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Klaus Goeschen

Peter Papa Petros

Urogynäkologie aus Sicht der Integraltheorie


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Klaus Goeschen
Peter Papa Petros

Urogynäkologie
aus Sicht der
Integraltheorie
Mit 337 Abbildungen

123
Prof. Dr. med. Klaus Goeschen
Hildesheimer Straße 34-40
30169 Hannover

Prof. Dr. med. Peter Papa Petros


14A Osborne Pde
Claremont
WA 6010
Australia

ISBN-13 978-3-540-88354-8 Springer Medizin Verlag Heidelberg

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SPIN 12324927

Gedruckt auf säurefreiem Papier 2111 – 5 4 3 2 1 0


V

Vorwort
Ich hatte das große Glück, bei vier hervorragenden Ärzten meiner Generation lernen und
arbeiten zu dürfen: Prof. Gerhard Martius, Prof. Erich Saling, Prof. Jörg Schneider und Prof.
Peter Papa Petros. Sie waren alle auf ihre Art Pioniere und haben die Medizinwelt bemerkens-
wert verändert.
Gerhard Martius war ein herausragender Arzt und Lehrer, der – wie kaum ein anderer –
die Geburtshilfe und Gynäkologie beherrschte. Er hat über viele Jahre seines Schaffens zahlrei-
che ausgezeichnete Lehrbücher verfasst, die mehr als zwei Ärztegenerationen geprägt haben.
Schon vor über 30 Jahren hat er sich gegen eine obligatorische Hysterektomie bei Beckenbo-
denoperationen ausgesprochen, obwohl er dafür von den meisten seiner Kollegen belächelt
wurde. Wie sein Vater, Prof. Heinreich Martius (Ordinarius für Gynäkologie in Göttingen
1926–1954), hat er schon früh erkannt, dass es bei einer Gebärmutter- oder Scheidensenkung
zu typischen Funktionsstörungen wie Inkontinenz, Pollakisurie, Nykturie, Urge, Blasen- und
Darmentleerungsstörungen, Restharnbildung sowie Schmerzen in der Tiefe des Kreuzbeins
kommt. Damit hat er den Grundstein für die Integraltheorie und auch für dieses Buch gelegt.
Erich Saling hat in einer Zeit, in der fünf von hundert Neugeborenen starben, seine ganze
Kraft darauf verwandt, diese katastrophalen Zustände zu verbessern. Gegen den lange anhalten-
den Widerstand nahezu aller etablierten Geburtshelfer hat er es geschafft, dass heute die perina-
tale Sterblichkeit bei unter fünf auf 1000 Geburten liegt. Seinem Glauben an die gute Sache und
seiner Zähigkeit ist es zu verdanken, dass viele Neugeborene, die früher verstorben wären, heute
gesund leben können. Was, wenn es seinen Widersachern gelungen wäre, ihn aufzuhalten?
Jörg Schneider war maßgeblich daran beteiligt, dass es inzwischen ein Anti-D-Immunglo-
bulin gibt, welches eine Sensibilisierung bei Rh-negativen Müttern verhindert. Seine Beharr-
lichkeit und Fähigkeit, Rückschläge wegzustecken führten dazu, dass der Morbus haemolyti-
cus neonatorum heute nur noch selten auftritt.
Peter Papa Petros hat die Urogynäkologie gegen den Widerstand der etablierten Experten
grundlegend verändert und dadurch vielen Frauen zu einem besseren Leben verholfen. In der
Zwischenzeit hat auch die Industrie erkannt, dass sich mit seinen operativen Ideen viel Geld
verdienen lässt. Sie ist es, die jetzt weltweit dafür sorgt, dass ihre Produkte in die Hände der
Operateure gelangen. Dabei wird großer Wert auf das Vermitteln von operativen Techniken
gelegt. Das Verstehen der Physiologie und das Erkennen von pathologischen Abläufen findet,
wie das diagnostische Vorgehen, nach wie vor leider wenig Beachtung.
So richten sich bis heute die meisten Urogynäkologen und Urologen nach den 1958 auf-
gestellten Empfehlungen der International Continence Society (ICS), welche die ICS 1988
nochmals bestätigt hat:
▬ »Symptome sind nicht verlässlich,
▬ eine instabile Blase kann nicht chirurgisch geheilt, sondern muss medikamentös behan-
delt werden,
▬ nur Patientinnen mit Stressinkontinenz profitieren unter Umständen von einer Operation,
▬ Patientinnen mit gemischter Stress-/Urgeinkontinenz sollten nicht operiert, sondern eben-
falls medikamentös behandelt werden.«

Auch in den letzten Statements von 2003 hat die ICS ihre Meinung nicht geändert. Medika-
mentöse Behandlung mit all ihren Nebenwirkungen und der schlechten Compliance wird
nach wie vor als die Methode der Wahl für diese Patientinnen angesehen. Eine chirurgische
Therapie als weitere Option wird nicht erwähnt.
VI Vorwort

Seit 1990 gibt es zahlreiche Arbeiten, die zeigen, dass eine Korrektur der bindegewebigen
Halteligamente und -faszien auch die oben genannten Beschwerden heilen kann. Die Erklä-
rung dafür findet sich in der Integraltheorie, die einen Großteil der genannten Leiden und
urodynamischen Befunde als Folge eines Bindegewebeschadens erklärt.
Diese Zusammenhänge werden in dem vorliegenden Buch präzise beschrieben.
Die Autoren hegen die Hoffnung, dass Kollegen, die Interesse an modernen Behandlungs-
möglichkeiten haben, dieses Buch lesen werden und nicht länger Skeptiker oder gar Gegner
neuer, faszinierender Konzepte sind.
Möge die Urogynäkolgie aus Sicht der Integraltheorie eine Einladung sein, sich unserem
Weg anzuschließen.

Hannover und Perth (Australia),


im Dezember 2008

Klaus Goeschen
Peter Papa Petros
VII

Inhaltsverzeichnis

I Überblick III Rolle des Bindegewebes für


eine normale oder gestörte
Beckenbodenfunktion
1 Einführung in die Integraltheorie . . . . . . . . 3
1.1 Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.2 Problemlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 6 Bindegewebe bei normaler Funktion . . . 45
1.3 Gesichtspunkte aus anatomischer Sicht . . . . . . 5 6.1 Bindegewebe aus biomechanischer Sicht . . . 45
1.4 Funktion aus integraltheoretischer Sicht . . . . . 6 6.2 Biomechanik der Scheide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
1.5 Schlüsselrolle des Bindegewebes . . . . . . . . . . . . 6
7 Bindegewebe bei gestörter Funktion . . . 47
2 Diagnostik im Rahmen der 7.1 Ursachen für einen Bindegewebeschaden . . . 47
Integraltheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 7.1.1 Einfluss der Hormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
7.1.2 Einfluss des Alters auf das Bindegewebe . . . . 48
3 Therapie aus Sicht der Integraltheorie . . . 9 7.1.3 Einfluss einer Hysterektomie auf die
Funktionsfähigkeit der Ligamente . . . . . . . . . . . 48
7.1.4 Einfluss der Geburt auf die Funktions-
II Anatomie und Funktion fähigkeit der Ligamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
des Beckenbodens 7.2 Auswirkungen eines Bindegewebe-
schadens auf die Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
7.2.1 Stressinkontinenz, intrinsischer
4 Anatomie des Beckenbodens . . . . . . . . . . . 13 Sphinkterdefekt, »tethered« Vagina . . . . . . . . . 51
4.1 Allgemeine anatomische Grundlagen der 7.2.2 »Over-active-bladder«, Detrusor-
Integraltheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 instabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
4.2 Spezielle Anatomie aus integral- 7.2.3 Blasenentleerungsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
theoretischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 7.2.4 Schmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
4.2.1 Drei anatomische Betrachtungsweisen . . . . . . 14 7.2.5 Anorektale Dysfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
4.2.2 Drei anatomische Muskelschichten. . . . . . . . . . 18 7.2.6 Studien zum Öffnen und Verschließen
4.2.3 Drei Zugrichtungen der Beckenboden- des Anorektums unter Berücksichtigung
muskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 der Integraltheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
4.2.4 Drei horizontale Beckenebenen . . . . . . . . . . . . 22
4.2.5 Drei senkrechte Scheidenabschnitte . . . . . . . . 26 Zusammenfassung Sektion III . . . . . . . . . . 64

5 Funktion des Beckenbodens und seiner


Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
5.1 Stütz- und Haltefunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 IV Diagnostik von
5.2 Öffnung und Verschluss der Blase . . . . . . . . . . . 30 geschädigtem Bindegewebe
5.2.1 Mechanische Steuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
5.2.2 Überprüfung der Theorie in der Praxis . . . . . . . 34
5.2.3 Neurologische Steuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
5.3 Öffnung und Verschluss der anorektalen
Region . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 8 Basisdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
8.1 Fragebogen und Übertragung der Daten in
Zusammenfassung Sektion II . . . . . . . . . . . 42 den Diagnosealgorithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
VIII Inhaltsverzeichnis

8.2 Vaginale Untersuchung zur Überprüfung 10.3.5 Niedrige Compliance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .116


der drei Zonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 10.3.6 Niedrige Blasenkapazität . . . . . . . . . . . . . . . . . .116
8.2.1 Vordere Zone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 10.4 ICS-Symptome durch Defekte in der
8.2.2 Mittlere Zone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 posterioren Zone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .116
8.2.3 Hintere Zone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 10.4.1 Nykturie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .116
8.3 Absicherung der Diagnose durch
simulierte Operationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Zusammenfassung Sektion IV . . . . . . . . 117

9 Spezielle Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
9.1 Überprüfung der Basisdiagnostik
und Erheben von zusätzlichen Daten V Rekonstruktive
und Befunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Beckenbodenchirurgie
9.1.1 Der Fragebogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 unter Berücksichtigung
9.1.2 Vaginale Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 der Integraltheorie
9.1.3 Der 24-h-Miktionskalender . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
9.1.4 Vorlagentest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
9.1.5 Hustenstresstest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 11 Grundlagen der rekonstruktiven
9.1.6 Händewaschtest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Beckenbodenchirurgie unter
9.1.7 Ultraschall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Berücksichtigung der Integral-
9.1.8 Urodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
9.2 Diagnosefindung durch Analyse und 11.1 Minimalinvasive Beckenboden-
Korrelation der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .104 chirurgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .121
9.2.1 Korrelation zwischen aufgelisteten 11.1.1 Indikation: Prolapsgrad und Stärke der
Symptomen und den 3 Zonen . . . . . . . . . . 105 Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .121
9.3 Absicherung durch simulierte 11.1.2 Gewebequalität: Erhalt und Verstärkung
Operationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .109 von Gewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .122
11.1.3 Struktureller Aufbau: synergistisches
10 Vergleich der ICS-Definitionen und Zusammenspiel der verschiedenen
-Diagnosen mit der Integraltheorie . . . 111 Bindegewebekomponenten . . . . . . . . . . . . . .122
10.1 ICS-Symptome durch Defekte in der 11.1.4 Methodisches Vorgehen zur Vermeidung
anterioren Zone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .112 von postoperativen Problemen . . . . . . . . . . .122
10.1.1 Genuine Stressinkontinenz . . . . . . . . . . . . . . . .112 11.1.5 Instrumente und Zugangswege
10.1.2 Unbemerkter, kontinuierlicher zur Verstärkung von geschädigtem
Urinverlust, ISD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .112 Bindegewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .124
10.1.3 Reflexinkontinenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .112
10.1.4 Husteninduzierte DI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .113 12 Allgemeine Überlegungen zum
10.2 ICS-Symptome durch Defekte in der chirurgischen Vorgehen gemäß
mittleren und posterioren Zone . . . . . . . . . . 113 Integraltheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
10.2.1 Blasenentleerungsstörungen . . . . . . . . . . . . . .113 12.1 Kurzstationäre vaginale Chirurgie . . . . . . . . .127
10.3 ICS-Symptome durch Defekte in 12.2 Erhalt und Verstärkung von Gewebe . . . . . .128
der anterioren, mittleren und posterioren 12.3 Chirurgische Präparationstechniken . . . . . . .128
Zone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .113 12.4 Vermeidung von Rezidiven . . . . . . . . . . . . . . . .129
10.3.1 Sensorischer Urge (Harnröhren- 12.5 Patientenbetreuung bei kurzstationärer
relaxierungsinkontinenz) . . . . . . . . . . . . . . . . . .114 Beckenbodenchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .130
10.3.2 Motorischer Urge (Detrusor- 12.5.1 Vor der Operation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .130
hyperaktivitätsinkontinenz) . . . . . . . . . . . . . . .114 12.5.2 Nach der Operation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .131
10.3.3 Detrusorinstabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .115 12.5.3 Frühe postoperative Komplikationen . . . . . .131
10.3.4 Instabile Urethra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .116 12.5.4 Spätkomplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .132
IX
Inhaltsverzeichnis

13 Spezielle Überlegungen zur 15.3.2 Einengung der Urethra nach


Verstärkung von geschädigtem suburethraler Schlingenoperation . . . . . . . . .200
Bindegewebe gemäß Integral- 15.3.3 Fisteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .200
theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 15.3.4 Verklebung von Organverschiebe-
13.1 Operative Verstärkung von Ligamenten . . .134 schichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .200
13.1.1 Art des Kunststoffmaterials. . . . . . . . . . . . . . . .134
13.1.2 Mechanische Eigenschaften bei 16 Postoperatives Vorgehen bei
unterschiedlicher Bandtextur . . . . . . . . . . . . .135 persistierenden, erneut oder neu
13.1.3 Gewebereaktionen bei unter- auftretenden Symptomen . . . . . . . . . . . . 201
schiedlichem Faserdurchmesser . . . . . . . . . . .136 16.1 Ursachenerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .201
13.1.4 Bedeutung der Maschengröße und 16.1.1 Fehldiagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .202
der interfibrillären Zwischenräume. . . . . . . 136 16.1.2 Nachgeben anderer Bindegewebe-
13.2 Reparatur von geschädigten Faszien . . . . . .139 strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .202
13.2.1 Grundsätzliche Überlegungen . . . . . . . . . . . .139 16.1.3 Rezidiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .204
13.2.2 Verstärkung von Faszien durch 16.2 Praktisches Vorgehen bei postoperativ
homologes Gewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .140 persistierenden Symptomen . . . . . . . . . . . . . .204
13.2.3 Verstärkung von Faszien durch 16.2.1 Anteriore Zone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .204
heterologes Gewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .142 16.2.2 Mittlere Zone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .205
16.2.3 Posteriore Zone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .206
14 Spezielles chirurgisches Vorgehen
in den drei Schadenszonen . . . . . . . . . . . 143 Zusammenfassung Sektion V . . . . . . . . . 207
14.1 Operationen in der anterioren Zone . . . . . . .143
14.1.1 Spannungsfreie, suburethrale Schlinge Anhang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
zur Verstärkung des PUL . . . . . . . . . . . . . . . . . .145 A1 Patientinnen-Fragebogen . . . . . . . . . . . . .209
14.1.2 Komplikationen bei Operationen in A2 Diagnosealgorithmus . . . . . . . . . . . . . . . . .212
der anterioren Zone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .151 A3 Klinischer Untersuchungsbogen . . . . . .213
14.2 Operationen in der mittleren Zone . . . . . . . .153 A4 Validierungstabelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . .214
14.2.1 Allgemeine Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . .153 A5 Diagnostik-Aufzeichnungsblatt . . . . . . .215
14.2.2 Spezielles Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .156
14.3 Operationen in der posterioren Zone . . . . . .172 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
14.3.1 Allgemeine Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . .172
14.3.2 Chirurgische Korrektur im Speziellen . . . . . .177 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
14.3.3 Chirurgische Korrektur eines
Anorektalprolapses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .192

15 Mögliche Komplikationen bei


chirurgischen Korrekturen . . . . . . . . . . . . 195
15.1 Akute Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .195
15.1.1 Rektum-/Blasenverletzung bei der
Präparation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .195
15.1.2 Rektumperforation mit dem Tunneler . . . . .195
15.1.3 Blasenperforation mit dem Tunneler . . . . . .196
15.1.4 Hämatome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .196
15.2 Mittelfristige Komplikationen . . . . . . . . . . . . .196
15.2.1 Erosion bei Kunststoffbändern/-netzen . . . .196
15.3 Langzeitveränderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . .200
15.3.1 Mögliche Komplikationen bei der
Brückentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .200
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XI

Abkürzungen und Akronyme

A Anus PB Perinealkörper
AAVIS Australian Association of Vaginal and PC Pudenduskanal
Incontinence Surgeons PM Perinealmembran
ATFP Arcus tendineus fasciae pelvis PAP postanale Platte
B Blase PCF pubozervikale Faszie
BH Blasenhals PCM pubokokzygealer Muskel, M. pubococcygeus
C »closure phase of the bladder«, Urethra PIVS Posteriore intravaginale Schlinge
verschlossen PS Pubis symphysis, Symphysis pubica
CL kardinales Ligament PRM puborektaler Muskel, M. puborectalis
Cn Kollagen PUL pubourethrales Ligament
CP »closure pressure«, Verschlussdruck PVL pubovesikales Ligament
CT »connective tissue«, Bindegewebe RVF rektovaginale Faszie
CX Zervix R Rektum
CTR »cough transmission ratio«, S Sakrum
Husten-Transmissionsratio SI Stressinkontinenz
DI Detrusorinstabilität SUL sakrouterines Ligament
EAS externer Analsphinkter T Tape, Band
EMG Elektromyogramm TFS »tissue fixation system«, Gewebefixierungs-
EUL externes urethrales Ligament system
F Faszie TVT »tensionfree vaginal tape«
FI Stuhlinkontinenz U Urethra
FO Fossa obturatoria UI Urgeinkontinenz
FUN »frequency, urge, nocturia«, Pollakisurie, UT Uterus
Urge, Nykturie USL uterosakrales Ligament, Ligamentum
GSI genuine Stressinkontinenz sacrouterinum
H Hammock, Septum urethrovaginale UVDR Urethraverschlussdruck
HE Hyterektomie V Vagina
HI Harninkontinenz ZCE Zone kritischer Elastizität
IAS interner Analsphinkter
ICS International Continence Society,
internationale Kontinenzgesellschaft
IR ischiorektale Fossa
IRV inferiore rektale Vene
IS Spina ischiadica
ISD intrinsischer Sphinkterdefekt
IVS intravaginale Schlingenplastik
LA Levator ani
LP Levatorplatte
LMA longitudinaler Analmuskel
MUCP »maximal urethral closure pressure«,
maximaler Urethraverschlussdruck
N Nervenendigungen, Dehnungsrezeptoren
am Blasenboden
O Öffnungsphase von Blase und Urethra
I

Teil I Überblick

Kapitel 1 Einführung in die Integraltheorie – 3

Kapitel 2 Diagnostik im Rahmen der Integraltheorie – 7

Kapitel 3 Therapie aus Sicht der Integraltheorie – 9


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1

Einführung in die Integraltheorie

1.1 Problem – 3

1.2 Problemlösung – 4

1.3 Gesichtspunkte aus anatomischer Sicht – 5

1.4 Funktion aus integraltheoretischer Sicht – 6

1.5 Schlüsselrolle des Bindegewebes – 6

1.1 Problem Um die komplizierten Abläufe beim Öffnen und


Verschließen von Blase und Darm verstehen zu
Das kleine Becken der Frau ist eine exponierte Stelle können, wurde der Beckenboden bisher in Einzel-
für das Auftreten von Beschwerden. Die häufigsten abschnitte aufgeteilt. Aufgrund zunehmender Spe-
Klagen betreffen Schmerzen im Becken/Steißbe- zialisierung der Medizin haben sich verschiedene
reich, Dyspareunie, Harn- und Stuhlinkontinenz, Fachrichtungen mit dem Beckenboden beschäftigt.
Pollakisurie, Nykturie, ständigen Harndrang und Vorrangig zu nennen sind Gynäkologie, Urologie,
Blasen- oder Darmentleerungsstörungen. Nur ein Chirurgie, Proktologie, Gastroenterologie, Neuro-
Teil dieser Beschwerden kann bisher organisch logie und Neurochirurgie. Die Mediziner haben
erklärt und kausal behandelt werden. Der Groß- sich dabei hauptsächlich auf ihr jeweiliges Zielor-
teil scheint unklarer Genese zu sein oder wird gan konzentriert und dabei oft die Nachbarorgane
dem neurologischen und neurovegetativen Sym- anderen überlassen.
ptomenbereich zugeordnet. Nichtssagende Diag- Allerdings bilden die Blase, die Vagina, der
nosen wie Pelvipathia vegetativa, Parametropathia Uterus, der Darm, die glatte und quergestreifte
spastica oder Pelvic congestion usw. wurden daher Muskulatur, die endopelvine Faszie sowie Nerven
erfunden, um die Unkenntnis zu verschleiern. und Gefäße eine Einheit, die auch als solche be-
handelt werden müssen.
! In diesem Buch wird die Behauptung aufge- Heute weiß man, dass z. B. die Stuhlinkonti-
stellt, dass diese Beschwerden weitestgehend nenz die gleiche Ursache wie die Stressharninkon-
durch eine Bindegewebeschwäche im Halte- tinenz haben kann: In beiden Fällen kann u. U.
und Stützapparat des Beckenbodens bedingt durch Korrektur des pubourethralen Ligaments
sind. Abhilfe geschaffen werden.
Schlussfolgerung: Die Wiederherstellung Ein Nachgeben der sakrouterinen Ligamente
von Form und Struktur des Bindegewebes und des hinteren Scheidenbereichs ist oft mit
führt zur Normalisierung der Funktion. Hämorrhoiden vergesellschaftet. Durch einen er-
4 Kapitel 1 · Einführung in die Integraltheorie

schwerten venösen Abfluss staut sich das Blut in Verlust von Urin. Die Häufigkeit einer HI liegt je
1 den Hämorrhoidalvenen. Ein Veröden oder chi- nach Literatur zwischen 10 und 60%. Die beiden
rurgisches Entfernen der Hämorrhoidalknoten häufigsten Formen sind:
wird allein nicht zum gewünschten Erfolg führen. 1. Belastungs- oder Stressinkontinenz (SI) und
Ein Rezidiv ist vorprogrammiert, solange der hin- 2. Drang- oder Urgeinkontinenz (UI).
tere Scheidenpol und damit die Gefäße in diesem
Bereich nicht wieder gestreckt sind. Nur die SI gilt bisher als operativ heilbar. UI oder
Um die Vorgänge im Becken besser verstehen eine gemischte SI/UI wird mit Medikamenten oder
zu können, wurde die Integraltheorie entwickelt Beckenbodentraining behandelt. Medikamente
(Petros u. Ulmsten 1990a, 1993d). Das Wort Inte- werden aber wegen ihrer Nebenwirkungen oft
gral bedeutet ein einheitliches Ganzes. Das wie- schlecht toleriert und sind nur eingeschränkt wirk-
derum bedeutet, dass der Beckenboden eine phy- sam. Beckenbodengymnastik hat bei der Schädi-
siologische Einheit bildet. Bisher wurde dies wenig gung von Ligamenten und/oder Faszien zumeist
beachtet, woraus zahlreiche Verständnisprobleme keinen ausreichenden Effekt.
und oft wenig effiziente Lösungsansätze resul-
tierten. Miktionshäufigkeit
So wird z. B. im Rahmen der konventionellen ▬ Am Tag: Eine normale Miktionsfrequenz am
Chirurgie bei Stressinkontinenz nach wie vor der Tage liegt vor, wenn die Blase bei normalen
Blasenhals »unphysiologisch« angehoben (Kolpo- Trinkmengen (1,5–2 l/Tag) nicht häufiger als
suspension nach Burch), was oft mit einem langen 8 Mal entleert wird. Gründe für eine höhere
Krankenhausaufenthalt, postoperativen Schmer- Frequenz (Pollakisurie) sind bisher weitestge-
zen, Harnverhalt, neu auftretendem Urge, zeitab- hend ungeklärt. Medikamente und Beckenbo-
hängigen Rezidiven und Auftreten von Entero- dengymnastik sind nur eingeschränkt wirk-
zelen in bis zu 20% einhergeht. Außerdem sind sam.
diese Operationen bei einer gemischten Inkon- ▬ In der Nacht: Von einer Nykturie wird ge-
tinenz und anderen Störungen im Beckenboden sprochen, wenn die Miktionsfrequenz nachts
unwirksam. größer als eins ist. Die Behandlung besteht in
Medikamentengabe oder Blasentraining, wo-
! Will man Patientinnen mit Problemen im Be-
bei beides, wenn überhaupt, oft nur für kurze
ckenbereich helfen, so ist es unumgänglich,
Zeit wirksam ist.
sich mit der Gesamtheit des Beckenbodens
und seiner Organe zu beschäftigen.
Störungen der Darmfunktion
Störungen der Darmfunktion beinhalten
▬ die Schwierigkeit, den Darm zu entleeren (Ver-
1.2 Problemlösung stopfung) sowie
▬ Winde und Kot zu kontrollieren (Wind- oder
! Wenn das in der Integraltheorie zusammen- Stuhlinkontinenz).
gefasste Konzept zutrifft, sollte es durch
Korrektur von geschädigten Ligamenten und Die Gründe für eine Darminkontinenz sind wei-
Faszien möglich sein, zahlreiche, bisher mit testgehend unbekannt. Allerdings wird als Erklä-
konventionellen Mitteln nicht heilbare Zu- rung oft ein Analsphinkter- oder eine Becken-
stände zu heilen. bodenmuskelschwäche angeführt. Die Häufigkeit
von Darmfunktionsstörungen bei Frauen liegt
Im Einzelnen betrifft das: zwischen 10 und 20%. Die Behandlung besteht
gewöhnlich in der Einnahme von Medikamenten,
Harninkontinenz die die Darmaktivität herabsetzen, in Diät und/
Vereinfacht ausgedrückt, handelt es sich bei einer oder Operationen, wie z. B. der Levatorplastik.
Harninkontinenz (HI) um einen unfreiwilligen Keine dieser Therapien kann überzeugen.
1.3 · Gesichtspunkte aus anatomischer Sicht
5 1

Gestörte Blasenentleerung Drei Muskelschichten (innere, mittlere, äußere)


Eine Blasenentleerungsstörung liegt vor, wenn es Die innere Muskelschicht ist somatisch innerviert,
für den Betroffenen schwierig ist, die Blase zu ent- verläuft horizontal und hat eine Doppelfunktion:
leeren. Eine Blasenentleerungsstörung kann sich Sie hält die Organe Scheide, Urethra, Blase und
in verschiedener Form äußern ( Kap. 7.2.3) und Rektum in situ und öffnet und verschließt sie.
z. B. als erhöhte Restharnbildung mit chronischen Die mittlere Muskelschicht ist ebenfalls soma-
Harnwegsinfektion imponieren. Sie wird üblicher- tisch innerviert und besteht aus einem senkrecht
weise durch Urethradilatation und/oder -schlit- verlaufenden Muskel, der die Scheide und die
zung behandelt, auch wenn keine Obstruktion vor- Blase nach unten zieht und den Blasenhals ver-
liegt und die Therapie wenig effektiv ist. schließt bzw. bei der Miktion den Ausflusstrakt
öffnet.
Chronische Schmerzen im Becken Die äußere Muskelschicht besteht überwiegend
Bis zu 20% der Frauen leiden unter chronischen aus quergestreifter Muskulatur, verläuft horizontal,
ein- oder beidseitig ziehenden Schmerzen im Be- fixiert die Organe und stabilisiert den distalen Teil
cken. Die Ursache ist in der Regel unbekannt, wird der Urethra, die Vagina und den Anus.
aber zumeist als psychisch eingestuft.
Um die genannten Probleme lösen zu können, Drei Zugrichtungen
muss man deren Ursachen kennen und verstehen. Für eine normale Funktion der Beckenorgane sind
Im Zentrum der Problemlösung steht die Integral- 3 in verschiedene Richtungen ziehende Muskel-
theorie. Sie erklärt, wie ein normaler Beckenboden gruppen unerlässlich. Der M. pubococcygeus zieht
funktioniert und wann es sich um eine Störung nach vorne, die Levatorplatte nach hinten und der
handelt. Für einen Teil der Leser wird die Betrach- longitudinale Analmuskel nach unten. Diese Mus-
tung der Zusammenhänge neu sein. keln sorgen für Verschluss und Öffnung der Blase
Die Autoren haben in diesem Buch großen und des Anorektums.
Wert darauf gelegt, die komplexen anatomischen
und physiologischen Vorgänge so zu erklären, dass Drei horizontale Beckenebenen (3 Levels)
sie nicht nur von Spezialisten verstanden werden Unter Berücksichtung der Faszien und Ligamente
können, sondern auch von Ärzten und Allgemein- teilt die Integraltheorie den Beckenboden in 3
medizinern, die sich für Beckenbodenprobleme anatomische Beckenebenen (Level) ein: Level 1, 2
interessieren. und 3.

Drei senkrechte Scheidenabschnitte (3 Zonen).


1.3 Gesichtspunkte aus anatomischer Man kann 3 Zonen unterscheiden, in denen der
Sicht Stütz- und Halteapparat geschädigt sein kann:
vorne, in der Mitte und hinten.
Statische, dynamische und funktionelle Anatomie ▬ Die vordere (anteriore) Zone reicht vom Mea-
Im Rahmen der statischen Anatomie benennt die tus urethrae externus bis zum Blasenhals.
Integraltheorie die einzelnen Strukturen (Knochen, ▬ Die mittlere Zone erstreckt sich vom Blasen-
Bänder, Muskeln, Faszien usw.), die im Becken vor- hals bis zur Zervix oder Hysterektomienarbe.
handen sind, und zeigt ihre normale Position an. ▬ Die hintere (posteriore) Zone reicht von der
Als dynamische Anatomie gibt sie die Rich- Zervix oder Hysterektomienarbe bis zum Peri-
tung an (nach vorne, hinten, oben, unten usw.), in nealköper (Centrum tendineum perinei).
die sich diese Strukturen bei Muskelkontraktion,
Bauchdruck oder Schwerkraft bewegen. In jeder der 3 Zonen sind 3 Schlüsselstrukturen
Aus Sicht der funktionellen Anatomie erklärt vorhanden, die für eine normale Beckenboden-
sie, was mit den Organen passiert, wenn sie me- funktion notwendig sind. Bei Schädigung einer
chanisch bewegt werden (z. B. Öffnung oder Ver- dieser 9 Strukturen kann es zur Fehlfunktion kom-
schluss). men.
6 Kapitel 1 · Einführung in die Integraltheorie

1.4 Funktion aus integraltheoretischer


1 Sicht

Schlüsselstruktur der Integraltheorie ist das Binde-


gewebe. Die Integraltheorie erklärt, warum geschä-
digtes Bindegewebe in Haltebändern oder Faszien
mit typischen Beschwerden einhergehen kann und
geht dabei auf folgende Störungen ein:
▬ Stressinkontinenz,
▬ Urgeinkontinenz,
▬ Pollakisurie,
▬ Nykturie,
▬ Blasenentleerungsstörungen,
▬ Stuhlinkontinenz und
▬ Schmerzen im Becken.

Für die Blasen- und Darmfunktion beschreibt die


Integraltheorie 2 Normalzustände:
▬ geschlossen (Kontinenz) und
▬ offen (Miktion/Defäkation).

Diese beiden Zustände sind so lange stabil, solange


das Gleichgewicht der Kräfte nicht gestört ist. Ge-
schädigtes Bindegewebe verändert das Gleichge-
wicht.

1.5 Schlüsselrolle des Bindegewebes

Die Integraltheorie baut auf dem in Faszien, Mem-


branen und Ligamenten vorhandenen Bindege-
webe auf. Bindegewebe ist das Hauptelement, das
für die Funktion und die Fehlfunktion verantwort-
lich ist.
Das Bindegewebe ist keine tote Materie, son-
dern eine lebende Einheit. Die Struktur von Bin-
degewebe ist alters- und hormonabhängig. Seine
Qualität entscheidet über Form und Funktion von
Beckenbodenorganen, die in sich zusammenfallen,
wenn sie nicht von außen gespannt werden. Um
Lasten tragen zu können, müssen bindegewebige
Faszien und Ligamente ausreichend fest sein. Dies
wird dadurch erreicht, dass sie bis zu ihrem Deh-
nungslimit gestreckt werden können.
2

Diagnostik im Rahmen
der Integraltheorie

Um die Integraltheorie klinisch anwenden zu kön- den in der vorderen, mittleren oder hinteren Zone
nen, wurde eine Grafik entwickelt, in der die ein- praktisch jedes Symptom hervorrufen, allerdings
zelnen diagnostischen Schritte zusammengefasst mit unterschiedlicher Häufigkeit.
werden (sog. grafischer Diagnosealgorithmus; Der grafische Diagnosealgorithmus gibt an,
⊡ Abb. 2.1). wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Sym-
ptom durch eine Schädigung im vorderen, mittle-
! Algorithmus: eine Folge von exakten Arbeits-
ren oder hinteren Bereich ausgelöst wird.
anweisungen, um Aufgaben in verschiedenen
Schritten zu lösen.

Der grafische Diagnosealgorithmus erleichtert die


Umsetzung der (Integral-)Theorie in die Praxis.
Er bietet dem Untersucher die Möglichkeit, ana-
tomische Veränderungen und dadurch bedingte
Funktionsstörungen schnell zu erkennen. Er weist
darauf hin, in welchem Scheidenbereich der be-
handelnde Arzt suchen muss, und stellt bildlich
dar, welche Beschwerden auftreten können, wenn
das Bindegewebe in den 3 Zonen der Vagina trau-
matisiert ist. Er zeigt weiterhin an, welche geschä-
digten Strukturen korrigiert werden sollten.
So genannte simulierte Operationen ( Kap. 8)
und andere Untersuchungen haben gezeigt, dass
bestimmte Symptome (z. B. Stressinkontinenz)
nicht immer durch identische anatomische Verän-
derungen bedingt sind. Vielmehr kann ein Scha-
8 Kapitel 2 · Diagnostik im Rahmen der Integraltheorie

⊡ Abb. 2.1. Grafik, die den Diagnosealgorithmus bildlich Fälle sind aber Defekte im mittleren und im hinteren Bereich
darstellt. Mit dieser Grafik lassen sich die Zusammenhänge die Auslöser.
zwischen Funktionsstörungen und strukturellen Verände- Die wichtigsten Bindegewebestrukturen, die für die Sym-
rungen in den 3 Beckenbodenzonen besser erkennen und ptome verantwortlich sein können, sind in jeder Zone rot,
Konsequenzen ableiten. Die Symptome sind in verschieden- die klinischen Befunde in schwarzer Schrift aufgelistet. Ach-
farbigen Rechtecken aufgelistet, die sich von der vorderen tung: Es gibt keine Korrelation zwischen Prolapsgrad und
bis zur hinteren Zone erstrecken können. Die Höhe der Schwere der Symptome. ATFP Arcus tendineus fasciae pelvis,
Rechtecke gibt an, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Sym- B Blase, EUL externes urethrales Ligament, LMA longitudinaler
ptom durch einen Schaden vorne, in der Mitte oder hinten Analmuskel, LP Levatorplatte, PB Perinealkörper, PCM pubo-
ausgelöst ist. Dabei gibt es für alle Symptome Überschnei- kokzygealer Muskel, PS Pubis symphysis, PUL pubourethrales
dungen. So wird z. B. die Stressinkontinenz zu 80% durch Ligament, R Rektum, RVF rektovaginale Faszie, S Sakrum, USL
Schäden im vorderen Bereich verursacht. In jeweils 10% der uterosakrales Ligament, UT Uterus
3

Therapie aus Sicht der Integraltheorie

! Das Credo der Integraltheorie basiert auf


dem von Galen stammenden Grundsatz und
lautet: Wiederherstellen von Form und Struk-
tur führt zur Wiederherstellung der Funktion.
Obwohl Form und Struktur in dem Buch oft
gleichbedeutend benutzt werden, gibt es einen ge-
wissen Unterschied: Struktur zielt mehr auf Statik,
Form mehr auf Dynamik ab.
Will man die Form und damit die Funktion
durch eine Operation normalisieren, muss man
vorher genau erkannt haben, welche Strukturen
geschädigt sind.
Die chirurgischen Techniken, die sich aus der
Integraltheorie ergeben, zielen darauf ab,
⊡ Abb. 3.1. Polypropylenebänder T können u. a. dafür benutzt
1. geschädigte Ligamente und Faszien durch Po- werden, die 4 Hauptligamente zu verstärken: ATFP Arcus ten-
lypropylenbänder zu verstärken, dineus fasciae pelvis, CL kardinales Ligament, PUL puboure-
2. keine überschüssige Scheidenhaut wegzuschnei- thrales Ligament, USL uterosakrales Ligament
den und
3. die Elastizität, vor allem in der Blasenhalsre-
gion, zu erhalten. struktion auf der Grundlage der Integraltheorie
unterscheidet sich von den traditionellen Operati-
Mit speziell dafür entwickelten Instrumenten onen in 4 wichtigen Punkten:
lassen sich die 9 Schlüsselstrukturen wieder kor- 1. Sie ist minimal invasiv und dadurch mit einem
rigieren oder verstärken, wenn sie zerstört sind kurzen stationären oder einem ambulanten
(⊡ Abb. 3.1). Die chirurgische Beckenbodenrekon- Aufenthalt durchzuführen.
10 Kapitel 3 · Therapie aus Sicht der Integraltheorie

2. Sie basiert auf chirurgischen Grundprinzipien,


die darauf ausgerichtet sind, Risiken, Schmer-
zen und längere Ausfallzeiten für die Patientin-
nen zu vermeiden.
3. Sie berücksichtigt alle funktionellen Verände-
rungen in den 3 Zonen (vorne, in der Mitte,
3 hinten) und versucht herauszufinden, wie
wichtig jede einzelne Störung für das Gesamt-
problem ist.
4. Sie stellt die Symptome, nicht die Anatomie in
den Mittelpunkt und schließt dadurch auch Pa-
tientinnen mit geringen anatomischen Verän-
derungen, aber erheblichen Beschwerden ein.
II

Teil II Anatomie und Funktion


des Beckenbodens

Kapitel 4 Anatomie des Beckenbodens – 13

Kapitel 5 Funktion des Beckenbodens und seiner Organe – 29

Zusammenfassung Sektion II – 42
“This page left intentionally blank.”
4

Anatomie des Beckenbodens

4.1 Allgemeine anatomische Grundlagen der Integraltheorie – 13

4.2 Spezielle Anatomie aus integraltheoretischer Sicht – 14

4.1 Allgemeine anatomische


Grundlagen der Integraltheorie

Aus anatomischer Sicht sind für eine normale Be-


ckenbodenfunktion Knochen, Muskeln, Faszien
und Ligamente wichtig.
Muskeln, Faszien und Ligamente bilden ein
muskuloelastisches System, das die Form und
Funktion der Beckenbodenorgane – Scheide, Blase,
Harnröhre und Rektum – bestimmt. Scheide, Blase ⊡ Abb. 4.1. Vagina, Urethra und Rektum haben keine eigen-
ständige Form oder Festigkeit. Diese erhalten sie erst durch
und Rektum haben keine eigene Form oder Fes-
Zug der pubourethralen (PUL) und uterosakralen Ligamente
tigkeit (⊡ Abb. 4.1). Sie sind vergleichbar mit einer (USL). Wenn diese Ligamente überdehnt sind und von den
semirigiden Membran und fallen wie ein Gum- Muskeln nicht ausreichend gespannt werden, können sie
mihandschuh in sich zusammen, wenn sie nicht nicht mehr für eine normale Form und Funktion der Organe
von außen gespannt werden. Ihre Funktion ist von sorgen
einer intakten Beckenbodenarchitektur abhängig.
Im Zentrum der Integraltheorie steht das Bin-
degewebe, das in allen Ligamenten und Faszien
enthalten ist. Bindegewebe setzt sich aus Kolla- Die Faszie ist definiert als eine fibromuskuläre
gen, Proteoglykanen und Elastin zusammen. Alle Membran, die verschiedene Organwände verstärkt
Ligamente und Faszien sind histologisch gleich oder sie mit Muskeln verbindet. Faszien setzen
aufgebaut. Die Anwesenheit von Nerven (N), glat- sich aus glatter Muskulatur, Kollagen, Elastin, Ner-
ter Muskulatur und Blutgefäßen (⊡ Abb. 4.2) weist ven und Blutgefäßen zusammen. Sie stellen die
darauf hin, dass Ligamente und Faszien sich aktiv Hauptstruktur der Scheiden-, Blasen- und Darm-
kontrahieren können. wände dar.
14 Kapitel 4 · Anatomie des Beckenbodens

mechanisch bewegt werden (z. B. Öffnung oder


Verschluss).

Um die anatomischen Sichtweisen der Integralthe-


orie besser verstehen zu können, werden 3 Analo-
giemodelle benutzt:
1. Der Vergleich des Beckenbodens mit einer
Hängebrücke dient dem besseren Verständnis
4 der statischen Anatomie.
2. Der Vergleich mit einem Segelboot erläutert
die Dynamik.
⊡ Abb. 4.2. Biopsie aus dem pubourethralen Ligament. Cn
Kollagen, E Elastin, N Nerven, Sm glatte Muskeln, Vs Blutgefäß
3. Der Vergleich mit einem Trampolin erklärt die
Funktion.

Strangförmige Verdickungen der Faszien wer- Serie 1: statische Anatomie


den Ligamente genannt. Ligamente verbinden Die statische, topographische Anatomie beschreibt
Scheide, Blase und Darm mit den Beckenknochen. die im Becken vorhandenen Strukturen und be-
Ligamente sind starke, aktive Strukturen mit nur handelt die Lageverhältnisse der Körperteile und
geringer Dehnbarkeit. Organe zueinander.
Während Faszien die Aufgabe haben, die Or- Die nachfolgenden Abbildungen sollen den Le-
gane zu stützen und zu festigen, kommt den Liga- ser mit anatomischen Strukturen, Abkürzungen
menten die Rolle zu, die Organe in situ zu halten und immer wieder verwendeten Akronymen ver-
und als Widerlager für die Muskeln zu dienen. traut machen.
Muskelkraft sorgt für die notwendige Spannung Es wird empfohlen, dass sich der Leser Zeit
der Organwände und trägt damit zum Erhalt des nimmt, die Diagramme ⊡ Abb. 4.3–4.6 einige Mi-
Aussehens, der Form und Festigkeit bei. Erschlafft nuten lang zu betrachten. Er kann dem Text dann
ein Ligament, so wird die Muskelkraft inaktiviert, schneller folgen, wenn die Abbildungen komplexer
und es kommt zu einer Funktionsstörung. werden.

4.2 Spezielle Anatomie aus


integraltheoretischer Sicht

4.2.1 Drei anatomische


Betrachtungsweisen

Die Integraltheorie betrachtet die Anatomie aus 3


Perspektiven:
1. Im Rahmen der statischen Anatomie benennt
die Integraltheorie alle wichtigen Strukturen,
die im Becken vorhanden sind, und zeigt ihre
normale Position an.
2. Als dynamische Anatomie gibt sie die Rich-
tung an, wohin sich diese Strukturen bei Mus-
kelkontraktion, Bauchdruck oder Schwerkraft
bewegen.
3. Aus Sicht der funktionellen Anatomie erklärt ⊡ Abb. 4.3. Becken mit seinen Organen: Urethra, Blase, Vagina,
sie, was mit den Organen passiert, wenn sie Uterus und Rektum
4.2 · Spezielle Anatomie aus integraltheoretischer Sicht
15 4

⊡ Abb. 4.4. Becken mit seinen Organen


sowie den Halte- und Stützbändern: Liga-
mente und membranöse Strukturen sind
hellblau gekennzeichnet, Faszienverdickun-
gen im Bereich der Scheide wie die pubo-
zervikale (dunkelblau) und rektovaginale
Faszie (braun)

⊡ Abb. 4.5. Becken mit seinen Organen und Muskeln: Die ⊡ Abb. 4.6. Beziehung zwischen Beckenmuskeln, Organen,
Muskeln sind braun und mit Streifen dargestellt Ligamenten und Faszien
Knochen: PS Symphysis pubica, S Sacrum
Halteligamente: PUL pubourethrale Ligamente, ATFP Arcus
Hängebrückenanalogie. Der Hängebrückenver- tendineus fasciae pelvis, USL uterosakrale Ligamente, EUL ex-
gleich (⊡ Abb. 4.7) demonstriert, wie die Becken- ternes urethrales Ligament
bodenstrukturen voneinander abhängen. Bei einer Muskelkräfte: PCM M. pubococcygeus, LP Levatorplatte, LMA
longitudinaler Analmuskel, PRM M. puborectalis
Hängebrücke wird Festigkeit dadurch erreicht, dass
Stützfaszien: PCF pubozervikale Faszie, RVF rektovaginale
die Stahlseile gespannt sind (Pfeile). Ein Nachge- Faszie
ben eines Teiles des Systems kann das Gleichge- Perineale Verankerungsstrukturen: PB Perinealkörper, EAS
wicht und damit die Festigkeit und die Funktion externer Analsphinkter, PM perineale Membran, PAP posta-
stören. Die Brücke bricht in sich zusammen (Pro- nale Platte
laps). Anatomisch werden Form und Festigkeit
dadurch erreicht, dass Scheide und Blase über
Ligamente (PUL, USL, ATFP) und Faszien (F) mit
dem Beckenknochen verbunden sind und durch
Muskelkräfte gespannt werden.
16 Kapitel 4 · Anatomie des Beckenbodens

⊡ Abb. 4.7. Hängebrücken-


vergleich. Die Festigkeit wird
dadurch erreicht, dass die
Stahlseile (PUL, ATFP und
USL, Pfeile) gespannt sind.
Gibt ein Teil nach, ist die
4 gesamte Statik betroffen.
PS Symphyse, PUL puboure-
thrales Ligament, ATFP Arcus
tendineus fasciae pelvis,
USL uterosakrale Ligamente,
S Sakrum, F Faszie

Serie 2: dynamische Anatomie Segelbootanalogie. Die dynamischen Vorgänge


Die dynamische Anatomie zeigt an, in welche Rich- im Becken sind vergleichbar mit denen auf einem
tung sich Muskeln kontrahieren und gegen welche Segelboot (⊡ Abb. 4.9). Das Segel (Vagina) ist am
Bänder diese Muskeln ziehen. In ⊡ Abb. 4.8 werden Mast (Beckenboden) über Vorstag und Vorfall (Li-
die anatomischen Komponenten schematisch dar- gamente) befestigt. Durch Dichtholen der Vorschot
gestellt, die für die dynamischen Bewegungsabläufe (Muskel) erhält das ansonsten im Wind flatternde
notwendig sind. Segel Profil, und das Boot bewegt sich vorwärts
(die Scheide wird nach vorne gezogen, verschließt
die Urethra von hinten und unterstützt die Deh-
nungsrezeptoren im Bereich des Blasenbodens).
Wenn Segel und Seile nicht fest sind, wird die
Kraft des Windes nicht auf das Boot übertragen,
und es bewegt sich nicht vorwärts.

⊡ Abb. 4.8. Grafische Darstellung der dynamischen Anato-


mie: Die Pfeile zeigen die Zugrichtung der Muskeln auf. Die
Muskelkräfte ziehen gegen die Halteligamente PUL, ATFP
und USL und strecken diese. Es wird weiter veranschaulicht,
wie die Beckenorgane durch Ligamente gehalten und durch
Muskeln, die an denselben Ligamenten ansetzen, gestreckt ⊡ Abb. 4.9. Segelanalogie. Bei losen Schoten erhält das Segel
werden. Dadurch werden Form und Spannung der Organe kein Profil und bewegt das Boot nicht ausreichend vorwärts.
gewährleistet. Alle Muskelkräfte benötigen ausreichend fes- Bei losen Ligamenten kann die Scheide nicht gestreckt wer-
tes Bindegewebe für eine gute Funktion den, um die Urethra ausreichend zu verschließen
4.2 · Spezielle Anatomie aus integraltheoretischer Sicht
17 4

Der Analogieschluss ist folgender: Wenn die (⊡ Abb. 4.12). Die Zugfedern (Ligamente) sind
Schoten (Ligamente) lose sind, flattert das Segel vorne, in der Mitte und hinten am Beckenkno-
(die Scheide) im Wind (fehlender Urethraver- chen befestigt. Auf der Trampolinmembran ruht
schluss, Urgeinkontinenz). So wie ein Boot nicht die Harnblase, die einem elastischen Gummiballon
vorwärts fährt, wenn das Segel »killt«, so kann gleicht. Füllt sich die Harnblase mit Flüssigkeit,
auch die überdehnte Scheide nicht nach vorne werden die Trampolinmembran und die Federn
gezogen werden, um die Urethra zu verschlie- zunehmend nach unten gedrückt.
ßen oder die Dehnungsrezeptoren zu unterstützen, Der Blasenboden, der von der Trampolin-
wenn die Ligamente erschlafft sind. membran getragen wird, enthält Nervenendi-
gungen, die durch Dehnung bei zunehmender
Serie 3: Funktionelle Anatomie Füllung gereizt werden (⊡ Abb. 4.12). Die Signale
Die funktionelle Anatomie erklärt, wie die Or- werden dem Gehirn übermittelt, das auf diese
gane reagieren, wenn Muskelkräfte auf sie einwir- Weise über den Inhalt der Blase informiert wird.
ken. Eingegangen wird dabei auf die Funktion der Ab einem bestimmten Füllungszustand gibt das
3 Muskelkräfte, die für den normalen Blasenver- Gehirn den Befehl zum Blaseentleeren. Ist es für
schluss (⊡ Abb. 4.10) und die der 2 Muskelkräfte, die Patientin in dem Moment nicht möglich, zur
die für die Öffnung (Miktion; ⊡ Abb. 4.11) verant- Toilette zu gehen, zieht die Beckenbodenmuskula-
wortlich sind ( Kap. 9). tur das Trampolin stramm. Der Blasenboden wird
In der Trampolinanalogie wird veranschau- angehoben. Die Dehnung und damit die Reizung
licht, wie dieselben Muskeln den Verschluss- und der Nervenendigungen nehmen ab und die Pati-
Miktionsreflex kontrollieren. entin hat nicht mehr den Drang, Wasser lassen zu
müssen.
Trampolinanalogie. Der Beckenboden arbeitet Dieser intelligente Mechanismus funktioniert
wie ein Trampolin, das aus einer Membran (Va- nur dann, wenn alle Strukturen des Trampolins
ginalwand) und Zugfedern (Ligamenten) besteht intakt sind. Sind die Bänder oder die Membran

⊡ Abb. 4.10. Aktiver Blasenverschluss. Das Diagramm zeigt, ⊡ Abb. 4.11. Miktion. Das Diagramm zeigt, wie die 2 Muskel-
wie die 3 Muskelkräfte PCM, LP und LMA die Urethra und den kräfte LP und LMA die Urethra öffnen (rote Pfeile), wenn PCM,
Blasenhals strecken und verschließen. Rote Pfeile Muskelkräfte, der vordere Muskel, erschlafft. Rote Pfeile Muskelkräfte, blau
blau Vagina; grün Blase und Urethra, violett Knochen, BV Be- Vagina, grün Blase und Urethra, violett Knochen, BV Befesti-
festigung des Blasenbodens an der Vagina, PCM pubozervika- gung des Blasenbodens an der Vagina, PCM pubozervikaler
ler Muskel, PUL pubourethrales Ligament, LMA longitudinaler Muskel, PUL pubourethrales Ligament, LMA longitudinaler
Analmuskel, USL uterosakrales Ligament, LP Levatorplatte Analmuskel, USL uterosakrales Ligament, LP Levatorplatte
18 Kapitel 4 · Anatomie des Beckenbodens

⊡ Abb. 4.12. Der Becken-


boden arbeitet wie ein
Trampolin: Er besteht aus
einer Membran (Vagina),
4 Sprungfedern (Ligamente)
vorne, mittig und hinten,
die am Rahmen (Becken-
knochen) befestigt sind

⊡ Abb. 4.13. Wenn die Bänder


oder die Membran überdehnt
sind, ist das Trampolin nicht
mehr funktionsfähig

z. B. durch Geburten überdehnt (⊡ Abb. 4.13), kann Petros u. Ulmsten 1997b, c). Es ist wichtig zu wis-
das Trampolin von den Beckenbodenmuskeln nicht sen, dass die 3 Muskelschichten nicht komplett mit
mehr gespannt und damit der Blasenboden nicht den 3 unten beschriebenen Ebenen der Bindegewe-
mehr ausreichend angehoben werden. Die Membran bestrukturen (⊡ Abb. 4.20) übereinstimmen.
oder Bänder hängen durch (⊡ Abb. 4.13). Die Deh- Die innere Schicht setzt sich im vorderen Be-
nungsrezeptoren werden frühzeitig aktiviert und reich aus dem medial verlaufenden M. pubococ-
feuern bereits bei niedrigem Füllungsvolumen, ob- cygeus (PCM) und dem mehr lateral gelegenen
wohl der eigentliche Miktionsreflex normal ist. Die M. puborectalis sowie hinten aus der Levatorplatte
Patientin verspürt schon bei geringer Blasenfüllung (LP) zusammen (⊡ Abb. 4.15).
Harndrang, gegen den sie nicht angehen kann. Die Die mittlere Schicht wird vom longitudinalen
Folgen sind Urge, Pollakisurie und Nykturie. Analmuskel (LMA) gebildet, einem kurzen, nicht
mit dem Rektum verbundenen quergestreiften
Muskel, der die innere und äußere Muskelschicht
4.2.2 Drei anatomische Muskelschichten verbindet (⊡ Abb. 4.14, ⊡ Abb. 4.17).
Die äußere Schicht besteht aus den in der
Die Beckenbodenmuskulatur besteht, vereinfacht Perinealmembran (PM) gelegenen Muskeln, dem
dargestellt, aus 3 Schichten: einer inneren, einer externen Analsphinkter (EAS) und der postanalen
mittleren und einer äußeren (⊡ Abb. 4.5, ⊡ Abb. 4.14; Platte (⊡ Abb. 4.17).
4.2 · Spezielle Anatomie aus integraltheoretischer Sicht
19 4

⊡ Abb. 4.14. Schematische


Darstellung der 3 Beckenbo-
denschichten. Die innere Mus-
kelschicht zieht horizontal (roter
horizontaler Pfeil). Sie öffnet und
verschließt die Organe Blase und
Rektum. Die mittlere Schicht,
der longitudinale Analmuskel
zieht nach unten (grüner Pfeil).
Die äußere Muskelschicht zieht
horizontal (schwarzer Pfeil). Sie
verankert und fixiert die Organe

Der PCM entspringt ungefähr 1,5 cm über dem


Symphysenunterrand. Sein medialer Anteil inse-
riert in die Seitenwand der distalen Scheide; sein
lateraler Anteil zieht beidseitig zur Rektumhin-
terwand (⊡ Abb. 4.15; Zacharin 1963). Die beiden
Muskelbäuche vereinigen sich hier und verbinden
sich mit den Fasern der Levatorplatte (LP).
Die LP wird aus dem M. coccygeus und
M. ileococcygeus gebildet und inseriert in die Rek-
tumhinterwand. Sie ist für den Muskelzug nach
hinten verantwortlich.

Spezielle Rolle des M. puborectalis. Der M. pu-


borectalis (⊡ Abb. 4.16) entspringt medial vom
PCM (s. oben) und durchquert alle 3 Muskel-
⊡ Abb. 4.15. Innere Muskelschicht des Beckenbodens. AFTP
Arcus tendineus fasciae pelvis, IS Spina ischiadica, LP Leva- schichten. Er zieht vorne unter dem PCM nach
torplatte, PCM pubozervikaler Muskel, PUL pubourethrales lateral, legt sich eng an die Rektumseitenwand an
Ligament, PRM puborektaler Muskel, U Urethra, USL uterosa- und inseriert in die Rektumhinterwand. Während
krales Ligament der PCM ein flacher, horizontal verlaufender Mus-
kel ist, verläuft der PRM mehr senkrecht, medial
vom und teilweise unter dem PCM.
Innere Muskelschicht Durch Kontraktion des PRM, z. B. beim sog.
Die innere Muskelschicht ist somatisch innerviert, Kneifen, wird die Levatorplatte angehoben, die
verläuft horizontal und hat eine Doppelfunktion: Rektumkurvatur nach vorne gezogen und der
Sie hält die Organe Scheide, Urethra, Blase und anorektale Winkel vergrößert. Der PRM leistet
Rektum in situ und öffnet und verschließt sie. dadurch einen wichtigen Beitrag zur Darmkonti-
Der vorne gelegene M. pubococcygeus (PCM) nenz.
zieht die Organe nach vorne, die hinten gelegene Unter »Kneifen« versteht man die Bewegung,
Levatorplatte nach hinten. Die Pfeile in ⊡ Abb. 4.15 die erfolgt, wenn ein Patient die Beine kreuzt und
zeigen die Zugrichtung der Muskeln an. die Beckenbodenmuskeln nach oben zieht.
20 Kapitel 4 · Anatomie des Beckenbodens

⊡ Abb. 4.16. M. puborectalis (PRM);


AFTP Arcus tendineus fasciae pelvis

Mittlere (verbindende) Muskelschicht


Die mittlere Muskelschicht besteht aus dem querge-
streiften und somit ebenfalls somatisch innervierten
longitudinalen Analmuskel (LMA; Courtney 1950;
⊡ Abb. 4.17). Der LMA ist ein senkrecht verlaufen-
der Muskel, der Scheide und Blase nach unten zieht
und den Blasenhals verschließt bzw. bei der Miktion
den Ausflusstrakt öffnet. Er ist kranial mit Fasern
der LP und seitlich mit dem M. pubococcygeus und
M. puborectalis verbunden. Kaudal inseriert er über
den M. sphinkter ani internus und externus (EAS)
in den Perinealkörper. Dorsal verläuft er teilweise
um das Rektum, ohne dort zu inserieren, wie es die
Scherenspitze in ⊡ Abb. 4.17 veranschaulicht. Er darf
nicht mit dem glatten longitudinalen Rektummuskel
verwechselt werden, der Teil der Rektumwand ist.
Bei Kontraktion des LMA wird die LP nach
unten gezogen. Weil die LP in die Rektumhinter-
wand inseriert, wird auch das Rektum nach unten
abgewinkelt, sobald sich der LMA kontrahiert.
Der Zug nach unten ist nur möglich, wenn das
Centrum tendineum, der Perinealkörper, fixiert ist
⊡ Abb. 4.17. Longitudinaler Analmuskel (LMA), Ursprung und
und nicht nachgibt, wie das nach traumatischen Insertion. Anatomisches Kadaverpräparat von einer weibli-
Geburten der Fall sein kann. Des Weiteren darf chen Leiche ohne knöchernes Gerüst. Blase und Vagina sind
die Achse von Urethra, Scheide und Rektum nicht in Höhe des Blasenhalses entfernt worden. U Urethra, V Va-
zu senkrecht stehen, wie das nach bestimmten gina, PCM anteriore und laterale Anteile des M. pubococ-
cygeus. Diese laufen zur Rektumhinterwand (R), vereinigen
Operationen (z. B. Vaginafixation nach Williams/
sich hier mit der kontralateralen Seite und bilden einen Teil
Richardson; ⊡ Abb. 4.18) der Fall ist, da die Organe der Levatorplatte (LP). PRM M. puborectalis, PUL Insertion des
ab einem Winkel von >45° nicht mehr rotiert wer- pubourethralen Ligamentes in den PCM, EAS Sphinkter ani
den können. externus
4.2 · Spezielle Anatomie aus integraltheoretischer Sicht
21 4
steile Scheidenachse
nach WR
45°

V1
V

normale
Scheidenachse

a a1

PB

⊡ Abb. 4.18. Druckbelastung des oberen Scheidenpols, ⊡ Abb. 4.19. Die äußere Muskelschicht des Beckenbodens
Zug der Levatorplatte nach hinten und des longitudinalen verankert die Organe distal. (Netter 1989)
Analmuskels nach unten begünstigen nach Steilstellung der
Scheidenachse >45° die Enterozelenbildung

Der M. bulbocavernosus zieht vom PB bogen-


Äußere Muskelschicht förmig nach vorne zum Lig. suspensorium clito-
Die äußere Muskelschicht besteht überwiegend aus ridis. Er liegt unter den großen Schamlippen und
quergestreifter Muskulatur, verläuft horizontal, fi- umgibt mit seinen beiden Muskelbäuchen den
xiert die Organe und stabilisiert den distalen Teil Introitus vaginae (⊡ Abb. 4.19). Er streckt und fi-
der Urethra, die Vagina und den Anus (⊡ Abb. 4.19). xiert den distalen Teil der Urethra und bewirkt
Sie ist der Garant dafür, dass die Bauchorgane in eine Konstriktion des Introitus. Der M. ischioca-
normaler Position verbleiben. Sie setzt sich zusam- vernosus bildet die seitliche Begrenzung der Pe-
men aus rinealmembran und erstreckt sich vom Tuber is-
▬ den in der Perinealmembran (PM) gelegenen chiadicum nach vorne zum Insertionspunkt des
Muskeln: M. bulbocavernosus, M. ischiocaver- M. bulbocavernosus. Eine Kontraktion trägt zur
nosus, M. transversus perinei superficialis und Erweiterung des Meatus urethrae externus bei.
profundus, Der M. transversus perinei profundus verläuft
▬ dem Centrum tendineum perinei (Perineal- vom PB über den M. bulbocavernosus nach lateral
körper; PB), im rechten Winkel zum Tuber ischiadicum. Er ist
▬ dem externen Analsphinkter (EAS) und ein starker Muskel, der den PB seitlich stabilisiert
▬ der postanalen Platte (PAP). und dem mittleren Teil des Beckenbodens als Stütze
dient. Nach hinten wird der PB vom EAS fixiert.
Um vaginale Geburten durchführen zu können, Zwischen dem EAS und dem Steißbein liegt
ist nach unten keine knöcherne Abdichtung des die postanale Platte, eine Sehnenplatte mit querge-
Bauchraums möglich. Die Natur hat als Abdich- streifter Muskulatur, die in den EAS inseriert.
tung eine Platte erschaffen, die in der Mitte einen
derben sehnenartigen Bereich, das Centrum ten-
dineum perinei (Perinealkörper; PB), aufweist, in 4.2.3 Drei Zugrichtungen der
den zahlreiche Muskeln und Bänder einstrahlen. Beckenbodenmuskulatur
Der PB stellt den Hauptverankerungspunkt für
die Muskeln der Perinealmembran, den EAS und Für eine normale Funktion der Beckenorgane sind
den LMA dar (Petros 2002a). Diese spannen das 3 in verschiedene Richtungen ziehende Muskel-
Centrum tendineum perinei wie Zuggurte eine gruppen (⊡ Abb. 4.8) unerlässlich:
Hängebrücke und verhindern ein übermäßiges ▬ nach vorne: M. pubococcygeus und M. pubo-
Durchhängen des Beckenbodens. rectalis
22 Kapitel 4 · Anatomie des Beckenbodens

▬ nach hinten: Levatorplatte (M. iliococcygeus ▬ Level 3: externe urethrale Ligamente (EUL),
und M. coccygeus) perineale Membran (PM), Perinealkörper (PB)
▬ nach unten: longitudinaler Analmuskel
Level 1
Diese Muskeln sorgen für: Pubozervikale Faszie (PCF). Die PCF erstreckt
▬ Blasenverschluss und sich von den lateralen Sulci bis zum vorderen Teil
▬ Blasenöffnung des zervikalen Ringes (⊡ Abb. 4.20, ⊡ Abb. 4.21) und
und sind weiter beteiligt verbindet sich hier bogenförmig mit den kardina-
4 ▬ am anorektalen Verschluss und len und uterosakralen Ligamenten. Ein Abreißen
▬ an der Öffnung. der PCF vom zervikalen Ring kann zu einer hohen
Zystozele oder sogar einer vorderen Enterozele
führen.
4.2.4 Drei horizontale Beckenebenen
Pubovesikales Ligament (PVL). Das PVL zieht von
Faszien und Ligamente des Beckenbodens nehmen der Symphysenhinterwand zum quer verlaufenden,
eine Schlüsselstellung für Statik und Funktion der präzervikalen Gilvernet-Bogen (s. unten), einer stei-
Organe ein. Unter Berücksichtung der Faszien und fen fibromuskulären Membran an der Blasenvor-
Ligamente teilt die Integraltheorie den Beckenbo- derwand (⊡ Abb. 4.22). Nach Ingelman-Sundberg
den daher in 3 anatomische Beckenebenen (Level) (1949) verstärkt PVL diesen Bereich und stellt die
ein (⊡ Abb. 4.20). Die wichtigsten Halte- und Stütz- Hauptstützstruktur der Blasenvorderwand dar.
strukturen in diesen 3 Level sind folgende: Bei Kontraktion des M. pubococcygeus (PCM)
▬ Level 1: pubovesikale Ligamente (PVL) mit wird das Hammock nach ventral gezogen und die
präzervikalem Gilvernet-Bogen, pubozervikale Urethra fixiert. Der Meatus urethrae internus be-
Faszie (PCF), Trigonum, zervikaler Ring, ute- findet sich auf der Ebene »O«–»O«. Die Zugrich-
rosakrale Ligamente (USL) tung der LP und des LMA sind so ausgelegt, dass
▬ Level 2: pubourethrale Ligamente (PUL), Ar- die vordere Scheidenwand und das Trigonum um
cus tendineus fasciae pelvis (ATFP), rektovagi- den Insertionspunkt vom PVL rotiert werden, wenn
nale Faszie (RVF) sich diese Muskeln kontrahieren. Dieser Mechanis-

⊡ Abb. 4.20. Bindegewe-


beschichten der 3 hori-
zontalen Level – sagittaler
3-D-Schnitt durch das Be-
cken, der die Beziehungen
zwischen den Hauptbin-
degewebestrukturen, den
Organen und den Becken-
knochen zeigt
4.2 · Spezielle Anatomie aus integraltheoretischer Sicht
23 4

mus wirkt wie ein Klappenventil und verschließt die Präzervikaler Gilvernet-Bogen. Eine Verdickung
Blase. Das PVL ist weit entfernt von der Stelle, durch des PVL an der Blasenvorderwand wird als präzer-
die das kindliche Köpfchen bei einer vaginalen Ge- vikaler Gilvernet-Bogen bezeichnet (⊡ Abb. 4.22).
burt tritt, weshalb es nur selten beschädigt wird. Diese membranöse Verstärkung soll verhindern,
dass die Blasenvorderwand unkontrolliert nach
hinten abweichen kann und dadurch bei der Mik-
tion einfällt. Der präzervikale Gilvernet-Bogen
trägt dazu bei, dass der Blasenhals bei körperlicher
Belastung verschlossen bleibt (s. oben).

Trigonum. Das Trigonum (⊡ Abb. 4.22) bildet einen


Teil des Blasenbodens und besteht hauptsächlich
aus glatter Muskulatur. Diese Muskelschicht verläuft
von der Blase entlang der Urethrahinterwand bis
zum Meatus externus. Obwohl es sich nicht um ein
Ligament handelt, verhält es sich wie ein Ligament.
Es schient die Urethrahinterwand und erleichtert
dadurch die für die Miktion notwendige Öffnung
des Ausflusstrakts. Aufgrund seiner Lokalisation an
⊡ Abb. 4.21. Befestigungen der Faszien und Mechanik der der Hinterwand der Urethra und Blase stellt das
Zugkräfte. Vorne ist die Faszie der Scheidenwand mit den pu- Trigonum für die Hammockmuskulatur einen Ge-
bourethralen Ligamenten (PUL) verbunden, seitlich mit dem
genpol dar, der die Urethra von hinten verschließt,
Arcus tendineus fasciae pelvis (ATFP), hinten mit dem kardina-
len und uterosakralen (USL) Bandkomplex und unten mit dem wenn sich der M. pubococcygeus kontrahiert.
Perinealkörper (PB) und dem Sphinkter ani externus (EAS), der
PB stabilisiert. Die pubozervikale und rektovaginale Faszie Zervikaler Ring. Die Zervix besteht an ihrer Au-
werden von den in drei verschiedene Richtungen ziehenden
ßenseite aus einem Kollagenring, an dem sowohl
Muskeln (PCM-, LP- und LMA-Pfeile) gespannt, wodurch die
Scheide ihre Festigkeit erhält. PCF pubozervikale Faszie, PRM die kardinalen und uterosakralen Ligamente als
puborektaler Muskel, PS Pubis symphysis auch die PCF und PVF befestigt sind (⊡ Abb. 4.23).

⊡ Abb. 4.23. Bedeutung des zervikalen Ringes für die Befes-


⊡ Abb. 4.22. Die Bedeutung des präzervikalen Gilvernet-Bo- tigung der Beckenfaszien. Alle Faszien und Ligamente inse-
gens für den Verschluss des Blasenhalses (Sagittalschnitt). Die rieren direkt oder indirekt in den zervikalen Ring. 3-D-Blick in
Pfeile repräsentieren die Zugrichtung der Muskeln. Wenn PCM den posterioren Teil der Scheide. ATFP Arcus tendineus fasciae
relaxiert, können LP/LMA den Ausflusstrakt entlang der Ebene pelvis; CL kardinale Ligamente, RVF rektovaginale Faszie, USL
»O«–»O« öffnen. PVL pubovesikales Ligament uterosakrale Ligamente
24 Kapitel 4 · Anatomie des Beckenbodens

neurologischen Beschwerden sind nicht zentraler,


sondern peripherer Herkunft.
Entsprechend verhält es sich mit den Sympto-
men Urge, Pollakisurie und Nykturie. Sie können
dadurch entstehen, dass die Dehnungsrezeptoren
am Blasenboden nicht mehr ausreichend abge-
stützt werden, wenn die vordere Scheidenwand
oder die sie streckenden Ligamente nachgegeben
4 ⊡ Abb. 4.24. Verstärkung der Scheidenwände durch Faszien.
Die pubozervikale Faszie (PCF) und die rektovaginale Faszie
haben. Auch diese neurologischen Symptome sind
(RVF) verstärken die Scheidenwände, damit es nicht zur Intus-
nicht zentral, sondern peripher ausgelöst. Daher
suszeption (Einstülpung) kommt. CL kardinale Ligamente, USL lassen sich die genannten Symptome in 80% durch
uterosakrale Ligamente Rekonstruktion der USL in Form der posterio-
ren Schlingenoperation heilen (Farnsworth 2000a;
Goeschen 2004; Petros 1997a).
Die PCF und PVF, die an der Zervix be-
festigt sind, stellen eine zusätzliche Verstärkung Level 2
der Scheidenwände dar (⊡ Abb. 2.24). Wenn die Pubourethrales Ligament (PUL). Das PUL
Scheidenwände nachgeben, lässt auch die Span- (⊡ Abb. 4.20, ⊡ Abb. 4.25, ⊡ Abb. 4.26) befindet
nung in der PCF und RVF nach. Dadurch können sich hinter der perinealen Membran. Es entspringt
sich Uterus und oberer Scheidenbereich senken im unteren Bereich der Symphysenhinterwand,
und zu einem uterovaginalen Prolaps führen. verläuft nach kaudal, inseriert medial in die mitt-
Pathogenetisch handelt es sich hierbei um eine lere Urethra und lateral in den M. pubococcygeus
Intussuszeption, eine Einstülpung des kranialen sowie die Scheidenwand (Petros 1998b; Zacharin
Scheidenbereichs in den distalen. Wenn ein Pro- 1963).
laps suffizient behandelt werden soll, reicht daher
eine Korrektur der USL alleine nicht aus. Um Arcus tendineus fasciae pelvis (ATFP). Der
Spannung in die seitlichen Scheidenwände zu ATFP (⊡ Abb. 4.20, ⊡ Abb. 4.27) verläuft horizontal.
bringen, müssen auch die zur Seite und nach Er entspringt direkt oberhalb des PUL an der Sym-
unten abgewichenen Faszien an die USL und CL physenhinterwand und zieht zur Spina ischiadica
angenähert werden. (IS). Die Scheide ist am ATFP wie ein Tuch an 2
seitlichen Wäscheleinen aufgehängt (⊡ Abb. 4.27;
Die sakrouterinen oder uterosakralen Ligamente Nichols u. Randall 1989a). Die Muskeln der Leva-
(USL). Die USL (⊡ Abb. 4.20) entspringen am Os torplatte und benachbarte Muskeln spannen das
sacrum in Höhe von Sakrum (S)2, S3, S4 und ATFP-Ligament und damit die Scheide.
inserieren ringförmig in den hinteren Zervixbe-
reich. Die Blutversorgung dieser Ligamente erfolgt Befestigung der Scheide am ATFP durch Fas-
hauptsächlich über den Ramus descendens der zien. Die Faszie der Scheidenwand reicht lateral bis
A. uterina. Die USL halten den oberen Scheiden- zum ATFP und ist auf beiden Seiten am ATFP wie
pol in situ. Der LMA setzt an den USL an und ein Trampolin aufgehängt (⊡ Abb. 4.27). Sie ver-
kann seine Wirkung nur entfalten, wenn diese schmilzt vorne mit der pubozervikalen Faszie und
Ligamente ausreichend stabil sind. hinten mit der rektovaginalen Faszie (⊡ Abb. 4.28).
Ein Nachlassen der Bindegewebespannung in
den USL kann neben einem Prolaps auch dazu Rektovaginale Faszie (RVF). Die RVF oder De-
führen, dass die in den USL verlaufenden unmy- nonvilliers-Faszie breitet sich wie ein Betttuch
elinisierten Nerven nicht mehr vor Zug geschützt zwischen den seitlichen Rektumpfeilern aus und
werden und dadurch Schmerzen im Becken auftre- zieht unten vom Perinealkörper nach oben zur LP
ten. In alten Lehrbüchern wurde dieses Phänomen (⊡ Abb. 4.6). RVF ist verbunden mit den USL und
»schwebende Pein« genannt (Martius 1948). Diese der Faszie des zervikalen Ringes.
4.2 · Spezielle Anatomie aus integraltheoretischer Sicht
25 4

⊡ Abb. 4.25. Stütz- und Haltebänder der Urethra – Operati- ⊡ Abb. 4.26. Anatomische Zeichnung zu Abb. 4.25 aus sagit-
onssitus: Blickrichtung auf eine Inzision im linken paraure- taler Sicht. Pfeil Zugrichtung des M. pubococcygeus. B Blase,
thralen Sulcus. EUL externes urethrales Ligament, PCM pubo- EUL externes urethrales Ligament, PS Symphysis pubica, PUL
kokzygealer Muskel, PUL pubourethrales Ligament, m mediale pubourethrales Ligament, V Vagina
Seite, l laterale Seite

Verschiebeschichten. Die Faszienschichten der


Organe sind durch Räume voneinander getrennt
(⊡ Abb. 4.28). Diese Räume sind notwendig, damit
sich die Organe unabhängig voneinander bewegen
und gegeneinander verschieben können. Eine gute
Beweglichkeit ist auch wichtig, damit beim Ge-
schlechtsverkehr keine Schmerzen auftreten. Diese
Räume enthalten keine Gefäße und stellen daher
die ideale Präparierschicht beim Operieren dar.

Level 3
Externes urethrales Ligament (EUL). Das EUL be-
findet sich vor der perinealen Membran (⊡ Abb. 4.20,
⊡ Abb. 4.25) und fixiert den Meatus urethrae exter- ⊡ Abb. 4.27. Aufhängung der Scheide am Arcus tendineus
nus an der Vorderfläche des absteigenden Symphy- fasciae pelvis (ATFP). Die Scheide ist wie eine Trampolinmem-
bran zwischen dem ATFP aufgespannt und an ihm, dem vor-
senastes. Das EUL zieht nach kranial in die Klitoris
deren Teil des zervikalen Rings und den kollagenen Struktu-
und nach kaudal in das PUL. Es ist wahrscheinlich ren, die in die kardinalen Ligamente einstrahlen, befestigt. CL
identisch mit dem von Zacharin (1963) beschrie- kardinales Ligament, CX Zervix, S Sakrum, USL uterosakrales
benen anterioren PUL. Ligament, U Urethra, V Vagina
26 Kapitel 4 · Anatomie des Beckenbodens

⊡ Abb. 4.28. Verschiebeschichten (Räume) zwischen den Bin- ⊡ Abb. 4.29. 3 Zonen (vorne, Mitte, hinten), in denen Schä-
degewebeschichten. Transversalschnitt durch den Bereich der den auftreten können. Die Kreise stellen das kindliche Köpf-
Scheide direkt unterhalb der Zervix. ATFP Arcus tendineus chen beim Durchtritt durch den Geburtskanal dar. ATFP Arcus
fasciae pelvis, LA M. levator ani, IS Spina ischiadica, PCF pu- tendineus fasciae pelvis, B Becken, PS Pubis symphysis, PUL
bozervikale Faszie, PRS pararektaler Raum, PVS paravesikaler pubourethrales Ligament, S Sakrum, UT Uterus, 1–4 Schadens-
Raum, PS Pubis sympysis, RRS retrorektaler Raum, RVF reck- bereiche durch das kindliche Köpfchen beim Durchtritt durch den
tovaginale Faszie, RVS rektovaginaler Raum, U Ureter, VVS Geburtskanal
vesikovaginaler Raum

Perinealkörper (PB) und perineale Membran Die vordere Zone reicht vom Meatus urethrae
(PM). Die Natur hat als Abdichtung nach un- externus bis zum Blasenhals und enthält 3 wichtige
ten eine Platte erschaffen, die in der Mitte einen Strukturen (⊡ Abb. 4.30):
derben sehnenartigen Bereich den PB, das Cent- 1. externes urethrales Ligament (EUL),
rum tendineum perinei aufweist, in den zahlreiche 2. suburethrale Hängematte (Hammock) und
Muskeln und Bänder einstrahlen (⊡ Abb. 4.19). 3. pubourethrales Ligament (PUL).
Der PB stellt den Hauptverankerungspunkt für
die Muskeln der PM, den EAS und den LMA dar Die mittlere Zone erstreckt sich vom Blasenhals
(Petros 2002). Diese spannen das Centrum tendi- bis zur Zervix oder Hysterektomienarbe. Sie ent-
neum perinei wie Zuggurte eine Hängebrücke und hält ebenfalls 3 wichtige Strukturen, die traumati-
verhindern ein übermäßiges Durchhängen des Be- siert werden können (⊡ Abb. 4.30):
ckenbodens. 1. Arcus tendineus fasciae pelvis (ATFP),
2. pubozervikale Faszie (PCF) und
3. Verbindung von PCF mit dem zervikalen Ring.
4.2.5 Drei senkrechte
Scheidenabschnitte Besonderheit in der mittleren Zone. In der mitt-
leren Zone gibt es die Besonderheit, dass sowohl
Die Integraltheorie unterscheidet 3 senkrechte eine ausgeprägte Schlaffheit als auch Starrheit des
Scheidenabschnitte (vordere, mittlere und hintere Gewebes Funktionsstörungen hervorrufen kann.
Zone) mit je 3 Schlüsselstrukturen, denen typi- Um den Blasenhals herum befindet sich als Teil
sche Funktionen zugeordnet werden können. Bei der PCF die sog. Zone der kritischen Elastizität
Schädigung einer dieser 9 Strukturen, z. B. durch (ZCE). Die ZCE muss als Sonderbereich betrach-
eine Geburt (⊡ Abb. 4.29, ⊡ Abb. 4.30) kann es zu tet werden, weil das normale Öffnen und Ver-
spezifischen Beschwerden kommen. schließen der Blase von einer guten Elastizität in
4.2 · Spezielle Anatomie aus integraltheoretischer Sicht
27 4

⊡ Abb. 4.30. 9 Hauptstrukturen in den 3 Beckenbodenzonen, tendineus fasciae pelvis (ATFP), 5 pubozervikale Faszie (PCF),
die laut Integraltheorie bei Schädigung einer chirurgischen 6 zervikaler Ring, 7 sakrouterines Ligamente (USL) 8 rektova-
Korrektur bedürfen. 3D-Sicht in das Becken von hinten oben. ginale Faszie (RVF), 9 Perinealkörper (PB), EAS M. sphinkter ani
Die gestrichelte Linie stellt den Beckenring dar. externus, LMA longitudinaler Analmuskel, LP Levatorplatte,
1 externes urethrales Ligament (EUL), 2 suburethrale Hänge- PCM M. pubococcygeus, PRM M. puborektalis, ZCE Zone kri-
matte (Hammock), 3 pubourethrales Ligament (PUL), 4 Arcus tischer Elastizität

diesem Scheidenabschnitt abhängt. Fehlende Elas- Die hintere Zone reicht von der Zervix oder
tizität infolge postoperativer Narbenbildung in der Hysterektomienarbe bis zum PB (Centrum ten-
ZCE führt zum sog. Tethered-Vagina-Syndrom dineum perinei). Die 3 Hauptstrukturen, die in
( Kap. 14.2.2; »tethered« bedeutet angebunden, der hinteren Zone geschädigt werden können
fixiert). Infolge der starren Narbe lässt sich die (⊡ Abb. 4.30), sind:
Urethra nicht mehr verschließen, so dass beim 1. sakrouterine Ligamente (USL),
Aufstehen reichlich Urin abfließt. Beim Tethered- 2. rektovaginale Faszie (RVF) und
Vagina-Syndrom handelt es sich somit um eine 3. Perinealkörper (PB; Centrum tendineum peri-
rein iatrogene (ärztlich bedingte) Störung. nei).
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5

Funktion des Beckenbodens


und seiner Organe

5.1 Stütz- und Haltefunktion – 29

5.2 Öffnung und Verschluss der Blase – 30

5.3 Öffnung und Verschluss der anorektalen Region – 39

Aus Sicht der Integraltheorie muss der Beckenbo-


den synchron eine statische und eine dynamische
Funktion ausüben. Er muss gewährleisten, dass die
Beckenorgane geöffnet und geschlossen werden
können, ohne dabei übermäßig ihre Position zu
verändern.

