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Titel

Im Namen des Volkes


Die „Bild“-Zeitung, Springers Boulevardblatt, eilte in der vergangenen Woche täglich
dem wankenden Verteidigungsminister zu Hilfe, in dieser Form beispiellos. Die
Zeitung teilt sich die Rolle eines deutschen Leitmediums zu, tatsächlich übernimmt sie immer
wieder die Rolle einer rechtspopulistischen Partei, die im deutschen Politikbetrieb fehlt.

A
uch in finsteren Zeiten kann sich um die Widersprüche zwischen Print- Kampagne – einen entspannten Chefre-
Verteidigungsminister Karl-Theo- und Online-„Bild“ aufzulösen. dakteur. Kai Diekmann sitzt in seinem
dor zu Guttenberg auf treue Das blieb in der schnellen Welt des In- Büro, trinkt Tee und knabbert Nüsse, wäh-
Freunde verlassen, vor allem wenn es sich ternets nicht unbemerkt. Journalisten er- rend sich draußen das „Schnee-Chaos“
um Journalisten aus dem Hause Springer kundigten sich nach dem Verbleib und des Winters entfaltet. Es herrscht eine
handelt. Am Dienstag war die „Bild am dem Ergebnis der Internetbefragung, die „Horror-Kälte“, „Berlin bibbert“, und die
Sonntag“-Redakteurin Anna von Bayern daraufhin wieder auf Bild.de zurückkehr- Schlagzeile für den nächsten Morgen steht
in der ARD-Sendung „Maischberger“ zur te. Ergebnis bis Samstag 1.15 Uhr: 57 Pro- auch schon fest, groß, fett, weiß auf
Stelle und rang wie eine Ehefrau um Ver- zent für den Rücktritt. schwarz: „Diese Deutschen wollen wir öf-
ständnis für den jungen Familienvater, Es war ein weiterer der verzweifelten ter im TV sehen!“. Das ist kein Vorschlag.
der in siebenjähriger Nachtarbeit seine Versuche der Zeitung, einem in der Kritik Es ist ein Befehl. Er kommt von der „Bild“-
Doktorarbeit erstellt, dabei ein paar Feh- stehenden Minister beizustehen und Vol- Zeitung. Im Namen des Volkes.
ler gemacht und nun als groß- Alfred Draxler hat Redak-
artiger Minister Ziel einer Kam- tionsdienst, er führt die Ge-
pagne geworden sei. Aber: „Er schäfte, es ist ein Donnerstag,
ist auch ein Mensch.“ ein routinierter Werktag im Le-
Am Mittwoch, nachdem der ben der Redaktion, Draxler ist
Minister im Bundestag Mühe Diekmanns Stellvertreter, ein
gehabt hatte, die Fragen der grauer Mann mit knochigem
Opposition nach dem Umfang Händedruck und dem Gesicht
der Plagiate in seiner Doktor- eines gealterten Fuchsmajors,
arbeit zu beantworten, saß der er bereitet die Themen und
Berliner Bürochef der „Bild“- Zeilen für die Ausgabe des
Zeitung, Nikolaus Blome, bei Folgetags vor. Er steht im an-
„Hart aber fair“ und vernied- schwellenden Brummen vor
lichte die Schwere des Täu- Redaktionsschluss im Herzen
schungsversuchs („Der Unter- der „Bild“-Hauptredaktion, im
gang des Abendlandes fällt aus, Springer-Haus hoch über Ber-
trotz dieser Doktorarbeit“) und lin, Fotochefs sind da, Grafiker,
stellte im Namen der „Bild“- Ressortleiter, Titel- und Online-
Redaktion ein Generallob aus Redakteure, sie alle bevölkern
(„Wir haben eine Meinung zu einen 20 Meter breiten Riegel
diesem Minister, wir finden ihn gut“). Kri- kes Meinung für ihn zu mobilisieren. Er aus weißen Tischen, den sie den „Balken“
tikern hielt er eine „Bild“-Schlagzeile ent- markierte den vorläufigem Höhepunkt nennen. Draxler hält einen Packen Papier
gegen: „Nörgler, Neider, Niederschreiber, einer Kampagnenwoche, wie sie auch in in den Händen, Agenturmeldungen,
einfach mal die Klappe halten.“ der wilden Geschichte der „Bild“-Zeitung pfundweise, auf Flachbildschirmen über
Während der Bürochef der „Bild“ im höchst selten ist. den Köpfen leuchten Seitenentwürfe.
Fernsehstudio saß, quälten sich im Berli- Am Tag, nachdem die „Süddeutsche Der „Balken“ der „Bild“ erinnert an
ner Springer-Haus an der Kreuzung von Zeitung“ erste Plagiatsvorwürfe gegen Kommandobrücken aus Weltraumfilmen,
Axel-Springer- und Rudi-Dutschke-Stra- Guttenberg laut werden ließ, fragte „Bild“ an einen modernen Gefechtsstand, turn-
ße die Redakteure mit den Tücken einer noch: „Ist Deutschlands beliebtester Po- hallengroß. Befehligt wird von hier oben
Volksbefragung. Die „Bild“-Leser waren litiker ein Mogel-Minister?“, während ein Heer von 800 Journalisten und noch
aufgerufen, sich telefonisch für oder ge- Brieffreund Franz-Josef Wagner schon mehr „Leser-Reportern“, gearbeitet wird
gen den Verbleib des Ministers im Amt ans Volk appellierte: „Macht keinen gu- an Europas größter Tageszeitung: drei
auszusprechen („Heute stimmt Deutsch- ten Mann kaputt. Scheiß auf den Doktor.“ Millionen Käufer, zwölf Millionen Leser
land ab!“). Am 18. Februar titelte „Bild“: „Der Mi- täglich, 27 Regionalausgaben von der See
Gleichzeitig konnten aber auch die nister kämpft an allen Fronten“, am 19. bis zu den Alpen, von der Oder bis zum
Nutzer von Bild.de über die Frage abstim- jubelte sie: „Gut! Guttenberg bleibt!“, am Rhein.
men, ob Guttenberg zurücktreten solle. 23. endlich ließ sie Deutschland abstim- Die „Bild“ ist ein dicker Brocken der
Als sich – online – eine Mehrheit gegen men, um am 24. im Kommentar von Ernst deutschen Geschichte, schon ihrer schie-
den Minister abzeichnete, nahmen die Elitz zu vermelden: „Das Volk verzeiht.“ ren Größe wegen, und für ihre Schlagzei-
Redakteure die Befragung vorüberge- Wenn man wissen will, wie diese Zei- len und Kampagnen, ihre Verfehlungen
hend von der Website und diskutierten, lenmaschine funktioniert, dann trifft man – und Geistesblitze wurde sie zu allen Zei-
wie man das Verfahren umstellen könne, abseits solcher Tage einer heißlaufenden ten gehasst, geliebt, bespuckt, bewundert,
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CARSTEN KOALL / DER SPIEGEL

„Bild“-Chefredakteur Diekmann: Er zieht mit der Botschaft um die Häuser, „Bild“ markiere die gediegene Mitte Deutschlands

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in Romanen und Gedichten verewigt, in
Popsongs geschmäht. Sie ist, im Wesent-
lichen, gleich geblieben, über all die Jahre
und Jahrzehnte, und die vergangenen Mo-
nate machen keine Ausnahme.
Lärmend marschierte „Bild“ vorneweg,
als Leibgarde von Karl-Theodor zu Gut-
tenberg, sie befeuerte die Debatte über
die Thesen Thilo Sarrazins, fröhlich surfte
sie auf den Wogen der europäischen Fi-
nanzkrise, und bei alldem stellten sich
die alten Fragen, um die es immer geht,
wenn es um die „Bild“-Zeitung geht: Ar-
beitet sie eigentlich auf der Höhe ihrer
publizistischen Macht? Schreibt sie nur
auf, was „das Volk“ angeblich umtreibt?
Spielt „Bild“, unter dem Druck einer sin-
kenden Auflage, immer lauter den popu-
listischen Krawallmacher? Den Einpeit-
scher, der unter dem Motto „Das wird
man ja wohl noch sagen dürfen“ gegen
Ausländer, Kinderschänder, gegen den
Islam die Trommel rührt?
Angesichts von zwölf Millionen Lesern
täglich sind das Fragen von Gewicht. Auf
den Fluren des Reichstags, in den Minis-
terien und auch im Kanzleramt besteht
die ausgeprägte Neigung, „Bild“-Schlag-
zeilen ohne weitere Prüfung als gültigen
Ausdruck des Volkswillens aufzufassen.
Politiker aller Parteien fürchten sich vor
„Bild“-Enthüllungen über ihr Privatleben.
Und, auch dies gehört zum Lagebild,
nicht wenige Journalisten in der Haupt-
stadt betrachten die „Bild“-Zeitung als
KAY KIRCHWITZ / STAR PRESS

