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uch in finsteren Zeiten kann sich um die Widersprüche zwischen Print- Kampagne – einen entspannten Chefre-
Verteidigungsminister Karl-Theo- und Online-„Bild“ aufzulösen. dakteur. Kai Diekmann sitzt in seinem
dor zu Guttenberg auf treue Das blieb in der schnellen Welt des In- Büro, trinkt Tee und knabbert Nüsse, wäh-
Freunde verlassen, vor allem wenn es sich ternets nicht unbemerkt. Journalisten er- rend sich draußen das „Schnee-Chaos“
um Journalisten aus dem Hause Springer kundigten sich nach dem Verbleib und des Winters entfaltet. Es herrscht eine
handelt. Am Dienstag war die „Bild am dem Ergebnis der Internetbefragung, die „Horror-Kälte“, „Berlin bibbert“, und die
Sonntag“-Redakteurin Anna von Bayern daraufhin wieder auf Bild.de zurückkehr- Schlagzeile für den nächsten Morgen steht
in der ARD-Sendung „Maischberger“ zur te. Ergebnis bis Samstag 1.15 Uhr: 57 Pro- auch schon fest, groß, fett, weiß auf
Stelle und rang wie eine Ehefrau um Ver- zent für den Rücktritt. schwarz: „Diese Deutschen wollen wir öf-
ständnis für den jungen Familienvater, Es war ein weiterer der verzweifelten ter im TV sehen!“. Das ist kein Vorschlag.
der in siebenjähriger Nachtarbeit seine Versuche der Zeitung, einem in der Kritik Es ist ein Befehl. Er kommt von der „Bild“-
Doktorarbeit erstellt, dabei ein paar Feh- stehenden Minister beizustehen und Vol- Zeitung. Im Namen des Volkes.
ler gemacht und nun als groß- Alfred Draxler hat Redak-
artiger Minister Ziel einer Kam- tionsdienst, er führt die Ge-
pagne geworden sei. Aber: „Er schäfte, es ist ein Donnerstag,
ist auch ein Mensch.“ ein routinierter Werktag im Le-
Am Mittwoch, nachdem der ben der Redaktion, Draxler ist
Minister im Bundestag Mühe Diekmanns Stellvertreter, ein
gehabt hatte, die Fragen der grauer Mann mit knochigem
Opposition nach dem Umfang Händedruck und dem Gesicht
der Plagiate in seiner Doktor- eines gealterten Fuchsmajors,
arbeit zu beantworten, saß der er bereitet die Themen und
Berliner Bürochef der „Bild“- Zeilen für die Ausgabe des
Zeitung, Nikolaus Blome, bei Folgetags vor. Er steht im an-
„Hart aber fair“ und vernied- schwellenden Brummen vor
lichte die Schwere des Täu- Redaktionsschluss im Herzen
schungsversuchs („Der Unter- der „Bild“-Hauptredaktion, im
gang des Abendlandes fällt aus, Springer-Haus hoch über Ber-
trotz dieser Doktorarbeit“) und lin, Fotochefs sind da, Grafiker,
stellte im Namen der „Bild“- Ressortleiter, Titel- und Online-
Redaktion ein Generallob aus Redakteure, sie alle bevölkern
(„Wir haben eine Meinung zu einen 20 Meter breiten Riegel
diesem Minister, wir finden ihn gut“). Kri- kes Meinung für ihn zu mobilisieren. Er aus weißen Tischen, den sie den „Balken“
tikern hielt er eine „Bild“-Schlagzeile ent- markierte den vorläufigem Höhepunkt nennen. Draxler hält einen Packen Papier
gegen: „Nörgler, Neider, Niederschreiber, einer Kampagnenwoche, wie sie auch in in den Händen, Agenturmeldungen,
einfach mal die Klappe halten.“ der wilden Geschichte der „Bild“-Zeitung pfundweise, auf Flachbildschirmen über
Während der Bürochef der „Bild“ im höchst selten ist. den Köpfen leuchten Seitenentwürfe.
Fernsehstudio saß, quälten sich im Berli- Am Tag, nachdem die „Süddeutsche Der „Balken“ der „Bild“ erinnert an
ner Springer-Haus an der Kreuzung von Zeitung“ erste Plagiatsvorwürfe gegen Kommandobrücken aus Weltraumfilmen,
Axel-Springer- und Rudi-Dutschke-Stra- Guttenberg laut werden ließ, fragte „Bild“ an einen modernen Gefechtsstand, turn-
ße die Redakteure mit den Tücken einer noch: „Ist Deutschlands beliebtester Po- hallengroß. Befehligt wird von hier oben
Volksbefragung. Die „Bild“-Leser waren litiker ein Mogel-Minister?“, während ein Heer von 800 Journalisten und noch
aufgerufen, sich telefonisch für oder ge- Brieffreund Franz-Josef Wagner schon mehr „Leser-Reportern“, gearbeitet wird
gen den Verbleib des Ministers im Amt ans Volk appellierte: „Macht keinen gu- an Europas größter Tageszeitung: drei
auszusprechen („Heute stimmt Deutsch- ten Mann kaputt. Scheiß auf den Doktor.“ Millionen Käufer, zwölf Millionen Leser
land ab!“). Am 18. Februar titelte „Bild“: „Der Mi- täglich, 27 Regionalausgaben von der See
Gleichzeitig konnten aber auch die nister kämpft an allen Fronten“, am 19. bis zu den Alpen, von der Oder bis zum
Nutzer von Bild.de über die Frage abstim- jubelte sie: „Gut! Guttenberg bleibt!“, am Rhein.
men, ob Guttenberg zurücktreten solle. 23. endlich ließ sie Deutschland abstim- Die „Bild“ ist ein dicker Brocken der
Als sich – online – eine Mehrheit gegen men, um am 24. im Kommentar von Ernst deutschen Geschichte, schon ihrer schie-
den Minister abzeichnete, nahmen die Elitz zu vermelden: „Das Volk verzeiht.“ ren Größe wegen, und für ihre Schlagzei-
Redakteure die Befragung vorüberge- Wenn man wissen will, wie diese Zei- len und Kampagnen, ihre Verfehlungen
hend von der Website und diskutierten, lenmaschine funktioniert, dann trifft man – und Geistesblitze wurde sie zu allen Zei-
wie man das Verfahren umstellen könne, abseits solcher Tage einer heißlaufenden ten gehasst, geliebt, bespuckt, bewundert,
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CARSTEN KOALL / DER SPIEGEL
„Bild“-Chefredakteur Diekmann: Er zieht mit der Botschaft um die Häuser, „Bild“ markiere die gediegene Mitte Deutschlands
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in Romanen und Gedichten verewigt, in
Popsongs geschmäht. Sie ist, im Wesent-
lichen, gleich geblieben, über all die Jahre
und Jahrzehnte, und die vergangenen Mo-
nate machen keine Ausnahme.