5.1 Stütz- und Haltefunktion

Die Beckenbodenmuskulatur ist so abgestimmt,


dass sie bei geringem Energieverbrauch die Becken-
organe streckt und abwinkelt (⊡ Abb. 5.1). Die dabei
erzeugte kontinuierliche Spannung wirkt dem intra-
abdominalen Druck und damit einer Prolapsentste-
hung entgegen.
Die quergestreifte Beckenbodenmuskulatur,
das sog. rhabdomuskulofibröse System, enthält
hauptsächlich langsame Zuckungsfasern, die Slow-
⊡ Abb. 5.1. Zusammenspiel der oberen und unteren Becken-
twitch-Fasern. bodenmuskeln. EAS M. sphinkter ani externus, LMA longitudi-
! Die Slow-twitch-Fasern sind erforderlich, naler Analmuskel, LP Levatorplatte, PCM M. pubococcygeus,
PS Pubis symphysis, R Rektum, S Sakrum, U Urethra, V Vagina,
um den intraabdominellen Druck aufrecht
Pfeile zeigen die Zugrichtung der Muskeln an
zu erhalten. Sie garantieren weiterhin Form,
Struktur, Öffnung und Verschluss von Blase,
Darm und Scheide.
30 Kapitel 5 · Funktion des Beckenbodens und seiner Organe

5
⊡ Abb. 5.2. Sektionspräparat: Die endopelvine Faszie dichtet
Zwischenräume ab und wirkt wie eine Gummimatte. PUL
pubourethrales Ligament, PCM M. pubococcygeus, LP Leva- ⊡ Abb. 5.3. Ältere anatomische Zeichnungen zeigen, dass die
torplatte Scheide keine Abknickung aufweist

Die quergestreiften Muskeln können den für den


Verschluss dieser Organe notwendigen Dauerto-
nus alleine nicht gewährleisten. Dazu ist das elas-
tische System der viszeral innervierten Muskel-
Bindegewebe-Platte notwendig, das sog. lissomus-
kulofibröse System. Diese von Lahodny auch als
endopelvine Faszie (⊡ Abb. 5.2) bezeichnete Einheit
ist mit der Skelettmuskulatur eng verbunden, dich-
tet Zwischenräume ab und wirkt zusätzlich wie
eine Gummimatte.

5.2 Öffnung und Verschluss der Blase


⊡ Abb. 5.4. Aus der schematischen Zeichnung geht hervor, dass
die Scheide im äußeren Abschnitt in einem Winkel von 45° und
Aus den Anatomielehrbüchern geht hervor, dass die ab dem mittleren Drittel nahezu horizontal verläuft
Scheidenachse ohne Abknickung in einem Winkel
von ca. 45° nach dorsal durch den Beckenboden
verläuft (⊡ Abb. 5.3). Neuere Untersuchungen zei- distalen zwei Drittel der Urethra sind im Bereich
gen hingegen, dass die Scheide ab dem mittleren des Hammocks fest mit der Scheidenvorderwand
Drittel nahezu horizontal verläuft (⊡ Abb. 5.4). Das verbunden. Am Übergang vom proximalen freien
ist für die Zugrichtung der 3 wichtigsten Muskeln zum distalen fixierten Urethrabereich inseriert das
von großer Bedeutung. PUL bds. seitlich in die vordere Scheidenwand und
Eine weitere Grundvoraussetzung für eine nor- in die Urethra. An dieser Stelle wird maßgeblich
male Beckenbodenfunktion ist, dass bestimmte der Blasenverschluss kontrolliert. Hier weist die
Scheidenabschnitte mit Urethra, Blase und Darm Scheide eine Krümmung auf und verläuft fast hori-
fest verbunden, andere hingegen frei gegeneinan- zontal nach dorsal. Auf diese Weise kann der hori-
der verschieblich sind. zontale Zug der inneren Beckenbodenmuskeln op-
Die Blase liegt der Scheidenvorderwand im Be- timal auf die Scheidenwände übertragen werden.
reich des Blasenbodens auf und ist hier an ihr Die Scheidenhinterwand haftet im Bereich des
fixiert (⊡ Abb. 5.5). Die Blasenhalsregion und das distalen Scheidendrittels fest am Perinealkörper
proximale Urethradrittel sind frei beweglich. Die und an der Rektumvorderwand. Im mittleren und
5.2 · Öffnung und Verschluss der Blase
31 5

oberen Scheidenbereich ist das Rektum frei gegen 1. mechanische Steuerung im Bereich
die Scheide verschiebbar. Dadurch können Scheide, – der Urethra,
Darm und Blasenhalsregion unabhängig vonein- – des Blasenhalses und
ander gestreckt werden, was für Öffnung und Ver- – des Gefäßplexus;
schluss von Blase und Darm unabdingbar ist. 2. neurologische Steuerung
Blasenöffnung und Blasenverschluss sind kom- – peripher und
plexe Vorgänge, die mechanischen und neurologi- – zentral.
schen Einflüssen unterliegen. Um die komplizier-
ten Zusammenhänge verstehen zu können, ist es
hilfreich, die Abläufe in Einzelschritten darzustel- 5.2.1 Mechanische Steuerung
len. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, Störungen
in den Einzelbereichen zu erkennen und evtl. zu Bedeutung der Urethra für
korrigieren. Blasenverschluss und Blasenöffnung
Die Integraltheorie betrachtet die Dynamik von Wie bereits erwähnt, ist das PUL funktional für
Öffnung und Verschluss der Urethra und Blase aus den urethralen Blasenverschluss zuständig. Die
2 verschiedenen Perspektiven: 3 Hauptmuskeln PCM, LP und LMA inserieren
über Ligamente in die Scheidenwände und strecken
sie bei Kontraktion. Diese Bewegungen werden auf
Blasenboden, Blasenhals, proximale Urethra und
die distalen zwei Urethradrittel übertragen, wenn
die Verbindung zwischen Ligamenten, Scheide,
Blase und Urethra normal ist. Eine Schädigung
des Bindegewebes in Ligamenten oder der Schei-
denwand kann somit zu einer Abschwächung der
Muskelkontraktion und damit zu einer Störung im
Öffnungs- und Verschlussmechanismus des Aus-
flusstraktes führen.
Für den aktiven Blasenverschluss bei kör-
perlicher Belastung sind 3 in verschiedene Rich-
tungen ziehende Muskelgruppen verantwortlich
(⊡ Abb. 5.6a–d):
⊡ Abb. 5.5. Die Blase ist im Bereich des Blasenbodens, die
▬ Levatorplatte (M. iliococcygeus und M. coccy-
Urethra in den distalen zwei Dritteln mit der Scheidenwand
verbunden (braun). Blasenhals und proximale Urethra sind
geus): Zug nach hinten,
frei. Das Rektum ist ebenfalls im mittleren und oberen Schei- ▬ M. pubococcygeus: Zug nach vorne und
denbereich frei gegen die Scheide verschiebbar ▬ longitudinaler Analmuskel: Zug nach kaudal.

⊡ Abb. 5.6a–d. Blasenverschluss. a die 3 Zugrichtungen der 3 vorne und engt das Lumen weiter ein; d der longitudinale
beteiligten Muskelgruppen; b Die Levatorplatte zieht Scheide Analmuskel zieht die Blase nach unten und verschließt das
und Blase nach hinten, die Urethra verbleibt in situ und wird Lumen; LMA longitudinaler Analmuskel, LP Levatorplatte, PUL
von hinten komprimiert; c der M. pubococcygeus zieht nach pubourethrales Ligament
32 Kapitel 5 · Funktion des Beckenbodens und seiner Organe

Die Levatorplatte zieht die Vagina und damit die zu einer Trichterbildung im Bereich des Blasenhal-
mit ihr am Blasenboden fixierte Blase nach hinten. ses und der proximalen Urethra mit Öffnung des
Wenn die Scheidenwand normal elastisch ist und Ausflusstrakts.
das PUL nicht nachgibt, wird die Urethra von Die Öffnung und der Verschluss der Urethra
der Scheide und dem PUL von hinten eingeengt. und des Blasenhalses werden also vorwiegend
Als zweites zieht der M. pubococcygeus die Schei- durch Kontraktion oder Relaxation des PCM be-
denwand mit dem PUL nach vorne. Es kommt zu stimmt. Dabei spielt das in  Kap. 4.2.4 beschrie-
einer weiteren Einengung der Urethra. Abschlie- bene Trigonum eine wichtige Rolle. Es verläuft von
ßend bewirkt eine Kontraktion des longitudinalen der Blase entlang der Urethrahinterwand bis zum
Analmuskels einen Zug von Vagina und Blase nach Meatus externus. Das Trigonum schient die Bla-
5 unten, wodurch sich die Urethra um den Fixpunkt sen- und Urethrahinterwand und erleichtert da-
nach unten dreht und komplett verschlossen wird. durch zum einen die für die Miktion notwendige
Der PCM und die LP wirken somit gegen das PUL, Öffnung des Ausflusstraktes. Zum anderen stellt es
der LMA gegen das uterosakrale Ligament (USL). einen Gegenpol für die Hammockmuskulatur dar,
Für einen kontinuierlichen Verschluss der indem es die Urethra von hinten verschließt, wenn
Urethra in Ruhe ist ein elastischer Dauertonus sich der PCM kontrahiert.
der Slow-twitch-Fasern des M. pubococcygeus und
! Merke: Obwohl die Begriffe »Öffnung« und
M. puborectalis sowie von LP und LMA notwen-
»Miktion« wechselseitig benutzt werden,
dig (⊡ Abb. 5.7).
stellen sie nicht dasselbe dar.
Zum Öffnen des Blasenhalses kontrahiert
sich nur die nach hinten (LP) und unten (LMA) Die Öffnung der Urethra hängt hauptsächlich
gerichtete Muskulatur, während der M. pubococ- von mechanischen Faktoren ab (Beispiel: genuine
cygeus erschlafft (⊡ Abb. 5.8). Dadurch kommt es Stressinkontinenz;  Kap. 10.1.1).

⊡ Abb. 5.7. Aktiver Verschluss. Alle 3 Muskeln kontrahieren. ⊡ Abb. 5.8. Miktion. Die Levatorplatte (LP) und der longitudi-
BV Befestigung des Blasenbodens an der Scheide; Die gestri- nale Analmuskel (LMA) ziehen den Blasenboden nach hinten.
chelte Linie stellt die Blase in Ruheposition dar. Die graugrüne Wenn der pubokokzygeale Muskel (PCM) relaxiert, öffnet sich
Farbe gibt die Position der Blase unter körperlicher Belastung der Ausflusstrakt. Die gestrichelte Linie stellt die geschlossene,
an. LMA longitudinaler Analmuskel, LP Levatorplatte, PCM die grüne Farbe die geöffnete Position der Blase dar. BV Befes-
pubokokzygealer Muskel, PUL pubourethrales Ligament, USL tigung des Blasenbodens an der Scheide, PUL pubourethrales
uterosakrales Ligament Ligament, USL uterosakrales Ligament
5.2 · Öffnung und Verschluss der Blase
33 5

Die Miktion wird durch einen neurologischen


Reflex ausgelöst. Durch Relaxation von PCM wer-
den die Dehnungsrezeptoren am Blasenboden und
damit der Miktionsreflex aktiviert ( Kap. 4.2.1).
Der Detrusor kontrahiert, und es kommt zum
Urinabgang.

Bedeutung der Blasenhalsregion für


Blasenverschluss und Blasenöffnung
Dieser Mechanismus wurde bereits oben erklärt.
Er wird hier aber nochmals beschrieben, um ein
Hin- und Herblättern zu vermeiden.
Eine wichtige Rolle für Öffnung und Verschluss ⊡ Abb. 5.9. Bedeutung der glatten Muskeln für Öffnung und
in der Blasenhalsregion spielt das pubovesikale Verschluss der Urethra. Nur wenn die glatte Muskulatur aus-
reichend dehnbar ist, kann die proximale Urethra im Bereich
Ligament (PVL). PVL zieht von der Symphysen-
des Blasenhalses verschlossen (C) oder geöffnet (O) werden.
hinterwand zum quer verlaufenden präzervikalen Gestrichelte Linie Scheide, braun Urethra und Blase, dünne
Gilvernet-Bogen, einer steifen fibromuskulären schwarze Linien gemeinsame glatte Längsmuskulatur von
Membran an der Blasenvorderwand (⊡ Abb. 4.22). Blase und Urethra, Pfeile Muskelkräfte, H Hammock (hellblau),
Die membranöse Verstärkung verhindert, dass LMA longitudinaler Analmuskel, LP Levatorplatte, PCM pubo-
kokzygealer Muskel, PS Pubis symphysis, PUL pubourethrales
die Blasenvorderwand unkontrolliert nach hinten
Ligament
abweichen kann und dadurch bei der Miktion ein-
fällt. Der präzervikale Gilvernet-Bogen trägt dazu
bei, dass der Blasenhals bei körperlicher Belastung
verschlossen bleibt. ziehenden Muskeln LP und LMA die proximalen
Bei Kontraktion des PCM wird das Hammock Urethrawände am Blasenhals strecken und annä-
nach ventral gezogen und die Urethra fixiert. Der hern (C in ⊡ Abb. 5.9). Wenn PCM relaxiert und
Meatus urethrae internus befindet sich auf der LP und LMA kontrahieren, vergrößert sich das
Ebene »O«–»O«. Die Zugrichtung der LP und des Urethralumen (O in ⊡ Abb. 5.9): Der Ausflusstrakt
LMA ist so ausgelegt, dass die vordere Scheiden- wird geöffnet.
wand und das Trigonum um den Insertionspunkt Der PCM benötigt neben einem intakten PUL
vom PVL rotiert werden, wenn diese Muskeln zusätzlich ein ausreichend festes Hammock »H«,
kontrahieren. Dieser Mechanismus wirkt wie ein um die Urethra wirksam verschließen zu können.
Klappenventil und verschließt die Blase. Bei einer Wenn das PUL oder das Hammock lose sind,
vaginalen Geburt wird es nur selten beschädigt, wird die Urethra bei körperlicher Belastung durch
weil PVL weit entfernt von der Stelle ist, durch die Kontraktion von LP und LMA in die geöffnete Po-
das kindliche Köpfchen tritt. sition »O« gezogen, ohne dass die Betroffene das
Eine weitere Voraussetzung für ein ungestörtes verhindern kann.
Öffnen und Verschließen der Blase ist eine ausrei- Im Gegensatz zum PVL werden PUL und
chend dehnbare glatte Muskulatur in der Blasen- Hammock häufig im Rahmen einer vaginalen Ge-
halsregion und der proximalen Urethra. Dieser burt geschädigt.
Vorgang ist in ⊡ Abb. 5.9 schematisch dargestellt.
Dazu ist weiterhin ein ausreichend festes PUL
notwendig, das die Urethramitte fixiert und den Bedeutung des Gefäßplexus für den
3 Muskelkräften (Pfeile) erlaubt, auf diese Stelle Blasenverschluss
Einfluss nehmen zu können. Die in 3 verschiedene Richtungen ziehenden Mus-
Sind das PUL und der PCM gespannt und kelkräfte strecken bei Kontraktion die Blasenhin-
fixieren sie die Urethra, können die nach hinten terwand und das Trigonum, wodurch das Urethra-
34 Kapitel 5 · Funktion des Beckenbodens und seiner Organe

verlaufen Urethra und Vagina (V) mehr in die


horizontale Richtung. Der Blasenhals befindet sich
oberhalb der gestrichelten horizontalen Linie, die
Urethra hinter der gestrichelten vertikalen Linie.
Die Urethra ist in Ruhe verschlossen
(⊡ Abb. 5.11), weil die Slow-twitch-Fasern des PCM
die Scheide gegen das PUL nach vorne und der LP
und des LMA gegen das USL nach hinten ziehen.
Die in ⊡ Abb. 5.11 beschriebene Situation wird
schematisch in ⊡ Abb. 5.12 dargestellt. Die im
5 Hammock eingebettete Urethra wird vom PCM
⊡ Abb. 5.10. Die Bedeutung des Gefäßplexus für den Urethra- nach vorne, die horizontal verlaufende Scheide
verschluss. PCM pubokokzygealer Muskel, PUL pubourethrales von der LP und dem LMA nach hinten unten
Ligament gezogen. Normale Scheidenelastizität und Slow-
twitch-Kontraktionen gewährleisten den Urethral-
verschluss.
lumen verengt und der venöse Rückfluss vermin-
dert werden (⊡ Abb. 5.9). Der Gefäßplexus schwillt Verschluss bei Belastung (Husten, Pressen). In
lumenwärts in Richtung »a« an, wie in ⊡ Abb. 5.10 ⊡ Abb. 5.13 wird dieselbe Probandin zum Pressen
verdeutlicht. Die hufeisenförmige Muskulatur aufgefordert. Die nach hinten gerichtete Musku-
kontrahiert und verschließt das Lumen »a«. Die- latur der LP hat die horizontale Vaginalwand, den
ser Mechanismus ist ein zusätzlicher Schutz gegen Blasenboden und das Rektum nach dorsal gegen
einen unkontrollierten Urinverlust ( Kap. 10.1.2, einen Fixpunkt im Bereich des PUL gezogen. Der
intrinsischer Sphinkterdefekt). PCM hat die Vagina und Urethra nach vorne vor
die vertikale Linie gezogen (Pfeil nach vorne), wo-
durch die Urethra jetzt nahezu rechtwinklig nach
5.2.2 Überprüfung der Theorie hinten verläuft. Der nach unten ziehende LMA
in der Praxis (Pfeil nach unten) bewirkt, dass der Blasenboden
sich weit unter der horizontalen Linie befindet
Das theoretische Konzept der mechanischen Steue- und die Scheide in diesem Bereich nahezu hori-
rung von Urethraöffnung und -verschluss lässt sich zontal verläuft. Die Pfeile unter dem »V« zeigen
in der Praxis mit herkömmlichen Röntgenuntersu- eine Kontraktion der oberflächlichen und tiefen
chungen in einem lateralen Miktionszystogramm Perinealmuskeln an.
absichern. Die nachfolgenden Röntgenaufnahmen Die in ⊡ Abb. 5.13 beschriebene Situation wird
(⊡ Abb. 5.11, ⊡ Abb. 5.13, ⊡ Abb. 5.15) stammen von in ⊡ Abb. 5.14 schematisch dargestellt.
derselben Probandin. Die weiß eingezeichneten,
gestrichelten, horizontalen und vertikalen Linien Urethraöffnung während der Miktion. Bei der
verbinden definierte, identische Knochenpunkte. Miktion (⊡ Abb. 5.15) kontrahiert sich nur die nach
Es gibt 3 Normalzustände für die Urethra: hinten (LP) und unten (LMA) gerichtete Muskula-
1. Verschluss in Ruhe, tur, während der PCM erschlafft. Dadurch kommt
2. Verschluss bei Belastung und es zu einer Trichterbildung im Bereich des Blasen-
3. Öffnung bei Miktion. halses und der proximalen Urethra mit Öffnung
des Ausflusstrakts (⊡ Abb. 5.15).
Verschluss in Ruhe. Der Verlauf der Urethra (U) Im Röntgenbild erkennt man, dass die nach
lässt sich an der Lage des Foley-Katheters erken- vorne gerichtete Kraft fehlt, wodurch sich die Ure-
nen (⊡ Abb. 5.11). Der Ballon liegt in der Blase thra hinter die vertikale Linie bewegt. Durch den
(B). Im Bereich der Urethramitte, zu der das PUL Zug nach hinten wird die Scheide gestreckt und der
hinzieht, findet sich eine Winkelbildung. Ab hier Blasenboden nach hinten gegen das PUL gezogen.
5.2 · Öffnung und Verschluss der Blase
35 5

⊡ Abb. 5.12. Schematisches Modell der urethrovesikalen Ein-


heit in Ruhe, korrespondierend mit der Röntgenaufnahme in
⊡ Abb. 5.11. Verschluss in Ruhe. Laterales Zystogramm im Sit- Abb. 5.11. BV Befestigung des Blasenboden an der Vagina, LMA
zen. B Blase, BV Befestigung des Blasenboden an der Vagina, longitudinaler Analmuskel, LP Levatorplatte, N Dehnungsre-
CX Zervix, LP Levatorplatte, PUL pubourethrales Ligament, U zeptoren, PCM pubokokzygealer Muskel, PUL pubourethrales
Urethra, USL uterosakrales Ligament, V Vagina Ligament, USL uterosakrales Ligament

⊡ Abb. 5.14. Die Scheide überträgt Muskelkräfte, um Urethra


und Blasenhals zu verschließen. Im Vergleich zu Abb. 5.12 (Ru-
⊡ Abb. 5.13. Urethralverschluss bei Belastung (Husten oder heposition) strecken und rotieren die Fast-twitch-Fasern der
Pressen). Gleiche Röntgenaufnahmeposition wie in Abb. 5.11. drei in verschiedene Richtungen ziehenden Muskeln (PCM, LP,
Die obere Scheide und Urethra sind gestreckt und in Höhe LMA) die Scheide und den Blasenboden um den Ansatzpunkt
des PUL nach hinten abgewinkelt. Die Urethra wurde vor die des pubourethrales Ligament (PUL), wodurch der Blasenhals
vertikale Linie und der Blasenboden unter die horizontale Linie abgeknickt wird. Der pubokokzygeale Muskel (PCM) verschließt
gezogen. B Blase, CX Zervix, LP Levatorplatte, PUL puboure- die Urethra. Die Ruheposition ist gestrichelt eingezeichnet. BV
thrales Ligament, R Rektum, S Sakrum, USL uterosakrales Li- Befestigung des Blasenboden an der Vagina, LMA longitudina-
gament, V Vagina ler Analmuskel, LP Levatorplatte, PCM pubokokzygealer Muskel,
PUL pubourethrales Ligament, USL uterosakrales Ligament

Gut zu erkennen ist die Wirkung des LMA, der In ⊡ Abb. 5.16 wird schematisch dargestellt,
den Blasenboden weit unter die horizontale Linie dass eine Relaxation des PCM den nach hinten
gezogen hat. Der Ausflusskanal ist trichterförmig unten gerichteten Muskelkräften ermöglicht, den
geöffnet, wodurch die Miktion ermöglicht wird. Ausflusstrakt zu öffnen. Da sich der urethrale Wi-
36 Kapitel 5 · Funktion des Beckenbodens und seiner Organe

⊡ Abb. 5.15. Urethraöffnung während der Miktion. Gleiche ⊡ Abb. 5.16. Miktion. Diese Abbildung korrespondiert mit
Röntgenaufnahmeposition wie in Abb. 5.11. B Blase, CX Zervix, Abb. 5.15. BV Befestigung des Blasenboden an der Vagina,
LP Levatorplatte, PUL pubourethrales Ligament, R Rektum, S LMA longitudinaler Analmuskel, LP Levatorplatte, PUL pu-
Sakrum, USL uterosakrales Ligament, V Vagina bourethrales Ligament, USL uterosakrales Ligament

derstand umgekehrt proportional (reziprok) zur


4. Potenz des Radius verhält (Hagen-Poiseuille-Ge-
setz;  Kap. 9.1.8) vermindert dieser Vorgang erheb-
lich den Druck, den der Detrusor zum Auspressen
des Urins benötigt. Der gestrichelte Umriss der
Blase (⊡ Abb. 5.16) zeigt die Ruheposition an.
Eine entsprechende Trichterbildung tritt un-
gewollt auf, wenn das PUL defekt oder der PCM
geschwächt ist (⊡ Abb. 5.17a, b). Dann fehlt beim
Husten, Pressen etc. der Zug nach vorne, wäh-
rend die LP und der LMA normal kontrahieren.
Der Ausflusstrakt wird geöffnet. Unkontrollierter
Harnabgang, d. h. Stressinkontinenz ist die Folge.
Aus dem physiologischen Zusammenwirken
der Muskelkräfte und Ligamente wird weiterhin
verständlich, dass eine Inkontinenz nicht nur aus
Schäden im vorderen, sondern in allen 3 Bereichen
resultieren kann.

5.2.3 Neurologische Steuerung

Es gibt 2 neurologische Kontrollmechanismen, die


eine Miktion verhindern oder zulassen können:
1. zentrale Kontrolle und
2. periphere Kontrolle.
⊡ Abb. 5.17a, b. Patientin mit Stressinkontienenz infolge ei-
Beide neurologischen Steuerungssysteme greifen nes defekten pubourethralen Ligamentes. a in Ruhe; b beim
eng ineinander. Husten kommt es zur Trichterbildung. S Symphysis
5.2 · Öffnung und Verschluss der Blase
37 5

Zentrale Kontrolle. Das Zentralnervensystem


(ZNS) koordiniert und kontrolliert alle Strukturen,
die Urethra und Anus öffnen und verschließen.
Der zentrale Mechanismus hat seinen Ursprung
im Kortex und wirkt über das Miktionshemmzen-
trum (⊡ Abb. 5.18). Für die Defäkation wird ein
gleicher Mechanismus vermutet.
Das Miktionshemmzentrum im ZNS lässt sich
mit einer Falltür vergleichen, die durch kortikale
Befehle geschlossen oder geöffnet werden und
dadurch afferente Impulse von den Dehnungs-
rezeptoren des Blasenbodens blockieren oder
durchlassen kann (⊡ Abb. 5.18). Ist die Falltür ge-
öffnet, gelangen die afferenten Signale von der
Blase zum Gehirn und lösen die für die Miktion
notwendigen Schritte aus. Eine geschlossene Fall-
tür blockiert die peripheren Impulse. Der Mik-
tionsreflex wird vom zentralen Hemmzentrum
unterdrückt.

Periphere Kontrolle. Der periphere neurologische


Mechanismus geht vom muskuloelastischen Sys-
tem des Beckenbodens aus. Das Vorhandensein
⊡ Abb. 5.18. Blasenkontrolle aus neurologischer Sicht. Blase
von Nervenendigungen in Ligamenten und Fas-
in geöffneter Position. Die geschlossene Phase »C« ist durch
gestrichelte Linien dargestellt, die geöffnete Phase »O« durch
zien deutet darauf hin, dass hier eine periphere
durchgezogene Linien. Afferente Impulse »O« aktivieren die Steuerung stattfindet. Über diese Nerven ist es
für die Miktion notwendigen Schritte: Relaxation von PCM möglich, die für die Öffnung und den Verschluss
und Deaktivierung des Hemmzentrums. »C« aktiviert die für der Urethra notwendige Spannung in der Schei-
den Verschluss notwendigen Abläufe: Aktivierung des Hemm-
denwand (⊡ Abb. 5.11) permanent aufrecht zu er-
zentrums und Kontraktion von PCM. Beachte die identische
Position von LP und LMA bei Verschluss und Öffnung. LMA
halten.
longitudinaler Analmuskel, LP Levatorplatte, N Dehnungsre- Der Nachweis von Muskelspindeln im PCM
zeptoren, PCM M. pubococcygeus (⊡ Abb. 5.19; Petros et al. – unveröffentlichte Er-

⊡ Abb. 5.19. Die Schei-


denspannung wird durch
Muskelspindeln kontrolliert,
die im vorderen Anteil des
pubokokzygealen Muskels
anzutreffen sind
38 Kapitel 5 · Funktion des Beckenbodens und seiner Organe

⊡ Abb. 5.20. Periphere Kontrolle


der Bindegewebespannung
erklärt durch die Trampolin-
5 analogie. Lose Ligamente er-
lauben den Muskeln nicht, die
Scheidenwand ausreichend zu
spannen. Die im Blasenboden
vorhandenen Dehnungsrezepto-
ren (N) werden gereizt. N feuert
vorzeitig und arbeitet gegen den
zentralen Hemmmechanismus
(weiße Pfeile). Der Miktionsreflex
wird kurzeitig aktiviert und
wieder unterdrückt (instabile
Blase). ATFP Arcus tendineus
fasciae pelvis, PUL pubourethra-
les Ligament, USL uterosakrales
Ligament

gebnisse) spricht darüber hinaus für das Vorhan- 1. Der hydrostatische Druck einer vollen Blase
densein eines komplexen, fein einstellbaren Kon- aktiviert die Dehnungsrezeptoren (N), die affe-
trollsystems. Wie in ⊡ Abb. 5.18 gezeigt, fühlen die rente Signale zum Kortex senden.
Spindelzellen in der Beckenmuskulatur (Pfeile) 2. Der vordere quergestreifte Muskel relaxiert.
die Gewebespannung, wobei die Spannung in der 3. Die Fast-twitch-Komponenten des hinteren
Scheidenwand durch ein präzises Feedbacksystem quergestreiften Muskels ziehen den Ausfluss-
vom Kortex ausbalanciert wird (⊡ Abb. 5.20). Eine trakt auf, vermindern erheblich den urethralen
ausreichende Gewebespannung erfordert einen Widerstand und ermöglichen dadurch das Ab-
suffizienten Halte- und Stützapparat und ist die fließen von Urin.
Grundvoraussetzung für Kontinenz. 4. Der Detrusor kontrahiert in der Form, dass er
einen Spasmus der glatten Muskulatur (Creed
Neurologische Steuerung der Miktion. Um eine 1979) erzeugt, wodurch der Urin herausge-
normale Miktion handelt es sich, wenn die Blase presst wird.
kontrolliert auf Wunsch entleert und wieder ver-
schlossen werden kann. Der dafür notwendige Wenn der afferente Stimulus von den Dehnungsre-
Miktionsreflex wird peripher durch Dehnungs- zeptoren aufhört, relaxieren die Fast-twitch-Fasern
und Volumenrezeptoren aktiviert, die sich am der hinteren Muskeln. Das von ihnen nach hinten
Blasenboden befinden. Die Empfindlichkeit die- gezogene Gewebe fällt in die Ausgangsposition
ser Rezeptoren variiert von Patientin zu Patientin. zurück und verschließt die Urethra. Der vordere
Kontrolliert und koordiniert wird der Miktionsre- Muskel kontrahiert.
flex vom ZNS über ein Feedbacksystem. Der nor-
male Miktionsreflex setzt sich aus 4 Hauptkompo- Neurologische Kontrolle des Blasenverschlus-
nenten zusammen (⊡ Abb. 5.21): ses. Während die Blase sich füllt, senden Deh-
5.3 · Öffnung und Verschluss der anorektalen Region
39 5

⊡ Abb. 5.21. Der normale Mikti-


onsreflex besteht aus 4 Phasen
(1–4) und wird durch periphere
Dehnungs- und Volumenrezepto-
ren (N) am Blasenboden aktiviert.
LMA longitudinaler Analmuskel, LP
Levatorplatte, PCM pubokokzygea-
ler Muskel

nungs- und Volumenrezeptoren am Blasenboden Bei der Blasendruckmessung fallen in dieser Si-
afferente Impulse zum Gehirn, das auf diese Weise tuation phasische Detrusoraktivitäten oder eine
über den Füllungszustand der Blase informiert niedrige Blasenkapazität auf.
wird (⊡ Abb. 5.18). Ist es für die Frau in dem Mo-
ment nicht möglich, ihre Blase zu entleeren, wer-
den die afferenten Impulse reflektorisch durch Ak- 5.3 Öffnung und Verschluss der
tivierung der zentralen Hemmzentren (gestrichelte anorektalen Region
rote Linie) unterdrückt.
Sind die Scheidenwände zu schlaff, um den Die Integraltheorie legt für die anorektale Funk-
Blasenboden (N) ausreichend zu stützen, hat tion den gleichen Mechanismus zugrunde wie
das kortikale Hemmzentrum nur eine begrenzte für die Blase. Mit Ausnahme des M. puborektalis
Möglichkeit, den Miktionsreflex zu unterdrücken. (PRM) sind die gleichen Ligamente und Muskeln
Genauso wie bei einem beschädigten Trampolin an der Öffnung und dem Verschluss der anorekta-
hängen die Scheidenwände durch und können len Region beteiligt ( Kap. 5.2).
durch Muskelzug nicht mehr adäquat gestreckt Das schlauchförmige Anorektum besteht aus
werden. Weil der hydrostatische Druck nicht einer Längs- und Ringmuskulatur und ist 12–15 cm
vermindert wird, sendet der Blasenboden (N) lang. Der distale Anteil dieses Rohres, der Anus,
immer stärkere Impulse zum Gehirn, was letzt- weist eine weiche Gewebestruktur mit wenig Ei-
lich zu einer Miktion bei geringer Blasenfüllung genspannung auf. Damit Öffnung und Verschluss
führt. stattfinden können, muss der Anus gut verankert
Die Patientin empfindet die ständigen afferen- sein. Anus, Vagina und die unteren 2–3 cm der
ten Impulse als quälenden Harndrang und muss Urethra sind von festem fibromuskulärem Gewebe
häufig am Tage und nachts auf die Toilette gehen. umgeben.
40 Kapitel 5 · Funktion des Beckenbodens und seiner Organe

Der Perinealkörper (PB) stellt den Hauptveran-


kerungspunkt für den Anus und die distale Vagina
dar. Kontraktionen des M. sphinkter ani externus
(EAS) und der in der Perinealmembran gelegenen
Muskeln (PM) sorgen für die distale Fixierung des
Anus (Petros 2002a). Für die proximale Veranke-
rung sind die tiefen Perinealmuskeln (⊡ Abb. 4.19)
verantwortlich.
Der interne Analsphinkter (IAS), der M. sphink-
ter internus, wird aus der rektalen Zirkulärmusku-
5 latur gebildet und durch den Plexus myentericus
innerviert. Der EAS stellt eine Fortsetzung des Le-
vator ani dar und lässt sich wie der PRM motorisch
willkürlich über den N. pudendus (S2–4) kontrol-
lieren.

Anorektaler Verschluss. Der anorektale Verschluss- ⊡ Abb. 5.22. Anatomie der anorektalen Öffnung und des Ver-
schlusses. Schematische 3D-Sicht des Anus, des Rektums und
mechanismus ähnelt dem des urethrovesikalen. Ein
der relevanten quergestreiften Muskulatur. B Blase, EAS ex-
suffizienter Verschluss der Urethra bei Belastung terner Analsphinkter, IS Spina ischiadica, LMA longitudinaler
ist nur möglich, wenn die Urethra durch Muskeln Analmuskel, LP Levatorplatte, PCM pubokokzygealer Muskel,
gegen einen Fixpunkt (PUL) gezogen wird und da- PM Perinealmembran, PRM puborektaler Muskel, PS Pubis
durch eine Abknickung entsteht (⊡ Abb. 5.14). symphysis, R Rektum, RVF rektovaginale Faszie, S Sakrum, UT
Uterus, V Vagina
Entsprechend verhält es sich mit dem Anorek-
tum. Der für die Kontinenz wichtige anorektale
Winkel (⊡ Abb. 5.22, ⊡ Abb. 5.23) wird folgender-
maßen gebildet:
Die RVF (⊡ Abb. 5.22) verläuft unten vom PB
nach oben zur LP (Nichols u. Randall 1989a, b).
Die LP inseriert in die Rektumhinterwand. Bei
körperlicher Belastung ziehen LP und LMA die
RVF und das Rektum nach hinten unten gegen
den Anus, der durch Kontraktion des PRM fixiert
wird. Dadurch entsteht der anorektale Winkel, der
für den Verschluss des Darmes notwendig ist. Der
PRM entspringt im unteren Teil der Symphyse,
verläuft vertikal, medial neben dem PCM nach
dorsal, komprimiert wirksam die Seitenwände des
Anus und verankert die hintere Wand.
Ein dichter Verschluss des Anus wird weiterhin
gewährleistet durch
▬ eine tonische Muskelaktivität des IAS, ⊡ Abb. 5.23. Stabiler anorektaler Verschluss. LP und LMA zie-
▬ den Willkürdruck des EAS und hen bei Kontraktion das Rektum und die RVF nach hinten und
▬ die Polsterung durch anale Schleimhautfalten unten um den kontrahierten PRM, wodurch der anorektale
und -gefäße. Winkel gebildet wird. PCM spannt den Perinealkörper und die
vordere Rektumwand. AFTP Arcus tendineus fasciae pelvis,
EAS externer Analsphinkter, LMA longitudinaler Muskel, LP
Es wird vermutet, dass eine Differenzierung zwi- Levatorplatte, PCM pubokokzygealer Muskel, PRM puborekta-
schen Flatus und Stuhl dadurch gelingt, dass der ler Muskel, PUL pubourethrales Ligament, RVF rektovaginale
Darminhalt durch IAS-Relaxation Kontakt zum Faszie, USL uterosakrales Ligament
5.3 · Öffnung und Verschluss der anorektalen Region
41 5

Anorektum aufnimmt und spezielle afferente Ner-


ven mit sensorischen Endkörperchen reizt.

Anorektale Öffnung. Eine ungestörte Defäkation


ist nur möglich, wenn die Rektumvorderwand ge-
streckt und gespannt ist. Dafür sorgen eine intakte
rektovaginale Faszie, die tiefen transversen Perine-
almuskeln, der PCM und der PB.
Durch Kontraktion von PCM werden Rek-
tumvorderwand und Scheide nach vorne gezogen,
wodurch ein semirigides Rohr entsteht, das die
Passage von Fäzes erleichtert.
Wenn gleichzeitig PRM relaxiert, öffnen die
LP und der LMA den anorektalen Winkel, indem
sie die Rektumhinterwand nach dorsal ziehen. Da-
durch wird die Entleerung des Rektums weiter
vereinfacht (⊡ Abb. 5.24). Das Rektum zieht sich
zusammen und Fäzes wird ausgepresst.
Die Öffnung des anorektalen Winkels ist nur
möglich, wenn die PUL und die USL intakt sind,
da die LP gegen die PUL und der LMA gegen die
USL ziehen.

⊡ Abb. 5.24. Stabile anorektale Öffnung (Defäkation). Wenn der


puborektale Muskel (PRM) relaxiert, öffnen die Levatorplatte (LP)
und der longitudinale Analmuskel (LMA) den anorektalen Win-
kel, indem sie die Rektumhinterwand nach hinten ziehen. Die
rektovaginale Faszie (RVF) spannt die Rektumvorderwand und
der pubokokzygeale Muskel (PCM) zieht sie nach vorne, wo-
durch ein semirigides Rohr entsteht, das die Defäkation erleich-
tert. Das Rektum zieht sich zusammen und Fäzes wird ausge-
presst. Die gestrichelten Linien zeigen die Verschlusssituation an.
AFTP Arcus tendineus fasciae pelvis, EAS externer Analsphinkter,
PB Perinealkörper, PRM puborektaler Muskel, PUL pubourethra-
les Ligament, USL uterosakrales Ligament
42 Zusammenfassung Sektion II

Zusammenfassung Sektion II
Muskeln, Faszien und Ligamente bilden ein mus- ▬ Level 2: pubourethrale Ligamente (PUL), Ar-
kuloelastisches System, das Form und Funktion cus tendineus fasciae pelvis (ATFP), rektovagi-
der Beckenbodenorgane – Scheide, Blase, Harn- nale Faszien (RVF)
röhre, und Rektum – bestimmt. Im Zentrum der ▬ Level 3: externe urethrale Ligamente (EUL),
Integraltheorie steht das Bindegewebe, das in allen perineale Membran (PM), Perinealkörper (PB)
Ligamenten und Faszien enthalten ist. Während
Faszien die Organe stützen und festigen, müssen Es gibt drei in verschiedene Richtungen ziehende
die Ligamente die Organe in situ halten und als Hauptmuskeln:
Widerlager für die Muskeln dienen. Muskelkraft 1. M. pubococcygeus (PCM)
sorgt für die notwendige Spannung der Organ- 2. Levatorplatte (LP)
wände. Erschlafft ein Ligament, so wird die Mus- 3. longitudinalen Analmuskel (LMA)
kelkraft inaktiviert, und es kommt zur Funktions-
störung. Diese Muskeln öffnen und verschließen die Ure-
Die Integraltheorie betrachtet die Anatomie thra und den Anus und halten die Beckenorgane
aus 3 Perspektiven. Im Rahmen der statischen in Position. Die LP und der LMA öffnen die Ure-
Anatomie benennt die Integraltheorie alle wich- thra und den Anus, wenn für die Miktion der
tigen Strukturen, die im Becken vorhanden sind, PCM und für die Defäkation der PRM erschlaffen.
und zeigt ihre normale Position an. Als dyna- Der PRM arbeitet unabhängig von dem PCM, der
mische Anatomie gibt sie die Richtung an, wo- LP und dem LMA.
hin sich diese Strukturen bei Muskelkontraktion, Muskeln, Faszien und Ligamente bilden ein
Bauchdruck oder Schwerkraft bewegen. Aus Sicht muskuloelastisches System, das durch mechani-
der funktionellen Anatomie erklärt sie, was mit sche und peripher neurologische Steuerung im
den Organen passiert, wenn sie mechanisch be- Gleichgewicht gehalten wird. Dehnungsrezeptoren
wegt werden (z. B. Öffnung oder Verschluss). am Blasenboden und unmyelinisierte Nerven stel-
Die Beckenbodenmuskulatur besteht, ver- len die neurologische Komponente des Systems
einfacht dargestellt, aus 3 Schichten. Die innere dar. Dieses System kann nur ungestört funktio-
Schicht setzt sich im vorderen Bereich aus dem nieren, wenn das Bindegewebe des mechanischen
medial verlaufenden M. pubococcygeus (PCM) Systems ausreichend Spannung hat. Geschädigtes
und dem mehr lateral gelegenen M. puborectalis Bindegewebe stört das neurologisch-mechanische
(PRM) sowie hinten aus der Levatorplatte (LP) Gleichgewicht und führt zu den in Sektion I auf-
zusammen. Die mittlere Schicht wird vom lon- gelisteten Beschwerden. Bei erschlafftem Bin-
gitudinalen Analmuskel (LMA) gebildet, einem degewebe werden z. B. die Dehnungsrezeptoren
kurzen, nicht mit dem Rektum verbundenen quer- am Blasenboden nicht ausreichend abgestützt. Es
gestreiften Muskel, der die innere und äußere Mus- kommt zur frühzeitigen Aktivierung der Deh-
kelschicht verbindet. Die äußere Schicht besteht nungsrezeptoren, was sich als Harndrang äußert.
aus den in der Perinealmembran (PM) gelegenen Dabei ist zu beachten, dass schon ein geringes
Muskeln, dem externen Analsphinkter (EAS) und Nachgeben der Bindegewebespannung erhebliche
der postanalen Platte (PAP). Probleme auslösen kann.
Unter Berücksichtung der Faszien und Liga-
mente teilt die Integraltheorie den Beckenboden
daher in 3 anatomische Beckenebenen (Level) ein:
▬ Level 1: pubozervikale Faszie (PCF), pubove-
sikale Ligamente (PVL) mit präzervikalem
Gilvernet-Bogen, Trigonum, zervikaler Ring,
uterosakrale Ligamente (USL)
III

Teil III Rolle des Bindegewebes


für eine normale oder gestörte
Beckenbodenfunktion

Kapitel 6 Bindegewebe bei normaler Funktion – 45

Kapitel 7 Bindegewebe bei gestörter Funktion – 47

Zusammenfassung Sektion III – 64


“This page left intentionally blank.”
6

Bindegewebe bei normaler Funktion

6.1 Bindegewebe aus biomechanischer Sicht – 45

6.2 Biomechanik der Scheide – 46

Die Schlüsselstruktur der Integraltheorie ist das dass zahlreiche Symptome allein durch Korrektur
Bindegewebe. Ohne Basiswissen über physikali- des bindegewebigen Halte- und Stützapparats ge-
sche und biomechanische Eigenschaften des Bin- heilt werden können. Muskelverletzungen scheinen
degewebes fehlt die Voraussetzung dafür, eine nor- mehr modifizierend, als ursächlich auf Funktions-
male oder eine gestörte Funktion zu erkennen bzw. abläufe Einfluss zu nehmen.
den diagnostischen Ablauf und die sich daraus
ergebenden Konsequenzen zu verstehen.
6.1 Bindegewebe aus biomechanischer
! Die Biomechanik ist eine Wissenschaft, die Sicht
physikalische und technische Prinzien der
Körperfunktionen untersucht. Sie wurde ent-
Bindegewebe ist in allen Faszien und Ligamenten
wickelt, um die Komponenten des Gesamtor-
enthalten. Bindegewebe ist der allgemeine Ober-
ganismus mathematisch analysieren zu kön-
begriff für Gewebe, das Kollagen, Proteoglykane
nen, die ihre normale Funktion bestimmen.
und Elastin enthält. Kollagen bringt strukturelle
Dazu gehören u. a. die Gewebequalität sowie
Festigkeit. Die Elastinfasern sorgen für Elastizität,
die Stärke und die Richtung von Muskelkraft.
und Proteoglykane dienen als Kitt. Bindegewebe
Ein Muskelriss führt z. B. zu einer Funktionsbeein- kann mit einem Betonpfeiler verglichen werden:
trächtigung der betroffenen Region. (Bei Verlet- Proteoglykane stellen den Beton dar, Kollagen die
zung eines Muskels lässt dessen Kontraktionskraft Eisenstäbe und Elastin den Energiespeicher.
nach). Ähnlich verhält es sich mit dem Bindege- Kollagen weist in Ruhe eine S-Form auf und
webe: Durch Überdehnung oder Zerreißung ver- nimmt unter Zug einen geraden Verlauf ein
liert es seine Festigkeit und Funktion. (⊡ Abb. 6.1). In voller Streckung wirkt Kollagen wie
Im Bereich des Beckenbodens scheint eher ein ein rigider Stock, der eine Überdehnung verhin-
Bindegewebe- als ein Muskelschaden für Funkti- dert. In dieser Stellung wird jede Krafteinwirkung
onsstörungen verantwortlich zu sein. Dafür spricht, ohne Federung direkt weitergeleitet.
46 Kapitel 6 · Bindegewebe bei normaler Funktion

Die Scheide besitzt keine Regenerationsmög-


lichkeit, d. h. exzidiertes Gewebe erneuert sich
nicht. Das Wegschneiden von Scheidengewebe,
der Zug und der Druck auf Wundränder führen
zur Erweichung der Wand. Wenn die Wand zu
weich geworden ist, kann sie nachgeben und sich
wie die Darmwand ein- oder ausstülpen. Inso-
fern handelt es sich bei einem Scheidenprolaps,
⊡ Abb. 6.1. In Ruhe weist Kollagen eine S-Form auf. Unter Zug genauso wie beim inneren Rektumprolaps, um
wird es gestreckt eine Invagination oder Intussuszeption. Bei einer
Prolapskorrektur müssen daher alle erweichten
Wände verstärkt werden, wenn ein Rezidiv verhin-
Daher hängt die Dehnbarkeit von Gewebe ent- dert werden soll.
6 scheidend von der Form der Kollagenfasern ab.
Um eine normale Form und Funktion zu gewähr-
leisten, muss ausreichend viel intaktes, S-förmiges
Kollagen vorhanden sein.
Kollagen besitzt eine ausgezeichnete struktu-
relle Festigkeit bei guter Elastizität. Die elastischen
Anteile des Kollagens wirken als »Schock-Absor-
ber« und Energiespeicher. Sie sorgen dafür, dass
die Ausgangsform nach der Muskeldehnung wie-
der hergestellt wird.

6.2 Biomechanik der Scheide

Die Vagina stellt eine elastische Bindegewebemem-


bran dar. In der Scheidenwand zerreißt Kollagen
bei einem Zug von 60 mg/mm2 (Yamada 1970).
In einem Ligament liegt die Zerreißgrenze 5-mal
höher bei ca. 300 mg/mm2. Reines Kollagen, z. B.
in einer Sehne oder im zervikalen Ring, hält einer
Kraft bis 1.500 mg/mm2 stand. Eine Sehne lässt
sich nicht dehnen, da alle Kollagenfasern parallel
verlaufen. Ein Ligament ist mäßig dehnbar.
Die Scheidenwand besitzt wenig Eigenstärke.
Sie erhält ihre Festigkeit erst durch eine Faszien-
schicht, die in den Bereichen am stärksten ausge-
bildet ist, in denen Ligamente inserieren, z. B. im
Apex. Erst nach voller Streckung kann die Scheide
Muskelkräfte weiterleiten, die z. B. für die Öffnung
und den Verschluss der Urethra notwendig sind.
Die dadurch erreichte Festigkeit in der Scheiden-
wand wirkt gleichzeitig dem hydrostatischen Druck
am Blasenboden entgegen. Das verhindert eine vor-
zeitige Reizung der Dehnungsrezeptoren und damit
einen zu früh ausgelösten Miktionsreflex.
7

Bindegewebe bei gestörter Funktion

7.1 Ursachen für einen Bindegewebeschaden – 47

7.2 Auswirkungen eines Bindegewebeschadens auf die Funktion – 50

7.1 Ursachen für einen sich der Geburtskanal erweitern kann. Das Gleiche
Bindegewebeschaden erfolgt in den Halte- und Stützligamenten.
Ein Weicherwerden der Vaginalwand im Be-
Bindegewebe ist keine tote Materie, sondern eine reich des Hammocks vermindert die elastische
lebende Einheit. Seine Struktur kann verändert Verschlusskraft der Urethra, was zum Urinverlust
werden durch bei körperlicher Belastung, z. B. zur Stressinkonti-
▬ Hormone, nenz in der Schwangerschaft führen kann.
▬ Alter, Eine Abnahme der Scheidenwandspannung
▬ Operationen und kann weiterhin eine vorzeitige Reizung der Deh-
▬ Geburten. nungsrezeptoren in der Blase bewirken und früh-
zeitig den Miktionsreflex aktivieren. Dies macht
sich als Blaseninstabilität, Pollakisurie, Urge und
7.1.1 Einfluss der Hormone Nykturie bemerkbar. Von den Schwangeren wird
dieses als störender Harndrang und häufigen Toi-
Das Bindegewebe in den urogenitalen Organen ist lettengängen wahrgenommen.
hormonempfindlich. Das trifft gleichermaßen auf Die verminderte Gewebespannung kann au-
die Zervix mit reiner Kollagenstruktur wie auch ßerdem für Schmerzen im Beckenbereich verant-
auf die Scheide und die Ligamente im Beckenbo- wortlich sein. Die nachgebenden Sakrouterinliga-
denbereich zu. mente fangen den Zug auf die sie begleitenden
Während der Schwangerschaft wird Kollagen Nervenfasern nicht auf. Im Stehen tritt dann ein
durch Relaxin, Prostaglandine und andere Hor- Zugschmerz nach unten auf.
mone depolymerisiert, wodurch sich der Anteil Die erhöhte Dehnbarkeit des Halte- und Stütz-
von Glykosaminoglykanen (der Begriff Proteogly- gewebes erklärt weiter, warum ein uterovaginaler
kane wird synonym verwendet) im Bindegewebe Deszensus/Prolaps erstmals in der Schwanger-
ändert. Die Vaginalwand wird dehnbarer, damit schaft auftreten kann.
48 Kapitel 7 · Bindegewebe bei gestörter Funktion

Nach der Geburt bilden sich die Bindegewebe- verstärkt auf die langsamen Zuckungsfasern (Slow-
veränderungen meist wieder zurück, wodurch die twitch-Fasern) der nach vorne gerichteten Muskeln
Beschwerden bei den Patientinnen in einem hohen verlassen, damit die Urethra bei Anstrengung, z. B.
Prozentsatz verschwinden. Bei einem Drittel der Spazierengehen, verschlossen bleibt. Meist ermü-
Frauen persistieren die Probleme. den diese Muskelfasern nach etwa 20 min, und es
kommt zum unkontrollierten Harnverlust.
In diesem Zusammenhang sei nochmals an die
7.1.2 Einfluss des Alters auf das Segelanalogie (⊡ Abb. 4.9) erinnert, da sie eine gute
Bindegewebe Illustration des Gesagten darstellt: Wenn Segel und
Schoten nicht dicht geholt werden können, wird
Im Alter wird Kollagen bis zu 400% fester, bedingt die Kraft des Windes nicht auf das Boot übertra-
durch eine Zunahme der inter- und intramole- gen, und es bewegt sich nicht vorwärts. Der Ana-
kularen Verbindungen. Das Gewebe schrumpft. logieschluss ist folgender: Wenn die Schoten (Liga-
Weiterhin wird es rigide und brüchig. Die S-Form mente) lose sind, flattert das Segel (die Scheide) im
des Kollagens kann nicht mehr so leicht gedehnt Wind. So wie ein Boot nicht vorwärts fährt, wenn
7 werden wie in jungen Jahren. das Segel killt, so kann auch eine durchhängende
Weiterhin nimmt der Elastingehalt der Frau Scheide nicht nach vorne gezogen werden, um die
ab einem Alter von Mitte Zwanzig ab. Altersbe- Urethra zu verschließen oder die Dehnungsrezep-
dingter Verlust an Elastin (Yamada 1970) führt toren am Blasenboden zu unterstützen.
zum Nachlassen der Wandspannung, wodurch die Ein altersbedingtes Schrumpfen der Scheide
Kollagenfasern mehr und mehr gestreckt werden. in der Blasenhalszone erklärt das Wiederauftre-
Je weniger funktionsfähiges Elastin vorhanden ist, ten einer Inkontinenz viele Jahre nach einer er-
desto mehr richten sich die Kollagenfasern entlang folgreichen Blasenhalsoperation. Der Zug an der
des Zugs der Schwerkraft aus und geben nach. Vagina in der nicht mehr elastischen Blasenhals-
Die zunehmende Starrheit der Kollagenfibril- region durch die kräftige, hintere Levatormusku-
len und die Verminderung des Elastingehalts mit latur führt zum Öffnen des Blasenausflusstraktes,
dem Alter führen zu einer Abnahme der Dehn- zur Trichterbildung und zum unkontrolliertem
barkeit des urogenitalen Gewebes um bis zu 60% Urinabgang. Die schwächere vordere Muskulatur
(Yamada 1970). Das erklärt die verminderte Elasti- kann das aufgrund der fehlenden Elastizität nicht
zität des Vaginalrohrs mit dem Alter. verhindern. Infolge der starren Scheidenwand öff-
Die Exzision und die Dehnung von Vaginal- net sich der Blasenhals, wenn der Befehl zum
gewebe im Rahmen einer Operation lockert die Verschließen gegeben wird, da die 3 Muskelkräfte
Scheide weiter auf. Deshalb sollte bei einer Opera- nicht mehr koordiniert zusammenwirken können.
tion streng darauf geachtet werden, dass kein Vagi- Da Bindegewebe hormonabhängig ist, können
nalgewebe weggeschnitten wird. Übermäßige Weite Östrogene dem Kollagenabbau vorbeugen und
kann in Länge umgewandelt, zu viel Haut in Schich- sind in der Lage, die Scheidenwandspannung zu
ten übereinandergelegt und die Wand dadurch verbessern. Um den Kollagenverlust zu verhin-
verstärkt werden. Die Scheidenwand, die entfernt dern, ist ab der Menopause eine prophylaktische
wurde, kann sich nicht wieder regenerieren. Östrogengabe, zumindest lokal, sinnvoll.
Der Elastizitätsverlust in der Scheidenwand
wirkt sich funktionell so aus, dass zu wenig Ener-
gie für den Urethraverschluss vorhanden ist. Man 7.1.3 Einfluss einer Hysterektomie auf die
denke an einen Hosenträger, der nicht mehr hält, Funktionsfähigkeit der Ligamente
wenn der Gummizug zerrissen ist. Dies erklärt den
sich langsam entwickelnden unkontrollierten Urin- Der Beckenboden der Frau ähnelt der Kuppel einer
verlust bei Patientinnen mit niedrigem Urethra- Kathedrale (⊡ Abb. 7.1). Im Zentrum dieser Kuppel
verschlussdruck ( Kap. 7.2.1, Abschn. »Intrinsischer liegt der Uterus. Die Zervix uteri stellt den zentra-
Sphinkterdefekt«). Diese Patientinnen müssen sich len Verankerungspunkt dar. Wie außen im Cent-
7.1 · Ursachen für einen Bindegewebeschaden
49 7

an der richtigen Stelle sitzt. Wird ein Stein oder ein


tragendes Teil entfernt, fällt die Kuppel in sich zu-
sammen. Entsprechend verhält es sich mit dem Be-
ckenboden. Wird die komplizierte Architektur des
Beckenbodens durch Entfernung der Gebärmutter
verändert, tritt hier eine vergleichbare Schwächung
auf. Da die Gebärmutter direkt oder indirekt mit
allen wichtigen Stütz- und Haltebändern verbun-
den ist, wird jeder auf sie einwirkende Druck oder
Zug auf die Bänder übertragen. Dadurch werden
die Haltebänder trainiert und gestärkt.
Nach Entfernung der Gebärmutter wirken
⊡ Abb. 7.1. Der Beckenboden der Frau ähnelt der Kuppel Druck und Zug nur noch auf die weiche Scheiden-
einer Kathedrale wand ein, wodurch keine ausreichende Kraftüber-
tragung mehr auf die Ligamente stattfindet. Durch
Atrophie der Bänder kommt es zur Lockerung des
Gewebes, was zu einer Scheidensenkung, Blasen-
und Darmproblemen sowie Unterbauchschmerzen
führen kann.
Wenn eine Hysterektomie (HE) notwendig
wird, ist daher eine beckenbodenerhaltende su-
prazervikale, subtotale HE zu favorisieren. Dabei
ist darauf zu achten, dass der Ramus descendens
der A. uterina belassen wird. Über den Ramus
descendens werden die uterosakralen Ligamente
und der zervikale Ring versorgt.
Muss die Zervix entfernt werden, ist eine in-
trafasziale HE empfehlenswert, bei der die kardi-
nalen und sakrouterinen Ligamente, z. B. durch
Tabakbeutelnähte, zentral vereinigt werden. Da-
durch entsteht eine fibröse Plombe im Zentrum.
Bei Patientinnen nach totaler HE ist die Wahr-
scheinlichkeit erheblich größer, im späteren Le-
ben eine Blasenfunktionsstörung zu entwickeln.
⊡ Abb. 7.2. Die Gebärmutter, zu der nahezu alle Befestigungs-
Inkontinenzprobleme treten in verstärkter Form
bänder des Beckenbodens ziehen, ist zentral im Beckenboden auf (Brown et al. 2000).
verankert und bildet den »Schlüsselstein« der Konstruktion

7.1.4 Einfluss der Geburt auf die


rum tendineum perinei (Perinealkörper) laufen im Funktionsfähigkeit der Ligamente
zervikalen Ring alle Befestigungsbänder zusam-
men: vorne die pubozervikale Faszie, in der Mitte Da Elastin wenig zugfest ist, können bei der Ge-
die Ligamenta cardinalia, hinten die rektovaginale burt Faszien und Ligamente im Bereich von Va-
Faszie und die Ligamenta sacrouterina (⊡ Abb. 7.2). gina und Rektum stark gedehnt werden oder sogar
Der zervikale Ring ist nicht dehnbar und stellt die zerreißen. Die Kreise in ⊡ Abb. 7.3 stellen den Kopf
festeste Struktur im Beckenboden dar. des Babys dar, der durch den Geburtskanal tritt
Eine Kirchenkuppel kann nur dann ihre Form und dabei das Bindegewebe an unterschiedlichen
und Stabilität behalten, wenn jeder einzelne Stein Stellen schädigt. Es gibt 4 Zonen (⊡ Abb. 7.3), in
50 Kapitel 7 · Bindegewebe bei gestörter Funktion

denen Geburtsschäden zu typischen Problemen 7.2 Auswirkungen eines Bindegewebe-


führen können: schadens auf die Funktion
1. Scheidenvorderwand im äußeren, infralevato-
riellen Scheidendrittel Eine ungestörte Funktion setzt eine normale Form
– Defekt des Hammocks der Beckenorgane voraus. Eine normale Form ist
– Defekt des pubourethralen Ligamentes und/ abhängig von intakten Bindegewebestrukturen in
oder den Organfaszien und -ligamenten. Eine Schädi-
– Defekt des externen urethralen Ligamentes gung des Bindegewebes führt zur Formverände-
2. Mittleres, intralevatorielles Scheidendrittel rung und damit zur Funktionsstörung.
– zentraler Defekt mit Pulsionszystozele oder Allerdings leiden nicht alle Patientinnen mit
– lateraler Defekt durch Schädigung des Arcus Bindegewebeschäden unter krankhaften Sympto-
tendineus Fasciae Pelvis (ATFP) men im Urogenitaltrakt. Außerdem gibt es keine
3. Inneres, supralevatorielles Scheidendrittel: Korrelation zwischen Schweregrad der Beschwer-
– Prolaps uteri oder den und dem Ausmaß anatomischer Veränderun-
– Enterozele gen (Jeffcoate 1962a, b). So können Patientinnen
7 4. Scheidenhinterwand im Bereich des Septums mit einem massiven Prolaps keine Symptome auf-
rektovaginale, des Centrums tendineum peri- weisen; andere hingegen mit nur gering veränder-
nei oder des Sphinkters ani externus tem Befund klagen über starke Beschwerden.
– Rektozele Die Art der Symptome hängt davon ab, in
– Defekt des Perinealkörpers welchen anatomischen Strukturen Bindegewebe-
– Mukosa- oder Analprolaps oder schäden vorhanden sind. Dieses Kapitel erklärt,
– Sphinkterriss warum und welche Beschwerden auftreten, wenn
die verschiedenen Faszien und Ligamente geschä-
Da die genannten Strukturen bei Geburten oft digt sind.
zerreißen, kommt es bei Multiparae häufiger zum Aus mechanischer Sicht ist eine ausreichende
Scheidenprolaps als bei Nulliparae. Spannung in der Scheidenwand notwendig,
um die Urethra zu verschließen und die Deh-
nungsrezeptoren am Blasenboden zu unterstüt-
zen (⊡ Abb. 7.4). Die notwendige Spannung wird
durch das fibromuskuläre System in Faszien und
Ligamenten sowie durch Kontraktionen der Slow-
twitch-Muskelfasern erreicht und aufrecht erhal-
ten. Ein Nachgeben der Bindegewebespannung
(L; ⊡ Abb. 7.4) kann zu einer Lockerung in den
Ligamenten (Sprungfedern) oder den Vaginalfas-
zien (Trampolinmembran) und damit zur Dys-
funktion führen.
Wie die Trampolinanalogie (⊡ Abb. 7.4) zeigt,
spannen Muskelkräfte (Pfeile) bei Kontraktion zu-
nächst die Membran und werden erst ab einer
bestimmten Spannung weitergeleitet. Um die Ure-
thra öffnen oder schließen zu können, muss der
Punkt SE in der Zugdehnungskurve erreicht sein
(oberer Teil der ⊡ Abb. 7.4).
Wenn das Bindegewebe geschädigt und eine
⊡ Abb. 7.3. Schematische Darstellung der Zonen (1–4) und
Strukturen, bei denen während der Geburt Bindegewebeschä-
Falte in der Scheide (L) vorhanden ist, muss die
den auftreten können. PUL pubourethrales Ligament, ATFP Ar- Muskelkraft (Pfeile) zunächst den lockeren Ab-
cus tendineus fasciae pelvis, USL uterosakrales Ligament schnitt der Wand (L) glatt ziehen und spannen,
7.2 · Auswirkungen eines Bindegewebeschadens auf die Funktion
51 7

bevor ein suffizienter Zug auf die Vaginalwand 7.2.1 Stressinkontinenz, intrinsischer
ausgeübt wird. Dieser Punkt liegt bei SEL. Weil Sphinkterdefekt, »tethered« Vagina
Muskeln sich aber nur über eine bestimmte Länge
zusammenziehen können (E), wird SEL nicht er- Blase und Urethra können nur dann normal funktio-
reicht und damit die Kraft der Muskeln nicht auf nieren, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
Urethra, Blasenboden und Darm übertragen. Die ▬ Ohne suffizientes Bindegewebe kann die Blase
Folgen davon sind: nicht normal geöffnet oder verschlossen werden.
1. Die Urethra kann nicht verschlossen und ge- ▬ Weiterhin müssen die drei in verschiedene
streckt werden: Stressinkontinenz und/oder Richtungen ziehenden Muskeln (PCM, LP,
ein intrinsischer Sphinkterdefekt resultieren. LMA) (⊡ Abb. 7.5) im Gleichgewicht stehen.
2. Die Dehnungsrezeptoren werden nicht wirk- Lässt die Kraft in einem Muskel nach, so ent-
sam unterstützt, was zum vorzeitig aktivierten steht eine Imbalance und damit eine Störung
Miktionsreflex und zur Detrusorinstabilität bei der Blasenöffnung (Miktion) oder beim
führt. Verschluss (Kontinenz).
3. Der Ausflusstrakt kann nicht normal geöffnet ▬ Für den Verschluss in Ruhe ist eine gute Elas-
werden. Es kommt zur Blasenentleerungsstö- tizität und Kontraktionskraft der Slow-twitch-
rung. Muskelfasern notwendig (⊡ Abb. 7.5).
4. Die Nervenfasern in den uterosakralen Liga- ▬ Für den Verschluss bei Belastung werden zu-
menten werden nicht abgefedert. Schmerzen sätzlich gut funktionierende Fast-twitch-Fasern
sind die Folge. in den 3 Muskeln benötigt.
5. Der anorektale Bereich kann nicht ausreichend
geöffnet und verschlossen werden, was eine
anorektale Obstipation oder Inkontinenz nach
sich zieht.

⊡ Abb. 7.4. Eine Lockerung in der Scheidenwand oder den


Ligamenten kann eine Muskelkontraktion inaktivieren. E Ex- ⊡ Abb. 7.5. Verschluss bei Ruhe – System im Gleichgewicht.
tension, die bei Kontraktion der Levatorplatte im Normalfall LMA longitudinaler Analmuskel, LP Levatorplatte, PCM pubo-
möglich ist, L Bindegewebespannung, N Nervenendigungen, kokzygealer Muskel, PRM puborektaler Muskel, PUL puboure-
SE Zugdehnungskurve für normales Gewebe, SEL = Zugdeh- thrales Ligament, USL uterosakrales Ligament, ZCE Zone der
nungskurve für loses Gewebe kritischen Elastizität
52 Kapitel 7 · Bindegewebe bei gestörter Funktion

▬ Für den normalen Miktionsablauf ist intaktes Stressinkontinenz


Bindegewebe unerlässlich (⊡ Abb. 7.6). Rela- Wenn das Bindegewebe im PUL geschädigt ist
xation des vorne gelegenen Muskels (PCM) (⊡ Abb. 7.7), kann der PCM seine Zugkraft nicht
bewirkt, dass die posteriore Muskelgruppe (LP mehr ausreichend auf die Urethra übertragen.
und LMA) eine ausreichend gespannte Schei- Dadurch wird der Ausflusstrakt bei körperlicher
denwand nach hinten ziehen kann, wodurch Belastung wie bei der Miktion geöffnet. Unfreiwil-
der Ausflusstrakt geöffnet wird, der intraure- liger Urinabgang bei Belastung ist die Folge.
thrale Widerstand abnimmt und Urin abfließt. Stressinkontinenz, unbemerkte Inkontinenz,
Am Ende der Miktion hört der Zug nach hin- permanenter Urinverlust, tröpfchenweiser Urinab-
ten auf, das Gewebe kehrt in die Ausgangsposi- gang haben pathogenetisch eines gemeinsam: Bei
tion zurück und verschließt die Urethra. diesen Formen kann die Urethra infolge eines lo-
▬ Eine weitere Grundvoraussetzung für eine nor- sen Hammocks und/oder eines PUL nicht von der
male Blasenfunktion ist, dass die Blasenhals- nach vorne gerichteten Muskelkraft verschlossen
region elastisch sein muss, damit der anteri- werden.
ore und der posteriore Muskelzug unabhängig Bei diesen Symptomen ist das mechanische
7 voneinander einwirken können. Dieser Bereich Gleichgewicht überwiegend im vorderen Schei-
wird Zone der kritischen Elastizität (ZCE) ge- denbereich gestört.
nannt und reicht von der Mitte der Urethra bis
zum Blasenboden.

⊡ Abb. 7.7. Stressinkontinenz – ein loses pubourethrales Li-


gament (PUL) ist nicht in der Lage, die Urethra von hinten
⊡ Abb. 7.6. Miktion – ein kontrolliertes, vorübergehendes Un- zu verankern und vermindert die Kontraktionskraft von dem
gleichgewicht des Verschlusses. ATFP Arcus tendineus fasciae pubokokzygealen Muskel (PCM), so dass die Levatorplatte (LP)
pelvis, LMA longitudinaler Analmuskel, LP Levatorplatte, PCM und und der longitudinale Analmuskel (LMA) die Urethra bei
pubokokzygealer Muskel, PUL pubourethrales Ligament, USL Belastung aufziehen können. ATFP Arcus tendineus fasciae
uterosakrales Ligament pelvis, USL uterosakrales Ligament
7.2 · Auswirkungen eines Bindegewebeschadens auf die Funktion
53 7
Intrinsischer Sphinkterdefekt
Die in drei verschiedene Richtungen ziehenden
Muskelkräfte strecken bei Kontraktion die Bla-
senhinterwand und das Trigonum, wodurch das
Urethralumen verengt und der venöse Rück-
fluss vermindert werden (⊡ Abb. 5.9). Der Gefäß-
plexus schwillt lumenwärts in Richtung »a« an
(⊡ Abb. 5.10). Die hufeisenförmige Muskulatur
kontrahiert und verschließt das Lumen »a«. Dieser
Mechanismus ist ein zusätzlicher Schutz vor einem
unkontrollierten Urinverlust.
Alle genannten Strukturen inserieren in das
Bindegewebe der Vagina oder das PUL.
Eine Geburt dehnt das Bindegewebe, zuneh-
mendes Alter führt zur Atrophie. Wenn das Binde-
gewebe im PUL und in der Vagina atrophiert, ver-
lieren PCM und der hufeisenförmige Muskel ihre ⊡ Abb. 7.8. Zone kritischer Elastizität im proximalen Urethra-
Kontraktionskraft und werden ebenfalls atrophisch und Blasenhalsbereich

(Huisman 1983). Es kommt zu einer Auflockerung


des PUL, der Vagina, der Urethrawand und des
Gefäßplexus. Das Urethralumen »a« verliert seine
passive Verschlusskraft und dilatiert.
Die Kombination von nachlassender äuße-
rer Verschlusskraft und erweitertem Lumen ver-
mindern den intraurethralen Druck. Es entsteht a b
eine hypotone Urethra oder ein sog. intrinsischer
Sphinkterdefekt.
Patientinnen mit niedrigem Urethraverschluss-
druck müssen sich verstärkt auf ihre Slow-twitch-
Fasern des PCM verlassen, damit die Urethra
auch bei geringer, aber länger anhaltender An-
strengung, z. B. beim Spazierengehen, verschlossen
bleibt. Meist ermüden diese Muskelfasern nach
etwa 20 min, und es kommt zum unkontrollierten
c d
Harnverlust. Dies erklärt den sich langsam entwi-
ckelnden unkontrollierten Urinverlust im Alter. ⊡ Abb. 7.9a–d. Prinzip des massiven Urinverlustes bei »tethe-
red Vagina«. a Im Liegen füllt sich die Blase. Beim Aufstehen
kontrahiert sich die Levatorplatte und öffnet den narbigen
»Tethered Vagina« Trichter. b Ist die Sitzposition erreicht, beginnt Urin aus der
Blase zu fließen, da der Blasenhals starr wie bei einer Gieß-
Ausreichende Elastizität in der ZCE (⊡ Abb. 7.8) ist kanne ist. c Im Stehen entleert sich der Blaseninhalt mit dem
die Voraussetzung dafür, dass die Muskelkräfte ge- hydrostatischen Druck. d Beim Erreichen der Toilette ist nur
trennt nach vorne und nach hinten ziehen können noch wenig Urin in der Blase
und die Blase kontrolliert öffnen oder verschlie-
ßen. Die Zone kritischer Elastizität reicht von der
Urethramitte bis zum Blasenboden. Narbengewebe flusstrakt gewaltsam auf, wodurch unkontrolliert
in diesem Bereich nach Voroperationen kann die- Urin abfließt, ohne dass Harndrang verspürt wird.
ses Muskelwechselspiel inaktivieren. Die stärkere Massiver Urinverlust vor allem beim Aufstehen ist
hintere Kraft zieht dann bei Belastung den Aus- die Folge (⊡ Abb. 7.9).
54 Kapitel 7 · Bindegewebe bei gestörter Funktion

7.2.2 »Over-active-bladder«,
Detrusorinstabilität

Die Blase liegt auf der Scheidenvorderwand


(Trampolinmembran), die ventral über die PUL,
oben seitlich über den ATFP und hinten über die
USL am Beckengürtel aufgehängt ist (Trampolin-
federn). Wenn die Blase sich füllt, spannen die
Beckenmuskeln reflektorisch die Scheidenwand.
Dieses neutralisiert den durch zunehmende Urin-
mengen erzeugten hydrostatischen Druck auf die
Dehnungsrezeptoren und verhindert einen zu
früh einsetzenden Miktionsreflex. Bei Kontrak-
tion von PCM wird die Urethra zusätzlich von
hinten verschlossen, woraus sich der Druckan-
⊡ Abb. 7.10. Periphere Kontrolle der Miktion – die Trampoli-
7 stieg in der Urethra während der Blasenfüllung
nanalogie. Erschlaffte Ligamente können das System ins Un-
erklärt. gleichgewicht bringen und Urgeinkontinenz bewirken. ATFP
Schlaffe Bänder (Trampolinfedern; ⊡ Abb. 7.10) Arcus tendineus fasciae pelvis, N Dehnungsrezeptoren, PUL
oder Faszien (Trampolinmembran) leiten die auf pubourethrales Ligament, USL uterosakrales Ligament
sie einwirkenden Kräfte nicht weiter, so dass die
Scheidenwände nicht ausreichend gespannt wer-
den. Der periphere neurologische Kontrollmecha- dar und differiert von Patientin zu Patientin. Eine
nismus gerät dadurch ins Ungleichgewicht mit der hohe Empfindlichkeit und damit niedrige Reiz-
Folge, dass die Dehnungsrezeptoren (N) bereits schwelle kann sich in gleichen Symptomen äußern
bei niedrigem hydrostatischem Druck (geringem wie schlaffes Bindegewebe.
Blasenvolumen) feuern. Weitere Ursachen für eine unzeitige Aktivie-
Der Kortex interpretiert das als Harndrang rung des Miktionsreflexes sind:
und aktiviert eine Kaskade von Ereignissen, die ▬ Malignome am Blasenboden,
sonst nur bei der Miktion eintreten: ▬ Entzündungen oder
▬ sensorischer Urge, ▬ Narben im Bereich der Dehnungsrezeptoren.
▬ Erschlaffung von PCM,
▬ Öffnen des Ausflusstraktes und Da auch diese Patientinnen Symptome von Detru-
▬ Detrusorkontraktion. sorinstabilität, niedriger Blasenkapazität, sensori-
schem und motorischem Urge, Pollakisurie und
Die Folge ist, dass diese Patientinnen ihre Blase Nykturie zeigen, muss die Ursache vor einer The-
am Tag und nachts häufig entleeren müssen und rapie abgeklärt werden.
die Toilette oft nicht trocken erreichen. Dieser Eine zu geringe Empfindlichkeit in den Deh-
Zustand wird in der heutigen Literatur als »over- nungsrezeptoren des Blasenbodens kann umge-
active-bladder« (überaktive Blase), instabile Blase kehrt eine adäquate Aktivierung des Miktionsre-
oder FUN (Frequency = häufige Frequenz, Urge flexes verhindern. In diesen Fällen wird der Aus-
= quälender Harndrang, Nocturia = Nykturie) be- flusstrakt erst geöffnet, wenn der Detrusor bereits
zeichnet. mechanisch überdehnt ist. Dieser Zustand wird in
Differenzialdiagnostisch können auch andere der Literatur fälschlich als Detrusorhypotonie oder
periphere und zentrale Ursachen für diese Symp- -atonie bezeichnet.
tome verantwortlich sein:
Zentrale Ursachen. Bei Schäden im Hemmzen-
Periphere Ursachen. Die Empfindlichkeit der trum des Kortex – z. B. durch multiple Sklerose,
Dehnungsrezeptoren stellt eine wichtige Variable M. Alzheimer, M. Parkinson usw. (weiße Pfeile in
7.2 · Auswirkungen eines Bindegewebeschadens auf die Funktion
55 7

⊡ Abb. 7.10) – reicht der periphere muskuloelas-


tische Mechanismus nicht aus, einer Blaseninsta-
bilität entgegenzuwirken. Es kommt zur unzeiti-
gen Aktivierung des Miktionsreflexes mit der o. g.
Symptomatik. Entsprechend versagt die zentrale
Kontrolle bei einem Hirntumor oder einer Ent-
zündung.

