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Geschichten, Szenen,

Helden, Meme, Populäre


Texte, Klick!
Seminar im Rahmen des Lehrgangs
Crossmedia Design & Development
30.4.2010
Jana Herwig, M.A.
jana.herwig@univie.ac.at
http://tinyurl.com/herwig
Geschichtlichkeit des
Medienbegriffs
_Frühe Kritik der Medien = Kritik der
Massenkultur: Le Bon (1895), Freud
(1921) Kracauer (1927)
_Kommunikation, Sender,
Empfänger: Laswell (1948),
Shannon/Weaver (1949), Bühler
(1934), Jakobson (1960)
_Medien als Erweiterung der Sinne,
Medien in Medien: McLuhan (1964)
Multi-, Inter-, Crossmedialität
_Multimedia: interaktive Kombination
v. ‚Medien‘ (Text, Bild, Video, Audio)
_Intermedialität: Kombination von
Einzelmedien (z.B. Film im Theater);
Verweise auf andere Medien
_Crossmedia: Einsatz verschiedener
Distributionskanäle (ident/ergänzend);
Fortsetzung nach Mediensprung;
Nutzung als Rückkanal
„Sonst aber sollte
man das Sonder-
wesen der Fern-
sehproduktion
nicht übertreiben,
wenn man nicht
selber zur
Ideologie
beitragen will. Die
Ähnlichkeit mit
den Filmen
bezeugt die
Einheit der Kultur-
industrie; wo man
sie anpackt, ist
? fast gleichgültig.“

Theodor W.
Adorno,
„Fernsehen als
Ideologie“, in :
ders.: Eingriffe,
Medienüberschreitung avant la
lettre
_Geschichten und Erzählungen
_Szenen als Kondensationsmomente
_Helden und Heldinnen
_Meme als replizierbare Einheiten
-----
_Populäre Texte als Aneignungen
der Texte der Medien-/Kulturindustrie
_Klick!
Geschichten und Erzählungen

60-Sekunden-Challenge:
Woran erkennt man, dass man
es mit einer Geschichte
zu tun hat?
Strukturelle Annäherungen
_Aristoteles, Poetik:
„Wir haben festgestellt, dass die Tragödie
die Nachahmung einer in sich
geschlossenen und ganzen Handlung ist,
die eine bestimmte Größe hat; es gibt ja
auch etwas Ganzes ohne nennenswerte
Größe. Ein Ganzes ist, was Anfang, Mitte
und Ende hat.“
Strukturelle Annäherungen
_Aristoteles, Poetik:
„Ein Anfang ist, was selbst nicht mit
Notwendigkeit auf etwas anderes folgt,
nach dem jedoch natürlicherweise etwas
anderes eintritt oder entsteht.
Ein Ende ist umgekehrt, was selbst
natürlicherweise auf etwas anderes folgt,
und zwar notwendigerweise oder in der
Regel, während nach ihm nichts anderes
mehr eintritt.“
Strukturelle Annäherungen
_Aristoteles, Poetik:
„Eine Mitte ist, was sowohl selbst auf
etwas anderes folgt als auch etwas
anderes nach sich zieht.
Demzufolge dürfen Handlungen, wenn
sie
gut zusammengefügt sein sollen, nicht an
beliebiger Stelle einsetzen noch an
beliebiger Stelle enden, sondern sie
müssen sich an die
genannten Grundsätze halten.“
Crossmedia als Bruch mit
Aristoteles
_Mitsubishi Super Bowl TV-Spot, 2004:
Crossmedia als Bruch mit
Aristoteles
_Mitsubishi Super Bowl Web-Spot, 2004:
Strukturelle Annäherungen
_Tsvetan Todorov, The Fantastic
(1970):
_„All narrative is a movement between
two equilibriums which are similar but not
identical. “*

*) 1975 [1970], Cornell Paperbacks, S. 163ff.


