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PROTESTE

Lukaschenko gibt sich plötzlich ganz


weich
Während der Präsident über seine Zukunft nachdenkt, wurde
Oppositionsführerin Maria Kolesnikowa an der Grenze zur Ukraine
festgenommen
André Ballin aus Moskau 8. September 2020, 17:18 128 Postings

Alexander Lukaschenko weiß: Selbsterkenntnis ist bisweilen der Weg zur Erkenntnis.
Foto: EPA/ANDREI STASEVICH / BELTA / POOL MANDATORY CREDIT

Er sei vielleicht "ein wenig zu lange im Amt", gab sich der Präsident von Belarus
(Weißrussland), Alexander Lukaschenko, in einem Interview mit russischen Medien am
Dienstag selbstkritisch. Er schloss selbst vorgezogene Neuwahlen nach einer
Verfassungsänderung nicht aus. Doch mit dem nach der umstrittenen Präsidentenwahl
gegründeten Koordinationsrat der Opposition wolle er nicht verhandeln, weil dessen
Vorschläge Russland und Belarus entzweiten und sein Land in die Katastrophe führten,
so Lukaschenko.
"Einfach so gehe ich nicht", betonte der 66-Jährige zugleich. Er habe schließlich ein
Vierteljahrhundert das Land aufgebaut. Das werde er nicht einfach so wegwerfen.
"Außerdem werden meine Anhänger, wenn ich gehe, abgeschlachtet", prognostizierte er.

Seit Wochen präsentiert das Staatsfernsehen die Demonstranten als aus dem Ausland
gesteuerte Unruhestifter und Krawallmacher. Lukaschenko bezeichnete sie abfällig als
"Drogenabhängige und Alkoholiker". Dabei verfolgt die Opposition das Konzept
gewaltloser Proteste, während Videos Polizisten und Vermummte aufseiten der
Sicherheitsorgane zeigen, die Demonstranten verprügeln und Schaufenster von Cafés
einschlagen, in denen sie Oppositionelle vermuten.

Sollen ausländische Staatsbürger und


Staatsbürgerinnen mit Hauptwohnsitz in
Wien den Gemeinderat wählen dürfen?

Ja Nein

Rätselraten um Kolesnikowa

Zuletzt kidnappten solche Vermummten drei Oppositionspolitiker, darunter auch


Oppositionsführerin Maria Kolesnikowa. Nachdem sie stundenlang in der Gewalt ihrer
Entführer gewesen waren und es keinen Kontakt zu ihnen gegeben hatte, wurden Anton
Rodnenkow und Iwan Krawzow in der Nacht offenbar unter Gewaltandrohung in die
Ukraine abgeschoben. Kolesnikowa hingegen ließ sich nicht einschüchtern, weigerte sich
auszureisen und zerriss sogar ihren Ausweis. Daher wurde sie "beim Versuch, illegal die
Grenze zu übertreten", festgenommen.

Auf die Episode angesprochen, rechtfertigte Lukaschenko die Festnahme und


behauptete, Kolesnikowa habe zu ihrer Schwester in die Ukraine fliehen wollen. Ihr Vater
Alexander dementierte das. Seine Tochter habe stets betont, dass sie in Belarus bleibe,
egal was mit ihr geschehe. "Das war ihre prinzipielle Position", so Kolesnikow.

Die Opposition hat anonyme Hinweise bekommen, wonach Kolesnikowa in einer Kaserne
einer Grenzeinheit in Mosyr gefangen gehalten wird. Zunächst konnten aber weder
Verwandte noch Anwälte Kontakt zu der 38-Jährigen aufnehmen. Die Einheit selbst
dementierte ihren Aufenthalt dort.

Behörden erhöhen den Druck

Am Dienstag gingen die Sicherheitsorgane gegen weitere Oppositionelle vor. So


durchsuchten sie die Wohnung einer Redakteurin der Lukaschenko-kritischen
Onlinezeitung Tut.by und nahmen ihre Tochter fest. Wurde zunächst nur ein
Ordnungsverfahren gegen die junge Frau eingeleitet, weiteten die Behörden den Vorwurf
im Laufe des Tages aus. Wegen "Beteiligung an Massenunruhen" droht ihr nun eine
Haftstrafe. Nach einer dreiwöchigen Auszeit haben die Behörden ihr Vorgehen zuletzt mit
Massenfestnahmen und der Eröffnung von Strafprozessen massiv verschärft. (André
Ballin aus Moskau, 8.9.2020)

© STANDARD Verlagsgesellschaft m.b.H. 2020

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