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FLUGANGST – SO ÜBERLEBEN SIE EINE KATASTROPHE

Als das Flugzeug Kloten auf dem schnellsten Weg ver- liess, waren meine Hände wieder mal so
feucht, dass ein Goldfisch darin hätte herumschwimmen können. Um mich auf den eventuellen
Absturz vorzubereiten, griff ich zum «Safety on board»-Prospekt. Gütiger Himmel! Da stand: »Sie
fliegen in einer MD-11«! Also in der Teufelsmaschine mit ihren berüchtigten Unterhaltungselektro-
nik-Kabeln, aus denen die Funken feuerwerksähnlich stieben, bis die Piloten im brennenden
Cockpit niedersinken! Jetzt brauchte ich wirklich einen Freund. »Ich möchte Sie nicht stören«,
sagte ich zur bildschönen Frau neben mir, «aber das ist ein Notfall! Wir fliegen in der tödlichen
MD-11!« Ihre schönen Augen begannen unruhig herumzuwandern. «Aber ich habe doch«, flüsterte
sie, «bei der Buchung ausdrücklich eine Boeing-747 verlangt, alles, nur keine MD-11!« «Zu spät«,
sagte ich nach einem Blick aus dem Fenster. »Ich habe eine zweijährige Tochter und eine
gutgehende Boutique«, flüsterte die Schöne. «Bitte, unternehmen Sie etwas!« Das war aber gar
nicht nötig, denn ein Herr hinter uns war der Swissair ebenfalls auf die Schliche gekommen. «Fräu-
lein«, rief er Richtung Stewardess, »Sie, das ist eine MD-11! Das hat mir aber keiner gesagt! Ich
möchte sofort mit dem Kapitän sprechen!«
Die Stewardess bot ihm einen Cognac an, aber der Herr verlangte kategorisch eine Notlandung.
«Bravo!« rief die Schöne, deren Parfüm umwerfend war. Wenigstens wirst du in einer wunderbaren
Duftwolke abstürzen, sagte ich mir und zog die Schwimmweste an. Das löste in meiner näheren
Umgebung eine kleine Panik aus. »Unter meinem Sitz fehlt der Schwimmgurt!« schrie jemand. Ein
anderer hämmerte mit den Fäusten auf das Fach, in dem er die Sauerstoffmaske vermutete. Der
Chefsteward war auch nicht gerade die Ruhe selbst. »Ladies and Gentlemen«, rief er ins
Mikrophon, »wir bitten Sie, die Schwimmwesten auszuziehen und eine ganz normale Sitzposition
einzunehmen!« Vorn in der Business Class hatten nämlich alle die im »Safety on board»-Prospel<t
für den Fall einer Bruchlandung vorgeschriebene Kopf-zwischen-die-Knie-Hal- tung angenommen.
Dem Chefsteward zuliebe hoben jetzt einige ihre Köpfe, steckten sie aber sofort wieder zwischen
die Knie, als jemand rief: »Rauch! Das Triebwerk brennt!« »Adieu«, flüsterte meine Sitznachbarin
erstaunlich gefasst. »Es war schön, mit Ihnen zu fliegen«, sagte ich leise. Wie durch einen Nebel
hörten wir die Stimme des Flugkapitäns, der uns erklärte, das Triebwerk brenne nicht; bei dem
»Rauch« handle es sich
vielmehr um Wolken, denen man in dieser Flughöhe und Jahreszeit relativ oft begegne. »Gibt es
hier einen Pfarrer?« fragte eine ältere Dame jeden, an dem sie auf dem Weg zur Toilette vorbeikam.
Acht Stunden später landeten wir komplett erschöpft in New York. Einige legten erst im
Zubringerbus ihre Sau- crstoffniaske ab. Die Schwimmwesten durften wir behalten - trotz allem
eine nette Geste der Swissair. Bei der Gepäckausgabe kam es dann zu ergreifenden Szenen: Wir
Überlebenden fielen einander um den Hals, weinten, machten Duzis und gründeten spontan eine
Selbsthilfegruppe ehemaliger MD-ll-Passagiere.

PROBLEME – NOCH MEHR PROBLEME


Gestern erhielt ich einen Brief von Frau Elvira K. aus St. Gallen: »Es gibt leider immer noch viele
Türen, bei denen nicht angeschrieben ist, ob man sie zum Öffnen ziehen oder stossen muss.«
Dieses Problem, Frau K., kenne ich nur zu gut. Meistens stösst man, müsste aber ziehen und
umgekehrt - in jedem Fall fühlt man sich einen Moment lang als Versager, der nicht einmal fähig
ist, eine Tür zu öffnen. Mein Rat: Bleiben Sie vor einer solchen Tür stehen, rühren Sie sie nicht an.
Diese Türen befinden sich meistens in öffentlichen Gebäuden; sollte trotzdem niemand in der Nähe
sein, rufen Sie, so laut Sie können: »Zu Hilfe, zu Hilfe, mir ist die Handtasche entrissen worden!«
Daraufhin wird ein couragierter Mann aus der Herrentoilette stürzen. Zeigen Sie auf die Tür, rufen
Sie: »Soeben ist der Kerl dort hinausgerannt!« Der Mann wird die Tür auf- stossen wollen und kurz
aussehen wie ein Volltrottel, der einen Dieb fangen will, aber noch nicht einmal weiss, wie man eine
Tür aufmacht. Sagen Sie ruhig mit einer Spur Spott in der Stimme: »Man muss offenbar ziehen.«
Nun zu einem ernsteren Problem. Herr Frank schreibt mir: »Mehrmals täglich muss ich im Lift in
den zehnten Stock fahren und wieder hinunter, fast immer zusammen mit Leuten, die ich nicht
kenne. Alle starren dann auf die
Liftknöpfe, aber auch das ist peinlich!« Sie können das ändern, Herr Frank, indem Sie sich in einem
Spielwarengeschäft einen König aus dem Kaspertheater besorgen und eine Prinzessin. Verstecken
Sie die Puppen in der Tasche, betreten Sie den Lift. Stülpen Sie sich, sobald alle schweigend auf die
Liftknöpfe starren, die Königspuppe über die Hand und zwicken Sie die Person, die vor Ihnen steht,
in den Nacken. Sagen Sie: »Ei, wen haben wir denn da? Ich bin der König, und wer bist du?«
Daraufhin werden alle Sie anstarren und nicht mehr die Liftknöpfe. Zeigen Sie jetzt mit dem König
auf den Kleinsten im Lift, sagen Sie: »Du da, was machst du denn für ein dummes Gesicht, hast du
etwa die Prinzessin gefressen!« Zeigen Sie auf jemand anderen, brüllen Sie: »Oder du vielleicht?
Das will ich jetzt wissen!« Drücken Sie mit dem Kopf des Königs auf die Notbremse; ruckartig
wird der Lift zwischen zwei Stockwerken stehenbleiben. Holen Sie jetzt aus Ihrer Tasche die Prin-
zessin hervor, sagen Sie mit hoher Stimme: »Oh, so viele Leute!« Nicken Sie mit dem Köpfchen
der Prinzessin Ihren konsternierten Liftgenossen zu, sagen Sie: »Mein böser Vater hat sicher den
Lift angehalten, soll ich euch helfen?« Eine Sekretärin wird flüstern: »Ja bitte ...« Legen Sie die
Ärmchen der Prinzessin an ihre Ohren, fra-
gen Sie: »Hat da jemand etwas gesagt? Ihr müsst alle dreimal ganz laut rufen: >Prinzessin, hilf uns!
<; sonst kann ich euch nicht retten.« Nun werden die Leute dreimal murmeln: »Prinzessin hilf uns.«
Sagen Sie mit der Stimme des Königs: »Ich beuge mich«, und drücken Sie mit seinem Händchen
den Knopf fürs Erdgeschoss. Dort werden alle fluchtartig aussteigen, so dass Sie nun ganz allein ins
zehnte Stockwerk fahren können.

Selbsthilfegruppen: Soll ich einmal die volle Wahrheit sagen?


Seit einigen Monaten leide ich an Desinteresses. Mein Hausarzt jedenfalls nannte es so. Ich war
gestern bei ihm in der Sprechstunde. »Herr Doktor«, sagte ich, »ich habe da ein Problem. Aber ich
kann es nicht richtig ausdrücken.«
«Aha«, sagte der Arzt, »wahrscheinlich ein Schlaganfall. Rauchen Sie?« »Ja«, sagte ich, »aber es
hat mehr damit zu tun, dass ich mich für gewisse Dinge einfach nicht mehr interessiere.« »Das ist
nach einem Schlaganfall völlig normal«, sagte der Arzt und bat mich, von zehn an rückwärts zu
zählen. Ich begann zu zählen: »Bankfusionen, Viagra, Nazigold, EU, Solidaritätsstiftung ...«
»Interessant«, sagte der Arzt und kreuzte auf meinem Patientenblatt Kästchen an. »Eben nicht
interessant!« sagte ich und schilderte meine Symptome: Ich nehme morgens die Zeitung aus dem
Milchkasten. Mein Blick fällt auf die Schlagzeile. Schon wieder etwas über die UBS! Ich gähne,
wie ich gestern schon gegähnt habe, als Viagra das Hauptthema war.
Auf der zweiten Seite dann unweigerlich ein Bericht i'iber den Jüdischen Weltkongress und seinen
Druck auf Schweizer Banken - ächz, stöhn! Ich lege die Zeitung auf den Küchentisch, bitte Gott
darum, er möge mir die Kraft geben, mich für die Einführung des Euro zu inter- i",sieren sowie für
Firmen, die fusionieren. »Aber das ist zuviel für einen einzigen Gott!« sagte ich zu meinem Arzt.
»Es ist, zu meinem Schrecken, schon so weit, dass Ich das Wort >Holocaust< nicht mehr hören
kann!« »Gra- luliere«, sagte der Arzt, »es ist doch kein Schlaganfall. I sieht mir ganz nach einer
akuten Desinteressitis aus, verursacht durch Überkonsum von Nachrichten. Ich hat- h' diese Woche
schon zwei ähnliche Fälle.«
Muss man das«, fragte ich, »operieren?« »Kurieren muss man es«, sagte der Arzt und meldete mich
gleich bei den AD an, den Anonymen Desinteressierten. Ein p.iar Stunden später sass ich in einem
Kreis zusammen inil anderen Desinteressierten. »Unser neues Mitglied«, ■»igte der Gruppenleiter
und zeigte auf mich, »möchte iiir, gern kennenlernen.« Daraufhin stand der erste auf:
Ich heisse Simon und bin seit zwei Jahren Desinteressierter.«
Ich heisse Markus«, sagte der nächste, »Desinteressier- ItT. Dank den AD habe ich eingesehen, dass
es keine
Schande ist, wenn man sich nicht für die Neat interessiert.«
»Ich bin Sylvia«, sagte eine, der man ihre schwere Desinteressitis gar nicht ansah, »und interessiere
mich nur für Nachrichten über Gunvor und Prinzessin Stephanie von Monaco.« Alle klatschten.
Danach gab's eine Übung: Wir setzten uns im Schneidersitz auf eine Tageszeitung. »Schliesst die
Augen«, murmelte der Gruppenleiter, »und sprecht mir nach: >Der Wetterbericht ist das einzige,
was mich interessiert, und darauf bin ich stolz«.« Nachdem ich es dreissig Mal gesagt hatte, fühlte
ich eine warme Welle in mir hochsteigen - wahrscheinlich das Azorenhoch. Jedenfalls gehe ich
morgen wieder zu den AD, denn es tut gut, gemeinsam mit anderen Menschen desinteressiert zu
sein.

VERGESSLICHTKEIT – PINGUINE SIND DER SCHLÜSSEL ZUM


ERFOLG
Wenn man in eine grössere Menschenmenge hineinruft: »Welches ist eure Lieblingszahl?«, ruft die
Menge fast einstimmig zurück: »Natürlich 14 325!« Wenn man dann nachfragt, wieso ausgerechnet
14 325, bekommt man zu hören: »Na wegen der eleganten 1, der humorvollen 4, dem ganzen Drum
und Dran!« Dabei könnte man es belassen. Man könnte sich sagen, okay, besser, die Leute stehen
auf 14 325 als auf Eva Braun. Nun habe ich aber im Internet eine interessante Entdeckung gemacht.
Wenn man in einer Suchmaschine »14 325« eingibt, erhält man den Treffer »14 325, Tanya
Cherkassy, Ukrai ne, Age: 22, Height: 5,9«. Man erfährt, dass Frau Cherkassy davon träumt, einen
»zuverlässigen, ernsthaften Mann« zu treffen. Ich schrieb ihr ein E-Mail: »Liebe Frau Cherkassova,
in der Schweiz gibt es so viele zuverlässige, ernsthafte Männer, dass die Frauen davon träumen, nie
einen solchen Mann zu treffen!« Jedenfalls kann ich die Begeisterung für die offenbar sogar in der
Ukraine vergötterte Zahl 14 325 nicht teilen - ich bin nämlich Vielflieger. Ich brauche eine kleine,
leichte Zahl, die man im Handgepäck mitnehmen kann, zum Beispiel 2001. Mit dieser Zahl bin ich
schon herumgereist, als sie noch vollkommen unbekannt war. Man kann sich das heute gar nicht
mehr vorstellen, aber als
ich vor acht Jahren in New York an einer Lieblingszah- len-Party »2001!« rief, zog mich der
muskulöse Gastgeber an den Ohren hoch und brüllte: »Who the fuck is 2001?«
Ich war meiner Zeit weit voraus. Deshalb kann ich mich in diesen Tagen mit einer Zigarre
zurücklehnen und in aller Ruhe zuschauen, wie die Geschichte mir Recht gibt. Apropos
Zahlengedächtnis: Meins ist filmreif. Niemals werde ich, wie so viele andere, vor einem
Bancomaten zum menschlichen Wrack werden. Bei der Aufforderung »Bitte geben Sie Ihren PIN-
Code ein« wird in meinem Kopf nie eine Leere herrschen, die leise summt! Mein einziger Freund
Patrik sagt immer: »Du bist ein Phänomen! Mit der linken Hand tippst du den PIN-Code deiner
Bancomatkarte ein, mit der rechten gleichzeitig den PIN-Code deines Natels, und am Schluss
multiplizierst du alles mit deiner Autonummer! Wie machst du das bloss?« Mit Pinguinen natürlich,
ist doch logisch und einfach!
Einen PIN-Code wie zum Beispiel 486 998 kann sich kein normaler Mensch merken. Hingegen ist
es ganz leicht, sich eine Eisscholle einzuprägen, auf der 4 fette Kaiserpinguine, auf deren Köpfen
insgesamt 8 Seemöwen sitzen, zueinander sagen: »Seht ihr die 6 Königspinguine da drüben auf den 9
anderen Eisschollen? Aber sind es wirklich 9 andere Eisschollen? Oder doch nur 8?«

Mit dieser Methode kann man sich aber - und nun wird es für ältere Menschen interessant - auch
kleinere Zahlen gut merken. »Als ich gestern im Schuhgeschäft all die vielen verschiedenen Schuhe
sah«, schrieb mir ein 87-jähriger Anhänger meiner Methode, »wusste ich einen Moment lang nicht
mehr, wie viele Füsse ich habe. Aber dann erinnerte ich mich, dass es bei den Pinguinen die
Königs- und die Kaiserpinguine gibt. Also 2 grosse Arten!«

