Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Schafstedde PDF
Schafstedde PDF
Emmanuel Levinas
,,
,
1'--__ _
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ........................................................................ 7
Literaturverzeichnis ................................................................... 67
Einleitung
!)
I
de~:i"'·(SpdA 120)1 Die Frage nach der Bedeutung dieses .Rätsels ist der
Ati~~angs~. und Angeip~nkt im.~hHos~~hischen ·Denken von Emmanuel i I
Levinas. Diese Bedeutung kann für Levinas nmeht im Sinne einer theoreti-
schen Erkenntnis erfaßt werden, denn das Menschliche bedeutet in einer
Weise, die logisch nicht auszumachen ist. Um den Sinn des Menschlichen
auß,erhalb des theoretischen Wissens thematisieren zu können, versucht [ <: vi "~ (..•
Levinas,. den unüberbrückbaren Abstand verständlich zu machen, der
zwischen dem selbstbezüglichen Erkennenwollen und dem menschlichen
Bedeuten des Anderen klafft. Diesem Abstand gibt Levinas einen positiven
~;~;t~~;:c~i~~ii~:~~~~:e:a~~i~~;;~:~~~~n:;::~::;! 11
in Frage stellt und mich in einem ethischen, nicht theoretischen Sinn be- .
trifft.
sie charakteristisch ist für eine Philosophie, die vom Vorrang der theoreti-
schen Vernunft geleitet wird, den Levinas am Problem der ethischen Erfah-
rung des Anderen zu überwinden versucht. Auch Bll.~serl thel11~tisiert i~
Rahmen
,' ....
seiner Phänomenologie die Erfahrung des .anderen Menschen.
," ' .
! I~ {(Vr
Diese Erfahrung steht aber nicht arn Anfang seiner Philosophie. Der Aus-
gangspunkt des Husserlschen Denkens Idammert zunächst den mitmenschli-
c~~? Zt.I~~~~~~.J):~.? in dem wir na,ch Levinas immer steh;~:···;~~·,_·um··so
zu einer ersten Gewißheit iin Sinne einer reinen Selbstbezüglichkeit des
erkennenden Ich für das Denken zu gelangen, die für aUe weiteren Aus-
7
sagen und deren Wahrheitsanspruch grundlegend sein soll. Dieser egologi-
sche Ausgangspunkt Husserls sowie die sich daran anschließende Analyse
der mannigfaltigen BewußtseinserrIebnisse wird von Levinas aus einer
ethischen Perspektive in Frage gestellt. Im Zuge seiner Kritik der Husserl-
sehen Bewußtseinsanalyse greift, ~evinas die von der Phänomenologie
entdeckten Fundamente für die Erkenntnis auf, denen im eigentlichen Sinn
die Struktur des Wissens fehlt, um
die Bedingu~g für Wahrheit ~nd Sinn- "
gebung nicht in der reinen Selbstbezüglichkeit des erkennenden Ich, son-
dern in einer ursprünglichen Gemeinschaftlichkeit, im "ethischen Bedeuten
des Anderen" vor aller Erkenntnis zu suchen, d.h. die Ethik zur Ersten
Philosophie zu erheben.
Indem Levinas die Ethik an den Anfang ane~,p.~!!.<?~I?'.P.hJ~I;ens stellt, kehrt
e~ dieH~;~;äs~h,~"-D"~~b:~;~~~g~~d' dessen Verständnis ;~~~ 'And~reJ?
gerade~ um. DeJ}Il di~ reine Selbstbe~glichkeit des erkennenden Ich, die
nicht nur den egologischen Ausgangspunkt der HusserIschen Philosophie
markiert, sondern auch seiner Intersubjektivitätstheorie zugrunde gdegt ist,
schreibt vor, ~aß der. Ande~~ n~~~~~~~~~!.~~~~~h m~i,?__e!~~~:!l?,~~_~=
wußtsei~! __~.:h. als "alte~~:~?:~. ~a~s:.:'~lo~?~" ~~i~~~. ~~~~s_t.' _,v~rs,~E:~e~,>
werden kann. (Kap. 1.) D~rchdiesen Vorrang der theoretiscben Vernunft
_._--_.
'------~_._----------_.~-----~ ,
wird für Levinas der Andere zu einem Objekt meiner Erkenntnis degradi(!rt
und aUe Andersheit am Anderen" seine Singularität, der allgemeinen Idee
e~~i~~~~~iergeo'idl1et'~~~i'~~-Zum ~~rsch:wi~~~E,j~~raEht~ Dar=-
aus erklärt sich das Bemühen von Levinas um eine Umkehr im Denken.
, .
die
Forderung, del1 B~ginn aller Philosophie in der Ethilc zu suchen, um vom
Anderen her das Ich zu denken in einer Bewegung, die nicht zu ihrem
Ausga~gs.punkt, den des 'erkennenden Ich, zurückkehrt, die sich an keine
Subjekt-ObjeKt-Struktur hält, um den Sfunn des Menschlichen zu verstehen.
(Kap. H.)
Wiederholt nimmt Levinas das Bild der Irrfahrten des Odysseus auf und
kontrastiert es kritisch mit der Geschichte Abrahams, um die von ihm
gemeinte Umk:ehr der Denkbewegung zu verdeutlichen:
"Dem Mythos von Odysseus, der nach Ithaka zurückkehrt, möchten wir die
Geschichte Abrahams entgegensetzen. der für immer sein Vaterland verIDäßt,
um nach einem noch unbekannten Land aufzubrechen [... ]" (SpdA 215 f.)
8
Das unbekannte Land, zu dem Abraham aufbricht, muß zugleich als eine
Metapher füll' das "ethische Bedeuten des Anderen" vor aller Erkenntnis
verstanden werden. In immer neuen Anläufen bemüht sich Levinas, diesen -., .', . ,.
ethischen Sinn, das Rätsel des Menschlichen, zur Sprache zu bringen: als
'_"'~"", _.-'." .. ~, - - - ___ . - ~, . .~~'. I""' .-' • ' ", .
Erwachen und ursprüngliche Infragestellung des Ich, als Idee des Unelldli-
,-.- .... ,' - ". , .-. .- . "-' ", -'.' , . ",~,' -.'" -."" ,
ehen, als Ereignis des Sagens vor ,allem .Oes~gten.als .Bedeut~n des Andc.-
"-,.:' "".<,
ren als nacktes Antlitz, als Liebkosung und unendliches Begehren des An-
...
deren, als Verwundbarkeit und ethischen Widerstand sowie als Verantwor-
tung für den Anderen vor jeder freien Entscheidung. (Kap. 111.) Mit überra-
schenden Sprachwendungen, in emphatischer Übersteigerung im Ausdruck,
verläßt Levinas die theoretische Form der Begründung und versucht, ob-
wohl grundSätzlich an der Phänomenologie festhaUend, sie zugleich zu
überschreiten als einen Umschwung des Wissens vom Anderen - auf das
sich die Hussedsche Fremderfahrungslehre beschränkt - in ethisches
"'fn""'-"'''''' _.•
Bedeu- ~.:~ " c e• ., .. <.,-........r., .............. _,.. ....
ten.
9
täglichen Leben schwer anzuwenden. T:rotzdem kenne ich keine bessere
Alternative ... 2
2 Vaclav Havel: PoHtik und Gewissen, in: V. Havel: Am Anfang war das WOTt,
Hamburg 19'90,. S. 110, vgl. auch V. Have): Briefe an Olga, Harnburg 1991,
worin sich Havel selbst auf Levinas bezieht, S. 256 ff.
10
I. Vom Selben .zum Anderen
Die Konstitution des Anderen in der Phänomenologie Husserls
187 f.)
nun, ganz Descartes folgend, die große Wendung, die, recht vollzogen; zur
transzendentalen Subjektivität führt: dme Wendung zum .ego cogito als dem
apodiktisch gewissen und letzten Urteilsboden,. auf den jede radikale Philo-
sophie zu gründen ist. ,., (PV 7) Aufgrund dieses erkenntnistheoretischen
Gewißheitsanspruchs ist die "philosophlsche Einsamkeit" ein "methodisches
11
Grunderfordernis ". Alle Erfahrungen, die ich von d,er Welt und den ande-
ren Menschen in "natürlicher Einstellung" (K 151) habe, sollen auf ihre
Gültigkeit hin in Frage gestellt werden. Auf dem Wege dieser Infrages~el
lung ist die Welt der "natürlichen Einstellung" nicht v,erschwunden, son-
dern alle Auffassungen und Meinungen über die Welt und die anderen
Menschen werden zu Geltungsphänomenen.
"Die betreffenden konkreten Erlebnisse sind ja [... ] das, worauf der aufmer-
kende Blick gerichtet ist, nur daß das aufmerkende Ich als philosophisches in
Bezug [sie] auf das Angeschaute Enth.aJitung übt. Auch aUes, was in derglei-
chen Erlebnissen als Gemeintes im Geltungsbewußtsein war, das betreffende
Urteil, die betreffende Theori,e, die betreffenden Werte, ZwecKe usw .. bleibt
ganz und gar erhalten - nur in der GeltungsmodifIkation bloße Phänomene. "
(CM 60) "Das betrifft auch die innerweltliche Existenz aller anderen Ich, sc
daß wir rechtmäßig eigentlich nicht mehr im kommunikativen Plural sprechen
dürfen." (CM 58)
Auf dem Wege der "Einklammerung" der objektiven Weh oder, anders
formuliert, durch die Methode der Epoche (Ei nldanunem, Anhalten) ge-
winnt Husserl das "reine ego", das reine Ich, "das seiner seibst inne ist" in
"lebendige[r] Selbstgegenwart" , wie es der Satz ego cogito ausdrückt (CM
60-62). Mit der "lebendige[n] Selbstgegenwart" des Ich, das als zweifelndes
jegliche WeHerfahrung außer Geltung gesetzt hat, glaub~ Husserl, eine erste
apodiktische Evidenz, einen ersten Geltungsgrund für alle weiteren objekti-
ven Evidenzen gefunden zu haben.
..,--- .........
{ .. " -"", ~'\.
Schon an dieser Stelle ist kritisch anzumerken, daß die Idee der \~videni,
die bei Busserl und ebensO' bei Descartes als leitendes Kriterium für die
Infragestellung der natürlichen Erfahrung fungiert, nicht SO' grundlegend ist,
wie die Autoren behaupten. Da die Idee der Evidenz den Ausgangspunkt
markiert, vO'n dem aus Husserl nicht nur seine Begriffe vO'n Welt, sondern
auch seinen leitenden Begriff vom Anderen entwic~eln wird, ist ,ein Beden-
ken seines Evidenzkriteriums um so entscheidender. Husserl selbst deutet
Zweifelsmöglichkeiten gegenüber der Apodilctizität der ersten Evidenz an
und erwähnt die Notwendigkeit, auf einer "zweiten Stufe" eine Kritik seiner
12
Erkenntnisbegründung durchzuführen, 3 um die zunächst noch naiv heraus-
gesteHten Gegebenheiten einer "Selbstkritik in Absicht auf die Bestimmung
von Umfang und Grenzen, aber auch Modis der Apodiktizität" (CM 178)
zu unterziehen. Diese Kritik erfolgt im Rahmen seiner Cartesianischen
Meditationen allerdings nicht. 4
3 Vgl. CM 67 f.
4 Vgl. Roman Ingarden: Beilage: Kritische Bemerkungen von Prof. Dr. Roman
Ingarden, Krakau, in: CM 211 f. und 205 f.
5 Vgl. TU 130 f.
6 Vgl. DuV 148-151.
13
sehe Reduktion auf die Immanenz des Bewußtseins, auf das "reine Ich" als
den Ausgangspunkt für Gewißheit, am "ethischen Bedeuten des Anderen"
zu durchbrechen. "Ich glaube übrigens nicht, daß die reine Philosophie rein
sein kann, ohne auf das 'soziale Probkm'einzugehen", formuliert Levinas
in einem Gespräch mit PhiHppe Nemo (EuU 42).
Aber rucht nur bezogen auf ihren Ausgangspunkt, sondern auch bezogen
auf die weitere von Husserl geleislete Analyse der mannigfaltigen Bewußt-
seinserlebnisse versucht Levinas, die Husserlsche Phänomenologie am
"ethischen Bedeuten des Anderen" zu überschreiten.
Husserl dagegen sieht sowoh1 bezogen auf den Ausgangspunkt ams auch
bezogen auf die folgende Deskription der reinen Bewußtseinserlebnisse
zunächst vom Anderen ab, d.h. nicht nur für den Ausgangspunkt, sonde.m
auch für alle weiteren Analysen mst die Frage nach der erkenntnistheoreti-
schen Gewißheit - nicht das ethische Problem - leH,end. Für die Bewußt-
seinsanalyse bedeutet das "Bindung an die puren Gegebenheiten der tran-
szendentalen Reflexion, die also gen.m so, wie sie sich in der schlichten
Evidenz rein intuitiv geben, genommen werden und von allen Hineindeu~
tungen über das rein Geschaute freigehalten b~eiben müssen" (CM 74). Ein
solches "Hineindeuten" ist Descartes na,ch Auffassung HusserIs unterlaufen,
indem er ein nonnatives Wissenschaftsideal in Geltung brachte, nämlich das
der Geometrie bzw. der mathematischen Naturwissenschaft, wodurch er
unter der Hand versuchte, emn "Endchen der Welt" (CM 63) im "reinen
ego" zu retten. Im Gegensatz zu Descartes ist für Husserl das ego cogito
nicht als ein apodiktis,ches Axiom, als ein den Axiomen in der Geometri'e
ähnliches zu verstehen und auch nicht als eine abgetrennte Sache, die
denkt, als eine substantia cogitans, sondern als "universale Selbstbesin-
nung" (CM 182). Diese universal,e Selbstbesmnnung muß nach Husserl
zunächst - unter ZurücksteHung der Frage nach dem Anderen und seinen
evidenten Bewußtseins.erlebnissen - ihren Blick: auf meine "mannigfaltigen
cogitationes" , auf mein strömende[s] Bewußtseinsleben (CM 70) richten:
11 11
"AUes Weltliche, alles raum-zeitliche Sein ist für micb- das heißt gilt für
mich, und zwar dadurch, daß ich es ,erfahre, wahrnehme, mich seiner er-
innere, daran irgendwi,e denke, es beurteile, es werte, begehre usw. [ ... ] Die
WeIt ist für mich überhaupt gar nichts anderes als die in solchem cogito
14
I
I
--_:...:.:_--~_._---.;:~
\ '
bewußtseiende und mir geltende. Ihren ganzen, ihren uruversalen und spezia-
len Sinn und ihre Seinsgeltung hat sie ausschließlich aus solchen cogitatlones."