einen Steinbruch für Reizthemen, die sie


durch eigene Artikel in der Folge nur
noch weiter verstärken.
Abseits der politischen Bühne sind fort-
laufend Fälle anzuzeigen, die die ethi-
schen Standards und die journalistische
Qualität der „Bild“ und ihrer Mitarbeiter Springer-Chef Döpfner, Diekmann, Ministergattin Guttenberg: „Sie glitzerte wundervoll“
in Frage stellen. In München wurde im
vergangenen Oktober ein ehemaliger schaft die erfolgreichen Rabauken zu sein. mit Angriffen auf andere Zeitungen, dem
„Bild“-Reporter in erster Instanz verur- Sie ziehen jetzt mit der Botschaft um die Motto folgend: Wir sind nicht schlimmer
teilt, weil er, nach Meinung des Gerichts, Häuser, die „Bild“ sei nicht Außenseiter, als die anderen, die Welt, die Medien ha-
den Schauspieler Ottfried Fischer mit ei- sondern Mainstream. Nicht Schmuddel- ben sich – allesamt – „boulevardisiert“.
nem Schmuddelvideo zu einem Interview kind, sondern Musterschüler. Ihre Zei- Und er geht eben – dem neuen Refrain
genötigt haben soll. Die Fälle, in denen tung bediene nicht die Ränder der Ge- des Hauses Springer folgend – noch wei-
Prominente gegen unliebsame oder frei sellschaft, sondern markiere die gediege- ter: Er versucht, sein Blatt als das führen-
erfundene Berichte über ihr Privatleben ne Mitte Deutschlands. de Medium der kritischen Aufklärung zu
juristisch vorgehen, sind Legion. Deshalb ist es an der Zeit, die Geschich- verkaufen, er preist seine investigativen
Kein deutsches Medium wird häufiger te der „Bild“-Zeitung fortzuschreiben, Erfolge und bestreitet beharrlich, dass sei-
vom Deutschen Presserat dafür gerügt, auch mit Hilfe ihres Chefredakteurs Diek- ne Zeitung ihre Auflage weiterhin vor al-
die Grenzen des Gewerbes zu verletzen. mann, der die Geschicke des Massenblatts lem damit macht, dass sie nicht aufs Hirn
Regelmäßig bereitet die „Bild“-Zeitung seit nunmehr zehn Jahren leitet. Mit ihrer Leser zielt, sondern vorrangig auf
auch weiterhin das private Leid von Men- Diekmann fand ein langes Gespräch statt den Bauch oder noch ein wenig tiefer.
schen zu voyeuristischen Berichten auf, in seinem Büro im Springer-Haus, das Es geht um eine Erörterung der gesell-
nicht immer mit deren Einwilligung und kleiner ist, als man erwarten würde, es schaftlichen Rolle und der politischen
nicht selten mit fragwürdigen Methoden hängt moderne Kunst an den Wänden, Macht von Europas größter Tageszeitung.
der Recherche. Pop-Art, es stapeln sich Papiere, es ist Es geht um die inneren Widersprüche ei-
All das hat auf den ersten Blick wenig ein ziemlich austauschbares Chefbüro. nes Blatts, dessen Programm zwischen
Neuigkeitswert, weil es die „Bild“-Zei- Beim Reden erwies sich Diekmann als Papst und Pipi-Prinzen von jeher seltsam
tung immer schon ausgemacht hat. Und wacher Mann und schlagfertiger Redner, flimmert, um die Zerrissenheit einer Zei-
doch ist etwas anders: Ihre Chefs, voran der gern Sätze variiert, deren Wirkung tung, die sich in ihren Statuten zu hohen
Chefredakteur Kai Diekmann, aber auch er in früheren Interviews erprobt hat (sie- Idealen bekennt und die sich im publizis-
Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner, he Seite 142). Jede Frage nach den Ar- tischen Alltag fortlaufend die eigene Wes-
wollen sich nicht länger damit zufrieden- beitsmethoden und den ethischen Stan- te beschmutzt. Es geht auch um die Um-
geben, in der deutschen Medienland- dards seiner Zeitung kontert Diekmann kehr dessen, was Zeitungen in einer De-
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mokratie leisten sollen, nämlich Kontrolle ein anderer Typus Politiker ist. Sie ist bür- Dass sie immer weiter Ressentiments
der Institutionen und der Regierenden, gerlicher Herkunft und hat intellektuelles schürt und den rechten Bodensatz auf-
hin zur Umdeutung dieser Rolle durch Format. wirbelt, dass sie wie ein Brandstifter zün-
„Bild“ – ein Massenmedium, das sich zum Die „Bild“ ist für Merkel Segen und delt, mal hier, mal da, empört Spreng.
Förderer von Ministern macht, die ihnen Fluch zugleich. Sie ist eine Politikerin, die Die „Bild“-Schlagzeile zur „bitteren
zupass und zu Diensten sind. Angst hat vor Stimmungen, weil sie nicht Wahrheit über Hartz IV und Ausländer“
Wer Kai Diekmann mit dem Vorwurf der Typ Volkstribun ist, der Stimmungen und die andere zum Thema, was man
des Populismus kommt, erhält von ihm steuern kann. Am liebsten ist es ihr, die „doch wohl noch sagen dürfen“ muss, hält
Antworten, die so klingen, als könnte er Deutschen bleiben ruhig und ausgegli- Spreng nicht für Ausrutscher, sondern für
zwischen populistischer Verkürzung und chen. Deshalb sieht sie Kampagnen, wie gefährlich. Mag „Bild“ auch bei weitem
sachlicher Argumentation nicht sauber un- sie die „Bild“ gegen Griechenland führte, nicht das ganze Wahlvolk erreichen, in
terscheiden. Als wüsste er nicht, dass es nicht unbedingt gern. Andererseits glaubt der eigenen Leserschaft wiegen ihre Wor-
im Journalismus einen Unterschied macht, Merkel aber, den medialen Rückenwind te schwer. „Durch solche Kampagnen“,
ob man einen Tatbestand benennt, analy- des Boulevards für ihre Politik zu brau- schimpft Spreng, „wird publizistisch der
siert und einordnet – oder ob man ihn be- chen. Manchmal ist es die „Bild“-Zeitung, rote Teppich ausgerollt für eine Partei,
nutzt, um Stimmung zu machen, Vorur- die ihre spröden Politikentwürfe durch die noch nicht gegründet ist, geführt von
teile zu schüren und Kampagnen zu be- knackige Schlagzeilen emotionalisiert einem deutschen Jörg Haider.“ Das klingt
treiben. Diese Haltung bleibt nicht ohne und so greifbarer macht. nicht nach Mitte der Gesellschaft.
Folgen, wie sich an der Berichterstattung Für ihren Umgang mit „Bild“ hat die Stützt „Bild“ am Ende die Demokratie,
der „Bild“-Zeitung über die europäische Kanzlerin eine Strategie der drei An- weil sie ein Ventil für angestauten Volks-
Finanzkrise modellhaft zeigte. sprechpartner. Sie umgarnt den Chefre- zorn ist? Wer ihren Chefredakteur da-
Als im Februar vergangenen Jahres dakteur Diekmann und pflegt ihr Verhält- nach fragt, hört Sätze, die er schon in
klarwurde, dass Griechenland ohne finan- nis zu Friede Springer, beide Frauen ver- vielen Interviews gesagt hat, immer ein
zielle Hilfe bald zahlungsunfähig sein bindet mehr als nur ähnliche politische wenig variiert, im „Focus“, in der „Süd-
würde, fragte „Bild“ noch vergleichswei- Überzeugungen. Zudem hält sie auch den deutschen Zeitung“, in der „Frankfurter
se vorsichtig: „Reißt Griechenland die Vorstandschef von Springer, Mathias Rundschau“. Es geht dann um die deut-
deutschen Banken in die Plei- sche Befindlichkeit und wie die
te?“ Zehn Tage später ging ein „Bild“-Zeitung sie abbildet. Es
Feuerwerk der Schlagzeilen los. geht um den Unterschied zwi-
„Griechen streiten und streiken, schen realer und gefühlter Tem-
statt zu sparen“, „So verbren- peratur, wobei sich „Bild“ vor
nen die Griechen die schönen allem für Letztere zuständig
Euros“, bald folgten klare An- fühlt – und die Hitze manchmal
weisungen: „Kein Geld für gleich mitliefert.
Griechenland!“, „Ihr griecht Wenn die Titelzeilen heißen:
nix von uns!“ „Bild“ fragte das „Die bittere Wahrheit über
Volk: „Warum zahlen wir den Hartz IV und die Ausländer“,
Griechen ihre Luxus-Renten?“, dann wird bei Licht betrachtet
und die Zeitung gab den Grie- kein Problem aufgeworfen,
chen praktische Tipps: „Ver- sondern Stimmung gemacht.
kauft doch Eure Inseln, ihr Plei- Solche Gedanken hält Diek-
te-Griechen … und die Akro- mann allerdings für komplet-
polis gleich mit!“ ten Unsinn. In seinen Ge-
In der Summe der Kampa- sprächen findet sich diese Ar-
gne ergab sich das Bild eines gumentationsstruktur immer
Volkes, das rund um die Uhr wieder: Die Deutschen sind
streikt, morgens gern lange schläft, auf Döpfner, bei Laune. Als der im Oktober schlau genug, Probleme wie jene bei der
Kosten anderer lebt und korrupt ist bis in die Potsdamer Villa Schöningen zu ei- Ausländerintegration selbst zu erkennen,
unter die Halskrause. Ist das Journalis- ner Ausstellung von Anselm Kiefer ein- sie brauchten dabei die Hilfe der „Bild“
mus? Oder Kabarett? lud, machte Merkel, die ansonsten kaum oder anderer Zeitungen nicht.
Auf dem Höhepunkt der Kampagne Vernissagen besucht, selbstverständlich Den Unterschied zwischen einer De-
verteilte ein Reporter in Athen Drachmen ihre Aufwartung. batte – wie sie im SPIEGEL, der „Zeit“
an die Bevölkerung und ließ sich dabei Will sie das? Oder glaubt sie, es zu müs- und anderen Blättern über Bücher von
stolz fotografieren. „BILD gibt den Plei- sen? Michael Spreng war einst Chef- Thilo Sarrazin und Kirsten Heisig geführt
te-Griechen die Drachmen zurück“, stand redakteur der „Bild am Sonntag“, schrieb wurde – und einer Kampagne, die eine
