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Die Brustkrebsepidemie

Last modified by Elisabeth Rieping 12.09.2006

Stichworte: Sozialstatus, Lifestyle, Stillen, Säuglingsnahrung, Menarche, Ernährung, Nahrungsmittelaufnahme, Überernährung, Lernverhalten,
Längenwachstum, Übergewicht, Muttermilchernährung, Brustkrebs, Breast Cancer, Breast Feeding

Forum
Zur Eröffnung des Welt-Aids-Kongress wird heute beklagt, dass sehr viel geforscht wird, Stillen und
um neue Medikamente zur Behandlung zu entwickeln und wenig, um Ansteckung zu Muttermilchernährung von
verhindern. Bei Aids fällt es auf. Bei Brustkrebs hat man den Gedanken an Vorbeugung der Bundeszentrale für
[Vermeidung] fast aufgegeben. Gesundheitliche Aufklärung

Dabei haben wir zwei bedeutende Arten von Brustkrebs, den erblichen und den
epidemischen. Wenn wir uns den epidemischen Brustkrebs ansehen und fragen, wann die
Epidemie ausgebrochen ist, kommen wir für Europa auf den Beginn des letzten
Jahrhunderts. Bei den Frauen und Mädchen, die nach 1870 geboren worden waren, nahm
die Krankheit stark zu, während die vorhergehenden Geburtsjahrgänge noch wenig
betroffen waren. Das Phänomen nannte man Clemmensen’s Hook. Und man konnte es
damals nicht erklären.

So wurde Brustkrebs, den es in Europa schon immer gegeben hatte, zu einer häufigen,
meist nach den Wechseljahren beginnenden Krankheit, wenn auch nicht bei allen Frauen.
Gebildete Frauen, Töchter reicher Eltern, waren als Erste verstärkt betroffen. In der
großen Masse der Bevölkerung war die Krankheit noch selten.

Man suchte nach Ursachen für diese schreckliche Entwicklung und es fiel auf, dass viele
dieser Frauen, anders als die Mehrheit der damaligen Bevölkerung, nicht stillte. Das war
an und für sich nicht verwunderlich, denn viele der gebildeteren Frauen heirateten später,
sonst hätten sie ihre Ausbildung nicht beenden können, und dann bekamen sie auch
weniger oder keine Kinder. Viele Frauen in gehobenen Berufen heirateten auch gar nicht,
blieben kinderlos, und auch sie stillten selbstverständlich nicht. Konnte das der Grund für

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Brustkrebs sein?

Der Verdacht lag nahe und in der Tat würde man heute bei einem so starken Eingriff in
die ökologische Situation des Säuglings mit Recht vielfältige Befürchtungen hegen und
zwar für den Säugling. Dass auch Frauen durch das eigene Nichtstillen betroffen sein
könnten, überraschte.

Aber der Verdacht war erst einmal nicht von der Hand zu weisen, denn die erkrankten
Frauen hatten insgesamt tatsächlich selten gestillt. Trotzdem verwirrte er, denn dass der
Nichtgebrauch eines Organs zu Krebs führen sollte, war nicht leicht zu erklären.
Allerdings erinnerte die Beobachtung an eine schon viel ältere Untersuchung an Nonnen,
in der man eine viel häufigere Erkrankung bei dieser ebenfalls nicht stillenden
Bevölkerungsgruppe gefunden hatte. Man begann, mehr Daten über die betroffenen
Frauen in vielen Ländern zu sammeln und fand eine sehr merkwürdige Eigenschaft der
betroffenen Frauen, die sie typischer Weise betraf, und zwar sozusagen bevor Stillen oder
Nichtstillen überhaupt in Frage kam.

Menarche Und zwar hatten Frauen, die viele Jahrzehnte später Brustkrebs bekamen, die Menarche, Entstehung des
also die erste Monatsblutung, Jahre früher als andere Frauen. Mit dieser überraschenden, Epidemischen Brustkrebs
aber damals immer wieder bestätigten Information konnte man nicht wirklich etwas
anfangen.

Wenn die Frau eine frühe Menarche hatte, spielte ihre spätere Entscheidung für oder
gegen Stillen keine Rolle mehr, soweit man von einer Entscheidung sprechen konnte.
Denn viele bekamen ja gar keine Kinder. Wieso nicht? Wieso hatten die Frauen mit
früherer Menarche ein anderes Verhalten in Bezug auf Heiraten und Kinder und auch
beim Stillen?

