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Nachrichten Wirtschaft Staat & Soziales Boris Johnson Brexit: Boris Johnson riskiert das Restvertrauen der EU
Streit um Brexit-Zeche
Brexit
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Seit gut einem Monat ist Boris Johnson jetzt Premierminister Großbritanniens -
doch auf eine inhaltlich neue Initiative in den festgefahrenen Brexit-Verhandlungen
warten die anderen EU-Staaten bis heute. Stattdessen droht Johnson seinen
Gesprächspartnern auf dem Kontinent nun erneut damit, die finanziellen
Verpflichtungen Großbritanniens nach dem EU-Austritt nicht zu erfüllen.
Sollte es zu einem Brexit ohne Vertrag kommen, müsse sein Land die volle Summe
von 39 Milliarden Pfund (43 Milliarden Euro) nicht mehr zahlen, sagte Johnson dem
Sender Sky News am Rande des G7-Gipfels in Biarritz. Er könne dann am 1.
November, dem Tag nach dem geplanten EU-Austritt, große Teile der Summe etwa
für die Unterstützung britischer Bauern ausgeben.
Hinter den Kulissen werden EU-Beamte noch deutlicher. "Solange es keine Einigung
über die Austrittsrechnung gibt, gibt es kein Handelsabkommen", sagt ein
ranghoher Diplomat. Deshalb müsste Johnson auch nach einem No-Deal-Brexit
wieder mit der EU über die Austrittsrechnung reden: "Das Thema geht nicht weg."
Hintergrund ist, dass die EU auch nach einem No-Deal-Brexit der mit Abstand
wichtigste Handelspartner Großbritanniens wäre. Damit bliebe die britische
Regierung dringend darauf angewiesen, so schnell wie möglich einen
Handelsvertrag mit der EU abzuschließen - schon um die potenziell verheerenden
Wirkungen von Zöllen und anderen Handelshürden für die eigene Wirtschaft zu
reduzieren.
Johnsons Behauptung, im Fall eines No-Deal-Brexits nicht mehr zur Zahlung der
Rechnung verpflichtet zu sein, bestreitet man in Brüssel. London müsse seine
Verpflichtungen aus der EU-Mitgliedschaft selbstverständlich auch nach deren
Ende bedienen, sagen Diplomaten - das gebiete schon das Völkerrecht.
Brexit-Verhandlungen
Backstop - was ist das, wann kommt das, warum ist das so
verdammt kompliziert?
Zudem ist die genaue Höhe der Austrittsrechnung noch nicht klar. Die EU und die
britische Regierung haben sich Ende 2017 lediglich auf eine komplizierte Methodik
zur Bestimmung der Summe geeinigt. Der britische Rechnungshof OBR kam später
auf rund 38 Milliarden Pfund. Sie setzen sich in erster Linie aus drei Posten
zusammen:
Allerdings hatten sich die 38 Milliarden Pfund auf die Annahme bezogen, dass
Großbritannien wie ursprünglich geplant am 31. März 2019 die EU verlässt. Da es
aber immer noch Mitglied ist und weiterhin Beiträge zahlt, sinkt die
Austrittsrechnung. Sollte Großbritannien am 31. Oktober aus der EU ausscheiden,
müsste es laut einer neuen Berechnung des OBR von Mitte Juli nur noch rund 32,8
Milliarden Pfund zahlen - sechs Milliarden weniger, als Johnson behauptet.
Dem Premier aber schwebt offenbar eine weit stärkere Kürzung vor. Laut Sky News
will er im Fall eines No-Deal-Brexits nur neun Milliarden Pfund nach Brüssel
überweisen. Die "Sunday Times" berichtet gar, ein Anwalt der Regierung gehe von Anmelden
einer Zahlungsverpflichtung von nur sieben Milliarden Pfund aus.
Der Schaden, den Johnson mit einer Umsetzung seiner Drohung anrichten würde,
könnte dagegen immens sein. Sollte sich etwa ein umfassendes
Handelsabkommen mit der EU dadurch auch nur verzögern, würden sich die
Verluste für den britischen Staat vermutlich binnen kurzer Zeit auf ein Vielfaches
der eingesparten 25 Milliarden Pfund summieren. "Johnsons Drohung bereitet
deshalb niemandem schlaflose Nächte", spottet ein EU-Diplomat.
Das aber wirft die Frage auf: Was bezweckt Johnson mit seinen wiederholten
Drohungen, die Brexit-Rechnung platzen zu lassen? In Brüssel gibt es dazu lediglich
Spekulationen: Er markiere aus innenpolitischen Gründen den starken Mann, lautet
eine Theorie. Eine andere besagt, dass Johnson gar nicht mehr an einem
Austrittsabkommen interessiert ist, sondern gezielt einen No-Deal-Brexit ansteuert
- und der Streit um die Austrittsrechnung bereits Teil der Strategie ist, der EU die
Schuld für das Scheitern in die Schuhe zu schieben.
Dazu passt nicht nur die Tatsache, dass Johnson der EU bis heute noch keinen
neuen inhaltlichen Vorschlag zur Lösung des Brexit-Dilemmas unterbreitet hat. Auch
beim G7-Gipfel wies er erneut der EU die Verantwortung für ein Zustandekommen
eines Brexit-Vertrags zu. Die britische Pro-Brexit-Presse - allen voran Johnsons
Hausblatt, der "Telegraph" - strickt derweil seit Wochen fleißig am Mythos,
Großbritannien drohe, zum Opfer des EU-Starrsinns zu werden.
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