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BURGUND
von
Witold Gombrowicz
Erster Akt
KÖNIG Kammerherr, gib ihm fünf Groschen! Das Volk soll wissen, dass wir
seine Sorgen teilen.
KÖNIGIN Gib ihm zehn mit dem Gesicht zum Sonnenuntergang - bei so einem
Sonnenuntergang!
DAMEN Aaah!
KÖNIG Ach was, gib ihm fünfzehn! Soll er wissen, wer sein Herr ist!
HERREN Aaaah!
BETTLER Gott, der Allerhöchste, preise den Allergnädigsten König, und der
Allergnädigste König preise den Allerhöchsten Gott. Geht, ein Bettlerlied
singend, ab
KÖNIG Jetzt aber los, dass wir nicht zu spät zum Abendessen kommen, wir
müssen nämlich noch um den ganzen Park herum spazieren, um uns am
Nationalfeiertag mit dem Volk zu verbrüdern.
PRINZ hebt eine fortgeworfene Zeitung vom Boden auf Nur einen Augenblick.
KÖNIG Ha, ha, ha! Verstehe! Ha, ha, ha! Er hat ein Rendezvous! Zu meiner
Zeit war ich genau wie er. Gehen wir! Ha, ha, ha!
Trompeten
Alle gehen, außer dem Prinzen, Zyrill und Zyprian
PRINZ Wartet, lasst mich mein heutiges Horoskop lesen. Liest »Von 12 bis 2
Uhr...« Das ist es nicht - Aha! - »Die Stunden von 7 bis 9 Uhr abends bringen
eine große Expansion der Lebenskräfte, Vermehrung der Persönlichkeit und
vorzügliche, wenn auch riskante Ideen. Diese Stunden sind günstig für kühne
Pläne und große Unternehmungen...«
ZYRILL Na, das ist was anderes. Guck mal, die Miezen dort!
ZYPRIAN Los! Ran. Tun wir, was von uns erwartet wird!
PRINZ Was? Was von uns erwartet wird? Was meinst du?
ZYRILL Da kommt eine sehr elegante und verführerische Dame. Gar nicht
übel, die Beine.
PRINZ Nein - wie jetzt? Immer dieselbe Tour? Immer im Kreis? Noch einmal?
ZYPRIAN Etwa nicht?! Was soll die von uns denken? Ja doch! Immer wieder
und wieder.
ZYRILL Du willst nicht? Ich hör wohl nicht recht! Du weigerst dich?
ZYPRIAN verwundert Spüren der Prinz denn nicht jene sorglos selige
Befriedigung, wenn ein holder Mund sein Jawort flüstert, als wollte er ein und
dasselbe immer im Kreis bestätigen?
PRINZ Ich tue meine Pflicht. Mein Vater erquickt durch seinen Anblick die
Untertanen, ich bringe durch meinen die Untertaninnen zum Träumen. Und Sie,
warum sind Sie nicht beim Gefolge der Königin?
ISA Ich habe mich verspätet. Ich war spazieren. Doch ich eile schon.
ISA Sie sind zerstreut, Prinz? Woher diese Melancholie in Ihrer Stimme, Prinz?
Freuen Sie sich Ihres Lebens nicht, Prinz? Ich tue nichts anderes.
ALLE Was?
PRINZ Nichts.
ZYPRIAN Migräne?
PRINZ Nein, im Gegenteil. Etwas reißt mich hin! Etwas reißt mich hin! Ich sage
euch, es brodelt geradezu in mir!
ZYPRIAN sieht sich um Oh, gar nicht übel, die Blondine. Nicht schlecht... nicht
schlecht...
ZYPRIAN Sieh nur, Prinz, sieh, man könnte sich kugeln vor Lachen.
ERSTE TANTE Setzen wir uns hier auf die Bank. Mein Kind, siehst du diese
jungen Leute?
YVONNE schweigt
YVONNE schweigt
YVONNE schweigt
ZWEITE TANTE Du hattest gestern wieder keinen Erfolg. Heute hast du keinen
Erfolg, morgen wirst du auch wieder keinen Erfolg haben. Warum bist du so
wenig attraktiv, meine Liebe? Warum hast du überhaupt keinen Sex-Appeal?
Niemand will auch nur einen Blick auf dich werfen. Es ist ein Kreuz mit dir!
ERSTE TANTE Wir haben all unser Erspartes darangegeben, um dir dieses
geblümte Kleid anfertigen zu lassen. Uns kannst du keine Vorwürfe machen.
ZYRILL Ja, ja! Diesen aufgeblasenen Trauerkloß muss man zertreten. Das ist
unsere heilige Pflicht. Geh du voran, ich folge nach! Sie treten mit
sarkastischen Mienen Yvonne dicht vor die Nase und brechen dann in
Gelächter aus
ZYPRIAN Ha, ha, ha! Genau vor ihrer Nase! Vor ihrer Nase!
ZWEITE TANTE Sie macht uns immer nur lächerlich. Es ist ein Kreuz mit ihr. Ich
hatte gehofft, wenigstens im Alter, wenn ich meine Weiblichkeit hinter mir habe,
würde ich mich nicht mehr lächerlich machen. Jetzt bin ich alt und muss
deinetwegen trotzdem immer noch Spott und Hohn ertragen.
ZYPRIAN Hörst du? Jetzt machen sie ihr Vorwürfe. Ha, ha, recht so.
ZWEITE TANTE Wieder machen sie sich über uns lustig. Weggehen können
wir nicht, sonst lachen sie hinter unserem Rücken... Bleiben wir hier, dann
lachen sie uns ins Gesicht.
ERSTE TANTE zu Yvonne Warum, teures Kind, hast du gestern auf dem Fest
kein Bein gerührt?
ZWEITE TANTE zu Yvonne Warum interessiert sich niemand für dich? Glaubst
du, das wäre angenehm für uns? All unseren Weibchen-Ehrgeiz haben wir in
dich gesteckt — und nichts... Warum läufst du nicht Ski?
ZYPRIAN Ist das vielleicht eine Transuse! Die nervt mich. Die nervt mich
wahnsinnig. Diese Flunder geht mir schrecklich auf die Nerven! Ich geh hin und
kipp die Bank um! Was haltet ihr davon?
ZYRILL Nein, nein. Wozu die Mühe? Es genügt, einen Finger auszustrecken
oder mit der Hand zu winken, oder was weiß ich. Wie immer man diesem
Wesen auch begegnet, es wird zum Spott. Niest
ZWEITE TANTE zu Yvonne Siehst du, jetzt niesen sie uns aus!
ISA Lasst sie in Ruhe.
ZYPRIAN Nein, nein, man muss mal einen bestimmten Witz mit ihr machen.
Wisst ihr was, ich werde grunzen und sie wird denken, das heißt, kein Schwein
kommt zu ihren Kaffeekränzchen.
ZYRILL Was willst du tun? Du siehst aus, als hättest du einen ungewöhnlichen
Witz vor.
PRINZ lacht ins Taschentuch Einen Witz — ha, ha, ha, einen Witz!
Tritt auf die Tanten zu
Die Damen gestatten, dass ich mich vorstelle. Ich bin Seine Hoheit, Prinz
Philipp, der Sohn des Königs.
TANTEN Aaah!
PRINZ Meine Damen, wie ich sehe, haben Sie Sorgen mit dem jungen
Fräulein. Was ist sie denn so apathisch?
ERSTE TANTE Es ist ein Unglück! Sie hat irgendein organisches Gebrechen.
Ihr Blut ist zu träge.
ZWEITE TANTE Das führt zum Aufdunsen im Winter und zur Schimmligkeit im
Sommer. Im Herbst ist sie verschnupft, und im Frühling tut ihr dafür der Kopf
weh.
PRINZ Oh, Verzeihung, da wüsste ich ja gar nicht, für welche Jahreszeit ich
mich entscheiden sollte. Und es gibt kein Mittel dagegen?
ERSTE TANTE Die Ärzte meinen, wenn sie etwas lebhafter wäre, wenn sie
fröhlicher wäre, dann begänne auch ihr Blut lebhafter zu fließen und diese
Unpässlichkeiten würden verschwinden.
PRINZ Wenn sie lebhafter wäre, würde ihr Blut lebhafter zu fließen beginnen,
und wenn ihr Blut lebhafter zu fließen begänne, würde sie lebhafter werden.
Sehr merkwürdig. Ein echter circulus vitiosus. Hm... freilich... wissen Sie...
ZWEITE TANTE Sie machen sich natürlich lustig über uns. Das steht jedem
frei.
PRINZ Lustig machen? Nein, durchaus nicht. Die Stunde ist dazu viel zu ernst.
Spüren Sie nicht eine gewisse Erweiterung Ihrer Persönlichkeit — eine gewisse
Vermehrung, eine Art Rausch?
ERSTE TANTE Wir spüren nichts, außer dass uns kühl ist.
YVONNE schweigt
PRINZ zu Yvonne Denn wissen Sie, wenn man Sie sieht, reizt es einen
förmlich, Sie zu etwas zu benutzen. Sie an die Leine zu nehmen, zum Beispiel,
und zu treiben, oder Sie zum Milchausfahren zu benützen, oder Sie mit einer
Nadel zu stechen, oder Sie nachzuäffen. Sie sind ein Ärgernis, verstehen Sie,
Sie sind wie ein rotes Tuch, eine Provokation. Ha! Es gibt Personen, die sind
wie geschaffen dafür, alles aus dem Gleichgewicht zu bringen, aufzureizen, zu
erregen und einen verrückt zu machen. Es gibt solche Personen, und jeder hat
seine ganz spezielle. Ha! Wie Sie da sitzen, wie Sie mit diesen Fingern spielen,
wie Sie mit diesem Beinchen baumeln! Das ist großartig! Unerhört! Wie
machen Sie das nur?
YVONNE schweigt
PRINZ Ach, wie Sie schweigen! Wie Sie schweigen! Und dabei sehen Sie aus,
als wären Sie beleidigt. Sie sehen so großartig aus - wie eine stolze Königin!
Sie sind so mürrisch, so sauer - ach, dieser Stolz und diese saure Miene! Nein,
ich werde verrückt! Jeder hat so ein Wesen, das ihn zum Wahnsinn treibt. Und
Sie sind meins! Sie werden mein sein! Zyrill - Zyprian!
Erlaubt, dass ich euch dieser beleidigten Königin, dieser stolzen Anämie
vorstelle! Seht, wie sie die Lippen bewegt. Sie würde gerne etwas Boshaftes
sagen, aber ihr fällt gerade nichts ein.
ISA tritt heran Was für dummes Zeug! Lasst sie in Ruhe! Das wird allmählich
geschmacklos.
ZYRILL Ha, ha, ha, Baron Blutarm. Der Witz an sich ist zwar etwas... aber in
diesem Fall...
PRINZ Die Arme? Na, na, kommen Sie mir nicht so scharf! Nicht zu scharf! -
Sonst heirate ich sie noch.
PRINZ Ich sage euch, nicht zu scharf- sonst heirate ich sie noch!
PRINZ Es reicht! Ich heirate sie! Ha, sie nervt mich so sehr, dass ich sie
heiraten werde! Zu den Tanten Die Damen gestatten doch, nicht wahr?
ZYRILL Du treibst den Spaß zu weit. Man könnte dich damit erpressen.
PRINZ Spaß? Ich bitte euch, ist sie denn kein kolossaler Spaß? Soll der Spaß
nur der einen Seite gestattet sein? Wenn ich ein Prinz bin, ist sie dann etwa
keine stolze, beleidigte Königin? Seht nur! Sie, Sie! Sie, darf ich um Ihre Hand
anhalten?
ZWEITE TANTE Was? Begreift plötzlich Prinz, Sie sind ein edelmütiger
Jüngling!
ZYPRIAN Unerhört!
ZYRILL Der König! Trompetenklang, es treten auf: der König, die Königin,
Kammerherr, Hof
TANTEN Wir sind schon weg, gleich weht hier ein scharfer Wind!
Beide fliehen
KÖNIG Ah! Philipp! Wie ich sehe, amüsierst du dich! Habe ich es nicht gesagt!
Blut ist dicker als Wasser!
KÖNIGIN Ignaz!
KÖNIG Blut ist dicker als Wasser, sage ich! Das hat er von mir geerbt! Beiseite
Aber kommt es mir nur so vor... oder ist diese Nymphe ein bisschen...
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hm... Was ist das für eine Vogelscheuche, mein Sohn?
KÖNIG Was?
KÖNIG Ha, ha, ha! Ein Streich! Ein Witz! Ich sehe, mein Sohn, du hast auch
meine Vorliebe für Witze geerbt. In der Tat, was anderes ist mir im Leben kaum
noch übriggeblieben. Und es ist ein merkwürdig Ding, mir selber unbegreiflich, je
unkomplizierter und einfältiger der Witz, desto mehr Spaß habe ich daran. Das
verjüngt mich.
KAMMERHERR Majestät, ich stimme dem erfahrenen Urteil von Majestät völlig
zu. Nichts verjüngt so sehr wie ein wirklich alberner Witz.
KÖNIG Was?
KÖNIGIN empört Vor allem bitte taktvoll! Zu Yvonne Wollen Sie sich vielleicht
einstweilen jenen Baum dort betrachten. Zum Prinzen Philipp, in welche
Situation bringst du sie? In welche Situation bringst du uns? In welche Situation
bringst du dich? Zum König Ignaz, nur ruhig!
