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Ulrike Kuhlmann

Thomas Imminger
Zur Tragfähigkeit von Ankerplatten in
Markus Rybinski bewehrtem Beton
Herrn Prof. Dr.-Ing. Udo Peil zur Vollendung seines 60. Lebensjahres gewidmet

Zur Lasteinleitung in Betonbauteile werden häufig Ankerplatten mit ange- 1.2 Forschungsprojekt
schweißten Kopfbolzendübeln verwendet. Am Institut für Konstruktion Ziel des Forschungsprojekts [7] war es, das Tragverhalten
und Entwurf wurden zwei Versuchsreihen an bewehrten Stahlbetonbau- von Ankerplatten und ähnlichen Einbauteilen mit ange-
teilen durchgeführt, die zeigen, daß Bewehrung auf die Tragfähigkeit gro- schweißten Kopfbolzendübeln unter Berücksichtigung von
ßen Einfluß hat und die tatsächlich übertragbaren Lasten rechnerisch Bewehrung zu untersuchen und für die Praxis anwendbare
bisher eher unterschätzt werden. Auf der Grundlage von 27 Versuchs-
Bemessungskonzepte zu entwickeln. Um die Forschungs-
ergebnissen und ergänzenden FE-Analysen wird ein erstes auf der Kom-
ergebnisse in die gegenwärtigen europäischen Entwicklun-
ponentenmethode basierendes mechanisches Modell vorgestellt, das die
Tragfähigkeit von Ankerplatten mit angeschweißten Kopfbolzendübeln gen im Bereich des Stahl- und Stahlverbundbaus [8], [9]
in bewehrten Stahlbetonbauteilen beschreibt. integrieren zu können, wurde ein Bemessungsmodell auf
Basis der Komponentenmethode entwickelt.
Load-carrying capacity of anchor plates in reinforced concrete.
For the load transmission into concrete constructions frequently anchor 2 Versuche
plates with welded studs are used. At the Institute of Structural Design
two test series at reinforced concrete specimens were accomplished, Im Rahmen des Forschungsprojekts wurden insgesamt 31
which show that reinforcement decisively influences the load-carrying Versuche durchgeführt. 21 Versuche wurden an Anker-
capacity and the actually calculated design loads tend to underestimate platten mit jeweils sechs gleich langen Kopfbolzendübeln
the real resistance. On the basis of 27 test results and supplementary
durchgeführt. Durch gezielt eingelegte Zulagebewehrung
FE analyses a first mechanical model based on the component method is
wurde untersucht, welchen Einfluß diese Bewehrung auf
presented, describing the load-carrying capacity of anchor plates with
welded studs in reinforced concrete elements. die Grenzzustände der Gebrauchstauglichkeit und der Trag-
fähigkeit der Ankerplattenkonstruktionen hat. Weitere 10
Versuche sind an Ankerplatten durchgeführt worden, bei
denen die Lasteinleitung mit unterschiedlichen Kombina-
1 Einführung tionen von Verbindungsmitteln erfolgte. Als Verbindungs-
1.1 Bemessung von Ankerplatten nach Zulassung mittel kamen neben Kopfbolzendübeln angeschweißte Be-
Gegenwärtig werden Ankerplatten mit angeschweißten Kopf- wehrung und Schubknaggen zum Einsatz. Tabelle 1 listet
bolzendübeln nach allgemeinen bauaufsichtlichen Zulas- für die 21 Kopfbolzenverankerungen in Wandstücken die
sungen (z. B. [1], [2]) dimensioniert. Die Betontragfähig- variierten Parameter auf.
keit wird hier nach dem CC-Verfahren [3], [4] ermittelt, das Wegen der begrenzten Anzahl an Versuchen wurde
die Tragfähigkeit von Ankerplatten in unbewehrtem Beton die Versuchsserie in sieben Reihen gegliedert und ausge-
sehr gut beschreibt. Die Berücksichtigung von Bewehrung hend von einem Basiskörper je Reihe immer nur ein Pa-
ist nach den Zulassungen nur in sehr eingeschränktem Maße rameter variiert. So kann bei einer begrenzten Anzahl
möglich. Treten an den Kopfbolzendübeln neben Quer- von Versuchen die Auswirkung der einzelnen Parameter
auch Zugkräfte auf, so ist bei Berücksichtigung von Beweh- identifiziert werden. Weitere Einzelheiten zu den Versu-
rung eine eher konservative Interaktionsbeziehung anzu- chen s. [7].
wenden [5], [6]. Die Bilder 1 und 2 zeigen eine querkraft- Die Bilder 3 und 4 zeigen exemplarisch die Gegen-
bzw. eine zugbeanspruchte Ankerplatte. überstellung der Versuchsergebnisse zum Einfluß der Be-