(CM 60)
Auf diesem weiteren Weg der Evidenz- und Wahrheitssuche, den der
transzendentalen Reduktion, den die Epoche vorbereitet hat, 7 ist die ge-
samte Welt in meine Subjektivität gefallen. Eine Position auß,erhalb ein-
nehmen zu wollen ist demnach nicht mehr möglich. Im Gegensatz dazu
fragt Levinas - ebenfalls in Anknüpfung an Descartes - nach einem Au-
ßerhalb des Bewußts.eins, um dort das Bedeuten des Anderen zu thema-
tisieren.
Ob es Husserl gelingt, seinen jetzigen Ausgangspunkt, "die mannigfaltigen
cogitatio1'l:es", das "strömende BewußtseinsIeben" tauch für die Bestimmung
der Beziehung zum Anderen ohne "Befr·emdlichkeiten" (CM 120) nutzbar
zu machen, kann erst beantwortet werden, nachdem die cogitationes selbst
genauer bestimmt worden sind. Levinas geht in seiner Kritik an Russer! auf
die Husserlsche Analyse der "mannigfaltigen cogitationes", des "strömen-
den Bewußtseinslebens" ein, um sie am "ethischen Bedeuten des Anderen"
erneut zu überschreiten.
7 Vgt K 155.
8 "Ich denke etwas".
1$
Das ego, das identische Ich. das "gewissermaßen in jedem cogito steckt"
(pV 14) und von dem im ersten Abschnitt als dem eigentlichen Garanten
für die erste apodiktische Evidenz die Rede war, unterliegt selbst dem
Vollzug des Erlebens, durch dessen Kontinuität es erst zum "identischen
Pol" (CM 100) der "mannigfaltigen cogitationes" (CM 70) wird.
16
Ir:!i .
kann, werden s·eine unterschiedlichen Erscheinungsweisen itm Bewußtsein
zu einer "gegenständlichen Einheit;' (CM 77) synthetisiert, wodurch der
"intentionale Gegenstand als sokher" (CM 79) erst zu einem identischen
wird. Neben seiner Fähigkeit, einzelne Bewußtseinsedebnisse zu syntheti-
sieren, ist das cogito darüber hinaus wesenhaft I1Mehnneinung" (CM 84),
denn das aktueU Wahrgenommene verweist auf das horizonthaft Mitge-
meinte, so daß, bezogen auf das Würfelbeispiel, die im jeweHigen Moment
des Sehens abgewandten Seiten mit vorgestellt werden.
"Z.B. zu jeder äußeren Wahrnehmung gehört die Verweisung von den eigent-
lich wahrgenommenen Seiten des Wahrnehmungsgegenstandes auf die mit-
gemeinten, noch nicht wahrgenommenen, sondern nur erwarrungsmäßig und
zunächst in unanschaulicher Le,ere antizipierten Seiten - als die nunmehr
wahrnehmungsmäßig kommenden, eine stetige Protention, die mit Jeder
Wahrnehmungsphase neuen Sinn hat. (CM 82)
11
17
Bereich des Ich kann gehören" (CM 92 f). Die "Synthes,en der Bewährung"
sind allerdings aIs unabs·chließbarer Erfahrungsprozeß von Weltlichem zu
verstehen, motiviert durch das Streben nach Evidenz, ohne daß j,emals eine
"solche Synthesis zu einer adäquaten Evidenz" - im Gegensatz zur ersten
apodiktischen Evidenz - "abgeschlossen ist, vielmehr immer wieder un-
erfüHte Vorrneinungen und Mitmeinungen mit sich fülut'; (CM 96). Im
unendlichen Streben nach Evidenz sollen diese "Vormeinungen und Mit-
meinungen" enthüllt bzw. vergegenwärtigt werden, d.h. das anonyme
Leben soll in den Bereich des" Ich kann" überführt werden, um zu einer
Wahrheit für die Erkenntnis zu werden.
Im Gegensatz dazu bedeutet für Levinas das von Husserl entdeckte an-
onyme Leben, an das das Denken gebunden ist, eine Infragestel1ung der
Herrschaft der Vorstellung; d.h. das "Ich kann", von dem Husserl spricht,
erfährt für Levinas durch die anonym fungierende Intentionalität,. durch die
"Implikationen des Denkern", eine Schwächung seiner Souveränität:
"Die Idee einer notwendigen Implikation. die vom Subjekt, das sich auf das
Objekt richtet, in überhaupt keiner Weise wahrgenommen werden kann~ die
erst nachträglich mn der Reflexion entdeckt wird; die also nicht in der Gegen-
wart hervortritt, die abo ohne mein Wissen geschieht - setzt dem Ideal der
VorsteHung und der Herrschaft des Subjekts ein Ende [ ... 1" (SpdA 131)
Nachdem die "Herrschaft des Subjekts" in Frage gestellt ist, kann für
Levinas die letzte Bedingung der Wahrheit nicht mehr auf solipsistischen
Evidenzerfahrungen beruhen: "Zum Besitz der Welt und "der Wahrheit
bedarf es mehr als des Augenblicks oder der Ewigkeit der Evidenz. [ ... ]
Man kann die Bedingung der Wahrheit in der Ethik suchen. 11 (SpdA 138)
In Anknüpfung an die Phänomenologie und im Versuch, sme zugleich zu
überschreiten, wiU Levinas das "ethische Bedeuten des Anderen" als Aus-
gangspunkt und Bedingung für Wahrheit und Sinngebung verständHch ma-
chen: "In einer Phänomenologie ( ... ,] in der die Vorstellung sich bereits in-
mitten von Horizonten findet, die sie zwar gewissennaßen nicht intendiert
bat, auf die sie aber nicht verzichtet, dort wird eine ethische, das heißt
wesentlich den Anderen berücksichtigende Sinngebung möglich." (SpdA
138 f.)
18
Im Gegensatz dazu strebt die Husserlsche Wahrheitssuche,. die nach einer
Gewißheit für die Erkenntnis fragt, zunächst auf das "Ur-ich" zu, als dem
radikalsten Ausgangspunkt für Gewißheit. Aufgrund von Gewißheitsansprü-
chen muß auch die Deskription der mannigfaltigen Bewußtseinserlebnisse
zunächst in solipsistischer Einstellung erfolgen, so daß die anderen M.en-
sehen - vergleichbar den nkhtmenschlichen Weltobjekten - zu "Weltphäno-
menen" werden, d.h. die egologische Reduktion sieht davon ab, daß nicht
nur ich konstituierend bin, sondern auch die Anderen. 9 Der Andere als
ebenfalls konstituierender wird erst in einem zweiten Schritt,. nämlich über
den Weg der transzendent~den Theorie der Intersubjektivität, erreicht mit
dem Ziel, den eigenen Evidenzerlebnissen eine objektive Hedeutung zu
verleihen. 10 "Der Ordnung nach wäre die an sich erste der philosophi-
schen Disziplinen die solipsistisch beschränkte Egologie, die des primordi-
nal reduzierten ego, dann erst käme die in ihr fundierte intersubjektive
Phänomenologie, und zwar in einer Allgemeinheit,. die zunächst die univer-
salen Fragen behandelt, um sich dann erst in die apriorischen Wissenschaf-
ten zu verzweigen." (CM 181)
Das "Überspringen" der Intersubjektivität in der egologis,chen Reduktion
erschien dem späteren Husserl als ein Hauptfehler des "cartesianischen
Weges 11 ,n den er zwar (im zweiten Teil der EP) zu korrigieren versuch-
te, was ihm aber nach Auffassung von Theunissen nicht vollständig gelang.
Diese Schwierigkeit ist nicht zufällig, denn würde die Intersubjektivität
bereits in die anfängliche R,eduktion miteinbezogen und nicht erst in einem
zweiten Schritt entwickelt,. gefährdete sie "die 'Einzigkeit' des Weltmittel-
punktes [ ... ], zu dem mich die transzendentale Reduktion macht" .12
Hinter dies,e '''Einzigkeit' des Weltmittelpunktes ", zu der Hussed das ego
cogito ~ls trans:z;ttn4~~lla.1e,~1.l~j~~jvi~! t!tl}~b~,lragt Lev"lnaszuiiick:lndCimi' .... -
er das cogito .3118 durch den Anderen bedingt denkt und die anonymen
Bewußtseinserlebnisse als Öffnung zum Anderen interpreüert, sucht er nach
einer ursprünglichen Beziehung, "die dem Verstehen und dem Entllüllen
19
vorangeht, eine Heziehung, die der Wahrheit [für die Erkenntnis] voran-
geht" (HdaM 92). In dieser ursprünglichen ethischen Beziehung verHert das
Bewußts,ein, das ego cogito, bei Levinas seine dominierende Stellung, die
es als transzendentales BewuHtsein bei Husserl - auch gegenüber dem
Anderen im Rahmen seiner Intersubjektivitätstheorie - noch einnimmt.
Auf diese ursprüngliche Bezi,ehung weist für Levinas noch ein weiterer von
Husserl herausgearbeiteter Grundzug des Bewuntseinslebens hin: die "pas-
siv verlaufende Synthesis" (CM 79).
"Die Urimpression ist der absolute Anfang dieser Erzeugung, der Urquell,
das, woraus alles andere stetig sich. erzeugt. Sie selber aber wird nicht er-
zeugt, sie entsteht n]cht als Erzeugtes, sondern durch genesis spontanea, sie
ist. Urzeugung. Sie erwächst nicht (sie hat keinen Keim), sie ist Urschöpfung."
(zPhdiZ 100)
20
abgelaufene Phase im Griff habe,. durchlebe ich die gegenwärtige, nehme
sie - dank der Retention - 'hinzu' und bin gerichtet auf das Kommende (in
einer Protention)" (zPhdiZ 118). Das "aktuelle Jetzt", das Ur-jetzt, ist der
Punkt, in dem das Bewußtsein in passiver Haltung erwacht. Die Urim-
pression ist nicht aktivisch intendiert. Als ursprüngliche Sphäre der Passivi-
tät liefert sie dem Ich emne "Habe ,. (Id 11, 335), die als Vorgegebenheit
durch Retention und Wiedererinnerung vom Ich vergegenwärtigt wird, so
daß von der früheren Gegenwart nichts verlorengeht, sondern sie als zeit-
lich modifizierte bewußt wird. In der Einheitsform des Strömens der Zeit
wird die Urimpression durch Retention und Protention modifiziert, wo-
durch sich Wahrnehmung konstituiert.
Bezogen auf die U rimpression sprkht Husserl auch von uneigentUcher
Intentionalität, "weil von keiner eigentlichen 'Intentionalität auf die Rede
ist, wozu es des Ich bedarf; aber 'Vorstellung von', Apperzeption ist schon
da" (Id n 335). Indem Husserl die U rimpressioneinem erweiterten Begriff
der Intentionalität unterordnet, bindet er zugleich die ursprüngliche Passivi-
tät an eine Rezeptivität des Ich als erste Ichspontaneität oder Aktivität. Ob-
wohl die Hegemonie der Vorstellung durch den Begriff einer lebendigen
Gegenwart durchbrochen wird, lassen sich die Ursprungsmomente durch
Retention und Wiedererinnerung als vergegenwärügte Vergangenheit
thematisieren. 13
13 Vgl. Stephan Strasser: Jenseits von Sein und Zeit, Den Haag 1978, S. 262.
21
"Das Bewuß~sein [... ] als passives Werk der Zeit, von einer Passivität, die
passiv,er ist als alle Passivität, sofern sie bloß das Gegenteil der Aktivit:ät ist,
einer Passivität ohne Vorbehalt, einer Passivität des Geschöpfs bei der Schöp-
fung, einer Passivität ohne Subjekt, das den Schöpfungsakt übernehmen, das
das schöpferische Wort sozusagen verstehen könnte- das Bewußtsein als
passives Werk der Zeit, das niemand in Gang bringt, dieses Bewußtsein kann
nicht in den Kategorien desjenigen Bewußtseins beschrieben werden, das ,einen
Gegenstand intendiert." (SpdA 271)
22
Levinas greift die von der Phänomenologie entdeckten Fundamente für die
Erkenntnisbeziehungen wieder auf, "denen im eigentlichen Sinne die Struk-
tur des Wissens fehlt - dies nicht deswegen, weil diese Fundamente zwin-
gend sind ohne Gewißheit, sondern weil sie, ams vorgängige und bedingen-
de, gewisser sind als die Gewißheit, vernünftiger als die Vernunft" (SpdA
99). Indem Levinas diese Fundamente auf ein ethisches Bedeuten hin inter-
pretiert, hinterfragt er nicht nur den Wahrheits- und Subjektbegriff der
Phänomenologie, sondern entwickelt zugleich ein gänzlich anderes Ver-
ständnis vom Anderen als HusseTl - im Ans,chluß an die egologisch be-
schränkte Bewußtseinsanalyse - im Rahmen seiner Intersubjektivitätstheorie.
