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Theoretische Physik

Jörg Weingrill

12. Dezember 2004


2
Inhaltsverzeichnis

1 Newton’sche Mechanik 5
1.1 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.1.1 Newton’sche Axiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.1.2 Eindimensionale Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.1.3 Erhaltungssätze im Euklidischen Raum R3 . . . . . . . . 8
1.2 Bewegung im Zentralfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.2.1 Äquivalentes eindimensionales Problem . . . . . . . . . . 8
1.2.2 Keplerproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.2.3 Rutherford-Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.3 Streuung von zwei Massenpunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1.3.1 Zweikörperproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1.3.2 Elastischer Stoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
1.4 Systeme von N Massenpunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
1.4.1 Erhaltungssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
1.4.2 Dreikörperproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

2 Lagrange’sche Mechanik 23
2.1 Lagrange - Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
2.1.1 Ebenes mathematisches Pendel . . . . . . . . . . . . . . . 23
2.1.2 Konfigurationsraum und Phasenraum . . . . . . . . . . . 25
2.1.3 Hamilton’sches Variationsprinzip . . . . . . . . . . . . . 26

3
4 INHALTSVERZEICHNIS
Kapitel 1

Newton’sche Mechanik

1.1 Grundbegriffe
1.1.1 Newton’sche Axiome
Nach A. Sommerfeld, “Mechanik”, (1994):
• Lex prima: Jeder Körper beharrt in seinem Zustand der Ruhe oder gleich-
förmig geradlinigen Bewegung, wenn er nicht durch einwirkende Kräfte
gezwungen wird, seinen Zustand zu ändern.
d~p
= F~ = 0 (1.1)
dt

• Lex secunda: Die Änderung der Bewegung ist der Einwirkung der bewe-
genden Kraft proportional und geschieht nach der Richtung derjenigen ge-
raden Linie, nach welcher jene Kraft wirkt.
F~ (~x(t), ~x˙ (t), t) = m~x
¨ (t) (1.2)
Hier bedeutet m die träge Masse.
• Lex tertia: Die Wirkung ist stets der Gegenwirkung gleich, oder die Wir-
kungen zweier Körper aufeinander sind stets gleich und von entgegenge-
setzter Richtung.
F~12 × (~x1 − ~x2 ) = 0, F~12 = −F~21 (1.3)

• Lex quarta: Zwei Kräfte, die am gleichen Massenpunkt angreifen, setzen


sich zur Diagonale des von ihnen gebildeten Parallelograms zusammen.
F~ = F~1 + F~2 (1.4)

5
6 KAPITEL 1. NEWTON’SCHE MECHANIK

Isaac Newton formulierte in den “Philosophia Naturalis Pricipia Mathematica”


(1687):
• Der absolute Raum bleibt vermöge seiner Natur und ohne Beziehung zu
einem äußeren Gegenstand stets gleich und unbeweglich.

• Die absolute, wahre und mathematische Zeit verfließt an sich und vermö-
ge ihrer Natur gleichförmig und ohne Beziehung auf irgendeinen äußeren
Gegenstand.
Im richtigen Bezugssystem gilt für einen kräftefreien Körper das Galilei’sche
Trägheitsgesetz. Ein solches Bezugssystem heißt Inertialsystem.
Diese Definition eines idealen Bezugssytems der klassischen Mechanik ist eine
Tautologie!
Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik: Ein Bezugssystem, das aus einem
Inertialsystem duch Galilei-Transformation hervorgeht, ist ebenfalls ein Inertial-
system.
V.I. Arnold formuliert in seinen “Mathematischen Methoden der Klassischen Me-
chanik”:
Unser Raum ist dreidimensional und euklidisch. Die Zeit ist eindimensional.
Galilei’sches Relativitätsprinzip: Es existieren Koordiantensysteme (sogenann-
te Inertialsysteme) mit den beiden folgenden Eigenschaften:
• Alle Naturgesetze sind zu allen Zeiten identisch in allen Inertialsystemen.

• Alle Koordinatensystem, die sich gleichförmig geradlinig gegenüber einem


Inertialsystem bewegen, sind ebenfalls Inertialsysteme.
A. Einstein’s Äquivalenzprinzip: In einem beliebigen Gravitationsfeld kann mit
keinem lokalen Experiment unterschieden werden zwischen einem frei fallenden
nicht-rotierenden Bezugssystem (lokalen Inertialsystem) und einem gleichförmig
bewegten Bezugssystem ohne Graviationsfeld.

1.1.2 Eindimensionale Bewegung


1. Die Newton’sche Bewegungsgleichung für einen Massenpunkt im Kraftfeld
F (x, t) lautet
d2 x
m 2 = F (x(t), t). (1.5)
dt
Das Kraftfeld kann aus einem Potential abgeleitet werden:
Z x

F (x, t) = − V (x, t), V (x, t) := − dyF (y, t). (1.6)
∂x x0
1.1. GRUNDBEGRIFFE 7

2. Wenn das Kraftfeld nicht explizit von der Zeit abhängt, ist die Gesamtener-
gie ein Bewegungsintegral:
m ∂V dE
E := (ẋ(t))2 + V (x(t), t), =0⇒ = 0. (1.7)
2 ∂t dt
3. In diesem Fall gilt
Z x
dy
t − t0 = ± q , x(t0 ) = x0 . (1.8)
2
x0
m
(E − V (y))

Insbesondere gilt für eine periodische Bewegung


Z x2
dy
T =2 q , V (x1 ) = V (x2 ) = E. (1.9)
2
x1
m
(E − V (y))

4. In einem entsprechenden Kraftfeld kann ein Massenpunkt nach einer endli-


chen Zeitspanne sich im Unendlichen befinden: Für

V (x) := −V0 x2+ε , V0 > 0, ε > 0 (1.10)

um ein Beispiel zu nennen, gilt offenbar (x0 > 0)


Z ∞ Z ∞
dy dy − 12 − 12 2 − 2ε
p ≤ V
1+ε/2 0
= V0 x < ∞. (1.11)
x0 E − V (x) x0 y ε 0

In der Quantenmechanik kann ein solches Mißgeschick nicht passieren.


