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Ramesh Balsekar

Ein Interview mit Chris


Parish im
Herbst/Winter 1998
Übersetzt von Yuti M. Holzhacker

Mit freundlicher Genehmigung


der amerikanischen Zeitschrift
What is Enlightment?
Ausgabe: Herbst/Winter 1998

Stell dir vor, du erwachst eines Morgens in einer anderen Welt. Während du dir die Augen reibst, um
dich an das helle Sonnenlicht zu gewöhnen, siehst 
du, dass sie in vieler Hinsicht deiner Welt nicht unähnlich ist. Um dich herum gibt es Geschöpfe, die
so aussehen, wie die Menschen, mit denen du 
gewöhnlich umgehst. Du beobachtest, wie sie ihren täglichen Beschäftigungen nachgehen, wie sie
leben, sich mit anderen unterhalten und die zahllosen Wahlen und Entscheidungen treffen, die das
Dasein von Natur aus fordert.

Das Bild ist ermutigend vertraut und normal.

Aber in dieser Welt entdeckst du sehr bald, dass die Dinge nicht notwendigerweise sind wie sie
scheinen. Es handelt sich nämlich nicht um menschliche Wesen, sondern um "Körper-Geist-
Organismen", die - im Gegensatz zu ihren menschlichen Ebenbildern - nicht die Fähigkeit haben,
zwischen Alternativen zu wählen oder Entscheidungen zu treffen. Diese Organismen verfügen
tatsächlich nicht einmal annähernd über so etwas wie einen freien Willen. Das Drehbuch ihres
ganzen Lebens war schon lange vor ihrer Geburt in Stein gemeißelt, was ihnen lediglich das
mechanische Ausagieren ihrer Programmierung erlaubte. Diese scheinbar menschlichen Kreaturen
dürften Maschinen nicht unähnlich sein. Während sie sich dem äußeren Anschein nach wie
selbständig denkende Individuen verhalten, die emsig mit ihren täglichen Aktivitäten beschäftigt
sind, behaupten sie, wenn gefragt, dass sie überhaupt nichts tun. Tatsächlich sagen sie in dieser
absonderlichen Welt, dass es "keine Täter" gibt. Außerdem wird in dieser Welt niemand jemals für
etwas zur Rechenschaft gezogen. Selbst wenn eines dieser Wesen einem anderen zu schaden
scheint, gibt es keine Gewissensbisse und keine Beschuldigungen. Wenn du einen dieser Körper-
Geist-Organismen darüber befragen würdest, wäre die Antwort, dass es keinen gab, der irgend etwas
getan hat. Ethik ist hier ein unbekanntes Konzept. Die Gesetze der Natur scheinen in dieser kühnen
neuen Welt nicht zu gelten. Oder vielleicht sind sie hier neu geschrieben worden, da die Wesen sich
an einige seltsame Regeln zu halten scheinen. Du wunderst dich, wo du da auf Erden gelandet sein
könntest. Aber du bist nicht auf der Erde. Du bist auf dem Planeten Advaita gelandet.

 Ich war nach Bombay gekommen, um Ramesh Balsekar zu interviewen, einen der bekanntesten
lebenden Lehrer des Advaita Vedanta unserer Zeit. Er lebt im Herzen dieser riesigen chaotischen
Stadt in einem exklusiven Strandbereich, welchen - nach Auskunft meines Taxifahrers - viele
prominente Persönlichkeiten bewohnen. Der Wächter vor seinem Appartementgebäude,
automatisch annehmend, dass ich als Westler gekommen war, um Ramesh Balsekar zu besuchen,
wies mich zu einem oberen Stockwerk, wo Ramesh eine sehr geräumige und gut ausgestattete
Wohnung hat. Balsekar war ein höflicher Gastgeber, der mich warm auf makellose traditionell
indische Art begrüßte.

Sein Verhalten war aufgeweckt und lebhaft, und ich konnte kaum glauben, dass er achtzig Jahre alt
war.

Für einen indischen Guru hat Ramesh Balsekar einen ungewöhnlichen Hintergrund. Nach seiner
Ausbildung im Westen vollendete er eine höchst erfolgreiche Karriere als leitender Angestellter, der
sich mit sechzig von seinem Posten als Präsident der Bank von Indien zurückzog. Er sagt, dass er
immer geneigt war, an Schicksal zu glauben, doch begann er erst nach seiner Pensionierung mit der
spirituellen Suche - eine Suche, die ihn schnell zu seinem Guru, dem berühmten Advaita-Meister Sri
Nisargadatta Maharaj führte.

Nisargadatta war ein feuriger Lehrer, der im Westen in den 70er Jahren bekannt wurde, nachdem
eine englische Übersetzung seines Buches "Ich bin Das" veröffentlicht worden war - ein Buch, das zu
einem modernen spirituellen Klassiker wurde. Innerhalb von weniger als einem Jahr nachdem
Balsekar Nisargadatta getroffen hatte, erlangte er plötzlich, während er für seinen Guru übersetzte,
das, was er als "das endgültige Verstehen" bezeichnete - Erleuchtung. Gemäß Balsekars Bericht
authorisierte ihn Nisargadatta, unmittelbar vor seinem Tod, zu lehren, und seither hat er dessen
Botschaft ständig weitergegeben als Nachfolger dieses hochgeachteten Lehrers. Balsekar hat viele
Bücher, die seine Lehren enthalten, veröffentlicht und in Europa und den Vereinigten Staaten und in
vielen Teilen Indiens gelehrt. Er hält jeden Morgen in seiner Wohnung Satsang  (Audienz mit einem
spirituellen Meister) und ein anhaltender Strom fast ausschließlich westlicher Sucher findet seinen
Weg zu ihm nach Bombay.

 Mit unserem Fokus auf Advaita in dieser Ausgabe der WIE ("Was ist Erleuchtung?") wollten wir
Balsekar ursprünglich aus zwei Gründen befragen; einmal weil er ein beliebter und einflussreicher
Advaita-Lehrer ist - jetzt mit Schülern, die er zu rechtmäßigen eigenständigen Lehrern autorisiert hat
-, zum anderen weil er von vielen als der Nachfolger einer der berühmtesten Advaita-Lehrer in der
Neuzeit angesehen wird. Nachdem wir jedoch Balsekars Schriften studiert hatten, erkannten wir
schnell, dass er eine ungewöhnliche und möglicherweise idiosynkratische Form des Advaita lehrte,
die - wie wir, ehrlich gesagt, fühlten - zu fraglichen und sogar störenden Rückschlüssen führten. Denn
während indisches Denken seit langem wegen seiner deterministischen Neigung kritisiert worden
war, schien es, dass Balsekar diesen Fatalismus zu einem unerhörten Extrem geführt hatte.
Letztendlich war es der Wunsch, diesen schwierigen Bereich zu erforschen als auch unser gesamtes
Interesse an der Lehre des Advaita, was uns nach Bombay führte, um mit ihm zu sprechen.

