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nachrichten g 3336 29.11.2007 23. jahrg./issn 0945-3946 1,30 ¤
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Frankfurt. Am 9. November
startete auf Gleis 1a des Frank-
furter Hauptbahnhofs der „Zug
„Zug der Erinnerung“
der Erinnerung“ zu einer 3000 Kilome-
ter langen Fahrt durch die Städte der
früheren Reichsbahn-Deportationen.
startete
Großes Interesse an allen bisherigen Stationen
Das ungewöhnliche Gedenken an die
deportierten Kinder und Jugendlichen beklagte das öffentliche Vergessen, in kermord: Erinnern an die Reichspogrom-
war mit einer bewegenden Zeremonie dem die Lebenszeugnisse der Deportier- nacht, an die Deportation Tausender Kin-
eröffnet worden, in deren Mittelpunkt ten unterzugehen drohen. Ihr Redebei- der mittels Reichsbahn, entmilitarisierter
trag auf dem Frankfurter Hauptbahnhof Volkstrauertag. Höhepunkt war zweifel-
wurde von Jugendlichen einer Hatters- los der Zug der Erinnerung. Nach Anga-
heimer Schule, den ersten Besuchern der ben der VeranstalterInnen drängten sich
fahrenden Ausstellung, mit großem Bei- in den vier Tagen 3.000 Menschen durch
fall bedacht. den Ausstellungszug, darunter ca. 50
Mitglieder des Vereins „Zug der Erin- Schulklassen bzw. Jugendgruppen. Ein
nerung“ führten Frau Simonsohn und sehr breites Bündnis unter Führung des
Frau Kleinberger anschließend durch die „AK Justiz und Geschichte des National-
Wagen, in denen Fotos und letzte Zeug- sozialismus in Mannheim“ und des DGB
nisse der deportierten Kinder zu sehen hatte den Aufenthalt des Zuges vorberei-
sind. Für die Schicksale der verschlepp- tet. Die Gemeinderatsparteien waren da-
ten Kinder und Jugendlichen interessier- bei, der AK Antifa, VVN-BdA, Jüdische
ten sich TV- und Radiostationen aus Gemeinde, Landesverband der Sinti und
Großbritannien, Griechenland, Polen so- Roma, Stadtarchiv, Stadtjugendring, der
wie aus der Ukraine. Betriebsrat von Roche Diagnostics, um
zeigte Rückgrat: In der DDR: wenn er Eine seiner Hannoveraner Studentin- DDR mobbten. Und sie hatten ja Recht:
sogenannte „Republikflüchtlinge“ wie nen, Pieke Biermann, schrieb hierzu: Mayer war für sie ein Risiko: einer, der
Uwe Johnson verteidigte; „Hans Mayer war schwul. Alle wussten sich Joyce, Proust, Montaigne, Beckett,
In der BRD: z. B. wenn er politisch es. Aber er wollte noch nicht einmal wis- Musil und Kafka, um nur wenige zu nen-
Stellung bezog, als Hochhuth die NS- sen, daß man es ruhig wissen kann - nen, nicht aus seinem persönlichen Ka-
Vergangenheit des damaligen baden Zeit seines Lebens nicht. Die politische non streichen lässt, weil die Herrschen-
württembergischen Ministerpräsidenten Dimension dieser „Außenseiter“-Seite den diese für „dekadent“ hielten; der
Filbinger als uneinsichtigen NS-Marine- an sich hat er nie gesehen, sich nie ge- konnte in deren Augen nur gefährlich
richter aufdeckte; oder, als er für den traut zu sehen, vielleicht. Man sieht nur, sein!
vom Berufverbot betroffenen Hannove- was man verarbeiten kann. Der Jude in (...)
raner Professor Brückner Partei ergriff; ihm war vielleicht zu tief verwundet Was prägt das Werk von Hans Mayer?
Und auch, als er in Köln auf eine Teil- worden, als dass der Schwule in ihm Le- Wo ist der „rote Faden“?: Sowohl sein
nahme an einer Ehrung zu seinem 85. benslust hätte entwickeln können“. politisches Bewusstsein als auch sein
Geburtstag verzichtete, weil, wie er sag- Der Literaturwisssenschaftler Hans Umgang mit Literatur ist geprägt von der
te, es gäbe im Moment einen Streik Mayer Auseinandersetzung mit Geschichte und
der ÖTV, er sei als alter Sozialist auf Geschichtsbewusstsein.
