg der Feministinnen nicht die These Auch dort, wo Frauen an der Spitze von Staaten bzw. in der Re-
von der Frau als der besseren Menscheitshälfte aufgestellt würde. gierungverantwortung standen, wurden in schöner Regelmäßigkeit
Danach sind Eigenschaften wie Pazifismus, Fürsorglichkeit, Spiri- Kriege geführt - es kann kein Unterschied zu männlicher Regent-
tualität, ja Humanismus schlechthin fast ausschließlich an das schaft ausgemacht werden.
weibliche Geschlecht gebunden, so daß nur Frauen die Zukunft des Man kann beginnen etwa bei Kleopatra, die u.a. ihren Bruder
Lebens auf Erden garantieren könnten. Auch gut erzogene männli- beseitigte und im übrigen „die Waffen einer Frau" zur Erreichung
che „Softies" beten diesen / Schwachsinn nach. Die Welt müsse politischer Ziele hemmungslos einsetzte, man kann verschiedene
mehr „feminisiert" werden, heißt es - und vieles würde sich zum englische Königinnen, russische Zarinnen oder auch die österrei-
Besseren wenden. chische Regentin Maria Theresia nennen bis hin zu Margret That-
Mit solch unverhohlenen Behauptungen soll die bereits erreichte cher oder aktuell der US-Außenministerin Madeleine Albright, die
und weiterhin angestrebte Vormachtstellung der Frau zusätzlich mit am eifrigsten die Bombardierung Jugoslawiens betrieb.
untermauert werden. Ebenso wie der Mensch sich über das Tier So gab es unter der englischen Königin Elisabeth I. die englisch-
setzt, sollen innerhalb der Menschheit die „Besseren" mehr Rechte spanischen Seekriege (1595-1603), die Niederwerfung irischer Re-
beanspruchen dürfen. Wir kennen das schon aus anderen Perspekti- bellen und den Beginn der englischen Kolonisation. Unter Königin
ven: Herr und Sklave, die bessere Rasse, die Herren- und die Unter- Viktoria kam es zur Ausweitung des britischen Kolonialreichs, zum
menschen. Die Einführung der neuen, geschlechtsbezogenen Vari- Krimkrieg mit Rußland 1853-56 und zu scharfer Repressionspoli-
ante blieb dem Feminismus vorbehalten. tik in Irland. Maria I. intervenierte im französisch-spanischen Kon-
flikt (1558), Anna Stuart beteiligte sich am spanischen Erbfolge-
l DER GEWALTTÄTIGE, KRIEGFÜHRENDE krieg zu Beginn des 18. Jhdts.
MANN Elisabeth Petrowna, die Tochter Peters L, war Zarin von 1741
bis 1762. Unter ihre Regentschaft fiel die Teilnahme Rußlands am
Eine der geläufigsten feministischen Begründungen zur Schlech- Siebenjährigen Krieg an der Seite Österreichs und Frankreichs ge-
tigkeit des Mannes liegt in dem Vorwurf, Männer seien ausschließ- gen Preußen. Katharina II die Große (1762-1796) lenkte gegen ih-

238 239

^Ä^^
ren eigenen Mann Peter III einen Offiziersputsch und wurde nach Interesse an ökonomischer Sicherheit - und die erscheint ihnen
dessen Ermordung Herrscherin. Sie verschärfte die bäuerliche beim „Ellbogen-Mann" besser gewährleistet als beim Softie!
Leibeigenschaft, schlug Bauern- und Kosakenaufstände nieder und Es ist also, um es noch mal zu sagen, kaum anzunehmen, daß es
unterdrückte alle sozialen Reformvorschläge rigoros. Gegenstand bei häufigerer Regierungsgewalt von Frauen weniger Kriege gege-
ihrer Außenpolitik waren u.a. die Polnischen Teilungen und zwei ben hätte.
Türkenkriege. Heute jedenfalls wählen in demokratisch verfaßten Staaten
Unter Maria Theresia kam es zu verschiedenen Kriegen zwi- Frauen und Männer ihre jeweiligen Regierungen, wobei die Frauen
schen Preußen und Österreich in der Zeit zwischen 1740 und 1763, aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung sogar die Wählermehr-
zum Siebenjährigen Krieg 1756-1763 und zum österreichischen heit stellen. Führen solche Regierungen dann Krieg, haben sie dies
Erbfolgekrieg. mindestens ebenso mitzuverantworten. An Kriegen sind beide Ge-
Der Falklandkrieg M. Thatchers dürfte den meisten Lesern noch schlechter ebenso schuld, wie sie Angst vor Kriegen haben. Man
gut in Erinnerung sein. Auch auf die Konflikte, die Israel unter (frau) sollte also damit aufhören, die Kriegsschuld alleine den
Golda Meir (Jom-Kippur-Krieg 1973) oder Indien unter Indira Männern zuzuschieben.
Gandhi (militärische Unterstützung der Sezession Ostpakistans, Im übrigen haben, um beim Klischee zu bleiben, „Männer" ja
jetzt Bangladesch) ausfochten, darf hingewiesen werden. Kriege auch schon eine Reihe „guter" Kriege geführt - stellvertretend sei
werden also allein mit weiblichen Führern nicht aufhören. Eine nur erinnert etwa an den schon erwähnten US-Bürgerkrieg (Skla-
Änderung wird sich möglicherweise erst dann ergeben, wenn bei venbefreiung), an die Kriege, die zur Zurückdrängung Napoleons
Kriegen das Leben von Männern nicht mehr leichtfertiger aufs führten, oder an die Niederwerfung des Hitlerfaschismus. Auch
Spiel gesetzt wird als das von Frauen. sonst taten Männer viel für friedliche Entwicklungen. Erwähnt
Die Geschichtsschreibung sagt auch im übrigen kaum etwas dar- werden können, stellvertretend für viele andere, etwa Mahatma
über aus, daß Frauen gegen die „Kriege ihrer Männer" in bedeuten- Gandhi, Martin Luther King oder Nelson Mandela.
der Weise eingeschritten wären. Eher ist zu hören, daß sie die Män-
ner sogar zum Krieg anstachelten. Bei all dem darf niemals übersehen werden, daß Opfer der Kriege
Während des amerikanischen Bürgerkriegs etwa vertrat nie- zuerst und vor allem ja die Männer selbst waren. Sie wurden doch
mand so vehement die Beibehaltung der Sklaverei wie die Frauen jeweils in großer Zahl dabei getötet oder verstümmelt. Auf
der gehobenen Südstaatler-Schichten. Und waren es nicht gerade Washingtons Heldenfriedhof stehen etwa zum Vietnamkrieg 58183
auch Frauen, die den größten Diktatoren und Menschheitsver- männliche Namen gegenüber 8 Frauennamen eingraviert.
brechern hysterisch zujubelten? Selten auch heiratete die schöne Es ist infam, wenn Frauen für den Wehrdienst von Männern
Prinzessin den Kriegsdienstverweigerer - vielmehr bekam der star- stimmen, sich gleichzeitig vom Wehrdienst drücken, und die sich
ke Held und Beschützer den Vorzug. Auch heute ist es doch - ma- opfernden Männer dann als aggressive, stumpfsinnige Kriegs-
chen wir uns nichts vor - regelmäßig so, daß gerade die Männer maschinen hinstellen. Und es ist infam, wenn Frauen Regierungen
mit dem größten Machtstreben vom weiblichen Geschlecht bevor- wählen, die Kriege führen, dann aber jede Verantwortung dafür von
zugt werden, und weniger die sensiblen Typen. Frauen haben ein sich weisen und sich als das friedvollere Geschlecht, das wieder

240 241
einmal nur Opfer der „Männerveranstaltung Krieg" wurde, be- einem „Deal", bei dem der Mann die (Haupt-)Schuld auf sich
weihräuchern! nimmt und die Frau „außen vor gelassen" wird.
Übersehen werden sollte aber auch Folgendes nicht. Bekannter-
Was die Friedfertigkeit von Frauen im „Alltag" angeht, so haben maßen kommt ein Großteil der Straftäter aus dem unteren sozialen
wir schon gesehen, daß z.B. die innerhäusliche Gewalt mindestens Milieu. Durch Vermögensdelikte wie Diebstahl, Einbruchdiebstahl
ebenso oft von ihnen ausgeht. Bei der Aufkündigung von Bezie- und Raub wollen solche Täter vor allem ihre wirtschaftliche Situa-
hungen gehen Frauen meist sehr viel rigoroser vor als Männer. Je- tion aufbessern. Der Lebensabschnitt, in dem die diesbezügliche
der ehrliche Scheidungsanwalt wird bestätigen, daß unerbittliche „kriminelle Energie" in erster Linie umgesetzt wird, liegt etwa zwi-
Rachefeldzüge weit häufiger von Frauen inszeniert werden. Auch schen dem 18. und dem 35. Lebensjahr. Gerade in dieser Lebens-
insoweit fällt es also schwer zu glauben, Frauen seien die sanftmü- phase haben Frauen einen Trumpf, der es ihnen auf elegantere Wei-
tigeren, friedvolleren Wesen, als die sie vom Feminismus so gerne se ermöglicht, zu ihrem Lebensunterhalt zu kommen: Es ist - ein-
ausgegeben werden. mal mehr - ihre Schönheits- und Sexmacht!
Man sollte ruhig Klartext darüber reden. Es muß hier wohl nicht
groß „bewiesen" werden, daß Männer in ganz überwiegender
2 DER KRIMINELLE MANN; Mehrheit mehr auf Sex angewiesen sind als Frauen. Jeder etwas
DER UMWELTVERSCHMUTZER lebenserfahrene Mensch, der sich nichts vormacht, wird dem zu-
stimmen. Deshalb sind Männer in der Regel auch bereit, für Sex zu
Die Tatsache, daß Männer die Kriminalitätsstatistik mit großem bezahlen - bei Frauen ist dies eine ausgesprochene Seltenheit.
Vorsprung vor den Frauen anführen, kann und soll zuerst nicht ge- Wäre der sexuelle Druck auf Männer nicht so groß, würden die
leugnet werden - und natürlich ist dies auch kein Ruhmesblatt für meisten von ihnen nicht die irrationale Entscheidung treffen, eine
sie. Auch in diesem Punkt müssen die Dinge aber etwas hinterfragt Frau ein Leben lang zu unterhalten und zu diesem Zweck für sie zu
werden. einer Art Arbeitssklave zu werden. Finden Männer ihre sexuelle
Zum einen konnten wir bereits feststellen, daß die Strafverfol- Befriedigung nicht in einer Zweierbeziehung, geben sie oft Geld
gungsbehörden oft mit zweierlei Maß bei der Aufnahme von Er- für Prostituierte aus - in vielen Fällen brauchen sie sogar beides.
mittlungen vorgehen, aber auch bei Verurteilung und Strafmaß. So beschert also ihre Sexmacht den Frauen großenteils ein rela-
Straftaten von Frauen werden damit - bis hin zum Mord - oft gar tiv bequemes Auskommen. Entweder werden sie in einer Bezie-
nicht erst verfolgt. Es gilt der bekannte Grundsatz der „unschuldi- hung vom Partner unterhalten (das heißt nicht, daß sie nicht teil-
gen Frau". Gravierende Beispiele wurden im vorangegangenen weise auch eigenes Geld verdienen oder sich selbst unterhalten
Kapitel genannt. Weiter war festzustellen, daß Tätlichkeiten im können - aber jedenfalls unterhalten sie selten einen Mann), oder
innerhäuslichen Bereich zwar meist von Frauen, kaum aber von sie haben die Möglichkeit, im Wege der „offiziellen" Prostitution
Männern polizeilich angezeigt werden, da sie sich, wie gesagt, an ein, in diesem Falle meist relativ hohes, Einkommen zu gelan-
nicht gerne lächerlich machen wollen. Bei gemeinschaftlich ausge- gen, ohne dafür kriminell werden zu müssen. Männer können sich
führten Straftaten kommt es - insbesondere in den USA - häufig zu dagegen nur in seltenen Fällen aufgrund sexueller Attraktivität ih-

242 243
Jft§-: ren Lebensunterhalt verdienen. Die einschlägigen Zeitungsanzei- Da in den Augen unserer Feministinnen Männer schlechthin für
II
i
1t*
gen belegen dies ebenfalls. Lediglich über gleichgeschlechtliche
Prostitution kommen auch manche Männer an Geld. Ein wesentli-
cher Grund für die höhere Kriminalitätsrate der Männer liegt also
alle Mängelzustände dieser Welt verantwortlich sind, sind sie es
natürlich auch für die Umweltschäden. Verunstaltung und Aus-
plünderung der Natur gehen danach also ebenfalls zu Lasten der
sicher auch darin, daß der Erwerbsfaktor „Sex" bei ihnen weitge- männlichen Menschheitshälfte. Aber sind es nicht gerade die Da-
hend ausfällt. men der Schöpfung, die insgesamt weitaus mehr konsumieren als
Einen weiteren Gesichtspunkt für höhere Männerkriminalität die Männer, die z.B. Möbel aus Tropenholz ordern, Tierpelze tra-
wird man in der Tatsache der stärkeren Körperkraft der Männer se- gen oder Unmengen an Kosmetika verbrauchen? Errichten Männer
hen müssen. Für die Begehung vieler Strafdelikte ist, wenn sie zu- Atomkraftwerke oder Staudämme, wird ihnen Umweltzerstörung
Bit nächst „gelingen" sollen, eine gewisse körperliche Physis Voraus- vorgeworfen. Ungeniert wird der erzeugte Strom aber von den fe-
St' setzung, über die nun einmal das männliche Geschlecht mehr ver- ministischen Kritikern kräftig mitverbraucht.
fügt. Für eine Reihe von Straftaten - zu denken ist z.B. an
kompliziertere Einbruchdiebstähle - sind überdies gewisse tech- In dieselbe Richtung geht die allgemeine Technikkritik. Die Tech-
nisch-handwerkliche Fähigkeiten vonnöten, die wiederum Män- nik gerät als „männliche Technik" in Verruf, obwohl insbesondere
nern häufiger zu eigen sind. die Erfindungen in der Medizintechnik oder im Bereich des Haus-
Man kann sich also die Frage stellen: Würden Frauen nicht über halts Frauen wesentlich mehr Vorteile brachten als Männern. Auf-
mehr Sexmacht verfügen als Männer und könnten sie zudem glei- grund dieser „Männertechnik" können Frauen heute weitgehend
che körperliche Kräfte aufbieten - würde dann die Kriminalsta- wählen, ob und wie viele Kinder sie bekommen wollen, ob sie im
tistik nicht etwas anders aussehen? Haushalt tätig sein wollen, außerhäuslich oder in Kombination.
Es gibt im übrigen keine Statistik darüber, in wievielen Fällen Insbesondere durch Männererfindungen wurden die Frauen also
sich auch hier Männer opfern. So dürften doch die Fälle Legion aus ihren früheren Zwangsrollen befreit. Zum Dank dafür dürfen
sein, in denen Männer direkt oder indirekt, etwa durch ständiges sie sich als Umweltfrevler und Unterdrücker beschimpfen lassen.
Gejammer über zu wenig Geld, von ihren Lebensgefährtinnen be-
auftragt werden oder sich genötigt fühlen, die Haushaltskasse mit
illegalen Mitteln aufzubessern. Der „Gentleman" erledigt wieder 3 DAS SENSIBLERE, PHANTASIEVOLLERE
einmal die Drecksarbeit, und wenn es schiefläuft, ist er es eben, der GESCHLECHT
ins Gefängnis geht. Ein Grund für Männerkriminalität liegt also oft
genug auch darin, eine Frau oder eine Familie versorgen zu müs- Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist die vielfach von der Frauenbe-
s sen. wegung aufgestellte Pauschalbehauptung, die Frauen stellten das
H Ich wiederhole: Die Kriminalitätsstatistik ist kein Pluspunkt für gefühlvollere und phantasievollere Geschlecht.
die Männer. Es dürfen aber nicht nur die nackten Zahlen gesehen, Es begehen weltweit dreimal mehr Männer aus Verzweiflung
es müssen auch die Hintergründe ausgeleuchtet werden, ohne daß Selbstmord als Frauen. Wie aber kann das sein, wenn es sich doch
damit kriminelles Verhalten generell entschuldigt sein soll. um das angeblich brutalere, unsensiblere Geschlecht handelt? Wer

