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Johannes Tauler Predigt 59

Nach kurzem Bericht über den Anlaß zur Einsetzung des Festes Kreuzerhöhung lehrt uns
diese Predigt; wie wir das Kreuz in uns erhöhen sollen, damit der Herr uns an sich ziehe,
wie wir unsere läßlichen Sünden für die Erkenntnis unseres Nichts fruchtbar machen können
und wie nach Überwindung der beiden niederen Menschen in uns wir uns in die
Verborgenheit des göttlichen Abgrundes erheben können.
HEUTE IST DER TAG der Erhebung des über alles wertvollen, heiligen Kreuzes,
dessen Würdigkeit man nicht in Worte fassen kann, mit dem all die Ehre und das
Ansehen verbunden ist, die man sich in Zeit und Ewigkeit auszudenken vermag.
Denn man hat dabei den im Sinn, der am Kreuz starb, und darum nehmen geistliche
Leute dieses Kreuz heute auf sich und beginnen mit dem Regelfasten, ein wertvolles
Ding für alle, die es können, und ein erfreuliches (dazu).
Man begeht heute den Tag, an dem der Christen kaiser dem heidnischen König
dieses heilige Kreuz abnahm und es mit all den Ehren und der Würde, die seine
Herrschaft leisten oder ausdenken mochte nach ihrem Werte - nicht nach des
Kreuzes Wert -, nach Jerusalem bringen wollte. Als er auf die Stadttore zuritt,
verschloß eine starke, dicke Mauer den Eingang, und ein Engel stand darauf und
sprach: "Du kommst hierhergeritten mit dem Kreuz in großer Erhabenheit; der aber
am Kreuz starb, wurde mit großer Schmach und Schande hier hinausgetrieben und
trug es barfuß auf seinem Rücken." Der Kaiser sprang sogleich vom Pferd, entledigte
sich seiner Kleider bis aufs Hemd, nahm das heilige Kreuz auf seine Schultern - da tat
sich das Tor wieder auf - und trug es in die Stadt. Und es geschahen gar viele
Wunderzeichen an allerlei Kranken, an Lahmen, Blinden und Hüftkranken.
Unser Herr sprach: "Wenn ich erhöht bin, ziehe ich alle Dinge an mich." Damit ist
der Mensch gemeint, denn er gleicht allen Dingen. Es gibt wohl viele Menschen, die
das Kreuz finden und die Gott gar sehr an das Kreuz zieht mit manchem Leiden und
mancher Übung, um sie so an sich (selbst) zu ziehen. Aber das Leiden muß
("erhöht", das heißt) aufgenommen werden, wie man heute von diesem heiligen
Kreuz feiert, nicht allein aufgefunden, sondern erhoben werden. Nähme der Mensch
seines eigenen Selbst öfters wahr und kehrte sich zu sich selber, er fände das Kreuz
wahrlich zwanzigmal im Tageslauf in manchem schmerzlichen Einfall und Zufall,
womit er, hielte er sich zu sich selber, gekreuzigt würde. Aber er nimmt das Kreuz
nicht auf seine Schultern, und er tut ihm (damit) schweres Unrecht.
Man sollte alle Bürden des Kreuzes frei in Gott auf sich nehmen, als eigenes Kreuz,
sei es äußerlich oder innerlich, leiblich oder geistig. So wird der Mensch in Gott
hineingezogen, der alle Dinge an sich ziehen will, wenn er, wie er sagte, erhöht sein
werde.
Nun findet man Menschen, die dieses Kreuz nach außen wohl mit guter äußerlicher
Übung tragen und die Bürde eines Ordens auf sich genommen haben: sie singen und
lesen, gehen zum Chor oder Refektorium; sie leisten mit ihrem äußeren Menschen,
ihrem Singen und Lesen unserem Herrn einen geringen Dienst. Glaubt ihr wohl,
Gott habe euch geschaffen, nur damit ihr seine Vögel wäret? Er wollte an euch gerne
seine besonderen Bräute und Freundinnen haben. Jene Leute tragen das Kreuz
äußerlich; aber sie sind gar sehr darauf bedacht, daß es nicht in ihr Inneres komme,
und suchen Zeitvertreib, wo immer es geht. Sie tragen das Kreuz nicht wie unser
Herr, sondern wie der rothaarige Simon, der dazu gezwungen ward. Aber (auch)
diese Art ist noch recht gut: sie behütet sie vor mancher Untugend und
Leichtfertigkeit, erspart ihnen furchtbares Fegfeuer und rettet sie wohl gar vor der
ewigen Verdammnis.
