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Rede des Abgeordneten

Peter Conradi / SPD - MdB vom 5.3.1998


vor dem Bundestag in der Debatte zum Vertrag von Amsterdam
veröffentlicht:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Die Reden von Herrn Schäuble und Herrn Gerhard, die in weiten Teilen am Amsterdamer
Vertrag weit vorbeigingen, lassen die Nachwirkung des letzten Wahlsonntags erkennen.
Wir haben dafür Verständnis. Wenn wir eine solche Niederlage eingefangen hätten,
würden wir auch so aufgeregt reagieren wie Sie.
Aber zurück zum Amsterdamer Vertrag. Anders als die überwältigende Mehrheit meiner
Fraktion werde ich der Ratifizierung des Amsterdamers Vertrages nicht zustimmen, so
wie ich vor sechs Jahren dem Maastricht-Vertrag nicht zugestimmt habe.
Manchmal ist man in seiner Fraktion allein. Ich bin es in den Fragen der EU, Herr Geißler
ist es in der Frage des Kanzlerkandidaten. Ich glaube übrigens, Herr Geißler hat recht,
aber es ist eine Sache, recht zu haben und eine andere, dafür in der Fraktion eine
Mehrheit zu finden.
Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg träumten wir von einem Europa der
Zusammenarbeit, der Verständigung, des Friedens. Wir träumten davon, daß
Deutschland nach der Nazi-Barberei den Weg zurück in die Gemeinschaft der freien, der
zivilisierten, der demokratischen Staaten finden werde. Dieser Traum ist wahr geworden,
und wir haben Anlaß, all denen zu danken, die dazu beigetragen haben. Wir wollen das
Erreichte gegen den Rückfall in den Nationalsozialismus sichern. Wir wollen die Herzen
und Köpfe der Menschen für Europa gewinnen. Doch die einstige Begeisterung für die
europäische Einigung ist umgeschlagen in Entfremdung, in Verdrossenheit, in Angst, in
Ärger über Entwicklung, die wir so nicht wollten. Wir wollten kein Europa der
Massenarbeitslosigkeit. Wir wollten kein Europa der Reichen. Wir wollten kein Europa der
Bürokratie, und wir wollten kein Europa ohne Demokratie.
Die Europäische Union steckt in einer tiefen Vertrauenskrise. Eine deutliche Mehrheit
unseres Volkes will diese Union in dieser Form nicht. Sollte uns das als Volksvertretung
nicht zu denken geben? Jean-Pierre Chevenment hat neulich in der "Frankfurter
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Allgemeinen" geschrieben: "Europa läßt sich nur legitim aufbauen, wenn es aus einer
wahrhaft demokratischen Debatte innerhalb der Völker hervorgeht. Die technokratische,
liberale Europakonzeption von Maastricht läuft Gefahr, sich gegen die europäische Idee
zu wenden ... Eine solche Gemeinschaft kann man nicht dekretieren. Sie muß aus der
inneren Überzeugung der Völker hervorgehen, und diese Überzeugung müssen wir reifen
lassen, statt von oben fertige Lösungen durchzusetzen." Vor zehn Jahren versprach die
Europäische Kommission im Cecchini-Bericht, der EU-Binnenmarkt werde fünf Millionen
neuer Arbeitsplätze schaffen. Damals gab es in der Union 15 Millionen Arbeitslose, heute
sind es fast 20 Millionen. Wer denkt da nicht an die "blühenden Landschaften", die
Helmut Kohl einst versprach? So erwirbt man kein Vertrauen. Denn schon damals gab es
heftige Kritik an den EU-Schönfärbereien Cecchinis.
Die Aufhebung der Grenzen für Arbeit und Kapital hat aus der EU ein Paradies der
Unternehmer gemacht. Rücksichtslos nützen die Wirtschaftsverbände ihre Macht aus und
fordern die Unterwerfung der Politik unter ihr Diktat. Mit dem Hinweis auf den
grenzenlosen Wettbewerb soll der Sozialstaat überall in Europa zerschlagen werden: Die
Löhne, das Arbeitslosengeld, das Krankengeld, die Renten sollen gesenkt werden, damit
die Gewinne und die Aktienkurse schneller steigen. Die Herren der Wirtschaft nutzen die
Massenarbeitslosigkeit zu einer rüden Erpressung der Arbeitnehmer und ihrer
Gewerkschaften, zur Schaffung von immer mehr Reichtum in den Händen einer kleinen
Minderheit von Privilegierten. Das Beschäftigungskapital im Amsterdamer Vertrag ist
dünn genug. Hierzu kommt: Mit der Einführung des Euro werden die Möglichkeiten für
eine nationale (Beschäftigungs)politik weiter reduziert. Jeder Macht-, jeder
Kompetenzzuwachs Brüssels wird zum Verlust sozialer und wirtschaftlicher
Handlungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten.
Der Deutsche Bundestag sollte deshalb die Ratifizierung des Vertrags so lange
aussetzen, bis die Institutionen der EU wirksame Schritte gegen die Arbeitslosigkeit
eingeleitet haben. Deutsche Großunternehmer rühmen sich, in Deutschland keine
Steuern zu zahlen. Deutsche Großbanken leisten Beihilfe zum Steuerbetrug. Mir kommt
die Wahl eines Luxemburgers zum Präsidenten der Europäischen Kommission wie eine
Verhöhnung der ehrlichen deutschen Steuerzahler vor.
Die EU beschleunigt die Konzentration der Wirtschaft. Die kleinen Handwerker, die
mittelständischen Unternehmer zahlen die Zeche. Es entstehen Oligopole,
"Beutegemeinschaften", so Wolfgang Kartte, zu Lasten der Zulieferer, der Kunden und
der Arbeitnehmer. Die EU verschärft die Umverteilung von obennach unten. Lafontaine
hat recht mit seiner Forderung, dem Steuer- und Sozialdumping müsse ein Ende gesetzt

