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Rene Girards apokalyptisches Labyrinth der Neuzeit


führt am Faden seiner mimetischen Theorie durch
geheime unterirdische Gänge der modernen
Kulturgeschichte zu einem überraschenden
Ausgang: zu einer Lobrede auf das Papsttum von
Benedikt XVI.1 Ausgerechnet an dessen berühmt
berüchtigter Regensburger Rede rekonstruiert
Girard hier die dringende Notwendigkeit einer
(Re)Legitimation der europäischen Neuzeit aus
dem Geist der katholischen Kirche. Die Affinität der
eigenen mimetischen Theorie mit Benedikts
Papsttum belegt er über eine ganze Reihe von
Motiven, von der Sorge um Europa, der Einsicht in
die Bedeutung der Vermittlung von Glaube und
Vernunft bis zur Rolle der Logos Theologie für die
Absage an Mythos und Gewalt im Zeitalter der

Vgl.R.Girard: Im Angesicht der Apokalypse. Clausewitz zu Ende denken. Gespräche mit Benoit 1
Chantre, Berlin 2014, S.337 -343. Die weiteren Zitate aus diesem Buch werden nur noch mit A und einer
Seitenangabe in Klammern angeführt. R.Girard: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz.
Eine kritische Apologie des Christentums, München 2002 darf in vieler Hinsicht als Weichenstellung zu
den apokalyptischen Überlegungen Girards angesehen werden, so daß ich mich im Folgenden im
Wesentlichen auf diese beiden Texte stützen werde. Hier werde ich mit S und Anführung der Seitenzahl
in Klammern zitieren. In meinem Essay: From Dionysos to the Antichrist. Girard`s defense of Christianity
and Erik Peterson`s Closure of any Political Theology, in: Political Theology, Vol.16, Number 2, March
2015, S.101 -115 habe ich versucht, die apokalyptische Struktur in "Ich sah den Satan vom HImmel fallen
wie einen Blitz" hrauszuarbeiten, die "Im Angeischt der Apokalypse" zum Ausgansgpunkt für eine
umfassende Interpretation der Moderne wird.
2

globalen Renaissance von Religion und


Fundamentalismus.
Indem er die Notwendigkeit dieser katholischen
Relegitimation der Neuzeit nun aus einer
apokalyptisch-katastrophischen Tendenz der
Geschichte des post-christlichen Abendlandes
begründet, erweitert Girard hier den Radius seiner
anthropologischen Theorie auf eine Art
umfassende kritische Theorie der Moderne. Hatte
er schon in seinem Buch "Ich sah Satan aus dem
Himmel fallen wie einen Blitz"2 Nietzsches
fundamentale Antithese von Dionysos oder
Christus auf der Grundlage seiner mimetischen
Theorie in die apokalyptische Antithese von Satan
und Christus überführt, so liefert er in der
Apokalypse deren politisch theologische
Vorgeschichte als Schlüssel zu der Dekodierung des
Scheiterns der säkularen Moderne nach. Mit
anderen Worten: Nietzsches Antichrist stellt jetzt
die Kulmination der Genese des modernen
Subjekts, Genies und Souveräns dar, der in der
revolutionären Figur Napoleons den hegelianischen
Weltgeist von Freiheit und Versöhnung formieren
R.Girard: Ich sah Satan aus dem Himmel fallen wie einen Blitz. Eine kritische Apologie d es 2
Christentums. München 2002, S.213 - 226 (zukünftig zitiert in Klammern als S mit Seitenzahl)
3

sollte, tatsächlich aber einen Prozess der Eskalation


militärischer Gewalt und Zerstörung in Europa
ausgelöst hat, dessen Logik Girard an den
Reflexionen des Generals von Clausewitz über das
Wesen des Krieges minutiös entfaltet. Eben diese
katastrophische Logik soll nun den Horizont auf die
geforderte Rückbesinnung auf die christliche
Passion, die katholische Kirche und das Papsttum
eröffnen, die die mimetische Wahrheit auch in
Zeiten von Verfolgung und Exil verwaltet haben. Es
ist zuletzt allein der Papst, der in dieser
apokalyptischen Konstruktion, dem souveränen
Kriegsgott und Souverän der Moderne wirksam
entgegentreten kann:
"In diesem Sinn tun wir nichts anderes, als
christliche Intuitionen in Theorie überführen.
Katholisch sein heißt, sich mit dieser Figur der
Einzigartigkeit zu identifizieren, mit diesem
singulären Allgemeinen, das der Papst ist." (A 293)
Wo nun Papst Bendedikt XVI sich tatsächlich auf der
Grundlage des zweiten vatikanischen Konzils zu
einem konservativ geprägten post-hegelianischen
Dialog zwischen Vernunft und Glauben, Kirche und
säkularer Gesellschaft als Bedingung der
4

Möglichkeit einer solchen katholischen


Legitimation der Neuzeit vortastet, wird diese
Moderne bei Girard zuletzt zu einer
apokalyptischen Offenbarung, in der sich ein
ursprünglicher Heilsplan – gegen alle
Vermittlungsversuche der aufklärerischen Vernunft
- zu erkennen gibt: als Zeichen der bevorstehenden
Parousie.
Im Folgenden soll auf dem Hintergrund der von
Girard herausgearbeiteten mimetischen Antithese
Nietzsches von Dionysos und Christos und ihren
politisch theologischen Effekten (1) eben diese
verborgenen Eschato-logik als Antithese von
souveränem Weltgeist und Papsttum für die
Moderne rekonstruiert werden.(2) Von hier aus soll
gefragt werden, ob sich das Papsttum, wie es
Benedikt XVI vertreten hat, tatsächlich für eine
solche apokalyptische Eschatologik vereinnehmen
läßt. Es geht zuletzt um die Frage nach der
Möglichkeit einer der Moderne angemessenen
katholischen Legitimation der Neuzeit.(3)
5

II Dionysos und Antichrist. Apokalyptische


Weichenstellung

Die Anthropologie des Sündenbocks enthält von


Anfang an ein apokalyptisches Moment, wenn sie
die Logik des mimetischen Begehrens als Gewalt
"enthüllt". Dabei enthüllt Girard nicht nur den
Mechanismus der archaischen Gesellschaften, die
die aus dem Begehren sich entwickelnde
Bedrohung eines Kampfes aller gegen alle durch die
Kanalisation der Gewalt aller gegen den für schuldig
befundenen Sündenbock regeln, sondern er deckt
den Prozess der Verdrängung auf, die sich diese
Gewalttat durch die Verklärung des Sündenbocks
zu einem mythischen Heilsbringer verbirgt. Die
mimetische Logik, indem sie so die Geburt der
mythischen Götter aus der kollektiven Gewalt
aufdeckt, hat Girard sehr bald mit der eigentlichen
Einsicht des Christentums identifiziert, das eben im
Ereignis der Kreuzigung nicht nur die Unschuld des
Opfers darlegen, sondern diese Logik der Gewalt im
Ganzen ein für allemal deaktivieren wollte.
6

