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Ethik und Moral in Games – eine Unterrichtseinheit mit

Life is Strange

Life is Strange: Gewalt unter Schülern. © Dontnod 2015

Was ist gutes Handeln? Welches Handeln führt in einer bestimmten Situation zum Glück,
welches in die Irre? Solche philosophischen und religiösen Fragen werden in Medien seit
jeher behandelt. Auch Computerspiele sind keine Ausnahme. Für den Religionsunterricht
eignen sich manche Games eher als andere. Nach einer Einführung in das Thema wird eine
Unterrichtseinheit mit dem Computerspiel Life is Strange vorgestellt.

Ethik und Moral sind häufig Teil von Computerspielerzählungen. In Games verkörpern die
Spielenden oft eine moralisch höhere Instanz, die im Namen des Guten das Böse bekämpft,
die Ordnung wiederherstellt und die Welt rettet. Doch in den meisten Spielen sind die
Entwicklung des Helden und der Verlauf der Geschichte vorgegeben. Die Spielenden müssen
keine moralischen Dilemmata lösen wie etwa jenes, dass das Gute mitunter mit moralisch
fragwürdigen Mitteln durchgesetzt wird.

Moral-Meter-Games
Es gibt aber Ausnahmen. In Spielreihen wie Ultima, The Elder Scrolls, Fallout, Fable oder
Black & White verfügt die Heldin oder der Held über eine Art moralisches Konto oder
„Moral-Meter“. Die Spielenden haben die Freiheit, gut oder böse zu handeln und ihren
Moralwert dadurch in die eine oder andere Richtung zu entwickeln. Durch Hinweise ist
jeweils von vornherein klar, ob eine Handlung „gut“ oder „böse“ ist, wobei sich die
Spielentwickler an den eigenen kulturellen Grundwerten orientieren. Der moralische
Kontostand hat für den weiteren Spielverlauf Konsequenzen: Eine „böse“ Spielfigur nimmt
z.B. ein anderes Aussehen an als eine „gute“, hat andere Spielcharaktere als Freunde, erhält
andere Handlungsoptionen oder Kräfte usw.
Aus pädagogischer Sicht haben solche Moral-Meter-Spiele jedoch einen Haken: sie lassen
kaum über das Richtige und das Falsche nachdenken. Das hat mehrere Gründe. Manchmal
wird man als Spieler zum „Guten“ gezwungen, weil böse Taten durch eine wenig
nachvollziehbare Weise vom Spielsystem abgestraft wird. Im Rollenspiel Oblivion
beispielsweise bleibt ein gekauftes Pferd stets bei seinem Besitzer, während ein gestohlenes
sofort nach dem Absteigen aus jeder Ecke der Spielwelt zu seinem früheren Besitzer
zurücktrottet. Das macht keinen Spass, die Spielerin wählt das Gute, ohne je ein moralisches
Dilemma zu erfahren. Schwerwiegender aber sind die klare Benennung von Gut und Böse,
die Offenlegung des momentanen moralischen Zustands der Spielfigur sowie die
Quantifizierung von Moral. All dies bedeutet, dass die Gamer die Moral der Spielfigur
vollständig unter Kontrolle haben und böse Taten jederzeit durch gute ausgleichen können.
Damit fördern Moral-Meter-Spiele einen berechnenden Blick auf die Thematik. Es fällt den
Gamern nicht schwer, das Moralsystem zu durchschauen und für spielerische Experimente
und Vorteile auszunutzen.

Life is Strange: Den kriminellen Schüler Nathan verpfeiffen oder nicht? Jede Handlung hat
Konsequenzen. © Dontnod. Foto Autor.

Moral-Erzählung-Games
Einige Spiele jedoch gehen jedoch über das buchhalterische Management von Moral hinaus.
In Deus Ex wählt der Spieler jeweils die Vorgehensweise des Protagonisten: sollen die
Probleme umgangen, mit technischen Hilfsmitteln gelöst oder mit tödlicher Gewalt aus der
Welt geschaffen werden? Die hauptsächliche Vorgehensweise führt zu einem jeweils anderen
Ende des Spiels. Im Ego-Shooter BioShock muss die Spielerin entscheiden, ob sie ihren
Protagonisten ein Mädchen retten oder dessen Kraft „aussaugen“ und somit sterben lässt. Es
zu töten bringt den grösseren spielerischen Nutzen, als es zu retten. Erst das Ende des Spiels
zeigt, wohin das eigene Verhalten führt. In den Rollenspielserien Mass Effect und Dragon
Age kann der Protagonist egoistisch, rachsüchtig oder mitfühlend handeln, was teils über
Leben und Sterben von ans Herz gewachsenen Freunden entscheidet. Noch weiter geht
Heavy Rain, wo man als Vater eines entführten Jungen vom Entführer kontaktiert und
gezwungen wird, unmoralische Taten auszuführen, um das Leben des Sohnes zu retten – die
Spieler entscheiden, wie der Vater reagiert, und befinden sich konstant in der ethischen
Zwickmühle. Solche Spiele ziehen keine klare Linie zwischen „gut“ und „böse“, sondern
lassen die Gamer über ihr Handeln nachdenken und ihre Entscheidungen im Einklang mit
ihrem Gewissen abwägen.