Lärmend marschierte „Bild“ vorneweg,
als Leibgarde von Karl-Theodor zu Gut-
tenberg, sie befeuerte die Debatte über
die Thesen Thilo Sarrazins, fröhlich surfte
sie auf den Wogen der europäischen Fi-
nanzkrise, und bei alldem stellten sich
die alten Fragen, um die es immer geht,
wenn es um die „Bild“-Zeitung geht: Ar-
beitet sie eigentlich auf der Höhe ihrer
publizistischen Macht? Schreibt sie nur
auf, was „das Volk“ angeblich umtreibt?
Spielt „Bild“, unter dem Druck einer sin-
kenden Auflage, immer lauter den popu-
listischen Krawallmacher? Den Einpeit-
scher, der unter dem Motto „Das wird
man ja wohl noch sagen dürfen“ gegen
Ausländer, Kinderschänder, gegen den
Islam die Trommel rührt?
Angesichts von zwölf Millionen Lesern
täglich sind das Fragen von Gewicht. Auf
den Fluren des Reichstags, in den Minis-
terien und auch im Kanzleramt besteht
die ausgeprägte Neigung, „Bild“-Schlag-
zeilen ohne weitere Prüfung als gültigen
Ausdruck des Volkswillens aufzufassen.
Politiker aller Parteien fürchten sich vor
„Bild“-Enthüllungen über ihr Privatleben.
Und, auch dies gehört zum Lagebild,
nicht wenige Journalisten in der Haupt-
stadt betrachten die „Bild“-Zeitung als
KAY KIRCHWITZ / STAR PRESS
mokratie leisten sollen, nämlich Kontrolle ein anderer Typus Politiker ist. Sie ist bür- Dass sie immer weiter Ressentiments
der Institutionen und der Regierenden, gerlicher Herkunft und hat intellektuelles schürt und den rechten Bodensatz auf-
hin zur Umdeutung dieser Rolle durch Format. wirbelt, dass sie wie ein Brandstifter zün-
„Bild“ – ein Massenmedium, das sich zum Die „Bild“ ist für Merkel Segen und delt, mal hier, mal da, empört Spreng.
Förderer von Ministern macht, die ihnen Fluch zugleich. Sie ist eine Politikerin, die Die „Bild“-Schlagzeile zur „bitteren
zupass und zu Diensten sind. Angst hat vor Stimmungen, weil sie nicht Wahrheit über Hartz IV und Ausländer“
Wer Kai Diekmann mit dem Vorwurf der Typ Volkstribun ist, der Stimmungen und die andere zum Thema, was man
des Populismus kommt, erhält von ihm steuern kann. Am liebsten ist es ihr, die „doch wohl noch sagen dürfen“ muss, hält
Antworten, die so klingen, als könnte er Deutschen bleiben ruhig und ausgegli- Spreng nicht für Ausrutscher, sondern für
zwischen populistischer Verkürzung und chen. Deshalb sieht sie Kampagnen, wie gefährlich. Mag „Bild“ auch bei weitem
sachlicher Argumentation nicht sauber un- sie die „Bild“ gegen Griechenland führte, nicht das ganze Wahlvolk erreichen, in
terscheiden. Als wüsste er nicht, dass es nicht unbedingt gern. Andererseits glaubt der eigenen Leserschaft wiegen ihre Wor-
im Journalismus einen Unterschied macht, Merkel aber, den medialen Rückenwind te schwer. „Durch solche Kampagnen“,
ob man einen Tatbestand benennt, analy- des Boulevards für ihre Politik zu brau- schimpft Spreng, „wird publizistisch der
siert und einordnet – oder ob man ihn be- chen. Manchmal ist es die „Bild“-Zeitung, rote Teppich ausgerollt für eine Partei,
nutzt, um Stimmung zu machen, Vorur- die ihre spröden Politikentwürfe durch die noch nicht gegründet ist, geführt von
teile zu schüren und Kampagnen zu be- knackige Schlagzeilen emotionalisiert einem deutschen Jörg Haider.“ Das klingt
treiben. Diese Haltung bleibt nicht ohne und so greifbarer macht. nicht nach Mitte der Gesellschaft.
Folgen, wie sich an der Berichterstattung Für ihren Umgang mit „Bild“ hat die Stützt „Bild“ am Ende die Demokratie,
der „Bild“-Zeitung über die europäische Kanzlerin eine Strategie der drei An- weil sie ein Ventil für angestauten Volks-
Finanzkrise modellhaft zeigte. sprechpartner. Sie umgarnt den Chefre- zorn ist? Wer ihren Chefredakteur da-
Als im Februar vergangenen Jahres dakteur Diekmann und pflegt ihr Verhält- nach fragt, hört Sätze, die er schon in
klarwurde, dass Griechenland ohne finan- nis zu Friede Springer, beide Frauen ver- vielen Interviews gesagt hat, immer ein
zielle Hilfe bald zahlungsunfähig sein bindet mehr als nur ähnliche politische wenig variiert, im „Focus“, in der „Süd-
würde, fragte „Bild“ noch vergleichswei- Überzeugungen. Zudem hält sie auch den deutschen Zeitung“, in der „Frankfurter
se vorsichtig: „Reißt Griechenland die Vorstandschef von Springer, Mathias Rundschau“. Es geht dann um die deut-
deutschen Banken in die Plei- sche Befindlichkeit und wie die
te?“ Zehn Tage später ging ein „Bild“-Zeitung sie abbildet. Es
Feuerwerk der Schlagzeilen los. geht um den Unterschied zwi-
„Griechen streiten und streiken, schen realer und gefühlter Tem-
statt zu sparen“, „So verbren- peratur, wobei sich „Bild“ vor
nen die Griechen die schönen allem für Letztere zuständig
Euros“, bald folgten klare An- fühlt – und die Hitze manchmal
weisungen: „Kein Geld für gleich mitliefert.