5. Die allgemeine Lösung der Bewegungsgleichung des (ungedämpften) har-
monischen Oszillators

mẍ(t) = −kx(t), k > 0 (1.12)

lautet offenbar r
k
x(t) = a sin(ωt + α), ω = (1.13)
m
die Gesamtenergie
m 2 m
E= (ẋ (t) + ω 2 x2 (t)) = a2 ω 2 (1.14)
2 2
ist ein Bewegungsintegral. Die Periode beträgt
Z a Z
dx 2 a dx 2π
T =2 q = √ = . (1.15)
−a 2
(E − V (x)) ω −a a2 − x2 ω
m
8 KAPITEL 1. NEWTON’SCHE MECHANIK

1.1.3 Erhaltungssätze im Euklidischen Raum R3


1. Für die kräftefreie Bewegung gilt die Impulserhaltung:

dp
F (x, ẋ, t) = 0 ⇒ = 0, p := mẋ. (1.16)
dt

2. Drehimpuls und Drehmoment eines Massenpunktes sind als

L(t) := x(t) × p(t), M (t) := x(t) × F (x, ẋ, t) (1.17)

definiert. Offensichtlich gilt

L̇(t) := ẋ(t) × p(t) + x(t) × ṗ(t) = M (t), ẋ(t) × p(t) = 0. (1.18)

Wenn das Kraftfeld parallel zum Ortsvektor wirkt, so gilt die Drehimpul-
serhaltung.

3. Wenn das Kraftfeld aus einem zeitunabhängigen Potential abgeleitet werden


kann, gilt die Energieerhaltung:
m 2
F (x) = −gradV (x) ⇒ E = ẋ (t) + V ◦ x(t) = const. (1.19)
2
In einem solchen Kraftfeld ist die Arbeit wegunabhängig:
Z x Z x
W := dy · F (y) = dy · (−gradV (y)) = V (x0 ) − V (x). (1.20)
x0 x0

1.2 Bewegung im Zentralfeld


1.2.1 Äquivalentes eindimensionales Problem
Wir studieren die Bahnen eines Massenpunktes in einem Zentralfeld
 
sin θ cos φ
F~ (~r) = f (r)~er , ~er =  sin θ sin φ  . (1.21)
cos θ

1. Jedes Zentralfeld ist konservativ:


Z r
F~ (~r) = −gradV (r), V (r) := − f (s)ds. (1.22)
0
1.2. BEWEGUNG IM ZENTRALFELD 9

2. Die Gleichung
F~ (~r) = f (r)~er ⇒ ~r × F~ (~r) = 0 (1.23)
bedeutet, daß
~
M~ (~t) = dL = 0 (1.24)
dt
~
längs jeder Bahn gilt. Wir wählen L(t) = L(t)~ez und damit z(t)=0. Jede
Bahn verläuft also in einer Ebene.
3. Mit der Geschwindigkeit in ebenen Polarkoordinaten
· ¸ · ¸
cos φ(t) − sin φ(t)
~r˙ (t) = ṙ(t) + r(t) φ̇(t) (1.25)
sin φ(t) cos φ(t)
berechnen wir den Betrag des Drehimpulses
L(t) = mr2 (t)φ̇(t) = const. (1.26)
Die vom Ortsvektor längs einer Bahn überstrichene Fläche ist
X X Z
1 t2 2 L
(t2 ) − (t1 ) = r (t)φ̇(t)dt = (t2 − t1 ). (1.27)
2 t1 2m
Daraus folgt das zweite Keplersche Gesetz:
P
d L
= (= const). (1.28)
dt 2m
In unserer Diktion: In einem Zentralpotential überstreit der Ortsvektor (der
ebenen Bahn) in gleichen Zeiten gleiche Flächen.
4. Geschwindigkeit und Beschleunigung längs der ebenen Bahn
~r(t) = r(t)~er (t) (1.29)
lauten in Polarkoordinaten
~r˙ (t) = ṙ(t)~er (t) + r(t)φ̇(t)~eφ (t), (1.30)
~¨r(t) = (r̈(t) − r(t)φ̇ (t))~er (t) + (2ṙ(t)φ̇(t) + r(t)φ̈(t))~eφ (t),(1.31)
2

mit den ebenen polaren Einheitsvektoren


· ¸ · ¸
cos φ(t) − sin φ(t)
~er (t) = , ~eφ (t) = . (1.32)
sin φ(t) cos φ(t)
Mit Hilfe der Gleichung
L̇(t) = mr(t)(2ṙ(t)φ̇(t) + ṙ(t)φ̈(t)) = 0 (1.33)
folgt daraus
~¨r(t) = (r̈(t) − r(t)(φ̇(t))2 )~er (t) (1.34)
10 KAPITEL 1. NEWTON’SCHE MECHANIK

