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Felix Garbe, 10M

Reisereportage

Eine haushohe Welle reißt den Fischerkahn empor, das Wasser


wirft sich schäumend auf das Deck und spült alles über Bord
was nicht stark genug festgezurrt ist. Schon rollt der nächste
Brecher auf das Boot zu und trifft es hart von der Seite. Immer
neue Wogen rollen heran und überschlagen sich mit einem
Getöse, wie man es sich in der Hölle vorstellen muss, über dem
nun stark backbord liegenden Schiff. Doch was jetzt am
tiefschwarzen Horizont auftaucht, lässt einem jedes Haar zu
Berge stehen.
Erschreckt wache ich auf.
Erleichterung: Es war nur ein Traum.
In die offene Luke tönt Möwengeschrei. Ich bin wirklich auf dem
Meer. Das Schiff stampft gemächlich vor sich hin. Ich richte
mich noch etwas schlaftrunken auf, um an die frische Luft zu
gehen. Das Laufen auf dem schwankenden Boden ist sehr
gewöhnungsbedürftig, doch ohne weitere Komplikationen
komme ich zur Treppe, klettere hinauf und stecke meinen Kopf
aus der Tür. Die Morgensonne leuchtet mir ins Gesicht und die
Luft riecht nach Meerwasser und Algen. Dann klettere ich ganz
hinaus und setze mich auf die Reling. Rings um das Schiff ist
Wasser. Nur im Norden ist ein Landstrich zu erkennen, dunkel
trennt er am Horizont das glitzernde Meer vom Himmel. „Was ist
das?“ frage ich Kalle „Bornholm“ antwortet er.

Alles beginnt damit, dass mir mein Bruder zu Weihnachten


einen Gutschein für „Eine Fahrt mit einem Fischkutter“
schenkt. Im Sommer ist es nun soweit. Ich packe meinen
kleinen Rucksack und fahre mit der Bahn los.

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Beginnend im grünen Saaletal, umgeben von schroffen
Kalkhängen, grünen Wäldern und fruchtbaren Weinbergen.
Allmählich wird die Landschaft flacher und weite Kiefernwälder
erstrecken sich über den Sandboden. Es beginnt zu regnen. Der
Wald zieht sich zurück und kleine Häuser tauchen rechts und
links der Schienen auf. Zuerst wenige, dann immer mehr und
schließlich fahre ich durch ein Häusermeer mit langen
Häuserzeilen, dreckigen Hinterhöfen und modernen
Bürogebäuden. „Nächster Halt: Berlin Ostbahnhof“ verkündet
die Stimme aus den Lautsprechern. Die Räder quietschen. Als
der Zug hält, fällt irgendwo rumpelnd ein Koffer zu Boden.
Menschen hasten vor meinem Fenster vorbei. Eine junge Frau
bleibt stehen, sie schaut auf die Uhr, holt ihren Reiseplan
hervor, reißt den Mund und die Augen weit auf und rennt los.
Währenddessen sitzen andere gemütlich auf einer Bank und
warten.
Hinter mir öffnet sich die Schiebetür. Ein Mann fragt mit
französischem Akzent, ob hier noch ein Platz frei sei. Ich bejahe
und biete ihm einen Platz gegenüber an. Er ist wohl Ende
dreißig, hat einen Filzhut und einen dicken Mantel, den er jetzt
ablegt. Er summt trotz Kälte und Regen fröhlich vor sich hin.
Nach einiger Zeit zieht er ein Buch aus seiner antiquarisch
anmutenden Ledertasche, das die Aufschrift „l’ile de Usedom“
trägt. Wenig später beginnt er zu malen. Sein Blick huscht
immer wieder zu mir und nach zehn Minuten zeigt er mir seine
Zeichnung. Es ist mein Portrait. Er erklärt, dass er ein Maler
aus der Bretagne sei und nach Usedom fährt, um Bilder zu
malen. Ich bin sehr erstaunt, mit welcher Selbstverständlichkeit
er das Bild gemalt hat.
Greifswald. Ich verabschiede mich von dem Franzosen und
packe meine Sachen zusammen. Der Bahnsteig ist nicht
besonders voll, mein Bruder lehnt an einem Pfeiler. Sein Blick