PRINZ Majestäten, ich sehe in Ihren Augen Entrüstung darüber, dass ich, der
Königssohn, auch nur für einen Augenblick meine Person mit dieser Person in
Verbindung bringen konnte.
KÖNIG Gutgesagt!
PRINZ Wenn ich mich aber dennoch mit ihr verlobt habe, so nicht aus Armut,
sondern aus Überfluss - folglich steht es mir frei, und es ist für mich nichts
Anstößiges daran.
PRINZ Ja! Ich bin reich genug, um mich sogar mit ausgesprochenem Elend zu
verloben. Warum soll mir nur eine Hübsche gefallen? Darf mir eine Hässliche
etwa nicht gefallen? Wo steht das geschrieben? Ist das ein Gesetz, dem ich
gehorchen müsste wie ein seelenloses Werkzeug und nicht wie ein freier
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Mann?
KÖNIG Halt ein, Philipp, bist du wirklich paradox? Welcher Hochmut hat dir den
Kopf verdreht, mein Sohn. Wozu das Einfache komplizieren? Ist sie ein
hübsches junges Ding, wird sie dir gefallen, und wenn sie dir gefällt, mein
Lieber, dann ran an den Speck... Aber wenn sie hässlich ist, dann nichts wie
weg, auf nimmer Wiedersehen. Wozu das komplizieren? Das ist ein
Naturgesetz, dem ich mich selber, unter uns gesagt, sieht sich nach der
Königin um mit Vergnügen unterwerfe.
PRINZ Ja eben, und dieses Gesetz finde ich idiotisch dumm, wild vulgär und
lächerlich ungerecht!
KAMMERHERR Dumm... vielleicht... ja... aber... wenn ich so sagen darf, die
dümmsten Naturgesetze sind zugleich die köstlichsten.
KÖNIG Philipp, widern dich vielleicht deine Fachstudien an der Fakultät für
Kesselbau und dein ehrenamtliches soziales Engagement an?
PRINZ Ich pfeife auf erotische Beziehungen, ich pfeife auf alles, ich heirate, und
Schluss!
KÖNIG Was? Wie? Er heiratet? Das wagst du mir zu sagen? Dieser freche
Grünschnabel macht sich über uns lustig!
Ha! Er macht sich lustig. Ich werde ihn verfluchen müssen!
KÖNIG Ich werde ihn verfluchen! So wie ich hier stehe, werde ich ihn
verfluchen! In Fußeisen lasse ich ihn legen! Ha! Ich werfe den Schurken auf die
Straße!
KÖNIGIN Ignaz, das gibt einen Skandal! Ignaz, einen Skandal! Er ist doch nur
gutherzig.
KÖNIGIN Er tut es aus Mitleid! Aus Mitleid! Das Elend dieser unglücklichen
Person hat ihn gerührt. Er war schon immer so maßlos rührselig! Ignaz, sonst
gibt es einen Skandal!
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KAMMERHERR Majestät, Ihre Majestät haben recht - der Prinz ist edelmütig
von Natur. Es handelt sich um eine edelmütige Tat. Beiseite Majestät, wenn es
keine edelmütige Tat ist, gibt es einen Skandal, so sicher, wie zwei mal zwei
vier ist. Er ist verstockt. Man darf es nicht zum Skandal kommen lassen!
KÖNIG Na, na, na! Zum Prinzen Philipp, nach reiflicher Überlegung erkennen
wir den freilich ungestümen Edelmut deines Handelns an.
PRINZ geht in den Hintergrund der Bühne Zyrill, bring sie hierher - der König ist
einverstanden!
Die Höflinge, die die ganze Zeit hinter Bäumen versteckt zugeschaut haben,
nähern sich. Trompetenklang
PRINZ etwas aus der Fassung - zu Yvonne Das ist der König, mein Vater,
Seine Majestät, und das meine Mutter, Ihre Majestät... Verbeugen, verbeugen.
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KÖNIGIN eilig Philipp, wir sind gerührt... Was für ein süßes Geschöpf. Küsst
sie Kindchen, wir werden dir Vater und Mutter sein. Der evangelische Geist
unseres Sohnes hat uns erfreut. Wir respektieren seine Wahl. Philipp, immer
nach oben soll man streben, nie nach unten!
HOF Aaah!
KÖNIGIN eilig Und nun bring sie fort und lass ein Appartement für sie
vorbereiten. Großmütig Auf dass es ihr an nichts fehle.
KAMMERHERR gibt den Höflingen mit der Hand ein Zeichen Aaah!
HOF Aaah!
KÖNIG Das ... Das ist ja... Haltet mich fest! Habt ihr gesehen? Habt ihr so
etwas schon gesehen? Eigentlich hat doch nicht sie vor uns, sondern wir haben
uns vor ihr - nicht sie hat sich vor uns, sondern wir haben uns vor ihr verbeugt!
Erstaunt Mein Gott, ist die hässlich!
KAMMERHERR Ist die Verlobte hässlich, muss ja die Tat schön sein. Majestät,
in ein paar Tagen wird es dem Prinzen vergehen. Man darf nur nichts forcieren.
Noch heute werde ich zu ihm gehen, um seine wahren Absichten zu ergründen.
Das ist eine normale Extravaganz. Man darf ihn nur nicht reizen und zum
Widerstand provozieren. Einstweilen muss man es ruhig angehen.
Vorhang
Zweiter Akt
Appartement des Prinzen. Durch die eine Tür treten ein: Prinz, Zyrill, Yvonne ■
durch die andere Tür der Diener Valentin mit einem Wischlappen
PRINZ zu Valentin Steh bitte nicht so rum. Valentin geht hinaus Setz sie
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hierher. Ich habe ständig Angst, sie könnte weglaufen. Vielleicht binden wir sie
an einem Tischbein fest?
ZYRILL Sie ist mehr tot als lebendig. Sie wird nicht weglaufen. Philipp...
PRINZ Ja?
PRINZ Wozu? Wozu? Es ist ein Ungetüm, das überwältigt, ein Hindernis, das
überwunden werden muss... verstehst du? Es gibt Jäger, die ganz allein in
dunkler Nacht auf Büffel gehen... Es gibt welche, die den Stier bei den Hörnern
packen... Zyrill...
PRINZ Aber ganz bestimmt ist das eine unerträgliche Neugier - eine Neugier so
ähnlich wie die, mit der wir einen Wurm beobachten, den wir mit einem
Stöckchen bewegen.
ZYRILL Lassen wir sie in Ruhe, denn in einer halben Stunde werden wir
sowieso nichts mehr mit ihr anzufangen wissen... Und dann wird es
unangenehm, sehr sogar, abgesehen von allem anderen... dann wird es allzu
dreist.
PRINZ Mir schien, ihr habt ziemlich dreist mit ihr angefangen.
ZYRILL Nun ja, nun ja! Ein kleiner Scherz unter freiem Himmel ist doch etwas
ganz anderes, als sie hierher in die Wohnung zu schleppen. Philipp, ich würde
raten, jetzt Schluss zu machen.
PRINZ Sieh nur, wie sie dasitzt. Unerhört! Sagenhaft, diese Frechheit! Weil das
Mädel ist, wie sie ist, soll sie niemandem gefallen? Diese Unverfrorenheit!
Diese wahnsinnigen Ansprüche der Natur! Sieht sich Yvonne an Ja! Weißt du
was? Erst jetzt, wenn ich sie so ansehe, fühle ich mich durch und durch als
Prinz. Zuvor fühlte ich mich bestenfalls als Baron und dazu einer von der
miesen Sorte.
ZYRILL Eigenartig - denn dem Anschein nach möchte man meinen, du seist
mit ihr wie ein Baron und nicht wie ein wirklicher Prinz verfahren.
PRINZ In der Tat, es ist eigenartig, und dennoch sage ich dir, ich habe mich nie
so sicher, so glänzend, ja so blendend gefühlt. Tralala...
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Guck, das wollte mir nie gelingen, jetzt gelingt es mir. Um zu erkennen, dass
man besser ist, muss man offenbar erst jemand viel Schlechteres finden.
Nomineller Prinz zu sein ist nichts - essentieller Prinz zu sein, was das
bedeutet, ist mir jetzt klar. Diese Leichtigkeit... Tanzt... diese Freude. Doch jetzt
wollen wir uns unser tolles Ding da mal ansehen. Meine Dame, wären Sie
geneigt, ein Wort zu sagen?
YVONNE schweigt
PRINZ Weißt du, sie ist gar nicht mal so unschön, sie hat nur in ihrer
Konsistenz ein gewisses - unglückliches - Element.
YVONNE schweigt
PRINZ Beleidigt.
ZYRILL Mir scheint, vielleicht nicht so sehr beleidigt als vielmehr verängstigt.
YVONNE leise, gezwungen Ich bin gar überhaupt beleidigt. Bitte, lassen Sie
mich.
PRINZ Ah! Sie sind überhaupt nicht beleidigt? Und warum antworten Sie nicht?
YVONNE schweigt
PRINZ Na?
YVONNE schweigt
YVONNE schweigt
ZYRILL Ha, ha, ha! Sie kann nicht! Sie ist beleidigt!
PRINZ Mein Fräulein, erklären Sie uns gnädigerweise Ihren Mechanismus. Sie
sind doch gar nicht so dumm. Warum werden Sie von den Menschen
behandelt, als könnten Sie nicht bis drei zählen? Wieso sind die Menschen so
verbohrt?
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ZYRILL Sie ist nicht dumm, sie ist nur in einer dummen Lage.
PRINZ Sehr gut! Verzeihung, erstaunlich ist nur eines, Zyrill. Schau, eigentlich
hat sie sogar eine wohl geformte Nase. Sie ist auch gar nicht so beschränkt.
Überhaupt scheint sie nicht übler zu sein als viele der Damen, die wir kennen.
Warum schikaniert man die nicht? Warum ist das so, mein Fräulein? Warum
sind Sie der Sündenbock, oder besser, die Sündenziege? Hat sich das
irgendwie so ergeben?
ZYRILL Kreis?
YVONNE Das macht jeder immer so im Kreis, alles immer so... Das ist immer
so.
PRINZ Kreis? Kreis? Warum ein Kreis? Das hat etwas Mystisches. Ah, ich
verstehe schon. Tatsächlich, das ist eine Art Kreis. Zum Beispiel: warum ist sie
verschlafen? Weil sie nicht in Stimmung ist... Und warum ist sie nicht in
Stimmung? Weil sie verschlafen ist. Merkst du, was für ein Kreis das ist? Eine
Hölle, kein Kreis!
YVONNE schweigt
ZYRILL Pö! Etwas mehr Mut! Etwas mehr Mut! Ein bisschen gute Laune! Mehr
Leben! Ich meine es gut mit Ihnen. Sie sind sauer. Lächeln Sie mal, und alles
wird gut.
PRINZ Na, lächeln Sie uns an! Ist doch nicht so schwer!
YVONNE schweigt
PRINZ Sie will nicht. Stimmt, wenn sie lächeln würde, hätte das etwas
Künstliches. Das wäre noch aufreizender, irritierender, ärgerlicher, erregender,
provozierender. Das ist wahr. Vortrefflich, Zyrill! Prächtig! Ich sehe so etwas
zum ersten Mal. Und wenn wir zuerst lächeln würden?
ZYRILL Das nützt auch nichts, denn es wäre nur ein Lächeln — aus Mitleid.
PRINZ Das ist irgendwie höllisch vertrackt. Es hat eine spezifische, höllische
Dialektik. Sie ist ziemlich tief in diese Dinge eingedrungen, das muss man
sagen. — Man sieht ihr das an, auch wenn sie schweigt wie ein Grab. Weißt du,
es ist ein geschlossenes System, ein perpetuum mobile - Hund und Katze
zusammen an einen Pfahl gebunden: der Hund jagt und scheucht die Katze,
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und die Katze jagt und scheucht den Hund, und alles jagt und tobt im Kreis
herum. Aber nach außen - Friedhofsruhe.
PRINZ Gut! Aber was war zuerst? Was entstand zuerst? Das kann doch nicht
von Anfang an so gewesen sein. Warum haben Sie Angst? Weil Sie schüchtern
sind. Und warum sind Sie schüchtern? Weil Sie ein bisschen Angst haben. Aber
was war zuerst, was entstand damals irgendwann zuerst in Ihnen?
YVONNE schweigt
PRINZ Moment, Moment! Na schön, aber etwas muss doch in Ihnen sein?
Sollte da nichts in Ihnen sein? Man kann doch nicht nur aus lauter Mängeln
bestehen! Es muss etwas in Ihnen geben, irgendeinen Vorzug, eine Basis, einen
Sinn! - etwas, woran Sie glauben, was Sie an sich mögen! Sie werden sehen,
wir entfachen dieses Flämmchen. Es wird Ihre Wangen röten.
YVONNE schweigt
PRINZ Warte! Nicht so stürmisch! Das ist sehr wichtig. Sagen wir, jemand
kommt zu dir und sagt dir, du bist so und so eine Person, sagt dir die
schlimmsten, entsetzlichsten Dinge, Dinge, die einen Menschen umbringen,
einfach fertig machen, die einem die Sprache und das Leben verschlagen. Und
du sagst dann: Ja, so bin ich, das ist wahr, aber... Aber was?