Seiten derer, die im Gürzenich die Stühle ist sicherlich der in der Öffentlichkeit be- In einem Interview antwortet er 1993
rücken sollten und er würde in einer sol- kannteste Teil von ihm. ... Er hatte zu auf die Frage, ob es richtig sei, „vom
chen Situation nicht als Streikbrecher praktisch allen bedeutenden Autor/innen Ende der Geschichte“ zu sprechen:
auftreten, das sei die Essenz seines Le- der deutschen und einiger anderer Spra- „Ich habe sehr oft, auch weil es meine
bens! chen, direkte persönliche manchmal Meinung ist, Walter Benjamin zitiert, der
Hans Mayer war homosexuell, aber auch sehr freundschaftliche Beziehun- einmal geschrieben hat, ,wenn man beim
die Gesellschaft ließ ihn das nicht leben: gen... Vielen DDR Schriftsteller/innen Denken der Gegenwart von der Ge-
nicht das katholische Köln seiner Ju- war er Lehrer: Uwe Johnson, Christa schichte absieht, dann werden auch die
gend, nicht die Nazizeit, nicht die DDR Wolf, Christoph Hein, um nur einige zu Toten nicht mehr sicher sein – in ihren
und das von Adenauer geprägte Nach- nennen. Er selbst bezeichnete Ernst Gräbern‘. Das haben wir nun wahrlich
kriegswestdeutschland ebenfalls nicht. Bloch als „mir der liebste Lehrer“ und si- erlebt und erleben es täglich. Das Ende
Der § 175 des StGB wurde erst unter cher einer seiner engsten Freunde. der Geschichte, das ist Feuilletonge-
Kanzler Willy Brandt teilweise aufgeho- Bekanntlich folgte er ihm 1963 nach schwätz, ebenso das Ende der Utopie,
ben. Die Diskriminierung Homosexuel- Tübingen, nachdem die Machthabenden das Ende der Aufklärung, der Dialektik
ler hat nachgelassen, ist aber immer noch in der DDR ihn mit ihrer Aussage über der Aufklärung. Die Dialektik sitzt in der
– teils latent, teils offen – vorhanden. ihn: „Eine Lehrmeinung zuviel“! aus der Ecke und grinst….“ ■
blieb „der Kapitän“, wie Le Pen (Sohn ei- fügbaren Zahlen, die nachprüfbar sind,
nes 1942 auf eine Mine aufgelaufenen betreffen den letzten Moment unmittelbar
bretonischen Fischmeisters) sich gerne vor der großen Spaltung des FN im De-
selbst bezeichnet, alleiniger Herr an zember 1998 – Le Pen/Mégret –, in deren Die Landesarbeitsgemeinschaft der
Bord. Ein letztes Mal. Dieses Mal hatte Verlauf Gerichtsdiener die Mitgliederak- kommunalen Migrantenvertretun-
der alternde Parteichef, der im Juni kom- ten überprüften: Damals gab es 42.000 gen NRW (LAGA) hat eine Expertise
menden Jahres 80 wird, immerhin erklärt, Beitrag zahlende Parteimitglieder. Seit- der Arbeitstelle Neonazismus an
dass es sein letztes dreijähriges Mandat dem, so lautet ein offenes Geheimnis, ist der Fachhochschule Düsseldorf he-
an der Parteispitze sein werde. Seine die Mitgliederzahl stark zurückgegan- rausgegeben zum Thema: Rechtspo-
„letzte Amtszeit“ für die Jahre 2007-2010 gen.) Gleichzeitig ist zu erfahren, dass pulismus in Gestalt einer „Bürger-
läutet damit auch offiziell eine „Über- die Teilnahmequote an der Wahl von Par- bewegung. Struktur und politische
gangsphase“ ein. teichef und Vorstand, gemessen an der of- Methodik von PRO NRW und PRO
97,67 % der Stimmen für seine Wie- fiziellen Mitgliederzahl, bei 51,4 % liege. Deutschland. Sie ist kostenlos zu
derwahl hatte Jean-Marie Le Pen bekom- Also mutmaßlich irgendwo zwischen beziehen über LAGA NRW, Helm-
men. Der Rest entfiel auf (in der Regel 6.000 und 8.000 Abstimmenden. Damit holtzstr. 28, 40215 Düsseldorf,
bewusst) ungültig abgegebene Stimmen, dürfte unterdessen klar sein, dass die rea- email: info@laga-nrw.de
da, mangels Gegenbewerber, keine Ge- le Mitgliederzahl des FN, nach Abzug
genstimmen abgegeben werden konnten. von Karteileichen, heute eindeutig im
