Sie sind auf Seite 1von 8

Ausgekochter Stahl

für das Auto von morgen


Am Düsseldorfer Max-Planck-Institut für Eisenforschung haben Werkstoffwissenschaftler
um Georg Frommeyer Leichtbaustähle entwickelt, die besonders fest und zugleich dehnbar
sind. Ihr geringes spezifisches Gewicht und die mechanischen Eigenschaften machen sie
zum idealen Werkstoff für die Fahrzeugindustrie.

22 MaxPlanckForschung Spezial | 09
MOBILITÄT_Eisenforschung

TEXT TIM SCHRÖDER

W
enn man ans Stahlko- erkannt, dass ihnen Aluminium und
chen denkt, stellt man neue Materialien wie Magnesium oder
sich wohl für gewöhn- Kunststoffe zunehmend Konkurrenz
lich mächtige Hoch- machen. Um im Rennen zu bleiben,
öfen vor, in denen rot müssen sie die Stähle leichter, fester und
glühende Metallschmelze vor sich hin verformbarer als die Konkurrenzpro-
brodelt. Hat sie die richtige Temperatur dukte machen.
erreicht, wird sie einfach abgegossen
und flugs in eine neue Form gebracht. EIN WERKSTOFF, DER NOCH
So scheint es. Doch die Stahlprodukti- NICHT AUSGEREIZT IST
on ist mehr als überdimensioniertes
Bleigießen. Sie ist im wahrsten Sinne Stahl besteht zum großen Teil aus Ei-
des Wortes mit der hohen Schule des sen. Seine unterschiedlichen Eigen-
Kochens vergleichbar. Um einen Stahl schaften erhält er unter anderem durch
mit bestimmten Eigenschaften herzu- Zugabe, Legieren, verschiedener Metal-
stellen, bedarf es der richtigen Zutaten, le wie Mangan, Nickel und Chrom. So
des richtigen Rezepts und der Kreativi- entstehen rostfreie Stähle, hoch- oder
tät der Stahlkocher. gar höchstfeste Stähle – der richtige
Georg Frommeyer ist einer dieser Werkstoff je nach Anwendung. An
findigen Stahlexperten. Am Düsseldor- Stähle für Karosserien stellen die Auto-
fer Max-Planck-Institut für Eisenfor- hersteller besondere Anforderungen.
schung hat der Professor für Werkstoff- Sie sollen stabil genug sein, um das Ge-
technik mit seinen Mitarbeitern wicht des Fahrzeugs zu tragen, ohne
Stahltypen entwickelt, die von großen sich zu verformen oder zu schwingen.
Stahlkonzernen als „deutlicher Entwick- Sie sollen starr genug sein, um die In-
lungssprung“ bezeichnet werden. Diese sassen bei einer Kollision wie eine
Stähle sind zugleich sehr leicht, extrem Schutzhülle zu umgeben, zugleich sol-
stabil und besonders dehnungsfähig. len sie sich beim Unfall kalkulierbar
Damit eignen sich diese, wie es am Max- verformen, um die Aufprallenergie zu
Planck-Institut heißt, „hochfesten sup- schlucken.
raduktilen TWIP/TRIP-Leichtbaustähle“ Zwar lassen sich nicht alle Eigen-
vor allem für die Fahrzeugindustrie. schaften mit einem einzigen Werkstoff
Ganz gleich ob Auto oder Eisen- erreichen, aber die Stähle aus den Düs-
bahn, stets geht es darum, die Verkehrs- seldorfer Max-Planck-Laboren sind
mittel zugleich stabiler, leichter und si- wahre Multifunktionswerkstoffe, die
cherer zu machen. Zum einen sollen die immerhin einige Funktionen überneh-
Karosserien Insassen bei Unfällen im- men. „Vor wenigen Jahren noch ging
mer besser schützen. Zum anderen wol- die Fachwelt davon aus, dass die Eigen-
Foto: Frank Vinken

