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Vektorräume
Zusammenfassung:
Motiviert durch den anschaulich geometrischen Begriff des Vektors definieren wir axiomatisch
die algebraische Struktur ``Vektorraum''. Beispiele von Vektorräumen treten nicht nur in der
Geometrie, sondern in zahlreichen anderen Zusammenhängen auf. Wir beschreiben einige
dieser Beispiele und führen den Begriff des Unterraums ein.
In Kapitel 4 hatten wir uns schon mit einigen wichtigen algebraischen Strukturen wie (Halb-)Gruppen, Ringen und
Körpern befasst. Wir widmen uns jetzt einem weiteren Teilgebiet der Algebra, nämlich der linearen Algebra. Zentral
für die lineare Algebra ist der Begriff des Vektorraums, der - wie der Gruppen-, Ring- oder Körperbegriff auch -
durch Axiome definiert wird. Zur Vorbereitung dieser abstrakten Definition gehen wir zunächst kurz auf den
geometrisch anschaulichen Begriff des Vektors in der Ebene oder im Raum ein.
Vektoren sind Ihnen wahrscheinlich aus der Schule bekannt als Objekte, die durch Richtung und Länge beschrieben
werden, bildlich veranschaulicht durch Pfeile. Begegnet sind Ihnen Vektoren außer in der Geometrie vor allem in der
Physik, wo z.B. Kraft, elektrische Feldstärke, Geschwindigkeit und Beschleunigung durch Vektoren beschrieben
werden.
Man kann zwei Sichtweisen dieses anschaulichen Vektorbegriffs unterscheiden: Wenn Vektoren nur durch ihre
Richtung und Länge bestimmt sind, haben sie keine festgelegte Position in der Ebene oder im Raum, sondern
können an jedem Punkt angesetzt werden. Damit beschreibt ein solcher ``freier'' Vektor eine Verschiebung jedes
Punktes, nämlich gerade um die Länge und in die Richtung des Vektors. Andererseits ist in der Geometrie häufig
auch von ``Ortsvektoren'' die Rede, die an einen festen Ursprungspunkt ``angeheftet'' sind. Damit wird jeder Punkt in
der Ebene bzw. im Raum genau durch einen Ortsvektor beschrieben, nämlich denjenigen, dessen Pfeil in diesem
Punkt endet. Eine Verbindung und begriffliche Präzisierung dieser beiden Vorstellungen von Vektoren geschieht in
der affinen Geometrie, die wir in Kapitel 12 behandeln werden.
Betrachten wir im Folgenden zunächst die Ortsvektoren in der Ebene, die wir jetzt einfach Vektoren nennen. Diese
lassen sich addieren nach der bekannten Parallelogrammregel.
Durch einfache geometrische Überlegungen macht man sich klar, dass die Menge der Vektoren mit dieser Addition
eine kommutative Gruppe ist. Das neutrale Element ist der sog. Nullvektor (der Länge 0), der den Ursprungspunkt
bestimmt. Der inverse Vektor zu hat dieselbe Länge, aber entgegengesetzte Richtung wie .