YVONNE schweigt
PRINZ Zum Beispiel:... aber, ich habe ein gutes Herz. Ich bin gut. Verstehst du,
dieser eine Vorzug. Dieser eine Pluspunkt!
YVONNE schweigt
PRINZ Glaubst du an Gott? Betest du? Kniest du nieder? Glaubst du, dass
Jesus Christus für dich am Kreuz gestorben ist?
PRINZ 0 Wunder! Endlich! Gelobt seist du, Herr in der Höhe! Warum aber sagt
sie das... in so einem Ton? Mit solcher Verachtung? Verächtlich über Gott?
Verächtlich darüber, dass sie an Gott glaubt?
PRINZ Zyrill, ich werde dir was sagen. Sie glaubt wegen ihrer Defekte an Gott,
und sie weiß das. Hätte sie keine, würde sie nicht glauben. Sie glaubt an Gott,
aber gleichzeitig weiß sie genau, dass Gott nur ein Pflaster für ihre
psychophysischen Defekte ist. Zu Yvonne Ist es nicht so?
YVONNE schweigt
ZYRILL Das ist bestimmt eine Strafe für Ihre Sünden. Sie müssen in Ihrer
Kindheit schwer gesündigt haben, meine Dame. Philipp, dahinter muss eine
Sünde stecken. Ohne Sünde geht hier nichts. Sie müssen ganz schön
gesündigt haben, meine Dame.
YVONNE schweigt
PRINZ Ha! Jetzt hab ich die Katze am Schwanz! Hören Sie mal: wenn Sie so
geschwächt sind, müssen Sie auch das Leid schwächer empfinden. Schwach
und schwächer, hören Sie? Der Kreis schließt sich zu Ihren Gunsten, es gleicht
sich aus. Alle Reize, alle Versuchungen dieser Welt empfinden Sie schwächer,
deshalb müssen Sie auch schwächer leiden.
YVONNE schweigt
PRINZ Na?
PRINZ Was?
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ZYRILL Als wenn nichts wäre! Und doch...
ZYRILL Na, das ist doch!... Sie... Sie verschlingt dich ja mit den Augen...
Leidenschaftlich! Leidenschaftlich, zum Teufel! Sie macht sich an dich ran... auf
ihre Art... macht sich an dich ran! An dich! Pass auf, ihre Schwächlichkeit ist
leidenschaftlich und voll teuflischer Begierde!
PRINZ Sie ist... Sie ist schamlos! Das ist eine Schamlosigkeit! Eine spezifische
Schamlosigkeit! Du wagst es, mich anzumachen, du Wurm? Wollen wir sie
anschmoren? Nimm den Schürhaken und bring ihn zur Weißglut! Die wird
hüpfen! Die bringen wir zum Tanzen!
PRINZ Sie hat etwas an sich, das man nicht schlucken kann! Etwas
Unerträgliches! Sie beleidigen mich! Sie beleidigen mich zutiefst! Ich will von
Ihren Sorgen nichts mehr wissen — du Pessimistin. Du — du Realistin...
ZYRILL Philipp!
PRINZ Dann wird sie da stehen! Guck, wie inständig sie bittet... wie sie bittet...
Sie bittet dauernd um irgend etwas... um etwas, um etwas, dauernd verlangt sie
etwas von mir. Zyrill, man muss dieses Wesen ermorden. Gib mir ein Messer —
ich schneide ihr leichten Herzens die Gurgel durch.
PRINZ Ach, war doch nur ein Scherz! Aber sie hat Angst. Schau, sie hat
ernsthaft Angst. Sie hat schreckliche Angst — das ist gemein. Warum haben
Sie Angst, ich habe doch nur gescherzt... ein Scherz! Warum machen Sie ernst,
wenn ich im Scherz...
Du meinst, ich spiele wirklich Theater? Gut möglich. Aber das ist ihre Schuld,
nicht meine! Sie macht etwas mit mir, nicht ich mit ihr.
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Glocke. Valentin tritt ein
ZYRILL Wer ist denn das? Sieht durchs Fenster Gäste, scheint's.
PRINZ Sie wollen die Lage peilen. Gehen wir uns zurechtmachen.
Der Prinz, Zyrill und Yvonne gehen hinaus. Valentin öffnet. Es treten ein:
Kammerherr, zwei Herren, vier Damen und Innozenz
KAMMERHERR Ruhe, Ruhe, meine Damen!... Bitte, nur kein Gekicher. Die
Damen kichern Bitte kein Gekicher! Die Damen kichern Wir kommen auf einem
Spaziergang vorbei, einfach so, mal auf den Busch klopfen.
ERSTE DAME Wenn er das nun ernst meint? Ha, ha, ha! Dolle Idee - seht her,
ihr Hut! Ihr Hut! Ich vergehe!
GÄSTE Hi, hi, hi - wir können nicht mehr! - Hi, hi, hü - Hör auf, ich kann nicht
mehr. - Hör du doch auf. - Wir gehen ein! Wir platzen!
Lachen leise, sich gegenseitig anstachelnd. Das Gelächter wird mal lauter, mal
schwächer- nur Innozenz lacht nicht. Es treten ein: Prinz, Zyrill, Yvonne
Der Prinz.
PRINZ Yvonne, meine Liebe! - Ich freue mich, die Herrschaften mit meiner
Verlobten bekannt machen zu dürfen.
PRINZ Meine Teure, vergiss einmal deine Schüchternheit und sag etwas.
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Diese Herrschaften, Liebling, gehören zur besten Gesellschaft. Warum fürchtest
du sie, als wären sie ein Haufen Menschenfresser oder Schimpansen von der
Insel Borneo. Verzeihen Sie, meine Herrschaften, meine Verlobte ist überaus
zartfühlend, stolz und furchtsam. Mit ihr ist das nicht so leicht. Zu Yvonne Aber
so setz dich, wir können doch nicht ewig stehen.
Yvonne tut so, als wollte sie sich auf den Boden setzen
PRINZ Ja, ziel gut, meine Liebe. Yvonne setzt sich Geschafft!
Alle außerdem Prinzen setzen sich
ERSTE DAME beiseite und vertraulich zum Prinzen Wahrhaftig, Prinz, es ist
nicht auszuhalten! Ich sterbe! Ich platze!
ZWEITE DAME beseite, zum Prinzen Es ist zum Platzen! Ich vergehe! Das ist
die modernste Art, Witze zu machen, das sogenannte Mobben. Ich wusste gar
nicht, dass Sie so ein Talent zum Mobben haben, Prinz. Seht nur, ha, ha, ha!
ERSTE DAME Leider muss ich schon gehen. Mir fällt ein, ich habe einen
Termin. Prinz, Sie wollen entschuldigen.
ZWEITE DAME Ich muss auch gehen... Prinz, Sie verzeihen... Ich bin
verabredet. Leiser, zum Prinzen Jetzt verstehe ich. Das ist alles gegen uns
arrangiert! Aus Witz, wie? Sie machen sich über uns lustig, Prinz! Sie haben
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sich mit diesem armen Ding verlobt, um uns zu verspotten! Das Ganze ist
nichts als eine boshafte Anspielung auf die Gebrechen und Defekte... einiger
Hofdamen. Ah, ich verstehe! Sie haben von Jolantas kosmetischen
Behandlungen und Massagen erfahren... deshalb haben Sie sich mit diesem
Dreckspatzen verlobt... um Jolanta lächerlich zu machen, ha, ha! Der ironische
Sinn dieser Intrige ist mir klar! Auf Wiedersehen!
ERSTE DAME die zugehört hat Wenn dem so wäre, dann wohl eher, um dich
mit deinen beiden künstlichen Zähnen bloßzustellen und zu verhöhnen, von
denen ohnehin jeder weiß! Ha, ha, Prinz, seien Sie nicht grausam, ha, ha. —
Auf Wiedersehen, ich muss jetzt gehen.
GÄSTE Wir müssen los! Auf Wiedersehen! Es ist Zeit für uns!
Die Gäste gehen — außer dem Kammerherrn und Innozenz. Man hört Stimmen
wie: »Beine«, »Zähne«, »Massagen«, »Kosmetik« und boshaftes Lachen
KAMMERHERR Sie verzeihen, Prinz, Sie verzeihen, Prinz, Sie verzeihen, ich
sehe mich gezwungen, mit Ihnen zu sprechen, und zwar auf der Stelle! Ich bitte
einen Augenblick um Gehör! Prinz, Sie haben das schöne Geschlecht
erschreckt!
PRINZ Ich. Nein. Nicht ich habe es erschreckt, sondern die Körperfehler. Es
gibt offenbar nichts Entsetzlicheres! Krieg, Feuer, Pest, alles nichts im Vergleich
mit dem Schrecken eines ganz gewöhnlichen, kleinen, aber versteckten
Körperfehlers, auch Defekt genannt.
INNOZENZ Verzeihung.
INNOZENZ Jawohl. Verzeihung. Ich wollte nur bemerken, das ist gemein.
PRINZ Was?
INNOZENZ Es ist gemein. Verzeihung — ich setze mich. Setzt sich, atmet
schwer Wenn ich mich aufrege, komme ich immer ein bisschen außer Atem.
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PRINZ Sie sagen, etwas sei gemein?
INNOZENZ Verzeihung. Ich ließ mich gehen. Prinz, wollen Sie mir verzeihen.
Ich bitte, den Vorfall als nichtig zu erachten. Verzeihung. Will gehen
PRINZ Moment, Moment, Sie sagten, etwas sei gemein. Nun warten Sie doch
einen Augenblick.
INNOZENZ Dem gerecht werden, was ich begonnen habe. Will gehen
Verzeihung.
INNOZENZ Die Sache ist die, dass ich sie liebe... deshalb habe ich mich gehen
lassen und protestiert. Aber jetzt ziehe ich meinen Protest zurück und bitte, den
gesamten Zwischenfall als ungeschehen zu erachten.
ZYRILL Verflixt!
PRINZ Sie haben mir das Herz durchbohrt, mein Herr. Alles ist auf einmal ernst
geworden. Ich weiß nicht, ob Sie das kennen, wenn Gelächter plötzlich in Ernst
umschlägt? Das hat sogar etwas Heiliges. Es ist eine Art Offenbarung... Auf
jeden Topf passt auch ein Deckel — diese trivialen Worte sollte man in den
Giebel aller Gotteshäuser einmeißeln.
PRINZ Yvonne, verzeih mir. Gottlob, also auch in dich kann man sich - kann
man sich doch... Also kann man. Also geht es... Auch du hast jemanden, der...
Welch eine Erleichterung! Ich habe eigentlich nur deshalb, weil ich dich nicht
ertragen konnte... den Gedanken an dich nicht ertragen konnte - wenn wir
schon ganz im Ernst... Verzeih. Meine Kinder, ich segne euch. So geht jetzt
eures Weges. Lasst mich allein.
ZYRILL der sieht, dass Yvonne den Kopf geneigt hat Sie weint...
ZYRILL Ich würde dieser Heulsuse nicht allzu sehr trauen. Sie kann doch nur
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vor Unglück weinen. Lieben Sie ihn?
YVONNE schweigt
PRINZ Oooch! Aber das macht nichts. Es ist ja schon mal alles halb so
schlimm, wo sich jemand gefunden hat, der dich liebt. Zu Innozenz Sie sind ein
trefflicher Mensch, ein echter Mann. Sich in die zu verlieben - das ist famos! Sie
haben die ganze Welt vor der Vernichtung gerettet. Wir verneigen uns vor
Ihnen in tiefstem Dank!
INNOZENZ Der Ehrgeiz zwingt mich zu der Erklärung, dass auch sie mich liebt,
sich aber wahrscheinlich schämt, Ihnen, Prinz, dies einzugestehen, weil ich ihr
tatsächlich als Objekt nicht zur Ehre gereiche. Zu Yvonne Wozu verstellst du
dich - du hast mir doch schon mehrfach gesagt, dass du mich liebst.
YVONNE schweigt
INNOZENZ gereizt Nun sei mal nicht so hochnäsig! Was das betrifft, wirkst du
auf mich genauso anziehend wie ich auf dich, vielleicht sogar noch weniger.
INNOZENZ kühl Prinz, Sie gestatten, dass ich das erkläre. Wenn ich sagte,
dass ich sie liebe, dann meinte ich - in Ermangelung von etwas Besserem, ja,
aus Mängeln, sagen wir, aus Mängeln...
INNOZENZ Lieber würde ich lügen, aber das ist heute nicht mehr möglich,
unsere Epoche ist zu scharfsichtig, alle Feigenblätter sind verdorrt. Es bleibt
nichts als die Aufrichtigkeit. Ich verberge nicht, dass wir uns eigentlich... ja...
zum Trost lieben... denn ich habe genauso viel Erfolg bei den Frauen wie sie
bei den Männern. Ich verberge aber auch nicht, dass ich eifersüchtig bin - nein,
nein, ich werde meine Eifersucht nicht verbergen, ich werde sie konsequent zur
Schau stellen, ich habe ein Recht darauf! Zu Yvonne - mit unerwarteter Leiden-
schaft Du hast dich in ihn verliebt? In ihn? Was? Was?
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YVONNE schreit Fort! Fort! Fort! Raus!