Leider sah man sich die Frauen nicht an, sondern lieber ihre Hormone. Man nahm die
frühe Menarche als Tatsache und suchte in den frühen hormonellen Veränderungen nach
Gründen für die Erkrankungen. Dabei ist bis heute nicht viel herausgekommen, obwohl
es mit Sicherheit hormonelle Einflüsse auf Brustkrebs gibt.

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Wenn man sich die Frauen leibhaftig angesehen oder genauer betrachtet hätte, welche
Frauen früh ihre Menarche erfuhren, wäre man vermutlich weiter gekommen. Die
Menarche ist nämlich kein zufälliges Ereignis. Ein Mädchen braucht ein Mindestgewicht,
um sie zu erreichen. Je mehr es isst, desto früher erreicht es dieses Gewicht und wird
damit sozusagen geschlechtsreif.

Das ist ja auch nicht verwunderlich. In der Stammesgeschichte des Menschen war
Nahrung knapp und nur wenn genug vorhanden war, konnte man sich fortpflanzen. Bei
Nahrungsmangel und bei Hungerzuständen wie sie in Kriegszeiten oder unter anderen
schwierigen Umständen vorkommen, setzt die Periode aus. Sie ist gewichtsabhängig und
bei Menschen mit großer Nahrungsaufnahme setzt die erste Periode, die Menarche, früher
ein.

Diejenigen Mädchen mit hoher Nahrungszufuhr erreichen die Menarche also früh.
Warum aber sollten diese Frauen, die schon als Kinder viel gegessen hatten, Brustkrebs
bekommen?

Phasengebundenes Lernen Das ist eine wichtige Frage und sie berührt eines der zentralen Probleme unserer
des Essverhaltens Gesellschaft, das Übergewicht, das sehr heute sehr viele Menschen, ob mit Brustkrebs
oder ohne, sehr stark beschäftigt und von vielen nur schwer oder gar nicht in den Griff zu
bekommen ist.

Wie kommt das?

Wie wir heute wissen, ist das Lernen oft an Phasen der Aufnahmefähigkeit gebunden.
Sehr bekannt ist, dass man Sprachen als Kind sehr leicht lernt. Mit zunehmendem Alter
wird es immer schwerer und nur selten und mit viel Mühe lernt man als Erwachsener
noch akzentfrei und grammatisch richtig eine neue Sprache sprechen und verstehen.

Was beim Sprechen allgemein bekannt ist, gilt auch für das Erlernen anderer Fähigkeiten.

In Bezug auf das Essen machte das Ehepaar Jelliffe [Ernährungsexperten aus Los
Angeles, USA] machten schon früh auf den Zusammenhang zwischen Flaschen- und

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Überernährung aufmerksam. Die Jelliffes beobachteten in erster Linie die verheerenden
Auswirkungen der Flaschenernahrung in armen Ländern. Dort sind die finanziellen und
hygienischen Möglichkeiten der Mütter oft so knapp, dass flaschenernährte Säuglinge
Infektionen und zu wenig zu essen bekommen.

Aber es fiel ihnen auch auf, dass in den reichen Ländern etwas weniger Schlimmes, aber
langfristig gesehen auch sehr problematisches geschieht. Die Säuglinge lernen, zuviel
Nahrung aufzunehmen.

Die angegebenen "richtigen" Mengen auf den Packungen sind oft sehr hoch. Ob dass so
ist, weil die Firmen gerne viel Pulver verkaufen wollen oder weil der Traum der Mütter
früher oft ein möglichst schnell wachsendes, "gut" genährtes Baby war, ist schwer zu
sagen. Man muss vermuten, dass die Menschen, die in der Vergangenheit immer von
Nahrungsmangel bedroht gewesen waren, wahrscheinlich einen unbewusst immer noch
vorhandenen Traum verwirklichen wollten: viel zu essen.

Und das Gute und Beste, wer möchte das nicht für seine Kinder. Oft halten die Mütter die
Gewichtszunahme auch für ein Zeichen guten Gedeihens. Jedenfalls beobachteten die
Jelliffes, und bald auch andere Kinderärzte, dass die Flaschenkinder schneller Gewicht
zulegten und wuchsen. Während das Brustkind nicht gezwungen werden kann, mehr zu
essen als es möchte, denn nicht die Mutter, sondern das Kind entscheidet, wann es genug
hat, bestimmt bei den Flaschenernährung die Mutter, wie viel sie ihrem Kind geben will.