Das wäre alles nicht weiter der Rede einstelligen Tausenderbereich liegen auch wenn seine Linie „in der Sache“–
wert, gäbe es da nicht eine wichtige dürfte. Also eine vierstellige, und nicht die auf eine Wiedervereinigung der fran-
Neuerung in der Form: Es waren die ein- mehr länger eine fünfstellige Anzahl sein zösischen extremen Rechten, also mit
zelnen Parteimitglieder, die (in der Regel dürfte. den 1999 zusammen mit Bruno Mégret
per Briefwahl) vor dem Kongress ihre Unter den prominenten Vorstandsmit- abgegangenen Aktivisten, abzielt – unter
Stimme für den neu-alten Parteichef oder gliedern, die zur (Wieder)Wahl standen, den Kongressteilnehmern populär zu sein
auch für die künftigen Mitglieder des erhielt Bruno Gollnisch mit 85,14 % das schien. Denn der Marine-Vertraute und
„Zentralkomitee“ genannten Leitungs- höchste Ergebnis, und Marine Le Pen mit jetzige Generalsekretär des FN, Louis
gremiums abgaben. Und nicht, wie in der 75,76 % das zweithöchste. ‚Minute‘ in- Aliot, erhielt nicht nur ein schlechtes
Vergangenheit, die (theoretisch) gewähl- terpretiert dieses Ergebnis dergestalt, Wahlergebnis zum Vorstand, sondern
ten, aber in der Praxis oft durch die Be- dass „fast alle ‚Marinisten‘ für Bruno wurde noch zusätzlich (bei der Verkün-
zirkssekretäre ernannten Kongressdele- Gollnisch gestimmt haben, aber ein klei- dung der Stimmergebnisse) ausgepfiffen.
gierten, die früher in offener Abstimmung ner Teil der ‚Gollnischianer‘ nicht für sie Ihm wird allem Anschein nach durch die
per erhobener Hand den Chef „zu 100 (die Le Pen-Tochter) votierte“. Die bei- Kader vorgeworfen, dass er – im Namen
Prozent“ im Amt bestätigten. Diesen den künftigen großen Rivalen haben nun, der Bedürfnisse der „Modernisierung“ –
Wandel hatte die Cheftochter Marine Le aller Wahrscheinlichkeit nach, dergestalt eine Wiederannäherung an die dereinst
Pen durchgesetzt, da sie vermutete, unter Aufstellung bezogen. Zwar galt Goll- mit Mégret aus der Partei ausgetretenen
den „einfachen Mitgliedern“ populärer zu nisch in den letzten Monaten als „aus Rassenkundler und Neuheiden verhin-
sein als unter den Altfunktionären und dem Rennen geworfen“, nachdem er im dern möchte. „Wenn er allein so stark ist,
langjährigen Kadern der Partei, die ihren August eine schwere Herzoperation erlit- dann soll er sie doch selbst alleine auf-
„Modernisierungs“bestrebungen skep- ten hatte. In jüngster Zeit hat er allerdings stellen, seine Listen zu den Kommunal-
tisch gegenüber stehen. dennoch seinen Willen bekräftigt, doch wahlen (im März 2008)!“, tönte etwa ein
Ein großer Nachteil dabei: Diese Wahl- künftig im Rennen um den FN-Vorsitz Kongressdelegierter, der Aliot zusammen
methode erlaubt, bei der Auszählung dabei zu sein. Als dritter Mann könnte mit anderen ausgebuht hatte.
auch festzustellen, wie viele Parteimit- eventuell ein anderer langjähriger Kader, Zwischen Marine Le Pen und Bruno
glieder der FN wirklich hat. Und dies in der – ebenso wie Altfunktionär Gollnisch Gollnisch dürfte damit nunmehr, hinter
einer Phase, wo die rechtsextreme Partei – „Marines“ Kurs potenziell zu moderat den Kulissen, alsbald der Erbfolgekrieg
in echten Schwierigkeiten und Engpässen und zu „modernisierungsfreudig“ findet, entbrennen.
steckt. Die reale Anzahl der Mitglieder in Gestalt von Carl Lang noch mitmi- Ausführlicheres zum Kongress und
wurde darum auch beim FN-Parteitag in schen. Allerdings hört man nicht mehr seinen Hintergründen berichten wir noch
Bordeaux (17./18. November) wie ein viel vom vierten Anwärter auf die „Präsi- in der kommenden Ausgabe der AN.
