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Eine Energiewende in
den Entwicklungs- und
Schwellenländern ist unverzichtbar
Detlef Loy / Berlin

Durch die unlängst stark angestiegenen Weltmarktpreise für Öl und Gas ist das Thema Energie erneut in den Blickpunkt
der Öffentlichkeit gerückt. Dabei wird oft übersehen, dass dadurch nicht die hoch entwickelten und vergleichsweise
reichen Industrieländer, sondern in erster Linie die Entwicklungsländer in arge Bedrängnis geraten. Während erstere
zumeist eine differenzierte Versorgungsstruktur aufweisen und Energieimporte nur einen kleinen Teil ihrer gesamten
Wirtschaftsleistung ausmachen, sind zahlreiche „Länder des Südens“ fast vollständig von Erdölimporten abhängig und
müssen dafür einen Großteil ihrer Deviseneinnahmen aufwenden. Es ist verständlich, dass diese Länder nun verstärkt
nach Möglichkeiten suchen, ihre Energiebasis zu diversifizieren und die teuer erworbenen Ressourcen möglichst effizient
einzusetzen.

Bedenkt man, dass derzeit etwa 1,6 Milliarden Menschen und Mexiko entscheidend beitragen werden. Dieser Zuwachs
noch keinen regelmäßigen Zugang zu Elektrizität haben und beruht neben dem Bevölkerungswachstum vor allem auf stei-
etwa 2,4 Milliarden Menschen Biomasse ohne nachhaltige gender individueller Motorisierung und folgt der Entwicklung
Bewirtschaftung nutzen, erscheinen aktuelle Diskussionen in den Industrieländern zeitlich versetzt nach. Der Anteil aller
Entwicklungsländer an der weltweiten
Energienachfrage könnte demnach von
gegenwärtig 30% auf 43% im Jahr 2030
steigen.
Es ist deshalb auch nicht verwun­
derlich, dass für die aktuellen Bera­
tun­gen zur Weiterentwicklung
der Kli­­­ma­­schutzstrategie („Nach-
Kyoto-Pro­zess“)zur Reduzierung
von Treibhausgasemissionen eine
stärkere Verpflichtung auch der
Schwellenländer eingefordert wird. Wie
aber die von Klimaexperten und großen
Versicherungsunternehmen vehement
angemahnte drastische Minderung der
Treibhausgasemissionen in den kom-
menden Jahrzehnten erbracht werden
kann, steht angesichts der diametralen
Verbrauchsentwicklung von Energie
ohnehin in den Sternen.

Konventionelle Energien
sind auf Dauer keine
Lösung
Angesichts der begrenzten Ressourcen
Windenergienutzung in Deutschland. Foto: Autor und der demzufolge stetig steigenden
Preise versteht es sich fast von selbst,
über gestiegene Rohölpreise unbeträchtlich gegenüber dem, dass mit fossilen Energieträgern auf Dauer die Versorgung
was den Energiesektor global und auf mittlere Sicht an ele- nicht abgesichert werden kann. Für die meisten Experten ist
mentaren Herausforderungen erwartet. Insgesamt dürfte der unstrittig, dass sich für Erdöl der so genannte Mid-Depletion
Weltenergieverbrauch in den nächsten dreißig Jahren um Point, der Punkt, ab dem die bekannten Reserven im Verhältnis
zwei Drittel zunehmen, wozu insbesondere die so genannten zu den bereits verbrauchten Ressourcen stetig abnehmen, mit
Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien, Indonesien Riesenschritten nähert. Selbst wenn die Menge der bislang