Selektive Taubheit: Wie man endlich glücklich werden kann


Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, nicht mehr gut zu hören. Das Leben wird dadurch sehr
viel überraschender, reich an kleinen Wundern. Zum Beispiel hörte ich kürzlich jemanden in einem
Dokumentarfilm sagen: »Und neuerdings werden Starkstromleitungen sogar zu entlegenen Wählern
gezogen.« Ich hatte sofort die zauberhafte Vorstellung von einem einsamen, eben entlegenen
Wähler, der in der Sahara auf einer Sanddüne steht und mit seinem Stimmzettel winkt. Und
plötzlich tauchen am Horizont die Männer des Elektrizitätswerks auf und rollen eine riesige
Kabelspule über den Sand! Beglückt stieg ich ins Tram und fuhr zu einer Buchver- nissage, an der
ein hübscher Schriftsteller eine Erzählung vorlas, die unerträglich ermüdend war, bis ich den
Schriftsteller lesen hörte: »Aus dem Fenster singen wie Rex Gildo - keine schlechte Idee.« Es war
sogar die beste Idee, die der Schriftsteller bisher gehabt hatte. Und während er nun wieder ins
Ermüdende abtauchte, hatte ich, im Gegensatz zu den gelangweilten anderen Zuhörem, ein schönes
Bild zum Träumen, nämlich Rex Gildo, wie er am offenen Fenster steht und »Fiesta, Fiesta Me-
xicana« in den Sommermorgen hinaussingt. Hinterher an der Bar war ich der einzige Optimist. Ein
von seinem Schnurrbart fast vollständig verdunkelter Altachtund- sechziger versuchte mich in ein
Gespräch zu verwickeln über einen gewissen Locher. Ich sagte, ich müsse diese Konversation leider
abbrechen, mein Spezialgebiet seien Büroklammern.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich möchte aus dem Schlechthören keine Religion machen.
Ich sage nur: Es rettet uns vor Altachtundsechzigern. Darüber hinaus ist es der absolute, ultimative
Kick! Seit ich überzeugter Schlechthörer bin, ist mein Leben eine wattierte, rosarote Erfolgsstory!
Zum Beispiel hörte ich gestern meinen Chef zu mir sagen: »In Ihrem Büro sieht's ja aus wie in
einem Heine-Gral!« Erstaunt schaute ich mich in meinem Büro um. »Ich verstehe zwar nichts von
diesen alten Dichtern«, sagte ich, »aber ich glaube, Sie haben Recht.«
Problem: Als Schlechthörer wird man von seiner Umwelt oft überschätzt. Als ich kürzlich von
Zürich nach Rio de Janeiro flog, streckte mir die brasilianische Stewardess ein plastikverpacktes
Kissen hin. »Möchten Sie jetzt
vielleicht ein bisschen fliegen?«, fragte sie mich. »Nein danke«, sagte ich, »die Piloten machen das
bis jetzt ganz gut.« »Sie möchten also kein Küssen?«, fragte die Ste- wardess enttäuscht.
Als Schlechthörer kriegt man von Frauen dauernd eindeutige Angebote, zum Beispiel »Ich möchte,
dass Sie jetzt sofort stehen!« - es ist einfach fantastisch! »Aber auch das Leben einer
selbsterfahrenen, linken Frau«, schrieb mir heute eine Sozialarbeiterin aus Z., »verbessert sich
durch schlecht Hören spürbar innert 14 Tagen!« Sie höre ihren Abschnittspartner jetzt nur noch
rufen: »Wo zum Teufel sind meine Locken?« Dadurch werde sie in angenehmer Weise an die Zeit
erinnert, als er solche noch gehabt habe.
Schlecht hören ist also bombig, aber auch Brecht lesen macht Spass. Verseuchen Sie das einmal!

Traumfigur: Abnehmen
Normalerweise wird in einer Kolumne versucht, dem Leser die grossen Probleme unserer Zeit
verständlich zu machen. Leider musste ich feststellen, dass vielen Leuten gar nicht die
Globalisierung oder die Entlassungswelle am meisten Sorgen macht, sondern ihr Übergewicht. So
schreibt mir z.B. ein Dr. Albert K. aus Winterthur: »Als Insektenkundler lese ich Ihre Kolumne mit
zunehmender Enttäuschung! Nun aber Spass beiseite: Ich möchte abnehmen. Hätten Sie nicht ein
paar Tips?« Natürlich habe ich die, denn auch mir ist es schon passiert, dass ich morgens nackt im
Badezimmer stand und im Spiegel jemanden sah, den ich nicht gleich erkannte, weil ich mich
anders in Erinnerung gehabt hatte. Herr Dr. Albert K. aus Winterthur, jetzt gibt es nur eins. Sie
müssen dieser unförmigen Gestalt, die bei der geringsten Bewegung in einen Tanz des
Überflüssigen gerät, zurufen: »Ich werde Massnahmen ergreifen, die dich zum Verschwinden brin-
gen!« Und hier nun die Massnahmen: Ziehen Sie sofort aus Winterthur, denn dort gibt es zu viele
Geschäfte, die Nahrungsmittel anbieten. Nehmen Sie nichts mit als
Ihre Möbel, Kleider und einen Spielzeugrevolver. Lassen Sie sich in einem Bauerndorf nieder, in
dem es maximal zwei Wirtshäuser und eine winzige Aldi-Filiale gibt. Gehen Sie schon am ersten
Tag in die winzige Aldi-Filiale. Es wird nur eine einzige Verkäuferin dort sein, die gleichzeitig die
Kassiererin ist. Sagen Sie zu ihr: »Bitte schauen Sie mich an!« Sie wird Sie anschauen. Nehmen Sie
jetzt urplötzlich den Spielzeugrevolver aus der Manteltasche, drücken Sie ihn sich an die Schläfe,
rufen Sie: »Wenn Sie mir jemals etwas anderes verkaufen als Mineralwasser, bringe ich mich um!«
Damit fällt die Aldi- Filiale als Kalorienquelle weg. Warten Sie jetzt, bis es dunkel wird und sich die
einzigen beiden Wirtshäuser, der »Ochse« und der »Hirsch« ordentlich mit Leuten gefüllt haben.
Begeben Sie sich zuerst in den »Ochsen«. Bestellen Sie eine Schweinsbratwurst mit einer doppelten
Portion Rösti. Der Teller wird vor Ihnen stehen. Rühren Sie das Köstliche nicht an! Rufen Sie, so
dass es jeder hört, in die Beiz hinein: »Hoppla Schorsch! Drüben im >Hirschen< sind die
Schweinsbratwürste doppelt so dick und halb so teuer!« Werfen Sie empört die Papierserviette und
eine Zwanzigernote auf den Tisch, und schreien Sie, bevor Sie die Tür hinter sich zuschmettern:
»Nur gut, dass ich einen Redaktor vom >Kassensturz< kenne!«
Wiederholen Sie dasselbe im »Hirschen«. Sie werden danach im ganzen Dorf nichts mehr zu essen
finden, bravo! Wenn Sie mit dem Auto gekommen sind, sollten Sie jetzt die Zündkerzen
herausschrauben und im örtlichen Feuerwehrteich versenken. Binden Sie dann leere Kon-
servenbüchsen an Ihre Füsse, denn in den nächsten Tagen könnten sie versucht sein, sich nachts in
den Hühnerstall Ihres Nachbarn zu schleichen, um eins der nahrhaften Wesen notfalls an Ort und
Stelle roh zu verzehren. Der Lärm der Konservenbüchsen wird das verhindern. Weitere
Massnahmen, Herr Dr. K., sind nicht nötig.

Sport: Was in Tokio geschieht, während wir schlafen


Mich interessiert nicht, was die Frauen über mich denken. Wahrscheinlich ist es irgendetwas
Gemeines, zum Beispiel: »Wow, dieser Mann hat alles, was man sich von einem Sandwich
erwünscht!« Oder sie tuscheln einander zu: »Auf seinem Micro-Scooter sieht er aus wie ein bra-
silianischer Bankier.«
Frauen stehen extrem auf dunkelhäutige Bankiers, und deshalb habe ich mir - auch wenn der
Zusammenhang zunächst nicht einleuchten mag - einen Micro-Scooter gekauft. Für alle, die damit
noch nie einen Unfall hatten: Micro-Scooter sind kleine, silbrige Trottinette, die Erwachsene sich
kaufen, wenn sie »in« sein wollen, und zwar »in« Strassengräben und danach »in« Spitälern. Gleich
am ersten Tag stürzte ich mit diesem Tretroller, der der krankhaften Fantasie eines kichernden
Ingenieurs entsprungen ist, auf die Fresse, wie der Schwabe das nennt. Mit letzter Kraft nahm ich
an einer Stehparty teil, wo die Männer einander mit blutigsten Schilderungen ihrer Micro-Scooter-
Stürze zu übertrumpfen versuchten. Aber der Einzige, der eine Frau dazu überreden konnte, ihm an
der Bar den Verband zu wechseln, war - es wird niemanden verwundern - ein Bankier aus Sao
Paulo. Das erinnerte mich an mein absolutes Versagen auf dem Gebiet des Aktienkaufs.
Jedes Mal, wenn ich Aktien kaufe, kann ich am nächsten Tag beobachten, wie deren Kurs förmlich
verreckt. Ich bin sozusagen ein Martin Ebner aus Anti-Materie, ein inkompetentes Finanzmonster
mit einer unglaublichen Nase für Verluste. Zum Glück habe ich eine schöne, sonore Stimme, mit
der ich notfalls auf der Bahnhofstrasse Liedervortragen könnte, gegen entsprechendes Kleingeld.
Ich würde aber nicht einen leeren McDonald's- Pappbecher hinstellen, wie das die Fixer tun,
sondern einen leeren Aschenbecher, um den Passanten zu zeigen, dass ich das Rauchen aufgegeben
habe. Es laufen ja auf der Strasse sehr viele Leute herum, die auf Zigarettenrauch noch allergischer
reagieren als ein Micro-Scooter auf Kieselsteine. Diese Leute dürfte es vielleicht interessieren, dass
Nichtraucher in China als rechthaberische, lästige Kriminelle gelten, die man oft schon wegen
Falschabbiegens auf der Velospur knallhart erschiesst.
So wie die Schweizer ein Volk sind, das keine Wolkenkratzer baut, sind die Chinesen ein Volk, das
Berge von Zigaretten raucht und dennoch die Zeit findet, nach Schweizer Konstruktionsplänen
Micro-Scooter zu- sammenzuschweissen. Diese werden dann in riesigen Todesschiffen
hauptsächlich nach Tokio verfrachtet, weil es dort extrem viele Banker gibt, die sich in der Mittags-
pause auf trendige Weise umbringen möchten. Sie haben, wie ich, die falschen Aktien gekauft, sie
stehen bei Frauen nicht so hoch im Kurs wie ihre Banker-Kollegen aus Brasilien, sie haben zu
Hause Probleme mit einem defekten Kühlschrank, und dauernd jucken die Mückenstiche - das
Leben ist einfach Scheisse in Japan! Also stellen sie sich auf ihren ungefederten Micro-Scooter und
stürzen über den einzigen Kieselstein, den es in Tokio gibt, in den gnädigen Tod.

Chirurgie: Wie ich die medizinische Kostensäge kennenlernte!


Es begann damit, dass ich dem Fernseher aus Ärger über die schlechte Wetterprognose einen Tritt
versetzte und mir den rechten Fuss brach. Enttäuscht über die mangelnde Qualität des menschlichen
Knochenmaterials, kroch ich über den Teppich, zerrte das Telefon am Kabel zu mir hinunter und
stellte die Notfallnummer ein. »Schicken Sie mir sofort einen gut gefederten Krankenwagen!« rief
ich. »Dürfte ich erfahren, wie alt Sie sind?« fragte die Frau vom Notfalldienst. »Im Augenblick«,
sagte ich, »fühle ich mich wie zweiundneunzig!« Die Dame dankte für die Auskunft, man werde
mir jemanden schicken.
Eine halbe Stunde später klingelte ein Fahrradkurier. Er habe hier, sagte er, zwei Krücken
abzugeben im Auftrag des Notfalldienstes. An den Krücken klebte ein Trambillett und ein Brief, in
dem stand: »Patienten mit Jahrgang 1920 und älter werden aufgrund der Rationierung im
Gesundheitswesen gebeten, für den Transport ins Spital die öffentlichen Verkehrsmittel zu
benutzen.« Zum
Glück war der Fahrradkurier so nett, mich an meinem unverletzten Fuss zurück zum Telefon zu
schleifen. »Das ist ein Missverständnis«, sagte ich zur Dame vom Spital, »ich bin erst
einundvierzig!« »In diesem Fall«, säuselte sie, »haben Sie natürlich Anspruch auf einen Wagen mit
Personal.« Tatsächlich erschienen nach einer Weile zwei Männer, die wie echte Krankenpfleger
aussahen. »Ich bin so froh«, flüsterte ich mit letzter Kraft, »endlich Fachleute zu sehen. Wo ist denn
die Bahre?« »Wir sind Möbelpacker«, sagte der eine und wickelte mich in meinen Perserteppich.
Der andere drückte mir einen Kleber mit der Aufschrift »Zerbrechliche Ware« auf die Stirn. Dann
trugen sie mich hinunter und warfen mich mit Schwung auf die Ladefläche eines Lastwagens, in
dem ich interessante Mitpatienten kennenlernte. »Gestatten«, sagte ein Mittvierziger, dessen
bleicher Kopf aus einem Wäschesack hervorschaute, »Herbert Blaser, offenes Magengeschwür. Und
Sie?« »Knochenbruch«, konnte ich gerade noch sagen, bevor der Laster mit einem scharfen Ruck
losfuhr und prompt eine hochschwangere Frau aus einem Kleiderschrank heraus direkt auf meinen
halbtoten Fuss stürzte!
Im Spital rollte mich dann ein Assistenzarzt aus meinem Teppich. »Herr Doktor«, keuchte ich,
»Morphium.«
»Sehe ich aus wie Bill Gates?« fragte der Arzt und band sich ein Taschentuch vor den Mund.
Während er aus einem Werkzeugkasten eine Art Säge hervornahm, klagte er über die gestiegenen
Morphiumpreise, lobte aber die Vorteile von Amputationen. »In Ihrem Fall«, sagte er und
beträufelte ein Küchentuch mit Chloroform, »ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis einer
Gliederabtragung besonders günstig.« Ich sei, sagte er, noch relativ jung, und was man in der
Jugend amputiere, das verursache später im Alter keine Kosten mehr. Eindringlich schilderte er mir
die Osteoporose. »Sie würden sich diesen Fuss als Betagter sicher noch zweimal brechen« sagte er,
»und damit die Kostenexplosion im Gesundheitswesen anheizen! Lassen Sie uns jetzt gleich mit
dem Sparen beginnen!« Entschlossen drückte er mir das chloroformierte Küchentuch auf die Nase.
Dann liess er die Säge aufblitzen.