244 245

HF
gefühlskalt ist, wird kaum Hand an sich selbst legen! Insbesondere telligenz keine Bedeutung beimißt, den Frauen aber gleichzeitig
im Lebensabschnitt der größten menschlichen Gefühlswirren, besseres „ganzheitliches Denken" bescheinigt, weil deren Gehirn-
nämlich dem der Geschlechtsreife und ersten Partnersuche, bege- hälften besser miteinander kommunizierten. An der Universität
hen fünfmal mehr junge Männer als Frauen Selbstmord. Auch im Sidney will man herausgefunden haben, daß Frauen im allgemei-
Alter erhöht sich die Selbstmordrate der Männer wieder unverhält- nen deshalb sprachbegabter sind, weil die für das Sprechen zustän-
nismäßig. Ein Ehemann, dessen Frau stirbt, begeht mit zehnmal digen Gehirnregionen bei ihnen von der Kapazität her besser aus-
größerer Wahrscheinlichkeit Suizid als eine Ehefrau, deren Mann gebildet seien als bei Männern.
stirbt. Wie nur ist das möglich bei Wesen, die angeblich nicht lie- Als „Sprachzentrum" bezeichnet man verschiedene zusammen-
ben können? wirkende Assoziationsfelder vor allem in der Großhirnrinde, die
den Prozessen der Sprachbildung und des Sprachverständnisses
Wenn weiter die Frauen das phantasievollere Geschlecht sind, war- zugeordnet sind. Es wird unterschieden in ein motorisches Sprach-
um stammt dann die große Mehrzahl von Kunstwerken etwa auf zentrum für die Steuerung und Kontrolle der beim Sprechen not-
den Gebieten der Literatur, Musik, Malerei, Filmregie, Bildhauerei wendigen Muskelbewegungen, und in ein sensorisches bzw. aku-
und Architektur nach wie vor von Männern, obwohl bereits seit stisches Sprachzentrum zur Aufnahme und zum Erkennen gehörter
Generationen die entsprechenden Studiengänge von Frauen min- Worte und Wortklänge (auch „Hörzentrum" genannt). Die Berei-
destens ebenso frequentiert werden wie von Männern? Die Ausre- che wurden benannt nach ihren Entdeckern, dem französischen
de „Wir Frauen könnten ... aber man(n) läßt uns nicht" gilt längst Chirurgen und Anthropologen Paul Broca und dem deutschen
nicht mehr. Psychiater Carl Wemicke. Die Broca-Region, die als das motori-
sche Sprachzentrum verantwortlich zeichnet für die Fähigkeit flüs-
sig und ausdrucksvoll zu sprechen - sie liegt im vorderen Hirnbe-
4 DIE KLÜGERE FRAU reich am Übergang vom Stirnlappen zum Scheitellappen —, soll bei
Frauen um 20 % größer und demzufolge mit entsprechend mehr
Daß der „bessere Mensch" im Durchschnitt auch intelligenter sein Nervenzellen besetzt sein als bei Männern. Die für die Auswertung
muß als der weniger gute, ist nur folgerichtig. So bleibt es denn von Geräuschen „zuständige" Wernicke-Region, hinter den Ohren
neuerdings nicht aus, die Frau auch auf das Podest des klügeren, im Schläfenlappen liegend, soll sogar 30 % mehr Kapazität zugun-
intelligenteren Menschen zu stellen. sten des femininen Geschlechts aufweisen.
Denk- und Schaltzentrale des menschlichen Organismus ist das Ist es nicht merkwürdig: Einerseits soll dem Gehirnvolumen kei-
Gehirn. Die männliche Gehirnmasse wiegt im Mittel 130 g mehr ne Bedeutung für Fähigkeiten und Intelligenz zukommen, dort je-
als die weibliche. Entsprechend einer neueren dänischen Studie doch, wo man eine Überlegenheit des weiblichen Geschlechts zu
verfügen Männer über 16 % mehr „graue Zellen". Heute darf man erkennen meint, wird dies mit eben der größeren Hirnmasse in den
es schon fast nicht mehr wagen, diese Tatsachen als solche über- dafür zuständigen Gehirnregionen begründet!
haupt erst festzustellen. In letzter Zeit wird jeder Hirnforscher in Wenn in den genannten Bereichen das weibliche Gehirn größer
den Himmel gehoben, der diesem Unterschied in bezug auf die In- ausgebildet ist, müssen umgekehrt die meisten der übrigen Gehirn-

246 247

l i -, T* -
^Äa^saliCsÄ^
teile bei Männern ungleich größer sein, da sie über das insgesamt gentlemanlike bald freiwillig, um nicht länger als „Chauvis" daste-
größere Volumen verfügen. Das aber darf]^ nichts bedeuten - oder hen zu müssen...
sollte man von daher etwa zurückrechnen, das menschliche Gehirn Es ist also schon einigermaßen gewagt, wenn Frauen sich
tauge zur Gänze nichts? schlichtweg zum intelligenteren Geschlecht befördern.
Jedenfalls muß heute wohl jeder Wissenschaftler im Westen, der
es noch wagen würde, von der größeren männlichen Gehirnmasse
auf eine durchschnittlich höhere Intelligenz zu schließen, wegen
„Frauendiskriminierung" um seine Reputation und um seinen Job VI RESÜMEE
bangen.
Es wird auch darauf verwiesen, daß Schülerinnen und Studen- l DIE WIRKLICHE MACHTVERTEILUNG DER
tinnen insgesamt bessere Leistungen aufwiesen als ihre männli- GESCHLECHTER HEUTE
chen Pendants. Mag sein - aber ich möchte erst gar nicht wissen,
wie oft sie bei Klausur- oder Examensarbeiten möglicherweise
schon deswegen bevorzugt werden, weil ein Frauenname auf der Das Vorangegangene dürfte deutlich gezeigt haben, daß es mit der
Arbeit steht oder eine weibliche Schrift erkennbar ist. Andernfalls angeblichen Männermacht bzw. Männergesellschaft in Wahrheit,
liefe man vielleicht auch als Lehrer oder Professor Gefahr, mit dem jedenfalls in unseren Breiten, nicht weit her ist. In wichtigen Fel-
Prädikat „frauenfeindlich" versehen zu werden. Müssen nicht dern verhalten sich hier die Dinge längst umgekehrt.
Frauen und Mädchen heute einfach besser sein? Für studierende Wenn wir also über Geschlechtermacht sprechen, können wir
Mütter etwa wurde sogar schon offiziell ein Notenbonus gefordert. nochmals beginnen mit der naturgegebenen, sexuellen Attraktivität
der Frau, aus der sich de facto bereits ein weites Machtspektrum
Offen bleibt doch bei alledem, warum dennoch in praktisch allen ableitet. Der im allgemeinen sexuell viel abhängigere Mann be-
Wissensdisziplinen die Spitze von Männern eingenommen wird. zahlt für Liebe entweder in Form von Unterhalt in einer Partner-
Auf einige Bereiche wies ich schon hin, sie können ergänzt werden schaft und/oder in der Prostitution. W. Farrell hat auch insoweit
um die Philosophie, die Medizinwissenschaft (es gibt z.B. kaum eine eindrucksvolle Formel gefunden: Die Schönheit der Frauen ist
weibliche Spitzenchirurgen), um die Naturwissenschaften Chemie/ die stärkste Droge der Welt!
Physik, die Ingenieurwissenschaften Maschinenbau, Bautechnik Schon beim Flirt hat die Frau verschiedene Wahlmöglichkeiten:
usw. Relativ selten stehen Frauennamen in den Erfinderlisten. Aber sie kann seine Initiative annehmen oder ablehnen. Sie kann auch
ich sagte es ja schon: Vielleicht müssen in nicht allzu ferner Zeit eine Art Zwischenstufe wählen und „ihn sich erst einmal wann-
auch die Nobelpreise nach Quote vergeben werden! Selbst in der halten", bis sich vielleicht „etwas Besseres" findet. Das Risiko der
Kochkunst dominieren an der Spitze meist Männer, in führenden Zurückweisung liegt jedenfalls regelmäßig beim Mann, da nach
Restaurants gibt es viel mehr Chefköche als Chefköchinnen. Beim wie vor von ihm Initiative erwartet wird. Möglicherweise riskiert er
schwierigsten Denkspiel Schach wird die Elite ebenfalls von Män- sogar eine Anzeige wegen sexueller Belästigung, unter Umständen
nern gestellt. Möglicherweise verlieren hier aber die Männer sogar eine wegen Vergewaltigung, wenn das Rendezvous aus

248 249
irgendeinem Grund nicht zur Zufriedenheit der Dame ausgefallen Die Ehe ist also keineswegs die Frauensklaverei, als die sie von
ist. feministischen Zirkeln gerne hingestellt wird. Wäre es tatsächlich
Die Frau hat den weiteren Vorzug, zur Erreichung bestimmter so, würde sie von Frauen längst nicht so erstrebt, wie es nach wie
Ziele Liebe auch vortäuschen zu können - dem Mann ist dies auf- vor der Fall ist. Es würden von ihnen auch nicht jene Unmengen
grund bekannter physiologischer Gegebenheiten kaum möglich. von Literatur und Filmen aller Art konsumiert, die sich mit dem
Auch über diese Schiene können Frauen Sex zu Geld machen - Thema Liebe und Ehe befassen.
Männer sind von diesem einträglichen Erwerbszweig für immer Wirkliche Macht liegt also vor allem darin, über sein Leben -
ausgeschlossen. und damit über die Lebensqualität - selbst bestimmen zu können.
Vorgetäuscht werden kann schließlich auch Empfängnisverhü- Wesentlicher Ausdruck der Lebensqualität ist die Lebenserwar-
tung. Verläßt sich der Mann darauf und verwendet deshalb seiner- tung. In den Industriestaaten werden Frauen bekanntlich im Mittel
seits keine Verhütungsmittel, kann er „alt aussehen". Kommt es zu um sieben Jahre älter als Männer.
einer Schwangerschaft, hat die Dame der Schöpfung wieder ihre Über sich selbst bestimmen und damit mehr Selbstverwirk-
Wahlmöglichkeiten. Sie kann die Mitleidstour probieren und den lichung leben zu können, setzt entsprechende Wahlmöglichkeiten
Partner so in die Ehe ködern - immer noch wird rund die Hälfte der voraus. Ein Teil der Wahlmöglichkeiten des weiblichen Geschlechts
Ehen erst aufgrund einer Schwangerschaft geschlossen -, sie kann wurde soeben nochmals aufgezeigt. Es kommen hinzu die Alterna-
aber auch abtreiben. Gefragt werden muß der Erzeuger so und an- tiven im Hinblick auf das Berufsleben. Die Frau kann meist wählen
ders nicht, obwohl es auch um seinen Sprößling geht. Dies gilt zwischen voller außerhäuslicher Erwerbstätigkeit, einer Nur-Haus-
selbst dann, wenn das Kind zunächst von beiden Partnern gewollt frauenrolle oder einer Mischform aus beiden, denn es findet sich
war. Die schwangere Frau entscheidet alleine über Leben oder Tod regelmäßig ein Dummer, der die wirtschaftliche Hauptlast über-
des ungeborenen Kindes. Warum aber sollte der Vater in spe hier nimmt. Von Wehrpflicht ist sie in den meisten Staaten befreit, hat
nicht auch mitzureden haben? Für den Unterhalt des Kindes wird aber in einigen Ländern die Möglichkeit, zur Armee zu gehen.
er schließlich auch herangezogen. Die Zukunftsperspektive des Wie sieht es auf Seiten des Mannes aus? Bereits beim Versuch
Mannes wird also weit weniger wichtig genommen als die der der Beziehungsanbahnung unterstellt er sich mit seiner Initiative
Frau. der Entscheidungsgewalt der Angebeteten - unter Umständen setzt
Auch in der Familie selbst bleibt es bei der Herrscherrolle der er sich, wie dargelegt, sogar einem Strafverfahren aus. Liebe kann
Frau. Im Konfliktfall werden ihr die Kinder zugesprochen, er darf er nicht vortäuschen, über Sex kann er nur in seltenen Fällen zu
mit der Rolle des Unterhaltszahlers vorlieb nehmen. „Kinder sind Einkommen gelangen. Vielmehr ist er es, der sich wegen seiner se-
Frauenbesitz - Unterhalt ist ein weibliches Naturrecht" - so drückt xuellen Abhängigkeit häufig zum Unterhaltssklaven macht. Wird
M. Matussek es zutreffend aus. Diese Konstellation verleiht der seine Partnerin schwanger, hat er kein Mitspracherecht über einen
Frau innerhalb der Beziehung eine ständige Erpressungsmacht, evtl. Schwangerschaftsabbruch, muß also die Folgen ihrer alleini-
von der sie nach Belieben Gebrauch machen kann. Mütterwohl gen Entscheidung akzeptieren. Im Falle einer Ehescheidung ver-
geht im Zweifel über Kindeswohl. liert er in aller Regel die Kinder und hat hohe nacheheliche Unter-
haltszahlungen zu erbringen, obwohl er keinerlei Gegenleistung