len die Ingenieure sie möglichst leicht schaften von Stählen bereits weitge-
konstruieren, um den Kraftstoffver- hend ausgereizt sind“, sagt Frommeyer.
brauch und die Abgasemissionen zu „Durch Zulegieren anderer Elemente
xxx

senken. Die Stahlhersteller haben längst ließen sich bereits eine Vielzahl von

Spezial | 09 MaxPlanckForschung 23
Betrieb wie im Stahlwerk: Funktionen einstellen.“ Die Max- schern thermodynamische Berechnun-
Am Max-Planck-Institut für Eisen- Planck-Forscher waren aber davon gen. Daraus folgerten sie, dass sich für
forschung kochen und gießen
überzeugt, dass sich aus dem altbe- die Entwicklung der neuen Leicht-
Wissenschaftler bis zu zentner-
schwere Stahlproben. währten Werkstoff noch mehr heraus- baustähle vor allem eine Kombination
holen lässt – zunächst nur aufgrund aus Mangan, Silizium und Aluminium
theoretischer Überlegungen und ihrer eignen müsste. Zum einen sind diese
langjährigen Erfahrung. Elemente leichter als Eisen, zum ande-
ren zwingen sie das Kristallgitter in
LEICHTBAUSTÄHLE, DIE SICH bestimmte Strukturen: Eisen kann zwi-
BERECHNEN LASSEN schen verschiedenen Kristallanordnun-
gen wechseln. So gibt es eine kubisch
Die Eigenschaften verschiedener Stäh- flächenzentrierte Anordnung – die von
le hängen zum einen von ihren Kristall- Fachleuten auch als Austenit bezeich-
gitterstrukturen ab, also der räumlichen net wird. Die Eisenatome sitzen hier auf
Anordnung der Atome in den winzigen den Ecken des Kristallgitterwürfels, und
Kristallen, dich sich beim Abkühlen ei- zusätzlich besetzt je ein Atom die Mit-
ner Schmelze bilden. Zum anderen wer- te jeder Würfelfläche.
den die Qualitäten von dem Gefüge be- Des Weiteren existiert die kubisch
stimmt, das die Kristalle bilden und das raumzentrierte Variante. Hier ordnen
seinerseits von deren Struktur abhängt. sich die Eisenatome wiederum auf den
Durch Zugabe der Legierungselemente Würfelecken an. Zusätzlich findet ei-
bilden sich bestimmte Kristallstruktu- nes im Zentrum des Würfels Platz. Im
ren bevorzugt aus. Werkstoffforscher hexagonalen Typ verteilen sich die Ei-
Foto: Wolfgang Filser

sprechen von energetisch begünstigten senatome in Sechseck-Form. Sowohl


Kristallgitterstrukturen. So lässt sich der die kubisch raumzentrierte als auch die
Charakter des Stahls feinjustieren. hexagonale Form werden auch als
Welche Kristallstrukturen energe- Martensit bezeichnet. Je nachdem wie
tisch günstig sind, verraten den For- groß die Gehalte der einzelnen Legie-

24 MaxPlanckForschung Spezial | 09
MOBILITÄT_Eisenforschung

TRIP-Stahl TWIP-Stahl TRIPLEX-Stahl

1 2 3

10 μm 20 μm
M-500:1 100 μm 100 nm

Die verschiedenen Mikrostrukturen der Trip-, Twip- und Triplex-Stähle sind im Lichtmikroskop
(1 und 2) sowie im Rasterelektronenmikroskop (3) zu erkennen.