5. Indem wir nun diesen Ausdruck und die Zentralkraft in die Newton’sche
Bewegungsgleichung einsetzen, erhalten wir eine entsprechende Bewegungs-
gleichung auf der positiven reellen Achse mit einem effektiven Potential
U(r),das auch die Zentrifugalkraft enthält:
L
m~¨r(t) = −U 0 ◦ r(t), U (r) := V (r) + . (1.35)
2mr2
6. Die Gesamtenergie
m˙ m
E= ~r(t) + V ◦ r(t) = ṙ2 (t) + U ◦ r(t) (1.36)
2 2
ist (ebenso wie der Drehimpuls L) ein Bewegungsintegral. Den beiden Frei-
heitsgraden (r, φ) stehen zwei Konstanten gegenüber: Das mechanische Sys-
tem ist integrabel.
7. Die Umlaufdauer beträgt nach dem Energiesatz
Z r2
2dr
T = q . (1.37)
2
r1
m
(E − U (r))

8. Aus den Zeitableitungen


r
dr 2 dφ L
=± (E − U ◦ r(t)), = (1.38)
dt m dt mr2 (t)
folgt sofort
Z r
L ds
φ(r) = ± q , φ(r1 ) = 0. (1.39)
m r1 s2 2
(E − U (s))
m

Für die geschlossene Bahn gilt also die Bedingung


Z
L rmax dr n1
φ(r) = q = 2π , (n1, n2)²N. (1.40)
m rmin r2 2 (E − U (r)) n2
m

Theorem. Die einzigen beiden Zentralpotentiale, in denen alle endlichen Bahnen


geschlossen sind, sind die folgenden:
k
V (r) = , k > 0; V (r) = κr2 , κ > 0. (1.41)
r
Im letzteren Fall besteht die Lösung offensichtlich aus zwei harmonischen Oszil-
latoren: r

x(t) = a cos(ωt + α, y(t) = b cos(ωt + β), ω = . (1.42)
m
1.2. BEWEGUNG IM ZENTRALFELD 11

1.2.2 Keplerproblem
1. Die Lösung
Z r
L ds L2 k
φ(r) = q , U (r) = 2
− , (1.43)
m rmin s2 2
(E − U (s)) 2mr r
m

zur Anfangsbedingung φ(rmin ) = 0 (Perihel) wird mit dem unbestimmten


Integral
Z
dx 1 b + 2cx
√ = √ arccos √ , c < 0, b2 > 4ac (1.44)
a + bx + cx2 −c 2
− b − 4ac
ausgerechnet:
Z x L k
dx −
φ(r) = q = − arccos qmr L
. (1.45)
2 m 2 km 2E k2
x1
m
(E − 2
x + L
x) m
+ L2

L
(Wir haben nur r = mx substituiert.) Somit erhalten wir die Polargleichung
eines Kegelschnittes:
r
p 2EL2 L2 p
r= , ε := 1 + 2
, p := , rmin = (1.46)
1 + ε cos φ mk mk 1+ε
Für r = p, das heißt ε = 0,ergibt sich ein Kreis.

2. Für 0 < ε < 1 erhalten wir eine Ellipse mit der Exzentrizität ε:
x2 y 2 p p
2
+ 2 = 1, a := 2
, b := √ . (1.47)
a b 1−ε 1 − ε2

3. Für ε > 1 bekommen wir eine Hyperbel:


x2 y 2 p p
2
− 2 = 1, a := 2 , b := √ . (1.48)
a b ε −1 2
ε −1
Längs der beiden Asymptoten erhalten wir die Grenzwerte:
1 b
lim cos φ = − , lim tan φ = ± . (1.49)
r→∞ ε r→∞ a

4. Für E = 0 und L > 0 bekommen wir mit ε = 1 eine Parabel:


p
rmin = , y 2 = 2px. (1.50)
2
12 KAPITEL 1. NEWTON’SCHE MECHANIK

5. Für E ≥ 0 und L = 0 erhalten wir mit p = 0 einen sogenannten zentralen


Stoß.
6. Indem wir die Ellipsenfläche πab einsetzen, finden wir das dritte Kepler’sche
Gesetz:
X X L m
(T ) − (0) = πab = T ⇒ T 2 = 4π 2 a3 . (1.51)
2m k
7. Im Schwerefeld setzen wir die Gravitationskonstante G ein:
k = GM m. (1.52)
Die Exzentrizitäten der Erdbahn und der Mondbahn betragen ε = 0.0167(Erde),
ε = 0.0549(Mond). Für unsere Jahreszeiten ist der genannte Wert unerheb-
lich
8. In einem Zentralfeld gilt längs einer Bahn
d~p
= f ◦ r(t)~er (t) (1.53)
dt
und daher
~ = f (r)~er × (~r × m~r˙ ) = m f (r) ~r × (~r × ~r˙ ) =
p~˙ × L (1.54)
r
f (r)
= m (~r(~r · ~r˙ ) − r2~r˙ ), (1.55)
r
mit dem Skalarprodukt
1
~r · ~r˙ = ddt(r2 ) = rṙ. (1.56)
2
Aus der Erhaltung des Drehimpulses folgt
d ˙
(~p × L) ~ = −mr2 f (r)( ~r − ṙ ~r) =
~ = p~˙ × L (1.57)
dt r r2
= −mr f (r)~e˙ r .
2
(1.58)
Für das Keplerproblem erhalten wir somit
k d ~ − mk~er ) = 0.
f (r) = −
, (~p × L (1.59)
r2 dt
Der sogenannte Runge-Lenz-Vektor
~ := p~ × L
R ~ − mk~er (1.60)
~ ·L
ist also ein Bewegungsintegral, er liegt in der Bahnebene: R ~ = 0.
1.2. BEWEGUNG IM ZENTRALFELD 13