Diesen Gegensatz zwischen mythischer Gewalt und


christlicher Gewaltkritik hat Girard nun in seinem
Buch "Ich sah Satan aus dem Himmel fallen wie
einen Blitz" an Friedrich Nietzsches Einsicht von der
Funktion des Opfers für die Anthropogenese
bestätigt gefunden, wie er die von Nietzsche gegen
das Christentum vorgenommene Umwertung
zugunsten des Mythos und der Gewalt als das
zentrale Symptom der modernen säkularen Kultur
diagnostizierte. Die Antithese Dionysos - Christos,
die Nietzsche selber in die Antithese von Antichrist
und Christ überführt, wird bei Girard im Ansatz zur
Grundlage einer theologisch – apokalyptischen
Diagnose, die zuletzt eine moderne mimetische
Dynamik wiederspiegelt, die das Christentum
einerseits zum Sündenbock erhebt, zum Anderen
aber gerade dessen Heilsanspruch nachahmen und
ersetzen will. Tatsächlich hat Girard diese Antithese
hier in ihrer ganzen politisch theologischen
Dimension schon als einen apokalyptischen Subtext
der säkularen Moderne auszuschreiben begonnen.
Das Christentum hat dabei, so Girard, nicht nur die
Wahrheit von der Unschuld des Opfers offenbart,
sondern es hat mit der Figur des Antichristen, bzw.
7

des Fürsten dieser Welt bzw. des Satans den


zyklischen Mechanismus der sozialen Gewalt
offengelegt, die sich eben dadurch erhält, dass sie
die Gewalt, die sie (mimetisch) schürt, mit eben den
Mitteln der Gewalt (gegen das Opfer) austreibt.
"Der ausgetriebene Satan ist jener, der die
mimetischen Rivalitäten anstachelt und sie
dermaßen anheizt, daß die Gemeinschaft in einen
Brutkasten von Ärgernissen verwandelt wird. Der
Satan, der austreibt, ist derselbe Brutkasten, der
nun jenen Hitzegrad erreicht hat, bei dem der
Opfermechanimsus ausgelöst wird. Um die
Zerstörung seines Reiches zu verhindern, macht
Satan aus seinem Chaos selbst, auf dessen
Höhepunkt, ein Instrument der
Selbstausstoßung."(S 53) Der Teufel, der den Satan
austreibt, ist nichts anderes als die Metonymie für
diese Logik der sozialen Gewalt, die, wenn sie von
der Politik in Regie genommen wird, das Prinzip der
politischen Souveränität begründet. Die politische
Macht versteht es, über den Begriff des Fremden,
Außenseiters und Feindes die kollektive Gewalt zu
regulieren und zu beherrschen, um sich so je von
Neuem zu konstituieren. Wo der Fürst der Welt das
8

Prinzip der Zyklizität der Gewalt gegen Feind,


Außenseiter und Opfer repräsentiert, bezeichnet
dagegen das Ereignis des Kreuzes die Offenbarung
der Wahrheit des Opfers, und damit zugleich die
endgültige Enthüllung der Logik der politischen
Mächte: den Augenblick, den der Apostel Lukas als
Sturz des Satans beschreibt. „Ich sah Satan wie
einen Blitz vom Himmel fallen.“ Es ist der
Augenblick, in dem Christus „die Mächte und
Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich
zur Schau gestellt und eine Triumph aus ihnen
gemacht hat.“ (Kol.2:15)
Der Antichrist, den Nietzsche gegen Christus
mobilisiert, verkörpert also nicht nur das Prinzip des
Willens zur Macht, der sich über die Gewalt gegen
das Opfer behauptet, er wird konsequent als Prinzip
der ewigen Wiederkehr des Gleichen gedacht, das
Girard mit der Figur des neutestamentarischen
Teufels identifiziert. Beide, der Wille zur Macht und
die ewige Wiederkehr des Gleichen, dienen dann in
Nietzsches Antichrist folgerichtig als die Prinzipien
derjenigen Mimesis, die das Christentum zum
Sündenbock erhebt, aber dadurch tatsächlich sich
9

selbst nur an seine Stelle rücken und es als


Heilslehre nachahmen will.
Girard hat Nietzsches Antithese von Antichrist und
Christus in diesem Zusammenhang auch an zwei
konkreten modernen Phänomenen konkretisiert.
So hätten die Nationalsozialisten nichts anderes
getan, als Nietzsche „beim Wort zu nehmen“, als sie
den Monotheismus und sein Wissen um die
Unschuld des Opfers durch die Vernichtung des
Judentums ein für allemal auslöschen wollten. Aber
auch der für die Nachkriegszeit typische
antikatholische Effekt müsse in diesem
mimetischen Sinn als Fortsetzung der
antichristlichen Politik mit anderen Mitteln
begriffen werden, zumal der Antisemitismus nach
dem Holocaust nunmehr endgültig tabuisiert sei.
"Bis zum Ende des Nationalsozialismus war das
Judentum das bevorzugte Opfer dieses
Sündenbocksystems. Das Christentum lag erst an
zweiter Stelle. Nach dem Holocaust wagt man dem
Judentum nicht mehr die Schuld zuzuschieben, und
das Christentum ist zum Hauptsündenbock
avanciert. Man begeistert sich für den luftigen und
vital sportlichen Chrakter der griechischen
10

Zivilisation, die der muffigen, argwöhnischen,


griesgrämigen und repressiven Athmosphäre des
jüdischen und christlichen Universums so
entgegengesetzt ist. Das ist das Einmaleins der
Universität und zugleich die Verbindung zwischen
den beiden Formen des Nietzscheanismus des
20.Jahrhunderts, nämlich die gemeinsame
Feindseigkeit gegenüber unserer religiösen
Tradition."(S 224)
Girard hat also in dem Buch über den Satan nicht
nur an Nietzsche die apokalyptische Alternative
seiner eigenen mimetischen Theorie auf einen
aktuellen philosophischen Begriff gebracht,
sondern mit dieser Antithese auch schon die
Weichenstellung für die Rekonstruktion der
Moderne im Ganzen als Apokalypse vorbereitet.

III Im Angesicht der Apokalypse

Die zuletzt in Ansätzen ausformulierte Relevanz von


Nietzsches Antithese für eine Geschichte der
modernen Säkularisation dient offenbar in Girards
Apokalypse als Schema für die Rekonstruktion
11

dieser Moderne als eine Geschichte der


Katastrophe. Nietzsches Antithese erscheint hier in
der konkreten politischen Konfrontation zwischen
der rein politischen Souveränität des modernen
Subjekts, Genius und Helden, und dem souveränen
Oberhaupt der Kirche, dem Papst. Girards
Genealogie der apokalyptischen Moderne setzt mit
Napoleons revolutionärem Eroberungszug in
Europa, der Selbstkrönung als Kaiser und der
Gefangenahme von Papst Pius VII ein – Ereignisse,
die welthistorisch mit dem Ende des heiligen
römischen Reiches der deutschen Nation im Jahre
1806 zusammenfallen. Zugleich wird damit
Nietzsches Antithese historisiert, so dass sie
nunmehr als Kristallisation dieses historischen
Konflikts um die wahre Souveränität erscheint, die
diesen Konflikt nur auf ihren politisch
theologischen Begriff bringt.
Bevor Nietzsche allerdings diese Souveränität des
Subjekts auf die Macht allein reduzieren sollte,
hatten die zeitgenössischen Anhänger der
Revolution in Napoleon noch die Figuration des
Weltgeistes bewundert, mit dem ihre Idee und
Utopie von der Freiheit politisch ins Werk gesetzt
12

werden sollte. Napoleon galt damals noch als der


geheime Vollstrecker ihrer revolutionären, aber
ohnmächtigen Phantasien von der universalen
Republik der Freiheit, seine Machtpolitik als die List
der Vernunft, die alle Gegensätze von Macht und
Recht, Sein und Freiheit, Philosophie und
Christentum in einer absoluten Identität vereinigen
und versöhnen würde. Er sollte die personifizierte
Dialektik, die Inkarnation der vernünftig
gewordenen Geschichte symbolisieren, mit der der
bisherige historische Kampf zwischen Herr und
Knecht in dem symphonischen Schlussakkord einer
gegenseitigen Anerkennung, Versöhnung und
Verbrüderung triumphalisch ausklingen würde: als
Identität aller Differenzen.
Napoleon hatte selber sehr schnell alle utopischen
Illusionen zerstreut, als er mit der Kaiserkrönung
nicht nur die klassischen Mechanismen der
Machtpolitik erneuerte, sondern durch seinen
militärischen Eroberungszug tatsächlich den Krieg
aller europäischen Nationen gegen ihn
heraufbeschwor. Herr und Knecht sollten sich
weder auf der politisch ökonomischen Ebene des
Klassenkampfes, noch auf der national politischen
13