250 251
mehr erhält. Im Berufsleben gibt es für ihn meist nur eine „Wahl": Die vielbesagte Opferrolle kommt damit in Gesellschaften unse-
die Vollzeiterwerbstätigkeit. Oft wird Unmögliches von ihm ver- res Zuschnitts schon seit langem den Männern zu. Sie haben, wie
langt: Er sollte ein erfolgreicher Karrieremann sein, allerdings un- festgestellt, kaum Wahlmöglichkeiten. In aller Regel sind sie es,
ter tatkräftiger Mithilfe auch im Haushalt, und mit Zeit für die Fa- die Frauen und Familien unterhalten, und nicht umgekehrt. Fürsor-
milie im übrigen. „Reine" Hausmänner werden von Frauen jedoch ge aber wird als „Macht" verschrien, und die Männer sollen sich
nur selten begehrt, auch ihr gesellschaftliches Ansehen steht immer dafür auch noch schämen! Männer sind die hauptsächlichen Opfer
noch nicht in hohem Kurs - trotz scheinheiliger anderslautender der Kriege. Auch an der Berufsfront führen sie die gefährlichsten
Propaganda. Wehr- bzw. Wehrersatzdienst ist Pflicht - es gibt keine Jobs aus. Im privaten Bereich sind sie ebenfalls benachteiligt - be-
Wahl. sonders dann, wenn es zu Beziehungskatastrophen kommt.
Die weit vielfältigeren Gestaltungsmöglichkeiten, die der Frau
in wichtigen Fragen also zur Verfügung stehen, sowie die ihr sonst Freilich dürfen Feministinnen all das nicht zugeben. „Politisch kor-
entgegengebrachten Bevorzugungen bewirken eine insgesamt bes- rekt" muß der Opferstatus weiterhin den Frauen zugewiesen wer-
sere Lebensqualität. Ein selbstbestimmteres, stressfreieres Leben den - andernfalls entfiele das Feindbild „Mann", und mit ihm die
führt logischerweise zu einem höheren Lebensalter. Grundlage für weitere Frauenbevorzugung und Machtergreifung
Wären für den Lebensaltersunterschied der Geschlechter über- sowie der Aufrechterhaltung einer weitverzweigten, gut etablierten
wiegend biologische Faktoren maßgebend, so könnte nicht erklärt Frauenbürokratie. Es lebt sich eben gut von der Unversöhnlichkeit!
werden, warum noch im Jahre 1920 auch in den westlichen Län- Feministinnen machen Vergleiche allzu gerne nur mit der männli-
dern das Durchschnittsalter der Frauen lediglich um ein Jahr höher chen Oberschicht - das Gros der vielen unterprivilegierten, macht-
lag als das der Männer. In Indien beispielsweise oder im Iran ist das losen Männer wollen sie nicht sehen. Wenn immer noch weniger
auch heute noch so. In vielen weiteren, insbesondere islamischen Frauen in Führungspositionen sind als Männer, so liegt das zumeist
Ländern, ist die Spanne jedenfalls nicht so groß wie in den Indu- nicht an den bösen Männern, die die Frauen nicht hochkommen
striestaaten. lassen. Es liegt vielmehr an den Damen selbst, die nur selten daran
Auch die institutionelle gesellschaftliche Macht liegt in den interessiert sind, auch die Strapazen in Kauf zu nehmen, die mit der
westlichen Demokratien in den Händen der Frauen. Über ihren Erlangung einer Spitzenstellung im allgemeinen verbunden sind.
größeren Stimmenanteil haben sie mehr Einfluß auf die Politik, Selbst Simone de Beauvoir schreibt dazu, im Zusammenhang etwa
und die inzwischen zu den mächtigsten Vereinigungen zählenden mit Künstlerinnen (S. 868): „Die Annehmlichkeiten einer männli-
Frauenverbände tun ein Übriges. Große Teile der Parteien und ins- chen Unterstützung sind gar zu verlockend, vergleicht man sie mit
besondere der Gewerkschaften sind feministisch beherrscht. Bis den Risiken einer Karriere und den Härten einer wirklichen Ar-
hin in die Gemeinden und Behörden ist Frauenmacht etabliert in beit". Es trifft auch nicht zu, daß eine Frau mehr leisten müsse als
den vielen Gleichstellungs- und Frauenbeauftragtenstellen. Ent- ein Mann in gleicher Stellung. Das mag vielleicht vor 30, 40 Jahren
sprechend dem frauenpolitischen Wettrennen, das sich die Parteien noch so gewesen sein - heute ist es eher umgekehrt. Auf das Bei-
liefern, sehen die in diesem Buch kritisierten Gesetze dann ja aus - spiel des öffentlichen Dienstes darf hingewiesen werden.
sie machen selbst vor Grundrechtsverbiegungen nicht Halt.

252 253

.» ujaatafrLJ -ijsSHitt J2< ii*J-*fc.i


WAS SICH ÄNDERN MUSS versorgen. Im Scheidungsfall müßten sie es dann auch verstärkt
sein, die auf die Kinder verzichten und Unterhalt bezahlen. Die Be-
geisterung für diesen Rollentausch scheint sich jedoch in engen
Männer haben vor allem mit ihren Erfindungen auf medizinischem Grenzen zu halten.
und technischem Gebiet, durch die Geburtenregelung und immen- Die Ausbildungsbedingungen für das Berufsleben sind, wie ge-
se Erleichterungen im Haushalt ermöglicht wurden, die Frauen von sagt, schon lange nicht mehr nachteilig für Frauen. In wichtigen
ihren früheren Rollenzwängen weitgehend befreit. Sie haben ihnen Berufszweigen wie dem öffentlichen Dienst gibt es sogar massive
damit große Wahlmöglichkeiten gegeben. Bevorzugungen für sie. Die ein oder zwei Kinder, die eine Durch-
Die Männer vergaßen aber, sich auch selbst aus ihrer Jahrtausen- schnittsfamilie heute hat, können ebenfalls kein besonderes Hin-
de alten Beschützer- und Ernährerrolle zu lösen. Die Sorgen der dernis für eine Frauenkarriere sein - die Erziehung kann ja auch
Frauen wurden institutionalisiert in den verschiedenen Frauenbe- dem Mann überlassen werden. Der so oft als Ausrede herangezoge-
wegungen, die Männer dagegen unterdrückten ihre Probleme. Der ne „Gebärfaktor" sollte nicht länger als Entschuldigung herhalten
Protest der Frau wurde als Erleuchtung und Reifungsschritt geprie- für einen Rückzug auf die Hausfrauenrolle. Amerikanischen Um-
sen, die Klagen von Männern dagegen wurden als Egoismus abge- fragen zufolge würden 80 % der Männer gerne ihren Beruf aufge-
tan. ben, um sich ganztags um ihre Kinder kümmern zu können.
Nur sehr zögernd erhöht sich die Anzahl von Hausmännern.
Trotz allen Geredes sind Frauen kaum bereit, selbst eine Familie zu Männer wie Frauen müssen also die Rollen noch viel mehr wech-
unterhalten und den Mann als Haushaltsführer und Kindererzieher seln als bisher, Rollenklischees sollte es auf Sicht überhaupt nicht
zu akzeptieren. Solche Ehen scheitern noch häufiger als andere! mehr geben. Die Geringschätzung von Hausmännern sollte der
Nach wie vor auch sehen die meisten berufstätigen Frauen ihre Ar- Vergangenheit angehören.
beit als zweitrangig zu ihren häuslichen Rollen, ihr so erzieltes Damit einhergehen muß ein Abbau der generell minderen Wert-
Einkommen lediglich als Ergänzung zum Haushaltseinkommen. schätzung von Männern und ihrer Verächtlichmachung, wie sie im-
Eine neuere Untersuchung des Kommunikationswissenschafters mer noch, vor allem auch in den Medien, groß in Mode ist. Freilich
Peter Wippermann vom „Hamburger Trendbüro" ergab, daß 60 % verlangt es derzeit viel mehr Courage und Standfestigkeit, für die
der befragten Frauen den Ruf „Frauen an den Herd" durchaus reiz- Sache der Männer als für die der Frauen einzutreten, nach dem
voll finden und - zum Entsetzen vieler Frauenrechtlerinnen - ihr Motto „Darüber spricht man(n) nicht!". Die ganze Wahrheit zu sa-
Glück in den eigenen vier Wänden suchen. gen, gilt hier nicht mehr als fortschrittlich - nur eine Seite darf
Selbst gut verdienende Frauen unterhalten selten einen Mann - Flagge zeigen.
sie ehelichen bevorzugt Männer mit noch höherem Einkommen. Männliches Leben muß ebenso geachtet werden wie weibliches,
Wenn aber die alten Rollenspiele „offiziell" schon verfemt sind, in Kriegen sollten Frauen in gleicher Weise an die Front beordert
wäre es doch an der Zeit, daß Frauen viel häufiger als bisher zu- werden wie Männer. Wenn schon Frauenquoten im Berufsleben
mindest für ihren eigenen Unterhalt aufkommen würden und da- gefordert werden, sollte dies auch für die gefährlichen, unangeneh-
rüber hinaus auch bereit wären, eine ganze Familie finanziell zu men Jobs gelten. In der Gesundheitsforschung und -fürsorge muß

254 255

«füg;
S'SiW
iSLltaÄÄiÄtf^jaiM^'SÄjij.jsiJMA^^ ,

für Männer gleichviel aufgewendet werden wie für Frauen. Was betsmühlenartig eingeredete Opferrolle sollten sie von sich weisen.
würde für Frauen erst noch getan, wenn ihre Lebenserwartung sie- Das politische Wettrennen der Parteien um die jeweils „noch besse-
ben Jahre niedriger läge? re" Frauenbevorzugung sollte schleunigst beendet werden.
P- Viele Frauen spielen, wie es ebenfalls von Simone de Beauvoir
l Die Gesetze müssen tatsächliche Gleichberechtigung fördern,
nicht sexistisch-einseitige Frauenbevorzugung. Im Strafrecht müs- eingeräumt wird, heute ein doppeltes Spiel: Sie verlangen gleich-
sen Verbrechen gleichermaßen verfolgt sowie be- und verurteilt zeitig traditionelle Rücksichtnahme und neue Anerkennung, indem
werden, Sonderentschuldigungsgründe für ein Geschlecht darf es sie auf ihre alte Magie und ihre jungen Rechte setzen! Mit Argus-
nicht geben. augen wird nach „Männervorteilen" Ausschau gehalten, bestehen-
Die bestehende Frauenallmacht über den Schwangerschaftsab- de Frauenbevorzugungen aber werden in jeder Hinsicht negiert.
bruch kann nicht aufrecht erhalten werden. Die Tötung ungebore- Derzeit werden jedenfalls Frauen in vielen Bereichen behandelt
ner Kinder muß strafrechtlich wieder angemessen geahndet wer- und beschützt wie Kinder. Sie wollen gerne die Wahl haben, aber
den. für kaum etwas Verantwortung übernehmen - diese bürden sie nur
Gesetze, die heute so ausgelegt werden, daß vielfach schon die zu gerne dem Mann auf. Einerseits wollen sie für voll genommen
Anschuldigung als Beweis gilt, müssen abgeschafft oder entspre- werden, andererseits beanspruchen sie oft den Status der Unzu-
chend geändert werden (Sexuelle Belästigung, Mißbrauch, Verge- rechnungsfähigkeit und pochen auf Bevorzugungen, wie sie sonst
waltigung in der Ehe). allenfalls Kindern zuteil werden. Die wirklich emanzipierte Frau
Wer insoweit falsche Anschuldigungen erhoben hat, muß dafür wird unter solchen Bedingungen doch geradezu verhöhnt! Das Kli-
streng belangt werden können. schee von der Frau als dem ewigem Kind, das beschützt werden
Die Folgen einer Ehescheidung müssen sich wieder an der muß, wird damit nur verstärkt. Mit dem bisherigen Kurs wurde also
Loyalitätspflicht orientieren, wenn Ehe noch einen Wert haben nicht mehr Emanzipation erreicht, sondern lediglich mehr schmol-
soll. Wer ohne wesentlichen Grund eine Ehe aufkündigt, sollte nie- lende Infantilisierung.
mals für sich selbst Unterhalt vom verlassenen Gatten beanspru-
chen dürfen. Wir alle sollten lernen, nicht länger nur Rassismus oder Fremden-
Es ist ein Witz, wenn sich Margot von Renesse, führende Famili- haß wahrzunehmen, sondern auch den gravierenden Sexismus, der
enpolitikerin der SPD, etwa im Fernsehen hinstellt und behauptet, inzwischen überall Einzug gehalten hat bis hin zu Gesetzgebung
es gäbe keine Fälle, in denen Frauen nach der Scheidung die Män- und Justiz. Die Definitionsmacht auf wichtigen Feldern darf nicht
ner längerfristig ausbeuten würden. Entweder will sie aus partei- weiterhin alleine Radikalfeministinnen, die sich ihrerseits zu ei-
politischen Gründen den bestehenden Gesetzeswahnsinn nicht zu- nem Gutteil aus Lesbierinnen mit entsprechend eingeschränktem
geben, oder sie vermag in der Tat die Wirklichkeit nicht mehr zu gesellschaftlichem Blickwinkel rekrutieren, überlassen bleiben. Zu
erfassen. Man könnte ihr zigtausende von Fällen benennen! diesem speziellen Problem hat Esther Vilar in „Heiraten ist unmo-
Insgesamt müssen Frauen mehr Verantwortung übernehmen, ralisch" das Folgende ausgeführt:
und zwar sowohl in ihrer gesellschaftlichen Rolle, als auch für ihr „ Und keine der selbstlosen Kämpferinnen fiir unsere
Handeln im einzelnen. Die ihnen von einem Teil ihrer Spezies ge- Sache kam auch nur auf die Idee, uns übrige Frauen zu