darüber. Und all die Stimmungsmache dort in Leitartikeln Schröder hoch, später gesellschaftliche Debatte instrumentali-
wurde von Appellen an die deutsche wurde er Politikberater und coachte siert, verwischt der „Bild“-Chef. Er sieht
Politik flankiert, die Befehlscharakter hat- Edmund Stoiber, als der gegen Schröder sein Blatt als Leitmedium, als Meinungs-
ten: „Frau Merkel, bleiben Sie bei Ihrem antrat. Wenn einer das Verhältnis zwi- führer, und natürlich redet er nicht dar-
Nein!“ hieß es oder: „Herr Vizekanzler, schen Politik und „Bild“ kennt, die Ab- über, dass die Leserschaft – trotz aller
wir nehmen Sie beim Wort!“ gründe des Berliner Betriebs auch, dann Masse – doch immer nur einen nicht re-
Als Altkanzler Gerhard Schröder zu Spreng. Und er glaubt, dass die Politik präsentativen Ausschnitt der Bevölkerung
seinen aktiven Zeiten einmal sagte, für das Blatt weit überschätzt. „Die ‚Bild‘ ist bildet und gebildet hat.
die Politik brauche er nur „Bild“, nur so mächtig, wie Politiker glauben, Das Phantombild eines durchschnittli-
„BamS“, Glotze, passte das zum Typus dass sie es ist“, sagt er. Die Zeitung könne chen „Bild“-Lesers zeigt weiterhin einen
Politiker, den er verkörperte, zu einem, Themen setzen, auf die die Politiker rea- nicht mehr ganz jungen Mann mit eher
der von unten kam und sehr handfest gieren müssten. Aber, sagt Spreng, „,Bild‘ schwacher Schulbildung und geringem
Politik machte. Seine Nachfolgerin An- bewegt keine Wähler von einer Partei zu Einkommen. Gemessen an den Inhalten
gela Merkel sieht das ähnlich, obwohl sie anderen“. der Zeitung, so steht zu vermuten, dürfte
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er des Weiteren ein eher konservativer gen Trittin, Karl Lauterbach und ein paar Zum Dank dafür darf die „Bild“
Mensch sein, der Europa nicht leiden andere wissen das. „Bild“ ist im Schlech- manchmal mitregieren. Als die „Gorch
kann, mit Ausländern wenig am Hut hat, ten wie im Guten treu. Und das weiß nie- Fock“ wie ein Pestschiff im Hafen von
die Globalisierung fürchtet, lieber RTL mand besser als Verteidigungsminister zu Ushuaia ankerte, reichte schon die An-
als ARD schaut und politisch zum Nicht- Guttenberg und seine Frau Stephanie, kündigung einer giftigen „Bild“-Titelge-
wählertum tendiert. laut „Bild“-Zeitung längst „die heimliche schichte, den Verteidigungsminister, der
Die Politik muss sich, ob sie will oder First Lady“ der Republik. gerade noch selbst vor „Vorverurteilun-
nicht, zum Lieblingsblatt von zwölf Mil- Wie Guttenberg in „Bild“ fortlaufend gen“ gewarnt hatte, zur Amtsenthebung
lionen potentiellen Wahlbürgern irgend- gehuldigt wird, sucht selbst in der schil- des Kapitäns anzustiften, verkündet die-
wie verhalten. Ins Grobe gesprochen las- lernden Historie des Blatts seinesgleichen. ses Mal in der „Bild am Sonntag“, mit ei-
sen sich im Berliner Betrieb drei Katego- „Bild“ macht kein Hehl mehr daraus, wen nem markigen „Es reicht!“.
rien von Politikern ausmachen, was den sie gern und bald im Kanzleramt sehen Die politische Klasse spürt die Macht
Umgang mit „Bild“ angeht: die Freunde, möchte. Mit Guttenberg, so hat es den der „Bild“ immer dann besonders, wenn
die Kollaborateure und die Verweigerer. Anschein, will sie sich erstmals einen ei- Politik und Privatleben ungut kollidieren.
Zum Freundeskreis zählen alte konserva- genen Kandidaten schaffen, und das Horst Seehofer hat das erlebt, auch ande-
tive Haudegen wie Michael Glos oder Ro- klingt so: „CSU-Chef, Ministerpräsident ren wurde übel mitgespielt, wenn sie sich
land Koch, Ex-Kanzler Gerhard Schröder oder sogar Kanzler … In welches Amt neu verliebten, ihre Familien verließen,
war lange Zeit mit von der Partie, SPD- stürmt Guttenberg 2011?“ uneheliche Kinder zeugten. In solchen Fäl-
Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier Schon zu Kanzler Helmut Kohl hielt len, wenn sich alle Grundzutaten des Bou-
ließ seine Nierenspende von den „Bild“- der damalige stellvertretende „Bild“-Chef levards – Personalisierung, Emotionalisie-
Organen begleiten, niemand ist derzeit Diekmann keinerlei Distanz, schrieb rung, Skandalisierung und Politisierung –
mit heißerem Herzen Freund als Vertei- dessen Deutsche-Einheits-Memoiren, be- in einem Topf verrühren lassen, vergessen
digungsminister zu Guttenberg. Sie wer- jubelte das Aussehen von dessen erster die „Bild“-Reporter manchmal, wie im
den von „Bild“-Kolumnisten wie Hugo Gattin Hannelore und wurde dessen Trau- Rausch, die Regeln des Berufs.
Müller-Vogg umgarnt und stets Claudia Roth hat diese Erfah-
zuvorkommend behandelt. rung gemacht; die seltsamen
Das Spiel funktioniert so: Schlagzeilen über sie sind zwar
Die Politiker erzählen ihren schon fünf Jahre her, aber bis
Freunden von „Bild“ ein paar heute ist sie im Visier des Blatts,
halbprivate, vergnügliche nachdem sie sich gegen Anwür-
Anekdoten aus Fluren und fe zur Wehr setzte. „Bild“ hatte
Hinterzimmern, die bald in Ko- in großen Lettern und auf gro-
lumnen verwurstet werden. Im ßem Raum über eine vermeint-
Gegenzug ist auf „Bild“ Ver- liche „Amigo-Affäre“ der Grü-
lass, wenn es für die politi- nen-Politikerin berichtet. Der
schen Gönner brenzlig wird. Vorwurf lautete, dass sie ihrem
Vergangene Woche, als Minis- Lebensgefährten „lukrative
ter Guttenberg von den Schwä- Staatsaufträge“ verschafft habe.
chen seiner Doktorarbeit ein- Nur war die ganze Geschichte
geholt wurde und sich nicht „völlig an den Haaren herbei-
von seinem Amt, wohl aber gezogen und schlichtweg gelo-
von seinem akademischen Ti- gen“, sagt Roth.
tel trennen wollte, war „Bild“ Den Mann, um den es ging,
zur Stelle. Die Faustregel heißt: hatte sie erst kennengelernt, als
Wenn sich die „Bild“-Zeitung im Zuge zeuge bei der zweiten Ehe. Und die Gut- der angeblich von ihr beschaffte Auftrag
eines Skandals um einen Politiker auffal- tenbergs haben den Vorteil, dass sie auch des Bundesamts für Strahlenschutz schon
lend zurückhält oder ihm gar beispringt, noch aussehen wie für eine Boulevard- seit einem Jahr vergeben war. Am Tag
darf von Freundschaften ausgegangen zeitung gecastet. der falschen „Bild“-Geschichte bekam sie
werden. Stets üppig bebildert heißen die Zeilen: es dennoch mit wütenden Bürgern zu tun.
Zur zweiten Kategorie der Politiker, „Karl-Theodor und Stephanie zu Gutten- In einer Fußgängerzone wurde sie von
den Kollaborateuren, sind die allermeis- berg – total verschossen auf der Wiesn!“, Leuten als „korrupt und verlogen“ be-
ten Abgeordneten und Würdenträger in „Guttenberg auf gefährlicher Mission in schimpft, und da spätestens sagte sie sich:
Berlin zu zählen. Sie führen eine gespal- Afghanistan“, „Exklusiv in 3D: Minister „Das lasse ich nicht auf mir sitzen.“ Und
tene Existenz. Sie klagen beständig über Guttenberg fliegt im Kampfjet“, „Stepha- sie meinte es ernst.
„Bild“, über ihre Polemiken und ihren nie zu Guttenberg jagt Kinderschänder im Sie klagte eine Gegendarstellung ein,
politischen Kurs, spielen aber trotzdem TV“, „Kinderschänder beschimpfen Ste- in der gleichen Größe, auf dem gleichen
mit. Die Kollaborateure argumentieren, phanie zu Guttenberg“, „Karl-Theodor Raum wie der Originalbericht, und setzte
sie könnten nicht auf „Bild“ verzichten, und Stephanie zu Guttenberg: Die Wiesn- sich durch. Springer trieb das Verfahren
selbst wenn sie das wollten. „Bild“ sei zu Könige in puncto Stil- und Treffsicherheit“, durch die gerichtlichen Instanzen – und
mächtig, außerdem erreiche man über „Stephanie zu Guttenberg: Sie rockte und immer bekam Claudia Roth Recht. Als
das Boulevardblatt den „kleinen Mann“, glitzerte wundervoll“, „Stephanie zu Gut- der juristische Weg ausgeschritten war,
der nun mal das Gros der Wähler stelle. tenberg: Pornografie verdirbt unsere Kin- versuchte es Springer anders. Mitarbei-
In die dritte Kategorie, die Verweigerer, der“, „Gattin des Bundesverteidigungsmi- tern Roths und Pressesprechern der Grü-
gehören die wenigsten Volksvertreter. nisters setzt DEN neuen Modetrend“, nen wurde wiederholt nahegelegt, sich
Wer den Mut dazu aufbringt, und diesen „Guttenberg auch in China ein Star“, „Gut- die Sache mit der Gegendarstellung
auch noch öffentlich kundtut, muss ein tenberg ‚erobert‘ Chinesische Mauer“, „noch einmal zu überlegen“, schließlich
dickes Fell haben. „Bild“ könnte sich frü- „Guttenberg will kein Star sein“, „Sind stehe ein Bundestagswahlkampf ins Haus,
her oder später mit entsprechender Be- Adelige die besseren Politiker?“, „Wir fin- solche Sachen sagten die Leute von
richterstattung rächen, Claudia Roth, Jür- den die GUTT!“. „Bild“. In der Rückschau betrachtet wirkt
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HERMANN BREDEHORST
Junge Frauen in Berlin: „Jedes 4. Baby stammt von Ausländern“