Ebene aussöhnen, die Aussöhnung sollte sich im


Gegenteil als Signal für eine sich bis zum Äußersten
steigernde Konfrontation der Mächte und
Gewalten erweisen, da sich der unterworfene
Knecht mit seinem Ressentiment längst für den
entscheidenden Gegenschlag zu rüsten begonnen
hatte.
Aus der Perspektive der mimetischen Logik ist alle
Identität potentiell Indiz für eine katastrophale Ent-
differenzierung zweier Rivalen, Gegner oder
Feinde, die sich im Streit um dasselbe Objekt ihres
Begehrens in Eifersucht, Neid, Haß und Verachtung
zunehmend einander ähnlich werden. Absolute
Identität kann, zumal unter irdisch historischen
Bedingungen, nur als Symptom für eine absolute
Katastrophe, für eine Apokalypse entziffert
werden. Sie ist die Chiffre für eine Steigerung bis
zum Äußersten, deren Logik und Grammatik Girard
an den für Europa grundlegenden Beziehungen
zwischen Frankreich und Deutschland, also
derjenigen Eskalation verfolgt, die durch Napoleons
Eroberungszug faktisch ausgelöst worden ist.
An Clausewitz`s Reflexionen über den Krieg erkennt
Girard folgerichtig die andere, eigentliche, die
14

wahre apokalyptische Seite der europäischen


Moderne – das Drama der militärischen Eskalation,
die mit Napoleons totaler Mobilisierung aller
französischen Bürger für seinen europäischen
Eroberungszug ihren Anfang nahm und die
Clausewitz in seinen präzisen mimetischen
Reflexionen als Beginn des Prozesses einer
potenziellen Eskalation und Steigerung bis zum
Äußersten vordenkt.
Gegen Hegels System einer alle Differenzen
versöhnenden Identität liest Girard die Moderne
also als den Prozess der mimetischen Identifikation
des Generals Clausewitz mit dem Idol, Ideal und
Feind Napoelon, in der sich beide deswegen immer
ähnlicher werden, weil es ihnen nur um den totalen
Krieg und Sieg, tatschlich um die Vernichtung des
Anderen zu tun ist. Die absolute Identität wird hier
zum apokalyptischen Zeichen der absoluten
Vernichtung.
„Zur gleichen Zeit, in der die hegelsche Aufhebung
als Überwindung des Widerspruchs und als
notwendige Versöhnung aller Menschen die durch
Napoleons Aktionen vor Augen gestellte Wahrheit
der Gewalt zu überspringen scheint, insistierte
15

Clausewitz gerade auf der Realität des


Zweikampfes, des Kampfes auf Leben und Tod. (A
131)
Es ist eben dieser Zweikampf, in Hinsicht auf den
Clausewitz sein militärisches Denken im Sinne einer
Beschleunigung und Steigerung zum Äußersten
entfaltet. Tatsächlich entwickelt er über den Begriff
der Wechselwirkung zwischen Angreifer und
Verteidiger die ganze Dynamik der Bipolarität von
Faszination und Haß, die ihn Napoleon als Idol des
Kriegsgottes erscheinen läßt, dessen Strategien er
verfolgt, nachahmt und zu Ende denkt, um ihn einst
vernichten zu können. Clausewitz entwirft in
diesem Zusamenhang den Begriff der militärischen
"Dreifaltigkeit", in dem der Haß und blinde
Naturtrieb des Volkes, der eingeplante Zufall der
militärischen Strategie und die Effekte der
politischen Führung in einem Kalkul kombiniert
werden, der den absoluten Gegenschlag gegen den
zugleich bewunderten und verhassten Feind
vorbereitet.
Es bedarf hier keiner weiteren Erläuterung von
Clausewitz Kriegskompendium, um zu erkennen,
dass diese Reflexionen über den Kriegsgott,
16

geboren aus dem Idol und Ideal des militärischen


Genies, diese Szenerie in einen subkutanen Bezug
zur Theologie stellen. Der mimetische Zweikampf
bildet die andere Seite der durch Napoleon
vorangetriebenen Entchristlichung. Clausewitz`s
Kriegsgott bezeichnet bei Girard die historische
Voraussetzung für die Genese des militärischen
Übermenschen, der Nietzsches Akt der
Gottestötung und den Eintritt in eine "höhere
Geschichte" vorbereitet hat. In diesem Kontext
kommentiert Girard dann den berühmten
Aphorismus 125 aus Nietzsches fröhlicher
Wissenschaft:
„Nietzsche ging von der modernen Ausgangslage
aus, als er diesen Aphorismus verfasste. Fünfzig
Jahre nach Clausewitz tritt er dessen Nachfolge an,
wenn er den Übermenschen in seinem Mut und
seiner Männlichkeit entwirft. Was bei Clausewitz
jedoch nach streng militärisch war, wird bei
Nietzsche, der offenkundig ein starkes Gespür für
das archaisch Religiöse besitzt, ins Metaphysische
gewendet. Dies beweist, (…), dass dieses Gespür
mit der Steigerung bis zum Äußersten Schritt hält.
Nietzsche sieht den Mechanismus des
17

Gründungsmordes dort, wo Clausewitz lediglich das


Gefühl hegt, eine Wiedergeburt des gedemütigten
Preußens sei möglich. Nietzsche erkennt
außerdem, dass es im Christentum etwas gibt, das
dieser Hoffnung auf Wiedergeburt radikal
entgegensteht. Zunächst reflektierte er den Tod
des christlichen Gottes. Im weiteren Verlauf wird
dieser Tod jedoch zum Mord, und zwar aufgrund
der eine echte Wiederkehr des Verdrängten
bewirkenden Passion Christi.“ (A 168/9)
Napoleons Selbstkrönung, der symbolische Akt, in
dem der General dem Papst die Krone entwendet
und sich selbst aufsetzt, bezeichnet den Auftakt zu
demjenigen Prozess, der über die mimetische
Eskalation des deutsch französischen Konflikts zu
der Selbstkrönung des Übermenschen führt, der die
in dieser Szene angelegte ganze (anti)theologische
Konstellation in der Figur des Antichristen
offenbart. Die Feindschaft, die zwischen den
Menschen mimetisch bis zum Äußersten eskaliert,
ist, so die Auskunft Girards, nur die andere Seite der
Feindschaft gegen Christus: des Antichrist. Es ist
diese Eskalation, die Clausewitz in seinen
Reflexionen zu Ende denkt und die in den deutsch
18