256 257
fragen, ob wir mit dem Stigma des Opferlamms einver- chat" verursachte so im wesentlichen die Benachteiligung und den
standen sind. Daß viele von denen, die uns aufriefen, Tod von Männern, es schuf kaum tatsächliche Privilegien.
den Kontakt mit den Brutalos abzubrechen, sich im glei- Zwar waren Frauen früher in rechtlicher Hinsicht „objektiv
chen Atemzug zum Lesbianismus bekannten, konnte ih- meßbar" benachteiligt, dennoch waren diese Gesellschaften zu-
rer Aussage ebenfalls nicht schaden. Würde ein Blinder meist nicht wirklich frauenfeindlich. Wer als Mann z.B. nicht für
versuchen, den Sehenden ihre Freude am Sternenhim- seine Familie sorgte, wurde auch zu diesen Zeiten durch Justiz,
mel auszureden, würde man ihn belächeln. Erklärten Kirche oder Verwandtschaft zur Rechenschaft gezogen. Im familiä-
uns homosexuelle Frauen, der Beischlaf mit Männern ren Bereich hatte die Frau immer schon etwas mehr Macht, freilich
K
SSI sei demütigend, gebären Sklavendienst und Kinder hü- ist diese heute uferlos.
ten stupide, wurden diese Erkenntnisse in den Medien Der vielgebrauchte Patriarchatsbegriff ist also kaum mehr als
andächtig wiederholt. Doch bei allem Respekt vor den ein bloßes Schlagwort, ein Kampfbegriff mit wenig tatsächlicher
Angehörigen sexueller Minderheiten und deren ofi be- Substanz. Heute jedenfalls existiert in den westlichen Gesellschaf-
wundernswerter Zivilcourage: Handelt es sich in die- ten das „Patriarchat", die „Männergesellschaft" höchstens noch an
sem Fall nicht um ein bewußtes Madigmachen der Kon- der Oberfläche, die Gesellschaftsstrukturen selbst sind, wie wir im
kurrenz? Sind die verteufelten Machos nicht auch ihre einzelnen gesehen haben, weitgehend matriarchalisch beherrscht.
Rivalen beim Kampf um die sexuelle Gunst der zur Re- Die angebliche Männermacht zeigt sich nur allzu oft gerade als
volte aufgeforderten Schönen?" Ohnmacht - eigentliches Sklaventum wird, teilweise auch von
Männern selbst, mit Macht verwechselt. Je mehr das Patriarchat,
Es ist völlig alogisch, wenn sich gerade das sieben Jahre länger soweit es denn bestand oder besteht, tatsächlich verschwindet,
lebende, insgesamt viel weniger erwerbstätige Geschlecht als das umso leidenschaftlicher wird es gehaßt!
Opfergeschlecht des anderen definiert - das Geschlecht auch, das
9fr von viel weniger Selbstmorden betroffen ist, dessen Angehörige Die allgemeine Männerverteufelung sollte ein Ende nehmen. Wenn
keinen Wehrdienst leisten oder viel weniger das Schicksal der Ob- Gott eine Frau sein kann - warum nicht auch der Satan? Gut und
dachlosigkeit erleiden. Böse lassen sich nicht geschlechtsspezifisch aufteilen, die „Femi-
Selbst in der Vergangenheit hat das männliche Geschlecht nicht nisierung" der Gesellschaft bringt uns keine bessere Welt. Die
eigentlich „die Macht" gehabt, vielmehr hatten beide Geschlechter ideologische Selbstüberhöhung eines Geschlechts (und damit die
ihre feste Rolle, die dem Überlebenskampf diente. Der Beitrag der Erniedrigung des anderen) kann nur in die Sackgasse führen. Män-
Frau bestand hauptsächlich im Zusammenhalt der Familie, der des nerdiskriminierung ist keine „positive" Diskriminierung! Es ist
Mannes in der Nahrungsbeschaffung und dem Schutz der Familie. falsch, wenn ein Geschlecht sagt, es sei das unterdrückte Ge-
In Kriegen wurden Männer schon seit jeher in großer Zahl geopfert schlecht, und deshalb Anspruch auf bestimmte Vorrechte erhebt.
- Kriegsdienst war und ist nie eine Macht-, sondern eine Opfer- Das ist nicht Befreiung, sondern die Machtergreifung eines Ge-
rolle, die im Grunde nichts anderes als Mißachtung bedeutet. Je- schlechts.
denfalls insoweit waren Männer nie Herr ihrer selbst. Das „Patriar-

258 259
^

Es gilt, die Ziele eines entarteten, reaktionär gewordenen Feminats kämpft jeder gegen sich, indem er den verschmähten Teil
zu bekämpfen, als da hauptsächlich sind: Vorherrschaft, Familien- seiner selbst in den Partner hinein entwirft. Statt die
zerschlagung, Propagierung von Differenz statt Gleichheit, Ge- Ambiguität der eigenen Existenzbedingungen zu leben,
schlechterapartheid, Vereinsamung. In seiner doktrinären Art un- versucht jeder, alles Niedrige auf den anderen abzuwäl-
terscheidet sich der Feminismus in nichts vom Kommunismus. Es zen und sich selbst das Ehrenwerte vorzubehalten. Wür-
m gilt hier wohl Ähnliches wie auch für andere Erlösungsideologien: den beide ihre Situation mit klarsichtiger Bescheiden-
Unzufriedene, oft mit Minderwertigkeitskomplexen behaftete heit und einem entsprechend authentischen Stolz über-
Menschen brauchen möglichst einfache Erklärungsmuster, um ihr nehmen, könnten sie einander als Gleiche anerkennen

i ganzes Unglück definieren und bekämpfen zu können. Ein gemein-


sames Feindbild - hier ist es der Mann -, an dem es sich abzu-
reagieren gilt, muß vorhanden sein. Vielleicht handelt es sich beim
und das erotische Drama in Freundschaft leben. Die
Tatsache, ein Mensch zu sein, ist unendlich viel wichti-
ger als alle Einzelheiten, die die Menschen unterschei-
Feminismus ja um die letzte große Menschheits- und Sozialutopie. den. Das Gegebene kann keine Überlegenheit verleihen:
t die .Tugend', wie die Alten sie zu nennen pflegten, defi-
Ich führte es bereits im Vorwort aus: Der ausgerufene und ausge- niert sich auf der Ebene dessen, ,was von uns abhängt'.
uferte Geschlechterkampf ist Unsinn. Männer und Frauen sollten In beiden Geschlechtern spielt sich das gleiche Drama
in wirklicher Gleichberechtigung die Zukunftsaufgaben bewälti- von Fleisch und Geist, von Endlichkeit und Transzen-
gen - nicht gegeneinander. Niemand kann etwas für sein Ge- denz ab. An beiden nagt die Zeit, auf beide wartet der
schlecht, und im übrigen gibt es auch keine rein weiblichen und Tod, beide sind gleichermaßen wesentlich aufeinander
männlichen Eigenschaften, ebensowenig wie es rein weibliche angewiesen. Und beide können den gleichen Ruhm aus
oder männliche Hormone gibt. Alles ist möglich bei allen Men- ihrer Freiheit beziehen: wüßten sie diese zu genießen,
schen. Die mentalen Unterschiede zwischen verschiedenen Män- hätten sie keine Lust mehr, sich um trügerische Privile-
nern und verschiedenen Frauen können größer sein, als die zwi- gien zu streiten. Sie könnten zur Brüderlichkeit finden. "
schen Männern und Frauen.
Ich möchte schließen mit Worten von Simone de Beauvoir („Das
andere Geschlecht", Übers, von 1992, S. 895):
„In Wirklichkeit ist der Mann genau wie die Frau
Fleisch und folglich Passivität, ein Spielball der Hormo-
ne und der Art, eine ängstliche Beute des Begehrens.
Und im Fieber der fleischlichen Lust ist die Frau genau
wie der Mann Einwilligung, freiwillige Gabe, Aktivität.
Sie leben jeder auf seine Art die seltsame Doppeldeutig-
keit der Fleisch gewordenen Existenz. Bei den Kämpfen,
bei denen sie glauben, gegeneinander anzutreten,

260
ANHANG 1: führen, amerikanische Geschichte, Rechtsgeschichte, um Sie von
der Klugheit dieser Taktik zu überzeugen.
DER TÖDLICHE BETRUG Viele von Ihnen werden von mir gehört haben als von dem Di-
rektor der größten Abtreibungsklinik der Welt.Unsere Klinik war
'a Vortrag von Dr. med. gyn.BernardNathanson in Dublin J984. Zi- bekannt unter dem schönen Namen „Zentrum für reproduktive und
tiert aus der Dokumentation „Der tödliche Betrug ", Europäische sexuelle Gesundheit" in New York. Sie lag an der Ostseite von New
Ärzteaktion. Postfach 1123, 89001 Ulm. Ins Deutsche übertragen York und in meinen 10 Jahren dort als Gründer und Direktor dieser
von Dorothea Oettinger. Klinik führten wir 60.000 Abtreibungen durch.
Anläßlich der Verfassungsänderung in der Irischen Republik Es gab 35 Ärzte, die unter meiner Führung arbeiteten. Die Kli-
durch Volksentscheid warb der amerikanische ehemalige Abtrei- nik war täglich von 8 Uhr morgens bis Mitternacht in Betrieb, an
bimgsmediziner Dr. med. gyn. Bernard Nathanson in Dublin für die jedem Tag der Woche, einschließlich Sonntags, und wir machten
Verankerung der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens in der 120 Abtreibungen an jedem Tag des Jahres außer am ersten Weih-
Verfassung. Wie bekannt, stimmten die Iren mit 2/3-Mehrheit für nachtsfeiertag. Ich persönlich habe noch etwa 15.000 weitere Ab-
diese Sicherung. treibungen eigenhändig in meiner privaten Praxis gemacht, sodaß
ich also für 75.000 Abtreibungen persönlich verantwortlich bin.
Dr. med. Bernard Nathanson: Das ist eine Statistik, auf die ich nicht gerade stolz bin, aber ich
Ich spreche seit 3 Jahren, geh mein Buch in Amerika herauskam, denke, mein Vortrag über dieses Thema erhält dadurch doch eine
"^
-i überall in der Welt offen über dieses Thema, und in den USA und in gewisse Autorität und Glaubwürdigkeit.
Kanada arbeitete ich dabei oft mit dem Kongreßabgeordneten Hen- Ich war einer der Gründer der nationalen Vereinigung für die
ry Hyde zusammen, der, wie einige von Ihnen wohl wissen werden, Aufhebung des Abtreibungsgesetzes NARAL (National Associati-
vielleicht der hervorragendste Vertreter der Pro-Liver im Kongreß on for Repeal of Abortion Law), die später in Aktionsliga für das
ist. Recht auf Abtreibung (Abortion Rights Action League) umbenannt
Ich möchte nun zu Ihnen allgemein über Abtreibungspolitik und wurde. Dies war die erste politische Aktionsgruppe für die Abtrei-
-Chirurgie sprechen. Ich möchte aber auch einen Teil meiner Zeit bung in den USA. Gegründet wurde sie von Laurence Lader, von
darauf verwenden, die Frage des Verfassungszusatzes mit Ihnen zu mir, von Betty Freedan - der Feministin, und von Carol Brightcer -
diskutieren. Wie sie wissen, sind Sie ja hier gerade mitten in einer die damals Politikerin in New York City war. Die Gründung erfolg-
Kampagne für eine Verfassungsänderung, um die Abtreibung end- te 1968. Es war unglaublich kühn, eine solche Bewegung, eine sol-
gültig und unwiderruflich strafbar zu machen. Für diejenigen unter che politische Aktionsgruppe zu gründen. Wir waren eine winzige
Ihnen, die Zweifel an der Klugheit dieser Taktik haben, d. h. für Gruppe mit einem Budget von 7.500 Dollar für das erste Jahr unse-
diejenigen unter Ihnen, die gegen Abtreibung, aber auch gegen ei- rer Tätigkeit; und wie ich schon sagte, es gehörte damals ein be-
nen Verfassungszusatz sind und die vielleicht das Gefühl haben, trächtliches Maß an Unverfrorenheit dazu, von einer Reform der
daß eine solche Verfassungsänderung eine zu drastische und unnö- Abtreibungsgesetze auch nur zu reden. Wenn man damals eine re-
tige Maßnahme wäre, für Sie möchte ich hier etwas Geschichte an- präsentative Meinungsumfrage gemacht hätte, wären die Amerika-

262 263

p **£.•*••", -T rt _
L.Ä£i.«ttAi»'j
ner vielleicht zu 99,5 % gegen uneingeschränkte legale Abtreibung gen, von denen Sie in der Presse lesen und von denen Sie in den 6-
gewesen. Aber wir, diese kleine Gruppe mit einem winzigen Bud- Uhr-Nachrichten im Fernsehen hören. Das ist, wie ich schon sagte,
get und nur vier engagierten Mitgliedern, brachten es in der kurzen eine auch heute noch verwendete Taktik in der Bewegung für die
Zeitspanne von 2 Jahren fertig, daß das 140 Jahre alte einschrän- Abtreibung. Wir wußten ebenfalls, daß wenn wir die Situation ge-
kende Abtreibungsgesetz im Staat New York umgeworfen wurde nügend dramatisieren, wir genug Sympathie erwecken würden, um
und machten damit New York zur Hauptstadt der Abtreibungen in unser Programm der Legalisierung der Abtreibung zu verkaufen.
Amerika. 3 Jahre später überzeugten wir den Obersten Gerichts- Wir taten darum folgendes: Wir fälschten die Zahl der illegalen
hof, so daß der schändliche Gerichtsentscheid erlassen wurde, der Abtreibungen, die jährlich in den USA gemacht wurden. Wir wuß-
Abtreibung in allen 50 Staaten legalisierte. ten, daß die Gesamtzahl der illegalen Abtreibungen in den USA
Nun, wie machten wir das? Es ist sehr wichtig für meine Zuhö- jährlich etwa 100.000 betrug. Die Anzahl aber, die wir wiederholt -
rer hier, zu verstehen, welche Taktiken dabei angewandt wurden, wiederholt! - an die Öffentlichkeit und an die Medien weitergaben,
weil diese Taktiken in der ganzen westlichen Weit, mit der einen war l Million. Und wenn man die große Lüge oft genug wieder-
oder anderen kleinen Abänderung, verwendet werden. Dies gilt für holt, wird man die Öffentlichkeit überzeugen, wie unser Freund,
Italien, wo ich gesprochen habe, für Kanada und für zahlreiche an- Herr Hitler in Deutschland bewiesen hat. Wir wußten ebenfalls,
dere Länder, einschließlich Großbritannien. Jetzt geht der Kampf daß die Zahl der Frauen, die in den USA jährlich bei illegalen Ab-
in Spanien weiter, im streng katholischen Spanien. Keine westliche treibungen starben, zwischen 200 und 250 lag. Die Anzahl, die wir
Gesellschaft ist immun ^gegen diese Seuche. Unsere Gruppe, beständig wiederholten und an die Medien weitergaben, war
NARAL, wußte im Jahre 1968, daß, wenn man eine sorgfältige, ehr- 10.000. Diese Zahlen begannen das öffentliche Bewußtsein in
liche Umfrage über die Meinung der Amerikaner zur Abtreibung Amerika zu prägen, und diese Zahlen waren das beste Mittel, Ame-
gemacht hätte, wir eine klare, vernichtende Niederlage erlitten hät- rika zu überzeugen, daß wir die Abtreibungsgesetze beseitigen
ten. Was wir nun taten war folgendes: Wir gaben Zahlen an die mußten. Wenn man weiß, daß wir diese Zahlen gefälscht haben,
Medien und an die Öffentlichkeit weiter mit der Erklärung, wir hät- besonders die Zahl der jährlichen illegalen Abtreibungen in den
ten Umfragen gemacht, und tatsächlich seien 50 oder 60 % der USA (100.000 pro Jahr), drängen sich einige Schlußfolgerungen
Amerikaner ßir eine Legalisierung der Abtreibung. Das war na- auf. Wenn man daran denkt, daß 1973, im 1. Jahr nach dem Ent-
türlich die sehr einträgliche und sehr erfolgreiche Taktik der sich scheid des Obersten Gerichtshofs, die Zahl der Abtreibungen in
selbst erfüllenden Prophezeiungen. Denn wenn man der amerika- den USA 750.000 betrug, ist diese Ziffer sehr niedrig. Vor 2 Jahren,
nischen Öffentlichkeit lange genug sagte, daß jeder für die Lega- 1980, für das wir vollständige Angaben haben, waren es 1,55 Mil-
lisierung der Abtreibung war, dann würde automatisch mit der Zeit lionen Abtreibungen. Wenn man die Zahl von 100.000 Abtreibun-
wirklich jeder für die Abtreibung sein. Nur sehr wenige Leute sind gen vor der Legalisierung mit 1,55 Millionen vergleicht (einem
gern in der Minderheit. Dies war eine unserer sehr nützlichen Tak- l Stachen Anstieg), werden gewisse Mythen, Erfindungen und Lü-
tiken, die Verwendung von erfundenen, unehrlichen, doppeldeuti- gen, die wir in der amerikanischen Öffentlichkeit verbreiteten,
gen Umfragen, und ich möchte meinen Zuhörern dringend raten, durchschaubar. Zum Beispiel war eine Taktik, die wir benutzten,
sehr vorsichtig und sehr kritisch zu sein gegenüber allen Umfra- um die Öffentlichkeit zu überzeugen, die Behauptung, daß, wenn

