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»Mr. Carter?«
Eine Hand auf seiner Schulter ließ ihn
hochfahren. Desorientiert sah er sich um.
Wo war er?
Dann machte er eine schmale Gestalt
vor sich aus und einiges fiel ihm ein.
Zum Beispiel, wer SIE war. Übrigens
auch, dass er dringend die Kinder
nehmen und nach Hause fahren musste.
Kaum war ihm dieser spezielle
Gedanke gekommen, richtete er sich auf.
»Ich muss los! Sorry, ich bin wohl kurz
eingenickt.«
Dafür kassierte er ein leises Lachen.
Langlebig war es nicht, doch es genügte,
um ihn vollständig zu verwirren. Eilig
rieb er sich die Augen und betrachtete
die Gestalt vor sich etwas genauer.
Im Grunde stimmte alles, nur der
dunkle Morgenmantel brachte ihn ins
Grübeln.
Das lange Haar lag über ihrer linken
Schulter und sie hielt eine Tasse in der
Hand. »Ich denke, Sie müssen aufstehen,
Mr. Carter. Ich wollte Sie gestern nicht
mehr wecken, es sah so aus, als hätten
Sie den Schlaf nötig. Aber wenn Sie
nicht zu spät kommen wollen ...«
Sie betrachtete ihn mit erhobener
Augenbraue und erst jetzt ging ihm auf,
dass eine Decke über ihm ausgebreitet
war. Mit wachsender Verwirrung blickte
er zum Fenster. Und als er sah, dass es
dämmerte, war ihm alles klar.
»Scheiße!«, fluchte Josh und richtete
sich so abrupt auf, dass sie
unwillkürlich einen Schritt zurückwich.
»Sorry!«, sagte er hastig. »Ich wollte
Ihnen nicht zur Last fallen. Es tut mir
sehr leid!« Eilig stand er auf, und fuhr
sich mit den Händen durchs Haar.
»Kein Problem ...«, erwiderte sie
langsam.
Heftig nickte er. »Oh doch, das ist es!
Wir haben Sie schon viel zu lange
belästigt!« gehetzt sah er sich um. »Wo
sind die Kinder?«
»Sie schlafen noch.«
Er stöhnte und zählte wie üblich bis
zehn, bevor er sie wieder ansehen
konnte. »Wie spät ist es?«, erkundigte er
sich schließlich.
»Kurz nach acht.«
Diesmal klang das Stöhnen lauter.
»Verdammt! Können Sie die beiden
wecken, ich muss ...«
»SIE!« Sie nickte bedeutsam und
überhaupt nicht panisch, während Joshs
Hysterie mit jeder Sekunde stieg. »...
trinken den Kaffee, essen Ihr Frühstück,
es steht auf dem Tisch, und dann gehen
Sie in Ihren Kühlschrank. Keine Sorge,
es geht Ihren Kindern bei mir gut und ich
glaube, sie fühlen sich wohl.« Sie
lächelte und wirkte zum ersten Mal,
seitdem er sie kannte, unsicher. »Bitte«,
fügte sie hinzu, als er so gar keine
Anstalten machte, zu antworten. »Es
bereitet mir Freude.«
Unentschlossen musterte er die junge
Frau. Es war falsch – in so vielfacher
Hinsicht, oh ja. Die Konsequenzen
dieser Aktion waren noch gar nicht
absehbar. Doch andererseits musste er
GLEICH los!
Die Alternative war, seine Kinder aus
ihren mit Sicherheit behaglichen Betten
zu reißen, ihnen KEIN Frühstück zu
gönnen und einen Tag in eisiger Kälte
zuzumuten. Josh liebte seine Sprösslinge
zu sehr, um seinem Stolz eine Chance zu
geben.
»Es tut mir leid«, wiederholte er
hilflos und sie nickte. »Natürlich.«
Behutsam – als drohte er,
zuzuschnappen, wenn sie zu schnell
vorging - nahm sie seinen Arm.
»Kommen Sie, ich habe Frühstück
bereitgestellt.«
***
FORT KNOX
... und Bethy versah in der
Zwischenzeit den Kuchen noch mit
Zuckerguss, den sie mit einer Zimtnote
versehen hatte. Im Hause Carter
existierte nämlich auch Puderzucker.
Alles drapierten sie auf dem Tisch,
die Geschenke unter den Baum.
Und dann standen sie da und das
warme Gefühl in Joshs Magen verstärkte
sich noch einmal.
»Moment«, sagte sie plötzlich und
ging in den Flur. Er hörte sie an ihrer
Jacke nesteln und kurz darauf kehrte sie
mit zwei
Schokoladenweihnachtsmännern zurück.
Er hob die Augenbrauen. »Hattest du die
auch versehentlich gekauft?«
»Nein«, erwiderte sie einfach. »Das
geschah mit voller Absicht.«
Sie stellte sie vor die jeweiligen
Geschenke und dann war es tatsächlich
perfekt.
Die Uhr schlug sechs, als schließlich
alles fertig war und sie ermattet auf das
Sofa fielen.
Mit müden, aber glänzenden Augen
betrachteten sie ihr Werk und Josh
musste sich eingestehen, dass er noch nie
so zufrieden gewesen war. In seinem
gesamten Leben nicht.
Er wusste nicht, wie die Kinder
reagieren würden. Der Fake mit den
vorhandenen Geschenken war
durchschaubar trotz des neuen Outfits.
Doch plötzlich wusste er, dass es gut
werden würde.
Bethy sagte nichts mehr, zu müde,
schätzte Josh. Und auch ihm fielen so
langsam die Lider zu.
Jetzt, mit dem RICHTIGEN Duft in
der Wohnung war die Anspannung, die
ihn über Tage erfolgreich vom Schlafen
abgehalten hatte, mit einem Mal
verschwunden.
Während sie den Baum betrachteten,
nickten sie ein.
Beinahe gleichzeitig.
Ihnen entging selbstverständlich auch,
dass Bethys Kopf auf Joshs Schulter
sank und er fest seinen Arm um sie legte.
***