Bild 1. Querkraftbeanspruchte Ankerplatte mit Zulagebewehrung Bild 2. Zugbeanspruchte Ankerplatte mit Zulagebewehrung
Fig. 1. Anchor plate with supplementary reinforcement sub- Fig. 2. Anchor plate with supplementary reinforcement sub-
270 mitted to shear mitted to tension

© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 73 (2004), Heft 4
U. Kuhlmann/Th. Imminger/M. Rybinski · Zur Tragfähigkeit von Ankerplatten in bewehrtem Beton

Tabelle 1. Parameter der Versuchsreihen 1 bis 7 wehrung und der Dübellänge. Dargestellt sind die auf die
Table 1. Parameters of test row 1 to 7 Druckfestigkeit fcm = 35 N/mm2 umgerechneten Versagens-
lasten. Gegenüber dem Fall ohne Zulagebügel erreicht der
Versuchskörper mit einem Zulagebügel im Ausbruchkegel
eine 30 % höhere Traglast. Das Anordnen eines dritten Zu-
lagebügels bleibt vergleichsweise wirkungslos. Als sehr effek-
tiv hat sich die Vergrößerung der Dübellänge herausgestellt.
Die Versuchsauswertung ist im einzelnen in [6], [7],
[10] beschrieben.

3 FE-Analysen
3.1 Einführung
Die numerischen Untersuchungen wurden wie im Versuch
verformungsgesteuert mit MASA [11] durchgeführt. Beton,
Baustahl, Dübel sowie die Zwischenschicht zwischen Be-
ton und Baustahl bzw. Dübelmaterial wurden als 8kno-
tige Volumenelemente modelliert. Für die Bewehrung wur-
den 2knotige Balkenelemente verwendet. Weitere Einzel-
heiten zur FE-Modellierung s. [7].

3.2 Verifikation des Modells


Um die Anwendbarkeit des nichtlinearen FE-Modells
für die Parameterstudie zu verifizieren, wurden die
19 Versuche, bei denen Zulagebewehrung vorhanden
war, nachgerechnet und die Ergebnisse mit den Versuchs-
ergebnissen verglichen, s. Bild 5.
Bei den 19 nachgerechneten Versuchen
ergab sich für den Quotienten aus FE-
und Versuchsergebnissen Fu,FE/Fu,Ver-
such ein arithmetischer Mittelwert von
x = 0,998, bei einem maximalen Quo-
tienten von 1,20 und einem minima-
len Quotienten von 0,86. Der Varia-
tionskoeffizient betrug 8,7 %. Auf-
grund der guten Übereinstimmung
der Versuchs- mit den FE-Ergebnis-
sen konnte das Modell für die Para-
meterstudie verwendet werden.

3.3 Tragverhalten
Bild 6 zeigt qualitativ die Normal-
spannungen z im Einbauteil des Ba-
Bild 3. Versuchsergebnisse in Abhängigkeit der Zulagebügel
siskörpers B 2 (vgl. Tabelle 1) bei Ma-
Fig. 3. Test loads in dependance of supplementary reinforcement
ximallast. Es wird deutlich, daß die
Zugkraft, die sich aus der Lastexzen-
trizität ergibt, bei der gegebenen
Konfiguration ausschließlich von der
lastabgewandten Dübelreihe aufge-
nommen wird. Die aufintegrierten
Normalspannungen z der lastzuge-
wandten Kopfbolzendübel sind in
jedem Querschnitt nahe Null. Somit
haben die lastzugewandten Kopf-
bolzendübel keine resultierende Zug-
kraft, die bei der Bestimmung des
aufnehmbaren inneren Moments
Berücksichtigung finden müßte.
Bild 7 zeigt qualitativ die Normal-
spannungen y im Einbauteil des Ba-
siskörpers B 2 bei Maximallast. Die
Bild 4. Versuchsergebnisse in Abhängigkeit der Dübellänge Querkraft wird einerseits über die
Fig. 4. Test loads in dependance of length of anchor Kopfbolzendübel (V1 und V2) in den 271

