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Padre Américo : ein portugiesischer Father

Flanagan

Autor(en): Doerig, A.

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Schweizer Schule

Band (Jahr): 39 (1952)

Heft 3: Ein portugiesischer Father Flanagan ; Kontroverse über ein


Schulgesetz II

PDF erstellt am: 10.01.2019

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-528222

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SCHWEIZER SCHULE
HALBMONATSSCHRIFT FÜR ERZIEHVKG U N D UNTERRICHT
ÖLTEN, 1. JUNI 1 9 5 2 NR. 3 39. JAHRGANG

PADRE AMÉRICO
Eïn portagiesisc/zer Paf/ier PZa/iögan
Eon Prof. Dr. aU Doerig, Sf. GaZZen

Die Gestalt des amerikanischen Father mer bestehenden sozialen Mißstände wer-
Flanagan, der mit seiner Boys' Town mit den nur allzu gerne von Außenstehenden
Recht Weltruhm erlangte, ist uns nament- der Kirche unterschoben und bieten der
lieh durch den Film vertraut geworden. Demagogie äußerst willkommene und lei-
Und wir haben allen Grund, stolz auf ihn der nicht immer grundlose Angriffsflä-
zu sein. Father Flanagan hat der katlioli- chen. Der zahlenmäßige Anteil der Katho-
sehen Kirche in Amerika sehr viele Freun- liken an der Bevölkerung ist eher irrefüh-
de gewonnen, die ihr vorher verständnislos, rend. Wenn etwa 20—25 Prozent wirklich
um nicht zu sagen feindselig, gegenüber- praktizieren, so dürfte das nicht zu tief
standen. Father Flanagan wie seinerzeit gegriffen sein. Schon die Zahl der Geistli-
Don Bosco beweisen, daß moderne Erzie- chen ist aufschlußreich. Wie mir ein portu-
hungsmethoden und soziales Verständnis giesischer Bischof versicherte, trifft es auf
durchaus ihren Platz in der Kirche haben. 7000—8000 (Tausend!) Gläubige einen
Weniger bekannt bei uns dürfte das Priester. Die sehr kirchenfeindliche Politik
Werk des portugiesischen Priesters P. Arne- der Republik bis vor wenige Jahre vor Sa-
rico sein. In Portugal, das wohl zu 95 Pro- lazar (1910—1926) und ein Klerus, der sich
zent katholisch ist, sind solche Gestalten zur Zeit der Monarchie, als Kirche und
wie die des P. Américo noch dringender Staat noch nicht getrennt waren, mehr als
notwendig als in den mehrheitlich prote- Beamter, denn als Priester fühlte, ha-
stantisclien Fändern. Die trotz aller Bemü- ben dent kirchlichen Feben ungeheuren
Illingen des herrschenden Regimes noch im- Schaden zugefügt, der noch keineswegs ver-