Unser Herr sprach nun, er wolle alle Dinge an sich ziehen. Wer Dinge ziehen will, der
sammelt sie zuerst, und dann zieht er. So tut (auch) unser Herr. Er ruft den
Menschen zuerst von seinem äußeren Herumirren und seinen Zerstreuungen, seine
Sinne und Kräfte, sein Wort und Werk und innen seine Gedanken und Meinungen,
sein Vorstellen und Begehren, seine Neigung, sein Verständnis, sein Wollen und
seine Liebe. Und ist das alles gesammelt, so zieht Gott den Menschen an sich, denn
es muß alles weg, woran du innen oder außen mit aller Befriedigung hängst. Dieses
Abziehen erweist sich als schweres Kreuz, und das um so mehr, je fester und stärker
du an allem gehangen hast. Denn alle Neigung und Liebe, die du zu den Geschöpfen
hast, wie heilig oder göttlich auch immer sie scheine oder heiße oder sie dir
vorkommt, das muß alles notwendigerweise weg, sollst du jemals recht erhöht oder
in Gott gezogen werden.
Das ist nun der erste und niederste Grad. Es muß alles fort, notgedrungen. Diese
Kreuzaufhebung findet im äußeren Menschen statt. Dann soll man das Kreuz
aufnehmen im inneren Menschen, daß der von aller inneren Lust abgezogen werde,
von seiner Anhänglichkeit, von aller Lust des Geistes, die auch von den
Tugendübungen kommt. Die Lehrmeister streiten sich in den Schulen darüber, daß
man sich keiner Tugend freuen soll, sondern sie fruchtbar nutzen; freuen solle man
sich allein an Gott. Die Tugendübungen können freilich nicht ohne Lust sein, aber
man soll die Tugenden ohne Eigensucht üben.
Meine Lieben! Was glaubt ihr, was dies für eine Freude und Befriedigung sei? Daß
ein Mensch gut fasten, wachen, beten, die Regeln befolgen kann: diese Lust, meinem
Orden genugzutun, wollte Gott keineswegs (in mir). Warum, denkt ihr, daß Gott es
erlaubt, daß dir selten ein Tag oder eine Nacht wie die andere vergeht? Was dir heute
zur Andacht half, das nützt dir morgen oder noch heute nacht nichts, du hast viele
Bilder und Einfälle, und aus deiner Andacht wird nichts.
Dieses Kreuz nimm von Gott, und erdulde es innerlich. Es würde ein gar liebevolles
Kreuz, wenn du es Gott darbieten lind in rechter Gelassenheit von ihm nehmen
könntest und Gott dabei danken: "Hochpreiset meine Seele den Herrn, und meine
Seele erhebet Gott in allen Dingen", er nehme oder gebe: des Menschen Sohn muß
am Kreuz erhöht werden. Unsere Schwestern sind gar lauter in ihrem Grunde; aber
sie hangen (den Dingen) zu sehr an und wollen gerne empfinden und verkosten und
vernünftig erkennen. Liebe -Schwester, davon laß ab, und bemüh dich um rechte
Gelassenheit, scheue eher die Dinge, bekenne dich unwürdig, und denke daran, das
Kreuz der Versuchung der Blüte gefühlvoller Empfindung vorzuziehen; denn der
Mensch muß immer ein Kreuz haben.
"Christus mußte leiden, um so in seine Herrlichkeit einzugehen." Was deinem
Inneren entgegenkommt, Glanz oder Freude, laß ab davon, und kümmere dich nicht
darum. Frage nicht, was es sei, sondern versinke in dein Nichts, sieh auf dein
Nichtsein, und daran halte dich und an nichts anderes. Unser Herr sprach: ,,Wer zu
mir kommen will, nehme sein Kreuz auf ich und folge mir nach." Nicht mit Wohlsein,
sondern mit dem Kreuz folgt man Gott. Sprach doch der liebenswerte Sankt
Andreas: "Ich grüße dich, geliebtes Kreuz; nach dir habe ich mich von ganzem
Herzen gesehnt ; nimm mich von den Menschen weg, und gib mich meinem Herrn."
Und das darf nicht an einem Tag sein und am anderen nicht: es soll alle Tage sein;
ohne Unterlaß sollst du dich selbst beobachten in allem, was dir äußerlich oder
innerlich begegnet, woher es auch komme. Auch deine Sünden und deine
Gebrechen berechne; und fällst du des Tages siebzigmal, ebensooft kehre um und
komme wieder zu Gott; dann kommst du nicht so oft zu Fall. Beeile dich vielmehr
und dringe so ungestüm in Gott, daß dir die Sünden entfallen und du sie nicht mehr
wissest, wenn du damit zur Beichte kommst. Dies darf dich nicht erschrecken; denn
nicht zu deinem Schaden widerfährt dir das, sondern zur Erkenntnis deines Nichts
und zur Verschmähung deines eigenen Selbst in Gelassenheit, nicht zu
Niedergeschlagenheit, wenn nur der Mensch das in sich findet, daß er einen guten,
bereiten Willen zu Gott habe. Denn der Mensch ist nicht sündenlos, wie Unsere
Liebe Frau.