7.2.3 Blasenentleerungsstörung

Die Blase liegt der Scheidenvorderwand im Be-


reich des Blasenbodens auf und ist hier an ihr
fixiert. Die Blasenhalsregion und das proximale
Urethradrittel sind in der Zone der kritischen
Elastizität frei beweglich. Einen Teil des Blasenbo-
dens bildet das Trigonum (⊡ Abb. 4.22), das haupt-
sächlich aus glatter Muskulatur besteht. Diese
Muskelschicht verläuft von der Blase, entlang der
Urethrahinterwand bis zum Meatus externus und
verhält sich wie ein Ligament. Es schient die Ure-
thrahinterwand und erleichtert dadurch die für
die Miktion notwendige Öffnung des Ausfluss- ⊡ Abb. 7.11. Gestörte Blasenentleerung. Ein loses uterosa-
krales Ligament (USL) inaktiviert eine Kontraktion des lon-
traktes.
gitudinalen Analmuskels (LMA), die benötigt wird, um den
Bei der Miktion erschlafft der PCM. Dadurch Ausflusstrakt aufzuziehen. Eine Zystozele inaktiviert eine
können LP und LMA die Scheide samt Blasenbo- Kontraktion der Levatorplatte (LP). ATFP Arcus tendineus
den nach dorsal ziehen und den Ausflusstrakt öff- fasciae pelvis, PCM pubokokzygealer Muskel, PUL puboure-
nen (⊡ Abb. 5.15, ⊡ Abb. 5.16). Das Urethralumen thrales Ligament
vergrößert sich (O in ⊡ Abb. 5.9).
Wenn infolge von Schlaffheit im ATFP, der
PCF, im USL oder am Blasenboden (⊡ Abb. 7.11)
sich der Ausflusstrakt nicht ausreichend aufziehen 7.2.4 Schmerzen
lässt, nimmt der intraurethrale Widerstand, der
den Urinfluss mitbestimmt, nur wenig ab. Ein ho- Ein Nachlassen der Bindegewebespannung in den
her Druck ist zum Entleeren der Blase notwendig, USL kann dazu führen, dass die in den USL ver-
weil der urethrale Widerstand in der 4. Potenz laufenden unmyelinisierten Nerven nicht mehr
vom Urethradurchmesser abhängt. Klinisch im- vor Zug geschützt werden und dadurch Schmerzen
poniert dies als obstruktive Miktion (Bush et al. im Becken auftreten (⊡ Abb. 7.12). Die Beschwer-
1997). Symptome für diesen Zustand sind: den, die durch lose USL ausgelöst sind, werden
▬ langsame Miktion mit geringem Flow, beschrieben als (Petros 1996):
▬ unfreiwilliges Anfangen und Aufhören der ▬ Ziehen tief im Unterleib (überwiegend rechts-
Miktion, seitig),
▬ Schwierigkeiten, mit der Miktion zu beginnen, ▬ Schmerzen beim Sex in der Tiefe der Scheide
▬ das Gefühl, die Blase nicht ausreichend entlee- und
ren zu können, ▬ Schmerzen im unteren Sakralbereich.
▬ Überlaufblase,
▬ Tröpfcheninkontinenz und Die Intensität kann variieren. Manchmal sind die
▬ Nachtröpfeln. Schmerzen so stark, dass die Patientin als Notfall
56 Kapitel 7 · Bindegewebe bei gestörter Funktion

in der Klinik erscheint. Beim Hinlegen lassen die nixsyndrom bezeichnet. Diese Schmerzen kön-
Beschwerden oft nach. nen auch bei der gynäkologischen Untersuchung
Diese Schmerzen können schon bei gerin- durch Berührung der USL mit einem Spekulum
gem Deszensus des Scheidenfornix auftreten. Sie ausgelöst werden.
werden oft von weiteren Symptomen wie Urge, Für die Richtigkeit der pathogenetischen Er-
Pollakisurie, Nykturie und Blasenentleerungsstö- klärung spricht, dass sich diese Schmerzen in ei-
rung begleitet und dann als sog. posteriores For- nem hohen Prozentsatz durch eine hintere Schlin-
genoperation (pIVS;  Kap. 14.3.2) beheben lassen.
Die Heilungsrate liegt bei 80% (Farnsworth 2001a;
Goeschen 2004; Petros 1997b). Der Eingriff be-
wirkt, dass die in den USL nach S2–4 ziehenden
unmyelinisierten Nervenfasern durch ein neu
eingebrachtes Kunststoffband wieder abgefedert
werden.

7
7.2.5 Anorektale Dysfunktion

Klinische und experimentelle Studien ( Kap. 7.2.6)


haben gezeigt, dass die anorektale Dysfunktion
ähnlich wie eine Blasenfunktionsstörung überwie-
gend durch einen Bindegewebeschaden bedingt
ist.
Eine anorektale Dysfunktion ist definiert als
Unfähigkeit,
▬ den Enddarm normal zu entleeren (Verstop-
fung) oder
▬ den Darminhalt zu halten (Inkontinenz).

Die Mechanik der Defäkation und der Stuhlkon-


tinenz ist nicht genau bekannt. Vorhandene The-
orien zur Erklärung der Kontinenz stehen nicht in
Übereinstimmung mit Elektromyografie-(EMG-)
Untersuchungen und radiologischen Daten, die
einen Mechanismus über den quergestreiften
Sphinktermuskel vermuten lassen. Diese Theorie
wird gestützt durch Befunde von Patientinnen, die
stuhlinkontinent waren und einen neurologischen
Schaden aufwiesen. So konnte Swash et al. (1985)
in einer Studie über die Nervenleitgeschwindig-
keit des N. pudendus zeigen, dass viele seiner
stuhlinkontinenten Patientinnen tatsächlich eine
⊡ Abb. 7.12. Anatomie der uterosakralen Ligamente (USL) Nervenschädigung aufwiesen. Viele andere Pati-
und ihre Bedeutung für die Entstehung von Beckenschmer- entinnen mit Stuhlinkontinenz hatten aber eine
zen. Wenn die uterosakralen Ligamente (rote Pfeile) die un-
normale Leitgeschwindigkeit, was gegen diese
myelinisierten, afferenten Nerven (dünne weiße Linien) ana-
tomisch nicht ausreichend abfedern können, überdehnt sie
Theorie spricht.
die Schwerkraft, was zu Schmerzen im Unterbauch und im Ein Fehlen des internen Analsphinkters (Sul-
Becken führt. G Gravitation, Erdanziehung tan et al. 1993) und Schäden an der motorischen
7.2 · Auswirkungen eines Bindegewebeschadens auf die Funktion
57 7

Endplatte (Swash et al. 1985) werden als weitere lumenrezeptoren gibt, die den Defäkationsreflex
wichtige Ursachen für eine anorektale Dysfunk- auslösen. Dieser wird durch PRM kontrolliert.
tion betrachtet. Defäkation ist nicht das Gleiche wie Öffnung.
Neuere klinische Studien ( Kap. 7.2.6) haben Die Öffnung hängt hauptsächlich von mechani-
gezeigt, dass diese Erkenntnisse keine Prognose schen Faktoren ab. Die Defäkation wird wie bei der
für einen operativen Erfolg oder Misserfolg er- Miktion durch einen neurologischen Reflex ausge-
lauben. löst. Dieser neurologische Reflex koordiniert alle für
Unabhängig von der Ausgangssituation konnte eine effektive Entleerung notwendigen Elemente.
mit einer anterioren und/oder posterioren Schlin- Ins Ungleichgewicht kommt das System durch:
genoperation eine anorektale Dysfunktion in bis ▬ schlaffes Bindegewebe im PUL, USL, RVF, PB
zu 80% geheilt werden. Diese Zufallsbefunde be- oder
stätigen Swashs Beobachtungen, dass Blasen- und ▬ Ausbuchtung der Rektumvorderwand (Rekto-
Darmstörungen dieselbe Ursache haben können. zele).
! Von historischem Interesse ist dabei, dass
Schlaffes Bindegewebe. Eine Öffnung des ano-
Patientinnen mit kombinierter Harn- und
rektalen Winkels kann nur erfolgen, wenn das PUL
Stuhlinkontinenz nach erfolgter suburethra-
und das USL intakt sind, da LP gegen PUL und
ler Schlingenoperation postoperativ erzähl-
LMA gegen USL ziehen (⊡ Abb. 5.24). Bei schlaffen
ten, dass auch ihre Stuhlinkontinenz ver-
Ligamenten bleibt der Winkel erhalten oder wird
schwunden war. Eine Heilung der Stuhlin-
sogar noch dadurch verstärkt, dass PRM in die Lage
kontinenz war in einigen Fällen auch dann
versetzt wird, die anorektale Verbindung übermäßig
vorhanden, wenn die Stressinkontinenz sich
nach vorne zu ziehen. Die Folgen sind starkes Pres-
nicht gebessert hatte. In nachfolgenden
sen, um den Knick zu überwinden, und Verstop-
Jahren berichteten dann auch Patientinnen
fung. LP und LMA sind gleichermaßen für den Ver-
mit einem Defekt in der posterioren Zone,
schluss (⊡ Abb. 5.23) und die Öffnung (⊡ Abb. 5.24)
dass es nach Korrektur des hinteren Becken-
notwendig. Deshalb kann es in beiderlei Hinsicht zu
bodenbereiches zu einer Besserung der
Störungen kommen, wenn ihre Verankerungsliga-
Stuhlinkontinenz und der Darmentleerung
mente PUL und USL geschädigt sind.
gekommen sei (Petros 1999c).

Rektozele (⊡ Abb. 7.13). Wenn der PB und die RVF


defekt sind oder eine Rektozele vorhanden ist, kann
»Stool-outlet-Obstruction« die Rektumvorderwand nicht mehr ausreichend
(Störung der Enddarmentleerung) gestreckt werden. Die Kotsäule gelangt nicht auf
Eine ungestörte Defäkation ist nur möglich, wenn direktem Wege zum Anus, sondern wird zunächst
die Rektumvorderwand gespannt ist. nach ventral in Richtung Rektumvorderwand gelei-
Während der Defäkation (⊡ Abb. 5.24) streckt tet und hier abgebremst. Die Patientin kann trotz
LP die RVF gegen den PB. Wenn gleichzeitig heftigen Pressens ihren Darm nicht mehr kom-
PRM relaxiert, öffnen LP und LMA den anorek- plett entleeren und jeweils nur kleine Kotmengen
talen Winkel, indem sie die Rektumhinterwand absetzen. Die ständige Reizung der anorektalen
nach dorsal ziehen. Durch Kontraktion von PCM Dehnungsrezeptoren führt zu einem permanenten
werden die Scheide und die Rektumvorderwand Stuhldrang und zu häufigen Toilettengängen. Das
nach vorne gezogen, wodurch ein semirigides verstärkte Drücken in die falsche Richtung über-
Rohr entsteht. Dieses erleichtert die Passage von dehnt die RVF weiter und vergrößert die Rektozele.
Fäzes. Es kommt zum Stuhlschmieren, weil der Sphink-
Erfahrungen an Patientinnen mit anterioren ter ein erschlafftes, ständig mit Kot gefülltes Rohr
und posterioren Schlingenoperationen aufgrund nicht kontinuierlich verschließen kann.
von Defäkationsproblemen lassen vermuten, dass Wenn Bindegewebe mit dem Alter weich und
es wie in der Blase anorektale Dehnungs- und Vo- schlaff wird, kann das Rektum nicht mehr zu ei-
58 Kapitel 7 · Bindegewebe bei gestörter Funktion

Es gibt verschiedene Ursachen für eine Stuhlin-


kontinenz. Neben dem Verlust der Wandspannung
im Darm durch Entzündungen, neurologische Er-
krankungen wie multiple Sklerose, Diabetes, Rek-
tumprolaps usw. stellt ein geschädigter externer
Analsphinkter (EAS) den Hauptgrund für eine
Stuhlinkontinenz dar. Der EAS ist an der Stuhl-
kontinenz auf zweierlei Weise beteiligt:
1. direkter externer Analverschluss
2. LMA kann nur wirksam kontrahieren und den
für die Kontinenz wichtigen anorektalen Win-
kel bilden, wenn EAS ausreichend kräftig ist

Der EAS stellt den Insertionspunkt von LMA dar.


Wenn der EAS bei Kontraktion des LMA nachgibt,
7 kann das Rektum nicht abgewinkelt werden. Ähn-
lich wie eine fehlende Rotation der Blase um das
⊡ Abb. 7.13. Rektozele und flacher Damm infolge eines Peri- PUL eine Harninkontinenz begünstigt, kann es bei
nealkörperdefekts Belastung bei nicht ausreichendem Zug des LMA
und fehlendem anorektalem Winkel zum Abgang
von Darminhalt kommen.
nem für die Defäkation notwendigen semirigiden Eine lose oder fehlende Verbindung zwischen
Rohr geformt werden. Das erklärt die zunehmende Beckenbodenmuskeln und -ligamenten kann zur
Häufigkeit von Darmproblemen im Alter. Atrophie des Muskels führen. Bisher ist aller-
Da auch der venöse Rückfluss in einer erschlaff- dings nicht geklärt, welchen Beitrag Beckenmus-
ten Darmwand erschwert ist, werden die Venen keln bzw. die bindegewebigen Strukturen für die
gestaut und gedehnt. Hämorrhoiden, Schmerzen Darmkontinenz leisten. Wahrscheinlich ist aber
und Blutungen sind die Folge. Weiterhin kann sich der Einfluss der Muskulatur für die Kontinenz
durch den Blutstau die Analschleimhaut von der eher gering. Dafür spricht die klinische Erfah-
Serosa ablösen und prolabieren, was oft mit Ulze- rung, dass es zu einer 80%igen Verbesserung der
rationen und Blutungen einhergeht. Der Beweis, Stuhlinkontinenz kommt, wenn ein erschlafftes
dass diese Zusammenhänge richtig sind, konnte PUL und USL operativ durch Polypropylen-Bän-
dadurch erbracht werden, dass Hämorrhoiden und der verstärkt werden.
ein Analprolaps oft verschwinden, wenn alle 3 Le-
vel durch eine posteriore intravaginale Schlingen-
plastik (IVS) operativ korrigiert werden. Die Ent- 7.2.6 Studien zum Öffnen und
wicklung chirurgischer Techniken, die die normale Verschließen des Anorektums
Anatomie durch Zurückbringen dislozierter Struk- unter Berücksichtigung der
turen wiederherstellen, erscheint logischer als das Integraltheorie
Wegschneiden von disloziertem Gewebe.
Bedeutung des LMA und der LP für die
Dynamik des anorektalen Verschlusses
Anorektale Inkontinenz Um den Einfluss des LMA und der LP auf die Dy-
Nach Schweregrad wird die anorektale Inkonti- namik des anorektalen Verschlusses besser verste-
nenz eingeteilt in unkontrollierten Abgang von hen zu können, wurde eine Studie durchgeführt,
▬ Wind, in der 27 Patientinnen mit einer kombinierten
▬ Flüssigkeit oder Stuhl- und Stressinkontinenz mit 20 Patientinnen
▬ Kot. verglichen wurden, die nur unter Stressinkonti-
7.2 · Auswirkungen eines Bindegewebeschadens auf die Funktion
59 7

nenz litten. Als Kontrolle dienten 4 gesunde Pro- Die gegenüberliegende Scheidenhinterwand ist
bandinnen. ebenfalls eng mit dem PB und dem Anus verbun-
Zum Verständnis der funktionellen Anatomie den. Daher muss jede Haltestruktur, die in diesem
wurde bei allen Patientinnen ein Röntgen-Video- Bereich ansetzt – wie z. B. das PUL –, eine Wir-
Myo-Vagino-Proktogramm und ein perinealer kung auf Urethra und Anus ausüben.
und endoanaler Ultraschall durchgeführt: einmal
in Ruhe und ein anderes Mal bei Belastung.
Bei keiner Patientin konnte ein Schaden des
EAS nachgewiesen werden. Ein ausgedünnter IAS
wurde bei 28% der Fälle beobachtet. Dabei wurde
ein IAS-Schaden als kompletter Riss oder Aus-
dünnung der Muskulatur auf <2 mm an beliebiger
Stelle des IAS definiert.
⊡ Abb. 7.14 und ⊡ Abb. 7.15 zeigen die Anato-
mie der Beckenorgane einer gesunden Frau, wie sie
sich in Ruhe oder beim Pressen bei einer Röntgen-
Video-Myo-Vagino-Proktographie verhalten. Diese
Röntgenaufnahmen dienen als Referenzbild für die
in ⊡ Abb. 7.16–7.19 dargestellten Situationen.
Beim Pressen (⊡ Abb. 7.15) werden die pro-
ximale Scheide und das Rektum von der Leva- ⊡ Abb. 7.14. Ruheposition der Beckenorgane bei einer ge-
torplatte (LP) gegen den M. puborectalis (PRM; sunden Nullipara. Laterale Röntgenaufnahme im Sitzen nach
Injektion von 10 ml Kontrastmittel in den Folleykatheterballon
gebogener Pfeil) nach hinten gezogen (Pfeil nach
(B). V Vagina, R Rektum, LP Levatorplatte, PB Perinealkörper, CX
hinten) und dadurch die rektovaginale Faszie und Zervix. Links von »V« ist der opaque Knochen des Femurkopfes
die Darmwand gestreckt. Durch Zug von LMA zu erkennen, der als Referenzpunkt für die Organbewegun-
(Pfeil nach unten) werden Scheide und Rektum gen dient
gleichzeitig nach unten rotiert in das Niveau von
PUL und Perinealkörper. Der vordere Anteil der
Levatorplatte (LP) ist ebenfalls nach unten abge-
winkelt, da LMA bei Kontraktion den vorderen
Anteil von LP und die bereits gestreckte rektova-
ginale Faszie nach unten zieht, die in die LP inse-
riert. Das ist nur möglich, wenn die uterosakralen
Ligamente (USL) intakt sind, da die rektovaginale
Faszie wiederum fest verbunden mit den USL ist
und dadurch die USL zum entscheidenden Veran-
kerungspunkt für den nach unten gerichteten Zug
werden. Wenn das USL bei LMA-Zug nach unten
nachgibt, kann der LMA keine Rotation bewirken.
Der gebogene Pfeil in ⊡ Abb. 7.15 gibt den Be-
⊡ Abb. 7.15. Anorektaler Verschluss bei derselben Patientin
reich an, in dem der PRM seine Wirkung entfaltet. unter Belastung. Die proximale Scheide und das Rektum (R)
Der PRM zieht gegen das PUL und kann den ano- sind von Levatorplatten (LP) nach hinten gezogen worden
rektalen Winkel nur beeinflussen, wenn PUL intakt (Pfeil nach hinten) und nach unten rotiert in das Niveau des
ist. Die unteren 2–3 cm der Urethra sind durch puboethralen Ligaments (PUL) und Perinealkörpers (PB) durch
Zug des longitudinalen Analmuskels (LMA; Pfeil nach unten).
Bindegewebe fest mit der Scheidenvorderwand ver-
Der vordere Anteil der LP ist ebenfalls nach unten abgewin-
wachsen. Das PUL inseriert hier in die Scheiden- kelt. Der gebogene Pfeil gibt den Bereich an, in dem der M. pu-
vorderwand und stellt dadurch einen wirksamen borectalis seine Wirkung entfaltet. »T« ist der vermutliche
Verankerungspunkt für alle 3 Muskelkräfte dar. Verankerungspunkt durch den tiefen M. transversus perinei
60 Kapitel 7 · Bindegewebe bei gestörter Funktion

⊡ Abb. 7.16. Defäkationsproktogramm bei einer stuhlinkon- ⊡ Abb. 7.17. Defäkationsproktogramm. Dieselbe Patientin von
tinenten Patientin im Sitzen ohne Pressen. Im Vergleich zu Abb. 7.16 beim Pressen. Die entsprechenden 3 Vektoren sind
7 Abb. 7.14 und 7.15 sind Vagina (V) und Rektum (R) mehr wie in Abb. 7.15 eingezeichnet, haben aber eine geringere
vertikal ausgerichtet. A Anus, B Foleykatheterballon, LP Leva- Wirkung. Beachte die deutliche Einkerbung der anorektalen
torplatte, PB Perinealkörper Hinterwand, vermutlich bedingt durch eine Kontraktion des
M. puborectalis. Die distale Scheidenhinterwand und die Rek-
tumvorderwand sind nach vorne gezogen. Weiterhin zu erken-
nen ist eine Streckung der Rektumhinterwand mit Einengung
In Ruhe (⊡ Abb. 7.14) und unter Belastung des Lumens und der nach unten abgewinkelte Vorderrand
(⊡ Abb. 7.15) ist der Anus einer normalen Frau der Levatorplatte (LP). Im Verhältnis zu Abb. 7.15 ist der Anus
eng. Dies ist bei der stuhlinkontinenten Frau nur infolge des unzureichenden Verschlusses relativ weit. A Anus, B
in Ruhe der Fall (⊡ Abb. 7.16), während er sich bei Foleykatheterballon, PB Perinealkörper, R Rektum, V Vagina
Belastung (⊡ Abb. 7.17) erweitert.
Den Anus muss man sich als hohles Rohr
vorstellen. Ein Hohlorgan kann nur verschlossen die Analregion nicht nachgibt, kann das Rektum
werden, wenn es bis zu seinem Elastizitätslimit durch Zug nach hinten unten gestreckt werden.
gestreckt wird und die Wand dadurch ausreichend Zur Behandung der Stuhlinkontinenz wird vie-
rigide ist. Erst dann kann Kot das Darmrohr leicht lerorts die Musculus-gracilis-Operation eingesetzt.
passieren und der Darm danach wieder verschlos- Sie dient dem Zweck, die Analregion zu fixieren.
sen werden. Ein solche Situation zeigt ⊡ Abb. 7.17, Dieselbe Wirkung wird durch »Kneifen« er-
in der das Anorektum nicht ausreichend gestreckt zielt, wie das in ⊡ Abb. 7.18 zu erkennen ist.
wird. Infolge von schlaffem Bindegewebe fällt In ⊡ Abb. 7.18 wird die erhebliche Bedeutung
die Muskelwirkung geringer aus. Das führt zum des PB und des PRM deutlich.
unzureichenden anorektalen Verschluss. Abhän-
! Während des Kneifens werden die Becken-
gig von dem Grad der Schädigung werden zu-
organe angehoben (⊡ Abb. 7.18), bei Bauch-
nächst Winde, dann Flüssigkeit und dann fester
presse abgesenkt (⊡ Abb. 7.15). In beiden
Kot unkontrolliert abgehen. Dieses Konzept ist so-
Fällen kommt es zum intraabdominellen
mit ebenfalls vereinbar mit der symptomatischen
Druckanstieg, wobei beim Kneifen der Anus
Gradeinteilung der Stuhlinkontinenz.
verschlossen, bei Bauchpresse geöffnet ist.
Bei der stuhlinkontinenten Patientin fällt im
Diese Beobachtung spricht eindeutig ge-
Vergleich zur normalen Anatomie weiter auf, dass
gen die These, dass ein intraabdomineller
Vagina und Rektum mehr vertikal ausgerichtet sind
Druckanstieg für den Organverschluss ver-
und das Darmlumen, vermutlich infolge fehlender
antwortlich ist.
Wandspannung, weit gestellt ist (⊡ Abb. 7.16).
Ein fixierter Anus ist die Voraussetzung für ei- Bei der Defäkation ist das Anuslumen weitge-
nen suffizienten anorektalen Verschluss. Nur wenn stellt (⊡ Abb. 7.19) im Vergleich zu ⊡ Abb. 7.16 und
7.2 · Auswirkungen eines Bindegewebeschadens auf die Funktion
61 7

⊡ Abb. 7.18. Das wird dadurch ermöglicht, dass die


Levatorplatte die Darmhinterwand nach hinten
(Pfeil) und LMA nach unten (Pfeil) zieht, während
gleichzeitig der puborektale Muskel relaxiert. Aus
der ⊡ Abb. 7.19 geht weiter hervor, dass während der
Defäkation Scheidenhinter- und Rektumvorderwand
nach vorne oben gezogen (Vorwärtspfeil) werden. Da
der M. puborectalis erschlafft ist, kann der Zug nach
vorne nur durch den PCM bedingt sein. Dies weist
erneut auf die Bedeutung des PUL und des PCM
bei der Defäkation hin. Wird die Rektumampulle
nicht ausreichend weit gestellt, resultiert eine Darm-
entleerungsstörung (»stool-outlet-obstruction«).

Bedeutung des PUL für den anorektalen


⊡ Abb. 7.18. Dieselbe Patientin wie in Abb. 7.16 und 7.17 Verschluss
beim Kneifen. Levatorplatte und anorektaler Winkel sind nach Bei einer Patientin, die seit vielen Jahren festen
vorne oben gezogen (Pfeil), vermutlich durch Kontraktion
Stuhl beim Husten oder bei körperlicher Belastung
des M. puborectalis (PRM). Im Gegensatz zu Abb. 7.17 ist der
Anus eng und der anorektale Übergang mehr abgewinkelt. B
verlor, haben Petros et al. folgende Beobachtung
Foleykatheterballon, PB Perinealkörper, PRM M. puborectalis, gemacht:
R Rektum, V Vagina Stuhlabgang bei Belastung konnte verhindert
werden, wenn einseitig die Urethramitte mit ei-
ner Klemme abgestützt wurde. Nach Entfernen
der Klemme kam es wiederum zum Stuhlabgang
bei Belastung. Wenn die Klemme erneut platziert
wurde, sistierte der Stuhlabgang sofort. Dieses
Fallbeispiel zeigt, dass ein festes PUL als Fixpunkt
für LMA dient und damit eine entscheidende Rolle
beim anorektalen Verschluss spielt.

Bedeutung der LP für den anorektalen


Verschluss
Nach Shafik (1995) führt eine Stimulation der
Vagina zu einer Kontraktion der LP, die in die Rek-
⊡ Abb. 7.19. Dieselbe Patientin wie in Abb. 7.18 bei der De- tumhinterwand inseriert und gegen das PUL zieht.
fäkation. Im Vergleich zu den Abb. 7.16–7.18 ist das Anuslu- Wenn das PUL und die Rektumwand intakt sind,
men weitgestellt: vermutlich durch Zug der Darmhinterwand wird die Rektumwand bei einer LP-Kontraktion
durch die Levatorplatte (LP) nach hinten (Pfeil) und durch den
gespannt, wodurch es zur Druckzunahme im Rek-
longitudinalen Analmuskel nach unten (Pfeil) bei gleichzeiti-
ger Relaxation des M. prorectalis. Dabei zieht die LP gegen das
tum kommt.
pubourethrale Ligament (PUL). Scheidenhinter- und Rektum- Um das zu überprüfen, wurde eine weitere
vorderwand sind nach vorne oben gezogen (Vorwärtspfeil). Studie an 10 Patientinnen mit Stuhlinkontinenz
Da der M. puborectalis erschlafft ist, kann der Zug nach vorne (FI) und an 10 gesunden Frauen im gleichen Al-
nur durch den M. pubococcygeus bedingt sein. Im Bereich
ter durchgeführt. Bei allen wurde die Scheide in
des Verankerungspunkts »T« durch den M. perinei profundus
ist jetzt eine Rektozele zu erkennen. A Anus, B Foleykathe-
gleicher Weise digital im Bereich der Urethramitte
terballon, EAS externer Analsphinkter, PB Perinealkörper, R nach vorne gestreckt. Vor und nach Streckung
Rektum, V Vagina wurde der Druck im Analkanal mit einem Gael-
62 Kapitel 7 · Bindegewebe bei gestörter Funktion

tec-Mikrotransducer gemessen. Bei den Patientin- den 30 Patientinnen war der IAS intakt. Darunter
nen mit einer FI (30 cm H2O) war der endoanale waren auch 3 Nulliparae.
Druckanstieg nach Streckung statistisch signifkant
geringer (p <0.034) als bei den gesunden Frauen ! Fazit: 64% Prozent der Frauen wiesen
(47 cm H2O). Das Ergebnis zeigt, dass bei einer FI keinen Sphinkterdefekt auf. Das spricht
der Anorektalbereich bei Zug nicht ausreichend eher dafür, dass ein IAS-Schaden nur eine
gespannt und dadurch kein ausreichender Druck untergeordnete Rolle im Zusammenhang
aufgebaut werden kann. mit einer FI spielt.

Bedeutung des IAS für den anorektalen Bedeutung des sakrouterinen Ligaments
Verschluss und der RVF für die Öffnung und den
In einer weiteren Studie wurde die Bedeutung Verschluss des Anorektums
des IAS für den anorektalen Verschluss überprüft. Eine Patientin mit einem Scheidenprolaps Grad 2–3
Shafik (1990) ist der Meinung, dass der interne nach HE und einem ausgeprägten Defekt des PB
7 Analsphinkter die Aufgabe hat, den Ruhetonus des kam mit Darmentleerungsproblemen und Stuhlin-
Anus zu überwachen, wobei ein Sphinkterschaden kontinenz zur Untersuchung. Im perinealen Ultra-
alleine nicht eine Stuhlinkontinenz auslöst. Sultan schall bot sich folgendes Bild:
et al. (1993) gehen demgegenüber davon aus, dass Der anorektale Winkel war in Ruhe und bei Be-
ein IAS-Schaden die entscheidende Rolle bei einer lastung stark ausgeprägt (⊡ Abb. 7.20). Ein derarti-
Stuhlinkontinenz spielt, weil sie bei endoanalen ger Befund kann am ehesten damit erklärt werden,
Ultraschalluntersuchungen in einem hohen Pro- dass infolge geschädigter sakrouteriner Ligamente
zentsatz der Fälle einen IAS-Schaden nachweisen (SUL) und einer defekten rektovaginalen Faszie der
konnten. Da diese Annahme nicht mit eigenen Er- M. puborektalis die Rektumhinterwand weit nach
fahrungen übereinstimmte (Petros 1999b), wurde vorne ziehen kann, weil im hinteren Beckenbereich
bei 47 Patientinnen mit Stuhl- und Harninkonti- das Widerlager fehlt. Dadurch werden Öffnung
nenz durch endoanale Sonographie überprüft, ob und Verschluss behindert. Es kommt zu Darm-
ein Zusammenhang zwischen IAS-Schaden und entleerungsproblemen und Stuhlinkontinenz, weil
FI besteht. Dabei wurde ein IAS-Schaden als kom- ständig Kot in der Ampulla recti vorhanden ist.
pletter Riss oder Ausdünnung der Muskulatur auf Bei der Patientin wurde eine 3-Level-Korrektur
< 2 mm an beliebiger Stelle des IAS definiert. Fol- der posterioren Zone durchgeführt und dabei die
gende Ergebnisse wurden erfasst: Anatomie der auseinander gewichenen RVF nor-
Der externe Analsphinkter (EAS) war bei allen malisiert, die Scheide gestreckt und die USL durch
Patientinnen intakt. Eine komplette Ruptur des Einbringen eines hinteren Bandes verstärkt.
IAS wurde bei einer Patientin, eine Ausdünnung Postoperativ war die Defäkation normal. Die
bei 16 Patientinnen festgestellt. Bei den verbleiben- sonographische Kontrolle zeigte im Vergleich zur

⊡ Abb. 7.20. Lateraler perine-


aler Ultraschall der Anorek-
talregion (gestrichelte Linie).
In Ruhe und bei Belastung
(Pressen) findet sich ein stark
ausgeprägter, spitzer anorek-
taler Winkel
7.2 · Auswirkungen eines Bindegewebeschadens auf die Funktion
63 7

⊡ Abb. 7.21. Dieselbe Pati-


entin wie in Abb. 7.20 nach
Korrektur der hinteren Zone.
In Ruhe und bei Belastung
ist der anorektale Winkel
deutlich flacher als vor der
Operation

präoperativen einen deutlich flacheren anorektalen Therapeutisch wurden 2 Patientinnen nur mit ei-
Winkel in Ruhe und bei Belastung (⊡ Abb. 7.21). nem anterioren IVS, 9 nur mit einem posterioren
Die Abflachung des puborektalen Winkels ist ver- IVS und 16 mit einer Kombination aus beidem
mutlich dadurch bedingt, dass der puborektale versorgt.
Muskel nach der Operation die Rektumhinter- Postoperativ waren 20 Patientinnen komplett
wand weniger stark nach vorne ziehen kann, weil geheilt, bei 2 Patientinnen hatten sich die Symp-
das Neoligament und die korrigierte RVF dem tome zu 85% gebessert, bei 5 Patientinnen blieben
Vorwärtszug entgegenwirken. die Symptome unverändert. Es fanden sich keine
signifikanten Unterschiede hinsichtlich Nervenleit-
geschwindigkeit und Analdruck. Es konnte keine
Bedeutung einer verzögerten Korrelation zwischen verzögerter Nervenleitge-
Nervenleitgeschwindigkeit, eines schwindigkeit, niedrigem Analdruck, IAS-Schaden
erniedrigten Analdrucks oder auf der einen und dem chirurgischen Ergebnis auf
eines geschädigten IAS für den der anderen Seite nachgewiesen werden.
anorektalen Verschluss Unter den 5 nicht geheilten Patientinnen waren
In einer weiteren Studie wurde in Zusammenarbeit die 2, die nur ein anteriores IVS erhalten hatten.
mit der kolorektalen Abteilung des Royal Perth Kran- Nach Korrektur der hinteren Zone im Rahmen
kenhauses in Perth Australien an 27 Patientinnen mit eines Zweiteingriffs waren auch diese Patientinnen
sowohl Stuhl- als auch Harninkontinenz überprüft, geheilt. Bei den verbleibenden 3 Patientinnen war
welchen Einfluss ein Pudendusnervenschaden, ein nur die Harn-, nicht aber die Stuhlinkontinenz
erniedrigter Analdruck oder ein geschädigter IAS beseitigt.
auf die postoperativen Ergebnisse hat.
Bei allen 27 Patientinnen wurden präoperativ, ! Fazit: Durch Rekonstruktion des bindegewe-
bei 15 postoperativ die Leitgeschwindigkeit des bigen Halteapparats gelang es in 74% der
N. pudendus sowie manometrisch der Analdruck Fälle, die Stuhlinkontinenz zu heilen. Eine
gemessen. Dabei wurden präoperativ folgende verzögerte Nervenleitgeschwindigkeit, ein
Auffälligkeiten festgestellt (Mehrfachnennungen): erniedrigter Analdruck oder ein geschädigter
IAS hatten keinen Einfluss auf das Ergeb-
Verzögerte Nervenleitgeschwindigkeit n = 16 nis. Das spricht eindeutig dafür, dass der
Verschluss- und Öffnungsmechanismus des
Niedrigter Ruhedruck (<40 cm H2O) n = 14 Darmes von denselben Strukturen kontrol-
Niedriger Druck beim Kneifen (<100 cm H2O) n = 19 liert wird wie die Blase.

Geschädigter IAS n = 13
64 Zusammenfassung Sektion III

Zusammenfassung Sektion III


Bindegewebe ist keine tote Materie, sondern eine
lebende Einheit. Seine Struktur kann durch Hor-
mone, Alter, Operationen und Geburten verändert
werden.
Eine ungestörte Funktion setzt eine normale
Form der Beckenorgane voraus. Eine normale
Form ist abhängig von intakten Bindegewebestruk-
turen in Faszien und Ligamenten. Eine Schädigung
des Bindegewebes führt zur Formveränderung und
damit zur Funktionsstörung.
Wenn das Bindegewebe geschädigt und die
Scheidenwände und -haltebänder schlaff sind,
muss die Muskelkraft zunächst den lockeren Ab-
schnitt der Wand glatt ziehen und spannen, bevor
ein suffizienter Zug auf die Vaginalwand ausgeübt
wird. Da Muskeln sich aber nur über eine be-
stimmte Länge zusammenziehen können, wird die
Kraft der Muskeln nicht auf Urethra, Blasenboden
und Darm übertragen. Die Folgen davon sind:
▬ Die Urethra kann nicht verschlossen und ge-
streckt werden: Stressinkontinenz und/oder
ein intrinsischer Sphinkterdefekt resultieren.
▬ Die Dehnungsrezeptoren werden nicht wirk-
sam unterstützt, was zum vorzeitig aktivierten
Miktionsreflex und zur Detrusorinstabilität
führt.
▬ Der Ausflusstrakt kann nicht normal geöffnet
werden. Es kommt zur Blasenentleerungsstö-
rung.
▬ Die Nervenfasern in den USL werden nicht
abgefedert. Schmerzen sind die Folge.
▬ Der anorektale Bereich kann nicht ausreichend
geöffnet und verschlossen werden, was eine
anorektale Obstipation oder Inkontinenz nach
sich zieht.
IV

Teil IV Diagnostik von geschädigtem


Bindegewebe

Einleitung – 67

Kapitel 8 Basisdiagnostik – 69

Kapitel 9 Spezielle Diagnostik – 79

Kapitel 10 Vergleich der ICS-Definitionen und -Diagnosen mit der


Integraltheorie – 111

Zusammenfassung Sektion IV – 117


“This page left intentionally blank.”
Einleitung

Das Diagnosesystem der Integraltheorie soll dieje-


nigen Ligamente oder Faszien des Beckenbodens Die 3 Zonen der Beckenstrukturen mit
identifizieren, die geschädigt sind. Das Erkennen ihren 9 Hauptstrukturen
dieser Strukturen ist wichtig, da die Integralthe-
Vordere Zone
orie davon ausgeht, dass vor allem geschädigtes
Bindegewebe für eine gestörte Organfunktion ver- ▬ Externes urethrales Ligament (EUL)
antwortlich ist. ▬ Suburethrale Scheide (Hammock)
▬ Pubourethrales Ligament (PUL)
! Normalerweise führt ein Bindegewebescha-
Mittlere Zone
den zum Verlust der Gewebespannung. Es
gibt allerdings die bereits mehrfach erwähnte
▬ Arcus tendineus fasciae pelvis (ATFP)
Ausnahme: Nach vorangegangenen Operati-
▬ Pubozervikale Faszie (PCF)
onen kann es infolge Narbenbildung zu einer
▬ Befestigung am Zervixring von PCF
massiven Starrheit in der Mittelzone, der sog. Besonderheit in der mittleren Zone: Exzes-
»Zone der kritischen Elastizität« (ZCE) kom- sive Festigkeit in der Zone kritischer Elastizität
men und das Beschwerdebild eines Tethered- (ZCE) – Ursache starre Narbe, starke Anhebung
Vagina-Syndroms erzeugen (»tethered« = bei Kolposuspension
angekettet, starr).
Hintere Zone
Weil alle Beckenstrukturen eng miteinander ver- ▬ Uterosakrale Ligamente (USL)
bunden sind, unterscheidet das Diagnosesystem der ▬ Rektovaginale Faszie (RVF)
Integraltheorie die in  Kap. 3 und  Kap. 4 genann- ▬ Perinealkörper (PB)
ten 3 Zonen mit ihren insgesamt 9 Hauptstrukturen
(⊡ Abb. 4.30):
68 Einleitung

! Damit die teils komplexen Symptome ent-


flochten werden können, müssen alle ge-
schädigten Bindegewebestrukturen, die für
die Beschwerden verantwortlich sind, präzise
lokalisiert werden (⊡ Abb. 4.30). Dieses Vor-
gehen ermöglicht dem Operateur, geeignete
chirurgische Techniken auszuwählen, mit
denen sich die geschädigten Strukturen repa-
rieren lassen.

Das diagnostische System der Integraltheorie ist


ein sich wiederholender Prozess, der auf den bis-
her in diesem Buch dargestellten Grundlagen der
Beckenbodenanatomie und -funktion basiert. Es
gibt 2 praktische Vorgehensweisen:
▬ Basisdiagnostik für den niedergelassenen,
nicht operativ tätigen Gynäkologen und
▬ spezielle Diagnostik für den Operateur
(⊡ Abb. 9.1).
8

Basisdiagnostik

8.1 Fragebogen und Übertragung der Daten in den


Diagnosealgorithmus – 69

8.2 Vaginale Untersuchung zur Überprüfung der drei Zonen – 70

8.3 Absicherung der Diagnose durch simulierte Operationen – 75

Die Grundlage des Diagnosesystems nach der In- 3. Absicherung der Diagnose durch simulierte
tegraltheorie- für den nicht spezialisierten Gynä- Operationen (⊡ Abb. 8.3). Mithilfe des Fingers
kologen bildet der in graphischer Form dargestellte oder einer Klemme kann bestätigt werden, dass
Diagnosealgorithmus (⊡ Abb. 2.1). ein vorhandener Bindegewebeschaden z. B. für
Er zeigt die 3 Schadenszonen (vorne, Mitte, hin- eine Stress- oder Urgeinkontinenz verantwort-
ten) und die dadurch möglicherweise verursachten lich ist (s. unten).
Symptome (Stressinkontinenz, Blasenentleerungs-
störung usw.) an. Er weist den Untersucher darauf
hin, welche anatomischen Veränderungen bei der 8.1 Fragebogen und Übertragung der
vaginalen Untersuchung besonders zu beachten Daten in den Diagnosealgorithmus
sind (z. B. Urethrozele bei Stressinkontinenz, En-
terozele bei Kreuzschmerzen usw.). Gleichzeitig Symptome bilden die Grundlage des diagnosti-
zeigt er, wie die Diagnose durch spezielle Untersu- schen Prozesses in der Integraltheorie. Bereits für
chungen abgesichert werden kann. Hippokrates waren Symptome das entscheidende
Die Basisdiagnostik (⊡ Abb. 8.1) besteht aus 3 Kriterium für das Erkennen von Fehlfunktionen.
Stufen: Allein aufgrund von Symptomen können Wahr-
1. Erfassen der Beschwerden mit einem Fragebo- scheinlichkeiten abgeleitet werden, mit denen ei-
gen und Übertragung der Daten in den graphisch ner Patientin geholfen werden kann. Diese beträgt
dargestellten Diagnosealgorithmus (⊡ Abb. 2.1). z. B. bei einer Patientin mit Schmerzen im Becken,
2. Vaginale Untersuchung zur Überprüfung der Nykturie, Blasenentleerungsstörung und Pollaki-
Strukturen in den drei o. g. Zonen. Dabei wird surie, also mit einem posterioren Fornixsyndrom,
darauf geachtet, ob in Übereinstimmung mit ca. 80% (Farnsworth 2001a; Goeschen 2004; Petros
dem Diagnosealgorithmus in einer der Zonen u. Ulmsten 1993c, h, i).
Schäden vorhanden sind, die die Symptome Um eine umfassende Information über die
erklären. Symptome zu erhalten, die durch einen Schaden
70 Kapitel 8 · Basisdiagnostik

präzisieren. Hinter den meisten Fragen befindet


sich in Klammern der Buchstabe (A), (M) oder (P)
und eine Zahl. Beispielsweise bedeutet (A80), dass
eine 80%ige Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass
dieses Symptom durch Schäden in der anterioren
Zone, (M) in der mittleren Zone und (P) in der
posterioren Zone des Beckens bedingt ist. (T) steht
für »Tethered Vagina«, (Inf) für Infektion.
Harndrang und häufiges Miktionieren stellen
insofern eine Besonderheit dar, als sie mit na-
hezu gleicher Wahrscheinlichkeit durch Schäden
im vorderen, mittleren oder hinteren Bereich des
Beckens ausgelöst sein können.
Die meisten Fragen haben neben »nein« oder
»ja« ein drittes Kästchen: »manchmal«. Dieses kann
von der Patientin dann angekreuzt werden, wenn
ein Symptom nicht immer, aber häufiger als in 50%
der Zeit vorhanden ist. Eine solche Antwort gibt
8 einen Hinweis auf die Stärke der Beschwerden und
ist besonders hilfreich, um eine Verbesserung oder
Verschlechterung nach Behandlung zu erkennen.

8.2 Vaginale Untersuchung zur


⊡ Abb. 8.1. Basisdiagnostik: Beziehung zwischen graphischem Überprüfung der drei Zonen
Diagnosealgorithmus, dem klinischen Untersuchungsbogen
und der Absicherungstabelle durch simulierte Operationen
! Merke: Die vaginale Untersuchung sollte
immer mit voller Blase durchgeführt werden.
Wenn eine Patientin während einer Untersu-
in einer der 3 Zonen ausgelöst sein können, wird chung keinen Harndrang verspürt, sollte sie
ein spezieller Fragebogen eingesetzt ( Anhang A1). Flüssigkeit zu sich nehmen, bis Harndrang
Die Patientin macht ein Kreuz in die Kästchen, die auftritt.
ihre Symptome am besten beschreiben. Der Arzt
überträgt die Antworten in den graphisch darge- Mithilfe der vaginalen Untersuchung soll die Scha-
stellten Diagnosealgorithmus (⊡ Abb. 2.1). denszone lokalisiert werden, die nach Auswertung
Die Fragen beziehen sich auf folgende Be- des Fragebogens für die Symptome verantwortlich
schwerdegruppen: zu sein scheint. Geschädigte Strukturen und Grad
▬ Stressinkontinenz, des Prolapses werden dann im klinischen Untersu-
▬ Urge mit oder ohne Inkontinenz, chungsblatt eingetragen (⊡ Abb. 8.2).
▬ häufiges Wasserlassen,
▬ Blasenentleerungsstörung,
▬ Darmsymptome, 8.2.1 Vordere Zone
▬ Beckenschmerzen und
▬ allgemeines Befinden. In der vorderen Zone werden 3 Strukturen über-
prüft:
Einige individuelle Fragen innerhalb dieser Grup- ▬ EUL,
pen dienen dazu, die Zone, die am ehesten für die ▬ PUL und
vorhandenen Beschwerden verantwortlich ist, zu ▬ vaginales Hammock.
8.2 · Vaginale Untersuchung zur Überprüfung der drei Zonen
71 8

⊡ Abb. 8.3. Überprüfung der Funktion des Hammocks und


des externen urethralen Ligamentes (EUL) beim Husten mit
⊡ Abb. 8.2. Klinischer Untersuchungsbogen. Er wurde dafür voller Blase vor der Operation in Periduralanästhesie. Der
entworfen, dass der Arzt in seiner Kopie eigene Aufzeichnun- Hammocktest kann auch ohne Analgesie durchgeführt wer-
gen machen kann. Jede Struktur wird beurteilt und einge- den. MU Meatus urethrae externus
tragen, z. B. ob ein ein normales oder loses pubourethrales
Ligament (PUL), externes urethrales Ligament (EUL) oder eine
Rektozele 1., 2., 3. oder 4. Grades vorliegt. ATFP Arcus tendineus
fasciae pelvis, EAS externer Analsphinkter, PB Perinealkörper

EUL. Ein wie ein »Schmollmund« geöffneter Me-


atus externus urethrae spricht für eine Schlaffheit
des EUL, besonders wenn die Mukosa der Urethra
evertiert ist.

PUL. Ein geschädigtes PUL kann folgendermaßen


erkannt werden (Petros u. Konsky 1999): Wenn
eine Patientin beim Husten in Rückenlage Urin
verliert, wird in Urethramitte neben der Harnröhre
⊡ Abb. 8.4. Technik, ein geschädigtes pubourethrales Liga-
auf einer Seite eine stumpfe Klemme platziert und
ment (PUL) zu erkennen. Schematischer 3-D-Blick auf die dis-
die Patientin nochmals zum Husten aufgefordert. tale Vagina, Urethra und Blase. Eine einseitig in Urethramitte
Wenn jetzt beim Husten kein Urin mehr abgeht, platzierte Klemme ahmt den Effekt einer Mitturethraschlinge
spricht das für ein erschlafftes PUL (⊡ Abb. 8.4). nach. Verankerung der Urethramitte normalisiert die Ver-
schlusskräfte, die die Urethralwände beim Husten von »O«
(Stressinkontinenz) nach »C« (Kontinenz) annähern. Bildung
Vaginales Hammock. Ein loses Hammock fällt einer Falte im Hammock (H) kann ebenfalls den Urinverlust
bei der bloßen Betrachtung auf. Es kann aber auch mindern. LMA longitudinaler Analmuskel, LP Levatorplatte,
mit dem sog. Klemmtest überprüft werden, bei PCM pubokokzygealer Muskel
dem im Bereich des Hammocks seitlich eine Haut-
falte mit einer Klemme gebildet wird (⊡ Abb. 8.3;
Petros u. Ulmsten 1990h). Führt die Faltenbildung 8.2.2 Mittlere Zone
zur Verminderung des Urinabgangs beim Husten,
ist das Hammock nicht fest genug, die Urethra zu In der mittleren Zone werden folgende 3 Struktu-
verschließen. ren überprüft:
Dieses Vorgehen stellt einen wichtigen Teil der ▬ ATFP (Lateraldefekt),
vaginalen Standarduntersuchung und einen Bau- ▬ PCF (Zystozele) und
stein der simulierten Operationen dar ( Kap. 8.3; ▬ Befestigung von der PCF am Zervixring (hohe
⊡ Abb. 8.4). Zystozele; transversaler Defekt)
72 Kapitel 8 · Basisdiagnostik

8 ⊡ Abb. 8.5. Zentraler Defekt mit glänzender Schleimhaut ⊡ Abb. 8.6. Lateraldefekt mit Rugae

ATFP. Ein Lateraldefekt zeichnet sich dadurch aus,


dass die Rugae (⊡ Abb. 8.5) noch vorhanden und
die Sulci flach oder nach außen konvex sind.

PCF. Durch einen isolierten Defekt der PCF in der


Scheidenmitte entsteht eine Propulsionszystozele.
Sie ist gekennzeichnet durch eine zentrale, herni-
enartige Vorwölbung der mittleren Scheidenwand
ohne querverlaufende Schleimhautfalten, die sog.
Rugae vaginales. Die vorgewölbte Scheidenhaut
glänzt (⊡ Abb. 8.6).
! Merke: Ein Lateraldefekt kann von einer
Zystozele unterschieden werden, indem
man eine geöffnete Ringklemme beiderseits
lateral in den Sulcus platziert und den ATFP
⊡ Abb. 8.7. Hohe Zystozele
abstützt, wenn die Patientin presst. Wölbt
sich die zentrale Scheidenwand nicht vor,
handelt es sich um einen Lateraldefekt und
Besonderheit in der mittleren Zone
umgekehrt. Zumeist haben Patientinnen aber
Exzessive Festigkeit in der Blasenhalsregion nach
beides: einen zentralen und lateralen Defekt.
vorausgegangenen Operationen weisen auf ein
Tethered-Vagina-Syndrom hin. Infolge einer star-
Befestigung der PCF am Zervixring. Bei einem ren Narbe (⊡ Abb. 8.8) oder starken Blasenhalsan-
Defekt im Zervixring erkennt man eine ballonar- hebung reagiert die Blase wie eine Gießkanne. Ste-
tige Vorwölbung direkt vor der Zervix oder der hen diese Patientinnen aus dem Bett auf und setzen
Hysterektomienarbe, hohe Zystozele, die sich nach ihre Füße auf den Boden, verlieren sie schlagartig
lateral entlang der SUL ausbreitet (⊡ Abb. 8.7). Urin.
8.2 · Vaginale Untersuchung zur Überprüfung der drei Zonen
73 8

⊡ Abb. 8.9. Halbwegsklassifikation. Schematischer 3-D-Blick im


Sagittalschnitt. Das Halbwegsklassifikationssystem berücksich-
tigt 4 Prolapsgrade. Die Beurteilung des Prolapsgrads gelingt
am besten bei leichtem Zug, vorzugsweise im Operationssaal:
Grad 1: Prolaps bis zur Hälfte der Scheide
Grad 2: Prolaps zwischen Hälfte und Introitus
Grad 3: Prolaps außerhalb des Introitus
Grad 4: Totalprolaps, kompletter Vorfall von Uterus und Scheide

⊡ Abb. 8.8. Strangförmige Narben im Bereich der Urethra und


des Blasenhalses nach zahlreichen Voroperationen (»Tethered
Vagina«)
Die Klassifikation bringt in der Praxis keine
Vorteile, da der Schweregrad der Symptome nicht
! Merke: Jede andere Form von Narbenbildung mit dem Ausmaß des Prolapses korreliert. So gibt
in der Scheide sollte ebenfalls im klinischen es Patientinnen mit Totalprolaps, die kaum Be-
Untersuchungsblatt beschrieben werden, da schwerden haben und umgekehrt.
Funktionsstörungen und Beschwerden auch Im Praxisbetrieb erscheint es daher nach wie
dadurch bedingt sein können. vor sinnvoll, die traditionelle Prolapseinteilung,
die sog. Halbwegsklassifikation (⊡ Abb. 8.9) zu ver-
wenden. Sie berücksichtigt 4 Grade. Der jeweilige
8.2.3 Hintere Zone Befund wird in das klinische Untersuchungsblatt
eingetragen (⊡ Abb. 8.2):
In der hinteren Zone werden folgende 3 Struktu- ▬ Grad 1: Zervix/Scheidenpol steht in der Schei-
ren überprüft: denmitte,
▬ USL, ▬ Grad 2: Zervix/Scheidenpol steht im Introitus,
▬ RVF und ▬ Grad 3: Partialprolaps und
▬ PB. ▬ Grad 4: Totalprolaps.

In der deutschen Literatur wird zwischen Senkung USL. Ein Deszensus/Prolaps des Uterus (⊡ Abb. 8.10)
(Deszensus) und Vorfall (Prolaps) unterschieden, oder des Scheidenfornix nach einer HE tritt bei
wobei es sich so lange um eine Senkung handelt, Schädigung der USL auf. Er ist dadurch gekenn-
wie Uterus oder Scheide nicht vor den Introitus zeichnet, dass alle Scheidenwände – vordere, seit-
vaginae getreten sind. Nach Überschreiten dieser liche und hintere – tiefer treten und sich von
Grenze wird vom Vorfall gesprochen. innen nach außen einstülpen (Intussuszeption =
Die Internationale Continence Society (ICS) Einstülpung).
kennt nur den Begriff »Prolaps« und hat eine kom- Im Gegensatz dazu handelt es sich bei der En-
plizierte Einteilung zur Quantifizierung des utero- terozele, die ebenfalls als Folge eines USL-Scha-
vaginalen Prolapses vorgeschlagen. Das Schema ist dens auftritt, nur um eine Vorwölbung der hinteren
schwierig zu verstehen, zeitaufwändig, für wissen- oberen Scheidenwand (⊡ Abb. 8.11), wobei sich der
schaftliche Zwecke zwar gut, für den Routinebe- Douglasraum erweitert. Beim Pressen füllt sich die-
trieb jedoch wenig geeignet. ser Raum mit Rektum, Sigma und Dünndarm und
74 Kapitel 8 · Basisdiagnostik

wird nach unten gedrückt. Bei vorhandenem Ute- nende bewegt wird. Das spricht für ein posteriores
rus verbleibt die Zervix meist im Scheidenfornix. Fornixsyndrom, das oft mit weiteren Symptomen
Nach HE treten Fornix und Scheidenhinterwand wie Pollakisurie, Urge und Nykturie einhergeht.
tiefer. Eine Abgrenzung von einer hohen Rektozele
! Merke: Gehäuft kommen Enterozelen nach
kann schwierig sein. Zumeist gelingt das durch eine
Operationen im Scheidenbereich vor, die nur
bimanuelle rektovaginale Untersuchung.
die vordere und hintere Scheidenwand, nicht
Bei der Untersuchung sollte darauf geachtet wer-
aber den oberen Scheidenpol fixieren. Das
den, ob die Patientin Schmerzen im Rücken oder
Gleiche passiert, wenn die Scheidenachse
Unterleib angibt, wenn die Portio oder das Scheide-
operativ nach vorne, zur Symphyse hin ge-
stellt wird (⊡ Abb. 8.12), wie das z. B. bei der
Vaginafixatio nach Williams u. Richardson der
Fall ist. Die Vagina kann dann vom LMA nicht
mehr abgewinkelt werden. Der nach hinten
gerichtete Zug der LP zieht die hintere Schei-
denwand nach dorsal, der intraabdominelle
Druck nach unten, wobei eine Hernienbil-
dung in diesem Bereich begünstigt wird. Je
8 horizontaler die Scheidenachse verläuft, des-
to geringer die Chance für eine Enterozele.

RVF. Eine Rektozele entsteht durch Überdehnung


der RVF, die sich zwischen Vaginalhinter- und
Rektumvorderwand befindet. Durch Auseinander-
weichen der RVF wölbt sich die Rektumwand in
die Vagina vor (⊡ Abb. 8.13), wobei die Sulci nach
lateral abweichen. Eine Rektozele kann meist von
einer Enterozele durch eine rektale Untersuchung
⊡ Abb. 8.10. Prolaps uteri et vaginae Grad 3–4
abgegrenzt werden.

⊡ Abb. 8.12. Steilstellung der Scheidenachse nach einer Ope-


ration mit Faszienzügeln begünstigt die Enterozelenentste-
⊡ Abb. 8.11. Prolabierende Enterozele Grad 3 hung (blauer Pfeil)
8.3 · Absicherung der Diagnose durch simulierte Operationen
75 8

PB. Schäden im Bereich des Centrum tendineum 8.3 Absicherung der Diagnose
perinei, des PB, äußern sich klinisch als »flacher durch simulierte Operationen
Damm« (⊡ Abb. 8.13). Der Introitus klafft. Bei der
rektovaginalen Untersuchung ist der Damm weich. Simulierte Operationen dienen dazu, eine vorläu-
Da der PB kein Widerlager mehr für den den fige Diagnose, ob eindeutig oder nicht, abzusi-
M. sphinkter ani externus darstellt, ist der Sphink- chern. Sie können nur bei gefüllter Blase durch-
tertonus oft herabgesetzt. geführt werden. Die Patientin muss während der
Untersuchung Harndrang verspüren.
! Merke: Auf das Vorhandensein einer Vor- Bei dieser Technik werden die einzelnen Bin-
wölbung am Scheidenende, an der Schei- degewebestrukturen in den 3 Zonen (⊡ Abb. 8.14),
denhinterwand oder dem PB sollte geachtet mit dem Finger, dem Blatt eines Speculums, ei-
werden, wenn die Patientin presst. Eine ge- ner Gefäß- oder Ringklemme unterstützt oder
ringe Senkung am Scheidenende kann leicht gestrafft. Dabei wird überprüft, ob es zu einer
übersehen werden. Wenn man den hinteren Verminderung des Urinverlusts beim Hus-
Scheidenbereich untersucht, sollte man ten kommt bzw. um wie viel Prozent sich der
daher immer die lateralen Sulci der Schei- Harndrang oder die Schmerzsymptomatik ver-
denvorderwand mit einer geöffneten Ring- ändern.
klemme unterstützen und dann die Patientin Diese Technik vermittelt dem Untersucher
pressen lassen. Der externe Analsphinkter darüber hinaus das Verständnis, welchen Beitrag
wird manuell überprüft. Der jeweilige Be- die einzelnen Bindegewebestrukturen in den 3
fund wird im klinischen Untersuchungsblatt Zonen für Kontinenz, Urge oder Rückenschmer-
eingetragen (⊡ Abb. 8.2). zen leisten.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine exakte Dia-


gnosestellung, insbesondere bei Defekten in der Indikationen für simulierte Operationen
hinteren Zone, nicht immer möglich ist. Die end- ▬ Bei Patientinnen mit Stressinkontinenz (SI)
gültige Diagnose lässt sich dann erst in Narkose werden simulierte Operationen in der vorde-
auf dem Operationstisch stellen. ren Zone durchgeführt, um einen Defekt des
EUL, PUL oder Hammock zu diagnostizieren
(⊡ Abb. 8.3 und 8.4). Um erkennen zu kön-
nen, welchen Beitrag jede einzelne Struktur
zur Kontinenz leistet, sollte der Reihe nach
vorgegangen und jede Struktur für sich geprüft
werden.
▬ Bei Urge mit und ohne Inkontinenz müssen
alle 3 Zonen überprüft werden. Dabei wird da-
rauf geachtet, welche Schritte zur Verminde-
rung des Harndrangs führen:
– vorne: Unterstützung des PUL, EUL, Ham-
mock,
– Mitte: Anheben des Blasenbodens und
– hinten: vorsichtiges Strecken des posterioren
Fornix.
▬ Bei Patientinnen mit Schmerzen im Unter-
leib oder Rücken können die Beschwerden oft
durch Berührung des hinteren Fornix mit dem
⊡ Abb. 8.13. Rektozele bei flachem Damm infolge eines Peri- Spekulum, Finger oder einer Ringklemme re-
nealkörperdefekts produziert werden.
76 Kapitel 8 · Basisdiagnostik

trolliert beim Husten den Urinverlust bei 80%


der Patientinnen mit SI. Häufig vermindert
dieser Test auch den Harndrang bei Patientin-
nen, die unter gemischter Inkontinenz leiden.
▬ Hammock: Der Klemmtest (Bilden einer Falte
im suburethralen Scheidenepithel mit einer
Klemme) kann eine Stressinkontinenz bei 30%
aller Patientinnen komplett kontrollieren. Er
weist darauf hin, wie wichtig ein ausreichend
festes Hammock für die Kontinenz ist (Petros
2003b).
! Merke:
▬ Werden »2« und »3« zusammen ver-
ankert (⊡ Abb. 8.14), kontrolliert das
bei fast allen Patientinnen mit SI den
Urinabgang. Das spricht eindeutig
dafür, dass bei einer mitturethralen
8 Schlingenoperation auch das Hammock
gestrafft werden muss.
▬ Patientinnen mit einer Zysto- oder
Enterozele sollten immer vor und nach
Reposition der Zele zum Husten auf-
gefordert werden, um eine larvierte SI
infolge Abknickung der Urethra nicht
zu übersehen. In diesen Fällen sollten
⊡ Abb. 8.14. Validierungstabelle für simulierte Operationen.
eine suburethrale Schlinge und eine
In die Tabelle wird eingetragen, wie stark der Urinverlust
beim Husten (Stress) bzw. die Harndrangsymptomatik (Urge) Zystozelen- bzw. Enterozelenkorrektur
prozentual abnimmt, wenn die verschiedenen Punkte 1–6 gleichzeitig durchgeführt werden.
in den 3 Zonen mit dem Finger, einem Spekulum oder einer
Klemme abgestützt werden. Die Patientin sollte immer mit
gut gefüllter Blase untersucht werden, so dass sie auch im Simulierte Operationstechnik:
Liegen Harndrang verspürt.
mittlere Zone
1 externes urethrales Ligament (EUL),
2 pubourethrales Ligament (PUL), ▬ Ein vorsichtiges Anheben des Blasenbodens
3 Hammock, »4« mit dem Finger (⊡ Abb. 8.15), einem Speku-
4 Blasenboden,
lum oder einer Klemme vermindert die Urge-
5 lateraler Sulcus des Arcus tendineus fasciae pelvis (ATFP),
6 posteriorer Fornix (uterosakrale Ligamente USL) symptomatik. Wird der Blasenboden hingegen
In der klinischen Routine werden bei Stressinkontinenz (SI) energisch nach oben in Richtung Symphyse
i. Allg. nur die Strukturen 1–3 überprüft. Bei Urgesymptomen gedrückt, verstärkt sich der Harndrang zumeist
müssen alle Strukturen (1–6) getestet werden
erheblich. Dies erklärt, warum Operationen, die
den Blasenhals anheben, einen Neourge und
eine Detrusorinstabilität (DI) auslösen können.
Simulierte Operationstechnik: vordere ▬ Sanfter Druck mit einer Ringklemme auf die
(anteriore) Zone Sulci »5« kann ebenfalls den Harndrang ab-
▬ EUL: Bei etwa 10% der Patientinnen vermin- schwächen, starker Druck hingegen verstärken.
dert ein Fingerdruck auf das EUL den Urinver-
lust oder Urge. ! Merke: Dieses Vorgehen zeigt, wie extrem
▬ PUL: Eine einseitig am PUL (⊡ Abb. 8.4 und »2« empfindlich die Dehnungsrezeptoren am
in ⊡ Abb. 8.14) platzierte Gefäßklemme kon- Blasenhals bei einigen Patienten sind.
8.3 · Absicherung der Diagnose durch simulierte Operationen
77 8

senhalsregion, bei einem PUL-Defekt einen gut


beweglichen Ausflusstrakt mit Trichterbildung
oder Absinken des Blasenhalses (⊡ Abb. 9.9).

Simulierte Operationstechnik:
hintere (posteriore) Zone
Vorsichtiges Strecken des posterioren Fornix
nach hinten »6« (⊡ Abb. 8.14) mit dem hinte-
ren Blatt eines Spekulums oder einer geöffneten
Ringklemme kann Urgesymptome abschwächen.
Starkes Strecken kann die Symptome verstärken.
Das zeigt erneut, wie empfindlich bei einigen
Patientinnen die Dehnungsrezeptoren am Blasen-
boden reagieren.
Durch Streckung des hinteren Scheidengewöl-
⊡ Abb. 8.15. Simulierte Operationstechnik. Der Druck der
Urinsäule wird mechanisch abgestützt. Die Dehnungsrezep-
bes mit dem Finger oder einer Ringklemme lassen
toren »N« können nicht vorzeitig feuern. Afferente Signale sich bei betroffenen Patientinnen Rückenschmer-
zum Kortex bleiben aus. Das Harndranggefühl nimmt ab. PUL zen reproduzieren.
pubourethrales Ligament, USL uterosakrales Ligament Bei einigen Patientinnen, bei denen die SI erst
nach einer HE aufgetreten ist, kann der Urinver-
lust beim Husten erheblich vermindert werden,
wenn das hintere Scheidengewölbe abgestützt wird
Besonderheit in der mittleren Zone. Vor allem (Petros u. Ulmsten 1990a). Des Weiteren kann z. B.
bei älteren Patientinnen (>70 Jahre) mit vorausge- kontrolliert werden, ob der Grund für eine wegen
gangener Scheidenoperation und klassischen Sym- einer SI erfolglos durchgeführte Schlingenopera-
ptomen einer »Tethered Vagina« – Urinverlust di- tion darin liegt, dass der hintere Scheidenbereich
rekt nach dem Aufstehen, sobald sie ihren Fuß auf erschlafft ist.
den Boden setzen – kann es schwierig sein zu ent-
scheiden, ob der unkontrollierte Urinverlust durch
Narbenbildung oder durch ein loses PUL bedingt Grenzen der simulierten Operationen
ist. Diese Abgrenzung ist aber unbedingt notwen- Nicht alle Patientinnen mit Urge in der Anam-
dig, da bei einem losen PUL bzw. einer »Tethered nese haben Harndrang, wenn sie bei voller Blase
Vagina« zwei völlig unterschiedliche Operationen im Liegen untersucht werden. Diese Patientinnen
durchgeführt werden müssen. Für eine »Tethered sollten in einer mehr senkrechten Position unter-
Vagina« spricht folgender simulierter Operations- sucht werden. Bei unklarer Situation kann eine
schritt: simulierte Operation an einem anderen Tag wie-
Geht im Liegen beim Husten kein oder nur derholt werden.
wenig Urin ab, wird der Blasenboden vorsichtig Gelegentlich führt auch das nacheinander
mit einer Klemme gefasst und nach hinten gezo- durchgeführte Verankern der in ⊡ Abb. 8.14 auf-
gen. Eine Streckung der Scheide nach hinten, mit gelisteten Strukturen nicht zur Verminderung des
einem Spekulum oder einer Klemme, führt zu Dranggefühls. In diesen Fällen sollte nochmals
einem ähnlichen Effekt. Massiver Urinabgang bei überprüft werden, ob andere Ursachen für einen
erneutem Husten spricht für ein Tethered-Vagina- Urge vorhanden sind wie z. B. Entzündungen, Bla-
Syndrom, ein unveränderter Urinverlust für einen senkrebs usw.
PUL-Defekt. Bei jüngeren Frauen mit Schmerzen bei der
Eine nachfolgende Ultraschalluntersuchung Tastuntersuchung sind entzündliche Erkrankun-
zeigt bei einer »Tethered Vagina« eine starre Bla- gen, Endometriose usw. auszuschließen.
“This page left intentionally blank.”
9

Spezielle Diagnostik

9.1 Überprüfung der Basisdiagnostik und Erheben von zusätzlichen


Daten und Befunden – 79

9.2 Diagnosefindung durch Analyse und Korrelation der Daten – 104

9.3 Absicherung durch simulierte Operationen – 109

Der spezielle Diagnoseweg wurde für Abteilun- 9.1 Überprüfung der Basisdiagnostik
gen entwickelt, die sich mit komplexer vagina- und Erheben von zusätzlichen Daten
ler Beckenbodenchirurgie befassen. Wenn eine und Befunden
operative Korrektur notwendig erscheint, wird
die Patientin an den Spezialisten überwiesen, der Alle bisher erhobenen Befunde und diagnosti-
eine weitergehende Diagnostik durchführt. Diese schen Schritte
Diagnostik besteht aus 3 Pfeilern: ▬ Patientenfragebogen,
1. Überprüfung der Basisdiagnostik und Erheben ▬ vaginale Untersuchung und
von zusätzlichen Daten und Befunden, ▬ simulierte Operationen
2. Diagnosezusammenfassung durch Analyse und werden nochmals der Reihe nach überprüft und
Korrelation und folgende Zusatzuntersuchungen angeschlossen
3. Absicherung der Diagnose durch simulierte (⊡ Abb. 9.1):
Operationen. ▬ Miktionskalender, der von der Patientin ausge-
füllt wird,
Die erhobenen Daten und Befunde werden in ▬ Vorlagentest, Hustenstresstest, Händewaschtest
das zusammenfassende Diagnoseblatt übertra- zum Überprüfen des Urinverlusts
gen (⊡ Abb. 9.1) und die Diagnose dann mit- ▬ vaginale oder transperineale Ultraschallunter-
hilfe der simulierten Operationen abgesichert suchung, um einen Eindruck über die Becken-
(⊡ Abb. 8.15). bodengeometrie zu erhalten
▬ evtl. Urethrozystotonometrie (UCT), um eine
Aussage über Urethra- und Blasenfunktion
machen zu können.
80 Kapitel 9 · Spezielle Diagnostik

⊡ Abb. 9.1. Spezielle Diagnostik. Sie besteht aus 3 Stufen: Da- gesammelten Daten abgeglichen und angekreuzt, wenn sie
tenerfassung, Diagnosezusammenfassung und Überprüfung übereinstimmen. Die Zonen mit Schädigungen können dann
durch simulierte Operationen. Das zusammenführende Dia- durch Anzahl der Kreuze in der jeweiligen Zone identifiziert
gnostikblatt listet die Bedingungen auf, die für einen Scha- werden. Wenn eine Schadenszone erkannt ist, kann das durch
den in jeder Zone spezifisch sind. Diese Bedingungen sind simulierte Operationen überprüft werden. Dabei interessiert,
in 4 Gruppen gegliedert: Symptome, Untersuchung, Ultraschall inwieweit eine Verankerung spezieller Strukturen zu einer pro-
und Urodynamik. Jede Bedingung in jeder Zone wird mit den zentualen Veränderung von Symptomen oder Urinverlust führt

Dabei hat es sich bewährt, die Diagnostik auf Im Unterschied zur Basisdiagnostik überträgt
2 Tage zu verteilen. Das von den Autoren emp- der Spezialist die Antworten aus dem Fragebogen
fohlene Vorgehen ist in der folgenden Übersicht in eine Graphik, die alle speziellen diagnostischen
( S. 81) »Spezielle Diagnostik: praktisches Vorge- Schritte zusammenfasst (⊡ Abb. 9.1). In diesem Di-
hen« zusammengefasst. agnoseblatt sind die vordere, mittlere und hintere
Zone senkrecht und die Symptome, vaginale Un-
tersuchungsbefunde, Urodynamik und Ultraschall
9.1.1 Der Fragebogen horizontal dargestellt.
Der Spezialist kreuzt in der Diagnosegraphik
Im Rahmen der speziellen Diagnostik wird zum die jeweils vorhandenen Symptome in den 3 Zo-
Erfassen der Symptome derselbe Fragebogen ver- nen an. Kommt ein Symptom in 2 Zonen vor (z. B.
wendet wie bei der Basisdiagnostik ( Anhang A1). Blasenentleerungsstörung in der mittleren und
Der Fragebogen muss also nicht neu von der Pa- hinteren Zone), wird es in beiden Zonen markiert.
tientin ausgefüllt werden, sofern die Patientin ihn Wenn alle Symptome vollständig eingetra-
mitgebracht hat. gen sind, erhält man einen verlässlichen Über-
9.1 · Überprüfung der Basisdiagnostik und Erheben von zusätzlichen Daten
81 9

blick über die Zonen, die für die vorhandenen


Beschwerden verantwortlich sein können. Dies EUL und des Hammocks überprüft, da
erleichtert die Suche nach anatomischen Verän- es keine andere verlässliche Möglichkeit
derungen bei der nachfolgenden vaginalen Unter- gibt, einen Defekt dieser Strukturen zu
suchung (⊡ Abb. 8.2). Die Datenerhebung mithilfe erkennen.
des Fragenbogens fördert außerdem die Objekti- – Bei Urge mit oder ohne Inkontinenz wird
vität des Untersuchers und bietet die Möglichkeit, mithilfe der simulierten Operationen
eine Verbesserung bzw. Verschlechterung nach der überprüft, welche Schritte zur Verminde-
Behandlung zu erkennen. rung des Harndrangs führen.
– Bei Rückenschmerzen werden die hierfür
entwickelten simulierten Operationen
Spezielle Diagnostik: praktisches Vorgehen angewendet.
▬ Die spezielle Diagnostik wird am besten auf – Mithilfe des transperinealen bzw. vagina-
2 Untersuchungstage verteilt. len Ultraschalls wird überprüft, ob Beson-
▬ Es ist empfehlenswert, diese Diagnostik derheiten wie z. B. Trichterbildung, eine
auch bei Patientinnen anzuwenden, bei starke Absenkung des Blasenhalses, ein
denen massive anatomische Veränderungen rotatorischer Deszensus oder ein starrer
wie z. B. Prolaps im Vordergrund stehen. Blasenhals beim Pressen vorhanden sind.
Dieses Vorgehen wird dazu beitragen, Be-
gleitstörungen aufzudecken. Alle diese Befunde werden im zusammen-
▬ Vor der ersten Untersuchung wird der Pati- führenden Diagnostikblatt eingetragen
entin der Fragebogen zugeschickt, den sie (⊡ Abb. 9.2).
zu Hause in Ruhe ausfüllen kann. Die Patientin wird aufgefordert, zu Hause einen
▬ Die Patientin soll mit einer ausreichend Miktionskalender zu benutzen und wenn eine
gefüllten Blase in die Praxis kommen. Inkontinenz vorliegt, einen 24-h-Vorlagentest
durchzuführen.
1. Untersuchungstermin Auch zur zweiten Untersuchung soll die Patien-
▬ Anamnese: tin wiederum mit einer ausreichend gefüllten
– Der Arzt geht mit der Patientin den Fra- Blase in die Praxis kommen.
gebogen durch und überträgt die Daten
in das zusammenführende Diagnostik- 2. Untersuchungstermin
blatt (⊡ Abb. 9.2). Die Informationen aus ▬ Die Arzthelferin wiegt die beim 24-h-Test
dem Fragebogen geben Hinweise darauf, benutzten Vorlagen.
auf was der Arzt bei der Untersuchung ▬ Dann führt sie den Hustenstresstest und
besonders achten muss. den Händewaschtest durch.
▬ Gynäkologische Untersuchung: ▬ Wenn notwendig wird eine urodynamische
– Unter Beachtung des klinischen Un- Untersuchung angeschlossen.
tersuchungsbogens (⊡ Abb. 8.2) wird
überprüft, ob in den 3 Zonen des Beckens
anatomische Veränderungen vorliegen.
Diese Befunde werden im Untersu- Überprüfung der Daten, der Diagnose
chungsbogen eingetragen. und der Therapieentscheidung
– Patientinnen mit Stressinkontinenz wer- Der Arzt überprüft die Patientendaten und kom-
den bei der Untersuchung zum Husten plettiert das zusammenführende Diagnostikblatt
aufgefordert. Anschließend wird mit einer (⊡ Abb. 9.2), mit dem er abschätzen kann, welche
mitturethralen Verankerung oder einem Zone geschädigt ist. Die simulierten Operationen
▼ »Klemmtest« die Festigkeit des PUL, des oder der Ultraschall sollten wiederholt werden,
wenn die Situation unklar ist.
82 Kapitel 9 · Spezielle Diagnostik

⊡ Abb. 9.2. Bei der speziellen Diagnostik wird eine Graphik Zone geschädigt ist. Die Prozentzahlen, die hinter einigen
verwendet, die alle speziellen diagnostischen Schritte zu- Symptomen aufgelistet sind, geben zusätzlich an, wie groß
sammenfasst. Dieses Blatt wurde dafür entworfen, dass der die Wahrscheinlichkeit ist, dass dieses Symptom durch einen
Arzt es kopieren und für jede Patientin zur Aufzeichnung Schaden in dieser Zone bedingt ist. Weitere relevante Da-
benutzen kann. Jeder Befund wird überprüft und dort ein- ten wie z. B. Prolapsgrad, Urgeinkontinenzepisoden/Tag usw.
getragen, wo er zutrifft. Je mehr Kreuze sich in einer Zone können ebenfalls in das zusammenführende Diagnostikblatt
befinden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese eintragen werden
9.1 · Überprüfung der Basisdiagnostik und Erheben von zusätzlichen Daten
83 9

Abhängig vom Leidensdruck und dem Aus- 9.1.5 Hustenstresstest


maß der anatomischen Veränderungen sollte der
Patientin Beckenbodengymnastik oder eine Ope- Beim Hustenstresstest wird eine Patientin mit aus-
ration empfohlen werden. reichend gefüllter Blase aufgefordert, im Stehen
10-mal zu husten. Vor und nach dem Husten wird
die Vorlage gewogen und ein evtl. Urinverlust ve-
9.1.2 Vaginale Untersuchung rifiziert.

Die vaginale Untersuchung entspricht der der Ba-


sisdiagnostik ( Kap. 8.2). 9.1.6 Händewaschtest

Vor und nach dem Händewaschen wird die Vor-


9.1.3 Der 24-h-Miktionskalender lage gewogen, um einen evtl. Urinverlust beim
Händewaschen objektivieren zu können.
Informationen aus dem 24-h-Miktionskalender ver-
bessern die Patientenanamnese. Da die Beschwer-
den von Tag zu Tag schwanken können, gibt ein 9.1.7 Ultraschall
über längere Zeit geführter Miktionskalender das
Symptomenbild klarer wieder. Von Interesse sind Mit einem Ultraschallgerät lassen sich nahezu alle
▬ Miktionsfrequenz tags und nachts, Strukturen darstellen, die auch mit teuren Un-
▬ Episoden von Harndrang und unwillkürlichem tersuchungsverfahren wie Computertomographie
Urinverlust, (CT) oder Kernspintomographie überprüft wer-
▬ Zahl der Vorlagen, den können. Eine Ultraschall-(US-)Untersuchung
▬ Miktionsvolumen und Trinkmenge und ist nicht nur erheblich preiswerter und für den
▬ Restharn. Körper weniger belastend als eine CT, sondern
ermöglicht zusätzlich eine dynamische Betrach-
So lassen sich z. B. auch große Trinkmengen als tung der Beckenorgane: Urethra, Blase, Scheide,
Grund für eine Pollakisurie ausschließen. Die Er- Anus und Rektum in Ruhe, bei Belastung und
gebnisse werden derzeit noch nicht im Entschei- bei simulierten Operationen. Dadurch kann der
dungsbaum berücksichtigt. Untersucher mit der Zeit sein Verständnis dafür
erweitern, welche Rolle normal straffe oder er-
schlaffte Ligamente für die Beckenbodenfunktion
9.1.4 Vorlagentest spielen. Es können weiterhin die Beckenboden-
muskeln und ihre Bewegungen kontrolliert wer-
Ein Vorlagentest ist eine einfache und effektive den. Die US-Untersuchung bietet außerdem die
Maßnahme, mit der sich die Schwere der Inkon- Möglichkeit, Risikofaktoren wie eine kurze oder
tinenz oder das Ergebnis nach einer Behandlung lange Harnröhre, Urethra- oder Blasendivertikel,
abschätzen lässt. So kann z. B. ein kurzer Husten- Blasentumoren und evtl. Fisteln präoperativ zu
stresstest (10-mal Husten bei gefüllter Blase, s. un- erkennen. Des Weiteren lässt sich die Lage von im-
ten) die Wahrscheinlichkeit für einen Defekt in der plantierten Bändern und Netzen überprüfen.
vorderen Zone dadurch erhöhen, dass sich nach
dem Test Flüssigkeit in der Vorlage befindet.
Der 24-h-Vorlagentest sollte dann durchge- Praktisches Vorgehen
führt werden, wenn der Hustenstresstest negativ Beim Perinealscan wird mit einem abgerundeten
und/oder eine Urgesymptomatik vorhanden ist. 3,5-MHz-Abdominalschallkopf ein Sagittalschnitt
Er wird benutzt, um den Schweregrad des Inkon- erzeugt, wobei der Schallkopf zart auf das Peri-
tinenzproblems abzuschätzen. Parallel sollte ein neum aufgesetzt und in Richtung Vagina gedreht
24-h-Miktionskalender ausgefüllt werden. wird.
84 Kapitel 9 · Spezielle Diagnostik

Beim Vaginalscan wird die Vaginalsonde mit und ⊡ Abb. 9.5 zeigen die anatomischen Beziehun-
einem 5-MHz-Schallkopf längs, quer oder schräg gen der Organe in Ruhe zueinander.
an die Stelle der Vagina gebracht, die es zu be- Wenn die Möglichkeit besteht, 2 Bilder neben-
trachten gilt. einander abzuspeichern, lassen sich Ruhe- und
Der Schallkopf wird in einem Winkel von Belastungssituation besser vergleichen (⊡ Abb. 9.6).
5–10° aufgesetzt, bis Urethra und Blase zu erken- Die Blase und die Urethra werden zunächst in
nen sind (⊡ Abb. 9.3). Der Schallkopf wird dann dem ersten Fenster (⊡ Abb. 9.6a) in Ruheposition
langsam weitergedreht, wobei die Urethra und dargestellt. Nach Wechsel in das andere Fenster
die Blase im Bild bleiben müssen, bis die LP, (⊡ Abb. 9.6b) wird während der Belastungssituation
das Rektum und die hinteren Muskeln erschei- der Schallkopf leicht gedreht, um gleichzeitig Ure-
nen. Durch Abwinkeln des Schallkopfes lassen thra und deszendierenden Blasenboden im Bild
sich die Muskelbewegungen erkennen. ⊡ Abb. 9.4 zu behalten. Die 3 Richtungen, in die die Becken-
bodenmuskeln beim Husten und beim Pressen
ziehen, sind einfach zu erkennen.