Griechenland!“, „Ihr griecht Wenn die Titelzeilen heißen:
nix von uns!“ „Bild“ fragte das „Die bittere Wahrheit über
Volk: „Warum zahlen wir den Hartz IV und die Ausländer“,
Griechen ihre Luxus-Renten?“, dann wird bei Licht betrachtet
und die Zeitung gab den Grie- kein Problem aufgeworfen,
chen praktische Tipps: „Ver- sondern Stimmung gemacht.
kauft doch Eure Inseln, ihr Plei- Solche Gedanken hält Diek-
te-Griechen … und die Akro- mann allerdings für komplet-
polis gleich mit!“ ten Unsinn. In seinen Ge-
In der Summe der Kampa- sprächen findet sich diese Ar-
gne ergab sich das Bild eines gumentationsstruktur immer
Volkes, das rund um die Uhr wieder: Die Deutschen sind
streikt, morgens gern lange schläft, auf Döpfner, bei Laune. Als der im Oktober schlau genug, Probleme wie jene bei der
Kosten anderer lebt und korrupt ist bis in die Potsdamer Villa Schöningen zu ei- Ausländerintegration selbst zu erkennen,
unter die Halskrause. Ist das Journalis- ner Ausstellung von Anselm Kiefer ein- sie brauchten dabei die Hilfe der „Bild“
mus? Oder Kabarett? lud, machte Merkel, die ansonsten kaum oder anderer Zeitungen nicht.
Auf dem Höhepunkt der Kampagne Vernissagen besucht, selbstverständlich Den Unterschied zwischen einer De-
verteilte ein Reporter in Athen Drachmen ihre Aufwartung. batte – wie sie im SPIEGEL, der „Zeit“
an die Bevölkerung und ließ sich dabei Will sie das? Oder glaubt sie, es zu müs- und anderen Blättern über Bücher von
stolz fotografieren. „BILD gibt den Plei- sen? Michael Spreng war einst Chef- Thilo Sarrazin und Kirsten Heisig geführt
te-Griechen die Drachmen zurück“, stand redakteur der „Bild am Sonntag“, schrieb wurde – und einer Kampagne, die eine
darüber. Und all die Stimmungsmache dort in Leitartikeln Schröder hoch, später gesellschaftliche Debatte instrumentali-
wurde von Appellen an die deutsche wurde er Politikberater und coachte siert, verwischt der „Bild“-Chef. Er sieht
Politik flankiert, die Befehlscharakter hat- Edmund Stoiber, als der gegen Schröder sein Blatt als Leitmedium, als Meinungs-
ten: „Frau Merkel, bleiben Sie bei Ihrem antrat. Wenn einer das Verhältnis zwi- führer, und natürlich redet er nicht dar-
Nein!“ hieß es oder: „Herr Vizekanzler, schen Politik und „Bild“ kennt, die Ab- über, dass die Leserschaft – trotz aller
wir nehmen Sie beim Wort!“ gründe des Berliner Betriebs auch, dann Masse – doch immer nur einen nicht re-
Als Altkanzler Gerhard Schröder zu Spreng. Und er glaubt, dass die Politik präsentativen Ausschnitt der Bevölkerung
seinen aktiven Zeiten einmal sagte, für das Blatt weit überschätzt. „Die ‚Bild‘ ist bildet und gebildet hat.
die Politik brauche er nur „Bild“, nur so mächtig, wie Politiker glauben, Das Phantombild eines durchschnittli-
„BamS“, Glotze, passte das zum Typus dass sie es ist“, sagt er. Die Zeitung könne chen „Bild“-Lesers zeigt weiterhin einen
Politiker, den er verkörperte, zu einem, Themen setzen, auf die die Politiker rea- nicht mehr ganz jungen Mann mit eher
der von unten kam und sehr handfest gieren müssten. Aber, sagt Spreng, „,Bild‘ schwacher Schulbildung und geringem
Politik machte. Seine Nachfolgerin An- bewegt keine Wähler von einer Partei zu Einkommen. Gemessen an den Inhalten
gela Merkel sieht das ähnlich, obwohl sie anderen“. der Zeitung, so steht zu vermuten, dürfte
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Titel
er des Weiteren ein eher konservativer gen Trittin, Karl Lauterbach und ein paar Zum Dank dafür darf die „Bild“
Mensch sein, der Europa nicht leiden andere wissen das. „Bild“ ist im Schlech- manchmal mitregieren. Als die „Gorch
kann, mit Ausländern wenig am Hut hat, ten wie im Guten treu. Und das weiß nie- Fock“ wie ein Pestschiff im Hafen von
die Globalisierung fürchtet, lieber RTL mand besser als Verteidigungsminister zu Ushuaia ankerte, reichte schon die An-
als ARD schaut und politisch zum Nicht- Guttenberg und seine Frau Stephanie, kündigung einer giftigen „Bild“-Titelge-
wählertum tendiert. laut „Bild“-Zeitung längst „die heimliche schichte, den Verteidigungsminister, der
Die Politik muss sich, ob sie will oder First Lady“ der Republik. gerade noch selbst vor „Vorverurteilun-
nicht, zum Lieblingsblatt von zwölf Mil- Wie Guttenberg in „Bild“ fortlaufend gen“ gewarnt hatte, zur Amtsenthebung
lionen potentiellen Wahlbürgern irgend- gehuldigt wird, sucht selbst in der schil- des Kapitäns anzustiften, verkündet die-
wie verhalten. Ins Grobe gesprochen las- lernden Historie des Blatts seinesgleichen. ses Mal in der „Bild am Sonntag“, mit ei-
sen sich im Berliner Betrieb drei Katego- „Bild“ macht kein Hehl mehr daraus, wen nem markigen „Es reicht!“.
rien von Politikern ausmachen, was den sie gern und bald im Kanzleramt sehen Die politische Klasse spürt die Macht
Umgang mit „Bild“ angeht: die Freunde, möchte. Mit Guttenberg, so hat es den der „Bild“ immer dann besonders, wenn
die Kollaborateure und die Verweigerer. Anschein, will sie sich erstmals einen ei- Politik und Privatleben ungut kollidieren.
