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PREIS

Kunst mit Schleier und Gewehr


Carmen Böker
Für ihre Fotoserie "Women of Allah" (1993-97) ließ sie sich mit
Schleier, Gewehr und blutigen Händen ablichten - um zu
demonstrieren, wie sich im Islam "Politik und Spiritualität, Gewalt
und Liebe vermischen". Im Video "Fervor" (2000) treffen ein Mann
und eine Frau in der Einöde aufeinander - sie tauschen unerlaubt
tiefe Blicke aus und begegnen sich später zufällig wieder, als ein
Demagoge über die "Sünde der Begierde" wettert. Und in "Soliloquy"
(2000) begegnen sich zwei Frauen im Tschador; die eine lockt die
andere weg von einem modernen Bürogebäude, zurück zur Moschee.

Shirin Neshats Werk wurde von der Zeitschrift art unter die "25
Meilensteine der aktuellen Kunst" eingereiht, ihre Videoarbeiten
kosten bis zu 100 000 Dollar. Nach dem Goldenen Löwen der
Biennale in Venedig (1999) erwartet sie nun auch eine Berliner
Auszeichnung: Am Mittwoch wird sie den "01 award" der Universität
der Künste entgegennehmen; der Multimedia-Preis ist mit einer
Honorarprofessur verbunden. Neshat ist längst zur internationalen
Vorzeigekünstlerin avanciert - einerseits, weil das Interesse groß
geworden ist daran, den Islam zu verstehen; andererseits wegen der
hohen ästhetischen Qualität ihrer streng komponierten Arbeiten,
welche ihr aber mitunter als Gefälligkeit ausgelegt wird. Sie stelle
lieber Fragen, als welche zu beantworten, hat sie dazu einmal gesagt.
Den Rahmen sprengen - das möchte Shirin Neshat nicht.

Die Multimedia-Künstlerin arbeitet meist in Schwarzweiß: Weil es


kaum noch Farben gegeben habe, als sie 1990 erstmals in ihre Heimat
zurückkehrte. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert lebt Neshat -
1957 in Qazvin, im Nordwesten des Iran geboren - in den USA;
während im Iran die Revolution begann, studierte sie Kunst in
Kalifornien. Anschließend eröffnete sie in New York einen
Ausstellungsraum. Sie hatte nie daran gedacht, selbst als bildende
Künstlerin zu arbeiten, bis zu dieser Reise in ihr Land, aus dem sehr
viel mehr als die Farben verschwunden waren: "Die neue Regierung
brachte eine strenge, pure Form des Islam ins Land; sie haben
versucht, die persische Geschichte auszuradieren und durch eine
allgemeine islamische Kultur zu ersetzen."

Neshat, die sich im Nebeneinander der Kulturen in New York sehr


wohl gefühlt hatte, begann nach diesem Schock damit, die radikalen
Veränderungen im Iran zunächst in Fotos, dann in Videos zu
thematisieren. Die Werke spielen zumindest virtuell in ihrer Heimat,
denn dort darf sie sie nicht produzieren, ihre Arbeiten entstehen in
Marokko und in der Türkei. Allgegenwärtig ist die dialogische
Struktur: Immer werden Gegensätze wie Mann und Frau, Schwarz
und Weiß, Tradition und Moderne behandelt - für die Künstlerin
Welten, die sich im Islam nie berühren, sondern parallel existieren.
Vor allem geht es ihr um die Rolle der Frau im Fundamentalismus.
Sie widerlegt das abendländische Klischee von der zugleich
unschuldigen und verführerischen Orientalin und zeigt dafür
gewaltbereite Waffenschwestern: "In der gesamten Geschichte haben
muslimische Frauen Seite an Seite mit ihren Männern an der Front
gekämpft. Sie haben an der Verantwortung und den Konsequenzen
des Märtyrertums Anteil gehabt."
FOTO Shirin Neshat iranische Künstlerin, bald Professorin in Berlin

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