Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Blutiger
Beginn
Von MICHAEL SONTHEIMER
uch Revolutionäre bekom- und skandieren „Nieder mit dem Kaiser, noch an eine parlamentarische Monar-
stranten ziehen um das Parlamentsge- die Stelle des alten Kaiserreichs treten? den sie als Unglück.“
bäude, die meisten von ihnen Arbeiter Scheidemanns Parteigenosse Friedrich Ganz so einfach war es nicht. Einer-
und Soldaten. Sie tragen rote Fahnen Ebert, Vorsitzender der MSPD, denkt seits reagierten nicht nur die modera-
len stammende Sozialistin Rosa Luxem- listische Republik Deutschland.“ Kollaps eines maroden Regimes.
Der starke Mann der MSPD war ihr Otto Wels. Als jedoch Weihnachten nä- ter auf, sich in der Siegesallee zu versam-
Vorsitzender Friedrich Ebert, ein ge- her rückte und die Soldaten noch immer meln: „Erscheint in Massen! Um Großes
lernter Sattler, Journalist und geschick- nicht den geforderten Sold bekommen handelt es sich nunmehr! Nieder mit der
ter Parteiorganisator. Über die „soziale hatten, marschierte ein Teil von ihnen Regierung Ebert/Scheidemann!“
Revolution“ sagte er: „Ich aber will sie am 23. Dezember 1918 zum Reichskanz- Ein paar Hundert der rund 100 000,
nicht, ich hasse sie wie die Sünde.“ lerpalais und setzte dort zwei der sechs die aufmarschierten, hatten Waffen mit-
Ebert und seine Genossen hätten am Volksbeauftragten fest. Später nahmen gebracht, auch Maschinengewehre und
liebsten eine handverlesene Übergangs- die Soldaten den Stadtkommandanten ein paar Panzerautos. „Die Stimmung
regierung gebildet, doch allerorten ent- Wels in Gewahrsam. der Leute“, hieß es in einem Bericht der
standen jetzt Arbeiter- und
Soldatenräte. Im April 1917
hatten sich die Linken in der
SPD, die sich gegen die Unter-
stützung der Arbeiterpartei
für die Kriegspolitik des Kai-
serreichs gewandt hatten, ab-
gespalten; sie firmierten seit-
dem als Unabhängige SPD
(USPD) und zwangen nun die
MSPD, die Räte als Träger der
souveränen Macht anzuer-
kennen.
Gemeinsam bildeten die
Führungen der Schwesterpar-
teien einen Rat der Volksbe-
auftragten, in dem beide je-
weils drei Sitze hatten. Die
Mehrheitssozialdemokraten
wollten schnellstmöglich die
Wahl einer Nationalversamm-
lung, die dann eine Verfas-
sung ausarbeiten und be-
schließen sollte.
Bereits am Abend des 10.
November rief Generalleut-
nant Wilhelm Groener den So-
zialdemokraten Ebert auf ei-
ner geheimen Telefonleitung
in der Reichskanzlei an. Das
Mitglied der Obersten Heeres- Rosa Luxemburg 1914 in Berlin, Sozialistenführer Karl Liebknecht
leitung offerierte dem Sozial-
demokraten seine Loyalität und Unter- Die SPD-Volksbeauftragten Friedrich preußischen Regierung, „war außeror-
stützung, wenn dieser nur „den Bolsche- Ebert, Otto Landsberg und Philipp dentlich erregt.“ Der Anlass der Auf-
wismus“ bekämpfen würde, worunter Scheidemann befahlen daraufhin dem regung war die Absetzung des Berliner
die Militärs alle radikalen Linken ver- preußischen Kriegsminister, der noch Polizeipräsidenten Emil Eichhorn, eines
standen. im Amt war, den festgesetzten Otto Wels USPD-Mitglieds, durch den preußi-
mit Gewalt zu befreien. Am Morgen des schen Innenminister. ULLSTEIN BILD (L.); FOTOARCHIV JUPP DARCHINGER IM ADSD DER FES (R.)
Von heute aus betrachtet, lässt Heiligabend griffen die Regierungstrup- Doch es ging um mehr: Die schlecht
sich der Ablauf der Geschehnisse bereits pen mit Artillerie die Volksmarinedivi- organisierten radikalen Arbeiter auf der
als Vorgeschmack auf das Ende der ers- sion in Schloss und Marstall an, wurden Straße wollten die Revolution weitertrei-
ten deutschen Demokratie nach nur 14 aber zurückgeschlagen. ben, die Großindustrie sozialisieren,
Jahren deuten: Die ersten bewaffneten Die drei Vertreter der USPD traten wirkliche Veränderungen durchsetzen,
Auseinandersetzungen nach dem Ende nach den „Weihnachtskämpfen“ aus die Stützen des alten Systems entmach-
des Kaiserreichs brachen nicht zwi- dem Rat der Volksbeauftragten aus und ten. Rosa Luxemburg dagegen hielt den
schen Revolutionären und Vertretern überließen der MSPD, Ebert und seinen Zeitpunkt für eine sozialistische Revo-
des alten Regimes aus, sondern zwi- Genossen, das Feld. Ein großer Teil der lution noch nicht für gekommen.