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Bild 5. Vergleich der FE-Traglasten mit Bild 6. Normalspannungen z bei Maxi- Bild 7. Normalspannungen y bei Maxi-
den Versuchslasten mallast mallast
Fig. 5. FE-loads compared to test loads Fig. 6. Normal stress z for maximum Fig. 7. Normal stress y for maximum
load load

Betonkörper eingetragen als auch über Reibung (Vf) zwi- ist möglich, wenn bei den untersuchten Konstruktionen
schen der Ankerplatte und dem Betonkörper. Die von die Aufteilung der inneren Kräfte eindeutig ist, z. B. wenn
den Kopfbolzendübeln übertragene Querkraft wird jeweils nur eine Komponentengruppe „Zug“ vorhanden ist.
hauptsächlich von den lastzugewandten Kopfbolzendübeln Am Beispiel der Komponentengruppe „Schub“ wird da-
in den Betonkörper eingeleitet. gegen gezeigt, wie Überlegungen zur Verteilung der inne-
Mit dem verifizierten Modell konnte als Ergänzung zu ren Kräfte in Abhängigkeit von den Steifigkeitsverhältnis-
den in den Versuchsreihen variierten Einflußgrößen eine sen angestellt werden können.
Parameterstudie durchgeführt werden. Dabei zeigte sich, Im allgemeinen Fall werden die Kräfte von mehre-
daß die Parameter Betongüte, Lastexzentrizität, seitlicher ren Reihen von Kopfbolzendübeln (auch unterschiedli-
Randeinfluß sowie Durchmesser des Kopfbolzendübels cher Länge), angeschweißter Bewehrung oder einer
einen großen bis mittleren Einfluß auf die Tragfähigkeit Kombination aus beiden Möglichkeiten aufgenommen.
der Anschlußkonstruktion haben. Kaum Einfluß haben Dann ist es zur Ermittlung der Verteilung der inneren
dagegen im Bereich der variierten Parameter der Bügel- Kräfte unumgänglich, die Steifigkeit der einzelnen Kom-
durchmesser (dBü = 10 bis 14 mm), der Abstand zwischen ponenten zu berücksichtigen. Bei plastischer Ausnut-
erstem Bügel und Kopfbolzendübel (sBü = 25 bis 75 mm) zung der Anschlußkonstruktionen muß dann zusätzlich
sowie die Zulage eines Bügels neben dem lastzugewand- die plastische Verformbarkeit der einzelnen Komponen-
ten Kopfbolzendübel. tengruppen bekannt sein.

4 Mechanische Modellierung 4.1.2 Zugkomponenten


4.1 Grundlagen Die einzelnen Elemente der Komponentengruppe „Zug“
4.1.1 Allgemeines können als drei in Reihe geschaltete Federelemente be-
Auf Grundlage der Komponentenmethode wurde ein er- trachtet werden (Bild 8). Die Berechnung der Einzelkom-
stes Bemessungskonzept entwickelt, das für alle im Rah- ponenten ist in Abschn. 4.2.2 aufgeführt. Die Tragfähig-
men des Forschungsvorhabens [7] untersuchten Ankerplat- keit der Komponentengruppe wird durch das schwächste
ten und Einbauteile gilt. Es kann sowohl für reine Quer- Element bestimmt.
kraft, reine Zugkraft als auch für Schrägzug angewendet
werden.
Hierfür werden die statisch wirksamen Komponenten
der Anschlußkonstruktion identifiziert, ihr Tragverhalten
charakterisiert und anschließend die Tragfähigkeit der ge-
samten Anschlußkonstruktion ermittelt. Dabei ist es für die
Anwendung der Methode grundsätzlich unerheblich, ob
auftretende Zugkräfte durch Kopfbolzendübel oder ange-
schweißte Bewehrung oder ob auftretende Querkräfte durch
Schubknaggen, Kopfbolzendübel oder sonstige Konstruk-
tionen übertragen werden.
Im Rahmen des Forschungsvorhabens wird im we-
sentlichen nur auf die Tragfähigkeit Fu der einzelnen Kom-
ponenten eingegangen. Die Steifigkeit S und die Verform- Bild 8. Federmodell der Komponentengruppe „Zug“
272 barkeit wu bleiben unberücksichtigt. Diese Vereinfachung Fig. 8. Model of component group „tension“

