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18. Februar
2020
So war das damals, im Mittelalter mit den Geißlern – hier in einem Bericht aus Speyer.
Geißler, das waren jene Flagellanten, die sich öffentlich selbst quälten, auf dass ihre
Sünden vergeben würden und sie das ewige Leben erreichen sollten. Der moderne
Geißler von heute sitzt im gemütlichen TV-Studio und sinniert: Ja, das Leben ist so
schlecht fürs Klima! Er schlägt vor, dass andere sich quälen, damit alle das Himmelreich
erreichen, das heute Klimaneutralität heißt und ebenso unerreichbar bleibt.
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Waren in früheren Zeiten die Leute froh, mit dem Ausbau des Stromnetzes eine
preiswerte und allzeit verfügbare Energiequelle zu haben, kann es heute den Allzusatten
nicht schnell genug gehen, sie wieder abzuschalten. »Wer schafft es schneller?« Nur
darum gehe es, sagt Marie-Luise Wolff. Die hat Anglistik und Musikwissenschaft studiert
und ist Präsidentin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW),
dazu noch Vorstandsvorsitzende der ENTEGA AG in Darmstadt. Beide Institutionen sind
von grünem Geißlertum beseelt.
In Darmstadt hat einst als große Errungenschaft gegolten, dass Bürger die
Energieversorgung der Stadt aus eigenem Antrieb aufgebaut haben. Heute soll sie so
schnell wie möglich in Wind- und Solarenergie umgebaut werden, wobei Gaskraftwerke
die Arbeit übernehmen, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Man
kann es auch als geniale Geschäftsidee sehen: Der Umbau lohnt für die Energieversorger,
weil der Kunde gezwungen wird, dafür zu zahlen, was er sonst preiswert haben könnte.
Die Geißlerei der Anderen als Geschäftsmodell – man könnte es einen neuen Höhepunkt
des Kapitalismus nennen.
Wer schafft es noch schneller als Deutschland, seine Kraftwerke abzuschalten und damit
die Lieferanten von billiger und immer verfügbarer elektrischer Energie zu kippen?
Das war die Frage bei Plasbergs »Hart aber fair«: »So klimaschädlich ist unser Alltag«. Wie
weit diese Sendung uns dem Weltuntergang näher gebracht, wurde nicht erörtert. Der
Stromverbrauch allein des Studios war enorm, die CO2-Rechnung Deutschlands
aufgrund der Anreise aller Gäste, von denen keiner mit dem Fahrrad gekommen ist, warf
»uns« noch weiter im internationalen Ranking zurück. Die Geißlerei gilt für Andere. Das
macht es bequem. Aber nicht schöner. Das Miserere, Gloria Patri, das De profundis und
Requiem aeternam, der Introitus der Requiem-Liturgie werden heute durch verordnete
Scham für Fleischkonsum, Flugreisen und CO2-Ausstoß ersetzt.
Die neue Verbotskultur ist ästhetisch ein Rückschritt. Denn statt dreier meditativer
Bittgebete für die Mitglieder des jeweiligen Ordens werden die CO2-Ausstoßraten von
Kühen, Schweinen und Menschen heruntergebetet. »Unser Leben ist schlecht fürs
Klima!« Der Klimagott beginnt seine Kinder zu richten. Ökologischer Fußabdruck,
persönliche Klimabilanz – das sind die Leidensworte der heutigen Treibhausgas-Jünger
und die Frage, »wieviel CO2 stosse ich heute aus, o Herr« ist die Tageslosung.
Während im Mittelalter wenigstens der Prior die Geißelung zum gegebenen Zeitpunkt
durch Händeklatschen beendete, setzte in Plasbergs Studio der Klima-Abt Mojib Latif,
Kieler Klimaforscher, noch eins drauf: »Sieben Prozent des Treibhausgases macht die
Landwirtschaft.« Lasset ab, esst die Hälfte und tuet Buße. Auch grundlegende
Lebenserscheinungen werden verdammt. Und es ist wahrlich keiner da, der wenigstens
den Hauch von Einhalt gebietet und den Versuch einer Erdung wagt.
Ratlose Gesichter läßt ein Professor zur Frage, was man persönlich tun könne, zurück.