es wie die offene Drohung mit negativer großen Lettern ankommen mag. „Natür- den deutsche Schüler von Ausländern
Berichterstattung. lich nimmt ,Bild‘ Einfluss auf das politi- terrorisiert“, oder „Islamischer Friedens-
Als die Grünen-Vorsitzende auch dar- sche Geschehen“, sagt Roth. „Bei etlichen Prediger bricht seiner Dritt-Frau die Kno-
auf nicht einging, wurde ihr von der Kollegen erzeugt sie gehörigen Respekt.“ chen“ – und das nicht etwa irgendwo,
„Bild“-Redaktion die Veröffentlichung ei- Für die CDU hat „Bild“ innerparteilich sondern „Mitten in Deutschland!“ Der
ner großen Homestory angeboten, einer die Funktion eines rechtspopulistischen dazugehörige Artikel begann so: „Tiefe
wohlwollenden Geschichte über sie und Flügels übernommen. In dem Blatt wird dunkle Augen, langer Bart, Kopfbede-
ihr Leben, als Wiedergutmachung gewis- formuliert, was sich anschließend in der ckung, weites Gewand. Der Münchner
sermaßen. Aber Roth blieb hart: „Ich ver- öffentlichen Debatte instrumentalisieren Imam Abu A. (40) sieht aus wie Massen-
kaufe doch nicht meine Ehre“, sagt sie. lässt. Alles, was etwa insinuiert, dass „die mörder Osama bin Laden.“
Die Gegendarstellung erschien schließ- Migranten“ ein Problem in Deutschland Trotz solcher Einstiege hält Diekmann
lich, riesig, geisterhaft, versehen mit der darstellten, wird von Diekmanns Leuten daran fest, dass „Bild“ Leitmedium sei,
kleinlauten Bemerkung: „Frau Roth hat mit Vorliebe aufgegriffen. Erst in „Bild“ nicht nur in Sport und Unterhaltung, son-
Recht. Die Redaktion.“ Und als sie am verdichten sich einzelne Meldungen und dern längst auch in Politik und Wirtschaft.
Tag ihres Siegs über „Bild“ eine Feier Kommentare zu einem fremdenfeindli- Er zitiert dann den Altlinken Klaus
zum 60-jährigen Bestehen der CDU im chen Ganzen. Staeck mit den Worten: „Der Skandal ei-
Theater am Schiffbauerdamm besuchte, Sarrazin war deshalb ein Glücksfall für nes ganzen Berufsstandes besteht darin,
standen Kollegen bei ihr Schlange, um die Zeitung. Das Blatt begnügte sich nicht dass es ,Bild‘ gelungen ist, die kaum mehr
sie zu ihrem Mut zu beglückwünschen. mit einem Vorabdruck aus dem Buch bestrittene Meinungsführerschaft in den
„Was ist das bitte schön für ein System“, (auch der SPIEGEL druckte Auszüge ab), Medien zu erringen.“ So sehen sie sich
sagt Roth, „wo es schon als mutig gilt, es feierte ihn geradezu als querdenken- gern bei „Bild“: exklusiv, unverzichtbar.
sich gegen eindeutig falsche Tatsachen- den Helden, der unliebsame Wahrheiten Tatsächlich lebt das Blatt tagtäglich mit
behauptungen zu wehren?“ ausspricht, und startete eine Monate wäh- wirbelnden Widersprüchen, die kaum je
Seither ist Claudia Roth immer mal rende Kampagne gegen Migranten in aufgelöst werden. Das Wichtige und das
wieder in der „Bild“-Zeitung vertreten, Deutschland. „Bild“ vertrat dabei Posi- Unwichtige sind nie zu trennen, vielleicht
als „Verlierer des Tages“ oder, wie neu- tionen, die aus dem Programm einer liegt darin eine zynische Welthaltung, auf
lich, auf Platz 2 einer „Bild“-Rangliste rechtspopulistischen Partei stammen jeden Fall erklärt sich auch der Unterhal-
über „Die 30 nervigsten Talk-Show-Gäs- könnten, und sie bediente sich auch einer tungswert der „Bild“ aus diesem Umstand.
te“. Ihrer Karriere schadet das nicht. Für entsprechenden Rhetorik. Die Zeiten können noch so schlecht sein,
Grünen-Politiker, sagt sie, sei es bei der Fast täglich wurden neue Gruselge- die Krisen noch so groß, die Dramen noch
eigenen Wählerschaft eine Art Auszeich- schichten aus dem Reich der Migranten so erschütternd, immer ist Platz für Mel-
nung, von „Bild“ beschimpft zu werden. geliefert. „Ich bin eine Import-Braut“, dungen wie diese: „Zoo-Direktor trennt
Kollegen der anderen großen Parteien war ein Artikel über eine junge Muslimin schwule Geier“, „Kopfschuss! Ärzte
hätten mehr Angst vor der Berichterstat- überschrieben. „Und so wurde ich kämpfen um kleinen Koala“, „Zu viel Via-
tung des Blatts. Sie würden bei ihrem zwangsverheiratet“. Dazwischen finden gra – Brummi-Fahrer tot im Bordell“.
Handeln auch viel stärker darauf achten, sich Meldungen wie: „Jedes 4. Baby „Bild“ ist, neben allem anderen, ein
wie es bei der großen Zeitung mit den stammt von Ausländern“, oder „So wer- florierendes Unternehmen mit einer kol-
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portierten Umsatzrendite von 40 Prozent,
der Springer-Verlag äußert sich zu diesen
Zahlen nicht. Sicher ist, dass mit „Bild“
das Geld verdient wird, das der Verlag
an anderer Stelle mit vollen Händen aus-
geben kann, für die weiterhin schwächeln-
de „Welt“ etwa.
Die Tantieme der Chefredakteure von
„Bild“ und „Bild am Sonntag“ berechnet
sich seit einigen Jahren nicht mehr nach
der Höhe der Auflage, sondern nach
ebenjener Rentabilität. Bis 2001 schwank-
te die Auflage jahrelang um den Wert
von 4,5 Millionen, danach ging es bergab,
und nun hat sie die Drei-Millionen-Marke
nach unten durchbrochen. In kaum zehn
Jahren hat sie ein Drittel ihrer Käufer ver-
loren.
Ökonomisch ist das fürs Erste nicht wei-
ter schlimm. Der Preis für eine „Bild“
wurde innerhalb eines Jahrzehnts um 67
Prozent auf 60 Cent angehoben. Das
gleicht schwindende Verkaufszahlen aus,
und man ist auch findig in Sachen zusätz-
licher Geschäfte. Die von „Bild“ soge-
nannten „Volks-Produkte“ sind dafür ein
Beispiel, eine Werbeidee so simpel wie
clever. Ein „massenmarktfähiges Pro-
dukt“, wie es in einer Springer-Präsenta-
tion heißt, bekomme das „Label ,Volks-
Produkt‘ als Gütesiegel“ und wird an-
schließend mit großem Tamtam in „Bild“
vermarktet.
Mehr als hundert solcher „Volks-Pro-
JENS KOEHLER / IMAGO