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Bild 9. Federmodell der Komponentengruppe „Schub“


Fig. 9. Model of component group „shear“

Bild 10. Aufteilung der Bolzenzugkraft


4.1.3 Schubkomponenten Fig. 10. Load distribution of the tension stud force
Die Einzelkomponenten können als drei parallel geschal-
tete Federelemente betrachtet werden (Bild 9) mit der Rei-
bungskomponente VR,f und den verschiedenen Schubele- Ist unter der Ankerplatte eine Betondruckzone vorhan-
menten wie Dübel oder Schubknaggen. Dabei versagt bei den, so muß nicht die gesamte im gezogenen Kopfbolzen-
Ausfall einer einzelnen Komponente nicht automatisch dübel vorhandene Zugkraft über die Druckstrebe D1 in
das Gesamtsystem. die Bewehrung eingeleitet werden. Ein Teil der Zugkraft
wird von der Druckstrebe D2 aufgenommen, die mit der
4.2 Bestimmung der aufnehmbaren Schubkraft VR Druckzone der Ankerplatte im Gleichgewicht steht. Zur
4.2.1 Berechnungsschema Abschätzung der Aufteilung der Zuglast Z auf die beiden
Für die Bestimmung der aufnehmbaren Schubkraft VR gibt Druckstreben D1 und D2 müssen die Steifigkeiten k1 und
Tabelle 2 das Berechnungsschema an. k2 der Druckstreben betrachtet werden.
Gestützt durch Versuchsergebnisse ergibt sich nähe-
4.2.2 Bestimmung von ZR,1 rungsweise eine Lastaufteilung von 17 bis 25 % zu Gun-
Die Tragfähigkeit der Komponente „Stahlversagen“ NR,s sten der Bewehrung. Diese Aufteilung muß allerdings noch
und der Komponente „Durchziehen“ NR,p kann den gültigen durch vertiefte Untersuchungen bestätigt werden.
Zulassungen (z. B. [1], [2]) entnommen werden. Die Trag-
fähigkeit der Komponente „Betongrund mit Bewehrung“ 4.2.3 Bestimmung der Druckzonenhöhe x und des
NR,cr kann mit dem mechanischen Modell nach Bild 10 aufnehmbaren inneren Moments MR,i
ermittelt werden. Aus den Überlegungen zum Kräftegleichgewicht ⊥ zur Be-
Es ist zu unterscheiden, ob die über den Kopf des tonoberfläche ergibt sich, daß die Betondruckkraft DR von
Kopfbolzendübels in den Betongrund eingeleitete Kraft gleicher Größe ist wie die Kraft in der Komponenten-
ausschließlich über Bewehrung rückverankert wird oder gruppe „Zug“ ZR,1. Da bei den betrachteten Ankerplatten
ob die Rückverankerung teilweise über die Druckzone der kein ungünstiger Randeinfluß zu berücksichtigen ist, kann
Grundplatte geschieht. als zulässige Betondruckspannung die Teilflächenpressung
Die über die Bewehrung rückverankerbare Kraft Nu,a nach [14] angesetzt werden. Aus diesen Überlegungen er-
setzt sich nach Eligehausen, Mallée [3], [4] aus dem An- gibt sich die Druckzonenhöhe nach Gl. (2) und das maxi-
teil über Hakenwirkung übertragbare Kraft Nu,1 und dem mal aufnehmbare innere Moment nach Gl. (3) (s. Bild 11).
Anteil über Verbundwirkung übertragbare Kraft Nu,2 zu-
sammen, vgl. Gl. (1). x = ZR ,1/(3 ⋅ fc ⋅ bPlatte ) (2)

N u,a = N u,1 + N u,2 ≤ A s ⋅ fyk (1)


MR ,i = ZR ,i ⋅ (d − x / 2) (3)

Tabelle 2. Berechnungsschema
Table 2. Calculation scheme

Berechnungsschritt
1 Bestimmung der Tragfähigkeit der Komponentengruppe
Zug ZR,1
2 Bestimmung der Druckzonenhöhe x
3 Bestimmung des maximal aufnehmbaren Moments MR
4 Bestimmung der aufnehmbaren Schubkraft VR
a) Festlegung der Reibungskraft VR,f
b) Bestimmung von VR durch M = 0
c) Kontrolle der Dübelkräfte VR,1 und VR,2
Bild 11. Bestimmung des aufnehmbaren inneren Moments
5 Kontrolle der Schubkraft VR
Fig. 11. Determination of moment resistance 273