Michael Braungart ist Chemiker und Professor an der Leuphana Universität Lüneburg. Er
ist ein in Ehren ergrauter Uralt-Grüner, die Gattin war einst Greenpeace-Vorsitzende und
Umweltministerin in Niedersachsen; er hat seine Haut in jede Demo den Wasserwerfern
zugewandt. Er hat sich nachweisbar selbst gegeißelt und ist kritisch – bis zuletzt, findet
selbst Greta übertrieben und falsch. Deren Gejammer sei nach 1945 im Kriegschaos
angemessen gewesen, aber nicht heute. Radikal denkt er daher einen Umbau der
Wirtschaft, der nun wirklich alles auf den Kopf stellt.
»Es lohnt sich derzeit noch, billigere Materialien zu verwenden«, schimpft er auf die
Hersteller jeglicher Produkte und die Kunden auf der Jagd nach dem Schnäppchen. Seine
Lösung: Dienstleistungen zu kaufen statt Produkte, die Dienstleistungen erbringen.
Waschmaschinen solle man nicht mehr kaufen, sondern nur die Dienstleistung »saubere
Wäsche« erwerben. Der Hersteller stellt dann die Waschmaschine dem Kunden in den
Keller und holt sie nach beispielsweise 3.000 mal Waschen wieder ab. Das sei vom
Grundgedanken umweltfreundlicher, weil dann nicht mehr so viele gefährliche Stoffe in
der Waschmaschine verbaut würden und ihre Haltbarkeit schon im Interesse der
Hersteller verlängert. Von der Wiege bis zur Bahre würden dadurch geschlossene
Stoffkreisläufe erzeugt, die Ressourcen sparen: Der Teppichboden wird nicht mehr
gekauft, sondern geleast, und vom Hersteller ausgetauscht, wenn er abgetreten ist: Aus
dem alten entsteht ein neuer.
Das war denn doch ein wenig viel auf einmal. »Sie haben uns Denkaufgaben
mitgegeben!« stöhnt Plasberg. Denn Braungart geißelt sich sichtbar selbst.
Da ist es schon besser, wenn die Anderen weniger Fleisch essen. Das Rind produziere
nun mal CO2 und sei somit schlecht fürs Klima. Dass allein das Rind mit seinem
speziellen Verdauungssystem in der Lage ist, auch noch jene Landschaften abzuweiden,
auf denen aus klimatischen und geologischen Gründen kein Getreide angebaut werden
kann – das kommt niemandem in den Sinn. Auch Landwirtschaft ist das, was andere
erledigen. Neuerdings.
Vor 120 Jahren hat ein Bauer nur vier Menschen ernähren können, heute 140 bis 150.
Erst die technische Entwicklung der Landwirtschaft und die freie Verfügbarkeit
preiswerter Energie befreite den Menschen von Nahrungsmangel, mühseliger Arbeit und
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schuf jene freie Zeit, in der heute in Studiorunden über Überfluss und eigene
Überflüssigkeit geplaudert werden kann.
Angesichts solcher Geißler-Vorschläge für Andere aus dem warmen Studio fragte
Plasberg erschrocken, ob denn nicht der gegenteilige Effekt eintreten und das Publikum
antworten könnte: »Wisst ihr was: Ihr könnt mich mal! Ich geissle nicht!«
Worauf Palmer nur einfiel, man müsse »das System verändern!« Lambsdorff verfiel
spontan auf den wagemutigen Satz: »Deutschland hat die erneuerbaren Energien
bezahlbar gemacht. Deswegen funktioniert das weltweit.« Immerhin schob Plasberg
daraufhin die unvermeidliche Frage nach dem höchsten Strompreis nach, den
Deutschland hat: »Was kann daran vorbildlich sein?« Aber Lambsdorff gehört ja zu
denen, bei denen das Gürtel-enger-Schnallen seit jeher zum Parteiprogramm gehört,
solange es um Gürtel der Anderen geht. Oder heute: Ein Graf Lambsdorff geißelt nicht
selbst, er läßt geißeln.
Palmer fügte ehrlich an, dass wir uns »abschminken« müssten, unsere Autos so schnell
mit Energie vollzutanken wie bisher. Die bisherige freie Mobilität ist dann halt nicht
mehr. So viel Geißlertum muss sein, um die Welt vor dem Zorn des Klimagottes zu
retten. Aber für einige wenige gibt es ja weiterhin Dienstautos.
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