264 265

* *.5ur?."'- -••
man die Abtreibung verbot, immer noch genauso viele Abtreibun- Medien. Diese katholische Karte war äußerst wichtig. Was wir fer-
gen gemacht werden, nur eben illegal. Das stimmt einfach nicht! ner taten war, wir vermieden es, alle Katholiken über einen Kamm
Aus diesen Zahlen ist deutlich ersichtlich, daß wir, bevor Abtrei- zu scheren, denn das hätte uns geschadet. Wir brauchten eine ge-
bung erlaubt war, 100.000 Abtreibungen jährlich hatten, heute da- wisse Unterstützung von - unserer Meinung nach - aufgeklärten,
gegen 1,55 Millionen. Und auch umgekehrt: Wenn wir heute die intellektuellen Katholiken. Wir griffen auch nicht den Papst an,
Abtreibung verbieten würden, hätten wir keine 1,55 Millionen denn das hätte zu viele Sympathien in einer Gegenbewegung er-
mehr, wir würden wieder auf 100.000 kommen. Zweitens beweisen weckt.
diese Zahlen, daß seit der Legalisierung der Abtreibung in Amerika Statt dessen nahmen wir die katholische Kirchenhierarchie, ein
das Verantwortungsgefühl auf sexuellem Gebiet abgenommen hat. hübscher, nebulöser, verschwommener Sammelbegriff mit genug
Der Sprung von 100.000 auf 1,55 Millionen zeigt klar, daß Abtrei- Unklarheit, um alle diese liberalen, intellektuellen Kriegsgegner
bung in den USA als ein Hauptmittel der Geburtenkontrolle einge- und auch alle anderen, die wir brauchten, besonders die Medien zu
setzt wird. Und schließlich: Der uneingschränkte Exzess der Ab- überzeugen, daß die katholische Kirche, und besonders die katho-
s» treibung führt zu noch mehr Abtreibungen. lische Hierarchie, der Schuldige beim Widerstand gegen die Ab-
a Die wichtigste und wirkungsvollste Taktik, die wir (NARAL) treibung war. Diese Platte wurde nun endlos gespielt. Was ich Ih-
zwischen 1968 und 1973 benutzten, war die katholische Karte. nen hier heute mitgebracht habe, sind gewisse interne Dokumente,
Dies ist eine Taktik, die für meine Zuhörer hier und für dieses Land die ich mitgenommen habe, als ich 1975 die Abtreibungsbewegung
von immensem Interesse istf Lassen Sie mich die Umstände damals verließ. Diese Dokumente sind interne Rundbriefe, die von der Lei-
beschreiben. 1968 war die Krise, der Höhepunkt des Vietnamkrie- tung, von uns, an die Aktionsgruppen versandt wurden. Es geht
ges. Es war der Höhepunkt des völligen Widerstands in den USA darin wiederholt um die katholische Karte, um das katholische
gegen diesen Krieg. Die Anti-Kriegs-Strömung hatte die Medien Übel. Das alles wurde ausgefiltert und an die Medien geschickt.
eingenommen. Die Medien waren durchweg gegen Vietnam. Sie Die Medien nahmen das Thema auf und hämmerten es der ameri-
hatte die Jugend und die Collegestudenten erfaßt. Sie hatte die In- kanischen Öffentlichkeit ein. Lassen Sie mich Ihnen einige Aus-
tellektuellen Amerikas eingenommen. Jeder war wie alle. Jeder schnitte aus diesen Papieren vorlesen, daß Sie das Bösartige, die
war intellektuell, hatte Beziehungen zu den Universtitäten und den ätzende Schärfe dieser antikatholischen Karte verstehen. Dies ist
Akademien und war gegen den Krieg. Wir griffen nun die eine grö- ein Rundbrief vom 12. Mai 1972 von NARAL. Es heißt darin über
ßere Organisation in den USA an, die diesen unpopulären Krieg den Präsidenten Nixon: „Er schaltete sich in den New Yorker
immer noch unterstützte; es war die katholische Kirche und beson- Rechtsstreit über die Abtreibung ein und verbündete sich - offen-
ders die katholische Hierarchie. Und so identifizierten wir die ka- bar in dem Wahn, damit ein paar Stimmen zu ergattern - mit Kardi-
tholische Kirche mit der Unterstützung des Vietnamkrieges und nal Cook und der katholischen Hierarchie. Gleichzeitig bedrohte er
stellten gleichzeitig die katholische Kirche als Hauptgegner der die Abtreibungsrechte in Michigan, wo es zu einem Volksentscheid
Abtreibungsreform heraus. Auf diese Weise gewannen wir alle jene kommen soll, und setzte die Bundesautorität und die Staatsmacht
Gruppen, die gegen den Vietnamkrieg waren. Wir gewannen die rücksichtslos ein, um die Gerichte und die Wählerschaft damit nie-
Studenten, die Intellektuellen und, was am wichtigsten war, die derzuschlagen, wenn es anderswo um Abtreibung geht. Mr. Nixon

266 267
hat fleißig mitgemischt, als die katholische Hierarchie im letzten gen Katholiken Abtreibung für sich selbst für richtig halten. Aber
Monat bewies, daß sie sich auf einen erschreckenden Kurs versteift viele glauben, daß Frauen freie Wahl haben sollten bei etwas, was
hat: die Abtreibungsfrage in einen Religionskrieg zu verwandeln." im Grunde eine private Entscheidung ist. Ein Weg, die Polari-
Beachten Sie das ständige Herumreiten auf diesem Thema! „Man sierung an der religiösen Front, die durch die heftige Opposition
kann daraus nur eine Schlußfolgerung ziehen: die katholische der römisch-katholischen Kirche gegen die Abtreibung entsteht, zu
Hierarchie ist entschlossen, dem Land ihren Willen über die Abtrei- mildern, ist, die Teilnahme der Katholiken, die die offizielle Posi-
bung aufzuzwingen. Was in den nächsten Jahren mit unseren Men- tion ihrer Kirche nicht übernehmen, bei der Bewegung für die Re-
schenrechten geschieht, hängt davon ab, was mit der Abtreibung vision zu unterstützen. Organisiert Katholiken für die Änderung
geschieht. Wenn der Bill of Rights in der Verfassung der USA über- derAbtreibungsgesetzef' Sie können hier die Klugheit dieser Tak-
ig
leben soll, dürfen wir niemals zulassen, daß Kardinal Cook in un- tik sehen, wie wir versuchten, die Katholiken, die über das Thema
l
seren Schlafzimmern bestimmt. Wir dürfen niemals zulassen, daß noch im Zweifel waren, zu überzeugen, daß die Kirchenhierarchie
das katholische Dogma die Zuständigkeit für die Gesetzgebung reaktionär, unliberal und unaufgeklärt war und daß sie, die aufge-
übernimmt, wie es dies in New York getan hat, und versucht, jede klärten Katholiken, wenn sie liberal erscheinen wollten, auf unsere
Frau zu zwingen, gegen ihren Willen ein Kind zu gebären. Wir ha- Seite überwechseln mußten.
ben eine schreckliche Lektion gelernt. Das katholische Vorgehen Ein weiteres Dokument: Das Protokoll eines Treffens auf hoher
ist unerbittlich und dies ist erst der Anfang. Wie wir alle wissen, Ebene in den USA in Chicago am 9.1.1971. Ich war bei diesem
kommt der Widerstand gege"n die Abtreibungsgesetze von der ka- Treffen dabei. Es war die Elite unserer Bewegung. Teilnehmer aus
tholischen Kirchenhierarchie, nicht von der Mehrheit der Katho- der Politik, eine Anzahl Kongreßabgeordneter, ein oder zwei Se-
liken. " Verstehen Sie, was wir hier machten war, wir trennten die natoren und verschiedene andere gewählte Beamte. Ein Aus-
intellektuellen, fortschrittlichen, liberalen Katholiken von der Kir- schnitt aus dem Protokoll lautet: „Der Hauptwiderstand gegen
chenhierarchie und trieben damit einen Keil in den katholischen eine Änderung der Abtreibungsgesetze kommt von der römisch-
Widerstand gegen die Abtreibung. „Umfragen bestätigen immer katholischen Kirche und von Gruppen wie der Right-to-Life-Mo-
wieder'', das ist nun die gefälschte Umfrage, „daß die Mehrheit der vement, die von der römisch-katholischen Kirche organisiert und
Katholiken eine Reform der Abtreibung befürwortet." Das ist finanziert werden. Alle Anwesenden hatten Beweise über die Tak-
1968, als eine solche Einstellung bei Katholiken unvorstellbar war. tik der Opposition in Form von Wahlkampfkampagnen gegen
Wir behaupteten weiter: „Bei Frauen, die den Abtreibungs-Bera- Abtreibungsbefürworter, Hirtenbriefe usw. gesehen. Vorgeschla-
tungs-Service in Anspruch nehmen, entspricht der Anteil der ka- gene Wege, dieser Opposition entgegenzutreten, waren: die rö-
tholischen Frauen, die abtreiben lassen, dem katholischen Anteil misch-katholischen Gesetzgeber, die die Abtreibungsreform be-
an der US-Gesamtbevölkerung. " Eine faustdicke, unverschämte fürworten, aktiv zu unterstützen und die Meinung einer Minder-
Lüge! heit innerhalb der Kirche zu unterstreichen von Leuten wie
In New York spielten die katholischen Frauen für eine Revision Robert Dryman, der zu diesem Zeitpunkt Kongreßabgeordneter
der Abtreibungsgesetze (weiter im Dokument) „eine einflußreiche und einer der Führer der Abtreibungsreform war, und von Kardi-
Rolle in unserer Kampagne. Es ist keineswegs so, daß alle gläubi- nal Cushing (das ist wieder eine ganz unverfrorene Lüge), er war

268 269
nie für eine Abtreibungsreform, aber wenn wir verbreiteten, daß Damals und immer noch einstimmig gegen Zulassung der Ab-
er es war, würden wir eine große Anzahl unentschiedener Katholi- treibung waren: die östlichen orthodoxen Kirchen, die „Churches
ken überzeuge/i, daß unsere Position die richtige und aufgeklärte of Christ", die „American Baptist Association", die Lutherische
Position war. Kirche, die Methodistischen Kirchen, Islam, das orthodoxe Juden-
Schließlich noch ein letztes Dokument von NARAL unter dem tum, die Mormonen, die Assemblies of God (die größte Pfmgst-
Titel „Profil der Opposition" in dem folgendes festgestellt wird: gemeinde in den USA mit etwa 15 Mill. Mitgliedern). Die folgen-
„Die Opposition stellt eine Bedrohung dar" („Opposition" war ein den religiösen Gemeinschaften nahmen eine gemäßigte Haltung
Code-Wort für die katholische Kirche), „sie stellt eine Bedrohung ein, billigten aber nicht die Freigabe der Abtreibung: die „Lutheran
dar weil sie a) über beträchtliches Kapital verfügt, b) innerhalb ei- Baptist Convention", die Amerikanisch-Lutherische Kirche, die
nes mächtigen, einflußreichen und gut etablierten organisatori- Presbyterianische Kirche und Amerikanisch-Baptistischen Kirchen
schen Rahmen arbeitet, mit einem Verbindungsnetz, das eine in den USA.
schnelle und gehorsame Aktion gewährleisten kann. Ihre Argu- Nun, ich gebe zu, daß das eine sehr eindrucksvolle Liste von
mente sind um emotionsbeladene Begriffe herum aufgebaut, die nicht katholischen Gruppen ist, die unerbittliche Gegner der Ab-
Uniformierte verwirren können, und schließlich fördert ihre Vorge- treibung waren, aber wir hätten nie zugelassen, daß diese Liste ver-
hensweise eine religiöse Polarisierung, die die demokratische Ge- öffentlicht wurde und wir hätten nie den Gedanken aufkommen
sellschaft gefährdet." lassen, daß es vielleicht noch eine andere als die katholische Op-
Wenn hier jemand die religiöse Polarisierung vertrat und predig- position geben könnte. Ich habe hier ein Blatt mit Nachrichten vom
te, so waren wir das - und gleichzeitig machten wir es der katho- „Religions News Service" in den USA, das gerade vor zwei Wo-
lischen Kirche zum Vorwurf. Eine sehr aggressive und sehr ein- chen herauskam, mit dem Hinweis, daß in Japan (und man wird
trägliche Taktik - seien Sie versichert. wohl lange suchen müssen, um eine weniger katholische Bevöl-
Was war die Bedeutung dieser ganzen Hetzkampagne und Pro- kerung zu finden als die japanische), wo Abtreibung seit 35 Jahren
paganda? (1949) erlaubt ist, nun eine starke Bewegung im Parlament dahin-
1.) Sie überzeugte die Medien, daß jeder, der gegen Zulassung geht, die Zulassung der Abtreibung rückgängig zu machen und die
der Abtreibung war, ein Katholik oder ein heimlicher Katholik sein alten einschränkenden Gesetze wieder einzuführen. Die Freigabe
mußte oder unter dem Einfluß der katholischen Hierarchie stand. der Abtreibung hat unhaltbare Zustände bei den wirtschaftlich-so-
2.) Sie überzeugte mit der Erklärung, daß Katholiken, die für zialen Lebensverhältnissen bei der Bevölkerung und bei der Ar-
Abtreibung waren, laut Definition liberale, aufgeklärte, intellek- beitskraft geschaffen, und es geht nun ein starker und wirksamer
tuelle, fortschrittliche Menschen sein mußten. Wir brauchten eine Trend dahin, Abtreibung in diesem Land zu verbieten.
Belohnung für alle Katholiken, die auf unsere Seite überwechsel- In den Dokumenten, die ich Ihnen vorgelesen habe, erklärten
ten. Wir machten den Standpunkt der Abtreibungsbefiirworter zu wir, es sei falsch und verfassungswidrig für religiöse Gruppen, wie
dem Standpunkt, der trendgemäß, sexy und kultiviert war. die katholische Hierarchie und die katholische Kirche, Widerstand
3.) Es ging der Einfluß dieses Materials dahin, daß es keine gegen die Abtreibungsreform zu leisten und sich in Dinge einzu-
nichtkatholischen Gruppen gab, die gegen Abtreibung waren. mischen, die im Grunde zum politischen und nicht sektiererischen