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I Die »Schweizer Schule« im Urteil der Schulpraktikcr I
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EIN AUSLÄNDISCHER METHODIKER ^
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heilt ist. Die traditionelle Erziehung des Küche, Eßraum und die Direktion unter-
heranwachsenden Klerus, getrennt von den gebracht sind. Ein anderes Gebäude belier-
übrigen Berufen, ist keineswegs geeignet, bergt eine Primarschule, an der zwei vom
die Volksverbundenheit und Achtung der Staat bezahlte Lehrkräfte wirken. Ein drit-
Geistlichkeit zu stärken. Um so stärker ist tes dient der handwerklichen Ausbildung
die Initiative des Lissaboner Kardinalspa- mit Werkstätten für Schreiner, Schuluna-
triarchen zu schätzen, besondere Kurse für eher und Schneider. Das Leben wickelt sich
Spätberufene einzurichten, die bereits ein sehr einfach ab. P. Américo huldigt dem
nichttheologisches Studium hinter sich lia- Grundsatz, daß nur eine wirklich freiheit-
ben. liehe Erziehung die gefährdete Jugend zu
P. Américo hat zwar dieses Seminar wertvollen Menschen und Staatsbürgern
nicht durchlaufen, ist aber ein Spätberufe- machen kann. Keine Mauern, keine Gitter,
ner. Sehr begütert von Hause aus, lebte er keine Wächter. Nur dann gewöhnen sie sich
das Leben des hemmungslosen Genießers an die Freiheit, wenn man ihnen Vertrauen
der jeunesse dorée, besonders der männli- entgegenbringt. W as verschlägt's, wenn der
eben, die weniger soziale Schranken kennt eine oder andere auf die Gasse zurückkehrt.
als die weibliche. Mit 40 Jahren packt ihn Die meisten von diesen Rückfälligen keh-
eine Gewissenskrise. Er tritt in ein Fran- ren über kurz oder lang in die Casa do
ziskanerkloster ein, aber sein Tätigkeits- Gaiato zurück. Es verrät den wirklichen
drang fühlt sich eingeengt, und er macht Erzieher, daß P. Américo in solchen Fällen
das übliche Theologiestudium im Seminar tut, als ob er ihre Abwesenheit nicht be-
von Coimbra. Nach seiner Priesterweihe merkt habe. Das wurden nachher gerade die
konzentriert er sich auf eine besondere Auf- Elemente, auf die er sich am meisten ver-
gäbe: Fürsorge für die aus den Besserungs- lassen kann. Das W erk gehört den Buben.
anstalten entlassenen männlichen Jugend- P. Américo erzieht sie zur echten Demo-
liehen, die gerade dann der Obhut und Lie- kratie. Die Buben eines jeden Pavillons er-
be besonders bedürfen. Dies führt ihn zur wählen ihren maioral (Chef), und zwar
Gründung der Cosa do Gaiato (Haus des vollkommen frei. Die W äliler der Erwähl-
Straßenbuben), die beute in ganz Portugal ten müssen jedoch lesen und schreiben
bekannt ist. können. Interessant ist der Amtszwang.
Der Staat kam seinen Bestrebungen in- Niemand kann ein Amt ausschlagen. P.
sofern entgegen, als er ihm ein leerstehen- Américo geht von dem Gedanken aus, daß
des Kloster in der Nähe von Porto zur Ver- man nicht Bescheidenheit vorschützen dür-
fügung stellte. P. Américo erweiterte die fe, wenn es sich darum handle, Verantwor-
Zweckbestimmung seines Werkes in dem tung und Arbeit zu übernehmen. Das ist
Sinn, als er sich sagte, daß Vorbeugen bes- Erziehung zur Gemeinschaft im besten Sin-
ser sei als Heilen. Er nahm verlassene, ge- ne des W ortes.
fährdete oder straffällige Jugendliche auf W enn die Buben ihre Ausbildung genos-
nach dem Auswahlprinzip: »Je schlimmer, sen haben, werden sie durchaus nicht dem
desto besser.« Schicksal überlassen. P. Américo verwen-
Sein W erk wuchs zusehends. Um den Fa- det sich persönlich dafür, daß sie bei an-
milien- und Gruppengeist zu entwickeln ständigen Arbeitgebern untergebracht wer-
und eine Vermassung zu verhüten, errieb- den. Für diese im Arbeitsprozeß Stehenden
tete er etwa 10 Pavillons mit 15—16 Buben, hat er ein eigenes Heim gegründet, wo sie
wo sie eine Art Selbstverwaltung ausüben. wirklich zu Hause sind.
Außerdem besitzt die Institution drei Ge- P. Américos Fürsorge erstreckt sich auch
bäude in der Stadt Porto. Eines, wo eine auf die Familiengründung. Es scheint mir
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ein erzieherisch sehr weiser Gedanke zu Stempel seiner Persönlichkeit, als daß ihm
sein, daß er die jungen Familien in den die Einmischung von Monsieur le Bureau
portugiesischen Kolonien unterzubringen gut täte. Darin liegt natürlich eine Gefahr.
sucht. Dieser Milieuwechsel wird den nun- Es stellt sich nämlich das Problem: Wer
mehr ganz auf sich gestellten jungen Leu- wird das Werk weiterführen, wenn P. Arne-
ten wesentlich helfen, die in der Erziehung rico nicht mehr ist? Vorläufig bettelt er die
des »Gaiato« erworbenen Grundsätze zu Gelder selbst zusammen und bringt mit
stabilisieren. dem Verkauf einer Wochenzeitung, worin
Welches sind die wirtschaftlichen Grund- er vom Leben seiner Buben fortlaufend be-
lagen dieser Obra dos rapazes, para os ra- richtet, hübsche Summen zusammen, wie
pazes e pelos rapazes (Werk der Buben, für Don Bosco einst mit seinen Büchern. Es ist
die Buben und von den Buben) Der Staat durchaus denkbar, daß aus der Zahl der
beteiligt sich nur sehr beschränkt an die- von ihm aus der Gosse geholten Buben ein
sern großartigen Werk. Es würde P. Arne- würdiger Nachfolger erwächst. Vorläufig
rico kaum schwer fallen, noch mehr Staat- braucht man sich darüber noch keine Ge-
liehe Unterstützung zu erhalten oder es danken zn machen: denn P. Américo ist ein
ganz zu verstaatlichen. Aber es entspricht energiegeladenerFünfziger und dürfte nach
durchaus dem portugiesischen Individua- menschlichem Ermessen noch Großes lei-
lismus, daß er das gar nicht will. Größere sten. Portugal, das ehrlich bemüht ist, seine
staatliehe Unterstützung würde automatisch sozialen Unebenheiten abzutragen, darf
größere staatliche Kontrolle nach sich zie- sich glücklich schätzen, einen so providen-
hen. Das würde Bürokratie bedeuten, und tiellen Mann wie P. Américo zu besitzen,
P. Américos Werk trägt allzu sehr den einen portugiesischen Father Flanagan.