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werden. Der Deutsche Bundestag sollte deshalb die Ratifizierung mindestens so lange
zurückstellen, bis wenigstens die gröbsten EU-Steuerfluchtlöcher geschlossen und
ernsthafte Schritte gegen das Sozial- und Steuerdumping erkennbar sind. In der EU
produzieren die Bürokraten von Ministerrat, Kommission und Parlament Jahr für Jahr
eine Flut von Regelungen, die gelegentlich vernünftig, oft jedoch nur ärgerlich und
meistens realitätsfern sind. Zum Beispiel die geplante Aufhebung der Buchpreisbindung:
Mit welchem Recht mischt sich die EU in den deutschsprachigen Büchermarkt, in unsere
Kulturpolitik ein? Im Widerspruch zu Art.189 des EG-Vertrages, nach dem EU-Richtlinien
nur Ziele festlegen sollen, die Wahl der Mittel aber den nationalen Parlamenten
überlassen bleiben soll, wird ständig in die Regelungsrechte der Parlamente eingegriffen.
In Deutschland kann sich jeder Bürger gegen die Bürokratie wehren. Er kann
Widerspruch einlegen, er kann zum Verwaltungsgericht gehen, sogar zum
Bundesverfassungsgericht, und er kann die Partei, die regiert abwählen. Was kann man
gegen die EU-Bürokratie machen? Kann man die EU-Kommission abwählen? – Das kann
man nicht. Die EU braucht eine Institution, eine zweite Kammer, einen Senat, beschickt
von den nationalen Parlamenten, um der ausufernden Regelungswut und Arroganz der
EU-Bürokratie entgegenzusteuern.
Der Deutsche Bundestag sollte deshalb dem Vertrag nicht zustimmen, bevor
unabhängige Institutionen und wirksame Instrumente geschaffen worden sind, die der
bürokratischen Zentralisierung der EU entgegenwirken.
Mehr EU heißt – leider – weniger Demokratie.
Die Politik dankt vor einem "modernistischen Kommandounternehmen" ab. Man braucht
keine Politik, keine Parteien, keine Parlamente. Wir werden von Beamten regiert, die – so
Herbert Riehl-Heyse in der "Süddeutschen Zeitung" – niemandem verantwortlich sind, die
man, wenn es schiefgegangen ist, nicht abwählen kann. Eine der großen
Errungenschaften, die Republik, due Res publica, in der die Menschen selbst ihr
gemeinsames Leben bestimmen, droht verlorenzugehen. Eine nationale Regierung kann
man abwählen. Darum bemühen wir uns. Aber wer kann die EU-Kommission, wer kann
ihre Bürokratie abwählen? Der Europäischen Union fehlt es bislang an einer
europäischen Identität, aus der sich eine europäische Solidarität entwickeln könnte. Ihr
fehlt die demokratische Legitimation durch eine europäische Öffentlichkeit. Das kann nur
langsam wachsen. Der europäische Einigungsprozeß wird gefährdet, wenn sich die EU
zuviel vornimmt. Bescheidenheit ist gefragt, Rücksicht auf nationale Kulturen. Die
Ermächtigung Europas – so Ulrich Beck – muß mit der Stärkung der Demokratie, der
politischen Zurechenbarkeit und Verantwortung auf allen politischen Ebnen einhergehen.