270 271
Bereich gehörten. Wir behaupteten, das sei eine Verletzung der beiseitezuschieben, die von einer so hoch angesehenen Instanz
Trennung von Kirche und Staat, die in der amerikanischen Verfas- kommt, ist eine wahre Herkulesaufgabe.
sung verankert ist. Was wir dabei (und mit „wir" meine ich wieder Ich möchte den Pro-Life-Gruppen in dieser Republik dringend
die NARAL) geflissentlich verschwiegen und ignorierten, war, daß raten, von unseren Erfahrungen zu lernen und den Verfassungszu-
es keineswegs neu in der Geschichte der USA war, daß religiöse satz zu beschließen, ehe Sie von Ihrem Obersten Gerichtshof die
Gruppen stark politisch Partei ergriffen. 1850 und 1860 zum Bei- Abtreibung aufgebürdet bekommen; denn wenn Sie das nicht tun,
spiel waren es protestantische Geistliche, die die Bewegung gegen werden Sie sich vor dieselbe, praktisch unmögliche Aufgabe ge-
die Sklaverei praktisch leiteten. Wir vergaßen geflissentlich, daß stellt sehen, vor der wir stehen, nämlich nicht nur einen Verfas-
Martin Luther King, der die Bürgerrechtsbewegung in den USA sungszusatz zu beschließen, sondern auch die Entscheidung von
leitete, ein protestantischer Geistlicher war, und wir vergaßen, daß Leuten der vielleicht am meisten respektierten Instanz in den USA
katholische Priester wie die Barrigans, Daniel und Philipp Barrigan für unrichtig zu erklären - eine Entscheidung des Obersten Ge-
selbst sehr aktiv in der Bewegung gegen den Vietnamkrieg waren. richtshofes.
Wie Sie wissen, wurden sie mehrere Jahre wegen Anti-Vietnam- Ich möchte Ihnen jetzt noch ein paar Dinge mit Hilfe von Licht-
Aktivitäten verhaftet. Aber natürlich waren sie, weil sie auf der li- bildern zeigen.
beralen Seite waren und von den Medien gefeiert wurden, feine Die katholische Karte war eine der Methoden, wie wir der ame-
Kerls und es gab hier keine Verletzung der Trennung von Kirche rikanischen Öffentlichkeit die Abtreibung schmackhaft machten.
und Staat. Es kam eben ganz darauf an, vor wessen Karren der Es gab noch zwei andere Schlüsselmethoden, die wir bei unserer
Ochse gespannt war. Werbung für die Abtreibung verwendeten. Eine davon war das Ab-
Als die nationale Bischofskonferenz in den USA sich kürzlich streiten und Unterdrücken aller wissenschaftlichen Beweise dafür,
für ein Einfrieren der Atomwaffen aussprach, sagten die Medien daß das Leben bei der Empfängnis beginnt; daß das, was sich in der
ihnen nicht, sie sollten sich um ihre eigenen Angelegenheiten küm- Gebärmutter befindet ein Mensch ist; eine Person, die all den
mern - ganz im Gegenteil - sie wurden gefeiert und für ihre Fort- Schutz und die Sicherheit verlangt, die wir genießen. Die dritte
schrittlichkeit gelobt. Als dieselbe Gruppe jedoch einen parlamen- Taktik war, die Medien für uns einzunehmen. Dies war vermutlich
tarischen Änderungsantrag unterstützte, der die Zulassung der Ab- die wichtigste Schlüsselmethode in der ganzen Kampagne.
treibung rückgängig machen sollte, wurden sie heftig kritisiert und Ich werde oft gefragt: „Doktor, was brachte Sie dazu, Ihre Mei-
regelrecht zu einer Zielscheibe für schwerste Angriffe gemacht. nung zu ändern? Wie kam es, daß Sie von einem Organisator und
Wenn Sie einige der Meinungen von uns damals für inkonsequent politischen Aktivisten aus der ersten Liga für die Abtreibung, von
halten, muß ich Ihnen recht geben. Unglücklicherweise ist es nun einem Direktor der größten Abtreibungsklinik der Welt, zu einem
in den USA vielleicht zu spät, um die Strömung umzukehren; wir Vertreter der Pro-Life wurden?"
müssen nicht nur einen Verfassungszusatz durchbringen, was allein Die Antwort ist, daß ich, nachdem ich die Klinik verließ, von
schon ein sehr schwieriger Prozeß ist, sondern auch den Spruch des meinem Amt zurücktrat, Direktor der Geburtshilfeabteilung eines
obersten Gerichtshofs der USA beiseiteschieben, der uns die Ab- anderen Krankenhauses in New York City wurde, die die größte
treibung aufgebürdet hat. Eine so schwerwiegende Entscheidung und beste Geburtenhilfeabteilung der Stadt war und Teil der Co-

272 273

«S; ^ÄiKS
lumbia-University-Medical-School. Ich war als Direktor für eine verwenden, den Tod zu definieren und andererseits die Abtreibungs-
pränatale- oder Fetologie-Abteilung zuständig. 1973, als ich diesen befün\'orter erklären, das Leben könne nicht definiert werden.
Posten übernahm, kamen wir gerade in den Besitz der neuen groß- Wir müssen das Leben sogar definieren. Es ist eine Notwendig-
artigen Technologie, die wir heute täglich benutzen, um den Fetus keit sowohl für wissenschaftliche Zwecke, als auch für rechtliche
zu untersuchen, seine Gesundheit festzustellen, uns zu überzeugen, und moralische! Tatsächlich läßt sich das Leben klar definieren. Es
daß das, was in der Gebärmutter ist, ein vollwertiges menschliches beginnt bei der Empfängnis, der Befruchtung und von da ab ist die
Wesen ist. Die Technologien, auf die ich mich hier beziehe, sind empfangene Person ein menschliches Wesen. Es gibt keinen Punkt
Dinge wie Ultraschall, Fruchtwasseruntersuchungen und elektro- in der Gebärmutter, an dem ein Wechsel stattfinden würde; von ei-
nische Herzrnessungen mit Licht. nem Nichts zu einem Etwas; von einer Unperson zu einer Person.
Die zweite Taktik (nach der katholischen Karte) besteht darin, daß Es gibt keinen plötzlichen Umschlag bei der Entwicklung im Ute-
wir den wissenschaftlichen Beweis, der unwiderlegbar zeigt, daß rus und deshalb ist das Leben ein kontinuierliches Spektrum von
das Leben bei der Empfängnis beginnt, abstreiten müssen. Wir müs- seinem Anfang bis zu seinem Ende.
sen darauf bestehen, daß die Frage, wann das Leben beginnt, ei?ie
theologische, rechtliche, ethische oder auch philosophische Frage Schlußwort:
ist - nur keine wissenschaftliche. Dies ist wieder eine Lieblingstaktik Ich glaube, daß die Zulassung der Abtreibung die planmäßige
der Gruppen fiir die Abtreibung: Sie bestehen darauf, daß eine De- Zerstörung dessen bedeutet, was unbestreitbar und eindeutig
finition, wann das Leben beginnt, unmöglich ist; daß wir das nicht menschliches Leben ist. Ich glaube, daß es ein unentschuldbarer Akt
wissen können; daß das zum Rechtsbereich, zur Theologie oder zu tödlicher Gewalt ist. Man muß zugeben, daß eine ungewollte
was auch immer gehört. Wie lächerlich diese Behauptung in Wirk- Schwangerschaft ein sehr schwieriges Dilemma ist. Aber die Lö-
lichkeit ist, kann man zeigen, indem man an Stelle von „ Leben " das sung in der vorsätzlichen, aktiven Zerstörung zu suchen heißt, den
Wort „ Tod" einsetzt. Wenn - wie es die Gruppenßir die Abtreibung großen Erfindungsreichtum menschlichen Geistes wegzuwerfen;
gerne hätten - das Eintreten des Todes etwas Kontinuierliches ist, und schlimmer noch: Es bedeutet die Kapitulation des öffentlichen
wenn das eine theologische, moralische oder rechtliche Frage ist, Handelns vor der klassischen Antwort des Zweckdenkens auf ärger-
aber keine wissenschaftliche, dann wäre es unmöglich, jemand für liche soziale Probleme. Ein schändliches Hinnehmen der Gewalt.
tot zu erklären und wir würden dann die Toten von den Friedhöfen an Als Wissenschaftler weiß ich - ich glaube nicht, ich weiß -, daß das
den Wahlen teilnehmen lassen. Das Fehlen einer Definition für den menschliche Leben bei der Empfängnis beginnt. Obwohl ich formal
Tod als Gegensatz zum Leben würde ein völliges Chaos entstehen nicht religiös bin, glaube ich von ganzem Herzen, daß es eine gött-
lassen. Tatsächlich setzte Präsident Carter 1976 eine Kommission liche Existenz gibt, die von uns verlangt, diesem unendlich trauri-
ein, die die Frage untersuchen und dem amerikanischen Kongreß gen und unsagbar schändlichen Verbrechen gegen die Menschlich-
eine Definition für den Tod vorlegen sollte, damit Ärzte, Rechtsan- keit ein endgültiges und unwiderrufliches „ Halt" zu gebieten.
wälte, Richter und andere, die damit zu tun haben, feste Richtlinien Wenn wir in unserer Sache mutlos werden oder versagen sollten,
bekommen, nach denen ein Mensch für tot erklärt werden kann. Es wenn wir zögern oder unsicher werden sollten, wenn wir nur einen
ist ausgesprochen lächerlich, daß wir einerseits so viel Zeit darauf Augenblick unseren Auftrag zu diesem äußerst selbstlosen, äußerst

274 275

id^^Ä^flSL^A^^
,.\" Vrf/--^&<- '-' -^ -'
& **S-
wichtigen Kampf verlieren sollten, wird uns die Geschichte nicht ANHANG 2:
vergeben. Ich danke Ihnen!
PLÄDOYER FÜR EINEN BANKRÄUBER

von Dr. Otto Gritschneder, Rechtsanwalt, München. Zitiert aus


„ Medizin und Ideologie", Informationsblatt der Europäischen
Ärzteaktion, 21. Jahrgang, Ausgabe 1/1999 (März), Postfach 1123,
89001 Ulm.

Hohes Gericht!

Der Angeklagte steht wegen eines Verbrechens des schweren Rau-


bes vor Ihren Schranken. Der Herr Staatsanwalt hat durchaus zu-
treffend festgestellt, daß der Angeklagte die Filiale der Globalbank
überfallen und mit vorgehaltener Pistole 1,6 Millionen DM erbeu-
tet hat. Er hätte das nicht so umständlich festzustellen brauchen,
denn der Angeklagte hat das ja ganz offen zugegeben. Der äußere
Tatbestand der §§ 249 und 250 des Strafgesetzbuches ist hier ohne
jeden Zweifel erfüllt. Das bezweifelt auch die Verteidigung nicht.
Der Herr Staatsanwalt hat dafür eine Freiheitsstrafe von 8 Jahren
beantragt.
Nun wissen wir: Nicht jeder, der einen Geigenkasten unterm
Arm trägt, ist ein Paganini; nicht jeder, der in einer Lose-Blatt-
Gesetzessammlung herumblättert, versteht genug vom Recht. Wer
sich lediglich auf den sich immer wieder wandelnden Gesetzestext
irgend eines Gesetzgebers beruft, muß sich gefallen lassen, ein
„Gesetzesanwendungslaufbahnbeamter" genannt zu werden, ein
„Richter" jedoch schaut über den Tellerrand der papierenen Geset-
ze hinaus und sucht das wirkliche Recht.
Den Anträgen des Herrn Staatsanwalts fehlt weiter nichts als das
Wesentliche, nämlich die Heranziehung eines der modernsten
Strafausschließungsgründe, die unsere fortschrittliche Rechtsent-
wicklung zutage gefördert hat. Diese neue juristische und allseits