Außerdem kann man Vektoren mit reellen Zahlen, den Skalaren, multiplizieren. Ist und ein Vektor, so
bezeichnet denjenigen Vektor, der aus durch Streckung bzw. Stauchung ( ``Skalierung'') um den Faktor
entsteht, wobei die Richtungen von und im Fall übereinstimmen und im Fall entgegengesetzt
sind. Man prüft leicht die folgenden Eigenschaften dieser Multiplikation mit Skalaren nach:
Wenn wir in der Ebene ein (rechtwinkliges) Koordinatensystem festlegen, dessen Nullpunkt mit dem Ursprungspunkt
der von uns betrachteten Ortsvektoren übereinstimmt, so lässt sich jeder Punkt durch sein Koordinatenpaar
beschreiben. Bestimmt der Vektor den Punkt mit den Koordinaten und den Punkt mit den Koordinaten
, so bestimmt den Punkt mit den Koordinaten und den Punkt mit den
Koordinaten . Jedem Ortsvektor ist also eindeutig ein Koordinatenpaar zugeordnet, und diese
Die hier dargestellten Eigenschaften der Addition von Vektoren der Anschauungsebene (oder des Raums) und der
Multiplikation mit Skalaren werden nun als Axiome zur Definition des Vektorraumbegriffs verwendet. Dabei ist die
ursprüngliche geometrische Sichtweise eine wichtige Motivation für diese Definition (und sie wird später zur
Veranschaulichung von Aussagen in Vektorräumen auch immer wieder herangezogen werden), der abstrakte Begriff
des Vektorraums ist aber völlig unabhängig von geometrischen Interpretationen. Tatsächlich gibt es viele Beispiele
von Vektorräumen, die keinen Bezug zur Geometrie haben. Es ist hier genauso wie bei den schon eingeführten
algebraischen Begriffen aus Kapitel 4: Auch wenn wir uns z. B. bei der Einführung der Ringaxiome von Eigenschaften
der ganzen Zahlen leiten ließen, gibt es viele weitere Beispiele von Ringen, z.B. Polynomringe oder Boolesche Ringe,
die nichts mit zu tun haben.
Bei der Definition des Vektorraums lösen wir uns auch davon, dass Skalare reelle Zahlen sind, sondern lassen
beliebige Körper als Skalarbereiche zu. Neben und spielen gerade in der Informatik Vektorräume über
endlichen Körpern, insbesondere über dem Körper , eine wichtige Rolle. Bei dieser allgemeinen
Vektorraumdefinition ist es dann nicht mehr möglich, von der Länge oder Richtung eines Vektors zu sprechen. Für
Vektorräume über oder werden wir in Abschnitt 9.3 einen Längen- und Winkelbegriff einführen.
(1)
ist eine kommutative Gruppe.
(2)
Für alle gilt
(2a)
(2b)
(2c)
(2d)
.
Die Elemente eines Vektorraums werden Vektoren genannt, auch wenn sie nicht die zu Beginn des Kapitels
beschriebene geometrische Bedeutung haben. Das Nullelement von wird Nullvektor genannt und mit
bezeichnet. Oft spricht man auch nur von ``Vektorraum'', wenn es unerheblich ist, welcher Körper als Skalarbereich
fungiert oder wenn der Körper aus dem Zusammenhang klar ist.
Die Vektorraumdefinition weist einen wesentlichen Unterschied zu den in Kapitel 4 betrachteten Definitionen
algebraischer Strukturen auf. Bei (Halb-)Gruppen oder Ringen kommen nur Verknüpfungen von Elementen der zu
Grunde liegenden Mengen vor. Bei Vektorräumen ist dies für die Addition auch der Fall, die Multiplikation mit
Skalaren stellt aber eine Verknüpfung von ``externen'' Objekten, nämlich den Körperelementen, mit ``internen''
Objekten, den Vektoren, dar, wobei als Ergebnis wieder Vektoren entstehen. Man sagt auch, dass der Körper auf
dem Vektorraum ``operiert''. Diese Multiplikation von Körperelementen mit Vektoren ist streng zu unterscheiden von
der Multiplikation im Körper, ebenso wie die Addition von Vektoren von der Addition im Körper zu unterscheiden ist
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(obwohl wir die gleichen Verknüpfungssymbole verwenden) . So steht in (2a) von Definition 9.1 das ``+'' auf der
linken Seite für die Addition in , während es auf der rechten Seite die Addition in bezeichnet. In (2c) ist auf
der linken Seite in der Klammer die Multiplikation in gemeint; alle übrigen Multiplikationen in dieser Gleichung sind
Multiplikationen von Skalaren mit Vektoren.
Vereinbarung: Wir bezeichnen sowohl Skalare als auch Vektoren mit kleinen lateinischen Buchstaben. Aus dem
Kontext wird immer klar sein, was gemeint ist, zumal wir in der Regel für Skalare Buchstaben aus der ersten Hälfte
und für Vektoren Buchstaben aus der zweiten Hälfte des Alphabets verwenden.
Beispiele:
1. Das einfachste (und uninteressanteste) Beispiel eines Vektorraums ist der Nullraum. Er
besteht nur aus dem Nullvektor.