Zum Freundeskreis zählen alte konserva- genen Kandidaten schaffen, und das Horst Seehofer hat das erlebt, auch ande-
tive Haudegen wie Michael Glos oder Ro- klingt so: „CSU-Chef, Ministerpräsident ren wurde übel mitgespielt, wenn sie sich
land Koch, Ex-Kanzler Gerhard Schröder oder sogar Kanzler … In welches Amt neu verliebten, ihre Familien verließen,
war lange Zeit mit von der Partie, SPD- stürmt Guttenberg 2011?“ uneheliche Kinder zeugten. In solchen Fäl-
Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier Schon zu Kanzler Helmut Kohl hielt len, wenn sich alle Grundzutaten des Bou-
ließ seine Nierenspende von den „Bild“- der damalige stellvertretende „Bild“-Chef levards – Personalisierung, Emotionalisie-
Organen begleiten, niemand ist derzeit Diekmann keinerlei Distanz, schrieb rung, Skandalisierung und Politisierung –
mit heißerem Herzen Freund als Vertei- dessen Deutsche-Einheits-Memoiren, be- in einem Topf verrühren lassen, vergessen
digungsminister zu Guttenberg. Sie wer- jubelte das Aussehen von dessen erster die „Bild“-Reporter manchmal, wie im
den von „Bild“-Kolumnisten wie Hugo Gattin Hannelore und wurde dessen Trau- Rausch, die Regeln des Berufs.
Müller-Vogg umgarnt und stets Claudia Roth hat diese Erfah-
zuvorkommend behandelt. rung gemacht; die seltsamen
Das Spiel funktioniert so: Schlagzeilen über sie sind zwar
Die Politiker erzählen ihren schon fünf Jahre her, aber bis
Freunden von „Bild“ ein paar heute ist sie im Visier des Blatts,
halbprivate, vergnügliche nachdem sie sich gegen Anwür-
Anekdoten aus Fluren und fe zur Wehr setzte. „Bild“ hatte
Hinterzimmern, die bald in Ko- in großen Lettern und auf gro-
lumnen verwurstet werden. Im ßem Raum über eine vermeint-
Gegenzug ist auf „Bild“ Ver- liche „Amigo-Affäre“ der Grü-
lass, wenn es für die politi- nen-Politikerin berichtet. Der
schen Gönner brenzlig wird. Vorwurf lautete, dass sie ihrem
Vergangene Woche, als Minis- Lebensgefährten „lukrative
ter Guttenberg von den Schwä- Staatsaufträge“ verschafft habe.
chen seiner Doktorarbeit ein- Nur war die ganze Geschichte
geholt wurde und sich nicht „völlig an den Haaren herbei-
von seinem Amt, wohl aber gezogen und schlichtweg gelo-
von seinem akademischen Ti- gen“, sagt Roth.
tel trennen wollte, war „Bild“ Den Mann, um den es ging,
zur Stelle. Die Faustregel heißt: hatte sie erst kennengelernt, als
Wenn sich die „Bild“-Zeitung im Zuge zeuge bei der zweiten Ehe. Und die Gut- der angeblich von ihr beschaffte Auftrag
eines Skandals um einen Politiker auffal- tenbergs haben den Vorteil, dass sie auch des Bundesamts für Strahlenschutz schon
lend zurückhält oder ihm gar beispringt, noch aussehen wie für eine Boulevard- seit einem Jahr vergeben war. Am Tag
darf von Freundschaften ausgegangen zeitung gecastet. der falschen „Bild“-Geschichte bekam sie
werden. Stets üppig bebildert heißen die Zeilen: es dennoch mit wütenden Bürgern zu tun.
Zur zweiten Kategorie der Politiker, „Karl-Theodor und Stephanie zu Gutten- In einer Fußgängerzone wurde sie von
den Kollaborateuren, sind die allermeis- berg – total verschossen auf der Wiesn!“, Leuten als „korrupt und verlogen“ be-
ten Abgeordneten und Würdenträger in „Guttenberg auf gefährlicher Mission in schimpft, und da spätestens sagte sie sich:
Berlin zu zählen. Sie führen eine gespal- Afghanistan“, „Exklusiv in 3D: Minister „Das lasse ich nicht auf mir sitzen.“ Und
tene Existenz. Sie klagen beständig über Guttenberg fliegt im Kampfjet“, „Stepha- sie meinte es ernst.