Ultraschallbeurteilung der vorderen Zone


Mithilfe des Ultraschalls kann in der vorderen
Zone überprüft werden, ob beim Pressen der Bla-
senhals
9 ▬ verschlossen bleibt,
▬ sich öffnet oder erheblich absenkt (>10 mm)
oder
▬ normal beweglich oder immobil ist.

Veränderungen der Urethraweite bei Belastung


oder ein Öffnen des Ausflusstrakts sprechen für

⊡ Abb. 9.3. Benutzung eines Schallkopfs perineal oder trans-


vaginal

⊡ Abb. 9.5. Ultraschallbild in Ruhe. Sagittaler Schnitt in halb-


liegender Position. Die Pfeile am Blasenhals, in der mittleren
und distalen Urethra zeigen die Stellen an, an denen die Ver-
⊡ Abb. 9.4. Röntgenbild in Ruhe. Bei Drehung des Schallkopfs änderungen der Weite in Ruhe und bei Belastung gemessen
kommen die Vagina (V), die Zervix (CX), das Rektum (R), der werden. a Scheidenvorderwand, p Scheidenhinterwand, B
Perinealkörper (PB) und die Levatorplatte (LP) zur Darstellung. Blase, PB Perinealkörper PS Symphyse, R Rektum, U Urethra,
B Blase V Vagina
9.1 · Überprüfung der Basisdiagnostik und Erheben von zusätzlichen Daten
85 9

ein defektes PUL und sichern die Diagnose SI Für ein defektes PUL spricht ebenfalls, wenn
zusätzlich ab. Auch ein erhebliches Tiefertreten eine einseitige Verankerung der Urethramitte mit
des Blasenhalses > 10 mm (⊡ Abb. 9.7a, b) weist auf einer Klemme die Anatomie und die Kontinenz
einen pubourethralen Defekt hin. normalisiert (⊡ Abb. 9.8a, b; Petros u. Konsky 1999).

⊡ Abb. 9.6. a Blase und Ure-


thra befinden sich in Ruhe
in normaler Position. b Beim
Pressen sinkt der Blasenhals
nach hinten unten erheblich
ab, wobei sich der Ausfluss-
trakt öffnet. BH Blasenhals,
PS Pubis symphysis, T Trich-
terbildung, U Urethra

⊡ Abb. 9.7a, b. Patientin mit


Stressinkontinenz. a in Ruhe,
b unter Belastung. Schei-
denvorder- und -hinterwand
werden bei Belastung nach
hinten unten gezogen,
wodurch der Blasenhals sich
öffnet. a vordere Scheiden-
wand, p hintereScheiden-
wand, U Urethra, x untere
Begrenzung des Symphy-
senknochens (PS)

⊡ Abb. 9.8. Perinealer Ultra-


schall bei einer stressinkon-
tinenten Patientin. a Trich-
terbildung bei Belastung.
b Wiederherstellung der
Anatomie und Kontinenz
durch eine einseitige, in Ure-
thramitte platzierte Klemme
(Pfeil). Dieses Vorgehen
ermöglicht den Urethraver-
schluss. a Scheidenvorder-
wand, p Scheidenhinter-
wand, PS Pubis symphysis
86 Kapitel 9 · Spezielle Diagnostik

⊡ Abb. 9.9a, b. Patientin


mit 8 Voroperationen am
Blasenhals. a Der Blasenhals
(BH) ist in Ruhe stark nach
oben hinten gezogen, wo-
durch die Blasenhinterwand
eingefallen ist. b Beim Pres-
sen bleibt der Blasenhals in
seiner Position, wobei sich
nur die Blasenhinterwand
nach hinten in ihre normale
Position bewegt. U Urethra

9
⊡ Abb. 9.10. a Blase in
Ruhe: nahezu gestrecktes
TVT-Band (»tensionfree
vaginal tape«) an der Grenze
vom äußeren zum mittleren
Urethradrittel. b Blase beim
Pressen: Nimmt das TVT-
Band mehr eine Hufeisen-
form an, verschiebt es sich
zum mittleren Urethradrittel
und unterstützt in der High-
pressure-Zone die Ureth-
rahinterwand. U Urethra, T
TVT-Band

Nach vorangegangenen Operationen am Bla- sollte sich ein suburethrales Band an der Grenze
senhals kann es sein, dass sich der Blasenhals vom distalen zum mittleren Urethradrittel befin-
beim Pressen kaum bewegt, obwohl die Patien- den und einen Abstand von 3–5 mm von der Ure-
tin beim Husten oder Pressen erhebliche Urin- thrawand aufweisen (⊡ Abb. 9.10a). Bei Belastung
mengen verliert. Ein immobiler, starrer Blasen- wird die Harnröhre von hinten von dem Band
hals spricht für ein Tethered-Vagina-Syndrom gestützt und durch den Bauchdruck nach unten
(⊡ Abb. 9.9). gedrückt, wodurch sich das Band dann im mitt-
Nach Durchführung von Inkontinenz- und leren Urethradrittel befindet. Hier in der High-
Deszensusoperationen ermöglicht die Sonographie pressure-Zone (⊡ Abb. 9.10b) kann es seine volle
eine Überprüfung der Anatomie und Funktion. Wirkung entfalten.
Netze oder Bänder lassen sich meist gut darstellen. Wenn das Band beim Pressen nicht in den mitt-
Die Untersuchung erfolgt bei gefüllter Blase in leren Urethrabereich gelangt, kann das der Grund
Ruhe und beim Pressen oder Husten. Idealerweise für eine fortbestehende SI sein (⊡ Abb. 9.11).
9.1 · Überprüfung der Basisdiagnostik und Erheben von zusätzlichen Daten
87 9

⊡ Abb. 9.11a, b. Patientin


mit persistierender Stress-
inkontinenz nach Legen
eines TVT-Bandes (»tensi-
onfree vaginal tape«). a In
Ruhe liegt das TVT-Band
(roter Strich) gestreckt im
äußeren Urethradrittel.
b Bei Belastung rutscht das
TVT-Band nicht bis in den
mittleren Urethrabereich

⊡ Abb. 9.12a, b. Subure-


thrale Schlinge im Quer-
schnitt. a In Ruhe weist das
Urethralumen eine längso-
vale Form auf. b Bei Belas-
tung wird die Urethra von
hinten durch das TVT-Band
(»tensionfree vaginal tape«)
gestützt und verändert ihre
Form von längs- in queroval

Weiterhin kann die Lage und Funktion des US-Beurteilung der mittleren Zone
TVT-Bandes im Querschnitt überprüft werden. In In der mittleren Zone kann mithilfe der US-Unter-
Ruhe weist das Urethralumen eine längsovale Form suchung überprüft werden, ob
auf (⊡ Abb. 9.12a). Bei Belastung wird die Harnröhre ▬ Veränderungen der Anatomie in Ruhe oder bei
von hinten verankert und verändert dadurch ihren Belastung vorliegen und
Querschnitt von längs- auf queroval (⊡ Abb. 9.12b). ▬ ein implantiertes Netz ausgebreitet ist und sich
Wenn diese Formveränderung nicht auftritt, spricht in richtiger Position befindet.
das dafür, dass das TVT-Band zu weit von der
Wand entfernt oder zu lose ist und damit keine aus- Eine Zystozele ist einfach als Ausstülpung nach
reichende Verankerungsfunktion hat. unten direkt hinter dem Blasenhals zu erkennen,
Bei Restharnbildung und De-Novo-Urge-Sym- die sich beim Pressen verstärkt (⊡ Abb. 9.13 und
ptomatik kann überprüft werden, ob das TVT- ⊡ Abb. 9.14). Dadurch wird der Blasenhals kompri-
Band nicht zu nah am Blasenhals sitzt. miert, was sich klinisch als larvierte Stressinkon-
88 Kapitel 9 · Spezielle Diagnostik

tinenz äußert. Die Form der Ausstülpung kann diagnostizieren, muss der Schallkopf mehr lateral
unterschiedlich sein. auf den Sulcus gerichtet sein. Unproblematisch
Ein paravaginaler Defekt ist von perineal oder lässt sich ein Lateraldefekt hingegen von abdomi-
transvaginal schwierig darzustellen. Um ihn zu nal erkennen (⊡ Abb. 9.15).
Eine sonographische Darstellung einer Blasen-
Scheiden-Fistel ist eher die Ausnahme, kann aber
bei starkem Urinverlust infolge einer großen Fistel
ebenfalls gelingen (⊡ Abb. 9.16).
Nach Korrektur einer Zystozele mit einem Netz
kann des implantierte Netz meist eindeutig im Sa-
gittal- und Transversalschnitt identifiziert werden
(⊡ Abb. 9.17, ⊡ Abb. 9.18). Dabei lässt sich erken-
nen, ob das Netz flach ausgebreitet ist und auf bei-
den Seiten in gleicher Höhe befestigt wurde.

⊡ Abb. 9.13. Massive Zystozele im Sagittalschnitt: Bereits in


Ruhe befindet sich der hintere Blasenbereich im Scheidenpro- ⊡ Abb. 9.15. Lateraldefekt (L; links) im abdominalen Ultra-
laps. BH Blasenhals, Z Zystozele schall. Querschnitt. Z Zervix

⊡ Abb. 9.14a, b. Sagittal-


schnitt bei Patientin mit Zys-
tozele. a in Ruhe : normale
Anatomie. b Beim Pressen
wird die Zystozele (Z) er-
kennbar. Dadurch wird der
Blasenhals (BH) komprimiert
und ein Urinabgang beim
Pressen verhindert (larvierte
Stressinkontinenz
9.1 · Überprüfung der Basisdiagnostik und Erheben von zusätzlichen Daten
89 9
US-Beurteilung der posterioren Zone
In der hinteren Zone kann ebenfalls sonographisch
überprüft werden, ob
▬ Veränderungen der Anatomie in Ruhe oder bei
Belastung vorliegen und
▬ ein implantiertes Band oder Netz ausgebreitet
ist und sich in richtiger Position befindet.

Um Anus und Rektum darzustellen (⊡ Abb. 9.19),


muss der Schallkopf mehr nach hinten gerichtet
werden. Hinter dem Rektum kann manchmal der
⊡ Abb. 9.16. Massive Inkontinenz bei Blasen-Scheiden-Fistel nach
LMA als vertikale Aufhellung gesehen werden, der
Hysterektomie. Blase und Scheide sind mit Flüssigkeit gefüllt die LP mit dem externen Analsphinkter verbindet.
Eine hinter dem LMA gelegene horizontale Auf-
hellung entspricht der LP.
Bei der gesunden Patientin bewegt sich LP
beim Husten und Pressen nach hinten oben, wo-
bei die vordere Begrenzung einen Winkel nach
unten beschreibt. Bei einem defekten PB kann
man oft nach einem Zug nach oben ein kurzes Zu-
cken nach unten erkennen. Ein Halten des PB mit
dem Finger normalisiert die nach unten gerichtete
Winkelbildung im vorderen LP-Bereich. Mithilfe
dieser Untersuchung lässt sich überzeugend dar-
stellen, dass der PB dazu beiträgt, den externen
⊡ Abb. 9.17. Patientin aus Abb. 9.4 nach Korrektur mit einem Analsphinkter zu fixieren und den LMA-Zug nach
Netz (Pfeil). Sagittalschnitt. BH Blasenhals unten zu ermöglichen.

⊡ Abb. 9.19. Sagittaler Schnitt durch die hintere Zone: nor-


⊡ Abb. 9.18. Darstellung eines implantierten Netzes im Quer- male Anatomie. R Rektum, LMA longitudinaler Analmuskel,
schnitt. ATFP Arcus tendineus fasciae pelvis LP Levatorplatte
90 Kapitel 9 · Spezielle Diagnostik

⊡ Abb. 9.20. Sagittaler Schnitt durch das Becken nach Korrek-


tur durch eine posteriore intravaginale Schlingenplastik. Der
Pfeil zeigt auf das Band. ⊡ Abb. 9.22. Transversaler Schnitt mit Darstellung des inter-
nen Analsphinkters (IAS)

ten gekippt (⊡ Abb. 9.22). Dabei kann die Dicke


9 des vorderen und hinteren Anteils des internen
Analsphinkters gemessen werden. Das ist weniger
unangenehm als eine endoanale Sonographie.

9.1.8 Urodynamik

Nach dem Verständnis der International Conti-


nence Society (ICS) sollte eine Urodynamik haupt-
sächlich dann durchgeführt werden, wenn der Ver-
dacht auf eine Detrusorinstabilität (DI) besteht und
zwar deswegen, weil nach Meinung der ICS die DI
eine Kontraindikation für eine Operation darstellt.
⊡ Abb. 9.21. Sagittaler Schnitt durch das Becken nach Kor-
rektur der vorderen und hinteren Scheidenwand mit Mesh. B
Diese Betrachtungsweise schließt anatomische
Blase, aM anteriores Mesh, pM posteriores Mesh, V Vagina, PB Defekte als Ursache für eine DI und die Mög-
Perinealkörper, LP Levatorplatte lichkeit einer Heilung durch operative Korrektur
gänzlich aus.

Außerdem kann überprüft werden, wie weit


ein posteriores Band die Scheide nach kaudal Anatomische Grundlagen der
zieht und ob es sich in richtiger Position befindet urodynamischen Messung
(⊡ Abb. 9.20). Eine entsprechende Überprüfung der Ein Drucktransducer misst den Druck in der Blase,
Lage kann auch nach Implantation eines Netzes der Urethra und dem Rektum. Der gemessene
erfolgen (⊡ Abb. 9.21). Druck im Rektum wird dem im Abdomen gleich-
Der interne Analsphinkter kann ebenfalls so- gesetzt und vom Blasendruck abgezogen. Das er-
nographisch, am besten mit einem 5-MHz-Schall- gibt den Detrusordruck.
kopf vom Perineum aus lokalisiert werden. Der Allerdings ist dieses methodische Vorgehen
Schallkopf wird auf den PB gesetzt und nach hin- nicht präzise. Das Rektum ist wie die Blase ein
9.1 · Überprüfung der Basisdiagnostik und Erheben von zusätzlichen Daten
91 9

Behälter, der von einem glatten Muskel umgeben gestreckt und die N nicht genügend abgestützt
ist. Eine peristaltische Kontraktion des Muskels werden, wodurch der Miktionsreflex vorzeitig ak-
kann die Messung verfälschen. Wenn der Transdu- tiviert wird. Der PCM relaxiert und der Urethra-
cer unterhalb des Diaphragma pelvis liegt, wird er druck nimmt ab. Das Nachlassen der Scheiden-
außerdem vom externen Analsphinkter und vom spannung bewirkt eine verstärkte Reizung der N
PRM mit beeinflusst. und führt zur Detrusorkontraktion. In der Mess-
Nur ein intraperitoneal liegender Messkatheter kurve schlagen sich diese Druckschwankungen als
kann den Bauchdruck exakt wiedergeben. Dieses, DI nieder. Entzündungen oder Druck auf die N
einen invasiven Eingriff erfordernde Ansinnen ist durch Krebs, Uterusmyome oder Narben können
in der Routine nicht durchführbar. durch direkte Reizung der Rezeptoren zum glei-
Eine gute Möglichkeit, einen tatsächlichen chen Messergebnis führen.
Druckanstieg bei einer DI zu erkennen, besteht
dann, wenn eine phasische Kurve in der Blase
abgeleitet wird. Dieses Muster entsteht, wenn der Beziehung zwischen urethralem
Miktionsreflex aktiviert wird und dadurch Druck- Widerstand, Druck und Durchfluss
schwankungen auftreten (⊡ Abb. 9.34). Die Urethra ist das Rohr, das die Blase mit der
Wenn die Blase bei einer gesunden Patientin Außenwelt verbindet. Wenn die Blase sich kontra-
aufgefüllt wird, strecken die drei in verschiedene hiert, versucht sie ihren Inhalt gegen den urethra-
Richtungen ziehenden Muskeln reflektorisch die len Widerstand nach außen zu pressen.
Scheidenwände und fangen den hydrostatischen
Druck ab. Das vermindert den Druck auf die am ! Wie bereits erwähnt, verhält sich der ure-
Blasenboden vorhandenen Dehnungsrezeptoren thrale Widerstand umgekehrt proportional
(N). Durch den Muskelzug werden gleichzeitig die zur 4. Potenz des Radius (r4; ⊡ Abb. 9.23) und
Urethrawände gespannt und angenähert, wodurch direkt proportional zur Länge (⊡ Abb. 9.24).
der Urethradruck ansteigt, was üblicherweise wäh- Daher übt erschlafftes Bindegewebe, das den
rend der Füllungsphase beobachtet wird. Radius verändert, einen unverhältnismäßig
Besitzen die Ligamente keine ausreichende großen Einfluss auf Kontinenz und Blasenent-
Spannung, kann die Scheide nicht mehr wirksam leerung aus.

⊡ Abb. 9.23. Einfluss des Urethraradius


auf den Austreibungsdruck. Die drei
nach vorne, hinten und unten ziehen-
den Muskeln verändern den urethralen
Widerstand in der 4. Potenz beim Ver-
schluss und die zwei nach hinten unten
ziehenden Muskeln bei der Miktion
92 Kapitel 9 · Spezielle Diagnostik

Der urethrale Widerstand ist die Hauptvariable, die Können die zwei nach hinten gerichteten Mus-
die Blasenfunktion und urodynamische Messung kelkräfte das Rohr nicht erweitern und der Radius
beeinflusst. Der Widerstand wird kontrolliert von r bleibt bestehen, muss der Blaseninhalt gegen den
dem muskuloelastischen System, das die Urethra 16fach höheren Widerstand ausgepresst werden.
öffnet und verschließt. Der Durchmesser der Ure- Der Patient empfindet das als Obstruktion.
thra bestimmt den Druck und die Fließgeschwin- Wird umgekehrt beim Husten der Urethrara-
digkeit während der Miktion. dius von 2r auf r verengt, tritt Urin erst bei einem
Das Hagen-Poiseuille-Gesetz stellt die Grund- Blasendruck >160 cm H2O auf.
lage für das Verständnis der Urodynamik dar. Es Der urethrale Widerstand ist direkt proporti-
erklärt, was sich während des Verschlusses (Kon- onal zur Länge der Harnröhre. Verkürzt sich die
tinenz) und der Öffnung (Miktion) des urethralen Harnröhre um die Hälfte, indem sich der Aus-
Rohres abspielt. Es gibt an, dass der Druck, der flusstrakt trichterförmig öffnet, halbiert sich der
zum Auspressen einer Flüssigkeit durch ein Rohr urethrale Widerstand (⊡ Abb. 9.24). Fehlender Zug
notwendig ist, vom Widerstand in diesem Rohr nach hinten beeinträchtigt die Trichterbildung und
abhängt ist. Das heißt, der Flusswiderstand ist di- erhöht den Auslasswiderstand, was ebenfalls als
rekt proportional zur Rohrlänge und indirekt zum Obstruktion wahrgenommen wird.
Radius, und zwar in der 4. Potenz.
Dieser Zusammenhang wird in ⊡ Abb. 9.23
dargestellt: Verdoppelt sich im urethralen Rohr bei Beziehung zwischen Beckenboden- und
der Öffnung der Radius von r auf 2r, senkt sich der Abdominalmuskulatur
9 Miktionsdruck um 24, also den Faktor 16. Da die Beckenboden- und Abdominalmuskulatur
embryologisch den gleichen Ursprung haben (Po-
wer 1948), aktiviert eine Kontraktion der Becken-
muskulatur automatisch die Bauchmuskulatur und
erhöht damit anteilig den intraabdominalen Druck.
Dies erklärt die Beobachtung von Enhörning (1961)
und Constantinou (1985), dass beim Husten der
Urethradruck häufig vor dem Blasendruck ansteigt.
Die Urethradruckzunahme ist bedingt durch die
zuerst einsetzende Beckenbodenkontraktion, ein
Blasendruckanstieg durch die nachfolgende Kon-
traktion der Abdominalmuskeln.

Dynamik der Urethradruckveränderungen


Druck ist Kraft pro Fläche. Der Druck, der an ver-
schiedenen Punkten der Urethra mit einem Druck-
transducer gemessen wird, ist bestimmt durch die
Kraft, die auf diesen Punkt des intraurethralen
Bereichs einwirkt.

Verschlussdruck
Der Urethraverschlussdruck (UVDR) ist definiert
als Urethradruck minus Blasendruck. Norma-
lerweise liegt auch unter Stressbedingungen der
⊡ Abb. 9.24. Einfluss der Urethralänge auf den Pressdruck.
Während der Miktion verkürzt eine Trichterbildung deutlich
Druck in der Harnröhre über dem Druck in der
die Urethralänge. Dadurch werden Widerstand und Press- Blase. Ein normaler UVDR in Ruhe sollte einen
druck reduziert Wert haben, der größer oder gleich 100 cm H2O
9.1 · Überprüfung der Basisdiagnostik und Erheben von zusätzlichen Daten
93 9

minus dem Alter der Patientin ist, also bei einer den Druckanstieg in der Blase beim Husten. CTR
50-Jährigen mindestens 50 cm H2O oder bei einer wird in Prozent angegeben.
70-Jährigen mindestens 30 cm H2O betragen. Ein normal festes Hammock und ein PUL
Im Stressprofil, also z. B. bei Hustenbelastung, sind notwenig, um die proximale und distale Ure-
sollte der UVDR über 20 cm H2O liegen. Von einer thra bei Belastung, z. B. Husten zu verschließen
hypotonen Urethra wird gesprochen, wenn der (⊡ Abb. 9.25). Der nach unten ziehende LMA ar-
UVDR unter 20 cm H2O liegt. beitet gegen das PUL. Eine Verbesserung der SI
nach Korrektur der hinteren Zone (pIVS) zeigt,
! Eine hypotone Urethra verschlechtert den
dass auch die USL, die in den LMA inserieren, eine
Erfolg bei der herkömmlichen Inkontinenz-
wichtige Rolle beim Urethraverschluss spielen.
chirurgie und bedarf daher besonderer Be-
Wenn beim Husten der distale Verschluss-
achtung.
mechnismus nicht funktioniert und die Weite sich
Bei einem UVDR von 0 cm H2O gibt es physika- in der distalen Urethra nicht ändert, ist der hier
lisch keinen Widerstand für den herausfließenden gemessene Druck niedrig, weil die Fläche größer
Urin. Interessanterweise gibt es dennoch zahlreiche ist als im proximalen Bereich (⊡ Abb. 9.25 unteres
Patientinnen, die bei einem UVDR von 0 cm H2O Bild). Die Husten-Transmissions-Rate ist niedrig
keinen Urin verlieren. Denn selbst dann können (⊡ Abb. 9.27).
Reibungswiderstand und Verschlussdruckdyna- In Fällen, in denen das PUL schlaff ist, kann
mik einen Urinverlust verhindern. Das zeigt, dass durch den LP-/LMA-Zug des Blasenbodens nach
auch der Parameter UVDR zur Abschätzung der hinten die proximale Urethra verlängert und ver-
Prognose unsicher ist. engt werden. Beim Husten wird dann in der pro-
ximalen Urethra eine hohe CTR gemessen, obwohl
Husten-Transmissions-Rate die Patientin stressinkontinent ist.
Die Husten-Transmissions-Rate (CTR) ist das Ver- Wird hingegen der LMA-Zug nach hinten
hältnis von urethralem Druckanstieg geteilt durch durch ein loses USL inaktiviert und die distale

⊡ Abb. 9.25. Einfluss der


Länge der pubourethralen
Ligamente (PUL) auf den
Urethradruck. Ein loses PUL
kann erheblich von LP/LMA
gedehnt werden. Dadurch
kann die proximale (p) Ure-
thra gestreckt und verengt
werden (unteres Bild). Ein
schlaffes PUL kann keinen
Widerstand gegen den nach
vorne ziehenden Musculus
pubococcygeus leisten, der
für den Verschluss der dista-
len (d) Urethra erforderlich ist
94 Kapitel 9 · Spezielle Diagnostik

Urethra nicht gestreckt, bleibt der Verschlussdruck gezogen wird. Der Urethradruck steigt in der pro-
niedrig. Die Patientin hat eine niedrige CTR und ximalen Urethra an, erreicht in der »high pressure
ist trotzdem kontinent, wenn der distale Ver- zone« im mittleren Urethradrittel den höchsten
schlussmechnismus funktioniert. Wert und fällt dann in distalen Urethra wieder ab.

Valsalva-Verschlussdruck
Der Valsalva-Verschlussdruck in Urethramitte liegt Pathologisches Urethradruckprofil
meist < 100%. Bei stressinkontinenten Patientin- Wenn das Gewebe in Urethramitte schlaff ist, z. B.
nen kann bei Belastung infolge des PUL-Defektes bei atrophischem hufeisenförmigen Skelettmuskel,
zumeist eine Trichterbildung bei der US-Untersu- losem Hammock oder defektem PUL, resultiert
chung nachgewiesen werden. Sind die USL eben- eine abgeflachte Urethradruckkurve (9.27d) Dieser
falls erschlafft und ist damit der LMA-Zug nach Befund wird als hypotone Urethra oder intrinsi-
hinten gering, bleibt die distale Urethra relativ eng, scher Sphinkterdefekt bezeichnet (s. oben UVDR).
woraus ein positiver Valsalva-Verschlussdruck ⊡ Abb. 9.27a–e, zeigen Messungen des Urethra-
resultiert (⊡ Abb. 9.25). Daher weist ein positiver drucks bei zwei stressinkontinenten Patientinnen.
Valsalva-Verschlussdruck bei stressinkontinenten Die Kräfte, die in Blase (Abdomen) und Urethra
Patientinnen auf ein loses USL hin (Petros u. erzeugt werden, stehen in direktem Verhältnis
Ulmsten 1993j). zueinander. Daher ändert sich der dynamische
Urethradruck bei Belastung und gibt einen mo-
Normales Urethradruckprofil mentanen Index des Wechsels der intraurethralen
9 Das Profil der Urethradruckkurve hängt haupt- Fläche an.
sächlich von der Masse der hufeisenförmigen Ske- Bei der ersten Patientin mit SI (⊡ Abb. 9.27a, b)
lettmuskulatur ab, die vor allem im mittleren Drit- bewirkt eine Verankerung der Urethramitte mit
tel der Urethra anzutreffen ist (⊡ Abb. 9.26). Die einer Klemme denselben Effekt wie ein erfolgreich
über das PUL auf die Urethramitte einwirkenden gelegtes suburethrales Band. Ruhedruck (oberes
Muskelkräfte tragen ebenfalls zur Festigkeit dieses Bild) und Verschlussdruck (mittleres Bild) steigen
Bereichs bei. Das PUL inseriert in Urethramitte. deutlich an. Die Verankerung durch eine Klemme
Das glockenförmige Urethradruckprofil ent- ermöglicht es dem nach hinten ziehenden LP-
steht dadurch, dass der Drucksensor des Mess- Muskel, das Trigonum zu strecken. Gleichzeitig
katheters (T2 in ⊡ Abb. 9.26) durch die Urethra bewirkt er im Bereich des Hammocks, dass die

⊡ Abb. 9.26. Urethradruckmes-


sung bei normaler Anatomie.
Schematischer Longitudinal-
schnitt durch die Urethra. T1
und T2 sind 6 cm voneinander
entfernte Drucktransducer. Bei
Zug des Messkatheters durch
die Urethra entsteht eine Glo-
ckenkurve mit dem Maximum
in Urethramitte (»high pressure
zone«). PUL pubourethrales
Ligament, SM Skelettmuskulatur
9.1 · Überprüfung der Basisdiagnostik und Erheben von zusätzlichen Daten
95 9

Urethra entlang ihrer gesamten Länge von hinten aber weiterhin auf Null sinkt. Die Patientin wird
verschlossen werden kann (⊡ Abb. 9.28a, b). also nach einer suburethralen Schlinge weiterhin
Ein niedriger Druck in der distalen Urethra stressinkontinent sein.
trotz Verankerung weist auf ein loses Hammock Wird hingegen einseitig eine Hautfalte mit ei-
hin. Diese Situation ist in ⊡ Abb. 9.27d, dargestellt. ner Klemme im suburethralen Hammock gebildet
Bei dieser Patientin führt eine Verankerung der und dadurch der PCM-Zug verstärkt (⊡ Abb. 9.27e),
Urethramitte nur zu einer Zunahme des Ver- steigt der Verschlussdruck zwar etwas geringer als in
schlussdrucks (mittleres Bild), der beim Husten ⊡ Abb. 9.27d an, sinkt aber beim Husten in der »high

⊡ Abb. 9.27a–e. Urethradruckprofil bei 2 stressinkontinenten d Verankerung der Urethramitte (MUA) bei der »c-Patientin«
Patientinnen. 1. Patientin a und b. 2. Patientin c–e. führt zu einem Anstieg des urethralen Ruhe- und Verschluss-
a Bei jedem Hustenstoß fällt der Urethraverschlussdruck auf drucks, wobei der Verschlussdruck beim Husten weiterhin auf
Null (mittleres Bild). Null sinkt (mittleres Bild).
b Verankerung der Urethramitte (MUA) bei derselben Pati- e Nach Bilden einer unilateralen Hammockfalte im distalen
entin führt zu einem deutlichen Anstieg des Ruhedrucks in Urethrabereich steigt der Verschlussdruck geringer als in d an
der Urethra (oberes Bild) und zu einem erheblich höheren (mittleres Bild), sinkt beim Husten aber im mittleren Urethra-
Verschlussdruck (rote gestrichelte Linie) ohne negative Druck- drittel (roter Pfeil) nicht mehr ab, sondern steigt.
transmissionen beim Husten (mittleres Bild). Die grüne Kontur stellt Blase und Urethra dar. Der rote Pfeil
c (andere Patientin) Beachte den niedrigen Urethraruhedruck markiert die Urethramitte. Die rote gestrichelte Linie gibt das
(oberes Bild) und Urethraverschlussdruck, der beim Husten auf Ruhedruckprofil der Urethra wieder
Null sinkt (mittleres Bild).

⊡ Abb. 9.28a, b. Anatomie der ersten Patientin (Abb. 9.27a, (s. Abb. 9.27a). b Ein Anker in Urethramitte (Pfeil) normalisiert
b) mit Stressinkontinenz im Ultraschallbild. a Beim Husten die Anatomie und das Urethradruckprofil (s. Abb. 9.27b). a
öffnet sich der Ausflusstrakt; es kommt zur Trichterbildung Scheidenvorderwand, p Scheidenhinterwand, PS Pubis sym-
und zum Absinken des Verschlussdrucks mit Urinabgang physis
96 Kapitel 9 · Spezielle Diagnostik

pressure zone« (roter Pfeil) nicht mehr ab, sondern Urodynamik des Verschlusses und der
steigt. Diese Patientin benötigt zusätzlich zur sub- Miktion
urethralen Schlinge eine Straffung des Hammocks. Die Blase hat 2 stabile Phasen: geschlossen und of-
Ist die Urethra durch Voroperationenen zu ei- fen. In ⊡ Abb. 9.30 und ⊡ Abb. 9.31 wird der Schalt-
nem starren Rohr geworden ( Kap. 8, »Tethered Va- kreis, der die geschlossene Phase bestimmt, rot und
gina«), lässt sich keine eigentliche Kurve mehr auf- der offene grün dargestellt. Beide Phasen unterlie-
zeichnen. Der Druck ist in der gesamten Urethra gen einer zentralen und peripheren Steuerung.
konstant niedrig (⊡ Abb. 9.29), wobei die Füllflüs-
sigkeit aus dem starren Rohr herausfließen kann. Geschlossene Phase (⊡ Abb. 9.30). Wenn die Blase
sich füllt, werden die Dehnungsrezeptoren zuneh-
mend stimuliert, die afferente Impulse produzie-
ren. Diese Impulse werden zum einen durch das
200 0 Hemmzentrum unterdrückt, das wie eine Falltür
schlagartig die Afferenzen blockiert, und zum an-
150 deren durch die drei die Scheidenwand strecken-

Pura
cmH2O 100

50
9
0
200 0

150

Pclo
cmH2O 100

50

0
200 0

150

Pves
cmH2O 100

50
⊡ Abb. 9.30. Geschlossene Blase. Die von den Dehnungs-
rezeptoren (N) erzeugten afferenten Impulse werden vom
0 0 Hemmzentrum geblockt. Gleichzeitig wird vom Kortex der
0.00 10.00 20.00 30.00 Befehl gegeben (roter Pfeil), die Scheidenvorderwand durch
den M. pubococcygeus (PCM), die Levatorplatte (LP) und den
⊡ Abb. 9.29. Urethradruckprofil bei einer Patientin mit »Tethe- longitudinalen Analmuskel (LMA) zu strecken und »N« abzu-
red Vagina«. Infolge des starren Rohres lässt sich nur ein gerin- stützen, wodurch die Reizung der Dehnungsrezeptoren wie-
ger Druck aufbauen, der in der gesamten Urethra nahezu der abnimmt. Die geschlossene Phase ist rot und die offene
konstant ist und fast parallel zur Nulllinie verläuft grün dargestellt
9.1 · Überprüfung der Basisdiagnostik und Erheben von zusätzlichen Daten
97 9

den Muskeln (PCM, LP, LMA), die den Blasen- werden dann nicht mehr unterdrückt. Der PCM
boden abstützen und damit den hydrostatischen relaxiert, ermöglicht der LP und dem LMA die
Druck des Urins auf die Dehnungsrezeptoren neu- Vagina und die aufsitzende Blase nach hinten zu
tralisieren. Diese doppelte Absicherung verhindert ziehen und den Ausflusstrakt zu öffnen. Der De-
eine ungewollte Miktionsauslösung. trusor kontrahiert und der Urin fließt ab.

Offene Phase (⊡ Abb. 9.31). Wenn die Menge


der Impulse so groß ist, dass das Hemmzentrum Normale Miktion bei normaler
diese nicht mehr unterdrücken kann, gelangen sie Gewebeelastizität
zum Kortex und werden als Harndrang wahrge- Damit eine ungestörte Entleerung erfolgen kann,
nommen. muss der Ausflusstrakt in Form eines Trichters
Um die Blase auf Wunsch öffnen zu können, bis zur Urethramitte geöffnet werden, wodurch
muss die Falltür aufgehen und die afferenten Reize der Urethrawiderstand erheblich sinkt. Die ana-
zum Kortex durchlassen. Die zentralen Impulse tomische Situation im lateralen Zystogramm zeigt
⊡ Abb. 9.32.
Die Urodynamik bei der normalen Miktion ist
in ⊡ Abb. 9.33a–c aufgezeichet. Nach Anstieg des
Blasen- und Detrusordrucks (⊡ Abb. 9.33a, b) fließt
Urin ab (⊡ Abb. 9.33c).
Die Flowkurve (⊡ Abb. 9.33c) weist durch ge-
wolltes Anhalten und Loslassen des Urins Druck-
schwankungen auf. Am Ende der Miktion kehrt
die Flowkurve auf das Null-Niveau zurück.
Zu diesem Zeitpunkt, am Ende der Miktion, ist
ein deutlicher Anstieg des Detrusor- und Blasen-

⊡ Abb. 9.32. Normale Miktion im lateralen Zystogramm. Der


⊡ Abb. 9.31. Blasenöffnung. Werden bei gefüllter Blase zu Ausflusstrakt ist durch Nachgeben des pubourethralen Liga-
viele afferente Impulse zum Kortex geschickt, wird das Hemm- mentes (PUL) und Kontraktion der Levatorplatte (LP, dicker
zentrum geöffnet. Der Kortex gibt den Befehl (grüner nach un- weißer Pfeil nach hinten) und des longitudinalen Analmuskels
ten gerichteter Pfeil) den M. pubococcygeus (PCM) erschlaffen, (dicker weißer Pfeil nach unten) bis zur Urethramitte geöff-
LP und LMA kontrahieren zu lassen, wodurch der Ausfluss- net. Nach der Miktion kehrt die Urethra in die geschlossene
trakt geöffnet wird. Der Detrusor kontrahiert und presst den Position zurück (gelbe gestrichelte Linie). B Blase, CX Zervix, R
Urin gegen einen geringen Widerstand nach außen (Miktion) Rektum, USL = uterosakrales Ligament, V = Vagina
98 Kapitel 9 · Spezielle Diagnostik

⊡ Abb. 9.33a–c. Druckkurven


von Blase (a), Detrusor (b), Ure-
thraflow (c) bei der normalen
Miktion. Nach Anstieg des Bla-
sen- und Detrusordrucks (a und
b) fließt Urin ab (c). Die Flow-
kurve (c)weist durch gewolltes
Anhalten und Loslassen des
Urins Druckschwankungen auf
und kehrt am Ende der Miktion
9 auf das Null-Niveau zurück. Zu
diesem Zeitpunkt ist ein deut-
licher Anstieg des Blasen- und
Detrusordrucks zu erkennen
(a und b)

drucks zu erkennen (⊡ Abb. 9.33b). Der Druckan- wellenförmige Blasendruckkurve bei einer Detru-
stieg entsteht dadurch, dass am Ende der Miktion sorinstabilität (⊡ Abb. 9.34) und wird von der Pati-
die nach hinten ziehenden Muskeln relaxieren, die entin als Urge-Episoden wahr genommen.
Vagina in ihre Ausgangsposition vor der Miktion
zurückkehrt und die Urethra verschließt (gelbe Beispiel 1 I I
gestrichelte Linie in ⊡ Abb. 9.32). Die noch anhal- ⊡ Abb. 9.34a–c stammt von einer Patientin mit
tende Kontraktion des Detrusors bei geschlosse- instabiler Blase. Die Gipfel (rote Pfeile) zeigen
ner Urethra wird als Phase »nach Kontraktion« die Öffnungs-, die Wellentäler die Verschluss-
bezeichnet und erklärt den Anstieg des Detrusor- phase des Miktionsreflexes an. Durch Wechsel
und Blasendrucks. der offenen und geschlossenen Phasen ent-
steht eine sinusoidale Kurve. Berge und Täler
geben die Zeit wieder, die beim Umschalten
Urodynamische Blaseninstabilität von einem zum anderen Modus verstreicht.
(vorzeitig aktivierter Miktionsreflex) ⊡ Abb. 9.34a zeigt das Urethradruckprofil (U).
Bei Patientinnen mit einer instabilen Blase kann In ⊡ Abb. 9.34b ist der Urethraverschlussdruck
Harndrang schon bei geringer Blasenfüllung auf- (CP) aufgezeichnet. ⊡ Abb. 9.34c stellt den Bla-
treten. Ein Händewaschtest schwächt die zentrale sendruck (B) dar.
Hemmung der afferenten Impulse zusätzlich ab, Während der gesamten Untersuchungen tre-
wodurch Detrusorkontraktionen ausgelöst werden ten Detrusorschwankungen auf. Es ist gut zu
können. Bevor die Gegensteuerung greift, verge- ▼
hen einige Sekunden. Dieser Ablauf erklärt die
9.1 · Überprüfung der Basisdiagnostik und Erheben von zusätzlichen Daten
99 9

erkennen, dass die Relaxation der Urethra (r–r1, dafür, dass die Urethra verschlossen werden
⊡ Abb. 9.34a) der Detrusorkontraktion (c–c1, kann.
⊡ Abb. 9.34c) vorauseilt und früher endet. Der Elastizitätsverlust führt zu einer Kaskade von
dadurch ausgelöste ungewollte Urinabgang Ereignissen, die den Miktionsreflex frühzeitig
wird in ⊡ Abb. 9.34b gezeigt. aktivieren. Die Dehnungsrezeptoren werden
Aus Sicht der Chaostheorie sind die Phasen schon bei geringer Füllung gereizt. Das bringt
»offen und geschlossen« zwei miteinander die Blase dazu, zwischen Verschluss und Öff-
konkurrierende, sich allerdings aber auch er- nung hin und her zu pendeln, bis die offene
gänzende Ereignisse (⊡ Abb. 9.35). Normale Phase die geschlossene überwindet und es zum
Gewebeelastizität ist eine Grundvoraussetzung Urinverlust kommt.

⊡ Abb. 9.34a–c. Urodynamische Blaseninstabiltät durch vor- ⊡ Abb. 9.35. Detrusorinstabilität. Kann die Blase infolge eines
zeitige Aktivierung des Miktionsreflexes. a Urethradruckprofil Elastizitätsverlusts nicht über längere Zeit verschlossen wer-
(U), b Urethraverschlussdruck (CP), c Blase (B). Die roten Pfeile den, führt das zur Blaseninstabilität mit offenen und geschlos-
in U und B zeigen die Wellenberge der sinusoidalen Schwin- senen Phasen. Die Zeit, die beim Umschalten zwischen den
gung an. Beachte, dass die Relaxation der Urethra (r–r1, a) der beiden Phasen verstreicht, stellt sich graphisch als sinusoidale
Detrusorkontraktion (c–c1, c) vorauseilt und früher endet. Da- Kurve dar. Dieser Prozess entspricht dem des Feedbacksys-
durch kommt es zum ungewollten Urinabgang von 16,6 g (b) tems in der Chaostheorie
100 Kapitel 9 · Spezielle Diagnostik

Beispiel 2 I I
Für eine Patientin mit Urgeinkontinenz ist im
täglichen Leben typisch, dass sie z. B. beim Ein-
kaufen anhält, ihre Beine überkreuzt und ihren
Harndrang durch »Kneifen« zu unterdrücken
versucht. Beim Kneifen werden die Beckenbo-
denmuskeln nach oben gezogen, die Scheiden-
wände gestreckt und die Dehnungsrezeptoren
der Blase abgestützt. Dadurch wird die Zahl der
afferenten Impulse zum Kortex reduziert. Der
Harndrang nimmt ab.
Die urodynamische Messkurve einer dieser Pati-
entinnen ist in ⊡ Abb. 9.36a–c dargestellt. Beim
Händewaschtest mit voller Blase verspürt die
Patientin ab »X« Harndrang (⊡ Abb. 9.36a). Trotz
des Versuchs, den Urin anzuhalten, beginnt der
Urethradruck zu sinken. Einen Urinabgang ver-
hindert sie zunächst durch Kneifen. Beim weite-
ren Händewaschen kommt es zu einem dramati-
schen Abfall des Urethradrucks (⊡ Abb. 9.36a, b),
9 der Detrusor kontrahiert (⊡ Abb. 9.36c) und Urin
fließt ab (roter Pfeil, ⊡ Abb. 9.36b).
⊡ Abb. 9.37 gibt die anatomische Situation
im lateralen Zystogramm wieder, die sich bei
der Patientin abspielt (⊡ Abb. 9.36). Durch das
Kneifen (gelber Pfeil) werden die LP angehoben,
die Scheidenwand nach vorne gezogen und die ⊡ Abb. 9.36a–c. Urodynamische Aufzeichnung einer Urgein-
Dehnungsrezeptoren abgestützt. kontinenz provoziert durch einen Händewaschtest. a Urethra-
druckprofil, b Urethraverschlussdruck, c Detrusordruck. X Be-
ginn der Urethrarelaxation (a, b). y Beginn des Urinabgangs
(c), d Maximum der Detrusorkontraktion (c). Dadurch kommt
es zum ungewollten Urinverlust (roter Pfeil, b)
Blasenentleerungsstörung
(Auslassobstruktion)
Sind die Urethrawände aufgrund von schlaffem
Bindegewebe kollabiert und behindern dadurch
während der Miktion den Urinfluss, gleicht das
Symptomenbild einer Auslassobstruktion. Die in
diesen Fällen zumeist durchgeführte Bougierung
der Urethra kann keinen Erfolg haben, da das
Lumen nicht eng, sondern nur der Auslasswider-
stand aufgrund der aneinander liegenden Wände
erhöht ist.
Die Harnflussmessung einer Patientin mit
Blasenentleerungsstörung zeigt ⊡ Abb. 9.38. Die
⊡ Abb. 9.37. Anatomische Situation der in Abb. 9.36 aufge-
EMG-Elektrode liegt im posterioren Fornix, um
zeichneten Urodynamik im lateralen Zystogramm. Durch Knei-
Kontraktionen der LP aufzeichnen zu können. Das fen werden die Beckenbodenmuskeln (gelber Pfeil) angespannt,
EMG ist aktiviert, bevor Urin abfließt (roter Pfeil). Levatorplatte (LP), Vagina, Rektum und Blasenboden nach oben
Das beweist zum einen, dass die LP-Kontraktion vorne gezogen und die Dehnungsrezeptoren (N) abgestützt
9.1 · Überprüfung der Basisdiagnostik und Erheben von zusätzlichen Daten
101 9

⊡ Abb. 9.38. Auslassobstruktion


bei einer Frau mit stark verzöger-
ter Entleerungszeit (195 s, oberes
Bild) und Restharn von 128 ml.
Schlaffes Bindegewebe erfordert
eine ständige Aktivierung der
nach hinten, unten ziehenden
Muskeln der Levatorplatten und
des longitudinalen Analmuskels
(unteres Bild)

bei. Sie ist aber wichtig, um im Rahmen der Inter-


graltheorie aufgestellte Hypothesen und Theorien
abzusichern, demonstriert an folgendem Fall:

Beispiel 3 I I
Eine 60 Jahre alte Patientin (93 kg schwer, 163 cm
groß, Lehrerin) kam zur Untersuchung, weil sie
30 min nach dem Trinken unter unkontrollier-
tem Urinabgang litt. Sie musste ständig auf die
Toilette gehen und oft den Unterricht verlassen.
Sie benötigte 3–4 Vorlagen am Tag, die nass
waren. Beim 24-h-Pad-Test fanden sich 128 ml
⊡ Abb. 9.39. Beziehung zwischen Druck und Flow. Experi-
in den Vorlagen. Des Weiteren litt sie unter einer
mentelle Untersuchung. Wenn der Durchmesser eines Rohrs
um 0,75 mm zunimmt, steigt der Durchfluss um 50% (von 15
Nykturie (3- bis 4-mal) und fühlte sich insgesamt
auf 23 ml/s). (Bush et al. 1997) in ihrer Lebensqualität erheblich eingeschränkt.
Beckenbodengymnastik und Anticholinergika
konnten die Situation nicht verbessern.
dem Urinfluss vorausgeht. Zum anderen kann an Anamnestisch von Interesse sind 3 vaginale Ge-
der EMG-Kurve erkannt werden, dass während burten (3.000g und 2-mal 4.000 g), eine abdomi-
des langsamen und verlängerten Urinflusses eine nelle HE wegen eines großen Uterus myomatus,
konstante Aktivierung der Beckenbodenmuskeln eine Bauchdeckenplastik und eine Adnektomie
erfolgt. Von den 388 ml in der Blase kann die Pa- per Laparotomiam.
tientin nur 260 ml spontan miktionieren, so dass Bei der gynäkologischen Untersuchung roch
120 ml Restharn verbleiben. es stark nach Urin. Die Vulva war gerötet, die
Scheide nur 5 cm lang, die vordere Scheiden-
wand relativ gut gestreckt. Der obere Schei-
Bedeutung der Urodynamik im Rahmen denpol hatte sich bis zum Introitus gesenkt,
der Integraltheorie die hintere Scheidenwand prolabierte beim
Urodynamische Untersuchungen sind punktuell Pressen partiell vor die Vulva (⊡ Abb. 9.40). Bei
und geben nur eine Momentaufnahme aus einem der Tastuntersuchung fanden sich keine Resis-
sehr komplexen, sich verändernden System wie- tenzen. Der Tonus der Levatormuskulatur und
der. Bereits kleine Veränderungen des urethralen des M. sphincter ani waren abgeschwächt. Die
Durchmessers können zu erheblichen Schwankun- Zystoskopie zeigte normale Schleimhautver-
gen des Miktionsdrucks und der Flussrate führen hältnisse. Nach Miktion lag die Restharnmenge
(⊡ Abb. 9.39). bei 3 ml.
Aus Sicht der Integraltheorie trägt die Uro- ▼
dynamik derzeit wenig zur Therapieentscheidung
102 Kapitel 9 · Spezielle Diagnostik

Bei der Zystometrie fand sich ein stabiler De-


trusordruckverlauf in der Füllungsphase bis
182 ml. Der erste Harndrang wurde bei 110 ml
(Detrusordruck 3 cm H2O), der zweite Harndrang
bei 160 ml (Detrusordruck 11 mm H2O) verspürt.
Bei 182 ml Füllung kam es nach Husten zu
einem massiven Druckanstieg in der Blase mit
reichlich Urinabgang infolge einer Detrusor-
kontraktion mit einem Druckanstieg von 12 auf
50 cm H2O (⊡ Abb. 9.41a).
Bei der Profilometrie fand sich eine funktio-
nelle Harnröhrenlänge von 49 mm. Es wurden
Verschlussdrücke bis maximal 154 cm H2O auf-
gebaut (⊡ Abb. 9.41b). Unter Belastung traten ⊡ Abb. 9.40. Entero-/Rektozele Grad 2–3
keine negativen Drucktransmissionen und kein
Urinverlust auf (⊡ Abb. 9.41c).
Wegen der Diagnose »posteriores Fornixsyn- Zusammenfassende Beurteilung
drom« mit Pollakisurie, Urgeinkontinenz und Die Urodynamik trägt aus Sicht der Integraltheorie
Nykturie bei Entero-/Rektozele Grad 2–3, er- derzeit wenig zur Therapieentscheidung bei. Um
9 schlafften Sakrouterinbändern und nach lateral Grundlagen der Integraltheorie bestätigen und in
abgewichener rektovaginaler Faszie bei Entero-/ der Zukunft weitergehende Erkenntnisse entwi-
Rektozele Grad 2–3 wurde bei der Patientin ckeln zu können, werden in dem zusammenfüh-
eine posteriore Schlingenoperation (PIVS; renden Diagnostikblatt (⊡ Abb. 9.2) folgende uro-
 Kap. 14.3.2) durchgeführt. Nach Korrektur dynamischen Befunde erfasst:
aller 3 Level konnte die Patientin Urinmengen ▬ maximaler Urethraverschlussdruck (MUCP)
von 300–500 ml miktionieren, ging 5-bis 6-mal ▬ Detrusorinstabilität (DI) und
am Tag, nachts 1-mal auf die Toilette und war ▬ Restharn (>50 ml) sowie
komplett kontinent. ▬ Blasenentleerungszeit (>60 s).
Bei der Urodynamik nach 3 Monaten fand sich
ein Normalbefund (⊡ Abb. 9.42). Der 1. Harn- Für die operative Therapie ist es hilfreich zu wis-
drang trat bei 220 ml, der 2. Harndrang bei sen, ob ein niedriger maximaler Urethraverschluss-
290 ml auf. Die Blasenfüllung wurde bei 360 ml druck (MUCP) (<20 cm) vorliegt oder nicht. Bei SI
beendet. Vor der Operation war es bei der hal- und niedrigem MUCP führt eine anteriore Schlin-
ben Menge zu einer massiven Detrusorkontrak- genoperation allein oft nicht zum Ziel. Bessere Er-
tion mit reichlich Urinabgang gekommen. Bis gebnisse werden erzielt, wenn zusätzlich das Ham-
zum Ende der Blasenfüllung traten keine Detru- mock und das EUL gestrafft werden.
sorkontraktionen auf, auch nicht nach Husten,
wobei der Detrusordruck insgesamt von 0 bis ! Ein aussagekräftiger klinischer Test zum
auf 20 cm H2O zunahm. Erkennen von einem niedrigen MUCP ist
das beschriebene Slow-Leak-Speculum-
Zeichen ( Kap. 9.2.1) sowie der Klemmtest
Dieses Beispiel beweist die in der Integraltheorie ( Kap. 8.2.1). Lässt sich Urinverlust beim Hu-
aufgestellte Behauptung, dass die Wiederherstel- sten durch eine einseitig, in Urethramitte plat-
lung der Organformen im Beckenboden zur Nor- zierte Klemme und/oder durch Bilden einer
malisierung ihrer Funktion führen kann. Mithilfe Hautfalte im Hammock verhindern, stellt das
der Urodynamik kann der Therapieerfolg objekti- eine wichtigere Entscheidungshilfe für eine
viert werden. Operation dar als urodynamische Messwerte.
9.1 · Überprüfung der Basisdiagnostik und Erheben von zusätzlichen Daten
103 9

Eine spontane, im Rahmen der Blasenfüllung auf- Eine Blasenentleerungsstörung mit Restharn und
tretende DI kann durch Bindegewebeschäden in verlängerter Entleerungszeit ist nach der Integralthe-
allen 3 Zonen bedingt sein. orie zu einem hohen Prozentsatz durch einen Scha-
den in der mittleren oder hinteren Zone bedingt.

1. HD bei 101 ml Husten 2. HD bei 160 ml Husten


50 5 9 11 15
40

Pves 30
cmH2O 20
10
0
50 2 5 –1 –2
40

Pabd 30
cmH2O 20
10
0
50 3 4 12 17
40

Pdet 30
cmH2O 20
10
0
a 0:00 0:10 0:20 0:30 0:40 0:50 1:00 1:10 1:20 1:30 1:40 1:50 2:00 2:10 2:20 2:30 2:40 2:50

200 –17

150
200 –12
Pura
cmH2O 100 150

Pura
50 100
cmH2O
0 50
200 3
0
150 200 –1

Pdo 150
100
cmH2O Pclo
100
cmH2O
50
50
0
200 –20 0
200 –11
150
150
Pves Pves
100
cmH2O 100
cmH2O
50 50

0 0
b 0.00 10.00 20.00 30.00 40.00 50.00 c 0.00 10.00 20.00 30.00 40.00 50.00 60.00

⊡ Abb. 9.41. a Zystometrie bei der Patientin mit posteriorem kontraktion mit reichlichem Urinabgang. Beurteilung: moto-
Fornixsyndrom Grad 2–3 (Abb. 9.40). Verfrühter 1. Harndrang rischer Urge. b Harnröhrenprofil in Ruhe, c Harnröhrenprofil
(HD) bei 101 ml und 2. Harndrang bei 160 ml Füllung der beim Husten. Es finden keine negativen Drucktransmissionen
Blase. Husten führt bei 182 ml zu einer massiven Detrusor- statt. Beurteilung: normaler Befund
104 Kapitel 9 · Spezielle Diagnostik

1. HD bei 220 ml Husten 2. HD bei 290 ml


50

40
cmH2O

30
Pves

20

10
0
50
40
cmH2O
Pabd

30

20

10
0
50
40
cmH2O
Pdet

30

20

10
0
0:00 0:10 0:20 0:30 0:40 0:50 1:00 1:10 1:20 1:30 1:40 1:50 2:00 2:10 2:20 2:30 2:40 2:50 3:00 3:10 3:20 3:30 3:40 3:50 4:00 4:10 4:20 4:30

⊡ Abb. 9.42. Zystometrie bei derselben Patientin 3 Monate Blase. Husten führt zu keiner Detrusorkontraktion. Beurtei-
nach posteriorer Schlingenoperation. Normaler 1. Harndrang lung: normaler Befund bis 360 ml Füllung der Blase
(HD) bei 220 ml und 2. Harndrang bei 290 ml Füllung der

9.2 Diagnosefindung durch Analyse nisches Bild machen, wenn er die Antworten im
9 und Korrelation der Daten Fragebogen mit dem Miktionskalender und dem
24-h-Vorlagentest abgleicht.
Da es keine Korrelation zwischen dem Ausmaß Eine urodynamische Untersuchung zum Nach-
eines Deszensus/Prolapses und der Stärke der weis einer DI gibt nur eine Momentaufnahme in
Symptome gibt, stehen die Symptome und nicht einem begrenzten Zeitraum wieder. Beim Beant-
die Anatomie im Diagnosesystem der Integralthe- worten der Frage, wie oft stehen sie nachts zum
orie ganz im Vordergrund. So weisen z. B. Patien- Wasserlassen auf, kann ein Patient hingegen ver-
tinnen mit dem sog. posterioren Fornixsyndrom lässlich z. B. 3- bis 4-mal im Durchschnitt antwor-
(Schmerzen im Becken, Harndrang, Pollakisurie, ten. Es überrascht daher nicht, dass die Korrela-
Nykturie und Blasenentleerungsstörungen) häufig tion zwischen anamnestischen Patientendaten und
nur eine geringe Scheidensenkung auf, während es DI größer ist als zwischen Blasendruckmessung
dagegen Patientinnen mit ausgeprägtem Prolaps und DI.
ohne Beschwerden gibt. Aus wissenschaftlicher Sicht kann das damit
Die in dem zusammenführenden Diagnos- erklärt werden, dass die Symptome der DI – Urge,
tikblatt aufgelisteten Symptome (⊡ Abb. 9.2) sind Pollakisurie und Nykturie – zuverlässig im Gehirn
nicht immer exakt den im graphischen Diagnose- gespeichert werden. Um mit der urodynamischen
algorithmus dargestellten Zonen (⊡ Abb. 2.1) zu- Untersuchung die gleiche Genauigkeit oder den
zuordnen. Auch müssen nicht notwendigerweise gleichen Wahrscheinlichkeitsgrad zu erreichen wie
immer alle typischen Symptome bei einem Des- mit den im Patientengehirn gespeicherten Sym-
zensus/Prolaps des vorderen, mittleren oder hinte- ptomen, müsste die Urodynamik hunderte Male
ren Scheidenbereichs vorhanden sein. durchgeführt werden, ein unsinniger Gedanke.
Viele Patientinnen geben weiterhin an, dass Grundsätzlich gilt: Wenn alle Daten und Untersu-
ihre Beschwerden von Tag zu Tag, Woche zu Wo- chungsbefunde erfasst und in das Diagnostikblatt
che variieren oder in unterschiedlicher Ausprä- (⊡ Abb. 9.2) eingetragen sind, wird aus der Anzahl
gung vorhanden sind. Um diese Schwankungen der Kreuze und den Prozentangaben hinter den
erfassen zu können, wurde in dem Fragebogen die Symptomen eine vorläufige Diagnose erstellt. Da-
Kategorie »manchmal« angelegt. Der Untersucher bei gibt es 2 Möglichkeiten: Entweder die Diagnose
kann sich in diesen Fällen ein verlässliches kli- ist eindeutig oder nicht.
9.2 · Diagnosefindung durch Analyse und Korrelation der Daten
105 9
Eindeutige Diagnose lig ein wenig Urin verlieren, aber nicht eindeutig
Bei korrekter Anwendung des zusammenführen- stressinkontinent sind und keine erklärende Auf-
den Diagnostikblatts ist es möglich, in 80% der fälligkeit in den 3 Zonen bieten. In diesen Fällen
Fälle eine eindeutige Diagnose zu erhalten. Ein muss überprüft werden, ob das EUL, das Ham-
Kreuz in einer der 3 Säulen spricht dafür, dass ein mock oder das USL normale Spannung haben, da
Schaden in dieser Zone vorhanden ist. Je mehr diese Strukturen erheblich zur Kontinenz beitra-
Kreuze in einer Säule zu finden sind, desto größer gen. Ein typisches Symptom für einen EUL-Defekt
ist die Wahrscheinlichkeit, dass die entsprechende ist Urinverlust bei plötzlicher Bewegung oder wenn
Zone der Scheide geschädigt ist. bemerkt wird, dass Urin in der Urethra ist.
Die zusätzlich rechts in jeder Säule angegebe-
nen Prozentzahlen zeigen an, wie groß die durch-
schnittliche Wahrscheinlichkeit für ein Symptom 9.2.1 Korrelation zwischen aufgelisteten
ist, durch einen Schaden in dieser Zone bedingt Symptomen und den 3 Zonen
zu sein. Die Wahrscheinlichkeitsrangliste basiert (⊡ Abb. 9.2)
auf den Erfahrungen der Autoren an vielen Tau-
send Fällen. Die meisten Patientinnen leiden unter Symptome bei Defekten in der
mehreren Symptomen zur gleichen Zeit. Es gibt anterioren Zone
aber auch einige mit nur einem Symptom. SI >50%. Ein Urinabgang beim Husten in mehr
als 50% der Zeit korreliert in hohem Maß mit
einem Defekt der anterioren Zone. Dabei stellt ein
Nichteindeutige Diagnose geschädigtes PUL die weitaus häufigste Ursache
Verschiedene Symptome können durch Schäden in für eine SI dar. Andere Bindegewebekomponenten
mehr als einer Zone bedingt sein. Bei vorhande- – wie EUL, Hammock, ATFP, USL tragen eben-
nem Urge finden sich z. B. Kreuze in der vorderen, falls in unterschiedlichem Ausmaß zum Erhalt der
mittleren und hinteren Säule. Um die im Einzelfall Kontinenz bei. Wie groß dieser Beitrag ist, kann
verantwortliche/n Schadenszone/n genauer ab- aus einer Wahrscheinlichkeitskurve (⊡ Abb. 9.43)
grenzen zu können, ist bei allen Patientinnen auf abgelesen werden.
die Anwesenheit zusätzlicher Symptome zu ach-
! Merke: Da für die Kontinenz verschiedene
ten. Gleichzeitig vorhandene Nykturie oder Rü-
Bindegewebestrukturen verantwortlich sind,
ckenschmerzen erhöhen z. B. die Wahrscheinlich-
ist es zur Wiederherstellung der Funktion
keit, dass die hintere Zone geschädigt ist. Weiter
notwendig, alle im System vorhandenen
absichern lässt sich die Diagnose durch simulierte
Schäden zu korrigieren. Wenn z. B. neben
Operationen.
dem PUL auch das Hammock und das EUL
Bei Beschwerden, die mit der posterioren Zone
erschlafft sind, müssen diese durch zwei zu-
korrelieren, finden sich oft nur geringe anatomi-
sätzlich zum spannungsfreien Band gelegte
sche Veränderungen im hinteren Bereich. In diesen
Nähte gestrafft werden (⊡ Abb. 14.8).
Fällen kann eine erneute Untersuchung den anato-
mischen Schaden bestätigen. Die Erfahrungen der
Autoren zeigen, dass ein Prolaps Grad 1 ausreicht, Urinverlust beim Stehen. Ein schlaffes PUL er-
vorhandene Symptome wie z. B. Rückenschmer- möglicht der LP und dem LMA, den Blasenboden
zen durch einen Schaden der posterioren Zone beim Aufstehen nach hinten zu ziehen und den
zu erklären. Manchmal kann die Entscheidung, Ausflusstrakt zu öffnen.
welche Zone korrigiert werden muss, erst im Ope-
rationssaal gefällt werden, wenn ohne Schmerz der Instabilität nach Husten. Ist das PUL lose, kann
Uterus oder das Scheidenende heruntergezogen der Blasenboden beim Husten nach unten abwei-
werden kann. chen. Eine dadurch bedingte Stimulation der Deh-
Schwierig kann es sein, wenn Patientinnen nungsrezeptoren aktiviert den Miktionsreflex. Es
nach einer Urethraschlingenoperation zeitwei- fließt auch nach dem Husten weiter Urin ab.
106 Kapitel 9 · Spezielle Diagnostik

schließt. Die Verbesserung der Situation mit Ein-


tritt der Pubertät erklärt sich durch Zunahme der
PUL-Festigkeit unter dem Einfluss der Steroidhor-
mone. Bei einigen Patientinnen verbessert sich die
Situation nur teilweise. Diese können von einer an-
terioren suburethralen Schlinge profitieren. Diese
Form des »komplizierten« nächtlichen Einnässens
muss vom zeitweiligen normalen nächtlichen Uri-
nabgang bei Kindern abgegrenzt werden.

Loses Hammock (Septum urethrovaginale).


20–30% aller Patientinnen mit SI benötigen zusätz-
lich zu einer suburethralen Schlinge eine Straffung
des Hammocks, um beim Husten den Urinverlust
gänzlich zu stoppen ( Kap. 8.3; simulierte Operati-
onen). Dieses zeigt den synergistischen Effekt bei-
der Strukturen für den Urethraverschluss und den
⊡ Abb. 9.43. Unterschiedlicher Einfluss der Strukturen, die Wert einer gleichzeitigen Straffung des Hammocks
eine Stressinkontinenz im Zusammenspiel kontrollieren. bei Applikation einer mitturethralen Schlinge.
Der Einfluss dieser Strukturen ist bei jedem Menschen un-
9 terschiedlich. Die Varianz folgt einer normalen Verteilungs-
kurve. Diese Perspektive ist abgeleitet von der Anwendung
Positiver mitturethraler Verankerungstest. Die-
des Konzeptes einer nichtlinearen Beckenbodendynamik ser Test erlaubt eine Vorhersage, inwieweit sich
(Abb. 9.35). ATFP Arcus tendineus fasciae pelvis, EAS externer durch eine mitturethrale Schlinge eine SI heilen
Analsphinkter, EUL externes urethrales Ligament, LMA lon- lässt. Die LP, der LMA und der PCM können die
gitudinaler Analmuskel, LP Levatorplatte, PB Perinealkörper, Urethra bei einem losen PUL nicht verschließen.
PCF pubozervikale Faszie, PCM pubokokzygealer Muskel, PUL
pubourethrales Ligament, R Rektum, RVF rektovaginale Faszie,
USL uterosakrales Ligament Loses EUL. Wenn keine eindeutige SI vorhanden
ist, kann tropfenweiser oder bei plötzlicher Bewe-
gung auftretender Urinabgang auf ein loses EUL
Ständig nass. Wenn keine Fistel vorhanden ist, hinweisen. Ein wie ein »Schmollmund« geöffneter
spricht ein ständiges Feuchtsein für einen intrinsi- Meatus externus urethrae spricht ebenfalls für eine
schen Spinkterdefekt (ISD): d. h. die Slow-twitch- Schlaffheit des EUL.
PCM-Fasern können die Urethra infolge eines
PUL- und suburethralen Bindegewebeschadens Trichterbildung bei der US-Untersuchung und
nicht ausreichend nach vorne ziehen und ver- Normalisierung bei einer Mitturethraveran-
schließen. kerung. Lässt sich eine Trichterbildung durch
einseitiges, seitliches Anheben der Urethramitte
Stuhlinkontinenz (in Verbindung mit SI). Dieses aufheben, spricht das für ein loses PUL. Dieses un-
Symptom weist auf ein loses PUL hin. Der PRM, terstreicht die Bedeutung eines ausreichend festen
der seinen ligamentären Ansatz am PUL hat, kann PUL für die Kontinenz.
dem Zug der LP und des LMA nach hinten nicht
ausreichend entgegenwirken, um den anorektalen Absinken des urethrovesikalen Überganges
Verschluss zu gewährleisten. (>10 mm). Die Bedeutung dieses Parameters ist
mehr zukunftsorientiert. Es macht keinen Sinn,
Nächtliches Einnässen, das mit der Pubertät bei einem Wert von 10.1 mm ein geschädigtes und
aufhört. Viele Patientinnen, die bis zur Puber- bei 9.9 mm ein normales PUL zu diagnostizieren.
tät nachts, z. T. auch am Tage einnässen, weisen Die Wahrscheinlichkeit, dass das PUL zu lose ist,
eine Familienanamnese auf, die auch Männer ein- nimmt aber mit dem Ausmaß der Deviation zu.
9.2 · Diagnosefindung durch Analyse und Korrelation der Daten
107 9

Niedriger MUCP <20 cm H2O. Der MUCP wird erzeugten hydrostatischen Druck auf die Deh-
für die Diagnose eines ISD oder einer hypotonen nungsrezeptoren und verhindert einen zu früh
Urethra herangezogen. ISD kann auch ohne Uro- einsetzenden Miktionsreflex. Bei Kontraktion des
dynamik diagnostiziert werden und zwar mit dem PCM wird die Urethra zusätzlich von hinten ver-
Slow-Leak-Spekulum-Zeichen (Petros u. Ulmsten schlossen, woraus sich der Druckanstieg in der
1990a, g;). Während einer gynäkologischen Un- Urethra während der Blasenfüllung erklärt.
tersuchung wird ein hinteres Spekulumblatt in die Schlaffe Bänder oder Faszien leiten die auf
Scheide eingeführt und darauf geachtet, ob da- sie einwirkenden Kräfte nicht weiter, so dass die
nach kontinuierlich ein wenig Urin abfließt. Das Scheidenwände nicht ausreichend gespannt wer-
Spekulum zieht das Vaginalgewebe nach unten den. Der periphere neurologische Kontrollmecha-
und arbeitet gegen den Verschlussmechanismus nismus gerät dadurch ins Ungleichgewicht mit der
des Slow-Twitch-Systems des PCM und des Ham- Folge, dass die Dehnungsrezeptoren bereits bei
mocks, so dass bei niedrigem Verschlussdruck niedrigem hydrostatischem Druck (geringem Bla-
Urin in kleinen Mengen austritt. senvolumen) feuern. Der Kortex interpretiert das
als Harndrang und aktiviert eine Kaskade von Er-
eignissen, die sonst nur bei der Miktion eintreten:
Symptome bei Defekten in der mittleren ▬ sensorischer Urge,
Zone ▬ Erschlaffung des PCM,
Gestörte Entleerung. Schlaffheit in der mittleren ▬ Öffnen des Ausflusstrakts und
Zone in Form einer Zystozele oder eines para- ▬ Detrusorkontraktion.
vaginalen Defekts verhindert, dass die LP und
der LMA den Ausflusstrakt ausreichend öffnen Die Folge ist, dass diese Patientinnen ihre Blase
oder offen halten können. Der Detrusor muss den am Tag und nachts häufig entleeren müssen und
Blaseninhalt gegen einen hohen urethralen Wider- die Toilette oft nicht trocken erreichen. Dieser Zu-
stand entleeren. Bei der Patientin äußert sich das stand wird in der heutigen Literatur als Reizblase,
als Blasenentleerungsstörung, die folgendermaßen »over-active-bladder« (überaktive Blase), insta-
beschrieben wird: bile Blase oder FUN bezeichnet.
▬ »hört unfreiwillig auf und fängt wieder an«,
▬ »langsames Wasserlassen«,
▬ »Schwierigkeit zu Beginn der Blasenentlee- Symptome bei Defekten in der posterioren
rung«, Zone
▬ »Gefühl, die Blase nicht ausreichend entleeren Verschlechterung eine Woche vor der Periode.
zu können« oder Hormone erweichen die Zervix, um den Abfluss
▬ »Nachtröpfeln«. von Menstrualblut zu erleichtern. Die hinteren Li-
gamente verlieren Spannung, was zur Verschlech-
Tethered-Vagina-Syndrom. Ausreichende Elasti- terung der Symtptome der hinteren Zone während
zität in der Zone der kritischen Elastizität ist die der Periode führt.
Voraussetzung dafür, dass die Muskelkräfte ge-
trennt nach vorne und nach hinten ziehen können. Ständig nass. Die USL stellen den Verankerungs-
Narbengewebe am Blasenhals kann dieses Muskel- punkt für den LMA und seine Slow-twitch-Fasern
wechselspiel aufheben. Die stärkere hintere Kraft dar. Die USL spielen eine wichtige Rolle beim
zieht den Ausflusstrakt auf, wie es auch bei der Blasenverschlussmechanismus, indem sie sicher-
Miktion geschieht, wodurch unkontrolliert Urin stellen, dass LMA den Blasenboden nach hinten
abfließt, ohne dass Harndrang verspürt wird. unten um das PUL ziehen kann. Dies führt zum
wasserdichten Verschluss in der proximalen Ure-
DI. Wenn die Blase sich füllt, spannen die Becken- thra (⊡ Abb. 5.7). Ist der Verschlussmechanismus
muskeln reflektorisch die Scheidenwand. Dieses des Hammocks insuffizient, kann die Patientin in
neutralisiert den durch zunehmende Urinmengen gleicher Weise unkontrolliert Urin verlieren wie
108 Kapitel 9 · Spezielle Diagnostik

beim intrinsischen Sphinkterdefekt. Dieser Me- den nach hinten zieht und damit den Ausflusstrakt
chanismus erklärt das erstmalige Auftreten von In- öffnet (⊡ Abb. 9.45). Der Detrusor muss dann, wie
kontinenz nach HE und die häufige Verbesserung bei der Zystozele, den Blaseninhalt gegen einen ho-
einer SI-Symptomatik nach operativer Verstärkung hen urethralen Widerstand entleeren. Bei der Pati-
der USL durch Kunststoffbänder. entin äußert sich das als Blasenentleerungsstörung
mit den bereits oben genannten Symptomen. Dass
Schmerzen im Becken. Insuffiziente USL-Unter- diese Zusammenhänge evident sind, geht auch dar-
stützung der in den USL verlaufenden, nichtmye-
linisierten Nerven kann für Schmerzen im Unter-
bauch oder im Sakralbereich verantwortlich sein
(⊡ Abb. 7.12). Schmerzen beim Verkehr können
ebenfalls durch Druck und Zug auf diese Nerven
ausgelöst werden. Diese Schmerzen lassen sich
bei einer Untersuchung durch vorsichtiges Berüh-
ren der Zervix oder des Scheidenfornix mit einer
Ringklemme reproduzieren.

Nykturie. Nykturie ist ein typisches Symptom bei


einem Defekt im Bereich der posterioren Zone.
⊡ Abb. 9.44 zeigt die Position der Beckenorgane
9 einer schlafenden Patientin. Erschlaffte posteriore
Ligamente können den Blasenboden nicht abstüt-
zen, wodurch die Dehnungsrezeptoren frühzei-
tig stimuliert werden. Das führt zum nächtlichen
Harndrang und zur Nykturie.

⊡ Abb. 9.45. Physikalische Ursachen für eine gestörte Blasen-


Entleerung. Die USL stellen die Verankerungs-
entleerung. Der urethrale Widerstand nimmt mit der 4. Potenz
punkte für den Zug der LP und des LMA nach des Urethradurchmessers ab. D2 hat den doppelten Durch-
hinten unten dar. Eine USL-Schlaffheit verhindert, messer von D1. Deshalb beträgt der urethrale Widerstand bei
dass Zug von der LP und dem LMA den Blasenbo- D2 nur 1/16 vom Widerstand bei D1 (24 = 16)

⊡ Abb. 9.44. Mechanische


Ursache für das Auftreten einer
Nykturie – Schlafposition. Die
Beckenbodenmuskeln (Pfeile)
sind erschlafft. Füllt sich die
Blase, dehnt sie sich nach un-
ten aus. Weil die uterosakralen
Ligamente (USL) weich sind,
senkt sich die Blase weit nach
unten, wodurch die Dehnungs-
rezeptoren (N) stimuliert wer-
den. Der Miktionsreflex wird
aktiviert, wenn der Hemmme-
chanismus (C) überwunden
wurde. LP Levatorplatte, O
offenes Hemmzentrum PCM
pubokokzygealer Muskel
9.3 · Absicherung durch simulierte Operationen
109 9

aus hervor, dass zahlreiche Patientinnen mit einem


Dauerkatheter wegen Harnverhalt durch operative
Korrektur der USL in Form eines posterioren IVS
geheilt werden konnten (Goeschen u. Gent 2004;
Petros unveröffentliche Ergebnisse; Richardson,
pers. Mitteilung.).

Prolaps. Der Grad eines Prolapses weist keine


Korrelation zum Ausmaß der Symptome auf, die
durch einen Schaden der posterioren Zone bedingt
sind. Ein kleiner Prolaps kann mit erheblichen Be-
schwerden einhergehen und umgekehrt.

Restharn. Geht man von der nichtlinearen Na-


tur der Blasenentleerung aus, haben willkürliche
Normgrenzen der Restharnmenge, wie z. B. 50 ml,
die allgemein angegeben werden, keine Bedeu-
tung. Von der physiologischen Idee her ist jede
Urinmenge, die nach der Miktion verbleibt, ab-
normal. Allerdings wird der Zustand einer leeren
Blase innerhalb von 24 h selten, nämlich nur direkt
nach der Miktion angetroffen. In der überwiegen-
den Zeit enthält das Speicherorgan Blase Urin.
Der Normalzustand ist also, dass Urin in der Blase
vorhanden ist.
Aus medizinischer Sicht der Autoren erhält
Restharn daher erst dann eine Bedeutung, wenn er
zu Komplikationen, z. B. rezidivierenden Entzün-
dungen, ständigem Harndrang oder Überlaufsym-
ptomatik führt.

Abnome Entleerungszeit. Die Entleerung der


Blase sollte normalerweise nicht länger als 60 s
dauern. Doch auch hierfür gelten die gleichen Ein-
schränkungen wie für den Restharn. Warum soll
jemand seine Blase in 1 min entleeren, wenn sich
seine Blase über Stunden gefüllt hat?