Die Frage nach dem Anderen wird für Husserl im Anschluß an seine
transzendental-egologisch durchgeführte Bewußtseinsanalyse relevant
aufgrund des Problems, wie das, was sich in meinem Bewußtsein als Evi-
denzerlebnis hewährt, eine objektive Bedeutung erhalten kann. "Wie kann
die Evidenz [ ... ] mehr beanspruchen, als ein Bewußtseinscharakter in mir
zu sein? [... ] Wie komme ich aus meiner Bewußtseinsinsel heraus, wie
kann, was in meinem Bewußtsein als Evidenzerlebnis auftritt, objektive
Bedeutung gewhmen?" (CM 116) Dieser Anspruch Husserls, die Konstitu-
tion der objek~iven Welt vom Standpunkt der transzendentalen Subjektivität
aus erklären zu wollen, bestimmt sein Interesse an der Thematisierung des
Anderen; denn nur unter Berücksichtigung der anderen Menschen ist es
mir, dem egologisch Meditierenden möglich, die Welt nicht nur als meine
23
private, sondern als intersubjektive, als atHen gemeinsame, als objektive
WeH zu verstehen. 14
Der Weg zu dem anderen Menschen als ebenfalls Welt Konstituierendem
scheint auf den ersten Blick jedoch versperrt zu sein, da ich von ihm ja nur
als VorgesteHtem, mir Bewußtem, als cogitatum meines cogito weiß und
nicht als sinngemäß eben Anderem. Diesen Schein des Solipsismus - das
Emngesprerrtsein in die "Immanenz des Bewußtseinslebens" (CM 116) -
versucht Husserl mit Hilfe seiner "transzendentalen Theorie der Fremd-
erfahrung, der sogenannten Einfühlung" (CM 124), zu widerlegen. Dabei
wird der Andere verstanden bzw. eingefiihl tals .. Modifikation meines
Selbst" (CM 144), als "Analogon" des "Ich-selbst" (CM ]26). "aills sich in
memnemeigenen Ich, meiner Monade spiegelndes" (CM 125), als "alter-
ego" , wobei das in dies,em Wortsinn implizierte ego ich selbst bin. 15
24
Die Stufen der Frenuleifahrungslehre
Auf einer zweiten Stufe übertrage ich den Sinn "Leib", mit dem mein
Körper ursprünglich als einziger konstituiert ist, auf den Körper des Ande-
ren. Diese Übertragung, die sich zunächst auf den "Anderen überhaupt"
(CM 137) bezieht, wird motivi,ert durch eine "phänomenale Paarung" (CM
143), dj, die wahrgenommene Ähnlichkeit zwischen meinem bereits als
Leib aufgefaßten Körper und dem fremden Körper. "Tritt nun ein Körper
in meiner primordinalen Sphäre abgehoben auf, der dem meinen ähnlich
ist, d.h. so beschaffen ist, daß er mit dem meinen eine phänomenale Paa-
rung eingehen muß, so scheint nun ohne weiteres klar, daß er in der Sin-
nesüberschiebung alsbald den Sinn Leib von dem meinen her übernehmen
muß." (CM 143) Diesen Vorgang der "Sinnesüberschiebung" bezeichnet
Husserl als "andogisierende Auffassung" oder als "v,erähnUchende Apper-
zeption". l'Es ist von vornherein klar, daß nur eine innerhalb meiner Pri-
18 Vgl. CM 138.
19 Vgl. CM 128 f.
20 M. Theunissen, a.a.O., S. 58.
25
mordinalsphäre jenen Körper dort mit meinem Körper verbindende Ähn-
lichkeit das Motivationsfundament für die analogisierende Auffassung des
ersteren als anderer L,eib abgeben kann. Es wäre also eine gewisse verähn-
lichende Apperzeption [ ... ]I! (CM 140 f.) Der Begriff Apperzeption ver-
weist darauf, daß der fremde Körper einen neuen Seinssinn erhält,. und
zwar den SiIm "Leib", der allerdings nur in Analogie zu meinem Leib,. d.h.
durch meinen Leib vermittelt, vorgesteUt werden kann . Da mir der direkte
Zugang zum Innenleben des fremden Leibkörpers verwehrt ist - es ist mir
originaliter unzugänglich -, kann der Sinn "fremder Leib" nur in Amdogie
zu meinem vergegenwärtigt werden. "Wa.s je original präsemierbar und
ausweisbar ist, das bin ich selbst bzw. gehört zu mir selbst als Eigenes.
Was dadurch in jener fundierten Weise einer primordinal unerfüHbaren
Erfahrung, einer nicht original selbstgebenden, aber Indiziertes konsequent
bewährenden, erfahren ist, ist Fremdes. Es ist 31]80 nur denkbar als Analo-
gon von EigenheiHichern." (CM 144) Die einzige Möglichkeit, den Ande-
ren als fremdes, .ebenfalls in einem Leib waltendes Ich zu erreichen, besteht
für Husserl darin, diesen Leib als durch meinen vennittelt zu denken.
Diese IchvennitteItbeit bildet auch das Fundament für den Zugang zu den
"Gehalten der höheren psychischen Sphäre" (CM 149) des Anderen und
seinen VorsteUungen von der Welt. Diese "Gehalte" werden auf einer
dritten Stufe durch meine sogenannte "Einfühlung" (CM 149) in die fremde
Eigenheitssphäre des reinen aher ego erfahren bzw. vorgestellt. Verständ-
lich werden auch sie nur von meinen eigenen Vorstellungen, "von meinem
eigenen Gehaben her unter ähnlichen UnsQnden [sie]" (CM 149).
Das Fremde am Anderen und damit verbunden sein Subjektsein für die
Welt, seine Erlebnisse und Erscheinungen, ist mir zwar auch auf dieser
Stufe originaliter unzugänglich, es kann nie zu einem "Selbst-da" (CM 139)
werden; indem Husserl aber diese Fremdheit zwischen mir und dem Ande-
ren auf unterschiedliche räumliche Bedingungen oder "Unstände" zurück-
führt, unter denen der Andere anders auf die WeH. sieht als ich, ist es mir
möglich, mich in den Standpunkt des Anderen zu versetzen bzw.einzufüh-
len. Meinen Standpunkt, räumlich verstanden als Jetzt-hier-sein im Gegen-
satz zum Jetzt-dort-sein des Anderen, kann ich durch Herumgehen so
ändern, "daß· ich jedes Dort in ein Hier verwandeln, d.i. jeden räumlichen
26
Ort leiblich einnehmen könnte. Darin liegt, daß· ich von dort aus wahr-
nehmend dieselben Dinge. nur in entsprechend anderen Erscheinungswei-
sen, wie sie zum Selbst-dort-sein gehören, sehen würde, oder daß zu jedem
Ding konstitutiv nicht bloß die Erscheinungssysteme meines momentanen
Von hier aus gehören, sondern ganz bestimmt entsprechende jenes Stel-
Iungswechs,els, der mich ins Dort versetzt. Und so für jedes Dort." (CM
146) Die Einfühlung in den Standpunkt des Anderen hat demnach trans-
zendental die Gestalt des Sich-versetzens ins Dort. 21 Auf di,esem Wege
kann ich mir die fremden Erscheinungen und Wahmehmungsweisen zwar
nicht absolut originaliter zugänglich machen bzw. originär präsentieren.
denn ich kann nicht zur gleichen Zeit dort g,ein, wo jetzt der Andere ist;
aber es ist mir mögHch, die fremden Erscheinungsweisen in Funktions-
einheit mit meinen eigenen zu appräsenüeren, d.h. sie mir "AIs-mitgegen-
wärtig-bewußtmachen" (CM 139) - "wie wenn ich dort wäre" (CM 148).
"In der Appräsentation des Anderen sind die synthetischen Systeme diesel-
ben, [ ... ] nur daß die wirklichen Wahrnehmungen [ ... ] nicht dieselben sind,
sondern eben die, die von dort aus wahrzunehmen sind,. und so, wie sie es
von dort aus sind. Ähnlich gilt es für aUes Eigenheitliche und Fremde,auch
wo ursprüngliche Auslegung nicht in Wahrnehmungen verläuft. TI (CM 152)
Daß der Andere nicht zu einem reinen "Duplikat" (CM 146) meiner selbst
wird, ist lediglich durch die "Koexistenz" (CM 148) der beiden Leibkörper
ausgeschlossen, aufgrund dessen ich nicht zugleich dort sein kann, wo jetzt
der Andere ist. 22
"Ich apperzipiere den Anderen doch nicht einfach als ein Duplikat meiner
selbst, also mit meiner oder einer gleichen Original sphäre , darunter mit den
räumlichen Erscheinungsweisen, die mir von meinem Hier aus eigen sind,
sondern, näher besehen, mit solchen,. wie ich sie selbst in Gleichheit haben
würde, wenn ich dorthin ginge und dort wäre. 11 (CM 146)
Der Unterschied zwischen mir und dem Anderen besteht demnach nur in
seinem Jetzt-dort-sein im Gegensatz zu meinem Jetzt-bier-sein. Der Andere
21 Vgl. M. Theumssen,
... a.a, 0 ., S . 73 .
22 Vgl. M. Tbeunissen, a.a.O. I S.67.
27
ist "deswegen nicht mit mir identisch,. weil das, was im Hier ich selbst
wäre, durch das Dort modifIziert ist". 23 So wie dieses Dort nur vorst,eU-
bar ist als Modifikation meines Hier, so ist "der Andere phänomenologisch
als ModifIkation meines Se]bst" (CM 144) konstituiert.
In der transzendenUlen Einfühlung wird daher lediglkh der Körper des
Anderen, sein Objektsein vorausgesetzt,. sein Subjek-tsein, sein alter ego,
wird dagegen von mir erst gesetzt, indem ich "in meinem ego fremdes ego"
(CM 145) konstituiere. "Mit anderen Worten, es konstituiert sich apprä-
sentativ in meiner Monade eine andere. 11 (CM 144) Durch die Mittelbarkeit
der Erfahrung des Anderen, die als Ichvennitteltheit zugleich Weltver-
mittelheit ist - da ich den Anderen ja von meinem Bezug zur Weh (hier)
ausgebend als ebenfalls Welthabenden (dort) wahrnehme 24 -, wird nicht
nur sein Körper, sondern auch seine Subjektivität objektivierend vorge-
stellt. 25
Indern Husser] die Subjektivität des Anderen allein aus der Welt, zu der er
sich verhäU, ableitet und sie als Modifltkat meines Weltbezugs objektivie-
rend vorstellt, ist zugleich die Grundlage für die vierte Stufe der Fremd-
erfahrungslehre geschaf~en,. nämlich die Welt als intersubjektiv identische,
als objektive zu konstituieren. Das Organon für die Konstitution der objek-
tiven Welt ist die transzendentale Einfühlung selbst. Die Idenütät der
unterschiedlichen Weltvorstellungen ist ja bereits im Einftihlungsakt mit-
gegeben aufgrund meiner Erfahrung, daß d,er Andere in seinem Dort auf
dieseibe Welt schaut, auf die auch kh in meinem Hier gerichtet bin. Das
erste gemeinsame Objekt ist der fremde Leibkörper. 26, In ihm waltend
wird zunächst das andere Ich appräsenüert "in diesem Körper dort und
mittelbar dessen Walten in der ilun wahrnehmungsmäßig erscheinenden
Natur - derselben,. der dies,er Körper dort angehört, derselben, die meine
primordinale Natur ist. Es ist dieselbe, nur in der Erschdnungsweise, wie
wenn .ich dort ansteUe des fremden Leibkörpers stünde. Der Körper ist
derselbe, mir als dort, ihm als hier, als Zentralkörper gegeben, und 'meine'
28
gesamte Natur ist dieselbe wie die des Anderen [... ]" (CM 151 f.) Die
intersubjektiv verstandene Objektivität des fr·emden Leibkörpers s·chließt
sozusagen die Objektivität der gesamten Natur auf. Mit der Objektivität der
gesamten Natur ist zugleich die Objektivität jedes in der Natur vorkom-
menden Dings gesetzt. 27
"Von da aus bekommt,. wie leicht verständUch,. jedes von mir in der Unter-
schicht [d.h. primordinal] erfahrene und erfahrbare Naturobjekt eine appräsen-
tative [... ]1 Schicht, in syntetischer Identitätseinheit mit der mir in primordina-
ler Originalität gegebenen: dasselbe Naturobjekt in den möglichen Gegeben-
heitsweisen des Anderen. Das wiederholt. sich mutatis mutandis für die nach-
mals konstituierten höherstufigen Weldichk.eiten der konkreten objektiven
Welt, wie sie als Menschen- und Kulturwelt für uns immer da ist." (CM 153)
Nachdem die Welt durch die Vermittlung des Anderen als eine aUen ge-
meinsame. als objektive Weh konstituiert ist,. kann nun auch der Andere
in sie eingeordnet werden als einheitlicher Gegenstand - nicht mehr ge-
spalten in Fremdkörper und Fremdich -, aIs "Weltobjekt" mit dem Sinn
"Mensch" .28 "In dieser Welt treten nun wiederum alle Ich, aber in objek-
tivierender Apperzeption mit dem Sinn Menschen bzw. psychophysische
Menschen als W·eltobjeKte auf." (CM 137) Diesen Sinn "Mensch" übertrage
kh dann auf mich sdbst, "indem ich mir einfühlend vergegenwärtige,. wie
und als was mich der Andere vorstellt" .29 Mit anderen Worten: Von mei-
ner "Urmonade" ausgehend konstituiere ich "die für mich anderen Mona-
den" im Sinne einer "offene[n] Monadengemeinschaft" • die Husserl als
"transzendentale Intersubjektivität" bezeichnet, deren Korrelat die objektive
Welt ist (CM 157 f.).
29
daß alles, was für mich ist, seinen Seinssinn ausschließlich aus mir s,elbst,
aus meiner Bewußtsemssphäre schöpfen k.ann." (CM 176) Für Husserl
widerspricht die fundamentale Gemtung, daß ich allen Seinssinn ausschheß-
lich aus mir schöpfen kam, nicht dem Anspruch, den Schein des Solipsis-
mus aufgelöst zu haben. Doch gerade von daher rührt. die Kritik an Hus-
serls Meinung, vor allem aus der Sicht von Levinas.
30
11. nie Konstitution des Anderen und das Menschliche
Zur Kritik der theoretiscben Gestalt der Intersubjektivitätstheorie
Husserls aus der Sicht von Levinas
talen Bewußtseins behandle, aber zum Anderen aIs Anderen gar mcht
~,..,.,,--r ....... ..,.,.Y' . . . . . ""'~._-~'~"-~e~ ..... ~ ................ ·.... ~:' .,-;;·~.·~"'~F":~,-..·_,.'--".\..",;-.,.~lI;.t.'_~~1"_~\!M!I~~;iI"I;;lM'_'~~~~.~'P"
Der Vorwurf des Solipsismus kann demnach zugleich a.s eine Kritik an der
theoretischen Gestalt der Fremderfahrungslehre aufgefaßt werden, wodurch
der Andere seinen Sinn allein vom Wissen her erhäU.
-
Levinas
•.
betont
•. .....
in ~,,", """".,",""Ni_""'~d'lt' ~ ~
31
Objekt meiner Intentionalitä~
" ...... .--'~. ___ .""_,_"~-,~ _ _ _ _ , •. ____ ~_,~~
degradierlt, weil die theoretische Vernunft
•. ",c. _ _ _ ~,,,,-,,,,-- ____ ~. _ _ , ' -,- -~ - .. - ,- ----~---~ _ _
aufgrund ihrer Struktur den Anderen als Partner gar nicht erreichen kann,
_ _ .. _ _•• _~ _ _ _ _ _ _ ~ _ _ _ _ _ _ _ ~-._.~ ••• _~_~ __ "_ ~_. __ ,.~. ___ J _ • •" < • • • • • _0 •••• __ • • , ___ . . . _~"_ •• ,~ ...
"Der Solipsismus ist weder eine Verirrung noch ein sophistischer TrugschJuß:
er ist die eigentliche Struktur der Vernunft [ .... ] Die Intentionalität des Be-
wußtseins erlaubt es, das Ich von den Dingen m unterscheiden, aber sie läßt
den Solipsismus nicht verschwinden, da sein Element, das Licht, uns zwar zu
Herren der äußeren Wea macht, jedoch unfahig ist, uns dort einen Partner zu
entdecken. Die Objek1l:ivität des vernünftigen Wissens nimmt von dem Einsam-
keitscharakter der Vernunft nichts weg. [ ... ] Das Leben könnte nur dann zum
Weg der Erlösung werden, wenn es [ ... ] einem Ereignis begegnen würde, das
sein alltägliches Transzendieren hindert, auf einen Punkt zurückzufallen, der
immer derselbe ist." (ZuA 38 f.)