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schweift suchend von einer Tür zur nächsten und als sich
unsere Blicke treffen breitet sch ein breites Grinsen über sein
Gesicht. Mit sechsundzwanzig Jahren ist er schon viel in der
Welt herumgekommen. Er war mit „up with people“ in Amerika
und Japan. Jetzt arbeitet er in einer Segelschiffwerft in Wolgast
und hat auch so manchen Auftrag in Norwegen oder Italien.
Wir brechen sofort in Richtung Hafen auf. Zwischen Greifswald
und Freest liegt ein ehemaliges Kernkraftwerk. Gespenstisch
ragen die Reaktortürme in den strahlend blauen Himmel. Gras
wuchert zwischen den nicht mehr benutzten Betonplatten. Nach
einem kurzen Waldstück taucht vor uns der Fischereihafen
Freest auf. Ich fühle mich wie in eine andere Zeit versetzt, alte
vollbärtige Fischer hocken auf dem Boden und flicken ihre
Netze, über den verrußten Räucheröfen verweht sich der Rauch
und überall riecht es nach frischem Fisch. Kleine und große
Fischerboote dümpeln im Hafen und die Wellen lassen die
Rümpfe der Boote regelmäßig an die Kaimauer schlagen. Fast
alles ist übersät von dem weißen Kot der Möwen, die sich
kreischend um die Abfälle der Räucherei streiten.
Mein Bruder zeigt mir eines von den größeren Schiffen, und
erklärt mir, dass dies das Schiff sei, mit dem wir die nächsten
Tage unterwegs sein werde. Die „Eintracht“ dümpelt träge im
Wasser. Mit siebzehn Metern ist sie nicht groß, doch hier im
Hafen die größte. Sie hat einen kleinen und einen großen Mast,
an dem auch die Seilwinde für die Fischkisten befestigt ist. Auf
dem Fahrerhäuschen stehen unzählige Antennen und Lampen.
In der Mitte des Schiffes ist eine breite Luke, in die später die
gefangenen Fische kommen. Ich gehe nach vorn und sehe eine
kleine Luke. Eine Leiter führt herunter und unten sind die
Kajüten für die Mannschaft untergebracht, sieben
Quadratmeter sind nicht gerade viel für vier Leute, doch es
schlafen sowieso nicht alle gleichzeitig. Denn führerlos darf das

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Schiff nie sein. Hinter dem Fahrerhäuschen ist die Kombüse mit
Ausblick auf das Meer und daneben das Klo mit Abfluss in das
Meer.
Nach einer Weile kommen auch die beiden Fischer, die uns
begleiten werden. Sie haben noch Schnitzel und anderes
Proviant für unser festliches Essen auf See eingekauft.
Kalle ist der Kapitän, mit seinem wettergegerbten Gesicht sieht
man ihm an, dass er das einen Großteil seines Lebens auf der
See verbracht hat. Sein Gesicht ist übersät von Narben und er
scheint sich vor einer Woche das letzte mal rasiert zu haben.
Mein Bruder meint, dass seine beleidigenden Scherze nicht
immer so ernst zu nehmen sind. Der zweite Schiffer hat für die
Reise vorsorglich einige Flaschen Schnaps mitgenommen. Von
dem übermäßigen Konsum zeigt auch sein etwas
überproportionaler Bauch. Wir beginnen sofort die Fahrt. Ruhig
gleiten wir zwischen den Molen hindurch in die Mündung der
Peene. Rote und grüne Bojen weisen uns noch eine Weile den
Weg, bis wir offenes Fahrwasser erreichen. Im Westen leuchten
die Kreidefelsen von Sassnitz blendend weiß in der
Nachmittagssonne. Allmählich wird auch der Seegang stärker,
der Bug senkt sich immer wieder stampfend in das schäumende
Wasser und hebt sich ächzend gen Himmel. Kalle zeigt mir die
verschiedenen Instrumente zum Messen der Wassertiefe oder
den Radar. Auch hat er vier Funkgeräte und eine Handy, was
er, wie er meint, alle braucht. Danach essen wir auf dem stark
schaukelnden Schiff Kuchen. Er war sehr lecker, kam aber
leider eine halbe Stunde später nur halbverdaut wieder zum
Vorschein. Den beiden Fischern macht der Seegang nichts aus.
Kalle, der Kapitän, hat gerade eine viertel Flasche Schnaps
geleert, doch von Übelkeit ist bei ihm keine Spur. Ich lege mich
erst einmal in meine Kajüte, in der Hoffnung meine
Seekrankheit etwas kurieren zu können. Mit dem festlichen

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Essen auf See wird es wohl nichts werden. Dort döse ich etwas
vor mich hin und denke über den Zweck der Reise nach.
Plötzlich schlägt etwas gegen die Bordwand. Nichts Gutes
ahnend gehe ich an Deck, während es immer wieder kracht. Auf
dem Deck wird gerade das Netz ins Wasser gelassen. Das
Krachen kommt von den Platten, welche die Öffnung des
Schleppnetzes im Wasser auseinanderhalten werden. Sie
hängen lose außen am Schiff und schlagen bei jeder Welle, die
das Boot zum schaukeln bringt, gegen die Bordwand. Ich gehe
wieder in meine Koje und schlafe schließlich ein.
Jetzt weiß ich was es bedeutet, Fischer zu sein!

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