 Interview

 WIE: Sie werden immer bekannter als Lehrer des Advaita Vedanta sowohl in Indien als auch im
Westen. Könnten Sie für uns beschreiben, was Sie lehren?

 Ramesh Balsekar: Ich kann das wirklich in einem Satz zusammenfassen. Der eine Satz, auf dem
meine gesamte Lehre basiert, heißt: "Dein Wille geschehe". Oder wie die Moslems sagen, Inshallah -
"Gott bereitwillig". Oder in Buddhas Worten: Ereignisse geschehen, Dinge werden getan, für die es
keinen individuellen Täter gibt. Sie sehen, der grundlegende Konflikt im Leben ist: " Ich mache immer
alles richtig, dafür möchte ich meine Belohnung. Er oder sie macht immer etwas falsch und sollte
bestraft werden." Das ist alles, worum es im Leben geht, stimmts?

 WIE: Ja, das passiert sicher oft.

 RB: Das ist die Grundlage meiner Beobachtung. Das ganze Problem entsteht, weil jemand sagt: "Ich
habe etwas gemacht, und ich verdiene eine Belohnung" oder "Er hat etwas getan und deshalb
möchte ich ihn dafür bestrafen".

 WIE: Was machen Sie, dass die Leute das erkennen?

 RB: Das ist sehr einfach. Wenn Sie eine beliebige Handlung analysieren, die Sie als Ihre Handlung
ansehen, werden Sie feststellen, dass es eine Reaktion des Gehirns auf einen äußeren Reiz ist, über
den Sie keine Kontrolle haben. Ein Gedanke entsteht - Sie haben keine Kontrolle darüber, welcher
Gedanke auftauchen wird. Etwas wird gesehen oder gehört, und Sie haben keine Kontrolle darüber,
was Sie als nächstes sehen oder hören werden. Alle diese Dinge ereignen sich, über die Sie keine
Kontrolle haben. Und was geschieht dann? Das Gehirn reagiert auf den Gedanken oder auf die Sache,
die gesehen, gehört, geschmeckt, gerochen oder berührt wird. Die Reaktion des Gehirns ist es, die Sie
als "meine Handlung" bezeichnen, aber in Wirklichkeit ist das lediglich ein Konzept.

 WIE: Was ist dann der Unterschied zwischen den Gedanken, Gefühlen und Handlungen einer
erleuchteten Person und eines Menschen, der nicht erleuchtet ist?

RB: Dieselbe Sache geschieht. Der einzige Unterschied ist, dass der Weise weiß, dass dies geschieht.
Deshalb weiß er, dass da nichts ist, was er tut - alles geschieht einfach. Der Weise weiß, "Ich tue
nichts". Aber der gewöhnliche Mensch sagt: "Ich tue Dinge, und er oder sie tut Dinge. Dafür will ich
meine Belohnung, und ich möchte, dass er oder sie bestraft wird".  Belohnung und Strafe beruhen
auf der Vorstellung, dass er oder sie oder ich Dinge tun.

 WIE: Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass wir keinerlei Kontrolle darüber haben, welche Gedanken
oder Gefühle auftauchen. Aber manchmal findet Handeln statt und manchmal nicht. Mir scheint ein
großer Unterschied darin zu liegen, ob ein Gedanke nur auftaucht oder ob eine Handlung geschieht,
die einen anderen Menschen berührt.

RB: Die Handlung, die geschieht, ist die Reaktion des Gehirns auf den Gedanken. Wenn dagegen der
Gedanke lediglich beobachtet wird und das Gehirn nicht auf den Gedanken reagiert, dann gibt es
keine Handlung. 

WIE: Aber wenn es, wie Sie sagen, keine Person gibt, die entscheidet wie sie reagiert, was ist es dann,
das eine Handlung stattfinden oder unterbleiben lässt?

 RB: Eine Handlung geschieht, wenn es Gottes Wille ist, dass sie geschieht. Wenn es nicht Gottes
Wille ist, geschieht die Handlung nicht.

 WIE: Sagen Sie, dass jede Handlung Gottes Wille ist?

 RB: Ja, Gottes Wille.

 WIE: Der durch eine Person handelt?

 RB: Durch eine Person, ja.

 WIE: Ob sie erleuchtet ist oder nicht? Mit anderen Worten: durch jeden?

 RB: Das ist richtig. Der einzige Unterschied liegt - wie gesagt - darin, dass der gewöhnliche Mensch
glaubt "das ist meine Handlung", während der Weise weiß, dass es niemandes Handlung ist. Der
Weise weiß, dass Taten getan werden, Ereignisse geschehen, aber es gibt keinen individuellen Täter.
Was mich betrifft und soweit mein Konzept reicht, ist dies der einzige Unterschied. Der einzige
Unterschied zwischen einem Weisen und einem gewöhnlichen Menschen ist, dass der gewöhnliche
Mensch glaubt, jedes Individuum tue das, was durch diesen Körper-Geist-Organismus geschieht. Da
der Weise also weiß, dass es keine Handlung gibt, die er tut, wird er alles unternehmen, einem
Menschen zu helfen, der durch eine Handlung verletzt wurde, aber es gibt da keine Schuldgefühle.

 WIE: Wollen Sie damit sagen, dass das Individuum, bzw. dessen "Körper-Geist-Organismus", das
durch eine Handlung einem anderen schadet, nicht dafür verantwortlich ist?