Selbstheit,. zurückzuführen.
"Der Mensch läßt sich sehr wohJI als Gegenstand der Erkenntrus behandeln
und zeigt: sich dem Wissen im Wahren der Wahrnehmung und im Lich~ der
.
Sozialwissenschaften. ~~r.: ~~s.~~~~~~li.~!l ~.m~ . . ~'~j.~~ .b~~c~.!~S~~~t_~~! .
Mensch mißachtet und
~"",,__-.--~ __ ~_""_"'_._
verkannt.
_..-..;;;r._,_ - _
[ ... ]1 Wir sind Menschen, bevor wir Wissen-
.... <~ ... --"""'."-"<-_..,...-...--_-..,..,..~~,.~_~,"""";-.~7lV'"-
32
was für uns soll möglichen Sinn haben können, eben gestellt sein muß. "
(CM 182) Vom Blickwinkel der transzendentalen Intersubjektivität aus sind
die ethischen Probleme nur zugängHch "auf dem Untergrunde der allgemei-
nen Natur und ihrer raumzeiUichen Zugangsform" (CM 162) und werden
aufgrund dieser N achnmgigkeit selbst zu einem verobjektivierten Wissen
und die anderen Menschen zu Weltobjekten.
zu stellen, indem er die Ethik selbst zur Ersten Philosophie erhebt und die
_ _"'_ .... . .."....-............
~ ~ --'-_"'"~' _ _ ''''''-n<'_ .• -_...... , -. '."" '."-~". _ • __ ,-.~ ~~ ... ,_~._ c~~. ,= ... ~ .... _~ ~_-"_",,,-J.._-, __ ._ ..... ~~_', .•.• ~_~ " __,._,,,",- __ .,,___ __
~. ~,,,_~,,,_,"'-''''''
Beziehung zum Anderen als ursprünglich, als Grund für alles ethische
De~e~-~~dHand~ln ~~~~teht. 34 ---..-...-..-----.-----.-...---.-.---.-.-
Di,ese ursprüngliche Beziehung zum Anderen ist für Levinas nicht ,als Erkennt-
nis des Anderen aufzufassen, "di,e als Konstitution eines 'lebendigen Leibes'
beginnt, wie es die berühmte Husserlsche Analyse der fünften 'Cartesiani.-
sehen Meditation' will. Die Konstitution des Leibes des Anderen in dem
Bereich,. den Husserl die 'primordiale Sphäre' nennt, die transzendentale
'Paarung', die das so konstirutierte Objekt mit meinem Leib eingeht - wobei
mein Leib selbst von Innen als ern 'Ich kann' erfahren ist - die Apperzeption
dieses fremden Leibes als des Leibes eines !!!!~~gg_:, aU dies verschleiert,
daß auf jeder der Srufen, die man für eine Beschreibung der Konstiruüon hält,.
die Objektkonstitution mit der Beziehung zum Anderen verwechselt wird - ob-
wohl diese Beziehung ebenso ursprüngmich ist wie die Konstitution, aus der
man sie ableiten möchte. Die .~ordial,e Sphä~ die dem entspricht, was wir
das Selbe ne:nnen, wendet sich dem absolut Anderen nur zu, weil dieser sie
anruft. !!l.! Velhältnis Z!!! gELelctivierende.'2.. Erke.!1ntnis stellt .die 0Jf~barung
eine wahre Umkehr dar." (TU 90)
~ _ _ _;;.". _ _ _ _ _ _-r;.~~_ _
FQrde.rn...J.lgY..9.11I&.vin~~ nach einer "wahren Umkehr" im Denken durch das ~iI!".I --,G_ • _. ';fr~~
33
'\
ten; d.h. vom Anderen her das kh zu denken im Sinne einer Bewegung,
- -~~----_. --------~~-~--~--------------_ .._.. _._-~~-----~.~-----
--Ausgangspunkt
.....
zurückkehrt" (SpdA 215) und sich an keine Subjekt.. Ob-
----.........-~--~-~ - -- ._-"- --, ..
als "A~~l1~ful:!!Sd~~~nlt (WG 197). Bereits auf der Stufe der sinnlichen
Wahrnehmung ist für Levinas in der Husserlschen Phänomenologie d,er
Aneignungscharakter des Denkens angelegt: "Schon die Wahrnehmung
ergreift; und der 'Begriff bewahrt diese Bedeutung von 'in den Griff
nehmen'." (D 66) In der Bezogenheit des Denkens auf "die Sachen [ .... ]
selbst "'.35 die schlicht gegeben sind - eine der grundlegenden Anschau-
ungen Husserls -,e~Eric~!.2~~~!.'2i~~~e~_~! .~vi.~~s_ ber~!. d~ill.
Maßstab des Denkens und verheißt eine Erfullung der Leerintention, eine
Erfüllu~~ des ------!!'
Maßstabes . . . - . . . des... M,einens.
,-?~,- .. _--_.
_--~--
36 Auf diese;-W;~e· d~r Sinnver--
leihung durch den Maßstab des Denkens "wird 'das Ding selbsf dem
gleich, was die Intention des Denkens 'wollte' und meinte" (WG 200).
Dieser possessive Charakter der Wahrnehmung und des Denkens bestimmt
Levinas zufolge auch die Hussedsche Fremderfahrungslehre . Indem die
anderen Menschen von Husserl als "Erfahrungsgegebenheiten" (CM 58)
aufgefaßt werden, wird auch die Beziehung zum Anderen dem Maßstab des
Denkens unterworfen, das sich in der Adäquation des Anderen an das
Eigene "befriedigt\ als "Übereinstimmung, Erfüllung, Genugtuung" (WG
204 f.). In diesem durch den Charakter der Aneignung geprägten Wissen
vorn Anderen, "das ich aufgrund der Analogie zwischen dem Verhalten ei-
nes objektiv gegebenen fremden Körpers und meinem eigenen Verhalten er-
reiche, bildet sich lediglich eine allgemeine Idee von der Inne~lichkeit und
vom Ich. Die ununterscheidbare Anderheit des Anderen wird gerade ver-
fehlt [ ... ] Der Andere hätte so seine radikale und ununterscheidbare An-
derheit vedoren, um zur Ordnung der Welt zurückzukehren." (WG 210 f.) \
--.
3; Vgl. PV 6.
36 Vgl. WG 201; D 66 f.
34
"Die allgemeine Idee von der lIUlerlichkeit und vom Ich" hat in der Hus-
serlschen Fremderfahrungslehre die Funktion der Vermittlung zwischen 1
11
,I
dem Ich und dem Anderen. Im Zuge dieser Vermittlung durch die All-
gemeinheit des theoretischen Wissens wird alle Fremdheit, alles Über-
raschende am Anderen abgefangen, so daß der Andere als "Analogon" (CM
126), als "Modifmlcation meines Selbst" (CM 144) aufgefaßt werden kann.
Eine radikale Kritik an dieser vereinnahmenden Haltung von theoretischer
""-~~~"";'.·~;:";~H"''''''''n-''~·''!;tz,''':·..1'=''-''':''/''''''''~'":\'''''''t''''''' __ . - - - ___ ""'- ~_ _ __
i
"Erkennen heißt, in dem entgegenstehenden Individuum, in diesem Stein, der i
,\><' -~----"-""""l"'"-"~_'--'-'_'--"-_r*-_~"''''''-''~_~''''''_~ i ,'~
verletzt, in dieser Kiefer. die in den Himmel ragt.. in diesem Löwen, der i
b;uru,··~~~~~iii;;;;~h~~~§~~!~~~~~.~·' [' .(
Fremde hier ist,. sondern wodurch es sich verrät,. wodurch es dem freien \ \'.l
~il1e~~~~iL~~J~i:~~~~~~~~~~~~~~C~~~~~§J~~~~~~~ \ !\
~aßt u?~~begriffen wir,!J,.~n ~inen B~g~tff~~: Erk~~~~t:5!,a,r.~ \_
dJ!U!1~l-Y~~!!~.'" ,!~s~__~J,s",'~~~~:~_ T~~l,~t~:.~:_~c~~. ~~m~r S~~~rttät, die 1- r' -
nicht zählt, zu nehmen, sondern in seiner Allgemeinheit, von der
"'''' .... ~ .... ''-:~-~_., ~ •• 1'_ ' . "~"'-'
allein es
_______
• ' ........ ' • • ",-",":, ... ~,-<- •• - ,;~~.".> ···c, . . . . _ . " ' _ ...,... -.- .... ,-'"" ......;..... _.·- ... _ .... - ...-'".,~ ... ", ...... "'-""""""'~·n._i ·~_,,_~_
Dieser Protest Levinas' gegen den Primat der theoretischen Vernunft, der
für Levinas nicht nur die Husserlsche Phänomenologie, sondern die gesam-
te abendländische Philosophie zumeist beherrscht,. richtet sich nicht gegen
das theoretische Erkennen überhaupt (wi,e oben bereits erwähnt), sondern
gegen die ego logische Haltung dieser Philosophietradition. Aufgrund dieser
Haltung wird alles Fremde am Sein und damit auch die "Anderheit des An-
deren", seine "Singularität". einern allgemeinen Begriff untergeordnet und i I
l
so neutralisiert und zum Verschwinden gebracht. Das Verschwinden alles
Fremden. alles Ereignishaften begründet den Vorwurf der "Aneignung"
(!NO 200), der "Selbstgenügsamkeit" CD 66) und der "Macht" (SpdA 190). Ix
Diese von Levinas vor allem gegen die Husserlsche Fremderfahrungslehre
gerichteten Kritikpunkte versucht Derrida in seinem "Essay über das Den-
ken Emmanuel Levinas" aus dem Jahre 1964 zu widerlegen. Derrida weist
darauf hin, daß Husserl die Andersbeit des Anderen gerade dadurch be-
wahrt, indem er unablässig betont,. daß der Andere mir niemals originär
35
gegeben ist, sondern 311sschließHch in der analogischen Appräsentation.
Hierin Hegt für Derrida gerade eine" gewalitl ose Achtung des Verborgenen:
Es ist das Gegenstück zur siegreichen Assimilation" .37
Aber gerade darauf, daß dieses "Verborgene", das Geheimnis des Anderen,
sein Bedeuten außerhalb des Wissens, in der Husserischen Fremderfah-
rungslehre ausgespart bleibt, beruht die Levinassche Kritik:. "Was man in
der Appräsentation für das Geheimnis des anderen Menschen hält, ist
gerade die Rückseite eines ß,edeu~ens, das anders ist als das Wiss,en: das
Erwachen zum anderen Menschen in seiner für das Wissen ununterscheid-
baren Identität [... ]1" rNG 211) "Das Erwachen zum anderen Menschen'"
muß für Levinas in einer "Ordnung über der Erkenntnis (AS 9) gesucht 11
(WG 114). Entgegen der Meinung von nerrida, der ein Zurückgehen hinter
das erkenntnistheoretische Apriori für unmöglich hä1t" versucht ______ ...
Levinas" die .....
. . _'---€z.. ~_ _~
. .. , ........ - zu bewahren,.
:,' Erkenntnis - ' ... .,..' .~. ~ ~_._
37 Jacqufs Derrida: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt a.M. 1989, S. 189.
36
214) Wie sind die gänzlich anderen Erfahrungen des Ander,en - anders als
die Erfahrungen, die das Wissen vom Anderen begründen - zu verstehen?
Um die ursprüngliche Erfahrung des Anderen als Erfahrung vor allem
Wissen zur Sprache bringen zu können, greift Levinas auf die Phänomeno-
logie zurück, um sie zugleich im Rahmen seiner Philosophie am "ethischen
Bedeuten des Anderen" (DuV 150), an der "Transzendenz des Anderen" zu
überschreiten. 38 Diese Methode ist in den bisherigen Ausführungen be-
reits insofern zur Darstellung gekommen, als mit Levinas zu zeigen ver-
sucht wurde, daß die erkenntnistheoretischen Letztbegründungen der Phäno-
menologie ihrerseits hinterfragt werden können: So,. wie das zweifelnde Ich
im cogito aus Levinasscher Sicht keinen Halt findet und das anonyme
Bewuß~einsleben sowie die ursprüngliche passive Syniliesis eine Infrage-
stellung der Herrschaft der Vorstellung bedeuten, so ist auch das Selbst,
das den Anderen in der Intersubjektivitätslehre Husserls konsütutiert.
ursprünglich auf den Anderen bezogen, indem dieser es "anruft" (TU 90).
Im Überschreiten der Phänomenologie verläßt Levinas zugleich die theore-
tische Form der Begründung, um einen ethischen Sinn als Wahrheit zur
Sprache zu bringen, der als "Wandlung des Intentionalen in das Ethische
geschieht" (SpdA 275).
"Wir nennen 'ethisch'eine Beziehung zwischen Termini,. in der der eine und
der andere weder durch eine Verstandes synthese noch durch die Beziehung
von Subjekt zu Objekt vereint sind, und in der d,ennoch der eine für den
anderen Gewicht hat, ihm wichtig ist, ihm bedeutet, in der sie durch eine
Intrige verknüpft sind, die das Wissen weder auszuschöpfen noch.zu entwirren
vennöchte." (SpdA 274, Anm. 3)
37
Im folgenden Kapitel sollen diese ungewohnten "Blickweisen und" Sprach-
11
38
--~
Busserl räumt demnach ein, mit der "lebendigen Evidenz des Ich bin", mit
der "lebendige[n] Selbstgegenwart" • nur eine vodäufige Beschreibung der
Apodiktizität der ersten Gewißheit gegeben zu haben. Die Tragweite der
apodiktischen Evidenz müßte nach Husserl durch eine Kritik der trans-
39
zendentalen Erkenntnis überhaupt, im Sinne einer Reflexion über die
Reflexion, bestimmt werden,. die im Rahmen der Cartesianischen Medita-
tionen aUerdings nicht geleistet wird. 42 Levinas springt sozusagen in diese
Lücke der Husserlschen Phänomenologie, indem er die .r einziganige Situa-
, tion des Cogito-Sum" (WO 56) - auf die sich nach Husserl die Zweifello-
sigkeit des Apodiktischen bezieben muß· - befragt.
Husserl gelangt über den bevorzugten Weg der Reduktion zur ersten apo-
diktisch auszUsprechenden Evidenz, zur "lebendige[n] Selbstgegenwart" des
reinen Ich, aus dem jedes cogito "als Akt des Ich" (Id I 194) hervorgeht.