Alkohol: The power of positive drinking


Alkohol ist für viele Menschen ein Problem, das ich im Griff habe. An gewissen Tagen trinke ich
nämlich keinen Tropfen, und zwar am Tag der amerikanischen Präsidentschaftswahl und - das habe
ich mir fest vorgenommen - am Tag des Jüngsten Gerichts. Manche werden jetzt jammern: »Was
gäbe ich für Ihre Selbstdisziplin! Ich saufe immer exakt doppelt so viel, wie ich mir vorgenommen
habe, nicht zu saufen.« Da kann ich nur sagen: »Achtung! Ihr Alkoholproblem könnte ein
Sprachproblem sein!« In meiner Stammbar zum Beispiel redet keiner von »saufen«, wir nennen es
»geniessen«. »0 Mann, ich geniesse jetzt schon in der Badewanne!« oder »Shit, wenn ich nicht
aufpasse, werde ich zum totalen Geniesser!«. So klingt das bei uns, und dann sagt jemand: »Na und,
geniessen ist doch was Positives!«, und darauf stos- sen wir dann an.
«Aber mir zittern morgens die Hände«, rufen jetzt die Problemfälle, »und kürzlich hatte ich eine
Bierflasche im Urin!« Mein Rat: cool bleiben. Zitternde Hände sind ein Zeichen für Kreativität,
man beachte einmal Geigen-Virtuosen beim Vibrato. Biertrinker) hingegen ist ein echtes Problem.
In meiner Stammbar wird es nicht mehr praktiziert, seit ein paar unserer fähigsten Geniesser bei den
bierbedingt häufigen Toilettengängen schrecklich verunfallt sind. Einem blieb sogar mal sein
Pimmel in der Ausgaberinne des Zigarettenautomaten stecken. Andererseits ist das gerade das
Geniale am Alkohol: Er zeigt uns, dass sich ein Zigarettenautomat von einem Pissoir gar nicht so
toll unterscheidet, wie immer alle behaupten. Ausserdem macht Alkohol uns weniger langweilig.
Beispiel: Wenn ich nüchtern gewesen wäre, hätte ich gestern in meiner Stammbar gemurmelt: »Uh,
bin ich müde. Das ist das äh ... Wetter.« Stattdessen habe ich aber gerufen: »In Los Angeles, ich
schwör's euch, gibt's ein Geschäft, wo man Exkremente von Ausserirdischen kaufen kann! Und das
heisst ja wohl, dass die hier überall hinscheissen!« »Ausserirdische«, höre ich nun heisere Stimmen
krächzen, »sehe ich jeden Morgen! Ich möchte das Geniessen aufgeben!« Okay, kein Problem. Ich
persönlich gebe das Geniessen dauernd auf. Denn ich weiss: Ich kann auch ohne Alkohol brutal
sein. Überhaupt sollte man immer im richtigen Moment mit etwas aufhören, zum Beispiel mit dem
Verzehr gesalzener Erdnüsschen. Der richtige
Moment, um mit Salznüsschen aufzuhören, ist gekommen, wenn die Schale leer ist. Dasselbe gilt
für Whiskey, nur reden wir hier von Flaschen. »Aber meine Leber ist nur noch so gross wie eine
gedörrte Zwetschge!«, mailte mir Herr H. aus M. »Dass Ihre Leber schrumpft«, mailte ich zurück,
»ist ganz normal. Sie tut es, um erfolgreicheren Organen Platz zu machen, insbesondere dem ty-
pisch vergrösserten Herzen des chronischen Geniessers.» Hauptsache, kein Hirnschwund, sage ich
mir immer. Geniesser mit Hirnschwund beginnen über Saddam Hussein zu reden, der sie mittels
Fernsteuerung in den nächsten Bahnhofsshop dirigiert, zum Regal mit Kochwein. So was wird mir
nie ... wie sagt man ...? Prost! Prost!, wollte ich sagen.
Frauen: Wer sind sie, und wo kommen sie her?
Es gibt viele Verschwörungstheorien, aber die plausibelste wurde mir kürzlich von einem frisch
Geschiedenen erzählt, der sich in der Nähe einer Anwaltskanzlei neben mich auf die Parkbank
setzte. »Guten Tag«, sagte er, »haben Sie Kontakt zu Frauen?« Während ich noch überlegte, fuhr er
fort: »Kontakt ist nicht gefährlich, aber man sollte wissen, wo die Frauen herkommen.« »Meine
kommen immer aus Schwamendingen«, sagte ich, worauf der Geschiedene rief: »Ursprünglich
nicht!« Ursprünglich, vor genau dreihunderttausend Jahren, habe auf dem Planet Sargon im Sirius-
System eine eingeschlechtliche Rasse gelebt: die Frauen. »Aber wegen schlechtem Management«,
sagte der Geschiedene, »mus- sten die Frauen ihren Planeten verlassen, in handbemalten
Raumschiffen.« Diese seien aufgrund eines Navigationsfehlers frontal in die Erde gedonnert,
genauer in Sibirien, wo es heute noch geheimnisvolle Krater gebe. »Nur vier Frauen überlebten«,
flüsterte der Geschiedene, »gestrandet auf einem fremden Planeten. Auf der Suche nach
Medikamenten stiessen sie auf primitive Eingeborene, Mammutjäger: die Männer.« »Moment«,
sagte ich, »und wie haben sich diese U rmänner fortgepflanzt, wenn es noch gar keine ...« »Durch
Selbstbefruchtung, wie die sargonesischen Frauen«, sagte der Geschiedene, »aber das war auch
schon die einzige Gemeinsamkeit zwischen den beiden Rassen.« Die hochtechnisierten Frauen
hätten auf der Erde schon bald keinen Schritt mehr tun können, ohne von den gastfreundlichen, aber
relativ blöden Eingeborenen angeglotzt zu werden. »Die standen da mit offenem Mund«, rief der
Geschiedene, »und kratzten sich bei allem, was die Frauen taten, versonnen unter ihrem
Bärenpelz!« Die damaligen Männer seien einfach zu lange allein gewesen auf ihrem Planeten,
hätten immer nur fette Eber mit schmutzigen Hauern, wütende, hässliche Höhlenbären zu Gesicht
bekommen - und jetzt plötzlich diese grazilen, wohlriechenden Göttinnen aus dem Weltall! »Die
ganze Nacht lang schlugen die Männer die Hirschfelltrommel«, sagte der Geschiedene, »sangen Be-
schwörungslieder, duschten kalt im Wasserfall, es nützte nichts!«
Eines Tages habe der Tapferste der Horde es nicht mehr ausgehalten und seine behaarte Pfote ins
Decollete des kälteundurchlässigen Raumanzugs der schönsten der vier Frauen gesteckt. »Das war
die Geburtsstunde von Atlantis«, raunte der Geschiedene. Nämlich hätten die vier überlebenden
sargonesischen Frauen, um sich vor weiteren Grabschereien zu schützen, aus den Trümmern ihrer
handbemalten Raumschiffe eine Festung, ein prähistorisches Frauenhaus namens Atlantis gebaut,
welches im Jahr 4065 vor Christus in den Fluten untergegangen sei. Danach hätten die Paarungen
zwischen Männern und Frauen begonnen, leider Gottes. »Jedenfalls geht aus allem, was wir heute
über die Sache wissen«, sagte der Geschiedene, »eindeutig hervor, dass Frauen eine ausserirdische
Lebensform sind, die sich an die irdische Sauerstoff-Stickstoff-Atmosphäre perfekt angepasst hat.«
Er habe das seiner Ex-Frau, deren Anwalt sowie dem Scheidungsrichter zu erklären versucht - in
allen drei Fällen ohne jeden Erfolg.

KINDER – WIE ICH SIMONS DROGENPROBLEM LÖSTE

Georg hatte massive Sorgen. Ich traf ihn beim Vorverkauf für das Bob-Dylan-Konzert, und er sagte:
»Es ist wegen Simon.« Das ist sein Sohn, den Georg streng biodynamisch erzogen hat.
»Schulprobleme?« fragte ich. »Im Gegenteil! Er ist sogar«, knurrte Georg, »eher ein Streber. Aber
damit hat Angelika mehr Mühe als ich.« Angelika ist Georgs Frau und kämpft seit 1968 gegen das
Leistungsdenken. »Nein«, sagte Georg, »was mir Sorgen macht ist, dass der Bub bald siebzehn wird
und noch kein einziges Mal gekifft hat! Das ist doch nicht normal!« »He komm«, sagte ich, »Georg,
das wird schon noch! Lass ihm einfach ein bisschen Zeit! Vielleicht weiss er ganz einfach nicht, wie
man einen Joint baut.« »Das habe ich ihm doch schon hundertmal gezeigt«, rief Georg, »und
jedesmal sagt er <Super, kann ich jetzt gehen?) Der Junge ist so was von verstockt!« »Und Angeli-
ka«, fragte ich, »unterstützt sie dich?« »Sie hat sogar schon diesen Brechbühl angerufen«, sagte
Georg, »den Mathematiklehrer von Simon. Der Kerl ist in der CDU!« Angelika habe ihn frei heraus
gefragt, »Herr Brechbühl, impfen Sie Ihren Schülern Vorurteile gegen Haschisch ein?« »Er hat es
natürlich abgestritten«, sagte Georg, »und als Angelika ihn fragte <So, und warum kifft unser
Simon dann nicht?hat er uns zu einem Elterngespräch eingeladen! Als ob wir schuld seien an
Simons Horror vor Drogen!«
Georg tat mir wirklich leid. Sein ganzes Leben lang hat er hart gepafft. Vom frühen Morgen bis spät
in die Nacht hinein ist er ununterbrochen stoned gewesen, jahrein, jahraus und bei jedem Wetter.
Das war nicht immer einfach, aber er wusste, wofür er es tat: um eines Tages den Joint an seinen
einzigen Sohn weiterzureichen. »Hilf mir«, sagte er leise, »rede du einmal mit Simon. Auf seinen
Vater hört er nicht, aber dir als Aussenstehendem glaubt er vielleicht.« Nur ein herzloser Lump hätte
nein gesagt.
Schon am nächsten Tag sass ich in Simons Zimmer. »Tolle Poster hast du«, sagte ich, »Oasis,
Smashing Pump- kins, Supergruppen.« »Mmh«, sagte Simon. »Ich hätte jetzt total Lust«, sagte ich,
»deine Poster einmal so richtig in Farbe zu sehen. Und du?« »Die sind schon farbig«, sagte Simon.
»Aber sie könnten noch viel farbiger sein«, säuselte ich und holte das Rizla-Bigsize-Zigarettenpa-
pier hervor. »Kiffen bitte nur im Elternschlafzimmer«, sagte Simon trocken. Dieser Bengel war
wirklich ein Problemhaufen! »Hör zu«, sagte ich eine Spur schärfer, »wenn du deinen Vater nicht
ins Grab bringen willst, rauchst du jetzt mit mir diesen erstklassigen Blütenstaub-Shit aus Marokko!
Kapiert?« Simon stöhnte. »Mann«, sagte er, »kiffen ist megaspiessig!« Unverschämter Lümmel!
»Kiffen ist revolutionär«, rief ich, »schon seit dreissig Jahren! Und jetzt geh in die Küche und hol
uns vier Liter Mineralwasser!« Während er meinen Befehl ausführte, drehte ich kraft der Erfahrung
meines Alters einen extrem geraden, optimal gestopften sogenannt Dreiblättrigen. Simon nahm
auch tatsächlich einen Zug, in Anwesenheit seines Vaters. »Jetzt bist du ein richtiger Mann«,
flüsterte Georg mit Tränen in den Augen.

Eltern: Wir sind sonst überhaupt nicht so!


Wenn man Kinder hat, sind sie zuerst klein und müssen mit Karotten-Chicken-Brei der Firma
Milupa gefüttert werden. Aber mit der Zeit benötigen sie immer grössere Pampers, und man merkt:
Das Kraut ist in die Höhe geschossen! Bald wird es den Mund aufmachen und ein Wort sagen, zum
Beispiel »heiss«. Die meisten Kinder sagen zuerst »heiss« und kurz darauf: »Ich will das Po-
cahontas-Video!« »Es hat Video gesagt, es ist fremdsprachenbegabt!«, rufen die Eltern und
schicken ihr Geschöpf sofort in die Schule. Warum auch nicht? Kurt Felix hat in der Schule sogar
den Unterschied zwischen I und J begriffen. Es kann also nichts schaden, vorausgesetzt, der Lehrer
liest keine Bücher von Franz Hohler. Aber das ist jetzt vielleicht erklärungsbedürftig. Also: Kürzlich
wurden die Eltern der Erstklässler zum ersten Elternabend einberufen, und weil meine Frau gerade
in Paris oder New York bei irgendeinem Scheidungsanwalt war, ging ich allein hin. Ein Dutzend
Eltern war da, alle hoch qualifiziert, Redaktoren linksliberaler Tageszeitungen, SPD-Gemeinderäte,
Grafiker, Hydranten und so weiter. Lehrer Bertschinger begrüsste uns mit silbenreichen Worten -
wir aber hatten nur Augen für seine Sandalen der Marke Birkenstock. »0 je, das ist sicher ein
Vegetarier«, flüsterte jemand. »Und nun würde ich Ihnen gerne«, sagte Lehrer Bertschinger, »ein
bisschen etwas über <sanftes Lernen> erzählen.« »Entschuldigung«, rief der SPD-Gemeinderat,
»Sie sind aber nicht ein Anhänger antiautoritärer Methoden? Das wäre nämlich für meinen Moritz
gar nicht gut.« Allerdings, denn dieser Moritz ist bekannt dafür, dass er an Kindergeburtstagen die
Vorhänge seiner Gastgeber anzündet und Ovomaltine »Negermilch« nennt. Lehrer Bertschinger
sagte, er meine mit »sanft« behut- und einfühlsam, »spielerisch. Zum Beispiel gibt es schöne
Geschichten von Franz Hohler, die ich den Kindern dann jeweils vor...« »Moment mal«, rief der
Redaktor einer linksliberalen Tageszeitung, »Herr Bertschinger, ich schicke mein Kind in die
Schule, damit es erzogen wird! Disziplin, Ordnung, endlich mal eins hinter die Löffel!
Humanitätsduslige Hohler-Ge- schichtchen haben wir daheim schon genug!« »Genau!«, riefen die
liberalen, toleranten, sensiblen Bio-Eltern, deren Kinder stets auffallend frech, unhöflich, altklug,
unausstehlich sind. (Seltsamerweise kann man an der Anzahl der Franz-Hohler-Bücher im Regal
des Elternhauses ablesen, wie hoch der Rotznasigkeits-Quotient der Gören ist.) »Also gut«, sagte
Lehrer Bertschinger, der allmählich begriff, mit wem er es zu tun hatte, »kein Hohler. Dann
interessiert es Sie sicher auch, dass wir nur ein einziges fremdsprachiges Kind in der Klasse haben.«
Einen Augenblick lang herrschte Stille. Dann sagte der SPD-Gemeinderat: »Uff!« »Und dieses
Kind«, fragte eine besorgte Sozialarbeiterin, »ist es ein Jugo...äh... slawe?« »Und ist eins nicht ein
bisschen viel?«, fragte ich. Ich bin sonst überhaupt nicht so, aber wenn man Kinder hat, wird man
zur Bestie.

