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Wie eine Straßenkatze irre ich durch die Welt.

Ohne wahre Heimat, ohne irgendwo


zugehörig zu sein, gehe ich durchs Leben. Mancherorts duldet man mich, andernorts
werde ich auf der Stelle verflucht, verbellt, verjagt.
Mich stört es schon lange nicht mehr. Von Orten, an denen ich nicht erwünscht bin,
erhebe ich mich und schleiche wieder fort, ohne Spuren zu hinterlassen.
Andere nehmen mich herzlich auf, auch wenn mir von meinem Glanz nicht viel
geblieben ist. Sie nehmen mich auf, füttern mich, streicheln mich, versuchen mir
alles zu geben, was ich brauche – bis mich die Straße wieder ruft und ich
verschwinde.
Heimlich und ohne Spuren.
Ich bin kein Geschöpf, das gemacht wurde, um zu gefallen, um ansehnlich,
umgänglich zu sein. Ich wurde nicht geschaffen, um außergewöhnliche Spuren zu
hinterlassen.
Ich wurde gemacht, um zu überleben, immer in kleinen Schritten, von Tag zu Tag,
von Straße zu Straße. Ein festes Revier habe ich nicht, ich gehe, wohin meine
Pfoten mich tragen, ich nehme, was ich bekomme und bin es zufrieden.
Selten, ganz selten, berührt mich ein Herz, noch seltener berühre ich Herzen und
bin dann eingeladen, eine kurze Zeit zu verweilen, mich auszuruhen, zu Kräften zu
kommen und meine Wunden zu lecken. Doch ich halte es nie lange aus, bald schon
lockt das wilde, nie zu zähmende Tier in mir mich wieder fort ins Dunkel, wo ich
verharre, warte.
Doch auf was warte ich?
Auf eine bessere Straße?
Bessere Überreste, die für mich abfallen?
Oder doch nur auf den Tod?
Wer in meine Augen sieht, der ahnt nichts von meinen Gedanken und von meinem Leid,
wer in meine Augen sieht, dem starrt nur ein Tier entgegen, das einmal zu oft
wieder verjagt worden ist und welches sich damit abgefunden hat, eine Ausgestoßene
zu sein. Ausgestoßen – und frei. Wer kontrolliert schon, was eine Straßenkatze,
eine einst hübsche, jetzt räudige Streunerin, tut?
Doch diese Freiheit hatte einen hohen Preis, und die Katze ist schon lange nicht
mehr zahm; zu oft haben die Hände, die sie hätten füttern, pflegen sollen, sie
geschlagen.
Ich vertraue nicht mehr. Die Katze zeigt fauchend die Krallen, versucht man, sie
zu berühren. Immer misstrauisch. Immer wachsam. Immer in Angst.
Ich streune weiter durch die wirren Straßen meines Lebens. Drehe ich mich um, sehe
ich genau das, was ich auch vor mir erblicke: Kalte Straßen. Grau und
lebensfeindlich, und doch lebe ich noch.
Nichts von dem, was mir widerfahren ist, hat bisher vermocht, mich endgültig
nieder zu werfen.
Katzen haben sieben Leben – und diese hier hat fast alle aufgebraucht. Sie hat
nicht mehr viel zu verlieren, und so schwindet auch ihre Angst, wird zu etwas
anderem, einem dumpfen Gefühl irgendwo in ihrem Herzen, einer traurigen
Gewissheit:
Schlimmer kann es nicht mehr kommen. Zu viel Leid haben diese goldenen Augen schon
gesehen. Soviel Schmerz die kleine Seele verkraftet.
Ich bin stark. Doch die Kraft schwindet, und zurück bleibt nicht einmal
Hoffnungslosigkeit – sondern nur bittere Resignation.
Ich habe aufgegeben. Die Katze setzt ihren Weg fort, von Haus zu Haus, von Straße
zu Straße, vielleicht, ohne, dass sie es merkt, von Stadt zu Stadt, doch sie läuft
nur noch, weil es zu Routine geworden ist – nicht, weil sie erwartet, jemals ein
Ziel ihrer Reise zu finden.
Trete sie ruhig. Beschimpfe und verjage sie. Sie nimmt es dir nicht mehr übel.
Was sie dir gibt, ist ein zynischer Blick.
Was bleibt, ist nicht einmal ein Echo.

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