Staatsgeheimnis gehütet: Die Wahlergeb- dentschaft“ des FN, Jean-François Touzé, BhS, Paris ■
„Ihr müsst uns als Menschen Täglich begeben sich die Flüchtlinge der Kirche (Essen) und vom griechischen
betrachten!“ auf einen neuen Ausreiseversuch mit ei- Roten Kreuz in Patras, welches als einzi-
ner kleinen Tüte oder Tasche ihrer gesam- ge NGO ein Programm für Minderjährige
Ein Bericht aus Athen, Patras ten Habe zum Hafen. Sie warten am Zaun trägt.
– November 2007 auf den richtigen Augenblick, klettern hi- Forderungen der afghanischen Flücht-
„Keine Flüchtlinge sollen nach Griechen- nüber, rennen zu den LKWs und verste- linge in Patras
land einreisen, aber es sollen auch keine cken sich in Containern und zwischen den
ausreisen“, so liest sich zur Zeit die grie- Reifen. Oftmals versuchen sie es täglich Nach einem ersten Treffen des Netzwer-
chische Asylpolitik. In der Praxis heißt bis zu 30 Mal und nicht selten lassen sie kes zur Unterstützung von Flüchtlingen
das, dass viele Flüchtlinge beim Versuch ihr Leben auf dem Weg in ein besseres und Migranten mit den Flüchtlingen in
die Grenzen zu überqueren ihr Leben las- Europa. Auf dem Friedhof in Patras sind Patras haben sie uns bei einem folgenden
sen. Sie ertrinken zwischen dem türki- 11 Afghanen begraben. Der letzte Tote Plenum in Anwesenheit anderer lokaler
schen Festland und den griechischen In- konnte nicht mehr begraben werden, weil Unterstützergruppen eine Liste mit ihren
seln, nicht nur weil viele nicht schwim- die Friedhofsverwaltung sich weigerte Forderungen übergeben:
men können, sondern auch weil die grie- weiteren Flüchtlingen einen Platz zu ge- 1. Zugang zu Informationen über unsere
chische Küstenwache mit ihren gefährli- währen. Die Flüchtlinge sahen sich ge- Rechte als Flüchtlinge in Griechenland
chen Seemanövern die Boote der Asylsu- zwungen untereinander Geld zu sammeln, und Europa
chenden aus den griechischen Gewässern um ihn in Afghanistan begraben zu lassen. 2. Hilfe zur Stellung von Asylanträgen
in die türkischen abdrängt, ihnen die Pad- Stellt einer der Flüchtlinge Asylantrag, 3. Psychologische Hilfe für die Traumati-
del wegnimmt und sie auf hoher See be- so begegnet er anderen Schwierigkeiten. sierten
droht. In anderen Fällen setzt die Küsten- Asylanträge werden theoretisch von der 4. Kontakt zur Gesellschaft und speziell
wache die Flüchtlinge auf unbewohnten Ausländerpolizei bearbeitet, jedoch sind zu Solidaritätsgruppen, um Ansprechpart-
Inseln aus und überlässt sie dort ihrem die Behörden unterbesetzt und ungewillt ner zu finden und Probleme sofort lösen
Schicksal. Wer es trotzdem schafft grie- zu helfen, was zu langen Wartezeiten oder zu können
chischen Boden zu betreten wird in der gar völlig unsorgsamer Bearbeitung der 5. Verbesserter Zugang zu Krankenhäu-
Regel festgenommen, Herkunft und Per- Anträge führt. In den letzten 8 Monate ha- sern
sonalien werden aufgenommen und Fin- ben 550-600 Personen Asyl beantragt. 6. Mehr Übersetzer (Nur wenige von uns
gerabdrücke in Eurodac registriert, nur Davon haben 120 die rosa karte bekom- können Griechisch. Das sind diejenigen,
um dann ohne jeglichen Hinweis von Sei- men (Duldung mit Arbeitserlaubnis). Den die Arbeit haben. Sie müssen sich bei ih-
ten der Behörden auf das Recht auf Asyl Übrigen wurde sogar die rosa Karte abge- rem Chef freinehmen, um die anderen zu
in ein Abschiebelager gebracht zu wer- lehnt und sie wurden aufgefordert inner- begleiten und zu übersetzen und verlieren
den. halb eines Monats das Land zu verlassen. oft dadurch ihre Arbeitsstellen.)
