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Der Fall Elvira

Mandarina Green saß auf ihrem Bett und überlegte krampfhaft wie sie die Leiche von der Terrasse vor
ihrem Fenster unbemerkt aus dem Haus schaffen konnte. Ihr gingen einige Möglichkeiten durch den
Kopf. Sie könnte zum Beispiel den Körper in einen Teppich einzuwickeln und des nächtens die zwei
liftlosen Stockwerke hinunter schleppen. Sie könnte sie auch in der Badewanne zerstückeln, in die
großen 6 Liter Gefrierbeutel verpacken und anschließend im Colonia-Kübel entsorgen. Aber diese
blutige und verstümmelnde Art beseitigt zu werden, das hatte Elvira nicht verdient! Für Mandarinas
grünen Bettvorläger war Elvira aber auf jeden Fall zu lang. So viel war sicher: Mandarina musste
vorsichtig sein. Immer gibt es jemanden der zufällig um 1h nachts nach Hause kommt oder noch eine
letzte Zigarette auf dem Balkon Visasvis raucht. Jessica Fletcher hatte das schon in hunderten von
Mordfällen bewiesen. Und auch wenn Mandarinas Hobby eben nicht Mord war, wusste sie, dass das
Unvorhergesehene immer gegenwärtig war.

Mandarina sah hinunter auf Elvira. Sie war eine Schönheit. Blass, mit einem leichten Ecrustich, lag sie
da als wäre nichts geschehen. Wenn man davon absah, dass die Rosenschere in ihrem Hirn steckte,
könnte man meinen sie wäre glücklich. Es gab kaum Blut, höchstens ein Tröpfchen. Sie war sofort tot
gewesen. Wenigstens musste sie nicht leiden. Mandarina dachte daran, das Hofer, für einen
Billigdiskonter, unglaublich gute, wenn nicht sogar erstklassige Waren verkaufte. Diese Rosenschere
hatte einen perfekten, glatten Schnitt und das für gerade mal € 3,40.

Elvira war noch ganz warm. Sie hatte auf der Terrasse gelegen und die Sonne genossen. Mandarina
hatte sie gar nicht bemerkt. Sie konnte sie ja auch gar nicht bemerken, so sehr hatte der Frühling ihr
Herz in Beschlag genommen. All ihre Sinne waren wie berauscht vom Zwitschern der Vögel, von den
ersten warmen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut und all dem wiedererblühendem Leben rings um sie
herum. Überall sprießte es bereits unter der Erde. Die Hyazinthen und Krokusse, die Tulpen und
Narzissen – alle drängten sie ans Licht. Nur Elviras Licht war nun für immer verloschen.

Was für ein Schicksal. Warum musste sie ausgerechnet heute durch das Loch im Katzengitter auf ihre
Terrasse herüber kommen, fragte sich Mandarina. Warum, ausgerechnet jetzt, wo das nachbarliche
Verhältnis zu den schrägen Kreischbergers nach langem wieder friedlich schien. Dank des Katzengitters
hatten die Nachbarn endlich aufgehört immer Mandarinas Katze zu verdächtigen, vor ihre Terrassentür
zu kacken. Und jetzt das.

Und warum, musste Marc überall seine Schuhe herumstehen lassen, noch dazu dort, wo man sie nicht
sehen konnte? Gut, Mandarina hatte ihn eindringlich gebeten seine verdreckten Galoschen gleich nach
dem Bogenschieszen auf die Terrasse zu stellen, aber warum hatte er sie ausgerechnet hinter den
leeren Blumentrog versteckt? Er musste doch wissen, dass sie sich beim Garteln quasi im
Rückwärtsgang von Blüte zu Blüte & von Trieb zu Trieb handelte. Er musste doch wissen wie sich
arbeitete! Als sie beiläufig und doch energisch den leeren Blumentrog mit dem Bein zur Seite
wegkickte, konnte sie nicht ahnen, dass dahinter noch seine klobigen Bergschuhe lauerten. Und dann
ging alles irrsinnig schnell. Sie wusste nur noch, wie sie das Gleichgewicht verlor. Die Rosenschere in
der Hand, ihr Fuß zwischen dem Trog und den Bergschuhen eingeklemmt und ihr verzweifelter Versuch
sich noch sich irgendwo abzufangen. Ein Glück, dass sie seit Jahren Yoga machte, sonst wäre es ihr
nie gelungen sich noch im Stürzen umzudrehen. Sie wollte sich abstützen aber die Rosenschere steckte
bereits in etwas. Es fühlte sie weichem und doch irgendwie auch fest an. Elviras Schädel.

Nur ein kurzes, lautloses Zucken ging durch ihren schlanken Körper. Es war wirklich sehr bedauerlich.
Sie war eine schöne Schlange gewesen.

Autor: Sue Simond

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