französischen Kriegen von 1870, 1914 und 1939


dann in einer realen Steigerung bis zum Äußersten
zur totalen Zerstörung führen werden.
Diese monumentale und zugleich reduktiv
einseitige Darstellung der europäischen Moderne
als mimetische Apokalypse, zumal wenn sie sich
hier ausschließlich auf Clausewitz stützt, erscheint
zunächst wie eine Rekapitulation von Carl Schmitts
Rekonstruktion der Geschichte des Partisanen aus
Clausewitz`s Überlegungen zum Krieg.3 Schon
Schmitt denunziert und destruiert hier die Idee von
Aufklärung, Frieden und Versöhnung, wie sie Hegel
in seinem System exemplarisch vorgedacht hat, als
Zeitalter der totalen militärischen Mobilisierung
und Eskalation der Gewalt. Die mit dem Partisanen
sich abzeichnende absolute Ausnahmesituation,
der souveräne Anspruch, noch die letzten Regeln
des Krieges im Zuge der militärischen Eskalation
aufzuheben und damit alle Rücksichten fallen zu
lassen, wird bei Schmitt zum Indiz für ein globales
Szenario des Weltbürgerkrieges, der im
Vietnamkrieg, der Algerienkrise und der
kubanischen Revolution sich ankündigt. Bismarcks

3
Vgl. C.Schmitt: Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, Berlin 1995
19

Zitat aus Vergils Aeneas: "Acheronta movebo" (=


"Ich werde die Kräfte der Unterwelt in Bewegung
setzen!")4, dient Schmitt als Leitmotiv zu einer
systematischen Subversion der Ideen und Ideale
der liberalen Aufklärung mit allen diskursiven
Mitteln. Anders jedoch als Schmitts partisanischer
Ausfall in die Idylle der friedlichen europäischen
Rechtsordnung, geht es Girard bei seiner
apokalyptischen Intervention um den
metaphysisch theologischen Kontext dieser
Eskalation der Gewalt, und das heißt um den
Versuch, diese selbst durch die Rückkehr zum
Christentum und zur katholischen Kirche zu
deaktivieren.
In seiner Rekonstruktion der deutsch französischen
Apokalypse sucht Girard nach Spuren und Ansätzen
für eine solche Besinnung. Er findet sie etwa in
Mme de Staels Untersuchungen zur deutschen
Romantik oder in Baudelaires Bewunderung für
Wagners religiöse Visionen. Aber den
entscheidenden Lichtblick auf eine andere
Verfasstheit Europas findet er in Hölderlins
Dichtung, die er gegen Hegels und Clausewitz`s

Ebenda S.45 4
20

obsessive Auseinandersetzungen mit dem


Phänomen Napoleon als prophetische Vision einer
christlich katholischen Erneuerung deutet.
Tatsächlich erkennt Girard in Hölderlins Dichtung
die Formel für seine eigene apokalyptische Version
der katholischen Gegeneschatologie.

IV Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch –


Hölderlins Vision von einem katholischen Europa

Hölderlin habe sich sowohl von Hegels Philosophie


des absoluten Weltgeistes als auch von
Clausewitz`s Vision vom totalen Krieg abgewendet
und in ein reflexives Schweigen zurückgezogen. In
beiden Formen der bis zum Absoluten sich
steigernden Selbstbegründung des souveränen
Subjekts habe er die wachsende Gefahr erkannt,
mit der eine neue Perspektive auf „das Rettende“
sich eröffnen sollte. Girard zögert nicht, dieses
Rettende in den poetischen und
autobiographischen Hinweisen des Dichters auf
21

eine christlich - katholische Rückbesinnung zu


orten.
„Trotz allem Druck, den der Zeitgeist und seine
Freunde auf ihn ausüben, ahnt der Dichter die
Wahrheit: Dionysos ist die Gewalt und Jesus
Christus ist der Friede.“ (A 223)
Die Schlussverse von Hölderlins Gedicht „Der
Einzige“ (Christus) liest Girard in diesem Sinn als des
Dichters „Bekenntnis zu Monotheismus der
Vernunft und des Herzens“, wie sie nur der
Katholizismus repräsentiert. „Es ist also der Eine,
der das in allen Religionen Göttliche aufdeckt, der
die Heiligkeit vom Sakralen befreit.“ (A 221) Girard
besiegelt diese katholische Interpretation mit einer
späten Tagebuchnotiz des Dichters, wonach dieser
im Begriff gewesen sei, „katholisch zu werden.“ (A
223)
Mit diesem katholischen Bekenntnis Girards zu
Hölderlin bietet Girard eine eigene, mit Adornos
Dialektik der Moderne5 und Heideggers
seinsgeschichtlichem Ereignis6 konkurrierende
T.W.Adorno/M.Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt Main 5
2004 (1947), S.53
M.Heidegger: Die Technik und die Kehre, Vorträge, Pfullingen 1962, S.35 und 41. Tatsächlich erinnert 6
Heideggers Versuch, die in Hegel gipfelnde absolut negative Eschatolologie des Seinsgeschichte, in
einer Gegeneschatlogie des Ereignisses zu überwinden, in vielem an Girards Unternehmen. Dabei setzt
22

Interpretation von den berühmten Versen aus der


Patmos Elegie:
Nah ist
Und immer schwer zu fassen
der Gott
Wo die Gefahr ist,
wächst
Das Rettende auch
Wo Adorno und Horckheimer in diesen Versen
einen utopischen Ausblick auf die wahre Idee der
Freiheit gegen ihre mythischen Verzerrungen durch
das Identitätsprinzip erkennen, wo Heidegger hier
die Ankunft des anderen griechischen Gottes
herausliest, der den Bann technologischer
Herrschaft durch eine Rückbesinnung auf das
Ereignis des Seins bricht, bietet Girard eine
katholische Deutung an, die die Idee einer
autonomen Selbstbefreiung des Menschen durch

Girard einen theologischen Akzent, den Heidegger mit seiner Ontologie gerade umgehen will. Vgl.:
M.Heidegger: Der Spruch des Anaximander, in Holzwege, Frankurt Main 1977, S.327: "Wir verstehen
jedoch das Wort Eschatologie im namen der Eschatologie des Seins nicht als Titel einer theologischen
oder philosophischen Disziplin. Wir denken die Eschatologie des Seins in dem entsprechenden Sinne,
in dem seinsgeschichtlich die Phänomenologie des Geistes zu denken ist. Diese selbst bildet eine Phase
in der Eschatologie des Seins, insofern das Sein als die absolute Subjektivität des unbedingten Willens
zum Willen sich in die Letze (!!) seines bisherigen, durch die Metaphysik geprägten Wesens
versammelt."
23

sich selbst als Illusion einer nur durch die christliche


Offenbarung zu überwindenden Konstruktion der
falschen Transzendenz begreift.
Nun scheint Girard von Hölderlin aus drei
aufeinander bezogene Aspekte dieser Rettung
durch den "nahen Gott" zu entfalten. Zunächst sei
diese Rettung gerade durch die in der Erfahrung
absoluter Gefahr sich offenbarende Möglichkeit
einer „jesuanischen Begegnung“ unmitttelbar
gegeben, insofern die „Passion (…) die Mimetik
aufdeckt und zugleich die einzige Möglichkeit, von
ihr geheilt zu werden.“ (A 179) Gerade in der
Steigerung bis zum Äußersten soll so die mögliche
Transformation angelegt sein, die den wahren Sinn
der christlichen Lehre als einer anderen Mimetik
offenbart und die uns auffordert, "einen durch und
durch guten Gott nachzuahmen.“
Mit dieser Möglichkeit der Umkehr wird so die
Perspektive frei auf eine andere – zur säkularen
Logik der souveränen Selbstbegründung -
gegenläufige Figur christlicher Souveränität
erkennbar, mit der diese Praxis der anderen
Mimetik institutionell gewährleistet werden soll:
das Papsttum.
24