Wohnungswechsel: Umziehen
Zum Thema Umziehen hier eine faszinierende Fallstudie: Herr Heggenschwiler hat endlich eine
grössere Wohnung gefunden und ruft die Firma Keller, Umzüge aller Art, an. »Um etwas möchte
ich noch bitten«, sagt Heggenschwiler, nachdem er mit Frau Bosch Termin und Preis vereinbart hat,
ich hätte lieber Schweizer Umzugsmänner.« »So?« fragt Frau Bosch und schweigt dann.
Heggenschwiler fühlt sich zu einer Präzisierung genötigt: Er habe, damit das klar sei, überhaupt
nichts gegen Ausländer, aber voriges Mal hätten sie ihm Jugoslawen geschickt, und am Schluss
seien drei Kristallgläser kaputt gewesen, obwohl er auf die Kiste deutlich »Achtung zerbrechlich!«
geschrieben habe. »Oje«, sagt Frau Bosch. »Eigentlich halb so schlimm«, sagt Heggenschwiler und
ist zu einem Kompromiss bereit: »Wenn Sie keine Schweizer haben, dann bitte wenigstens
Ausländer, die lesen können, was man auf eine Kiste schreibt.« »Da muss ich mal nachschauen«,
sagt Frau Bosch - nein am 24. könne sie wirklich nur Herrn Kladic und Herrn Bosjanovic aufbieten.
»Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagt Frau Bosch, »ich schicke Ihnen gratis noch einen
Portugiesen vorbei.« »Aha«, sagt Heggenschwiler und erinnert sich daran, wie er in Lissabon
plötzlich ohne Koffer dastand, und die Polizei überhaupt nichts unternommen hat. Deshalb ist er mit
der von Frau Bosch vorgeschlagenen Ausländerkombination gar nicht glücklich: »Denken Sie bitte
nichts Falsches über mich«, sagt er, »aber ein Italiener wäre mir jetzt doch lieber.« »Anstelle der
Jugoslawen?« fragt Frau Bosch. »Nein, anstelle des Portugiesen«, sagt Heggenschwiler, »oder
hätten Sie denn drei Italiener?« Frau Bosch lacht. »Das war einmal, Herr Heggenschwiler. Ein
Italiener hat heutzutage ein eigenes Transportunternehmen!« »Ja so«, sagt Heggenschwiler, der es
jetzt bereut, dass er nicht bei einem italienischen Umzugsunternehmen angerufen hat, wo er
bestimmt drei Italiener, vielleicht sogar aus dem Norden, bekommen hätte. »Aber noch ist nicht
aller Tage Abend«, sagt Frau Bosch, wenn Sie einen Tag später umziehen könnten, hätte ich für Sie
ein Superan- gebot!« Am 25. seien nämlich zwei Tamilen noch nicht gebucht. »Und wo ist der
Haken?« fragt Heggenschwiler scherzhaft, um das Gespräch ein wenig aufzulockern und Frau
Bosch darauf vorzubereiten, dass Tamilen für ihn nur in Frage kommen, wenn sie aus der
Hauptstadt Co-lombo stammen. Sein Bruder war dort nämlich einmal auf Geschäftsreise und
wusste nur Gutes zu berichten. »Also Haken würde ich nicht sagen«, sagt Frau Bosch, »aber die
beiden Tamilen kann ich Ihnen am 25. leider nur zusammen mit einem jugoslawischen Fahrer
geben.« »Warum auch nicht«, sagt Heggenschwiler, der jetzt seine ganze Hoffnung in die Tamilen
setzt. »Wissen Sie zufällig, ob die aus Colombo stammen?« »Moment«, sagt Frau Bosch, und dann
gleich: »Oje«, denn einer ist in Jaffna und der andere in Trincomalee geboren. »Geht das für Sie?«
fragt Frau Bosch. »Es muss«, sagt Heggenschwiler und versteht plötzlich nicht mehr, warum er ums
Verrecken eine grössere Wohnung haben musste.
NACHBARN – DAS RISIKO EINER SILVESTERFEIER

Als politisch und menschlich unbequemer Kolumnist hat man nur einen einzigen Freund: seinen
Anwalt. Wenn dieser über Neujahr nach Thailand verreist, hockt man am Silvesterabend natürlich
mutterseelenallein vor der Tischbombe. Mir persönlich wäre das egal, aber unsere Gesellschaft ist
einsamen Menschen gegenüber nicht so tolerant wie ich, schon gar nicht an Silvester. Wer sich um
Mitternacht, wenn die Glocken läuten, im Badezimmerspiegel mit einem Glas Champagner selbst
zuprostet, wird als »Sonderling« oder »beziehungsunfähiger Computerspezialist« diskriminiert!
Damit muss Schluss sein!, sagte ich mir voriges Jahr und entwickelte eine Strategie zur Täuschung
der Nachbarn. Zwei Tage vor dem verhassten Jahreswechsel setzte ich mich in ein überfülltes
Szene-Lokal. »Was willst du denn mit dem Tonband?« fragte mich der Kellner. »Ich brauche
Stimmengewirr, Gelächter und Hintergrundmusik für meine Silvesterparty«, sagte ich
wahrheitsgemäss. Nun fehlten mir aber noch Treppenhausgeräusche, denn irgendwie mussten die
Leute ja in meine Wohnung kommen. Es war eine harte Nuss! »Herrgott«, dachte ich, »schon der
30. Dezember, und du hast immer noch kein Getrampel von Gästen!« In der Not schaltete ich eine
Fernsehsendung über Huftiere in der Serengeti ein und
nahm das Geräusch einer fliehenden Zebraherde auf. Dann besorgte ich mir eine Familienpackung
Konfetti, vierundzwanzig Flaschen Sekt und sechs kleine Hochlei- stungs-Lautsprecher, die ich in
der Nacht vor Silvester im Treppenhaus versteckte. Geradezu diabolisch-genial war aber mein
Einfall mit dem Flugblatt. Ich schrieb: »Liebe Nachbarn, heute ist Silvester, und da feiert man
bekanntlich mit seinen vielen Freunden, manchmal halt auch bis in die frühen Morgenstunden. Bitte
haben Sie Verständnis dafür, dass meine Party vielleicht etwas laut werden wird!« Am 31.
Dezember bei Tagesanbruch steckte ich in jeden Briefkasten eine Kopie. Dann stellte ich den
Wecker auf 21 Uhr.
Nach unruhigem Schlaf startete ich die zweite und entscheidende Phase: die Party! Ich legte die
Kassette mit der Zebraherde ein und spielte über die Treppenhausboxen zunächst nur eine kurze
Trampelsequenz ab. Es klang, als rasten drei oder vier Gäste in Stepptanzschuhen in den dritten
Stock hoch. Parallel dazu liess ich erste Partygeräusche los, deren Lautstärke ich bis 23 Uhr 15
kontinuierlich steigerte. Um halb zwölf drehte ich voll auf! Die Stimmung erreichte ihren
Höhepunkt, aber wie bei jeder Party hatte auch hier der Gastgeber am wenigsten davon. Einerseits
musste ich wie zwanzig tanzende
Personen in der Wohnung herumstampfen, andererseits - und da begann der Stress erst wirklich -
punkt Mitternacht meine zwei Dutzend Sektflaschen knallen lassen und erst noch die
Familienpackung Konfetti zum Fenster hinaus streuen.
Aber insgesamt war die Party ein voller Erfolg, denn gegen drei Uhr klingelten zwei leibhaftige
Polizisten. Sie baten mich, darauf zu achten, dass meine Gäste beim Verlassen des Festes nicht »wie
eine Herde Wasserbüffel« das Treppenhaus hinuntertrampeln - ein Nachbar habe sich beschwert.

Handwerker: Hotlines sind ziemlich kafkaesk!


Alles begann damit, dass mein neuer Kühlschrank der Firma Fritschi AG schon am ersten Abend
seltsame Geräusche machte, nämlich »Uuuck!« und »Tschtsch!» Also rief ich am nächsten Tag die
kostenlose Fritschi- Hotline an. »Wir freuen uns«, sagte ein Tonband mit süs- slicher Frauenstimme,
»dass Sie die Fritschi-Service- Line gewählt haben. Wenn Sie mit unseren Produkten rundum
zufrieden sind, drücken Sie bitte jetzt die 1. Haben Sie Kummer, drücken Sie die 2.« Das tat ich.
»Willkommen bei unserem Sorgen-Telefon«, sagte eine andere Frauenstimme eine Spur zu
mitfühlend. »Haben Sie Schwierigkeiten, eines unserer kinderleicht zu bedienenden Produkte ein-
oder auszuschalten? Dann drücken Sie bitte jetzt die 3. Mit der 5 können Sie unseren aktuellen
Katalog anfordern. Drücken Sie den Stern, um die Ouvertüre zum <Barbier von SeviIla> zu hören.«
0 mein Gott, die Coiffeur-Ouvertüre, mein absolutes Lieblingsstück! Ich konnte einfach nicht
widerstehen und drückte den Stern. Die Geigen summten so bezirzend! Gerade deshalb kam mir
wieder das disharmonische
»Uuuck!« meines Kühlschranks in den Sinn. Ich drückte die 3. Die Musik brach ab, die
Telefonleitung rauschte geheimnisvoll. Es war, das spürte ich, das Rauschen der modernen Hotline-
Kommunikation, des Zwiegesprächs zwischen computergesteuerten Telefonanlagen und hu-
manoiden Kunden. Diese möchten sich eigentlich bei einem Artgenossen über defekte
Kühlschränke beschweren. Aber wenn sie wie ich nach einer schönen Ouvertüre die Taste 3
drücken, enden sie wieder bei der altbekannten Tonbandstimme. »Wir freuen uns«, sagte sie unver-
ändert süsslich, »dass Sie die Fritschi-Service-Line gewählt haben.« Ich drückte also wieder die 2,
dann die 3, hörte ein paar Takte »Waterloo« von Abba und dann endlich, zum ersten Mal die
kompetente Stimme eines Mannes! »Hallo beim technischen Support!« rief er. »Bitte sagen Sie
nach dem Signalton langsam und deutlich <Kühlschranlo, wenn Sie Hilfe im Umgang mit unseren
Kühlschränken brauchen, <Toaster>, wenn Ihr Problem unsere Toaster betrifft, oder
<Waschmaschinen>.»Zum ersten Mal in meinem Leben sagte ich langsam und deutlich:
»Kühlschrank«. Und die Kommunikation klappte! Das Tonband verstand mich und meine
Bedürfnisse! Es sagte: »Hallo zum technischen Support für Kühlschränke. Drücken Sie bitte 8,
wenn Ihr Kühlschrank auf dem Kopf
steht. Drücken Sie 9, wenn er rhythmische Störgeräusche verursacht, die wie <Muffuff> oder
>Ckriickr< klingen. Drücken Sie den Stern, um die Ouvertüre zum >Barbier von Sevilla« zu
hören.«
Verdammt! Ich war so nahe dran gewesen, und jetzt das! »Und was ist mit Kühlschränken«, schrie
ich empört ins Telefon, »die nicht <Muffuff> oder >Ckriickr< machen, sondern >Uuuck!< und
>Tschtsch!< wie meiner?« »Unsere Support-Mitarbeiter«, säuselte eine Stimme, »beraten leider
gerade weitere Kunden. Drücken Sie bitte die 1, um sich zu beruhigen.
Wenn Sie verstehen möchten, warum automatische Telefonanlagen die Welt beherrschen, drücken
Sie jetzt die 6. Drücken Sie die 2, um später die 4, die 9 und sogar die 124 drücken zu können.«

Einbruch: Wer ha! da ssi Ihrem Christbaum gehustet?


Jetzt habe ich aber genug! Ich fordere hiermit alle in der Einbruchsbranche tätigen Personen dazu
auf, endlich bei mir an der Klingenstrasse 27 im zweiten Stock links aktiv zu werden! Tagsüber ist
niemand zu Hause, der Schlüssel liegt im Mi Ich kästen. Also reisst euch zusammen, ihr
Entwendungsspezialisten, und steigt bei mir ein!
Ich möchte nämlich endlich wieder dazugehören! Fast alle meine Freunde haben kürzlich die
Herren von der Spurensicherung in der Wohnung gehabt. Im ganzen Land werden Türen
aufgehebelt, Balkone erklettert und Kellerfenster eingedrückt. Aber mich übergeht man! Meine
Wohnungstür kennt das Brecheisen nicht einmal vom Hörensagen. Die Nachbarn tuscheln schon,
dass bei mir offenbar nichts zu holen sei! »Die sind eben wählerisch«, prahlte gestern Herr Keller
von nebenan, »die beobachten die Hausbewohner, bewerten deren Kleidung und Automarke.«
Keller, der ungerechtfertigterweise schon zwei Einbrüche erleben durfte, wollte mir klarma
chen, dass ich einfach nicht lukrativ genug aussehe. Aber soll ich etwa meine Goldvreneli an die
Wohnungstür nageln, damit die Kerle endlich auf mich aufmerksam werden? Und warum gibt es
eigentlich Beratungsstellen für Einbruchsopfer, aber keine für Leute wie mich, die an Parties nicht
mehr mitreden können? Mit meiner einzigen Freundin, der Bierflasche, stehe ich abseits in der Ecke
und muss mir abenteuerliche Geschichten anhören, zum Beispiel: »Der Spannteppich war voller
Erde; die haben die Schuhe nicht ausgezogen!« oder »Unsere Einbrecher haben sogar einen
Erdbeerjoghurt aus dem Kühlschrank gefressen!« »Und wie war es bei dir?« fragen mich die Leute.
»Super«, lüge ich dann, »einfach toll.«
Wenn es so weitergeht, werde ich nächstens in eine Talkshow eingeladen zum Thema »Niemand
bricht bei mir ein - ist das normal?«
Ich entwickle beunruhigende Symptome. Zum Beispiel packte mich beim Lesen der Schlagzeile
»500 Einbrüche in 24 Stunden!« die kalte Wut auf eine Welt, in der immer nur die anderen Glück
haben. »Ich verlange eine Gegendarstellung!« rief ich ins Telefon. Am schlimmsten ist aber meine
Allergie auf Polizisten. Als ich vorgestern in der Nähe meiner Wohnung einen
Streifenwagen vorbeifahren sah, bewarf ich ihn mit Steinen. »Verschwindet, ihr Hornochsen«, hörte
ich mich schreien, »ihr vertreibt mir die Einbrecher!« Nach der Verhaftung wurde ich auf dem
Posten von einem Oberwachtmeister Bleuler verhört. »Wo waren Sie gestern zwischen zehn und
halb elf Uhr abends?« fragte er mich. Ich hielt es für besser, ihm nicht zu sagen, dass ich um diese
Zeit einen Wirt im Rotlichtmilieu gefragt hatte, ob er Leute kenne, die eventuell Lust hätten, mor-
gen bei mir einzubrechen. »Ich war zu Hause«, antwortete ich, worauf Bleuler »so, so!« rief. Er
finde es ein bisschen komisch, sagte er, dass überall in der Nachbarschaft eingebrochen worden sei,
»nur bei Ihnen nicht!« »Ich finde das nicht nur komisch«, sagte ich, »sondern auch tragisch.«
Immerhin werde ich im Augenblick ein wenig getröstet durch die Lektüre des Buches »Der von
Einbrüchen verschonte Mensch in der antiken Literatur«.