KONTROVERSE ÜBER EINE FRAGE KATH. SCHULPOLITIK II


RÜCKBLICK AUF DEN NEUESTEN SANKTGALLISCHEN SCHULKAMPF
Kon -r-
Mit dem Palmsonntag 1952 ist die Refe- folgende Delegiertenversammlung der Par-
rendumsfrist für das neue sanktgallische tei in Wil das Referendum gegen das grund-
Erziehungsgesetz unbenützt verstrichen. sätzlich unbefriedigende Gesetz nicht er-
Ein wenig erfreuliches Kapitel der sankt- greifen würde, und ein Referendum auf
gallischen Schulgeschichte hat damit sei- privater Basis mußte sich aus verschiede-
nen Abschluß gefunden. nen Gründen als untragbar erweisen. Am/
Die katholisch-konservativen Kantons- diese H eise /ieZ dem sanktgaZZisc/iera Frei-
räte, welche die weitaus stärkste Fraktion sinn einer der größten AnZturpoZifiseZien
des sanktgallischen Großen Rates bilden, Z?r/oZge in der Z>isiierigen GescZneZife unse-
hatten schon in der Endphase der großrät- res jungen Kantons Zcamp/Zos in den ScZioß:
liehen Verhandlungen das Bild einer be- er brachte ohne Referendinn und ohne
dauerlichen inneren Unsicherheit und Volksabstimmung ein Erziehungsgesetz un-
Spaltung geboten, indem die einen für und ter Dach, das in den wesentlichen weltan-
die andern gegen das Gesetz stimmten und schaulichen Belangen den Forderungen der
wieder andere sich der Stimme enthielten. alten freisinnigen Schulpolitik Rechnung
Somit war vorauszusehen, daß die darauf trägt.
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