Die aktuelle Situation in Patras In den letzten Wochen haben offizielle 7. Informationen über die rechtliche Si-
Stimmen gegen die Flüchtlingssiedlung tuation von Flüchtlingen in anderen euro-
Seit mehr als 10 Jahren existiert in Patras wieder Konjunktur. „Die Rechte der päischen Ländern
nur 15 Minuten Fußmarsch vom Hafen Flüchtlinge hören dort auf, wo die der 8. Unterstützung gegen die Hetzstim-
entfernt eine informelle Barackensiedlung Lokalbevölkerung anfangen!“ verkündete mung in der Stadt, zu ihrer Abarbeitung
von Flüchtlingen. Zunächst in kurdischer der Bürgermeister von Patras erst kürz- und dem Wecken von mehr Verständnis
Hand leben dort ohne Wasser- und Strom- lich. Auf politischer Ebene wird lokal da- für unsere Lage in der Bevölkerung
anschluss und ohne jeglichen Sanitäranla- rüber debattiert, wohin „das Problem“ 9.Verbesserung unseres Bildes in den
gen seit einigen Jahren ausschließlich Af- verlagert werden könnte, ob man die Af- Massenmedien von Patras auf realistische
ghanen auf einem Privatgrundstück. Ak- ghane verdrängt, ob man ihnen einen al- und aufklärende Weise
tuell ist die Zahl der Flüchtlinge auf 700- ternativen Ort anbietet und wie man ver- 10. Die Situation in Afghanistan bekann-
1 000 gestiegen. In der Mehrheit ist die hindern kann, dass noch mehr kommen. ter machen, damit es nachvollziehbarer
Siedlung ein Transitort für die Durchreise Die Lösung erscheint den Politikern na- wird, warum wir fliehen und Asyl suchen
nach Italien. Aber es leben auch einige heliegend: Militarisierung des Hafens als 11. Verbesserung der Infrastruktur in der
Flüchtlinge dort, die entweder Asylantrag abschreckende Abwehrmaßnahme. Auch Siedlung (Strom- und Wasserversorgung,
gestellt haben oder andere die aufgrund der Vereinigung der Händler fordert das Sanitäranlagen etc.)
der Dublinkonvention aus einem anderen die Afghanen gehen müssen. Auch die „Wir wollen nicht viel vom griechischen
Schengen-Mitgliedsstaat wieder nach Medien hetzen gegen die afghanischen Staat und auch nicht von der Bevölke-
Griechenland als Erstaufnahmeland ab- Flüchtlinge und verbreiten ein Negativ- rung. Wir wollen nur unsere Menschen-
geschoben wurden und jetzt entweder pa- bild in der Bevölkerung. rechte!“
pierlos oder mit rosa Karte (Duldung mit Die einzige organisierte Unterstützung Cconni Gunsser, Auszüge an Bericht
Arbeitserlaubnis) in Griechenland leben. in Patras erfahren die Flüchtlingen von Pro Asyl ■
Urteil des französischen Verfassungsgericht blik Kongo (ex-Zaire), die bis in jüngster Vergangenheit von einem grausa-
zum neuen Ausländergesetz ,Lex Hortefeux’ men Bürgerkrieg – bzw. internationalen Krieg, in den die Staaten des halben
Kontinents sowie auswärtige (auch westliche) Mächte verwickelt wurde- ge-
Artikel Nr. 1: Entscheidung zum neuen Ausländergesetz schüttelt wurde. In Kongo/Zaire wurden in den letzten zehn Jahren rund 4,5
Seine Entscheidung war viel erwartet worden, enthält aber nicht, was viele Millionen Menschen getötet. Man darf deswegen davon ausgehen, dass
Beobachter vermutet hatten. Am 15. November fiel die Entscheidung des zahlreiche Kinder bei erwachsenen Personen aufwachsen, die nicht ihre leibli-
Conseil Constitutionnel (C.C.), des französischen Verfassungsgerichts, zum chen Eltern sind, da Letztere oft tot, verstümmelt, verschollen oder „verschwun-
neuen Ausländergesetz. Das Gesetzeswerk, das vom neuen Minister „für Im- den“ sind. Aber ebenso kann man annehmen, dass nicht in all diesen Fällen
migration und nationale Identität“ Brice Hortefeux ausgearbeitet worden war, rechtsgültige Adoptionsurteile vorliegen. In solchen Fällen aber wäre es aber
wurde am 23. Oktober 2007 definitiv durch die beiden Kammern des franzö- für eine betroffene Familie unmöglich, die Zusammenführung mit einem Famili-
sischen Parlaments verabschiedet. Die parlamentarische Opposition hatte da- enmitglied (Elternteil) zu erreichen, das in Frankreich Zuflucht gefunden hat.