POST – HÜTET EUCH VOR SOZIALEM SCHNICKSCHNACK

Früher haben die Leute viel mehr Kontakt miteinander gehabt. Das muss grauenvoll gewesen sein!
Mein Grossvater erzählte mir kürzlich, er habe, wie das damals üblich gewesen sei, seinem
Briefträger zum Geburtstag immer einen Rössli-Stumpen geschenkt. »Vielleicht war er aber
Nichtraucher«, gab ich zu bedenken, »und wusste gar nicht, wohin mit den vielen Stumpen.« »Nein,
es hat ihn gefreut«, sagte mein Grossvater, »sonst wäre er sicher nicht mit 39 Jahren an
Lungenkrebs gestorben.« 0 mein Gott, dachte ich, dieser Briefträger musste jung sterben, weil er in
einer Zeit lebte, in der die Menschen noch miteinander redeten! Mit zwanzig hatte er sich für den
Briefträgerjob entschieden, weil er gern an der frischen Luft war.
Aber die Realität sah anders aus: Dauernd wurde er in verrauchte Stuben zum Kaffee eingeladen
von Leuten, die gefährlich viel Zeit für ein Schwätzchen hatten. Schon um zehn Uhr vormittags war
er ein koffeinverseuchtes Nervenbündel! Seine Hände zitterten so stark, dass ihm die Briefe
davonflogen! Leise öffnete er das nächste Gartentor, auf Zehenspitzen schlich er zum Briefkasten.
Aber während er noch betete: »Allmächtiger, beschütze deinen Postier und mach, dass Frau Blaser
mich nicht hört!«, riss dieselbe die Haustür auf und
rief: »Sie sind ja ganz bleich! Ein Tässchen Kaffee wird Ihnen guttun!« Die Geburtstage ruinierten
seine Gesundheit dann vollends.
»Herzlichen Glückwunsch!« riefen die geselligen Nachbarn und steckten ihrem Briefträger
bombastische Stumpen in die Jackentasche. »Und jetzt noch ein Schnäpschen!« riefen sie, so dass
der arme Kerl, der Nichtraucher war und vom Alkohol Ausschläge kriegte, rauchte und soff, bis der
Pfarrer eine Handvoll Erde auf ihn hinunterwarf.
»Das ist das wahre Gesicht deiner guten alten Zeit mit all ihrem zwischenmenschlichen
Schnickschnack«, sagte ich zu meinem Grossvater. Wieviel besser hat es da der heutige Briefträger!
Keiner im Quartier kennt ihn, folglich schenkt ihm auch niemand schädliche Genussmittel. Wenn er
nicht versehentlich von einem Hausbesitzer, der ihn für einen Einbrecher hält, erschossen wird,
kann er ein hohes Alter erreichen.
»Früher«, sagte mein Grossvater altersstur, »hat man am Schicksal anderer noch Anteil
genommen.« »Weil es nur einen einzigen Fernsehsender gab«, rief ich, »und noch überhaupt keine
Talkshows!« »Und wenn man ins Tram einstieg«, murmelte mein Grossvater, »hat man >Grüezi
mitenand< gesagt.« »Das ist heute medizinisch
erklärbar«, sagte ich, »man nennt es Palilalie, pathologische Schwatzsucht.«
Mir kam wieder der frühverstorbene Briefträger in den Sinn. Wenn die Leute damals Palilalie-
hemmende Medi kamente geschluckt hätten, könnte der Mann heute noch leben! Denn dann hätte
er, ohne dauernd von Mitmenschen angequatscht und mit Stumpen vergiftet zu werden, in aller
Anonymität und Ruhe seine Post austragen können.
PS: Heute begegnete ich unserem Briefträger. Er sagte: »Tag!« »Sind Sie verrückt?« zischte ich ihm
zu. »Wissen Sie nicht, wie gefährlich es für Briefträger sein kann, wenn die Bevölkerung Kontakt
mit ihnen hat?!«

Abenteuerurlaub: Warfaring ist nichts für Riverrafter!


Ich musste mir etwas einfallen lassen. Als ich voriges Jahr aus den Ferien zurückkam, konnte ich
nämlich nur Riverrafting in Usbekistan vorweisen. »Nicht schlecht«, sagte ein Arbeitskollege, »und
wie viele Leute sind dabei draufgegangen?« »Keiner«, flüsterte ich, worauf der Kollege sich mit
seiner Canyoning-Tour in Alaska brüstete, bei der ein Galerist aus Winterthur abgesoffen sei; aus-
serdem habe sich ein Zahnarzt aus Aarau zum Schlafen versehentlich ins Lagerfeuer gelegt. Ein
anderer Arbeitskollege war beim Bungee-Jumping im Himalaya sogar höchstpersönlich gestorben,
was ihm seitens der anderen Ferienrückkehrer eine Hochachtung eintrug, von der ich mit meinem
blöden Riverrafting nur träumen konnte. »Aber dieses Jahr«, sagte ich mir vor drei Wochen, »wirst
du es ihnen zeigen!« Es gab da ein Last-Minute-Angebot von Kuoni, »Warfaring in Madagaskar -
Extremurlaub ohne Wenn und Aber!« Ich buchte und sass zwei Tage später in einem Jeep,
zusammen mit drei anderen Herren und einer Coiffeuse aus Urdorf. Unser Reiseleiter hiess ganz
einfach John, und als der Jeep irgendwo in der Mitte von Madagaskar anhielt, sagte John: »Okay
Leute, hört auf, die Vegetation anzuglotzen, wir sind hier, um Einheimische kennen zu lernen!«
»Richtig«, rief Herr Blaser, Immobilien, »wann geht's los, wo stecken sie?« »Zwei Kilometer
nordöstlich von hier«, sagte John, während er eine Munitionskiste öffnete, »befindet sich ein Dorf
namens Umbelele. Dieses Dorf werden wir jetzt besichtigen.« »Sind sie bewaffnet?«, fragte die
Coiffeuse aus Urdorf. »Nur Macheten«, sagte John und drückte mir eine Kalaschnikow in die Hand.
»Das Dorf Umbelele«, flüsterte John, während wir uns an Umbelele heranschlichen, »ist berühmt
für seine kunstvollen Töpferwaren.« »Interessant«, flüsterten wir. »Funktioniert mein
Raketenwerfer auch bei Regen?«, fragte Bachmann, Anlageberatung. »Pst!«, sagte John, denn wir
waren jetzt bis auf Hörweite an die Einheimischen herangekommen. Ein Hund bellte. John erledigte
ihn mit einem Blattschuss und schrie dann: »Madagaskar ist die viertgrösste Insel der Erde und hat
elf Millionen Einwohner. Und jetzt Attacke!« Bei der Erstürmung des Dorfplatzes blieb ich mit dem
Fuss dummerweise in einer landestypischen Kalebasse stecken. »Keine Bewe
gung«, schrie John auf Englisch, »wir sind Extremtouristen!« Die Einheimischen standen da und
staunten, insbesondere über Bachmann, der sich im Tragriemen seines Raketenwerfers verheddert
hatte. Die Coiffeuse dirigierte mit dem Gewehrlauf einen jungen Mann zu sich und rief: »Du da, hol
deine Töpferwaren, ich möchte kaufen, Souvenir, verstanden!« »Und ich möchte jetzt sofort einen
traditionellen Tanz sehen!«, rief Blaser, gestikulierte dabei aber so ungeschickt mit seinem Raketen-
werfer herum, dass sich ein gewaltiger Schuss löste. Wir begruben Reiseleiter John und die
Coiffeuse unter einem Affenbrotbaum. Ich fotografierte die Gräber und freute mich schon auf meine
Arbeitskollegen. »Warfa- ring«, würde ich sagen, »zwei Tote. Es war hart, aber schön.«
Verständigung: Jak se dostanu na zächod, toiletta?
Sommerferien sind die Zeit, in der man fremde Sprachen sprechen muss. »Io voglio un... äh...
matarazzo di lufto.« Das ganze Leben dreht sich nur noch um Wörter, die einem im entscheidenden
Augenblick nicht einfallen. Wenn mich einer vor der Küste Italiens scheinbar entspannt auf der
Luftmatratze liegen sieht, kann er Gift drauf nehmen, dass ich in Wirklichkeit krampfhaft darüber
nachdenke, ob »Flasche« in der Sprache Benito Musso 1 inis männlich oder weiblich ist. Ich
möchte nämlich abends im Ristorante nicht Dinge sagen, die sich für den Kellner so anhören: »Du
mir bitte überreichen Flasche voll Wein weisse, Herr Oberst.« Eigentlich sind Ferien krasser
Unsinn! Man bezahlt 3000 Franken für ein Pauschalarrangement, nur um an der Hotelreception re-
den zu müssen wie ein verdammter Ausländer: »Du, Hotelmanager, du machen weg Kakerlak,
flicken Dusch, oder ich mach viel Exodus!«
Am schlimmsten ist es in Griechenland. Wer dorthin reisen will, sagt im Reisebüro am besten:
»Tag! Ich möchte gern drei Wochen Taubstummen-Ferien buchen.« Auf Märkten im Innern
Griechenlands sagt der Tourist mit Handzeichen: »Oh, ist das eine schöne Wassermelone! Wie
viel?« Mit den Fingern macht er das Zeichen für »Was? 20 000 Drachmen? Hol Sie der Türke!«.
Mit den Füssen flieht er dann vor dem wütenden Mob zurück in seinen Mietwagen, der nicht
anspringt. Und jetzt zu den ganz Schlauen! Die kaufen sich ein Lexikon, um den Satz »Ich spreche
nicht griechisch« zu lernen! Tourist (nach langem Üben fast akzentfrei): »Ich spreche nicht
griechisch.« Grieche: »Oh, seien Sie nicht zu bescheiden, Sie sprechen sehr gut. Darf ich Ihnen
meine überaus hübsche Tochter vorstellen?« Tourist: »Ich spreche nicht griechisch, ich spreche
nicht griechisch.« Tochter: »Wo haben Sie denn so gut griechisch gelernt?« »Ich spreche nicht
griechisch, hueretammisiech!« Grieche: »Huere- tammi...? Dieses Wort kenne ich nicht. Da haben
Sie's: Sie sprechen besser griechisch als ich!« Voriges Jahr sagte ich mir: Das mach ich nicht mehr
mit, in diesem Sommer leg ich mich in New York auf die Luftmatratze, denn Englisch kann ich!
Problem: Je besser man eine fremde Sprache beherrscht, desto mehr Wörter fehlen einem. Zum
Beispiel nahm ich eines Abends in einem esoterischen Kifferklub in Brooklyn an einer Diskussion
teil und hätte gern gesagt: »Astrologie
ist wie zerbröselnde Scheisse.« Aber weil ich das englische Wort für »zerbröselt« nicht kannte, war
ich zur Verknappung gezwungen: »Astrology is shit!« Wenn der Diskussionsleiter nun gerufen
hätte: »Das ist die unqualifizierte Ansicht eines Europäers!«, hätte ich es verstanden. Aber er sagte
nicht »Europäer«, sondern benutzte ein mir unbekanntes Substantiv. Jedenfalls sass ich plötzlich
allein am Tisch und träumte von Italien, wo man mit den Leuten mangels Italienischkenntnissen
nicht über Astrologie diskutieren muss, sondern einfach Mensch sein kann: »Buon giorno, un birra,
please!«

Telefonieren: Die ganze Wahrheit über mein kleines Ding


Ich habe jetzt auch ein Handy. Es heisst Easy, und ich habe Easy so eingestellt, dass mich niemand
anrufen kann. Dadurch spare ich Geld, denn jedesmal, wenn mich jemand anrufen würde, müsste
ich einen Teil der Gesprächskosten zahlen.
Meine Nummer ist 079 / 832 66 75, und wahrscheinlich haben schon viele Leute sie eingestellt,
aber vergeblich, denn sie hören nur eine melancholische Frauenstimme, die sagt: »Der gewünschte
Mobil-Teilnehmer kann momentan nicht erreicht werden«. Diese Frau würde ich übrigens gern
einmal kennenlernen, denn ich bin sicher, dass sie urspünglich Schauspielerin werden wollte, aber
eines Morgens als Telefonistin beim Auskunftsdienst erwachte. Nun aber die gute Nachricht: Die
Swisscom veranstaltete einen hausinternen Stimmenwettbewerb, bei dem die Frau den ersten Preis
in der Kategorie »Tonbandstimmen für Endlosbänder im Natel-Bereich« gewann. Ich sage immer
zu meinen Freunden: »Ruft mich einmal an unter 079 832 66 75. Diese Frau hat einfach
eine Wahnsinnsstimme!« Aber Easy hat noch andere Vorteile. Zum Beispiel bin ich damit auch
unterwegs nicht erreichbar, habe aber trotzdem schnell Kontakt mit Menschen. Ich reise nämlich
seit neustem immer im Ruhewagen der Bahn, wo Natels verboten sind, und wenn ich Lust auf eine
kleine Plauderei habe, lege ich einfach Easy demonstrativ aufs Ablagetischchen. Sofort entsteht
zwischen mir und den Mitreisenden ein kommunikatives Klima: »Haben Sie das da nicht gesehen?«
ruft ein älterer Herr und zeigt auf das Natel-Verbotsschild. »Keine Sorge«, sage ich, »es kann mich
niemand anrufen. Das habe ich so programmiert. Fahren Sie übrigens nach Rorschach?«
Auf diese Weise habe ich im Ruhewagen der Bahn schon zahlreiche Schicksale kennengelernt,
darunter das eines Kieferchirurgen. Er erzählte mir, seine Ex-Frau habe ihn eines Tages auf dem
Handy angerufen, als er gerade in einem Tunnel gewesen sei. Er habe heute noch ihre Worte im
Ohr: »Ich IiechrrckHallo? dich nickrrps mehr!« Zuerst habe er das als »Ich liebe dich mehr!«
interpretiert und sich auf der Heimfahrt noch gefragt, mehr als wen? Aber dann habe sie die
Scheidung eingereicht. Apropos Einsamkeit: Manchmal, wenn ich fernsehe und Easy neben mir auf
der Sofalehne liegt, würde ich natürlich gern wissen, wie viel Leute mich in diesem Augen blick
erreichen möchten und es nicht können. Manchmal hebe ich den Hörer meines Zimmertelefons ab,
wähle meine Handy-Nummer und höre mir die melancholische Frauenstimme an, die mir sagt, dass
ich im Moment nicht erreicht werden kann. Das hilft mir, mich in die Leute hineinzuversetzen, die
vielleicht darunter leiden, dass Sie mich nicht erreichen können. Vielleicht gibt es ja auf der Erde,
die immerhin der fünftgrößte Planet des Sonnensystems ist, irgend jemanden, der mit mir ein Bier
trinken oder mich streicheln möchte! Und ich bin nicht erreichbar! Das ist manchmal schon hart.

Wege zum Führerschein (1): Sehtest mit Blindenhund


Ferien tun mir gar nicht gut. Wenn ich nämiich wieder daheim bin, schaue ich die Stadt an, in der
ich lebe, und dann schaue ich mich an und denke: »Zürich ist nicht Miami, und du bist nicht Mel
Gibson.« Niedergeschlagen trinke ich Wodka mit Himbeersirup, bis mir einfällt, dass ich gar nicht
Mel Gibson sein möchte, sondern ganz zufrieden bin mit meinem kleinen, korpulenten Körper, der
bald in einem eigenen Auto sitzen wird. Jawohl, ihr zerbrechlichen Rehe des Waldes, ihr Igel, die
ihr in der Nacht über Autobahnen kriecht: Aufgepasst! Auf einer Luftmatraze vor der Küste Floridas
habe ich beschlossen, endlich die Fahrprüfung zu machen! Bald schon wird das Blut kleiner
Säugetiere fliessen, die sich mir in den Weg stellen, Mäuse, Katzen, Betagte - mit einem Auto kann
man erstaunlich viele Dinge überfahren. Aber man kann es auch für friedliche Zwecke benutzen,
zum Beispiel, um zu parkieren. Das muss ich alles noch lernen, und deshalb habe ich gestern das
Formular für den Antrag auf
Erteilung eines Lernfahrausweises auszufüllen versucht.
Einfach war's nicht. Zum Beispiel musste man ankreuzen, ob man einen Ausweis über 3,5 Tonnen
will oder für leichtere. Ich sagte mir: »Kreuz die Schweren an, dann müssen die Überfahrenen
wenigstens nicht lange leiden.« Auf die Frage, ob ich alkoholsüchtig bin, malte ich schweren
Herzens ein Pünktchen ins Nein-Feld. Dann legte ich wie verlangt zwei Passfotos bei, und zwar be-
wusst zwei von Mel Gibson. Polizisten gehen nämlich auch ins Kino, und wenn einer von ihnen
dereinst bei der Tempokontrolle meinen Fahrausweis prüft, sagt er vielleicht: »Oh! Das ist natürlich
etwas anderes! Fahren Sie ruhig weiter so schnell, Herr Gibson!« Gern hätte ich das Formular jetzt
schon abgeschickt, aber es wurden noch Stempel und Unterschrift eines Optikers verlangt bezüglich
Sehfähigkeit. Das Problem ist, dass ich seit der Einnahme eines sogenannten Superman-Trips im
Jahr 1978 eigentlich nur noch farbige Umrisse sehe. Um also das lästige Sehtest-Verfahren
abzukürzen, sagte ich zum Optiker: »Guten Tag. Sie sind etwa eins-achtzig gross, und links von
Ihnen steht eine Art Computer oder Kühlschrank. Damit dürfte wohl klar sein, dass ich bestens
sehe.« »Das gibt's ja nicht«, rief der Optiker,
»Superman? Kleine Pille mit Sternchen drauf?« Das ist eben das Schöne an Generationen: Man
kenne sich irgendwie, hat dieselben Trips gefressen. »Wo ist dein Formular?«, fragte der Optiker.
»Der blaue Umriss rechts neben deiner Hand«, sagte ich - und klatsch! hatte ich den Stempel.
Herrlich. Wenn das Leben so wäre, würde man es lieben.
Aber es war natürlich ganz anders. In Wirklichkeit zeigte mir eine beinharte Optiker-Gehilfin durch
ein Binokular winzig kleine Es, und ich musste erraten, ob sie nach links schauen oder nach oben
oder auf ihrem scheiss Rücken liegen. »Können Sie das nicht ein bisschen vergrös- sern«, fragte
ich, »das ist ja völlig verschwommen!« »Aha«, sagte die Optiker-Gehilfin und machte böse
Kreuzchen auf mein Formular für den Antrag zur Erteilung eines Lernfahr ... Ach, fielet euch doch
ins Knie! Falls ich den Führerschein nicht kriege, fahre ich eben mit Autopilot!