Strukturelle Annäherungen
_Tsvetan Todorov, The Fantastic
(1970):
_„All narrative is a movement between
two equilibriums which are similar but not
identical. “*

A_Etablierung eines Gleichgewichts


B_Störung des Gleichgewichts
C_Etablierung eines neues
Gleichgewichts
*) 1975 [1970], Cornell Paperbacks, S. 163ff.
Strukturelle Annäherungen
_Tsvetan Todorov, The Fantastic
(1970):
„Let us say for instance that a child lives
with his family; he participates in a micro-
society which has its own laws.“
Strukturelle Annäherungen
_Tsvetan Todorov, The Fantastic
(1970):
„Subsequently, something occurs which
introduces a disequilibrium (or, one
might say, a negative equilibrium); thus
for one reason or another the child
leaves his house.“
Strukturelle Annäherungen
_Tsvetan Todorov, The Fantastic
(1970):
„At the end of the story, after having
overcome many obstacles, the child -
who has grown up in the meantime -
returns to the family house. The
equilibrium is then re- established, but it
is no longer that of the beginning: the
child is no longer a child, but has
become an adult among the others.“
Symbole der Gleichgewichtsstörung
_Die Pril-Ente (1952):
Minimalnarrative
_E.M. Forster, Aspects of the Novel
(1927) vs. Gérard Genette (1983)

The king died and then the queen died.


(kausale Abfolge von Ereignissen)

The king died.


(Etwas passiert)
Minimalnarrative
_Gérard Genette (1983)
„For me, as soon as there is an action or
an event, even a single one, there is a
story because there is a
transformation, a transition from an
earlier state to a later and resultant state. ‚I
walk‘ implies (and is contrasted to)
a state of departure and a state of
arrival. That is a whole story, and
perhaps for Beckett it would already be too
much to narrate or put on stage.“*
*) 1990 [1983], Cornell Paperbacks, S. 19.
Minimalnarrative
_Der König starb.

A_Der König lebte (Ausgangszustand,


Anfang)
B_Der König starb (Übergangsphase,
Mitte)
C_Der König war tot (Endzustand, Ende)

König: handelnder Charakter mit


bestimmten Eigenschaften und Fähigkeiten
und zugleich erleidendes Subjekt
Minimalnarrative?
_Der König starb.
_Der Bauer lacht.
_Das Haus ist blau.
_Milch ist im Kühlschrank.
_Der König war schon da.
_Heute ein König.
_Der Schaumrollenkönig.
Minimalnarrative?
_So schmeckt nur Meinl.
_Frauen benutzen Zucker, weil der Gaumen
leichter zu verführen ist als das Auge.
_Wien, Wien, nur du allein.
_Wir kommen weiter.
_Die Grenzen des Möglichen werden nie
überschritten, aber manchmal erreicht.
_32.600 Hände voll Know-How.
_Die Stadt gehört dir.
Werbung als Sinnbilder?
_Emblemata:
populäre
Bild/Wortkombination
Mitte 16. -Ende 17.
Jh.
_Motto, Bild (pictura)
und Subscriptio
_Genügend, aus
dem Wenigen
(Emblemata
Christianorum
Werbung als Sinnbilder?
_Emblemata:
populäre
Bild/Wortkombination
Mitte 16. -Ende 17.
Jh.
_Motto, Bild (pictura)
und Subscriptio
_Liebe, Würze der
äußeren Gestalt
(Sinne- en minne-
beelden, 1627)
Werbung als Sinnbilder?
_Emblemata:
populäre
Bild/Wortkombination
Mitte 16. -Ende 17.
Jh.
_Motto, Bild (pictura)
und Subscriptio
_Straffreiheit, Mutter
der Grausamkeit
(Emblemata, 1565)
Szenen als Kondensationsmomente

60-Sekunden-Challenge:

Was muss in einer Szene (d.h.


in einer Handlungseinheit) alles
etabliert werden, um die
jeweilige Handlung vollständig
abzubilden?
Szenen als Kondensationsmomente
_Alfred Hitchcock, Notorious (1946):
Szenen als Kondensationsmomente
_Alfred Hitchcock, Notorious (1946):
Szenen als Kondensationsmomente
_Alfred Hitchcock, Notorious (1946):
Szenen als Kondensationsmomente
_Alfred Hitchcock, Notorious (1946):
Szenen als Kondensationsmomente
_Alfred Hitchcock, Notorious (1946):
Szenen als Kondensationsmomente
_Alfred Hitchcock, Notorious (1946):
Szenen als Kondensationsmomente
_Alfred Hitchcock, Notorious (1946):
Szenen als Kondensationsmomente
_Alfred Hitchcock, Notorious (1946):
Szenen als Kondensationsmomente
_Alfred Hitchcock, Notorious (1946):
Szenen als Kondensationsmomente
_Alfred Hitchcock, Notorious (1946):
Szenen als Kondensationsmomente
_Alfred Hitchcock, Notorious (1946):
Szenen als Kondensationsmomente
_Alfred Hitchcock, Notorious (1946):
Szenen als Kondensationsmomente
_Alfred Hitchcock, Notorious (1946):
Szenen als
Kondensationsmomente?
Julius Meinl