 RB: Was ich hier sage ist, dass Sie wissen, dass "Ich" es nicht getan habe. Ich sage nicht, dass es mir
nicht leid tut, wenn ich einen anderen verletzt habe. Die Tatsache, dass jemand verletzt wurde, wird
Mitgefühl hervorrufen, und dieses Mitgefühl erzeugt den Wunsch, alles in meiner Macht Stehende zu
tun, um den Schmerz zu lindern. Aber da wird kein Schuldgefühl sein: Ich habe es nicht getan! Das
Gegenstück davon ist, dass eine Handlung geschieht, die die Gesellschaft lobt und belohnt. Ich sage
nicht, dass dann keine Freude über die Belohnung aufkommt. So wie Mitgefühl als Folge der
Verletzung auftrat, mag ein Gefühl von Befriedigung oder Glück entstehen aufgrund der Belohnung.
Aber da wird kein Stolz sein.

 WIE: Meinen Sie also wörtlich, dass nicht ich es tue, wenn ich hingehe und einen anderen schlage?
 RB: Der ursprüngliche Fakt, das grundlegende Konzept bleibt bestehen: Sie haben jemanden
geschlagen. Das zusätzliches Konzept taucht auf, dass alles, was geschieht, Gottes Wille ist; Gottes
Wille in Bezug auf jeden einzelnen Körper-Geist-Organismus ist das Schicksal des entsprechenden
Körper-Geist-Organismus.

 WIE: Dann könnte ich einfach sagen: "Na schön, es war Gottes Wille, dass ich das tat; es ist nicht
meine Schuld."

 RB: Sicher. Eine Handlung geschieht, weil es das Schicksal dieses Körper-Geist-Organismus und der
Wille Gottes ist. Und die Folgen dieser Handlung sind auch das Schicksal des Körper-Geist-
Organismus. Geschieht eine gute Tat, ist sie das Schicksal. Wir hatten z.B. eine Mutter Theresa. Der
Körper-Geist-Organsimus genannt Mutter Theresa war so programmiert, dass nur gute Taten
geschahen. Das Entstehen der guten Taten war das Schicksal dieses Körper-Geist-Organismus
genannt Mutter Theresa. Und die Folgen davon waren: ein Nobelpreis, Belohnungen, Preise und
Spenden zu diversen Anlässen. All dies war das Schicksal des Körper-Geist-Organismus genannt
Mutter Theresa. Auf der anderen Seite gibt es da einen psychopathischen Organismus, der so
programmiert ist - aus derselben Quelle - dass nur üble und pervertierte Handlungen geschehen. Das
Entstehen dieser üblen und pervertierten Taten ist das Schicksal eines Körper-Geist-Organismus, den
die Gesellschaft einen Psychopathen nennt. Aber der Psychopath hat es sich nicht ausgesucht, ein
Psychopath zu sein. In Wirklichkeit gibt es gar keinen Psychopathen; es gibt nur einen
psychopathischen Körper-Geist-Organismus, dessen Schicksal es ist, üble und pervertierte
Handlungen zu produzieren. Und die Folgen dieser Handlungen sind ebenfalls das Schicksal dieses
Körper-Geist-Organismus. 

WIE: Sagen Sie, dass alles vorherbestimmt, dass alles von Geburt an vorprogrammiert ist?

 RB: Ja. Ich benutze das Wort "Programmierung" für die angeborenen Eigenschaften des Körper-
Geist-Organismus. Für mich bedeutet "Programmierung": Gene und Umwelt-Einflüsse. Sie hatten
keine Wahl, zu genau welchen Eltern Sie geboren wurden, daher hatten Sie keine Wahl bezüglich
Ihrer Gene. Aus dem gleichen Grund hatten Sie keine Wahl, in einer bestimmten Umgebung geboren
zu werden. Deshalb konnten Sie auch Ihre Kindheitsbedingungen nicht wählen, denen Sie in dieser
Umgebung ausgesetzt waren, und die alle Konditionierungen zu Hause, in der Gesellschaft, in Schule
und Kirche einschließen. Die Psychologen sagen, dass die gesamte Konditionierung, die man bis zum
Alter von drei oder vier Jahren erhält, die Grundkonditionierung ausmacht. Es gibt auch später noch
Konditionierung, aber die Grundkonditionierung, die die Persönlichkeit schafft, entsteht durch Gene
und Umweltbedingungen. Ich nenne das Programmierung. Jeder Körper-Geist-Organismus ist auf
einzigartige Weise programmiert. Es gibt keine zwei gleichen Körper-Geist-Organismen.

 WIE: Ja, aber stimmt es nicht auch, dass zwei Menschen ein sehr ähnliches Set von Bedingungen
haben können, und doch entwickelt sich der eine völlig anders als der andere.

RB: Richtig. Deswegen benutze ich zwei Begriffe: der eine ist die Programmierung im Körper-Geist-
Organismus selbst und der andere ist das Schicksal. Das Schicksal ist Gottes Wille in Bezug auf diesen
Körper-Geist-Organismus, das im Moment der Empfängnis festgelegt wurde. Es mag das Schicksal
einer Empfängnis sein, überhaupt nicht geboren zu werden, was in diesem Fall eine Fehlgeburt zur
Folge hat. All dies ist ein Konzept - verstehen Sie das nicht falsch - dies ist mein Konzept. 

WIE: Sie sagen, dass dies ein Konzept ist - und natürlich sind alle Worte Konzepte. Aber woher wissen
wir, dass dieses Konzept die Wahrheit ist? Ich neige zu der Ansicht, dass jedermann persönliche
Verantwortung hat und - obwohl es eine bestimmte Menge ererbter Konditionierung gibt - wir doch
noch wählen können, wie wir reagieren. Ein Individuum kann Aspekte seiner Konditionierung
überwinden, in denen ein anderer lebenslänglich stecken bleibt. Da es so etwas gibt, würde ich sagen,
dass es vom Willen des Individuums, eigene Konditionierungen zu überwinden, abhängt, ob man
damit Erfolg hat.

RB: Aber wenn das geschieht - könnte es auch geschehen, wenn es nicht Gottes Wille wäre?
Angenommen da sind zwei Menschen: der eine versucht sein Handicap zu überwinden und ist damit
erfolgreich, der andere versagt. Was ich sage ist, wenn der eine in seinem Bemühen Erfolg hat und
der andere nicht, so liegt das daran, dass es so das Schicksal der einzelnen Körper-Geist-Organismen
ist - und damit wiederum Gottes Wille. 

WIE: Aber könnten wir nicht genauso gut sagen, es ist Gottes Wille, jedem Individuum den freien
Willen zu geben, seine eigenen Entscheidungen zu treffen?