dukte“ wurden binnen acht Jahren in


„Bild“ und auf „Bild.de“ angeboten, und
jede dieser Aktionen war für knapp zehn
Millionen Euro Umsatz gut – insgesamt
eine Milliarde. Der „Volks-PC“ war in Schauspieler Fischer: „Aber dann ist meine Ehe kaputt“
zwei Tagen ausverkauft. Es gab schon die
„Volks-Pizza“, die „Volks-Jeans“, die wirklichen Leben ist er einer der umtrie- den. Showmaster Hugo Egon Balder
„Volks-Bibel“ und die „Volks-Zahnbürs- bigsten Presseanwälte des Landes, der nahm Schertz’ Dienste in Anspruch, weil
te“, und auch die Dessous der Seite-eins- vor allem zur Stelle ist, wenn der „Auf- ihm eine Affäre mit der Modedesignerin
Girls („Sophie tauft ihre Brüste“) verkau- zug nach unten“ fährt. „Manuela H.“ angedichtet wurde. Hand-
fen sich gut. Seine weitläufige Kanzlei am Berliner ball-Star Stefan Kretzschmar ging gegen
Geht es nach „Bild“ und ihren Chefs, Ku’damm passt zu den Mandanten, die „Bild“ vor, weil sie seinen Abschiedskuss
dann haben SPIEGEL oder „Süddeut- hier nach Hilfe suchen. Bei Schertz wird für die Entertainerin Lorielle London
sche“ keinerlei Recht mehr, die Boule- unter Stuckdecken und an schönen alten zum „heißen Flirt“ ausbaute.
vardzeitung von oben herab zu kritisieren Holztischen verhandelt, der Anwalt trägt Offenkundig aber lassen sie sich im
oder von der, wie Springer-Vorstandschef schwarze Hornbrille und Kinnbart, und Springer-Haus von solchen Sachen nicht
Döpfner formulierte, „Empore des guten er sieht dabei aus wie ein Wiedergänger schrecken. Anwalt Schertz hat Fälle auf
Geschmacks“. seines Vaters, der einst Berliner Polizei- dem Tisch wie jenen von Alexandra Nel-
In einem Streitgespräch zwischen Ma- präsident war. Es geht um Sex, Krankhei- del, die als „Die Wanderhure“ ihren end-
thias Döpfner und Günter Grass, in dem ten, Beziehungen und Verfehlungen, die gültigen Durchbruch als Schauspielerin
der Springer-Vorstandschef vor vier Jah- auf Schertz’ großem Holztisch landen, erlebte. Über ihr Privatleben berichtet
ren im SPIEGEL „das Prinzip“ der und dabei immerfort um Persönlichkeits- „Bild“ häufig, obwohl Neldel sich ihr be-
„Bild“-Zeitung so formulierte: „Wer mit verletzungen, um das Eindringen in die wusst nicht öffnet. Dennoch erweckt
ihr im Aufzug nach oben fährt, der fährt Privat- und Intimsphäre, es geht um „Bild“ zuweilen den Eindruck, als wäre
auch mit ihr im Aufzug nach unten“, in schmutzige Sachen und schlechten Jour- sie ständiger Gast in Neldels Privatleben.
diesem Gespräch entgegnete Grass da- nalismus. Die Zeitung raunt über das Liebesleben
mals, die „Bild“-Zeitung sei einfach „ge- Der Anwalt hat die krebskranke Bar- des „TV-Stars“, bringt Berichte über ihren
schmacklos und abscheulich“, sie sei ein bara Rudnik vertreten, deren Leiden und Vater, über ihre privaten Finanzen. Oft
dauernder „Appell an die niedrigsten In- Sterben „Bild“ gleich mehrfach mit Pa- fängt sich die Zeitung dafür Unterlassun-
stinkte“ und „geprägt vom täglichen Ein- parazzi-Abschüssen begleitete, grotesker- gen oder Gegendarstellungen ein – und
dringen in das Privatleben öffentlicher weise noch über den Tod der Schauspie- doch, so scheint es, kann sie es nicht las-
Personen“. Christian Schertz weiß, wo- lerin hinaus. Er stritt für die Moderatorin sen. Sie braucht diese Geschichten. Sie
von die Rede ist. Nora Tschirner, die sich erfolgreich dage- sind ihr Sauerstoff.
Im „Bild“-Jargon wäre er „Deutsch- gen wehrte, von „Bild“ wider die Wahr- Ob „Bild“ eine Nacktszene aus der Ver-
lands berühmtester Promi-Anwalt“, im heit mit einem PR-Berater liiert zu wer- gangenheit der Schauspielerin Sibel Ke-
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Titel

killi veröffentlicht und höhnisch kommen- Fischer ist, um die Wahrheit zu sagen, Mädchen“ zeigten. Man habe die Bilder
tiert oder Joachim „Blacky“ Fuchsberger beeindruckend fett. Der schwere Bayer vom Markt gekauft, habe der Mann von
am Grab seines Sohnes zeigt, ob sie Char- ist ein gemütlicher Mensch, durch seine „Bild“ gesagt, da könne jetzt mal zwei
lotte Roche niedermacht oder sich Ge- Parkinson-Erkrankung „entschleunigt“, Tage nichts passieren. Man müsse jetzt
gendarstellungen einhandelt mit Berich- sagt er selber, der Gürtel sitzt weit hoch- überlegen, was man da mache. „Könnte
ten über Oliver Pocher, Nadja Auermann gezogen über einem enormen Bauch, dar- man die nicht unter den Tisch fallenlas-
oder Cosma Shiva Hagen – man kann an- über faltet der Schauspieler die Hände, sen, geht doch niemanden was an“, habe
gesichts der Fülle der Fälle, der ewigen er murmelt Sätze vor sich hin und grinst, Fischer gesagt. Das, so die Antwort, kön-
Wiederkehr des gleichen Musters, zu kei- wenn ihm eine Pointe gelingt. Er wirkt ne man leider nicht machen, man habe
nem anderen Schluss kommen, als dass entspannt, mit sich im Reinen. „Es war ja nun mal die Bilder. „Aber dann ist mei-
sich „Bild“ um Presserecht und einschlä- richtig, wie wir es gemacht haben“, sagt ne Ehe kaputt“, sagte Fischer. Dann müs-
gige Gesetze häufig wenig schert. er. se man das eben, so angeblich der Anru-
Wiederholt druckte „Bild“ auch Papa- Es ist für Fischer ein bedeutender Rol- fer von „Bild“, gemeinsam so formulie-
razzi-Abschüsse der hochschwangeren lenwechsel. Der harmlose Pfundskerl war ren, dass auch seine Frau das verstehe.
Komikerin Anke Engelke, fing sich jedes seine erste Rolle, die „Bild“ ihm auf den Nach so einem Telefonat, sagt Fischer,
Mal Verbote ein, und als Engelkes Kind Leib schrieb, als er noch mitspielte und „da kommt erst mal die Panik“. Aber man
geboren wurde, ging mit den „Bild“-Re- alles noch ein Spiel war, ein Geben und „hofft, man kommt mit denen doch noch
portern die Phantasie durch. Die zugehö- Nehmen, so beschreibt er es. „Bild am überein, weil man ja ein Sympathieträger
rige Gegendarstellung klingt selbst fast Sonntag“ lud ihn und den nicht minder ist“. Tagelang schrieb „Bild“ die Ehekrise
nach Comedy: „Gegendarstellung: In der übergewichtigen Fußballmanager Reiner fort, ließ dem Paar Beziehungstipps von
BILD-Zeitung vom 24. August 2005 Calmund „bei Pasta und Kalbsfilet“ zum B-Promis wie Marie Luise Marjan („Lin-
schreiben Sie über mich auf der Seite 4 300-Kilo-Gipfeltreffen der Superbäuche, denstraße“) und Susanne Fröhlich („Mop-
unter der Überschrift: ‚Anke Engelke – und Fischer machte mit. In „Bild“ ging pel-Ich“) angedeihen. Und als Fischers
Baby da!...Die Comedy-Queen und ihr es in seinem Fall anfangs immer nur um Frau ihn viele Storys später wirklich zu-
Lebensgefährte Claus Fischer (...) freuen Kilos und Diäten, alles ganz locker, es rücknahm („Ich kann meinen Otti nicht
sich über einen Jungen. Sein leiden sehen“), fragte das Blatt:
Name: Adrian-Benjamin. Er „Warum kann diesem Dicken
kam, 3514 Gramm schwer und keiner böse sein?“
gesund, vor 10 Tagen zur Fischer spielte immer weiter
Welt.‘“ Der Text geht weiter mit. Er ließ sich sogar noch auf
mit Engelkes Entgegnung: ein Interview ein, zu dem ihn
„Hierzu stelle ich fest: Mein ein damals bei „Bild“ beschäf-
Sohn ist nicht in Köln zur Welt tigter Redakteur mit einem il-
gekommen. Er heißt weder legal aufgenommenen Sex-Vi-
Adrian noch Benjamin noch deo angeblich genötigt haben
Adrian-Benjamin. Er ist nicht soll. Den Film hatten ein paar
3514 Gramm schwer und kam Huren heimlich gemacht, es
bereits vor über einem Monat waren dieselben Frauen, die Fi-
zur Welt.“ scher auch per Kreditkartenbe-
Über die Jagd nach dem trug um mehr als 70 000 Euro
Stoff, aus dem die „Bild“-Sto- erleichterten.
rys über strauchelnde Promis Der Deal war laut Fischer,
sind, kann niemand besser be- dass er mit dem Blatt redet und
richten als jener Ottfried Fi- dafür das Video verschwindet.
scher, der sich irgendwann zu „Aber was war das für ein
wehren begann. Der Schauspieler Fischer machte sogar Spaß. Die beste Schlagzei- Deal“, sagt Fischer. Dreimal wartete
ist ein Gegner, wie er der „Bild“-Zeitung le? „Ottfried Fischer: Beim Salat er- „Bild“ mit einer neuen Story rund um sei-
nicht schmecken kann. Populär und, wischt“. nen „Huren-Skandal“ auf. Der Redakteur
wenn er sich einmal entschieden hat, un- Er war, sagt er, „so absolut blöd“, sich stritt vor Gericht jeden Erpressungsver-
beirrbar. „Leg dich nicht mit ,Bild‘ an“, auch noch selbst zu privaten Dingen zu such ab. Doch der Richter entschied: Fi-
warnten Freunde von Anfang an. Fischer äußern, weil er dachte, sie so noch ein scher sei genötigt worden. Er verurteilte
war es egal. Er klagte und siegte. „Es war bisschen im Griff behalten zu können. Fi- den „Bild“-Mann zu einer hohen Geld-
ein Befreiungsschlag“, sagt er. Vergleich- schers Privatleben war bunt, und „Bild“ strafe.
bar nur noch mit seinem Geständnis, dass war dabei: Als er eine Affäre mit einem Es war die bitterste Niederlage, die
er Parkinson habe. Auch damals sei eine „Bikini-Mädchen“ („Bild“) hatte; als sein „Bild“ seit langem vor Gericht einstecken
riesige Last von ihm abgefallen. Neffe wenige Wochen nach der Geburt musste. Der Journalist ging in Berufung,
Fischer sitzt in der Kanzlei seines An- Hirnblutungen hatte („Mutter stillt ihr und das Boulevardblatt selbst bezichtigte
walts Steffen Ufer in München. Er erzählt Koma-Baby jeden Tag“); als er von Pro- das Gericht, der Pressefreiheit zu schaden.
von seinen Jahren mit und von seinem stituierten betrogen wurde; als er seine Fischer sagt lapidar: „Pressefreiheit ist kei-
Kampf gegen „Bild“. Wie er Subjekt und Parkinson-Krankheit bekanntgab; als sei- ne Erpresserfreiheit.“ „Ich stelle fest, dass
Objekt, Täter und Opfer des Boulevards ne Frau ihn wegen des „Bikini-Mädchens“ ein Paradigmenwechsel stattfindet.“
war, alles in einem, wie er sich arrangierte verließ („Das Protokoll der traurigen Auf der Straße begegneten ihm die
und kooperierte, wie er sich duckte, bis Trennung“). Menschen ausgesprochen freundlich seit
es ihm reichte. Er ist zum erklärten und Fischer hat ein exzellentes Gedächtnis. dem Prozess. „Lassen Sie sich nicht un-
öffentlichen Gegenspieler der Zeitung Er kann uralte Kabarettnummern kom- terkriegen, sagen die Leute“, so Fischer,
geworden, als er einen ihrer Redakteure plett aus dem Kopf zitieren. Auch ein Te- „die bewundern den Mut, wenn einer ge-
verklagte, auch, wie er sagt, „um in ei- lefonat mit einem „Bild“-Mann hat er gen die ,Bild‘-Zeitung vorgeht.“ Das gilt
nem Fall einmal die nötigenden Machen- abgespeichert. Damals soll es um Fotos für Prominente genauso wie für Men-
schaften der ,Bild‘ evident zu machen“. gegangen sein, die ihn mit dem „Bikini- schen des nichtöffentlichen Lebens.
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Am 27. April 2007 saß Pfarrer Berthold
Bonekamp-Kerkhoff am Schreibtisch sei-
nes Arbeitszimmers, daran erinnert er
sich noch heute ganz genau, in der einen
Hand hielt er die „Bild“-Zeitung, die an-
dere hatte er zur Faust geballt. Immer
wieder schaute er auf diesen Zeitungsar-
tikel, auf die Fotos des Mädchens, das bis
vor kurzem seine Patientin gewesen war.
Es waren Urlaubsfotos, sie zeigten ein
blondes Kind im Bikini, das schüchtern
lächelt. Über den Fotos stand: „Todes-
Drama um schöne Anika († 16)“.
Bonekamp-Kerkhoff leitet das Katho-
lische Kinderkrankenhaus Wilhelmstift in
Hamburg, Anika war dort Patientin bis
zu ihrem Selbstmord, in der Abteilung
Kinder- und Jugendpsychiatrie. Ein Re-
dakteur der „Bild“-Zeitung hatte ihn an-
gerufen kurz nach Anikas Tod. Der Re-
dakteur wollte Details wissen über ihre
Krankheit. Der Priester hatte auf seine
Schweigepflicht hingewiesen und dem
„Bild“-Redakteur erklärt, warum es ge-
ORESTIS PANAGIOTOU / DPA