Als "Identitätspol" (PP 208) aller immanenten Bewußtseinserlebnisse erhält
es "den Sonderstatus eines transzendentalen Ich in der Immanenz der
Intentionalität" (AS 201).43 In Anlehnung an HusseTl fragt sich Levinas,
wie diese Losgelöstheit, diese Transzendenz des reinen leh in der lmma-
nenz des Bewußtseinslebens, mit der es trotz seines Sonderstatus verfloch-
ten ist, gedeutet werden kann. Für Levinas ist diese Transzendenz des
reinen leh in der Immanenz als emn Erwachen aufzufassen, um so in der
"lebendige[n] Selbstgegenwart" eine "Modalität des Lebens" zu vernehmen,
"jenes Lebens, das sich in seiner Immanenz identifiziert und doch zugleich
von dieser Immanenz erwacht als ein Sich-dazu-in-Distanz-haltendes-Icb,
dem seelischen Zustand, dessen Bestandteil es ist, entrissen" (WG 58).
Wird die Apodiktizität des Subjektiven, des reinen leh, im Lebendigen der
Selbstgegenwart gesucht, so kann sie für Levinas nicht mehr nur ,. ein
Gewißheitsgrad " sein, "sondern ein Lebensmodus : die Lebhaftigkeit des
Lebens" (WG 58).
Die Husserlsche Phänomenologie trennt nicht zwischen der Lebhaftigkeit
des Lebens und der Selbstgegenwart, die immer schon Wissen ist. 44 Des-
halb bleibt die Apodiktizität als Erkenntnis charakterisiert und ihre Leben-
digkeit als Intentionalität. Die Intentionalität, die Husserl auch als Eigen-
schaft des "wachen Ich" (PP 209) charakterisiert, fäHt mit dem erwachen-
den Ich zusammen. Dadurch wird für Levinas das unterschwellige Leben
des Ich zum Vergessen gebracht, das sich doch gerade in der "Möglichkeit
des Erwachens" (WG 63) als Leben zeigt, indem es das Leben wieder-
40
____ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _=':"""--'--_ _ _ _ c_
_
~
~
erweckt, welches das thematisierte Sein bereits hat erstarren lassen. 45
Nach Levinas entspricht dagegen das Erwachen selbst für Husserl "noch
einer Anderhei~. die durch das Ich zu assimilieren ist" (WG 62) und sich
dadurch als "virtuelle Intenüonalitä~ in Wissen hinein entfalten muß· und in
Evidenzen hinein" (WG 63). Insofern gehört nach Husserls eigenen Worten
eigentlich "alles zum wachen Ich als fortgesetzt 'thematisierendem', in
Aktmeistungen fungierend, als lebendiges Gegenwarts-Ich;. aber/auch fungie-
rend in den passiven Leistungen, in den Assoziationen, passiv konstituie-
renden Synthesen 11 (PP 481).
Indem Levinas auf eine Unterscheidung zwischen dem Erwachen des Ich
und dem "wachen Ich" als "Bewußtsein von", zwischen dem Lebendigen
und dem Wissen beharrt, ist er in der Lage, der Husserlschen Transzen-
denz des reinen Ich in der Immanenz des Bewußtseinslebens ei.ne Bedeu-
tung zu geben, die außerhalb des Wissens liegt, um ihr,en Sinn im Lebendi-
gen zu suchen. Die Transzendenz als "das immer von neuem beginnende
Erwachen in der Wachheit selbst" (WG 60) "zerreißt oder inspiriert" (WG
64) die Immanenz im Sinne einer "Differenz zwischen dem Selben und dem
Selben, [. .. ] die von der Identität nicht umfaßt werden kann" (WG 63);
"Differenz im Herzen des Selben" (WG 64); "waches Herz, Nicht-Seien-
des, Nicht-Zustand in der Tiefe der seelischen Zustände, die in wer Identi-
tät schlummern, Schlaflosigkeit oder Herzschlag im äußersten Winkel des
subjektiven Atoms" (WG 61 f.).
Diese Störung des "Ichpols" (PP 481) kann zuglekh als Infragestellung des
Selben aufgefaßt werden - olme letzten Grund. In dieser Unruhe im Selben
zeigt sich für Levinas eine Bezogenheit des Sei ben auf den Anderen, der es
lediglich anruft, "und zwar im tiefsten seiner selbst,. tiefer als es selbst, da,
wo nichts und niemand es ersetzen kann" (WG 61).
Wird dieses Erwachen nicht im Husserlschen Sinn als ein Erwacben für ein
Objekt, sondern als ein Erwachen für den Anderen verstanden, wäre es
möglich, den Ursprung aller Wahrheit nicht in der Selbstgegenwart des Ich,
im Wissen, sondern in der Ethik zu suchen. Die ursprüngHche Situation des
45 Levinas kehrt hier das Bild vom "Schlaf der Vernunft" um, "als ob das
Bewußtsein in seiner Identifizierung des Selben einschliefe" (WG 68) und vom
unterschwelligen Leben immer von neuemerweckt würde.
41
------._~~
remen Ich wäre dann zugleich "Nähe und Transzendenz ganz außer sich,
außerhalb jeder vermittelnden Synthese" (AS 203), von woher jedes "an
sich " , jede Identität und jedes Wissen ers~ seinen Sinn erhielte. Diese Nähe
als das Erwachen für den Anderen bedeutet für Levinas konkret die Ver-
antwortung für den Anderen. "Die Wachsamkeit - Erwachen, das im E:r-
wachen anhebt - das Erwachen, das den Zustand erweckt, in den di,e Wach-
heit selbst verfäUt und in dem sie erstarrt - ist Berufung - und konkret die
Verantwortung für die Anderen." (WG 70) Wie das Erwachen so geht auch
die Verantwortung für den Anderen für Levinas aller IntentionaHtät des Ich
voraus und liegt in ihrem Ursprung außerhalb des Kon~extes der Welt; das
Ich hat für diese Verantwortung keine Entscheidung getroffen und kann
sich ihr zugleich nicht en~iehen.46
Diese ursprüngliche Verantwortung für den Anderen, "die sich je kOnkret
nur an die Einzigkeit des Ich wendet", 47 bedarf allerdings des Vergleichs
und des Wissens angesichts des Dritten bzw. der Vielheit von Menschen.
Die "Verantwortlichkeit für den Anderen" kann "angesichts des Dritten
nicht auf den Vergleich verzichten [ .... ], insofern also, als sie zum Ver-
gleichen des Unvergleichlichen gezwungen ist,. zur Objektivierung, zum
Bewußtsein und zum philosophischen Wissen selbst" (WG 73 f.). Wenn
jedoch - wie oben erwähnt - der Beginn aller Philosophie in der Ethik
gesucht wird, d.h. wenn das Erwachen des Ich seine konkrete Gestalt in
der Verantwortung für den Anderen annimmt, muß sich auch das Wissen
- die Vergegenwärtigung, die Identität und die Gleichheit - von dieser
Verantwortung her rechtfertigen;48 somit liegt die eigentImche Geburts-
stunde des Wissens in der Forderung nach Gerechtigkeit aufgrund der
Vielheit von Menschen. 49 Sowohl für die Gleichheit im Si1ll1e einer
Rechtmäßigkeit als auch für die Geistigkeit des Erwachens ist "eine Kultur
der Erkenntnis notwendig [ ... ], eine Gegenwart für das Bewußtsein und die
philosophische Aussage" (WO 74, Anm. 29). Allerdings bleiben die Wege,
die zur Erkenntnis führen. unterschieden vom Leben, das seine Lebhaftig-
keit vom Anderen her erhält. Das theoretische Wissen müßte sich jedoch
46 Vgl. HdaM 71 f.
47 W. Schmied-Kowarzik, 3.a.0., S. 17.
48 Vgl. WG 74, Anm. 2-
_9.
49 Vgl. DuV 152.
42
insofern auf das Leben beziehen, als es seine theoretische Wahrheit immer
wieder vom Anderen her im Sinne einer Bezogenheit auf den Anderen als
"das immer von neuern beginnende Erwachen in der Wachheit" in Frage
stellen Hißt.
Ein weiterer Versuch Levfunas', das Fremde oder das Andere, das nkht
vom ego cogito assimmert werden kann, sondemes geradezu sprengt, zur
Sprache zu bringen, stellt seine Interpretation der "Ide,e des Unendlichen"
dar. Levinas knüpft dazu an Descartes' "Dritte Meditation: Über das,'
Dasein Gottes"SO an. Dabei interessiert Levinas jedoch nicht der Beweis
einer Existenz Gottes, sondern die Descartessche Ableitung der Idee des
Unendlichen (d.i. der Idee GoUes), die für Levinas einen Weg des Denkens
vorzeichnet, der zum Bruch des /eh denke, zum Bruch des Bewußtseins
führt. 51
43
ist vielleicht nicht sehr sinnvoll, eine Existenz dadurch zu beweisen., 53
daß man eine Situation beschreibt, die dem Beweis und den Problemen der
Existenz vorausgeht" (TU 60).
c Das Außergewöhnliche der Ide,e des Unendlichen besteht für Levinas in
ihrer formalen Struktur: Indem das Ich das Unendliche denkt, überschreitet
. f ... _-----~~ _____ ............,_
das cogitatum als Nicht-Inhalt, als Unendliches, die cogitatio,. die Idee
-._.--.-- -'.'-' . ~. ~
apriori. Das Ich denke unterhält mit dem Unendlichen im Denken eine
Beziehung, obwohl es das Unendliche nicht enthalten kann. "Die 'objektive
Realität' des cogitatum läßt die 'formale Realität' der cogitatio platzen."
(GuP 96) Im Gegensatz zu den Ideen der endlichen Dinge, bei denen eine
Deckung von "ob}ektiver" und "fonnaler" Realität nicht ausgeschlossen ist,
macht bei der Idee des Unendlichen gerade der "Abstand, der ideatum und
Idee trennt, [ ... ] den eigentlichen Inhalt des ideatum aus" (TU 61), Der
Abstand oder die absolute Andersheit des Unendlichen kann nicht assimi-
liert werden vom Gedanken, der das Unendliche d,enkt: "Die Idee des
Unendlichen ist weder die Immanenz des /eh denke noch die Transzendenz
des Gegenstandes. Bei Descartes stützt sich das Cogito auf den Anderen;
der Ander,e ist Gott,er hat die Idee des Unendlichen in die Seele gelegt
,~-.~ ....... - ----~ --_. ~~._--- . - ",._- - "- -- - - -'-- -. - . -_._-
[ ... ]" (TU 1J9) Die "Evidenz des Cogito kann das lcritische Bedürfnis nicht
befriedigen;. denn der Anfang des Cogito geht dem Cogito voraus. n Im
Zweifeln sucht die Existenz Gewißheit. "Aber dies,e Ahnung, dieses Be-
wußtsein des Zweifels, setzt die Idee des Vollkommenen voraus." (TU 118)
Während für Descartes mit der Idee des Unendlichen - im Sinne eines
Gottesbeweises - das cogito für seinen Glauben an die Wahrheit der klaren
und deutlichen Erkenntnisse eine letzte Snitze und Rechtfertigung erhält,
besteht für Levinas die Bedeutung der ldef!. des Unendlichen gerade in der
Infragestellurig desWiss.eßs, in der Infragesten~ng a.ls dem letzten Sinn des
Wissens.~54 "Die· Präsenz der Gegenwart, die Descartes im Cogito ent-
deckt~~ ohne das Un-Bewußte, das es auffraß, zu ahnen, zersprang ihm
zugleich unter der Hand dur,ch di,e Id,ee Gottes, die es nicht aufnehmen
konnte." (E 75 f.) Mit der Interpretation der Idee des Unendlichen als
44
Infragestellung des Wiss,ens gibt Levinas ihrer formalen Analyse - nach der (
sie sich von allen anderen Ideen der Vergegenständlichung, von den Evi- I
denzen des cogito, unterscheidet, indem sie die Fassungskraft des cogito _ I
l
'--~----'- _ _ ~ •• _- ~'-~---'~L_" _." \
"Das berühmte Innehalten des Aktes [d.i. die Reflexion], von dem es heißt,
es mache die Theorie möglich, liegt an einer Zurückhaltung der Freiheit, die
sich nicht ihrem Elan, den spontanen Bewegungen, hingibt, sondern Abstand
hält. Die Theorie, in der die Wahrheit entspringt, ist die Haltung eines Seien-
den, das sich selbst mißtraut. Das Wissen wird erst zum Wissen einer Tatsa-
che, wenn es gleichzeitig Kritik ist, wenn es sich s,elbst in Frage stellt, wenn
es hinter seinen Ursprung zurückgeht [".] (TU 113)
11 .
45
Was bedeutet diese InfragesteUung, die gleichzeitig Kritik ist? Für Levinas
kann sich ihre Bedeutung nicht im Erkennen der Erkenntnis - als Bewußt-
seinsstrom oder Evid,enzstreben, wie etwa bei Husserl - erschöpfen. Wenn
das Problem des Grundes mit dem objektiven Erkennen der Erkenntnis
gleichgesetzt wird, wird die Frag,e nach der Rechtfertigung der Spontaneität
und Willkür der Freiheit des Erkenntnisaktes vergessen. Den Beginn aUer
Erkenntnis im Erkenntnisakt selbst zu suchen beinhaltet zugleich die An-
sicht, "die Freiheit könne smch nur auf sich selbst gründen; denn als Deter-
mination des Anderen durch das Selbe ist die Freiheit die eigentliche
Bewegung der Vorstellung und ihrer Evidenz" (TU 118).
Wird jedoch das Wesen des Wissens und der Philosophie in der Kritik
gesehen, läßt sich das Wissen nicht auf die objektive Erkenntnis reduzieren.
"Wenn die Philosophie darin besteht, in kri~ischer Weise zu wissen, d.h. für
ihre Freiheit einen Grund zu suchen, sie zu rechtfertigen, dann beginnt sie mit
dem moralischen Bewußtsein, in dem der Andere als Anderer gegenwärtmg ist~
im moralischen Bewuß.tsein kehrt sich die Bewegung der Thematisierung um. "
(TU 119)56 "Das Wissen, das sein Wesen an der Kritik hat, [... ] führt ZUm
Anderen. Den Anderen empfangen heißt, memne Freiheit in Frage stellen."
(TU 118) "Das Wesen der Vernunft besteht nicht darin, den Menschen seines
Grundes sowie seiner Vermögen zu versicbern, sondern ihn in Frage ZU
s~ellen und ihn zur Gerechtigkemt einzuladen." (TU 122)
Nicht vor sIch selbst, sondern vor dem unendlich Anderen rechtfertigt sich
das Ich. Vom Anderen her wird das erkennende Ich in Unruhe versetzt.
"Das moralische Bewußßein" ,57 das "keine Erfahrung von Werte~" __JE
I 11) ist,. sondern die Beziehung zum Anderen, vor dem das Ich sich recht-
ferügt,. geht der Freiheit des Ich und dem Wissen voran.
