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Is it by chance that the majority of the poorest is black? In this article, the
historical and structural roots of exclusion and oppression in Brazil along racist
criterias are analysed. The concepts of „Branqueamento” – a cultural, social and
biological “whitening” process, which can be considered as a specific Brazilian racist
theory -, Gilberto Freyre’s concept of race-democracy – the scientific construction
of a generalised afro-brazilian “slavishness” with all corresponding attributes – and
the Vadiagem-bundle – racially determined vagrancy institutionalised by law – are
considered as the fundaments of racist oppression in Brazil. One of today’s main
problems – the so called Favelas, generally described as agglomerations of violence
and poverty - are analysed as result of the dominating racist ideology and politics.
1. EINLEITEND
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Der Begriff Rasse wird hier im Sinne der englischen race-relations bzw. des portugiesischen raça (in der
brasilianischen Diskussion unhinterfragt) angewandt.
. MAG.A SILVIA SANTANGELO JURA
. E-MAIL: santangelo@gmx.at; WEBsite: www.silvias.net
. FON:+43-(0)-699-100-88-700; FAX:+43-1-587-41-68-99
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und zeitlos zu machen. Dies ist in Zusammenhang mit der ideologisch-strukturellen
Grundfeste des brasilianischen Staates, der Sklavenhaltergesellschaft zu sehen.
Die Demographie Brasiliens war der Grund, um den Rassebegriff neu zu definieren,
zu entwickeln, auszuhandeln und zu konstruieren. Dazu wurden die
Rassenreinheitsgebote und bekannten Degenerationstheorien aus Europas und
Amerikas Wissenschaft herangezogen und um eine typisch brasilianische
Komponente erweitert: die Mestizenfrage. So entwickelte sich, im Zuge der
Republikwerdung auch eine eigene Schule hinsichtlich der Rassendefinition - das
Branqueamento (vgl. Schwarcz 1996:174).
Die Ideologie des Branqueamento findet ihren Ursprung in der
Sklavenhaltergesellschaft und ist in der Gleichsetzung «schwarz = SklavIn »
verankert. SklavIn steht als Synonym für Rechtlosigkeit. Der Zustand des
«SklavIn-Seins» war ein totaler - er reichte von der Ausbeutung der Arbeitskraft bis
hin zur geistigen und körperlichen Vereinnahmung. SklavIn sein bedeutete, ohne
Sprache, ohne Religion, ohne Kultur zu leben. Es hieß, die Kontrolle über den
eigenen Körper zu verlieren - die Frauen wurden als Gebärmaschinen für die
Früchte der erlittenen Vergewaltigungen und als Milchammen für die Kinder ihrer
Vergewaltiger missbraucht (vgl. Freyre 1965).
Der Begriff Favela leitet sich daher von übermäßigen, wildwuchernden Bohnen ab.
Bohnen sind in Brasilien das den SklavInnen zugeordnete Essen. Dies ist auf die
Ernährung in den Senzalas zurückzuführen. Der Begriff Favela ist daher schon per
se eine Bedeutungskonstitution, da einer Gruppe von freien BrasilianerInnen das
Stigma der Sklaverei zugeordnet wird, mit allen damit verbundenen Assoziationen,
die ich im vorangestellten Teil dieses Artikels aufgezeigt habe.
Favela ist daher als Bezeichnung eines Wohnortes für nach rassistischen Kriterien
und entlang von Klassenhierarchien Ausgegrenzte entstanden und trägt bis heute
diese Bedeutung.
Für die Diskussion der anderen Begrifflichkeiten (auch hinsichtlich Eigendefinitionen
und Identitätsbildung verweise ich auf Santangelo Jura 2002: 76-90)
Die durch die Eliten und ihre Institutionen als classe perigosa, gefährliche Klasse
bezeichneten, die Armen, die Schwarzen der Favelas und der Peripherie, sind
ständig mit dem Stigma der Gewalt behaftet, wodurch sie automatisch der
institutionellen Gewalt ausgeliefert sind, und gleichzeitig, in einem Prozess der
Spiegelung, selbst in einer Welt der Gewalt leben. Wichtig erscheint mir weiters,
dass sich die Ausschließungspraktiken gegenüber der armen, schwarzen
Bevölkerung auch auf den Zugang zu den elementarsten Menschenrechten
beziehen.
Die historische Kontinuität der rassistischen Ausschließungspraxis ist gegeben - die
im modernen Brasilien ökonomisch, sozial und gesetzlich Diskriminierten sind die
Nachfahren der Vadios des 19. Jahrhunderts, der SklavInnen. Die herrschenden
Klassen- und Rassenschranken sind gefestigt.
Wie im vorangestellten Teil dieser Arbeit aufgezeigt, sind die als Favelas
bezeichneten Siedlungen und ihre BewohnerInnen mit einer Sammlung von
vorwiegend negativen Bedeutungskonstitutionen belegt, welche vorwiegend in den
Konzepten der Vadiagem und des Nicht erfolgten Branqueamentos wurzeln. Die als
Favela bezeichnete Siedlungen sind nicht nur Orte der ökonomischen Ausgrenzung.
Hier seien nochmals die fehlende öffentliche Infrastruktur - Gesundheit, Transport,
Grundversorgung etc...-, der beschränkte Zugang zum Arbeitsmarkt sowie der
reduzierte Zugang zu Bildung in Erinnerung gerufen.
Favelas sind als Agglomerate negativer Bedeutungskonstitutionen zu verstehen.