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4.2.4 Bestimmung der aufnehmbaren Querkraft VR malkraftbeanspruchung kontrolliert werden. Für Kopf-
Die aufnehmbare Querkraft VR setzt sich aus der bolzendübel kann dies durch die Interaktionsbeziehung
Reibungskraft VR,f und den Kräften VR,1 und VR,2, die NSd/NRd + VSd/VRd < 1,2 nach [12] geschehen. Kann die
über die Verbundmittel übertragen werden, zusammen. berechnete Schubkraft VR rechnerisch durch die Dübel und
Zur Bestimmung der aufnehmbaren Querkraft VR wird Reibung nicht aufgenommen werden, so ist die Berech-
zunächst die Größe der Reibungskraft VR,f bestimmt. nung iterativ mit einer verringerten Zugkraft Z1 < ZR,1 zu
Dann wird über M = 0 die maximale Größe von VR er- wiederholen, da die Tragfähigkeit der Zugkomponente
mittelt (Bild 12). Anschließend wird der auf die Verbund- nicht erreicht wird.
mittel entfallende Anteil von VR ermittelt und kontrolliert,
ob die Tragfähigkeit der Verbundmittel nicht überschritten 4.3 Vergleich mit Versuchsergebnissen
ist. Gegebenenfalls ist bei Überschreiten der Tragfähigkeit In Tabelle 3 werden die Versuchsergebnisse mit den Be-
der Verbundmittel VR,1 und VR,2 die Gesamttragfähigkeit rechnungsergebnissen des vorgeschlagenen mechanischen
mit einer reduzierten Zugkraft Z1 < ZR,1 zu berechnen. Modells verglichen. Es sind nur die Versuche mit einem
a) Festlegung der Reibungskraft VR,f Lasteinleitungswinkel  = 0°, also reine Querkraft, berück-
Für die Versuchsnachrechnung wird die Reibungskraft sichtigt.
VR,f =  · DR mit einem Reibungsbeiwert von  = 0,5 in Unberücksichtigt bleiben die Versuchskörper R1-1 (ohne
Abhängigkeit der Druckkraft DR zwischen Beton und Stahl- Zulagebewehrung) und R2-1 (Dübellänge tn = 100 mm).
platte berechnet. Durch die kurze Dübellänge beim Versuchskörper R2-1 ist
b) Bestimmung von VR die Lastüberleitung von den Kopfbolzendübeln in die Be-
Die maximal aufnehmbare Querkraft VR ergibt sich nach wehrung nicht ausreichend sichergestellt. Dadurch liegt ein
Bild 12 aus dem Momentengleichgewicht, aufgestellt durch Versagensverhalten vor, das nahezu einem unbewehrten
M = 0 um den Drehpunkt A. Der Drehpunkt A ist so ge- Körper entspricht. Der Vergleich zeigt, daß die Berechnung
wählt, daß die noch unbekannte Schubkraft VR,2 keinen die Versuchslasten eher unterschätzt.
Hebelarm hat. Für die Schubkraft VR,1 gibt es zwei Mög-
lichkeiten: 4.4 Anwendung auf Ankerplatten in Stützen
Sind die Verbundmittel auf der lastabgewandten und Neben den 31 Versuchen des AiF/DASt-finanzierten For-
auf der lastzugewandten Seite gleich ausgeführt (z. B. zwei schungsvorhabens [7] mit in Wandstücken einbetonierten
Reihen von Kopfbolzendübeln), dann gilt e1 = e2 und so- Ankerplatten wurde im Rahmen einer Diplomarbeit [13]
mit hat auch VR,1 keinen Hebelarm. Die unbekannte Größe eine weitere Reihe von sechs Tastversuchen durchgeführt,
VR,1 kann bei der Ermittlung von VR über M = 0 also um erste Erkenntnisse über die Tragfähigkeit der untersuch-
unberücksichtigt bleiben. ten Kopfbolzenverankerungen in Stützen zu erhalten.
Sind die Verbundmittel auf der lastabgewandten und Das mechanische Modell wurde auch zur Nachrech-
auf der lastzugewandten Seite ungleich ausgeführt (z. B. nung dieser sechs Stützenversuche eingesetzt. Um der
lastzugewandt: steife Knagge zur Schubkraftübertragung; randnahen Verankerung Rechnung zu tragen, wurde bei
lastabgewandt: eine Reihe Kopfbolzendübel zur Zugkraft- der Ermittlung der Druckzonenhöhe x eine Spannungs-
übertragung), dann gilt zwar e1 ≠ e2, gleichzeitig kann man verteilung nach dem Parabel-Rechteck-Diagramm [14]
aber bei Berücksichtigung der Steifigkeitsverhältnisse da- angesetzt. Die damit berechneten Tragfähigkeiten der
von ausgehen, daß VR,1 ≈ 0. Somit kann VR,1 bei der Er- Ankerplattenanschlüsse zeigen mit einem arithmetischen
mittlung von VR über M = 0 auch in diesem Fall un- Mittelwert des Verhältnis Fu/Fu,V von x̄ = 1,025 eine gute
berücksichtigt bleiben. Übereinstimmung mit den Versuchswerten, so daß von
Die hier getroffenen Annahmen für den Hebelarm wer- einer Anwendbarkeit des Bemessungsmodells auf Stüt-
den durch die folgende Versuchsnachrechnungen bestätigt. zen ausgegangen werden kann. Jedoch bildet die geringe
Allerdings müßten für eine Verallgemeinerung noch zu- Anzahl von sechs Versuchen keine ausreichende Absi-
sätzliche genauere Untersuchungen erfolgen. cherung, und es sollten in diesem Bereich weitere Versu-
c) Kontrolle der Schubkräfte VR,1 und VR,2 che durchgeführt werden.
Die durch Verbundmittel zu übertragende Schubkräfte
VR,1 + VR,2 = VR – VR,f müssen in Abhängigkeit der Nor- 5 Ausblick und Danksagung