-"- •• - - -• • " , •••• - . - -- - < , . ' ,,- - -
56 Das "moralische Bewußtsein" darf nicht als wertendes oder praktisches ver-
standen werden, denn in "allen seinen Fonnen - als vorstellendes, wertendes
praktiscbes - hat das Bewußtsein schon diese nahe Gegenwart [des Anderen]
verloren" (SpdA 282).
57 Oder Gewissen. Der Übenetter weist darauf hin,. daß, um die Wortgleicbbeit
im Französischen (conscience) nicht zu verde,cken, obiger Ausdruck geWählt
wurde, der die Gemeinsamkeit mit "Bewußtsein" sinnfallig macht (vgl. E.
111).
46
Das moralische Bewußtsein, das die Idee des Unendlichen bereits voraus-
setzt, versteht Levinas nicht nur als eine InfragesteUung des cogito durch
den Anderen, sondern zugleich als ein Begehren: "Der Zustand der Unbe-
friedigung des moralischen Bewußtseins, die Enttäuschung vor dem Ande-
ren, fallen zusammen mit dem Begehren." (SpdA 206 f.) Das Begehren ist
nicht auf ein subjektives Gefühl zu reduzieren, sowenig wie das moralische
Bewußtsein in der ethischen Beziehung mit dem Anderen als eine "'beson-
ders empfehlenswerte' Variante von Bewußtsein" (SpdA 205) aufzufassen
ist; so, wie das moralische Bewußtsein wesentlich unbefriedigt ist im Sinne
einer konkreten Form, "wekhe die Idee des Unendlichen als eine Bewe-
gung annimmt" (SpdA 205), so ist es auch als das wabre Begehren des
absolut Anderen dasjenige, "das durch das Begehrte nicht befriedigt, son-
dern vertieft wird" (SpdA 202).
WoHte man das Begehren trotz seines nicht-intentionalen Charakters als
Intentionalität beschreiben, so kann die Intentionalität, die die Idee des Un-
endlichen als Begehren bdebt,. mit keiner anderen verglichen werden. 11 Sie
intendiert, was sie nicht umfassen kann, und in diesem genauen Sinne
intendiert sie das UnendHche." (SpdA··197) Bei der Ide~ d,es U~~ndli~h~~
"denkt das ich von vornherein mehr als es denkt (SpdA 197). und dieser
I 11
Überschuß. dieses "Mehr im Weniger" (GuP 103) hat einen positiven Sinn,
es ist das Begehren. Es hat die Struktur einer "Sehnsucht, die sich von der
Dürftigkeit des Bedüfnisses abhebt" (E 112). Als "'Mehr im Weniger". als
Drang oder Quellen eines Überschreitens, unterscheidet sich das Begehren
von dem Mangel des Bedürfnisses, der befriedigt werden kann. Die Bedürf-
nmsse oder die "Begierden, die man befriedigen kann, ähneln dem [.... ] Be-
gehren nur in der Enttäuschung der Befriedigung oder in der Erregung der
Nicht-Erfüllung und des Verlangens, die das Eigene der Lust ausmacht"
(TU 36). "Das Begehren ist das Unglück des Glücklichen, ein verschwen-
derisches Bedürfnis . " (TU 82) Das Begehren geschieht aIs die grundlegende
Spannung im Gefühl, wobei diese Sehnsucht "auf gar keine Weise - sei es
auch begrifflich - vorgestellt werden kann" (SpdA 239, Anm. 2). Gerade
als uneindeutiges Begehren ist es das Beg,ehren des Unendlichen, das vom
Begehrten belebt und vertieft wird. Diese Beziehung rum unendlich Ande-
ren "leert mich von mir selbst" (SpdA 219), das Selbst bat kemMaJfmehr,
47
es hält nichts fest; gerade die Maßlosigkeit des Unendlichen wird im Be-
gehren ennessen. 58
Für Levinas gibt sich das Begehren als Güte und Freigebigkeit zu erken-
nen. Di,e Freigebigkei~, die auf keine Gegenleistung aus ist, ist eine Bezie-
hung, die "nicht das Verschwinden des Abstands, nicht Annäherung bedeu-
tet". Ihre Posmtivität. liegt darin, daß der Abstand oder die Feme wächst~
"denn die Freigebigkeit, könnte man sagen,. nährt sich von ihrem Hunger.
Die Feme ist nur radikal, wenn das Begehren nicht das Vermögen hat, das
Begehrenswerte vorwegzunehmen, wenn es das Begehrenswerte nicht im
Vorhinein denkt, wenn es auf Gutglück auf es zugeht, d . h., wenn es auf es
zugeht wie auf eine absolute, mcht vorwegnehmbare Andersheit, wie auf
den Tod." (TU 37) Die Freigebigkeit ähnelt dem Wes,en des Begehrens in
ihrem Streben auf den Anderen hin als Bewegung ohne Rückkehr zu sich
selbst. --- --- -- -
Als Öffnung des Ich für den Anderen gleicht di,e Freigebigkeit dem Begeh-
ren,. aber auch dem moralischen Hewußtsein sowie dem Empfang des
Anderen im Erwachen. Diese Lebendigkeit des Ich, das Leben selbst, hat
das Ich nicht aus sich selbst, sondern aufgrund des Unendlichen in ihm, das
eszuglekh nicht umfassen kann. Diese Transzendenz des Anderen in der
Immanenz des Selben, die Levinas iiTI1 Überschreiten des ego cogito aUf-
zuzeigen versucht, realisiert sich für ihn nicht nur in der Freigebigkeit . .
sondern vor allem in der Sprache. in der sich zugleich die Menschlichkeit
des Anderen als "Antlitz" ausdruckt.
"Die Rede ist das Ereignis von Sinn." (TU 88) Im Ereignis der Rede reali-
siert sich für Levinas die ethische Beziehung .zum Anderen. Wird die Rede
58 Vgl. TU 81.
48
~-~~~-~._-----------
als ein Ereignis aufgefaßt, so darf der Sinn dieses Ereignisses nicht im
Gesagten gesucht werden, sondern im Sagen selbst. Im Sagen sel~st drü~kt
sich für Levinas eine Beziehung zum Anderen aus, noch bevpr sich die
Gesprächspartner auf einen gemeinsamen Inhalt beziehen. "Schon vor aller
verstehenden Teilnahme an einem gemeinsamen Inhalt besteht der Aus-
druck darin, die Gemeinsamkeit herzusteHen, und zwar durch eine Bezie-
hung, die auf das Verstehen nicht zurückgeführt werden kaIlll. (SpdA 113)
11
Eine solche sich im Ereignis der Sprache - vor allem Verstehen - ausdrük-
kende Beziehung zeigt sich für Levinas im Grüßen - "sei es auch als Ver-
weigerung des Grußes" (SpdA l12). Im Grüßen, im Nabekommen. "rufe'"
ich den Anderen an - ohne irgendeine Gewißheit auf Gegenseitigkeit.
Dieser "Anruf" ist für Levinas nicht nur das W,esen des Grußes, sondern
der Sprache überhaupt~ denn sie ha~ ihren Ursprung in der Beziehung zum
Anderen, "ihr Wesentliches ist der Anruf, der Vokativ .. S9 (TU 9'2).
Sieht man im Gegensatz zu Levinas das Wesen der Sprache nicht in der
Öffnung des Ich zum Anderen, in der Sprachbeziehung, sondern in der
symbolischen Vermittlung eines gemeinsamen Inhalts, so stellt man sie für
Levinas in den Dienst der Vernunft und des Deßkjens. Die Sprache wird
da1lll zu einem objektiven Werk als Inkarnation des Denkens, und ihr
"kommunikatives" Element kann sich nach diesem Verständnis auch in
einem einsamen Denker im Sinne einer Selbstbefragung zeigen. Im egologi~
sehen Werk der Selbstbefragung gibt das Ich oder das Denken sich die
Zeichen selbst, noch bevor es zu jemandem sprieht. Die Sprache bedeutet
somit nur die Notwendigkeit der inneren Rede. insofern bereits das einsame
Denken an die Sprache gebunden ist:
"Das Denken spaltet sich, um sich zu befragen und sich zu antworten; s,ein
Faden verknüpft sich wieder. Es reflektiert auf sich selbst, indem es sein
spontanes Fort-schreiten unterbricht, bleibt aber immer noch dem selben Ich
denke verpflichtet. Es bleibt dasselbe. Es geht von einem Punkt zu einem
entgegengesetzten Punkt, der ihn fordert. Doch die Dialektik, in der es wieder
zu sich selbst findet, ist kein Dialog, oder es ist böchstens der Di.alog der
Seele mit sich selber, der sich in Fragen und Antworten voUzieht." (D 69)
59 vocare ~ rufen.
49
"Die Dialektik ist kein Dialog mit dem Anderen"; sie zerreißt zwar das Ich
denke, aber der Riß ist am Ende nkht mehr zu sehen,. denn die Dialektik
mündet schließlich in einer Synthese und in einem System der Ver-
nunft. 60
Nach diesem Sprachverständnis würde für Levinas auch das Fungieren der
Sprache als empirische Realität der Kommunikation dem Bewußtsein
untergeordnet werden. Die Kommunikation wäre als ein Ideenaustausch ZU
verstehen, bei dem der eine Gesprächspartner in das Denken des Ander,en
eintritt und beide Teilnehmer sich auf der Grundlage der Teilhabe an einer
gemeinsamen Vernunft verständigen. "Die Sprache wäre dann nichts als ein
System von Zeichen, die von einem newußtsein zum anderen ähnliche
Gedanken weckt." (TU 300) Der Ideenaustausch würde getragen von der
Einheit der Vernunft, die die wechselseitige Andersheit der mannigfaltigen
Bewußtseine autbebt und sich so im cogito hält. Die als Ideenaustausch
verstandene Sprachbeziehung reproduziert nach Levinas noch einmal den
einsamen Dialog der vemunftbegabten Seele mit sich selbst, der in einem
einzigen Bewußtsein, dem cogito, stattfindet. Indem nach diesem Verständ-
nis der Diskurs dazu dient. die Kohärenz der B,egriffe zu sichern, wmrd der
einzelne Denker aufgrund der unpersönlichen Struktur der Vernunft zu
einem Moment des Gedankens, und das einzigartige Ich des Denkers
verflüchtigt sich itn die einzige und universale Rede.
Dieses Streben nach einer Einheit in der Vernunft durch das Aufheben der
wechselseitigen Andersheit wird nach Levinas in der westlichen Tradition
des Humanismus Sozialität genannt. Sie wird demnach möglich durch den
gemeinsamen Glauben an die durch die einheitsstiftende Kraft der von der
Vernunft geleiteten Rede und bedarf darüber hinaus der Wahrheitsliebe des
efunzelnen. 61
Levinas steHt allerdings die Frage, ob die Liebe zur Wahrheit und der
Glaube an die Vernunft sich nicht einer vorgängigen Begegnung mit dem
anderen Menschen verdanken im Sinne einer Öffnung für den Anderen,. als
Ereignis der Rede vor aller Vernunft Die so verstandene SoziaHtät ginge
nicht von einer Aufhebung der Andersheit des Anderen durch die Vernunft
50
l
aus, sondern bewahrte gerade dessen absolute Andersbeit, indem die An-
dersheit des Anderen sich in der Beziehung, die in der Sprache selbst
gestiftet wird, ausdrückt. "Die Sprache setzt Gesprächspartner voraus, eine
Pluralität. Ihr cornmercium, ihre Gemeins,chaft, besteht weder darin, daß
der eine den Anderen vorstellt, noch besteht sie in der Teilhabe an der
Universalität, an dem Gemeinsamen der Sprache. Ihre Gemeinschaft [... ]
ist ethischer Art." (TU 99) In dieser ethischen Beziehung, in der die Spra-
che Leben ist, affiziert mich der Andere nicht auf der Grundlage einer
sinnlichen oder intellektuellen Anschauung, sondern er berührt mich un-
mittelbar in der "Gemeinschaftlichkeit des Sagens" (DuV 149). "Die ~~~e
und ihr mogisches Werk wurzelten also meht in der Erkenntni~ ,d~~ ,Andi!ren,
sonder'nnIerteß'slch'hi' semned,tähe','i"'(SpdA274)'iiJ:'d;r' ;'G~meinschaftlich
keirdes'Sagens''=i''ereig~ei~i~h das "Unmittelbare d~;·B~;~;;~:;':·'~~~~m.ese
BeriHi;~;;i~'~]:i~~,se.'::ii'N.:ä~~ j~i',q~;.ch sich selbst B~deutung, 1.: .,.lflier hab~n
wir di~~ii~Q~l!g.~~~!!~.. §P:L~E!1_~, das F~~~ame~t der andere~." (SpdA 274 f.)
"Die Sprache wird da gesprochen, wo di~'Öem~'fnsamk:eit der aufeinander
bezogenen Termini fehlt, wo die gemeinsame Ebene fehlt, wo sie erst
konstituiert werden muß. Die Sprache steht in dieser Transzendenz. [ ... ]
Traunw des Staunens." (TU 100) Die And~r.~h~iLdes ..ADderen, seine
Singu]arität, b~:~bt.~11 de~ "~em~insch~ftirc~;it des Sagens" bewahrt; und
erst di,:.~.~~i~~u.ngoder das "Ein~~~stänqnis vo~~,iIlguiarität zu Si~g~i~~ität
regt di~ ErfillduIl~ ve,rbaler und anderer ~p:rachzeichen' ~~;;'(SpdA '286) '_
als Bedingung der universalen R e d e , ' " . , "-, -,'
Für Levinas seut selbst der innere Dialog, die Selbstbefragung des ein-
samen Denkers, diese ursprüngliche Gemeinschaftlichkeit voraus. Die
Spaltung des Ich, die Unterbrechung seiner Spontaneität, beruht demnach
auf der ursprünglichen InfragesteUung durch den Anderen" "damit der
innere Dialog noch die Bezeichnung als Dialog verdient" (DuV 148). Als
Entfa!_~JJg~des Denkens, die nur zu zweit geschehen kann, fangt jedes
B~~ßtsei~ 'i~"d~~'~:;p~;~he'~n;;62 es eÜe' 'urspi-il~gIi~b~ 'Spr;~h~~' Spra-
"ist
che~~~'-W~~te' ~~d 'Sä'tze, r~ine K~mmunikation'" (S.pdÄ'280)';·<:Ü~"die
_____ ,-'r~'·····,"·"~··""-·~" .. ·,._.. "','_" ,_ ""_' . . _ ,_ ", ._ .. ,
52
r·
f
._--------
"Das Gegebene aufnehmen heißt, das Gegebene schon als Unt.erweisung auf-
nehmen - als Ausdruck des Anderen. [ ... ] Die Welt wird unser Thema - und
dadurch unser Gegenstand -, weil sie uns angeboten worden ist; sie hat ihre
Herkunft in einer urspriinglichen Unterweisung, die sogar der wissenschaftli-
chen Arbeit den Rahmen vorgiM und für die Wiss·enschaft erforderlich ist. In
der Sprache des Anderen wird die Welt angeboten, sie wird in Aussagen
vorgebracht. Der Andere ist Prinzip des Phänomens." (TU 128 f.)
