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Die )deutsche Mutter<

in Johanna Haarers NS-Erziehungsratgebern -


eine sozialpsychologische Untersuchung

Die Ratgeber »Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind« (1934) und »Un-
sere kleinen Kinder« (1936)' erreichten in immer neuen Ausgaben bis
194F Auflagen von mehreren Hunderttausend Stück. Die Autorin Jo-
hanna Haarer übernimmt darin - zum Teil wörtlich - die von Hitler in
»Mein Kamp& vertretenen pädagogischen und geschlechterpolitischen
ksitionen: Die Frau hat Wert nur als Mutter; Erziehungziele sind kör-
perliche Leistungsfähigkeit, Härte, Disziplin, Pflichtbewusstsein; rassi-
sche Ausleseprinzipien gelten als die zentralen Voraussetzungen. Die NS-
ideologischen Maximen sind in eine Fülle praktischer Ratschläge für
Hauswirtschaft, Schwangerschaft, Pflege und Erziehung des Säuglings
und Kleinkirides eingebettet.'
Eine Inhaltsanaiyse der beiden Bücher aus einer sozialpsychologischen
Perspektive fragt nach den Menschen- und Weltbildern, nach Gefühlen
und psychischen Motiven, die diese Texte transportieren. Dabei geht die
Untersuchung von der Voraussetzung aus, dass für die Akzeptanz des
NS-Regimes psychologische Motive eine goi3e Rolle spielten. Der Erfolg
des Nationalsozialismus bestand unter anderem darin, dass ein hohes
Mai3 »affektiver Integration in den NS-Staat erreicht wurde«.3 Eine sozi-
alpsychologische Untersuchung der Frage, welche Bedürfnisse, Ängste,
Wünsche, Konflikte dabei eine Rolle spielten, ist deshalb sehr sinnvoll.
Dabei ist es notwendig, über eine Beschreibung der expliziten NS-Propa-
ganda hinauszugehen, die nichts Überraschendes birgt bzw. mit ihrer
martialischen Opfer-Rhetorik die Attraktion des nationalsozialistischen
Angebotes eher verdunkelt als erklärt.4
Die Rede von Dienst, Pflicht, Unterordnung, Verzicht kennzeichnet
insbesondere die an Frauen gerichtete Propaganda, so auch die von Jo-
hanna Haarer:' »Das neue Reich will die Frau wieder hinführen zur Er-
reichung jenes Ziels, [. ..] dessen Erfüllung allein ihrem Leben den rech-
ten Sinn [. ..] bringt: Mutterschaft und Aufzucht ihrer Kinder. Dafür ist
die Frau da.« Berufstätigkeit der Mutter wird abgelehnt.' Mit Emphase
vertritt Haarer die rassenpolitischen Ziele der »Höherzüchtung« und
GUDRUN BROCKHAUS JOHANNA HAARERS NS-ERZIEHUNGSRATGEBER

Aussonderung des Minderwertigen. Ist die Frau sich ihrer Erbgesundheit ~achkriegsgeneration.Man kennt die Haarerschen Maximen als Leit-
nicht sicher, soll sie auf Ehe und Kinder verzichten und ihrer Sterilisation bilder der eigenen Erziehung: Unerbittliche Strenge, Distanz zwischen
zustimmen. Die Produktion möglichst vieler Kinder dient nicht persön- Eltern und Kindern, Warnung vor Nachgiebigkeit und Verwöhnung
lichen Bedürfnissen, sondern den rassischen Zielen des NS-Staates, das (,Mfenliebe«), Forderung von Gehorsam und Leistung.
