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Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 117, 21. Mai 2001, S.

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Vergeßt die Mutter nicht


Mein Ja zur Embryonenforschung / Von Wolfgang Schäuble
Das Embryonenschutzgesetz definiert den Die ethisch-rechtliche Normsetzung begründet sich
Beginn menschlichen Lebens mit der auf die Einzigartigkeit menschlichen Lebens, und in
Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Das diesem Sinne bleibt der Bezug zur Mutter
entspricht dem katholischen Lehramt und wird wesensnotwendig. Schließlich definiert auch der
weithin in Philosophie, Medizin und genetische Code keinen Menschen vollständig, weil
Naturwissenschaften vertreten. Auch die durch Sozialisation und eigenverantwortliche
Entschlüsselung des menschlichen Genoms könnte Lebensgestaltung fortlaufende Veränderung
das bestätigen. Mit der Verschmelzung von Ei- und stattfindet.
Samenzelle ist das Individuum genetisch vollständig Folgerichtig regelt das Bürgerliche Gesetzbuch,
definiert. Die embryonale Stammzelle ist daß Mutter eines Kindes die Frau ist, die es geboren
lebensfähig unter der Voraussetzung eines günstigen hat. § 1 Abs. 1 Ziffer 2 des
Umfelds, das in theologischen Überlegungen der Embryonenschutzgesetzes verbietet, daß eine
Annahme entspricht. Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich
Naturwissenschaftlich können Beginn und Ende befruchtet werden darf als zu dem, eine
menschlichen Lebens wohl auch als Prozeß Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der
verstanden werden. Entsprechend hat der die Eizelle stammt. Die Entnahme von Ei- und
Gesetzgeber beim Transplantationsgesetz auf eine Samenzellen als solchen ist nicht unter
Definition des Todeszeitpunktes verzichtet. Ethische Strafandrohung gestellt und die Arbeiten daran, mit
und juristische Normsetzung folgen nicht zwingend Ausnahnme der Befruchtung, auch nicht. In
aus naturwissenschaftlicher Erkenntnis. naturwissenschaftlichen Überlegungen wird auch
Die normative Entscheidung für die nicht mehr ausgeschlossen, daß eine
Verschmelzung von Ei- und Samenzelle als „Rückendeckung“ aus adulten Stammzellen zu
Zeitpunkt des Beginns menschlichen Lebens embryonalen Stammzellen möglich werden könnte.
begründet sich entstehungsgeschichtlich vor dem Alle diese Überlegungen sprechen dafür, den
Hintergrund, daß von der Verschmelzung im Beginn menschlichen Lebens als Verschmelzung
Mutterleib ausgegangen wurde und die von Ei- und Samenzelle nicht ohne Verbindung zum
Abtreibungsproblematik im Blickfeld stand. Die Mutterleib zu definieren. Damit wird die pränatale
Frage ist, ob das auch für eine Verschmelzung in Implantationsdiagnostik nicht legitimiert, weil jeder
vitro gilt. Dafür könnte sprechen, daß so eine klare Ansatz, menschliches Leben zu manipulieren oder
und frühe Grenze gezogen ist. Entsprechend sagen zu selektieren, unzulässig bleiben sollte. Aber die
Moraltheologen, daß eine Verschmelzung in vitro Forschungsarbeiten an Stammzellen müßten nicht
überhaupt zum Zwecke der Einpflanzung in die auf das ethische Prinzip der Güterabwägung gestützt
Gebärmutter zulässig sein kann, und so regelt das werden. Viele haben in den vergangenen Monaten
auch das Embryonenschutzgesetz. argumentiert, daß zunächst die Forschung an adulten
Dennoch bleibt die Frage, ob es ohne Bezug zur Stammzellen ausgeschöpft werden sollte.
Mutter menschliches Leben geben kann oder ob zur Aber sie haben dabei in dem „zunächst“ immer
Definition menschlichen Lebens neben der eine Tür offen gelassen, und wer es mit dem Schutz
Verschmelzung von Ei- und Samenzelle auch noch der Menschenwürde und der Unverfügbarkeit
die Verbindung zum Mutterleib notwenig ist. Nach menschlichen Lebens ernst nimmt, muß in seinen
christlichem Glauben ist Jesus Mensch nicht durch Überlegungen auch der Forderung „respice finem“
die Verschmelzung zweier Zellen, sondern durch die Rechnung tragen. Wer Forschungsarbeiten an
Geburt aus seiner Mutter geworden. Das entspricht Stammzellen unter keinen Umständen legitimieren
der biblisch-jüdischen Kultur, wonach Mensch ist, möchte, darf konsequenterweise auch die Ergebnisse
wer von einer Frau geboren wurde. solcher Forschungen, wenn sie in anderen Ländern
Die Besonderheit menschlichen gegenüber durchgeführt werden, für sich nicht akzeptieren,
anderem Leben ist eine qualitative und nicht nur wenn er sich nicht dem gegen Pontius Pilatus
eine quantitative, theologisch die gerichteten Vorwurf, die Hände in Unschuld zu
Gottebenbildlichkeit und philosophisch die waschen, aussetzen will.
Menschenwürde. Menschliche Gene sind Vielleicht wird die Überlieferung der großen
weitestgehend mit Genen von anderen Lebewesen monotheistischen Religionen, daß der Mensch ohne
identisch, was der Geschichte der Evolution die Mutter nicht gedacht werden kann, der
entspricht. Der Qualitätssprung zwischen Leben im Einzigartigkeit beziehungsweise dem Mysterium
allgemeinen und menschlichem Leben im menschlichen Lebens am Ende doch gerechter.
besonderen ist aus der Evolution nicht und
überhaupt nicht naturwissenschaftlich zu begründen. Der Autor ist Mitglied des CDU-Präsidiums.

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