rungselemente – der fremden Atome 1100 MegaPascal. Das entspricht in mer Schmelztöpfen zeichnet sich auch
im Kristallgitter – sind, verändert sich etwa dem Gewicht von zehn Elefanten- herkömmlicher Trip-Stahl durch eine
das Kristallgitter und somit der Cha- bullen auf einer Briefmarke. hohe Festigkeit von bis zu 700 Mega-
rakter des Stahls. Pascal aus. Ihre Dehnbarkeit hingegen
In den großen Werkshallen des KIPPENDE KRISTALLSTRUKTUR ist mit rund 35 Prozent eher moderat.
Max-Planck-Instituts kochen die Wis- MACHT STAHL DEHNBAR Ihr Verhalten – Dehnung bei gleichzei-
senschaftler ihre verschiedenen Stahl- tiger Verfestigung – ist auf Umformun-
legierungen und untersuchen die Vari- Herkömmliche höherfeste Karosserie- gen im Kristallgitter zurückzuführen.
anten. Mannshohe Schmelzanlagen stähle reißen bereits bei etwa 700 Me- Werden Kräfte auf den Stahl ausge-
stehen dort. Mehr als zentnerschwere gaPascal. Verblüffend war auch das Ver- übt, kippen die Kristallgitter aus der
Gussblöcke lassen sich mit unterschied- halten von Stahl mit einem Anteil von kubisch flächenzentrierten Austenit-
lichen Schmelzverfahren herstellen 25 Prozent Mangan und jeweils 3 Pro- struktur in die kubisch raumzentrierte
und anschließend zu Blechen auswal- zent Aluminium und Silizium (MnAlSi – den Martensit. Diese kollektive Sche-
zen. An anderen Maschinen testen 25 3 3). Zwar verfestigte der sich nicht rung der Kristallgitterebenen bewirkt
Techniker fingerbreite Stahlproben. Die so stark. Er ließ sich aber um etwa 90 letztlich die Dehnbarkeit im herkömm-
werden in eine Art Schraubstock einge- Prozent in die Länge ziehen, ohne zu lichen Trip-Stahl.
spannt und gedehnt: Wie stark gibt der zerreißen. Frommeyer: „Eine solche Bereits für die Produktion der Autos
Stahl nach? Wann reißt er? Duktilität, Dehnbarkeit, erreicht nicht ist das von großer Bedeutung, denn Ka-
Die Messwerte für die neu entwickel- einmal Gold, das als ausgesprochen rosserie-Bleche werden zumeist mit
ten Stähle waren überwältigend. Die duktil gilt. Bei 60 Prozent Dehnung ist dem sogenannten Tief- oder Streckzie-
Fotos: MPI für Eisenforschung (3)

Stähle erwiesen sich als extrem fest und da Schluss.“ hen umgeformt. Dabei wird ein Blech
zugleich sehr dehnbar, vor allem Stahl Die neue Legierung ähnelt den in eine Presse gelegt und in die richti-
mit einem Gehalt von 15 Prozent Man- Trip-Stählen, die seit etwa zehn Jahren ge Form gedrückt. Je dehnbarer ein
gan und jeweils drei Prozent Alumini- auf dem Markt sind. Trip steht für Stahl, desto eher macht er die Verfor-
um und Silizium. Er lässt sich um mehr transformation induced plasticity, zu mung mit, ohne zu zerreißen. Aller-
als 50 Prozent dehnen. Zugleich ver- Deutsch: durch Kristallgitter-Transfor- dings verwandelt sich beim herkömm-
festigt er sich stark, ohne zu zerreißen. mation induzierte plastische Verform- lichen Trip-Stahl bereits während des
Er widersteht Spannungen von bis zu barkeit. Wie die Stähle aus den Mülhei- Tiefziehens eine gewisse Menge des

Spezial | 09 MaxPlanckForschung 25
MOBILITÄT_Eisenforschung

oben Stahl im Test: Um das Verformungs- und Bruchverhalten zu prüfen, werden ein weicher
IF-Stahl – quasi Reineisen mit wenig Kohlenstoff und Phosphor -, ein herkömmlicher
Trip-Stahl (Mitte) und Twip-Stahl im Fallturm gestanzt.
rechts
oben Die Stahlprobe glüht noch, während Georg Frommeyer sie vom Ofen zum Walzwerk bringt.
rechts Die Versuchshalle am Düsseldorfer Max-Planck-Institut stellt eine Mischung aus Labor
unten und Werkhalle dar.