PRINZ Sie hat den Mund aufgemacht. Aber das heißt ja dann... Sie hat den
Mund aufgemacht. Sie hat gesprochen. Habt ihr's gehört? Aber das heißt ja
dann... das würde bedeuten... wenn sie den Mund aufgemacht hat... dass sie
sich wirklich in mich ver...
INNOZENZ Das kann man ja wohl sehen. Ich habe wie immer verloren. In
Anbetracht dessen werde ich jetzt gehen. Ich gehe. Geht
PRINZ Sie hat sich verliebt... Statt mich zu hassen. Ich misshandle sie.
Demütige sie. Und sie verliebt sich. Und jetzt... jetzt liebt sie mich. Weil ich sie
nicht ausstehen kann, genau dafür liebt sie mich. Die Situation wird ernst.
Valentin tritt ein Raus, Valentin! Was soll ich jetzt tun?
YVONNE schweigt
PRINZ Wenn sie mich liebt, dann werde ich... dann werde ich von ihr geliebt...
Und wenn ich von ihr geliebt werde, dann bin ich ihr Geliebter... Bin ich in ihr.
Hat sie mich in sich. Ich kann sie nicht verachten... wenn sie mich liebt. Ich
kann nicht hier der Verächter sein, wenn ich dort in ihr der Geliebte bin. Ach,
eigentlich dachte ich die ganze Zeit, dass ich hier bin, dass ich ich bin - ich an
sich und in mir selbst. Aber da plötzlich paff! Hat sie mich erwischt - und ich
stecke in ihr drin wie in einer Falle! Zu Yvonne Wenn ich dein Geliebter bin,
dann kann ich dich gar nicht nicht lieben. Ich werde dich lieb gewinnen
müssen... und ich werde dich lieben.
ZYRILL Du versteigst dich zur Unmöglichkeit! Das kann doch gar nicht sein!
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KAMMERHERR Sie hat ihm den Kopf verdreht!
KAMMERHERR Jüngling, du kennst sie nicht, und ich, der ich mich rühme,
lebenserfahren zu sein, kenne sie auch nicht. Es gibt eine Art von
Erscheinungen, die ein Gentleman deswegen nicht kennen kann, weil er, wenn
er sie kennen würde, aufhören müsste, Gentleman zu sein.
Klingel
KÖNIG Wir sind persönlich hergekommen, weil... du lieber Himmel, was hat er
da wieder angerichtet? Die Damen kommen klagend zur Königin gelaufen, weil
sich unser Sohn angeblich mit voller Absicht und aus Bosheit mit einem
Trampel verlobt hat, um sich mit ihrer Hilfe über, sagen wir, gewisse
Unvollkommenheiten ihrer Schönheit lustig zu machen... Ha, ha, ha! Das ist mir
ein Schlingel! Na, wenn er das bezweckt, ist es halb so schlimm!
KÖNIGIN Und trotzdem darf man das nicht zulassen. Meine Hofdamen sind
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schrecklich empört, und Sie, meine Herren, erlauben sich völlig deplazierte
Spaße.
KAMMERHERR Geschehen ist... dass er sie dort jetzt liebt... dass er sie
gerade jetzt liebt... Nein, das lässt sich nicht in Worte fassen. Es ist
unaussprechlich. Es hat etwas... Explosives... Majestäten, nehmen Sie sich in
acht, dass es nicht alles in die Luft jagt!
Vorhang
Dritter Akt
PRINZ Worüber haben sie gesprochen? Hast du nicht gehört, worüber sie
gelacht haben, diese dummen Frauenzimmer? Über mich?
ZYRILL Frauen lachen immer. Kichern ist der angeborene Zustand jeder Frau,
weil dieser Zustand ihnen am besten zu Gesicht steht.
ZYRILL Warum sollten sie ausgerechnet über dich lachen? Bisher haben sie
sich untereinander ausgelacht.
PRINZ Wenn nicht über mich, dann über Yvonne... meine Verlobte. Aber ich
beobachte, dass die Art des Lachens sich geändert hat. Wenn ich mich nicht
täusche, ist ihr Gelächter übergesprungen... von ihr auf mich. Oder täusche ich
mich? Jeder flüstert jedem und jede flüstert jeder ins Ohr und kichert. Vielleicht
ist das Einbildung? Ich kann mir schon denken... ich bitte dich... Versuch,
herauszubekommen, was sie über uns sagen und welcher Art Spottreden es
sind. Ich möchte wissen, was für eine Art das ist. Nicht, dass es mich anginge,
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aber ich würde es gern wissen. Und — bei Gelegenheit — sage diesen Damen,
wenn sie sich weiter hinter meinem Rücken erlauben...
ZYRILL Philipp, was ist mit dir los? Du bist so gereizt und empfindlich
geworden, als wärst du deine eigene Verlobte.
PRINZ Na, na, was erlaubst du dir? Es reicht. Ich bin es nicht gewohnt, dass
man sich über mich, meine Handlungen oder mein Gefühl lustig macht. Sag
diesem Gesindel, wenn jemand es wagen sollte, nur die kleinste Ungehörigkeit,
ja selbst den Schatten einer Ungehörigkeit...
Die Tür im Hintergrund wird geöffnet. Unter Trompetenklang treten ein: König,
Königin, Kammerherr, Yvonne, Isa, Höflinge
YVONNE schweigt
KÖNIGIN Ein Birnchen gibt Kraft. Lacht Und ist gesund! Gesund!
KÖNIGIN Vielleicht ein wenig Schlagsahne? Schlagsahne gibt Kraft. Und ist
gesund. Schlagsahne vielleicht? Oder Milch? Milch mit Zucker?
Schweigen
Was ist? Haben wir keinen Appetit? Oi, das ist gar nicht schön. Was machen wir
denn da? Was? Was machen wir da?
YVONNE schweigt
KÖNIGIN Nichts...
Schweigen
KÖNIGIN So schüchtern ist das... So lieb, so still. Wenn es nur vielleicht von
Zeit zu Zeit ein Wörtchen sagen wollte. Zu Yvonne Wenn du nur von Zeit zu
Zeit ein Wort sagen wolltest, Spätzchen. Das ist nicht schwer. Manchmal muss
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man etwas sagen, mein Kind, das erfordert der Anstand, der elementare
Anstand. Du willst doch wohl nicht unanständig sein... Wie? Na also, was
fangen wir jetzt an? Womit werden wir uns beschäftigen? Wie?
KÖNIG Na?
KAMMERHERR He?
YVONNE schweigt
KÖNIG Na? Und? Nichts? Etwas muss man doch wissen! Man kann nicht den
ganzen Tag im Haus herumgehen — und nichts, nichts! Das ist langweilig. Das
ist doch langweilig. Sieht alle verdattert an Langweilig! Barmherziger Gott!
KAMMERHERR Langweilig!
VALENTIN tritt ein Bitte, Prinz, der Herr Doktor ist gekommen und wartet in der
Galerie.
PRINZ zu Yvonne Komm zur Untersuchung. Mit Verlaub! Prinz und Yvonne
gehen hinaus
KÖNIGIN zu den Höflingen Meine Damen und Herren, Sie können gehen, wir
haben mit unserem Sohn zu sprechen. Die Höflinge gehen.
Philipp, du kannst dich nicht beklagen. Wir achten deine Gefühle! Wir sind wie
Vater und Mutter zu diesem armen Vögelchen. Aber könnte man nicht
erreichen, dass sie ein wenig mitteilsamer wird? Heute hat sie wieder während
der ganzen Kaffeestunde geschwiegen. Auch beim Mittagessen hat sie
geschwiegen. Beim Frühstück hat sie gleichfalls geschwiegen. Außerdem
schweigt sie überhaupt die ganze Zeit. Wie sieht das aus, und wie sehen wir
aus im Angesicht dieses Schweigens? Philipp, der Anstand muss doch gewahrt
bleiben.
KÖNIGIN Philipp, mein Sohn, sind wir nicht mit unserem ganzen mütterlichen
Herzen für sie da? Wir lieben sie, ungeachtet ihrer zahlreichen Fehler, dafür,
dass sie dich liebt.
PRINZ drohend Ihr liebt sie! Ihr liebt sie! Auf jeden Fall würde ich nicht raten, sie
nicht zu lieben! Geht hinaus
KÖNIGIN Gott erleuchte uns, Gott leite uns! Ignaz, vielleicht bist du nicht
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gefühlvoll genug zu ihr. Sie hat Angst vor dir.
KÖNIG Angst... ha, wie sie so durch die Räume streicht und bald aus dem
einen, bald aus dem anderen Fenster schaut. Und nichts! Staunend Nichts! Sie
wird uns noch alle Fenster weg gucken. Sie hat Angst... Zum Kammerherm Gib
mir die Rapporte! Ah, Frankreich empört sich schon wieder. Zu sich Hat Angst
und weiß selber nicht, wovor. Angst vor mir? Zur Königin Du tanzt auch zuviel
um sie herum. Äfft sie nach Ein Birnchen, ein Küchelchen... Ganz so wie eine
Pensionswirtin.
KÖNIGIN Ja, du gehst gerade ganz natürlich mit ihr um — du kriegst ja kein
Wort raus, ohne erst den Speichel herunterzuschlucken. Meinst du vielleicht,
das hört man nicht. Und reden tust du mit ihr, als hättest du Angst.
KÖNIG Ich? Angst? Ich soll Angst haben? Sie hat Angst. Leiser Das kleine
Luder.
KÖNIG Ich soll mit ihr hinten herum? Mit dieser Zimtzicke?
KÖNIGIN Das ist eine vorzügliche Idee. Man muss sie ein wenig zutraulich
machen. Zuerst hinten herum und unter vier Augen. Dann gewöhnt sie sich
nach und nach an uns, und auf diese Weise machen wir ihrer unerträglichen
Verschrecktheit und Ängstlichkeit ein Ende. Ignaz, sei kein Kind. Ich werde sie
sofort unter irgendeinem Vorwand hierher schicken. Philipp berät sich gerade
mit dem Arzt. Ich werde ihr sagen, sie soll mir Häkelgarn holen. Sei du wie ein
Vater zu ihr. Geht hinaus
KÖNIG Lächeln werde ich schon, und wie... Soll ich vielleicht vor ihr
herumhüpfen, nur weil sie schüchtern ist? Kammerherr, das erledigst du
gefälligst. Will gehen
KAMMERHERR Aber, Majestät! Mut machen oder Mut nehmen ist doch für
Majestät wohl nichts Neues.
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KÖNIG Ja, aber sie hat Angst... Nicht wahr... dings... Hat Angst... das kleine
Luder.
KÖNIG Ja, aber sie irgendwie täppisch... sie hat irgendwie täppisch Angst. Voll
Schrecken Kammerherr, sie hat täppisch Angst. Da, sie kommt. Warte, ich
werde mich doch nicht allein zum Narren machen. Geh nicht weg, bleib da. Eh,
eh, eh. Nimmt einen freundlichen Gesichtsausdruck an.
Yvonne tritt ein Ah, ah, ah, bitte einzutreten. Yvonne nähert sich, sieht sich um.
Gütig
YVONNE Häkelgarn...
KÖNIG Häkelgarn?
YVONNE Häkelgarn...
YVONNE schweigt
YVONNE schweigt
KÖNIG Hemm, hemm! Auf sie zugehend Na, na, was denn? Na, na. Lacht Na?
Wir tun wohl ein bisschen... dings... ein bisschen Angst haben? Was? Vor
nichts und wieder nichts. Na! - vor nichts und wieder nichts! Ungeduldig Wenn
ich doch sage, vor nichts und wieder nichts!
KÖNIG Ich bin doch der Vater... Philippchens Vater, der Papa? Tff! Nicht Papa,
sondern Vater. Jedenfalls... bin ich schließlich kein Fremder. Geht auf Yvonne
zu, die sich zurückzieht Wer wird sich denn gleich so haben... Ich bin ein ganz
normaler Mensch. Normal eben -jedenfalls nicht König Herodes! Habe niemand
gefressen. Nur keine Angst! Ich bin kein Tier. Ich sage, ich bin kein Tier! Ich bin
kein Tier! Mit steigendem Ärger Kein Grund zur Angst! Ich bin doch kein Tier!
Geht auf Yvonne zu, die sich heftig zurückzieht und das Garn fallen lässt.
Schreit Na ich sage doch, kein Grund zur Angst. Ich bin kein Tier!!!
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KAMMERHERR Nicht, nicht... Psss ... Nicht!
KÖNIG Sie hat Angst! Kammerherr, weißt du noch, die von damals... die da
dings... die Angst hatte... Tzatza... Mumu... Tete...!!
KAMMERHERR Ich würde sagen, nicht mal Angst haben kann die richtig.
Einige unserer Hofdamen ängstigen sich entzückend, anmutig, pikant. Aber
diese hier hat irgendwie - nackt Angst. Mit Abscheu Nackicht!
KAMMERHERR Erinnerung?
KÖNIG Sie hat Angst. Kammerherr, erinnerst du dich an die damals... die da
dings... die wir... Lange ist es her. Wie man das doch vergisst.
KÖNIG Lange her. Hatte es selber auf den Tod vergessen. Lange her. Ich war
damals noch Prinz und du gerade mal der Entwurf für einen Kammerherrn.
Diese Kleine, die dingsda... Die wir da beide ... Zum Kuckuck, es war glaube ich
genau auf diesem Kanapee hier. War sie nicht Näherin...?