Girard widmet dem Papsttum eine kurze


historische Skizze, die sich folgerichtig vor allem auf
dessen Schicksal seit Napoleons Gefangenahme
von Pius VII konzentriert. Es ist die Geschichte des
unterdrückten, vergessenen und verdrängten
Papsttums der Moderne, das sich zugleich, gerade
über diesen erzwungenen Rückzug, von den
Verführungen der weltlichen Macht befreien und
so zu seiner wahren Bestimmung finden konnte.
Nicht nur hat das Papsttum „die Achtung vor einer
sich auf die Imitatio Christi gründenden Tradition
bewahrt“ (A 293), das Papsttum wird zur
Konstellation der wahren Souveränität, zum Modell
einer „Einzigartigkeit“ und „subjektiven
Allgemeinheit“, mit der sich der moderne Katholik
identifiziert und auseinandersetzen muss. (A 293)
Nun werden diese beiden Aspekte, das
"jesuanische Ereignis" und das Vorbild der
"päpstlichen Souveränität" von Hölderlins Poetik
der Rettung aus nun von Girard in eine zur
Eschatologie der Moderne gegenläufigen Meta-
Eschatologie eingeschrieben. Diese Deutung setzt
zunächst ein mimetisches Paradox voraus, insofern
nämlich „die Anprangerung der
25

Opfermechanismen durch Jesus (zugleich) die


Gewalt fortwährend verschärft.“ (A 185) Jesus
bezeichnet somit zunächst das Ereignis der
radikalen Deaktivierung des Fürsten dieser Welt,
des Teufels, d.h. des dionysischen Prinzips und
Antichristen.
„Man sieht weniger Dionysos als den Satan vom
Himmel fallen wie einen Blitz, den seiner falschen
Transzendenz verlustig gegangenen Satan (…) Er ist
der Name für jene in Auflösung begriffene Struktur,
die der heilige Paulus „Mächte und Gewalten“
genannt hat.“ (A 181)
Aber die Moderne als das Zeitalter der
Säkularisation steht damit nicht nur vor eben dieser
Möglichkeit einer gegenüber der falschen
Transzendenz der politischen Mächte Offenbarung
der wahren Transzendenz, sondern diese Moderne
wird nun von Girard zur Szene eben einer durch
diese Offenbarung selbst vorgesehenen
apokalyptischen Steigerung bis zum Äußersten!
„Jesus ist der Andere, der kommt und das System
gerade durch seine Verletzlichkeit in Panik versetzt
(…) Dessen Wiederkunft wird gerade durch die
26

Wirkungen der Steigerung bis zum Äußersten


angekündigt.“ (A 185)
Dieser Feststellung zufolge, gehört die Moderne als
die Epoche der Beschleunigung und Steigerung bis
zum Äußersten eigentlich zum Heilsplan selbst, wie
denn das Christentum – Girard zufolge – sein
eigenes Scheitern vorausgesehen hat und in seine
Heilsprognose über die noch bevorstehen Parusie
mit in sich aufgenommen hat. Girard bezieht sich
hier gar nicht auf die in diesem Kontext zu
erwartende Johannes Apokalypse, sondern auf die
Voraussagen aus den Evangelien, die die
apokalyptische Athmosphäre vor der eigentlichen
Parusie als „eine Zeit der Heiden“ beschreiben, wie
etwa diese Stelle aus Lukas 21. 22-24:
„Denn es sind die Tage der Vergeltung, dass erfüllt
werde alles, was geschrieben ist. Weh aber den
Schwangeren und den Stillenden in jenen Tagen!
Denn es wird große Not auf Erden sein und Zorn
über dies Volk kommen. Und sie werden fallen
durch die Schärfe des Schwertes und gefangen
weggeführt unter alle Völker, und Jerusalem wird
zertreten werden von den Heiden, bis die Zeiten
der Heiden erfüllt sind.“
27

Mit dieser und ähnlichen Voraussagen versucht


Girard die Moderne tatsächlich als Zeitalter der
Gewalt in den Heilsplan einzurücken, d.h. er liest
Clausewitz`s Theorie vom Krieg im Licht der Gefahr,
mit der das Rettende als das „Christliche“ sich
unweigerlich ankündigt, ja ankündigen muss. Die
Nähe des Gottes bei Hölderlin wird geradezu zu
einer Funktion der sich steigernden Gewalt, wie
diese Nähe sich dem apokalyptischen Luftdruck der
sich steigernden apokalyptischen Gewalt verdankt.
Zwar scheint diese "Zeit der Heiden" zunächst als
durchaus unbestimmt: „Zwischen der Passion Jesu
und seiner Parusie (…) wird sich diese unbestimmte
Zeit erstrecken, unsere Zeit, eine Zeit zunehmend
entfesselter Gewalt.“ (A193) Aber zugleich ist deren
Ende durch das paradoxe Prinzip einer sich über die
Steigerung der Gefahr ankündigenden Nähe in ihrer
Apokalyptizität definiert, weil sie erkannt und in
ihrem Wesen durchschaut wird. „Und so will es das
Paradox, dass wir die Botschaft des Evangeliums
just in dem Moment zu erfassen beginnen, in dem
sich die Steigerung bis zum Äußersten als
allgemeines Gesetz der Geschichte durchsetzt.“ (A
26)
28

Es handelt sich also um den Begriff bzw. die Logik


der Geschichte, ihr apokalyptisches Gesetz, das mit
der Steigerung sich als ihr allgemeines Gesetz
offenbart. Diese Bestimmung des Endes als
transparentes Gesetz ergibt sich für Girard nun aus
dem Charakter eben seiner mimetischen Theorie
selbst, die es sich zutraut, nicht nur das Gesetz der
Geschichte, sondern die christliche Intuition selbst
auf ihren Begriff zu bringen. „Die mimetische
Theorie ist ihrem Wesen nach eine christliche
Theorie. Ich wage sogar zu behaupten, dass sie
darauf abzielt, das Christentum seiner wahren
Bedeutung zuzuführen, es gewissermaßen zu Ende
zu denken, weil sie die Gewalt ernst nimmt.“ (A
192)
Eben weil Girard die mimetische Gewalt ernst
nimmt und vor ihr nicht die Augen verschließ,
gelingt es ihm, das Gesetz der Geschichte zu
erkennen und so die „christliche Intuition“ von
einem apokalyptischen Ende „zu Ende zu denken“
d.h. in ihren systematischen Begriff und tendenziell
in ein zur Moderne gegenläufiges eschatologisches
System zu überführen.
29

Wo die Moderne, seit Lessing und Hegel, das


Zeitalter der Aufklärung und Freiheit in einer
immanenten Eschatologie vom Reich Gottes7
eingetragen hat, das nun mit den Mitteln des
Begriffes in seine historische Gesetzlichkeit
übersetzt werden kann, da weist Girard diese
Eschatologie in ihrer absoluten Negativität aus, um
diese negative Eschatologie (von Krieg und Gewalt)
nun seinerseits in ein heilsgeschichtlich motiviertes
Gesetz der Geschichte einzuschreiben. Mit anderen
Worten: Von Hölderlins Einsicht in die paradoxe
Annäherung von Gewalt und Offenbarung aus
schreitet Girard selber zu einer begrifflichen
Übersetzung der christlichen Intuition von der
Ankunft des Reich Gottes in seine mimetische
Theorie und von da aus in sein mimetisches
Geschichtssystem.