Austenit-Anteils in seine martensiti- So behält der Stahl auch nach dem Tief- ten die Kristallbereiche gespiegelt er-
sche Form – jene feste Kristallstruktur, ziehen ein gute Portion Dehnungsver- scheinen. Experten sprechen von Zwil-
die sich kaum noch dehnen lässt. Für mögen. Bis zu 35 Prozent kann sich das lingsbildung. Und die macht sich von
den Fall eines Crashs bleiben nur etwa Material bei einem Aufprall noch ver- außen als extreme Dehnung bemerkbar.
fünf Prozent Dehnungsreserve übrig. formen, ehe es versagt. So eignet sich
Frommeyers Stahl beispielsweise für DEHNBAR DANK DER ZWILLINGE
DOPPELTE RESERVE SCHÜTZT den Seitenaufprall-Schutz. Das Material
BEIM SEITENAUFPRALL gibt nach und federt die Wucht des Auf- Für die Werkstoffforscher bestand die

Fotos: Institut für Kraftfahrzeuge, Aachen (3, diese Seite), Frank Vinken (2, rechte Seite)
pralls ab. Zugleich verfestigt es sich ex- Herausforderung darin, diesen Mecha-
Auch der Stahl aus Düsseldorf hat Trip- trem stark. So wird verhindert, dass die nismus zu erleichtern. Denn um einen
Eigenschaften. Dank der besonderen Seitenteile zu stark nachgeben und die Zwilling zu bilden, muss die sogenann-
Legierungszusammensetzung, der im Fahrzeuginsassen verletzt werden. te Stapelfehler-Energie aufgebracht
Eisenkristall gelösten Mangan-, Silizi- Die besondere Dehnbarkeit der Le- werden – eine Art Zündtemperatur. Ist
um- und Aluminium-Atome, verfügt gierung mit einem Mangan-Gehalt von die erforderliche Stapelfehlerenergie
dieser aber über einen doppelten Trip- 25 Prozent lässt sich mit dem doppelten zu hoch, bleibt die Zwillingsbildung
Effekt. Er besitzt also eine Art doppel- Trip-Effekt indes nicht erklären. „Die aus. Wird der Stahl gedehnt, verschiebt
ter Dehnungsreserve. Der Grund: Die Ursache liegt hier in kleinen Fehlern im sich der Kristall stattdessen an Verset-
Legierungselemente ermöglichen zwei Kristall – den sogenannten Stapelfeh- zungen, ungeordneten mikroskopisch
martensitische Umwandlungen. Wir- lern“, erläutert Frommeyer. Stapelfehler kleinen Kristallbaufehlern. So lässt
ken Kräfte auf den Stahl, etwa beim kann man sich als Verschiebung in re- sich der Stahl zwar ebenfalls verfor-
Tiefziehen, wandelt sich der Austenit gelmäßig aufeinandergestapelten Atom- men. Die Dehnung aber ist wesentlich
zunächst zumindest teilweise in die lagen vorstellen. geringer, da sich die Versetzungen
hexagonale martensitische Stufe um. An einem solchen Stapelfehler kann nach kurzer Zeit blockieren und gegen-
Wird der Stahl ein zweites Mal bean- eine Kristallstruktur umklappen, sodass seitig an der Ausbreitung hindern. Der
sprucht, kippt das hexagonale Gitter sich die Kristallebenen ab der Verschie- Werkstoff reißt.
in die endgültige kubisch raumzent- bung genau in umgekehrter Reihenfol- Wie sich zeigte, ist die Stapelfehler-
rierte Form – wie beim herkömmlichen ge stapeln. Beim Umklappen entsteht Energie in der MnAlSi-25-3-3-Legierung
Trip-Stahl. eine Spiegelebene, auf deren beiden Sei- so weit herabgesetzt, dass die Zwillings-

26 MaxPlanckForschung Spezial | 09
Spezial | 09 MaxPlanckForschung 27
MOBILITÄT_Eisenforschung

links Das Ergebnis der Fallturm-Tests in der Seitenansicht:


IF-Stahl wird um sechs Zentimeter ausgebeult. Herkömmlicher
Trip-Strahl reißt, weil er zwar sehr fest aber nicht sehr dehnbar
ist. Der Twip-Stahl aus Frommeyers Ofen trägt nur eine zwei
Zentimeter tiefe Delle davon, weil er die Aufprall-Energie besonders
gut absorbiert.
rechts Zerreißprobe: Georg Frommeyer betrachtet ein Blech, das zu
einer Hohlkugelkalotte gezogen wurde, bis der erste Riss auftrat.
Das schwarze Netz zeigt, wo die Dehnung am stärksten ist.

bildung rasch einsetzt. Bereits bei Kräf- gie-Aufnahmevermögen ist dahin. Für Entwicklungsabteilungen internationa-
ten um die 300 MegaPascal beginnt die Automobilhersteller ist gerade die ler Stahlkonzerne wie ArcelorMittal,
sich der Stahl plastisch zu verformen. schnelle Dehnungsfähigkeit des Twip- Hoechst-Alpine, BAO Steel in China
Experten sprechen vom Twip-Effekt, Stahls von großem Interesse. und NIPON Steel in Japan sowie Unter-
kurz für twinning induced plasticity: So kooperiert Frommeyers Arbeits- nehmen in Südkorea an der prakti-
durch Zwillingsbildung induzierte gruppe seit längerer Zeit mit verschie- schen Verwendung dieser Stähle.
Plastizität. denen Automobilherstellern wie der Unter der Bezeichnung Trip-Stahl
BMW AG, der Daimler AG, der Volks- werden sie jedoch nicht ausgeliefert.
VIELE KOOPERATIONEN MIT wagen AG und dem Ford Forschungs- Schließlich verhalten sie sich deutlich
DER AUTOINDUSTRIE zentrum in Aachen. An Prototypen und anders als herkömmliche Trip-Stähle.
verschiedenen Karosseriebauteilen wer- Letztlich hat die neue Klasse hochfester
Auch der Twip-Effekt spielt für Fahr- den dort Tiefziehfähigkeit und andere Stähle mit den klassischen Trip-Quali-
zeugstähle eine große Rolle. Ein Auto be- Eigenschaften getestet. Zu den Partnern täten nur noch wenig gemein. Die Salz-
sitzt – zum Beispiel im Motorraum – ver- gehören auch die Salzgitter AG und die gitter AG wird sie deshalb unter der Be-
schiedene Crashbauteile, die sich bei ThyssenKrupp Stahl AG. zeichnung HSD-Stahl (High Strength
einem Aufprall zusammenfalten. Sie „Wir sehen das große Potenzial bei and Ductility – hohe Festigkeit und
müssen viel Energie absorbieren. Und den Twip/Trip-Stählen. Zum einen auf- Duktilität) auf den Markt bringen.
genau das können die Twip-Stähle durch grund der Kombination aus Festigkeit, „Neben den genannten hervorra-
Fotos: Institut für Kraftfahrzeuge, Aachen (3)

ihre einzigartige Dehnungsreserve. Duktilität und Dichte. Zum anderen genden mechanischen Eigenschaften
Beinahe noch wichtiger, ist ihre Fä- gibt es ein riesiges Marktinteresse“, sagt besitzen diese Stähle eine um fünf bis
higkeit, Kräfte extrem schnell aufzu- Hans Fischer, Vorstand Stahl bei der sechs Prozent geringere Dichte“, sagt
nehmen. Selbst bei einem Aufprall mit Salzgitter AG. Dafür hätten Frommeyer Matthias Niemeyer, Geschäftsführer
hoher Geschwindigkeit setzt der Twip- und seine Mitarbeiter eine hervorragen- der Salzgitter Mannesmann Forschung
Effekt ein. Die Bewegung von Verset- de Grundlage gelegt. GmbH. Den Automobilherstellern bie-
zungen hingegen ist geschwindigkeits- Auch im Ausland geht die For- tet sich damit ein ganz neuer Leicht-
abhängig. Je schockartiger der Aufprall, schung an diesen Stahlklassen weiter. bauwerkstoff. Letztlich macht die Ka-
umso weniger setzen sie sich fort. Im Dort arbeiten Werkstoffwissenschaftler rosserie gut ein Viertel des gesamten
Extremfall reißt der Stahl – das Ener- in den Forschungslaboratorien und Fahrzeuggewichts aus. Unterm Strich