Kind ist die »verbindende Brücke« zwischen Vergangenheit und Zukunft Die Rezeption der Bücher von Haarer in wissenschaftlichen wie pub-
ihres Volkes.7 Auch die Er~iehun~sziele - Sparsamkeit, Pflichtbewusst- lizistischen Kontexten in der Bundesrepublik Deutschland scheint mir
sein, Lei~tun~sstärke, Bereitschaft zur Einordnung, Ordnungsliebe - sind von diesem persönlichen Erfahr~ngshinter~rund der Autoren und Auto-
auf den Nutzen für die »Volksgemeinschaft«bezogen:' »Vorüber sind die ,innen (als »Opfer«der Haarerschen Pädagogik) geprägt, die Darstellun-
Zeiten, wo es erstes und oberstes Ziel aller Erziehung und Aufzucht war, gen zu Haarer sind von moralischer Empörung über die inhumanen Er-
nur die Eigenpersönlichkeit im Kind und Menschen zu vervollkommnen ziehungspraktiken und Entsetzen über die Weiterverwend~n~ dieser
und zu fördern.« Die Haarerschen Ratgeber zielen auf den ersten Blick ~[einkindpädagogikin der Bundesrepublik Deutschland bis in die acht-
ausschließlich auf persönlichen Verzicht und extreme Leistungsbereit- ziger Jahre durchzogen. Unhinterfragt wird dabei unterstellt, Haarers
schaft der angesprochenen Frauen ab. Schwäche und Versagen der Mütter pädagogische Rezepte seien während der NS-Zeit ebenso wie im Nach-
werden nicht toleriert, die Mütter werden schuldig gesprochen für alle hiegsdeutschland deutsche Erzieh~n~snormalität gewesen. Durch eine
charakterlichen Mängel des Kindes. Der ständige Verweis auf die eugeni- entsprechende Zitatensammlung wird Haarer als Schreckensgestalt vor-
sche Auslese der Minderwertigen verleiht den Forderungen einen exis- geführt, ihre Pädagogik als neurotisierend,'T des~ruktiv,'~ auf die Zer-
tenziell bedrohlichen Hintergrund. störung von Bindungen ausgerichtet; sie habe die Menschen anfällig
gemacht für die Massenangebote des Regimes.'7 Die Haarer-Erziehung
erkläre auch den Empathiemangel und die emotionale Kalte im Nach-
Die Haarer-Rezeption
kriegsdeutschland.
Diese Rhetorik einer totalen Vereinnahmung der Frau für die Zwecke Die These einer funktionierenden Erziehung zur Bindungslosigkeit
des Regimes hat mit dazu beigetragen, dass die feministische Forschung auf der Grundlage der Haarerschen Erzieh~ngsrat~eber durchzieht die
über längere Zeit in der Thematisierung der Frauen als Opfer des Patri- gesamte Literatur zum Thema.'' Sigrid Chamberlain meint deshalb den
archats stecken blieb9 und das aktive, initiative, kreative »dem Führer Schluss ziehen zu können," »daß Frauen, Mütter, ohne dazu gezwungen
Entgegenarbeiten« auch der Frauen unterbelichtet war." Die Fokussie- gewesen zu sein, in ihrem Umfeld und Wirkungskreis zu Taterinnen
rung auf eine passive Opferrolle geht auch daran vorbei, dass die den wurden«. Die »Haarer-Mütter« beantworten für sie die Frage nach der
Selbstwert steigernden Wirkungen dieses Engagements die Erinnerun- NS-Täterschaft von Frauen.