KAMMERHERR Ah ja, Näherin, Kanapee... Hej, die Jugend, die Jugend, was
für wunderbare Jahre. Valentin tritt ein
Was gibt's, Valentin? Bitte, störe nicht. Valentin geht hinaus
KÖNIG Sie ist dann gestorben, was? Ins Wasser gegangen, nicht?
KAMMERHERR Und ob! Ich erinnere mich daran wie heute. Sie ging auf eine
Brücke und von der Brücke ins Wasser...
Hej, die Jugend, die Jugend, es gibt nichts Schöneres als die Jugend.
KÖNIG Meinst du nicht, dass sie gewisse Ähnlichkeit mit dieser Zimtzicke hier
hatte?
KAMMERHERR Aber Majestät, das hier ist eine schwammige Blondine, und
die war eher vom Typ herb laszive Brünette.
KÖNIG Ha! Aber sie hatte genau solche Angst. Tzatza. Mumu. Angst wie alle
Teufel zusammen - das kleine Luder!
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Unannehmlichkeiten bereiten, ist es das beste, nicht daran zu denken. An tote
Frauen soll man am besten nicht denken. Eine tote Frau ist keine Frau.
KÖNIG Sie hatte Angst und war irgendwie genauso - misshandelt... Auf diesem
Kanapee hier. Dass auch immer jemand, irgendwann, etwas... Pfui, pfui! Wie
tausend Teufel, Kammerherr, wie tausend Teufel fällt mir das wieder ein.
KÖNIGIN Was ist denn mit dir los? Warum soll ich dir nicht zu nahe kommen?
KÖNIG Warum? Warum? Alles immer - warum? Darf ich keine Wünsche mehr
haben? Stehe ich unter Kuratel? Bin ich nicht mehr Herr im eigenen Haus?
Muss ich mich für alles rechtfertigen? Was guckst du mich so an? Was siehst
du mich so an? Na? Was? Warum ich sie angeschrien habe? Weil sie mich an
etwas erinnert!
KAMMERHERR Nicht der Rede wert! Gar nicht erst erwähnen, Majestät!
KÖNIG Sie erinnert mich an etwas, aber an etwas, das mit dir
zusammenhängt, mit dir, meine Liebe!
KÖNIG Ha, ha, ha, da schaust du, was? Teufel, Teufel, Margarete, zugegeben,
ich habe mich gehen lassen, aber stell dir vor, wie eigenartig, ich kann diesen
armen Vogel nicht ansehen, ohne dass mir sofort etwas über dich in den Sinn
käme. Ich wollte es nicht sagen, weil es ein bisschen peinlich ist, aber wenn du
mich schon fragst, will ich aufrichtig sein. Es kommt doch vor, dass uns eine
Person an eine andere Person erinnert, jedoch, um es so auszudrücken, in sehr
freizügigem Zustand. Und wenn ich die Zimtzicke sehe, wie sie sich bewegt...
wie sie so rumtrödelt, rumkramt... wie sie da irgendwie in sich hineinschmatzt,
nicht wahr... dann erinnert mich das irgendwie gleich an dich, erinnert
gleichsam an eine gewisse... Schlabbrigkeit... deine Schlabbrigkeit...
KÖNIG Genau! Genau das, woran du jetzt denkst! Sag mir jetzt sofort, was! Sag
mir, woran du jetzt denkst, dann wird sich zeigen, ob wir an dasselbe denken.
Sag es mir ins Ohr.
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KÖNIG Also doch, meine Dame! Also auch wir haben unsere Geheimnisse!
KÖNIGIN Du vergisstdich!
KÖNIG Im Gegenteil, ich erinnere mich! Ich erinnere mich! Ich werde mich an
alles erinnern! Tzutzu! Mumu! Geht erregt hinaus
KÖNIGIN Was hat das zu bedeuten? Der Kammerherr läuft hinter dem König
her. Die Königin steht nachdenklich da, legt einen Finger an die Stirn. Isa tritt
ein und zieht Mienen vor dem Spiegel Hör auf Mienen zu ziehen!
ISA Majes...
KÖNIGIN Schau mir in die Augen. Sei ehrlich, hast du es niemandem gesagt,
hast du es nicht ausgeplaudert... das... von meinen Gedichten? Gib's zu, du
hast es nicht bei dir behalten können! Du hast es erzählt!
ISA Majestät!
KÖNIGIN Du hast also nichts gesagt? Niemandem? Dann weiß ich nicht, wie er
es erfahren konnte. Er muss bestimmt das Heft unter der Matratze gefunden
haben.
KÖNIGIN Das ist es und nichts anderes. Nur das hat er gemeint! Warte mal
-sag mir offen, sprich mit mir, als wäre ich nicht die Königin, ich entbinde dich für
diesen Augenblick von allen geziemenden Rücksichten. Sag mir die Wahrheit:
fällt dir nichts auf, wenn du Yvonne siehst? Kommt dir nichts in den Sinn?
Irgendwelche Assoziationen?... Ihr Gang zum Beispiel? Ihre Nase? Ihr Blick
und überhaupt die ganze Art, sich zu geben? Erinnert dich das nicht an etwas?
Denkst du nicht, dass ein boshafter Mensch dies in Verbindung bringen könnte
mit... mit... meinen Gedichten, in die ich vielleicht zuviel Poesie... zuviel von
meiner Poesie... von meiner intimen Poesie hineingelegt habe? Ach!
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Schwör es! Schwör es bei diesen Kerzen. Das ist kein Spaß. Schwöre! Nur
keine falsche Scham. Rasch auf die Knie... und sprich mir nach: ich schwöre...
PRINZ Mutter, ich möchte mit dir sprechen. Oh, Verzeihung. Ich störe bei einer
Zauberei.
KÖNIGIN Nein, nein, sie bringt meine Pantoffeln in Ordnung. Ich habe mir zu
weite Pantoffeln gekauft.
PRINZ In welchem sonst? In welchem Ton soll ich sprechen, wenn mein Vater
sich grundlos auf meine Verlobte stürzt und sie brutal beschimpft? Wenn meine
Verlobte vor Schreck fast gelähmt ist? Wenn ich mich nicht einen Augenblick
entfernen kann, ohne dass ihr mit ihr anstellt, was euch gerade gefällt? Mir
scheint, ich bin ausgesprochen ruhig. Valentin tritt ein
Raus, Valentin! Mutter, ich möchte mit dir unter vier Augen sprechen.
KÖNIGIN Ich bin mit diesem Gespräch unter vier Augen einverstanden, aber
sag mir erst, was du sagen willst.
PRINZ Ich sehe, Mutter, du bist auf der Hut. Mutter, verzeih, wenn ich etwas...
etwas sage, was ziemlich eigenartig und exzentrisch klingt. Ich weiß nicht, wie
ich es in Worte fassen soll. Angeblich hat sie den König an irgendwelche
Sünden von dir erinnert?
PRINZ Vater! Er sagte mir, er habe sie angeschrien, weil sie ihn an
irgendwelche intimen Sünden von dir erinnert.
KÖNIG Unsinn? Nichts hab ich erzählt. Er hat mich genervt, also habe ich es
ihm gesagt. Was? Wie? Warum? Da habe ich die Wahrheit gesagt. Mir ist es
lieber, er nervt dich als mich.
KÖNIGIN Ignaz!
PRINZ Moment... Moment... bedenkt, in welche Lage ihr mich bringt. Vater
stürzt sich mir nichts, dir nichts auf meine Verlobte. Er stürzt sich auf sie, und
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wenn ich nach dem Grund frage, wozu ich, glaube ich, absolut berechtigt bin,
redet ihr Dinge daher, von denen man nicht weiß, was man damit anfangen und
wie man damit umgehen soll. Wie jetzt? Meine Mutter hat gesündigt, und
deshalb stürzt mein Vater sich auf meine Verlobte?
KÖNIG Jawohl, ich stürze mich. Ich bin ein Vater, der sich stürzt. Was jetzt,
was, glaubst du vielleicht, was? Ich mach das wegen meiner eigenen
Sünden?... Margarete, was guckst du so? Wenn du mich so ansiehst, werde ich
auch dich ansehen.
PRINZ Meine Eltern sehen sich wegen meiner Verlobten an. Meine Mutter
meinen Vater und mein Vater meine Mutter. Sehen sich an wegen meiner
Verlobten.
KÖNIG Na, na, Fippßchen, mach den Papa nicht zum Irren. Beruhige dich...
KÖNIGIN Philipp, Vater hat sich geärgert und hat dir alles mögliche zur Antwort
gegeben, nur damit du ihn nicht mit Fragen quälst. Es lohnt nicht, sich länger
mit dieser Albernheit zu beschäftigen. Wechseln wir das Thema.
PRINZ Im höchsten Maße albern. Mehr noch. Töricht. Idiotisch sogar. Verbeugt
sich
PRINZ vertraulich Weil ich selber etwas idiotisch bin... ihr gegenüber...
PRINZ Man kann es schwerlich anders nennen. Ich liebe sie nicht. Ich glaube
bestimmt, dass ihr euch idiotisch und sinnlos ihr gegenüber verhaltet, weil ich
selbst mich so verhalte... ihr gegenüber.
KÖNIG Na, na, erlaube dir nur nicht zuviel. Der Prinz verneigt sich Warum
verbeugst du dich vor mir, du Esel? Wieso?
KÖNIG Was? Was? Alles? Ich erlaube mir gar nichts. Was willst du von mir?
Kammerherr... Weicht zurück T\ä... Hm. Was soll denn das nun wieder?
KÖNIGIN Philipp, was haben diese Verbeugungen zu bedeuten? Hör auf, dich
zu verbeugen!
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KAMMERHERR Wenn man sich mit ihr alles erlauben darf, so bedeutet das
nicht, Prinz, dass Sie sich auch mit uns alles erlauben können. Der Prinz
verbeugt sich vor ihm. Der Kammerherr springt zurück Doch nicht vor mir!
Warum vor mir? Ich habe damit nichts zu tun! Kommen Sie mir bitte nicht zu
nahe!
PRINZ vertraulich Ihr darf jeder zu nahe kommen. Sie bei den Haaren packen.
Am Ohr!
KÖNIG plötzlich Ha, ha, ha! Verstummt beschämt Tjä .. . dingsda... hm.
PRINZ Die kann jeder berühren! Glaubt mir nur, mit der könnt ihr machen, was
ihr wollt. Mit einer wie der kann man alles tun! Sie ist schüchtern. Sie protestiert
nicht. Sie ist unsympathisch. Man darf alles. Du kannst mit ihr idiotisch, obskur,
blöd, schrecklich, zynisch sein - wie du willst - wie es dir gefällt. Verbeugt sich
vordem Kammerherrn Nach Lust und Laune... Lust und Laune...
KAMMERHERR springt zur Seite Mich geht das nichts an! Mir ist das
vollkommen egal. Verbeugt sich vordem Prinzen Auf Wiedersehen... Auf
Wiedersehen... Geht hinaus
KÖNIG Das Aas. Das Aas. Na, na, Fippßi... Was schaust du so? Auf
Wiedersehen. Verneigt sich Auf Wiedersehen. Raus! Raus! Geht hinaus
KÖNIGIN Was soll das bedeuten?! Erklär mir, was das bedeuten soll, warum du
das sagst... Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen (geht ab)
PRINZ hinter ihnen her Alles kann man! Alles! Was man nur will. Zu sich Und
sie sitzt dort, sitzt irgendwo am Ofen und liebt mich - und liebt mich! Sie liebt
mich! Alles ist erlaubt! Alles darf und kann man! Was einem gefällt! Alles!
Bemerkt Isa, die sich aus einem Sessel im Hintergrund erhebt, wo sie während
dieser ganzen Szene gesessen hat. Sie will hinausgehen. Der Prinz geht auf
sie zu und küsst sie in den Nacken Wegen Yvonne braucht man sich nicht zu
genieren!
PRINZ Ach! Genieren Sie sich nicht! Man darf. Küsst sie auf den Mund Ach!
Welche Wonne...
PRINZ Ich sage Ihnen, Sie brauchen sich nicht zu genieren. Mit ihr darf und
kann man alles. Verzeihung! Das wollte ich eigentlich nicht. Das kam
irgendwie... Verzeihung, was habe ich getan? Ich habe mich wie ein Verrückter
benommen.
ISA Frechheit.
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PRINZ Ich flehe Sie an, sprechen Sie mit niemandem darüber. Wenn meine
Verlobte es erfährt, wird sie leiden... Sie wird leiden! leiden! leiden! leiden!
PRINZ hält sie immernoch fest Gleich... gleich... Leiden. Küsst sie Was für ein
Naschen, was für ein Mündchen! Geh nicht fort! Es scheint, ich habe sie
betrogen. Das ist schrecklich!! Aber das ist großartig! Ach, wie leicht das geht!
Ruft Valentin! Valentin!
ISA versucht sich loszureißen Aber bitte, rufen Sie wenigstens nicht.
ZYRILL Wieso?