9. Mit diesem zusätzlichen Bewegungsintegral kann die Gleichung der Bahn


ohne Integration abgeleitet werden: Sei
~ · ~r(t) = Rr(t) cos ψ(t).
R (1.61)

Wir rechnen
~ · ~r = ~r · (~p × L)
R ~ − mkr, ~r · (~p × L)
~ =L
~ · (~r × p~) = L2 . (1.62)

Daraus folgt unmittelbar


L2
r(t) = . (1.63)
R cos ψ(t) + mk
Ein Vergleich mit der Polargleichung zeigt:

R = mkε, R2 = m2 k 2 + 2mEL2 , φ(t) = ψ(t). (1.64)


~ ist also parallel zu den Bahnvektoren im Perihel.
Der Runge-Lenz-Vektor R
10. Durch jeden Punkt des Phasenraumes

{{r, φ, ṙ, φ̇}²R4 |0 < r < ∞, 0 ≤ φ < 2π} (1.65)

verläuft genau eine Bahnkurve. Die vier Anfangsbedingungen können (teil-


weise) durch Werte der Bewegungsintegrale ersetzt werden:
   

 r(0) 
 
 E 

 φ(0)   
L
↔ (1.66)

 ṙ(0) 
 
 ~eR 
   
φ̇(0) φ(0)

1.2.3 Rutherford-Streuung
1. Aus dem Grenzwert für die Streuung im Schwerefeld
1
lim cos φ = − (1.67)
r→∞ ε
folgt sofort
δ 1
2 lim φ(r) + δ = 2π, cos = . (1.68)
r→∞ 2 ε
Für den Streuwinkel θ = π − δ erhalten wir somit
r
θ δ 1 k m
tan = cotan = √ = . (1.69)
2 2 2
ε −1 L 2E
14 KAPITEL 1. NEWTON’SCHE MECHANIK

2. Für den Stoßparameter s gilt:

L L m
s := =√ , v0 := lim ṙ(t), E = v02 . (1.70)
mv0 2mE t→∞ 2

Damit erhalten wir für den differentiellen Wirkungsquerschnitt σ(θ) die Ru-
therford’sche Streuformel:
µ ¶2 µ ¶−4
s ds k θ
σ(θ) := − = sin . (1.71)
sin θ dθ 4E 2

Wir haben hier nur eingesetzt:

k θ
s := cotan . (1.72)
2E 2

3. Für die Streuung von α-Teilchen an Atomkernen (die so genannte Rutherford-


Streuung) folgt aus der Bahngleichung

p 1
r= , lim cos φ = , (1.73)
ε cos φ − 1 r→∞ ε

für den Streuwinkel


θ = π − 2 lim cos φ(r) (1.74)
r→∞

ebenfalls die Rutherford’sche Streuformel, nun mit k = 2Ze2 .

1.3 Streuung von zwei Massenpunkten


1.3.1 Zweikörperproblem
1. Der Gesamtimpuls P~ := m1~x˙1 + m2~x˙2 ist zeitlich konstant (actio=reactio):

dP~
= F~12 + F~21 = 0. (1.75)
dt
Der Schwerpunkt mit den Koordinaten

m1~x1 + m2~x2
~xcm := (1.76)
m1 + m2
d2 xcm
bewegt sich also mit konstanter Geschwindigkeit: dt2
= 0.
1.3. STREUUNG VON ZWEI MASSENPUNKTEN 15

~ := ~x1 × p~1 +~x2 × p~2 ist ebenfalls ein Bewegungs-


2. Der Gesamtdrehimpuls L
integral:
~
dL
= (~x1 − ~x2 ) × F~12 = 0. (1.77)
dt
3. Der Konfigurationsraum von zwei Massenpunkten ist eine offene Teilmenge
von R6 , nämlich © ª
M = {~x1 , ~x2 ²R6 |~x1 6= ~x2 } . (1.78)
Der Phasenraum (mit den Geschwindigkeiten ~v1 , ~v2 ) ist also

T (M) = M × R6 . (1.79)

4. Sei nun insbesondere


[
F~12 = −∇1 (~x1 , ~x2 ) = −V 0 (r)~er (1.80)

und [
F~21 = −∇2 (~x1 , ~x2 ) = V 0 (r)~er (1.81)
mit einem relativen Potential
[
(~x1 , ~x2 ) = V (r), r = |~x|, ~x := ~x1 − ~x2 (1.82)

Mit den Bezeichnungen


1 1 1
M := m1 + m2 , = + (1.83)
m m1 m2
für die gesamte und die sogenannte reduzierte Masse kann die kinetische
Energie in der Form
m1 ˙ 2 m2 ˙ 2 M ˙ 2 M m ˙ 2
T = ~x1 + ~x2 = ~xcm + ~x (1.84)
2 2 2 2
geschrieben werden. Die Gesamtenergie E = T + V ist zeitlich konstant.