RB: Nein. Sehen Sie, meine Frage an Sie ist: wessen Wille setzt sich durch? Der des Individuums oder
Gottes'? Bis zu welchem Grad hat Ihr eigener Wille, aufgrund Ihrer persönlichen Erfahrung,
vorgeherrscht?

 WIE: Sicher, ich habe das Gefühl, dass der individuelle freie Wille zeitweise zweifellos vorherrschen
kann. 

RB: Über Gottes Willen? Wenn sie etwas anstreben und daran arbeiten und Erfolg haben, dann
geschieht das, weil Ihr Wille mit Gottes Wille zusammenfiel. 

WIE: Nehmen wir das Beispiel eines Drogensüchtigen, der sein ganzes Leben lang süchtig bleibt. Man
könnte genauso gut behaupten, er habe sich entschieden, gegen Gottes Willen anzugehen und war
darin erfolgreich - gerade wegen seines freien Willens.

 RB: Aber ob Sie das akzeptieren oder nicht, auch das ist Gottes Wille, verstehen Sie? Ob Sie Gottes
Willen akzeptieren oder nicht ist auch Gottes Wille. 

WIE: Ich würde sagen - nicht notwendigerweise.

 RB: Ich weiß, Sie spielen des Teufels Advokat. 

WIE: Nicht doch - ich versuche nur die Wahrheit herauszufinden.

 RB: Aber was ist Wahrheit? Ich habe bereits erwähnt, dass alles, was ich sage, ein Konzept ist.

 WIE: Ja, ich verstehe. Aber nicht alle Konzepte sind gleich. Einige weisen auf etwas Wahres hin,
während andere vielleicht überhaupt nicht wahr sind. 

RB: Alle Konzepte versuchen, auf etwas hinzuweisen, aber sie sind trotzdem noch Konzepte. Die
richtige Frage wäre: "Was ist die Wahrheit, die kein Konzept ist?"

WIE: Worauf ich hinaus will ist: wenn man sagt, dass alles vorprogrammiert und Schicksal ist und
dass es keine Wahl gibt, so scheint mir das eine sehr extreme Form von Reduktionismus zu sein. Nach
dieser Auffassung sind Menschen wie Computer: alles, was uns betrifft, ist bereits vollständig
festgelegt.

RB: Ja. Genauso ist es. 


WIE: Aber mir scheint das eine Auffassung zu sein, der das menschliche Herz fehlt. Dann sind wir nur
wie Maschinen - alles geschieht mit uns. Da gibt es nichts, was wir tun, nichts, was wir ändern
können.

 RB: Ja, genau!

 WIE: Aber das könnte sehr leicht zu einer grundlegenden Gleichgültigkeit dem Leben gegenüber
führen. 

RB: Ja, wenn es das täte, wäre es wundervoll!

WIE: Wirklich, wäre es das?

RB: Aber darum geht es doch! Sicher. Dann könnte man sagen, dass alles, was geschieht, akzeptiert
wird. Dann gibt es kein Unglück, kein Elend, keine Schuld, keinen Stolz, keinen Hass, keinen Neid.
Was ist daran falsch?

 WIE: Aber bleibt dann noch etwas von einem Herzen übrig?

 RB: Verstehen Sie unter "Herz", sich elend und schuldig zu fühlen? 

WIE: Nein, nein, das meine ich nicht.

 RB: Was verstehen Sie unter "Herz"?

 WIE: Ich meine damit etwas in uns, das sich im weitesten Sinne um das Leben kümmert.

 RB: Wie ich Ihnen bereits schon sagte: eine Handlung geschieht durch diesen Körper-Geist-
Organismus, und wenn das Individuum bemerkt, dass seine Handlung jemanden verletzt hat,
entsteht Mitgefühl. Wie könnte Mitgefühl entstehen, wo kein Herz ist?

 WIE: Aber ist das nicht etwas eigenartig, hinzugehen und jemanden zu verletzen und danach
Mitgefühl für den Betreffenden zu fühlen? Wäre es nicht besser, ihn gar nicht erst zu verletzen?

 RB: Aber Sie haben keine Kontrolle darüber! Wenn Sie darüber Kontrolle hätten, dann würden Sie
die Tat von vornherein niemals begangen haben. 

WIE: Jedoch wenn man andererseits glaubt, Kontrolle darüber zu haben - im Gegensatz zu der
Überzeugung, sie nicht zu haben - hätte man die Tat möglicherweise gleich gar nicht erst begangen.

RB: Warum übt der Mensch dann nicht Kontrolle über alle sich ereignenden Handlungen aus? Ich
möchte Ihnen eine Frage stellen: Der Mensch verfügt offensichtlich über einen ungeheuren Intellekt,
so viel Intellekt, dass ein unbedeutender Mensch in der Lage war, einen Mann auf den Mond zu
schicken. 

WIE: Ja, das stimmt.

 RB: Und er hat auch den Intellekt zu wissen, dass wenn er bestimmte Dinge tut, schreckliche Dinge
geschehen werden. Er hat den Intellekt zu wissen, dass die Menschen die von ihm produzierten
Atom- oder chemischen Waffen benutzen und furchtbare Dinge für die Welt geschehen werden. Er
hat den Intellekt - wenn er also freien Willen hat, warum tut er diese Dinge? Warum hat er die Welt
auf den Zustand reduziert, in der sie sich befindet, wenn er freien Willen hat?
  WIE: Ich gebe zu, dass die Situation, die Sie beschreiben, eindeutig wahnsinnig ist. Aber ich würde
sagen, es liegt an der Tatsache, dass die Menschen schwachen Willens sind. Ich glaube auch, dass die
Menschen das ändern können, wenn sie wollen - wenn sie Sorge tragen.

 RB: Warum haben sie es dann nicht getan?

  WIE: Einige Menschen verändern sich, aber - wie schon vorher gesagt - scheint die Mehrheit
unglücklicherweise sehr schwachen Willens zu sein. 

RB: Was bedeutet, dass sie keinen freien Willen haben!

  WIE: Freier Wille alleine garantiert noch nicht, dass wir alle intelligent handeln. Wie in Ihrem Beispiel
gesagt ist es klar, dass Menschen sich oft für Dinge entscheiden, die ziemlich schädlich sind.