Life ist Strange im Religionsunterricht


Eines dieser Mainstream-Spiele, die einen erzählerischen Ansatz im Umgang mit
moralischen Entscheidungen verfolgen, ist Life is Strange. Es ist ein Abenteuerspiel über
mysteriöse Ereignisse in Arcadia Bay, einer fiktiven Küstenstadt in den USA. Die Teenager-
Protagonistin Max Caulfield studiert Fotografie an der Blackwood Academy. Max ist kein
gewöhnlicher Teenager. Sie leidet unter Visionen und entdeckt dabei, dass sie die Zeit
zurückdrehen und auf diese Weise die eben vergangenen Augenblicke erneut durchleben
kann. Die Spielenden können diese Gabe einsetzen, um die alltagsrelevanten Probleme einer
Jugendlichen auf die eine oder andere Weise zu lösen. Oft sind ethische Entscheidungen zu
treffen, die unmittelbare Konsequenzen für den weiteren Spielverlauf haben.
Life is Strange eignet sich für einen pädagogischen Einsatz insbesondere aufgrund seines
(einigermassen) realweltlichen Settings mit heranwachsenden Protagonisten. Ausserdem läuft
das Spiel auf mehreren Plattformen und ist hinsichtlich der Technik und Steuerung wenig
anspruchsvoll. Die Spielinhalte sind gut zugänglich, die Episoden und Kapitel können einzeln
ausgewählt und gespielt werden. Die vorliegende Unterrichtseinheit bezieht sich
ausschliesslich auf die gratis erhältliche Episode 1. Die einzelnen Kapitel von Episode 1
dauern zwischen wenigen Minuten und einer halben Stunde und können jederzeit
unterbrochen werden, etwa um Aufgaben zu lösen oder Fragen zu beantworten. Die Inhalte
und Thematiken des Spiels legen einen Einsatz für OberstufenschülerInnen ab 14 Jahren
nahe.

Life is Strange: Unterricht in der Blackwood Akademie. © Dontnod. Pressefoto auf Steam
Die Behandlung von Life in Strange im Unterricht ermöglicht es, die darin aufgeworfenen
Fragen der Identität sowie der Ethik und Moral zu reflektieren. Zu diesem Zweck habe ich
sechs Spielsessionen mit Instruktionen, Aufgaben und Fragen erarbeitet. Idealerweise steht
jeweils eine Doppellektion zur Verfügung, damit für eine Spielsession ca. 30-40 Minuten
eingeplant werden können. In dieser Zeit werden einzelne Szenen und Kapitel gespielt. Die
SchülerInnen identifizieren sich dabei mit der Protagonistin Max Caulfield und werden mit
ethisch relevanten Problemen nicht nur theoretisch konfrontiert, sondern müssen diese für
Max abwägen und lösen, worauf sie die Konsequenzen erfahren. Vor jeder Entscheidung
helfen die auf Arbeitsblätter zu beantwortenden Fragen den Sachverhalt bewusst
wahrzunehmen und die Folgen abzuschätzen (Sachbezug). Nach dem Spielen lassen sich
diese moralischen Probleme vertiefen, indem eigene Haltungen und Handlungspräferenzen
(Selbstbezug) sowie die Lösungsansätze der christlichen Ethik (christlich-biblischer Bezug)
zur Sprache kommen (vgl. Lehrplan 21, ERG.1 und 2).
Die Unterlagen enthalten ein Konzept für die Unterrichtseinheit, das Möglichkeiten für die
Lernziele, die Vorbereitung und Organisation und den Ablauf einer Sitzung aufzeigt. Die
sechs Spielsessionen werden im Detail vorgestellt. Sie enthalten die jeweiligen Kapitel und
Szenen, die gespielt werden, Anweisungen für das effiziente Spielen sowie Aufgaben und
Fragen in den Bereichen Sachbezug, Selbstbezug und christlich-biblischer Bezug. Als
Material werden Arbeitsblätter zu den Spielsessionen sowie Hilfestellungen zum Spiel Life is
Strange – Links zu Spieltests, pädagogischen Beurteilungen, kommentierten
Spieldurchgängen auf YouTube, Auflistungen der ethischen Entscheidungen und deren
Konsequenzen im Spiel, Bezugsmöglichkeiten u.a. – mitgegeben.

Die Unterlagen finden Sie hier zur Nutzung

Literatur
Fischer, Max (n/a): „Moralische Entscheidungen in Computerspielen“. Spieleratgeber-
NRW.de.
Sauer, Anne (2010): „Emotionale Achterbahn“. Spielbar.de.
Schulzke, Marcus (2009): „Moral Decision Making in Fallout“. Game Studies 9, Nr. 2. .
Sicart, Miguel (2009): The Ethics of Computer Games. Cambridge (MA)/London: The MIT
Pres
Steffen, Oliver (2017): Gamen mit Gott. Wo sich Computerspiele und Religion begegnen.
Zürich: pano: 105-107
Yilanci, Kadir (n/a): „Moral & Ethik in Computerspielen“. Spieleratgeber-NRW.de.

Angaben zum Spiel Life is Strange


Life is Strange (Dontnod/Square Enix 2015)
Sprache: Englisch, dt. Untertitel
Plattformen: Windows Vista oder höher; Mac OS 10.11 oder höher; PlayStation 3/4; Xbox
360/One
USK-/PEGI-Alterskennzeichnung: Ab 12/16 Jahren
Offizielle Webseite

Autor
Oliver Steffen ist freischaffender Religionswissenschaftler und assoziierter Forscher am
Institut für Religionswissenschaft der Universität Bern

CC BY-NC-SA 3.0 Oliver Steffen | reli.ch, 27.6.17.


https://www.reli.ch/ethik-und-moral-in-games-eine-unterrichtseinheit-mit-life-is-strange/

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