So schmeckt nur
Meinl.
Warum Sonja Klima
immer wieder nach
Wien kommt?
Es muss am Klima
liegen.
Szenen als
Kondensationsmomente?
WIENER ZUCKER

Frauen benutzen
Zucker, weil der
Gaumen leichter zu
verführen ist als das
Auge.
Szenen als
Kondensationsmomente?
Neckermann
Österreich

Wien, Wien, nur du


allein.
Szenen als
Kondensationsmomente?
Wirtschaftskammer
Wien

Wir kommen weiter.


(Sujet Komm.-Rat
Brigitte Jank, WKO
Wien-Präsidentin)
Szenen als
Kondensationsmomente?
AUSTRIA CENTER
VIENNA

Die Grenzen des


Möglichen werden
nie überschritten,
aber manchmal
erreicht (Sujet
"Leopold Figl").
Szenen als
Kondensationsmomente?
Vienna International
Airport

Austern am Airport?
Szenen als
Kondensationsmomente?
Wiener Linien

Die Stadt gehört dir.

Könnt‘ der Bus nicht


einmal später
kommen?
Helden und Heldinnen
_Robin Hood: ‚Crossmedia‘ seit dem
13. Jh.

ca.1370 1687 1845 1938


Helden und Heldinnen

60-Sekunden-Challenge:

Wodurch unterscheiden sich


der Held bzw. die Heldin von
den übrigen Figuren?
Helden und Heldinnen
_Joseph
Campbell,
The Hero‘s
Journey:
_interner Konflikt
_externer Konflikt
_Auftrag: externe
Probleme lösen
und
Grafik so eigenes
nach Stuart Voytilla, Myth and the
Movies, 1999, S. 6.
Problem
Campbell‘s Archetypen
The
Hero

The
Shadow

The
Mentor
First Blood (1982)
_Was ist der interner Konflikt des
Helden? Auf welche persönliche Reise
schickt ihn dieser Konflikt?
_Was ist der äußere Konflikt? Was ist
‚faul‘ in dieser Welt und welchen
äußeren Herausforderungen muss sich
der Held stellen?
First Blood (1982)
_Was ist der interner Konflikt des
Helden? Auf welche persönliche Reise
schickt in dieser Konflikt?
_Was ist der äußere Konflikt? Was ist
‚faul‘ in dieser Welt und welchen
äußeren Herausforderungen muss sich
der Held stellen?
Helden und Heldinnen
_Freiwillige Vertiefungsübung
Die Eingangssequenzen von drei
weiteren Filmen auf die gleichen Fragen
prüfen:
_8 Mile (feat. Eminem)
_Shakespare in Love
_Saturday Night Fever
(Dateien sind im Seminarmaterial - wer
mag kann mir die Ergebnisse zwecks
Feedback per Mail schicken; Noten gibt
es keine)
Meme als replizierbare Einheiten
_Richard Dawkins, Selfish Gene,
1976:192
„Examples of memes are tunes, ideas,
catch-phrases, clothes fashions, ways of
making pots or arches. Just as genes
propagate themselves in the gene pool by
leaping from body to body via sperms or
eggs, so memes propagate themselves in
the meme pool by leaping from brain to
brain via a process which, in the broad
sense, can be called imitation.“
Meme als replizierbare Einheiten
_Richard Dawkins, Selfish Gene,
1976:192
„Ifa scientist hears, or reads about, a
good idea, he passes it on to his
colleagues and students. He mentions it
in his articles and his lectures. If the idea
catches on, it can be said to propagate
itself, spreading from brain to brain.“
Meme als replizierbare Einheiten
_Susan Blackmore, 2003
„Was auch immer nachgeahmt oder
imitiert wird, ist ein Mem. Man könnte
sagen: Meme sind materialisierte Ideen,
Informationen. Aber deutlicher als diese
Begriffe zielt das Mem-Konzept auf den
Akt der Weitergabe. Alles das ist ein Mem,
was u_bertragen werden kann: von einer
Person auf andere Personen, von einer
Person in ein Buch, von einem Buch in
den Computer[...]
Meme als replizierbare Einheiten
_Susan Blackmore, 2003
„[...]
aber eben auch in die Welt der
Alltagsgegenstände, der Moden und
Gebräuche. Dass wir in England
Linksverkehr haben und Sie in
Deutschland Rechtsverkehr, die Vorliebe
fu_r Currywurst, die Kleidermode – alles
Meme.“
Meme als replizierbare Einheiten
_Susan Blackmore, 2003
„GEO: Die Ähnlichkeit mit dem Wort
„Gen“ ist sicherlich kein Zufall. In der Tat.
Denn auch Meme unterliegen der
Evolution. Gene wie Meme sind
„Replikatoren“ – Einheiten der
Weitergabe, die drei Bedingungen
erfu_llen mu_ssen: Sie mu_ssen kopiert
werden können; sie mu_ssen sich
verändern können, und sie mu_ssen der
Selektion unterliegen, sodass nicht alle
Varianten u_berleben.“
Meme als replizierbare Einheiten

