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Die Vielheit der »Menschen-Räume« befindet sich an einem identischen Ort, welcher
in diesem konkreten Fall das Krankenzimmer oder genauer noch das Pflegebett sein
kann. Michel Foucault (1976) hat in seinem Text »andere Räume« diese Orte
beschrieben und er hat diese »andere Räume« Heterotopien genannt. Im Gegensatz
zur gegenläufigen Utopie, die eine Platzierung ohne wirklichen Ort meint und damit
unwirklichen Raum bezeichnet, definiert Foucault (1976) die Heterotopie als
wirklichen und vor allem wirksamen Ort, welcher einer verwirklichten Utopie
vergleichbar ist. Sie entsteht, wenn einem Ort beispielsweise dem Sterbezimmer in
einem Krankenhaus von einer Gesellschaft eine spezifische Funktion zugeschreiben
wird, die nicht mit der Topographie (z.B. Endach 27, 6330 Kufstein [Adresse: a. ö.
Bezirkskrankenhaus Kufstein]) des Ortes allein verstehbar ist. Das Verständnis
dieses Ortes erschließt sich erst aus der Sicht der Zusammenhänge, in welchen
dieser Ort gebraucht oder verwendet wird (vgl. Foucault 1976, 147-157).
Mit der Heterotopie schuf Foucault (1976) eine Terminologie, mit der er die
Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Gebrauchsformen desselben Ortes
beschreiben konnte. Die Heterotopie bezeichnet demzufolge konkurrierende Räume,
die ohne Ort nicht existent sind, aber durch ihn nichteindeutig definiert werden.
Heterotopien machen aus Orten veränderliche Räume. Es herrschen bestimmte
Regeln z.B. Schweigen, Anteilnahme im Um-Raum (Um-Feld) beispielsweise des
sterbenden Patienten, doch nur so lange, wie sie von den Mitgliedern einer
Gesellschaft, also der Trauerfamilie befolgt werden. Solange dies geschieht, sind
Heterotopien wirksam und können das Geschehen an einem Ort verändern. Das
Befolgen von Regeln und ihr Bruch, der zum Verschwinden einer Heterotopie an
einem anderen Ort führen kann, weißt auf ein grundlegendes Charakteristikum hin.
Jede Heterotopie kann in einer Gesellschaft beliebig umgedeutet werden. Sie kann
daher nur in einem Zeitschnitt betrachtet werden, denn in einem anderen späteren
Moment, im schlimmsten Fall nach dem unmittelbaren Ableben des Patienten, hat
sie ihre Funktion möglicherweise bereits verloren. Diese Veränderlichkeit- und
Endlichkeit der Heterotopie rührt von ihrer Funktion her, die sie gegenüber den
verbliebenden Räumen erfüllt. Fällt die Funktion einer Heterotopie innerhalb der
(Trauer-) Gesellschaftweg, löst sich die Heterotopie auf oder/und passt sich der
neuen Gegebenheit (der Sterbe-Raum wird zum Raum der Verabschiedung und
Trauer) an (vgl. ebd., 145-157).
3 Grundsatz: Heterotopien sind zudem in der Lage an einem Ort mehrere Räume
einzubeziehen bzw. zusammenzulegen. Das Krankenzimmer fasst die
(privaten) Räume wie WC, Wohnzimmer und Schlafzimmer aber auch
gesellschaftliche/öffentlichen Räume wie Behörden, Ämter, Arbeitsplatz zu
einer Heterotopie zusammen, wobei nicht jeder einzelne Raum wieder eine
eigene Heterotopie im Krankenzimmer darstellen muss (vgl. ebd., 152).
4 Grundsatz, die Zeitschnitte. Patientenzimmer in einem Krankenhaus »brechen«
die Menschen mit ihrer herkömmlichen Zeit. Foucault (1976) versteht in diesem
Zusammenhang „Heterochronien“ (153). In keiner anderen Heterotopie, wie
beispielsweise in einem Sterbezimmer eines Krankenhauses, lässt sich die
„Quasi-Ewigkeit“ (ebd.) am Verlust des Lebens und das »Brechen« mit der Zeit,
als Mensch beeindruckender wahrnehmen und empfinden (vgl. ebd.).
5 Heterotopien zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein System von „Öffnungen“
und „Schließungen“ darstellen. Sie sind nicht selbstverständlich für jeden
zugänglich, besonders deutlich wird das beispielsweise bei Intensivstationen
oder Isolierzimmern, die durch spezielle Sicherheitsmaßnahmen und Kontrollen
sozusagen abgeschottet werden. Für den Zutritt müssen gewisse Kriterien, wie
Mundschutz für die Angehörige oder spezielle Infektionsschutzbekleidung erfüllt
werden. Diese abgeschlossenen Heterotopien können zudem nicht so einfach
betreten und nach Belieben wieder verlassen werden, da dieser Vorgang mit
bestimmten Prozessen verknüpft ist, die eingehalten werden müssen (vgl. ebd.,
154).