276 277

\ ^-"XS«-,
Äftf 4j|^h^6Bi«^^äÄy^^i(iiÄ£*jrf!»^>-'1*. — — ^
begrüßte Rechtsfigur lautet: Beratung. Der Angeklagte hat sich, Volk jedoch, in dessen Namen Sie Ihr Urteil werden sprechen müs-
wie wir wissen, umfänglich beraten lassen und diese Beratung sen, hat hier einen überzeugenderen Sprachgebrauch. Das Bundes-
auch durch ein Zertifikat nachgewiesen, noch dazu ein Zertifikat verfassungsgericht hat das schon in einem Beschluß vom 25. Au-
einer katholischen Beratungsstelle. Der Inhalt dieser Beratung gust 1994 entschieden; es sagt völlig zutreffend und volksnah
bleibt ja bekanntlich geheim, vielleicht hat die katholische Bera- folgendes:
tungsstelle den Angeklagten von seinem Vorhaben abgeraten, aber „In der Alltagssprache ist ein unspezifischer Gebrauch der Be-
darauf kommt es, wie gesagt, nicht an. Der schriftliche Nachweis griffe ,Mord' und ,Mörder', der nicht auf juristische Abgrenzun-
der Beratung genügt, um die Strafbarkeit auszuschließen. Das gen abstellt, durchaus üblich. Danach kann unter ,Mord' jede Tö-
praktizieren auch die meisten der deutschen katholischen Bischöfe. tung eines Menschen verstanden werden, die als ungerechtfertigt
Konkret geregelt ist die Straffreiheit durch Beratung bisher nur für beurteilt und deshalb mißbilligt wird." (Bundesverfassungsgericht,
die sogenannte Abtreibung. § 218 a des Strafgesetzbuches betimmt Beschluß vom 25. August 1994 - l BvR 1423/92 = Juristische
ausdrücklich die Straflösigkeit des Schwangerschaftsabbruchs Wochenschrift 1994, 2943).
beim Vorlegen einer Beratungsbescheinigung. Solche Morde im Mutterleib geschehen bei uns in der Bundes-
Hier bitte ich mir eine Zwischenbemerkung zu gestatten: Was republik Tag für Tag etwa 1000 mal, man kann also ruhig von ei-
heißt „Schwangerschaftsabbruch"? Bei Licht besehen handelt es nem Massenmord sprechen.
sich um die Ermordung eines Kindes im Mutterleib. Wenn einem Warum ich das so ausführlich darlege?
Kind der Schädel zertrümmert .> wird oder wenn ihm die Gliedma- Analogie ist im Strafrecht bekanntlich nur zum Nachteil des An-
ßen ausgerissen werden, dann ist Mord „die richtige Bezeich- geklagten verboten. Zugunsten des Angeklagten ist sie Pflicht. Das
nung". Die wiederholt revidierten Gesetzesbestimmungen über bedeutet für unseren Fall:
Schwangerschaft in § 218 und folgende vermeiden verräterischer Wenn schon ein solcher Mord im Mutterleib straffrei bleibt, so-
Weise das Wort „Tötung" oder ein ähnliches Wort, sondern spre-
bald die Täterin einen Beratungsnachweis vorlegt, dann muß das-
chen immer nur von „Schwangerschaftsabbruch". Das ist eine selbe erst recht bei der Verletzung eines viel geringeren Rechts-
regelrechte Täuschung, denn in Wirklichkeit handelt es sich, wie gutes gelten, nämlich bei bloßen Vermögensdelikten. A mairori ad
gesagt, um Mord an einem Kind. Falschbezeichnungen sind eine minus. Auch das vergleichsweise kleinere Delikt, hier: die bloße
irreführende Grundlage für eine Rechtsprechung. Beraubung einer keineswegs vermögenslosen Bank um lediglich
Wer dagegen einwendet, daß der Begriff „Mord" im Strafgesetz- etwa eineinhalb Millionen muß daher ebenso straflos bleiben wie
buch abschließend definiert ist, befindet sich auf dem Holzweg. die Tötung eines Kindes, wenn der Täter, wie hier, eine Beratung
Unser Strafgesetzbuch bezeichnet zwar einen Mörder nur dann als nachgewiesen hat.
einen Mörder, wenn er aus Mordlust, zur Befriedigung des Ge- Ich beantrage daher, den Angeklagten wegen des Strafausschlie-
schlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggrün- ßungsgrundes „Beratung" freizusprechen und die Verfahrenskosten
den, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mit- einschließlich der durch die Verteidigung erforderlich gewordenen
teln oder um eine Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken einen Kosten der Landesjustizkasse des Freistaates Bayern aufzuerlegen.
Menschen tötet; so steht es im § 211 des Strafgesetzbuches. Das

278 279

(»»•yt %£^lt££fäZJäK2SSbJi&BÜiä&*t^t~'>**^'-aa'
ANHANG 3: wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung
der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der
STRAFRECHTLICHE BESTIMMUNGEN Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine
ZUM SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden
Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheits-
§ 218 Schwangerschaftsabbruch. (1) Wer eine Schwangerschaft zustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht
abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden
Geldstrafe bestraft. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluß kann.
der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, (3) Die Voraussetzungen des Absatzes 2 gelten bei einem Schwan-
gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Ge- gerschaftsabbruch, der mit Einwilligung der Schwangeren von
setzes. einem Arzt vorgenommen wird, auch als erfüllt, wenn nach ärzt-
(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von licher Erkenntnis an der Schwangeren eine rechtswidrige Tat
sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall nach den §§176 bis 179 des Strafgesetzbuches begangen wor-
liegt in der Regel vor, wenn der Täter den ist, dringende Gründe für die Annahme sprechen, daß die
1. gegen den Willen der Schwangeren handelt oder Schwangerschaft auf der Tat beruht, und seit der Empfängnis
2. leichtfertig die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesund- nicht mehr als 12 Wochen vergangen sind.
heitsschädigung der Schwangeren verursacht. (4) Die Schwangere ist nicht nach § 218 strafbar, wenn der
(3) Begeht die Schwangere die Tat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe Schwangerschaftsabbruch nach Beratung (§ 219) von einem
bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. Arzt vorgenommen worden ist und seit der Empfängnis nicht
(4) Der Versuch ist strafbar. Die Schwangere wird nicht wegen Ver- mehr als zweiundzwanzig Wochen verstrichen sind. Das Gericht
suchs bestraft. kann von Strafe nach § 218 absehen, wenn die Schwangere sich
zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat.
§ 218a Straflösigkeit des Schwangerschaftsabbruchs. (1) Der
Tatbestand des § 218 ist nicht verwirklicht, wenn § 218b Schwangerschaftsabbruch ohne ärztliche Feststellung;
1. die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und unrichtige ärztliche Feststellung. (1) Wer in den Fällen des
dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2 § 218a Abs.2 oder 3 eine Schwangerschaft abbricht, ohne daß
nachgewiesen hat, daß sie sich mindestens drei Tage vor dem ihm die schriftliche Feststellung eines Arztes, der nicht selbst
Eingriff hat beraten lassen, den Schwangerschaftsabbruch vornimmt, darüber vorgelegen
2. der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen hat, ob die Voraussetzungen des § 218a Abs.2 oder 3 gegeben
wird und sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geld-
3. seit der Empfängnis nicht mehr als 12 Wochen vergangen sind. strafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 218 mit Strafe bedroht ist.
(2) Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorge- Wer als Arzt wider besseres Wissen eine unrichtige Feststellung
nommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, über die Voraussetzungen des § 218a Abs.2 oder 3 zur Vorlage

280 281
nach Satz l trifft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren § 219 Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konflikt-
oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 218 mit lage. (1) Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Le-
Strafe bedroht ist. Die Schwangere ist nicht nach Satz l oder 2 bens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau
strafbar. zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Per-
(2) Ein Arzt darf Feststellungen nach § 218a Abs.2 oder 3 nicht spektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen; sie soll ihr
treffen, wenn ihm die zuständige Stelle dies untersagt hat, weil helfen, eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu
er wegen einer rechtswidrigen Tat nach Absatz l, den §§ 218, treffen. Dabei muß der Frau bewußt sein, daß das Ungeborene in
219a oder 219b oder wegen einer anderen rechtswidrigen Tat, jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein ei-
die er im Zusammenhang mit einem Schwangerschaftsabbruch genes Recht auf Leben hat und daß deshalb nach der Rechtsord-
begangen hat, rechtskräftig verurteilt worden ist. Die zuständige nung ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituaiionen
Stelle kann einem Arzt vorläufig untersagen, Feststellungen in Betracht kommen kann, wenn der Frau durch das Austragen
nach § 218a Abs.2 und 3 zu treffen, wenn gegen ihn wegen des des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer und außerge-
Verdachts einer der in Satz l bezeichneten rechtswidrigen Taten wöhnlich ist, daß sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt. Die
das Hauptverfahren eröffnet worden ist. Beratung soll durch Rat und Hilfe dazu beitragen, die in Zusam-
menhang mit der Schwangerschaft bestehende Konfliktlage zu
§ 218c Ärztliche Pflichtverletzung bei einem Schwanger- bewältigen und einer Notlage abzuhelfen. Das Nähere regelt das
schaftsabbruch. (1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, Schwangerschaftskonfliktgesetz.
1. ohne der Frau Gelegenheit gegeben zu haben, ihm die Gründe (2) Die Beratung hat nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz
für ihr Verlangen nach Abbruch der Schwangerschaft darzule- durch eine anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle
gen, zu erfolgen. Die Beratungsstelle hat der Schwangeren nach Ab-
2. ohne die Schwangere über die Bedeutung des Eingriffs, insbe- schluß der Beratung hierüber eine mit dem Datum des letzten
sondere über Ablauf, Folgen, Risiken, mögliche physische und Beratungsgesprächs und dem Namen der Schwangeren versehe-
psychische Auswirkungen ärztlich beraten zu haben, ne Bescheinigung nach Maßgabe des Schwangerschaftskon-
3. ohne sich zuvor in den Fällen des § 218a Abs. l und 3 auf Grund fliktgesetzes auszustellen. Der Arzt, der den Abbruch der
ärztlicher Untersuchung von der Dauer der Schwangerschaft Schwangerschaft vornimmt, ist als Berater ausgeschlossen.
überzeugt zu haben oder
4. obwohl er die Frau in einem Fall des § 218a Abs. l nach § 219 § 219a Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft. (1)
beraten hat, Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe Schriften (§ 11 Abs.3) seines Vermögensvorteils wegen oder in
bestraft, wenn die Tat nicht in § 218 mit Strafe bedroht ist. grob anstößiger Weise
(2) Die Schwangere ist nicht nach Absatz l strafbar. 1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines
Schwangerschaftsabbruchs oder
2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der

282 283

: V
U4" ;• -M. v"**/, ^r-vr: , •""
'''''''''' '"' ' ' ' ' "
Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eig- ANHANG 4:
nung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen In-
halts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren BESTIMMUNGEN DES BÜRGERLICHEN
oder mit Geldstrafe bestraft. GESETZBUCHES ZUM NACHEHELICHEN
(2) Absatz l Nr. l gilt nicht, wenn Ärzte oder auf Grund Gesetzes EHEGATTENUNTERHALT
anerkannte Beratungsstellen darüber unterrichtet werden, wel-
che Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen bereit sind, einen II. Unterhalt des geschiedenen Ehegatten
Schwangerschaftsabbruch unter den Voraussetzungen des §
218a Abs. l bis 3 vorzunehmen. 1. Grundsatz
(3) Absatz l Nr.2 gilt nicht, wenn die Tat gegenüber Ärzten oder
Personen, die zum Handel mit den in Absatz l Nr.2 erwähnten § 1569. [Anspruch auf Unterhalt] Kann ein Ehegatte nach der
Mitteln oder Gegenständen befugt sind, oder durch eine Scheidung nicht selbst für seinen Unterhalt sorgen, so hat er ge-
Veröffentlichung in ärztlichen oder pharmazeutischen Fachblät- gen den anderen Ehegatten einen Anspruch auf Unterhalt nach
tern begangen wird. den folgenden Vorschriften.

§ 219b Inverkehrbringen von Mitteln zum Abbruch der 2. Unterhaltsberechtigung


Schwangerschaft. (1) Wer in der Absicht, rechtswidrige Taten
nach § 218 zu fördern, Mittel oder Gegenstände, die zum § 1570. [Unterhalt wegen Betreuung eines Kindes] Ein geschie-
Schwangerschaftsabbruch geeignet sind, in den Verkehr bringt, dener Ehegatte kann von dem anderen Unterhalt verlangen, so-
wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe lange und soweit von ihm wegen der Pflege oder Erziehung ei-
bestraft. nes gemeinschaftlichen Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht er-
(2) Die Teilnahme der Frau, die den Abbruch ihrer Schwanger- wartet werden kann.
schaft vorbereitet, ist nicht nach Absatz l strafbar.
(3) Mittel oder Gegenstände, auf die sich die Tat bezieht, können § 1571. [Unterhalt wegen Alters] Ein geschiedener Ehegatte
eingezogen werden. kann von dem anderen Unterhalt verlangen, soweit von ihm im
Zeitpunkt
1. der Scheidung,
2. der Beendigung der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaft-
lichen Kindes oder
3. des Wegfalls der Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch
nach den §§ 1572 und 1573
wegen seines Alters eine Erwerbstätigkeit nicht mehr erwartet
werden kann.

284 285

\Wif:?
;

§ 1572. [Unterhalt wegen Krankheit oder Gebrechen] Ein ge- schiedsbetrag zwischen dem nachhaltig gesicherten und dem
schiedener Ehegatte kann von dem anderen Unterhalt verlangen, vollen Unterhalt verlangen.
solange und soweit von ihm vom Zeitpunkt (5) Die Unterhaltsansprüche nach Absatz l bis 4 können zeitlich
1. der Scheidung, begrenzt werden, soweit insbesondere unter Berücksichtigung
2. der Beendigung der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaft- der Dauer der Ehe sowie der Gestaltung von Haushaltsführung
lichen Kindes, und Erwerbstätigkeit ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsan-
3. der Beendigung der Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung spruch unbillig wäre; dies gilt in der Regel nicht, wenn der Un-
oder terhaltsberechtigte nicht nur vorübergehend ein gemeinschaftli-
4. des Wegfalls der Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch ches Kind allein oder überwiegend betreut hat oder betreut. Die
nach § 1573 Zeit der Kindesbetreuung steht der Ehedauer gleich.
an wegen Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche
seiner körperlichen oder geistigen Kräfte eine Erwerbstätigkeit § 1574. [Angemessene Erwerbstätigkeit] (1) Der geschiedene
nicht erwartet werden kann. Ehegatte braucht nur eine ihm angemessene Erwerbstätigkeit
auszuüben.
§ 1573. [Unterhalt bis zur Erlangung angemessener Erwerbs- (2) Angemessen ist eine Erwerbstätigkeit, die der Ausbildung, den
tätigkeit] (1) Soweit ein geschiedener Ehegatte keinen Unter- Fähigkeiten, dem Lebensalter und dem Gesundheitszustand des
haltsanspruch nach den §§ 1570 bis 1572 hat, kann er gleich- geschiedenen Ehegatten sowie den ehelichen Lebensverhältnis-
wohl Unterhalt verlangen, solange und soweit er nach der Schei- sen entspricht; bei den ehelichen Lebensverhältnissen sind die
dung keine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden vermag. Dauer der Ehe und die Dauer der Pflege oder Erziehung eines
(2) Reichen die Einkünfte aus einer angemessenen Erwerbstätig- gemeinschaftlichen Kindes zu berücksichtigen.
keit zum vollen Unterhalt (§ 1578) nicht aus, kann er, soweit er (3) Soweit es zur Aufnahme einer angemessenen Erwerbstätigkeit
nicht bereits einen Unterhaltsanspruch nach den §§ 1570 bis erforderlich ist, obliegt es dem geschiedenen Ehegatten, sich
1572 hat, den Unterschiedsbetrag zwischen den Einkünften und ausbilden, fortbilden oder umschulen zu lassen, wenn ein er-
dem vollen Unterhalt verlangen. folgreicher Abschluß der Ausbildung zu erwarten ist.
(3) Absätze l und 2 gelten entsprechend, wenn Unterhalt nach den
§§ 1570 bis 1572, 1575 zu gewähren war, die Voraussetzungen § 1575. [Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung] (1) Ein
dieser Vorschriften aber entfallen sind. geschiedener Ehegatte, der in Erwartung der Ehe oder während
(4) Der geschiedene Ehegatte kann auch dann Unterhalt verlan- der Ehe eine Schul- oder Berufsausbildung nicht aufgenommen
gen, wenn die Einkünfte aus einer angemessenen Erwerbstätig- oder abgebrochen hat, kann von dem anderen Ehegatten Unter-
keit wegfallen, weil es ihm trotz seiner Bemühungen nicht ge- halt verlangen, wenn er diese oder eine entsprechende Ausbil-
lungen war, den Unterhalt durch die Erwerbstätigkeit nach der dung sobald wie möglich aufnimmt, um eine angemessene Er-
Scheidung nachhaltig zu sichern. War es ihm gelungen, den Un- werbstätigkeit, die den Unterhalt nachhaltig sichert, zu erlangen
terhalt teilweise nachhaltig zu sichern, so kann er den Unter- und der erfolgreiche Abschluß der Ausbildung zu erwarten ist.