120-Sekunden-Challenge:
Wenn Meme kulturelle
Äquivalente der Gene wären:
Was wäre dann die DNA der
Memetik? Warum lässt sich der
Gedanke der Memetik so gut auf
digitale Szenarien anwenden?
Meme als replizierbare Einheiten
_Was nicht die Frage ist: Hat Dawkins
recht? Gibt es eine zweite Evolution,
die nicht von der biologischen abhängig
ist?
_Vielmehr: Warum ist die Idee der
Memetik, d.h. einer zweiten, auf
kulturellen Einheiten basierenden
Evolution derzeit so populär?
_Warum lässt sie sich so gut auf
digitale, netzbasierte Szenarien
Meme als replizierbare Einheiten
Meme als replizierbare Einheiten
Meme als replizierbare Einheiten
Meme als replizierbare Einheiten
Populäre Texte
_Fiske, Understanding Popular Culture:
_Populärkultur ist nicht gleichzusetzen mit
den Produkten der Medienindustrie:
_„Manche Texte werden von den ‚Leuten‘
(the people) dazu auserwählt, ein Teil der
Populärkultur zu werden, während andere
abgewiesen werden.“
_popular: liked, enjoyed or supported by
many; for or involving ordinary people
rather than specialists or very educated
people
Populäre Texte
_Fiske, Der produzierbare Text (S. 42)
„Der produzierbare Text hat die
Zugänglich-keit eines lesbaren* Textes
und kann prinzipiell auf vergleichbar
einfache Weise von denjenigen Lesern
rezipiert werden, die sich mit der
dominanten Ideologie arrangiert haben
(fu_r den Fall, dass solche Leser wirklich
existieren: Schauen Ölbarone Dallas?),
jedoch verfu_gt er gleichzeitig u_ber die
Offenheit des schreibbaren Textes.“korrigiert
*) Fehler d. dt. Übersetzung
Populäre Texte
_Fiske, Der produzierbare Text (S. 42)
„Der Unterschied besteht lediglich darin,
dass er weder die schreibende Aktivität
des Leser erfordert, noch die Regeln
festsetzt, die diese kontrolliert. Vielmehr
bietet er sich selbst einer populären
Bedeutungskonstitution an. Er u_berlässt
sich, wie widerwillig auch immer, den
Verwundbarkeiten, Grenzen und
Schwächen seiner bevorzugten Lesart.“
Populäre Texte
Populäre Texte
Populäre Texte
_Fiske, Der produzierbare Text (S. 42)
„[Der produzierbare Texte] beinhaltet -
während er versucht, diese zu
unterdru_cken - Stimmen, die denjenigen,
die er favorisiert, widersprechen. Er hat
lose Enden, die sich seiner Kontrolle
entziehen, sein Bedeutungspotenzial
u_bertrifft seine eigene Fähigkeit, dieses
zu disziplinieren, [...]“
Populäre Texte
_Fiske, Der produzierbare Text (S. 42)
„[...] seine Lu_cken sind groß genug, um
ganze neue Texte in diesen entstehen zu
lassen – er befindet sich, im ureigensten
Sinne des Wortes, jenseits seiner
eigenen Kontrolle.“
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_Andrea Seier, Kathrin Peters:
„Private Dancers“, in: Nach dem Film,
No. 11: Die kleine Form, URL:
http://nachdemfilm.de/content/private-
dancers

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