5. Aus den beiden Newton’schen Bewegungsgleichungen folgt nun die Bewe-


gungsgleichung für das “äquivalente Einkörperproblem”:
¨ (t) = −V 0 ◦ r(t)~er (t).
m~x (1.85)

6. Im Schwerpunktsystem rechnen wir mit den Koordinaten


m2 m1
~y1 := ~x1 − ~xcm = ~x, ~y2 := ~x2 − ~xcm = − ~x (1.86)
M M
16 KAPITEL 1. NEWTON’SCHE MECHANIK

Aus den für t → ∞ gültigen Gleichungen

|~x˙1 | sin θlab = |~y˙1 | sin θcm , |~x˙1 | cos θlab = |~y˙1 | cos θcm + |~xcm
˙ | (1.87)

folgt zunächst

sin θcm ˙ |
|~xcm
tan θlab = , µ = lim . (1.88)
cos θcm + µ y˙1 (t)|
t→∞ |~

Ferner schließen wir


m2 ˙ ~ ˙ = m1~v0 ⇒ µ = m1 v0
~y˙1 = ~x, P = M ~xcm . (1.89)
M m2 limt→∞ |~x˙ (t)|

Der Energiesatz
m1 2
E = v + lim V ◦ r(t) = (1.90)
2 0 t→−∞
M ˙2 ³m 2 ´
= ~xcm + lim ~x˙ (t) + V ◦ r(t) (1.91)
2 t→∞ 2
führt unter der Voraussetzung limt→±∞ V ◦ r(t) = 0 zum Limes
m1
lim |~x˙ | = v0 , ⇒ µ = . (1.92)
t→∞ m2
Für m1 = m2 folgt daraus θlab = 12 θcm , also 0 ≤ θlab ≤ π2 .

1.3.2 Elastischer Stoß


Wir betrachten den Bereich der (kurzreichweitigen) Wechselwirkung als “black
box”. Wir setzen nur die Erhaltung des Gesamtimpulses und die Gesamtenergie
voraus. Aus dieser folgt für t → ±∞ die Erhaltung der kinetischen Energie.
Daraus folgt
sin θcm
tan θlab = . (1.93)
cos θcm + m 1
m2

1. Aus der Impulserhaltung

p~1 + p~2 = p~01 + p~02 , p~k := mk~vk , p~0k := mk~vk0 , (1.94)

folgt
m2 m1 m2 0 m1 0
~v1 = ~v , ~v2 = ~v , ~v10 = ~v , ~v2 = ~v , (1.95)
M M M M
~v := ~v1 − ~v2 , ~v 0 := ~v10 − ~v20 . (1.96)
1.3. STREUUNG VON ZWEI MASSENPUNKTEN 17

Aus der Energieerhaltung


m1 2 m2 2 m1 02 m2 02
v + v = v + v (1.97)
2 1 2 2 2 1 2 2
folgt v 2 = v 02 , und wir setzen
~v 0 = |~v |~n, |~n| = 1. (1.98)

2. Wir verwenden Geschwindigkeiten und Impulse im Laborsystem:


m1~u1 + m2~u2
~uk = ~vk + ~ucm , ~u0k = ~vk0 + ~ucm , ~ucm = , (1.99)
M
~qk = mk ~uk , ~qk0 = mk ~u0k , k = 1, 2, (1.100)
und finden
~q1 + ~q2 ~q1 + ~q2
~q10 = mv~n + m1 , ~q20 = −mv~n + m2 (1.101)
M M
3. Das zweite Teilchen möge vor dem Stoß ruhen: ~q2 = 0.
Für m1 ≤ m2 gilt
π
θ1 + θ2 ≥ , 0 ≤ θ1 ≤ π. (1.102)
2
Für m1 > m2 gilt
m2
0 ≤ sin θ1 ≤ . (1.103)
m1
Für m1 = m2 gilt
1
θ1 + θ2 = f racπ2, θ1 = θcm . (1.104)
2
Allgemein gilt
sin θcm
tan θ1 = . (1.105)
cos θcm + m 1
m2

4. Sei m1 ≤ m2 Für einen zentralen Stoß gibt es zwei Möglichkeiten:


(a) Rückwärtsstreuung: θ1 = θcm = π, θ2 = 0
m1 − m2 2m1
~u01 = ~u1 , ~u02 = ~u1 . (1.106)
M M
m2
Für m1
→ ∞ erhalten wir: ~q10 → −~q1 , ~q20 → 2~q1
π
(b) Vorwärtsstreuung: θ1 = θcm = 0, θ2 = 2

~u01 = ~u1 , ~u02 = 0. (1.107)


5. Sei m1 = m2 . Vorwärts- und Rückwärtsstreuung bedeuten
~u01 = ~u1 , ~u2 = 0, ~u01 = 0, ~u02 = ~u1 . (1.108)
18 KAPITEL 1. NEWTON’SCHE MECHANIK

1.4 Systeme von N Massenpunkten


1.4.1 Erhaltungssätze
1. Die Bewegungsgleichungen lauten für N Massenpunkte
d2~xk
mk = F~k (~x1 (t), ..., ~xN (t)) = (1.109)
dt2 X
= F~kl (~x1 (t), ..., ~xN (t)) (1.110)
1≤l≤N,6=k
~ k (~xk (t)) , k = 1, ...N.
+ E (1.111)
Sie erhalten Wechselwirkungen zwischen den Massenpunkten und auch äu-
~ k ). Für die Wechselwirkungskräfte setzen wir an:
ßere Kräfte (E
~xl − ~xk
F~kl (~x1 , ..., ~xN ) = fkl (rkl ) , rkl := |~xl − ~xk |, (1.112)
rkl
mit der Bedingung
fkl (r) = flk (r), r > 0, k, l = 1, ..., N. (1.113)