9.3 Absicherung durch simulierte


Operationen

Wie simulierte Operationen die Diagnose absichern


können, wurde in  Kap. 8.3 beschrieben.
“This page left intentionally blank.”
10

Vergleich der ICS-Definitionen und


-Diagnosen mit der Integraltheorie

10.1 ICS-Symptome durch Defekte in der anterioren Zone – 112

10.2 ICS-Symptome durch Defekte in der mittleren und


posterioren Zone – 113

10.3 ICS-Symptome durch Defekte in der anterioren, mittleren


und posterioren Zone – 113

10.4 ICS-Symptome durch Defekte in der posterioren Zone – 116

In diesem Kapitel werden Definitionen und Be- In jeder der 3 Zonen des Beckenbodens gibt
griffe der International Continence Society (ICS) es eigenständige Bindegewebestrukturen, die eine
mit den anatomischen Erkenntnissen der Integral- Schlüsselrolle beim Öffnen und Verschließen
theorie verglichen. spielen. Diese Hauptbindegewebestrukturen sind
Bei der gesunden Frau gibt es 2 Normalzu- in ⊡ Abb. 10.1 rot entsprechend ihrer Bedeutung
stände, in der sich ihre Blase befinden kann: aufgelistet. Die Symptome, die bei einer Schädi-
1. stabil geschlossen und gung dieser Strukturen entstehen können, sind
2. stabil geöffnet. unter Verwendung der ICS-Definitionen in den
verschiedenfarbigen Rechtecken zusammenge-
Muskelenergie ist erforderlich, damit der Ausfluss- fasst.
trakt in die offene oder geschlossene Position ge- Die Rechtecke können sich von der vorderen bis
zogen werden kann. zur hinteren Zone erstrecken. Die Höhe der Recht-

⊡ Abb. 10.1. Zuordnung der Interna-


tional-Continence-Society-(ICS-)Sym-
ptome in die 3 anatomischen Zonen
des Beckenbodens. Rot Haupt-
bindegewebestrukturen gemäß
Integraltheorie, farbige Rechtecke:
große Schrift Symptome gemäß Inte-
graltheorie, kleine Schrift Symptome
gemäß der ICS-Definitionen
112 Kapitel 10 · Vergleich der ICS-Definitionen und -Diagnosen mit der Integraltheorie

ecke in jeder Zone gibt an, wie wahrscheinlich es ist, Feuchtsein sind also hauptsächlich auf eine Bin-
dass ein Symptom durch einen Schaden in diesem degewebeschlaffheit in der anterioren Zone zu-
Bereich ausgelöst ist. So wird z. B die SI zu 80% rückzuführen: Die Slow-twitch-Fasern des PCM
durch Schäden im vorderen Bereich verursacht. In können die Urethra infolge eines PUL- und/oder
10% sind aber Defekte im mittleren und in weiteren suburethralen Bindegewebeschadens nicht ausrei-
10% im hinteren Bereich die Auslöser für die SI. chend nach vorne ziehen und verschließen.
Mit einfachen Mitteln kann ohne Urodynamik
abgeklärt werden, ob ein derartiger Schaden in
10.1 ICS-Symptome durch Defekte der vorderen Zone für den Urinabgang verant-
in der anterioren Zone wortlich ist.
Bei einer gynäkologischen Untersuchung einer
10.1.1 Genuine Stressinkontinenz Patientin mit gefüllter Blase verbleibt das hin-
tere Blatt eines Spekulums in der Scheide. Das
Nach der ICS-Definition handelt es sich bei der ge- Spekulum zieht das Vaginalgewebe nach unten
nuinen Stressinkontinenz (GSI) um einen unfrei- und arbeitet gegen den Verschlussmechanismus
willigen Harnverlust bei körperlicher Belastung, des Slow-twitch-Systems des PCM und des Ham-
wobei der Blasendruck ohne Detrusorkontraktion mocks, so dass bei niedrigem Verschlussdruck
den Urethradruck übersteigt. Gemäß ICS-Defini- Urin in kleinen Mengen austritt (Petros u. Ulm-
tion (Abrams et al. 1988) muss die GSI streng von sten 1990a, g). Bei hypotoner Urethra, ISD oder
der gemischten Inkontinenz abgegrenzt werden. Typ-III-Inkontinenz wird eine höhere Heilungs-
Die GSI ist eine verwirrende Definition, die un- rate erreicht, wenn zusätzlich zur suburethralen
nötigerweise versucht, Zustände zu unterscheiden, Schlinge das Hammock gestrafft wird.
10 die nach der anatomischen Klassifikation der Inte- Erschlaffte USL oder geschädigte Slow-twitch-
graltheorie gleiche Ursachen haben: nämlich Schlaff- Fasern der nach hinten und unten ziehenden Mus-
heit der Scheidenwände oder ihrer Ligamente. keln der LP und des LMA können gelegentlich
Eine operative Wiederherstellung der Binde- ebenfalls dafür verantwortlich sein, dass die Ure-
gewebefunktion z. B. in Form eines anterioren IVS thra nicht ausreichend verschlossen wird und un-
mit oder ohne gleichzeitige Korrektur einer Zele bemerkt Urin abgeht.
führt in einem hohen Prozentsatz zur Heilung der Die USL stellen den Verankerungspunkt für den
gemischten Stress-/Urgeinkontinenz. Eine DI stellt LMA und seine Slow-twitch-Fasern dar und spielen
daher kein negatives prognostisches Kriterium für dadurch eine wichtige Rolle beim Blasenverschluss-
den Erfolg einer Operation dar (Petros 1997a). mechanismus. Sie gewährleisten, dass der LMA den
Blasenboden nach hinten unten um das PUL ziehen
kann, was zum wasserdichten Verschluss in der pro-
10.1.2 Unbemerkter, kontinuierlicher ximalen Urethra notwendig ist (⊡ Abb. 5.7).
Urinverlust, ISD

Unbemerkter Harnabgang und/oder ständiges 10.1.3 Reflexinkontinenz


Feuchtsein sind nach der ICS-Definition durch
einen niedrigen MUCP (<20 cm H2O) bedingt. Nach der ICS-Definition (1988) ist eine Reflexin-
Dieser Zustand wird als ISD, Typ-III-Inkontinenz kontinenz ebenfalls definiert als unbemerkter Ab-
oder auch als hypotone Urethra bezeichnet. gang von Urin. Sie wird gleichgesetzt mit einem
Nach der Integraltheorie ist ein unbemerkter neurologischen Schaden wie z. B. bei multipler
oder ein ständiger Urinverlust ein Zeichen dafür, Sklerose, die das kortikale oder spinale Hemmzen-
dass der PCM (⊡ Abb. 9.30, ⊡ Abb. 9.31) nicht in trum (C) (⊡ Abb. 9.30, ⊡ Abb. 9.31) beeinflusst. Da
der Lage ist, die Scheide so weit nach vorne zu die afferenten Impulse nicht unterdrückt werden
ziehen, dass es zu einem wasserdichten Verschluss können, wird die Ereigniskaskade aktiviert, die den
kommt. Unbemerkter Urinabgang und ständiges Miktionsreflex auslöst (O; ⊡ Abb. 9.30, ⊡ Abb. 9.31).
10.3 · ICS-Symptome durch Defekte
113 10

Wie bereits erwähnt, weisen Patientinnen mit einen Schaden in der mittleren oder hinteren Zone
einem losen Hammock und/oder PUL gleiche verursacht. Bindegewebeschlaffheit in der mittle-
Symptome auf. Vor der Diagnose »Reflexinkon- ren und/oder hinteren Zone verhindert, dass die
tinenz« sollte daher immer eine Schädigung der LP und der LMA den Ausflusstrakt ausreichend
vorderen Zone ausgeschlossen werden. öffnen oder offen halten können (⊡ Abb. 9.45).
Der Detrusor muss den Blaseninhalt gegen einen
hohen urethralen Widerstand entleeren, weil der
10.1.4 Husteninduzierte DI urethrale Widerstand umgekehrt proportional zur
4. Potenz des Radius ist (r4). Da der aufgezeichnete
Patientinnen mit Urinverlust beim Husten sind nicht Detrusordruck ausschließlich eine Spiegelung des
automatisch in die Diagnosegruppe SI einzuordnen. Urethrawiderstands ist, findet sich bei der Blasen-
Frühere Untersucher haben darauf hingewiesen, druckmessung oft ein Dyssynergiemuster. Subjektiv
dass ein Hustenstoß eine Detrusorkontraktion aus- äußert sich das beim Betroffenen wie in  Kap. 9.2.1
lösen kann, die zum länger anhaltenden Urinabgang unter Blasenentleerungsstörungen aufgelistet.
führt. Diese Beobachtung zeigt, wie unzuverlässig Eine operative Korrektur der USL in Form
die ICS-Einteilung hinsichtlich der SI ist. eines posterioren IVS führt bei einem hohen Pro-
Nach der Integraltheorie lässt sich dieser Vor- zentsatz zur Normalisierung der Entleerung.
gang folgendermaßen erklären: Lose PUL können Unempfindliche Dehnungsrezeptoren in Ver-
die Urethra nicht verankern. Die Folge davon ist, bindung mit schlaffem Bindegewebe im mittleren
dass die LP und der LMA den Blasenboden beim und hinteren Scheidenbereich können dazu füh-
Husten nach hinten ziehen und dadurch die Deh- ren, dass sich der Detrusor nicht wirksam zusam-
nungsrezeptoren (N) stimulieren. Der Miktionsre- menzieht (Detrusorakontraktilität). Es kommt zur
flex wird aktiviert, die Blase kontrahiert, es kommt Restharnbildung, Überlaufinkontinenz, Nachtröp-
zum Urinabgang, der nach dem Husten anhält. feln oder sogar zum Harnverhalt.
Eine urodynamische Untersuchung in dieser Unempfindliche Dehnungsrezeptoren in Kom-
Situation zeigt einen phasischen Druckanstieg in bination mit schlaffem Bindegewebe im mittleren
Form einer DI ( Kap. 9.1.8). Eine suburethrale und hinteren Scheidenbereich können weiterhin
Schlinge wird normalerweise dieses Problem lö- dafür verantwortlich sein, dass die Blasenentlee-
sen. Nach Erfahrungen der Autoren gibt es aber rung nur unter Zuhilfenahme der Bauchpresse ge-
auch Patientinnen, die zusätzlich eine posteriore lingt, sog. abdominale Miktion.
Schlinge benötigen. Die Autoren haben zahlreiche Patientinnen mit
den genannten Symptomen bei Scheidensenkung/-
prolaps gesehen, die nach Korrektur der Anatomie
10.2 ICS-Symptome durch Defekte in durch eine posteriore Schlingenoperation und/
der mittleren und posterioren Zone oder nach einer Zystozelenkorrektur wieder nor-
mal miktionieren konnten.
10.2.1 Blasenentleerungsstörungen

Die normale Blasenentleerung erfordert ein funk- 10.3 ICS-Symptome durch Defekte
tionierendes Zusammenspiel von neurologischen in der anterioren, mittleren und
und mechanischen Komponenten. Nach Vor- posterioren Zone
stellungen der ICS sind Schwierigkeiten bei der
Blasenentleerung mit Restharn und verlängerter Die Miktion wird durch den peripheren neuro-
Entleerungszeit eher durch Überleitungsstörungen logischen Kontrollmechanismus gesteuert. Eine
in den Rückenmarkssegmenten als durch mecha- normale Miktion setzt einen intakten neuromus-
nische Ursachen bedingt. kuloelastischen Komplex voraus, damit die von
Nach der Integraltheorie wird eine Blasenent- den Dehnungsrezeptoren (N) ausgehenden Im-
leerungsstörung zu einem hohen Prozentsatz durch pulse vom Kortex kontrolliert werden können
114 Kapitel 10 · Vergleich der ICS-Definitionen und -Diagnosen mit der Integraltheorie

(⊡ Abb. 9.30, ⊡ Abb. 9.31). Füllt sich die Blase, ge- infolge von geschädigtem Bindegewebe nicht aus-
langen afferente Impulse von den Dehnungsrezep- reichend abgestützt, kann es bereits bei geringer
toren (N) zum Kortex, was dieser als Harndrang Blasenfüllung zu einer ausgeprägten afferenten Im-
bei voller Blase deutet. Die zentrale Hemmung (C; pulsgebung und damit zu einer unangemessenen
⊡ Abb. 9.30, ⊡ Abb. 9.31) verhindert in Kombina- Aktivierung des Miktionsreflexes kommen. Das
tion mit Streckung der Vagina zur Unterstützung Gehirn interpretiert diese Signale als Harndrang
der Dehnungsrezeptoren normalerweise einen un- und zwingt die Patientin zu häufigen Miktionen.
kontrollierten Urinabgang. Üblicherweise besteht die Antwort auf die af-
Dieser Reflex arbeitet wie ein Motor, der die ferenten Impulse in einer Kontraktion des PCM,
Öffnung bzw. den Verschluss des Ausflusstrakts der das Hammock nach vorne zieht und dadurch
beschleunigt. die Urethra und »N« stabilisiert (⊡ Abb. 9.30,
Ist dieser Mechanismus insuffizient und die Pati- ⊡ Abb. 9.31). Wenn jedoch die Zahl der afferenten
entin nässt ein, wird dieser Zustand als Drang- oder Impulse infolge der fehlenden Unterstützung von
Urgeinkontinenz bezeichnet. Nach der ICS-Defini- »N« so groß ist, dass sie nicht mehr vom Hemm-
tion bedeutet Urgeinkontinenz ein unwillkürlicher zentrum »C« unterdrückt werden kann, wird der
Harnverlust, der von imperativem Harndrang be- Miktionsreflex ausgelöst: PCM erschlafft, die Ure-
gleitet ist oder dem imperativer Harndrang voraus- thra wird geöffnet, und Urin fließt ohne Detrusor-
geht. Neben den o. g. Bindegewebeveränderungen kontraktion vor Erreichen der Toilette ab.
können intravesikale Veränderungen (Krebs), chro- Diese nach der ICS-Definition als sensorische
nische Zystitis und Druck von außen (z. B. durch Urgeinkontinenz bezeichnete Situation ist zu einem
Myome) ebenfalls dafür verantwortlich sein. hohen Prozensatz durch einen Defekt der anterio-
Nach der aktuellen ICS-Nomenklatur (Abrams ren, mittleren und/oder posterioren Zone bedingt.
10 et al. 2003) wird zwischen Harnröhrenrelaxierungs-
inkontinenz mit Drang (früher sensorische Dran-
ginkontinenz) und Detrusorhyperaktivitätsinkon- 10.3.2 Motorischer Urge (Detrusor-
tinenz mit Drang (früher motorische Urgeinkon- hyperaktivitätsinkontinenz)
tinenz) unterschieden. Die Differenzierung erfolgt
mithilfe von urodynamisch-funktionellen Kriterien. Nach der ICS-Definition handelt es sich bei einem
motorischen Urge um einen zwanghaften, nicht
unterdrückbaren Harndrang mit oder ohne Uri-
10.3.1 Sensorischer Urge (Harnröhren- nabgang als Zeichen eines Mangels an efferenten
relaxierungsinkontinenz) hemmenden zentralnervösen Impulsen. Im UCT
finden sich spontan oder nach Husten auftretende
Nach der ICS-Definition handelt es sich bei einem Detrusorkontraktionen (>15 cm H2O).
sensorischen Urge um einen verfrühten, nicht un-
terdrückbaren Harndrang mit oder ohne Urinab- Nach der Integraltheorie ist motorischer Urge
gang als Zeichen eines Überschusses an afferenten hauptsächlich eine ungehemmte Miktion als Folge
stimulierenden vesikalen Impulsen. Im UCT fin- von defekten anterioren Ligamenten (PUL). Ein
den sich: loses PUL (⊡ Abb. 9.30, ⊡ Abb. 9.31) kann die Ure-
▬ verfrühter erster Harndrang bei <150 ml Fül- thra nicht verankern, wenn die Blase sich füllt.
lung, Die Folge davon ist, dass die LP und der LMA den
▬ verminderte Blasenkapazität <300 ml, Blasenboden nach hinten unten ziehen können
▬ keine Detrusorkontraktionen und und die Dehnungsrezeptoren (N) stimulieren. Da-
▬ schnelle Blasendruckzunahme bei der Füllung durch wird der Miktionsreflex aktiviert. Die Blase
(Compliance <25 ml/cm H2O). kontrahiert spontan oder nach einem Hustenreiz,
was zu massivem Urinabgang führt.
Die Integraltheorie erklärt den sensorischen Urge Eine urodynamische Untersuchung in die-
folgendermaßen: Werden die Dehnungsrezeptoren ser Situation zeigt einen deutlichen Druckanstieg
10.3 · ICS-Symptome durch Defekte
115 10

während der Kontraktion. Diese Symptome treten nuten nach Beginn des Händewaschens Harndrang
gehäuft im höheren Lebensalter auf, vermutlich auf. Bei 91 Patientinnen kam es zum Absinken des
infolge Atrophie des PUL. Urethradrucks, bei 56 von ihnen zum Anstieg
Eine Kombination von empfindlichen Deh- des Detrusordrucks und bei 52 Patientinnen zum
nungsrezeptoren und schlaffen posterioren Liga- Urinverlust (⊡ Abb. 9.36).
menten kann ein ähnliches klinisches Bild hervor- Nach der Integraltheorie kann die klassi-
rufen. sche sinusoidale Kurve bei DI erklärt werden als
Kampf zwischen 2 Feedbacksystemen: dem Mik-
! Beachte: Patientinnen mit vorangegangenen
tionsöffnungsreflex (O) und dem Verschlussreflex
Scheidenoperationen stellen eine Sonder-
(C) (⊡ Abb. 9.30, ⊡ Abb. 9.31). Der Miktionsreflex
gruppe dar. Narbige Veränderungen am Bla-
kämpft dafür, den Ausflusstrakt zu öffnen. Das
senhals können den Muskelzug nach vorne
Gehirn hält dagegen, indem es die Zahl der zen-
und hinten beeinträchtigen. Der kräftigere,
tralen Hemmimpulse erhöht und versucht, den
nach hinten gerichtete Zug überwindet den
Beckenboden zu kontrahieren und die Urethra zu
Zug nach vorne, wodurch der Ausflusstrakt
verschließen. Zieht sich der Detrusor in diesem
gewaltsam geöffnet wird und massiv Urin
Moment zusammen, steigt der Detrusordruck
abfließt ( Tethered-Vagina-Syndrom). Weisen
an. Wird der Ausflusstrakt in diesem Moment
diese Patientinnen keine starre Narbe am
aufgezogen, fällt der Detrusordruck. Die zeitli-
Blasenhals auf, ist es eher unwahrscheinlich,
che Verzögerung, die durch den Wechsel zwi-
dass bei ihnen ein Tethered-Vagina-Syndrom
schen »offen« oder »geschlossen« entsteht, stellt
vorliegt.
sich urodynamisch als sinusoidale Kurve und
DI dar.
Obwohl der urodynamische Nachweis einer DI
10.3.3 Detrusorinstabilität nur einen geringen praktischen Wert für die chi-
rurgische Entscheidungsfindung im Rahmen des
DI ist eine urodynamische Diagnose. Eine DI liegt Intergralkonzepts besitzt, stellen die Messungen
vor, wenn bei der Blasendruckmessung unwill- des Urethradruckprofils, des Urinflows und des
kürliche Detrusorkontraktionen mit einem pha- Restharns eine wertvolle Hilfe zur Verbesserung
sischen Druckanstieg <15 cm H2O auftreten. Eine der diagnostischen Genauigkeit im graphisch dar-
DI wird nach der ICS meist als idiopathisch (d. h. gestellten Algorithmus dar, wie in  Kap. 8.1 bereits
ohne erkennbare Ursache entstanden) eingestuft, beschrieben wurde.
wobei nicht selten auch eine latente psychogene Ob eine DI auftritt oder nicht, soll nach ICS
Komponente eine Rolle spielen soll. auch von der Empfindlichkeit der Blase abhängen.
Eine DI kann auch bei gesunden Frauen vor- Diese wird gemäß ICS eingeteilt in:
kommen. Dieser scheinbare Widerspruch ver- ▬ normal,
schwindet, wenn die DI als ein Teil eines un- ▬ erhöht,
gehemmten, vorzeitig aktivierten, aber ansonsten ▬ abgeschwächt und
normalen Miktionsreflexes betrachtet wird (Petros ▬ nicht vorhanden.
u. Ulmsten 1993d). Die Deutung, dass es sich bei
der DI um einen zu früh einsetzenden Mikti- Nach der Integraltheorie hängt die Empfindlichkeit
onsreflex handelt, wird gestützt durch Ergebnisse, der Blase vor allem davon ab, wie stark die Deh-
die Petros u. Ulmsten 1993g mithilfe eines Hän- nungsrezeptoren am Blasenboden gestützt werden.
dewaschprovokationstest gewonnen haben. Dieser Bei intaktem Bindegewebe mit guter Stützfunk-
Test basiert auf der Erkenntnis, dass Händewa- tion ist die Empfindlichkeit gering und umgekehrt.
schen die zentrale Hemmung der afferenten Im- Weiterhin ist zu bedenken, dass infolge des kom-
pulse neutralisieren kann (Mayer et al. 1991). plexen Feedbacksystems die Empfindlichkeit bei
Untersucht wurden 123 Patientinnen mit Urge- demselben Patienten in Stärke und Häufigkeit von
inkontinenz. Bei 116 Patientinnen trat wenige Mi- Tag zu Tag variieren kann.
116 Kapitel 10 · Vergleich der ICS-Definitionen und -Diagnosen mit der Integraltheorie

10.3.4 Instabile Urethra ▬ Unversehrtheit des muskuloelastischen Mecha-


nismus beim Strecken der Scheidenwand.
Eine instabile Urethra ist ebenfalls eine urody-
namische Diagnose. Sie liegt vor, wenn bei der Je nachdem, wie diese zusammenwirken, verändert
Blasendruckmessung phasische Druckschwan- sich die jeweilige Blasenkapazität an verschiedenen
kungen in der Urethra auftreten. Sie haben die Untersuchungstagen.
gleiche Ursache wie Druckschwankungen in der
Blase.
Blase und Urethra teilen sich dieselbe glatte 10.4 ICS-Symptome durch Defekte
Muskulatur und sind damit beide von demselben in der posterioren Zone
Feedbacksystem abhängig. Die Reizübertragung
von einer glatten Muskelfaser zur anderen schließt 10.4.1 Nykturie
aus, dass es eine unabhängige Innervation von
Blase und Urethra gibt. Allerdings wird dadurch Nach der ICS-Definition wird eine nächtliche Pol-
sichergestellt, dass alle Fasern wie eine Einheit wir- lakisurie >1-mal/Nacht als Nykturie bezeichnet.
ken, um den Urin herauszupressen. Ursächlich können Diabetes mellitus, Herzinsuf-
fizienz, Schrumpfniere und andere Erkrankungen
dafür verantwortlich sein.
10.3.5 Niedrige Compliance Nach der Integraltheorie ist eine Nykturie zu
einem hohen Prozentsatz durch einen Bindegewe-
Mit der Compliance wird die Dehnbarkeit der Bla- beschaden in der hinteren Zone bedingt. Die ana-
senwand beurteilt. Der normale Druckanstieg soll tomische Situation bei Vorliegen einer Nykturie
10 <4 cm H2O pro 100 ml Füllung betragen. kann am besten verstanden werden, wenn man die
Nach der Integraltheorie hängt die Dehnbarkeit ⊡ Abb. 5.18 im Uhrzeigersinn um 90° in die Schlaf-
davon ab, wie früh in der zystometrischen Fül- position dreht (⊡ Abb. 9.44).
lungsphase der Miktionsreflex aktiviert wird. Tritt Füllt sich nachts die Blase, zieht der Blasenin-
dies infolge mangelnder Unterstützung der Deh- halt, unterstützt durch die Schwerkraft, den vor-
nungsrezeptoren schon nach geringer Füllung auf, deren Scheidenbereich nach unten. Bei festen USL
kommt es frühzeitig zu einer Beckenbodenkon- können die USL eine übermäßige Streckung des
traktion. Die Urethra komprimiert, und der Wider- Blasenbodens verhindern und die Dehnungsrezep-
stand in der Urethra wird erhöht. Das wiederum toren vor frühzeitiger Reizung bewahren.
erhöht den Detrusordruck und wird als niedrige Sind die USL schlaff, können die Dehnungsre-
Compliance gedeutet. zeptoren bereits bei geringem Volumen stimuliert
werden und afferente Impulse abfeuern. Dieser
Zustand wird als nächtlicher Harndrang empfun-
10.3.6 Niedrige Blasenkapazität den mit der Folge, dass die Betroffenen nachts
aufstehen, um Urin zu lassen.
Die normale Blasenkapazität sollte mindestens Bei sehr empfindlichen Dehnungsrezeptoren
300 ml betragen. Sie kann jedoch auch bei gesun- kann der Miktionsreflex aktiviert werden, bevor
den Frauen von Tag zu Tag schwanken, ohne dass die Betroffenen die Toilette erreichen. Unkon-
eine Erkrankung dafür verantwortlich ist. trollierter Urinverlust ist die Folge. Umgekehrt
Nach der Integraltheorie gibt es dafür folgende kann bei unempfindlichen Dehnungsrezeptoren
Erklärung: Die Variablen für die Blasenkapazität und schlaffem, unelastischem Gewebe der Urin
sind einfach ins Bett abfließen, bevor die Betroffenen
▬ Empfindlichkeit der Dehnungsrezeptoren (N; vom Miktionsreiz aufwachen.
⊡ Abb. 9.30, ⊡ Abb. 9.31),
▬ Zuverlässigkeit des zentralen Hemmmechanis-
mus und
Zusammenfassung Sektion IV
117 10

Zusammenfassung Sektion IV
Zwei Wege wurden aufgezeigt, wie eine geschädigte
Struktur und die dadurch entstandenen Symptome
diagnostiziert werden können:
▬ ein einfacher Weg für den praktisch tätigen
Arzt und
▬ ein spezieller für den Spezialisten.

Beide zielen darauf ab, einen Bindegewebeschaden


in den 3 Zonen der Scheide zu erkennen. Beide
verwenden die gleiche Untersuchungstechnik und
simulierte Operationen, um herauszufinden, wel-
che Bindegewebestrukturen für die Beschwerden
verantwortlich sein können. Obwohl der spezielle
Beurteilungsweg zur Absicherung der Diagnose
auf eine transperineale/transvaginale US-Untersu-
chung und auf urodynamische Parameter zurück-
greift, kann eine ausreichend sichere Diagnose in
den meisten Fällen allein durch Auswertung des
Patientenfragebogens, des 24-h-Miktionskalenders,
des Hustenbelastungstests, des 24-h-Vorlagentests,
der vaginalen Untersuchung und der simulierten
Operationen gestellt werden.
“This page left intentionally blank.”
V

Teil V Rekonstruktive
Beckenbodenchirurgie
unter Berücksichtigung
der Integraltheorie

Kapitel 11 Grundlagen der rekonstruktiven


Beckenbodenchirurgie unter Berücksichtigung der
Integraltheorie – 121

Kapitel 12 Allgemeine Überlegungen zum chirurgischen


Vorgehen gemäß Integraltheorie – 127

Kapitel 13 Spezielle Überlegungen zur Verstärkung


von geschädigtem Bindegewebe gemäß
Integraltheorie – 133

Kapitel 14 Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei


Schadenszonen – 143

Kapitel 15 Mögliche Komplikationen bei chirurgischen


Korrekturen – 195

Kapitel 16 Postoperatives Vorgehen bei persistierenden, erneut


oder neu auftretenden Symptomen – 201

Zusammenfassung Sektion V – 207


Ein moderner Beckenbodenchirurg muss zunächst ▬ speziellen Überlegungen zur Verstärkung von
wie ein Architekt und dann wie ein Ingenieur geschädigtem Bindegewebe gemäß der Integ-
denken: raltheorie ( Kap. 13)
▬ wie ein Architekt, um die Form der Rekonst- ▬ dem speziellen chirurgischen Vorgehen unter
ruktion zu entwerfen, Beachtung der Integraltheorie in den 3 Scha-
▬ wie ein Ingenieur, um die Konstruktion stabil denszonen ( Kap. 14)
zu halten. ▬ möglichen Komplikationen bei chirurgi-
schen Korrekturen und deren Behandlung
Die rekonstruktive Beckenbodenchirurgie, die sich ( Kap. 15)
aus der Integraltheorie ergibt, unterscheidet sich
vom klassischen operativen Vorgehen in vier wich-
tigen Punkten:
1. Sie ist minimal invasiv und zielt auf eine kurz-
stationäre Behandlung ab.
2. Sie betrachtet eine Beckenbodendysfunktion
als ein einheitliches, miteinander zusammen-
hängendes Geschehen und versucht abzugren-
zen, wie stark die einzelnen Zonen der Scheide
an einer gestörten Funktion beteiligt sind.
3. Sie hat einen symptombezogenen Schwer-
punkt, der sich im graphischen Diagnoseal-
gorithmus widerspiegelt. Die üblicherweise
rein chirurgische Sichtweise wird dahingehend
erweitert, dass auch Fälle mit gering veränder-
tem anatomischem Befund, aber erheblichen
Beschwerden operiert werden.
4. Sie basiert auf chirurgischen Grundprinzipien,
die das Ziel haben, Komplikationen, Schmer-
zen oder Beschwerden auf ein Minimum zu
senken.

Das chirurgische Vorgehen, das in diesem Kapitel


beschrieben wird, basiert auf den anatomischen
und diagnostischen Grundlagen, die in den voran-
gegangenen Kapiteln abgehandelt wurden. Da die
Integraltheorie die Bedeutung von funktionstüch-
tigen Beckenbodenligamenten und -faszien weit in
den Vordergrund stellt, hat das chirurgische Vor-
gehen gemäß Integraltheorie logischerweise die
Wiederherstellung dieser Bindegewebestrukturen
zum Ziel.

Die nachfolgenden Kapitel befassen sich mit:


▬ den Grundlagen der rekonstruktiven Becken-
bodenchirurgie ( Kap. 11)
▬ allgemeinen Überlegungen zum chirurgi-
schen Vorgehen gemäß der Integraltheorie
( Kap. 12)
11

Grundlagen der rekonstruktiven


Beckenbodenchirurgie unter
Berücksichtigung der Integraltheorie

11.1 Minimalinvasive Beckenbodenchirurgie – 121

11.1 Minimalinvasive Thrombosen, Blutungen oder Infektionen nach


Beckenbodenchirurgie sich ziehen und fatal im Chaos enden.
Das Konzept der Integraltheorie steht im Ein-
Nach der Chaostheorie (Gleick 1987) besteht je- klang mit der Chaostheorie, berücksichtigt immer
des natürliche System aus zahlreichen miteinan- das gesamte Spektrum der Möglichkeiten und ver-
der verbundenen Einzelkomponenten. In diesem sucht vorhandene Probleme mit dem kleinstmög-
System können bereits kleine Veränderungen der lichen Eingriff bei höchster Präzision und tech-
Ausgangsbedingungen eine große Wirkung ent- nischer Sicherheit zu lösen. Um unnötige Kom-
falten. Entsprechend verhält es sich mit der auf plikationen bei Patientinnen zu vermeiden, wird
Symptome ausgerichteten Integraltheorie. Sie baut daher, falls möglich, darauf verzichtet, Uterus und
darauf auf, dass bereits ein geringes Nachlassen Scheidengewebe zu entfernen.
der Bindegewebespannung (geringer Prolapsgrad) Um die Komplikationsrate niedrig zu halten,
erhebliche Beschwerden auslösen kann. So kann beachtet die Integraltheorie intensiv die folgenden
z. B. bei Patientinnen mit überempfindlichen Ner- 5 Grundpfeiler der Chirurgie:
venendigungen am Blasenboden bereits eine ge- 1. Indikation
ringe Schlaffheit der Ligamente eine vorzeitige 2. Gewebequalität
Stimulierung des peripheren neurologischen Kon- 3. Struktureller Aufbau
trollmechanismus bewirken. Die eigentlich nur 4. Methodisches Vorgehen
durch eine niedrige Hemmschwelle ausgelöste 5. Instrumente
Reizung zieht eine Kaskade von Ereignissen nach
sich, die von der Patientin als erhebliche Be-
schwerden wie z. B. Urgeinkontinenz, Schmerzen 11.1.1 Indikation: Prolapsgrad und
im Becken oder husteninduzierte DI empfunden Stärke der Beschwerden
werden.
Allerdings kann ein auch noch so kleiner ope- Jede Indikation für einen operativen Eingriff wird
rativer Eingriff ernsthafte Komplikationen wie z. B. aus dem speziellen graphischen Diagnosealgorith-
122 Kapitel 11 · Grundlagen der rekonstruktiven Beckenbodenchirurgie

mus (⊡ Abb. 2.1) abgeleitet. Dieser Diagnoseschlüs- 11.1.3 Struktureller Aufbau:


sel basiert auf dem Grundkonzept: synergistisches Zusammenspiel
▬ Wiederherstellung von Form und Struktur der verschiedenen Bindegewebe-
normalisiert die Funktion. komponenten
▬ Auch ein geringer Prolapsgrad kann mit erheb-
lichen Funktionsstörungen und Beschwerden Wie in der Hängebrückenanalogie gezeigt wurde,
im Becken einhergehen. erhält das Beckenbodensystem seine Form und
▬ Unabhängig vom Grad der Schädigung kön- Struktur durch die Eigenspannung des Binde-
nen dieselben minimalinvasiven chirurgischen gewebes. Ein Spannungsverlust in einigen oder
Techniken angewendet werden. Das heißt, dass allen Bindegewebestrukturen verändert die Lage
Patientinnen mit geringen anatomischen Ver- und die Funktion der Organe. Es gibt 9 wich-
änderungen aber erheblichen Beschwerden ge- tige Bindegewebestrukturen, die über Funktion
nauso von einer hinteren Schlinge profitieren oder Dysfunktion des Beckenbodens (⊡ Abb. 11.1)
können wie Frauen mit einem massiven utero- entscheiden und von den 3 Muskelkräften ge-
vaginalen Prolaps. streckt werden. Schädigungen dieser Strukturen
in einer der 3 Zonen muss der Chirurg daher er-
kennen.
11.1.2 Gewebequalität: Erhalt und
Verstärkung von Gewebe
Die 9 Bindegewebestrukturen und ihre
Erhalten von gesundem und Verstärkung von ge- zonale Zuordnung
schwächtem Gewebe ist der Schlüssel dafür, dass ▬ Anteriore Zone
Organe wieder funktionieren und operative Ein- 1 = externes urethrales Ligament (EUL)
griffe kurzstationär oder ambulant durchgeführt 2 = pubourethrales Ligament (PUL)
werden können. Folgende Punkte sollten bei ei- 3 = suburethrale Vagina, Hammock
11 nem chirurgischen Eingriff grundsätzlich beachtet ▬ Mittlere Zone
werden: 4 = Arcus tendineus fasciae pelvis (ATFP)
▬ Um eine Verkürzung der Scheide und eine 5 = pubozervikale Faszie (PCF)
daraus resultierende Funktionsstörung zu ver- 6 = anteriorer zervikaler Ring
meiden, empfiehlt die Integraltheorie, kein (ZCE = exzessive Starrheit normalerweise
Scheidengewebe wegzuschneiden. Die Scheide durch Narbengewebe am Blasenhals, die zu
ist nicht einfach nur Haut, sondern ein Organ, einer »Tethered Vagina« führt)
das sich nicht regenerieren kann. ▬ Posteriore Zone
▬ Das Bindegewebe verliert mit zunehmendem 7= uterosakrale Ligamente (USL)
Alter seine Spannung. Wenn es notwendig ist, 8 = rektovaginale Faszie (RVF)
sollten erschlaffte Ligamente durch künstliche, 9 = Perinealkörper (PB)
präzise eingebrachte Bänder verstärkt werden.
▬ Gewebeschonung und spannungsfreies Ope-
rieren können postoperative Schmerzen auf
ein Minimum reduzieren. 11.1.4 Methodisches Vorgehen zur
▬ Am Blasenhals im Bereich der »Zone der kriti- Vermeidung von postoperativen
schen Elastizität« (⊡ Abb. 7.8, ⊡ Abb. 11.1) sollte Problemen
nicht operiert werden, um die notwendige
Elastizität für eine Trichterbildung zu erhal- Mayo (zitiert in Corman 1982) hat ausgeführt,
ten. Dieses Vorgehen vermindert das Auftre- dass es keine Standardoperation geben kann, weil
ten von unkontrolliertem Urinverlust genauso jede Operation individuell auf die Patientin zuge-
wie von postoperativem Harnverhalt oder schnitten sein muss und nicht umgekehrt. Nach
Restharn. Nichols u. Randall (1989b) gibt es zudem oft meh-
11.1 · Minimalinvasive Beckenbodenchirurgie
123 11

⊡ Abb. 11.1. Die 9 Hauptstrukturen in den 3 Beckenboden- 6 Zone kritischer Elastizität (ZCE), 7 uterosakrale Ligamente
zonen, die laut Integraltheorie bei Schädigung einer chir- (USL), 8 rektovaginale Faszie (RVF), 9 Perinealkörper (PB).
urgischen Korrektur bedürfen. 3-D-Sicht in das Becken von PCM M. pubococcygeus, EAS M. sphinkter ani externus, PRM
hinten oben. Die gestrichelte Linie stellt den Beckenring dar. M. puborectalis, LMA longitudinaler Analmuskel. LP Leva-
1 externes urethrales Ligament (EUL), 2 suburethrale Hänge- torplatte, ZCE Zone kritischer Elastizität: exzessive Starr-
matte (Hammock), 3 pubourethrales Ligament (PUL), 4 Arcus heit in ZCE durch frühere Operationen führt zur »Tethered
tendineus fasciae pelvis (ATFP), 5 pubozervikale Faszie (PCF), Vagina«

rere Bereiche, die unterschiedlich korrigiert wer- ▬ Andere seltenere Beispiele, zumeist als Folge
den müssen. Generell ist zu beachten: von zu viel weggeschnittenem Scheidengewebe,
▬ Vor jeder Operation ist es wichtig festzule- sind das Tethered-Vagina-Syndrom oder der
gen, was in welcher Zone rekonstruiert wer- Posthysterektomieprolaps.
den muss. Allerdings kann die endgültige Ent- ▬ Postoperative Schmerzen können dadurch
scheidung zeitweilig erst im Operationssaal vermindert werden, dass präzise operiert und
erfolgen. Gewebe nicht zu stark komprimiert wird. Ex-
▬ Jeder Chirurg sollte wissen, inwieweit seine zessive Spannung von Bändern und Nähten
Operation die Dynamik der Beckenboden- ist oft ebenfalls ein Grund für Schmerzen und
struktur und -funktion verändert und zum Restharn.
Auftreten einer Reihe neuer Symptome kurz
nach der Operation oder viele Jahre später füh- Durch ständige Verbesserung der Methodik ist es
ren kann. Bekannte Beispiele dafür sind post- gelungen, Eingriffe, die früher kompliziert waren
operative Schmerzen, Restharnbildung, Harn- und einen langen Krankenhausaufenthalt erfor-
verhalt, Neo-Urge oder das Auftreten einer derten, heute minimal intensiv und kurzstationär
Enterozele nach einer Burch-Kolposuspension. durchzuführen.
124 Kapitel 11 · Grundlagen der rekonstruktiven Beckenbodenchirurgie

11.1.5 Instrumente und Zugangswege Ziel dieser spannungsfreien vorderen Schlingen-


zur Verstärkung von geschädigtem operation (aIVS) war es, die Inkontinenz zu heilen
Bindegewebe und dabei postoperative Schmerzen, Harnverhalt
und einen langen stationären Aufenthalt zu ver-
Da die Verstärkung von geschädigten Ligamenten meiden.
und Faszien die Grundlage für die Chirurgie ge- Um das Kunststoffband in den Bereich des
mäß der Integraltheorie darstellt (Petros u. Ulms- pubourethralen Ligaments (⊡ Abb. 11.2) legen zu
ten 1993b, d), mussten spezielle Instrumente zum können, musste ein Spezialinstrument (⊡ Abb. 11.3)
Einbringen von Kunstoffbändern oder -netzen auf gebaut werden, das in der Zwischenzeit mehrfach
minimalinvasivem Weg entwickelt und neue Zu- verändert wurde.
gangswege erprobt werden. Das erste Ziel, die Patientinnen bei hoher Hei-
Die erste, auf der Integraltheorie basierende lungsrate nur kurz im Krankenhaus zu belassen,
Operation wurde 1986 von Petros durchgeführt. konnte schnell erreicht werden. Mit zunehmender
Verbreitung der Methode hat sich allerdings auch
gezeigt, dass ernsthafte Komplikationen auftreten
können. Berichte über Blasen- und Dünndarm-
perforationen (⊡ Abb. 11.4), Verletzungen großer
Gefäße (externe iliakale und obturatorielle Ge-
fäße) und Nerven (N. obturatorius) sind allesamt
dem »blinden« Vorgehen im Spatium retzii und im
kleinen Becken anzulasten. Direkt unter und hin-
ter dem Os pubis sind Venenplexus (⊡ Abb. 11.5)
vorhanden, die bei Verletzung zu schweren re-
tropubischen Hämatomen Anlass geben können,
weil das weiche Fettgewebe im Spatium retzii die
11 Gefäße nicht komprimiert.
Um die aufwändigen und komplikationsträch-
tigen Sakropexieoperationen zu vereinfachen und
zu verbessern, hat Petros als Nächstes einen Zu-
⊡ Abb. 11.2. Das mitturethrale netzförmige Plastikband verstärkt gang von außen durch die Fossa ischiorectalis zur
das pubourethrale Ligament. B Blase, UT Uterus, R Rektum Spina-ischiadica-Region erprobt. Im Rahmen des

⊡ Abb. 11.3. Tunneler der


ersten Generation mit Mersi-
leneschlinge
11.1 · Minimalinvasive Beckenbodenchirurgie
125 11

posterioren IVS ist es gelungen, das SUL zu erneu- pubischen Komplikationen zu senken. In der Zwi-
ern und Uterus und Scheide wieder mit der LP zu schenzeit hat sich herausgestellt, dass TOT zu
verbinden. gleich guten Kontinenzergebnissen führt wie das
Der transobturatorielle Zugang (TOT) wurde retropubische Vorgehen, wobei Verletzungen der
2001 von Delorme vorgeschlagen, um die retro- iliakalen Gefäße und des Darmes vermieden wer-
den und Blasen- oder Urethraperforationen sehr
selten sind. Allerdings wurde über Verletzungen
der obturatoriellen Nerven und Gefäße berichtet,
vor allem beim blinden Vorgehen von der Scheide
aus nach außen (»in-out«).
! Mit zunehmender Erfahrung hat sich weiter
herauskristallisiert, dass transobturatoriell
wichtige Implantationspunkte für ein Band
oder Netz im kleinen Becken erreicht werden
können.

Um die Komplikationsrate beim retropubischen


und transobturatoriellen Vorgehen zu senken und
die Operationstechnik weiter zu vereinfachen,
wurde von Petros das sog. Gewebe-Fixations-Sys-
tem (TFS; ⊡ Abb. 11.6) entwickelt. Mit diesem Sys-
tem kann ein Band noch weniger invasiv und wei-
⊡ Abb. 11.4. Sektionspräparat in liegender Position. Es wird
testgehend unter direkter Sicht eingebracht werden.
dargestellt, wie mit einem blind eingeführten Instrument
Blase, Dünndarm und lateral die externen iliakalen Gefäße
Das Band ist am Ende mit einem kleinen Polypro-
verletzt werden können pylenanker versehen, der im Gewebe fixiert wird.
Bei richtiger Platzierung kann jeder TFS-Anker ein
Gewicht von über 2 kg tragen. Die Spannung des
Bandes wird mit einem Mechanismus reguliert, der
sich an der Basis des Ankers befindet und einen
Zug nur in eine Richtung zulässt (⊡ Abb. 11.7).
Im Verlauf der Anwendung hat sich heraus-
gestellt, dass mit dem TFS nahezu jedes Ligament
oder Fasziengewebe im Becken verstärkt werden
kann (⊡ Abb. 3.1). Die bisherigen Erfahrungen zei-
gen, dass die TFS-Operationen zu einer Verkür-
zung der Operationszeiten und einer Reduktion
der Komplikationen führen. Die Erfolgsraten sind
vergleichbar mit denen der anderen spannungs-
freien Schlingenoperationen (Petros u. Richardson
2005b).

⊡ Abb. 11.5. Sinus venosus. Sagittaler Ultraschallschnitt. Der


Sinus venosus (V) liegt in der direkten Linie des blind einzufüh-
renden Instruments. PS Smphysis pubica, U Urethra, B Blase
126 Kapitel 11 · Grundlagen der rekonstruktiven Beckenbodenchirurgie

⊡ Abb. 11.7. Gewebefixationssystem-(TFS-)Anker. Das Poly-


propylenband ist in das an der Basis des Ankers sitzende
»Nadelöhr« eingefädelt, durch das sich das Band nur in eine
Richtung ziehen lässt

⊡ Abb. 11.6. Gewebefixationssystem-(TFS-)Applikator. A ist


ein Weichgewebeanker und T ein Polypropylenband zur Ver-
stärkung von erschlafften Ligamenten oder Faszien

11
12

Allgemeine Überlegungen
zum chirurgischen Vorgehen
gemäß Integraltheorie

12.1 Kurzstationäre vaginale Chirurgie – 127

12.2 Erhalt und Verstärkung von Gewebe – 128

12.3 Chirurgische Präparationstechniken – 128

12.4 Vermeidung von Rezidiven – 129

12.5 Patientenbetreuung bei kurzstationärer Beckenbodenchirurgie – 130

Nach dem Grundprinzip »Formverlust führt zur 12.1 Kurzstationäre vaginale Chirurgie
Dysfunktion« und »Wiederherstellung der Funk-
tion folgt der Wiederherstellung der Form« geht Eine Patientin kann nur dann schnell in ihr Alt-
die Integraltheorie davon aus, dass ein Bindege- tagsleben zurückkehren, wenn postoperativ alle
webeschaden in den 3 Vaginalzonen sowohl ana- Organe normal funktionieren und die Schmerzen
tomische Veränderungen als auch Beschwerden erträglich sind. Daraus folgt:
auslösen kann. Sogar kleinere Bindegewebedefekte 1. Eine suburethrale Schlinge darf die Urethra
können erhebliche Beschwerden verursachen. nicht einkerben.
Daraus ergeben sich 3 Hauptkonsequenzen: 2. Narbenbedingte Starrheit im Blasenbereich
1. Symptome stellen eine wichtige Indikation für muss vermieden werden, da unzureichende
eine Operation dar, besonders bei Symptomen Elastizität in der Blasenhalsregion nach ei-
der posterioren Zone. Das unterstreicht die ner Operation dazu führt, dass dieser Bereich
Bedeutung des diagnostischen Systems in der nicht mehr ausreichend gestreckt und damit
Integraltheorie. der Ausflusstrakt nicht verschlossen oder bei
2. Die gleiche Operation, die für einen ausge- der Miktion suffizient geöffnet werden kann.
prägten Prolaps angebracht ist, kann auch Pa- Das kann eine massive Inkontinenz oder eine
tientinnen mit erheblichen Beschwerden, aber Blasenentleerungsstörung mit Restharnbildung
nur geringen anatomischen Veränderungen zur Folge haben.
heilen.
3. Bevor der Chirurg eine spezielle Operation ! Merke:
auswählt, sollte er sich ein Bild über die Weich- ▬ Vermeide eine Einknickung der Ure-
heit bzw. Festigkeit der Bindegewebestrukturen thra beim Legen einer suburethralen
machen und überlegen, wie er die funktionelle Schlinge!
Anatomie durch seinen Eingriff verbessern ▬ Vermeide eine Operation in der Blasen-
kann. halsregion!
128 Kapitel 12 · Allgemeine Überlegungen zum chirurgischen Vorgehen gemäß Integraltheorie

Die Scheide ist, mit Ausnahme der somatisch ver- enbildung in Form einer Enterozele, Rektozele,
sorgten Introitusregion, parasympathisch inner- Zystozele führt.
viert. Am Damm, im Bereich der Perinealhaut, bis 2. Eine Überstreckung von urogenitalem Gewebe
1 cm innerhalb des Introitus sollten daher keine führt zu einer Erweichung um bis zu 30%
Inzisionen erfolgen. Daraus folgt: (Yamada 1970). Daher muss beim vaginalen
1. In der Scheide wie im Darm entstehen Schmer- Operieren Zug auf die Scheidenwände vermie-
zen nur, wenn Gewebe unter Spannung gerät, den werden.
gedrückt oder gequetscht wird. Zug oder zu 3. Bei überschüssiger Scheidenhaut kann der Chi-
feste Nähte können somit direkt nach der Ope- rurg eine Technik verwenden, bei der er Haut-
ration oder im weiteren Verlauf Schmerzen in schichten übereinanderlegt und überschüssiges
der Scheide durch Reizung des parasympathi- Gewebe anstelle eines Meshs benutzt. Durch
schen Nervensystems hervorrufen. Das erklärt eine Doppelung der Schichten wird gleichzei-
die chronischen postoperativen Schmerzen bei tig eine Zunahme der Festigkeit und Elastizität
bis zu 20% aller Patienten nach Burch-Kolpo- erreicht.
suspension. 4. Bei Patientinnen mit schlechter Gewebequali-
2. Eine zu starke Straffung der kardinalen und tät, bei denen bereits Operationen fehlgeschla-
uterosakralen Ligamente ist ein weiterer Grund gen sind, kann zusätzlich auf Polypropylen-
für postoperative Schmerzen. Daher sollte da- netze oder heterologe Bioimplantate zurückge-
rauf geachtet werden, dass Haltenähte nicht zu griffen werden.
fest zusammengezogen werden.
! Merke: 12.3 Chirurgische Präparationstechniken
▬ Knote die Scheidennähte nicht zu fest!
▬ Schneide kein Scheidengewebe weg!
Die fibromuskuläre Schicht der Vaginalfaszie ist
▬ Vermeide Inzisionen am Damm!
Bestandteil der Scheidenwand. Inzisionen müssen
die gesamte Haut durchschneiden, um nicht die
Faszie vom Epithel zu trennen.
12 12.2 Erhalt und Verstärkung 1. Durch eine korrekte Präparationstechnik kön-
von Gewebe nen Verletzungen der Nachbarorgane vermie-
den werden, vor allem bei Patientinnen mit
Das Prinzip, Gewebe zu erhalten und zu verstär- vorausgegangenen Operationen. Die wichtigste
ken, stellt die Grundlage für die Wiederherstellung Voraussetzung für eine gute Dissektionstech-
der Funktion dar. Jeffcoate (1962a, b) hat über eine nik ist, dass das Gewebe, in das man hinein-
hohe Frequenz von Dyspareunie nach traditionel- schneidet, gut gestreckt wird. Wenn Gewebe
len vaginalen Operationen berichtet. Bei diesen bei der Inzision unter Spannung steht, weicht
Eingriffen wird normalerweise Scheidenhaut exzi- es automatisch auseinander und zeigt die Prä-
diert. Daraus folgt: parationsebene auf.
1. Auf ein Wegschneiden von Scheidenhaut sollte 2. Wenn durch frühere Operationen Narben-
möglichst verzichtet werden. Wie andere Or- gewebe vorhanden ist und z. B. Scheide und
gane kann sich auch die Scheide nicht re- Darm miteinander verbacken sind, kann es
generieren. Die Scheide ist ein röhrenförmi- schwierig sein, die Organschichten präzise zu
ges elastisches Organ, das seine Festigkeit im identifizieren. In diesen Fällen sollte in das
Wesentlichen seiner fibromuskulären Schicht Narbengewebe nur dann hineingeschnitten
verdankt. Die elastische Komponente ist aber werden, wenn die Organe (z. B. Rektum und
weich und reißt leicht, z. B. bei einer Geburt. Vagina) mit einer Klemme in die andere Rich-
Wenn das Elastin zerstört ist, richten sich die tung gezogen wurden. Dehnung streckt das
Kollagenfasern in Zugrichtung aus und kön- Narbenkollagen, das gezwungen wird, sich
nen bei Belastung nachgeben, was zur Herni- beim Schneiden zurückzuziehen und den Blick
12.4 · Vermeidung von Rezidiven
129 12

auf die Schicht zwischen Rektum und Vagina Videobeobachtungen zeigen, dass einige Teile
oder Blase freizugeben. der Scheide beim Pressen, während der Miktion
3. Auf ein Abschieben von Gewebe mit dem Fin- und Defäkation beträchtlich gedehnt werden.
ger sollte bei Patientinnen mit vorangegan- Wenn durch die operative Korrektur große Span-
gener Operation verzichtet werden, weil die nung entstanden ist, kann die Kombination von
Organe oft einreißen, bevor sich das Narben- Devaskularisation und starkem Zug zum post-
gewebe wegschieben lässt. operativen Ausreißen der Nähte führen und die
4. Sehr hilfreich ist die Trennung von Gewebe- Grundlage für eine Wunddehiszenz und ein Pro-
schichten durch Aquadissektion. Dadurch wer- lapsrezidiv bilden.
den die Verschiebeschichten verbreitert und
die Organwände voneinander getrennt. ! Beachte:
1. Zu feste Nähte verkürzen die Heilphase
nicht, sondern können die Scheide
12.4 Vermeidung von Rezidiven komprimieren und schwere Schmerzen
verursachen. Daher sollten die Nähte
In den ersten 14 Tagen der Narbenbildung hat Nar- nicht zu fest sein.
bengewebe nur eine geringe Festigkeit (⊡ Abb. 12.1). 2. Zu dünnes Nahtmaterial kann bei körper-
Während dieser Zeit muss sich die Wunde auf die licher Belastung eher durch das Gewebe
Qualität und Unversehrtheit der Nähte verlassen, schneiden und ausreißen als dickes.
um den auf die Scheide einwirkenden Muskelkräf- 3. Der Gebrauch von transvaginalen Hal-
ten widerstehen zu können. tenähten schützt die heilende Wunde
Da es nicht möglich ist, die natürlichen Kör- so lange, bis im Narbengewebe Kol-
perfunktionen wie Miktion, Defäkation oder Auf- lagenkreuzverbindungen entstanden
stehen, Hinlegen usw. durch Bettruhe zu unterbin- sind, die eine erneute Hernienbil-
den, muss das chirurgische Vorgehen so ausgelegt dung verhindern. Die transvaginalen
sein, dass es dem Zug in der Scheide widersteht, Haltenähte erhalten ihre Festigkeit
bis das körpereigene Narbengewebe der Belastung dadurch, dass sie tief durch festes seit-
Stand hält. Nach Hippokrates braucht die Natur liches Gewebe gestochen und erst nach
dafür 100 Tage. 3 Monaten resorbiert werden.

⊡ Abb. 12.1. Reißfestigkeit


einer heilenden Faszie
(Douglas 1952)
130 Kapitel 12 · Allgemeine Überlegungen zum chirurgischen Vorgehen gemäß Integraltheorie

4. Das neue TFS kann das nach lateral β-hämolysierende Streptokokken vorhanden sind
abgewichene Gewebe noch überzeu- und, falls notwendig, eine antibiotische Behand-
gender zusammenhalten, weil der TFS- lung erfolgen muss.
Anker einen Ausreißwiderstand von
! Falls regelmäßig blutgerinnungshemmende
2 kg hat.
Substanzen wie Aspirin, ASS, Indometacin,
5. Für Patientinnen mit vorausgegan-
Marcumar, Plavix oder ähnliche Medikamente
genen Operationen und schlechtem
eingenommen werden, müssen diese nach
Gewebe ist bei ausgeprägtem Prolaps
vorheriger Absprache mit dem behandelnden
ein Netz empfehlenswert. Dabei ist es
Arzt 10 Tage vor der Operation abgesetzt oder
technisch oft nicht einfach, die richtige
auf andere Medikamente umgestellt werden.
Gewebespannung mit dem Mesh zu er-
reichen. Vor allem bei Patientinnen mit Die Operation kann in Regionalanästhesie (spinal,
Urge, Nykturie, Pollakisurie und Entlee- epidural) oder in Allgemeinnarkose durchgeführt
rungsstörungen infolge hoher Zysto- werden. Die Patientin muss nüchtern sein und darf
und Rektozele ist die Wiederherstellung mindestens 6 h vor der Operation nichts mehr zu
der korrekten Gewebespannung aber sich genommen haben. Ältere oder diabetische
entscheidend für ihre Heilungschancen. Patientinnen sollten frühzeitig infundiert werden.
Flüssigkeitsmangel prädisponiert zur Thrombose
! Merke: Treten kurze Zeit nach erfolgreicher und Embolie. Der Darm sollte am Abend vor der
Operation oder im weiteren Verlauf erneut Operation durch einen Einlauf oder ein Klistir
Beschwerden auf, ist das oft nicht durch ein entleert werden. Zur Thromboseprophylaxe erhal-
Rezidiv, sondern durch eine Hernienbildung ten die Patientinnen Stützstrümpfe und niedermo-
an anderer Stelle bedingt. Da alle Komponen- lekulares Heparin.
ten des Beckenbodens aufeinander einwir- In Ausnahmefällen kann die Operation auch
ken, kann es sein, dass durch Stärkung eines unter Lokalanästhesie in Kombination mit einer
Scheidenbereichs die Muskelkraft auf einen Sedierung erfolgen. Dieses Vorgehen wird vor al-
anderen, schwächeren Teil umgeleitet wird. lem von älteren Patientinnen toleriert. Patientin-
12 Nach Shull et al. (1992) bilden sich auf diese nen <50 Jahren eignen sich weniger dafür.
Weise nach vaginalen Operationen in über Nach Gabe von 5–12 mg Midazolam durch den
38% der Fälle Hernien in anderen Bereichen Anästhesisten werden vom Operateur 80–160 ml
der Scheide. 0,25%iges Prilocain oder Xylocain in die Mus-
kulatur, Scheide und Ligamente injiziert, in de-
nen operiert wird. Die Einwirkzeit beträgt 10 min.
12.5 Patientenbetreuung bei kurz- Adrenalinzusatz vermindert den Blutverlust und
stationärer Beckenbodenchirurgie verlängert die Anästhesiedauer. Falls notwendig,
können zusätzlich eine Pudendusanästhesie und/
12.5.1 Vor der Operation oder ein parazervikaler Block angelegt werden.
Für einen parazervikalen Block wird die Zervix
Wie vor jedem operativen Eingriff muss auch vor vorsichtig ohne Druck mit einer Allisklemme ge-
einem kurzstationären Aufenthalt eine allgemein- fasst und zart nach außen gezogen, wodurch die
medizinische oder internistische Untersuchung USL bei der Injektion unter Spannung geraten. Bei
erfolgt sein. Für die Narkose werden ein EKG, entscheidenden Schritten wie z. B. dem Einbringen
Blutuntersuchungen und evtl. ein Röntgenbild der eines Tunnelers kann vom Anästhesisten zusätz-
Lunge benötigt. Die Schamhaare sollten gekürzt lich Propofol verabreicht werden.
werden. Eine vollständige Rasur ist meist nicht Alle Patientinnen sollten präoperativ bei Be-
erforderlich. Bei unklarem Fluor sollte präoperativ ginn der Narkose ein Breitbandantibiotikum wie
mit einem Vaginalabstrich abgeklärt werden, ob z. B. Cephalosporin intravenös als Single-Shot er-
pathogene Keime wie z. B. Staphylokokken oder halten.
12.5 · Patientenbetreuung bei kurzstationärer Beckenbodenchirurgie
131 12
12.5.2 Nach der Operation können sie wieder arbeiten können. Nur auf Gar-
tenarbeit, das Heben schwerer Dinge und Sport
Die Patientinnen sollten wenige Stunden nach sollte 3 Monate lang verzichtet werden.
der Operation aufstehen und umherlaufen. Beim Auch wenn es den Patientinnen, anders als bei
Aufstehen, Sitzen und auf der Toilette muss dar- vielen anderen Operationen, rasch wieder gut geht,
auf geachtet werden, dass die Patientin ihre Beine sollten sie trotzdem 3 Monate lang bei allen Tätig-
nicht zu sehr spreitzt, damit die Nähte nicht zu keiten vorsichtig sein. Schlechte Operationsergeb-
sehr unter Spannung geraten. Scheidentampo- nisse entstehen vor allem dadurch, dass Nähte bei
nade und Dauerkatheter werden am Morgen nach zu heftigem Pressen und/oder bei unvorsichtigem
der Operation entfernt, Flüssigkeitszufuhr und Aufstehen ausreißen.
Urinausscheidung protokolliert. Patientinnen, die Auf Sex und die Benutzung von Tampons
Urinmengen von mindestens 200 ml lassen kön- sollte 6–8 Wochen verzichtet werden. Da sich
nen, haben zumeist keine behandlungsbedürfti- einige Fäden erst nach 3 Monaten auflösen, kann
gen Restharnmengen. In unklaren Fällen kann das bei zu frühem Geschlechtsverkehr störend
die Blasenfüllung mittels Ultraschall überprüft sein. Ein zu starkes Pressen beim Stuhlgang kann
werden. dadurch vermieden werden, dass die Patientinnen
Bei einer nicht ausreichenden Blasenent- Zerealien, Obst, Gemüse, Vollkornbrot usw. zu
leerung ist es notwendig, die Blase entweder sich nehmen.
einmalig zu katheterisieren oder erneut einen
Dauerkatheter zu legen und ein Blasentraining
durchzuführen. Die Autoren haben bei über 12.5.3 Frühe postoperative
3.000 komplexen Beckenbodenoperationen nur Komplikationen
zweimal einen suprapubischen Katheter aufgrund
eines länger als 5 Tage andauernden Harnver- Diese sind selten, können aber vorkommen.
halts legen müssen. Der Katheter konnte in bei-
den Fällen spätestens nach 2 Wochen entfernt Infektionen im Wundbereich. Sie werden sys-
werden, nachdem sich die Miktion normalisiert temisch und lokal antibiotisch behandelt. Wenn
hatte. notwendig, erfolgt eine Revision des Wundgebiets
Alle Patientinnen sollten darauf hingewiesen oder eine Abszessspaltung mit Entfernung des
werden, dass über 4–6 Wochen Wundsekret aus Bandes oder Netzes.
der Scheide abgeht, das anfangs blutig sein kann.
Auf Wunsch dürfen die Patientinnen kurz Nachblutung. Die Vagina ist ein gefäßreiches
nach der Operation trinken und etwas Leichtes es- Organ, was besonders bei prämenopausalen und
sen. Der normale stationäre Aufenthalt beträgt in voroperierten Patientinnen von Bedeutung ist.
Deutschland 3–7 Tage. Die Dauer hängt vom Ope- Kleine Gefäße können sich während der Opera-
rationsumfang, von Nebenerkrankungen und vom tion zunächst zusammenziehen, um dann später
Alter der Patientin ab. Vor Entlassung erfolgt eine zu bluten. Zu feste Nähte können innerhalb von
Abschlussuntersuchung mit den nötigen Empfeh- 72 h Gewebe durchschneiden und zu einer star-
lungen für zu Hause. Weitere Nachuntersuchungen ken Blutung führen. Daher sind spannungsfreie
sind 6 Wochen und 3 Monate nach der Operation Nähte und eine akribische Blutstillung notwendig.
erforderlich. Bis zum vollständigen Abheilen der Meist reicht bei Nachblutungen eine Tamponade
Operationswunde vergehen 3 Monate. Bei postme- zur Blutstillung aus. In schwereren Fällen ist eine
nopausalen Patientinnen sollte die Wundheilung Revision erforderlich. Ein größeres Hämatom
durch eine lokale Östrogenbehandlung unterstützt im Spatium retzii oder im rektovaginalen Raum
werden. kann sonographisch lokalisiert werden. Abhän-
Die Operationen sind so ausgelegt, dass Pati- gig von der Situation ist abwartendes Verhalten,
entinnen schnellstmöglich in ihr normales Alltags- eine Punktion oder Revision des Wundgebiets
leben zurückkehren können. Nach ca. 14 Tagen notwendig.
132 Kapitel 12 · Allgemeine Überlegungen zum chirurgischen Vorgehen gemäß Integraltheorie

12.5.4 Spätkomplikationen

In ca. 1% der Fälle verheilt die Scheidenhaut über


einem künstlichen Band oder Netz nicht. Es kommt
zur Bildung von Granulationspolypen, aus denen es
bei Berührung blutet. Des Weiteren wird ein ver-
stärkter gelblicher Ausfluss aus der Scheide bemerkt,
bei dem es sich zumeist nicht um eitriges Sekret,
sondern Wundsekret infolge einer Fremdkörperre-
aktion handelt ( Kap. 15.2). Der erodierte Bereich
des künstlichen Bandes oder Netzes muss entfernt,
die Wunde angefrischt und verschlossen werden
 Kap. 15.2.1, Abschn. »Vorgehen bei Erosionen«
Netze können, manchmal erst Jahre nach der
Implantation, eine Fremdkörperreaktion hervor-
rufen, was als steriler Abszess in der Bauchdecke
oder Scheide imponiert. Wenn die Fremdkörper-
reaktion ausgeprägt ist und Organe wie Urethra,
Blase oder Rektum einbezieht, kann es zu Schmer-
zen und Dysfunktionen kommen. In diesen Fällen
ist eine Revision erforderlich.
Wie bereits erwähnt, kann durch Korrektur
eines Scheidenbereichs das Gleichgewicht in den
3 Zonen verändert werden. Wenn z. B. die vordere
Scheidenzone durch eine suburethrale Schlinge
verstärkt wurde, können die Muskelkräfte vermehrt
auf den mittleren oder hinteren Scheidenbereich
12 einwirken und, falls diese ebenfalls geschädigtes
Bindegewebe enthalten, zu einer Zysto- oder En-
terozele mit entsprechender Symptomatik führen
(⊡ Abb. 8.5, ⊡ Abb. 8.6, ⊡ Abb. 8.11). Die dadurch
bedingten Dysfunktionen können sich innerhalb
von Tagen, Wochen oder Monaten nach dem Ein-
griff einstellen.
13

Spezielle Überlegungen zur Verstärkung


von geschädigtem Bindegewebe gemäß
Integraltheorie

13.1 Operative Verstärkung von Ligamenten – 134

13.2 Reparatur von geschädigten Faszien – 139

Es gibt 2 bindegewebige Hauptstrukturen, die kor- Fremdköpermaterial berücksichtigt werden,


rigiert werden müssen: bei einem Defekt vor allem in Regionen, in denen Organe sich
▬ Ligamente und gegeneinander verschieben. Die Auswahl des
▬ Faszien. operativen Verfahrens muss daher jedes Mal
individuell erfolgen.
Geschädigte Ligamente lassen sich nicht durch ▬ Kollagen, Narbengewebe eingeschlossen, ist
Raffnähte korrigieren, weil geschädigtes Bindege- eine lebende Struktur, die ständig abgebaut
webe nach kurzer Zeit wieder nachgibt. Zur Wie- und wieder neu gebildet wird. Dadurch kön-
derherstellung der Funktion müssen erschlaffte nen Narben erweichen und nachgeben.
Ligamente daher durch Kunststoffbänder ersetzt ▬ Nichtresorbierbares Material wie z. B. Polypro-
werden. pylen schafft hingegen eine dauerhafte Band-
Eine Faszienkorrektur kann hingegen auf zwei- oder Wandverstärkung und unterstützt da-
erlei Weise erfolgen: durch lebenslang geschädigte Ligamente oder
1. durch direkte Reparatur in Form von Inzision Faszien.
und Raffnaht, wobei das Narbengewebe sozu- ▬ Ein Nachteil ist, dass sich Fremdkörpermate-
sagen als »Klebstoff« dient oder rial nicht den altersbedingten Veränderungen
2. durch Verstärkung der Faszie mit homologem des Körpers anpasst. Außerdem schrumpft
oder heterologem Gewebe. Kollagen mit dem Alter, auch das in Bändern
und Netzen. Daher ist es möglich, dass ein
Bei der Auswahl des Operationsverfahrens und suburethrales Polypropylenband, das bei einer
des Kunststoffmaterials sollte Folgendes bedacht 30-jährigen Frau die Funktion vollständig wie-
werden: derhergestellt hat, im Alter von 70 Jahren zur
▬ Welche Technik auch immer angewendet Einengung der Urethra führt.
wird, in jedem Fall müssen die Kollageneigen- ▬ Banderosionen infolge von Rutschen, schlech-
schaften und die Reaktionen des Körpers auf tem Wirtsgewebe oder überschießender Nar-
134 Kapitel 13 · Spezielle Überlegungen zur Verstärkung von geschädigtem Bindegewebe gemäß Integraltheorie

benbildung können weitere unerwünschte Pro- Ligamente so verstärken lassen, dass sie möglichst
bleme hervorrufen. lebenslang ihre ursprüngliche Funktion wieder
▬ Langzeitergebnisse nach Einbringen von Netz- ausüben. Dafür war es wichtig zu untersuchen,
streifen in die Vaginalwand liegen derzeit noch welches Kunststoffmaterial Fremdkörperreaktio-
nicht vor. Es ist nicht auszuschließen, dass eine nen hervorruft, die zum Verstärken von Ligamen-
mit der Zeit zunehmende Fibrose im Bereich ten genutzt werden können.
des Netzes eine starre, unelastische Scheide zur
Folge hat.
▬ Die Scheidenwände müssen aber ausreichend 13.1.1 Art des Kunststoffmaterials
elastisch sein, um sich hinten frei gegeneinan-
der verschieben zu können. Narben im rekto- Petros et al. haben 1990 13 Kaninchen Mersilene-
vaginalen Zwischenraum können zu Darmpro- bänder zwischen dem M. rectus abdominis und
blemen, Dyspareunie oder evtl. Einwachsen der Urethra entlang der PUL implantiert. Beide
des Netzes in die Darmwand führen, Narben Bandenden lagen frei im Scheidenlumen und
im vorderen Bereich zur Inkontinenz, zu Urge wurden dort für 6–12 Wochen belassen. In allen
und zu Blasenentleerungsstörungen. 13 Fällen fand sich eine lineare Ablagerung von
Daher gibt es Überlegungen, ob nicht quer Kollagen um das implantierte Band (⊡ Abb. 13.1),
zwischen dem ATFP oder den rektovaginalen die nach Bandentfernung in situ verblieb und wie
Rändern ausgespannte Bänder den gleichen ein künstliches Neoligament wirkte (⊡ Abb. 13.2).
Effekt haben wie ein Netz. Bei diesem Vorge- In den Maschen des Bandes konnten Makropha-
hen wird weniger Kunststoffmaterial als bei gen nachgewiesen werden. Die Tiere zeigten keine
Netzen benötigt. Trotzdem kann die erschlaffte Verhaltensveränderung, kein Fieber, keine Appe-
PCF oder RVF wie Deckenträger, die ein Dach titlosigkeit und keine Leukozytose.
halten, verstärkt werden. Gleiche Ergebnisse fanden sich in den nachfol-
genden Studien bei Patientinnen mit Prototypen
der intravaginalen Schlingen (Petros u. Ulmsten
13.1 Operative Verstärkung 1990c, d, f, 1993b, h).
von Ligamenten

Jeder quergestreifte Muskel ist über eine Sehne an


13 einem Knochen verankert. Um optimal funktio-
nieren zu können, benötigt der Muskel ein festes
Widerlager. Wenn seine Sehne bei Zug nachgibt
oder zerrissen ist, kann er seine Kraft nicht auf
das Erfolgsorgan übertragen. Die Folge ist eine
gestörte Funktion.
Die Beckenbodenmuskulatur benutzt zur Kraft-
übertragung Ligamente, die 5fach schwächer sind
als eine gleichdicke Sehne. Wenn diese Ligamente
geschädigt sind, müssen sie repariert werden, um
die Funktion der Beckenorgane zu normalisieren.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Raffnähte
nicht ausreichen, da eine Narbe vorgeschädigtes
Bindegewebe über längere Zeit nicht zusammen-
⊡ Abb. 13.1. Gewebereaktion auf ein implantiertes Mersile-
halten kann. Morscher Stoff, der mit festem Garn
neband. Probe von einem Tierexperiment, bei dem für 12 Wo-
repariert wurde, wird bei Zug erneut reißen. chen ein Band um die Urethra implantiert wurde, mit freien
Gemäß der Integraltheorie musste daher eine Bandenden in der Scheide. Das Band (T) ist umgeben von
Methode entwickelt werden, mit der sich zerstörte einer Granulationsgewebeschicht und einer Kollagenschicht
13.1 · Operative Verstärkung von Ligamenten
135 13

⊡ Abb. 13.2. Kollagenes Neoligament 6 Wochen nach Ent-


fernen eines Mersilenebands. Probe vom Kaninchen. Pfeile ⊡ Abb. 13.3. Monofilamentband. Die monofilamentären Fa-
zeigen auf das kollagene Neoligament. V Vagina, B Blase. (Aus sern sind 100–150 μm dick. Die Zwischenräume sind relativ
Petros 1999b) groß. Die Halbmondform lässt es zu, dass das Band zu einem
runden Seil zusammengezogen werden und das Gewebe
durchschneiden kann
Ulmsten et al. haben 1996 gezeigt, dass Poly-
propylenkunststoff besser vom menschlichen Ge-
webe vertragen wird als andere Materialien wie
z. B. Mersilene, Goretex, Teflon oder PTFE. Poly-
propylen weist die niedrigste Erosionsrate auf und
verhält sich sogar bei Infektionen inert (Iglesia
et al. 1997). Diesem Material wird daher heute
bei rekonstruktiver Vaginalchirurgie der Vorzug
gegeben.

13.1.2 Mechanische Eigenschaften bei


unterschiedlicher Bandtextur

Im Rahmen der Inkontinenzchirurgie werden


⊡ Abb. 13.4. Multifilamentband. Das Band ist weich, nicht
heute sowohl mono- als auch multifilamentäre
elastisch und nicht dehnbar und gibt weniger Kraft pro Fläche
Bänder erfolgreich eingesetzt. auf die Urethra. Die Fasern sind 20–30 μm dick, die Zwischen-
Ein monofilamentäres Band hat dickere Fa- räume 55–75 μm groß und damit signifikant schmaler als die
sern (100–150 μm) als ein multifilamentäres monofilamentären
(20–30 μm; ⊡ Abb. 13.3). Es weist relativ große,
halbmondförmige Zwischenräume zwischen den
Fasern auf und ist dehnbar. Es kann sich bei Zug Ein dehnbares Monofilamentband zur Behandlung
zu einem Strang verformen. Wegen seiner Elas- der SI muss daher immer lose unter die Urethra
tizität ist eine Arrosion des Nachbargewebes bei platziert werden.
einem monofilamentären Band eher möglich als Im Gegensatz zum monofilamentären Band
bei einem multifilamentären. Zug beim Legen des enthält ein Multifilamentband (⊡ Abb. 13.4) mehr
Bandes muss vermieden werden, da es den Druck und dünnere Fasern (20–30μm) sowie kleinere
(Kraft pro Fläche) auf das Nachbargewebe erheb- Faserzwischenräume. Es ist weicher und nicht
lich erhöht, wodurch wenig durchblutetes Ge- dehnbar. Multifilamentbänder besitzen eine grö-
webe wie z. B. die Urethra komprimiert oder sogar ßere Oberfläche. Sie stützen die Urethra dadurch
durchschnitten werden kann (Koelbl et al. 2001). breitflächig und vermindern den Druck auf die
136 Kapitel 13 · Spezielle Überlegungen zur Verstärkung von geschädigtem Bindegewebe gemäß Integraltheorie

Harnröhre. Die Chance zur Perforation wird da- rer operativ zu entfernen ist als ein Multifila-
durch verringert. Multifilamentäre Bänder sind bei mentband, das von einem Kollagenzylinder um-
SI bereits wirksam, wenn sie der Urethra nur lose hüllt ist.
anliegen, ohne sie durch Zug einzukerben. Für die Rekonstruktion von schmalen Liga-
In einer randomisierten klinischen Studie menten ist eine starke fibrotische Reaktion vor-
(n=100) mit mono- und multifilamentären Bän- teilhaft, weil dadurch eine größere Festigkeit auf
dern konnte Rechberger et al. (2003) zeigen, dass engem Raum erreicht wird. Anders verhält es sich
es in der Monofilamentgruppe zu einem statistisch bei einem Netz zur Korrektur einer Zysto- oder
signifikant höherem postoperativen Harnverhalt Rektozele. Der Druck, der auf eine flächenhafte
kam. Erosionen traten in keiner der beiden Grup- Faszie einwirkt, ist erheblich geringer als der auf
pen auf. Nach Rechberger et al. (2003) bestand ein Halteligament, so dass zur Verstärkung einer
der einzige Unterschied in beiden Gruppen darin, Faszie eine monofilamentär induzierte Gewebere-
dass in der Monofilamentgruppe nach Legen des aktion ausreicht.
Bandes die Plastikhülle entfernt und die weiche
Urethra durch diesen zusätzlichen Zug am Band
komprimiert wurde. 13.1.4 Bedeutung der Maschengröße und
In einer 2005 publizierten, aus 3 Armen beste- der interfibrillären Zwischenräume
henden randomisierten Studie (n=180) berichten
Lim et al. über Erosionsraten von 13,1% und 3,3% Amid hat 1997 empirisch postuliert, dass der
für zwei handelsübliche monofilamentäre Bandty- Abstand zwischen einzelnen Fasern mindestens
pen und 1,7% bei multifilamentärer Struktur. 10 μm betragen muss, damit Makrophagen pene-
Unabhängig von der verwendeten Textur soll- trieren können. Für das Einwachsen eines fibro-
ten Kunststoffbänder oder Netze keine spitzen vaskuläres Bündels wäre ein Zwischenraum von
Fransen aufweisen, da die Spitzen durch die Be- 75 μm notwendig.
ckenogane oder die Scheidenhaut hindurchstechen Aus elektronenmikroskopischen Untersuchun-
und Dyspareunie oder Fisteln erzeugen können. gen ist aber bekannt, dass Makrophagen durch
interendotheliale Lücken schlüpfen können, die
kleiner als 1 μm sind (⊡ Abb. 13.5; Papadimitriou u.
13.1.3 Gewebereaktionen bei unter- Ashman 1989). Diese Fähigkeit erreichen sie durch
schiedlichem Faserdurchmesser Formveränderung, indem sie nur mit kleinen Aus-
13 läufern durch die Lamellen treten.
Dünne Fasern, wie sie in Multifilamentbändern
(20–30 μm) verwendet werden, induzieren eine
wesentlich geringere Gewebereaktion als die di-
ckeren monofilamentären (100–150 μm).
Vergleichende Untersuchungen an mono- und
multifilamentären Bändern an der Ingenieurschule
für Material der Universität von Westaustralien ha-
ben aber gezeigt, dass ein multifilamentäres Band
eine doppelt so große Kontaktfläche besitzt wie ein
monofilamentäres Band (Papadimitriou u. Petros
2005). Insgesamt kommt es dadurch zu einer stär-
keren fibrotischen Reaktion als bei monofilamen-
tären Bändern, wobei sich um das Multifilament-
⊡ Abb. 13.5. Die elektronenmikroskopische Aufnahme zeigt,
band ein Zylinder bildet, der das Band mit einem
dass Makrophagen durch interendotheliale Lücken schlüpfen
feinen verflochtenen Kollagennetz umgibt. können (S–S1), die einen Durchmesser von weniger als 1 μm
Das erklärt, warum ein Monofilamentband haben, durch Bildung von fußartigen Ausläufern (L). (Papadi-
infolge seiner dichteren Kollagenreaktion schwe- mitriou u. Ashman 1989)
13.1 · Operative Verstärkung von Ligamenten
137 13

2005 konnten Papadimitriou u. Petros ein- Im frühen Stadium kann mikroskopisch eine
deutig zeigen, dass Multifilamentfasern 2 Wochen akute Entzündungsreaktion erkannt werden, die
nach Implantation von Makrophagen (⊡ Abb. 13.6) durch eine Infiltration von polymorphkernigen
umgeben und fibrovaskuläre Bündel in Zwi- Leukozyten und Makrophagen charakterisiert
schenräume <5 μm penetriert (⊡ Abb. 13.8–13.10) ist. Die akute Reaktion geht schrittweise in eine
sind. chronische Entzündung über, die sich durch
Vereinfacht ausgedrückt ist das histologische Lymphozyten, Plasmazellen, Makrophagen und
Muster, das sich um ein Kunststoffimplantat bildet, Fremdkörperriesenzellen auszeichnet. Diese Re-
weitestgehend unabhängig vom Kunststoffmate- aktion verschwindet innerhalb von 6 Monaten.
rial. Harrison et al. hat bereits 1956 die Fremdkör- Danach können nur noch vereinzelt Makropha-
perreaktion des Gewebes auf ein Implantat folgen- gen und Fremkörperriesenzellen angetroffen
dermaßen beschrieben: werden. Eine Fibrose ist bereits ab dem 7. Tag zu
erkennen. Nach 14 Tagen ist das Implantat kom-
plett von einer Kapsel aus proliferativem Binde-
gewebe umgeben (Harrison et al. 1956, p. 156).