raufhin den C.C. angerufen, um die Verfassungswidrigkeit des Gesetzeswerks Die beiden Kongo-Staaten werden durch die französischen Behörden offiziell
erklären zu lassen. (Vgl. http://www.labournet.de/internationales/fr/dna- zu jenen Ländern gerechnet, deren Standesamtsdokumente „unzuverlässig“
tests4.html) seien. Und falls der Gentest angeordnet wird und die betroffene Person ihn
Wie sich jetzt herausstellt, hat die – überwiegend sozialdemokratische - entweder verweigert, oder aber das Ergebnis nicht auf „Blutsverwandtschaft“
parlamentarische Opposition zwar erklärt, sie wolle „das gesamte Gesetz“ lautet, dann dürfte das Visum unerreichbar werden.
überprüfen lassen und ggf. zu Fall bringen. Es geht aber aus dem jetzigen Ur-
teil des Verfassungsgerichtshofs hervor, dass nur zwei Artikel des aus 63 Arti- „Experimentelle“ schwarze Länderliste
keln bestehenden Gesetzeswerks mit juristischen Argumenten angegriffen Der Vorbehalt, dass etwa Adoptivurteile aus fremden Staaten akzeptiert wer-
worden waren, denn in dem Urteil steht: „Die Urheber der Anrufung des C.C. den müssen, ist ein wichtiger Auslegungsvorbehalt des Conseil Constitution-
bestreiten die Verfassungsmäßigkeit der Artikel 13 und 63...“ Beim erstge- nel. Allerdings erklärt der C.C. gleichzeitig das Herangehen der französi-
nannten Gesetzesartikel handelt es sich um jenen, der die Durchführung von schen Regierung für gültig, für bestimmte Staaten pauschal Zweifel an der
DNA-Untersuchungen für Visabewerber im Rahmen der Familienzusammen- Gültigkeit oder Echtheit der im Umlauf befindlichen standesamtlichen Doku-
führung erlaubt (Artikel 13). Beim anderen geht es um die Einführung „ethni- mente wie etwa Geburtsurkunden anzumelden. Eine Liste solcher Länder, bei
scher Statistiken“ in die Datenerfassung, die bislang nach französischem denen systematische Zweifel geltend gemacht werden dürfen, wird „auf ex-
Recht nicht zulässig waren (Artikel 63). perimentale Weise“ (um später alljährlich Bilanz zu ziehen, und das Gesetz
Vielfach war vermutet worden, dass der C.C. zumindest die heftig (und bis selbst nach 18 Monaten von jetzt ab zu überprüfen) durch die Regierung und
ins Regierungslager hinein) umstrittenen Gentests zu Fall bringen werde. Dem ihre Ministerialbehörden festgelegt werden. Der Verfassungsgericht erklärt
war aber nicht so. Das Verfassungsgericht macht zwar einige Auslegungsvor- dieses Vorhaben für gültig und erblickt keinen Bruch des durch Artikel 1 der
behalte geltend. Es wird das Element der Freiwilligkeit betont, also die Tatsa- Verfassung vorgeschriebenen Grundsatz der „Gleichheit vor dem Gesetz“ –
che, dass kein/e Visumsbewerber/in im Rahmen der Familienzusammenfüh- da die französische Verfassung es zulasse, „experimentale Regelungen“ ein-
rung zur Durchführung des Gentests gezwungen werden könne. (Allerdings zuführen, deren Praxiserfolg nach absehbarer Zeit einer Bilanzierung zu un-
kann auch niemand das Konsulat zwingen, ihm oder ihr ein Visum zu erteilen, terziehen ist.