 RB: Meinen Sie damit, dass wir den freien Willen haben, die Welt zu zerstören? Wenn Sie sagen,
dass wir den freien Willen haben, die Welt zu zerstören, heißt das mit anderen Worten, dass wir die
Welt vernichten weil wir das tun wollen - vollkommen bewußt, dass die Welt vernichtet wird. Freier
Wille bedeutet, dass Sie das tun wollen! 

WIE: Ich glaube, das Problem liegt eher darin, dass der Mensch sich normalerweise die Konsequenzen
seines Handelns nicht überlegt. Er denkt meist nur an sich selbst, ohne zu bedenken, wohin sein Tun
führen könnte. 

RB: Aber die Menschen sind außerordentlich intelligent. Warum überlegen sie nicht
dementsprechend? Meine Antwort ist - weil sie das nicht sollen. 

WIE: Wenn Sie sagen "sie sollen das nicht" - was heißt das? 

RB: Es ist nicht Gottes Wille, dass Menschen auf diese Weise denken. Es ist nicht Gottes Wille, dass
der Mensch perfekt ist. Der Unterschied zwischen einem gewöhnlichen Menschen und einem Weisen
ist, dass der Weise das, was ist, als Gottes Wille akzeptiert, aber - und das ist wichtig - das hindert ihn
nicht daran, das zu tun, was nach seiner Ansicht getan werden muss. Und was er glaubt tun zu
müssen hängt von seiner Programmierung ab. 

WIE: Aber warum würde der Weise "tun, was er nach seiner Ansicht tun muss", wenn er - wie Sie
bereits erklärt haben - von vornherein weiß, dass nicht er es ist, der denkt.

 RB: Sie wollen wissen, wie die Handlung geschieht? Die Antwort ist, dass die Energie in diesem
Körper-Geist-Organismus die Handlung gemäß der Programmierung hervorruft. 

WIE: So kommt die Handlung - wie Sie es beschreiben - einfach durch die Person?

 RB: Sie fließt, ja. Handlung geschieht. Das ist der ganze Sinn meines Redens - um auf Buddha's Worte
zurückzukommen: Ereignisse geschehen, Dinge werden getan.

WIE: Obwohl, was ich von Buddha weiß, hat er auch sehr strikt darauf  bestanden, dass das
Individuum für seine Handlungen persönlich verantwortlich ist. Ist das nicht die Grundlage der ganzen
Lehre von Karma, Ursache und Wirkung?

 RB: Nicht Buddha!


  WIE: Ich habe den Eindruck, dass Buddha ziemlich viel über das "recht Handeln" gelehrt hat. Es
schien ihm sehr wichtig, was die Leute taten, und er hat immer wieder betont, dass sie entsprechende
Anstrengungen unternehmen müssen, um sich zu ändern.

 RB: Das ist eine nachträgliche Interpretation des Buddhdismus. Buddha's Worte sind sehr klar. Wer
beherrscht was geschieht? Gott hat die Herrschaft! Das ist die Grundlage jeder Religion wie wir
gesehen haben. Und doch, warum gibt es dann Religionskriege, wenn dies die Basis jeder Religion
ist? Es sind die Interpreten, die diese Kriege verursachen! Und wie könnte selbst das geschehen,
wenn es nicht Gottes Wille wäre?

 WIE: Sie glauben - das ist klar - dass wir das tun, was wir tun, weil es Gottes Wille ist. Für mich ergibt
das nur für denjenigen einen Sinn, der am Ende seiner spirituellen Suche angelangt ist - der das Ende
des Egos erreicht hat - weil die Handlungen desjenigen nicht selbstsüchtig sind und es deshalb keine
Verzerrung von Gottes' Willen gibt. Aber solange das nicht erreicht ist, mag es einfach eine
zwanghafte Reaktion auf selbstsüchtige Gefühle sein, wenn ein Individuum einem anderen gegenüber
böse handelt. Wenn das der Fall ist, dann könnte das, was Sie sagen, tatsächlich als Rechtfertigung
für unangenehmes oder aggressives Verhalten benutzt werden. Man könnte einfach sagen: "Es ist
alles Gottes Wille. Es spielt keine Rolle!"

 RB: Ich weiß, aber das ist die Wahrheit. Ihre wirkliche Frage ist: "Warum hat Gott die Welt so
erschaffen, wie sie ist?" Aber sehen Sie, ein Mensch ist nur ein geschaffenes Objekt, Teil der
Gesamtheit der Schöpfung, die aus der Quelle kam. Meine Antwort ist also: ein geschaffenes Objekt
kann unmöglich jemals seinen Schöpfer kennen! Lassen Sie mich eine Metapher verwenden. Stellen
wir uns vor, Sie malen ein Bild und auf das Bild malen Sie eine Figur. Und nun will die Figur erstens
wissen, warum Sie, als Maler, ausgerechnet dieses Bild und zweitens, warum Sie die Figur so häßlich
gemalt haben! Sie sehen: wie kann ein geschaffenes Objekt jemals den Willen seines Schöpfers
kennen? Worauf ich jedoch hinaus will ist, dass Sie das nicht daran hindert, das zu tun, was Sie
glauben tun zu müssen! Das Akzeptieren dessen, dass nichts geschieht, außer was Gottes Wille ist,
hindert keinen Menschen daran, das zu tun, was er glaubt tun zu müssen. Was sonst können Sie tun?

WIE: Aber nach dem Verlauf dieser Argumentation wäre es meiner Meinung nach - wie ich schon
vorher sagte -sehr leicht, daraus den Schluss zu ziehen "Gut, es ist alles der Wille Gottes, es spielt
keine Rolle, was passiert", und dann einfach aufzugeben.

 RB: Sie meinen "warum sollte ich also nicht den ganzen Tag im Bett bleiben?"

 WIE: Ja, wozu sich überhaupt anstrengen? 

RB: Die Antwort auf diese Frage ist, dass die Energie in einem Körper-Geist-Organismus diesem nicht
gestatten wird für längere Zeit untätig zu bleiben. Die Energie wird fortfahren, in jedem Sekunden-
Bruchteil irgendwelche körperlichen oder geistigen Handlungen zu produzieren, gemäß der
Programmierung des Körper-Geist-Organismus und dessen Schicksal, was der Wille Gottes ist. Aber
das hindert Sie - der immer noch glaubt, ein Individuum zu sein - nicht daran, das zu tun, was Sie
glauben tun zu sollen. Was ich also tatsächlich sage ist: was Sie glauben, in jeglicher Situation zu
jedem gegebenen Augenblick tun zu müssen ist genau das, was Gott will, dass Sie glauben, Sie sollten
tun. Die Grundaussage ist, dass das Akzeptieren Gottes' Willens Sie nicht hindert, zu tun, was Sie
glauben tun zu müssen. Verstehen Sie das? In der Tat können Sie gar nicht anders tun! 