Experimentelle Tierversuche mit dem TFS


(⊡ Abb. 13.7, ⊡ Abb. 13.8) bestätigen die Beobach-
tungen von Harrison et al. (1956, 1958) Diese
Arbeiten zeigen, dass ein Polypropylenanker nach
2 Wochen von einer Kapsel aus Bindegewebe um-
geben ist, das auch die Mikrofasern des multifila-
mentären Netzgewebes infiltriert hat.
Die normale, durch Kunstoffimplantate aus-
gelöste Fremdkörperentzündung ist physiologisch
und unabhängig von dem Ausmaß der Gewebe-
reaktion. Die Stärke der Gewebereaktion hängt
vor allem von dem Volumen des Implantats ab.
⊡ Abb. 13.6. Makrophagen umgeben Multifilamentfasern.
Gewebeprobe von Ratten 2 Wochen nach Implantation. Die
Weiterhin gibt es beträchtliche Unterschiede von
Mikrofibrillen sind umgeben von Makrophagen, Proteoglyka- Patient zu Patient (Petros 1999b). Ein steriler
nen und Kollagen Typ III. (Papadimitriou u. Petros 2005) Bandabszess ist selten und Folge einer extremen

⊡ Abb. 13.7. Bindegewebe nach 2 Wochen. Die Abbildung ⊡ Abb. 13.8. Bindegewebe nach 2 Wochen. Makrophagen
zeigt, wie Bindegewebe den Polypropylen-TFS-Anker einkap- und fibrovaskuläres Gewebe haben die Mikrofasern des multi-
selt. (TFS = Gewebefixierungssystem) filamentären Netzes infiltriert
138 Kapitel 13 · Spezielle Überlegungen zur Verstärkung von geschädigtem Bindegewebe gemäß Integraltheorie

Fremdkörperentzündung. Er darf nicht mit einem Typ I sind deutlich dicker und erheblich dichter
eitrigen Abszess z. B. nach einer Verletzung mit um das multifilamentäre als um das monofilamen-
einem Holzsplitter gleichgesetzt werden. täre Netz angeordnet. Ein Zeichen dafür, dass sich
Histologische Bilder aus Studien über mono- das Ausmaß der Kollagenbildung direkt propoti-
und multifilamentäre Bänder beim Menschen onal zur Dichte des Netzes verhält (je mehr Netz,
zeigen ⊡ Abb. 13.9–13.12 (Papadimitriou u. Petros desto mehr Kollagen). Beim monofilamentären
2005). In den Schnitten sind Kollagen Typ I und III Band ist mehr Raum für Entzündungszellen, weil
sowie Proteoglykane angefärbt. Die Kollagenfasern die Kollagenfasern eine verminderte Größe und
geringere Dichte aufweisen.
Weiterhin sind Proteoglykane und sogar argyro-
phile Fasern (Kollagen-Typ-III-Fibrillen) zwischen
den Multifilamentnetzen zu erkennen, ein Beweis
dafür, dass sich Bindegewebe und Makrophagen
zwischen den multifilamentären Fasern ablagern
(⊡ Abb. 13.6). Es ist bekannt, dass Kollagen Typ III
das Kollagen ist, das in der frühen Heilungsphase
von Fibroblasten sezerniert und meistens mit zu-

⊡ Abb. 13.9. Bindegewebe in der Umgebung von einem mo-


nofilamentären Band. Erkennbar sind relativ schmale und we-
nig dicht angeordnete Kollagenfaserbündel (farbig), die auf
dem Monofilamentnetz haftenden großen multinukleären
Riesenzellen und die Entzündungszellen in dem umgeben-
den Bindegewebe

13
⊡ Abb. 13.11. Proteoglykane (alcianblau) im Bindegewebe.
Sie befinden sich in der Umgebung des Monofilamentbands

⊡ Abb. 13.10. Bindegewebe in der Umgebung von einem mul-


tifilamentären Band. Erkennbar sind relativ dicke und enger
gepackte Kollagenfaserbündel (farbig). Kleine multinukleäre
Zellen haften an den Komponenten des Multifilamentbands.
Ein amorphes pinkfarbenes Koagel (Proteoglykan) befindet ⊡ Abb. 13.12. Proteoglykane (alcianblau) in den Zwischenräu-
sich in den Zwischenräumen. Nur wenige Entzündungszellen men von einem Multifilamentband und in dem umgebenden
sind in dem umgebenden Bindegewebe vorhanden Bindegewebe
13.2 · Reparatur von geschädigten Faszien
139 13

nehmender Dauer der Heilung von Makrophagen bestimmte, definierte Länge zusammenziehen.
und Fibroblasen wieder abgebaut wird. Seine An- Eine Falte in der Scheidenwand (⊡ Abb. 13.13) be-
wesenheit in einem 2 Jahre alten Implantat spricht deutet, dass der zuständige Muskel die Wand nicht
für eine gewisse Plastizität des Implantats. vollständig strecken kann und damit seine Wir-
kung unzureichend ist. Symptome wie z. B. Urge,
Pollakisurie, Nykturie usw. werden persistieren,
13.2 Reparatur von geschädigten Faszien wenn die Scheidenwand bei einer Operation nicht
adäquat gespannt und dadurch die Dehnungsre-
13.2.1 Grundsätzliche Überlegungen zeptoren nicht ausreichend unterstützt werden
(⊡ Abb. 13.13), auch wenn das evtl. implantierte
Es gibt 2 Schadensarten in der rektovaginalen oder Netz ein Prolapsrezidiv verhindern kann.
pubozervikalen Faszie: Die Scheidenfaszie ist die Schicht, die den Zug
1. diskrete Risse und der quergestreiften Muskulatur auf die Blase und
2. homogene Überstreckung dieser Strukturen. das Rektum überträgt. Eine operative Korrektur, die
darauf abzielt, die Organfunktion zu normalisieren,
Diese beiden Formen können nicht immer vonei- muss daher vorrangig die Originalspannung der
nander getrennt werden. Während ein Faszienriss Faszie wiederherstellen. Eine Faszie im Stadium ei-
direkt durch Nähte repariert werden kann, gelingt nes Prolapses zeigt ⊡ Abb. 13.14. Es wird beispielhaft
das bei Überstreckung eines großen Faszienberei- dargestellt, dass ein unter die Blasenausstülpung
ches meist nicht. gelegtes Netz zwar passiv als Barriere wirkt und eine
Voraussetzung für eine optimale Organfunk- weitere Verschlechterung der Anatomie verhindert,
tion ist, dass die Faszie der Scheidenwand gut nicht aber die Funktion normalisiert. Solange eine
gespannt ist. Wie bereits in  Kap. 13.1 erwähnt, normale Spannung der Faszie die Dehnungsrezep-
kann ein quergestreifter Muskel sich nur über eine toren am Blasenboden nicht entlastet (⊡ Abb. 13.15),

⊡ Abb. 13.13. Schlaffe Scheidenwand.


Diese kann durch Muskeln nicht
ausreichend gespannt werden. Eine
durchhängende Faszie (L) verhindert ,
dass die Muskelkräfte (Pfeile) die Schei-
denwand vollständig strecken und die
Dehnungsrezeptoren (N) unterstützen

⊡ Abb. 13.14. Netz, das zwar als Barriere dient, infolge unzu- ⊡ Abb. 13.15. Ein physiologisch gespanntes Netz normalisiert
reichender Spannung aber nicht den Blasenboden anhebt. Form und Funktion
ATFP Arcus tendineus fasciae pelvis
140 Kapitel 13 · Spezielle Überlegungen zur Verstärkung von geschädigtem Bindegewebe gemäß Integraltheorie

werden die Beschwerden persistieren. Das bedeutet,


dass eine nach lateral abgewichene Faszie erst wie-
der zur Mitte gezogen und der Blasenboden ange-
hoben werden muss, bevor ein Netz eingebracht
wird. Dabei ist es technisch nicht einfach, ein Netz
optimal zu spannen, vor allem wenn es nur durch
Nähte fixiert wird. Zudem muss bedacht werden,
dass der endgültige Spannungszustand der Faszie
erst in den darauffolgenden 10–15 Tagen durch die
implantatinduzierte Fibrogenese erreicht wird.
Um eine optimale Lage des Netzes bei der
Korrektur der Scheidenvorderwand zu erreichen,
mussten daher Techniken entwickelt werden, mit
denen die Spannung des Netzes im Verlauf der
Operation nachkorrigiert werden kann. Bei dem
derzeit beliebtesten Vorgehen werden zwei oder
vier seitliche Ausläufer eines Netzes durch die
obere und/oder untere mediale Begrenzung der ⊡ Abb. 13.16. Bedeutung der Zwischenräume zwischen den
Fossa obturatoria nach außen gezogen. Mit diesen Organen. Die roten Kreise zeigen, welche Organzwischen-
Armen kann das Netz zu jedem Zeitpunkt der räume durch Wegschneiden von Scheidengewebe obliteriert
werden können. ATFP Arcus tendineus fasciae pelvis, IS Spina
Operation so gespannt werden, wie es dem Opera-
ischiadica, PAS paranaler Raum, PCF pubozervikale Faszie, PVS
teur angebracht erscheint. pubovesikaler Raum, RRS rektorektaler Raum, RVF rektovagi-
Zur Korrektur der Scheidenhinterwand wur- nale Faszie, RVS rektovaginaler Raum, U Ureter, VVS vesikova-
den Netze entwickelt, die mit einem hinteren Band ginaler Raum
verbunden sind oder ebenfalls vier Arme aufwei-
sen, die nach außen geführt werden. Die alleinige
Korrektur der Scheidenhinterwand mit einem Netz Mal fragen, ob die Patientin wirklich von einer
erfährt dadurch eine Einschränkung: Die nach la- Verstärkung mit Netz profitiert. Nach Erfahrun-
teral abgewichene rektovaginale Faszie wird dabei gen der Autoren kann bei Korrekturen der Schei-
nicht in ihre normale Position zurückgebracht. denhinterwand in den meisten Fällen auf eine
13 Ein weiterer Ansatz zur Korrektur aller Scheiden- Netzeinlage verzichtet werden, denn eine Norma-
bereiche stellt das TFS dar (⊡ Abb. 11.6, ⊡ Abb. 11.7). lisierung der Anatomie gelingt auch ohne Netz bei
Hierbei wird ein Band mit einem Gewebeanker über 90% der Fälle.
fixiert und über einen speziellen Mechanismus so
gespannt, wie es der Operateur für richtig hält.
Welche Art der Faszienkorrektur auch immer 13.2.2 Verstärkung von Faszien durch
angewendet wird, in jedem Fall ist darauf zu ach- homologes Gewebe
ten, dass die Verschiebschichten zwischen den Or-
ganen soweit wie möglich erhalten bleiben. Ein Wird überschüssige Scheidenhaut weggeschnitten
Wegschneiden von überschüssigem Gewebe (rote und die Inzisionsränder unter Zug zusammenge-
Kreise in ⊡ Abb. 13.16) wird die Narbenbildung näht, gerät die korrigierte Scheidenwand durch
verstärken und verhindern, dass die Organe sich den intraabdominalen Druck und die Schwerkraft
gegeneinander verschieben können. frühzeitig unter Spannung. Das führt in einem
Es ist daher besser, keine Haut wegzuschnei- hohen Prozentsatz zum Rezidiv.
den, sondern überschüssiges Gewebe, z. B. in Form Überschüssiges Gewebe sollte besser dazu be-
einer Hautbrücke, wieder zu verwenden. nutzt werden, eine doppelte Hautschicht an der
Chirurgen, die bei vaginalen Korrekturen den weichsten Stelle, also im Zentrum einer Hernie zu
Gebrauch von Netz favorisieren, sollten sich jedes bilden (⊡ Abb. 13.17a–c). Bei dem als Brückentech-
13.2 · Reparatur von geschädigten Faszien
141 13

⊡ Abb. 13.18. a Inzisionslinien für den »bridge-repair« – trans-


versaler Schnitt. Die Inzisionen werden durchgeführt, um eine
Brücke (B) zu bilden. b »Bridge-repair« nach Beendigung. Die
Brücke (B) ist lateral an der Faszie (F) durch Nähte (S) fixiert.
Beachte die Annäherung von A zu A. A gibt die Position der
rektovaginalen Faszie (RVF) wieder, F nach lateral abgewi-
chene RVF, R Rektum, RVS rektovaginaler Raum, T transvagi-
nale Haltenähte, V Vagina.

denhaut auf beiden Seiten der Scheidenwände mit


⊡ Abb. 13.17a–c. Brückentechnik. Bildung einer a 1–2 cm breite Allisklemmen gefasst und nach medial gezogen.
Brücke durch Durchtrennung aller Hautschichten, b blattförmi- Auf diese Weise kann leicht erkannt werden, wie
gen Ellipse im Bereich der hinteren Scheidenwand. Die lateralen viel überschüssiges Gewebe für eine Brücke vor-
Scheidenwände werden über der Brücke durch Nähte vereinigt. handen ist. Das ist ein wichtiger Schritt, weil eine
Die Ellipse wird seitlich mit Knopfnähten an der gesunden Fas-
zu breite Brücke ebenfalls zu vermehrter Span-
zie fixiert. c Die Brücke ist durch Verschluss der Wundränder
abgedeckt nung, zum Ausreißen der Nähte und zum Rezidiv
führen kann.
Nachdem die Länge und die Breite der blatt-
nik (»bridge-repair«) bezeichneten Verfahren kann förmigen Inzisionslinien festgelegt sind, wird die
auch die nach lateral abgewichene Faszie wieder Scheidenhaut vom Rektum durch Aquadissek-
zusammengebracht werden (⊡ Abb. 13.18a, b). tion getrennt und die komplette Scheidenhaut im
Um die Breite der Brücke exakt bestimmen Brückenbereich durchtrennt (⊡ Abb. 13.17a). Das
zu können, wird zunächst die erschlaffte Schei- Oberflächenepithel der Brücke wird elektrisch ko-
142 Kapitel 13 · Spezielle Überlegungen zur Verstärkung von geschädigtem Bindegewebe gemäß Integraltheorie

aguliert. Das obere Ende der Brücke wird unter der Um eine Verletzung der Blase zu vermeiden, ist
abpräparierten Scheidenhaut in Höhe der Sakrou- eine großzügige Dissektion bis zum lateralen Sul-
terinbänder am zervikalen Ring oder an die Faszie cus empfehlenswert. Das hat den weiteren Vorteil,
der HE-Narbe angenäht. Distal wird die Brücke dass das Netz durch den Gewebedruck besser am
am Perinealkörper und lateral an der rektovagi- Ort verbleibt. Damit das Netz flach ausgebreitet
nalen Faszie mit resorbierbaren Einzelknopfnäh- liegt und eine Faltenbildung vermieden wird, kann
ten fixiert (⊡ Abb. 13.17b). Falls notwendig kann es zusätzlich vorne und seitlich am M. pubococ-
eine transvaginale Haltenaht gelegt werden, um cygeus sowie hinten am zervikalen Ring bzw. der
das Gewebe während des Heilungsprozesses in HE-Narbe angenäht werden. In diesen Fällen muss
Position zu halten (⊡ Abb. 13.18b). Die lateralen das Netz ausreichend lang sein, um sich nach late-
Scheidenwände werden über der Brücke durch ral zum ATFP hin ohne Spannung ausbreiten zu
Nähte vereinigt. können.
Der »bridge-repair« ist besonders nützlich im Die vordere Begrenzung des Netzes sollte un-
Bereich der hinteren Scheidenwand. Er sollte aber bedingt 1 cm hinter dem Blasenhals liegen, so dass
nur durchgeführt werden, wenn genug überschüs- es nicht den Blasenverschlussmechanismus beein-
siges Gewebe vorhanden ist, das ansonsten weg- flussen kann ( Kap. 8, 10, 11; Tethered-Vagina-Syn-
geschnitten werden müsste. Die Brückentechnik drom). In jedem Fall ist es ratsam, die Enden des
kann ebenfalls im Bereich der vorderen Scheiden- Netzes abzurunden, um Erosionen oder Organver-
wand zur Anwendung kommen. Liegt aber sowohl letzungen zu vermeiden.
ein paravaginaler als auch ein zentraler Defekt vor,
! Trotz der Vorteile einer Netzunterstützung
reicht die Brückentechnik allein nicht aus. Durch
sollte im Einzelfall immer überlegt werden,
den intraabdominellen Druck kommt es in einem
ob es eine Alternative zur Netzimplantation
hohen Prozentsatz zum Rezidiv, das dann zumeist
gibt, da Millani et al. (2004) in über 13% der
die gesamte vordere Scheidenwand betrifft.
Fälle Netzerosionen, in bis zu 63% Dyspare-
unien und in 20% eine Abnahme sexueller
13.2.3 Verstärkung von Faszien Aktivitäten nach Netzimplantation beobach-
durch heterologes Gewebe tet hat.

Ist eine Faszienschicht altersbedingt ausgedünnt,


13 sollten Scheidenwände mit Netzstreifen oder Schweinekollagen
Schweinekollagen verstärkt werden. Das Gleiche Als Alternative zum Polypropylennetz kann
gilt bei Rezidiven. In diesen Fällen ist oft zu we- Schweinekollagen verwendet werden, das von der
nig muskulofasziales Gewebe vorhanden, um eine Industrie in dünnen Scheiben angeboten wird.
die Organe unterstützende Scheidenwand ohne Schweinegewebe wird nachgesagt, dass es verschie-
Fremdmaterial aufbauen zu können. dene Komplikationen wie z. B. Erosionen, Ent-
zündung, Dyspareunie vermeidet. Die Ergebnisse
nach kurzen und mittellangen Zeiträumen sind wi-
Poplypropylennetze dersprüchlich, weil die individuelle Reaktion von
Die Grundtechnik zur Korrektur der Scheiden- Menschen auf Schweinegewebe unterschiedlich ist.
vorderwand bestand darin, ein Polypropylennetz Tierkollagen stimmt nur zu 85% mit menschli-
mit zwei vorderen Armen zurechtzuschneiden und chem überein (Peacock 1984). Daraus ergeben sich
hinter dem Symphysenknochen in das Spatium fundamentale immunologische Unterschiede, die
retzii einzubringen. Die heute am häufigsten ange- im Voraus nicht abzuschätzen sind.
wendete Variation zeichnet sich dadurch aus, dass
die Arme des Netzes durch die Obturatormem-
bran gestochen und die Auflagefläche des Netzes
spannungsfrei unter die Blase gelegt werden.
14

Spezielles chirurgisches Vorgehen


in den drei Schadenszonen

14.1 Operationen in der anterioren Zone – 143

14.2 Operationen in der mittleren Zone – 153

14.3 Operationen in der posterioren Zone – 172

14.1 Operationen in der anterioren Zone

Die anteriore Zone erstreckt sich vom Meatus


urethrae externus bis zum Blasenhals. Die Urethra
befindet sich ausschließlich in der vorderen Zone.
Kann das Urethralrohr nicht verschlossen werden,
kommt es zum unfreiwilligen Urinverlust.
Die wichtigsten Strukturen zur Kontrolle der
Kontinenz bei körperlicher Belastung sind
▬ das PUL (⊡ Abb. 14.1),
▬ das Hammock (⊡ Abb. 14.2, ⊡ Abb. 14.3) und
▬ das EUL (⊡ Abb. 14.1).

⊡ Abb. 14.1. Der urethrale Verschlussmechnismus. Die Vagina


Diese 3 Strukturen wirken synergetisch und ver-
(V) wird vom anterioren Anteil des M. pubococcygeus (Pfeil)
schließen die Urethra. Sind eine oder mehrere dieser gegen das externe urethrale (EUL) und pubourethrale Liga-
Strukturen geschädigt, müssen sie repariert werden. ment (PUL) nach vorne in Richtung Knochen (PS, Pubis sym-
Zum besseren Verständnis, welche Befunde phsis) gezogen. Schlaffheit in EUL, PUL und der Scheidenwand
operationsbedürftig sind, seien nochmals kurz die (V) kann den Muskelzug und damit den Verschluss unwirksam
machen. B Blase
klinischen Hauptsymptome und Untersuchungs-
befunde genannt, die auf eine Schädigung in der
anterioren Zone hinweisen:
Ist das PUL lose und kann dies die Hinter- durch einen mitturethralen Verankerungstest im
wand der Urethra nicht fixieren, können die LP Rahmen einer simulierten Operation ( Kap. 9.1.1,
und der LMA den Ausflusstrakt bei Belastung Abschn. »Spezielle Diagnostik: praktisches Vorgehen«)
öffnen. Es kommt zum unfreiwilligen Urinabgang gestoppt werden, ist eine suburethrale Schlinge
bei körperlicher Belastung. Kann der Urinverlust zum Verstärken des PUL indiziert.
144 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

Eine Urethrozele (schlaffes Hammock, ⊡ Abb. 14.2)


muss ebenfalls korrigiert werden, weil der Ure-
thraverschluss in Ruhe ein ausreichend festes,
durch Slow-twitch-Fasern gestrecktes Hammock
über die gesamte Urethralänge benötigt. Voraus-
setzung für einen guten Verschluss ist somit ein
ausreichend straffes Hammock. Wenn das nicht
der Fall ist, muss das Hammock gestrafft werden,
da ansonsten eine alleinige Schlingenoperation
erfolglos sein kann.

⊡ Abb. 14.2. Loses suburethrales vaginales Hammock (H). ⊡ Abb. 14.4. a Schlaffer Meatus urethrae externus, der wie ein
Blick in die Scheide. LA zeigt die Lage des vorderen Anteils des Schmollmund aussieht. b Evetierte Urethraschleimhaut bei
M. levator ani, den M. pubococcygeus defekten externen urethralen Ligamenten, schlaffem Ham-
mock und Zystozele

14

⊡ Abb. 14.3. Koronarschnitt durch die Scheide. Die Scheiden- an, wodurch die Urethra von hinten verschlossen wird. S para-
wand (V) ist im Bereich des Sulcus (S) am vorderen Anteil des urethraler Sulcus. (Sektionspräparat nach Zacharin 1961; mit
M. levator ani (LA), dem M. pubococcygeus (PCM) angeheftet. freundlicher Genehmigung von RF. Zacharin)
Die Pfeile zeigen die Bewegungsrichtung des Hammocks (H)
14.1 · Operationen in der anterioren Zone
145 14

Ein flacher paraurethraler Sulcus weist darauf ventral gezogen werden darf. Es ist eine
hin, dass das Bindegewebe zwischen Hammock Bezeichnung, die in der Folge oft missin-
und dem angrenzenden PCM nachgegeben hat. terpretiert wurde.
Dies muss von 2 paraurethralen Schnitten aus re- »Spannungsfrei« bedeutet, dass die
pariert werden. beiden Enden des Bandes nicht fixiert,
Ein zeitweiliges unbemerktes Abfließen von sondern nur vom umgebenden Gewebe
Urin ist ein eindeutiges Zeichen für einen intrin- gehalten werden. Allein dadurch bietet
sischen Sphinkterdefekt (ISD). Schlaffheit in ei- die Schlinge einen festen Verankerungs-
ner oder allen drei Bindegewebestrukturen (PUL, punkt für die Urethramitte und verhindert
Hammock, EUL, ⊡ Abb. 14.1) sind die Haupt- eine Öffnung der Urethra bei körperlicher
gründe, die zum Entstehen eines ISD beitragen. Belastung. In der Originalbeschreibung
Motorischer Urge entsteht vor allem bei äl- wurde die Blase nach Legen der Schlinge
teren Patientinnen, bei denen das PUL so stark mit 300 ml physiologischer Kochsalzlö-
atrophiert ist, dass der Ausflusstrakt zwangsweise sung aufgefüllt und so lange an dem Band
durch die nach hinten/unten ziehenden Muskeln gezogen, bis beim Husten kein Urin mehr
(LP und LMA) aufgezogen wird, z. B. wenn die abfloss.
Patientinnen von einem Stuhl aufstehen.
Zur Verankerung des Meatus urethrae exter-
nus und damit zum richtigen Funktionieren des 5 Haupttechniken für die Implantation
Hammockverschlussmechanismus’ ist ein festes einer spannungsfreien suburethralen
EUL notwendig (⊡ Abb. 14.2). Ein schlaffer, wie ein Schlinge
Schmollmund aussehender Meatus (⊡ Abb. 14.4), 1. Vaginal, retropubisch, von einer Mittel-
teilweise in Kombination mit einer Ausstülpung linieninzision aus (»in-out«)
der Urethralmukosa stellt bei Patientinnen mit SI 2. Abdominal, retropubisch (»out-in«)
eine Indikation zur Korrektur des EUL dar. 3. Vaginal, retropubisch von 2 paraurethralen
Eine Korrektur von Defekten im Bereich der Inzisionen aus (»in-out«)
anterioren Zonen besteht somit aus folgenden 4. Transobturatoriell (»out-in« und »in-out»)
Schritten: 5. Fixierung eines Bandes mit einem Anker in
1. Verstärkung des PUL durch Implantation ei- der Perinealmembran (TFS)
nes Bandes, ohne dadurch die Urethra einzu-
schnüren
2. Korrektur des vaginalen Hammocks, wenn Bei den 4 erstgenannten Zugängen wird eine Po-
dieses nachgegeben hat lypropylenschlinge U-förmig unter das mittlere
3. Verankerung des Meatus urethrae externus Drittel der Urethra gelegt (⊡ Abb. 11.2, ⊡ Abb. 14.5)
durch Straffung von EUL, wenn dieses lose ist und im Bereich der Rektusscheide oder an der
medialen Begrenzung des Obturatorkanals heraus-
geführt. Es gibt eine große Zahl von Einführhilfen.
14.1.1 Spannungsfreie, suburethrale Unabhängig vom Instrument muss darauf geachtet
Schlinge zur Verstärkung des PUL werden, dass
▬ das Band sich in der richtigen Position befin-
! Klarstellung: Spannungsfreie Bänder sind det: Ein Abrutschen der Schlinge in die Blasen-
nicht »tension-free«. halsregion kann zum postoperativen Harnver-
Der Begriff »spannungsfreie Bandchirur- halt und Urge führen.
gie« wurde erstmals 1994 von Ulmsten et ▬ das Band nicht zu fest oder zu locker ist: 2 mm
al. benutzt. Der Begriff »spannungsfrei« mehr oder weniger Spannung können über
sollte zum Ausdruck bringen, dass ein Erfolg oder Misserfolg entscheiden.
unter die Urethra gelegtes Band nicht, ▬ das Hammock und das EUL ausreichend straff
wie z. B. bei der Faszienzügelplastik, nach sind.
146 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

⊡ Abb. 14.6. Der Griff des Einführinstruments steht horizon-


tal, damit die Spitze nicht die externen iliakalen Gefäße ver-
letzen kann

erhöht. Das trägt vor allem dazu bei, dass schwere


Komplikationen wie Perforation von Blase und
⊡ Abb. 14.5. Mittellinieninzision. Hammockstraffung schützt Blutgefäßen weitestgehend vermieden werden. Au-
das Band. Blick auf die vordere Scheidenwand. A Arteria ßerdem kann eine Blutung aus den subpubischen
iliaca exterior, V Vena iliaca exterior, PCM M. pubococcygeus, Venen leichter bemerkt werden, weil das Blut aus
U Urethra dem Schlitz abfließen kann.
Sobald die Spitze des Einführinstruments in die
Perinealmembran eingedrungen ist, wird der Griff
Vaginaler Zugang, Mittellinieninzision des Instruments horizontal hingestellt (⊡ Abb. 14.6).
Vom Handel werden heute zahlreiche Einführhil- Dies ist wichtig, weil die externen iliakalen Gefäße
fen angeboten. Die nachfolgende Beschreibung ist nur 1,5–2 cm lateral von der Durchstichstelle des
daher allgemein gehalten und trifft im Wesentli- Instruments entfernt sind. Das Instrument sollte
chen für alle Einführsysteme zu. nur bei horizontaler Deltaflügelstellung und ohne
In die Urethra wird ein 18G-Foley-Katheter Druck entlang der Symphysenhinterwand aufwärts
als Schiene gelegt, um die Möglichkeit einer Ure- bewegt werden. Es ist nur ein leichter Druck mit
14 thraperforation zu vermindern. Die Scheidenhaut den Fingerspitzen notwendig, um die Spitze des
wird unter Spannung komplett in der Mittelli- Instruments zart über die Symphysenhinterwand
nie kurz hinter dem Meatus bis zur Urethramitte rollen zu lassen. Das vermindert beträchtlich die
durchtrennt (⊡ Abb. 14.5, ⊡ Abb. 14.11a). Mit einer Gefahr einer Blasenperforation oder Verletzung
Schere wird zwischen Scheidenhaut und Urethra des Periosts.
nach lateral ein Tunnel präpariert und die Perine- In Höhe der Rektusscheide wird ein Wider-
almembran zwischen dem Periost und den subpu- stand bemerkt. Damit die Spitze des Instruments
bischen Ligamenten perforiert. durch die Rektusscheide hindurchdringen kann,
Der wichtigste Schritt nach Perforation der ist ein entsprechender Druck erforderlich. Bei dem
Perinealmembran ist das Bilden eines Schlitzes von Petros entwickelten Einführsystem wird die
von ca. 6 mm Durchmesser. Unabhängig vom Ein- äußere Hülle des Instruments zurückgezogen. Der
führinstrument verhindert der Schlitz einen über- innere Plastikmandrin verbleibt in situ. Der Vor-
mäßigen Kraftaufwand beim Vorschieben und er- gang wird dann auf der Gegenseite wiederholt.
möglicht zu jeder Zeit eine perfekte Kontrolle des Mit beiden Plastikmandrins in situ wird die
Instruments. Dadurch wird die Sicherheit für die Blase mit 500 ml physiologischer Kochsalzlösung
im Wesentlichen blinde Implantation des Bandes aufgefüllt und eine Zystoskopie durchgeführt.
14.1 · Operationen in der anterioren Zone
147 14

⊡ Abb. 14.7a, b. Nichtdehnbares


Band, seitliche Sicht: Das Band
soll der Urethra anliegen (a), sie
aber nicht einkerben (b). Berüh-
rung steigert die Haltekraftkraft
des Bandes. Bei Verwendung ei-
nes elastischen Bandes muss der
Chirurg abschätzen, wie groß
der Zwischenraum zwischen
Urethra und Band sein soll

Diese 500 ml sind notwendig, um die Blase gut Bei Verwendung von elastischem Polypropylen-
zu entfalten. Nur so kann sichergestellt werden, material sollte das Band nicht zu nah der Urethra
dass sich eine Perforationsstelle nicht hinter einer anliegen, um spätere fibrosebedingte Urethraein-
Falte versteckt. Besondere Beachtung sollte dem kerbungen und Arrosionen zu vermeiden. Bei
Bereich zwischen 11 und 1 Uhr in der Nähe der elastischen Bändern ist es schwieriger abzuschät-
Luftblase geschenkt werden, da hier Perforationen zen, wie groß der Zwischenraum zwischen Urethra
am häufigsten vorkommen. Wenn die Blase intakt und Band sein muss.
ist, wird das Band unter die Harnröhre gelegt und Die Längsinzision kann mit Einzelknopfnähten
die Enden mit den Plastikstäben nach außen vor oder einer fortlaufenden Naht verschlossen werden.
die Bauchdecke gezogen. Besser ist eine zweischichtige Naht, wodurch das
Zum Positionieren eines nichtdehnbaren Ban- Band doppelt abgedeckt, die innere Scheidenfaszie
des wird die Einführhilfe oder ein Hegarstift Nr. 7 angenähert und das Hammock verstärkt wird. Dazu
in die Urethra eingebracht und an den Bandenden wird bei liegendem Foley-Katheter das innere, feste
vorsichtig gezogen, bis das Band ohne Falte der Fasziengewebe der Scheidenwand mit einer kleinen,
geschienten Urethra anliegt. Während dieses Vor- kräftigen Nadel auf beiden Seiten matratzenförmig
gangs wird die Einführhilfe oder der Hegarstift aufgeladen und durch Knoten in der Mitte über
leicht nach unten gedrückt, um eine Einengung der dem Band vereinigt (⊡ Abb. 14.8). Das Band darf
Urethra durch zu straffen Zug zu vermeiden. Das dabei auf keinen Fall mitgefasst werden!
Band muss der Uretha anliegen, ohne sie einzu- Kann bei diesem Stich der untere EUL-Anteil
kerben (⊡ Abb. 14.7). Tritt eine Delle auf, muss das mit aufgeladen werden, so reicht für die Ham-
Band durch Druck nach unten gelockert werden. mock- und EUL-Straffung unter Umständen eine
Durch Druck auf die Blase oder Husten der Naht aus. Ansonsten wird, wenn notwendig, auf
Patientin kann überprüft werden, ob die Patientin beiden Seiten eine Naht durch das EUL gelegt und
kontinent ist. Falls nicht, muss das Band so lange zwar 1 cm lateral der EUL-Insertionsbereiche in
unter Schienung der Urethra positioniert werden, den Meatus. Die Nähte werden zur Mitte zurück-
bis kein Urin mehr abgeht. geführt und erst geknotet, nachdem die Ham-
mocknaht gelegt wurde. Dabei muss eine Einen-
! Das Band muss spannungsfrei liegen bleiben gung der distalen Urethra unbedingt vermieden
und darf nicht angenäht werden, auch nicht werden. Eine EUL-Straffung ist nur notwendig,
an die Bauchdecke. wenn das Ligament lose ist.
148 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

⊡ Abb. 14.8. Hammocknaht.


Die verstärkte Vaginalfaszie
wirkt wie ein Stützpfeiler für
die direkt darunter liegende
Urethra (U) und drückt sie
nach oben in Richtung Ramus
pubicus der Symphyse. Koro-
narschnitt in Höhe des Meatus
urethrae externus. EUL exter-
nes urethrales Ligament

Bei Patientinnen mit ausgeprägt schlaffen EUL, gende Hammock seitlich wieder nach oben an den
bei denen eine Raffnaht allein nicht ausreicht, kann PCM angenäht werden kann. Bei diesem Zugang
es hilfreich sein, einen kleinen Polypropylenstrei- muss zusätzlich ein Tunnel zwischen Scheidenhaut
fen zur Verstärkung des Bandes zu verwenden. Ob und Urethra präpariert werden, um das Band von
dieser Schritt notwendig ist, kann dadurch über- einer in die andere paraurethrale Inzision bringen
prüft werden, dass mit Fingern beidseitig Druck zu können.
auf den EUL-Bereich ausgeübt wird. Wenn da- Bei dem Vorgehen der Autoren wird beiderseits
durch Urinabgang beim Husten kontrollierbar ist, im paraurethralen Sulcus eine Inzision ausgehend
sollten die EUL vertikal bis nahe zum Schambein vom Meatus bis zur Mitte der Urethra angelegt.
durchtrennt, ein rechteckiges Polypropylenband Der Ballon des Foley-Katheters zeigt den Blasen-
von ca. 0,5×0,5 cm Größe in die Inzision gelegt hals an und dient der Orientierung. Nach Durch-
und die Wunde durch eine Raffnaht verschlossen trennung der Scheidenwand (⊡ Abb. 14.9) wird bei-
werden. Diese Operation verstärkt die Festigkeit derseits mit der Schere nach kranial präpariert, die
des EUL sehr effektiv, wobei es allerdings in eini- Perinealmembran zwischen dem Periost und den
gen Fällen zu Banderosionen kommen kann. subpubischen Ligamenten an der gleichen Stelle
wie beim Mittellinienzugang perforiert und ein
Schlitz gebildet.
Suprapubischer Zugang Von der einen zur anderen Inzisionslinie wird
Beim suprapubischen Vorgehen wird das Einfüh- mit der Schere in Höhe Urethramitte ein 1 cm
rinstrument von oben außen nach unten innen breiter Tunnel gebildet, der zwischen Scheiden-
14 eingeführt. Alle anderen Schritte entsprechen dem haut und Urethravorderwand liegt. Das Band wird
vaginalen Vorgehen. durch den Tunnel gezogen und beiderseits mit den
Einführungshilfen wie beim Mittellinienvorgehen
durch die vordere Bauchdecke geführt. Die zys-
Paraurethraler Zugang toskopische Kontrolle und das Positionieren des
Paraurethrale Inzisionen wurden erstmalig bei der Bandes entsprechen dem Mittellinienvorgehen.
Goebell-Frangenheim-Stöckel-Schlinge um 1900 Der Verschluss der Inzisionen erfolgt zwei-
herum angewendet. Der paraurethrale Weg ist zu schichtig. Zunächst wird mit einer kleinen kräf-
bevorzugen, wenn tigen Nadel der PCM lateral aufgeladen und die
▬ der Sulcus flach oder konvex ist (⊡ Abb. 14.2) Naht dann matratzenförmig so weit nach medial
oder durch die Scheidenhaut gestochen und in die In-
▬ eine hypotone Urethra bei losem Hammock zision zurückgeführt, dass beim Knoten der Naht
diagnostiziert wurde. das Hammock nach lateral gezogen, mit dem PCM
über dem Band vereinigt und gestrafft wird. Die
Er ermöglicht die anatomisch präziseste Korrektur Wunde wird dann mit einer fortlaufenden Naht
der vorderen Zone, weil das nach unten durchhän- verschlossen.
14.1 · Operationen in der anterioren Zone
149 14

⊡ Abb. 14.9. Paraurethrale Inzision der Scheidenhaut. Das


Band liegt im Tunnel (TU) zwischen beiden Inzisionen. Direkte
Sicht in die Scheide. PCM M. pubococcygeus ⊡ Abb. 14.10a, b. Wiederverwendbare Deschamps zum Ein-
bringen von Kunststoffbändern oder -netzen für die rechte (a)
bzw. linke (b) Beckenbodenseite

Transobturatorieller Zugang
Bei dieser Methode werden ein anderer Zugang beim retropubischen Vorgehen gibt es heute ver-
und andere Spezialinstrumente als beim retropu- schiedene Einführhilfen und Modifikationen. Die
bischen Vorgehen benötigt, um das Band subure- Autoren bevorzugen den Out-in-Weg, da hierbei
thral in Urethramitte platzieren zu können. Auch Verletzung von Blase, Urethra, Vasa obturatoria
bei diesem Verfahren kann das Band von unter- und N. obturatorius nahezu ausgeschlossen sind.
schiedlichen Zugängen aus eingebracht werden Der Canalis obturatorius liegt dabei mindestens
und zwar von: 2 cm von der Durchstichstelle des Instruments ent-
▬ außen durch einen Mittellinienschnitt (»out- fernt. Aus Sicherheitsgründen verwenden die Auto-
in«), ren einen helixförmigen, wieder verwendbaren De-
▬ außen durch 2 paraurethrale Inzisionen (»out- schamp mit einem Öhr zum Einfädeln des Bandes,
in«), der sich präzise kontrollieren lässt (⊡ Abb. 14.10).
▬ vaginal durch einen Mittellinienschnitt (»in- Die Helixform verhindert ein Abgleiten des Instru-
out«) und ments in unerwünschte Regionen und damit eine
▬ vaginal durch 2 paraurethrale Inzisionen (»in- ungewollte Verletzung kritischer Strukturen.
out«). Zunächst werden, wie oben dargestellt, ein Mit-
tellinienschnitt (⊡ Abb. 14.11a) oder 2 paraurethrale
Delorme hat die transobturatorielle Methode ent- Inzisionen angelegt. Mit der Schere wird beider-
wickelt und erste Ergebnisse 2001 publiziert. Wie seits ein Kanal unterhalb der Scheidenhautfaszie
150 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

⊡ Abb. 14.11. a Mittellinienschnitt: Die Scheidenhaut wird f Der Plastikmandrin wird entnommen und umgekehrt mit
unter Spannung komplett in der Mittellinie kurz hinter dem dem Öhr voran, in den Tunneler eingebracht.
Meatus bis zur Urethramitte durchtrennt. g Ein 8 mm breites Polypropylenband wird in das Öhr des
b Bilden eines Kanals nach lateral in Richtung Ramus inferior Plastikstabs eingefädelt
ossis pubis. h Danach wird es nach außen gezogen.
c Stichinzision in Höhe der Klitoris am äußeren Rand des Ra- i Der Vorgang wird auf der kontralateralen Seite wiederholt.
mus inferior ossis pubis. j Positionieren des Bandes unter die Harnröhre mit einer
d Senkrechtes Einführen des Tunnelers. Klemme.
e Unter Kontrolle mit dem Zeigefinger wird der Tunneler in k Abschneiden des Tapes und Verschluss der Längsinzision
14 eine 80-Grad-Position gebracht und die Spitze des Mandrins wie in Abb. 14.8 beschrieben
durch den Kanal herausgeleitet.

in Richtung Ramus inferior ossis pubis präpariert, brana obturatoria geführt, wobei 2 Widerstände
der die Spitze des Zeigefingers aufnehmen kann überwunden werden müssen. Mit einer Drehbewe-
(⊡ Abb. 14.11b). Von außen wird der knöcherne gung wird nun die Spitze des Instrumentes in Rich-
Rand des Ramus inferior ossis pubis lokalisiert und tung Inzision vorwärts bewegt und aus der Inzision
der obere und untere mediale Eckpunkt des Fora- herausgeleitet. Das eine Ende des Bandes wird in
men obturatorium identifiziert. In Höhe der Klitoris das Öhr eingefädelt und mit dem Instrument nach
erfolgt am Knochenrand in der Schenkelbeuge eine außen gebracht. Der Vorgang wird auf der Gegen-
Stichinzision (⊡ Abb. 14.11c), in die die Deschamp- seite wiederholt. Bei 2 paraurethralen Inzisionen
oder Tunnelerspitze eingeführt wird (⊡ Abb. 14.11d). muss das Band vorher durch den Tunnel zwischen
Unter Kontrolle des Daumens von außen und den beiden Inzisionen gezogen werden.
des Zeigefingers von innen wird die Deschamp- Die Positionierung des Bandes sowie der Ver-
spitze durch die Oberschenkelfaszie und die Mem- schluss der Inzisionen mit Straffung des Ham-
14.1 · Operationen in der anterioren Zone
151 14

Wie unter  Kap. 14.4.1, Abschn. »Vaginaler Zu-


gang, Mittellinieninzision« beschrieben wird die Schei-
denhaut in der Mittellinie vom Meatus bis zur Ure-
thramitte durchtrennt (⊡ Abb. 14.5, ⊡ Abb. 14.11a),
mit einer Schere ein Kanal zwischen Scheidenhaut
und Urethra nach lateral präpariert und die Perine-
almembran zwischen dem Periost und den subpu-
bischen Ligamenten perforiert. Der gebildete Kanal
muss nur so groß sein, dass er genügend Platz
für den dünnen Applikator bietet. Das Instrument
wird in den Kanal eingeführt, die Spitze des Ankers
auf die Perforationsstelle gesetzt und der Knopf zur
Freigabe des Ankers gedrückt. Nach 30 s Wartezeit
wird am Band kurz gezogen, damit der Anker
seine Arme im Gewebe ausbreiten kann, und die
Einführhilfe entfernt. Durch Zug am Band wird
⊡ Abb. 14.12. Anatomische Position des Gewebefixierungs- nochmals überprüft, ob der Anker fest sitzt.
system-(TFS-)Ankers. Das Band wird am Unterrand der Be- Der Vorgang wird auf der kontralateralen Seite
ckenbodenmuskeln verankert. PCM M. pubococcygeus wiederholt. Nach Freigabe des zweiten Ankers
wird er so lange weiter mit dem Applikator vor Ort
fixiert, bis das Band positioniert ist. Um dabei eine
mocks und evtl. des EUL entspricht dem beim Einkerbung der Harnröhre zu vermeiden, wird das
retropubischen Vorgehen (s. oben). Band nur so weit gezogen, bis es ohne Falte der
Die transobturatorielle Methode ist nicht von einem 18G-Katheter geschienten Harnröhre
streng anatomisch, da das Band horizontal und anliegt. Dann wird das Instrument entfernt. Die
nicht vertikal wie das PUL verläuft. Dennoch wird freien Bandenden werden kurz abgeschnitten.
der transobturatorielle Weg heute von vielen Ope- Die Faszie des Hammocks und die EUL wer-
rateuren bevorzugt, weil bei sehr geringer Kompli- den, wie oben beschrieben, durch Nähte gestrafft.
kationsrate vergleichbare Kontinenzraten erreicht Eine Zystoskopie ist nicht erforderlich.
werden. Da Blasen- und Urethraperforationen Vorteile dieser Technik sind, dass
nahezu ausgeschlossen sind, können bei diesem ▬ die mittlere Operationszeit nur 10 min beträgt,
Vorgehen auf eine routinemäßige Zystoskopie ver- ▬ das Band nicht nach außen vorbei an Blase,
zichtet und damit Zeit und Kosten eingespart wer- Urethra, Nerven, Gefäßen und Darm geführt
den. Meist reicht es aus zu kontrollieren, ob der werden muss,
Urin klar ist. ▬ die Komplikationsrate dadurch sehr niedrig ist,
Beim Stich von innen nach außen lässt sich die ▬ nahezu keine Schmerzen induziert werden und
Spitze des Instruments weniger präzise führen, so ▬ die Patientinnen ambulant operiert oder nach
dass eher eine Verletzung der Strukturen im Obtu- 1 Tag entlassen werden können.
ratorkanal möglich ist.

14.1.2 Komplikationen bei Operationen


Vordere TFS-Schlinge in der anterioren Zone
Die vordere TFS-Schlingenoperation (Petros u. Ri-
chardson 2005a; ⊡ Abb. 14.12) stellt eine Fortent- Da es sich bei dem Einbringen einer suburethralen
wicklung der spannungsfreien Bandoperationen Schlinge mit einem Spezialinstrument um eine
bei SI dar. Hierbei muss das Band nicht mehr nach »blinde« Prozedur handelt, können der Dünndarm
außen gestochen, sondern innen in festem Gewebe im prävesikalen Unterbauch, die Blase, externe
verankert werden. iliakale Gefäße, obturatorielle Nerven und Gefäße
152 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

verletzt werden. Sie liegen alle nur 2–4 cm entfernt das passiert, muss der Mandrin oder das Band
von dem Weg, den das Instrument nimmt. Beim entfernt und erneut eingebracht werden. Um eine
retropubischen Vorgehen kann, wie bereits er- Perforation erkennen zu können, muss die Blase
wähnt, die Gefahr ernsthafter Komplikationen er- mit 500 ml Kochsalzlösung entfaltet sein. Nur so
heblich dadurch reduziert werden, dass der Opera- kann sichergestellt werden, dass sich eine Perfora-
teur zunächst einen Schlitz im Beckendiaphragma tionstelle nicht hinter einer Falte versteckt.
direkt unter dem Schambein anlegt, durch den er Selten kann bei Perforationsverdacht weder das
das Instrument ohne Druck nach oben führt. Band noch eine Blutung gesehen werden. Wenn
Wenn weiterhin Schwierigkeiten bei der Pas- das der Fall ist, sollten in 500 ml physiologischer
sage vorhanden sind, sollte der Schlitz mit der Kochsalzlösung eine Ampulle Methylenblau gelöst
Schere vergrößert werden. Vermehrter Druck auf und die Blase erneut gefüllt werden. Eine Blaufär-
das Einführinstrument kann zum Eindringen der bung des Bandes an den Einstichstellen beweist
Spitze in das weiche Periost der Symphyse bei der eine Perforation.
Aufwärtsbewegung, zu Verletzungen und zu Blu-
tungen führen. Urethraeinengung durch das Band. Eine Einen-
Bei retropubischen Narben nach vorangegange- gung der Urethra kann vermieden werden, wenn
nen Operationen sollte zusätzlich mit einer geboge- beim Positionieren des Bandes ein Hegarstift Nr. 7
nen stumpfen Klemme (z. B. Wertheim-Klemme), in das Urethralumen eingelegt wird, der beim Po-
ein Kanal zwischen Periost und Narbengewebe ge- sitionieren des Bandes nach unten gedrückt wird.
schaffen werden, der ca. 3 cm nach oben reicht. Das Bei elastischen Bändern muss ein Zwischenraum
schafft genügend Platz für das Einführinstrument. zwischen Band und Urethra verbleiben.
Ist immer noch Widerstand vorhanden, sollte die Wenn es innerhalb von 48 h nach dem Eingriff
Präparation weiter nach oben erfolgen, wobei die zum Harnverhalt oder übermäßiger Restharnbil-
Klemmenspitze immer auf das Schambein ausge- dung kommt, spricht das i. Allg. für eine passa-
richtet sein muss. Das Instrument wird dann er- gere Schwellung, ein Hämatom oder ein zu festes
neut eingeführt. Manchmal ist es nur möglich, das Band, das gelockert werden muss. Zunächst sollte
Band einseitig zu legen. In diesen Fällen sollte das sonographisch abgeklärt werden, ob nicht ein Hä-
andere Bandende tief in den PCM gelegt werden. matom im Spatium retzii oder paraurethral der
Wenn nach früheren abdominalen Operatio- Grund für den Harnverhalt ist. Falls das nicht der
nen Narben in der Rektusscheide ein Durchdrin- Fall ist, kann bei nichtelastischen Bändern nach
gen des Einführinstruments durch die Bauchdecke Applikation von Anästhesiegel in die Urethra das
verhindern, kann eine Inzision mit einem Skalpell Band oft mit einem in die Urethra eingeführten
14 sinnvoll sein. Hegarstift gelockert werden. Wenn das nicht zum
Erfolg führt, muss unter abschwellenden Maßnah-
Blutung. Wenn bei der Präparation eine Blutung men (z. B. Diclofenac o. ä.) erneut ein Dauerkathe-
aus dem venösen Sinus auftritt, kann diese zu- ter oder ein suprapubischer Katheter gelegt und
meist durch 2- bis 3-minütige Kompression mit ein Blasentraining durchgeführt werden.
dem Finger gegen den Symphysenknochen gestillt Nur selten muss ein Band im Rahmen eines
werden. Hält die Blutung an, kann ein hämosta- Zweiteingriffs chirurgisch gelöst werden.
tisches Gel, ein Schaum oder ein Vlies von unten
entlang des Bandes appliziert werden und erneut Hämatom. Um den Blasenhals gelegene Häma-
eine Kompression erfolgen, bis die Blutung steht. tome, die zur Kompression der Urethra führen,
Eine Revision von abdominal mussten die Autoren lassen sich am besten mithilfe der Vaginalsonogra-
bis heute nicht durchführen. phie erkennen. Bis zur Resorption des Hämatoms
ist in diesen Fällen zum Entleeren der Blase ein
Blasenperforation. Blasenperforationen treten suprapubischer Katheter erforderlich.
am häufigsten am superolateralen Rand zwischen Größere Hämatome im Spatium retzii lassen
11 und 1 Uhr in der Nähe der Luftblase auf. Wenn sich abdominal und vaginal per Ultraschall dar-
14.2 · Operationen in der mittleren Zone
153 14

stellen und sind oft auch von vaginal zu tasten. Sie


gehen mit Druckgefühl in der Scheide oder Blase,
Unterbauchschmerzen und Blasenentleerungsstö-
rungen einher. In den meisten Fällen kann die
Spontanresorption abgewartet werden. Nur in sel-
tenen Fällen ist eine Revison erforderlich. Eine
Punktion führt meist nicht zum Erfolg, da sich das
Blut im lockeren Gewebe des Spatium retzii diffus
ausbreiten kann. Von einem kleinen Apeunorose-
wechselschnitt aus kann das Spatium retzii eröff-
net, die Koagel abgesaugt und eine eventuelle Blu-
tungsquelle umstochen werden. Ein Redondrain
fördert die weitere Entlastung.

⊡ Abb. 14.13. Pubozervikale Faszie (PCF). Die fibromuskuläre


14.2 Operationen in der mittleren Zone Schicht der vorderen Scheidenwand (PCF) ist seitlich (L) am
Arcus tendineus fasciae pelvis (ATFP) und hinten (P) am zer-
vikalen Ring durch Kollagengewebe (braun) aufgehängt. Dis-
14.2.1 Allgemeine Überlegungen lokation von L führt zu einem paravaginalen Defekt und von
P zu einer hohen Zystozele. Muskelkontraktionen (rote Pfeile)
Die mittlere Zone reicht vom Blasenhals bis zur strecken die pubozervikale Faszie, wodurch der Blasenboden
gestützt wird
Zervix oder HE-Narbe. Sie enthält 3 wichtige Struk-
turen, die nachgeben können:
1. PCF (Defekt im mittleren Bereich = Zysto-
zele),
2. Verbindung von PCF mit dem zervikalen Ring
(hohe Zystozele) und
3. ATFP (Lateraldefekt).

Die PCF erstreckt sich als breite Membran zwi-


schen dem Blasenhals und dem zervikalen Ring
oder der HE-Narbe (⊡ Abb. 14.13). Sie ist seitlich
am ATFP fixiert. Eine Überdehnung oder Schädi-
gung dieser Strukturen tritt vor allem bei vaginalen
Geburten auf. Die in ⊡ Abb. 14.14 eingezeichneten
gestrichelten Kreise stellen den tiefertretenden
kindlichen Kopf bei der Geburt dar und zeigen, in
welchen Bereichen es hauptsächlich zu einer Über-
dehnung der Vagina kommt.
Wenn die Befestigung am zervikalen Ring zer-
stört wird, kommt es zu einer hohen Zystozele. Ein
Trauma weiter distal bedingt eine mittlere Zysto-
zele, ein seitlicher Schaden einen paravaginalen
Defekt (⊡ Abb. 14.15, ⊡ Abb. 14.16). Diese Hernien
sind mit herkömmlichen Operationen schwer zu ⊡ Abb. 14.14. Beschädigung der pubozervikalen Faszie kann
einen zentralen oder einen Defekt am zervikalen Ring verur-
korrigieren. Bei ca. einem Drittel kommt es zum
sachen. Sagittaler 3-D-Blick. Die roten Kreise stellen den tiefer-
Rezidiv. Eine korrekte Diagnose, welche Struk- tretenden kindlichen Kopf bei der Geburt dar und zeigen, in
tur geschädigt ist, stellt die unabdingbare Vor- welchen Bereichen es hauptsächlich zu einer Überdehnung
aussetzung für einen Behandlungserfolg dar, auch der Vagina kommt
154 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

wenn Kombinationsschäden nicht selten sind Es ist wichtig, eine Dislokation der PCF vom zer-
(⊡ Abb. 14.13, ⊡ Abb. 14.15). vikalen Ring zu erkennen (⊡ Abb. 14.17), weil dies
Die PCF stellt die einzige Stützstruktur der der Grund für eine Urgesymptomatik sein kann.
Mittelzone dar, weil es hier keine querverlaufen- In diesen Fällen sollte vor der Operation abgeklärt
den Ligamente gibt. Ein Abriss vom zervikalen werden, ob die Urgesymptomatik abnimmt, wenn
Ring führt zur Schwächung dieses Bereichs und die lateralen Ränder der hohen Zystozele vorsich-
ermöglicht die Entstehung einer hohen Zystozele. tig mit einer Klemme zusammengebracht werden
( Kap. 9.1.1, simulierte Operationen).
Eine Überdehnung oder eine Lücke in der dün-
nen PCF begünstigt die Ausbildung einer Mittelli-

⊡ Abb. 14.15. Defekte im Bereich der pubozervikalen Faszie: ⊡ Abb. 14.17. Defekt im Bereich des zervikalen Ringes. Der
1 Mittelliniendefekt (im Zentrum der PCF), 2 paravaginaler zervikale Ring (r) erstreckt sich nach lateral zu den kardinalen
Defekt, 3 hohe Zystozele. Schematische 2D-Sicht von unten Ligamenten (CL). Ein Riss im zervikalen Ring führt zu einer Lü-
mit Blick auf die vordere Scheidenwand. ATFP Arcus tendineus cke in der pubozervikalen Faszie (PCF) und zum Spannungs-
fasciae pelvis, CX Zervix verlust in den CL, was einen Uterusprolaps begünstigt

14

⊡ Abb. 14.16a–c. anatomische Veränderungen, die alle als Vorwölbung in der Scheide imponieren. Seitlicher Blick. a Zentraler
Defekt (mittlere Zystozele), b lateraler oder paravaginaler Defekt, c zervikaler Ringdefekt (hohe Zystozele). ATFP Arcus tendineus
fasciae pelvis, UT Uterus
14.2 · Operationen in der mittleren Zone
155 14

nienzystozele (⊡ Abb. 14.18). Infolge Ausdünnung wand ist seitlich am ATFP durch Kollagenverbin-
fehlt der Faszie ihre Stützfunktion. Blasenboden dungen aufgehängt. Übermäßiger Zug an diesen
und Scheidenvorderwand können sich ballonartig Wäscheleinen schwächt die Kollagenaufhängung
vorwölben, wodurch die Vaginalhaut eine glän- und lässt die Scheidenvorderwand nach unten
zende Oberfläche erhält (⊡ Abb. 8.6). sinken. Eine Überdehnung von ATFP oder ein
Das ATFP kann mit 2 gespannten Wäschelei- Abriss im Bereich der Spina ischiadica führt zum
nen verglichen werden, die von der Symphyse bis Durchhängen der Seile. In beiden Fällen flacht der
zur Spina ischiadica reichen. Die Scheidenvorder- paravaginale Sulcus ab oder wölbt sich konvex vor.
Wenn die zentrale Faszienschicht intakt ist, sind
Rugae vorhanden (⊡ Abb. 8.5). Oft liegt aber eine
Kombination beider Störungen vor, weil der kind-
liche Kopf beim Durchtritt durch den Geburts-
kanal nicht nur die Scheide direkt, sondern auch
das laterale paravaginale Gewebe (Pfeile) indirekt
durch Druck schädigen kann (⊡ Abb. 14.19).
Bei einem reinen paravaginalen Defekt lässt sich
die Anatomie durch Anheben der lateralen Sulci
mit einer geöffneten Ringklemme normalisieren.
Bei einem zusätzlichen Mittelliniendefekt bleibt die
Zystozelenvorwölbung beim Pressen bestehen.
Die Mittelzone der Scheide wird als der Be-
reich angesehen, der am schwersten zu korrigieren
ist, weil er die Tendenz hat, durch Bauchdruck von
oben und Schwerkraft von unten erneut nachzuge-
ben. Das chirurgische Vorgehen muss alle 3 Kom-
ponenten berücksichtigen, um erfolgreich zu sein
und Rezidive zu vermeiden.
⊡ Abb. 14.18. Ausdünnen der pubozervikalen Faszie (PCF) Ein weiteres Behandlungsproblem in der mitt-
führt zum zentralen Defekt mit Prolaps des Blasenbodens leren Zone stellt eine ausgedehnte Narbenbildung

⊡ Abb. 14.19. Kombination von


zentralem und lateralem Defekt.
Der gestrichelte Halbkreis reprä-
sentiert den kindlichen Kopf bei
der Geburt. Die Pfeile geben die
Druckausbreitung wieder, die
der kindliche Kopf zur Seite hin
ausübt. Die Strichzeichnung rechts
zeigt die Umrisse von Blase und
Vagina im Normalzustand. ATFP
Arcus tendineus fasciae pelvis, LA
M. levator ani, R Rektum, RRS retro-
rektaler Raum, RVS rektovaginaler
Raum, VVS vesikovaginaler Raum
156 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

nach Voroperationen am Blasenhals dar. Ein star- Bei einem Zystozelenrezidiv, das sich nach vor-
rer Blasenausflusstrakt kann nicht normal geöffnet angegangener Korrektur entwickelt hat, ist die Va-
und verschlossen werden. Um die Funktion dieser ginalhaut zumeist von der gesunden Faszie abge-
Region wieder herzustellen, muss das Narbenge- trennt (⊡ Abb. 14.21). In diesen Fällen muss dafür
webe entfernt und eine erneute Narbenbildung gesorgt werden, dass die Scheidenhaut wieder mit
vermieden werden. der Faszie vereinigt wird (⊡ Abb. 14.22). Ohne Ver-
stärkung der Scheidenhaut durch die Faszie wird
die Scheidenwand wieder prolabieren. Überschüs-
14.2.2 Spezielles Vorgehen siges Gewebe sollte möglichst nicht weggeschnit-
ten, sondern wieder verwendet werden. Dadurch
Es gibt 5 Strategien, nach denen Schäden in der entstandene Hautfalten am Ende der Operation
Mittelzone behoben werden können: glätten sich mit der Zeit, da Scheidenhaut i. Allg.
1. Direkte Wiederherstellung mit körpereigenem schrumpft.
Gewebe
2. Wiederverwendung von überschüssigem auto-
logem Gewebe in Form einer »Doppelschicht«
oder »Brücke«
3. Verstärkung der Faszie mit Netzstreifen oder
heterologem Gewebe (Schweinekollagen)
4. Verwendung des TFS-Systems ohne oder in
Kombination mit Brückenreparatur, Netz oder
heterologem Gewebe
5. Wiederherstellen der Elastizität im Bereich des
vernarbten Blasenhalses

Direkte Korrektur
Direkte Korrektur einer mittleren Zystozele
bei zentralem Defekt ⊡ Abb. 14.20. Faszie unter der Scheidenhaut wirkt wie ein
Die Scheidenhaut wird in der Mittellinie 1 cm Träger einer Brücke. Querschnitt
unterhalb des Blasenhalses bis zum zervikalen
Ring oder der HE-Narbe in voller Dicke vertikal
14 durchtrennt. Die Blase wird nach lateral vorsichtig
vom Scheidengewebe abpräpariert, bis festes, fi-
bromuskuläres Gewebe angetroffen wird. Die Ver-
schiebeschicht zwischen Scheidenwand und Blase
lässt sich leichter auffinden, indem zuvor ein Lo-
kalanästhetikum oder eine Kochsalzlösung in die
Grenzschicht injiziert wird. Ein Adrenalinzusatz
vermindert den Blutverlust.
Die innere Faszienschicht der Scheidenwand
darf nicht von der Scheidenhaut abpräpariert wer-
den. Das kann das Operationsergebnis verschlech-
tern, weil die Faszienschicht und die Scheidenhaut
eine Einheit bilden und hier die Wandgefäße ver-
⊡ Abb. 14.21. Annäherung der Faszienschicht durch tiefe verti-
laufen. Die Trennung von Faszie und Vaginalhaut kale transvaginale Matratzennähte mit Vicryl oder Dexon. Ent-
führt zur weiteren Dislokation und schwächt das steht dadurch zu viel Spannung, sollte eine Brücke aus Schei-
Gewebe (⊡ Abb. 14.20). denhaut, ein Netz oder ein transversales Band benutzt werden
14.2 · Operationen in der mittleren Zone
157 14

Durch transvaginale Nähte kann die Faszien- Zur Korrektur dieses Defekts wird die Schei-
schicht wieder in der Mittellinie vereinigt werden denhaut kurz oberhalb der Befestigung der PCF am
(⊡ Abb. 14.23). Transversale Haltenähte sollten lose zervikalen Ring/HE-Narbe umgekehrt »T-förmig«
geknüpft werden, damit das Gewebe nicht ge- durchtrennt, wobei die Basis 2,5 cm lang sein sollte.
quetscht wird. Die Wunde wird mit einer fortlau- Die Blase wird auf beiden Seiten von der Scheiden-
fenden oder unterbrochenen Vicryl- oder Dexon- faszie unter direkter Sicht nach lateral abpräpariert,
0-Naht verschlossen. um eine Blasenverletzung zu vermeiden. Auch hier
erleichtert Aquadissektion die Präparation. Mit ei-
Direkte Korrektur einer hohen Zystozele ner Nr. 1-Dexon- oder Vicrylnaht werden die nach
Eine ballonartige Vorwölbung direkt vor der Zer- lateral abgewichenen PCF-Ränder aufgeladen und
vix oder der HE-Narbe (⊡ Abb. 8.7, ⊡ Abb. 14.16) wieder am zervikalen Ring/HE-Narbe befestigt.
ist durch einen Abriss bzw. Abtrennung der PCF Die Haut wird ohne Exzision verschlossen.
vom zervikalen Ring bedingt. Diese Patientinnen Nach eigener Erfahrung kommt es bei direkter
klagen oft über Urge und/oder Blasenentleerungs- Korrektur der Scheidenvorderwand in 30% der
störungen. Fälle zum Rezidiv. Eine Verstärkung der Faszie mit
einem Band oder Netz ist daher empfehlenswert
( Kap. 14.4.2, Abschn. »Verstärkung der vorderen
Scheidenwand…«).

Direkte Korrektur eines paravaginalen Defekts


White (1909) hat Anfang des 20. Jahrhunderts
erstmalig eine Operationstechnik beschrieben, mit
der sich ein lateraler Defekt vaginal korrigieren
lässt. Dazu wird beiderseits im lateralen Sulcus
die Scheidenwand komplett durchtrennt und zwar
vom Blasenhals bis nahezu zur Spina ischiadica

⊡ Abb. 14.22. Wiederanheften von Scheidenhaut an die dar-


unter liegende Faszie

⊡ Abb. 14.24. Direkte Korrektur eines paravaginalen Defekts.


Blick auf die vordere Scheidenwand. ATFP Arcus tendineus
⊡ Abb. 14.23. Transvaginale Haltenähte. A anterior, ATFP Ar- fasciae perlvis, BH Blasenhals, Schwarz gestrichelt Inzisionsli-
cus tendineus fasciae pelvis, CX Zervix, P posterior nien, rot gestrichelt Nähte
158 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

(⊡ Abb. 14.24). Der mediale und laterale Wundrand Techniken zum Erhalt und Wieder-
werden mit Klemmen gefasst und der Raum zwi- verwenden von körpereigenem,
schen Blase und Levatormuskel durch Dissektion autologem Gewebe
teils mit der Schere teils stumpf mit dem Finger Zystozelenkorrektur mit der Brückentechnik
geöffnet. Bei Patientinnen mit großen Hernien ist es ver-
Die median gelegene Blase wird mit einem nünftiger, eine Gewebebrücke in der Mitte zu
schmalen rechtwinkligen Spatel zur Mitte gezo- erhalten, diese seitlich an der gesunden Faszie
gen und der lateral gelegene PCM frei präpariert. anzuheften und die verbliebene Scheidenhaut da-
Der Muskel wird in Höhe des ATFP mit einer rüber zu vereinigen, als die überschüssige Haut
kräftigen Nadel tief durchstochen und die Naht wegzuschneiden (⊡ Abb. 14.25–14.30). Die einzel-
(Vicryl oder Dexon Nr. 1) matratzenförmig durch nen Schritte bei dieser vorderen Brückentechnik
den medianen Scheidenwundrand zurückgeführt. sind folgende:
Abhängig von der Länge der Inzision sind mehrere Zunächst muss das Ausmaß der Brücke ab-
Nähte erforderlich. Beim Knoten der Nähte wird geschätzt werden, um zu große Spannung der
die Scheide in der Mitte gestreckt und seitlich Nähte und ein späteres Nachgeben bei einer zu
nach kranial in Richtung ATFP gezogen. Dadurch breiten Hautbrücke zu vermeiden. Dazu wird die
entsteht ein neuer lateraler Sulcus. Wie weit die Scheidenhaut in der Mitte 1 cm unterhalb des
Nähte zur Mitte der Scheide platziert werden müs- Blasenhalses und 1 cm oberhalb der Zervix oder
sen, um eine ausreichende Spannung der vorderen
Scheidenwand zu erreichen, ist abhängig von der
jeweiligen Situation. Bei einer zu festen Naht ist
die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie ausreißt.
Bei dieser Technik ist zu bedenken, dass die
Ureteren am oberen Muskelrand direkt unter dem
Peritoneum liegen. Dort, wo sie in die Blase ein-
münden, können sie am ehesten verletzt werden.
Um das zu verhindern, sollte die Blase immer vor
Legen einer Naht mit einem rechtwinkligen Zun-
genspatel nach median gezogen werden.
Weiterhin ist zu beachten, dass das Zentrum
der Scheide unter Zug gerät, wenn die Scheiden-
vorderwand zu sehr nach lateral zum ATFP gezo-
14 gen wird. Dies kann bei dem zugrunde liegenden
Bindegewebeschaden eine spätere Zystozelenbil-
dung begünstigen. Insofern überrascht es nicht,
dass die Rezidivrate bei über 30% liegt.

! Beachte: Eine direkte Korrektur von über-


dehntem, geschädigten Gewebe führt oft nicht
zum längerfristigen Erfolg. Da es mindestens
6 Wochen dauert, bis eine Operationswunde
eine gewisse Festigkeit erreicht hat, kann das
Gewebe in dieser Zeit durch intraabdominellen
Druck und Muskelzug nachgeben. Weiterhin ist
zu bedenken, dass bei direkter Korrektur be-
reits geschädigtes Gewebe mit geschädigtem
Gewebe vereinigt wird. Auch das erhöht die ⊡ Abb. 14.25. Brückentechnik bei der Zystozelenkorrektur.
Wahrscheinlichkeit für ein Rezidiv. ATFP Arcus tendineus fasciae pelvis, CX Zervix
14.2 · Operationen in der mittleren Zone
159 14

⊡ Abb. 14.26. Durch H-förmige Inzision über der Zystozele ⊡ Abb. 14.28. Der untere Lappen A wird rechts seitlich durch
werden 2 Lappen A und B gebildet 3 Dexon- oder Vicrylnähte Nr. 1 am Rand des M. pubococ-
cygeus fixiert. Dadurch wird der Wundrand nach lateral ge-
zogen und liegt außerhalb der Umschlagfalte des oberen
Lappens B

⊡ Abb. 14.27. Durch weitere Präparation entstehen 2 beweg- ⊡ Abb. 14.29. Es erfolgt eine komplette, vertikale Durchtren-
liche Lappen A und B nung der Haut im Lappen A so weit lateral, dass sich der
Wundrand vom Lappen B spannungsfrei in die Inzision ein-
nähen lässt
160 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

den. Die Scheidenwundränder werden mit einer


kontinuierlichen Naht verschlossen.
Das Hauptproblem der Brückentechnik besteht
darin, dass durch Druckentlastung in der Mitte der
Zug nach lateral verstärkt wird und dadurch ein
paravaginaler Defekt entstehen kann. Retentions-
zysten sind hingegen selten, wenn das Drüsenge-
webe ausreichend koaguliert wurde.

Zystozelenkorrektur mit der Doppelschicht-


technik
Die Doppelschichttechnik (⊡ Abb. 14.26–14.30)
kann angewendet werden, wenn z. B. bei einer
prolabierenden Zystozele zu viel und zu dünnes
Gewebe vorhanden ist. Die Rationale dafür ist,
dass zwei übereinander liegende Schichten kräfti-
ger sind als eine und dass es keinen Sinn macht,
⊡ Abb. 14.30. Naht der Wundränder von B in A. Der Lappen B
Gewebe wegzuschneiden und die restliche dünne
ist wie bei einem zweireihigen Mantel gering zur anderen Scheidenwand zu spannen.
Seite gezogen und die Wundränder mit einer überwendli- Über der größten Vorwölbung der Zystozele
chen Naht vereinigt. Zum Schluss werden die horizontalen wird die Haut H-förmig inzidiert, wobei das H
Inzisionen durch eine überwendliche Naht verschlossen und um 90° gedreht wird (⊡ Abb. 14.26). Durch Dis-
die beiden Lappen A und B in diesem Bereich miteinander
verbunden
sektion beiderseits nach lateral entstehen 2 mo-
bile Hautlappen, ein linker (A) und ein rechter
(B; ⊡ Abb. 14.27), die übereinander gelegt werden
können. Der Wundrand des linken innen ver-
HE-Narbe mit Allisklemmen gefasst und nach bleibenden Lappens (A) wird so weit nach rechts
kranial in Richtung Blase eingestülpt. Dadurch lateral gezogen, dass er am PCM fixiert wer-
werden die lateralen Scheidenwände zur Mitte ge- den kann und das gesamte Wundgebiet abdeckt.
zogen und die überschüssige Haut erkennbar, die Dabei ist darauf zu achten, dass die Nähte so
als Brücke verwendet werden kann. weit lateral gelegt werden, dass sie außerhalb der
Nach Aquadissektion erfolgt eine blattförmige Umschlagfalte des anderen Lappens (B) liegen
14 Inzision im Bereich der vorderen Scheidenwand (⊡ Abb. 14.28).
1 cm unterhalb des Blasenhalses bis 1 cm oberhalb Der innere Lappen wird dann auf der Gegen-
der Zervix, die die gesamte Haut durchtrennt. Die seite vertikal durchtrennt und zwar so weit lateral,
Blase wird beiderseits nach lateral von der Schei- dass sich der Wundrand des rechten Lappens (B)
denhaut bis in das Niveau des lateralen Sulcus spannungsfrei mit einer fortlaufenden Naht in die
abpräpariert. Das Oberflächenepithel der Brücke Inzision einnähen lässt (⊡ Abb. 14.29). Vorher wird
wird elektrisch koaguliert, bis alle Drüsen dena- die Oberfläche des Innenlappens elektrisch ko-
turiert sind. aguliert, damit sie an der Innenseite des äußeren
Der Brückenrand wird mit mehreren Nähten rechten Lappens (B) anwachsen kann und keine
seitlich an der gesunden Faszie angenäht, ohne Retentionszysten bildet. Danach werden die hori-
dass Spannung entsteht. Das proximale Brücken- zontalen Inzisionen durch fortlaufende überwend-
ende wird vorne unter der Scheidenhaut, das dis- liche Nähte verschlossen und die beiden Lappen
tale Ende hinten am zervikalen Ring oder an der miteinander verbunden (⊡ Abb. 14.30).
HE-Narbe fixiert. Mit einer Reihe von transver- Das Hauptproblem bei dieser Technik besteht
salen Haltenähten (Vicryl oder Dexon Nr. 1) wird darin, dass Nähte ausreißen können, wenn zu
die Brücke mit der übrigen Scheidenhaut verbun- große Spannung vorhanden ist.
14.2 · Operationen in der mittleren Zone
161 14

! Beachte: Brücken- und Doppelschichttechnik


mit körpereigenem Gewebe bieten einen
besseren Schutz gegen Rezidive als her-
kömmliche Operationen und stellen eine Al-
ternative zu Netzstreifen dar. Diese Techniken
können allerdings nur bei Patientinnen mit
großen Hernien angewendet werden. Dabei
muss bedacht werden, dass die erzielte Span-
nung nicht immer ausreicht, die Funktion der
Scheidenwand und damit die Beschwerden
zu normalisieren.

Verstärkung der vorderen Scheidenwand


mit Netzstreifen oder heterologem Gewebe
Die heute am häufigsten verwendete Operations-
methode, eine Zystozele, einen Lateraldefekt oder
eine Kombination aus beiden zu korrigieren, be-
steht darin, ein Netz unter der Blase auszubrei-
ten, das 2 oder 4 Arme besitzt. Die Arme werden
transobturatoriell nach außen geleitet und halten
das Netz in situ. Diese Methode ist unter dem
Akronym ATOM (anteriores transobturatorielles
Mesh) bekannt.
Zunächst wird nach Aquadissektion die Schei- ⊡ Abb. 14.31. Eckpunkte des Foramens obturatorium. Im Be-
reich des oberen Eckpunkts wird der Deschamp im Winkel von
denhaut, wie oben beschrieben, in der Mittellinie
ca. 45° eingeführt
1 cm unterhalb des Blasenhalses bis zum zervi-
kalen Ring oder der HE-Narbe in voller Dicke
vertikal durchtrennt. Die Blase wird von der Schei-
denwand nach lateral abpräpariert und der Raum Arm des Netzes wird in das Öhr eingefädelt und
zwischen Blase und Levatormuskel bis zum ATFP mit dem Instrument nach außen gebracht.
geöffnet. Mit dem Zeigefinger wird dann der ATFP-
Von außen wird der knöcherne Rand des Ra- Rand an der Spina ischiadica aufgesucht. Im Be-
mus inferior ossis pubis lokalisiert und der obere reich des unteren medialen Eckpunkts des Fo-
und untere mediale Eckpunkt des Foramen obtu- ramens obturatorium erfolgt am Knochenrand
ratorium identifiziert. In Höhe des oberen Eck- in der Schenkelbeuge eine zweite Stichinzision.
punkts erfolgt am Knochenrand in der Schenkel- Von hier aus wird der Deschamp im Winkel von
beuge eine Stichinzision, in die die Deschampspitze 10–15° (⊡ Abb. 14.32) unter digitaler Kontrolle um
eingeführt wird (⊡ Abb. 14.31). Unter Kontrolle den gesamten Levator-Obturator-Muskelkomplex
des Daumens von außen ⊡ Abb. 14.33) und des herumgeleitet und 1 cm oberhalb der Spina ischi-
Zeigefingers von innen wird die Deschampspitze dica zwischen Blase und Muskel aus der Inzision
im 45-Grad-Winkel durch die Oberschenkelfas- herausgeleitet. Der hintere Arm des Netzes wird
zie und die Membrana obturatoria geführt, wobei wie der vordere nach außen gebracht.
2 Widerstände überwunden werden müssen. Mit Der Vorgang wird auf der Gegenseite wieder-
einer Drehbewegung wird nun die Spitze des In- holt.
strumentes in Richtung Zeigefinger, der symphy- Das Netz wird unter der Blase ausgebreitet
sennah am ATFP-Rand wartet, vorwärts bewegt (⊡ Abb. 14.34). Damit es keine Falten werfen kann,
und aus der Inzision herausgeleitet. Der vordere fixiert man es vorne und hinten seitlich am Mus-
162 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

⊡ Abb. 14.34. ATOM-Technik. Die 4 Arme eines Netzes sind


durch die obere und untere Begrenzung der Fossa obturatoria
(FO) herausgeleitet und das Netz unter der Blase platziert. A
ATFP, ATOM anteriores transobturatorielles Mesh, U Urethra,
V Vagina

kel mit insgesamt 4 nicht resorbierbaren Nähten.


Außerdem wird das Netz am zervikalen Ring oder
der HE-Narbe angenäht, damit hier später keine
Lücke für eine hohe Zystozele entstehen kann.
Die Wunde wird zweischichtig verschlossen,
⊡ Abb. 14.32. Unterer Eckpunkt des Foramens obturatorium. indem zunächst die innere Scheidenfaszie mit Ma-
Hier beträgt der Winkel des eingeführten Deschamps 10–15° tratzennähten über dem Mesh vereinigt und dann
die Wundränder mit einer fortlaufenden Naht ad-
14 aptiert werden. Anstelle von Netz kann auch ein
plattenförmiges heterologes Bioimplantat in Form
von Schweinekollagen verwendet werden.
Bei einer großen Zystozele mit überschüssiger
Haut kann die ATOM-Technik mit der Brücken-
technik kombiniert werden. Das stützt die vordere
Scheidenwand zusätzlich und bietet den Vorteil,
dass natürliche, desepithelialisierte Scheidenhaut
zwischen Blase und Netz verbleibt und die Blase
vor einer eventuellen Netzarrosion schützt.
Die ATOM-Technik hat den Vorteil, dass sie
gleichzeitig einen zentralen und lateralen Defekt
behebt. Eine Kombination von beidem liegt näm-
⊡ Abb. 14.33. Unter Kontrolle des Daumens von außen und
lich häufig vor. Außerdem verhindert sie, dass nach
des Zeigefingers von innen wird die Deschampspitze durch die Korrektur eines zentralen Schadens durch Zug an
Oberschenkelfaszie und die Membrana obturatoria geführt der seitlichen Aufhängung ein lateraler Schaden
14.2 · Operationen in der mittleren Zone
163 14

entsteht und umgekehrt. In jedem Einzelfall sollte


darauf geachtet werden, dass so wenig Fremdmate-
rial wie möglich, aber so viel wie nötig verwendet
wird, um unnötige Langzeitreaktionen wie starres
Gewebe und Kontrakturen zu vermeiden.
! Cave: Um zu verhindern, dass nach einer
ATOM-Operation eine »Tethered Vagina« ent-
steht, muss streng darauf geachtet werden,
dass am Blasenhals keine Narben durch das
Netz oder die Präparation induziert werden.
Daher ist es wichtig, dass die für Hernienkor-
rekturen notwendigen Inzisionen mindestens
1 cm unterhalb des Blasenhalses beginnen
und das Netz nicht am Blasenhals befestigt
wird.