Vgl. H.d.Lubac: Le Drama de l`humanisme athee, Paris 1945. K.Löwith: Weltgeschichte und 7
Heilsgeschehen. Zur Kritik der Geschichtsphilosophie, Stuttgart 1983. J.Taubes: Die abendländische
Eschatologie, München 1991. J.Moltmann: Gott im Projekt der Moderne, Gütersloh 1997. C.Schmidt:
Die Theopolitische Stunde. 12 Perspektiven auf das eschatologische Problem der Moderne, Paderborn
2009
30

VI Die Katholische Legitimation zwischen


Regensburger Rede und apokalyptischem System

Die skandalumwitterte Regensburger Rede von


Papst Benedikt XVI. scheint sich zunächst in die von
Girard vorgegebene Dynamik einzufügen. Das
säkularisierte Europa findet sich mit der
Renaissance der Religion einer ungeahnten
politisch religiösen Gewalt ausgesetzt, der es sich
nur wirklich erfolgreich stellen kann, wenn es die
eigene Dynamik der Säkularisation als Drama einer
gegenseitigen Delegitimation von säkularer und
religiöser Kultur begreifen würde. Girard erkennt
gerade am skandalösen Ton dieser päpstlichen
Konfrontation mit der aufziehenden islamischen
Gewalt den für seine apokalyptischen Reflexionen
idealen Koalitionspartner, wie er denn im Papsttum
überhaupt die „letzte Internationale“ (A 326)
begrüßt, die sich als der wahre Garant der Einheit
von Glaube und Vernunft gegenüber den
totalitären Ansprüchen des säkularen
Rationalismus und des einseitigen Fideismus als
Alternative konstituieren kann. „Das theologische
Denken, auf das er (= Benedikt XVI) hofft, muss den
31

Rationalismus und den Fideismus entmystifizieren.


Dies ist der sich androhende Krieg, auf den die
Christen sich vorbereiten müssen.“ (A 339)
Das Papsttum von Johannes Paulus II und Benedikt
XVI sind in besonderer Weise für diese Aufgabe
gerüstet, weil sie ein Papsttum vertreten, das sich
im säkularen Exil der Neuzeit weitestgehend
entweltlicht hat und so seine spezifische spirituelle
Schlagkraft im Sieg über das sovietische Imperium
unter Beweis unter Beweis stellen konnte, wie es
sich der anstehenden Konfrontation mit dem
islamischen Terror am Besten zu stellen vermag.
Zunächst rekapituliert Girard den "essentiell
rationalen Glauben", den Benedikt in der Rede
gegen die Logik der Trennung und der aus dieser
sich entfaltenden Entgegensetzungen und
Verabsolutierungen beschwört. Zugleich wird doch
am Ende dieser Rekapitulation deutlich, dass Girard
eine ganz andere Form der religiösen Rationalität
im Visier hat. (A 26)
Benedikt deckt demnach die Ursprünge der
gegenwärtigen globalen Krise der säkularen
Vernunft und des religiösen Glaubens in jenem
32

Prozess auf, der sich von der Religion loslöst, diese


zunächst in eine Religion der praktischen Vernunft
übersetzt, sie aber über die mathematische
Wissenschaft und eine radikale Enthellenisierung
zuletzt in einen ohnmächtigen Torso transformiert,
also eine korrumpierte, irrationale Religiosität.
Zumal die im lutheranischen Protestantismus
vollzogene radikale Ablehnung der Philosophie
überhaupt, die sich in der modernen liberalen
Theologie dann auch endgültig von der
hellenistischen Kultur emanzipiert hat, um sich zu
einem Ethos der praktischen Vernunft zu
bekennen, dient dem Papst als ein europäisches
Beispiel für die Tragik dieses Prozesses der
Trennung. Dieser Prozess gipfelt, – das meint
Benedikts Hinweis auf die markionitische Gnosis
des bedeutendsten Repräsentanten dieser
liberalen Tendenz, Adolph von Harnack – in dem für
die Moderne im Ganzen symptomatischen
Pathologie des Antijudaismus.
Säkularer Rationalismus und blinder Fideismus
bilden die europäische Konstellation, die nun auf
der globalen Ebene den sich entfaltenden Konflikt
zwischen dem säkularen Westen und dem
33

fundamentalistischen islamischen Glauben


bestimmen sollen. Die Einheit von Glauben und
Vernunft ist so die von Benedikt in Erinnerung
gerufene Alternative zu der eskalierenden Gewalt:
„Gott hat kein Gefallen am Blut (…), und nicht
vernunftgemäß, nicht syn logo zu handeln, ist dem
Wesen Gottes zuwider.“ (A 339) Girard zitiert
Benedikt hier ausführlicher: „Wer also jemanden
zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zur
rechten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber
Gewalt und Drohung.“ Er bestätigt seine
Übereinkunft mit dem Papst dann noch einmal ganz
eindrücklich: "Zurückweisung des Opfers und eine
radikal neue Herangehensweise an das Religiöse –
habe ich je etwas anderes behauptet. Ich halte
diese Rede also vorbehaltlos gut.“ (A 342)
Der Papst hat mit diesen Worten unter der Hand
allerdings eine Grundvoraussetzung für den Dialog
der Religionen und zwischen Religion und säkularer
Kultur benannt, die in Girards Apokalyptik
unterzugehen droht, nämlich die Idee von Freiheit
und Demokratie als politisch-moralische
Bedingungen der Möglichkeit der „guten Rede“ und
des „rechten Denkens“, also als Dialog zwischen
34

gleichberechtigten Partnern. Diese Idee der Freiheit


und der demokratischen Verfassung von
Gesellschaft ist allerdings erst von dem säkularen
Europa durch eine Lossage und Emanzipation von
Kirche, Theologie und Glauben ermöglicht worden,
die ihrerseits diese Idee der Freiheit im Namen von
Dogma und Gehorsam gerade radikal abgelehnt
haben. Tatsächlich ist auch Benedikts Regensburger
Rede ohne die im II. Vatikan vollzogene
Anerkennung der säkularen Demokratie und
Freiheit gar nicht denkbar. Vernunft und Glaube
können nicht mehr einfach hierarchisch und im
Sinne eines Herrschaftsanspruchs einander über-
bzw. untergeordnet werden, sie entsprechen –
unter den postsäkularen Bedingungen, die der
Papst im Dialog mit Jürgen Habermas8 eindrucksvoll
bekräftigt hat – einer in ihrem Wesen offenen
dialogischen Beziehung auf der Grundlage eben
jener modernen Idee der Freiheit und Demokratie.
Damit ist eine säkulare Kultur gemeint, die sich in
einem solchen Dialog ihrerseits mit der spezifisch
einseitigen Version ihrer Säkularisationsgeschichte