Und sei zufrieden, all dieses Leiden und dieses Kreuz auf dich zu nehmen. Sankt
Paulus sprach: "Denen, die Gott lieben, gereichen alle Dinge zum besten." Die
Auslegung fügt hinzu: "Schweig und flieh zu Gott; sieh auf dein Nichts, und bleibe in
dir selbst, und geh damit nicht sogleich zu deinem Beichtvater." Sankt Matthäus
folgte Gott sogleich, ohne Unterweisung und ohne Vorbereitung. Wenn du, Mensch,
dich in Gebrechen verstrickt findest, so mach dir das Kreuz mit deinen äußeren
Sinnen nicht zu schwer" sondern überlaß der Wahrheit, es dir zuzumessen, sei nur in
deiner Reue getreu.
Denn Verderben droht nicht denen, die in Christus Jesus sind, sondern denen, die
sich mit freiem Willen zu den Geschöpfen kehren. Im Gegenteil!
Denen, die Gott gerne liebten und im Sinn hätten, dient es nur zur Übung. Aber ich
warne euch wohlmeinend: seid ihr den Geschöpfen verhaftet, aus freiem Willen, wie
ihr geht und steht, und gebt Ursache dazu, so ist das eure Verderbnis. Und selbst
wenn euch Gott wahre Reue darüber gibt - was sehr ungewiß ist -, so werdet ihr
doch gewaltiges Fegefeuer dafür zu leiden haben; könntet ihr das jetzt sehen, ihr
könntet es nicht ertragen. "Und damit geht ihr (auch noch) zum Tisch des Herrn
und handelt so" - spricht ein großer Heiliger - "als ob ihr ein zartes, junges Kind
nähmet und es unter eure Füße in eine Schmutz lache trätet." Das tut man dem
lebendigem Gottessohn an, der sich uns aus Liebe hingegeben hat! So geht ihr zur
Beichte, wollt euch aber vor den Ursachen (zur Sünde) nicht hüten; davon kann
euch der Papst mit all seinen Kardinälen nicht freisprechen; denn es ist keine Reue
da; und bedenket: sooft ihr das tut, macht ihr euch wahrhaft schuldig am Leibe
unseres Herrn.
Nun spricht unser Herr: "Willst du mir folgen, so verzichte, verleugne dich selbst und
nimm dein Kreuz auf dich." Dieses Verleugnen und dieses Kreuz wird manchem
edlen Gottesfreund vorgehalten und so weit getrieben, daß man es gar nicht zu sagen
wagt, wie sehr man sich zu Grunde lassen und sich selbst verleugnen müsse, in
welchem Stand man auch sei. Was nichts kostet, ist auch nichts wert. Wer spärlich
säet, erntet auch wenig.
Wie du missest, so wird man dich wieder messen. Doch soll niemand das im Sinn
haben, sondern nur Gott allein. Aber was soll das alles, was man euch hierüber sagen
kann, euch, die ihr eure alte Art und Gewohnheit nicht lassen wollt und an eurer
äußeren Wirksamkeit mit euren Sinnen festhaltet, an Psalter und Vigilien und
(äußeren) Übungen nach eurer Wahl?
Wahrlich, du mußt dich selbst aufgeben und deinem Selbst von Grund aus sterben.
Der Herr sprach: "Folge mir nach!" Der Knecht folgt seinem Herrn, er geht ihm
nicht voran, sondern folgt ihm, nicht nach seinem Willen, sondern nach des Herrn
Willen. Und hätten wir keine andere Lehre empfangen, wir brauchten nur die Diener
und Mägde zu betrachten, wie wenig sie ihrem eigenen Willen folgen können, wie alle
Zeit ihr Fleiß, ihre Kraft ganz und gar dem Willen und Dienst ihres Herrn gehören.
Meine Lieben! Das Weizenkorn muß sterben, soll es Frucht bringen. Du mußt
deinem eigenen Willen von Grund aus sterben. Der Mensch sollte auch niemals sein
eigenes Selbst und seinen eigenen Willen preisgeben, außer wenn er sich Gott
innerlich hingibt; dann sollte es gerade so sein, als wenn er nie einen Willen gehabt
hätte.