„Bild“, über ihre Polemiken und ihren nie zu Guttenberg jagt Kinderschänder im Sie klagte eine Gegendarstellung ein,
politischen Kurs, spielen aber trotzdem TV“, „Kinderschänder beschimpfen Ste- in der gleichen Größe, auf dem gleichen
mit. Die Kollaborateure argumentieren, phanie zu Guttenberg“, „Karl-Theodor Raum wie der Originalbericht, und setzte
sie könnten nicht auf „Bild“ verzichten, und Stephanie zu Guttenberg: Die Wiesn- sich durch. Springer trieb das Verfahren
selbst wenn sie das wollten. „Bild“ sei zu Könige in puncto Stil- und Treffsicherheit“, durch die gerichtlichen Instanzen – und
mächtig, außerdem erreiche man über „Stephanie zu Guttenberg: Sie rockte und immer bekam Claudia Roth Recht. Als
das Boulevardblatt den „kleinen Mann“, glitzerte wundervoll“, „Stephanie zu Gut- der juristische Weg ausgeschritten war,
der nun mal das Gros der Wähler stelle. tenberg: Pornografie verdirbt unsere Kin- versuchte es Springer anders. Mitarbei-
In die dritte Kategorie, die Verweigerer, der“, „Gattin des Bundesverteidigungsmi- tern Roths und Pressesprechern der Grü-
gehören die wenigsten Volksvertreter. nisters setzt DEN neuen Modetrend“, nen wurde wiederholt nahegelegt, sich
Wer den Mut dazu aufbringt, und diesen „Guttenberg auch in China ein Star“, „Gut- die Sache mit der Gegendarstellung
auch noch öffentlich kundtut, muss ein tenberg ‚erobert‘ Chinesische Mauer“, „noch einmal zu überlegen“, schließlich
dickes Fell haben. „Bild“ könnte sich frü- „Guttenberg will kein Star sein“, „Sind stehe ein Bundestagswahlkampf ins Haus,
her oder später mit entsprechender Be- Adelige die besseren Politiker?“, „Wir fin- solche Sachen sagten die Leute von
richterstattung rächen, Claudia Roth, Jür- den die GUTT!“. „Bild“. In der Rückschau betrachtet wirkt
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HERMANN BREDEHORST
Junge Frauen in Berlin: „Jedes 4. Baby stammt von Ausländern“
es wie die offene Drohung mit negativer großen Lettern ankommen mag. „Natür- den deutsche Schüler von Ausländern
Berichterstattung. lich nimmt ,Bild‘ Einfluss auf das politi- terrorisiert“, oder „Islamischer Friedens-
Als die Grünen-Vorsitzende auch dar- sche Geschehen“, sagt Roth. „Bei etlichen Prediger bricht seiner Dritt-Frau die Kno-
auf nicht einging, wurde ihr von der Kollegen erzeugt sie gehörigen Respekt.“ chen“ – und das nicht etwa irgendwo,
„Bild“-Redaktion die Veröffentlichung ei- Für die CDU hat „Bild“ innerparteilich sondern „Mitten in Deutschland!“ Der
ner großen Homestory angeboten, einer die Funktion eines rechtspopulistischen dazugehörige Artikel begann so: „Tiefe
wohlwollenden Geschichte über sie und Flügels übernommen. In dem Blatt wird dunkle Augen, langer Bart, Kopfbede-
ihr Leben, als Wiedergutmachung gewis- formuliert, was sich anschließend in der ckung, weites Gewand. Der Münchner
sermaßen. Aber Roth blieb hart: „Ich ver- öffentlichen Debatte instrumentalisieren Imam Abu A. (40) sieht aus wie Massen-
kaufe doch nicht meine Ehre“, sagt sie. lässt. Alles, was etwa insinuiert, dass „die mörder Osama bin Laden.“
Die Gegendarstellung erschien schließ- Migranten“ ein Problem in Deutschland Trotz solcher Einstiege hält Diekmann
lich, riesig, geisterhaft, versehen mit der darstellten, wird von Diekmanns Leuten daran fest, dass „Bild“ Leitmedium sei,
kleinlauten Bemerkung: „Frau Roth hat mit Vorliebe aufgegriffen. Erst in „Bild“ nicht nur in Sport und Unterhaltung, son-
Recht. Die Redaktion.“ Und als sie am verdichten sich einzelne Meldungen und dern längst auch in Politik und Wirtschaft.
Tag ihres Siegs über „Bild“ eine Feier Kommentare zu einem fremdenfeindli- Er zitiert dann den Altlinken Klaus
zum 60-jährigen Bestehen der CDU im chen Ganzen. Staeck mit den Worten: „Der Skandal ei-
Theater am Schiffbauerdamm besuchte, Sarrazin war deshalb ein Glücksfall für nes ganzen Berufsstandes besteht darin,
standen Kollegen bei ihr Schlange, um die Zeitung. Das Blatt begnügte sich nicht dass es ,Bild‘ gelungen ist, die kaum mehr
sie zu ihrem Mut zu beglückwünschen. mit einem Vorabdruck aus dem Buch bestrittene Meinungsführerschaft in den
„Was ist das bitte schön für ein System“, (auch der SPIEGEL druckte Auszüge ab), Medien zu erringen.“ So sehen sie sich
sagt Roth, „wo es schon als mutig gilt, es feierte ihn geradezu als querdenken- gern bei „Bild“: exklusiv, unverzichtbar.
sich gegen eindeutig falsche Tatsachen- den Helden, der unliebsame Wahrheiten Tatsächlich lebt das Blatt tagtäglich mit
behauptungen zu wehren?“ ausspricht, und startete eine Monate wäh- wirbelnden Widersprüchen, die kaum je
Seither ist Claudia Roth immer mal rende Kampagne gegen Migranten in aufgelöst werden. Das Wichtige und das
wieder in der „Bild“-Zeitung vertreten, Deutschland. „Bild“ vertrat dabei Posi- Unwichtige sind nie zu trennen, vielleicht
als „Verlierer des Tages“ oder, wie neu- tionen, die aus dem Programm einer liegt darin eine zynische Welthaltung, auf
lich, auf Platz 2 einer „Bild“-Rangliste rechtspopulistischen Partei stammen jeden Fall erklärt sich auch der Unterhal-
über „Die 30 nervigsten Talk-Show-Gäs- könnten, und sie bediente sich auch einer tungswert der „Bild“ aus diesem Umstand.
te“. Ihrer Karriere schadet das nicht. Für entsprechenden Rhetorik. Die Zeiten können noch so schlecht sein,
Grünen-Politiker, sagt sie, sei es bei der Fast täglich wurden neue Gruselge- die Krisen noch so groß, die Dramen noch
eigenen Wählerschaft eine Art Auszeich- schichten aus dem Reich der Migranten so erschütternd, immer ist Platz für Mel-
nung, von „Bild“ beschimpft zu werden. geliefert. „Ich bin eine Import-Braut“, dungen wie diese: „Zoo-Direktor trennt
Kollegen der anderen großen Parteien war ein Artikel über eine junge Muslimin schwule Geier“, „Kopfschuss! Ärzte
hätten mehr Angst vor der Berichterstat- überschrieben. „Und so wurde ich kämpfen um kleinen Koala“, „Zu viel Via-
tung des Blatts. Sie würden bei ihrem zwangsverheiratet“. Dazwischen finden gra – Brummi-Fahrer tot im Bordell“.