Verwendung des TFS bei Korrektur ⊡ Abb. 14.35. Zystozelenkorrektur mit Gewebefixierungssys-
der mittleren Zone tem (TFS). Die querliegenden Bänder verstärken die geschä-
digte zentrale Faszie wie Deckenbalken ein Dach. ATFP Arcus
Gute anatomische und funktionelle Resultate bei
tendineus fascia pelvis, CX Zervix
Korrekturen von Schäden in der mittleren Zone zu
erhalten, war bis vor Kurzem ein ungelöstes Pro-
blem. Erst die Entwicklung der ATOM-Technik
vor ca. 6 Jahren hat die Situation entscheidend ver- in voller Dicke vertikal durchtrennt (⊡ Abb. 14.35).
bessert. Bis heute ist allerdings nicht bekannt, wie Die Blase wird soweit nach lateral von der Schei-
sich implantierte Netze nach vielen Jahren verhal- denhaut abpräpariert, bis das Muskelgewebe der
ten. Theoretisch ist die Gefahr einer ausgeprägten lateralen Beckenwand beiderseits im Niveau des
Narbenbildung umso größer, je mehr Netzgewebe Sulcus frei liegt und die TFS-Operation unter Sicht
verwendet wird. Daher hat Petros ein System ent- durchgeführt werden kann.
wickelt, mit dem sich kleine Netzstreifen in die Mit dem TFS wird ein Polypropylenstreifen
Regionen einbringen lassen, die unterstützt wer- von 8 mm Breite horizontal zwischen den beiden
den müssen. Muskelbäuchen so ausgespannt, dass er, wie ein
Zunächst wurden zentrale und laterale Defekte Deckenträger das Dach, den Blasenboden stützt.
der Scheidenvorderwand getrennt korrigiert. Da Dazu wird der TFS-Applikator seitlich auf den
viele Patientinnen aber einen Kombinationsscha- Muskel aufgesetzt, der Anker freigegeben und
den aufweisen und eine alleinige Korrektur eines nach 30 s Wartezeit am Band kurz gezogen, damit
paravaginalen Defekts eine ausgeprägte laterale der Anker seine Arme ausbreiten kann und im
Präparation erfordert, wurde ein Vorgehen analog Gewebe hält.
zur ATOM-Technik entwickelt, das weniger Dis- Abhängig von der Größe der Zystozele müs-
sektion erfordert und mit dem sich beide Verände- sen ein, zwei oder drei Bänder benutzt werden
rungen gleichzeitig beheben lassen. (⊡ Abb. 14.35). Der Vorteil gegenüber der Implan-
tation von großen Netzstreifen liegt darin, dass
Korrektur einer Zystozele mit dem TFS die Narbenbildung geringer ausfällt, die Organver-
Die Scheidenhaut wird, wie in  Kap. 14.2.2, Abschn. schiebeschichten weniger beeinträchtigt werden
»Direkte Korrektur« beschrieben, nach Aquadissek- und die Elastizität der Scheidenwand in sagittaler
tion in der Mittellinie 1 cm unterhalb des Blasen- Richtung besser erhalten bleibt. Wenn ein Band in
halses bis zum zervikalen Ring oder der HE-Narbe Blasenhalsnähe benötigt wird, darf es nicht zu fest
164 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

gespannt werden, damit es nicht das Öffnen des präpariert und der Zwischenraum bis zum ATFP-
Ausflusstrakts bei der Miktion beeinflusst. Rand geöffnet. Das eine Ende des Bandes wird
Durch Legen eines transversalen Bandes di- medial von der Spina ischiadica verankert, das
rekt oberhalb der HE-Narbe lässt sich eine hohe andere Bandende, wie bei dem anterioren TFS,
Heilungsrate bei Patientinnen mit persistierenden unterhalb des Schambeinknochens (⊡ Abb. 14.36).
Urgesymptomatik nach vorausgegangener HE er- Der mediale Scheidenwundrand wird dann, wie
zielen. Bei der Präparation ist extreme Vorsicht bei der klassischen White-Operation ( Kap. 14.2.2,
geboten, um eine Blasenperforation zu vermeiden, Abschn. »Direkte Korrektur eines paravaginalen De-
weil die Blase hier oft dünn oder adhärent ist. fektes«), ohne Spannung mit U-Nähten an den
Daher sollte die Blase komplett von Scheide und ATFP angenäht, die Inzision mit einer fortlaufen-
HE-Narbe abpräpariert und durch eine Tabaks- den Naht verschlossen. Mit dieser Technik wird
beutel- oder Matratzennaht gerafft werden, bevor die Scheide wieder seitlich am ATFP aufgehängt.
das TFS-Band eingebracht wird. Der Eingriff ist einfacher, sicherer und schneller als
eine abdominale Operation, hat aber den gleichen
Korrektur eines Lateraldefekts mittels TFS Nachteil, dass zentrale Defekte nicht positiv beein-
Diese Operation ist ausschließlich bei Patientinnen flusst werden.
mit reinem ATFP-Schaden indiziert. Sie ist inzwi-
schen weitestgehend von der »U-Schlingentechnik« Korrektur eines kombinierten zentralen und
(s. unten) abgelöst worden, da diese gleichzeitig lateralen Defekts mit TFS-U-Schlinge
auch einen zentralen Defekt korrigiert. Ziel dieser Operation ist, ein Band U-förmig in
Zunächst erfolgt eine Inzision im lateralem querer Verlaufsrichtung unter die Blase zu legen
Sulcus, die von der Urethramitte bis zur Spina und hoch am ATFP-Rand zu fixieren. Der Bauch-
ischiadica reicht. Die Blase wird vom Levator ab- druck auf die Scheidenvorderwand wird zen-

14

⊡ Abb. 14.36. Korrektur des ATFP mit dem TFS. Das Band ⊡ Abb. 14.37. U-Schlinge. Blick in Richtung Scheidenvorder-
verstärkt den ATFP und führt zu einem Wiederanwachsen wand. Die Scheide (V) ist von der Blasenwand abpräpariert
der Scheide an den ATFP durch Kollagenbildung. ATFP Arcus und nach lateral gezogen. Das TFS-Band ist direkt am ATFP-
tendineus fasciae pelvis, CX Zervix, SI Spina ischiadica, TFS Rand (A) verankert. ATFP Arcus tendineus fasciae pelvis, FO
Gewebefixierungssystem Fossa obturatoria, U Urethra
14.2 · Operationen in der mittleren Zone
165 14

tral und seitlich von dem Band abgefangen und der ATFP-Rand an der Spina ischiadica aufgesucht
wirkt damit einer erneuten Hernienbildung ent- und das zweite Band hier platziert.
gegen. Bei großen Zystozelen sollte die TFS-U-Schlinge
Wie bei der ATOM-Technik wird nach Inzi- mit der Brückentechnik kombiniert werden. Diese
sion die Scheidenhaut von der Blase in Richtung Operation korrigiert große Hernien präziser und
seitlicher Beckenwand bis zum ATFP-Rand abprä- besser als die Kombination von Band plus Netz (s.
pariert und die Blase, falls notwenig, durch Matra- unten). Die Brücke wird, wie oben beschrieben,
zennähte gerafft. Der TFS-Applikator wird in den gebildet (⊡ Abb. 13.17a–c) und seitlich an der Faszie
retroobturatoriellen Raum eingeführt, der Anker angenäht (⊡ Abb. 14.39). Das Band liegt U-förmig im
symphysennah bis zum ATFP-Rand vorgeschoben mittleren oder hinteren Bereich der Brücke, wird
und fixiert. Sitzt der Anker fest, wird der Vorgang dort mit einer Naht fixiert und so gespannt, dass
auf der kontralateralen Seite wiederholt und das sich der Blasenboden in normaler Position befindet.
Band nur so weit gespannt, dass es die fehlende Eine Kombination einer TFS-U-Schlinge mit
Spannung der Faszie ausgleicht (⊡ Abb. 14.37). Ein einem Netzstreifen ist empfehlenswert für Patien-
übermäßiger Zug muss vermieden werden, um tinnen mit sehr dünnem Gewebe, bei denen die
ein Hochrutschen des Bandes zum Blasenhals und Verwendung eigener Haut nicht ausreichend ist.
einen dadurch bedingten Harnverhalt oder Neo- Wie das Band durch den vorderen Bereich des
Urge zu verhindern. Oft ist es hilfreich, das Band Netzstreifens gezogen wird, zeigt ⊡ Abb. 14.40. Es
mit einer Naht am Blasenboden zu fixieren, bevor kann, je nach Befund, genauso in der Mitte oder
es gespannt wird. hinten am Netz fixiert werden.
Wenn eine größere Zystozele vorhanden ist, Wenn zusätzlich ein Defekt im Bereich des
kann ein zweites U-förmiges Band verwendet wer- zervikalen Ringes vorhanden ist, sollte ein zweites
den (⊡ Abb. 14.38). Mit dem Zeigefinger wird dann Band gelegt werden (⊡ Abb. 14.40).

⊡ Abb. 14.38. Doppelte U-Schlinge. Blick in Richtung Scheiden- ⊡ Abb. 14.39. Kombination von U-Schlinge und Brücke. Blick
vorderwand. Die Scheide (V) ist von der Blasenwand abpräpa- in Richtung Scheidenvorderwand. Die Brücke ist seitlich an
riert und nach lateral gezogen. Die TFS-Bänder sind direkt am der Faszie angenäht. Das TFS-Band ist am ATFP-Rand (A) ver-
ATFP-Rand (A) verankert. ATFP Arcus tendineus fasciae pelvis, ankert. ATFP Arcus tendineus fasciae pelvis, FO Fossa obtura-
FO Fossa obturatoria, U Urethra toria, U Urethra
166 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

⊡ Abb. 14.41. Defekt des zervikalen Ringes. Pubozervikale


Faszie (PCF) und kardinale Ligamenten (CL) sind am zervikalen
Ring befestigt. Ein Riss (r) im zervikalen Ring führt nicht nur
zu einer Dislokation der Befestigung der PCF mit dadurch
⊡ Abb. 14.40. Kombination von U-Schlinge und Netz. Blick bedingter hoher Zystozele, sondern auch zum Auseinander-
in Richtung Scheidenvorderwand. Die Brücke ist seitlich an weichen der CL. Dieses kann zur Retroversio uteri and zur
der Faszie angenäht. Das TFS-Band wurde durch 2 Schlitze im Senkung des Uterus und/oder des Scheidenapex führen
Netz gezogen und am ATFP-Rand (A) verankert. ATFP Arcus
tendineus fasciae pelvis, FO Fossa obturatoria, U Urethra

Korrektur eines Defekts im Bereich


des zervikalen Ringes (hohe Zystozele) mit
TFS-U-Schlinge
Die PCF und die CL sind Bestandteil des zervika-
len Ringes. Wenn im Rahmen einer Geburt oder
einer HE in diesem Bereich eine Lücke entsteht
14 (⊡ Abb. 14.41), kann sich die Blase in Form einer
hohen Zystozele nach außen vorwölben.
Ein Band, das quer über den zervikalen Ring
entlang der CL verläuft, stellt nicht nur die Inte-
grität des Ringes in diesem Bereich wieder her,
sondern es heftet auch die PCF wieder an den
Ring und normalisiert die Stellung der Zervix,
indem es sie nach hinten zieht. Dadurch werden
die Dehnungsrezeptoren am Blasenboden wieder
unterstützt und damit zusammenhängende Be-
schwerden geheilt.
Wie in ⊡ Abb. 14.42 demonstriert, wird ein
⊡ Abb. 14.42. Korrektur des zervikalen Ringes und der kardi-
umgekehrter T-Schnitt über der hohen Zystozele
nalen Ligamente. Das Band verläuft von dem einen kardinalen
angelegt, die Blase von Scheide und Zervix oder Ligament entlang der vorderen Muttermundslippe bis zu dem
HE-Narbe abpräpariert und die Faszie durch eine anderen. Durch Zug (Pfeil) wird die Zervix nach hinten gezo-
Naht gerafft. Mit einer feinen Präparierschere wird gen und der Uterus in eine Anteversion gebracht
14.2 · Operationen in der mittleren Zone
167 14

ein 6–8 cm langer Kanal entlang der CL gebildet, Durch Narbengewebe im ZCE wird die
der möglichst bis zum ATFP reicht. Der TFS- kräftige nach hinten ziehende Muskulatur (F2)
Applikator wird in den Kanal eingeführt und der (⊡ Abb. 14.44) mit der nach vorne gerichteten (F1)
Anker im festen Gewebe freigegeben. Nach 30 s verbunden und das Zusammenspiel der Muskel-
Wartezeit wird der Anker durch Zug am Band im kräfte verändert. Da der Zug der LP nach hinten
Gewebe fixiert.
Der Vorgang wird auf der kontralateralen
Seite wiederholt und das Band dann vorsichtig
gespannt, wodurch der Uterus antevertiert und
der Prolaps im vorderen Bereich des Scheidenapex
korrigiert wird. Mit Vicryl oder Dexon Nr. 1 und
großer Nadel wird die nach lateral abgewichene
Faszie zur Mitte hin genäht und das Band damit
abgedeckt. Die Wundränder werden ohne Exzision
von Scheidenhaut adaptiert.

Tethered-Vagina-Syndrom
Das Tethered-Vagina-Syndrom (Starrheit in der
mittleren Zone) nimmt eine Ausnahmestellung
im Konzept der Integraltheorie ein. Während na-
hezu alle sonstigen Probleme durch ein Nach- ⊡ Abb. 14.43. Zone der kritischen Elastizität, die von der Ure-
lassen der Bindegewebespannung bedingt sind, thramitte bis zum Blasenboden reicht (orange)
lösen beim Tethered-Vagina-Syndrom zu feste
Gewebestrukturen massive Funktionsstörungen
aus. Aus diesem Grund halten die Autoren es für
wichtig, nochmals auf die Pathophysiologie einzu-
gehen und dabei bewusst Verständnisgrundlagen
zu wiederholen, die zur Lösung des Problems
beitragen.
Das Tethered-Vagina-Syndrom ist ein rein ia-
trogenes (ärztlich induziertes) Problem, das durch
narbenbedingte Starrheit in der Scheidenmitte ent-
steht (Petros u. Ulmsten 1990b, 1993i). Es kommt
somit nur bei voroperierten Patientinnen vor und
zwar gehäuft in Ländern, in denen Chirurgen
reichlich Scheidenhaut bei vaginalen Operationen
resezieren.
Das Tethered-Vagina-Syndrom erinnert vom
Beschwerdebild her an eine motorische Detrusor-
inkontinenz. Im Gegensatz dazu tritt plötzlicher, ⊡ Abb. 14.44. Illustration der Bedeutung der »Zone der kri-
unkontrollierter Urinabgang nur beim Aufstehen tischen Elastizität« (ZCE) für den Verschlussmechanismus der
vom Bett oder Stuhl auf, und zwar in dem Mo- Urethra (U) und des Blasenhalses (BH). Die ZCE reicht von der
ment, in dem die Patientin ihren Fuß auf den Urethramitte bis zum Blasenboden. Narbenbildung behindert
die Muskelkräfte F1 und F2. F2 ist stärker als F1 wodurch es
Fußboden setzt.
bei Anspannung zur Öffnung des Ausflusstrakts und zum
Auslösend für dieses Problem ist Narbenge- unkontrollierten Urinabgang kommt. LMA longitudinaler
webe in der ZCE, die von der Urethramitte bis Analmuskel, LP Levatorplatte, PCM pubokokzygealer Muskel,
zum Blasenboden reicht (⊡ Abb. 14.43). PUL pubourethrales Ligament
168 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

stärker ist als der des PCM nach vorne, wird die meisten Fällen zu einer Druckumverteilung auf
Blase geöffnet, wenn das Signal zum Schließen den hinteren Scheidenbereich, die eine Entero-/
erfolgt. Erst nach Wiederherstellung der notwen- Rektozelenbildung begünstigt (⊡ Abb. 14.45b). Die
digen Elastizität in der ZCE können die Muskel- Autoren haben in nahezu allen Tethered-Vagina-
kräfte F1 und F2 wieder unabhängig voneinander Fällen auch eine Entero-/Rektozelensymptomatik
arbeiten. angetroffen.
Bei Patientinnen mit Tethered-Vagina-Syn- Eine vorübergehende Starrheit in der ZCE
drom ist zumeist keine oder nur eine geringe SI- kann gelegentlich auch nach Implantation eines
Komponente vorhanden. Das erklärt sich daraus, suburethralen Bandes vorkommen, wenn dadurch
dass Husten kurze, plötzliche Fast-twitch-Kontrak- die Elastizität im Blasenhalsbereich beeinträchtigt
tionen erzeugt, die im Rahmen der verbliebenen wurde. Bei der Patientin äußert sich das als de-
Restelastizität gerade noch ausreichen, einen Urin- novo entstandener unkontrollierter Urinabgang
abgang zu verhindern. beim Aufstehen aus dem Bett. Im Allgemeinen tritt
Morgendliches Aufstehen aus dem Bett streckt das zum ersten Mal einige Tage nach der Operation
die ZCE erheblich mehr als Husten, weil der Be- auf. In den nachfolgenden Wochen und Monaten
ckenboden sich kräftig kontrahieren muss, um die kehrt die Elastizität in der ZCE meist langsam
Abdominalorgane abzustützen. Dadurch wird der zurück, sehr wahrscheinlich bedingt durch nach-
Ausflusstrakt schlagartig geöffnet. Es kommt zum lassende Gewebespannung in der Scheidenwand.
massiven Urinabgang in dem Moment, in dem die Damit bessert sich die Inkontinenzsymptomatik.
Patientin ihren Fuß auf den Boden setzt.
Nach mehrfachen Voroperationen mit Teflon- Diagnostisches Vorgehen bei Tethered-Vagina-
einspritzungen, Applikation von Mikroballons usw. Verdacht. Normalerweise kann man die Narbe
kann die Blasenhalsregion porzellanartig starr sein. am Blasenhals bei der Spekulumuntersuchung gut
Blase und Urethra sind dann vergleichbar mit ei- erkennen (⊡ Abb. 14.45a, ⊡ Abb. 14.46a–c). Trotz-
ner Gießkanne (⊡ Abb. 7.9a–d). Im Sitzen und Lie- dem sollte in jedem Fall abgeklärt werden, ob die
gen füllt sich die Gießkanne. Sobald die Patientin Narbe tatsächlich für die Inkontinenz verantwort-
aufsteht, entleert sich schlagartig reichlich Urin lich ist.
aus der Blase. Nach Erreichen der Toilette ist die Zumeist tritt beim Husten oder Pressen kein
Blase nur noch wenig gefüllt. Urin aus der Urethra aus. Ein wirksamer Pro-
Da Narbengewebe mit zunehmender Zeit vokationstest besteht darin, dass man den Bla-
schrumpft, kann es viele Jahre dauern, bis dieses senboden vorsichtig mit einer stumpfen Klemme
Problem nach einer Operation auftritt. Eine derar- fasst und nach hinten zieht, wenn die Patientin
14 tige Situation kann nicht durch weiteres Hochzie- hustet. Das Zurückziehen entfernt jede Restelas-
hen des Blasenhalses, Einlegen einer suburethralen tizität am Blasenhals und führt bei Patientinnen,
Schlinge oder Einspritzen von Substanzen zur Ver- die vorher beim Husten trocken waren, zum Urin-
engung der Urethra oder eine Narbenbildung ge- abgang im Strahl. Die Scheidenhaut darf mit der
ändert und die Patientin geheilt werden. Alle neu- Klemme nicht zu fest gefasst werden, um Schmer-
erlichen derartigen Versuche werden die Situation zen infolge viszeraler Innervation der Scheide zu
weiter verschlechtern. Ziel muss es vielmehr sein, vermeiden. Im Ultraschall ist der Blasenhals bei
die Elastizität in der »«ZCE wieder herzustellen. Patientinnen mit Tethered-Vagina-Syndrom im-
Dieses Problem kann somit nur durch einen plas- mobil, so dass beim Pressen nur eine sehr geringe
tisch chirurgischen Eingriff geheilt werden, der die Absenkung des Blasenhalses festgestellt werden
Elastizität in der Blasenhalsregion wieder herstellt. kann (⊡ Abb. 9.8).
Patientinnen mit reinem Tethered-Vagina-Syn- Eine urodynamische Untersuchung ist zumeist
drom nässen im Schlaf nicht ein und leiden nicht nicht aussagekräftig, da ein Teil der Flüssigkeit
unter Urge. Eine isolierte Tethered-Vagina-Sym- während der Füllung aus der Blase zurückfließen
ptomatik ist aber selten. Infolge der starren Schei- kann. Die Profilometrie zeigt oft ein starres Rohr
denvorderwand (⊡ Abb. 14.45a) kommt es in den mit einem sehr flachen Druckprofil (⊡ Abb. 9.28).
14.2 · Operationen in der mittleren Zone
169 14

⊡ Abb. 14.45.
a Narbe im Bereich der
Scheidenvorderwand.
b Enterozele hinten

⊡ Abb. 14.46a–c. Tethered-Vagina-Patientinnen mit Narben kranial. Patientin mit 12 Voroperationen am Blasenhals. Das
am Blasenhals, die zu einer Verkürzung der Urethra geführt Hammock ist mit einer Klemme gefasst, wodurch der ele-
haben. a Patientin mit 8 Voroperationen. b Patientin mit 6 Vor- vierte Blasenhals sichtbar wird
operationen. c Massive Einziehung des Blasenhalses nach

Chirurgische Wiederherstellung der Elastizität I-Plastik. Die I-Plastik ist die einfachste der 3 Tech-
in der Blasenhalsregion niken. Sie ist nur dann indiziert, wenn hinter der
Grundvoraussetzung für die Normalisierung der Narbenplatte eine Zystozele vorhanden ist. Bei
Blasenfunktion ist, dass Scheidenhaut, Urethra der I-Plastik wird die Elastizität dadurch wieder-
und Blase sich gegeneinander verschieben können. hergestellt, dass überschüssige Scheidenhaut von
Um die Elastizität in der Blasenhalsregion wieder der Zystozele in die Blasenhalsregion verlagert,
herzustellen, muss daher die Scheide von Urethra die Menge des Gewebes dadurch vermehrt und
und Blasenhals abpräpariert und das gesamte Nar- eine erneute starre Narbenbildung verhindert wird
bengewebe bis in den Bereich der seitlichen Be- (⊡ Abb. 14.47).
ckenwände entfernt werden (Urethrovesikolyse). Nach Aquadissektion erfolgt von Urethramitte
Ein einfacher Verschluss der Wunde wird er- bis mindestens 3 cm hinter dem Blasenhals eine
neut zur Narbenbildung und zum unkontrollierten oberflächliche Längsinzision. Mit der Präparier-
Urinverlust führen. Um das zu verhindern, muss schere wird dann vorsichtig die Narbenschicht
frisches Gewebe in die Blasenhalsregion gebracht zwischen Scheide und Urethra/Blase aufgesucht
werden, das elastisch bleibt. Nachfolgend werden und die Scheidenhaut weiträumig von dem dar-
3 Möglichkeiten genannt, mit denen die Autoren unter gelegenen Narbengewebe abpräpariert Dies
Erfahrungen gesammelt haben: wird vorne bis zum Meatus, hinten bis zur Zervix
1. I-Plastik, oder HE-Narbe und seitlich bis in den Sulcus
2. freier Hautlappen und hinein durchgeführt. Die Haut muss frei gegen
3. Bulbokavernosus-Haut-Fett-Lappen die Unterlage verschiebbar sein. Eine sorgfältige,
170 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

⊡ Abb. 14.47a, b. I-Plastik.


Die Scheidenhaut wird weit-
räumig von dem darunter
gelegenen Narbengewebe
abpräpariert (a) und die mo-
bile Scheidenhaut dann quer
ohne Spannung vernäht (b)

⊡ Abb. 14.48. Mit Durch-


stichnähten fixierter freier
Hautlappen im Bereich des
Blasenhalses

14 aber vorsichtige Blutstillung mit der bipolaren Pin- vorhanden sind. Das Narbengewebe wird soweit
zette verhindert ein Hämatom und eine dadurch reseziert, bis die ZCE wieder elastisch ist. Im
bedingte erneute Narbenplatte. Die mobile, über- Rahmen dieser Präparation zieht sich die Schei-
schüssige Haut wird mit einer querverlaufenden denhaut meist zurück, wodurch ein Hautdefekt
Naht in Richtung ZCE gezogen. entsteht.
Die I-Plastik wird nur dann zu einem langan- Um den Scheidenhautdefekt decken und einer
haltenden Erfolg führen, wenn ausreichend Schei- erneuten Narbenbildung entgegenwirken zu kön-
dengewebe vorhanden ist. nen, wird ein Vollhauttransplantat (⊡ Abb. 14.48)
aus einer Körperregion entnommen, die elastisch
Freier Hautlappen. Diese Technik kann, abhän- ist. Die Autoren bevorzugen den Unterbauch, da
gig vom Befund, sowohl bei einer Längs- als auch es hier postoperativ selten und wenn, dann nur zu
Querinzision durchgeführt werden. Wie bei der geringen Schmerzen kommt.
I-Plastik wird nach Aquadissektion die Narben- Das Wundgebiet für das Implantat muss blut-
schicht aufgesucht und die Scheidenhaut von der trocken sein. Nach Entfernen des Unterhautfettge-
narbigen Unterlage beidseitig bis in den Sulcus ab- webes mit der Schere wird der freie Hautlappen im
präpariert, bis keine narbige Einziehungen mehr Bereich der ZCE mit einer Reihe von Durchstich-
14.2 · Operationen in der mittleren Zone
171 14

nähten an seiner Unterlage fixiert. Diese Nähte


sollen verhindern, dass der Hautlappen durch
Wundsekret oder ein Hämatom den Kontakt zu
seiner Unterlage verliert. Zum Schluss wird der
Lappen in die umgebende Scheidenhaut mit Vicryl
oder Dexon Stärke 2–0 eingenäht. Bei den Durch-
stichnähten und beim Einnähen des Lappens muss
darauf geachtet werden, dass die Nähte nicht zu
fest angezogen werden, um eine schlechte Durch-
blutung zu vermeiden.
Es ist schwierig, die richtige Größe des Trans-
plantats abzuschätzen. Normalerweise schrumpft
ein Transplantat, das gut anwächst, in den folgen-
den 6 Monaten um mindestens 50%. Umgekehrt
⊡ Abb. 14.49. Umschneidungsfigur
kann bei einem zu großen Lappen das neu ge-
schaffene Hammock so weich sein, dass die Ure-
thra bei Belastung nicht ausreichend verschlos-
sen wird. Eine sich daraus entwickelnde SI kann
allerdings frühestens nach 6 Monaten durch eine
suburethrale Schlinge geheilt werden.
Ein weiterer Nachteil dieser Technik besteht
darin, dass der Lappen in bis zu einem Drittel
der Fälle abgestoßen wird. Dies führt zu einer
verstärkten Fibrose in ZCE und einer Verschlech-
terung der Symptome.

Labium-majus-Haut-Fett-Lappen mit Gefäßstiel


(nach Goeschen). Eine Transplantation mit ei-
nem Bulbokavernosus-Haut-Fett-Lappen aus der
Labium-majus-Region ist technisch schwieriger
durchzuführen als die vorher genannten Tech-
⊡ Abb. 14.50. Hautfettlappen mit Gefäßstiel
niken, hat aber den großen Vorteil, dass der La-
bium-majus-Haut-Fett-Lappen aufgrund einer
eigenen Blutversorgung elastisch bleibt und kaum
schrumpft.
Zunächst wird eine Urethrovesikolyse wie beim
freien Hautlappen durchgeführt. Aus der großen
Schamlippe wird dann ein 4–5 cm messendes el-
liptisches Hautareal mit umgebendem Fettgewebe
(⊡ Abb. 14.49) und einem Gefäßstiel (⊡ Abb. 14.50)
herauspräpariert, der vom M. bulbocavernosus
ausgeht. Der gestielte Lappen wird durch einen in
den paravaginalen Sulcus reichenden Kanal in die
Scheide eingeschwenkt (⊡ Abb. 14.51, ⊡ Abb. 14.52),
das Fettgewebe im Bereich des Wundgebiets an
der Unterlage mit Nähten fixiert und der Wund-
rand mit der umgebenden Scheidenhaut vernäht ⊡ Abb. 14.51. Einschwenken des Lappens in die Scheide durch
(⊡ Abb. 14.53, ⊡ Abb. 14.54). einen Kanal, der in den Sulcus reicht
172 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

Ergebnisse. Mit dem gestielten Lappen werden


signifikant bessere Ergebnisse erzielt als mit der
I-Plastik oder dem freien Hautlappen (Goeschen
2006b). Die Autoren haben die Erfolgsraten der
3 Techniken (I-Plastik n=13, freier Hautlappen n=21
und Labium-majus-Haut-Fett-Lappen n= 53) in ei-
ner klinischen Studie an 87 Patientinnen überprüft.
Die Heilungsraten (<10 g Urinverlust in 24 h) nach
1 Jahr lagen bei 23, 52 und 78%, wobei n=5 Pa-
tientinnen der Gruppe »freier Hautlappen« und
n=11 Patientinnen der Gruppe »gestielter Lappen«
zusätzlich mit einer suburethralen Schlinge 6 Mo-
nate nach der Tethered-Vagina-Operation versorgt
werden mussten. Der Zweiteingriff war notwendig,
weil aufgrund eines zu weichen neugeschaffenen
Hammocks die Urethra bei Belastung nicht ausrei-
⊡ Abb. 14.52. Querinzision am Blasenhals. Das Narbenge- chend verschlossen werden konnte.
webe am Blasenhals und der Urethra ist bis zum Blasenboden Die mittlere Operationsdauer für die Nar-
entfernt
benentfernung und Deckung mit dem Haut-Fett-
Lappen lag bei 73 min (41–98 min). Es sind keine
Verletzungen von Urethra oder Blase und keine
transfusionspflichtigen Blutungen aufgetreten. Der
durchschnittliche stationäre Aufenthalt lag bei
5 Tagen (2–8 Tagen). Alle Patientinnen sind nach
4 h aufgestanden; 3 Patientinnen konnten nach
Entfernen des Katheters am ersten postoperativen
Tag nicht spontan Wasser lassen, so dass nochmals
für einen Tag ein Dauerkatheter erforderlich war.
Zwei freie Hautlappen wurden abgestoßen und
mit einem gestielten Lappen gedeckt. In der Gruppe,
die mit Bulbokavernosus-Haut-Fett-Lappen verse-
⊡ Abb. 14.53. Der Lappen wird in die umgebenden Scheiden- hen wurden, kam es nur in einem Fall zu einer Teil-
14 wundränder eingenäht, die Labium-majus-Wunde durch eine nekrose des Lappens, die ohne weitere Operation
intrakoreale Naht verschlossen abheilte. Trotzdem war die Patientin kontinent.

14.3 Operationen in der posterioren


Zone

14.3.1 Allgemeine Überlegungen

Die posteriore Zone erstreckt sich vom zervikalen


Ring bis zum PB. Sie enthält folgende Strukturen,
die geschädigt sein können:
▬ Halteapparat des Uterus mit USL und CL,
▬ apikaler Scheidenbereich,
▬ RVF,
⊡ Abb. 14.54. Ergebnis nach 6 Monaten ▬ PB mit Ausläufern des externen Analsphinkters.
14.3 · Operationen in der posterioren Zone
173 14

Diese Strukturen wirken nicht nur in der hinteren Hinterwand durch die RVF verstärkt (⊡ Abb. 14.58).
Zone synergistisch zusammen, sondern spielen Ein Riss an den Befestigungspunkten des zervika-
eine zentrale Rolle im Gesamtsystem der Becken- len Ringes kann daher gleichzeitig zu einer hohen
bodenarchitektur. Das bedeutet, dass bei einem Zysto-, Rekto- oder Enterozele führen.
Defekt im hinteren Bereich oft auch die Funktion Die Scheide ist über die Zervix und die hier
in der vorderen oder mittleren Zone betroffen ist. befestigten USL und CL an der Beckenwand ver-
ankert. Sie wird von den Muskeln der LP gespannt
(⊡ Abb. 14.59). Sowohl die strukturbedingte Festig-
Uterovaginaler Deszensus/Prolaps keit der Kollagenfasern als auch die Kontraktionen
Die Zervix uteri nimmt aus statischer Sicht eine der glatten Muskelfasern in den USL und CL tra-
Schlüsselstellung im kleinen Becken ein (⊡ Abb. 14.55,
⊡ Abb. 14.56). Der zervikale Ring (⊡ Abb. 14.57) be-
steht aus reinem Kollagen (⊡ Abb. 14.58) und ist
5-mal reißfester als ein intaktes Ligament und 30-
mal stärker als eine Faszie. Insofern stellt die Zervix
den stabilsten Verankerungspunkt für Ligamente
und fibromuskuläre Faszien im Beckenboden dar.
Alle Faszienscheiden sind miteinander verbun-
den und laufen am zervikalen Ring zusammen
(⊡ Abb. 14.57, ⊡ Abb. 14.58). Sie erstrecken sich von
der PCF vorne, über den ATFP superolateral und
die apikale Faszie hinten zu der zwischen Scheide
und Rektum gelegenen und zum PB ziehenden
RVF (Denonvilliers-Faszie). Die Scheidenvorder-
wand wird also durch die PCF und die Seiten- und
⊡ Abb. 14.56. Halte- und Stützapparat der Zervix (CX). Die
Pfeile geben die Spannungslinien wieder, die durch die Li-
gamente erzeugt werden. G Schwerkraft, CL kardinale Liga-
mente, USL uterosakrale Ligamente, S Sakrum. Blick von oben

⊡ Abb. 14.57. Verbindungen der Beckenfaszien untereinan-


der. 3-D-Sicht mit Blick in den Fornix der Scheide. Alle fas-
⊡ Abb. 14.55. Fibromuskuläre Abstützung der Scheidenwände. zialen und ligamentären Strukturen inserieren direkt oder
Im distalen Bereich von Scheide, Urethra und Rektum ist dich- indirekt in den zervikalen Ring. ATFP Arcus tendineus fasciae
tes Bindegewebe vorhanden, proximal davon mehr elastisches pelvis, CL kardinales Ligament, RVF rektovaginale Faszie, USL
in Form von glatter Muskulatur und Elastin. PB Perinealkörper uterosakrale Ligamente
174 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

gen zur Spannung der Scheide bei und wirken der Ein Tiefertreten der Portio oder Scheide bis
Schwerkraft entgegen (⊡ Abb. 14.56). zum Introitus wird Deszensus, ein Vorfall vor den
Risse oder Lücken in der Faszie sowie Überdeh- Introitus Prolaps genannt. Zum Deszensus uteri
nung der Stütz- und Haltebänder infolge von Ge- (⊡ Abb. 14.60) kommt es, wenn nur die CL und/
burten sind verantwortlich für die Entstehung eines oder USL nachgeben. Bei zusätzlicher Schlaffheit
Deszensus/Prolaps uteri et vaginae. Es gibt aber auch der Scheidenwände kann der Uterus sich weiter
Nulliparae mit angeborener Bindegewebeschwäche, nach unten senken und mitsamt den Scheidenwän-
bei denen dieses Problem auftreten kann. den nach außen vorfallen. Dadurch werden hinten
der Douglasraum und vorne das Spatium vesico-
uterinum geöffnet, was die Entstehung einer Trak-
tionsentero-, -zysto- oder -rektozele (⊡ Abb. 14.61)
begünstigt.
Eine HE schwächt den faszialen und ligamen-
tären Halt der Scheidenwände am zervikalen Ring
und führt zur Atrophie dieser Strukturen. Der
Ramus descendens der A. uterina (⊡ Abb. 14.55)
dient als Hauptblutversorger für die apikale Faszie
und die USL. Nach der HE werden die Ligamente
und die Faszie nicht mehr ausreichend mit Blut
versorgt. Das führt zur Atrophie. Die Atrophie er-
klärt, warum es zumeist schwierig ist, die USL bei
hysterektomierten Patientinnen zu finden. Inso-
fern bietet der Erhalt des Uterus den besten Schutz
gegen die Bildung eines Prolapses und gegen eine
⊡ Abb. 14.58. Der zervikale Ring (gelb) ist ein wichtiger Befes-
tigungspunkt für die pubozervikale, rektovaginale und apikale
Inkontinenz (Brown et al. 2000; Petros 2000).
Faszie. PB Perinealkörper, USL uterosakrale Ligamente, R Rek- Bei Scheidendeszensus/-prolaps mit oder ohne
tum, CL kardinales Ligament eine HE handelt es sich pathophysiologisch um

⊡ Abb. 14.59. Schematische


14 Darstellung des Faszienhalteap-
parats, der im Normalfall einen
Scheidenprolaps verhindert.
Pfeile Zugrichtung der Levator-
platte, PCF pubozervikale Faszie,
CL kardinales Ligament, RVF
rektovaginale Faszie, USL utero-
sakrale Ligamente

⊡ Abb. 14.60. Ein Prolaps ent-


steht, wenn die kardinalen (CL)
und uterosakralen Ligamente
(USL) sowie die Scheidenfaszie
erschlafft sind
14.3 · Operationen in der posterioren Zone
175 14

eine Hernie oder Intussuszeption (Einstülpung; Entero-/Rektozele


⊡ Abb. 14.61). Um dauerhaft ein Rezidiv zu verhin- Die RVF verbindet die Scheidenhinterwand mit
dern, müssen Scheidenwände und Scheidengrund dem PB distal und den Muskeln der LP kranial
wie bei einer Hernie z. B. mit Netzstreifen verstärkt (⊡ Abb. 14.62; Nichols u. Randall 1989b). Durch
werden. Weiterhin ist eine Korrektur der USL, der Kontraktion der LP (Pfeil in ⊡ Abb. 14.62) wird
PCF und RVF und des Scheidengrunds im Bereich die hintere Scheidenwand gegen den Widerstand
des zervikalen Ringes notwendig. des PB horizontal nach hinten gezogen. Eine aus-

⊡ Abb. 14.61. Scheidenprolaps (Aus-


stülpung, Intussuszeption). Faszien, die
von der prolabierenden Scheide nach
außen gezogenen werden

⊡ Abb. 14.62. Verlauf der rektovagi-


nalen Faszie (RVF) vom Perinealkörper
(PB) bis zur Levatorplatte (LP).
CX Zervix, D Douglas-Raum, R Rektum,
UT Uterus, V Vagina.
176 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

reichende Festigkeit der RVF in Kombination mit Sind die RVF und die an ihr befestigten Liga-
dem nach hinten gerichteten Zug der LP bilden mente (CL und USL) defekt, kann sich eine Lücke
die Hauptfaktoren, die eine Hernie im Bereich der bilden, durch die sich die Rektumvorderwand bal-
Scheidenhinterwand verhindern. lonartig nach vorne zur Scheide hin vorwölben
kann. Es entsteht eine Rektozele (⊡ Abb. 14.63).
Die Ränder der RVF werden dadurch weit nach
lateral gedrängt (⊡ Abb. 14.63, Pfeile) und der rek-
tovaginale Raum eingeengt. Er verklebt mit dem
angrenzenden Gewebe (⊡ Abb. 14.64).
Schäden im apikalen Anteil der RVF führen
zur Enterozele (⊡ Abb. 14.63). Eine hohe Rektozele
kann als Enterozele fehlgedeutet werden und um-
gekehrt (⊡ Abb. 14.65).
Ein Defekt in der RVF (⊡ Abb. 14.65) macht
den nach hinten gerichteten Zug auf die Scheiden-
hinter- und Rektumvorderwand unwirksam. Da
die Streckung der Rektumvorderwand die Grund-
voraussetzung für eine normale Darmentleerung
darstellt, kommt es bei fehlender Spannung in der
Darmwand zu Entleerungsproblemen (»Stool-out-
let-obstruction«) und bei einem Drittel der Patien-
⊡ Abb. 14.63. Auseinanderweichen der rektovaginalen Faszie tinnen zur Invagination (innerer Rektumprolaps,
(RVF) und des Perinealkörpers (PB) nach lateral fördern eine
 Kap. 6.2).
Protrusion der Rektumvorderwand ins Scheidenlumen. Eine
Schädigung der apikalen Faszie zieht eine Enterozele nach
Für die Normalisierung der Defäkation ist
sich. A Anus, EAS externer Analsphinkter, LP Levatorplatte, CL es daher wichtig, dass die Anatomie wieder her-
kardinale Ligamente, USL uterosakrale Ligamente gestellt und Faszienlücken verschlossen werden.

14
⊡ Abb. 14.64. Verlagerung
der vorderen Rektumwand
nach oben außen. Die
dadurch entstehende Rekto-
zele engt den rektovagina-
len Raum ein und verdrängt
ihn nach lateral. Durch di-
rekten Kontakt von Scheide
und Rektum kommt es zu
Verklebungen. ATFP Arcus
tendineus fasciae pelvis,
IS Spina ischiadica, LA M. le-
vator ani, PS Pubis symphy-
sis. PVS pubovesikaler Raum,
RRS retrorektaler Raum,
RVS rektovaginaler Raum,
VVS vesikovaginaler Raum,
PRS pararektaler Raum
14.3 · Operationen in der posterioren Zone
177 14

⊡ Abb. 14.65. Eine hohe Rektozele (RVF-


Defekt) kann mit einer Enterozele (apikaler
Defekt) verwechselt werden. B Blase, PB Perine-
alkörper, R Rektum, RVF rektovaginale Faszie,
USL uterosakrales Ligament, UT Uterus

Damit die LP die Scheide und die Rektumvorder- Nach Paramore (1908a) sind Beckenboden-
wand wieder ausreichend strecken kann, muss die muskulatur und Faszien gleichermaßen
RVF lateral und zentral korrigiert werden. wichtig, einem Deszensus entgegenzu-
wirken. Sturmdorf (1919) zeigte auf, dass
! Wegschneiden von überschüssiger Schei-
der Levatormuskel den intraabdominel-
denhaut über dem Zentrum der Vorwölbung
len Druck auffängt, den uterovaginalen
und Zusammennähen der Wundränder führt
Winkel verschließt, das Scheidenlumen
zu einer weiteren Schwächung der bereits
komprimiert und die Beckenfaszie spannt.
schlaffen Haut und damit kurzfristig zum
In der Folgezeit wurden bevorzugt Mus-
Rezidiv. Ein über die Rektozele eingebrachtes
kelschäden für Defekte im Beckenboden
Netz normalisiert das System ebenfalls nicht.
verantwortlich gemacht. So vermuteten
Um die Funktion wieder herzustellen, muss die z. B. Berglas u. Rubin 1953, dass eine Über-
nach lateral abgewichene Faszie nach medial ge- dehnung der LP zum Muskelprolaps und
bracht und die Scheidenhinterwand zentral ver- zum Prolaps des horizontalen Anteils der
stärkt werden. Vagina führt.

In der Integraltheorie steht das Bindegewebe im


14.3.2 Chirurgische Korrektur Zentrum der Überlegungen. Ziel aller auf dieser
im Speziellen Theorie basierenden Operationen ist es, den na-
türlichen Zustand des Stütz- und Befestigungs-
! Exkurs: apparats der Unterleibsorgane wiederherzustellen.
Die Grundlagen der Deszensuschirurgie In der hinteren Zone ist nur selten eine Struktur
stammen aus dem letzten Jahrhundert. isoliert geschädigt. Daher müssen vor einer Opera-
Bereits Fothergill (1907) war der Meinung, tion immer alle Ligamente und Faszien überprüft
dass eine Korrektur der Bandverbindungen und, falls notwendig, korrigiert werden. Im Einzel-
im Beckenbereich von entscheidender Be- nen betrifft das zu im
deutung ist. Er legte in seiner Manchester- ▬ Level 1: USL und CL sowie die apikale Faszie,
Operation großen Wert auf die Faszienun- ▬ Level 2: RVF und
terstützung des Uterus. ▬ Level 3: PB.
178 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

Deszensus/Prolaps uteri et vaginae sowie einer


Enterozele.
Aufgrund der gleichen Pathogenese von Sym-
ptomen und anatomischen Veränderungen war es lo-
gisch, nach einer Operationsmethode zu suchen, die
Beschwerden und Form gleichermaßen normalisiert.
Um das zu erreichen, musste ein Verfahren entwi-
ckelt werden, mit dem sich die Verbindung zwischen
Scheide und Muskel wieder herstellen lässt. Die bis-
her übliche Fixierung von Uterus oder Scheide am
Os sacrum oder Lig. sacrospinale ist starr. Sie vermag
zwar Uterus oder Scheidenapex in situ zu halten,
korrigiert aber nicht die für die Funktion notwen-
⊡ Abb. 14.66. 3 Level, in denen operative Korrekturen in der dige Kraftübertragung der LP auf die Scheide.
posterioren Zone notwendig sein können. Oberer Pfeil zeigt Um dieses zu erreichen, müssen Uterus und/
auf die uterosakralen Ligamente, mittlerer Pfeil auf die rekto-
oder Scheide über ein künstliches Neoligament
vaginale Faszie, unterer Pfeil auf den Perinealkörper. LP Leva-
torplatte, IS Spina ischiadica, PB Perinealkörper, PC Pudendus- mit der Levatormuskulatur verbunden werden.
kanal, PS Pubis symphysis, R Rektum, S Sakrum, V Vagina Erst dadurch wird der Muskel wieder in die Lage
versetzt, die Scheide zu spannen. Wenn die Kraft-
übertragung auf die Scheidenwand infolge eines
Oft ist zur Wiederherstellung der Funktion eine Risses in der apikalen Faszie nicht ausreicht, muss
Korrektur aller 3 Zonen notwendig (⊡ Abb. 14.66). diese Lücke zusätzlich verschlossen werden.
Da es sich bei jedem dieser Korrekturschritte um Diese Überlegungen waren ausschlaggebend
eine eigenständige Operation handelt, werden die für die Entwicklung der nachfolgend beschriebe-
Schritte gesondert dargestellt. nen posterioren intravaginalen Schlingenopera-
tion (Petros 2001b, c).

Level-1-Reparatur Posteriore intravaginale Schlingenoperation


Bei einem Level-1-Schaden ist die LP nicht mehr oder infrakokzygeale Sakropexie
in der Lage, die Scheide durch Zug nach hinten zu Die posteriore intravaginale Schlingen-(PIVS-)
spannen. Es gibt 3 Gründe, die dafür verantwort- Operation kann gleichermaßen bei einer Entero-
lich sein können: zele, beim Uterusdeszensus/-prolaps und beim
14 1. erschlaffte oder zerrissene USL, Scheidendeszensus/-prolaps nach einer HE durch-
2. nach lateral abgewichene CL und geführt werden.
3. Überdehnung oder Riss in der apikalen RVF Bei der in Steinschnittlage liegenden Patientin
wird die Scheidenhaut im Apex 1,5 cm unterhalb
Funktionell führt das in der der Portio oder der HE-Narbe über der Enterozele
▬ vorderen Zone zum unzureichenden Urethra- mit einer Klemme gefasst. Wenn der obere Schei-
verschluss (Inkontinenz), denbereich weit ist (⊡ Abb. 14.67), erfolgt nach
▬ mittleren Zone zur insuffizienten Unterstüt- Aquadissektion eine 3 cm lange Querinzision, wo-
zung der Dehnungsrezeptoren am Blasenbo- bei die Vaginalhaut komplett durchtrennt wird. Bei
den (Urge, Pollakisurie, Nykturie) und engem Scheidenapex oder wenn der Operateur es
▬ hinteren Zone durch fehlenden Zug nach hin- so gewöhnt ist, kann eine Längsinzision angelegt
ten zur Blasen- und Darmentleerungsstörung, werden. Das Peritoneum über der Enterozele wird
Nykturie und tiefsitzenden Rückenschmerzen. teils mit der Schere, teils stumpf, teils mit dem
Spekulum zurückgedrängt. Die Enterozele muss
Anatomisch bewirkt die fehlende Spannung im sorgfältig abgeschoben werden, um die CL und
oberen Scheidenbereich die Entstehung eines USL identifizieren zu können.
14.3 · Operationen in der posterioren Zone
179 14

Die Enterozele wird nicht routinemäßig eröff- Tabaksbeutelnähte hoch verschlossen wird. Dabei
net. Da sich eine Enterozele nicht durch eine hohe läuft man nur Gefahr, dass bei unklaren anatomi-
Peritonealisierung beheben lässt, bringt es keine schen Verhältnissen fälschlicherweise das Rektum
Vorteile, wenn das Peritoneum geöffnet und durch statt des Peritoneums geöffnet wird.
Falls der Douglas-Raum geöffnet wurde, wird
der Enterozelensack durch eine hohe Peritonea-
lisierung mit einer Tabaksbeutelnaht wieder ver-
schlossen. Bei einem großen Prolaps kann das En-
terozelenperitoneum reseziert werden, sofern die
anatomischen Verhältnisse klar sind. Ansonsten
wird das Peritoneum des Bruchsacks von außen
durch Tabaksbeutelnähte nach kranial gedrängt.
Mit der Präparierschere wird ein Kanal in Rich-
tung Spina ischiadica gebildet, der so groß ist, dass
der Zeigefinger hineinpasst. Um eine Darmverlet-
zung zu vermeiden, sollte die Scherenspitze gegen
die Vaginalhaut gerichtet sein. Wenn die Spina
ischiadica zu tasten ist, wird der Punkt aufgesucht,
durch den die IVS-Tunnelerspitze die Beckenbo-
denmuskulatur perforieren soll. Dieser Punkt liegt
1 cm medial und 1 cm kaudal der Spina ischiadica
(⊡ Abb. 14.68).
In die perianale Haut erfolgt bei 4 und 8 Uhr in
der Mitte zwischen EAS und Steißbein eine 5 mm
lange Inzision, und zwar 2 cm lateral der äußeren
⊡ Abb. 14.67. Posteriore intravaginale Schlingenoperation Grenze des EAS (⊡ Abb. 14.69). Der Tunneler wird
(infrakokzygeale Sakropexie). HE Hysterektomie auf einer Seite durch die Inzision 3–4 cm in die

⊡ Abb. 14.68. Durchtrittstelle


des Bandes (gelber Pfeil) 1 cm
medial und 1 cm kaudal der
Spina ischiadica. ATFP Arcus
tendineus fasciae perlvis,
PRM puborektaler Muskel.
(Netter 1989)
180 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

⊡ Abb. 14.69. Einführen des Instruments. G M. glutaeus, IRV


⊡ Abb. 14.71. MRT-Aufnahme der Fossa ischioanalis und is-
inferiore rektale Venen, IRF ischiorektale Fossa, LP Levator-
chiorektalis. Es sind keine größeren Gefäße oder Nerven zu
platte, PC Pudenduskanal
erkennen

Fossa ischiorektalis (IRF) parallel zur Rektumsei-


tenwand vorgeschoben und unter Kontrolle des in
den vorher präparierten Kanal eingeführten Zeige-
fingers 1 cm medial und kaudal der Spina ischiadica
durch die LP gestochen (⊡ Abb. 14.69, ⊡ Abb. 14.70).
An dieser Stelle befindet sich der Tunneler in siche-
rem Abstand vom Rektum und vom Peritoneum.
In der IRF sind nur kleine Äste der V. rectalis
inferior und des N. pudendus vorhanden, so dass
die Gefahr einer Verletzung von Nerven und Gefä-
ßen gering ist (⊡ Abb. 14.71).
14 Unter kontinuierlichem Druck des Zeigefingers
auf die Tunnelerspitze wird diese vorsichtig nach
medial in Richtung Scheidenende geneigt, durch
den vorpräparierten Kanal entlang der USL in die
Scheide vorgeschoben (⊡ Abb. 14.72) und aus dem
Introitus herausgeleitet. Durch eine rektale Unter-
suchung wird eine Perforation ausgeschlossen.
Der Plastikstab wird entnommen und umge-
kehrt, mit dem Öhr voran, in den Tunneler einge-
bracht. Ein 8 mm breites Polypropylenband wird
in das Öhr des Plastikstabs eingefädelt und nach
außen gezogen. Der Vorgang wird auf der kon-
tralateralen Seite wiederholt.
⊡ Abb. 14.70. Die Tunnelerspitze wird durch die Levatorplatte
Das U-förmig eingebrachte Band muss flach
gedrückt. R Rektum, S Sakrum, SI Spina ischiadica, U Urethra, liegen und wird seitlich im Bereich der USL und in
USL uterosakrales Ligament, V Vagina der Mitte am zervikalen Ring oder der HE-Narbe
14.3 · Operationen in der posterioren Zone
181 14

näht. Entfernen der Haut verkürzt und verengt die


Scheide. Vermehrte Spannung in diesem Bereich
führt zum Ausreißen der Nähte, wodurch das Band
dann frei in der Scheide liegen kann. Um das zu
verhindern, können zusätzlich transvaginale mat-
ratzenförmige Haltenähte z. B. mit PDS oder De-
xon Nr. 1 gelegt werden, die das heilende Gewebe
vor Zug und Spannung schützen.
Zum Schluss wird das Band durch Zug am pe-
rinealen Ende vorsichtig gestreckt, abgeschnitten
und nicht angenäht. Die Hautinzisionen werden
durch eine Naht (⊡ Abb. 14.75) oder mit Steristrips
⊡ Abb. 14.72. Das Band wird entlang der Sakrouterinligamente verschlossen. Falls nicht intrakoreal genäht wurde,
(Pfeil) positioniert sollten die Fäden nach 72 h entfernt werden, weil
diese oft Schmerzen verursachen.

⊡ Abb. 14.74. Nach Korrektur durch eine posteriore intravagi-


⊡ Abb. 14.73. Die Verbindung zwischen Scheidenwand und nale Schlingenplastik (IVS) ist der Scheidengrund wieder mit
Levatorplatte (LP) ist unterbrochen. Daher kann der Muskel den hinteren Beckenbodenmuskeln verbunden. Muskelzug
die Scheide nicht mehr spannen kann wieder auf die Scheide übertragen werden

mit Vicryl oder Dexon Stärke 0 fixiert. Wenn der


Faden nicht durch die Scheidenhaut gestochen wird,
können auch nichtresorbierbare Fäden verwendet
werden. Mit diesem Schritt wird der Scheidenapex
wieder mit der hinteren Levatormuskulatur ver-
bunden (⊡ Abb. 14.73, ⊡ Abb. 14.74) und der Levator
wieder in die Lage versetzt, die Scheide zu spannen.
Um Erosionen zu vermeiden, muss das Band
weit genug vom Wundrand entfernt liegen. Weiter-
hin hat sich bewährt, die Reste der Sakrouterinbän-
der und der Faszie über dem Band zusammenzu-
nähen. Das Band wird abgedeckt, die Querinzision
in eine Längsinzision umgewandelt, der Fornix ver-
engt und die Scheide verlängert. Entsteht dadurch
zu viel Spannung, sollte die Scheide Y-förmig oder
quer vernäht werden. Überschüssiges Gewebe wird ⊡ Abb. 14.75. Situs am Ende der Operation nach Verschluss
nicht weggeschnitten, sondern an die Faszie ge- der perinealen Inzisionen
182 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

! Anmerkung:
Einige Operateure benutzen routinemäßig
eine Längsinzision, andere nur, wenn das
obere Scheidendrittel eng ist. In jedem Fall
müssen die USL und die nach lateral abge-
wichene Faszie über dem Band vereinigt
werden. Eine über das Band gelegte Fas-
zienschicht schützt nicht nur vor Erosion.
Sie hilft auch, den Prolaps zu verkleinern.
Außerdem wird der Apex nach hinten ver-
lagert. Die Faszie verbindet sich mit dem
Band ab dem 10. Tag. Eine transvaginale
Haltenaht trägt dazu bei, dass die anderen
Nähte während der Heilungsphase nicht
unter Spannung geraten.
Für die Reposition des Uterus ist eine
ausreichende Annäherung der USL und
der RVF genauso wichtig wie die posteri-
ore Schlinge (Petros 2001b, c). Wenn der
Scheidenapex nicht ausreichend korrigiert
wurde, kann es zum Rezidiv kommen. Bei
einer großen Enterozele ist es daher emp-
fehlenswert, auch die nach lateral abgewi-
chene PCF wieder an den zervikalen Ring
anzuheften, vor allem wenn bereits eine
hohe Zystozele vorhanden ist. Der Prolaps
wird dadurch weiter verkleinert.

⊡ Abb. 14.76. a Keilresektion bei breiter Zervix. b Keilresek-


Posteriore Schlingenoperation bei
tion nach Rekonstruktion. CL kardinales Ligament, CX Zervix, E
Elongatio colli Enterozele, USL uterosakrale Ligamente
Bei einer Elongatio colli, die oft bei einem Prolaps
uteri angetroffen wird, kann eine Schlingenopera-
14 tion mit einer modifizierten Manchester-Opera- nicht der Ramus descendens der A. uterina ligiert
tion kombiniert werden. wird. Das kann zu starken Blutungen führen, wenn
Die elongierte Zervix wird mit dem elektri- sich die Zervixnähte postoperativ lockern.
schen Messer amputiert und die Wunde wie bei Nach Rekonstruktion der Zervix wird das
einer Konisation thermokoaguliert. Band, wie oben beschrieben, implantiert am zervi-
Die Scheidenhaut wird, wie oben beschrie- kalen Ring und in der Nähe der Insertionsstelle der
ben, 1,5 cm unterhalb der Zervix inzidiert und der USL angenäht. Das weitere Vorgehen entspricht
Raum über der Enterozele geöffnet. Nach Abschie- dem oben beschriebenen.
ben der Enterozele werden die Sakrouterinbänder
und der zervikale Ring erkennbar. Posteriore TFS-Schlinge
Wenn die Zervix sehr breit ist, kann ein Die posteriore TFS-Schlinge ähnelt der McCall-
von 4–8 Uhr reichender Keil aus der Zervix Operation in der Hinsicht, dass sie die apikale
mit dem elektrischen Messer exzidiert werden Faszie mit den USL verbindet (⊡ Abb. 14.77).
(⊡ Abb. 14.76a, b). Das erleichtert die spätere An- Bevor eine posteriore TFS-Schlingentechnik
näherung der USL und der RVF ohne Spannung. verwendet wird, muss aber abgeschätzt wer-
Bei der Naht der Zervix ist darauf zu achten, dass den, wie funktionstüchtig die Faszie am Schei-
14.3 · Operationen in der posterioren Zone
183 14

Die USL und die angrenzende Faszie werden


in einer Extraschicht über dem Band vereinigt und
geben dem Band zusätzlichen Halt. Die Operati-
onszeit ist deutlich kürzer als bei der posterioren
Schlinge und beträgt nur ca. 20–30 min. Das Band
wird exakt in die Position der USL gebracht, aber
nicht direkt mit der Muskulatur der LP verbunden.

Posteriore Schlinge im Zusammenhang mit ei-


ner HE. Ein Prolaps der blind endenden Scheide
ist die Haupt-Spätkomplikation nach einer HE.
Eine posteriore TFS-Schlinge während einer HE
ist einfach durchzuführen, erfordert nur wenige
⊡ Abb. 14.77. Posteriores Gewebefixierungssystem (TFS).Das Minuten Zeit und sichert das Scheidenende gut
Band wird exakt in die Position der utersakralen Ligamente gegen einen Prolaps ab (Petros u. Richardson, un-
(USL) Gebracht. Die Pfeile zeigen auf die Reste der USL und veröffentliche Ergebnisse).
kardinalen Ligamente (CL), die zusätzlich gerafft werden müs-
sen, wenn der Scheidenapex weit ist, damit sich keine neue
Enterozele bildet. Blick von oben. V Vagina
Level-2-Reparatur: Korrektur der RVF
Bei der herkömmlichen Kolporrhaphia posterior
denapex (⊡ Abb. 14.41) und die obere RVF sind sucht der Operateur nach einer Abpräparation der
(⊡ Abb. 14.63). Beide leisten einen großen Beitrag Scheidenhaut vom Rektum die nach lateral abge-
dazu, dass alle Organe im Beckenboden normal wichene Faszie auf. Die Faszie wird soweit mobili-
funktionieren können. siert, dass sie sich durch Nähte in der Mitte zusam-
Wie bei der posterioren Schlinge wird die menziehen lässt. Die überschüssige Scheidenhaut
apikale Scheidenhaut 1,5 cm unterhalb der Zervix wird reseziert, die Wundränder zusammengenäht.
oder der HE-Narbe über eine Länge von 2,5 cm Da die RVF einer starken Zugkraft ausgesetzt
quer inzidiert. Die USL oder deren Überreste wer- ist und eine heilende Wunde in den ersten Wo-
den identifiziert und mit einer Allis-Klemme ge- chen nur wenig Festigkeit besitzt, gerät das Ge-
fasst. Eine evtl. vorhandene Enterozele wird durch webe frühzeitig unter Spannung, wird aufgelockert
eine Tabaksbeutelnaht versenkt. Mit einer feinen und gibt nach. Das begünstigt ein Ausreißen bzw.
30° gebogenen Präparierschere wird ein 6–8 cm Durchschneiden der Nähte, wodurch die Wunde
langer Kanal entlang der USL unter der Scheiden- noch weiter auseinanderweichen kann. Diese Zu-
haut bis zum USL-Insertionspunkt gebildet, der sammenhänge erklären die hohe Rezidivrate bei
groß genug ist, das TFS-Instrument aufzunehmen traditioneller Chirurgie.
(⊡ Abb. 14.77). Hat die Spitze des Instruments den Die auf der Integraltheorie basierenden Opera-
USL-Insertionsbereich erreicht, wird der Anker tionen gehen von folgenden Überlegungen aus:
ausgebracht. Danach werden 30 s abgewartet, in 1. Wird nach Zusammenbringen der Faszie über
denen sich die Ankerarme im Gewebe ausbreiten dem schwächsten Bereich der Zele die über-
können, bevor das Instrument entfernt wird. Mit schüssige Scheidenhaut nicht weggeschnitten,
einem Zug am Band wird der Anker im Gewebe sondern an der Faszie fixiert, kann die Wand
fixiert. dadurch verstärkt werden (⊡ Abb. 14.22). Auch
Der Einführvorgang wird auf der kontralate- wenn danach zunächst zu viel Scheidenhaut
ralen Seite wiederholt. Zum Spannen des Bandes vorhanden sein sollte, schrumpft diese mit der
verbleibt das Instrument an der Ankerbasis. Wäh- Zeit und stabilisiert die Wand.
rend das Instrument den Anker fixiert, wird am 2. Um genug gesunde Faszie in die Mitte bringen
Band gezogen, bis es ausreichend fest ist. Die freien zu können, ist es notwendig, weit nach lateral
Bandenden werden 1 cm lang abgeschnitten. reichende transvaginale Haltenähte zu legen,
184 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

dadurch die abgewichenen Seitenwände in ihre


ursprüngliche Position zurückzubringen und
dann die Faszie ohne Spannung in der Mitte zu
vereinigen.
3. Um den schwächsten Bereich der Hernie wei-
ter zu verstärken, muss in das Zentrum der
Vorwölbung, zusätzlich zur Faszie, haltbares
Gewebe gebracht werden. Hierzu eignet sich
die unten beschriebene Brückentechnik oder
die Implantation von heterologem Gewebe
(Netz, Schweinekollagen). ⊡ Abb. 14.78. Präparation der Brücke
4. Um die Blasen- und Darmfunktion zu nor-
malisieren, muss die neu verstärkte hintere
Scheidenwand mit der posterioren Muskula- und die distale Klemme 1–2 cm oberhalb des In-
tur verbunden werden. Erst das ermöglicht troitus positioniert wird. Die Klemmen werden
den notwendigen Zug der Scheide nach hinten in Richtung Rektum eingestülpt. Auf diese Weise
während der Miktion und Defäkation. kann leicht erkannt werden, wie viel überschüs-
Die alleinige Befestigung der Scheide oder siges Gewebe für eine Brücke vorhanden ist. Bei
Zervix am sakrospinalen Ligament oder am Os einer zu breiten Brücke müssen die Wundränder
sacrum sollte vermieden werden, weil unter vermehrter Spannung verschlossen werden,
– das nicht den anatomischen Gegebenheiten was zum Ausreißen der Nähte und zum Rezidiv
entspricht, führen kann.
– es den Rückwärtszug der Scheide bei der Nachdem Länge und Breite der blattförmi-
Miktion und der Defäkation behindert und gen Brücke festgelegt sind, wird die Scheidenhaut
– die Gefahr besteht, dass Pudendusnerven vom Rektum durch Aquadissektion getrennt und
und -gefässe verletzt werden. entlang der Inzisionslinien komplett durchtrennt
(⊡ Abb. 14.78).
Brückentechnik in Kombination mit der PIVS Die Scheidenhaut wird nach lateral vom Rek-
zur Korrektur einer Rektozele tum bis in den Sulcus abpräpariert, das Spatium
Bei der Brückentechnik werden die genannten pararectale eröffnet, und die Levatorenränder auf
Überlegungen berücksichtigt und miteinander beiden Seiten freigelegt. Unter rektaler Kontrolle
kombiniert. Diese Operation ist vor allem bei werden von kranial nach distal 2–3 PDS-Nähte
14 großen Hernien empfehlenswert, bei denen sonst transvaginal U-förmig durch beide Seiten der
üblicherweise Scheidenhaut reseziert wird. Nach abgewichenen RVF und den darunter liegenden
Implantation und Fixierung des hinteren Bandes M. levator ani gelegt, wobei die Brücke in der Mitte
wird die Wunde nicht, wie oben beschrieben, ver- mitgefasst wird oder die PDS-Fäden unter der
schlossen, sondern zunächst eine Korrektur der Brücke liegen (⊡ Abb. 14.79a, b). Die transvagina-
Scheidenhinterwand durchgeführt. len Nähte sind erforderlich, um das Gewebe wäh-
Um überschüssige Scheidenhaut mit der ihr rend des Heilungsprozesses in Position zu halten.
anheftenden Faszie zum Verstärken der Scheiden- Das Oberflächenepithel der Brücke wird elek-
hinterwand verwenden und über dem Zentrum der trisch koaguliert, bis alle Drüsen denaturiert sind.
Vorwölbung, dem schwächsten Bereich der Hernie Der Brückenrand wird ohne Spannung mit meh-
platzieren zu können, müssen zunächst Breite und reren Nähten seitlich an der gesunden Faszie an-
Länge der Brücke bestimmt werden (⊡ Abb. 14.78, genäht. Distal wird die Brücke am Perinealkörper
⊡ Abb. 14.80). Dazu wird die erschlaffte Scheiden- und proximal an der posterioren Schlinge fixiert.
haut in der Mittellinie mit zwei Allis-Klemmen Mit einer Reihe von transversalen Nähten wird die
gefasst, wobei die proximale Klemme den unteren Brücke mit der übrigen Scheidenhaut verbunden
Wundrand der Fornixinzision im Level 1 greift (⊡ Abb. 14.80).
14.3 · Operationen in der posterioren Zone
185 14

⊡ Abb. 14.80. Einnähen der Brücke

Verwendung von Netzstreifen in Kombination


mit der PIVS zur Korrektur einer Rektozele
Sind nach vorangegangenen vaginalen Operatio-
nen die zentrale und laterale Faszie der Scheiden-
hinterwand geschwächt, kann die Wand mit einem
Netz verstärkt werden. Auch hinten wird ein Netz
mit 2 oder 4 Armen wie beim ATOM im Bereich
der Scheidenvorderwand verwendet.
Zunächst wird ein hinteres Band eingebracht
( Abschn. »Posteriore intravaginale Schlingenope-
ration«), die Scheidenhaut über der Rektozele
längs inzidiert und vom Rektum bis in die Sulci
⊡ Abb. 14.79. a Inzisionslinien für den Bridge-repair – trans-
abpräpariert. Ist überschüssige Haut vorhanden,
versaler Schnitt. b »Bridge-repair« nach Beendigung des Ein-
griffs. Die Brücke (B) ist lateral an der Faszie (F) durch Nähte (S) kann die Brückentechnik zusätzlich angewendet
fixiert. Beachte die Annäherung von A zu A. A gibt die Position werden.
der Faszienränder vor und nach Korrektur wieder. F nach late- Dann wird ein Netz zugeschnitten, das das
ral abgewichene rektovaginale Faszie, R Rektum, RVS rektova- gesamte Operationsgebiet von der Enterozele bis
ginaler Raum, T transvaginale Haltenähte, V Vagina
zum PB abdeckt und seitlich in die Sulci reicht.
Das Netz wird am Band angenäht, faltenfrei über
der Rektozele bzw. der Brücke ausgebreitet und
Anschließend werden die Reste der Sakroute- am PB sowie lateral im Sulcus fixiert. Bei einem
rinbänder und der Faszie über dem Band zusam- vierarmigen Netz werden die distalen Arme mit
mengenäht und die Scheidenwundränder zwei- dem Tunneler pararektal in Höhe des PB durch
schichtig verschlossen (s. oben). die perianalen Inzisionen nach außen geleitet
Eine zusätzliche Verstärkung der Scheidenhin- (⊡ Abb. 14.81).
terwand kann dadurch erfolgen, dass die Brücke Von der Industrie werden zunehmend fertige
nach Elektrokoagulation durch mehrere Knopf- zwei- und vierarmige Netze zur Verfügung gestellt,
nähte gedoppelt wird, wodurch eine zweischich- die allerdings wegen der großen Variabilität der
tige Platte entsteht. Die Brücke wirkt dann wie Patientenbefunde ebenfalls individuell angepasst
ein Pfeiler, der oben an der posterioren Schlinge, werden müssen.
unten am PB fixiert und seitlich nach den Knoten Das Wundgebiet wird zweischichtig verschlos-
der PDS-Nähte von der RVF stabilisiert wird. Die sen, indem die Reste der Sakrouterinbänder sowie
Scheide wird darüber zweischichtig verschlossen der Faszienschicht über dem Netz zusammenge-
und die Wand in der Brücke verankert. näht und die Haut darüber verschlossen werden.
186 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

⊡ Abb. 14.81.
Vierarmiges Netz zur Ver-
stärkung der Scheidenhin-
terwand. LP Levatorplatte,
PCM M. pubococcygeus,
PK Perinealkörper, R Rek-
tum, S Symphyse, SI Spina
ischiadica V Vagina

Eine Korrektur der Scheidenhinterwand al-


lein mit einem Netz weist den Nachteil auf, dass
die nach lateral abgewichene RVF nicht in ihre
ursprüngliche Position zurückgebracht wird. Der
Zug der LP nach hinten, der u. a. für die Blasenöff-
nung, das Abstützen der Dehnungsrezeptoren und
die Defäkation notwendig ist, bleibt insuffizient,
weil die schlaffe Faszie nicht ausreichend gespannt
und die Kraft nicht auf die Scheidenwand übertra-
gen werden kann.
14
Verwendung eines TFS-Bandes zur Korrektur
einer Entero-/Rektozele und zum Annähern
der nach lateral abgewichenen Faszie
Zum Annähern der nach lateral abgewichenen RVF
kann ebenfalls die TFS-Technik eingesetzt werden.
Nach Abpräparation der Scheidenhaut vom Rek-
tum (s. oben) wird das Spatium pararectale eröff-
net und der Levatorenrand auf beiden Seiten frei-
gelegt. Die Anker werden beidseitig im Bereich der
abgewichenen RVF fixiert und so weit gespannt,
bis die Scheide normal weit ist. Dadurch wird die ⊡ Abb. 14.82. Annäherung der rektovaginale Faszie (RVF)
mithilfe des Gewebefixierungssystems (TFS). Die heilende
Entero- bzw. Rektozele zurückgedrängt, die Faszie
Wunde kann weniger leicht durch den ständigen Zug der
angenähert und verhindert, dass die Faszie von der Levatorplatte (LP) auseinanderweichen. A Anus, CL kardinales
Levatormuskulatur wieder auseinandergezogen Ligament, EAS externer Analsphinkter, USL uterosakrale Liga-
werden kann (⊡ Abb. 14.82, ⊡ Abb. 14.83). mente, PK Perinealkörper, RVF rektovaginale Faszie
14.3 · Operationen in der posterioren Zone
187 14

⊡ Abb. 14.83. Korrektur der nach lateral abgewichenen rek-


tovaginalen Faszie. Nach Legen eines posterioren Bandes wird
ein weiteres im Bereich der kardinalen Ligamente (CL) ver-
ankert und so weit gespannt, dass die Scheide eine normale
Weite hat. Das Band gibt einen besseren Halt als eine transva-
ginale Haltenaht. Blick von oben. USL uterosakrale Ligamente,
TFS Gewebefixierungssystem, V Vagina ⊡ Abb. 14.84. Defekter Perinealkörper und Rektozele Grad 2–3

Level-3-Reparatur: Korrektur des PB der Längsinzision aus, bevor die transvaginalen


Der PB stellt den Verankerungspunkt für die Pe- Haltenähte geknotet werden.
rinealmuskulatur und den äußeren Sphinkter ani Um den PB direkt über dem Anus verstärken
dar. Er hat einen Durchmesser von 3–4 cm und ist zu können, wird unter rektaler Kontrolle auf bei-
erheblichen Zugkräften ausgesetzt. Mit Zeigefinger den Seiten bis in den Bereich der auseinander-
und Daumen lässt sich am besten beurteilen, ob gewichenen, vernarbten Sphinktermuskulatur des
der PB intakt oder defekt ist (⊡ Abb. 14.84). Über- Anus präpariert (⊡ Abb. 14.85, ⊡ Abb. 14.86). Diese
dehnung während der Geburt führt dazu, dass der wird durch beiderseits weit nach lateral greifende
Perinealkörper oft an der Vorderseite des Anus Vicrylnähte aufgeladen und mit dem unteren Teil
dünn ausgezogen ist. Patientinnen mit diesem De- der Brücke vereinigt. Je nach Befund sind meh-
fekt müssen zumeist ihre Finger zur Hilfe nehmen, rere Nähte erforderlich, um einen normal hohen
um durch Druck auf die Rektumvorderwand ihren Damm aufzubauen.
Darm entleeren zu können. Eine zu große Spannung beim Zusammennähen
Eine Schädigung des PB bei der Geburt tritt der Nähte muss vermieden werden, da das zu starken
selten isoliert, sondern nahezu immer in Kom- postoperativen Schmerzen führen kann. Außerdem
bination mit einer Rektozele auf. Nur wenn aus- sollten im Dammbereich keine monofilen Fäden wie
schließlich ein defekter PB korrigiert werden soll, z. B. PDS verwendet werden, da diese stecknadel-
empfiehlt sich als Zugang ein Querschnitt direkt große Fistelgänge erzeugen können, vor allem, wenn
im Haut-Schleimhaut-Übergang des Introitus. Er die Analhaut dünn und die Nähte fest sind.
erleichtert in diesen Fällen das Auffinden des la- Nach Aufbau des PB werden die transvagi-
teralen Anteils des PB. Vor allem bei Patientinnen nalen PDS-Nähte geknotet, wodurch die Brücke
mit früheren vaginalen Operationen vereinfacht und die Rektozele nach dorsal gedrückt, die RVF
ein Querschnitt das Auffinden der lateralen An- auf Spekulumbreite angenähert und die Scheide
teile des PB und vermindert die Gefahr einer Rek- gestreckt wird. Die Längsinzision wird durch eine
tumperforation. zweischichtige Naht verschlossen.
Bei einem Kombinationseingriff erfolgt die Ein sehr dünner, weit auseinandergezogener
chirurgische Rekonstruktion vom unteren Anteil PB lässt sich u. U. allein durch Nähte nicht repa-
188 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

⊡ Abb. 14.85. Anatomie des


Perinealkörpers. Der TFS-Anker
ist in der Nähe des Insertions-
punktes des M. transversus
perinei profundus am Tuber
ischiadicum fixiert (Pfeil)

und das Gewebe an der Vorderseite des Anus


verstärkt.
Ist keine Längsinzision vorhanden, wird 1 cm
oberhalb des Introitus eine Querinzision angelegt
und die Scheidenhaut vom Rektum abpräpariert.
Lateral des M. Bulbocavernosus wird nach links
und rechts ein 4–6 cm langer Kanal entlang des
M. transversus perinei profundus mit der Schere
gebildet, der bis zum Ansatzpunkt des Muskels am
Tuber ischiadicum verläuft. Der M. transversus pe-
rinei profundus verläuft vom PB über den M. bul-
14 bocavernosus nach lateral im rechten Winkel zum
Tuber ischiadicum. Er ist ein starker Muskel, der
den PB seitlich stabilisiert und dem mittleren Teil
des Beckenbodens als Stütze dient.
In der Nähe des Tuber ischiadicums werden
⊡ Abb. 14.86. Durch Zug am TFS-Band werden die auseinander
die Anker platziert. Durch Zug an den freien En-
gewichenen Schenkel des Perinealkörpers (PB) wieder angenä-
hert (weiße Pfeile). A Anus, CL kardinales Ligament, EAS externer
den werden beide Schenkel des PB angenähert und
Analsphinkter, LP Levatorplatte, RVF rektovaginale Faszie, USL verstärkt. Die RVF wird über dem Band vereinigt
uterosakrale Ligamente und die Inzision verschlossen.

rieren, weil wiederum nur schlechtes Gewebe mit Scheidenprolapskorrektur nach HE


schlechtem zusammengebracht wird. Erfahrungen Eine HE schwächt den faszialen und ligamentären
mit dem TFS zeigen, dass das TFS in diesen Fällen Halt der Scheidenwände am zervikalen Ring und
zu hervorragenden Ergebnissen führt, weil es die führt zur Atrophie dieser Strukturen. Der Ramus de-
beiden seitlichen Anteile des PB zusammenhält scendens der Arteria uterina dient als Hauptblutver-
14.3 · Operationen in der posterioren Zone
189 14

sorger für die apikale Faszie und die USL. Nach HE


werden Ligamente und Faszien nicht mehr ausrei-
chend durchblutet und verlieren ihre Spannung. Das
Wegschneiden von überschüssigem Scheidengewebe
verstärkt den Zug und Druck auf die Wundränder
und führt zusätzlich zur Auflockerung der Wand.
Ist eine Scheidenwand weich geworden, kann
sie nachgeben und sich wie die Darmwand ein-
stülpen. Genau wie beim inneren Rektumprolaps
handelt es sich bei einem Scheidenprolaps um eine
Invagination oder Intussuszeption, wobei sich der
kraniale Scheidenbereich in den distalen einstülpt.
Dabei werden hinten der Douglasraum und vorne
⊡ Abb. 14.87. Prolaps der blind endenden Scheide mit Trakti- das Spatium vesicouterinum mit nach unten ge-
onszystozele, -enterozele und Rektozele. Eine Operation muss
zogen, was die Entstehung einer Traktionsentero-,
das äußere Niveau wiederherstellen (gelbe Linie und schwarzer
Pfeil) und die Bruchpforte mit einem Netz abdecken (schwarze -zysto- oder -rektozele (⊡ Abb. 14.61, ⊡ Abb. 14.87,
Linie, die Arme des Netzes sind gestrichelt dargestellt), um ein ⊡ Abb. 14.89a–c) erklärt.
Rezidiv zu verhindern Bei einer Prolapskorrektur müssen daher alle
erweichten Strukturen verstärkt und die Bruch-
pforte wie bei der Hernienchirurgie mit einem
Netz abgedeckt werden (⊡ Abb. 14.88).
Wie bei der posterioren Schlingentechnik wird
nach Aquadissektion zunächst die Haut 1,5 cm
unter der HE-Narbe quer inzidiert, die Enterozele
abgeschoben und ein Kanal in Richtung Spina
ischiadica gebildet. Der Tunneler wird unter Kon-
trolle des Zeigefingers in das hintere Scheidenge-
wölbe vorgeschoben. Das Polypropylenband und
ein zusätzlicher Vicrylfaden werden in das Öhr
des umgedrehten Plastikstabs eingefädelt und nach
außen gezogen. Der Vorgang wird auf der kontra-
lateralen Seite wiederholt.
⊡ Abb. 14.88. Anatomie nach Korrektur des in Abb. 14.87 dar- Dann wird zunächst die Scheidenvorderwand
gestellten Prolapses korrigiert. Wie bei der ATOM-Technik wird nach

⊡ Abb. 14.89a–c. Prolaps der blind endenden Scheide: a Situation vor der Operation, b vordere Scheidenwand 6 Monate nach
der Operation, c hintere Scheidenwand 6 Monate nach der Operation
190 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

Präparation der Brücke, Abschieben der Blase und


Öffnen der paravaginalen Sulci die prolabierende
Zystozele samt Brücke durch sechs weit nach late-
ral greifende U-förmige Nähte reponiert. Die Inzi-
sion reicht von 1 cm unterhalb des Blasenhalses bis
2 cm kranial der HE-Narbe, so dass eine Hautbrü-
cke im Bereich der HE-Narbe bestehen bleibt. Die
Enterozele wird komplett von der Hautbrücke ab-
präpariert, bis ein breiter subkutaner Zugang nach
hinten zum anfangs gelegten Band vorhanden ist. ⊡ Abb. 14.90. Die Scheide ist normalerweise wie ein Rohr
Ein ca. 30×6–8 cm großes Polypropylennetz geformt. Gleichzeitige Korrektur der vorderen und hinteren
wird so zugeschnitten, dass 6 Arme und zwar jeweils Scheidenwand kann zur Verkürzung und Einengung der
zwei vorne, in der Mitte und hinten vorhanden sind. Scheide führen (V). Um eine solche Uhrglasform zu vermei-
den, sollte auf eine Exzision von Gewebe verzichtet werden
Über den transobturatoriellen Zugang werden die
vorderen und mittleren Arme wie beim 4-Punkt-
ATOM auf beiden Seiten nach außen geführt.
Die hinteren Arme werden unter der Haut- den. Auf die posteriore Schlinge kann nicht
brücke in das hintere Scheidengewölbe zu dem verzichtet werden, weil sie die Verbindung zur
anfangs gelegten Sakropexieband gebracht und Muskulatur der LP sicherstellt und dafür sorgt,
unter diesem durchgezogen. Dann werden sie mit dass die Scheide nicht zu kurz wird.
dem jeweiligen vorher gelegten Vicrylfäden ver-
knotet und der eine links, der andere rechts durch ! Cave: Eine gleichzeitige Korrektur der vorderen
die Fossa ischiorektalis entlang des anderen Tapes und hinteren Scheidenwand kann zu einer
nach außen geführt. ringförmigen Struktur in diesem Bereich führen
Durch das Ziehen an den 6 Armen wird das (⊡ Abb. 14.90). Eine Längsinzision und der Ver-
Mesh über der Bruchpforte ausgebreitet und span- zicht, Scheidenhaut wegzuschneiden, helfen,
nungsfrei im Bereich der vorderen Scheidenwand Stenosen zu vermeiden. Damit die Scheide
positioniert (⊡ Abb. 14.88). Das Mesh wird vorne nicht zu eng wird, sollten die transvaginalen
und seitlich am PCM mit Nähten fixiert, damit Haltenähte geknotet werden, während das hin-
es keine Falten werfen kann. Das Sakropexieband tere breite Spekulumblatt in der Scheide liegt.
wird beidseitig im Bereich der Insertionspunkte
der SUL und in der Mitte unter der Scheidenhaut
14 an der HE-Narbe fixiert. Ano-/Rektalprolapskorrektur
Die Wunde im Bereich der vorderen Scheiden- Eine ungestörte Defäkation ist nur möglich, wenn
wand wird verschlossen, indem die PCF über dem die Rektumvorderwand gespannt ist. Bei einem
Mesh durch U-Nähte und die Wundränder durch Defekt der RVF oder der SUL kann die Rektum-
eine kontinuierliche Naht vereinigt werden. vorderwand nicht mehr ausreichend gestreckt wer-
Die Korrektur des Levels 2 und des Levels 3 er- den. Die Kotsäule gelangt nicht auf direktem Weg
folgt in gleicher Art, wie es in den entsprechenden zum Anus, sondern wird zunächst nach ventral
Abschnitten oben beschrieben ist. in Richtung Rektumvorderwand geleitet und hier
abgebremst (⊡ Abb. 14.91a, b). Die Patientin kann
! Beachte: Ist zum Abdecken der Bruchpforte ein trotz heftigen Pressens ihren Darm nicht mehr
längerer Netzstreifen erforderlich, können die komplett entleeren und jeweils nur kleine Kotmen-
hinteren Arme unter der posterioren Schlinge gen absetzen. Das verstärkte Drücken in die falsche
durchgezogen und auf beiden Seiten, distal Richtung überdehnt die RVF weiter und erzeugt
von der Penetrationsstelle des posterioren eine Rektozele. Die sich nach außen entwickelnde
Bandes, mit dem Tunneler gesondert durch Rektozele zieht die proximale Rektumwand nach
Fossa ischiorectalis nach außen gebracht wer- unten innen. Das führt zur Einstülpung der Wand,
14.3 · Operationen in der posterioren Zone
191 14

⊡ Abb. 14.91a–d. Entstehung einer Rektozele und Intussus- um den Darm zu entleeren. c Durch vermehrten Pressdruck
zeption. a Bei intakter rektovaginaler Faszie und straffen ute- verstärkt sich die Rektozele (weißer Pfeil), führt zur Einker-
rosakralen Ligamenten ist die Rektumvorderwand gespannt. bung im Bereich der intakten rektovaginalen Faszie (blauer
Die Kotsäule kann ungehindert das Rektum passieren. b Pfeil) und zieht am proximalen Rektum. d Bei defekten ute-
Bei einem Defekt in der rektovaginalen Faszie drückt die rosakralen Ligamenten kann sich das Rektum einstülpen,
Kotsäule die Rektumvorderwand nach vorne und bremmst zur Einengung des Lumens führen (blaue Pfeile) und die
sie ab (weißer Pfeil). Die Patientin muss vermehrt pressen, Obstipation verstärken.

zur Intussuszeption, zum inneren Rektumprolaps rung bei klassischen Operationen nur bei 5% der
(⊡ Abb. 14.91a, d). Fälle, die Stuhlinkontinenz nur bei 16%. Insgesamt
Nach Thompson et al. (2002) ensteht bei 33% wurden gute oder exzellente chirurgische Ergeb-
der Patienten mit Rektozele ein interner Rektum- nisse nur bei 16% der Fälle erzielt.
prolaps oder eine rektale Intussuszeption. Klinisch Da auch der venöse Rückfluss in einer erschlaff-
äußert sich das in inkompletter Entleerung, die oft ten Darmwand erschwert ist, werden die Venen
nur durch Fingerunterstützung möglich ist, Obsti- gestaut und gedehnt. Hämorrhoiden, Schmerzen
pation, Stuhlinkontinenz, Schmerzen und Druck und Blutungen sind die Folge. Weiterhin kann sich
ím Becken. durch den Blutstau die Analschleimhaut von der
Die Therapie wird kontrovers diskutiert. Nach Serosa ablösen und prolabieren, was oft mit Ulze-
Graf et al. (1996) verbessert sich die Darmentlee- rationen und Blutungen einhergeht (⊡ Abb. 14.92).
192 Kapitel 14 · Spezielles chirurgisches Vorgehen in den drei Schadenszonen

werden. Dadurch werden das Rektum im An-


satzbereich der SUL fixiert, die RVF gestreckt
und die Vorwölbung der Rektumvorderwand be-
seitigt.