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noch nicht lokalisierten Reserven unbekannt ist, so ist doch te Führungspositionen einnehmen und ihrerseits Interesse
klar, dass sich zukünftige Fundstätten nur mit steigenden entwickeln, diese Stellung im globalen Kontext durch
Kosten erschließen lassen. Technologie- bzw. Rohstoffexporte zu nutzen.
Auch Atomenergie scheidet für die meisten Länder alleine
aus Kosten- und Sicherheitsgründen in der Energieproduktion
aus. Die Entsorgungsfrage von hochradioaktiven Abfällen Kostensenkung durch weitere technische
bleibt weltweit ungelöst. Auch der mögliche Übergang Innovationen
von ziviler zu militärischer Atomnutzung macht diese
Energieform politisch brisant, wie die gegenwärtige Debatte Während derzeit der Anteil erneuerbarer Energien von knapp
zum Nuklearprogramm des Iran erneut zeigt. 14% am weltweiten Primärenergiebedarf vor allem auf der
Nutzung großer Wasserkraft und von (nicht ersetztem) Holz
beruht, wird in Zukunft verstärkt auf die unerschöpflichen
Energieeffizienz und erneuerbare Energiequellen wie Sonne, Wind, Geothermie und nach-
Energien wachsende Rohstoffe gesetzt werden müssen. Technische
Innovationen und Kostensenkungen werden diesen Prozess
Es bleiben daher nur zwei Optionen, die in den Industrieländern zu beschleunigen helfen. Dabei geht es vor allem um die
vorgelebt und schrittweise in die Länder des Südens übertragen Erhöhung der Wirkungsgrade, verminderten Materialeinsatz
werden müssen: eine Ausnutzung aller Energiesparpotenziale, und effizientere Herstellungsverfahren bei den Anlagen.
um Energie effizient und maßvoll einzusetzen, und die ver- Bei der Auswertung der „Lernkurven“ vergangener Jahre,
stärkte Besinnung auf natürliche Energiequellen wie Sonne, die den Zusammenhang zwischen Kostenentwicklung und jähr-
Wind und Biomasse. Allerdings dürfen bei der Nutzung lich installierter Leistung oder Produktion beschreiben, lässt
alternativer Energiequellen die Erhaltung ökologischer sich für Windenergie etwa ab dem Jahr 2015, für Photovoltaik
Lebensräume und die Regeneration der jeweiligen Ressourcen etwa ab 2025 eine generelle Wettbewerbsfähigkeit gegenüber
nicht vernachlässigt oder andere Nutzungsformen – wie im konventioneller Stromerzeugung prognostizieren. Allerdings
Fall der Biomasse zur Nahrungsmittelversorgung – beein- können bereits heute regenerative Energiesysteme unter ent-
trächtigt werden. sprechenden Bedingungen wirtschaftlicher sein als herkömm-
Deutschland hat durch ein Zusammenspiel von liche Alternativen – so bei der Stromversorgung abgelegener
Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Forschung, Bildung und Politik Siedlungen durch Solarenergie oder Klein-Wasserkraft. Auch
auf dem Weg zu einer Energiewende Bemerkenswertes geleis- fehlt in den meisten ökonomischen Betrachtungen nach
tet und damit im Bereich erneuerbarer Energien global eine wie vor die Berücksichtigung externer Kosten, beispiels-
Spitzenposition erlangt. Innerhalb weniger Jahre stieg der weise der gesundheitlichen und baulichen Schäden durch
Anteil von Windenergie an der Stromversorgung von nahe- Luftbelastungen.
zu Null auf über 5% (2005). Nirgendwo wurden im letzten
Jahr mehr elektrische Solaranlagen installiert, und kein Land
produzierte mehr Biodiesel für den Verkehrssektor. Auch im Mit der Energiewende nicht warten
Bereich solarthermischer Anlagen zur Warmwassererzeugung
und bei Biomassenutzungen ist die Palette der Anbieter wie Generell gilt, dass die dringend erforderliche weltweite
auch die Nachfrage groß und die Qualität der Produkte hoch. Energiewende bereits heute eingeleitet werden muss, um
Zugleich sind die regenerativen Energien auch eindeutig in den kommenden Jahrzehnten entsprechende Früchte
beschäftigungswirksam, arbeiteten doch im Jahr 2004 in den
Bereichen Planung, Fertigung, Installation etc. bereits etwa Zugang für alle Menschen zu moderner Energie
130.000 Menschen in Deutschland.
Dass erneuerbare Energietechniken dabei immer mehr zum ab 2020 mind. 500 kWh Endenergie pro Kopf und Jahr, davon
Exportschlager werden, ist vor allem der energiepolitischen 20% als Strom
Umsteuerung in einigen strategisch zentralen Ländern zu spätestens ab 2050 mind. 700 kWh pro Kopf
verdanken. Aus der Reihe der Schwellenländer sind vor allem bis 2100 mind. 1.000 kWh pro Kopf
Brasilien, Indien und China zu nennen, wo Anreizsysteme Aufwand von max. 10% des Einkommens für Energiezwecke in
zur Förderung regenerativer Energietechnologien, aber auch armen Haushalten
Quotenregelungen zur Erreichung bestimmter Zielmargen
Deckung des Mindestenergiebedarfs in allen Ländern, so dass
einen wachsenden Markt für erneuerbare Energien stimulie-
ein Bruttosozialprodukt von mind. 3.000 US $/a (1999) sicher-
ren. In diesen Ländern wird zumeist zweigleisig vorgegan-
gestellt werden kann
gen: Ausbau der ländlichen Elektrifizierung, für die im Fall
entlegener Regionen und bei entsprechenden natürlichen Begrenzung der mit der Energieversorgung verbundenen
Gegebenheiten auch erneuerbare Energien zum Einsatz kom- Umweltrisiken
men sollen, und eine stetig wachsende Beteiligung regene- Vermeidung von durch Energienutzung entstehenden Erkran-
rativer Energien an der zentralen Stromerzeugung, bei der kungen (z.B. Innenraumbelastung)
Wärme- und Kälteproduktion sowie im Transportsektor.
Ziele zur Überwindung der Energiearmut in Entwicklungsländern, die der Wissen­
Allerdings muss man sich vor Augen halten, dass schaftliche Beirat „Globale Umweltveränderungen“ (WBGU) in Vor­be­rei­tung auf
Länder wie China (im Solarthermiebereich) und Brasilien die internationale Konferenz „renewables 2004“ im Juni 2004 in Bonn aufge-
(bei der Herstellung von Bioethanol) bereits jetzt weltwei- stellt hat. Quelle: Autor