Handeln auch viel stärker darauf achten, sich Meldungen wie: „Jedes 4. Baby „Bild“ ist, neben allem anderen, ein
wie es bei der großen Zeitung mit den stammt von Ausländern“, oder „So wer- florierendes Unternehmen mit einer kol-
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portierten Umsatzrendite von 40 Prozent,
der Springer-Verlag äußert sich zu diesen
Zahlen nicht. Sicher ist, dass mit „Bild“
das Geld verdient wird, das der Verlag
an anderer Stelle mit vollen Händen aus-
geben kann, für die weiterhin schwächeln-
de „Welt“ etwa.
Die Tantieme der Chefredakteure von
„Bild“ und „Bild am Sonntag“ berechnet
sich seit einigen Jahren nicht mehr nach
der Höhe der Auflage, sondern nach
ebenjener Rentabilität. Bis 2001 schwank-
te die Auflage jahrelang um den Wert
von 4,5 Millionen, danach ging es bergab,
und nun hat sie die Drei-Millionen-Marke
nach unten durchbrochen. In kaum zehn
Jahren hat sie ein Drittel ihrer Käufer ver-
loren.
Ökonomisch ist das fürs Erste nicht wei-
ter schlimm. Der Preis für eine „Bild“
wurde innerhalb eines Jahrzehnts um 67
Prozent auf 60 Cent angehoben. Das
gleicht schwindende Verkaufszahlen aus,
und man ist auch findig in Sachen zusätz-
licher Geschäfte. Die von „Bild“ soge-
nannten „Volks-Produkte“ sind dafür ein
Beispiel, eine Werbeidee so simpel wie
clever. Ein „massenmarktfähiges Pro-
dukt“, wie es in einer Springer-Präsenta-
tion heißt, bekomme das „Label ,Volks-
Produkt‘ als Gütesiegel“ und wird an-
schließend mit großem Tamtam in „Bild“
vermarktet.
Mehr als hundert solcher „Volks-Pro-
JENS KOEHLER / IMAGO
killi veröffentlicht und höhnisch kommen- Fischer ist, um die Wahrheit zu sagen, Mädchen“ zeigten. Man habe die Bilder
tiert oder Joachim „Blacky“ Fuchsberger beeindruckend fett. Der schwere Bayer vom Markt gekauft, habe der Mann von
am Grab seines Sohnes zeigt, ob sie Char- ist ein gemütlicher Mensch, durch seine „Bild“ gesagt, da könne jetzt mal zwei
lotte Roche niedermacht oder sich Ge- Parkinson-Erkrankung „entschleunigt“, Tage nichts passieren. Man müsse jetzt
gendarstellungen einhandelt mit Berich- sagt er selber, der Gürtel sitzt weit hoch- überlegen, was man da mache. „Könnte
ten über Oliver Pocher, Nadja Auermann gezogen über einem enormen Bauch, dar- man die nicht unter den Tisch fallenlas-
oder Cosma Shiva Hagen – man kann an- über faltet der Schauspieler die Hände, sen, geht doch niemanden was an“, habe
gesichts der Fülle der Fälle, der ewigen er murmelt Sätze vor sich hin und grinst, Fischer gesagt. Das, so die Antwort, kön-
Wiederkehr des gleichen Musters, zu kei- wenn ihm eine Pointe gelingt. Er wirkt ne man leider nicht machen, man habe
nem anderen Schluss kommen, als dass entspannt, mit sich im Reinen. „Es war ja nun mal die Bilder. „Aber dann ist mei-
sich „Bild“ um Presserecht und einschlä- richtig, wie wir es gemacht haben“, sagt ne Ehe kaputt“, sagte Fischer. Dann müs-
gige Gesetze häufig wenig schert. er. se man das eben, so angeblich der Anru-
Wiederholt druckte „Bild“ auch Papa- Es ist für Fischer ein bedeutender Rol- fer von „Bild“, gemeinsam so formulie-
razzi-Abschüsse der hochschwangeren lenwechsel. Der harmlose Pfundskerl war ren, dass auch seine Frau das verstehe.
Komikerin Anke Engelke, fing sich jedes seine erste Rolle, die „Bild“ ihm auf den Nach so einem Telefonat, sagt Fischer,
Mal Verbote ein, und als Engelkes Kind Leib schrieb, als er noch mitspielte und „da kommt erst mal die Panik“. Aber man
geboren wurde, ging mit den „Bild“-Re- alles noch ein Spiel war, ein Geben und „hofft, man kommt mit denen doch noch
portern die Phantasie durch. Die zugehö- Nehmen, so beschreibt er es. „Bild am überein, weil man ja ein Sympathieträger
rige Gegendarstellung klingt selbst fast Sonntag“ lud ihn und den nicht minder ist“. Tagelang schrieb „Bild“ die Ehekrise
nach Comedy: „Gegendarstellung: In der übergewichtigen Fußballmanager Reiner fort, ließ dem Paar Beziehungstipps von
BILD-Zeitung vom 24. August 2005 Calmund „bei Pasta und Kalbsfilet“ zum B-Promis wie Marie Luise Marjan („Lin-
schreiben Sie über mich auf der Seite 4 300-Kilo-Gipfeltreffen der Superbäuche, denstraße“) und Susanne Fröhlich („Mop-
unter der Überschrift: ‚Anke Engelke – und Fischer machte mit. In „Bild“ ging pel-Ich“) angedeihen. Und als Fischers
Baby da!...Die Comedy-Queen und ihr es in seinem Fall anfangs immer nur um Frau ihn viele Storys später wirklich zu-
Lebensgefährte Claus Fischer (...) freuen Kilos und Diäten, alles ganz locker, es rücknahm („Ich kann meinen Otti nicht
sich über einen Jungen. Sein leiden sehen“), fragte das Blatt:
Name: Adrian-Benjamin. Er „Warum kann diesem Dicken
kam, 3514 Gramm schwer und keiner böse sein?“
gesund, vor 10 Tagen zur Fischer spielte immer weiter
Welt.‘“ Der Text geht weiter mit. Er ließ sich sogar noch auf
mit Engelkes Entgegnung: ein Interview ein, zu dem ihn
„Hierzu stelle ich fest: Mein ein damals bei „Bild“ beschäf-
Sohn ist nicht in Köln zur Welt tigter Redakteur mit einem il-
gekommen. Er heißt weder legal aufgenommenen Sex-Vi-
Adrian noch Benjamin noch deo angeblich genötigt haben
Adrian-Benjamin. Er ist nicht soll. Den Film hatten ein paar
3514 Gramm schwer und kam Huren heimlich gemacht, es
bereits vor über einem Monat waren dieselben Frauen, die Fi-
zur Welt.“ scher auch per Kreditkartenbe-
Über die Jagd nach dem trug um mehr als 70 000 Euro
Stoff, aus dem die „Bild“-Sto- erleichterten.