PRINZ Yvonne, ich muss dir etwas gestehen. Eben gerade habe ich dich mit
Isa betrogen. Du hörst auf, meine Verlobte zu sein. Tut mir leid, aber ich kann
nichts daran ändern. Du hast keinen Sex-Appeal, den Isa in hohem Maße
besitzt. Nimm's mir nicht übel, wenn ich dich auf diese Weise so leichthin davon
unterrichte, aber ich habe beschlossen, eine gewisse Leichtigkeit auszunutzen,
die plötzlich in der Natur liegt... dank dir... dank dir, mein Schatz. Küsst Isa die
Hand. Zu Yvonne Was stehst du so da? Du kannst hier herumstehen, solange
du willst, das ist ganz egal! So leb mir wohl! Ich gehe, ich lichte die Anker, ich
rücke ab, ich entferne mich, ich breche mit dir! Da kannst du lange stehen!
ZYRILL Da kann sie lange stehen! Da steht sie nicht gegen an, und wenn sie
noch zehn Jahre steht. Ist das eine Freude!
PRINZ zu Isa Verzeih, mein Schätzchen, ich habe vergessen, dich zu fragen,
ob du einverstanden bist? Schlag es mir nicht ab. Küsst ihre Hand Oh, jede
solche Geste macht mich gesund. Ich werde sofort entsprechende Dis-
positionen treffen lassen. Man braucht die Tatsache unserer Verlobung vor der
Welt nicht zu verbergen. Meine Eltern werden sich freuen. Der Kammerherr...
der brave Kammerherr! Der Hofstaat... Allen wird ein Stein vom Herzen fallen.
Die Atmosphäre wurde wirklich langsam unerträglich. Zu Yvonne Was stehst du
noch da? Mir scheint, zwischen uns ist alles geklärt. Worauf wartest du noch,
meine Liebe?
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ZYRILL Von sich aus wird sie sich nicht rühren.
PRINZ Lade ihren Geliebten vor, der soll sie mitnehmen. Jedenfalls soll er sie
hier abholen und an ihren ständigen Wohnsitz schaffen.
ZYRILL Ich lass ihn sofort kommen, und wir expedieren sie hinaus. Sofort,
Philipp! Nur... pass auf, dass sie nicht doch noch irgendwie dagegen ansteht.
PRINZ Keine Angst! Zyrill geht Du kannst dir hier die Beine in den Bauch
stehen, aber du bringst mich in keine dumme Situation mehr. Ich habe mich
geändert. Ich ändere den Ton, und sofort hat sich alles geändert! Du stehst da
wie ein Gewissensbiss, aber das kümmert mich gar nicht! Steh da, solange du
willst! Ha, ha, ha! Im übrigen hast du es gern, wenn man dir Schmerz bereitet,
denn du hast keinen Sex-Appeal. Du hast dich ja selbst nicht gern und bist dein
eigener Feind, deshalb provozierst du unbewusst alle und hetzt sie gegen dich
auf, deshalb fühlt jeder sich mit dir wie ein Schuft und Verbrecher. Aber selbst
wenn du hier ein ganzes Jahr lang stehst, werden deine Trübsal und Schwere
meinen Frohsinn und meine Leichtigkeit nicht besiegen. Lacht sie schelmisch
an und legt einen Arm um Isa
ISA Vielleicht wäre es besser, ihr all das nicht zu sagen? Ein bisschen Mitleid,
Philipp.
PRINZ Nein, nein, kein Mitleid. Nur Leichtsinn! Ich kenne sie jetzt, ich habe
meine Erfahrung. Erstens muss überhaupt etwas gesprochen werden, solange
sie hier wartet, und zweitens muss man ihr in leichtem, fröhlichem Ton die
schlimmsten Dinge sagen. Es geht gerade darum, ihr die allerunangenehmsten
und allerunanständigsten Dinge in unschuldigem und bagatellisierendem Ton
zu sagen. Das erlaubt ihr nicht, zur Existenz zu gelangen, das lässt ihr
Schweigen nicht zu Wort kommen und macht ihr Dastehen unverfänglich. Es
versetzt sie in eine Sphäre, in der sie hilflos ist. Mach dir keine Sorgen um mich,
mir droht jetzt nichts mehr. Es ist wahnsinnig leicht, die Verbindung mit einem
Menschen zu lösen, es ist vor allem eine Frage des veränderten Tons. Soll sie
da stehen, natürlich, bitte schön, soll sie da stehen und schauen... Im übrigen,
lass uns gehen. Ja genau, das ist mir gar nicht eingefallen, dass man einfach
weggehen kann. Wenn sie steht, dann lass uns gehen. Yvonne bückt sich
Verbeug dich nicht vor mir!
PRINZ Leg das hin! Was hast du da aufgehoben? Was ist das?
Ein Haar? Wozu das? Wessen Haar ist das? Ein Haar von Isa.
Leg es hin. Du willst es behalten? Wozu brauchst du das?
YVONNE schweigt
INNOZENZ Verzeihung, so etwas tut man nicht! Prinz, erst machen Sie das
Mädchen verliebt, und jetzt stoßen Sie es fort! Herrschaftliche Launen! Sie
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haben sie unglücklich gemacht! Ich protestiere!
PRINZ Seht, wie dieser Mensch sich auf seinen Protest gesetzt hat.
ZYRILL Er setzt sich darauf wie ein Hund auf seinen Schwanz. Na, los jetzt!
Packen Sie Ihre hochherrschaftliche Dame ein.
PRINZ Yvonne, gib das Haar her! Sie soll das Haar zurückgeben!
PRINZ Nein, nein, sie soll es zurückgeben! Ich ertrage es nicht, dass sie...
dieses Haar... bei sich haben soll! Gib her! Nimmt es ihr weg Ich habe es! Aber
was nützt es schon, dass ich es ihr weggenommen habe? Sie hat ja nicht
dieses Haar, sondern uns — uns hat sie in sich! Zu Isa Wir sind dort, in ihr. Bei
ihr. In ihrem Besitz. Geht fort! Ich komme gleich. Zyrill! Alle gehen außer Zyrill
Halte sie noch auf dem Schloss fest. Lass nicht zu, dass sie fortgeht. Sag allen,
dass man unsere Trennung im Augenblick noch nicht bekannt machen darf.
Noch soll alles so bleiben, wie es ist.
ZYRILL Ich wusste, dass sie doch irgendwie dagegen anstehen würde. Fängst
du schon wieder an!
PRINZ Ich will ja gerade ein für allemal Schluss machen. Erschrick nicht. Ich
werde sie zeigt auf die Gurgel müssen...
PRINZ Yvonne.
ZYRILL Bist du wahnsinnig? Ich flehe dich an, bei allem was heilig ist. Es ist
doch schon erledigt. Du hast mit ihr gebrochen. Man wird sie nach Hause
schicken. Dann ist sie nicht mehr da.
PRINZ Hier ist sie nicht mehr, aber woanders wird sie sein. Und wo sie auch
ist, sie wird immer da sein. Ich werde hier sein — und sie dort — brrr... Ich will
nicht. Lieber einmal töten.
PRINZ Aber absolut, das kannst du mir glauben. Ich habe mich in Isa verliebt.
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Ich habe mich von den Leiden dieser Leidensgestalt freigemacht. Aber, Zyrill, sie
trägt uns in sich... mich und Isa... sie trägt uns in sich und wird dort in sich mit
uns... über uns... alles mögliche anstellen... auf ihre Art... und ihre Weise,
verstehst du? Pfui, pfui! Ich will nicht. Ich töte sie. Was nützt es, wenn sie fort
ist? Sie wird fort sein, aber sie wird uns in sich mitnehmen... Ja, ich weiß, das tut
man gewöhnlich nicht, man tötet nicht... Ich versichere dir, ich bin nüchtern, ich
weiß, was ich sage. Ganz sicher gibt es nicht die geringste Überspanntheit in
mir, weder nach rechts noch nach links. Mit leichter Unruhe Du musst zugeben,
dass ich nicht danach aussehe.
ZYRILL Du willst sie buchstäblich töten, das heißt, einfach hergehen und sie
töten? Das ist ein Verbrechen.
PRINZ Nur dieser eine Streich noch, diese eine einzige Exzentrizität, damit es
später keine mehr geben wird. Im übrigen wird das ganz glatt, kühl, nüchtern,
leicht gemacht. Du wirst sehen, es ist nur scheinbar schrecklich, im Grunde ist
es eine gewöhnliche Operation, eine Operation, und nichts weiter. So ein
sieches Ding zu töten ist ganz leicht. Sie schreit ja förmlich danach. Versprichst
du mir deine Hilfe?
Vorhang
Vierter Akt
Schlosssaal. Zum Trompetenklang tritt der König ein, gefolgt von drei
Würdenträgern
KÖNIG zerstreut Gut, schon gut, ihr langweilt mich nur. Ich habe Wichtigeres
am Hals. Noch etwas?
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WÜRDENTRÄGER Genau dieses Urteil hatten wir von Eurer Majestät
außergewöhnlicher Weisheit erwartet.
MARSCHALL Majestät, für heute abend ist aus Anlass der erhaben
demokratischen Verlobung des Prinzen Philipp mit der Repräsentantin der
niedersten Gesellschaftssphären, Fräulein Yvonne Tzoppek, ein großes
Gastmahl angeordnet. Haben Majestät irgendwelche Wünsche hinsichtlich des
Menüs?
WÜRDENTRÄGER Majestät!
KÖNIG Hinrichten, sage ich. Was glotzt ihr mich so an? Das Gnadenrecht steht
mir zu. Und ich begnadige nun mal nicht. Soll er krepieren! Hinrichten, den
Schurken, nicht, weil er ein Schurke ist, sondern weil ich... hm... dingsda... was
wollte ich sagen? Wir alle sind Schurken. Ihr auch. Hört auf, mich anzuglotzen.
Guckt, wohin ihr wollt, nur nicht mich an. Ich habe genug davon, ewig
angeglotzt zu werden. Ich verfüge von heute an, dass mich keiner mehr
anzuglotzen hat. Alle gucken und gucken immer nur.
KÖNIG Na! Na! Und jetzt raus mit euch! Schluss mit diesem Gefasel. Und
versucht nicht, euch zu wundern. Dass sich mir keiner wundert! Ich war bislang
zu gutmütig! Von heute an werde ich euch zeigen, was ich kann, ich werde
euch an die Kandare nehmen. Würdenträger verbeugen sich Na, na, keine
Verbeugungen! Verbeugungen sind verboten! Alle wollen sich immer nur
verbeugen. Raus! Raus!
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KÖNIG Hm ... hm...
KAMMERHERR Majestät!
KÖNIG düster Du wunderst dich gewiss, mich hier anzutreffen. Richtet sich
mühsam auf Du wunderst dich — das ist jetzt so Mode, dass sich jeder immer
wundert... Ich habe mich hierauf die Lauer gelegt, in den Hinterhalt, verstehst
du?
KÖNIG Auf niemanden. Niemanden speziell. Habe mich aus Spaß auf die
Lauer gelegt. Lacht Du weißt, dieses Zimmer grenzt an das Appartement der
Zimtzicke. Auch Margarete muss hier durch. Sie sitzt hier oft lange herum. Es
gibt hier so manches zu sehen. Und das möchte ich mir angucken. Ich möchte
das mit eigenen Augen sehen.
KAMMERHERR Was?
KÖNIG Margarete.
KÖNIG Ihre Majestät. Weißt du, wie sie selbst, wie sie so ist, wenn ihr niemand
zusieht. So viele Jahre lebe ich mit ihr zusammen und weiß eigentlich nichts
von ihr. Sie hat irgendwas auf dem Gewissen. Hm... Vielleicht hat sie...
vielleicht hat sie... vielleicht hat sie... Was die vielleicht alles hat. Die ist zu allem
fähig. Mir wird ganz schwindlig, wenn ich daran denke. Vielleicht betrügt sie
mich? Ganz sicher betrügt sie mich. Vielleicht ist es auch etwas anderes. Alles!
Alles! — Ich möchte ihre Sünden sehen...
KÖNIG Schweig, Esel! Ich verstecke mich absichtlich hinterm Kanapee, damit
mich niemand sieht. Hinterm Kanapee geht das. Lacht Da darf man! Und was
machst du hier, Kammerherr? Warum rückst du an diesen Möbeln herum und
bastelst konspirative Stilleben?
KÖNIG Nur so - was? Wenn's nur so ist, dann raus mit der Sprache! Ich mach
es auch nur so.
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KÖNIG Und was?
KÖNIG Du erschwerst?
KÖNIG Das Gehen? Düster Ah, dann hat sie also auch dir zugesetzt... die
Zimtzicke? Na, na, macht nichts, macht ja nichts.
KÖNIG Ja, ja, die Dreistigkeit nimmt überhand. Die Zügellosigkeit, ha, ha!
Erinnerst du dich noch, Alter? Stößt ihn an
KÖNIG Ja, ja, aber er hat sich auch vor dir verneigt! Na ja, macht nichts, macht
ja nichts. Die Zügellosigkeit wächst, die Frechheit. Gut, gut... Kammerherr,
wenn sie hier so, sagen wir mal, vorbei kommt... dann springe ich auf und
erschrecke sie. Springe auf und erschrecke sie, ha, ha! Erschrecke sie! Mit ihr
geht das! Lacht Es geht! Erschrecken... und... und dann... erwürge ich sie zum
Beispiel! Töte sie! Eine haben wir doch schon umgebracht.
KÖNIG Ich sage dir, mit der geht das. Mit der geht alles.