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Solarthermische Anlage auf einem Hotel in der Karibik (St. Lucia). Foto: Autor

tragen zu können. Diese Einsicht, die selbst hierzulan- Energiebewirtschaftung. Dazu gehören die Ver­brauchs­
de nur mühsam ins allgemeine Verständnis eindringt, ist kennzeichnung elektrischer Geräte ebenso wie Leitlinien
den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern häufig zur energieeffizienten Konstruktion von Gebäuden, eine
noch völlig fremd. Dabei verschärfen mangelhafte infra- umweltfreundliche Stadtplanung und die Einführung leis-
strukturelle Ausstattung und eine unzureichende gesetzliche tungsfähiger öffentlicher Verkehrssysteme.
Rahmengebung noch den Problemdruck.
In nicht wenigen Ländern wächst der Energieverbrauch
schneller als das Bruttosozialprodukt, d.h. die Ener­gie­in­ Dipl.-Ing. Detlef Loy
tensität steigt, anstatt wie in den meisten Industrieländern Loy Energy Consulting
zu sinken. Im Gepäck internationaler Hilfe befindet sich Holtzendorffstr. 14
deshalb auch nicht nur das Rüstzeug zum Ausbau einer 14057 Berlin
nachhaltigen Energieversorgung, sondern auch der poli- dloy@loy-energy-consulting.de
tische Instrumentenkasten für den Aufbau einer effizien­ten

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