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Doch die EU geht einen anderen Weg. Dagegen sollten wir Zeichen setzen und deutlich
machen, daß wir keine Union der Reichen, keine Union der Bürokratie und keine Union
ohne Demokratie wollen.
Wer es mit der europäischen Einigung gut meint, der sollte diesem Vertrag seine
Stimme nicht geben. Ich jedenfalls werde der Ratifizierung des Vertrags von
Amsterdam nicht zustimmen.
ENDE DER REDE

Hinweis: Diese Rede fand nicht etwa über die öffentlich/rechtlichen Medien (die allesamt
über die Rundfunkräte von den etablierten Parteien kontrolliert werden) Verbreitung,
sondern über Usenet durch Marcel Richter, Marcel.Richter@gmx.de.

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Auszug aus der Rede von Dr. Liesel Hartenstein (SPD-MdB) in der
Bundestagsdebatte über den Euro am 23. April 1998

„Im Endeffekt wird die Masse der Arbeitnehmer weniger Kaufkraft in der Hand haben;
dies wiederum wird zu einer Schwächung der Binnenkonjunktur führen. Verlust an
Kaufkraft kostet letztlich Arbeitsplätze. Ein Teufelskreis. Im Gegensatz zu den
Arbeitnehmern ist das Kapital unbeschränkt mobil. Betriebsverlagerungen in Niedriglohn-
und Niedrigsteuerländer werden massiv beschleunigt. Ergebnis: Hunderttausende von
Arbeitsplätzen gehen verloren.
Nicht weniger bedrohlich ist die bereits rollende Fusionswelle, denn sie wird durch den
Euro noch zusätzlich beschleunigt. Großbanken, große Versicherungskonzerne,
Industriemultis .. rationalisieren gnadenlos Arbeitsplätze weg. In den Chefetagen der
Großfirmen sitzen die wahren Profiteure des Euro. Genau diese Branchen sind nicht
arbeitsintensiv, sondern kapitalintensiv. Die Fusions- und Konzentrationswelle wird zu
Lasten Tausender mittelständischer Betriebe gehen, .. Sind wir bereit, dies offenen
Auges zuzulassen? Ich sage nein. Solange kein fairer Wettbewerb in Europa hergestellt
ist, solange keine Steuerharmonisierung und keine Angleichung der Wirtschafts- und
Sozialpolitiken erfolgt, kann diese Währungsunion kein Erfolg werden .. Bei 6 oder 7