KAMMERHERR Das ist aber auch eine Idee... Lacht Majestät geben ja heute
ein feierliches Bankett, anlässlich dieser beweinenswerten Verlobung. Wenn
man nun einen Fisch reichte, einen grätenreichen Fisch, mit Gräten,
Karauschen zum Beispiel, jetzt ist gerade Karauschen-Saison. Wenn man
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Karauschen in Sahne reichte.
Valentin tritt ein
Bitte hinaus!
Karauschen?
KAMMERHERR beleidigt Ich weiß, dass es dumm ist. Wenn es nicht dumm
wäre, hätte ich es nicht gesagt.
KÖNIG voll Schrecken Kammerherr, aber... wenn sie aber tatsächlich... wenn
sie... sie es fertig bringt und daran erstickt?
KAMMERHERR von oben herab Halten Majestät das für möglich? Das ist doch
aber dumm. Selbst wenn durch einen eigenartigen Zufall... etwas derartiges...
eintreten sollte... was hätten wir damit zu tun... mit einer solchen Dummheit?
KAMMERHERR Oh, das ist nur so... ein Gespräch... Mustert seine
Fingernägel
KÖNIG Nur so...? Ha! Das wäre doch gelacht! Mit ihr, wenn man so scharf,
herrisch, von oben herab mit ihr verfährt, kann man alles machen —jede noch
so dumme Dummheit, und die darf sogar so dumm sein, dass keiner überhaupt
wagen wird, einen Verdacht zu hegen. Karauschen? Warum nicht Karpfen?
Kammerherr, ich frage, warum nicht Karpfen?
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Meinetwegen auch Karauschen... Hm... Voll Schrecken Scharf? Herrisch? Von
oben herab?
KÖNIG Ja, ja, ich in ganzer Majestät. Wir brauchen dazu viele Lichter, viele
Menschen, viele Gewänder.. . Glanz, Herrlichkeit... Sie von oben herab
anschreien, dann wird sie sich verschlucken... sie wird bestimmt ersticken. Und
niemand wird darauf kommen, weil es zu dumm ist. — Und von oben herab, von
oben, nicht von unten, sondern majestätisch, mit Glanz. Von oben herab
werden wir sie töten. Was? Hm... Wart mal, verstecken wir uns, die Königin
kommt.
KAMMERHERR Aber...
Verstecken sich hinterm Sofa. Königin tritt ein, sieht sich um, in der Hand ein
Fläschchen. König beiseite Was ist das?
KAMMERHERR Psst!
Die Königin tut ein paar Schritte auf Yvonnes Zimmer zu, bleibt stehen, holt aus
dem Busenausschnitt ein kleines Schreibheft hervor, stößt einen leisen Seufzer
aus und bedeckt ihr Gesicht mit der Hand
KÖNIGIN liest Ich bin vereinsamt. Wiederholt Ja, ich bin vereinsamt, vereinsamt
bin ich, und einsam...
Liest Niemand kennt meines Busens heimliches Sehnen.
Spricht Niemand kennt meinen Busen. Niemand kennt ihn, oh, oh!
Liest Dir, verschwiegenes Heftchen,
Vertrau ich meine Träume,
Meine reinen Schäume,
Mein ganzes Tun und Planen,
niemand soll es erahnen.
Spricht Niemand soll es erahnen, niemand soll es erahnen. Oh! Bedeckt ihr
Gesicht Schrecklich — schrecklich... Töten, töten... Hebt das Fläschchen hoch
Gift, Gift...
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Auf dem Haupt die Krone.
Verborgen bleibt euch,
was in meinem Busen lodert,
Ihr glaubt, ich sei mächtig,
Herrlich und prächtig,
Doch möchte ich bloß biegsam sein.
Spricht Biegsam, ooh! Oooh! Biegsam. Und das hab ich geschrieben! Das ist
von mir! Von mir! Töten, töten! Liest
Biegsam wie der Haselstrauch,
Biegsam wie des Flieders Hauch,
Biegsam wie des Pferdes Bein,
Das eilige Rauschen im Hain,
Schwankendes Lüftchen im Maien,
Nur biegsam wünsche ich zu sein.
Biegsam und keine Königin sein.
Biegsam, oooh, Biegsamkeit, aaah! Ah!
KÖNIGIN Zerzaust soll ich gehen? Oh, oh, oh! Das kann dich verraten! Wenn
dich jemand mit diesem zerwühlten Haar ertappt... Hör auf, mit dir selbst zu
sprechen. Sie spricht bestimmt auch mit sich selbst. Margarete, hör auf, mit dir
selbst zu sprechen, das kann dich verraten. Schaut in den Spiegel Oh, wie
dieser Spiegel mich ertappt hat. Ich muss alle Hässlichkeit aus meinen Zügen
herausholen, erst dann kann ich gehen. Hör auf, mit dir selbst zu sprechen,
sonst hört es noch jemand. Ich kann nicht aufhören, mit mir selbst zu sprechen.
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Ob alle Mörder vor dem Akt mit sich selbst sprechen? Was ist hier? Etwas hier
ist anormal! Sieht sich um Eine sonderbar bösartige Unordnung. Verzieh dein
Gesicht, Margarete, verzieh es! So, ja, und jetzt lass uns gehen! Du mit mir, ich
mit dir. Wieso du mit mir und ich mit dir - ich gehe doch allein. Verzieh dein
Gesicht! Gehen wir! Denk an all deine Gedichte und geh! Erinnere dich all
deiner heimlichen biegsamen Träume und geh! Denk an all deine
Haselsträuche, deine Fliederhäuche und geh! Oh, oh, oh, ich gehe, ich gehe!
Ach, ich kann nicht. - Es ist zu verrückt! Augenblick noch, gleich -beschmieren
wir uns, nur das noch... Beschmiert sich mit Tinte So, mit diesen Flecken ist es
leichter... Jetzt bin ich eine andere. Halt, das kann dich verraten! Gehen wir! Die
Denunziantin töten! Ich kann nicht! Lesen wir noch ein wenig! Ich muss noch
ein wenig lesen! Nimmt ihre Gedichte heraus Lesen wir ein wenig, das spornt an
und lässt die Mordgier wachsen.
KÖNIGIN Ignaz!
KÖNIG Zeig her! Zeig her! Ah, du Mörderin! Zeig her! Mich gelüstet es nach
deinen Sünden! Zeig her, und wir verleben neue Flitterwochen! Zeig her, du
Giftmischerin!
KÖNIG Ha, so ist das! Sie träumt von Biegsamkeit und will deshalb die
Zimtzicke vergiften! Aber einerlei. Ich habe sie sowieso getötet.
KÖNIG Ich habe sie ertränkt! Zusammen mit dem Kammerherrn. Der
Kammerherr und ich haben sie ertränkt...
KÖNIG Dummerchen. Nicht Yvonne, doch das ist einerlei. Nicht Yvonne, eine
andere. Schon lange her. Jetzt weißt du auch, was in mir ist. Weißt du's jetzt?
Verglichen mit meinen Sünden sind deine dummen, verschämten Gedichte
ohne Bedeutung. Ich habe sie getötet, und ich werde jetzt die Zimtzicke töten.
Ich werde auch die Zimtzicke töten.
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KÖNIGIN Töten, die Zimt...
KÖNIG Ja, jetzt die Zimtzicke. Wenn es gelingt, auch sie. Auch sie wieder und
so weiter... Immer irgendjemand irgendwen irgendwo irgendwann... Immer so
weiter... Wenn nicht den, dann einen anderen, und wenn nicht jene, dann
wieder irgendeine, und ständig so weiter — scharf von oben herab — dreist,
selbstsicher. Einschüchtern, und dann dings... Zum Kammerherrn Wasser!
Trinkt Ich bin alt... ich werde alt...
KÖNIGIN Das erlaube ich nicht! Ignaz, das erlaube ich nicht!
Yvonne tritt ein, sieht die Versammelten und will sich zurückziehen, kann aber
nicht. Sie geht durch den Raum in ihr Zimmer. Von nun an wird nur noch
halblaut gesprochen Ha!
KÖNIGIN Ignaz, damit bin ich nicht einverstanden, ich will es nicht, ich erlaube
es nicht, Ignaz!
KÖNIGIN Ich lasse keine Karäuschchen servieren! Ignaz, mach mich nicht
wahnsinnig. Ich lasse keine Karäuschchen reichen. Wie kommst du jetzt wieder
auf diese Karäuschchen? — Ich sage euch, ich serviere keine Karäuschchen.
Warum Karäuschchen, warum in diesem Augenblick ausgerechnet Karäu-
schchen? Ich lasse keine Karäuschchen servieren.
KÖNIG Wie, Launen? Zum Kammerherrn Gib mir meine Krone. Was soll das?
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Kammerherr reicht die Krone
KÖNIGIN Ignaz, nein. Nimm die Krone ab. Ignaz, was ist?! Nein, warum das,
Ignazü
KÖNIG Margarete, wenn ich dir sage, du sollst Karauschen servieren, dann
lässt du Karauschen servieren. Keine Diskussion, sonst schlag ich dich... und
ich darf dich schlagen, wenn ich will. Ich darf dich schlagen, weil ich voller
Sünde bin - ich darf mir alles erlauben. Zittere vor mir, Weib, denn ich bin voller
Sünde! Ich bin der König der Sünden, weißt du, der König der Dummheit, der
Sünden, der Vergewaltigungen, des Stöhnens!
KÖNIG ruhiger Na, na, na... Lass Karauschen servieren. Und bitte die
berühmtesten Würdenträger zu Gast, all diese erfahrenen, alten
Einschüchterer, diese Praktiker, die einen zu lähmen verstehen wie tausend
Teufel. Leiser Margarete, ich habe genug von diesen verschreckten Gesichtern,
diesen Aufregungen, diesen Ängsten, diesen Schamgefühlen, verstehst du
mich? Schluss mit deiner Poesie, deiner Biegsamkeit, dem Haselstrauch und
Fliederhauch... Du bist keine Schlüsselblume mehr, du bist eine Dame, eine
Königin, na, na. Nicht du sollst dich biegen, sondern die anderen sollen sich vor
dir beugen, na, na. - Wasch dich, Dreckspatz, du siehst ja zum Gotterbarmen
aus. Zieh dein Damastkleid an und zeig, was du kannst, Alte ! Los, mach! Nimm
all deine Eleganz, Grazie, Distinktion, Manieren und Takt zusammen, dazu
halte ich dich ja hier. Und befiehl auch deinen Weibsbildern, dass sie sich
herausputzen, so gut sie können. Na, los, jetzt geh - du hast wohl verstanden?
Und dass es mir glanzvoll wird. Glanzvoll muss der Empfang sein, mit Damen,
nicht mit Dreckspatzen. Du empfängst die Gäste und lässt auftischen, über den
Rest zerbrich dir nicht den Kopf, den Rest besorg ich allein! Von oben herab,
von oben - mit Majestät! Geh, geh - du Köchin. Während der letzten Worte hat
die Königin ihr Gesicht mit den Händen bedeckt. Sie geht. Kammerherr... Stößt
ihn mit den Ellenbogen
KAMMERHERR Majestät?
KÖNIG leiser, düster Verneige dich vor mir... Ich brauche, dass du dich vor mir
verneigst...
Beide verstecken sich hinter dem Kanapee. Es schleichen herein: der Prinz mit
einem Messer in der Hand, hinter ihm Zyrill mit einem Korb
ZYRILL blickt durch das Schlüsselloch einer Tür im Hintergrund Pssst. Hierher.
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PRINZ Was tut sie?
PRINZ Fliegen?
PRINZ hebt das Messer Na, dann versuchen wir's. - Eins, zwei, drei... gib acht,
dass niemand kommt, halt den Korb bereit... Zyrill öffnet den Korb, der Prinz
schleicht sich an die Tür.
KAMMERHERR Psst...
ZYRILL sieht den Prinzen von der Seite an Philipp, nein - hör auf! Philipp,
sonst schlage ich Lärm!
PRINZ Nervös?
ZYRILL Das ist unmöglich! Wie du dich da mit einem Messer zu diesem armen
Wurm schleichst! Bricht in leises Lachen aus Das geht nicht - nein, das geht
nicht! So eine ermorden?!... Und dieser Korb! Dieser Korb!
PRINZ Hör auf! Legt das Messer weg Der Korb ist technisch erforderlich.
ZYRILL guckt durch das Schlüsselloch Sie schläft ein. Ich glaube, sie ist
eingeschlafen...
PRINZ Eingeschlafen?
ZYRILL Psst. Es sieht so aus, als ob sie... wankt, hin und her... im Sessel...
PRINZ guckt durch das Schlüsselloch Jetzt oder nie! Geschieht es gleich,
geschieht es schmerzlos... Versuch du's!
ZYRILL Ich?
PRINZ Für dich ist es leichter — du bist fremd, du stehst mit ihr auf gleicher
Stufe, du bist kein Objekt für sie, dich liebt sie nicht. Zyrill, tu's mir zuliebe. Es
ist nur ein Augenblick... eine Operation, ein Eingriff... sie wird nichts spüren...
Nichts wissen. Denk daran, in dem Augenblick, da du es tust, gibt es sie nicht
mehr. Es geschieht jenseits von ihr. Es ist leicht. Es ist unsere Tat, einseitig, es
betrifft sie gar nicht...