gen vieler NS-aktiver Frauen nach 1945 dominierten." Ein Journalist benennt das Dilemma, in das die Dämonisierung Haa-
Was machte den Erfolg der Haarer-Ratgeber aus? Ihre Verbreitung rers führt: Man kann nicht erklären, warum die Frauen sich Haarer un-
wurde von Partei und Staat sehr befördert - die Bücher waren 2.B. terworfen haben s01Ien:~O»Irre nur, dass die meisten Frauen, Mütter, in
Grundlage in den Müttersch~lungen.'~ Haarer war aber auch ein Publi- Deutschland brav die Haarerschen Vorschläge angenommen haben [. ..] .«
kumsliebling; 1940 heißt es in einer Verlagsbroschüre:'3 »Tausende von Dabei kann die Behauptung einer bruchlosen Umsetzung der Haarer-
Briefen begeisterter Mütter liefen beim Verlag und bei der Verfasserin schen Ratgeber in die Erziehungswirklichkeit des Dritten Reiches nur
ein.« Für die Popularität Haarers auch unabhängig von der Förderung wenige empirische Belege für sich anführen. Ebenso wenig kann die
durch den NS-Staat sprechen neben den hohen Auflagen bis 1945 auch Behauptung einer NS-Spezifik der Haarerschen Pädagogik aufrechter-
die hohen Verkaufsziffern der zumindest oberflächlich »entnazifizierten« halten werden, berücksichtigt man die frappanten Ähnlichkeiten ihrer
Ausgaben der beiden Bücher, die ab 1949 in der Bundesrepublik Deutsch- Ratschläge zu der Vorläuferliteratur der Kaiserzeit wie zu aktuellen Pub-
land wieder aufgelegt wurden.'4 Ebenso ist die große Präsenz der Haarer- likationen im Rahmen der Debatten um Disziplin und Autorität in der
Ratgeber in den Bücherschränken von Eltern und Großeltern und auf Bundesrepublik De~tschland.~'
Flohmärkten ein Hinweis auf ihre Bekanntheit. Bei der Lektüre zeigen Es liegt nahe, Haarer zu damonisieren und die Ratgeber ausschließlich
sich Wiedererkennungeffekte für viele Angehörige der Kriegs- und auf Belege für Härte und Inhumanität hin zu durchkämmen. Diese im
G U D R U N BROCKHAUS JOHANNA HAARERS NS-ER'LIEE-IUNGSRATGEBER

Umgang mit NS-Texten ebenso häufig praktizierte wie eingeschränkte essen und Meinungen entsprechen.'5 Es soll gezeigt werden, wie Haarer
Rezeption lässt die Aussagen von Haarer ganz unzulässig eindeutig er- die Opfer- und Verzichtsforderungen umdeutet in symbolische (narziss-
scheinen und übersieht dabei vieles dazu im Widerspruch Stehende, so tische) Gratifikationen und in ganz reale Machtchancen für die Frauen
die Forderungen nach Respekt und absoluter Ehrlichkeit im Umgang und Mütter."
mit dem Kind:" »Wir gehen höflich und liebevoll mit ihm um [. ..] wir
gängeln das Kind nicht.«
Selbstlob als opferbereite Idealistinnen
Die Literatur ignoriert alle Auffassun-n Haarers, in denen sich auch
heute viele wiederfinden könnten: Das gilt z.B. für die ökologischen tQaarers Polemik gegen den »Primat der Wirtschaft« in der Weimarer
Prinzipien und die Ablehnung des »Primats der Wirtschaft« und aller Zeit bedient ein antikommunistisches und antisemitisches Stereotyp.