Vgl.: J.Ratzinger/J.Habermas: Vorpolitische moralische Grundlagen eines freiheitlichen Staates, in: Zur 8
Debatte, 1/2004
35

bereit zeigt auseinanderzusetzen.9 Die Aufhebung


der Trennung wendet sich damit nicht nur gegen
die einseitigen Verabsolutierungen in
Rationalismus oder Fideismus, sondern sie wendet
sich explizit gegen alle Versuche einer
Zwangssynthese, die wie etwa in Hegels System
den Glauben mithilfe der dialektischen Vernunft im
Begriff auflöst.
Auch wenn Benedikt aus der kirchlichen Position
eine letzte Synthese von Vernunft und Glauben im
Sinne der aquinatischen Scholastik vertritt, so wird
auch hier immer noch eine unauflösbare Differenz
beider Zugänge vorausgesetzt. Auf jeden Fall
unterscheidet sich diese offene Einheit von
Vernunft und Glaube von der von Girard offenbar
intendierten „ganz anderen Form der Rationalität.“
„Ich persönlich denke, dass dieser Dialog der Kultur
und Religion nur dann sinnvoll ist, wenn das
Christentum sich dem archaisch Religiösen als
Ganzes gegenüberstellt. Es ist weniger die
Vernunft, die dem Religiösen ins Auge sehen muss,

Vgl.: J.Habermas: Glauben und Wissen.Dankesrede für den Friedenspreis des deutschen Buchhandels, 9
2001, in: http://www.glasnost.de/docs01/011014habermas. Ders.: Politik und Religion, in:
F.W.Graf/H.Meier. Politik und Religion. Zur Diagnose der Gegenwart, München 2013
36

als vielmehr eine Form des Religiösen, die sich einer


anderen Form der Religion stellen muss.“ (A 338/9)
Schon aus den bisherigen Überlegungen ergab sich,
dass die „rettende“ Form des rationalen Religiösen,
die der wachsenden Gefahr der archaischen Gewalt
entgegentreten kann, eben jene durch die
mimetische Theorie rational erfasste "Intuition des
Christentums" ist. Weil diese ganz andere Form
einer rationalen Religion der Gewalt nicht
ausweicht, vermag diese die christliche Intuition
„zu Ende zu denken“, und d.h. nun selber im
mimetischen Begriff aufzulösen.
Zwar stellt Girard eine Korrespondenz zwischen
Hölderlins katholischer Vision und Benedikts
Theologie der Vermittlung von Vernunft und
Glaube her, doch könnten diese Visionen in letzter
Instanz nicht unterschiedlicher sein. Wo Girard mit
Hölderlins Paradox von Gefahr und Rettung die
Christliche Intuition in eine zur Eschatologie der
Moderne und Aufklärung im Ganzen negative
Apokalyptik einschreibt10, übernimmt der Papst
Tatsächlich nähert sich Girard immer wieder einem theopolitischen Denken, das er offenbar nich t 10
rezipiert hat, nämlich der radikal antimodernen Apokalyptik von Erik Peterson. Vor allem in dessen
Fragmenten zur Johannes Offenbarung "Der Fürst dieser Welt" und "Politik und Religion" aus den 40er
Jahren, in: Peterson: Offenbarung des Johannes und politisch theologische Texte, Band IV der
Ausgewählten Schriften, Würzburg (ohne Jahresangabe), S.243 ff. finden sich erstaunlich Parallelen zu
Girards Reflexionen: Wir kommen jetzt zur dritten Wurzel des modernen Nationalstaates: zu den Ideen
37

eine konservative Version des II.Vatikans, mit der er


Moderne, Aufklärung und Säkularisation in ihrem
Anspruch auf Freiheit durchaus anerkennt, aber in
einer postsäkularen offenen Dialogik zwischen
säkularer Kultur und Kirche verankert. Die
Entgleisung der Moderne in Rationalismus und
Fideismus dient bei Benedikt als Warnzeichen für
eine andere Aufklärung jenseits dieser einseitigen
Verabsolutierungen und der daraus folgenden
gegenseitigen Delegitimationen, während sie bei
Girard zur Szene einer apokalyptischen Heillosigkeit
wird, die nur über die mimetische Theorie
heilsgeschichtlich integriert werden kann.
Diese Differenz erweist sich also zunächst vor allem
am Unterschied zwischen beider Haltungen
gegenüber der Vernunft überhaupt. Während die
katholische Tradition die Kreatur in ihrer
Ebenbildlichkeit als ein vernünftiges Wesen denkt,
das, obwohl durch die Sünde beschädigt, sich doch

der Französischen Revolution, und fragen auch hier nach der theologischen Problematik dieser
Gedanken. Das eigentlich Chrakteristische dieser Ideen liegt in der Lehre vom Menschen, wie sie wohl
am deutlichsten in der "Erklärung der Menschenrechte" zum Ausdruck kommt. "Der Mensch" erscheint
in Frankreich und fordert seine Rechte, und indem der Mensch seine Rechte geltend macht, setzen sich
Frankfreichs Armeen unter Napoleon in Bewegung, um Europa zu erobern. Der Mensch, der in
Frankreich am Ende des 18.Jahrhunderts erscheint, um seine Menschenrechte zu fordern, ist nur die
dämonische Nachäffung des Menschensohnes, der, in Judäa erscheinend, die Herrschaft Gottes
verkündet. Der Mensch, der seine Armeen in alle Länder Europas schickt, ist nur der teuflische
Nachahmer dessen, der seine Apostel in alle Länder der Oikumene gesandt hat." Wie Girard deutet
Peterson das Wesen des Antichristen ganz im mimetischen Sinne als karikaturhafte Nachahmung.
38

Zugang zur Erkenntnis ihres göttlichen Ursprungs


verschaffen kann11, denkt Girard Vernunft offenbar
in rein mimetischen Begriffen, d.h. sie ist der Reflex
mimetischer Prozesse und ihrer spezifischen Logik.
Erst über die Bedrohung durch die Gewalt, gelangt
der Mensch zur Vernunft, entweder, weil er durch
die kollektiv sakrifizielle Gewalt beruhigt wird, oder
weil er in der Offenbarung der Passion zu einer
Aufgabe der Gewalt sich gezwungen sieht. In
beiden Fällen erscheint die Vernunft – ähnlich wie
in Thomas Hobbes Übergang vom Natur- zum
Kulturstand – als ein sekundärer Effekt der
gewaltsamen Natur des Menschen. Entweder ist
der Mensch sakrifiziell diesem satanischen
Sündenstand restlos verfallen, oder er wird durch
den Akt der transzendenten Offenbarung von ihr
befreit und erlöst.
Wenn die Vernunft der Kreatur so restlos durch die
Sünde der Gewalt bestimmt, der Mensch so restlos
dem bellum omnium contra omnes ausgeliefert ist,

Vgl. stellvertretend hierzu Papst Johannes Paulus II: Enzyklika Fides et Ratio, 14. Septmeber 1998, 11
S.15: "Was für eine Herausforderung stellt sich da unserer Vernunft und welchen Nutzen zieht sie
daraus, wenn sie sich denn geschlagen gibt! Die Philosophie, die schon von sich aus imstande ist, die
unablässige Selbsttranszendierug des Menschen auf die Wahrheit hin zu erkennen, kann sich mit Hilfe
des Glaubens öffnen, um in der Torheit des Kreuzes die echte Kritik an denen aufzugreifen, die sich der
Täuschung hingeben, die Wahrheit zu besitzen, während sie sie in den Untiefen des Systems
gefangenhalten.
39

so bestätigt sich diese Differenz zwischen Benedikt


und Girard noch einmal an der unterschiedlichen
Auffassung des Begriffs der Sünde. Tatsächlich
radikalsiert Girard den Begriff der Sünde über die
Voraussetzung der unausweichlichen sozialen
Gewalt geradezu in lutherischer Weise "bis zum
Äußersten", dass er praktisch die Möglichkeit einer
eigenständigen Vernunft verwerfen muss und die
Befreiung nur einem Akt der Gnade überlassen
kann. Dagegen vertritt der Papst natürlich die
klassische katholische Tradition, die lediglich von
einer Beschädigung der menschlichen Natur durch
die Sünde ausgeht. Mit dieser wird das Licht der
Vernunft wohl verdunkelt, aber nicht vollends
ausgelöscht.
Es ist in diesem Kontext also kein Zufall, dass Girard
sich immer wieder auf denjenigen Blaise Pascal
bezieht, von dem sich der Papst in der
Regensburger Rede gerade explizit distanziert, da
Pascals Denken eine scharfe Antithese zwischen
Glauben und Vernunft gesetzt hat:
"Die liberale Theologie des 19. Und
20.Jahrhunderts brachte eine zweite Welle im
Programm der Enthellenisierung mit sich, fpr die
40