fährlich und unverantwortlich sei, über


den Suizid des Mädchens zu berichten.
Die anderen Patienten seien nicht auf des-
sen Tod vorbereitet. Die Gefahr, dass sie
Anika in den Freitod folgen wollten, sei
groß, sagte Berthold Bonekamp-Kerkhoff. Gewalttätige Demonstration in Athen: „Ihr griecht nix von uns“
Wenn der Priester, ein hochgewachse-
ner Mann mit breitem Kreuz und sanfter sein Leben beendet hat, wie die Schwes- Öffentlichkeit zerrt, die das nicht wollen.
Stimme, heute über den Fall spricht, schüt- ter davon erfuhr, wie die Eltern reagier- Weil sie Opfer ausstellt, statt sie in Ruhe
telt er noch immer den Kopf. „Ich habe ten. Der Presserat konfrontierte „Bild“ zu lassen. Weil sie Informationspflicht
den Reporter der ‚Bild‘ inständig gebeten, mit der Beschwerde. Ihre Rechtsabteilung behauptet, wo nur in Leid und Schmutz
dass er den Artikel nicht schreibt, den entgegnete, der Artikel über Anikas Sui- gewühlt wird. Und obwohl das so ist,
Kindern zuliebe“, sagt er. Die Zeitung zid sei mit viel Fingerspitzengefühl ge- buhlt sie um gesellschaftliche Anerken-
druckte die Geschichte trotzdem. Und sie schrieben. „Bild“ wurde nichtöffentlich nung – und bekommt sie. Prominente
machte unter den psychisch kranken Kin- gerügt. wie Marius Müller-Westernhagen, Udo
dern im Krankenhaus die Runde. Bone- Die Zeitung wurde gerügt dafür, dass Lindenberg, Richard von Weizsäcker
kamp-Kerkhoff musste die Betreuung sie gegen den Willen der Eltern das Foto oder Veronica Ferres machen kostenlos
durch Psychologen und Psychia- Werbung für „Bild“. Alice
ter verstärken. Einige Kinder Schwarzer wertet das Blatt auf,
durften an den Wochenenden indem sie über den Kachelmann-
nicht mehr nach Hause, aus Prozess schreibt.
Angst davor, dass sie es Anika Es gibt Prominente, die sich ge-
gleichtun könnten. Eine Oberärz- gen die Zeitung stellen, Judith
tin musste in langen Gesprächen Holofernes etwa, die Sängerin
die Eltern der Patienten beruhi- der Gruppe „Wir sind Helden“.
gen. „Es war eine fürchterliche Auf deren Web-Seite kommen-
Zeit“, sagt Bonekamp-Kerkhoff. tiert sie die Anfrage, für „Bild“
Er setzte damals auf Anraten zu werben, mit bösen Sätzen wie:
seines Pressesprechers einen Be- „Ich glaub, es hackt … Die Bild-
schwerdebrief an den Deutschen zeitung ist ein gefährliches poli-
Presserat auf. Er beschwerte sich tisches Instrument – nicht nur ein
darüber, dass der Artikel die stark vergrößerndes Fernrohr in
Regeln des Deutschen Presseko- den Abgrund, sondern ein bösar-
dex verletzte, dessen ethischen tiges Wesen, das Deutschland
Grundsätzen auch die „Bild“-Zei- nicht beschreibt, sondern macht.
tung zu folgen gelobt hat. In Mit einer Agenda.“
Richtlinie 8.5 steht dort unter dem Stich- eines zehnjährigen Jungen zeigte, der bei Es geht bei dieser Werbekampagne
wort „Selbsttötung“: „Die Berichterstat- einem Attentat in Ägypten gestorben war. mit Prominenten und anderen Aktivitä-
tung über Selbsttötung gebietet Zurück- Sie wurde gerügt dafür, das Foto eines ten des Verlags immer um dasselbe Ziel:
haltung. Dies gilt insbesondere für die Mannes ohne dessen Einwilligung gezeigt Die „Bild“ will, obwohl sie ihr Geschäfts-
Nennung von Namen und die Schilde- zu haben, der als Einziger ein Lawinen- modell im Kern kein Stück verändert
rung näherer Begleitumstände.“ unglück überlebt hatte, bei dem drei sei- hat, nicht länger als das Revolverblatt
Der Artikel über Anikas Selbstmord ner Freunde starben. verhöhnt werden, das sie weiterhin ist,
nennt Namen und genaue Begleitumstän- Die „Bild“-Zeitung wird oft gerügt, im- sondern als Leitmedium bewundert wer-
de, es wird geschildert, wie das Mädchen mer wieder. Weil sie Menschen an die den.
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Schrill will sie sein, ja, aber dabei als
seriös durchgehen. Populistisch will sie
trommeln, aber politisch ernst genom-
men werden. Wenn sie Ausländer zum
Problem macht, findet sie sich mutig.
Wenn sie das private Leid Wildfremder
ausbreitet, findet sie sich relevant. Wenn
sie Prominenten hinterhersteigt, glaubt
sie sich auf der Seite der Aufklärung.
Eigentlich ist die „Bild“ noch immer
so berechenbar und so berechnend, wie
sie Heinrich Bölls Heldin in „Die verlo-
rene Ehre der Katharina Blum“ beschrie-
ben hat: Es sei die Pflicht dieser Art Zei-
tungsleute, Menschen um Ehre, Ruf und
Gesundheit zu bringen. Neue Töne haben
sich allerdings eingeschlichen auf den po-
litischen Seiten. Zwischen den bewährten
Mördern, Ludern und Sozialschmarot-
zern darf auch der neue Bundespräsident
vorgeführt werden, als zu weicher, tole-
ranter, feiger Mann, weil er es wagte, in
Muslimen Deutsche zu sehen wie in
Christen und Juden.
Der Eindruck, es mit Millionen Idioten
draußen im Lande zu tun zu haben, ge-
höre zur psychischen Grundausstattung
eines jeden Berufspolitikers, sagte der
Chef des „Bild“-Hauptstadtbüros, Hans
Magnus Enzensberger zitierend, in einer
der Guttenberg-Talkshows der vergange-
nen Woche. Wer jeden Tag „Bild“ liest,
die so lange ihren Slogan „Bild Dir Deine
Meinung“ pflegte, muss zu dem Eindruck
kommen, viele ihrer Redakteure denken
so, wie es angeblich die Politiker tun.
„Bild“-Kolumnist Franz Josef Wagner,
der heute auf Guttenbergs Doktortitel
„scheißt“, schrieb noch im vorvergange-
nen Sommer, als an deutschen Unis ein
Skandal um verkaufte akademische Wür-
den aufflog, an einen „falschen Dr.
Schmidt“: „Wenn der Doktortitel heute
verramscht wird, dann müssen wir uns
nicht wundern, wenn Nobelpreise andere
kriegen.“
Selten war die Kampfkraft der „Bild“-
Zeitung so beansprucht wie in der ver-
gangenen Woche, als Doktor Guttenberg
zerschossen zu werden drohte. Den Titel
hatte auch der Springer-Verlag nicht ret-
ten können, jetzt ging es nur noch um
das politische Amt. Und da wartete neues
Ungemach. Weil durch Guttenbergs Bun-
deswehrreform demnächst ein Mangel an
Soldaten droht, hat das Verteidigungsmi-
nisterium eine breite Werbekampagne in
Auftrag gegeben – als Plattform dafür war
der Springer-Verlag schnell zur Stelle.
Nun ist die „Bild“-Zeitung nicht mehr
nur die journalistische Leibgarde des Karl-
Theodor zu Guttenberg, sondern sein An-
zeigenblatt gleich noch dazu.
Und so bringt jeder neue Tag nur neue
Rätsel, zu denen sich der Mensch seine
Meinung bilden muss.
M����� B�����, M����� F������������,
U������ F�������, I������ H�����, D���
K���������, M����� U. M�����, T���� W�����

� � � � � � � � � � 9 / 2 0 1 1 141
Titel

völkerung. Wenn also di Lorenzo ein Po-


pulist ist, fühle ich mich in dieser Gesell-
schaft wohl.

„Zwischen allen Stühlen“


SPIEGEL: Der Unterschied zwischen
„Zeit“, SPIEGEL und Ihrer „Bild“-Zei-
tung könnte darin liegen, dass Ihre Texte
zu kurz und die Überschriften zu groß
„Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann, 46, über Politik und Populismus sind, um schwierige Themen vernünftig
diskutieren zu können.
Diekmann: Oder aber, ein ganz verwege-
SPIEGEL: Herr Diekmann, glauben Sie, als „Verlierer des Tages“ statt. Die Titel- ner Gedanke: Vielleicht ist die „Bild“-
dass es Aufgabe von Journalisten ist, ei- zeile „Das wird man ja wohl noch sagen Zeitung in ihrer Haltung nur klarer als
nen Minister im Amt zu halten? dürfen“ war eine Antwort auf das Bemü- der SPIEGEL?
Diekmann: Ein Minister muss sich selbst hen der Politik, eine Debatte im Ansatz SPIEGEL: Vielleicht verwechseln Sie klar
im Amt halten. Für „Bild“ wie für den zu ersticken. Die Aussagen, die wir auf mit dumpf und simpel?
SPIEGEL gilt: Aufgabe von Journalisten Seite 1 ganz sauber und vorsichtig for- Diekmann: Das wird es wohl sein … Jetzt
ist es, das Zeitgeschehen zu beobachten, muliert haben … mal Spaß beiseite: Ihre Sarrazin-Bericht-
es darzustellen, zu analysieren und zu SPIEGEL: … vorsichtig? „Ich will mich nicht erstattung zum Beispiel hat sich den För-
kommentieren. dafür entschuldigen müssen, ein Deut- derpreis für größtmögliche Verwirrtheit
SPIEGEL: Halten Sie die Aussage von Mi- scher zu sein“, hieß es da, oder: „Nicht redlich verdient. Erst ein Buchkapitel von
nister Guttenberg für glaubwürdig, ihm wir müssen uns den Ausländern anpas- Sarrazin unkommentiert vorab veröffent-
seien „Fehler unterlaufen“, er habe ohne sen, sondern sie sich uns“. Halten Sie das lichen, ihn dann nach allen Regeln der
Vorsatz Dutzende fremde Textpassagen für „vorsichtig formuliert“? Kunst zerlegen – da durfte wirklich jeder
auf über 100 Seiten seiner Doktorarbeit Diekmann: Genauso hat das der Europa- mal ran – und schließlich große SPIE-
eingefügt und die Quellenangaben ver- minister der Türkei in „Bild“ gesagt: „Ich GEL-Aufregung über die ganze mediale
gessen? fordere meine türkischen Landsleute und Aufgeregtheit. Das ist wie ein Haus an-
Diekmann: Karl-Theodor zu Guttenberg alle Deutschen türkischer Herkunft auf: zuzünden und dann verwundert zu fra-
hat einen Fehler gemacht und sich ent- Lernt Deutsch! Passt euch den Sitten und gen: Warum brennt das hier lichterloh!?
schuldigt. Wie man das beurteilt, ist eine Gebräuchen eures Gastlandes an!“ Was Kamen Ihre Leser da eigentlich noch mit?
Frage des Standpunkts. Der „Zeit“-Chef- stand denn da noch auf unserer Seite 1? Gekrönt wird das alles von dem Um-
redakteur Giovanni di Lorenzo schreibt „Wer Arbeit ablehnt, verdient keine Stüt- stand, dass der SPIEGEL – anders als
beispielsweise: „Sein Amt soll er be- „Bild“ – für den Sarrazin-Vorabdruck
halten. Und sich darin künftig allein sogar Geld gezahlt hat.
an seiner Leistung messen lassen.“ SPIEGEL: Das ist schön, ausgerechnet
SPIEGEL: Was müsste passieren, damit von Ihnen als Brandstifter hingestellt
die „Bild“ Minister Guttenberg nicht zu werden. Aber wir wollen Sie mit
mehr für ministrabel hält? einem Lob überraschen: Was halten
Diekmann: Voraussagen soll man un- Sie von der These, dass „Bild“ am
bedingt vermeiden, besonders solche Ende die Demokratie stützt, weil sie
über die Zukunft. Der Satz stammt ein Ventil für angestauten Volkszorn
übrigens nicht von mir, sondern von ist?
Mark Twain. Diekmann: Anders. Die „Süddeutsche
SPIEGEL: Kann man die „Bild“-Zei- Zeitung“ hat einmal geschrieben,
tung heute politisch verorten? „Bild“ sei der Seismograf der deut-
Diekmann: Ja, eindeutig: zwischen al- schen Befindlichkeit. Weil wir nicht
len Stühlen. nur die Fakten nennen, sondern auch
SPIEGEL: Als Sie vor einigen Wochen sagen, wie sie sich anfühlen, sind wir
mit der Schlagzeile „Das wird man ja das Leitmedium: Bei uns erfahren
wohl noch sagen dürfen“ erschienen, die Leute, was das Land zusammen-
erinnerte „Bild“ eher an die Rechts- hält, was die Menschen bewegt.
radikalen in den achtziger Jahren. SPIEGEL: Wenn Sie titeln: „Die bittere
Diekmann: Unsinn. Ich werfe dem Wahrheit über Hartz IV und die Aus-
SPIEGEL ja auch nicht vor, mit sei- länder“, dann werfen sie ein Problem
nen unzähligen Hitler- und Goebbels- ze“, „Wer nichts gelernt hat, soll hinterher auf, zu dem es im Volk noch gar keine
Titeln die Sentimentalitäten von irgend- nicht jammern, dass er keinen Job be- Stimmung geben kann. Können Sie ver-
welchen Alt-Nazis zu bedienen. Im Ernst: kommt“, „Auf den Schulhöfen muss stehen, dass man das Stimmungsmache
Anfang der Achtziger wurde ich in der Deutsch gesprochen werden“. Oder: nennt?
Schule als Rechtsradikaler und Revan- „Kinderschänder gehören für immer weg- Diekmann: Ist das Ihr Ernst? Sie halten die
chist beschimpft, weil ich für die Wieder- gesperrt“. Sätze, wie Sie sie in jedem Menschen in Deutschland doch hoffent-
vereinigung war. Mitte der Achtziger war Wirtshaus hören können. Und von diver- lich nicht für so komplett ahnungslos,
ich Parlamentskorrespondent in Bonn. sen Spitzenpolitikern … dass sie sich erst von Thilo Sarrazin, Kirs-
Hätte ich den Grünen damals bei ihren SPIEGEL: … also reiner Populismus. ten Heisig, Giovanni di Lorenzo oder
öffentlichen Fraktionssitzungen prophe- Diekmann: Wenn das Populismus ist, dann „Bild“ erzählen lassen müssen, dass in
zeit: „In spätestens 20 Jahren wollt ihr ist auch die „Zeit“ ein Populisten-Blatt. Sachen Ausländer-Integration etwas im
Pflicht-Deutschkurse für Ausländer“, Deren Chefredakteur hat in einem gro- Argen liegt?
dann hätten sie diese Forderung als krass ßen Leitartikel auf Seite 1 als Erster die SPIEGEL: Die „Bild“-Zeitung erzählt den
rechtsradikal weit von sich gewiesen. Die Frage aufgeworfen, warum Migranten in Menschen in Deutschland jeden Tag, wor-
Debatten haben sich weiterentwickelt. Deutschland doppelt so häufig auf Sozial- über sie sich heute aufzuregen haben.
Und Rechtsradikale finden in „Bild“ nur hilfe angewiesen sind als der Rest der Be- Aber vermutlich liegt das einfach am
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wollen, dann besteht dies heute vor allem
in der Reichweite von zwölf Millionen Le-
sern. Kein Medium erreicht noch so viele
Menschen, selbst das Fernsehen nicht –
weil es sich selbst zerlegt hat.
SPIEGEL: Nur ist eben Ihre Bereitschaft,
Menschen interessant zu finden, offen-
kundig viel größer als bei anderen Me-
dien.
Diekmann: Das müssen Sie gerade sagen:
Titelstory über Robert Enke, über Margot
Käßmann, über Michael Jackson … Men-
schen interessieren sich nun mal für
nichts so sehr wie für andere Menschen.
Wir fragen: Gibt es da jemanden, der die
Menschen besonders bewegt? Das gilt für
die Politik genauso – und damit macht
auch der SPIEGEL Auflage: Erst wurde
Guttenberg mit einer Titelgeschichte run-
tergeschrieben, dann wurde er mit der
nächsten Titelgeschichte wieder hochge-
schrieben.
SPIEGEL: Der Schauspieler Ottfried Fischer