schen radikalen Linken und gemäßigten radikalen Linken, die bislang als Sparta- Aktivisten besetzten spontan und mit
Sozialdemokraten. kusbund firmiert hatten, begründete Waffengewalt in der Nacht vom 5. auf
Die radikale Volksmarinedivision, Ende Dezember 1918 in Berlin die Kom- den 6. Januar 1919 den Redaktionssitz
rund 1500 Mann stark, sollte die Regie- munistische Partei Deutschlands (KPD). des Vorwärts, des Parteiblatts der MSPD,
rung schützen. Sie unterstand dem sozi- Zusammen mit der USPD rief ihre Füh- und die Redaktionsgebäude von weite-
aldemokratischen Stadtkommandanten rung die radikalen Genossen und Arbei- ren Zeitungen. Da Ebert und seine Re-
Mann. mals am 6. Februar 1919 in Weimar zu- ner formuliert hat, „der deutschen Re-
Karl Liebknecht und Rosa Luxem- sammen, um dem in Berlin befürchteten volution das Genick gebrochen“. Im
burg hatten sich in der Wilmersdorfer „Druck der Straße“ zu entkommen und Frühsommer 1919 herrschte Ruhe im
Wohnung eines Genossen versteckt, den Siegermächten zu suggerieren, dass Lande. Die Mehrheitssozialdemokraten
„demokratischste Demokratie der Welt“. darf sich mehr rühren! Kein Proletarier
Das „Diktat von Versailles“ erschien Video: darf der Militärdiktatur helfen. Gene-
besonders den Generälen und Offizieren Der Kapp-Putsch ralstreik auf der ganzen Linie. Proleta-
der kaiserlichen Armee als unerträgliche spiegel.de/appSPG52014putsch rier vereinigt euch! Nieder mit der Ge-
Schmach. Für die allermeisten Freikorps oder in der App DER SPIEGEL genrevolution!“
Die KPD erklärte zunächst, die Arbei- geschlossen, Streikposten ließen sie fest- Bei der Wahl am 6. Juni 1920 erlitten
terklasse werde „keinen Finger rühren nehmen. Arbeiter gingen deshalb zum die drei Regierungsparteien der „Weima-
für die in Schmach und Schande unter- Gegenangriff über, formierten sich in ei- rer Koalition“ dramatische Verluste. Die
gegangene Regierung der Mörder Karl ner „Roten Armee“ und übernahmen die liberale DDP verlor 36 ihrer 75 Mandate,
Liebknechts und Rosa Luxemburgs“. Macht im gesamten Ruhrgebiet. das Zentrum kam statt 91 nur noch auf
Nachdem sich aber die meisten Kommu- 64 Mandate und die MSPD konnte nur
nisten und USPD-Mitglieder spontan Als die Sozialdemokraten sich wie- 102 ihrer 163 Sitze verteidigen. Noske und
dem Generalstreik angeschlossen hatten, der in Berlin etabliert hatten, schickten seine Genossen hatten anderthalb Jahre
ruderten die Funktionäre zurück. Es sie ebenjene Reichswehrtruppen ins zuvor elfeinhalb Millionen Stimmen be-
kam zur Aktionseinheit der gespaltenen Ruhrgebiet, die gerade straflos geputscht kommen, jetzt waren es nur noch sechs
Arbeiterbewegung. hatten. Der Oberjäger Max Ziller von der Millionen. Die USPD gewann stark hinzu.
Und der Generalstreik wirkte. In Ber- Brigade Epp schrieb mit Datum 2. April Die Arbeiter waren nach links ge-
lin gab es kein Gas, kein Wasser, keine 1920: „Pardon gibt es überhaupt nicht. rückt, aber die bürgerlichen Parteien hat-
Elektrizität mehr. Die Post wurde nicht Selbst die Verwundeten erschießen wir ten ihre Mehrheit vergrößert.
mehr befördert, die Eisenbahn stand noch. Die Begeisterung ist großartig, fast In den folgenden Jahren ließ sich die
still. Die Befehle der Putschisten ka- unglaublich. Unser Bataillon hatte zwei Republik von Gewalt nicht niederringen:
men nicht über das Regierungsviertel Tote. Die Roten 200 bis 300.“ Enthusias- Sie verkraftete die Mordanschläge von
hinaus. tisch berichtete der Freikorps-Soldat von Rechten auf Matthias Erzberger vom
Als Lüttwitz und Kapp erkannten, der Erschießung von zehn Rote-Kreuz- Zentrum und den Liberalen Walther Ra-
dass ihr Staatsstreich gescheitert war, Schwestern und kam zu der Einsicht. thenau, auch den Aufstand der Kommu-
verhandelten sie über einen ehrenvollen „Gegen die Franzosen waren wir im Fel- nisten in Mitteldeutschland und den
Rückzug. Kapp trat zurück. Das Ab- de viel humaner.“ Putschversuch von Erich Ludendorff
schiedsgesuch Lüttwitz’ nahm die recht- Mit der Unterdrückung des Kapp- und Adolf Hitler in München am 9. No-
mäßige Regierung an, die inzwischen in Putsches hatten die Demokraten gegen vember 1923.
Stuttgart arbeitete – und dem General rechte Putschisten gesiegt, doch der Den Makel aber, an dem die erste
seine vollen Pensionsansprüche zusi- Putschversuch brachte Verschiebungen deutsche Demokratie seit ihrer blutigen
cherte. im Reichstag mit sich, die die demokra- Geburt litt, wurde sie nicht mehr los. Sie
Im Ruhrgebiet hatten sich Reichs- tische Basis der jungen Republik ein für blieb eine Demokratie, der es an Demo-
wehrkommandeure den Putschisten an- alle Mal unterminierte. kraten fehlte. n