28 MaxPlanckForschung Spezial | 09
wird sich durch den Einsatz von HSD- Stahl-Leichtgewicht entstanden, der
Stählen folglich deutlich Gewicht ein- Triplex-Stahl. Dafür erhielten die Max- GLOSSAR
sparen lassen, so die Experten. Planck-Forscher im Rahmen des Stahl-
Innovationspreises 2009, den das Stahl- Trip-Effekt
Durch Transformation induzierte
INNOVATIONSPREIS FÜR Informations-Zentrum vergibt, den ers-
Plastizität: Unter Belastung ändert sich
JÜNGSTE STAHLENTWICKLUNG ten Preis in der Kategorie „Stahl in die Kristallstruktur – etwa vom Austenit
Forschung und Entwicklung“. Triplex- zum Martensit –, so dass die Dehnbarkeit
Zum einen sind diese Stähle dank der Stahl enthält drei Phasen: Austenit, Fer- erhöht wird.
geringen Dichte ihrer Legierungsele- rit – eine weitere Variante des Eisens – Twip-Effekt
mente ausgesprochen leicht. Zum an- sowie fein und homogen verteilte Na- Durch Zwillingsbildung induzierte
deren sind sie zwar nicht so steif, aber nopartikel, Carbide. Georg Frommeyers Plastizität: Unter Belastung klappt die
Kristallstruktur an einem Stapelfehler um,
immerhin etwa doppelt so fest wie die ehemaliger Mitarbeiter Udo Brüx, der und es bildet sich ein Zwilling. Dieser Pro-
derzeit verwendeten höherfesten Karos- heute im Ford Forschungszentrum ar- zess absorbiert sehr viel Aufprallenergie.
seriestähle. Die neuen Twip/Trip-Stäh- beitet, hat den Stahl maßgeblich mit- Stapelfehler
le lassen sich also in dünneren Blech- entwickelt. Unregelmäßigkeit in der Abfolge der
stärken verbauen. Triplex-Stahl ist noch einmal acht Atomlagen in einem Kristall.
Wie hoch die Gewichtseinsparung bis zehn Prozent leichter als seine Twip/ Kristall-Zwilling
am Ende sein wird, kann Niemeyer Trip-Vettern. Doch was seine Eigen- Tritt auf, wenn sich die Abfolge der Kristall-
derzeit noch nicht genau sagen. Denn schaften betrifft, kann er locker mithal- ebenen an einem Stapelfehler umkehrt –
etwa von ABC in CBA. Es entstehen
je nachdem wo die Automobilprodu- ten. Er ist härter als Twip- und dehnba-
zwei Kristalle, die symmetrisch von einer
zenten das Material einsetzen, liegt der rer als Trip-Stahl. Das liegt vor allem an gemeinsamen Ebene aus wachsen.
Wert höher oder niedriger. „Derzeit den fein verteilten Carbiden, die Auste-
gehe ich von einer Gewichtseinspa- nit- und Ferritbereiche leicht gleiten
rung zwischen 10 und 20 Prozent aus, lassen. Noch müssen Werkstoff und Her-
Foto: Frank Vinken

wobei für manche Bauteile auch bis zu stellungsverfahren optimiert werden. In


30 Prozent möglich sind“, sagt er. wenigen Jahren aber dürfte der Triplex-
In jüngster Zeit ist am Düsseldorfer Stahl in der Automobilherstellung ein
Max-Planck-Institut noch ein weiteres Renner sein. MI 0041-4075-WT-JK

Spezial | 09 MaxPlanckForschung 29

Das könnte Ihnen auch gefallen