Das Kind kann sich durch Abwenden und Spucken wehren. Aber solange die Mutter die
Flasche gibt, ist sie in einer mächtigen Position. Sie kann die Flasche ziemlich steil
halten, so dass das Kind nicht saugen, sondern nur noch schlucken kann. Oft hat sie eine
bestimmte, vom Kinderarzt oder auf der Nährmittelpackung angegebene Menge
zubereitet und will die Reste nicht wegschmeißen.

Auf jeden Fall ist es für den Säugling wesentlich schwieriger geworden, zu lernen, wann
er satt ist, und mit dem Essen aufhören kann. Er lernt im Gegenteil, auch ohne Hunger
weiter zu essen und wie man dann an den weitgehend erfolglosen Kampf vieler
Erwachsener gegen das ernährungsbedingte Übergewicht sehen kann, ist es kaum

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möglich, diesen Lernerfolg später zu korrigieren. Man kann sagen, dass die Einführung
der künstlichen Säuglingsernährung mit der Flasche, die Opfer zu lebenslänglich
Essgestörten gemacht hat und nur wenige Betroffene in der Lage sind, diese Störung zu
überwinden.
Dabei zeigt sich diese Störung nicht nur in einer Richtung. Besonders seit der Erfolg
frühen Lernens sich in informierten Kreisen herumgesprochen hat, gibt es Kinder, die
schon in frühen Jahren weder Brust- noch Flaschenmilch bekommen und kaum etwas
anderes als Wasser trinken dürfen, weil ihre Mütter panische Angst vor Übergewicht
haben.

Das Erlernen eines Sättigungsgefühls, das sich bei der Brusternährung von selbst
entwickelt, kann so beeinflusst werden, dass das Kind aus Angst, die Liebe der Nächsten
zu verlieren, das Essen im Grunde ablehnt. Viele Mütter, die die Wirkung früher
Lernprozesse auf die spätere Gewichtskontrolle ahnen oder kennen, versuchen schon in
die Essgewohnheiten des Kindes einzugreifen und so gibt es heute auch viele schlanke
Flaschenkinder.

Die heutigen Brustkrebs-Betroffenen sind allerdings meist noch aus der Zeit, in der das
"gut" genährte Flaschenkind das Ziel war. Diese "gut" genährten Flaschenkinder
erreichen die Menarche früher als Stillkinder. Nicht nur weil sie als Säuglinge viel
Flaschenmilch bekommen haben, sondern auch weil gelernt haben, weiter zu essen, wenn
sie satt sind oder das Sättigungsgefühl gar nicht mehr spüren.

Man kann also sagen, die Frauen mit der frühen Menarche sind die überernährten
Flaschenkinder der frühen Phase der künstlichen Säuglingsernährung.
Forum
Warum waren unter diesen Frauen so viele, die nicht stillten?
Obwohl dieses Merkmal, das für die spätere Brustkrebserkrankung der Frauen wichtig
was, die frühe Menarche und andere damit zusammenhängende Eigenschaften, blieb doch
die Tatsache, dass von den Frauen mit früher Menarche und späterem Brustkrebs viele
nicht gestillt hatten.

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Wieso?

Gründe, die oben schon angesprochen wurden, waren andere Eigenschaften, die für diese
Frauen zutrafen. Auch sie hingen mit der künstlichen Säuglingsernährung und speziell
mit ihrer Vermarktung zusammen.

Henri Nestle war einer der ersten Hersteller, die ein erfolgreiches Kindermehl
entwickelten, beeinflusst durch den frühen Tod seiner Schwester. Er hatte wohl ein
Nahrungsmittel im Auge, das in solchen Notfällen, in denen man bislang nur auf Ammen
zurückgreifen konnte, als einfacheres Nährmittel der Kinder geeignet war, wenn die
Mutter aus verschiedenen Gründen ausfiel. Auch ist das mit Kindermehl ernährte Kind
anfänglich nicht gerade ein Neugeborenes, sondern ein bereits sitzendes Kind, das schon
ein bis zwei Jahre alt ist. Doch es wurden wohl früh die Chancen erkannt, die diese
Produkte boten, und zwar nicht für Notfälle.

Wie Rima D. Apple in ihrem Zeitschriftenaufsatz


Nur unter Aufsicht eines Arztes zu benutzen.