Wege zum Führerschein (2): Pferd rammt Kommunismus


Mit Begeisterung büffle ich Theorie, wobei mir an der ganzen Sache das Wort »büffeln« am besten
gefällt. Erst recht, wenn ich es aus dem Mund meiner dänischen Fahrlehrerin höre. »Und jetzt
Theorie buffelen und nochmals buffelen«, ruft Frau Pedersen fröhlich, obwohl sie unter
Hämorrhoiden leidet. »Berufskrankheit«, sagt sie, und wenn ich etwas forsch über den Randstein
fahre, ächzt sie leise.
Überhaupt sind die Schweizer Randsteine meiner Meinung nach falsch plaziert, zu nahe bei den
Rädern. Dasselbe gilt für Fussgänger. »Ui, das war knapp!«, sagt Frau Pedersen oft, während ich es
jeweils als gar nicht so wahnsinnig knapp empfinde. Generell halten die Fahrzeuge in der Schweiz
einen zu grossen Abstand voneinander, wohl ein Zeichen der zunehmenden gesellschaftlichen
Atomisierung. Ich persönlich würde gern ein bisschen aufschliessen, um herauszufinden, ob der
Vorderwagen gefederte Stossstangen hat. Aber Frau Pedersen ist verliebt in ihre Fahrlehrer-Bremse
und benutzt
sie leidenschaftlich. Manchmal sagt sie auch: »Aua, das tüt weh!«, und beisst sich auf die Lippen.
»Wieder Häm ... Sie wissen schon?«, frage ich. »Nein«, sagt sie, »die Art wie sie schalten!«
Papperlapapp! Ich schalte, wie ich bumse: eiskalt und ohne lange herumzukuppeln. Das
Kupplungspedal ist sowieso eine einzige Gefahrenquelle, vor allem für Links- füssler wie mich. Ich
will bremsen und trete die Kupplung, ich will kuppeln und trete die Bremse, ich will die
Fahrprüfung bestehen und werde zum Psychiater geschickt. »Ach, Quatsch«, sagt Frau Pedersen,
»Sie müssen nur Theorie buffelen, dann klappt's!« Also schlage ich im Bett das Handbuch auf und
büffle Vortrittsregeln. »Wenn ein Pferd auf einer Nebenstrasse von rechts auf eine Hauptstrasse
einbiegen will, auf der ein Trolleybus mit überhöhter Geschwindigkeit nach links einspurt, ist dann
a) der Helikopter vortrittsberech- tigt, b) Bob Dylan, c) der Kommunismus?« Wer jetzt denkt: »Was
hat denn der verdammte Kommunismus auf der Hauptstrasse verloren!«, geht besser gar nicht zur
Theorieprüfung. Ein bisschen Realitätsnähe könnte dem Handbuch allerdings nicht schaden, zum
Beispiel mal eine Frage in der Art: »Wie verhalten Sie sich, wenn Sie mit der erlaubten
Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn fahren und sich a) eine Wespe im Wagen befindet und b)
Ihr Kind auf dem Rücksitz ruft 'Pappi, ich hab in den Aschenbecher gekötzelt, und jetzt muss ich
dringend Pipi!'?« Das sind die wahren Probleme des Straßenverkehrs, aber von ihnen will das
»Handbuch zur Theorieprüfung« nichts wissen! Es steht nicht mal drin, was man tun muss, wenn
man in einer Einbahnstrasse plötzlich merkt, dass das Duftbäumchen, das am Rückspiegel hängt,
vertrocknet ist und jetzt irgendwie stinkt. Oder wie man sich verhalten soll, wenn man nachts im
Suff nicht mehr weiss, wo man den Wagen geparkt hat. In solchen Fällen nützen einem die mühsam
gebuffeleten Vortrittsregeln etwa so viel wie Stevie Wonder eine Lesebrille!

Wege zum Führerschein (3): Fahr doch mal illegal!


Nur nicht nervös werden! Immer daran denken: Auto fahren ist stinkeinfach, sogar Aargauer können
es, haha! Also, wo ist der Schlitz für den Zündschlüssel? Ah hier, an der wetterabgewandten Seite
der Lenksäule. Jetzt Schlüssel reinstecken und in Richtung des eigenen Nabels drehen, der sich
ungefähr eine Handbreit oberhalb des Schambereichs befindet. Das Gaspedal antippen, aber
behutsam, etwa so, wie man mit der Fussspitze eine Leiche umdreht. Und schon brummt der Motor!
I\la also, null Problem! Jetzt die Hände kurz vom Lenkrad nehmen und beten: »Sehr geehrter Herr,
bitte mach, dass die Verkehrspolizei von Kontrollen Abstand nimmt, während ich als Fahrschüler
unerlaubterweise ohne Begleitperson auf der Autobahn herumdüse!« Okay, und jetzt mehr Gas,
Blinker rechts - oder doch lieber links? Am besten Warnblinker rein, Steuerrad nach Mekka drehen
- und siehe, der Wagen rollt! Und zwar direkt auf die gesetzlich vorgeschriebene rechte Stras-
senseite! Jetzt im ersten Gang volle Kraft voraus, Kurs halten auf Stoppsignal, Warnblinker off.
Stoppsignal
noch immer fünfzig Meter backbord voraus - man könnte schneller dort sein, wenn man den
zweiten Gang einlegen würde. Ay ay, Sir, zweiter Gang ist eingelegt! Geschwindigkeit jetzt dreissig
Ka-Em-Ha bei mässigem Wellengang. Kontrollblick in den Rückspiegel: Feindlicher Wagen nähert
sich von hinten! Versucht vermutlich, das Stoppsignal als Erster zu erreichen! Mister Spöck, gehen
Sie unbarmherzig auf Warp 3! Himmel, was für ein Gefühl der Allmacht: Zum ersten Mal ohne
Fahrlehrerin Pedersen im dritten Gang! Captain, Stoppsignal fliegt mit hoher Geschwindigkeit auf
uns zu! Nur die Ruhe, einfach voll auf die Bremse, und schon stehen 2,5 Tonnen Stahl und Blech
stockstill. Okay, jetzt Lenkrad Richtung heranschaukelndes Tram drehen, überlegen: Wer hat hier
Vortritt? Sicher nicht der blöde öffentliche Verkehr, diese Marotte der Sozialdemokratie! Also erster
Gang, sportliches Anfahren, Umschiffung des schockierten Trams und Reissver- schluss-Prinzip.
»Gratulation! Sie haben es auf die Hauptstrasse geschafft! Bitte beachten Sie, dass Sie von nun an
Mitglied einer stehenden Kolonne sind.« Jetzt im Handschuhfach nachschauen, ob noch eine Dose
Bier da ist. Keine da, also gemütlich ein Jointchen drehen, rauchen, sich buddhistisch dem Stau
hingeben. Ein bisschen Gas, bremsen, ein bisschen hupen, und schon ist man der Ampel wieder
zwei Schritte näher gekommen. Dann der grosse Moment: Autobahn-Beschleunigungsstreifen! Wir
bitten die Passagiere, sich festzuhalten! Fliegender Wechsel vom dritten in den vierten Gang,
sämtliche Blinker online, Air Condition auf Autopilot. Tempo: achtzig und steigend. Captain,
Handbremse lösen! Keine Panik, Spöck! Tempo hundert und steigend, wo ist der verdammte fünfte
Gang? Captain, wir fahren auf dem Pannenstreifen! Okay, okay, ich hab's im Griff: Handbremse
lösen, runter vom Pannenstreifen, Tempo jetzt hundertachtzig und sinkend und einfach wunderbar:
Ein einsamer Fahrschüler illegal auf der Autobahn - das ist der Stoff, aus dem Hollywood
Drehbücher macht!

Börse: Geldverdienen mit Gefühl - ein Insider berichtet


Vorgestern erhielt ich ein E-Mail meines Finanzberaters: »Schlage sofortigen Verkauf Ihrer
Beteiligungen an amerikanischen Rüstungsfirmen vor. Trauerboom hält an! Investieren Sie alles in
die Frischblumenbranche!« »Bingo!« mailte ich zurück, »Sie haben freie Hand!« Zufällig war ich
nämlich eine Stunde zuvor auf dem Zürcher Paradeplatz gewesen, wo der »Shoa«-Blocl< von
Schang Hutter steht. Es lagen 18 frische Sträusse darauf, hauptsächlich Treibhausware im
Gesamtwert von zirka 340 Franken, und das an einem simplen Werktag! »Samstags sind es noch
viel mehr«, bestätigte mir eine Verkäuferin des örtlichen Kiosks. »Bingo!« sagte ich zu ihr. »Ich
werde Sie gegebenfalls beteiligen.« Dann machte ich die Gegenprobe bei den Kurden. Die hatten in
der Nähe des »Shoah«-Blocks einen Stand aufgestellt und winkten mit Unterschriftsbogen. Hier lag
nicht einmal ein Gänseblümchen. Eine kurdische Frau, möglicherweise ein echtes Folteropfer, denn
sie sass im Rollstuhl, bat mich, gegen Menschenrechtsverletzungen
zu unterschreiben. »Das ist lieb von Ihnen«, sagte ich, »aber ich bin Investor. Für Kurden kauft
niemand Blumen, euch fehlt das Sentimentalitäts-Potential, der Lady-Di-Effekt, verstehen Sie?
Aber schauen Sie einmal dort hinüber!« Ich drehte ihren Kopf Richtung »Shoah«- Block, auf den
ein kleines Mädchen auf Druck seiner betroffenen Mutter soeben eine Rose legte - »hat auch wieder
acht Franken gekostet«, sagte ich zur Kurdin. Dann schnappte ich mir ein Taxi, fuhr ins Büro und
rief sofort Schang Hutter an. »Hutter«, sagte ich, »ich bin Investor, neuerdings Blumenbranche. Ihr
Denkmal fasst maximal dreissig Sträusse, jeder Strauss mehr fällt hinunter. Bis wann können Sie
mir ein grösseres machen? Es müssen mindestens 120 Sträusse darauf Platz haben.« Hutter
murmelte etwas von »wachrütteln« und »Schweiz muss Mitschuld bekennen«. »Erledige ich für
Sie«, sagte ich, »aber erst, wenn Sie mir ein Denkmal, selbes Material, selbe Ausführung, aber
blumenmässig mit Lady-Diana-Kapazitäten liefern, okay?« Das mache er nicht, sagte Hutter und
klagte über die Bibeli, die er am ganzen Körper bekommen habe wegen des Rummels. »Das habe
ich in der Schweizer Illustriertem schon gelesen«, sagte ich, »nehmen Sie Aspirin, Hutter, bauen Sie
mir ein grösseres Denkmal, es muss gar nicht für die
Shoah sein, bauen Sie eins für die >Titanic<«, sagte ich, »oder für das Massaker von Luxor, egal, es
muss nur et was sein, über das die Leute trauern können, ohne wirk liehen Schmerz zu empfinden.«
Hutter rief noch etwas wie »zum Denken anregen, Bundesratsentschuldigung!«, dann hängte er auf.
Ich sagte mir, lass den Künstler und die paar Sträusse, die sein »Shoah« - Kunstwerk verkauft,
konzentriere dich auf Grösseres, überlege dir, um wen die Leute als nächstes trauern wollen in der
Grössenordnung von min destens 3000 Sträussen.
»Kaufen Sie sämtliche Blumenläden«, e-mailte ich mei nem Finanzberater, »in der Umgebung des
Wohnorts von alt Bundesrat Delamuraz.« »Leider unmöglich«, mailte er mir zurück, »da Fleurop
uns zuvorgekommen. Schla ge Kaufeiner Kerzenfabrik vor.« »Bingo!« mailte ich.

JOB- VERGANGENHEITSBEWÄLTIGER, DER BERUF DER


ZUKUNFT

Thema Nr. 1: Vor einiger Zeit rief mich ein Bekannter an: »Du glaubst es nicht«, sagte er, »sieben
Monate war ich arbeitslos, und jetzt habe ich wieder einen Job!« »Super«, sagte ich, »und als was?«
Es stellte sich heraus, dass er jetzt selbständiger Vergangenheitsbewälti- ger war. »Das boomt«,
sagte er. »aber du bist doch Architekt«, wagte ich einzuwenden, »ich war es, mein Lieber, ich war
es... Jetzt bewältige ich Vergangenheiten aller Art zu einem einmalig günstigen Tagessatz.« Soeben
habe er einen Grossauftrag an Land gezogen: »Ich soll für das schwedische Aussenministerium die
Zeit von 1941 bis 1944 bewältigen; die restlichen Kriegsjahre haben sie einem Hinterhofbewältiger
überlassen, der mit Dumpingpreisen den Markt ruiniert«, sagte mein Bekannter sorgenvoll. »Aber
vier Jahre sind auch nicht schlecht!« rief er dann wieder optimistisch. »Super«, sagte ich, »und wie
arbeitet so ein Bewältiger?« »Im Prinzip wie Thomas Borer«, sagte er, »kommunizieren, hier etwas
eingestehen, dort etwas herunterspielen, und vor allem Bankette.« Die Vergangenheit von Staaten
werde hauptsächlich an Banketten bewältigt, sagte er und erwähnte beiläufig, dass er bereits
expandiere: »Japan ist der absolute Topmarkt in meiner Branche.« Aber bei den Japanern dürfe man
nichts überstürzen: »Wenn ich denen gleich eine Totalbewältigung des Weltkriegs anbiete,
verneigen die sich, und fort sind sie!« Um ihr Vertrauen zu gewinnen, habe er ihnen die
Bewältigung der vollkommen harmlosen Jahre 1867 bis 1899 angeboten, »zum halben Tarif,
inklusive zweier Gratisjahre«. »Super«, sagte ich. »Und wenn sie dann soweit sind«, sagte mein
Bekannter, »verkaufe ich ihnen den Überfall auf China zusammen mit Pearl Habor als
Bewältigungspaket 2 für 1.« »Und Cotti, das Nazigold?« fragte ich, »ich meine wir hätten doch
auch eine einheimische Vergangenheit ...« »Wo lebst du denn!« rief mein Bekannter. Als
selbständiger Unternehmer müsse er global denken - »der Schweizer Markt ist praktisch tot«, sagte
er bitter, »abgegrast von Historikern mit Staatsgehältern. Die bewältigen dir einen Weltkrieg zu
einem Tarif, bei dem ich die Bude zumachen müsste!« »Mist!« sagte ich. »Genau«, sagte er; in der
Schweiz lohne es sich nur, wenn man nebenbei noch die Vergangenheit mittelgrosser Firmen und
vermögender Privatpersonen bewältige. Jetzt müsse er aber auflegen; er erwarte einen Anruf von
Bundesrat Villiger. »Hoppla!« sagte ich. »Verglichen mit Japan ein kleiner Fisch«, sagte er
grossmännisch; Villiger - das müsse unter uns bleiben - sei mit der Bewältigung der Vergangenheit
der Firma Villiger in den Jahren
33 bis 45 noch nicht restlos zufrieden. »Nur ein paar Details, die ich meiner Assistentin zur
Bewältigung übergebe«, sagte mein Bekannter und beendete das Gespräch mit Grüssen an meine
Frau.
Thema Nr. 2: Kürzlich habe ich damit begonnen, die Vergangenheit unseres Quartierbäckers zu
bewältigen. Seit er im Vollsuff in sein Schaufenster gepinkelt hat, wollen die Leute keine Kuchen
mehr bei ihm kaufen. Ich kommuniziere, gestehe hier etwas ein, spiele da etwas herunter, und schon
kehren die ersten Kunden zurück. Geplant ist ein Gratismorgen in der Bäckerei. Es macht Spass; ich
glaube, es ist ein Job mit Zukunft.