WIE: Es klingt, als ob - nach Ihrer Weltsicht - alles, was wir als Wahl, freien Willen und Verantwortung
betrachten, vom Individuum auf Gott oder Bewusstsein verlagert worden ist. Ist es das, was Sie
sagen?
RB: Es ist nicht verlagert worden. Wenn Sie glauben, zu agieren, was geschieht? Schuld, Stolz, Hass
und Neid. Aber das verhindert immer noch nicht, dass die Dinge fortfahren zu geschehen wie sie
geschehen. Aber wenn Sie denken, dass nicht Sie es tun, dann gibt es keine Schuld, keinen Stolz,
keinen Hass, keinen Neid! Das Leben wird friedlicher. 

WIE: Ich habe etwas in einer Broschüre gelesen, die von mehreren Ihrer Schüler verfasst wurde, was
relevant für diese Sache ist. Da heißt es:" Was du magst, kann nur das sein, was Gott möchte, dass du
magst. Nichts kann geschehen, wenn es nicht Sein Wille ist".

 RB: Ja, das ist richtig. 

WIE: In der Broschüre steht außerdem: "fühle dich nicht schuldig, selbst wenn ein Ehebruch geschieht.
Du als Quelle bist immer rein".

 RB: Das ist es, was Ramana Maharishi gesagt hat.

  WIE: Mein Problem ist, dass die Quelle zwar immer rein sein mag, aber es erscheint mir - noch
einmal gesagt - dass dies leicht als Lizenz benützt werden könnte, um gewissenlos zu handeln. Man
könnte sagen "es spielt keine Rolle, ob ich einen Ehebruch begehe; es spielt keine Rolle, ob ich meine
Freunde verletze, denn diese Handlungen sind einfach geschehen". Es könnte sehr leicht als Freibrief
verstanden werden, Wünsche zu befriedigen, einfach nur weil ich gerade diesen Wunsch habe.

RB: Aber ist es nicht das, was geschieht?

 WIE: Sicher kommt das vor, aber ... 

RB: Meinen Sie, dass es öfter geschehen wird?

  WIE: Es könnte sehr leicht öfter geschehen. Ich könnte sagen: "In Ordnung, es spielt keine Rolle, was
ich jetzt mache. Ich brauche mich nicht zu sorgen und mich zurückhalten, wenn ich einen Wunsch
verspüre." Verstehen Sie, was ich meine?

 RB: Die Frage, die gewöhnlich gestellt wird, ist: "Wenn ich in Wirklichkeit nichts tue, was hält mich
davon ab, mit einem Maschinengewehr hinzugehen und zwanzig Leute umzubringen?" Das ist Ihre
Frage, nicht wahr?

 WIE: Gut, das ist ein extremes Beispiel.

 RB: Ja, nehmen Sie ein extremes Beispiel!

  WIE: Ich glaube aber, es ist interessanter, das Beispiel des Ehebruchs zu nehmen, denn es gibt nicht
viele Leute, die so etwas Extremes machen würden, wie mit einem Maschinengewehr andere Leute
abzuknallen. 

RB: Gut. Es ist dasselbe, wenn wir von Ehebruch sprechen. Ich habe gelesen, dass Psychologen und
Biologen aufgrund ihrer Forschung zu dem Schluss gekommen sind, dass Sie, wenn Sie Ihre Frau
betrügen, sich nicht die Schuld geben sollten.

WIE: Naja, ich glaube nicht, dass das die einheitliche Meinung der Wissenschaft ist. 
RB: Was ich sage ist, dass die Wissenschaft immer mehr zu der Schlussfolgerung kommt, die der
Mystiker schon immer vertrat, dass - welche Handlungen auch immer geschehen - sie auf die
Programmierung zurückverfolgt werden können.