Rektopexie durch Raffung der Rektumserosa.


Wenn eine ausgeprägte Rektozele vorhanden ist,
sollte die Rektumvorderwand zusätzlich gerafft
werden.
Nach Abpräparation des Rektums von der
Scheide im Rahmen der Level-2-Korrektur wird
die Serosa der Rektumvorderwand unter digita-
ler Kontrolle – so weit proximal wie möglich –
mit weit nach lateral reichenden Matratzennäh-
ten gerafft, bis das Rektum eine normale Weite
und Länge aufweist. Die Serosanaht verstärkt die
Wand, stabilisiert das Rektum und normalisiert
die Lumenweite.
⊡ Abb. 14.92. Enteroptose mit Analprolaps und Totalprolaps
der blind endenden Scheide Ergebnisse. Abendstein hat eine Studie an 19 Pa-
tientinnen mit Rektozele, teilweise in Kombination
mit einer Intussuszeption durchgeführt. Zur Absi-
cherung der anatomischen Veränderungen wurde
14.3.3 Chirurgische Korrektur eines bei allen Patientinnen prä- und postoperativ eine
Anorektalprolapses Defäkographie durchgeführt.
Bei der Nachkontrolle nach 6 Monaten zeig-
Da ein Analprolaps bei gleichzeitig vorhandener ten 17 von 19 Patientinnen eine normale rekto-
Entero-/Rektozele in einem hohen Prozentsatz anale Anatomie. Alle 19 Patientinnen waren stuhl-
durch schlaffe Sakrouterinbänder und eine ausein- und blasenkontinent und wiesen eine ungestörte
andergewichene RVF bedingt sind, erscheint die Darmentleerung (⊡ Abb. 14.94–14.96) auf.
Entwicklung chirurgischer Techniken, die die nor-
male Anatomie durch Zurückbringen dislozier-
14 ter Strukturen wiederherstellen, logischer als das
Wegschneiden von disloziertem Gewebe.
! Primär sollten also die SUL und die RVF kor-
rigiert werden. Erst wenn das nicht ausreicht,
muss auf klassische chirurgische Techniken
zurückgegriffen werden.

Das Konzept der Autoren steht im Einklang mit der


von Baden u. Walker (1992) entwickelten Zeltthe-
orie. Sie haben postuliert, dass, wenn ein Zeltdach
einfällt, die Wände folgen werden. (⊡ Abb. 14.93).
Um die Situation zu normalisieren, muss zunächst
das Dach gesichert werden.
In Analogie zur Zelttheorie müssen also zu-
nächst die SUL im Level 1, dann nachfolgend die
defekten Strukturen im Level 2 und 3 korrigiert
14.3 · Operationen in der posterioren Zone
193 14

⊡ Abb. 14.93. Graphische


Darstellung der Zelttheorie
nach Baden u. Walker (1992).
Wenn das Dach einfällt (a),
folgen die Zeltwände (b).
Um das Zelt zu stabilisieren,
muss zunächst das Dach
gesichert werden (c)

⊡ Abb. 14.94a, b. Defäko-


graphie bei Patientin mit
»stool-outlet-obstruction«
nach vaginaler Hysterek-
tomie mit vorderer und
hinterer Kolporrhaphie und
Kolposuspension nach Sta-
mey u. Pereira a Rektozele
vor der Operation (roter
Pfeil), b Normalbefund nach
der Operation. (Mit freund-
licher Genehmigung von
B. Abendstein)

⊡ Abb. 14.95a, b. Defäko-


graphie bei Patientin mit
»stool-outlet-obstruction«
nach vaginaler HE mit
vorderer Kolporrhaphie.
a Entero/Rektozele mit
Intussuszeption (roter Pfeil),
b Normalbefund nach der
Operation. (Mit freund-
licher Genehmigung von
B. Abendstein)

⊡ Abb. 14.96. a Patientin mit Rekto-/Enterozele Grad 3, b Analprolaps, c Befund 6 Monate nach Korrektur der 3 Level
“This page left intentionally blank.”
15

Mögliche Komplikationen
bei chirurgischen Korrekturen

15.1 Akute Komplikationen – 195

15.2 Mittelfristige Komplikationen – 196

15.3 Langzeitveränderungen – 200

Zu unterscheiden sind: Spannung gehalten und danach die Schichten mit


▬ akute Komplikationen während der Operation der Präparierschere getrennt werden. Eine gute
oder innerhalb der nächsten 4 Wochen, Assistenz, die Gegenzug erzeugt, erleichtert die
▬ mittelfristige Komplikationen nach Ablauf ei- Präparation.
nes Monats innerhalb des ersten Jahres und Wurde das Rektum oder die Blase verletzt,
▬ Langzeitveränderungen in den nachfolgenden muss die Rektum- bzw. Blasenwand sorgfältig von
Jahren. dem angrenzenden Narbengewebe befreit und
spannungsfrei in 2 Schichten verschlossen werden.
Bei einer Blasenverletzung sollte die Blase für die
15.1 Akute Komplikationen nächsten 7–10 Tage durch einen Dauerkatheter (su-
prapubisch oder transurethral) drainiert werden.
15.1.1 Rektum-/Blasenverletzung
bei der Präparation
15.1.2 Rektumperforation mit dem
Vor allem bei Patientinnen mit Narben im Bereich Tunneler
der Scheidenwände oder am Perineum erleichtert
die Aquadissektion das Auffinden der richtigen Eine Rektumperforation mit dem Tunneler ist
Präparierschicht. stichförmig und liegt extraperitoneal. Der Erst-
Um eine Rektum- oder Blasenverletzung zu autor hat bei über 3.000 selbst durchgeführten
vermeiden, ist es wichtig, nur in Gewebe hineinzu- Operationen bisher keine Perforation beobachtet.
schneiden, das unter Spannung steht. Die stumpfe Wenn eine Perforation erfolgt ist, muss der Tun-
Präparation mit dem Finger oder einem Tupfer neler zurückgezogen und nochmals an richtiger
ist nach Voroperationen gefährlich. Die Wund- Stelle eingebracht werden. Auch wenn sich die
ränder der Scheide und die Rektumvorder- bzw. Perforationsstelle durch Muskelkontraktion ver-
Blasenwand sollten mit Klemmen gefasst, unter schließt, sollte jede auch noch so kleine Perfora-
196 Kapitel 15 · Mögliche Komplikationen bei chirurgischen Korrekturen

tion zweischichtig von vaginal übernäht werden. ßen ist. Zum anderen reduziert die stumpfe Spitze
Eine Fistelentstehung ist höchst unwahrscheinlich. des Tunnelers die Gefahr von Gefäßverletzungen,
schließt sie aber nicht völlig aus.
Blutet es nach Einbringen des Tunnelers oder
15.1.3 Blasenperforation mit dem nach Implantation des Bandes aus dem Stichkanal,
Tunneler reicht zumeist eine dreiminütige Kompression des
Operationsgebiets mit dem Finger aus. Eine Blu-
Blasenperforationen treten beim Legen einer re- tungsquelle im Bereich der Scheidenwunde nach
tropubischen Schlinge am häufigsten am supero- Insertion des Tunnelers kann dargestellt und durch
lateralen Rand zwischen 11 und 1 Uhr in der Nähe eine Umstechung oder Elektrokauterisation gestillt
der Luftblase auf. Wenn das passiert, muss der werden.
Mandrin oder das Band entfernt und erneut einge- Ein revisionsbedürftiges Hämatom nach Kor-
bracht werden. Um eine Perforation erkennen zu rektur einer Entero-/Rektozele ist ebenfalls selten
können, muss die Blase mit 500 ml Kochsalzlösung (1–2 Promille), wenn bei der Operation auf eine
entfaltet sein. Nur bei diesem Volumen kann si- sorgfältige Blutstillung geachtet wird.
chergestellt werden, dass sich eine Perforationstelle Größere Hämatome im rektovaginalen Raum
nicht hinter einer Falte versteckt ( Kap. 14.1). lassen sich abdominal und vaginal per Ultraschall
Manchmal kann bei Perforationsverdacht we- darstellen und sind oft von vaginal und rektal zu
der das Band noch eine Blutung gesehen werden. tasten. Sie gehen mit Druckgefühl oder Schmerzen
Ist das der Fall, sollte eine Ampulle Methylenblau in der Scheide und dem Rektum sowie mit Defä-
in 500 ml physiologischer Kochsalzlösung gelöst kationsproblemen einher. Bei kleinen Hämatomen
und die Blase erneut gefüllt werden. Eine Blaufär- kann die Spontanresorption abgewartet werden.
bung des Bandes an den Einstichstellen beweist Nur in seltenen Fällen ist eine Revison erforder-
eine Perforation. lich. Eine Punktion führt meist nicht zum Erfolg,
Bis heute scheiden sich die Geister, ob es not- da sich das Blut im lockeren Gewebe zwischen
wendig ist, die Blase nach Tunnelerperforation für Rektumvorderwand und Peritoneum diffus aus-
7–10 Tage mittels Dauerkatheter zu drainieren. Die breiten kann. Die Querinzision oder der obere
Autoren sind der Meinung, dass darauf verzichtet Anteil der Längsinzision im Scheidenfornix wird
werden kann. Zum einen ist die Perforationsstelle eröffnet, die Koagel werden abgesaugt und eine
nicht größer als die nach Legen eines suprapubi- eventuelle Blutungsquelle umstochen. Ein Drain
schen Katheters. Es wird auch kein transurethra- fördert die weitere Entlastung.
ler Dauerkatheter gelegt, wenn der suprapubische
Katheter gezogen wird, um die Läsion abheilen
zu lassen. Zum anderen liegt die Läsion nicht am 15.2 Mittelfristige Komplikationen
Blasenboden, sondern im oberen Blasenbereich,
15 wo die Wand nicht ständig unter Spannung steht 15.2.1 Erosion bei Kunststoffbändern/
und feucht ist. -netzen

Allgemein
15.1.4 Hämatome Jedes implantierte Material erzeugt eine Fremdkör-
perreaktion, die stark in ihrer Intensität variieren
Treten Hämatome auf, nachdem eine suburethrale kann. Petros hat 1999 im Rahmen einer Tierstudie
Schlinge gelegt wurde, wird, wie in  Kap. 14.1.2 untersucht, wie sich das immunologische System
beschrieben, vorgegangen. verhält, wenn ein Mersilenenetz mit frei in der
Blutungen beim posterioren IVS sind selten. Scheide liegenden Enden implantiert wurde.
Zum einen wird der Tunneler so in die Fossa Bei einigen Tieren fand sich nach 6 Wochen
ischiorektalis eingeführt, dass er anatomisch weit nur spärlich Granulationsgewebe im Bereich des
entfernt von perirektalen und pudendalen Gefä- implantierten Netzes (⊡ Abb. 15.1, ⊡ Abb. 15.2). An-
15.2 · Mittelfristige Komplikationen
197 15

und Infektion eine entzündliche Reaktion darstel-


len. Während aber eine Fremdkörperreaktion wei-
testgehend gutartig ist, trifft das auf die Entzündung
nicht zu. Hunter (1959) definierte daher erstere als
adhäsive und letztere als eitrige Entzündung.
Winkle u. Salthouse (1976) wiesen darüber
hinaus darauf hin, dass zwischen Kontamination
und Entzündung unterschieden werden sollte. Eine
Kontamination liegt vor, wenn Bakterien vorhanden
sind, deren Zahl nicht so groß ist, dass die Körper-
abwehr sie nicht lokal beseitigen kann. Eine Infek-
tion ist vorhanden, wenn das Ausmaß der Konta-
⊡ Abb. 15.1. Banderosion in der Scheide. Das Band ist in- mination einen Punkt erreicht, an dem die lokale
nen von Granulationsgewebe und außen von einer Kollagen- Körperabwehr nicht mehr mit den eindringenden
schicht umgeben
Bakterien fertig wird. Es konnte gezeigt werden, dass
die Schwelle, an der eine Kontamination zur Infek-
tion wird, bei mehr als 100.000 (>105) Bakterien pro
Gramm Gewebe liegt. Eine kontaminierte Wunde
kann sich in eine infektiöse umwandeln, wenn ne-
krotisches, devaskularisiertes Gewebe, Blutkoagel
usw. vorhanden sind. In solchen Situationen können
sich Bakterien stark vermehren, weil Detritus sie vor
den Zellen der lokalen Körperabwehr schützt.

Ursache für Erosionen


In den ersten 48 h nach einer Operation bildet
sich wie bei jeder Wundheilung ein Ödem um
⊡ Abb. 15.2. Banderosion in der Scheide. Granulationsgewebe das Band/Netz. Der Flüssigkeitsfilm kann dazu
aus der Umgebung des Bandes unter hoher mikroskopischer führen, dass sich das Band/Netz ein wenig hin und
Verstärkung. Auffallend ist die Dichte der polymorphkernigen
her bewegt. Wenn das Band/Netz zu nahe an der
Leukozyten (P) und das Übergewicht von Lymphozyten (L)
und vor allem der Makrophagen (M) Scheidenhautnarbe liegt, kann die Fremdkörper-
reaktion die Narbe aufweichen. Das kann in den
nächsten Wochen oder Monaten dazu führen, dass
dere wiesen mäßig viel Granulationsgewebe auf. die Haut über dem Band/Netz nicht zuheilt und
Wieder andere reagierten darauf mit Bildung von die Oberfläche des Bandes/Netzes freiliegt, v. a. bei
sterilem Eiter. Bei keinem der Tiere kam es zum Patientinnen mit weicher und dünner Scheiden-
Temperaturanstieg oder zur Leukozytose. haut. Deshalb sollten bei
Anhand bakteriologischer Untersuchungen ▬ einer vorderen Schlinge die Hammockfaszie,
konnte Petros (1990a, 1994b, 1998b, 2001a) wei- ▬ Korrektur der Scheidenvorderwand mit einem
ter zeigen, dass am freiliegenden Bandende nur Netz die PCF und
vereinzelt Bakterien vorhanden waren. Nur in ▬ einem posterioren IVS die SUL
wenigen Fällen konnten grampositive Bakterien zusätzlich über dem Band vereinigt werden. Dieser
an einem Band nachgewiesen werden, was nicht Schritt schafft eine Grenzschicht zwischen Band
überrascht, weil grundsätzlich pathogene Keime und Scheidenhaut und hält das Band/Netz besser
in der Scheide vorhanden sind. in Position.
Diese Ergebnisse bestätigen die von Hunter Erosionen kommen bei Polypropylenbändern/-
(1959) aufgestellte These, dass Fremdkörperreaktion netzen selten vor. Die Erosionsrate liegt bei Patien-
198 Kapitel 15 · Mögliche Komplikationen bei chirurgischen Korrekturen

tinnen mit SI- oder posterioren Schlingenoperati- schmerzfreier Abgang von rötlichem, teilweise auch
onen bei 1–3%. Wird gleichzeitig eine HE durch- gelblichem Fluor. Die Stelle, an der die Erosion
geführt, ist darauf zu achten, dass das Band weit aufgetreten ist, kann zumeist an vermehrt vorhan-
vom Wundrand der HE-Narbe entfernt liegt. denem Granulationsgewebe ausgemacht werden,
wobei zeitweilig das Band auch ohne lokale Reak-
tion freiliegen kann (⊡ Abb. 15.3, ⊡ Abb. 15.4). Die
Klinische Symptome Patientin hat kein Fieber und keine Leukozytose.
Erosionen treten i. Allg. in dem Bereich der Scheide Nur selten können Bakterien auf dem Band in einer
auf, in dem die Hautinzision erfolgt ist (längs, quer Kultur nachgewiesen werden. Im Zweifelsfall sollte
oder paraurethral). In einigen Fällen geschieht das vor dem chirurgischen Eingriff ein bakteriologi-
ohne die Ausbildung von Granulationspolypen oder scher Abstrich vom Band/Netz entnommen wer-
verstärktem Wundsekret. Diese Erosionen können den, um Erreger adäquat behandeln zu können.
sich mit der Zeit spontan reepithelialisieren. Die Histologie zeigt um das Band herum Gra-
In aller Regel ist das erste Zeichen dafür, dass nulationsgewebe, das hauptsächlich aus Makro-
ein Band die Scheidenhaut erodiert hat, vermehrter phagen, multinukleären Riesenzellen, Lympho-
zyten und neutrophilen Leukozyten besteht. Das
Granulationsgewebe ist von einer Kollagenschicht
umgeben (⊡ Abb. 15.1, ⊡ Abb. 15.2).
Eine Erosion führt nur selten zu ernsthaften
Problemen, wie z. B. einem Abzess, da nicht eine
bakterielle Entzündung, sondern ein Bandrutschen
und mechanische Faktoren die Hauptgründe für
eine Erosion sind.

Vorgehen bei Erosionen


Sind bei einer Band- oder Netzerosion Granula-
tionspolypen in der Scheide vorhanden, ist dafür
⊡ Abb. 15.3. Erosion bei einem monofilamentären Band, das
fest in seine Umgebung eingewachsen ist und nur en bloc
eine überschießende Fremdkörperreaktion verant-
entfernt werden kann wortlich.
Bei multifilamentären Bändern stellt eine Ero-
sion (⊡ Abb. 15.4) zumeist kein größeres Problem
dar, weil das freiliegende Band/Netz samt Granu-
lationsgewebe in den meisten Fällen in der Praxis
entfernt werden kann. Ein multifilamentäres Band
15 lässt sich normalerweise leicht und sicher entfernen,
weil es von einer Bindegewebekapsel umgeben ist
und aus dieser Kapsel herausgezogen werden kann.
Dazu wird das freiliegende Band-/Netzsege-
ment mit einer Klemme gefasst und vorgezogen.
Bei kompletter Abstoßung lässt sich das gesamte
Band/Netz herausziehen. Eine komplette Absto-
ßung eines Polypropylenbandes/-netzes ist aller-
dings selten, während das bei dem früher ver-
wendeten Mesilene- und Nylonmaterial häufiger
beobachtet wurde. Bei Widerstand wird das Schei-
⊡ Abb. 15.4. Erosion bei einem multifilamentären Band, das dengewebe unter Zug am Band/Netz mit den bei-
sich relativ leicht entfernen lässt den Scherenbranchen nach hinten abgeschoben
15.2 · Mittelfristige Komplikationen
199 15

segments und eine gezielte antibiotische Behand-


lung angebracht, bevor der chirurgische Eingriff
erfolgt.
Eine nicht heilende Inzisionsstelle in der
Bauchdecke ist zumeist durch vaginales Granula-
tionsgewebe bedingt, das sich entlang einer sub-
urethralen Schlinge ausgebreitet hat. Das Band
sollte in diesen Fällen von vaginal herausgezogen
werden. Unter Antibiotikumschutz wird die Schei-
denhaut in Urethramitte inzidiert und das Band
gefasst. Es kann meist problemlos herausgezogen
werden, weil es über die gesamte Kapsellänge mit
Flüssigkeit umgeben ist.
⊡ Abb. 15.5 Sehr selten bildet sich ein ischiorektaler Sinus.
In diesem Fall führt ein Kanal zu vermehrtem
Granulationsgewebe im posterioren Scheidenbe-
und das freiliegende Band-/Netzsegment wegge- reich. Ein entlang des hinteren Bandes vorhan-
schnitten. dener perinealer Kanal wird konsequenterweise
Zieht man zu stark an einem fest sitzenden ebenfalls von vaginal korrigiert, indem man das
Band/Netz, kann das Gewebe verletzt, kleine Blu- Band von einer Querinzision aus entfernt. Die
tungen erzeugt und die Voraussetzung für die Ent- Region, in der sich das Band befindet, ist weit
stehung eines Abszesses geschaffen werden. vom Rektum entfernt, was eine Rektumverletzung
Bei erodierten monofilamentären Bändern/ höchst unwahrscheinlich macht.
Netzen (⊡ Abb. 15.3) kann die Entfernung schwierig Nach Entfernen des Bandes verkleben die
sein, da dieses Material oft nur en bloc herausprä- Wundkanäle normalerweise innerhalb von 48 h.
pariert werden kann (⊡ Abb. 15.5). Besondere Vor- Ein Ausschneiden eines Sinus sollte vermieden
sicht ist bei monofilamentären Bändern im Bereich werden, weil das zu einer Ausbreitung der in dem
der Urethra geboten, weil bei dem Versuch, das Kollagenzylinder eingekapselten Bakterien ins um-
Band zu explantieren, die Urethra verletzt werden liegende Gewebe führen kann.
kann. Nach Entfernen des Bandes/Netzes können
die präoperativen Beschwerden wieder auftreten. ! Beachte:
Untersuchungen an Tieren und Menschen
haben gezeigt, dass, auch wenn ein Band-/
Infektion Netzende frei in der Scheide liegt, nur ex-
Zu einer klinisch eindeutigen Entzündung gehören trem selten klinische Infektionen auftreten
Rötung, Fieber, Leukozytose, Mikroabzesse im his- (Petros et al. 1990a). Die Tatsache, dass
tologischen Befund und über 100.000 Bakterien/mg nahezu keine Bakterien ins umliegende
Gewebe in der Kultur. Gewebe migrieren, wird damit erklärt, dass
Eine geringe Entzündung kann allerdings auch das Band von einer kollagenen Scheide um-
neben einer Fremdkörperreaktion bestehen. In mantelt ist.
diesen Fällen ist der Verlauf zumeist unproble- Unabhängig davon kann eine mögliche
matisch. Ob und wie oft eine Band-/Netzerosion Infektion bei chirurgischen Eingriffen da-
von einer Entzündung begleitet wird, ist unklar. durch vermindert werden, dass
Infektionen in implantierten Bändern oder Netzen ▬ präoperativ im Phasenkontrastpräparat
müssen aber selten vorkommen, weil die Gesamt- pathogene Keime ausgeschlossen oder
erosionsrate unter 3% liegt. Vaginalabstriche entnommen werden,
Besteht der Verdacht auf eine Infektion, ist eine um Streptokokken und Staphylokokken
bakteriologische Untersuchung des Band-/Netz- zu erkennen und zu behandeln,
200 Kapitel 15 · Mögliche Komplikationen bei chirurgischen Korrekturen

▬ intraoperativ systemisch Antibiotika um die Mobilität von Blase, Darm und Scheide zu
verabreicht werden, gewährleisten. Kann die Scheidenhaut nur unter
▬ bei der Operation steril gearbeitet wird, Spannung zusammengenäht werden, sollte in das
▬ sichergestellt ist, dass das Band/Netz Wundgebiet ein gestielter Bulbokavernosus-Haut-
flach liegt und eine Faltenbildung oder Fett-Lappen eingeschwenkt werden ( Kap. 9.2.1;
starke Spannung vermieden wird, Abschn. »Tethered-Vagina-Syndrom«).
▬ auf sorgfältige Blutstillung geachtet
wird, um Hämatome zu vermeiden.
15.3.4 Verklebung von
Organverschiebeschichten
15.3 Langzeitveränderungen
Rektum und Scheide sind physiologischerweise nur
15.3.1 Mögliche Komplikationen im distalen Bereich der Scheide über eine Länge
bei der Brückentechnik von 3 cm fest miteinander verbunden. Proximal
davon müssen sie in der Lage sein, aufeinander
Wurde das Scheidenepithel bei der Brückentech- zu gleiten. Große Netzstreifen können zu festen
nik nicht ausreichend durch Elektrokoagulation Verklebungen zwischen Rektum und Scheide oder
destruiert, kann sich eine Retentionszyste bilden, Blase und Scheide führen und die freie Beweglich-
die weißlich-gelbliche Flüssigkeit enthält. Die Di- keit von Rektum und Scheidenhaut einschränken.
agnose kann mittels Punktion oder Ultraschall ab- Das kann im Lauf der Jahre Schmerzen, Dyspa-
gesichert und die Zyste exzidiert werden. reunie oder Funktionsstörungen verursachen, weil
Narbenkollagen dazu neigt, steif zu werden und
sich zusammenzuziehen. Um das zu vermeiden,
15.3.2 Einengung der Urethra nach ist bei der Auswahl und Platzierung eines Netzes
suburethraler Schlingenoperation Vorsicht geboten!

Kollagen wird mit dem Alter steif und zieht sich


zusammen (Peacock 1984). Das Kollagen einer 70-
jährigen Frau ist 4-mal fester als das einer 25-jähri-
gen. Eine suburethrale Schlinge, in deren Maschen
Kollagen eingewachsen ist, kann sich daher mit
der Zeit zusammenziehen und zu einer Obstruk-
tion der Urethra führen. Die Schlinge muss dann
von einer Längs- oder Querinzision aufgesucht,
durchtrennt oder teilweise reseziert werden.
15
15.3.3 Fisteln

Beckenorgane bewegen sich ständig. Daher kann


ein Band/Netz verrutschen oder ausreißen, selbst
wenn es festgenäht wurde, was zur Erosion oder
Fistelbildung führen kann. Wenn ein Netz zu
schmal ist, besteht eine größere Wahrscheinlich-
keit, dass es in Blase oder Darm penetriert.
Die Fibrose bei einer Penetration ist oft sehr
ausgeprägt und erfordert bei der Korrektur ein
großzügiges Entfernen des Granulationsgewebes,
16

Postoperatives Vorgehen
bei persistierenden, erneut oder
neu auftretenden Symptomen

16.1 Ursachenerkennung – 201

16.2 Praktisches Vorgehen bei postoperativ persistierenden Symptomen – 204

16.1 Ursachenerkennung die Situation zu klären und den Patientinnen zu


helfen, besteht darin, die Anatomie zu überprü-
Sind nach einer Operation weiterhin Beschwer- fen und mithilfe von simulierten Operationen zu
den vorhanden oder treten sie erneut auf, muss untersuchen, ob sich die Symptomatik verbessern
es sich nicht unbedingt um einen operativen Ver- lässt ( Kap. 9.1.1, Abschn. »Spezielle Diagnostik: prak-
sager handeln. Die Beschwerden können durch tisches Vorgehen«).
ein Nachgeben der Bindegewebestrukturen in Das auf der Integraltheorie basierende chir-
einer anderen Zone bedingt sein. Eine wirk- urgische Vorgehen berücksichtigt, dass in einigen
same operative Korrektur in einer Zone kann das Fällen mehr als eine Operation notwendig ist, bis
Gleichgewicht in den anderen Zonen verändern ein gutes Ergebnis vorliegt. Das Gewebe ist oft ins-
und die Beckenbodenkräfte auf den schwächs- gesamt weich, verschiedene Regionen sind betrof-
ten Punkt des Systems lenken. Gibt der neue fen, oder neue Strukturen können im Beckenboden
Schwachpunkt nach, können neue Symptome ent- nachgeben, wenn andere korrigiert wurden. Da die
stehen. chirurgische Strategie darauf abzielt, möglichst viel
Jeder Chirurg muss sich darüber im Klaren Gewebe zu erhalten und dabei minimalinvasiv und
sein, dass seine Operation die Dynamik der Gewe- schmerzarm vorzugehen, können mehrere Ope-
bestrukturen und damit die Funktion verändert. rationen durchgeführt werden, ohne die Patientin
Bei persistierenden Problemen ist es daher not- bei einem Rezidiv oder neuen Symptomen allzu
wendig, sehr genau die prä- mit den postoperati- sehr zu belasten.
ven Symptomen zu vergleichen. Zunächst muss die Bevor eine weitere Operation in Erwägung
Patientin erneut einen Fragebogen ( Anhang A1) gezogen wird, ist es wichtig, den Patientinnen die
ausfüllen. Dieser wird mit dem alten zusammen- Zusammenhänge zu erklären. Für die Betreffenen
fassenden Diagnosebögen verglichen (⊡ Abb. 9.2) ist es schwierig, zwischen neuen oder bestehenden
und genau überprüft, ob sich die Symptome des Symptomen zu unterscheiden. Außerdem sind sie
Patienten verändert haben. Der nächste Schritt, oft nicht in der Lage zu erkennen, ob bei einigen
202 Kapitel 16 · Postoperatives Vorgehen bei persistierenden, erneut oder neu auftretenden Symptomen

Symptomen evtl. eine Verbesserung eingetreten nur durch geringe anatomische Defekte bedingt
ist, bei anderen hingegen nicht. sein können, Fehldiagnosen zu vermeiden.
Eine anatomische Erklärung für erneut oder Das Weiterbestehen von Symptomen, vor allem
neu auftretende Symptome zu finden, ist ein kom- von Urge, kann eine Bindegewebedekompensation
plexes Geschehen. Treten nach operativer Behand- in einer anderen Zone verschleiern, die ähnliche
lung erneut Beschwerden auf, so kann das folgende Beschwerden verursacht. Daher muss der Ope-
Gründe haben: rateur in jedem Fall die postoperativen mit den
a) Die gleichen Symptome persistieren direkt präoperativen Symptomen vergleichen.
nach dem operativen Eingriff.
Persistierende Symptome direkt nach dem
Eingriff sind entweder dadurch bedingt, dass 16.1.2 Nachgeben anderer
die falsche Zone korrigiert wurde (Fehldiag- Bindegewebestrukturen
nose) oder dass eine Wunddehiszenz infolge
insuffizienter chirurgischer Technik (Opera- Es muss geklärt werden, warum eine Zone dekom-
tionsfehler) aufgetreten ist. Weiterhin muss pensieren kann, wenn eine andere korrigiert wurde.
ausgeschlossen werden, was obligatorisch ei-
gentlich vor jeder Operation geschehen sollte,
dass nicht andere Ursachen wie Myome, ein De-novo-Symptome
Blasenkarzinom, Entzündungen usw. für die Die Zugkräfte im Becken werden von den elasti-
Beschwerden verantwortlich sind. schen Anteilen der Ligamente, Muskeln und Fas-
b) Es handelt sich um neue Symptome. zien abgefedert, die als »Schockabsorber« dienen.
In diesen Fällen ist es sehr wahrscheinlich, dass Weil alle Strukturen im Beckenboden unterein-
Bindegewebe in einer anderen Zone nachge- ander verbunden sind, können sich Defekte in
geben hat. Im Allgemeinen treten neue Symp- den 3 Beckenzonen lange Zeit maskieren. Nach
tome erst nach Wochen oder Monaten auf. In Korrektur eines Vaginalbereichs werden die Be-
seltenen Fällen kann das aber auch schon nach cken- oder Abdominalkräfte verstärkt auf andere
Tagen erfolgen. Zonen umgeleitet. Der schwächste Bereich kann
c) Die gleichen Symptome treten nach anfäng- entprechend dem Gesetz des geringsten Wider-
licher Besserung erneut auf. stands nachgeben und Beschwerden auslösen. Tre-
Treten die gleichen Symptome nach anfäng- ten neue Symptome auf, die von den bisherigen
licher Besserung wieder auf, handelt es sich abweichen, weist das auf einen denovo entstande-
zumeist um einen Operationsversager infolge nen anatomischen Defekt hin.
schlechter Gewebequalität (Rezidiv des ur-
sprünglichen Defekts). Beispiel I I
Die bekanntesten neuen Symptome sind Neo-
urge und Blasenentleerungsstörungen. Diese
16.1.1 Fehldiagnose Symptome treten z. B. bei bis zu 20% der Fälle
16 nach einer Burch-Kolposuspension auf. Sie sind
Eine Fehldiagnose liegt vor, wenn anatomische durch eine zu feste Anbebung des Blasenhalses
Defekte operativ korrigiert wurden, die nicht für bedingt, wodurch die Dehnungsrezeptoren ak-
die Symptome verantwortlich waren. tiviert werden. Das führt zum Neourge und zur
Die präoperative Diagnose, die festlegt, welche Harnretention, weil es den aktiven Öffnungsme-
anatomische Schädigung für ein Symptom verant- chanismus des Ausflusstrakts behindert. Dass
wortlich ist, gelingt in bis zu 20% nicht eindeutig. sich die Symptomatik mit der Zeit oft bessert,
Jedoch helfen die gründliche Kenntnis der dyna- liegt daran, dass die operationsbedingte Span-
mischen Anatomie, die Technik der simulierten nung langsam wieder nachlässt.
Operationen und das Wissen, dass einige neurolo- ▼
gische Symptome wie Urge und Beckenschmerzen
16.1 · Ursachenerkennung
203 16

Bei Patientinnen mit einer Burch-Kolposuspen-


sion, die postoperativ eine Enterozele entwi-
ckeln, ist es eher wahrscheinlich, dass ein Urge
und eine Blasenentleerungsstörung durch ein
Nachlassen der Gewebespannung in der poste-
rioren Zone bedingt sind. Häufig klagen diese
Patientinnen dann über weitere, von der pos-
terioren Zone herrührenden Symptomen wie
Nykturie und Schmerzen.
Der vor und nach der Operation ausgefüllte Fra-
⊡ Abb. 16.1. Korrektur einer Zystozele durch eine posteri-
geboden gibt zusammen mit dem graphischen
ore Schlinge. Durch Zug nach hinten wird auch die vordere
Diagnosealgorithmus Hinweise auf den Ort und Scheidenwand gestreckt. Ist aber die pubozervikale Faszie
die Genese der Beschwerden. Allerdings hilft der geschädigt, wird die Zystozele wieder auftreten. LMA longitu-
graphische Diagnosealgorithmus nicht immer dinaler Muskel, LP Levatorplatte, N Dehnungsrezeptoren, PCM
pubozervikaler Muskel
weiter. Ein Beispiel hierfür ist die Diagnose einer
»Tethered Vagina«, an die immer gedacht werden
sollte, wenn eine Patientin bereits voroperiert
wurde und beim Aufstehen reichlich Urin verliert.

Heilung von Symptomen nach Korrektur


einer anderen, nicht für die Beschwerden
verantwortlichen Zone
Umgekehrt kommt es vor, dass Beschwerden durch
Korrektur eines Scheidenbereichs geheilt werden,
der eigentlich nicht für die bestehenden Symptome
verantwortlich ist.

Beispiel 1 I I
Korrektur einer Zystozele und der dadurch
⊡ Abb. 16.2. Eine korrigierte Zystozele hat die Tendenz zu
bedingten Beschwerden durch PIVS rezidivieren, wenn ein Faszienschaden vorliegt. Dies wird ge-
Streckung der Scheidenhinterwand im Rahmen fördert durch den intraabdominalen Druck und die Schwer-
einer Entero-/Rektozelenkorrektur kann vorü- kraft, die beide auf die Scheidenvorderwand einwirken. LMA
longitudinaler Analmuskel, LP Levatorplatte, N Dehnungsre-
bergehend auch eine Zystozele korrigieren. Die
zeptoren, PCM pubozervikaler Muskel
strukturelle Beziehung zwischen mittlerer und
hinterer Zone demonstriert ⊡ Abb. 16.1. Ist al-
lerdings die PCF geschädigt, wird es mit großer Beispiel 2 I I
Wahrscheinlichkeit nach einiger Zeit zum Rezi- Heilung einer SI nach einer posterioren
div der Zystozele kommen (⊡ Abb. 16.2). Schlinge
Aus funktioneller Sicht kann die vorübergehende Viele Patientinnen berichten über eine Besse-
Heilung der Zystozele mit einer Normalisierung rung ihrer SI-Symptomatik nach Legen einer
der Urgesymptomatik einhergehen, weil es durch posterioren Schlinge. Dies liegt an der wieder
die Streckung der vorderen Scheidenwand zu normalisierten Funktion des nach unten gerich-
einer Unterstützung der Dehnungsrezeptoren (N) teten, zur Rotation führenden LMA, der gegen
kommt (⊡ Abb. 16.1). Dieser Effekt wird aber nur die posteriore Schlinge zieht und die Urethra
bis zum Rezidiv der Zystozele anhalten. jetzt wieder abknicken kann.
204 Kapitel 16 · Postoperatives Vorgehen bei persistierenden, erneut oder neu auftretenden Symptomen

Beispiel 3 I I 16.2.1 Anteriore Zone

Heilung einer SI nach Auftreten einer


SI ist hauptsächlich ein anteriores Problem. Einer
Zystozele
der Hauptgründe für das Versagen einer vorde-
Viele Patientinnen berichten über eine Bes-
ren Schlinge ist ein zu loses Band. Mithilfe der
serung ihrer SI-Symptomatik nach Auftreten
vaginalen oder transperinealen Ultraschallunter-
einer Zystozele. Dies kann damit erklärt wer-
suchung sollte bei postoperativ weiter bestehender
den, dass das Hammock von einer sich ausbil-
SI die Rotation und das Tiefertreten des Blasen-
denden Zystozele nach hinten gezogen wird.
bodens überprüft werden (⊡ Abb. 16.3). Bei zu lo-
Dadurch liegt das PUL wieder besser an der
sem pubourethralem Verankerungsmechanismus
Urethra an und ist in der Lage, sie von hinten
kommt es zur Trichterbildung. Normalisiert sich
zu verschließen. Ein Anheben der Zystozele
die urethrovesikale Geometrie wenn einseitig eine
mit dem Finger macht die Streckung rückgän-
Klemme in den Bereich der Urethramitte platziert
gig. Die Patientin verliert beim Hustentest wie-
wird, und führt das zur Kontinenz, ist eine weitere
der Urin. Entsprechend verhält es sich, wenn
mitturethrale Schlinge indiziert (⊡ Abb. 16.4).
nur die Zystozele, nicht aber das PUL operativ
Ist der Blasenhals beim Mitturethratest ver-
korrigert wird.
schlossen, die distale Urethra aber geöffnet
(⊡ Abb. 16.4), benötigt diese Patientin für eine
komplette Heilung zusätzlich zu einem weiteren
16.1.3 Rezidiv Band eine Straffung des Hammock und wahr-
scheinlich des EUL.
Treten die gleichen Symptome nach anfänglicher Verlieren Patientinnen nach einer mitture-
Besserung wieder auf, handelt es sich zumeist um thralen Schlinge bei plötzlichen Bewegungen, aber
einen Operationsfehler: nicht beim Husten unkontrolliert Urin, besteht der
▬ Entweder wurden nicht alle für die Symptome Verdacht, dass die EUL erschlafft sind, vor allem,
verantwortlichen Defekte korrigiert, z. B. eine wenn eine Flüssigkeitsblase in der Urethra zu sehen
gleichzeitige Straffung des Hammocks und ist. Ein klaffender Meatus externus oder ein Muko-
der EUL zusammen mit einer suburethralen sapolyp weisen ebenfalls auf ein loses EUL hin.
Schlinge bei SI oder Selten kann es durch postoperatives Verrut-
▬ die Nähte sind infolge schlechter Gewebequa- schen der Schlinge dazu kommen, dass das Band
lität oder Operationstechnik durchgeschnitten die Urethra offen hält. Historisch entspricht diese
oder ausgerissen. Situation einer fibrotischen Narbenurethra. Dies
kann mit einem quer aufgesetzten Schallkopf bei
Dieser Befund erfordert eine Rezidivoperation. In der Ultraschalluntersuchung diagnostiziert wer-
 Kap. 12.4 wurde darauf eingegangen, wie sich den. In dieser Situation wird die Urethra beim
eine unzureichende Operationstechnik und daraus Pressen nicht verschlossen, sondern ist wie bei der
resultierende Rezidive weitestgehend vermeiden Miktion geöffnet, weil die fibrosierte Urethrahin-
16 lassen. terwand den Verschluss verhindert. In diesen Fäl-
len muss das Band entfernt werden, um die Elasti-
zität der Urethrahinterwand wieder herzustellen.
16.2 Praktisches Vorgehen bei Bei Patientinnen mit fehlgeschlagener subure-
postoperativ persistierenden thraler Schlingenoperation nach HE, bei denen der
Symptomen Mitturethratest beim Husten nicht zur Kontinenz
führt, können schlaffe USL die Ursache für ihre
Um ein Rezidiv oder eine neu geschädigte Zone persisitierende SI sein. Wenn die Patientin nach
ausfindig machen zu können, wird bei der gy- Streckung des posterioren Fornix beim Husten-
näkologischen Untersuchung jede Zone für sich Stresstest kontinent ist, sollte eine Korrektur der
betrachtet. hinteren Zone erfolgen.
16.2 · Praktisches Vorgehen bei postoperativ persistierenden Symptomen
205 16

Sind mehrere SI-Operationen fehlgeschlagen


und liegt keine Tethered-Vagina-Symptomatik vor,
kann ein explorativer operativer Heilungsversuch
durchgeführt werden. Wenn möglich, sollte dies
unter Lokalanästhesie in Kombination mit sys-
temischer Sedierung erfolgen. Bei einer Blasen-
füllung von 300 ml wird nochmals jede Struktur
überprüft und eventuell korrigiert, die zur Kon-
tinenz beiträgt, wobei die Patientin vor und nach
jedem Schritt aufgefordert wird zu husten.
Verliert die Patientin nach Korrektur der
einzelnen Strukturen immer noch Urin, ist eine
⊡ Abb. 16.3. Versager nach Schlinge, sagittaler Ultraschallschnitt Überprüfung der posterioren Ligamente not-
beim Pressen. Man erkennt die Rotation, die Trichterbildung wendig. Nach Injektion von 1%igem Xylocain in
und die distale Position des Bandes (B). PS Symphysis pubica den Scheidenfornix werden der linke und rechte
Apexbereich mit einer Allis-Klemme gefasst und
vorsichtig in die Mitte gezogen, während die
Patientin zum Husten aufgefordert wird. Geht
bei diesem Manöver kein Urin mehr ab, müssen
die posterioren Ligamente gestrafft werden, vor-
zugsweise unter Verwendung einer posterioren
Schlinge.
Bleibt die Situation weiterhin unklar, wird die
Scheidenhaut vorsichtig, aber in ganzer Dicke un-
ter der Urethra längs durchtrennt und die Ure-
thraanatomie überprüft. Ist die Urethra mit dem
Band verbacken, und wird das Lumen dadurch
offen gehalten, müssen Band und Narbengewebe
entfernt werden.
⊡ Abb. 16.4. Gleiche Patientin wie in Abb. 16.3. Unterstützung
der Urethramitte mit einer Klemme (<) normalisiert die ure-
Sofern die Urethrawand dünn, gestreckt oder
throvesikale Geometrie beim Pressen und führt zur Kontinenz. dilatiert ist, muss die zylindrische Form der Ure-
Die distale Urethra bleibt geöffnet. PS Symphysis pubica thra durch Naht der Wand, z. B. mit Dexon 3–0
wieder hergestellt werden.

! Merke: Bei postoperativ weiterbestehen-


der SI müssen in jedem Fall alle Strukturen 16.2.2 Mittlere Zone
überprüft werden, die einen individuellen
Beitrag zur Kontrolle der SI leisten. Im Ein- Bei postoperativ weiter bestehenden Beschwerden
zelnen sind das: EUL, PUL, Hammock und in Form von Urge, Pollakisurie, Nykturie und Bla-
posteriore Ligamente. senentleerungsstörungen muss ein Defekt in der
Mittelzone ausgeschlossen werden. Eine postope-
rative Zystozele oder ein Lateraldefekt treten z. B.
Was tun, wenn mehrere SI-Operationen in 16–18% der Fälle nach einer operativen Kor-
inklusive Urethraschlinge erfolglos waren? rektur des hinteren Scheidenbereichs auf (Petros
Ist eine »Tethered Vagina« für den Urinverlust 2001b, c, d; Shull et al. 1992).
verantwortlich, muss die Elastizität in der Blasen- Durch eine genaue vaginale Untersuchung und
halsregion wiederhergestellt werden ( Kap. 7.2.1, Benutzung des graphischen Diagnosealgorithmus
Abschn. »Tethered Vagina«). lassen sich anatomische Veränderungen in der
206 Kapitel 16 · Postoperatives Vorgehen bei persistierenden, erneut oder neu auftretenden Symptomen

Mittelzone exakt unterscheiden: zentraler, parava-


ginaler oder zervikaler Ringdefekt.

16.2.3 Posteriore Zone

Weil die mittlere und hintere Zone anatomisch eng


verbunden sind, muss bei Urge, Pollakisurie, Nyk-
turie und Blasenentleerungsstörungen immer auch
die hintere Zone mit abgeklärt werden. Bei einem
Urge kann mithilfe einer simulierten Operation
abgegrenzt werden, wie stark die jeweilige Zone
für die Symptomatik verantwortlich ist.
Tritt der Urge nach einer SI-Operation auf,
sollte der Operateur anhand des präoperativ er-
stellten graphischen Diagnosealgorithmus über-
prüfen, ob neuerdings auch Schmerzen im Becken,
Blasenentleerungsstörungen oder eine Nykturie
vorhanden sind. Wenn das der Fall ist, spricht das
für einen neu entstandenen Defekt im hinteren
Scheidenbereich. Manchmal findet sich nur ein
geringer Deszensus von Uterus oder Scheide bei
der Untersuchung. Um die charakteristische Vor-
wölbung im hinteren Scheidenbereich erkennen
zu können, muss der Untersucher oft zunächst
die vordere Scheidenwand mit einer Ringklemme
anheben und die Patientin dann zum Pressen auf-
fordern. Beckenschmerzen können reproduziert
werden, indem bei der Untersuchung mit dem
Finger Druck auf den Fornix ausgeübt wird.
Eine langsame Blasenentleerung und Restharn
weisen ebenfalls auf einen Schaden im hinteren
Scheidenbereich hin.
Nicht immer kann ein eindeutiger Befund bei
der klinischen Untersuchung festgestellt werden.
Sind aber 2 oder mehr Symptome der posterioren
Zone vorhanden, findet sich in den meisten Fällen
16 ein Defekt im hinteren Scheidenbereich.
207
Zusammenfassung Sektion V

Zusammenfassung Sektion V
In dieser Sektion werden die Grundlagen der rekon- Die Vorgehensweisen für die Rekonstruktion des
struktiven Beckenbodenchirurgie sowie allgemeine PUL und USL sowie der verschiedenen Faszien
und spezielle Überlegungen zum chirurgischen werden beschrieben. Strittige Punkte und Techni-
Vorgehen gemäß Integraltheorie diskutiert. Aus- ken, die sich mit der Reparatur von geschädigtem
gangspunkt ist die von Galen aufgestellte Maxime, Gewebe befassen, um das Gewebe zu stärken oder
dass die »Wiederherstellung der Form zur Wieder- als Alternative zur Verfügung stehen, werden dis-
herstellung der Funktion führt«. Das bedeutet, dass kutiert: Netz, autologe Brückentechnik, heterolo-
eine Korrektur eines Bindegewebeschadens in den ger Gewebeersatz und TFS-Band.
9 Hauptstrukturen, 3 in jeder Zone, den Prolaps Des Weiteren wird darauf eingegangen, wie
und die Funktion gleichermaßen normalisieren. man mit rezidivierenden oder neu auftretenden
Dabei können ausgeprägte Symptome durch ge- Symptomen nach Operationen umgehen soll.
ringe anatomische Veränderungen bedingt sein.
Bestimmte chirurgische Prinzipien müssen be-
achtet werden:
▬ Erhalt des Uterus und von Scheidengewebe,
wenn irgend möglich,
▬ Gebrauch von Polypropylennetzen zum Ver-
stärken von geschädigten Ligamenten und Fas-
zien, wenn sie nicht anderes repariert werden
können.

Die Grundregeln, die es bei kurzstationärer Chi-


rurgie zu beachten gilt, sind:
1. Vermeide Spannung bei Scheidennähten
2. Vermeide Wegschneiden von Scheidengewebe
3. Vermeide Inzisionen im Bereich der Perineal-
haut
4. Vermeide Starrheit in der Blasenhalsregion

Das chirurgische Vorgehen wird durch 2 Grundvo-


raussetzungen ermöglicht:
1. Gebrauch von speziellen minimalinvasiven
Spezialinstrumenten
2. Benutzung von besonderen anatomischen Zu-
gängen für die Insertion von Bändern und Fas-
zien, um geschädigte Bindegewebesstrukturen
in allen 3 Zonen reparieren zu können

Die für eine normale Funktion verantwortlichen


Bindegewebestrukturen werden gemäß ihrer Be-
deutung analysiert:
▬ anteriore Zone: PUL, Hammock, EUL
▬ mittlere Zone: PVF (Befestigung am zervikalen
Ring, zentral und paravaginal)
▬ posteriore Zone: USL, RVF, PB
“This page left intentionally blank.”
Anhang

A1 PATIENTEN-FRAGEBOGEN
für die Blasen-Beckenboden-Behandlung nach Petros/Goeschen

Datum ____________________ Name ___________________________________________ Vorname _____________________________________________

Anschrift ___________________________________________________________________________________________________________________________________

Tel.-Nr ______________________________________________________________________________________________________________________________________

Krankenkasse _________________________________________________ Zusatzversicherung_________________________________________________

Chefarztversichert _______________________________________________________________________________________________________________________

Geburtsdatum /_____ /_____ /_____ / Alter __________ Jahre Größe ____________________ Gewicht __________________

Medikamente ____________________________________________________________________________________________________________________________

Haben Sie Medikamente gegen Ihr Beckenboden-/Blasenproblem eingenommen? Falls ja, welche? ______________
______________________________________________________________________________________________________________________________________________

Haben Sie Beckenbodengymnastik durchgeführt? ______________________________________________________________________________

Bemerkungen ____________________________________________________________________________________________________________________________
_______________________________________________________________________________________________________________________________________________
_______________________________________________________________________________________________________________________________________________
_______________________________________________________________________________________________________________________________________________
210 Anhang

Anamnese

Anzahl vaginaler Geburten maximales Geburtsgewicht ____________________ kg

durch Kaiserschnitt Wann waren die Geburten? _____________________________________________________________

Frühere Operationen
a) Gebärmutterentfernung nein …
ja … vom Bauchschnitt wann? ____________________ P
ja … durch die Scheide wann? ____________________ P

b) Operation/en wegen Urinverlust nein …


ja … vom Bauchschnitt wann? ____________________ P/T
ja … durch die Scheide wann? ____________________ P/T

c) andere Operationen/Jahr _________________________________________________________________________________________________________


_________________ ___________________________________________________________ _____________________________________________________________

Hauptproblem
______________________________________________________________________________________________________________________________________________

______________________________________________________________________________________________________________________________________________

______________________________________________________________________________________________________________________________________________

Urinverlust bei Belastung


nein ja, manchmal ja, oft
Verlieren Sie Urin beim
▬ Husten, Niesen, Lachen … … … A90/M
▬ Gehen … … … A90/M
▬ Sport … … … A90/M
▬ Bücken, Hocken, Aufstehen … … … A90/M
Falls ja, wie viel? wenige Tropfen … Teelöffel … Esslöffel …

Blasenentleerungsstörung
nein ja, manchmal ja, oft
▬ Haben Sie das Gefühl, Ihre Blase nicht ausreichend … … … P70/M
entleeren zu können?
▬ Haben Sie Schwierigkeiten zu Beginn der Blasenentleerung? … … … P70/M
▬ Hört es unfreiwillig auf und fängt dann wieder an? … … … P70/M
▬ Können Sie nur langsam Wasser lassen? … … … P70/M
211
Anhang

Harndrang
nein ja, manchmal ja, oft
▬ Haben Sie Schmerzen beim Wasserlassen? … … … Inf.
▬ Haben Sie ständig das Gefühl, Wasser lassen zu müssen? … … … M/P
▬ Falls ja, sind Sie vor Erreichen der Toilette nass? … … … M/P
▬ Verlieren Sie nachts im Bett Urin? … … … P
▬ Geht morgens beim Aufstehen aus dem Bett … … … T
unwillkürlich Urin ab?
▬ Verschlechtern sich Ihre Symptome vor der Periode? … … … A
▬ Wie oft sind Sie nass am Tag? … mal
▬ Wie oft müssen Sie tagsüber Wasser lassen? … mal
▬ Wie oft müssen Sie nachts Wasser lassen? … mal

Schmerzen im Unterleib
nein ja, manchmal ja, oft
Haben Sie Schmerzen
▬ beim Geschlechtsverkehr? … … … P
▬ diffus im Unterleib? … … … P
▬ vorne in der Scheide? … … … P
▬ hinten im Scheiden-/Steißbeinbereich? … … … P

Darmprobleme
nein ja, manchmal ja, oft
▬ Sind Sie mit Stuhl beschmutzt? … … … A/P
▬ Gehen unkontrolliert Winde, Flüssigkeit, Stuhl ab? … … … A/P
▬ Haben Sie Schwierigkeiten, Ihren Darm zu entleeren? … … … A/P

Leidensdruck
▬ Sind Sie die meiste Zeit nass durch Urinverlust? ja … nein … A90
▬ Benutzen Sie Binden oder Einlagen wenn Sie ausgehen? ja … nein …
▬ Falls ja, wie viele pro Tag? ..............(Anzahl)

Lebensqualität
Wie stark wird Ihre Lebensqualität durch die Probleme im Blasen-/Darm- und Beckenbodenbereich
eingeschränkt?
… 1 = nicht eingeschränkt
… 2 = wenig eingeschränkt
… 3 = deutlich eingeschränkt
… 4 = erheblich eingeschränkt
… 5 = fast gänzlich eingeschränkt
212 Anhang

A2. Diagnosealgorithmus: Zusammenhänge zwischen Funktionsstörungen und strukturellen Veränderungen in den 3 Becken-
bodenzonen
213
Anhang

A3. Klinischer Untersuchungsbogen


214 Anhang

A4. Validierungstabelle für simulierte Operationen


215
Anhang

A5. Spezielles Aufzeichnungsblatt für die Diagnostik


“This page left intentionally blank.”
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Stichwortverzeichnis

Ausflusstrakt 33, 34, 92, 97, 113, − Stärke 121


A 168 − weiter bestehende 205
Auslassobstruktion 100 Bilder, histologische 138
Abschlussuntersuchung 131 Bindegewebe 45
Abstrich, bakteriologischer 198 Bindegewebeschaden 47, 50
Abzess 198 Biomechanik 45
Afferenzen 96
B − der Scheide 46
Algorithmus 7 Blase, instabile 54, 107
Alter 48 Bakterien, grampositive 197 Blasenentleerung
Analmuskel, longitudinaler 20 Band − gestörte 5
Analsphinkter, externer 21, 58, 75 − loses 204 − langsame 206
Anatomie − monofilamentäres 135, 199 Blasenentleerungsstörung 5, 51,
− dynamische 5, 16, 42 − multifilamentäres 198 55, 64, 100, 107, 108, 113, 202
− funktionelle 5, 17, 42 − spannungsfreies 145 Blasenhals, starrer 86
− statische 5, 14, 42 − suburethrales 86 Blasenhalsregion 33
Ano-/Rektalprolaps 190, 192 − transversales 164 Blaseninstabilität, urodynamische
Anus 40, 60 Bandabszess 137 98
Aquadissektion 129, 157, 160, Banderosion 133, 197 Blasenkapazität 116
161, 184, 195 Bandtextur 135 Blasenöffnung 33, 186
Arcus tendineus fasciae pelvis 24, Basisdiagnostik 69 Blasenperforation 152, 164
26 Bauchpresse 60 Blasen-Scheiden-Fistel 88
Allgemeinnarkose 130 Beckenbodenchirurgie, minimalin- Blasen-/Dünndarmperforationen
ATOM 161, 162, 163, 189 vasive 121 124
Aufenthalt, stationärer 131 Beckenebenen, horizontale 5, 22 Blasenverletzung 195
Ausfluss, gelblicher 132 Beschwerden 201 Blasenverschluss 30, 33
224 Stichwortverzeichnis

− aktiver 31 De-novo-Symptome 202 − in der Blasenhalsregion 168


− urethraler 31 De-novo-Urge 87 Elongatio colli 182
Blasenverschlussmechanismus Deschampspitze 161 Enterozele 73, 74, 76, 168, 176,
142 Deszensus 73, 173, 174, 178 179, 203
bridge-repair 141, 142, 185 Detrusorakontraktilität 113 Entfernung der Gebärmutter 49
Brücke 156 Detrusoraktivitäten 39 Entleerungszeit
Brückentechnik 140, 158, 162, Detrusoratonie 54 − abnome 109
165, 184, 200 Detrusordruck 90 − verlängerte 113
Blutung 152 Detrusorhyperaktivitäts- Entzündung 137, 199
Bulbokavernosus-Haut-Fett- inkontinenz 114 Erosion 196, 197, 198, 200
Lappen 200 Detrusorhypotonie 54 Erosionsraten 136
Bündel, fibrovaskuläres 136 Detrusorinstabilität 51, 54, 64, 76, EUL 71
Burch-Kolposuspension 202 90, 98, 115 − Defekt 105
Detrusorkontraktion 54, 91, 102, − loses 106
107, 115 − Straffung 147
DI, husteninduzierte 113
C Diagnose
− eindeutige 105
Canalis obturatorius 149 − nichteindeutige 105
F
Centrum tendineum 20 Diagnosealgorithmus 7, 69
Centrum tendineum perinei 21, Diagnosesystem 67 Falltür 37
75 Diagnoseweg, spezieller 79 Faserdurchmesser 136
Chaostheorie 99, 121 Diagnostik, spezielle 80, 81 Fast-twitch-Fasern 51
Chirurgie Doppelschicht 156 Faszie 13, 139
− kurzstationäre 127 Doppelschichttechnik 160 − apikale 174
− vaginale 127 Doppelung der Schichten 128 − fibromuskuläre 173
Compliance 116 Douglas-Raum 179 − pubozervikale 22, 26, 153
Dranginkontinenz, sensorische − rektovaginale 24
114 Faszienkorrektur 133
Druck, hydrostatischer 54, 91, 107 Faszienriss 139
D Druckanstieg Faszienschicht, innere 156
− intraabdomineller 60 Feedbacksystem 115
Darmentleerung 192 − phasischer 113 Fehldiagnose 202
Darmentleerungsproblem 62 Druckumverteilung 168 Feuchtsein, ständiges 112
Darminkontinenz 4 Dysfunktion, anorektale 56 Fingerunterstützung 191
Dauerkatheter 195, 196 Dyspareunie 142, 200 Fistelbildung 200
Defäkation 41, 56, 57, 60, 176, Fistelentstehung 196
186 Fisteln 200
Defäkationsreflex 57 Fluor 198
Defäkographie 192, 193
E Foramen obturatorium 161
Defekt Fornixsyndrom, posteriores 56,
− lateraler 157, 162 Eckpunkt, medialer 161 69, 74
− paravaginaler 153, 157, 160 Einführinstrument 146, 152 Fossa ischiorektalis 124, 180, 190,
− zentraler 156, 162 Einnässen, nächtliches 106 196
Dehnungsrezeptoren 24, 38, 42, Einstülpung 190 Fossa obturatoria 140
54, 76, 91, 107, 178, 186 Eiter, steriler 197 Fragebogen 69, 80
− empfindliche 116 Elastin 13, 48 Fremdkörperreaktion 132, 137,
− unempfindliche 116 Elastizität 169 196, 197
Stichwortverzeichnis
225 B–L

FUN 54, 107 Hängematte, suburethrale 26 I-Plastik 169


Funktion, anorektale 39 Harnabgang, unbemerkter 112 ISD 107, 112
Harndrang 54, 97, 107 IVS, posterior 125
− imperativer 114
− nächtlicher 116
G Harninkontinenz
− Belastungs- oder Stress-
K
Geburt 49 inkontinenz (SI) 4
Geburtsschäden 50 − Drang- oder Urgeinkontinenz Katheter, suprapubischer 131,
Gefäßplexus 33 (UI) 4 152
Gewebe Harnröhrenrelaxierungs- Kirchenkuppel 49
− autologes 158 inkontinenz 114 Klappenventil 33
− heterologes 142, 161 Harnverhalt 136, 152, 165 Klemmtest 71, 76, 102
− homologes 140 − postoperativer 145 Kneifen 19, 60, 100
− paravaginales 155 Hautbrücke 190 Kollagen 13, 45, 46, 133
− überschüssiges 184 Hautlappen 160 Kollagenfasern 138
Gewebe-Fixations-System (TFS) − freier 170 Kolporrhaphia posterior 183
125 Hautschicht, doppelte 140 Komplikationen 124, 152
Gewebequalität 122 HE 188 − akute 195
Gießkanne 168 Helixform 149 − frühe postoperative 131
Gilvernet-Bogen 33 Hemmzentrum 39 Kontaktfläche 136
− präzervikaler 23 Hernie 175 Kontamination 197
Goretex 135 High-pressure-Zone 86, 94 Kontrolle
Gradeinteilung der Stuhl- Hormone 47 − des Blasenverschlusses,
inkontinenz 60 Husteninduzierte DI 113 neurologische 38
Granulationsgewebe 196, 198 Hustenstresstest 83 − periphere 37
Granulationspolypen 132, 198 Husten-Transmissionsrate 93 − zentrale 37
Hysterektomie 48, 49 Korrektur der Scheidenhinterwand
140
Kotsäule 190
H Kurve, sinusoidale 98
I
Hagen-Poiseuille-Gesetz 36, 92
Halbwegsklassifikation 73 Impulse, afferente 100
Haltenähte, transvaginale 129, Inkontinenz, anorektale
L
182, 183 − Schweregrad 58
Hämatom 131, 152, 196 Instabilität nach Husten 105 Labium-majus-Haut-Fett-Lappen
− im rektovaginalen Raum 196 Instrumente 124 171
− revisionsbedürftiges 196 Integraltheorie 4 Langzeitveränderungen 200
Hammock 26, 33, 71, 76, 106, 144, International Continence Society Lateraldefekt 72, 88, 161
147, 148 111 Levatorplatte (LP) 19
− loses 95 Intrinsischer Sphinkterdefekt 48 Level 5, 22, 42
Hammocknaht 148 Intussuszeption 24, 46, 73, 175, Level 1 22
Hämorrhoiden 3, 58, 191 189, 191, 192 − Reparatur 178
Händewaschprovokationstest Invagination 46, 176, 189 Level 2 22, 24
115 Infektion 131, 197, 199 − Reparatur 183
Händewaschtest 83, 98, 100 Inkontinenz 51, 64, 178 Level 3 22, 25
Hängebrückenanalogie 15 Inzisionsstelle 199 − Reparatur 187
226 Stichwortverzeichnis

Ligament 14, 133, 173 M. transversus perinei profundus Öffnung


− externes urethrales 25, 26 21, 188 − anorektale 41
− kardinales 23, 25 MUCP, niedriger 107 − der Urethra 32
− pubourethrales 24, 26 Multifilamentband 135 − des Ausflusstrakts 32, 54
− pubovesikales 22, 33 Multiple Sklerose 54, 112 Operationen
− sakrospinales 184 Muskelschicht 18 − simulierte 71, 75
− sakrouterines 24 − äußere 5, 21 − traditionelle 9
− uterosakrales 24 − innere 19 Operationsfehler 202, 204
− Verstärkung 134 − mittlere 5, 20 Operationstechnik, simulierte 77
Lig. sacrospinale 178 Muskelspindeln 37 Organverschiebeschichten 163
Lokalanästhesie 130 Muskulatur, hufeisenförmige − Verklebung 200
34 Organzwischenräume 140
Os sacrum 178, 184
Östrogenbehandlung, lokale 131
M Out-in-Weg 149
N Over-active-bladder 54, 107
Makrophagen 136
M. Alzheimer 54 Nachblutung 131
Manchester-Operation 182 Nachtröpfeln 55
Maschengröße 136 Nähte, transvaginale 157, 184
P
M. Bulbocavernosus 21, 188 Narben, retropubische 152
Meatus urethrae externus 25, Narbenbildung 155, 163 PB 75
144, 145 Narbenurethra, fibrotische 204 Penetration 200
Meatus urethrae internus 33 Nass, ständig 107 Perforation 147, 195
Membrana obturatoria 150, 161 Neourge 76, 165 Perinealkörper 20, 40, 187
Membran, semirigide 13 Nerven Perinealmembran 21, 146, 148
Mersilene 134, 135 − nichtmyelinisierte 108 Perinealscan 83
Mersilenenetz 196 − unmyelinisierte 24, 55 Peritonealisierung, hohe 179
Methylenblau 152, 196 Nervensystem, parasympathisches Phasenkontrastpräparat 199
Miktion 33, 34, 55, 107 128 Plastikmandrin 146
− abdominale 113 Netz 185 Platte, postanale 21
− obstruktive 55 − monofilamentäres 199 Pollakisurie 4, 178
Miktionsablauf 52 Netzarrosion 162 Polypropylen 133, 135
Miktionsauslösung 97 Netzerosionen 142 Polypropylenbänder 197
Miktionshäufigkeit 4 Netzstreifen 142, 161, 185 Polypropylennetz 190, 197
Miktionskalender 83 Nykturie 4, 108, 116, 178 Polypropylen-TFS-Anker 137
Miktionsöffnungsreflex 115 Poplypropylennetze 142
Miktionsreflex 38, 54, 107, 115 Präparationstechniken 128
− vorzeitig aktivierter 51, 98 Präzervikaler Gilvernet-Bogen 23
Miktionszystogramm, laterales
O Probleme, persistierende 201
34 Prolaps 73, 109, 173, 174, 178
M. ischiocavernosus 21 Oberflächenepithel 160 − der blind endenden Scheide
Mittellinieninzision 146 Oberschenkelfaszie 161 183
Mittelzone 205 Obstipation 191 Prolapsgrad 73, 121
M. Parkinson 54 − anorektale 51, 64 Prolaps Grad 1 105
M. pubococcygeus (PCM) 19 Obstruktion 92, 200 Prolapskorrektur 189
M. puborectalis 19, 59 Obturatormembran 142 Prolaps, uterovaginaler 24
M. sphinkter ani externus 40 Ödem 197 Propulsionszystozele 72
Stichwortverzeichnis
227 L–T

Proteoglykanen 13 Scheidenabschnitte, senkrechte Sphinkterdefekt (ISD)


Provokationstest 168 26 − intrinsischer 48, 51, 53, 64, 94,
Pubovesikales Ligament 22 Scheidenachse 74 106, 145
Pubozervikale Faszie (PCF) 22, 26 Scheidenfaszie 139 Steuerung
PUL 71 Scheidenhaut, überschüssige 183 − der Miktion, neurologische 38
− defektes 85 Schicht − neurologische 36
− loses 77 − äußere 18, 42 stool-outlet-obstruction 57, 61,
− innere 18, 42 176, 193
− mittlere 18, 42 Stressinkontinenz 51, 52, 64, 75,
Schlafposition 108 106
R Schlinge − gemischte 112
− posteriore 203 − genuine 112
Ramus descendens der A. uterina − retropubische 196 − larvierte 87
49, 174 − suburethrale 145, 151, 196 Stuhldrang, permanenter 57
Ramus inferior ossis pubis 150, Schlingenoperation Stuhlinkontinenz 58, 62, 106, 191
161 − posteriore intravaginale 178 Stuhlkontinenz 56
Rand, superolateraler 196 − spannungsfreie vordere 124 Stuhlschmieren 57
Reflexinkontinenz 112 − suburethrale 200 Substanzen, blutgerinnungs-
Regionalanästhesie 130 Schmerzen 5, 47, 51, 55, 64, 74, hemmende 130
Reize, afferente 97 75, 108, 191, 200 Sulcus
Rektopexie 192 − beim Sex 55 − lateraler 158, 160
Rektovaginale Faszie 24 − im Sakralbereich 55 − paravaginaler 155
Rektozele 57, 74, 168, 176, 184, Schmollmund 106, 144, 145 Symptome 50, 69
185, 187, 190, 192 Schockabsorber 202 − gleiche 202
− hohe 74 Schwangerschaft 47 − neue 202
Rektumperforation 195 Schwebende Pein 24 − persistierende 202
Rektumprolaps 189 Schweinekollagen 142 − postoperativ persistierende
− innerer 176, 191 Schweregrad der Beschwerden 204
Rektumverletzung 195 50 System
Rektumvorderwand 192 Schwerkraft 174 − lissomuskulofibröses 30
Restharn 109, 113, 131, 206 Segelbootanalogie 16 − muskuloelastisches 13, 37, 42
Restharnbildung 87, 152 Senkung 73 − rhabdomuskulofibröses 29
Revision 131 Sex 131
Revison 153 SI 105
Rezidiv 130, 140, 201, 202, 204 − larvierte 76
Rezidivrate 158 Sinus
T
Ring, zervikaler 23, 49, 154, 166, − ischiorektaler 199
173 − venöser 152 Tamponade 131
Rückenschmerzen 178 SI-Operationen, mehrere 205 Tampons 131
Rugae 72, 155 Skelettmuskulatur, hufeisen- Teflon 135
förmige 94 Tethered Vagina 51, 53, 77, 96,
Slow-Leak-Speculum-Zeichen 163, 203, 205
102, 107 Tethered-Vagina-Syndrom 27, 72,
S Slow-twitch-Fasern 29, 48, 51 86, 107, 115, 167
Somatik 128 TFS 163
Sakropexie, infrakokzygeale 178 Spannung des Netzes 140 TFS-Schlinge
Sakrouterinbänder 181 Spatium pararectale 184 − posteriore 182
Schallkopf 84 Spätkomplikationen 132 − vordere 151
228 Stichwortverzeichnis

Tiefertreten des Blasenhalses 85 U-Schlinge 164, 165, 166 − hintere 5, 27, 67, 73
Traktionsenterozele 174, 189 USL, schlaffe 204 − mittlere 5, 26, 67, 71, 153
Traktionsrektozele 174, 189 − posteriore 172, 206
Traktionszystozele 174, 189 − vordere 5, 26, 67, 70
Trampolinanalogie 17 Zugang
Transobturatorielle Zugang (TOT)
V − paraurethraler 148
125 − suprapubischer 148
Trichter 97 Vaginalscan 84 − transobturatorieller 149
Trichterbildung 32, 34, 36, 92, Valsalva-Verschlussdruck 94 Zugangswege 124
106, 204 Verankerungspunkt 173 Zugrichtungen 21
Trigonum 23, 32 − zentraler 48 Zystoskopie 146
Tunnel 146, 148, 150 Verankerungstest, mitturethraler Zystozele 72, 76, 87, 88, 156, 161,
Tunnelerspitze 179 106 163, 203
TVT-Band 87 Verklebungen 200 − hohe 72, 153, 157, 166
Typ-III-Inkontinenz 112 Versager, operative 201 − prolabierende 160
Verschiebeschichten 25, 140 Zystozelenkorrektur 158
Verschluss
− anorektaler 40, 60, 61, 62
U − bei Belastung 34
− in Ruhe 34
Überlaufblase 55 − kontinuierlicher 32
Überstreckung 139 Verschlussdruck 92
Ultraschall 83 Verschlussreflex 115
Ulzerationen 191 Vollhauttransplantat 170
Untersuchung, vaginale 70 Volumenrezeptoren 38
Urethra Vorfall 73, 174
− hypotone 53, 93, 94, 107, Vorlagentest 83
112
− instabile 116
Urethradruck 91
Urethradruckprofil
W
− normales 94
− pathologisches 94 Wäscheleine 155
Urethraeinengung 152 Widerstand, urethraler 91, 92
Urethraöffnung 34 Winkel, anorektaler 40, 41, 57
Urethraverschlussdruck 102 Wundsekret 131
− niedriger 48, 53
Urethrovesikolyse 169, 171
Urge 75, 178
− motorischer 114, 145
Z
− sensorischer 54, 107, 114
Urgeinkontinenz 100, 114 Zelttheorie 192, 193
− gemischte 112 Zervikaler Ring 23
Urgesymptomatik 154, 164 Zervixring 72
Urinverlust beim Stehen 105 Zone
Urodynamik 90 − anteriore 143
− der Miktion 96 − der kritischen Elastizität 26, 52,
− des Verschlusses 96 53, 67, 167

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