Eine Ordensfrau stand im Chor und sang und sprach: "Herr, diese Zeit gehört dir
und mir; kehre ich mich jedoch in mich selbst, so ist sie dir und nicht mir." Will der
Mensch sich Gott hingeben, so soll er sich in unergründlicher Weise in allem seines
Willens entschlagen. Denn der Mensch ist wie aus drei Menschen gestaltet: das Tier
in ihm, das nach seinen Sinnen lebt, das Geistwesen und der oberste Mensch,
gottförmig, gottgebildet. In diesen obersten inneren Menschen soll der Mensch sich
wenden, mit ihm sich vor den göttlichen Abgrund legen, aus sich (selbst)
herausgehen und sich mit allem Gott gefangengeben. Die beiden niederen Menschen
(in sich) soll er übersteigen und sie unterdrücken. Hierzu sagt Sankt Bernhard1: "So
hart wie es ist, den sinnlichen Menschen mit seiner Lust von den Dingen abzuziehen,
die er mit Zuneigung besessen hat - ein wie schweres Kreuz das ist, wißt ihr selbst -,
es ist um nichts weniger schwer, sagt er, den nach außen gerichteten Menschen in
die Innerlichkeit zu ziehen und von den bildhaften und sichtbaren Dingen zu den
unsichtbaren." Das ist im Grunde das, was Augustinus "abditum mentis" (die
Verborgenheit, das Geheimnis des Geistes) nennt.
Alle die Vorfälle und das Kreuz, die auf die beiden niederen Menschen (im
Menschen) fallen, die ihn, wie er meint, oft: von dieser Einkehr abziehen und daran
hindern, die betrachte der Mensch als das (ihm von Gott bestimmte) Kreuz; die
Vorfälle befehle er Gott an, seien sie nun aus den Sinnen oder der Vernunft:; die
lasse er alle (beiseite) und überlasse sie den niederen Kräften.
Mit aller Kraft: erhebe er sich darüber in sein oberes Teil, wie Abraham tat; er ließ
Knecht und Esel unten am Berg, auf dem er Gott opfern wollte, und ging allein mit
seinem Sohn hinauf. So laß (auch du) den Esel, den sinnlichen Menschen, der
wahrlich ein Esel ist, und den Knecht, der die natürliche Vernunft darstellt, die hier
wohl ein Knecht ist (zurück); denn sie haben bis hierher gedient, sie haben den
Menschen bis zum Berg des Aufganges gebracht: da aber sollen sie bleiben. Du sollst
die bei den am Fuß des Berges Jassen und allein mit dem Sohn den Berg
hinaufsteigen, das heißt mit dem Geiste an den geheimen Ort, in das Allerheiligste,
um dort dein Opfer zu verrichten. Gib dich da selbst gänzlich preis, tritt dort ein, und
verbirg den verborgenen Grund deines Geistes, wie Augustinus das nennt, in der
Verborgenheit des göttlichen Abgrundes. So spricht der Prophet im Psalter: "Herr,
du wirst sie verbergen in der Verborgenheit deines Antlitzes." In der Verborgenheit
wird der geschaffene Geist wieder in seine Ungeschaffenheit zurückgetragen, wo er
im grunde Gottes von Ewigkeit gewesen ist2, ehe er geschaffen wurde; er erkennt
sich als Gott in Gott und doch an sich selbst als Geschöpf und geschaffen.

1
Nach der von Corin, Sermons III, 51 unten, bei Vetter 357,24 geänderten Zeichensetzung.
2
Zur Verdeutlichung der Stelle bei Vetter 358,11 hinzugefügt ("im Grunde Gottes")
Aber in Gott sind alle Zur Verdeutlichung der Stelle bei Vetter 358,11 hinzugefügt
("im Grunde Gottes") Dinge, in denen dieser Grund sich findet, Gott. "Wenn der
Mensch da eintritt", sagt Proklus, "achtet er dessen nicht, was immer auf ihn fallen
mag: Armut, Leiden oder Gebrechen, welcher Art sie auch sein mögen."
Der Prophet spricht: "Du wirst sie beschützen vor der Heimsuchung durch die
Menschen." Diese Leute folgen unserem Herrn, wie auch unser Herr an anderer
Stelle sprach: "Ich bin in dem Vater, und der Vater ist in mir, ich bin in euch und ihr
in mir."
Möchten wir doch alle von unserem Herrn so gezogen werden, wie er alle Dinge hat
an sich ziehen wollen; möchten wir das Kreuz so aufnehmen, daß wir durch es in den
wahren Grund gelangen, wohin der für uns vorausgegangen ist, der am Kreuz für
uns alle starb!
Dazu helfe uns Gott!
AMEN.

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