FERNSEHEN – WIR BASTELN UNS EINE EIGENE TALKSHOW

Geht es Ihnen auch so? Sie schauen sich im Fernsehen den »Ziischtigsclub« an und stellen fest, dass
die Gesprächsteilnehmer vom Thema überhaupt nichts verstehen. »Dieser Psychologe verzapft ja
den ärgsten Bockmist!« sagen Sie zu Ihrem Ehepartner. Wenn irgendeine Schauspielerin eine
haarsträubende Behauptung aufstellt, rufen Sie: »Blödsinn! Genau umkehrt ist es!« Sie spüren, dass
eigentlich Sie im Studio sitzen müssten. Erst dann bekäme die Diskussion die nötige Tiefe. Aus-
serdem würden Sie Ihre Meinung viel pointierter formulieren als diese Westentaschengäste. Ein
leidiges Problem! Also habe ich mir vor einer Woche ein Ledersofa gekauft, dazu vier gestreifte
Sessel, zwei Beistelltischchen und ein Stück Plexiglas. Im Bastelkeller leimte ich aus Hartkarton
einige Mikrophonattrappen zusammen, die ich mit Wasserfarbe naturalistisch anmalte. Nun zerteilte
ich das Plexiglas, sägelte mit der Laubsäge die Buchstaben CLUB heraus und befestigte die Logos
an den Mikrophonattrappen. Es sah mordsprofessionell aus! Im Wohnzimmer war schon alles
bereit, die Rolläden heruntergelassen, die Lampenschirme so gedreht, dass sie wie Scheinwerfer
aussahen: mild beleuchteten sie die gestreiften Sessel, die ich im Halbkreis um das Sofa gruppiert
hatte. Dahinter stand auf dem Stativ meine Videokamera, die eine sehr studiomässige Atmosphäre
verbreitete. Mit feuchten Händen - leichtes Lampenfieber! - stellte ich eine Karaffe mit
Mineralwasser und eine mit Weisswein auf die Beistelltischchen, atmete tief ein, klingelte bei mei-
nen Nachbarn und lud Herrn Breitinger, einen pensionierten Buchhalter, Frau Bloch, eine
geschiedene Alleinerziehende, und Herrn Hug, unseren Hauswart, zu einem Gespräch über
»Flugangst - ist sie heilbar?« ein. Etwas befangen setzten sie sich in die gestreiften Sessel. »Es ist
schön«, sagte Frau Bloch und räusperte sich, »dass man sich einmal kennenlernt.« »Pst!« sagte ich,
denn die Videokamera lief schon. »Guten Abend, meine Damen und Herren, liebe Zuschauer«,
sagte ich ins Kartonmikrophon, »heute habe ich eine hochkarätige Runde zum Thema Flugangst bei
mir.« Ich stellte zuerst Frau Bloch vor, dann Herrn Hug, der mich aber unterbrach: »So, Sie sind
geschieden?« sagte er zu Frau Bloch. »Das wusste ich gar nicht.« »Das ist doch kein Verbrechen«,
sagte Herr Breitinger und liess seine stark zitternde Hand schützend auf Frau Blochs Knie fallen.
Ein Fiasko bahnte sich an, so dass ich die Vorstellungsrunde abbrach und gleich zum Thema kam:
»Herr Breitinger, Sie waren Buchhalter. Jeder dritte Schweizer leidet unter Flugangst. Haben Sie ein
Rezept?« Herr Breitinger murmelte etwas. »Sie müssen ins Mikrophon sprechen«, sagte ich. »Ich
bin Witwer«, rief Herr Breitinger in meine täuschend echte Attrappe, »und möchte bei dieser
Gelegenheit Frau Bloch fragen, ob sie mir nicht jeweils am Freitag die Wäsche machen könnte?« In
diesem Stil ging es weiter. Als Abwart Hug dann im Alleingang den Weisswein austrank und
versehentlich die Videokamera umwarf, packte ich meinen selbstgebastelten »Ziischtigsclub«
wieder zusammen. Dabei hätte ich zu meinem Gesprächsthema soviel Gescheites zu sagen gehabt!

Bücher: Das wahre Wesen der Literatur


An einer Filmvernissage habe ich gehört, dass es in Zoe Jennys neuem Roman irgendwie um eine
Muschel geht, die wegen der enormen Gewässerverschmutzung nicht mehr richtig tickt - deshalb
verliebt sie sich in eine ergraute Fischerin, die kurz darauf nach Bombay flieht, weil es dort
angeblich noch Altersheimplätze gibt. Schöne Story, aber eigentlich ist es mir und vielen anderen
eher visuell orientierten Literaturkennern muschel- mässig egal, was in Jennys Buch drinsteht.
Belletristisch relevant ist einzig der wunderbare Mund der Autorin! Ich war mal in Berlin an einer
Zoe-Lesung - seither weiss ich, dass Literatur, wenn sie mit solchen Lippen vorgetragen wird, auch
ganz einfache Gemüter erhitzen kann. Man spürt dann förmlich den Puls Schillers in sich, ja es
rumort in einem wie in Shakespeares berühmtem Hamsterkäfig.
Davon merkt die Literaturkritik natürlich wieder einmal gar nichts! »Hast du die neuste
Besprechung von Jennys Roman gelesen?«, fragte mich gestern mein einziger Freund Patrik, und
ich sagte: »Nein, aber sicher wird ihr
bemerkenswerter Mund mit keinem Wort erwähnt.« »Und keine Zeile über ihre fantastischen
Augen!«, rief Patrik, der übrigens auf seiner Homepage unter www.moderne_literatur.ch sämtliche
offiziellen Zoe-Jen- ny-Fotos zum kostenlosen Download anbietet. Das hat ihm die Feindschaft des
gesamten Germanistischen Seminars der Universität Zürich eingetragen. Täglich kriegt Patrik
Schand-Mails: »Benjamin Stuckrad-Barre ist viel süsser als Ihre Trivialschlampe Jenny!« oder
»Wenn Peter Weber Saxofon spielt, falle ich (männl., 22) in Ohnmacht - aber bei deiner ach so
tollen Zoe schläft mir der Fuss ein!«
Im Gegensatz zu diesen intoleranten Germanisten beschäftigt Patrik sich auf seriöse Weise mit dem
Werk Jennys, und zwar in einer Zweigwissenschaft namens Zoelogie. »Zum Beispiel untersuche ich
gerade«, erklärte er mir kürzlich, »den Zusammenhang zwischen gesunder Haut und literarischer
Wirkung.« Hätte die Jenny - so lautet Patriks Kernthese - von bisher unbekannten, aus dem
Regenwald eingeschleppten Bazillen verursachte flechtenartige Verschorfungen im Gesicht, die bei
Fernsehauftritten dauernd rot blinken würden, wäre ihr erstes Buch von der Kritik zermalmt und
von niemandem gekauft worden. »Weil ihre Haut aber in Wirklichkeit
schimmert«, schwärmte Patrik, »wie das Innere einer sehr jungen Auster, ist die Kritik begeistert,
der Leser hypnotisiert.« »So gesehen«, sagte ich, um ein bisschen zu fachsimpeln, »wäre es für alle
Beteiligten das Beste, wenn Zoe Jenny Moderatorin bei <10 vor 10> würde. Ihr bliebe das
anstrengende Bücherschreiben erspart, und wir könnten ihre Haut viel öfter betrachten.« Zum
Schluss möchte ich mich bei all jenen, die nicht so viel von zeitgenössischer Literatur und geistigen
Dingen verstehen, für diese Kolumne entschuldigen. Immerhin habe ich mich bemüht, schwierige
literaturwissenschaftliche Fachausdrücke wie »Telegenität«, »Homestory« oder »Autoren-Image-
Training« zu vermeiden. Und hallo, Germanisten: Peter Weber ist wirklich total sexy!

Oper: Ein Multiunkulti in der Weihehalle des Gesangs


Kürzlich gewann ich beim Wettbewerb einer Schokoladefirma nicht den Geländewagen mit
Elchschutzgitter, sondern nur den Trostpreis, ein Ticket für die Oper im Wert von Fr 120,-. Ich rief
die Schokoladefirma an und fragte, ob man den Preis nicht in sechs Kinobilletts umwandeln könnte.
»Jetzt läuft nämlich gerade der neue Film mit Bruce Willis an«, sagte ich, »und von explodierenden
Autos verstehe ich einfach mehr als von alter Musik.« Aber die Firma war stur. Also zog ich meine
besten Jeans an, fuhr ins Opernhaus und hielt im Foyer mein Trostpreis-Ticket hoch, bis ein
livrierter Herr Mitleid hatte und mich auf einen reichverzierten Balkon führte. Von hier aus hatte
man Aussicht auf den Orchestergraben, in dem eine Kompanie Geiger sinnlos herumfiedelte. »Das
klingt ja richtig falsch!« sagte ich zu der betagten Dame neben mir. »Man nennt es >stimmen<«
antwortete sie mit dem typischen Lächeln von Leuten, die es hassen, dass ausgerechnet ich neben
ihnen sitze. Mir fiel auf, dass der Orchestergraben, stratgisch gesehen, ein Sauhaufen war. Die linke
Flanke wurde nur von einem einzigen Paukisten gesichert! Bruce Willis würde natürlich exakt hier
angreifen und dann die schweren Kontrabässe und Cellos erledigen. Die Geiger, jetzt ohne
Artilleriedeckung, könnten nur noch beten! In diesem Augenblick wurde der Opernsaal verdunkelt,
sicher auf Wunsch der verängstigten Geiger. »Bruce Willis hat selbstverständlich ein
Nachtsichtgerät!« sagte ich. zu meiner Sitznachbarin. Sie zischte mir ein »Pst!« zu und hatte
vollkommen recht. Du bist in der Oper, sagte ich mir, es wird kein Willis kommen - und also
akzeptiere dein Schicksal und nimm nie wieder an Wettbewerben von Schokoladeherstellern teil.
Der Anfang der Oper war sogar spannend: Irgendein sadistischer Serienkiller auf Hafturlaub tastete
die Bühne mit einem Suchscheinwerfer ab. Plötzlich wurde eine mollige Frau, die eine gepuderte
Zapfenlockenperücke trug, vom Lichtkegel erfasst! Sie schrie etwas auf italienisch! Sie wußte, dass
der Killer es auf gepuderte Zapfenlockenperücken abgesehen hatte, und kletterte panikartig die
Tonleiter rauf und runter. Zehn Minuten später sang sie immer noch! Mir kam der furchtbare
Gedanke, dass die Pistole des Killers Ladehemmungen haben könnte. Endlich griff sich die Mollige
an das unter Rü-schen verborgene Herz und starb unter furchtbaren Arien. Ich klatschte vor
Erleichterung, aber leider als einziger. »Der Akt ist noch nicht zu Ende«, flüsterte meine
Sitznachbarin. Ihr Blick war jetzt voll mütterlicher Fürsorge. Unter äußerster Geigenhysterie
stampfte nun ein massiv verkleideter Wandschrank auf die Bühne, eine Augenweide für Leute, die
auf Männer mit Plastikschwertern und Brustpanzern stehen. Der waffenscheinpflichtige Tenor
musste beim Singen beide Arme ausbreiten, damit ihm der Harnisch nicht platzte. Aber die Leute
applaudierten wie unter Drogen! »Ist der Akt jetzt endlich zu Ende?« fragte ich meine begeisterte
Sitznachbarin. »Nein, das ist Zwischenapplaus!« rief sie. »Und wie kommt man aus dieser Oper
heraus?« rief ich. »Klettern Sie aus dem Toilettenfenster!« flüsterte sie mir ins Ohr.

VARIETE – ICH LASSE MIR DIE HAARE NICHT


ZERSTRUBBELN

Hier eine Geschichte zum Thema Kunst. Als mich ein Freund zur Show des britischen Komikers K.
einladen wollte, drehte ich durch. »Danke, nein«, schrie ich ihn an, »ich bin doch nicht
lebensmüde!« Aus der Zeitung wusste ich nämlich, dass dieser K. zu jenen Künstlern gehört, die
mitten im Programm auf einen Herrn mit Schnurrbart zeigen und rufen: »Sie da, Sie mit der Lip-
penbehaarung! Kommen Sie bitte auf die Bühne, ich brauche einen Assistenten!«
Natürlich schüttelt das Opfer heftig den Kopf. Nützt aber nichts! Denn der verfluchte Künstler
macht das Publikum zu seinem Komplizen: »Der Herr hat ein bisschen Lampenfieber, das ist ganz
normal. Bitte unterstützen Sie ihn durch einen kräftigen Applaus!« Logischerweise klatscht der
ganze Saal wie wild, denn jeder ist daran interessiert, dass das Opfer endlich auf die Bühne klettert.
Andernfalls besteht die Gefahr, dass man selbst rauf muss. Der Schnurrbärtige aber hält sich tapfer
am Arm seiner Frau fest, deren Gesicht die Farbe eines indischen Sonnenuntergangs angenommen
hat. »So geh doch endlich! Feigling!« zischt sie ihm ins Ohr. Das gibt dem Opfer den Rest. Von der
eigenen Frau verraten, liefert der Herr sich dem Künstler aus, der ihm natürlich sofort die Haare
zerstrubbelt. Dann wird er un
ter dem Gelächter der Wölfe gefragt: »Tragen Sie eigentlich eine zu Ihrem Schnurrbart passende
Unterhose?« Solche Künstler sollte man bombardieren! Mir stinkt es nämlich, dass ich ihretwegen
immer auf den billigsten Plätzen in der hintersten Reihe sitzen muss. Dort ist man vor ihnen zwar
einigermassen sicher, hat aber schlechte Sicht auf die Bühne und die Zuschauer, die dort fertigge-
macht werden.
Einmal im Zirkus Knie rief ein Clown: »Ich brauche Hiii- ilfe von einem starken Maaa-ann!« Der
Scheinwerfer tastete ausgerechnet die hinterste Reihe ab, also meine. Ruhig bleiben, sagte ich mir,
der erwischt dich nicht, der nimmt jemanden aus den vorderen Reihen. Aber plötzlich strahlte mir
der Scheinwerfer direkt in die Augen, und der Clown rief: »Da ist ja ein starker Maaa-an!« Wer das
einmal erlebt hat, wird mir verzeihen, dass ich einer Mutter, die neben mir sass, ihr kleines Kind
entriss und mir auf den Schoss setzte. Als der Clown sich durch die dichtbesetzte Reihe mir
entgegenpflügte, rief ich: »Ich kann leider nicht mit Ihnen in die Manege kommen! Sie sehen ja,
mein Kind schreit wie am Spiess, und meine Frau ruft nach der Polizei!«
An dieser Stelle möchte ich alle Clowns, Komiker und sonstigen Elemente, die gern mit
Zuschauern arbeiten, dazu auffordern, ihren Job gefälligst allein zu machen! Ein Chirurg stellt sich
vor einer Operation auch nicht auf die Strasse vor dem Spital und drückt einem Passanten das
Skalpell in die Hand mit den Worten: »Gehen Sie mal in den OP 3 und holen Sie dem Kerl, der dort
schläft, die Nierensteine raus!« Ich möchte endlich in der ersten Reihe sitzen können, und zwar
ohne Gaspistole im Sack!