Die Problematik der Ankerplatten und Einbauteile zur


Kraftüberleitung von Stahlbauteilen in bewehrte Stahl-
betonteile wie Wände und Stützen ist von besonderer
Praxisrelevanz. Das hier vorgeschlagene mechanische
Bemessungsmodell ist ein erster Schritt zur Lösung dieses
Problems. Es entspricht den Anforderungen der in der Pra-
xis tätigen Ingenieure: Transparenz der Kraftflüsse und
Übertragbarkeit auf andere Problemstellungen. Dieses Mo-
dell basiert auf der Komponentenmethode und läßt sich da-
durch nahtlos in die aktuelle Entwicklung im Bereich des
Stahl- und Stahlverbundbaus integrieren. Weitere koordi-
Bild 12. Mechanisches Modell zur Bestimmung der aufnehm- nierte Gemeinschaftsforschung von Stahlbau und Befesti-
baren Querkraft VR gungstechnik ist zur Vertiefung und Absicherung und zur
274 Fig. 12. Mechanical Model to define the shear load VR Akzeptanz dieser Vorgehensweise unbedingt erforderlich.

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Tabelle 3. Vergleich der Traglasten nach dem Rechenmodell mit den Versuchslasten
Table 3. Comparison of calculated and test loads
[4] Eligehausen, R., Mallée, R.: Befesti-

Bewehrungsanteil ZR/Z
gungstechnik im Beton- und Mauer-
werksbau. Berlin: Verlag Ernst & Sohn