materialistischen Zwecksetzungen; für die Idealisierung von allem, was Dagegen setzt sie das idealistische Heldentum des neuen Deutschen.'7
als natürlich gilt -Ablehnung von industriell gefertigtem Spielzeug oder Der drohende »Volkstod«,d.h. der Geburtenrückgang, habe nicht eiwa
Babynahrung, die Ablehnung von Schmerzmitteln, Alkohol, Tabak, Völ- soziale oder ökonomische Ursachen:" »Nein, die Ursachen sind letzten
lerei, Eitelkeit, die Propagierung von barfuf3 Gehen, Luft, Licht, Gemüse, Endes in einer kinderfeindlichen Weltanschauung begründet. Es fehlt in
Landleben. vielen Fällen der Wille und der Mut zum Kind und eine heldische Le-
Auch heute kennen wir die Idealisierung der Mutterschaft (»Mütter- bensauffa~sun~, bei der Opferbringen und Für-andere-leben eine Selbst-
manifest«)wie die aggressive Stillpr~pa~anda, die natürlich nicht wie bei verständlichkeit ist.«
Haarer völkisch-rassisch begründet wird. Aber Haarers apodiktisches Diese Rhetorik vom opferbereiten deutschen Idealisten, der sich dem
»Deutsche Mutter, Du musst Dein Kind stillen!«'3 ähnelt durchaus mo- egoistischen »Krämer«und Vorteilsberechner moralisch turmhoch über-
dernen Ratgebern, auch in den düsteren Drohungen mit den Folgen der legen fühlen kann, ist überall in der NS-Ideologie zentral. In der Frauen-
»künstlichen Ernahrung« für die Gesundheit des Babys. politik wird noch einmal in besonderer Weise auf die Bereitschaft zum
Übergangen werden die bis in die Wortwahl reichenden, frappanten Dienen, zu Opfer und Verzicht venviesen.'9
Ähnlichkeiten zu behavioristischer Pädagogik wie zu modernen pädago- Die Betonung des Idealismus der Frau wird aber - auch dies NS-ty-
gischen Bestsellern: die »Aufzucht«des Kindes mit strikter Konsequenz, pisch - ergänzt durch ganz reale Anreize: Haarer listet genau auf, welche
klaren Grenzen, eindeutigen Botschaften. materiellen und gesetzlichen Verbesserungen das »Dritte Reich« geschaf-
Insbesondere übersieht die Dämonisierung Haarers und ihre Reduk- fen hat - finanzielle (Kindergeld,Ehestandsdarlehen),Versorgungsleistun-
tion auf bekannte NS-konforme Mutterideologie, wie normal die Ver- gen (Müttererh~lun~, Mutterschutz, Kinderbetreuung) und Beratungs-
führbarkeit zu Gewalt und Sadismus ist, wenn sie ideologisch legitimiert Angebote für die Mütter (Mütterschulen).
wird. Der Gestus der moralischen Empörung gegenüber Haarer erlaubt,
sich in einer sicheren moralischen Distanz aufzuhalten. Die Verführung,
Ideologische Aufwertung der Frau
diesen Distanzierungswunsch bei der Untersuchung der Ratgeber in eine
sehr einseitige Textauswahl zu übersetzen, muss im Verlauf der Textana- Die NS-Politik versuchte, dem Vorwurf, die Frau werde in der Reduk-
lyse stets aufs Neue reflektiert werden.'4 Ich werde versuchen, mit einer tion auf Mutterschaft entrechtet und abgewertet, mit einer rhetorischen
möglichst offenen Haltung die Haarer-Bücher als Quelle über das All- Aufwertung entgegenzutreten.?' Auch Haarer benutzt dieses Mittel sym-
tagsbewusstsein der NS-Zeit zu nutzen, traf sie doch offensichtlich einen bolischer Politik ausgiebig. Der Arbeit der Frau als Hausfrau und Mutter
Ton, in dem sich viele Leserinnen wiederfinden konnten. wird eine hohe Bedeutsamkeit für die >Volksgemeinschaft< zugesprochen,
sie wird zu der politischen Aufgabe der Frau erklärt. Diese Deutung ist
Teil des spezifischen hlitikverständnisses der Nationalsozialisten, das
Die AuJWertuag der Frau als »deutscheMutter«
mit Konzepten wie Weltanschauung, Volksgemeinschaft, Reinigung des
Haarers Ratgeber sind ein Beispiel für viele wahrend der NS-Zeit verfass- Volkskörpers, Höherentwicklung der arischen Rasse etc. Politik in alle
te Texte : Die propagandistischen Vorgaben werden vordergründig über- Lebensbereiche erweitert; dazu Leonie Wagner:3'
nommen, dann jedoch so interpretiert, dass sie den individuellen Inter-

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