Die BewohnerInnen der Favelas, als Favelados stigmatisiert, werden pauschal als
kriminell, arbeitsscheu und unfähig kategorisiert. Sie bilden eine eigene Klasse,
welche sich am untersten Ende der sozialen Hierarchie befindet. Sie werden als
Angehörige der Classe Perigosa bzw. als Vadios bezeichnet, was den Einsatz
institutionalisierte Gewalt gegen sie und die Zerstörung ihres Lebensraumes
legitimiert.
Gleichzeitig haben sich - als Resultat der Spiegelung - auch interne
Gewaltstrukturen herausgebildet, welche die Sozialstruktur der Favelas bestimmen.
Der/die als Favelado bezeichnete ist der negative Spiegel des guten Brasilianers -
vom Branqueamento ausgeschlossen, bewegt er/sie sich nicht innerhalb der
gesellschaftlich anerkannten Werte. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die als
Favelados Bezeichneten Menschen ohne Bürgerrechte sind - sie leben in prekären
Verhältnissen, haben oft illegalen Status bzw. werden damit assoziiert.
Wie aus den allgemeinen Statistiken ersichtlich, verläuft die Stigmatisierung parallel
zur Hautfarbe.
Die zugrunde liegenden Bedeutungskonstitutionen und damit verbundenen
Ausschließungspraktiken haben historischen, institutionellen und legistischen
Charakter.
Andererseits konnten sich in den als strukturell definierten Favelas
sozioökonomische Strukturen herausbilden, welche als gegenläufig zu den
patriarchal-patrimonialen Strukturen Brasiliens verstanden werden können. Hier sei
auf die große Zahl an Frauenhaushalten und die Existenz von matrifokalen
Strukturen hingewiesen (Santangelo Jura 2002, Queiroz 1968:71-93).
. MAG.A SILVIA SANTANGELO JURA
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Aufgrund des bisher aufgezeigten erscheint es mir wichtig, für lokale „Favela“-
Analysen die spezifische historische Entstehung zu untersuchen, auf die
Grundkonstaten „strukturelle“ oder „konjunkturbedingte“ Entwicklung einzugehen.
Zusammenfassend würde ich Favela wie folgt definieren:
1. eine lokale Ansiedlung im urbanen Raum von unbestimmter Größe, welche
sich auf Grund von bestehenden Ausschließungspraxen und
institutionalisierten Diskriminierungen gebildet hat und durch erschwerten
Zugang zu staatlichen und sozialen Ressourcen gekennzeichnet ist.
2. eine, innerhalb einer Klassengesellschaft und innerhalb einer rassistischen
Vision, die sich in der Ideologie des Branqueamentos ausdrückt, von außen
bestimmte und festgelegte negative Identität
3. die Frage der internen Identitätsbildung ist jeweils im konkreten Fallbeispiel
zu untersuchen und kann, aufgrund der Spiegelung im Rahmen der
Gesamtgesellschaft, eine von innen her aufgebaute positive Gegenidentität
oder eine verinnerlichte Negativ-Identität bilden.
Favelas sind daher Resultat und Spiegel der sozialen Strukturen Brasiliens. Als
historische Konsequenz der patriarchalen und patrimonialen
Sklavenhaltergesellschaft, zeigen sie deutlich die rassistischen Strukturen Brasiliens
auf. Innerhalb des liberal-kapitalistischen Systems der Gegenwart sind sie Spiegel
einer Klassengesellschaft, wo der Staat kein soziales Korrektiv bietet. Favelas sind
daher die direkte Folge einer Ausschließungspraxis mit Gesetzescharakter, welche
ökonomische und soziale Ausgrenzung zur Folge hat und eine Klassenhierarchie
festigt, wo sich die (ursprünglich rassistisch) Ausgegrenzten ganz unten befinden.
Aufgabe des brasilianischen Staates wäre, diese verfestigten Strukturen
aufzubrechen und eine Sozial- und Wirtschaftspolitik anzubieten, die gleichen
Zugang zu den Ressourcen und zum Arbeitsmarkt ermöglichen würde. Große
Investitionen in Bildung und Berufsbildung, in Infrastruktur und
Wirtschaftsförderungsmaßnahmen wären nötig. Die Frage von
Restitutionszahlungen an die NachfahrInnen der SklavInnen wäre aufzuwerfen, um
die historischen Ungleichheiten beseitigen zu können.
Wie Präsident Lula in einer (oder zwei) Amtszeiten diese 500 Jahre schweren
Diskriminierungen reduzieren kann… bleibt die offene Frage.
Anmerkungen:
. MAG.A SILVIA SANTANGELO JURA
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Zur Autorin
Silvia Santangelo Jura ist Sozial- und Kulturanthropologin und
Kommunikationsberaterin, engagiert sich in Sozial- u. Kulturmanagement, in
Bildungsarbeit und in der Cross-Media Kommunikation von sozio-kulturellen
Inhalten. 2003 wurde ihr Video „Die Königinnen vom Salgueiro haben relative
Bürgerrechte“ als best video production am black international cinema
ausgezeichnet, von der kfb wurde sie 2003 mit dem Herta Pammer Preis für
innovative entwicklungspolitische Bildungsarbeit ausgezeichnet.
Zum Artikel:
Der vorliegende Artikel ist eine Zusammenfassung aus zwei Kapiteln der
Diplomarbeit „Nika Jaina – die Göttin, die für die Frauen kämpft. Selbsthilfe am
Morro do Salgueiro / Rio de Janeiro im Rahmen eines ganzheitlichen, afro-
brasilianischen Kulturkonzeptes im Brasilien des Branqueamentos und der
Rassendemokratie (Wien 2002)“.
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