Indem die Welt im Wort angeboten, gesagt und thematisiert wird, er,eignet
sich zugIeich die Objektivierung der Dinge. Aus der ethischen Perspektive,
in der für Levinas die Sprache steht, beruht die Objektivität nicht auf
Begriffen apriori, "die mir gestatten, das Gegebene zu übernehmen" (TU
143). AIs ethisches Geschehen ist jede Objektivierung nicht bloß negativ als
Losreißen des Dings aus dem hic et nunc (hier und jetzt), aus seiner Einzel-
heit zu verstehen. Der Abstand zum Objekt hat nicht nur eine räumliche
Bedeutung. "Diese Loslösung hat einen positiven Sinn: Sie bedeutet Ein-
gang der Sache in die Sphäre des Anderen. Die Sac~~_,!,,_ir,4,It!~ma.Jhema
tisieren heißt, dem Anderen die Weh _~urch das W0I't anbieten" (TU 302);
Ir dIe Sprache, die di~Sache dem Anderen bezeichnet, ist eine ursprüngliche
Entemgnung, eine erste 'Gab~II(TU 252). -
_ , , • r'- _. 1" . - - ' - •••• -
"Die Objektivität resuhiert aus der Sprache. die den Besitz in Frage zu
stellen erlaubt." (TU 302) Die Objektivierung der Welt im Sinne eines
Anbietens,. einer "Proposition der Welt" (TU 135), vollzieht "das ursprüng-
Hche Dem-Anderen-zur-Verfügung-Stellen" der besprochenen Welt und
ihrer Inhalte. Die Mit-teilung der gesagten Welt bezeugt zugleich, daß die
Dinge zwischen -~'1"""~.
-ilij(- und 'de~ADderengeteiii we~den-. Dies~~ ~Ütische
." _. . . '. ._.. ,.. . - _... . ' ... '""".
Sprachbeziehung ist für Levinas keitne Sichtweise, keule Optik, sondern die I
erste ethmscl1eGeste:64-'" ,.' ",,~- .'-.', ""'.-'"--,,,,,"- ..... -. C.'. " . •' ,. . . . . . . . . . . . . <.::::cL,
•• ß ~. ~ .. 0 ','"'' , _ , , , , , ' '• • • • _,n " " , , ' ,.'-'" • "
Mit diesem Verständnis von Objektivität und Sprache v,erläßt Levinas jede
erkenntnistbeoreüs,cbe Begründung, denn das Erkennen der Welt bedeutet .~ " • ~ ~ ...... ,. " " " , . ' _0' ., _ • _',/' _. ,1', . " , _~ ~ ~ _.. " ~. ~ <....! ....... r ,'"" .TI
für ihn zugleich ein Anbieten der Welt, ein Anbieten. von Inhalten
-.>,,",. ".-.',.".,,' .. ' •.
- - •• " . . , , - . . , . - . , , - " , ' ,"-,,,
als eine
.. ," ,."'.", " '-.' " ,", • .>. '-' .-, ,', .,' "'. ~" .I ........ :~\ ..,·,· .• ·'·I~.' .'""~'-- ~.\
64 V g1. TU 252 f.
53
,
Antwort auf den Ausdruck des Anderen in der Sprache. Diesen Ausdruck
•.•. ~ '"0'"' . " ......_...... ,. _.
54
welche das Sinnliche herstent, gibt sich das Wesentliche zum Unterpfand.
Hier ist das Leben." (SpdA 279)
Ihren vollen Sinn entfaltet die durch das Sinnliche hergestellte ethische
Beziehung zum Wirklichen jedoch nur vom Antlitz des Anderen her.
Die Dinge haben für Levinas kein Antlitz, aber "über aUe Dinge ergießt sich
vom menschlichen AnUitz und von der menschlichen Haut her die Zärtlich-
keit; die Erkenntnis kehrt rur Nähe zurück, zum reinen Sinnlichen. Die Ma-
terie, die in der Welt als Objekt und Werkzeug auftritt, ist durch das Mensch-
liche zugleich die Materie, von deren Nähe ich besessen bin. Die Poesie der
Weit ist untrennbar verbunden mit der Nähe par exceUence oder mit. der Nähe
des Nächsten par excellence. Und daß. gewisse kalte und 'steinerne' Berührun-
gen zu reinen Informationen gerinnen, hat nur priv31tiven Charakter; darin
liegt so etwas wie ein Verweis auf den Ursprung im Andern - Verweis, der
sich als apriorische Struktur des Sinnlichen aufzudrängen scheint. " (SpdA 280)
Indem Levinas die apriorische Struktur des Sinnlichen als Nähe des Näch-
sten interpretiert, unterstellt er das Sinnliche nicht mehr einem Apriori des
Wissens, sondern sucht nach einer Transzendenz des Sinnlichen,. die ihren
Grund im Ereignis der Nähe hat. Das Ereignis der Nähe ist vom wahr-
nehmenden
--_._.,._---- .
-,
Bewußtsein gar nicht eiiiholb~r: . ,; Das· BeWußtsein ist· ~er
" -
verspätet beim Rendez-vous mit dem Nächsten [ ... ]" (SpdA 282)
ua Freiburg i. Sr. 55
fläche, kein Behälter oder Schutz für den Organismus, sondern Nackt-
heit. 65 Da die Nacktheit als solche nicht berührt werden kann,. kehrt sich
die intentionale Bewegung um: ich werde von ihr berührt Sie verweist auf
eine Abwesenheit dess,en, der im Ereignis der Nähe gesucht und begehrt
wird.
Analog zur Metapher der "nackten Haut" bedeutet auch das Antlitz bei
Levinas von seiner Nacktheit her; insofern das Antlitz nackt ist, ist es aBer
Form entblößt. Seine Lebendigkeit und sein Ausdruck als Nacktheit beste-
hen darin, sich der plastischen Formen zu entledigen, di,e das Antlitz mit
ihrer Gegenwart in der Wahrnehmung bedecken. Im Gegensatz zu den
Dingen, die aufgrund ihrer Form wahrgenommen und darüber hinaus durch
die Wissenschaft und die Kunst enthüllt und entdeckt werden, bedeutet das
Antlitz von innen her, aus sich heraus 11 als die Blöß,e des Prinzips, hinter
d,em es nichts mehr gibt" (TU 382). Von daher ist die Nacktheit des Antlit-
zes "Entblößung ohne irgendeinen kulturellen Schmuck" (SpdA 222). Die
Nacktheit, mit der ich in Beziehung trete, steht außerhalb jedes soziologi-
schen, kulturellen, historischen und psychologischen Kont,extes. Als Teil
eines Kontextes würde der Ausdruck des Antlitzes in einen Vennittlungs-
undVerweisungszusammenbang eingehen - dem Wissen unterworfen. Die
\ eigentliche NacktheIt des Antlitzes besteht jedoch darin, daß___es~i~l1_ mir
I zuwendet und nicht darin, daß ich etwas enthülle, was sich meinem Ver-
"mogen, meinen Augen, meinen Wahrnehmungen darbietet. Aufgrund seiner
J
Nacktheit ist das Antlitz "durch skh selbst und keineswegs durch den
Bezug auf ein System" (TU 1.02).
Doch worin soU das Bedeuten des Antlitzes durch sich selbst, außerbalb
jeden Kontextes, bestehen? Das Ereignis der Liebkosung erlaub~, von einer
_I Erfa~~~_ ~es ~nder~n als ~Uitz, ~as nackt ist, ~ spreche~, ~b~ohl diese
, Erfahrung 1m elgenthchen ~~~~ _~~~~~E~~?glS.~; denn dIe LIebkosung
\ , besteht-d;~f~",';~ii"t~-~~--i;~sen; s,ie besteht darin, das anzustreben, w~s si~h
'. o~e'Ü~t~~i~ß s~i;e/Forffi. ["... ]~n~ieht [ ... ] Die LIebkosung sucht, sie ist
'. arifelner'"Spur." ~- (rU 375 i. j - Ais - T~ä~zende~ des Sinnlichen geht -die
Liebko,surig- alfe·i sinnlichen Erfahrung voraus - sie ist Berührung, nicht
Betasten. "Es ist Zärtlichkeit: Vom Antlitz zur Nacktheit der Haut, eines
56
r . •. ."
: ··'. . .111. ._ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ __
im Kontext des Anderen, in diesem Kontext seinen voUen Sinn entfaltend,
vom Reinen bis hin zum Wirren." (SpdA 279)
Von der Sinnlichkeit her bedeutet die Nacktheit des Antlitzes und der Haut
_,'-'1
zugleich Verwundbarkeit. Als nacktes Antlitz, das offen und ausgesetzt ist, (~... t.
! .
ist der Andere verwundbar,
- ,
reine Empfänglichkeit, reine Passivität. Die .
reine Passivität des A~deren bzw. des Subjekts schließt jede Rezeptivität
aus.
Mit dieser Inversion des Subjekts in Passivität und Verwundbarkeit über-
steigert Levinas den Begriff der Passivität, den Husserl seiner Theorie über
die Genese der subjektiven Bewußtseinserlebnisse zugrunde legt. Für
Husser) ist selbst die Urimpression als ursprüngliche P'assivität nicht ohne
Rezeptivität des synthetisierenden Ich denkbar ~ die Urimpression ist der
Punkt, in dem das Bewußts·ein in passiver Haltung erwacht, "aber 'Vor-
stellung -von', Apperzeption ist schon da" (Id II 335).66 Unter der Passi-
vität der Impression erhebt sich die Aktivität des Ich, durch die das Ich
alles, was einmal empfangen wurde, durch den Abstand der Zeit wieder-
erinnern kann. Als Modifikation der Urimpression ist die passive Sinn-
lichkeit bei Husserl bereits intentional. "Das Subjektive [ ... ] inauguriert den
Ursprung, den Anfang und [... ] das Prinzip." (SpdA 96) Alle Transzendenz
bleibt so an die Intentionalität und die Aktivität des Ich gebunden.
Im Gegensatz dazu sucht Levinas nach einer Transzendenz des Shmlichen
ohne Vermittlung durch das Bewußts.ein, nach einem Bedeuten der ur-
sprünglichen Passivität des Subjekts, die vom Bewußtsein nicht eingeholt
werden kann, da sie die Zone des Bewußtseins gar nicht durchquert
hat.
67
N~c~Levinas muß die ursprüngliche Passivität, die aller Erfahrung
und allem Denken vorausgeht, ohne Rezeptivität und Intentionalität gedacht
,_ "C . . T"'-' ", ._ • • _ , . ,, __ ." ._ • • • c - -'",". "0" - ." _ _ _ __,,~ ~ _, ,~, ••• ".. • •• _ ~ ._
57
keinen Nominativ hat Das Ich ist, vom Scheitel bis zur Sohle, bis in das
Mark seiner Knochen, Verwundbarkeit." (HdaM 94 f.)
In der passiven Rückwendung auf" Sich" ist das Subjekt jeder Aktivität des
Ich beraubt - dem Akkusativ des "Sich" geht kein Nominativ voraus -, aber
das "Sich" ist dennoch lebendig. Sein passiver Rücklauf muß als seine
Lebendigkeit verstanden werden, als "das Sich, das wie ein Herzschlag
pocht", als der Rücklauf in eine "Zwischen-hit, die das Einatmen und das
Ausatmen trennt" (SpdA 305, 311). Durch den Leib ist das "Sich" "di,e
EmpfangHchk,eit selbst, etwas, das sich verletzt und opfert" (SpdA 311,
Anrn. 14); "eine Materialität, die materieUer wärle als alle Materie, d.h. so
beschaffen, als ob die Reizbarkeit oder die .Empfanglichkeit oder das
Ausges,etztsein für Verwundung und Beleidigung eine Passivität der Materie
bezeichnen würde, die passiver wäre als alles Bewirktwerden durch eine
Ursache" (SpdA 309). Di,e Lebendigkeit dies Leibes, seine Offenheit und
seine Empfänglichkeit als "Sich", darf man nach Levinas "nicht als ein-
faches Ausgesetztsdn für die Einwirkung von Ursachen interpreüeren"
(HdaM 94). Die Verwundbarkeit oder die Verletzlichkeit ist die tiefste
Dimension im--Menschen;68 -die Ti~fe'-di~~si~h i~ der Si~ichkeit öffnet,
isttlefef"ais die Offenheit fÜi-einenStoß tX1er als das vorsteHende Bewußt-
s-em~-jn-dIeser OiÜlenSion der Tiefe berührt mich der Andere; in der passi-
v'enSInnÜcbkeit werde ich durch den Anderen "bese,elt". "Die 'Seele' der
pässiven- Sinnlichkeit ist 'der Andere in mir' ... 69'
In der reinen Passivität erhebt sich ein Anfang, der vom Subjekt nicht
übernommen werden kann. Kraft dieser Situiertheit ist das Subjekt offen für
den Anderen. In der Übersteigerung des phänomenologischen Begriffs der
Passivität zeigt sich sein ethischer Bedeurungsgrund. Der erste ethische
.~ .. --...----_._- .~~ ----_.---" --.- -. .' -_.~-." .. ".- ..,'
Imperativ formuliert sich in der V,erwundbarkeit des SubJekts. bzw. des
Anderen, im Ausdruck der Nacktheit des Anderen als AnUitz und Tran-
s-zendenz deS" sinniichen~ ------.- --.---.. ------- ---- --
__ ~ _ _ ,~,_, ............. _~~ __ ~r, __ ~~ _ _ _ _ _ 0" ,. 0.""
58
Antlitz und Verantwortung
Die Passivität und die Verwundbarkeit des Subjekts haben nach Levinas
einen ethischen Sinn. "In der Verwundbarkeit Hegt [ ... ] emn Bezug zum
Anderen" (HdaM 95), der sich konkret in der Veral!~_~r~ng.für
.
den _.~"
"Dme Subjektivität bedeutet durch eine Passivität, [... ] durch ihre Verwund-
barkeit, durch ihre Sinnlichkeit, durch ihre Nacktheit, die nackter ist als die
Nackilieit,. durch ihre aufrichtige Entblößung dieser Nacktheit selbst, die zum
Sagen wird; sie bedeutet durch das S.agen der Verantwortung, durch die
Stellvertretung, in der die Verantwortung sich aussagt bis zum Ende, durch
den Akkusativ des Sich ohne Nominativ, durch das Ausgesetztsein für das
Trauma der grundlosen Anklage, durch die Sühne für den Anderen. Trauma,
welches das Bewußtsein aus dem Sattel hebt, [ ... ] durch eine Nacht hindurch,
in der sich unter dem Einfluß des Traumas die Umkehrung des Ich in Sich
vollzieht." (HdaM 96, Anm. 8)
Die Verantwortung, von der Levinas spricht, geht als Trauma der grund-
II
59
selbst anstarrt. [.. ,] und so als ob ich [... ] diesen Tod des Anderen zu
verantworten häUe und ich den Anderen nicht dem Alleinsein überlassen
dürfte." (WG 213)
Die Gewalt, "die in dieser Sterblichkeit begangen wird" (WG 215), bedeu-
tet eine Erschütterung meiner Position als Ich, eine Infragestellung meines
Könnens und meines Bewußtseins, die dem Bewußtsein der Infragestellung
als theoretische Modalität vorausgehtJo In der "Ernüchterung" seines
eigenen Daseins, in der Infragestellung vor dem Tod des Anderen, trItt das
Ich ein "fun die Beunruhigung-um-den-Tod-des-anderen-Menschen" (WG
216). Als Beunruhigung um den Anderen hat der Tod die Bedeutung einer
Sozialität, er appelliert an meine Verantwortung, nicht. im Sinne einer
praktischen Notlösung, sondern als eine Forderung, der ich mich nicht
entziehen kann. "Die Unmöglichkeit, sich zu entziehen, wird zum Ver-
mögen" (SpdA 289), wird Verantwortung, die nicht auf Wissen reduzierbar
ist. Der Sinn des Todes muß· für Levinas in einer personalen "Ordnung"
gesucht werden, "in der Konlcretheit der unmöglichen Preisgabe des Ande-
ren an sein AUeinsein, in dem Verbot [... ], ihn allein dem GeheinuUs des
Todes zu überlassen" (WG 214).