rys über strauchelnde Promis Der Deal war laut Fischer,
sind, kann niemand besser be- dass er mit dem Blatt redet und
richten als jener Ottfried Fi- dafür das Video verschwindet.
scher, der sich irgendwann zu „Aber was war das für ein
wehren begann. Der Schauspieler Fischer machte sogar Spaß. Die beste Schlagzei- Deal“, sagt Fischer. Dreimal wartete
ist ein Gegner, wie er der „Bild“-Zeitung le? „Ottfried Fischer: Beim Salat er- „Bild“ mit einer neuen Story rund um sei-
nicht schmecken kann. Populär und, wischt“. nen „Huren-Skandal“ auf. Der Redakteur
wenn er sich einmal entschieden hat, un- Er war, sagt er, „so absolut blöd“, sich stritt vor Gericht jeden Erpressungsver-
beirrbar. „Leg dich nicht mit ,Bild‘ an“, auch noch selbst zu privaten Dingen zu such ab. Doch der Richter entschied: Fi-
warnten Freunde von Anfang an. Fischer äußern, weil er dachte, sie so noch ein scher sei genötigt worden. Er verurteilte
war es egal. Er klagte und siegte. „Es war bisschen im Griff behalten zu können. Fi- den „Bild“-Mann zu einer hohen Geld-
ein Befreiungsschlag“, sagt er. Vergleich- schers Privatleben war bunt, und „Bild“ strafe.
bar nur noch mit seinem Geständnis, dass war dabei: Als er eine Affäre mit einem Es war die bitterste Niederlage, die
er Parkinson habe. Auch damals sei eine „Bikini-Mädchen“ („Bild“) hatte; als sein „Bild“ seit langem vor Gericht einstecken
riesige Last von ihm abgefallen. Neffe wenige Wochen nach der Geburt musste. Der Journalist ging in Berufung,
Fischer sitzt in der Kanzlei seines An- Hirnblutungen hatte („Mutter stillt ihr und das Boulevardblatt selbst bezichtigte
walts Steffen Ufer in München. Er erzählt Koma-Baby jeden Tag“); als er von Pro- das Gericht, der Pressefreiheit zu schaden.
von seinen Jahren mit und von seinem stituierten betrogen wurde; als er seine Fischer sagt lapidar: „Pressefreiheit ist kei-
Kampf gegen „Bild“. Wie er Subjekt und Parkinson-Krankheit bekanntgab; als sei- ne Erpresserfreiheit.“ „Ich stelle fest, dass
Objekt, Täter und Opfer des Boulevards ne Frau ihn wegen des „Bikini-Mädchens“ ein Paradigmenwechsel stattfindet.“
war, alles in einem, wie er sich arrangierte verließ („Das Protokoll der traurigen Auf der Straße begegneten ihm die
und kooperierte, wie er sich duckte, bis Trennung“). Menschen ausgesprochen freundlich seit
es ihm reichte. Er ist zum erklärten und Fischer hat ein exzellentes Gedächtnis. dem Prozess. „Lassen Sie sich nicht un-
öffentlichen Gegenspieler der Zeitung Er kann uralte Kabarettnummern kom- terkriegen, sagen die Leute“, so Fischer,
geworden, als er einen ihrer Redakteure plett aus dem Kopf zitieren. Auch ein Te- „die bewundern den Mut, wenn einer ge-
verklagte, auch, wie er sagt, „um in ei- lefonat mit einem „Bild“-Mann hat er gen die ,Bild‘-Zeitung vorgeht.“ Das gilt
nem Fall einmal die nötigenden Machen- abgespeichert. Damals soll es um Fotos für Prominente genauso wie für Men-
schaften der ,Bild‘ evident zu machen“. gegangen sein, die ihn mit dem „Bikini- schen des nichtöffentlichen Lebens.
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Am 27. April 2007 saß Pfarrer Berthold
Bonekamp-Kerkhoff am Schreibtisch sei-
nes Arbeitszimmers, daran erinnert er
sich noch heute ganz genau, in der einen
Hand hielt er die „Bild“-Zeitung, die an-
dere hatte er zur Faust geballt. Immer
wieder schaute er auf diesen Zeitungsar-
tikel, auf die Fotos des Mädchens, das bis
vor kurzem seine Patientin gewesen war.
Es waren Urlaubsfotos, sie zeigten ein
blondes Kind im Bikini, das schüchtern
lächelt. Über den Fotos stand: „Todes-
Drama um schöne Anika († 16)“.
Bonekamp-Kerkhoff leitet das Katho-
lische Kinderkrankenhaus Wilhelmstift in
Hamburg, Anika war dort Patientin bis
zu ihrem Selbstmord, in der Abteilung
Kinder- und Jugendpsychiatrie. Ein Re-
dakteur der „Bild“-Zeitung hatte ihn an-
gerufen kurz nach Anikas Tod. Der Re-
dakteur wollte Details wissen über ihre
Krankheit. Der Priester hatte auf seine
Schweigepflicht hingewiesen und dem
„Bild“-Redakteur erklärt, warum es ge-
ORESTIS PANAGIOTOU / DPA
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Titel
CARSTEN KOALL
ist mit „Bild“, wie sich Ihr Vorstandschef
Döpfner ausgedrückt hat, im Fahrstuhl
nach oben gefahren, und als es abwärts
Chefredakteur Diekmann: „Eine sehr schlechte Nachricht für den Journalismus insgesamt“ ging, war „Bild“ weiterhin dabei. Dabei
sind Sie aber offenkundig zu weit gegan-
Genre, das Sie bedienen: Wie würden Sie in Sachen Sport und Unterhaltung, son- gen bis hin zur Nötigung, wie ein Gericht
denn „Boulevard“ heute definieren? dern auch im Bereich Politik und Wirt- jüngst geurteilt hat.