Stars: Der grösste Johann aller Zeiten


Immer wieder fragen mich die Leute: »Und was halten Sie von Goethe?« »Nun«, sage ich jeweils,
»der Mann ist tot. Jetzt muss man sich fragen, wie es dazu kam.« »Das weiss man ganz genau«,
sagen die Leute, »er starb im Bett.« »Dann ist ja alles in Ordnung«, sage ich und will gehen. Aber
die Leute rufen: »Sie können also nichts mit ihm anfangen?« »Doch, doch«, sage ich, »Faust, sehr
schön, vor allem der Schluss. In der Mitte hängt es ein bisschen durch.« »Der Faust«, sagen die
Leute und betonen jedes Wort, »ist eines der grössten Werke der Weltliteratur!« »Kann sein, aber in
der Mitte«, beharre ich, »gehen die Zuschauer immer raus.« »Ja um Himmels willen«, rufen die
Leute, »Sie meinen die Theaterpause!« »Ich meine nur«, sage ich, um die Leute zu beruhigen, »dass
wir unseren Kindern wieder mehr von Goethe erzählen sollten. Zum Beispiel, dass er sich in den
Ferien in Italien nicht auf den Boden geworfen und so lange herumgekreischt hat, bis man ihm den
verdammten Dinosaurier-Schwimmgurt kaufte!« »Sie weichen vom Thema ab«, sagen die Leute
und fügen hinzu: »Es ist
kein Verbrechen, wenn einem Goethe nichts bedeutet. Sie kennen dann wahrscheinlich eher diesen
Arnold Schwarzenegger?«
»Goethes Altersperiode«, sage ich schnell, »begann ja laut Lexikon mit dem Sturz Napoleons. Es ist
für mich ganz wichtig, das zu wissen.« »Und warum?«, fragen die Leute argwöhnisch. »Weil die
Altersperiode von uns Normalsterblichen«, sage ich, mit dem Sturz vom Randstein beginnt. Seine
aber - und das zeigt mir, dass er eine bedeutende Persönlichkeit war - begann wie gesagt mit dem
Sturz Nap« »Ersparen Sie uns diesen Kalauer!«, unterbrechen mich die Leute. »Goethe ist und
bleibt aktuell!«, rufen sie. Dann pudern sie sich die Haare und fahren ins Theater, wo gerade
»Iphigenie auf Tau- ris« gezeigt wird, ein topaktuelles Stück, in dem der Pudel einer
schwindsüchtigen Gräfin während des Dreissig- jährigen Krieges vollkommen durchdreht, weil er
den Kanonenlärm nicht erträgt. Nämlich beisst der Pudel dem bei der Gräfin zu Besuch weilenden
Baron de la Motte ein Stück Hand ab, worauf der Baron die berühmten Worte sagt: »Liebst du
mich?« Daraufhin beschwört die Gräfin in ihrem Boudoir hustend den Teufel, bietet ihm die Seelen
von zehn gefangenen Schweden, wenn er die Hand des de la Motte wiederherstellt, die dieser so
trefflich über ihren kranken Hals zu führen wusste. Am Schluss ersticht sich die Gräfin auf Rat des
Teufels mit einem Kerzenständer, wodurch sich das Stück noch ein bisschen in die Länge zieht.
»Es war eine eindrückliche Inszenierung«, sagen die Leute und klopfen sich den Staub von den
Achseln, »finden Sie nicht auch?« »Es war«, sage ich, »wie sieben Jahre im Militärgefängnis von
Istanbul, mit dem Unterschied, dass man dort wenigstens etwas zu essen kriegt.« »Ach, lecken Sie
uns doch am Arsch!«, sagen die Leute, aber sogar das wird ihnen zum Zitat.
GLAUBEN – RICHTIG BETEN

Viele Menschen kommen beruflich nicht vorwärts, haben schlechtaussehende Geschlechtspartner


und inkompetente Vermögensberater, sind oft in Auffahrunfälle verwickelt und landen am Schluss
in einer Talkshow als Beispiel für ein verpfuschtes Leben.
Diese Leute fragen sich dann: »Warum bin ausgerechnet ich ein so erfolgloses Mitglied der
Gesellschaft?« Sie sind es, weil sie entweder gar nicht oder aber kreuzfalsch beten. Ich möchte
heute zeigen, wie man es richtig macht. Besorgen Sie sich zunächst eine Taschenlampe, ein
Megaphon, eine stabile Obstkiste aus Holz und eine Fahrkarte nach Roma Termini.
Wenn Sie in Roma Termini angekommen sind, werden Sie feststellen, dass sich dort viel Gesindel
herumtreibt, arbeitslose Bettler, räuberische Jugendliche und homosexuelle Kammerdiener des
Papstes. Es gibt dort auch einen kleinen Brunnen, auf den man eine Obstkiste stellen kann. Tun Sie
das, steigen Sie auf die Kiste, breiten Sie den linken Arm aus, und rufen Sie auf italienisch in Ihr
Megaphon: »Ich bin ein armer Wanderer, der gekommen ist, in der heiligen Stadt das richtige Beten
zu lernen!« Daraufhin wird sich aus dem düsteren Knäuel des Bahnhofsgesindels ein älterer Herr
lösen und unter Tränen der Reue über seine Sünden auf den Knien zu Ihnen rut
sehen. Das ist einer der Kammerdiener des Papstes. Er wird Sie in den Vatikan führen. Irgendwo
links ist der Eingang zur Peterskirche. Gehen Sie hinein. Verstecken Sie die Taschenlampe in Ihrer
Unterhose. Stellen Sie dann die Obstkiste auf den Altar. Steigen Sie auf die Kiste, und rufen Sie ins
Megaphon: »Ich bin ein armer Wanderer, der auf einer Apfel leiste auf dem Altar des heiligen Petrus
steht, um das richtige Beten zu lernen!« Sie werden nun von Sicherheitskräften verhaftet werden;
man wird Ihnen das Megaphon und die Obstkiste abnehmen. Lassen Sie sich davon nicht
entmutigen, Sie haben ja noch die Taschenlampe. Im Verhör sollten Sie auf alle Fragen der
Polizeibeamten antworten: »Ohne mein Megaphon sage ich kein Wort.« Auf diese Weise erreichen
Sie es, dass man Sie zur vorübergehenden Verwahrung in eine psychiatrische Klinik überführt. In
der geschlossenen Abteilung werden Sie auf andere Patienten treffen.
Warten Sie, bis die Lichter gelöscht werden und alles dunkel ist. Treten Sie leise ans Bett eines
Paranoikers. Nehmen Sie die Taschenlampe aus Ihrer Unterhose, knipsen Sie sie an, und beleuchten
Sie ihr Gesicht von unten. Der Paranoiker wird eine schreckliche Fratze sehen und sich starr in
seinem Bett aufsetzen. Rufen Sie jetzt mit tiefer Stimme: »Ich bin der Wanderer! Lehre mich das
richtige Beten, oder mein Zorn wird dich zerschmettern!« Sie werden herausfinden, dass auch das
nichts nützt.
Am nächsten Tag wird Sie ein geschwätziger italienischer Chauffeur im Auftrag der Schweizer
Botschaft zum Flughafen Fiumicino fahren. Beamte werden Sie abtasten und Ihren letzten Besitz,
die Taschenlampe, konfiszieren. Mit leeren Händen werden Sie in Kloten landen und Ihr erfolgloses
Leben weiterführen. Ich werde trotzdem für Sie beten.

Weltall: Warum das Universum keucht und zittert


Seit der Raumfahrt des 77jährigen Raketenveteranen John Glenn plagt mich die Vorstellung, dass
das Weltall total überaltert sein könnte. Kein Witz! Allein in unserer Galaxie gibt es Abermillionen
von Sonnen, um die kleine Planeten herumschwirren! Sicher gibt es auf vielen von ihnen
abstossende, aber intelligente, krötenartige Wesen, die wie wir Euro-Amerikaner in
hochtechnisierten Gesellschaften leben. Diese gescheiten Kröten verfügen über eine allzu
lebensverlängernde High-Tech-Medizin und errichten gezwungenermassen gigantische
Seniorenheime, die man sich als vollklimatisierte Seerosenteiche vorstellen muss: Im Fernsehraum
schauen sich die betagten Ausserirdischen die Krimi-Serie »Kröterrick« an. Einzige Abwechslung
ist der monatliche Weltraumausflug zum Planeten Mainau 15, wo es Plasmacroissants ä discretion
gibt sowie fliegende Händler, die phosphoreszierende Rheumadecken verkaufen. Abends geht es
dann wieder heim in den Alterstümpel, und um 22 Uhr wird der Atomreaktor abgestellt. Gestern rief
mich ein Freund an. Er stotterte: »Glaub's
oder glaub's nicht, aber ich habe soeben ein Ufo gesehen!« Ich sagte ruhig: »Was du gesehen hast,
war nur eine extraterrestrische Ambulanzrakete, in der ein steinreiches krötenähnliches Wesen zum
teuersten Herzspezialisten der Milchstrasse geflogen wurde. Und solltest du morgen ein anderes
Ufo sehen«, fügte ich hinzu, »sitzt darin der Verein ehemaliger Aktivdienst-Laserkröten auf dem
Weg zum Altersturnen.« Jeden, der das für Science-fiction hält, möchte ich warnen: Auch in den
fernen, krötischen Hochkulturen hat es wahrscheinlich einmal ganz klein angefangen: zuerst ein
John Glenn, dann eine rollstuhlgängige Raumstation und am Schluss das beliebte Angebot
»Senioren-Aktivferien im schönen And- romedanebel«
Aber die Uno schläft wieder einmal! Kein Wunder: Das Bewusstsein für die Gefahren, die der Erde
etwa durch vergreiste ausserirdische Raumpiloten drohen, ist natürlich wenig entwickelt auf einem
Planeten, auf dem Neunzigjährige beim Autofahren einen Hut tragen dürfen, der ihnen, wenn sie
wieder einmal Bremse und Gas verwechselt haben, über die Augen rutscht, so dass sie in einen
Tankwagen mit hochexplosivem Flüssigbrennstoff hineinrasen. In kosmischen Dimensionen geht es
dann aber nicht bloss um ein paar verkohlte Passanten!
In diesem Augenblick kurven Tausende an Gedächtnisschwund leidende krötenköpfige John Glenns
in merce- des-ähnlichen Raumkarossen in der Nähe unseres Sonnensystems herum, und zwar nicht
mit Tempo 180, sondern mit annähernder Lichtgeschwindigkeit! Mit der Nase an der Sonnenwind-
Schutzscheibe versuchen sie zu erkennen, ob der Gegenstand, auf den sie zurasen, ein mit den
Kindern einer fremden Spezies übersähtes Gestirn ist oder doch nur ein Wasserstoffnebel. »Warum
ist denn dieser schöne blaue Planet da vorn explodiert?« fragen sie ihren ebenso alten Ko-Piloten.
»Weil du die Photonenbremse mit dem Plasmageschütz verwechselt hast«, wird dieser seelenruhig
antworten. Solche Unfälle gehören im überalterten Universum leider zum Alltag!

Visionen: Sie darf es unter keinen Umständen erfahren!


Gestern hatte ich eine anstrengende Vision. Ich wollte gerade damit beginnen, einen Rausch
auszuschlafen, als ich wie von fern ein Schluchzen hörte. In der Dunkelheit sah ich neben dem
Kleiderschrank undeutlich eine Gestalt. Sofort gab ich zwei Schüsse auf sie ab und rief dann:
»Selber schuld!«, denn in unserem Viertel wird oft eingebrochen.
Da erstrahlte die Gestalt plötzlich in überirdischem Scheinwerferlicht! Verdammt, hatte ich etwa die
Muttergottes getroffen? Dann erstarrte ich: »Liebe Güte«, sagte ich, »Sie sind doch die ...« »...
Königin der Herzen, ja«, flüsterte Lady Diana, Princess of Wales, in einem rosaroten Abendkleid
von Gaultier. Tränen rannen über ihre bleichen, aber attraktiven Wangen. Ich holte tief Luft. »Und
was führt Sie zu mir?« fragte ich betont sachlich. »Unsägliche Trauer«, flüsterte sie. »Wegen Ihres
Unfalls?« fragte ich. Sie schüttelte den Kopf: »Ihretwegen«, flüsterte sie, »denn Sie lieben mich
nicht. Die ganze Welt nimmt Anteil an meinem Schicksal, nur
Sie... Sie...« Die Prinzessin verstummte. Es war mir furchtbar peinlich, denn obwohl sie tot war,
hatte sie vollkommen recht. Nie habe ich mich für sie gebührend interessiert. Während sie sich
jahrelang mit diesem schrecklichen, von Ohren entstellten Charles auf Schlössern herumprügeln
musste, habe ich nur an meine Computerspiele gedacht, an die Musik und meine anderen blöden
Hobbies. Nicht ein einziges Mal habe ich in einer Illustrierten nachgeschaut, wie es der Prinzessin
gerade geht und ob sie eventuell Hilfe braucht. Schlimmer noch: Ohne die vielen Geisteskranken,
die plötzlich weite Teile Europas mit Blumen zupflasterten, hätte ich nicht einmal bemerkt, dass sie
gestorben war. Mein Gott, und als ich es wusste, war es mir fast schmerzhaft egal! »Das tut mir jetzt
wirklich leid«, sagte ich leise. »Wenn es doch nur stimmen würde«, flüsterte die Prinzessin
zweifelnd. Ich überlegte mir, wie ich sie ein bisschen aufheitern könnte. »Immerhin gibt es in der
Schweiz keine Landminen«, sagte ich, »das ist doch toll!« »Sie interessieren sich nicht für mich«,
sagte sie untröstlich. »Also gut«, sagte ich, »morgen kaufe ich das dickste Buch über Sie, das ich
finden kann, Ehrenwort!« »Ist das wahr?« fragte sie mit ihrem berühmten Augenaufschlag. »Und
werden Sie sich auch die fünfzig Sendungen zum Jahrestag meines Todes anschauen?« »Zwanzig«,
sagte ich. Sie trocknete ihre Augen mit einem durchsichtigen blauen Taschentuch und hauchte:
»Fünfundvierzig? Bitte sagen Sie ja.« »Dreissig, das ist mein letztes Angebot«, sagte ich.
»Einverstanden«, sagte sie, »dreissig plus eine <Moskito>-Kolumne über mich.« Sie streckte mir
ihre Hand hin. »Okay«, sagte ich und schlug ein. Wenn sie nicht so bemitleidenswert tot gewesen
wäre, hätte ich sie auf fünfzehn Sendungen ohne Kolumne runtergehandelt. »Erinnern Sie sich an
Ihr Versprechen«, wisperte sie und verschwand in einem gespenstischen Blitzlichtgewitter.
Also gut, Lady Diana, hier ist die Kolumne, und von den dreissig Sendungen habe ich schon 22
sehen dürfen. Zufrieden? (0 Gott, sie darf nie erfahren, wie wenig sie mich interessiert!)

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