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Millionen Arbeitslosen und sinkenden Sozialstandards werden andere Bataillone
marschieren, denen es nicht um den Euro geht, sondern die Europa nicht wollen, die
zurück wollen zum Nationalstaat, die heute schon - wenngleich in anderem
Zusammenhang - verkünden, daß Deutschland den Deutschen gehöre. Dies alles will ich
nicht. Wir alle wollen es nicht. Das schlimmste Ergebnis eines zu früh gestarteten Euros
wäre, daß die europäische Idee irreparablen Schaden leidet. ...
Eine gründliche Diskussion mit den Bürgerinnen und Bürgern hat nicht stattgefunden.
Stattdessen wurden Millionen schönfärberischer Hochglanzbroschüren unters Volk
gestreut, die allesamt entweder von Großbanken und Versicherungen oder aber vom
Bundesfinanzministerium und dem Presse- und Informationsamt stammten und die - wie
konnte es anders sein! - die Vorzüge des Euro kritiklos preisen. ... Wenn über die
Abschaffung der DM entschieden werden soll, dann geht das nur mit den Betroffenen,
nicht ohne sie. Und erst recht nicht gegen sie. Nur: sie werden nicht gefragt. Regierung
und Parlament schicken sich heute an, ein Votum für den Start des Euro abzugeben, das
zugleich ein Votum gegen 80 % der Bevölkerung unseres Landes sein wird. Darin zeigt
sich ein bedenkliches Defizit an Bürgernähe, ja an demokratischer Kultur. Die
Währungsunion wird von oben verordnet. Einen Volksentscheid, wie ihn Dänen, Briten,
Schweden und Österreicher durchführen könne, sieht das Grundgesetz nicht vor; dies
haben die Regierungsparteien bei der Verfassungsreform 1994 mit ihrer Mehrheit
verhindert. ... Der Euro ist und bleibt unter den heutigen Bedingungen ein
unkalkulierbares Abenteuer. Solange sichtbar die Risiken höher sind als die erhofften
Vorteile, bin ich nicht bereit, in dieses Abenteuer hineinzuspringen.

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Lambsdorff: Mein Pessimismus war berechtigt

Auszüge aus der Erklärung des FDP-Abgeordneten Otto Graf Lambsdorff

in der Europadebatte des Bundestages

"Ich will begründen, warum ich in der heutigen Schlußabstimmung nicht mit Ja votieren
werde.

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Ich greife dabei zurück auf die Entschließung des Deutschen Bundestages vom
27.11.1992 und auf meine Reden in den Debatten zum Maastricht-Vertrag vom
13.12.1991 und 8.10.1992. Damals habe ich für Partei und Fraktion der FDP und für mich
selbst die Zustimmung zu einer einheitlichen europäischen Währung begründet. Ich habe
die endgültige Zustimmung davon abhängig gemacht, daß die Kriterien des Vertrages
strikt eingehalten werden und daß ihre Dauerhaftigkeit gesichert wird.
Ich habe Zweifel, ob die Kriterien wirklich strikt eingehalten wurden. Stichwort: ,kreative
Buchführung’. Trotzdem könnte ich heute zustimmen. Die politischen Argumente sind
gewichtig, die stabilitätspolitischen Erfolge im Vorlauf zum Euro beeindruckend. Gilt das
auch für die Nachhaltigkeit? Leider nein. Hier liegt der Schlüssel für mein heutiges
Votum. Schon am 8. Oktober 1992 habe ich von dieser Stelle aus die Teilnahme Italiens
an der ersten Runde problematisiert.
Der Bericht des Zentralbankrates bestätigt, daß mein Pessimismus berechtigt war. Mit
einer Gesamtverschuldung von 121,6 % des Bruttosozialprodukts kann von Einhaltung
des Kriteriums keine Rede sein.
Die Bedenken des Zentralbankrates gegen eine Teilnahme Italiens sind im Bericht klar
formuliert. Die Tabelle über Budgetlücken zeigt: Es ist ausgeschlossen, daß Italien die
Marke von 60 % in den nächsten zehn bis 15 Jahren erreichen könnte...
Aber nun kommt der für mich entscheidende Punkt: Wenn wir mit dem Mühlstein
italienischer - übrigens auch belgischer - Gesamtverschuldung in die Europäische
Währungsunion gehen, dann ist die Stabilitätspolitik der Europäischen Zentralbank
besonders gefordert. Kann die EZB das leisten? Ja, wenn ihre Unabhängigkeit nicht
unterminiert wird.
Aber solche Versuche laufen, und die Bundesregierung hat sie bisher trotz aller
Bemühungen, die ich würdige, nicht endgültig abwehren können.
Im Vordergrund steht dabei die Frage der ersten Besetzung der Position des Präsidenten
der EZB... Eine Aufteilung der achtjährigen Amtszeit darf die Bundesregierung nicht
akzeptieren. Das ginge gegen Buchstaben und Geist des Maastricht-Vertrages... Ich
werde mich heute - zu meinem Bedauern - der Stimme enthalten."

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