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Eine Spielwiese für politisch Interessierte


Session des Europäischen Jugendparlaments in Basel
Beim Thema Jugend und Politik wird oft beklagt, dass traditionelle politische Institu-
tionen für junge Menschen wenig attraktiv seien: Jugendliche interessierten sich für
Themen, nicht aber für einengende Strukturen, wie etwa Parteien oder Parlamente.
Dass dem nicht zwingend so sein muss, bewiesen rund 250 Jugendliche aus 30 Ländern
Ende Juli in Basel, wo dieses Jahr das Europäische Jugendparlament tagte.
luc. In der Turnhalle der Jugendherberge in sozialen Kontakte, sagt Filip Ondra. Und er
Feldberg-Bärental im Schwarzwald stehen in klei- glaube durchaus, dass das Jugendparlament poli-
nen Grüppchen Jugendliche zusammen und üben tische Auswirkungen haben könne, einige der
Pantomimen ein. Über sie wacht der 21-jährige Teilnehmer hier würden später bestimmt Politiker
Nicolas Mathioudakis aus Belgien, der in Eng- werden. Seine Kolleginnen sind da eher skep-
land Chemie studiert. Mathioudakis ist Vorsitzen- tisch: Die EU-Politiker nähmen das EYP nicht
der des Komitees für Staatsrechtliche Angelegen- sonderlich ernst, sagt die Polin Monika Gole-
heiten (AFCO), das sich an der Session des Euro- biewska, aber dafür werde an den Sessionen
päischen Jugendparlaments (EYP) mit der euro- Arbeit mit Spass und Freundschaft verbunden.
päischen Verfassung auseinandersetzen wird. Im Für Gemeinschaftsgefühl sorgt allein schon die
Moment versucht er, die 12 Mitglieder seines Unterkunft: Die jugendlichen Parlamentarier hau-
Komitees aus allen Ecken Europas zu einem sen während der ganzen Sessionsdauer zusam-
Team zusammenzuschweissen. In der folgenden men in der Jugendherberge, die Nächte fallen ent-
Woche soll das Komitee eine Resolution zur EU- sprechend kurz aus. Diese dauernde Nähe sei in
Verfassung ausarbeiten, die dann in der Schluss- keiner Weise ermüdend, sagt Nicolas Mathiouda-
versammlung diskutiert wird. Vor dem Mittag- kis, erstaunt über die Frage. Klare Worte zur
essen übt das Komitee noch seinen Schlachtruf Rolle des EYP findet schliesslich Ilja Tykesson:
ein. Er lautet «M-U-U! Muuuuh!», eine Reverenz «Das hier ist eine Spielwiese für politisch Interes-
an eine kleine Stoffkuh, welche als Maskottchen sierte. Wir verändern gar nichts.» Wichtig sei für
des Komitees fungiert. Die Teilnehmer lachen sie vielmehr der Lerneffekt, den das EYP habe.
schallend. «Auch Politiker sollten so etwas öfter Im Seminarraum ist die Wandtafel inzwischen
tun», meint Mathioudakis. hoffnungslos voll geschrieben mit Notizen. Die
Debatte darüber, ob die Verfassung für Europa
Drei Sessionen pro Jahr einen Verlust oder einen Gewinn an Demokratie
Das Europäische Jugendparlament existiert seit bedeutet, ist in vollem Gange. Die Herrschaft
1988 und hat heute nationale Vertretungen in 35 einer bürokratischen Elite befürchtet Dimitri
Ländern. Das EYP ist als Verein organisiert und Smirnov aus Österreich. «Für eine Union brau-
von den politischen Institutionen der EU unab- chen wir keine Verfassung.» Ivar Kvam, der das
hängig, weshalb auch Vertreter aus Nicht-EU- Nicht-EU-Land Norwegen vertritt, hält dagegen:
Ländern wie der Schweiz mittun dürfen. Pro Jahr Europas politisches System würde mit der Verfas-
hält das EYP drei internationale Sessionen ab, sung, welche dem EU-Parlament mehr Macht
dazu kommen nationale Treffen. Die Arbeit des geben will, um einiges demokratischer werden.
Vereins wird von einer Stiftung finanziert. Für die Mathioudakis verlässt kurz den Raum, eine
Sessionen müssen die lokalen Organisatoren selb- Kreideschlacht bricht aus. «Wann ist eigentlich
ständig Mittel auftreiben. Für die Basler Session Kaffeepause?», fragt jemand. – Ob die von sei-
mit einem Budget von 200000 Franken kommen nem Komitee ausgearbeitete Resolution ange-
je zur Hälfte die öffentliche Hand und private nommen werde oder nicht, sei unwichtig, hatte
Sponsoren auf. Die ausgearbeiteten Resolutionen Mathioudakis bereits zu Beginn der Session er-
sind zwar für niemanden bindend, werden aber klärt. Trotzdem ist die Anspannung im AFCO-
jeweils Vertretern der EU-Kommission und des Team spürbar, als die Schlussversammlung die
Europäischen Parlaments übergeben. Resolution behandelt. Einige Delegierte haben
Nach dem zweitägigen Kennenlernen im zwar den Kampf gegen den Schlaf verloren und
Schwarzwald nimmt das AFCO-Komitee in dösen friedlich im Vorraum, der überwiegende
einem kargen Seminarraum an der Universität Teil hält sich aber tapfer und sitzt aufmerksam im
Basel seine Arbeit auf. Vier Tage haben die Teil- fensterlosen Auditorium der Novartis, wo Monika
nehmer nun, um ihre Resolution, die sie der Golebiewska und Yannis Lazaridis die AFCO-
Schlussversammlung vorlegen wollen, auszuarbei- Resolution vorstellen. Genau drei Minuten Zeit
ten. Die Debatte über die europäische Verfassung hat Yannis für seine Verteidigungsrede. Die
ist von Beginn weg engagiert und freundlich. Ge- Resolution, sagt er, empfehle eine Zeit der Refle-
sprochen wird ausschliesslich englisch; mit dem xion, ein breit angelegtes Informationsprogramm
Akzent von Eoghan O'Donoghue aus Irland be- für die europäische Bevölkerung und die Umset-
kunden die anderen Teilnehmer allerdings einige zung einer Reihe von Reformen, welche bereits
Mühe. Der Verfassungsentwurf, sagt Filip Ondra vom Verfassungsentwurf vorgesehen waren. Die
aus Tschechien, sei zu lang und zu kompliziert, er Detailkenntnis und die Konzentration der Dele-
müsse transparenter werden. «So schwierig», hält gierten während der Diskussion sind hoch, die
Ilja Tykesson aus Schweden dagegen, «ist die Voten kurz und präzis. Nach einer knappen hal-
Verfassung nun auch wieder nicht», sie sei, er- ben Stunde hält Aidan O'Brien aus dem AFCO-
gänzt Anna Molinari aus Italien, auf jeden Fall Komitee eine zusammenfassende Rede. Die
einfacher als die verschiedenen Verträge, welche Resolution sei «eine reale Lösung für ein reales
zwischen den EU-Staaten gelten. Problem», kann er noch sagen, bevor ihn die
Vizepräsidentin gnadenlos darauf hinweist, dass
«Wir verändern gar nichts» seine Redezeit in zwanzig Sekunden abläuft.
Die Teilnehmer am Jugendparlament sind alle Dreizehn Stöcke weiter oben wird derweil eine
zwischen 18 und 22 Jahre alt. Die meisten wur- Pressekonferenz abgehalten. Laszlo Kovacs, EU-
den über Aufrufe an ihren Schulen auf das EYP Kommissar für Steuern und Zollunion, ist ange-
aufmerksam. Er schätze am EYP vor allem die reist, um die Resolutionen entgegenzunehmen. Er
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sei beeindruckt, wie sich «diese jungen Buben