2. Die Menge der Ortsvektoren zu einem festgelegten Ursprungspunkt in der
Anschauungsebene (oder im Raum) bildet einen Vektorraum über . Dies war gerade
das Beispiel, mit dem wir auf die Vektorraumdefinition zugesteuert sind.
für definiert. Dann ist ein Vektorraum über , der Vektorraum der
Spaltenvektoren über .
hatten wir schon in Satz 4.25 mit der oben angegebenen Addition als Beispiel einer
kommutativen Gruppe betrachtet, wobei die Elemente dort nicht als Spalten, sondern als
Zeilen ( -Tupel) geschrieben wurden. Für die lineare Algebra ist die
Spaltenschreibweise adäquater, wie wir in den folgenden Kapiteln über lineare
Abbildungen und lineare Gleichungssysteme sehen werden. Aus drucktechnischen
``transponiert'' steht.
4. Sei eine beliebige Menge und ein -Vektorraum. Dann ist , die Menge
aller Funktionen von nach , mit der punktweise definierten Addition
nach Satz 4.28 eine kommutative Gruppe. Wir setzen
auffassen. Die Addition ist in schon definiert; die Multiplikation mit Skalaren
7. Sei ein Teilkörper des Körpers (vgl. Aufgabe 4, Seite ). Dann kann man als
Vektorraum über auffassen. Die Addition ist in schon definiert, die Multiplikation von
Elementen aus (den Skalaren) mit Elementen aus (den Vektoren) ist die
Multiplikation im Körper . Insbesondere ist ein -Vektorraum; dies entspricht
gerade Beispiel 3 mit .
8. Seien Vektorräume über demselben Körper . Dann ist das kartesische
Produkt mit komponentenweiser Addition eine kommutative Gruppe (siehe
Satz 4.25). Setzt man noch für und , so
erhält man einen -Vektorraum, das direkte Produkt oder die (äußere) direkte
Summe der . Sind alle , so ist dies gerade - abgesehen von der Zeilen- statt
Spaltenschreibweise - der Raum aus Beispiel 3.
Bemerkung:Eine objektorientierte Implementierung des Datentyps ``Vektor'' finden Sie in [21, Kap. 7, Bsp. 7.5.8].
Als Operationen sind dort die Vektor-Addition und das Skalarprodukt (siehe Definition 9.26) ausgeführt.
Aufgabe: Implementieren Sie bitte weitere Operationen wie z. B. die Muldiplikation eines Vektors mit einem Skalar
und den Vergleich zweier Vektoren (für ).
Wir vermerken einige einfache Folgerungen aus den Vektorraumaxiomen, die im Folgenden häufig verwendet
werden.
Lemma 9.2
Bemerkung:Ein Vektorraum über , Primzahl, ist nichts anderes als eine additiv geschriebene kommutative
Gruppe, in der für alle gilt. Dies liegt daran, dass nur aus dem
verwendet. Die Skalarmultiplikation lässt sich also durch die Addition ausdrücken und es ist
nach Lemma 9.2.
Beispiele:
a)
Sei . Dann ist bezüglich der aus geerbten
Addition und Multiplikation mit Skalaren selbst ein Vektorraum: Für , also
, ist und für ist
Aufgabe: Zeigen Sie bitte, dass in Beispiel b) oben die von in aufgespannte
Geraden und Ebenen durch den Nullpunkt wie im obigen Beispiel geben zu folgender Verallgemeinerung Anlass.
a)
Seien und . Dann nennt man die Summe
Linearkombination von .
b)
Eine nicht-leere Teilmenge des Vektorraums heißt Untervektorraum oder linearer
Teilraum von , wenn mit auch jede Linearkombination in
liegt.
Beispiele:
1. Sei . Dann kann man die Unterräume von gerade als lineare Codes (der
Länge ) auffassen (vgl. Abschnitt 4.4.1 und Bemerkung Seite ). Zum Beispiel ist
2. In Beispiel 5, Seite ist ein Unterraum von und der Vektorraum der
Aufgaben:
b)
c)
d)
2. Sei (mod
(mod .