CARSTEN KOALL
ist mit „Bild“, wie sich Ihr Vorstandschef
Döpfner ausgedrückt hat, im Fahrstuhl
nach oben gefahren, und als es abwärts
Chefredakteur Diekmann: „Eine sehr schlechte Nachricht für den Journalismus insgesamt“ ging, war „Bild“ weiterhin dabei. Dabei
sind Sie aber offenkundig zu weit gegan-
Genre, das Sie bedienen: Wie würden Sie in Sachen Sport und Unterhaltung, son- gen bis hin zur Nötigung, wie ein Gericht
denn „Boulevard“ heute definieren? dern auch im Bereich Politik und Wirt- jüngst geurteilt hat.
Diekmann: Boulevard ist eine lebendige schaft. Wer gehört werden will, der Diekmann: Ein Fehlurteil, und zwar ein
Straße. Und wir sind eine Zeitung für die kommt an „Bild“ nicht mehr vorbei – krasses. Es wird, davon bin ich fest über-
Menschen auf der Straße und nicht nur von Petraeus bis Bush, von Ackermann zeugt, in den Instanzen keinen Bestand
für die Elite auf der Empore des guten bis Google-Chef Eric Schmidt. haben. Alles andere wäre eine sehr
Geschmacks. Außerdem ist Boulevard ein SPIEGEL: Fehlt eigentlich nur noch, dass schlechte Nachricht für den Journalismus
Gattungsbegriff, der die Tatsache be- Sie gleich sagen, Sie wollten werden wie insgesamt.
nennt, dass sich unsere Zeitung zu 99 Pro- die „FAZ“. SPIEGEL: Sie haben Fischer mit einem Vi-
zent am Kiosk verkauft. Uns muss es je- Diekmann: Bloß nicht, es geht mir nur um deo gedroht, das ihn beim Sex mit Pro-
den Tag gelingen, so überzeugend zu die heuchlerische Kritik an Boulevard- stituierten zeigt. Gehört das zu Ihrer Re-
sein, dass unsere Käufer wieder 60 Cent Themen. Wenn die „Süddeutsche Zei- cherche?
auf den Tisch legen. tung“ uns vorwirft, was der furchtbare Diekmann: Wir haben Fischer zu keinem
SPIEGEL: Und dabei helfen knackige Ge- Boulevard alles über die arme Britney Zeitpunkt mit einem Video gedroht!
schichten über Ausländer besonders gut? Spears zusammenträgt – dann aber genau Ganz im Gegenteil – Fischer selbst hat
Diekmann: Lesen Sie doch mal „Bild“. Wir diese Details selber auf einer halben Seite erklärt, er habe seine PR-Agentin gebe-
haben den Bombenskandal von Kunduz rekapituliert, dann finde ich das schwierig. ten, bei „Bild“ nachzufragen, ob dort der
enthüllt. Wir haben mit unseren Recher- SPIEGEL: Glauben Sie wirklich an diese to- Film bekannt sei. Dies habe die Agentin
chen den Brandenburgischen Innenminis- tale Boulevardisierung? getan. In der Beweisaufnahme vor Ge-
ter zum Rücktritt gezwungen. Wir beschäf- Diekmann: Emotionalisierung, Personali- richt hat sie zudem ausgesagt, dass sie
tigen uns auf 3000 Zeilen mit dem neuen sierung sind nun mal erfolgversprechend, von unserem Reporter zu keinem Zeit-
Buch des Papstes, oder wir stoßen eben – das funktioniert. Der SPIEGEL berichtet punkt unter Druck gesetzt wurde.
gemeinsam mit dem SPIEGEL – eine der ja auch nicht zuallererst über Parteipro- SPIEGEL: So oder so bleibt es ein Fall, der
wichtigsten Debatten des Jahres an, mit gramme … zeigt, wie tief die „Bild“-Zeitung im Pri-
dem Vorabdruck von „Deutschland schafft SPIEGEL: … wie kommen Sie denn darauf? vaten und Intimen von Prominenten
sich ab“. All das sind heute Inhalte, die Diekmann: … sondern über das politische wühlt.
zum Boulevard gehören. So wie es zur Personal. Und deshalb nehmen Sie von Diekmann: Nein. Es bleibt ein Fall, der
heutigen journalistischen Realität gehört, WikiLeaks natürlich die ganzen schönen zeigt, wie überfordert die Justiz bisweilen
dass „Süddeutsche“ und „FAZ“ über Die- Klatschgeschichten, machen mit „Teflon- ist und wie schlecht das Gedächtnis von
ter Bohlen und Kachelmann berichten. Merkel“ auf – und auf dem SPIEGEL- Ottfried Fischer funktioniert. Ansonsten:
SPIEGEL: Wir sind hier, um über „Bild“ zu Cover geht’s um Berlusconis Sexpartys Das Private ist nicht immer privat. Siehe
reden, nicht über andere Blätter. und Gaddafis üppige Blondinen. Weil es Seehofer, siehe Brandenburg – wo Ex-
Diekmann: Sehr gern. Klaus Staeck, kein so besser funktioniert. Minister Rainer Speer die Steuerzahler
wirklicher Freund von „Bild“, hat vor ei- SPIEGEL: Sie unterschlagen ganze SPIE- für sein uneheliches Kind Unterhalt zah-
niger Zeit formuliert: „Der Skandal eines GEL-Ausgaben prallvoll mit Artikeln, die len ließ. Das Private kann schnell um-
ganzes Berufsstandes besteht darin, dass nichts mit Klatsch, aber alles mit Welt- schlagen ins Politische, ins Relevante. Das
es ,Bild‘ gelungen ist, die kaum mehr be- politik zu tun hatten. Der Boulevard, die gilt auch für Schauspieler. Wer im Fern-
strittene Meinungsführerschaft in den Me- Verkürzung – das sind Sie. Was macht sehen einen Polizisten spielt, im wirkli-
dien zu erringen.“ „Bild“ fordert Blätter denn sonst die „Bild“-Zeitung aus? chen Leben aber mit Koks in der Tasche
wie den SPIEGEL ganz klar heraus. Heu- Diekmann: Wenn Sie mit mir über das Al- festgenommen wird, wird zum Thema.
te sind wir nicht mehr nur Leitmedium leinstellungsmerkmal von „Bild“ reden I��������: U������ F�������

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