und Mädchen» in politischen Debatten engagier-
ten, er werde die Resolutionen genau durchlesen,
verspricht der Kommissar. «Die Jugend ist die
Zukunft Europas», fällt ihm noch ein, und da
pflichten natürlich alle Anwesenden bei, auch
wenn Sessionspräsidentin Irene Di Vilio betont,
diese Jugend hier sei auch bereits Teil der politi-
schen Gegenwart.
Im Auditorium bitten die Vizepräsidenten die
Komiteevorsitzenden, die Stimmen in ihren
Komitees zu zählen. Nach wenigen Minuten ver-
künden sie ihre Ergebnisse, viele nutzen die Ge-
legenheit, dies in ihrer Landessprache zu tun,
andere wiederum vollführen ein Tänzchen, bevor
sie die Stimmenzahlen bekannt geben. Dann wird
das Resultat verlesen, mit 104 zu 46 Stimmen bei
23 Enthaltungen ist die Resolution angenommen,
«Muuuuh!» jubeln die AFCO-Mitglieder, es wird
applaudiert – und dann ist Mittagspause. Es sei
ein perfektes Komitee gewesen, erklärt Yannis
Lazaridis auf dem Weg zum Buffet, seine Kolle-
gen pflichten bei, verabschieden den Reporter mit
einem nochmaligen «Muuuuh!» und beladen
dann ihre Teller am reichhaltigen Buffet.

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