falls die Person „nicht mitspielt“.) Das Zivilgericht in Nantes, das frankreich- Die sozialdemokratischen Antragsteller auf die Überprüfung der Verfassungs-
weit für alle standesamtlichen Angelegenheiten von Ausländer/inne/n oder widrigkeit dieser neuen Regel erklärten sich jedoch, überraschenderweise,
im Ausland geborenen Franzosen zuständig ist, soll die Anordnungen bzw. zufrieden. Die konkreten Bedingungen, die die Bestimmung über die Gentests
„Angebote“ zum Gentest kontrollieren. Der Verfassungsgerichtshof betont umgeben, sorgten dafür – so ihre Argumentation – dass diese in der Praxis
jetzt zusätzlich, dass das französische Konsulat im Ausland zunächst überprü- so gut wie nicht Anwendung finden könne.
fen müsse, welche standesamtlichen Dokumente der oder die Visumsbewer- „Ethnische Statistiken“ (vorläufig?) passé
ber/in (oder dessen gesetzlicher Vormund) und Antragsteller/in auf Nachzug Hingegen hat das Verfassungsgericht die umstrittenen „ethnischen Statisti-
zu einem Frankreich lebenden Familienmitglied präsentiert. Gültige standes- ken“, also die Durchführung von Datenerhebungen unter Einbeziehung von
amtliche Dokumente eines ausländischen Staates müssen akzeptiert werden. (anonymisierten) Daten zur Herkunft, „Rasse“ oder Konfession von Personen
Auch – und diese Präzisierung ist wichtig – verpflichtet das Verfassungs- in der Bezugsgruppe, untersagt. Zu diesem Punkt – dem Artikel 63 des Geset-
gericht den französischen Staat dazu, solche (nachgewiesenen) Familienver- zeswerks – ist seine Entscheidung kurz und knapp. Es stellt lakonisch fest,
hältnisse, die nach dem Recht des ausländischen Staats gültig sind und dabei dass „die ‚Rasse‘ oder ethnische Zugehörigkeit‘“ der Individuen nicht Gegen-
keine „Blutsverwandtschaft“ voraussetzen, zu akzeptieren. Beispielsweise stand einer Datenerhebung sein dürften. Ferner konstatiert das französische
muss ein ausländisches Adoptionsurteil aus dem Herkunftsland der betroffe- Verfassungsgericht – etwas ausführlicher -, dass dieser Artikel 63 ohne Bezug
nen Familie, das in diesem Staat gültig ist und eine Eltern-Kind-Beziehung zum Rest des Gesetzespakets sei. Tatsächlich hatten zwei konservative Abge-
ohne „Blutsabstammung“ begründet, von den französischen Visums- und Aus- ordnete, die Mitglieder der Nationalen Datenschutzkommission CNIL sind
länderbehörden angenommen werden. Voraussetzung allerdings ist, dass der (die, im Zuge der Ernennungen von Mitgliedern durch die Regierung, eine zu-
Nachweis auf Papier glückt, und dass es sich um das Ergebnis einer rechtlich nehmende konservative Wende erfährt und sich der Datensammelwut gegen-
geregelten Prozedur handelt. In vielen afrikanischen Ländern (wo die Erzie- über „offener“ zeigt als noch in jüngerer Vergangenheit), diese Bestimmung
hung der Kinder in der Regel nicht als Privatsache der leiblichen Eltern, son- in allerletzter Minute in das Gesetzeswerk mit hinein flicken lassen. Es ging
dern als kollektive Angelegenheit der Nachbarschaft, des Dorfes, der erwei- hier offenkundig darum, von der Gelegenheit der Annahme des neuen Aus-
terten Verwandtschaft aufgefasst wird) ist es aber in der Praxis üblich, dass ländergesetzes zu profitieren, um auch zu diesem Thema der Datenerhebung
Kinder, die von ihren „biologischen“ Eltern aufgegeben sind oder nicht von zu Herkunft oder Konfession neue Pflöcke einzuschlagen. Das Thema dürfte
ihnen versorgt werden können, unter die Obhut anderer Erwachsener genom- damit möglicherweise nicht vom Tisch sei, und es wird fraglich sein, wie es
men werden. Ob Tanten, Onkel, u.U. Nachbarn... Besonders hoch ist die Be- aussieht, falls es je zum Gegenstand einer eigenständigen gesetzlichen Rege-
deutung dieser Tatsache bspw. in einem Land wie der Demokratischen Repu- lung erhoben wird.