Die Sozialität als Bedeuten des Todes zeigt sich für Levinas auch in der
Angst vor dem Drohen des eigenen Todes. Die Empfindung des Drohens
besagt, daß der Mensch mh dem Tod ein personales Moment. verbindet,
wie ein Wollen, das gegen mich ist. 71
"In der Drohung erhält sich eine soziale Konstellation. Sie versinkt rucht in
der Angst, die sie in 'Nichtung des Nichts' verw.mdeln würde. Im Sein zum
Tode der Furcht bin ich nicht dem Nichts gegenüber, ich bin vielmehr gegen-
über dem, was gegen mich ist, als ob der MOI.'d rucht so sehr eine Gelegenheit
zu sterben unter anderen wäre, als vielmehr zum Wesen des Todes selbst
gehörte, als ob die Annäherung des Todes eine der Modalitäten der Beziehung
mit dem Anderen wäre. Die Gewalt des Todes droht wie eine Tyrannei, als
käme sie von einem fremden Willen." (TU 342)
Der Tod als reine Anderheit, die ich nicht erfassen kann, erhält eine mögli-
che Bedeutung nur dadurch, daß er sich mit dem Verhältnis zum anderen
60
i ;;.:ilt.._______________
r~""
Menschen verbindet. Das Bedeuten des Todes als die Gewalt eines "frem-
den Willens" verweist auf diesen Bezug zum anderen Menschen. Insofern
kann Levinas sagen, daß die Einsamkeit des Todes schon auf dem Bezug
zum Anderen beruht:
"Die Einsamkeit des Todes läßt den Anderen nicht verschwinden, sondern hält
sich in einem Bewußtsein der Feindlichkei~; gerade dadurch macht sme es mög-
lich, den Anderen anzurufen, an seine Freundschaft und ärztliche Hilfe zu
appellieren. Der Arzt ist ein Prinzip apriori der menschlichen Sterblichkeit.
Der Tod nähert sich in der Furcht vor jemandem und in der Hoffnung auf
jemanden. (TU 342)
11
Der Bezug zum Anderen, die Bedeutung der personalen ,,' Ordnung". wird
durch den Tod nicht vernichtet. In der Grenzsituation des Todes verdichtet
sich geradezu das ethische Verhältnis zum Anderen. Das Ich wird s,einer
Selbst ganz und gar entleert "Wenn der Tod da ist" bin ich nicht mehr da,
nicht, weil ich nichts bin, sondern weil ich nicht imstande bin zu ergrei-
fen." (ZuA 45) Aber der absolut Andere, der fremde WiUe, "über den ich
keine Macht zu haben vermag und der nicht Teil meiner Welt ist, bleibt
noch in Beziehung mit mir und gestattet mir zu wollen; aber es ist dies ein
Wollen, das nicht egoistisch ist. ein Wollen, das sich in die Wesensform
des Begehrens gießt; [... ] es ist Begehren für den Anderen" (TU 345).
Di~~es Begehren für den Anderen1si"dlc'ei'iiiiIge MÖgiidikeit; die der Tod
mir, in der totalen Passivität läßt, aber es ist nicht meine Möglichkeit, die
der Tod mir läßt, sondern die Möglichkeit, "für den Ander~n .~ sterben"
(WG 214).
Wenn der Sinn des Menschlichen im Bezug zum Anderen, in der Ver-
antwortung für den Anderen gesucht wird, die für Levinas in ),etzter Kon-
sequenz "sterben für den Anderen" heißt, so kann der Tod dies,er Ver-
antwortung ihren Sinn nicht nehmen. Und umgekehrt erwacht das Ich
gerade durch die Sterblichkeit des anderen Menschen zur Verantwortung,
denn aUe Übertragung des Gefühls, des Mitleids und der Teilnahme fände
ohne die Verantwortung im Ich keinen Halt. 72 Das Bedeuten der Sterb·
lichkeit ist für Levinas nicht auf die Sichtbarkeit, auf das Zerbrechen der
61
Ponnen in der Sterblichkeit beschränkt. Daß· das Seiende "der Gewalt
ausgesetzt ist - die S~erblichkeit des Seienden" (TU 326)- fundiert kemn
Verhältnis zum Anderen aufgrund von Kausalität; die Ausgesetzheit bedeu-
tet in einem ethischen Sinn: Ohne den ethischen Sinn ,. wären Smnn1lichkeit
und SterbHchkeit letzten Endes bedeutungslose Zuständlichkeiten des rein
biologisch bestimmten Lebewesens Mensch". 73 Aufgrund der Verfloch-
tenheit von Ethik und Sterblichkeit bedeutet das Ausgesetztsein des Anderen
zugleich Verantwortung für den Anderen.
213). So, wie der Andere als Antlitz der Gewalt des Todes,. dem fremden
Willen, die Stirn bietet, indem er sich gegenüber dieser Gewalt noch im
Bezug zum anderen Menschen, in der Sozialität hält,. so widersteht er der
Versuchung des Mörders, ilm zu töten, durch emen Widerstand, der sich
gerade in der Schuulosigkeit d,es Antlitzes a.usspricht, in der Bitte:. "Du
wirst mich nicht töten" , die zugleich an ein ethisches Verstehen appelHert;
es ist "der Widerstand dessen, was keinen Widerstand leistet - der ethische
Widerstand" (TU 286).; "der Widerstand, hart und unüberwindbar, leuchtet
im Antliu des Anderen, in der vollständigen Blöße seiner Augen ohne
.Verteidigung, in der Blöße der a.bsoluten Offenheit des Transzendenten"
(TU 285 f.).
Der Andere, der objektiv betra.chtet wehrlos ist, lähmt meine Macht und
. -' - - .... -..-- --~- .. - -"
62
Knecht beschreibt. 74 Mit dies,em Denkmodell verfehlt Hegel nach Levinas
jedoch das Wesen der sozialen Beziehung. Zwar kann sich das Verhältnis
zum Anderen in Kampf verwandeln, aber der Kampf. mit dem das Antlitz
wie mit einer EventuaHtät droht, setzt nach Levinas die Transzendenz des
Anderen bereits voraus. Die Drohung ist nicht das erste Wort des Antlitzes.
"Der Krieg setzt den Frieden voraus, die vorgängige und nicht-allergische
Gegenwart des Anderen; der Krieg bezeichnet nicht das primäre Geschehen
der Begegnung." (TU 286) "Der Krieg setzt die Transzendenz des Gegners
voraus. [ .... ] denn im Krieg suchen sich die Gegner." (TU 323) Zwar kann
ich den Anderen töten woUen, aber in "dem Augenblick, in dem mein
Töten-können sich realisiert, entkommt mir der Andere'" (SpdA 116).
Insofern der Andere j,edoch Teil der Welt ist, vermag er nicht, mir zu (
widerstehen. Der ethische Widerstand beruht von daher nicht auf einer
realen Kraft, die vom Anderen ausgeht, sondern er ermißt die Versuchung
der totalen Negation und ihrer Unmöglichkeit, er bedeutet durch sich
selbst. 75
Der ethische Widerstand hat auch nicht den Sinn eines formalen Verbots:
"das Verbot kommt nicht nachträglich hinzu, sondern sieht mich gerade aus
dem Grund der Augen an, die ich auslöschen will. und sieht mich an wie
das Auge, das im Grab Kam ansieht" (TU 340). Der Sinn des ethischen
Widerstandes zeigt sich daher nur einem moralischen Bewußtsein, das
bereits in der Verantwortung steht, "diesseits meiner Freiheit" (GuP 111).
Durch die Verantwortung für den Anderen erhält meme Freiheit eIst eine
Orientierung: "~cht ~-S~~"~ines Vertrages zwischen zwei Freilieite~, die
siCh gegensdügdurch"ciie Vernunft beg~'e~"en, s~nde~~"~~de~"V~~~"~twor
tllllg für den Anderen "tier rechtfertigt sich meine Freih~it. rie~" ethische
Widerstand des Anderen, "seiti Bedeuten als nacktes Antlitz, hat einen
positiven Sinn; er verletzt nicht meine Freiheit im Sinne eines Hindernisses,
sondern gibt ihr eine Orientierung, setzt sie ein, wodurch sie von aller
-- • __ .... , ........ - _._. '. - -" __ __ ~ '0' .•
WiBkür befreit wird. Das Faktum der Freiheit darf man nach Levinas nicht
als Ausgangspunkt für die Bestimmung des Menschen betrachten. Di,e
Freiheit, die sich durch sich selbst rechtfertigt, ist für Levinas "'eine Ab-
63
straktion, die sich als widersprüchlich erweist, sobald man mr eine Begren-
zung zuschreibt" (TU 325,). Erst die Transzendenz des Anderen erklärt die
menschliche Freiheit und gibt ihrer Begrenzung einen positiven Sinn. Im
Gegensatz zu Sartres Auffassung,76 nach der die Begegnung mit dem
Anderen meine Freiheit bedroht und gleichbedeutend ist mit dem Verfall
meiner Freiheit unter dem Blick einer anderen Freiheit, wird für Levinas
meine Freiheit ni~ht durch den Anderen gefahrdet, sondern sie rechtfertigt
sich erst durch ihn; durch den Bezug zum Anderen erhält meine Freiheit
-:--', . '. 77
emen Smn.
Die Öffnung zum Anderen als Verantwortung und Nähe, als das ursprüng-
lich zwischen-menschliche Geschehen, ist für Levinas "eine KonsteUation,
kraft derer das Ich als der eigentliche Ernst des Seins erscheint" (SpdA
318). Ein Ernst, der vielleicht über das sltupide "so ist das Leben" hinaus
dem Sein Sinn gibt und der zugleich nach Levinas ein "schönes Wagnis"
bedeutet, das eingegangen werden muß, denn nur als" gefährliches Leben" ,
d.h. ohne den Rückzug auf theoretische Gewißhemten, kann der Bezug zum
Anderen Transzendenz sein und in einem ethischen Sinne bedeuten. 78
76 Vgl. Je3in-Paui Sartre: Das Sein und dlls Nichts, Hamburg 1991, S. 405 ff.
77 Vgl. TU 440.
78 Vgl. SpdA 289, 322.
64
Verzeichnis der Sig~en
65
r
;
Literaturverzeichnis
Boer, Theo de: Anmerkungen, in: Levinas, E.: Humanismus des anderen Men-
schen, übers. v. L. Wenzler, Hamburg 1989, S. 119-126.
Derrida, Jacques: Die Schrift und die Differenz, übers. v. R. GascM, Frankfurt
am Main 19894 •
Descartes, Rene: Meditationen über die Grundlagen der Philosophie mit den
sämtlichen Einwänden und Erwiderungen, übers. u. hg. v. A. Buchenau,
Hamburg 19722 .
Havel, Vaclav: Politik und Gewissen, übers. v. 1. Bruss, in: Havel, V.: Am An-
fang war das Wort, Hamburg 1990, S. 81-113.
Husserl, Edmund: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die tran-
szendentale Phänomenologie, Husserliana Band VI,. hg. v. W. Biemel,
Den Haag 1954.
Husserl, Edmund: Die Pariser Vorträge, in: Husserl,. E.: Cartesianische Medita-
tionen und Pariser Vorträge, Husserliana Band I, hg. v. S. Strasser,
Den Haag 19732 , S. 1-39.
67
Husserl, Edmund: Phänomenologische Psychologie. Vorlesungen Sommerseme-
ster 1925, Husserliana Band IX, hg. v. W. Biemel, Den Haag 19682 .
Ingarden, Roman: Beilage: Kritische Bemerkungen von Prof. Dr. Roman Ingar-
den, Kr.akau, in: Husserl, E.: Cartesianische Meditationen und Pariser
Vorträg,e, Hussetliana Band I, hg. v. S. Strass,er, Den Haag 1973 2, S.
203-218.
Levmnas,. Emmanuel: Gott und die Philosophie, übers. v. R. Funk, in: Casper, B.
(Hg.): Gott nennen. Phänomenologische Zugänge., Freiburg/München
1981, S. 81-123.
Uvinas, Emmanuel: Wenn Gott ins Denken einfällt. Diskurse über die Betroffen-
heit von Transzendenz, übers. v. T. Wiemer, F~eiburg/Müncben 1985.
Levinas, Emmanuel: Die Zeit und der Andere, übers. v. L. Wenz~er, Hamburg
19892 .
68
Sartre, Jean-Paul: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen
Ontologie, übers. v. T. König/H. Schöneberg, Hamburg 1991.
Strasser, Stephan: Jenseits von Sein und Zeit. Eine Einführung in Emmanuel
Levinas' Philosophie, Den Haag 1978.
Wenzler, Ludwig: Einleitung: Menschsein vom Anderen her, in: Levinas, E.:
Humanismus des anderen Menschen, übers. v. L. Wenzler, Hamburg
1989, S. VII-XXVII.
Wenzler, Ludwig: Nachwort. Zeit als Nähe des Abwesenden. Diachronie der
Ethik und Diachronie der Sinnlichkeit nach Emmanuel Levims, in: Levi-
nas, E.: Die Zeit und der Andere, übers. v. L. Wenzler, Hamburg
19892 , S. 67-92.
69