2. Der Gesamtimpuls
N
X d~xk
P~ := mk (1.114)
k=1
dt
eines abgeschlossenen Systems (d.h.: ohne äußere Krafte) ist ein Bewe-
gungsintegral, weil sich die Wechselwirkungen paarweise aufheben (ac-
tio=reactio).
3. Der Schwerpunkt des Systems ist als
m1 x1 (t) + ... + mN xN (t)
~xcm (t) := (1.115)
m1 + ...mN
definiert. Offensichtlich gilt
P~ = M ~x˙ cm , M := m1 + ... + mN , (1.116)
und
X N X N
dP~ ¨ k (t) = ~ k (~xk (t)) .
= mk ~x mk E (1.117)
dt k=1 k=1
Der Schwerpunkt eines abgeschlossenen Systems bewegt sich also mit kon-
stanter Geschwindigkeit1 .
1
siehe Galilei-Transformationen
1.4. SYSTEME VON N MASSENPUNKTEN 19

4. Der Gesamtdrehimpuls
N
X
~ :=
L ~xk (t) × p~k (t), p~k (t) := mk ~x˙ k (t), (1.118)
k=1

ist ein Bewegungsintegral, wenn das System abgeschlossen ist, weil sich die
Wechselwirkungen paarweise aufheben:

X N X N
~˙ :=
L ¨ k (t),
~xk (t) × mk ~x ~xk (t) × Ek (~xk (t)). (1.119)
k=1 k=1

~˙ ist das äußere Drehmoment. Zum Beispiel gilt


L

~x1 × F~12 + ~x2 × F~21 = (1.120)


f12 (r12 )
= (~x1 × (~x2 − ~x1 ) + ~x2 × (~x1 − ~x2 )) = 0. (1.121)
r12

5. Wir berechnen die zeitliche Änderung der kinetischen Energie


N
X XN
mk 2 1 2
T (t) := ~x˙ k = p~k , (1.122)
k=1
2 k=1
2m k

nämlich
X N
dT
:= ~x˙ k · F~k (~x1 (t), ..., ~xN (t)) (1.123)
dt k=1

und damit
N Z
X t
T (t) − T (t0 ) := ds~x˙ k (s) · F~k (~x1 (s), ..., ~xN (s)) =: W (t). (1.124)
k=1 t0

Das Integral ist die Arbeit Wk (t) der Kraft F~k

6. Die Wechselwirkungskräfte können aus einem Potential abgeleitet werden:


X Z rkl
V (~x1 , ..., ~xN ) := Vkl (~xk , ~xl ), Vkl (~xk , ~xl ) := drfkl (r),
1≤k<l≤N r0
(1.125)
Offensichtlich gilt

Vkl (~xk , ~xl ) = Vkl (~xl , ~xk ) = Vlk (~xl , ~xk ) = Vlk (~xk , ~xl ). (1.126)
20 KAPITEL 1. NEWTON’SCHE MECHANIK

Wir differenzieren
∂ ∂rkl xik − xil
V (~
x
kl k , ~
x l ) = f (r
kl kl ) = f (r
kl kl ) = (1.127)
∂xik ∂xik rkl
= −Fkli (~x1 , ..., ~xN ), (1.128)

und berechnen damit längs einer Bahnkurve

d
V (~x1 (s), ..., ~xN (s)) = (1.129)
ds
X X 3 µ ¶
∂Vkl i ∂Vkl i
= i k
ẋ (s) + i l
ẋ (s) = (1.130)
1≤k<l≤N i=1
∂x k ∂x l
3
XX X
∂Vkl
= ẋik (s) = − ~x˙ k (s) · F~kl (~x1 (s), ..., ~xN (s)). (1.131)
k6=l i=1
∂xik k6=l

In einem abgeschlossenen System erhalten wir für die Arbeit der Wechsel-
wirkung am Massenpunkt mk längs einer Bahnkurve
X Z t
Wk (t) = ds~x˙ k (s) · F~kl (~x1 (s), ..., ~xN (s)) = (1.132)
1≤k<l≤N t0

3 Z
XX t

= − ds~xik (s) Vkl (~xk (s), ~xl (s)), (1.133)
k6=l i=1 t0 ∂xik

und damit für die gesamte Arbeit der Wechselwirkungskräfte


N
X Z t
d
W (t) = Wk (t) = − ds V (~x1 (s), ..., ~xN (s)) = (1.134)
k=1 t0 ds
= V (~x1 (t0 ), ..., ~xN (t0 )) − V (~x1 (t), ..., ~xN (t)). (1.135)

Somit ist die Gesamtenergie eines abgeschlossenen Systems zeitlich kon-


stant:
T (t) + V (t) = T (t0 ) + V (t0 ) =: E. (1.136)

7. Wenn konservative äußere Kräfte einwirken, ist die Gesamtenergie eben-


falls ein Bewegungsintegral:

X N

Eki (~xk ) = − U (~
x
k k ), U (~
x 1 , ..., ~
x N ) := Uk (~xk ). (1.137)
∂xik k=1
1.4. SYSTEME VON N MASSENPUNKTEN 21

Daraus folgt zunächst


N Z
X t
− ds~x˙ k (s)E
~ k (~xk (s)) = U (~x1 (t), ..., ~xN (t)) − U (~x1 (t0 ), ..., ~xN (t0 )).
k=1 t0
(1.138)
Setzen wir diesen Ausdruck in W (t) ein, so finden wir, daß die Gesamt-
energie2
E := T (t) + V (t) + U (t) (1.139)
längs einer Familie von Bahnkurven zeitlich konstant ist.