WIE: Ich verstehe, dass dies in einigen Fällen zutreffen mag. Aber nehmen wir zum
Beispiel an, dass ich den Drang habe, einen Ehebruch zu begehen. Ich könnte
sagen: "Es muss Gottes Wille sein, dass ich es tue, also halte ich mich nicht
zurück" - oder ich könnte mich zurückhalten und meinen Freunden viel Schmerz
ersparen. Wäre es nicht besser, wenn ich mich zurückhielte?
RB: Wer hält Sie denn davon ab, sich zurückzuhalten? Tun Sie, was immer Sie
möchten! Was verhindert Sie, sich zurückzuhalten? Halten Sie sich zurück!
WIE: Meine Rede ist, dass das so besser ist.
RB: Das ist auch meine Rede.
WIE: Aber nach Ihrer Ansicht könnte ich genauso gut sagen "Es muss Gottes Wille
sein, denn ich habe dieses Begehren" und mich dann nicht zurückhalten.
RB: Sie sagen, dass Sie wissen, Sie sollten sich zurückhalten - warum halten Sie
sich dann nicht zurück? Wenn ein Körper-Geist-Organismus programmiert ist, seine
Frau nicht zu betrügen, wird er es nicht tun, egal was ein anderer sagt. Wenn
Sie so programmiert sind, dass Sie gegen niemanden die Hand erheben, werden Sie
dann anfangen, andere zu töten? Wenn ein Gesetz gemacht würde, das es Ihnen
erlaubte, straflos Ihre Frau zu schlagen, würden Sie dann beginnen, sie zu
schlagen? Nicht, wenn der Körper-Geist-Organismus nicht dazu programmiert ist;
und wenn er dazu programmiert ist, hat er es sowieso schon getan. Wie ich also
gesagt habe: das Akzeptieren von Gottes' Willen hindert Sie nicht daran, zu tun,
was sie denken, Sie sollten tun. Tun Sie es! Tun Sie genau das, was Sie denken,
dass Sie tun sollten!
WIE: Wie können wir jedoch sagen, dass wir wissen, es ist letztendlich Schicksal
oder Gottes Wille? Alles was wir wissen ist, dass bestimmte Ereignisse
stattfinden. Nachträglich können wir auf eine Tat zurückblicken und sagen "es
ist einfach geschehen" und wenn es uns gefällt, können wir es Schicksal nennen.
Aber ist es nicht richtiger zu sagen, dass wir nicht wirklich wissen, ob es
Schicksal ist oder nicht?
RB: Das ist der springende Punkt. Wir wissen es nicht.
WIE: Aber zu sagen, dass wir es nicht wissen, ist etwas anderes als zu sagen "wir
wissen, es ist Gottes Wille". Es ist etwas anderes als zu sagen, wir wüßten, dass
alles vorherbestimmt ist. Verstehen Sie, für mich klingt es, als ob Sie sagten,
Sie wüßten, dass alles Gottes Wille ist. Ich schlage jedoch vor, dass wir es
einfach nicht wissen. Wir wissen nicht, ob es Gott Wille ist, der diese Dinge
entscheidet, also können wir nicht wirklich sagen "So funktioniert es" oder
"Alles ist immer von Gott geplant".
RB: Wir wissen nicht und das ist die Grundlinie. Wenn Sie also wollen, können
Sie das Konzept vom Schicksal fallenlassen und sagen, dass niemand wirklich etwas
wissen kann. Gut! Es besteht keine Notwendigkeit für das Konzept des Schicksals.
Letztendlich wenn Sie akzeptieren, dass nichts, was geschieht, unter Ihrer
Kontrolle ist, wer ist dann überhaupt da, sich über das Schicksal Sorgen zu
machen?
WIE: Da viele geistige Sucher zu Ihnen kommen, um sich Rat für den spirituellen
Weg zu holen, möchte ich fragen, welchen Wert - wenn überhaupt - Sie in
spiritueller Praxis als Mittel zur Erleuchtung sehen.
RB: Wenn Sadhana (spirituelle Praxis) notwendig ist, ist der
Körper-Geist-Organismus programmiert, Sadhana zu praktizieren.
WIE: Mit anderen Worten: wenn es geschieht, geschieht es?
RB: Das ist richtig.
WIE: Sie empfehlen es nicht oder glauben, dass es hilfreich ist?
RB: Manchmal fragen mich die Leute: "Wenn nichts in meinen Händen liegt, soll
ich dann meditieren oder nicht?" Meine Antwort ist sehr einfach. Wenn du
meditieren möchtest, meditiere. Wenn du nicht gern meditierst, zwinge dich nicht
dazu.
WIE: Ist spirituelle Suche dann ein Hindernis für Erleuchtung?
RB: Ja, Suchen ist das größte Hindernis wegen des Suchers. Der Sucher ist das
Hindernis - nicht das Suchen. Suchen geschieht von selbst. Suchen geschieht,
weil der Körper-Geist-Organismus programmiert ist, zu suchen, was er sucht. Wenn
also die Suche nach Erleuchtung geschieht, ist der Körper-Geist-Organismus
programmiert, zu suchen. Das Hindernis ist der Sucher, der sagt "ich möchte
Erleuchtung".
WIE: Warum haben dann so viele große Weise über die Wichtigkeit des Suchens
gesprochen? Ramana Maharishi hat gesagt, dass der Sucher so verzweifelt nach
Erleuchtung verlangen muss, wie ein Ertrinkender nach Luft - mit demselben Grad
an Zielgerichtetheit und Ernsthaftigkeit.
RB: Sicher. Es bedeutet, dass da diese Art von Intensität im Suchen sein muss. Er
hat aber auch gesagt: "Wenn du dich anstrengen willst, musst du dich anstrengen.
Aber wenn Anstrengung nicht für dich bestimmt ist, wird es keine Anstrengung
geben." Das ist es, was Ramana Maharishi gesagt hat. Sehen Sie also: ob Sie
suchen oder nicht unterliegt nicht Ihrer Kontrolle. Ob Sie nach Gott oder nach
Geld suchen ist weder Ihr Verdienst noch Ihre Schuld.
WIE: Sie haben in einem Ihrer Bücher geschrieben, dass man schon ein ziemlich
tiefes Verständnis erlangt hat, wenn man sagen kann "Es ist mir egal, ob in
diesem Körper-Geist-Organismus Erleuchtung geschieht oder nicht".
RB: Das ist wahr. Wenn er dieses Stadium erreicht hat, bedeutet das, dass der
Sucher nicht mehr da ist. Das ist ganz nah an der Erleuchtung, denn wenn es da
keinen gibt, der sich kümmert, gibt es auch keinen mehr, der sucht.
WIE: Aber könnte das Ergebnis nicht einfach eine außerordentlich tiefe
Gleichgültigkeit sein - was nicht Erleuchtung ist.
RB: Die zur Erleuchtung führen könnte!
WIE: Ich möchte Ihnen nur noch eine Frage stellen. Sie sagen oft, man soll
"einfach akzeptieren, was ist" -
RB: Ja, wenn es Ihnen möglich ist, das zu tun - und das unterliegt nicht Ihrer
Kontrolle!