Adolph von Harnack als herausragender


Repräsentant steht. In der Zeit, als ich studierte (...)
war dieses Programm auch in der katholischen
Theologie kräftig am Werk. Pascals Unterscheidung
zwischen dem Gott der Philosophen und dem Gott
Abrahams, Isaaks und Jacobs diente als
Ausgangspunkt dafür."12
Genau hier schließlich erklärt und rächt sich Girards
Absehen vom Begriff der Freiheit. Wo die Moderne
„nur“ als apokalyptische Szene und von da aus als
heilsgeschichtlich geradezu notwendiger Abfall
vom Christentum die paradoxe Dramaturgie von
wachsender Gefahr und Rettung in Bewegung setzt,
der satanisch geprägte Sündenstand also nur in
einem Akt göttlicher Gnade am Ende des absoluten
Ausnahmezustands und der unausweichlichen
Katstrophe gerettet werden kann, da entwickelt
Benedikt in der Regensburger Rede eine sehr viel
subtilere politische Theologie Europas, die den
Begriff der Sünde immer schon in Bezug zur Freiheit
denkt. Tatsächlich lässt sich Benedikt hier eben
nicht auf eine apokalyptische Logik ein, sondern
erklärt die europäische Krise aus einer zentralen
Papst Benedikt XVI: Glaube, Vernunft und Universität. Erinnerungen und Reflexionen. Aula Magna 12
der Universität Regensburg. 12.September 2006
41

Schuld der Kirche und des katholischen Glaubens


selbst, der der eigenen Synthese von Glauben und
Vernunft in Wahrheit nicht immer gewachsen war.
Der Papst führt die gegenüber dem Islam
vorgetragene Anschuldigung der Gewalt dabei auf
die Tendenz einer jeden monotheistischen
Theologie zurück, nämlich die Souveränität Gottes
durch den Glauben so zu überhöhen und „bis zum
Äußersten zu steigern“, dass – so das Beispiel von
dem islamischen Theologen Ibn Hazm - „Gott am
Ende nicht einmal mehr durch sein eigenes Wort
gehalten sei, und nichts ihn dazu verpflichte, uns
die Wahrheit zu offenbaren.“13
Eben diese Tendenz war es, so die These Benedikts,
die in Europa über die Theologie des scotistischen
Voluntarismus zu der Trennung von Glaube und
Vernunft und damit zu der verhängnisvollen
Antithese von Rationalismus du Fideismus geführt
hat. „Wir kennen von Gott nur seine Voluntas
ordinata. Jenseits davon gebe es die Freiheit
Gottes, kraft derer er auch das Gegenteil von allem,
was er getan hat, hätte machen und tun können.
Hier zeichnen sich Positionen ab, die denen von Ibn

Ebenda S.2 13
42

Hazm durchaus nahekommen könnten und auf das


Bild eines Willkürgottes zulaufen könnten, der auch
nicht an die Wahrheit und das Gute gebunden
ist.“14
Der Papst versucht sich hier nebenbei nicht nur an
einer katholischen Revision von Hans Blumenbergs
"Legitimation der Neuzeit",15 die an eben dieser
Übertreibung von Gottes Souveränität in der
scotistischen Theologie den absoluten
epistemologischen Ausnahmezustand erkennt, der
zu der Neubegründung der Vernunft auf der
Grundlage des souveränen Ego cogito und so zu
einer scheinbar unumkehrbaren Legtimation der
autonomen Neuzeit aus sich selbst geführt hat.
Benedikts Einsicht in die Beziehung von Freiheit und
Schuld, die in der Katholischen Auffassung von der
Vernunft der Kreatur gründen, verweigern sich mit
der Umkehrung dieser einseitigen säkularen

Ebenda S.4 14
H.Blumenberg: Legitimität der Neuzeit, Frankfurt Main 1996. Bekanntlich leitet Blumenberg aus der 15
absoluten Souveränität Gottes, der vollkommen unvorhersehbar und potenziell böse sein kann, die
Unmöglichkeit des Begriffes und damit der Theologie im ganzen ab. Descartes Dämon, der das
skeptische Bewußtsein heimsucht, ist die epistemologische Spur dieses Gottes, gegen den sich das
Subjekt nur noch auf die eigene Vernunft zurückziehen kann. Erstaunlich ist hier natürlich auch, dass
Blumenberg hier Carl Schmitts Pladoyer für den am absoluten theistischen Gott modellhaft
vorgeführten Ausnahmezustand sozusagen "zu Ende denkt", und so die untragbaren epistemologischen
Konsequenzen eines solchen absoluten souveränen Gottes für den Menschen und die Politik vorführt,
so daß die Säkularisation unausweichlich wird. Vgl. hierzu: C.Schmidt: Unde Malum. Zu einer kritischen
Revision von Hans Blumenbergs Lgitimität der Neuzeit, in: Naharaim. Zeitschrift für deutsch-jüdische
Literatur und Kulturgeschichte, 1/2007
43

Legitimation auch und gerade dem


apokalyptischen Szenario Girards, das eine einseitig
antisäkulare katholische Legitimation der Neuzeit
für sich in Anspruch nimmt.
Indem Benedikt die Krise der Moderne auf eine
Schuld der katholischen Theologie selbst
zurückführt, die sich von ihrer eigenen
absolutistischen Tendenz hat verführen lassen,
fordert er tatsächlich eine ständige Selbstkritik der
eigenen Theologie, und das heißt eine Überprüfung
eben jenes Verhältnisses von Vernunft und
Glauben, das sich in der Moderne in Rationalismus
und Fideismus hermetisch verabsolutiert hat, aber
eben durch die von der Aufklärung in Gang gesetzte
Bewegung der Befreiung und Freiheit zugleich eine
neue dialogische Version dieses Verhältnisses
ermöglicht. Gegenüber der einseitig säkularen
Legitimation von Hans Blumenberg und gegenüber
der einseitig apokalyptischen Legitimation von
Rene Girard besteht der Papst gerade auf einer Art
post-hegelianischen Dialogik zwischen Vernunft
und Glaube auf der Grundlage ihrer ursprünglichen
katholischen Vermittlung in der aquinatischen
Theologie. In dieser dialogischen Vermittlung sollen
44

sich beide, säkulare Moderne und katholischer


Glaube, je neu positionieren können, um so eine
Legitimation der Neuzeit vorzubereiten, die über
den europäischen Rahmen hinaus, Modell für einen
friedlichen Dialog zwischen säkularer Kultur und
Religion auf globaler Ebene werden kann.

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