Käufliche Säuglingsnahrung zwischen 1870 und 1940


deutlich beschrieb, wurde die Vermarktung dieser Produkte über die Kinderärzte Rima D. Apple: To be used
betrieben, da die ganze Angelegenheit äußerst störanfällig und gefährlich war und die so only under the direction of a
ernährten Säuglinge ständige medizinische Betreuung brauchten. physician. Commercial
infant feeding and medical
Ein wenig ist das ja noch heute so. Denn immer noch haben künstlich ernährte Säuglinge practice 1870-1940.
mehr Krankenhausaufenthalte und auch weniger Aufwand erfordernde Krankheiten als Bulletin of the History of
gestillte Kinder und die natürliche Stillzeit von mehreren Jahren wird nur noch in seltenen Medicine Baltimore, Md,
Fällen erreicht. 1980, vol. 54, no3, pp.402
-417
Ein anderer wenig beachteter Effekt der Vermarktung über Kinderärzte war aber auch,
dass von der Flaschenernährung als erste die Kinder reicher Leute betroffen waren. Denn
nicht nur die teuren Kindermehle, auch den häufigen Gang zum Kinderarzt konnten sich
nur wenige wohlhabende Mütter für ihre Kinder leisten. Und so verbreitete sich die
Krankheit zuerst unter den Kindern reicher Eltern, die ihren Töchtern außer den

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Kindermehlen auch eine teure Ausbildung zukommen lassen konnten. Deshalb
erkrankten so viele gebildete Frauen, die nach langer Ausbildung erst spät oder gar nicht
heirateten.

Wenn sie, später als andere, doch noch den Schritt in die Ehe taten, bekamen sie oft keine
oder nur wenige Kinder, die, wenn überhaupt, auch oft noch kürzer gestillt wurden als die
Kinder anderer Frauen, vielleicht um bald wieder in den Beruf gehen zu können,
vielleicht auch weil sie von ihrer Mutter die künstliche Säuglingsernährung und die damit
verbundene Möglichkeit das Kind einem Kindermädchen zu überlassen, gelernt hatten.

Und so fand man viele nicht stillende Frauen unter denjenigen mit früher Menarche.

Weitere Eigenschaften bei Brustkrebspatientinnen, die auf die Flaschenernährung zurückgeführt werden können
Durch die erhöhte Nahrungszufuhr bekommt das Mädchen nicht nur früh die erste
Periode, es wird auch dick[er]. Dass Brustkrebspatientinnen oft zu Übergewicht neigen,
fiel schon früh auf und passt gewissermaßen ins heutige Konzept des gesunden Lebens.
Deshalb wurde dieses wissenschaftliche Ergebnis mit einer gewissen Begeisterung
aufgenommen, denn es bot auf den ersten Blick eine Handlungsmöglichkeit: Abnehmen.

Körperlänge
Aber man fand nicht nur Übergewicht, von dem manche immer noch annehmen, man
könnte es irgendwie loswerden. Man fand eine weitere Eigenschaft, die mit weniger
Begeisterung aufgenommen wurde. Frauen mit Brustkrebs waren auch größer als gesunde
Frauen. Die Körperlänge hängt auch vom Essen in der Kindheit ab. Kinder und
Jugendliche mit einer hohen Nahrungsaufnahme zeigen auch ein verstärktes
Längenwachstum.

Wenn sie noch Nahrung aufnehmen, werden sie dick. Und das ist typisch für
Flaschenkinder, obwohl man auch mit der Flasche zu schlanken kleinen Kindern kommen
kann, wie man heute sieht. Früher war das aber nicht das Ziel. Denn der Zusammenhang
zwischen früher Überernährung, falsch gelerntem Essverhalten, einer zunehmenden
Körperlange und späteren Gewichtsproblemen wurde nicht gesehen. Vermutlich weil
man gegen die einmal erreichte Körperlänge nichts mehr machen kann und dieses

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Ergebnis bei der Suche nach vermeidbaren Risikofaktoren zu einer gewissen Frustration
führt, wurde ihm wenig Beachtung geschenkt.

Deshalb wurde dieses wichtige Ergebnis von de Waard und seiner Arbeitsgruppe, dass
wie die frühe Menarche auf frühe Einflüsse hinweist, nicht gerne gesehen.

Es bietet keinen Ansatzpunkt für therapeutische Ansätze. Gegen die einmal erreichte
Körperlänge lässt sich nichts mehr machen. Deshalb wurde dieser nach der frühen
Menarche zweite deutliche Hinweis auf eine frühe Überernährung nicht gerne beachtet.

Archive.org: http://web.archive.org/web/*/http://www.erieping.de/die_brustkrebsepidemie.htm

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