1.4.2 Dreikörperproblem
Das Zweizentrenproblem ist streng lösbar. Ein Massenpunkt m bewegt sich im
Schwerefeld von zwei ruhenden Massenpunkten M1 und M2 .
Für das sogenannte restringierte Dreikörperproblem sind, abgesehen von qualitati-
ven Aussagen, nur einzelne strenge Lösungen bekannt, nämlich die beiden äquila-
teralen und die drei kollinearen Lösungen.
Erde und Mond kreisen beinahe unbeeinflußt von einem Satelliten um ihren ge-
meinsamen Schwerpunkt. Die Bahn des Satelliten im Schwerefeld der beiden ro-
tierenden Himmelskörper wird nährungsweise numerisch berechnet.
Besonders interessant ist die Frage, wann ein Dreikörpersystem aufbricht. In der
Quantenmechanik ist, um zwei mathematisch hochinteressante Beispiele anzufüh-
ren, ein Bindungszustand (Proton - Elektron - Positron) nicht möglich, weil das
Positron zu leicht ist. Das H − - Ion besitzt genau einen Bindungszustand unter
der Streuschwelle.
Das System (p µ− e− ) besitzt keinen Bindungszustand, weil das Proton vom My-
on, dessen Bohrradius viel kleiner als der des Elektrons ist, abgeschirmt wird.

2
Die Bezeichnungen V(t) und U(t) sind nicht mathematische präzise
22 KAPITEL 1. NEWTON’SCHE MECHANIK
Kapitel 2

Lagrange’sche Mechanik

2.1 Lagrange - Gleichungen


2.1.1 Ebenes mathematisches Pendel
1. Wir schreiben die Beschleunigung in ebenen Polarkoordinaten an:

~x(t) = x1 (t)~e1 + x2 (t)~e2 = %(t)~e% (t), (2.1)


~e% (t) = cos φ(t)~e1 + sin φ(t)~e2 . (2.2)
~x˙ (t) = %̇(t)~e% (t) + %(t)φ̇(t)~eφ (t), (2.3)
~eφ (t) = cos φ(t)~e2 − sin φ(t)~e1 . (2.4)
¨ (t) = (%̈ − %φ̇2 )(t)~e% (t) + (2%̇φ̇ + %φ̈)~eφ (t).
~x (2.5)

2. Die Newton’sche Bewegungsgleichung


¨ (t) = G
m~x ~ − (Fadenspannung)~e% (t) (2.6)

mit dem Gewicht


~ = mg~e1 = mg(cos φ(t)~e% (t) − sin φ(t)~eφ (t))
G (2.7)

lautet also explizit:

m(%̈ − %φ̇2 )(t) = mg cos φ(t) − Fadenspannung, (2.8)


m(2%̇φ̇ + %φ̈) = −mg sin φ(t). (2.9)

3. Die Zwangsbedingung %(t) = l führt zur Bewegungsgleichung


¨ = −g sin φ(t), t²R.
lφ(t) (2.10)

23
24 KAPITEL 2. LAGRANGE’SCHE MECHANIK

p g sin φ ≈ φ eine har-


4. Für kleine Auslenkungen ergibt sich mit der Näherung
monische Schwingung mit der Kreisfrequenz ω = l .

5. Die Bewegungsgleichung

d2 φ g
+ sin φ(t) = 0, t²R, (2.11)
dt2 l

mit den Anfangsbedingungen φ(0) = α, φ̇(0) = 0 ist nichtlinear. Aus der


Gleichung
g
φ̇2 (t) = 2 (cos φ(t) − cos α), (2.12)
l
die zur Bewegungsgleichung mit der Anfangsbedingung φ̇(0) = 0 für φ(0) =
α führt, folgt der Energiesatz:
m 2 2
E= l φ̇ (t) + mgl(1 − cos φ(t)) = mgl(1 − cos α). (2.13)
2

6. Aus der Gleichung

g α φ
φ̇2 (t) = 4 (sin2 − sin2 ) (2.14)
l 2 2
folgt sofort r r
φ 2 α 2 φ g
ωdt = d( ) sin − sin , ω := , (2.15)
2 2 2 l
also Z φ/2

ω(t − t0 ) = q , φ(t0 ) = 0. (2.16)
0 sin2 α
2
− sin2 ψ
Mit der Transformation
α
sin ψ = a sin y, a := sin , (2.17)
2
erhalten wir
Z z
dy φ
ω(t − t0 ) = p , sin = a sin z, (2.18)
0 1 − a2 sin2 y 2

und damit die Schwingungsdauer


s Z
l π/2 dy
T =4 p . (2.19)
g 0 1 − a2 sin2 y
2.1. LAGRANGE - GLEICHUNGEN 25

Die Potenzreihenentwicklung des Integranden liefert eine Reihenentwick-


lung für dieses “vollständige elliptische Integral 1.Art”, nämlich
Z π/2 µ ¶
dy π a2 9 4
p = 1+ + a + ... , (2.20)
0 1 − a2 sin2 y 2 4 64
und damit
s µ ¶
l 1 2α 9 4 α
T = 2π 1 + sin + sin + ... . (2.21)
g 4 2 64 2