Diekmann: Boulevard ist eine lebendige schaft. Wer gehört werden will, der Diekmann: Ein Fehlurteil, und zwar ein
Straße. Und wir sind eine Zeitung für die kommt an „Bild“ nicht mehr vorbei – krasses. Es wird, davon bin ich fest über-
Menschen auf der Straße und nicht nur von Petraeus bis Bush, von Ackermann zeugt, in den Instanzen keinen Bestand
für die Elite auf der Empore des guten bis Google-Chef Eric Schmidt. haben. Alles andere wäre eine sehr
Geschmacks. Außerdem ist Boulevard ein SPIEGEL: Fehlt eigentlich nur noch, dass schlechte Nachricht für den Journalismus
Gattungsbegriff, der die Tatsache be- Sie gleich sagen, Sie wollten werden wie insgesamt.
nennt, dass sich unsere Zeitung zu 99 Pro- die „FAZ“. SPIEGEL: Sie haben Fischer mit einem Vi-
zent am Kiosk verkauft. Uns muss es je- Diekmann: Bloß nicht, es geht mir nur um deo gedroht, das ihn beim Sex mit Pro-
den Tag gelingen, so überzeugend zu die heuchlerische Kritik an Boulevard- stituierten zeigt. Gehört das zu Ihrer Re-
sein, dass unsere Käufer wieder 60 Cent Themen. Wenn die „Süddeutsche Zei- cherche?
auf den Tisch legen. tung“ uns vorwirft, was der furchtbare Diekmann: Wir haben Fischer zu keinem
SPIEGEL: Und dabei helfen knackige Ge- Boulevard alles über die arme Britney Zeitpunkt mit einem Video gedroht!
schichten über Ausländer besonders gut? Spears zusammenträgt – dann aber genau Ganz im Gegenteil – Fischer selbst hat
Diekmann: Lesen Sie doch mal „Bild“. Wir diese Details selber auf einer halben Seite erklärt, er habe seine PR-Agentin gebe-
haben den Bombenskandal von Kunduz rekapituliert, dann finde ich das schwierig. ten, bei „Bild“ nachzufragen, ob dort der
enthüllt. Wir haben mit unseren Recher- SPIEGEL: Glauben Sie wirklich an diese to- Film bekannt sei. Dies habe die Agentin
chen den Brandenburgischen Innenminis- tale Boulevardisierung? getan. In der Beweisaufnahme vor Ge-
ter zum Rücktritt gezwungen. Wir beschäf- Diekmann: Emotionalisierung, Personali- richt hat sie zudem ausgesagt, dass sie
tigen uns auf 3000 Zeilen mit dem neuen sierung sind nun mal erfolgversprechend, von unserem Reporter zu keinem Zeit-
Buch des Papstes, oder wir stoßen eben – das funktioniert. Der SPIEGEL berichtet punkt unter Druck gesetzt wurde.
gemeinsam mit dem SPIEGEL – eine der ja auch nicht zuallererst über Parteipro- SPIEGEL: So oder so bleibt es ein Fall, der
wichtigsten Debatten des Jahres an, mit gramme … zeigt, wie tief die „Bild“-Zeitung im Pri-
dem Vorabdruck von „Deutschland schafft SPIEGEL: … wie kommen Sie denn darauf? vaten und Intimen von Prominenten
sich ab“. All das sind heute Inhalte, die Diekmann: … sondern über das politische wühlt.
zum Boulevard gehören. So wie es zur Personal. Und deshalb nehmen Sie von Diekmann: Nein. Es bleibt ein Fall, der
heutigen journalistischen Realität gehört, WikiLeaks natürlich die ganzen schönen zeigt, wie überfordert die Justiz bisweilen
dass „Süddeutsche“ und „FAZ“ über Die- Klatschgeschichten, machen mit „Teflon- ist und wie schlecht das Gedächtnis von
ter Bohlen und Kachelmann berichten. Merkel“ auf – und auf dem SPIEGEL- Ottfried Fischer funktioniert. Ansonsten:
SPIEGEL: Wir sind hier, um über „Bild“ zu Cover geht’s um Berlusconis Sexpartys Das Private ist nicht immer privat. Siehe
reden, nicht über andere Blätter. und Gaddafis üppige Blondinen. Weil es Seehofer, siehe Brandenburg – wo Ex-
Diekmann: Sehr gern. Klaus Staeck, kein so besser funktioniert. Minister Rainer Speer die Steuerzahler
wirklicher Freund von „Bild“, hat vor ei- SPIEGEL: Sie unterschlagen ganze SPIE- für sein uneheliches Kind Unterhalt zah-
niger Zeit formuliert: „Der Skandal eines GEL-Ausgaben prallvoll mit Artikeln, die len ließ. Das Private kann schnell um-
ganzes Berufsstandes besteht darin, dass nichts mit Klatsch, aber alles mit Welt- schlagen ins Politische, ins Relevante. Das
es ,Bild‘ gelungen ist, die kaum mehr be- politik zu tun hatten. Der Boulevard, die gilt auch für Schauspieler. Wer im Fern-
strittene Meinungsführerschaft in den Me- Verkürzung – das sind Sie. Was macht sehen einen Polizisten spielt, im wirkli-
dien zu erringen.“ „Bild“ fordert Blätter denn sonst die „Bild“-Zeitung aus? chen Leben aber mit Koks in der Tasche
wie den SPIEGEL ganz klar heraus. Heu- Diekmann: Wenn Sie mit mir über das Al- festgenommen wird, wird zum Thema.
te sind wir nicht mehr nur Leitmedium leinstellungsmerkmal von „Bild“ reden I��������: U������ F�������
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