Epilog
Als ich am Türwächter vorbei in die geschäftigen Straßen Bombays stolperte,
drehte sich mir der Kopf. Wie war es möglich, fragte ich mich während ich mir
einen Weg durch die Menge bahnte, dass ein intelligenter und gebildeter Mann wie
Ramesh Balsekar wirklich glauben konnte, dass alles vorherbestimmt ist und dass -
selbst noch vor unserer Geburt - unser Schicksal bereits in eine Art ätherischen
Granit eingemeißelt ist. Meint er es wirklich ernst, wenn er darauf besteht, dass
unser ganzes Leben mit seinem scheinbar nie abreißenden Strom von Wahl- und
Entscheidungsmöglichkeiten, seinen prekären Gelegenheiten, uns für eine bessere
oder schlechtere Richtung zu entscheiden, in Wirklichkeit vom ersten Atemzug an
ein Schicksalskomplize ist? Während ich den Gehsteig überquerte auf der Suche
nach einem Café, um darin Erholung vom Chaos zu finden, schwirrten mir die
schwierigen Wendungen unseres kurzen Dialogs im Kopf herum. Ja, "Dein Wille
geschehe" ist die Essenz fast aller Religionen, dachte ich bei mir, aber für die
großen Mystiker und Weisen, die im Verlauf der Geschichte solche Äußerungen
getan haben, hat die Hingabe an den Willen Gottes weit mehr bedeutet als nur zu
akzeptieren, dass es nichts gibt, was einer tun kann, um die Umstände seines
Lebens zu beeinflussen. Sicher kann das, was man traditionell als den "Willen
Gottes" bezeichnet, erst entdeckt werden, wenn man das Ego absolut aufgegeben
hat, wenn alle selbstsüchtigen Motive ausgelöscht sind und nichts mehr übrig
bleibt als äußerste Hingabe an den Willen Gottes, was immer das sein mag! Zu
sagen, dass Jesus oder Ramakrishna oder Ramana Maharshi dem Willen Gottes ergeben
waren, ist eine Sache. Aber zu behaupten, dass das auf jedermann zutrifft, schien
zu diesem Zeitpunkt eine eigentümliche und sogar gefährliche Form von
Verrücktheit widerzuspiegeln - zudem eine, die die extremsten Verhaltensformen
rechtfertigen könnte. Balsekar's Aussage "Was Sie denken, in jeder beliebigen
Situation tun zu müssen ... ist genau das, was Gott will, dass Sie denken, Sie
sollten tun" bedeutet, dass für ihn der erleuchtete Buddha nicht mehr den Willen
Gottes tut als der Serienmörder, der sein nächstes Opfer angreift.
Ich war zu dem Interview gegangen und hatte einige Meinungsverschiedenheiten
erwartet, aber irgendwie hatten mich nicht einmal Balsekars Bücher - in denen
all diese Ideen klar und wiederholt ausgedrückt sind - für meine Begegnung mit
dem Mann selbst vorbereitet. Wie war er darauf gestoßen? - wunderte ich mich.
Und warum? Meine Gedanken drehten sich im Kreis und riefen alles zurück, von
seiner schauderhaften Behauptung, dass wir uns nicht schuldig fühlen müssen,
selbst wenn wir jemanden verletzt haben, weil wir für unsere Handlungen nicht
verantwortlich sind - dass selbst "Hitler nur ein Instrument war, durch den die
schrecklichen Dinge, die geschehen mussten, geschahen" - bis zu seiner dem
gesunden Menschenverstand trotztenden Versicherung, dass wir keine Macht haben,
unser Verhalten zu kontrollieren oder gar das Verhalten anderer zu beeinflussen.
Und all das im Kontext seiner Science-fiction-Beschreibung von jedem einzelnen
von uns als "Körper-Geist-Organismus", der seine "Programmierung" ausagiert.
Plötzlich kam durch den Nebel der ersehnte Anblick eines Teehauses in Sicht, und
als ich nach innen gelangte, war ich erleichtert, die Art stiller Oase zu
finden, die ich erhofft hatte. Dort, an einem der vielen leeren Tische, als der
erste Schluck zuckersüßen Milchtees meine Lippen passierte, traf es mich wie ein
Blitz. Ich trank nicht den Tee! Ich saß nicht am Tisch! Ich war tatsächlich
nicht derjenige, der das Teehaus betreten hatte. Und ich war nicht jener, der
sich gerade eine Stunde lang in einer Diskussion mit einem Mann gequält hatte,
der plötzlich als der geistig Gesunde erschien. Tatsächlich, es war niemals ich,
der etwas getan hatte. Es schien, als ob eine Bürde, die ich mein ganzes Leben
mit mir herumgetragen hatte, plötzlich von einem Heißluftballon hoch in den
Himmel gehoben wurde, weggezaubert,. um nie wieder zurückzukehren. All die Jahre
die ich mich bemüht hatte, ein besserer, ehrlicherer und großzügiger Mensch zu
werden - all die Anstrengung, die ich unternommen hatte, meinem Hang zu
Überheblichkeit, Selbstsucht und Aggression zu entsagen - alles war Torheit,
alles töricht und überflüssig, basierend auf der aufgeblasenen Vorstellung,
Kontrolle über mein eigenes Schicksal zu haben, und der billigen Vermutung, dass
das, was ich "anderen" angetan hatte, überhaupt jemals eine Rolle spielte. Wie
konnte ich so in die Irre gegangen sein? Aber, Moment, es war nicht einmal ich,
der irregeführt worden war! Wie durch eine Öffnung in den Wolken konnte ich
plötzlich klar erkennen, dass das, was ich für "mein Leben" gehalten hatte, in
Wirklichkeit nur ein mechanischer Prozeß war. Die Person, von der ich angenommen
hatte, dass ich es sei, war nichts als eine Maschine. Und die Welt, in der ich
gedacht hatte zu leben, war keine Welt menschlicher Komplexität sondern eine
Welt mechanistischer Einfachheit, perfekter Ordnung, ein mathematisches Spiel
mit sich bewegenden Programmen seit dem Anbeginn der Zeit.
Als die klinische Perfektion von Gottes wissenschaftlichem Plan sich vor meinen
Augen zu öffnen anfing, begann die ekstatische Erregung absoluter Freiheit - von
Nöten und Sorgen, von Verpflichtungen und Schuld - durch meine Adern zu
rauschen, wie der reißende Strom eines ungebändigten Flusses. Und gleichzeitig
kam ein umhüllender, gewaltiger Friede, ein völliges Verschwinden von Anspannung
- in der Erkenntnis, dass unabhängig davon, welcher scheinbaren Zweideutigkeit
oder Unsicherheit ich später auch begegnen könnte und welchen scheinbar
schwierigen Entscheidungen ich mich vielleicht stellen muss, ich stets sicher
sein kann, dass ich bei jeder Wahl, die ich treffe, genau das wähle, was Gott
will. Das geheimnisvolle Gefühl von etwas Unbekanntem, das so lange an mir
genagt hatte, hatte sich aufgelöst. Die Leute im Café drehten ihre Köpfe nach
mir, als ich laut zu lachen anfing, ein langes, aus dem Bauch kommendes Lachen.
Ich überlegte mir, welch phantastisches Spiel das Leben wäre, wenn jeder
verstehen würde, wie alles in Wirklichkeit zusammenhängt, wenn jeder wenigstens
eine Ahnung davon hätte, wie frei wir sein könnten, wenn wir alle auf Planet
Advaita lebten.

„30 Jahre lang habe ich Trottel mich mit dem Problem der Menschheit abgemüht, ohne zu wissen,
was ein Maskenball ist!“
Hermann Hesse

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