2.1.2 Konfigurationsraum und Phasenraum


Die Bahn eines Massenpunktes im Potential eines harmonischen Oszillators ist
beschränkt. Insbesondere ist diese Bewegung periodisch.
Im Phasenraum sind die möglichen Bahnen Ellipsen; mit den Koordinaten ωx
und v = ẋ sind diese Bahnen konzentrische Kreise. Die dunkelgraue Fläche ist
ein gewählter Bereich von Anfangsbedingungen. Ein solcher Bereich ändert seine
Form und Größe im Laufe der Zeit nicht.
Im allgeneinen (z.B. für ein Pendel) ändert sich zwar die Form eines Bereichs von
Anfangsbedingungen, nicht jedoch sein Flächeninhalt. (Satz von Liouville).
Die Bewegungen von 2 unabhängigen harmonischen Oszillatoren kann auch als
die Bewegung eines Massenpunktes in einer Ebene im Potential
1
U (x1 , x2 ) = (ω12 x21 + ω22 x22 ) (2.22)
2
aufgefaßt werden- Wenn das Verhältnis der beiden Kreisfrequenzen rational ist,
so ist die Bahn im Konfigurationsraum (und auch im Phasenraum) geschlossen.
Andernfalls füllt die Bahn das von den beiden AMplituden aufgespannte Recht-
eck dicht aus. Einige der sogenannten Lissajous’schen Figuren sind gezeichnet:
Wir betrachten ein mechanisches System, das aus N Teilchen besteht, die be-
stimmten Zwangsbedingungen1 unterworfen sind:
3N − Z = n (2.23)
Z ... Zahl der Zwangsbedingungen
n ... Zahl der Freiheitsgrade
Wir nehmen an, daß eine Koordinatentransformation:
   
x11 . . . x31 q1
 .. . . .   . 
 . . ..  →  ..  (2.24)
x1N · · · x3N q3N
1
engl. constraints
26 KAPITEL 2. LAGRANGE’SCHE MECHANIK

existiert, sodaß die Zwangsbedingungen darin bestehen, daß die neuen Koordi-
naten qn+1 , ..., q3N gleich null gesetzt werden. Die verbleibenden unabhängigen
Variablen werden als generalisierte Koordinaten bezeichnet. Sie beschreiben den
sogenannten Konfigurationsraum des System. (Im allgemeinen werden mehrere
Koordiantensysteme benötigt.)
Ein mechanisches System mit n Freiheitgraden heißt integrabel, wenn mindestens
n Bewegungsintegrale existieren.
Als erstes Beispiel betrachten wir das sphärische Pendel: N=1, n=2. Hier ist die
Kugelschale mit der Länge des (masselosen) Fadens als Radius der Konfigurati-
onsraum, und die Beiten Polarkoordinaten θ und φ sind die generalisierten Koor-
dinaten. Dieses System ist integrabel, weil die Gesamtenergie und der Drehimpuls
um das Lot zeitlich konstant sind. Die Erhaltung des Drehimpulses ist der Aus-
druck der Symmetrie des Systems um die Richtung des Schwerkraft.
Als nächstes Beispiel betrachten wir das ebene Doppelpendel: N = 2, n = 2. Der
Konfigurationsraum ist der zweidimensionale Torus T2 mit den beiden generali-
sierten Koordinaten φ1 und φ2 . Da nur die Gesamtenergie zeitlich erhalten bleibt,
ist das System nicht integrabel.
Der zweidimensionale Torus T2 kann in den R3 eingebettet werden.2

Abbildung 2.1: Doppelpendel

2.1.3 Hamilton’sches Variationsprinzip


1. Die kinetische Energie eines Systems von N Massenpunkten ist längs der
Bahnen dersleben eine Funktion der Zeit:
XN
1 2
T (t) = mk x~˙k (t). (2.25)
k=1
2
2
Bew. als Übung
2.1. LAGRANGE - GLEICHUNGEN 27

2. Wir nehmen an, daß die treibenden Kräfte aus einem Potential abgeleiten
werden können:
F~k = −∇k U (~x1 , ..., ~xN , ~x˙ 1 , ..., ~x˙ N ). (2.26)
3. Mit Hilfe der Lagrange-Funktion L := T − U wird nun die Wirkung längs
einer Bahnkurve Γ im R3N definiert:
Z t2
Φ(Γ) := dtL(~x1 (t), ..., ~x˙ N (t), t) (2.27)
t1
längs
Γ : t²[t1 , t2 ] →= {~x1 (t), ..., ~x˙ N (t)}²R3N . (2.28)
Variationsprinzip. Die Massenpunkte bewegen sich von P1 nach P2 längs
solcher Bahnkurven, daß die Wirkung ein Extremum wird:
δΦ(Γ) = 0. (2.29)
4. Seien insbesondere holonome Zwangsbedingungen gegeben:
xik = ξki (q1 , ...qn , t), i = 1, ..., 3, k = 1, ..., N. (2.30)
Daraus folgt längs einer Bahn im R3N
Xn
∂ξki ∂ξ i
ẋik (t) = q̇l (t) + k =: ηki (q1 , ..., q̇n , t). (2.31)
l=1
∂ql ∂t
Für die entsprechend transformierte Lagrange-Funktion
L(~x1 , ..., ~x˙ N , t) = L0 (q1 , ..., q̇n , t) (2.32)
schreiben wir bequemerweise wieder L(q1 , ..., q̇n , t).
5. Das Hamilton’sche Variationsprinzip lautet nun:
Z t2
δΦ(Γ) = δ dtL(q1 (t), ..., q̇n (t), t) = 0, (2.33)
t1
indem über alle Bahnen
Γ = {q1 (t), ..., qn (t); t1 ≤ t ≤ t2 } (2.34)
im Konfigurationsraum M von P1 nach P2 variiert wird.
6. Aus diesem Varitionsprinzip folgen nun die Lagrange-Gleichungen als die
Bewegungsgleichungen des Systems in den generalisierten Koordinaten.
Wie integrieren partiell:
Z t2 Z t2
∂L ∂L d
dt δ q̇k = dt δ q̇k = (2.35)
t1 ∂ q̇k t1 ∂ q̇k dt
= (2.36)

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