286 287
Der Anspruch besteht längstens für die Zeit, in der eine solche Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhält-
Ausbildung im allgemeinen abgeschlossen wird; dabei sind ehe- nisse unbillig wäre.
bedingte Verzögerungen der Ausbildung zu berücksichtigen. (4) War zum Zeitpunkt der Ehescheidung zu erwarten, daß der
(2) Entsprechendes gilt, wenn sich der geschiedene Ehegatte fort- Unterhalt des Berechtigten aus seinem Vermögen nachhaltig ge-
bilden oder umschulen läßt, um Nachteile auszugleichen, die sichert sein würde, fällt das Vermögen aber später weg, so be-
durch die Ehe eingetreten sind. steht kein Anspruch auf Unterhalt. Dies gilt nicht, wenn im Zeit-
(3) Verlangt der geschiedene Ehegatte nach Beendigung der Aus- punkt des Vermögenswegfalls von dem Ehegatten wegen der
bildung, Fortbildung oder Umschulung Unterhalt nach § 1573, Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes eine Er-
so bleibt bei der Bestimmung der ihm angemessenen Erwerbstä- werbstätigkeit nicht erwartet werden kann.
tigkeit (§ 1574 Abs. 2) der erreichte höhere Ausbildungsstand
außer Betracht. § 1578. [Maß des Unterhalts] (1) Das Maß des Unterhalts be-
stimmt sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Die Be-
§ 1576. [Unterhalt aus Billigkeitsgründen] Ein geschiedener messung des Unterhaltsanspruchs nach den ehelichen Lebens-
Ehegatte kann von dem anderen Unterhalt verlangen, soweit und verhältnissen kann zeitlich begrenzt und danach auf den ange-
solange von ihm aus sonstigen schwerwiegenden Gründen eine messenen Lebensbedarf abgestellt werden, soweit insbesondere
Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann und die Versagung unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe sowie der Gestaltung
von Unterhalt unter Berücksichtigung der Belange beider Ehe- von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit eine zeitlich unbe-
gatten grob unbillig wäre.'Schwerwiegende Gründe dürfen nicht grenzte Bemessung nach Satz l unbillig wäre; dies gilt in der
allein deswegen berücksichtigt werden, weil sie zum Scheitern Regel nicht, wenn der Unterhaltsberechtigte nicht nur vorüber-
der Ehe geführt haben. gehend eine gemeinschaftliches Kind allein oder überwiegend
betreut hat oder betreut. Die Zeit der Kindesbetreuung steht der
§ 1577. [Einkünfte und Vermögen des Unterhaltsberechtigten] Ehedauer gleich. Der Unterhalt umfaßt den gesamten Lebensbe-
(1) Der geschiedene Ehegatte kann den Unterhalt nach den §§ darf.
1570 bis 1573, 1575 und 1576 nicht verlangen, solange und so- (2) Zum Lebensbedarf gehören auch die Kosten einer angemesse-
weit er sich aus seinen Einkünften und seinem Vermögen selbst nen Versicherung für den Fall der Krankheit sowie die Kosten
unterhalten kann. einer Schul- oder Berufsausbildung, einer Fortbildung oder ei-
(2) Einkünfte sind nicht anzurechnen, soweit der Verpflichtete ner Umschulung nach den §§ 1574, 1575.
nicht den vollen Unterhalt (§ 1578) leistet. Einkünfte, die den (3) Hat der geschiedene Ehegatte einen Unterhaltsanspruch nach
vollen Unterhalt übersteigen, sind insoweit anzurechnen, als den §§ 1570 bis 1573 oder § 1576, so gehören zum Lebensbe-
dies unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen darf auch die Kosten einer angemessenen Versicherung für den
Verhältnisse der Billigkeit entspricht. Fall des Alters sowie der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit.
(3) Den Stamm des Vermögens braucht der Berechtigte nicht zu
verwerten, soweit die Verwertung unwirtschaftlich oder unter

288 289

•u va& y'. .^att^Lvi^xL^^i^*^ j£****.&**>• *>•*>'


§ 1578a. [Deckungsvermutung bei Sozialleistungen] Für Auf- 3. Leistungsfähigkeit und Rangfolge
wendungen infoige Körper- oder Gesundheitsschadens gilt §
161 Oa. § 1581. [Unterhalt nach Leistungsfähigkeit] Ist der Verpflichtete
nach seinen Erwerbs- und Vermögensverhältnissen unter Be-
§ 1579. [Unterhaltsanspruch bei grober Unbilligkeit] Ein Unter- rücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande,
haltsanspruch ist zu versagen, herabzusetzen oder zeitlich zu be- ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts dem
grenzen, soweit die Inanspruchnahme des Verpflichteten auch Berechtigten Unterhalt zu gewähren, so braucht er nur insoweit
unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege Unterhalt zu leisten, als es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse
oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes grob und die Erwerbs- und Vermögensverhältnisse der geschiedenen
unbillig wäre, weil Ehegatten der Billigkeit entspricht. Den Stamm des Vermögens
1. die Ehe von kurzer Dauer war; der Ehedauer steht die Zeit gleich, braucht er nicht zu verwerten, soweit die Verwertung unwirt-
in welcher der Berechtigte wegen der Pflege oder Erziehung ei- schaftlich oder unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirt-
nes gemeinschaftlichen Kindes nach § 1570 Unterhalt verlangen schaftlichen Verhältnisse unbillig wäre.
konnte,
2. der Berechtigte sich eines Verbrechens oder eines schweren vor- § 1582. [Zusammentreffen von Ansprüchen eines geschiedenen
sätzlichen Vergehens gegen den Verpflichteten oder einen nahen und eines neuen Ehegatten] (1) Bei Ermittlung des Unterhalts
Angehörigen des Verpflichteten schuldig gemacht hat, des geschiedenen Ehegatten geht im Falle des § 1581 der ge-
3. der Berechtigte seine Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt hat, schiedene Ehegatte einem neuen Ehegatten vor, wenn dieser
4. der Berechtigte sich über schwerwiegende Vermögensinteressen nicht bei entsprechender Anwendung der §§ 1569 bis 1574, §
des Verpflichteten mutwillig hinweggesetzt hat, 1576 und des § 1577 Abs. l unterhaltsberechtigt wäre. Hätte der
5. der Berechtigte vor der Trennung längere Zeit hindurch seine neue Ehegatte nach diesen Vorschriften einen Unterhaltsan-
Pflicht, zum Familienunterhalt beizutragen, gröblich verletzt hat, spruch, geht ihm der geschiedene Ehegatte gleichwohl vor,
6. dem Berechtigten ein offensichtlich schwerwiegendes, eindeutig wenn er nach § 1570 oder nach § 1576 unterhaltsberechtigt ist
bei ihm liegendes Fehlverhalten gegen den Verpflichteten zur oder die Ehe mit dem geschiedenen Ehegatten von langer Dauer
Last fällt oder war. Der Ehedauer steht die Zeit gleich, in der ein Ehegatte we-
7. ein anderer Grund vorliegt, der ebenso schwer wiegt wie die in gen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes
den Nummern l bis 6 nach § 1570 unterhaltsberechtigt war.
aufgeführten Gründe. (2) § 1609 bleibt im übrigen unberührt.

§ 1580. [Auskunftspflicht] Die geschiedenen Ehegatten sind ein-


ander verpflichtet, auf Verlangen über ihre Einkünfte und ihr Ver-
mögen Auskunft zu erteilen. § 1605 ist entsprechend anzuwen-
den.

290
WÄ^^ *.

LITERATUR ZUM THEMENKREIS

Beauvoir, Simone de, Das andere Geschlecht, Sitte und Sexus der Frau, Neuübersetzung
von 1992, Rowohit Taschenbuch Verlag, Reinbek, 1992
Bitterman, Joan, Rettet die Männer, Nymphenburger in F.A. Herbig Verlagsbuchhand-
lung, München, 1991
Farrell, Warren, Mythos Männermacht (The Myth o/Male Power. Why MenAre the Dis-
posabel'Sex), Verlag Zweitausendeins, 1995
Goch, Klaus, Nietzsche über die Frauen, insel taschenbuch 1335, Frankfurt am Main/
Leipzig, 1992
Gray, John, Männer sind anders, Frauen auch (Afen are from Mars; Women are from
Venus), Goldmann Verlag, München, 1993
Hoerster, Norbert, Abtreibung im säkularen Staat, Argumente gegen den § 218, Suhr-
kamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 1995
Derselbe, Neugeborene und das Recht auf Leben, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frank-
furt am Mai n, 1995
Jäckel, Karin, Der gebrauchte Mann, Abgeliebt und abgelockt - Väter nach der Tren-
nung, dtv premium, München, 1997
Jopt, Uwe-Jörg, Im Namen des Kindes, Plädoyerfür die Abschaffung des alleinigen Sor-
gerechts, Rasch und Röhring Verlag, Hamburg, 1992
Kuhlmann, Andreas, Abtreibung und Selbstbestimmung, die Intervention der Medizin, S.
Fischer Verlag, Frankfurt ajn Main, 1996
Matussek, Matthias, Die vaterlose Gesellschaß, Rowohit Taschenbuch Verlag, Reinbek,
1998
Reiter, Johannes/Keller, Rolf, Herausforderung Schwangerschcißsabbruch, Herder Ver-
lag, Breisgau, 1992
Simpfendörfer, Karl, Verlust der Liebe, Mit Simone de Beauvoir in die Abtreibungsge-
sellschafi, Christina-Verlag, Stein am Rhein, 1990
Singer, Peter, Praktische Ethik, Verlag Philipp Reclam, Stuttgart, 1984
Stern, Felix, Penthesileas Töchter- was will der Feminismus?, Universitas Verlag in F.A.
Herbig Verlagsbuchhandlung, München, 1996
Struck, Kann, Ich sehe mein Kind im Traum, Plädoyer gegen die Abtreibung, Verlag Ull-
l stein, Berlin/Frankfurt am Main, 1992
Thomas, Hans, Menschlichkeit der Medizin, Lindenthai-Institut, Verlag Busse+Seewald,
Herford, 1993
Vilar, Esther, Heiraten ist unmoralisch, Gustav Lübbe Verlag, Bergisch-Gladbach, 1994
Wiesner, Joachim, Vom Rechtsstaat zum Faustrechtsstaat. Eine empirische Studie zur
sozialethischen und ordnungspolitischen Bedeutung des Scheidungs-, Scheidungsfol-
gen- und Sorgerechts oder: Über die staatlich verursachte Paralyse von Rechtshan-
deln und Rechisbewitßtsein in der Bundesrepublik Deutschland, Verlag Regensberg,
Münster, 1985

Hä&fcsÄik l*,, li-' * "' ^^"^^/r^^l'^S'^^T^^T


&«w öötMUf^fiktste» Jt^aa^fe^fe^flgAtfe^i^SüEfliiB^ ^tysaa^is»!'Ite^ rJ^^^i^w^ jfät»*»««^ i-«
l™ s ist vollbracht: Obwohl heute das Spektrum der Möglich-
iwkeiten zur Verhinderung des Eintritts einer Schwanger-
schaft so breit ist wie nie zuvor und darüberhinaus die Sozial-
leistungen für Kinder und Kindererziehung so hoch sind wie
nie, wird das Töten des ungeborenen Lebens so großzügig
gestattet wie zu keiner vorangegangenen Zeit: Die Frau, die
einen Abbruch vornimmt oder vornehmen läßt, bleibt so gut
wie in jedem Falle straffrei. Andere Beteiligte müssen sich
schon „gehörig anstrengen", wenn sie die noch bestehenden
Restregeln übertreten und so von Strafe bedroht sein wollen!
Die „Mein Bauch gehört mir"-Bewegung hat sich also im Er-
gebnis durchgesetzt. ;«-«"*> f
äiM--*'
c ~
I^' ..',-
fr% äs „Recht" der Ehescheidung im Verbund mit der Sorge-
LJ rechtsübertragung auf Kinder und den weiteren Schei-
dungsfolgen, insbesondere dem Unterhaltsrecht, ist heute in
praxi völlig einseitig auf die Interessen der Frau zugeschnitten.
Feministischer Einfluß hat es auch hier geschafft, daß Frauen
K^.f• ''-ZM'' <V^'-:'**u%W'V•
ohne besonderen Grund eine Ehe aufkündigen und vom ver-
lassenen Partner dennoch massiv Unterhalt einfordern kön-
nen. Ihr eigenes mögliches Fehlverhalten bleibt dabei so gut
wie unberücksichtigt, nur in wenigen Extremfällen beein-
trächtigt es den Unterhaltsanspruch. Bei der Frage der Zuord-
nung der Kinder unterliegt fast immer der Mann. „Wagt" er es
gar, um die Kinder zu kämpfen und so den Gerichten und
Jugendämtern zusätzliche Arbeit zu bereiten, setzt er sich der
Gefahr aus, auch noch das - oft ohnehin nur jämmerlich aus-
gestattete - „persönliche Umgangsrecht" zu verlieren! In dem
bedeutenden gesellschaftspolitischen Bereich des Schei- ^BSSiiSsÄSÄJ'ii.j
dungsrechts wurden Männer also zu rechtlosen Trotteln de-
gradiert. Dieses „Recht" eignet sich so auch hervorragend zu
alltäglicher Erpressung.

Georg Friedenberger Verlag • Königsbrunn


ISBN 3-00-004970-3

a -iv-M.^.rif(iS£ v

Das könnte Ihnen auch gefallen