Für welche ist ein Unterraum von , für welche ist ein Unterraum von
?
a)
ist ein Unterraum von .
b)
ist ein Unterraum von . heißt die
Summe von und .
Beweis: Teil a) folgt unmittelbar aus der Definition. Wir zeigen b). Sind und ,
so ist , da
Satz 9.6 Sei ein -Vektorraum, Unterräume von . Dann sind äquivalent:
a) .
b) Jeder Vektor hat eine eindeutige Darstellung mit .
Beweis: a) b): Wegen lässt sich jedes als Summe eines Vektors in und eines
bewiesen.
b) a) : Klar ist, dass . Sei . Dann ist . Aus der
und Unterräume von ( ist eine Gerade und eine Ebene durch den Nullpunkt). Ist
Ist , so ist , d. h.
. Also ist .
Bemerkungen:
a)
Zeigen Sie bitte, dass und Unterräume von sind und dass .
b)
Bestimmen Sie und zeigen Sie, dass nicht die direkte Summe von und
ist.
c)
Bestimmen Sie einen Unterraum von , so dass .
Wie bei (Halb-)Gruppen und Ringen werden wir jetzt auch für Vektorräume das Erzeugnis von Teilmengen definieren:
a)
Der von erzeugte oder aufgespannte Unterraum ist die Menge aller
Linearkombinationen, die man mit Elementen aus bilden kann:
.
b) Der Index `` '' an der Erzeugnisklammer soll ausdrücken, dass wir nicht nur die von erzeugte kommutative
Gruppe betrachten (vgl. Satz 4.12), sondern den von erzeugten -Vektorraum. Wenn keine Verwechslungen
zu befürchten sind, schreibt man auch statt .
c) Analog zu den entsprechenden Aussagen für Gruppen und Ringe gilt auch hier, dass ein Unterraum von
ist, und zwar der eindeutig bestimmte kleinste Unterraum von , der enthält.
d) Sind Unterräume von , so ist .
Aufgaben:
Beispiele:
. Dann ist .
Bemerkung:In Kapitel 4 hatten wir bei (Halb-)Gruppen und Ringen neben den Unterstrukturen auch Faktorstrukturen
betrachtet. Entsprechend kann man auch bei Vektorräumen Faktorräume definieren. Der Faktorraum zu einem
Unterraum von besteht dann gerade aus den Nebenklassen ; die Addition ist wie bei
. Diese beiden Operationen sind wohldefiniert und damit wird die Menge der
zu . (Den Isomorphiebegriff von Vektorräumen werden wir zwar erst später einführen, seine Bedeutung ist
aber wie bei den algebraischen Strukturen aus Kapitel 4 die, dass sich isomorphe Vektorräume algebraisch nicht
unterscheiden.) Man kann daher in der Regel Rechnungen in Faktorräumen durch Rechnungen in Unterräumen
ersetzen.
Beispiel: Obwohl wir Faktorräume nicht näher behandeln werden, lohnt es sich, die Bedeutung der Nebenklassen
eines Unterraums geometrisch zu interpretieren.
Wir wählen dazu der Einfachheit halber den Vektorraum der Ortsvektoren mit festgelegtem Ursprungspunkt in der
Ebene und einen Vektor . Der von aufgespannte Unterraum beschreibt eine Gerade
durch den Ursprungspunkt. Ist , so besteht die Nebenklasse aus allen Vektoren .
Sie beschreiben eine zu parallele Gerade, die durch den von bestimmten Punkt verläuft.
Beachten Sie: ist zwar auch eine Gerade, aber kein Unterraum von . Unter allen Geraden sind nur
diejenigen durch den Ursprungspunkt Unterräume. Erst im Rahmen der affinen Geometrie (vgl. Kapitel 12) werden
alle Geraden zu ``gleichwertigen'' Objekten.
Wiederholung
Begriffe: Vektor, Vektorraum, , Untervektorraum, Summe von Unterräumen, direkte Summe, Komplement,
Linearkombination, erzeugter Unterraum.
Satz: Charakterisierung direkter Summen.