Versagenslast nach
Lastexzentrizität e

Rechenmodell VR
2000.
Versagenslast im
Versuchskörper

[5] Leffer, A.: Auslegung, Konstruktion

Bügelanzahl n
Versuch Fu,V

und Berechnung von Ankerplatten zur

Abstand d
Befestigung von Stahlbauteilen an Mas-

VR/Fu,V
sivbauteile in der Mischbauweise. Di-
plomarbeit am Fachgebiet Stahlbau,
Universität Kaiserslautern, August 1998.
[kN] [%] [mm] [mm] [kN] [–] [6] Hauf, G.: Neue Nachweisverfahren für
B1 690 2 25 150 40 738 1,07 Ankerplatten mit angeschweißten Kopf-
bolzendübeln und Zulagebewehrung.
B2 700 2 25 150 40 738 1,05 Diplomarbeit am Institut für Konstruk-
R1-2 624 1 17 150 40 548 0,88 tion und Entwurf, Universität Stuttgart,
Mai 2003 (Nr. 2003-10X).
R1-4 700 2 25 150 40 738 1,05
[7] Kuhlmann, U., Imminger, T.: DASt-/
R2-3 874 2 25 150 40 738 0,84 AiF-Forschungsvorhaben: Ankerplatten
R3-2 779 2 25 150 40 738 0,95 und Anschlußdetails zur Kraftüberlei-
tung im Stahlbau, Abschlußbericht, In-
R3-3 801 2 25 150 40 738 0,92 stitut für Konstruktion und Entwurf,
R4-2 732 2 25 200 40 872 1,19 Universität Stuttgart, Dezember 2003
(Nr. 2003-40X).
R4-3 1021 2 25 250 40 889 0,87
[8] prEN 1993-1-8: Bemessung und Kon-
R5-1 735 2 25 150 40 738 1,00 struktion von Stahlbauten, Teil 1-8: Be-
R5-3 819 2 25 150 40 738 0,90 messung von Anschlüssen. Schlußent-
wurf Dezember 2003.
R6-2 508 2 25 150 100 426 0,84
[9] prEN 1994-1-1: Bemessung und Kon-
R6-3 374 2 25 150 150 315 0,84 struktion von Verbundtragwerken aus
R6-4 406 2 25 150 150 315 0,78 Stahl und Beton, Teil 1-1: Allgemeine
Bemessungsregeln und Anwendungsre-
Mittelwert: 0,94 geln für den Hochbau. Entwurf Oktober
2003.
[10] Ruf, A.: Untersuchungen zum Trag-
Wir bedanken uns bei den Forschungsgeldgebern verhalten ingenieurmäßig dimensionierter Einbauteile in der
Deutscher Ausschuß für Stahlbau e. V. (DASt) und der Mischbauweise. Diplomarbeit am Institut für Konstruktion
Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungvereinigun- und Entwurf, Universität Stuttgart, Mai 2003 (Nr. 2003-11X).
gen „Otto von Guericke“ e. V. (Aif) für die finanzielle [11] Ožbolt, J.: MASA3 – Microplane Analysis Program. Institut
für Werkstoffe im Bauwesen, Universität Stuttgart, Version
Förderung dieser Untersuchungen, ebenso wie bei der
1/2002.
Ed. Züblin AG, Stuttgart und Karlsruhe, den Firmen
[12] Bode, H., Hanenkamp, W.: Zur Tragfähigkeit von Kopfbol-
Peikko GmbH, Waldeck, Köster & Co. GmbH, Ennepe- zen bei Zugbeanspruchung. Bauingenieur 60 (1985), S. 361–
tal, und Goldbeck Bau GmbH, Bielefeld, für die Sachs- 367.
penden und tatkräftige Unterstützung. [13] Rölle, L.: Konzentrierte Lasteinleitung mittels Kopfbolzen
in Stahlbetonstützen, Diplomarbeit am Institut für Konstruk-
Literatur tion und Entwurf, Universität Stuttgart, September 2003
(Nr. 2003-21X).
[1] Deutsches Institut für Bautechnik: Zulassungsbescheid Nr.
[14] DIN 1045-1: Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spann-
Z-21.5-280 „Verankerung von Stahlteilen mittels angeschweiß-
beton – Teil 1: Bemessung und Konstruktion. Juli 2001.
ter KÖCO-Kopfbolzen in Beton“ vom 18. 01. 2000, Berlin.
[2] Deutsches Institut für Bautechnik: Zulassungsbescheid Nr.
Z-21.5-82 „Verankerung von Stahlteilen mittels angeschweiß-
ter Nelson-Kopfbolzen in Beton“ vom 28. 02. 2000, Berlin. Autoren dieses Beitrages:
[3] Eligehausen, R., Mallée, R., Rehm, G.: Befestigungstechnik. Prof. Dr.-Ing. Ulrike Kuhlmann, Dipl.-Ing. Thomas Imminger und Dipl.-Ing.
Betonkalender 1997, Teil II, S. 609–753. Berlin: Verlag Ernst Markus Rybinski, Universität Stuttgart, Institut für Konstruktion und Ent-
& Sohn 1997. wurf, Pfaffenwaldring 7, 70569 Stuttgart

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Stahlbau 73 (2004), Heft 4

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