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ZYRILL Eben, je leichter, desto schwerer. Nimmt das Messer
ZYRILL Nein?
ZYRILL Geht es nicht? Man sollte meinen, es geht, aber es geht nicht. Was
zum Teufel ist los? Sie ist dafür zu schwächlich — zu kränklich. Ja, wenn es ein
dickes, rotgesichtiges Weib wäre, aber diese blasse... eine Blasse kann man
nicht...
ZYRILL Ich.
PRINZ Ja, du siehst mich an und ich dich. Geh jetzt, ich mach's lieber allein.
Ich erledige das allein. Ein Eingriff, schrecklich zwar, aber nicht mehr als ein
Eingriff. Lieber einen einzigen Augenblick schrecklich als ein Schrecken
lebenslang. Bleib vor der Tür, ich werde es allein... Zyrill geht hinaus Allein. Für
sie ist es eine Erlösung... Das Ende des Leidens — für mich auch. Ein
rationeller Eingriff, ein rationeller... Hm... Sieht sich um, nimmt das Messer, legt
es wieder weg Zyrill!
PRINZ Allein ist es noch schlimmer. Sobald der Mensch allein ist, bläht er sich
auf, wächst an... zu Dimensionen... Horcht Was ist das?
PRINZ Atmet... Guckt durch das Schlüsselloch Ja! Wie sie atmet — wie sie dort
in sich selbst lebt — bis über beide Ohren in sich... in sich versunken, in sich
enthalten... Da wird nichts draus... Nimmt das Messer Na und, in den Leib
stoßen?... Aber da ist eine schreckliche Schwierigkeit... Schreckliche
Leichtigkeit, aber in dieser Leichtigkeit liegt gerade die schreckliche
Schwierigkeit... Isa tritt ein
ISA sieht das Messer Was ist das? Guckt durch das Schlüsselloch Mord!
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ISA Mord... Willst du zum Mörder werden?
PRINZ Schweig! Misch dich nicht ein! Ich bin hier dabei, meine
Privatangelegenheiten zu erledigen. Sobald ich fertig bin, komme ich. Geh jetzt!
ZYRILL Dummheit! Philipp, gehen wir, es ist eine Dummheit! Lassen wir das!
ISA Na, soll sie doch schlafen. Was geht es dich an, dass sie schläft. Philipp,
auch ich werde schlafen... heute nacht.
ISA Philipp, auch ich werde seufzen... heute nacht. Hör auf, dich für sie zu
interessieren. Ich bin hier! Hör auf, dich mit ihr zu befassen, hör auf, sie zu
morden... Lass uns gehen.
ISA Soll sie doch träumen. Ich will dir erzählen, was ich geträumt habe. Von dir
habe ich geträumt. Komm!
PRINZ Bestimmt von uns! Sie träumt von uns. Von mir, von dir. Wir sind da drin.
PRINZ In ihr sind wir drin. Hörst du nicht, wie schmerzlich sie schläft? Wie
grausam sie atmet? Wie schwer es arbeitet in ihr, wie wir beide dort in ihren
Abgrund sinken, wie sie mit uns macht, was ihr gerade gefällt. - Interessant, was
sie da mit uns anstellt, wie sie da ihr Mütchen kühlt an uns... in sich...
ISA Bist du schon wieder anomal? Du kannst nicht aufhören, anomal zu sein.
PRINZ ständig flüsternd Ich bin normal, aber ich kann nicht normal sein, wenn
jemand anders anomal ist. Gut, ich werde normal sein, und du wirst auch
normal sein, aber was hilft das, wenn jemand anders, ein Anormaler, auf unsere
Normalität pfeift, nebenan auf der Schalmei, tralala - und wir tanzen dazu, wir
tanzen...
ISA Philipp, nach alldem, was in der vergangenen Nacht zwischen uns
geschehen ist?
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PRINZ lauscht Sie schnarcht.
ISA Was?
PRINZ antwortet ihm unbewusst Ich kann nicht überschreiten - was war das?
Wer hat das gesagt? Was ist nur in diesem Zimmer hier? Seht doch diese
Möbel, wie dumm sie dastehen. Tritt gegen einen Sessel
KAMMERHERR Psst!
ZYRILL Lass. Töten wir sie oder gehen wir, ich kann hier nicht mehr länger so
stehen, mit dem Korb. Ich gehe jetzt überhaupt - ich fliehe. Ich fliehe vom
Schloss. Ich kann mich hier nicht mehr einspannen lassen. Ich kann nicht.
KÖNIG Vorwärts.
ZYRILL Philipp, küss sie! Zu Isa Zum Teufel, so tun Sie doch irgend etwas,
damit er Sie küsst. Er soll Sie küssen!
KAMMERHERR Psst!
ISA Ich werde nicht um Küsse betteln. Ich werde nicht stundenlang zusammen
mit diesem Korb und diesem Messer vor der Tür dieser Kreatur da stehen. Es
reicht. Ich gehe für immer. - Das war zuviel.
PRINZ Verlass mich nicht! Isa, ich will dich küssen! Warte!
ISA stößt ihn zurück Ich will nicht! Bitte lass mich los! Ich lass mich hier nicht
wie auf Bestellung vor der Tür küssen, ohne Sinn, mit diesem Korb, mit diesem
Messer. Was sollen jetzt hier Küsse? Lasst mich.
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KÖNIG immer noch hinterm Sofa Weiter! Vorwärts! Attacke!
PRINZ Ruhig Blut. Vor allen Dingen: ruhig Blut, sonst verlieren wir alle den
Kopf. Leise, sonst wacht sie auf... Warte, Isa, nicht so heftig. Ich darf dich nicht
verlieren. Lass dich von dieser Anormalität nicht abschrecken. Natürlich,
zugegeben, unter diesen Umständen hat ein Kuss keinen Sinn, aber küssen wir
uns trotz allem, küssen wir uns, als wäre es natürlich... Bei Gott, tun wir
wenigstens normal, wenn wir schon nicht normal sein können. Sonst kommen
wir hier nie raus. Ich sehe keinen anderen Ausweg als den Kuss, er bringt uns
irgendwie zur Norm zurück, er erlaubt uns die Rettung von diesem Ort. Umarmt
Isa Ich liebe dich, sag, dass du mich liebst. Du liebst mich!
ISA Ich sage es nicht! Auf keinen Fall werde ich das sagen. Loslassen...
Yvonne steht in der Tür, reibt sich die Augen. Der König guckt sehr aufgeregt
hinter dem Sofa hervor, der Kammerherr hält ihn zurück
KÖNIG Vorwärts.
ISA Philipp.
KÖNIG laut Gut, gut, Philipp! Recht geschieht ihr! Attacke! Vorwärts! Tod und
Verderben! Auf sie mit Gebrüll! Attacke - auf die Zimtzicke!
KÖNIG Schrei nicht so! Zieht mich hier heraus. Arbeitet sich mühsam hoch Ich
bin ganz steif. Meine alten Knochen sind eingeschlafen. Zum Prinzen Heißa!
Heißa! Auf sie mit Gebrüll! Ihr Schlappschwänze! Jetzt bringen wir sie um!
Attacke, auf sie, sage ich! Vorwärts, Philipp - Kammerherr, hierher! Auf die
Zimtzicke!
Die Königin im Ballkleid tritt ein. Lakaien tragen Tische herein, die fürs Bankett
vorbereitet sind. Gäste, Licht
Halt! So wird daraus nichts. Wir haben die Karauschen vergessen. Von oben
herab werden wir sie! Von oben, nicht von unten! Von oben, in aller Majestät!
Erschrecken, und dann dings! Vorwärts, Margarete! Auf sie! Zu den Gästen
Bitte... bitte... meine Herrschaften, treten Sie ein! Philipp, rück deinen Kragen
zurecht und kämm dein Haar... von oben, von oben, mein Sohn! Attacke! Zum
Kammerherrn Gib mir meine Krone.
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PRINZ Was geht hier vor?
KÖNIG zu den Gästen Seien Sie uns auf das höflichste willkommen. Bitte,
meine Herrschaften, treten Sie näher.
KÖNIG zu den Gästen Dalli! Auf sie! Fass! Attacke! Von oben herab, meine
Herren, von oben. Kammerherr, weise jedem den Platz an, der seiner Würde
entspricht, damit das Höhere das Niedere beiße und auch das Niedere das
Höhere, oder besser gesagt, damit das Höhere aus dem Niederen gerechten
Stolz schöpfe, das Niedere aus dem Höheren aber Anreiz und Anregung für
noch fruchtbarere Anstrengungen im edlen Wettstreit. Und meine künftige
Schwiegertochter platziere uns gegenüber, zu ihrer Ehre nämlich geben wir die
heutige Gardenparty.
KÖNIGIN Doch ohne Rücksicht auf seinen Rang in der Hierarchie der Ränge
möge ein jeder unter der Sonne unserer Gnade zur vollen Blüte seines Wesens
erblühen. Mögen die Damen zeigen, was sie können, und auch die Herren mö-
gen es den Damen zeigen! Mit Glanz, meine Herren, mit Schick, mit Eleganz,
mit Schliff und Feinheit!
KÖNIG Ja, ja - Attacke... will sagen dingsda... Vorwärts! Setzen wir uns!
GÄSTE Aaah! Verneigen sich vor König und Königin, setzen sich
KÖNIG Wie ich bereits angedeutet habe, wird dieses bescheidene, jedoch
elegante Dinner zum Verderben, will sagen vielmehr zu Ehren unserer
künftigen Schwiegertochter gegeben, der wir heutigentags den Titel einer
Prinzessin von Burgund in partibus infidelium zu verleihen beschlossen haben.
Sie also ist die Heldin unseres heutigen Gastmahles. Seht, wie freudig sie
lächelt.
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KÖNIG tut sich auf Ein etwas grätiges, doch schmackhaftes Flittchen... ich
meine: Fischchen — wie es da so liegt... hm... Tut sich auf den Teller
KÖNIGIN tut sich auf Ein bisschen alt, aber in dieser Sauce distinguiert, und die
Distinktion, das gestehe ich, sagt mir bedeutend mehr zu als alles, was man im
allgemeinen schamhaft als Poesie bezeichnet. Vielleicht bin ich nicht
sentimental, aber hochnäsig ich ertrage nichts, was nur entfernt nach
Haselstrauch oder Fliederhauch riecht. Ich ziehe ältere Damen vor, Damen in
der vollen Bedeutung dieses Wortes!
GÄSTE Aaah!
KAMMERHERR tut sich auf Dies ist ein scheinbar bescheidener, aber im
Grunde, seinem Wesen nach, ein unerhört, geradezu unwahrscheinlich
aristokratischer Fisch. Es genügt zu sagen, dass er keine Knochen, sondern
Gräten hat! Und was für eine Sauce! Göttlich! Aus Sahne, und doch etwas
Besseres, etwas Höheres als Sahne! Was für ein Geschmack — scharf, pikant,
funkelnd, paradox. Ich bezweifle nicht, dass alle sie gehörig zu würdigen
wissen, denn ich habe noch nie eine derart erlesene Versammlung gesehen.
GÄSTE Aaah!
KÖNIG zu Yvonne, düster Man muss nur vorsichtig sein beim Essen, denn man
kann sich verschlucken! Unglück lauert auf den Menschen. So eine Karausche
sieht nach nichts aus, dabei ist sie im Grunde...
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YVONNE beginnt allein zu essen
KÖNIG steht auf und zeigt drohend auf Yvonne Sie hat sich verschluckt! Sie hat
sich verschluckt! An einer Gräte! Die Gräte steckt ihr im Hals! Die Gräte, sage
ich! Naü!
GÄSTE bestürzt, fahren hoch Hilfe! Wasser! Auf den Rücken klopfen!
GÄSTE Ach, die Unglückliche! Was für ein Unglück! Eine Katastrophe! Eine
Leiche! Sie ist gestorben! Stören wir nicht länger.
Sie gehen hinaus und geben den Blick auf Yvonnes Körper frei
PRINZ Gestorben?
KÖNIGIN nervös, als sei sie etwas beschämt Ignaz, man wird an die Trauer
denken müssen. Du hast keinen schwarzen Anzug. Du bist dicker geworden,
deine Anzüge sind dir zu eng.
KÖNIG Keinen Anzug? Wenn ich es befehle, habe ich einen Anzug.
KÖNIG überrascht Den Schneider? Ah, richtig... Reibt sich die Augen Richtig,
der Schneider Salomon, Herrenkonfektion... Sieht zu Yvonne hin Was? Ist sie
gestorben? Im Ernst?
KÖNIG nach einer Weile Unternehmt etwas. Es muss etwas geschehen mit
dem da. Man muss etwas sagen. Dieses Schweigen irgendwie zu Ende
bringen. Philipp... dingsda... sei stark. Es ist nun mal passiert — sie ist gestor-
ben.
KÖNIGIN streicht ihm über den Kopf Deine Mutter ist bei dir, mein Sohn...
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das wichtigste. Die Lakaien nähern sich dem Leichnam Gleich, ich knie nieder
Kniet nieder
KÖNIG Ach, richtig... Kniet nieder Er hat recht. Man muss niederknien.
KÖNIGIN Knie nieder, Philipp. Man muss niederknien, mein Sohn. Das gehört
sich so.
KÖNIG Schneller! Du kannst nicht allein stehen, wenn wir alle knien.
Vorhang
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