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LOGIK

HUSSERLIANA
EDMUND HUSSERL
MATERIALIENBÄNDE

BAND I

LOGIK
VORLESUNG 1896

AUFGRUND DES NACHLASSES VERÖFFENTLICHT VOM


HUSSERL-ARCHIV (LEUVEN) UNTER LEITUNG VON

RUDOLF BERNET, ULLRICH MELLE UND KARL SCHUHMANN


EDMUND HUSSERL

LOGIK
VORLESUNG 1896

HERAUSGEGEBEN VON
ELISABETH SCHUHMANN

SPRINGER-SCIENCE+BUSINESS MEDIA, B.V.


A C.I.P. Catalogue record for this book is available from the Library of Congress

ISBN 978-94-010-3823-2 ISBN 978-94-010-0779-5 (eBook)


DOI 10.1007/978-94-010-0779-5

Printed on acid-free paper

AlI Rights Reserved


© 2001 Springer-Science+Business Media Dordrecht
Ursprunglich erschienen bei Kluwer Academic Publishers 2001
Softcover reprint ofthe hardcover Ist edition 2001
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INHALT

EINLEITUNG DER HERAUSGEBERIN . IX

LOGIK
VORLESUNG 1896

AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN. . 3

HAUPITEIL
§ I. Einleitung. Denkakte und ihr objektiver Gehalt. . . . . . . . . . 43
§ 2. Objektive Vorstellung und Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . 47
§3. Gegenstandsvorstellungen (im engeren Sinn) und Sätze (Namen und
Aussagen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

I. BEGRIFFE IM WEITESTEN SINN (GEGENSTANDSVORSfELLUNGEN)


UND IHRE GEGENSTÄNDE
§4. Materie und Gegenstand des Begriffs (Bedeutungsinhalt und
Gegenstand). . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
§5. Einfache und zusammengesetzte Vorstellungen. . . . . . 55
§6. Teile von Vorstellungen und Teile von Gegenständen . . . 58
§7. Einzelvorstellung, Etwas, Individualvorstellung, abstrakte und konkrete
Vorstellung . . . . . . . . . . . 59
§7a. Abstraktum und Beschaffenheit . . . . . . . . . . . . 60
§8. Innere und äußere Beschaffenheiten . . . . . . . . . . 61
§9. Beschaffenheiten von Beschaffenheiten. Absolute Subjekte 63
§ 10. Beschaffenheiten und Prädikate 64
§ II. Begriff des Begriffs . . . 65
§ 12. Gegenstand eines Begriffs 66
§ 13. Merkmal . . . . . 67
§ 14. Inhalt desBegriffs . . . 70
§ 15. Umfang des Begriffs . . 71
§ 16. Direkte und indirekte Vorstellungen 76
§ 17. Attributive Vorstellungen . . . . . 81
§ 18. Rein begriffliche Vorstellungen und individuelle Vorstellungen 83
§I9. Inbegriffsvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
§ 20. Beschaffenheiten von einzelnen Gegenständen und Beschaffenheiten
von Mehrheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
VI INHALT

Beilage. Relationen: Beschaffenheiten von Inbegriffen . 89


§21. Verknüpfung und Beziehung . . . . . . . . . . . . 90
§22. Fortsetzung. Koordinierte Verhältnisse und die sie fundierende
Beziehung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
§23. Gleichseitige und ungleichseitige Verhältnisse. Reihen, Ordinalzahlen 97
§24. Klassenvorstellung und distributive Vorstellung. 99
§24a. Kardinalzahlen. Vielheit und Allheit 100
§25. Verneinende Vorstellungen . . . . ~ . . 106
§26. Vorstellungen von Vorstellungen . . . . . 110
§27. Identität und Gleichheit der Vorstellungen . 111
§28. Verhältnisse der Vorstellungen nach ihrem Inhalt 115
§29. Vergleichung der Begriffe nach ihrer Weite. . . 117
§30. Vergleichung der Begriffe in Bezug auf ihre Gegenstände und nach dem
Umfang. . . . . . . . . . . . . . . 118
§31. Die Umfangsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
§32. Einteilung eines Begriffs. Gattung und Art. . . . . . . . . . . . 125
§33. Verhältnisse von Gegenständen in Bezug auf ihre Begriffe. Proprium 127
§34. Subsumtion und Subordination (Gegenstand zu seinem Begriff und
Begriff zu seinem Begriff) . . . 128
§35. Aristotelische Gattung und Art. . . . . . . . . . . . . . . . 130

11. VON DEN SÄTZEN


§36. Einfache und zusammengesetzte Sätze. . . . . . . . . . . . . 133
§37. Sätze, ihre Negationen und Affirmationen . . . . . . . . . . . 135
§38. Die allgemeinsten Satzverknüpfungen: I) Kopulative Verknüpfung 135
§39. 2) Disjunktive Verknüpfung . . . . . . . . . . . . . 138
§40. 3) Hypothetische Verknüpfung . . . . . . . . . . . . 140
§41. Überleitung zur Feststellung der elementaren Satzformen 141
§42. KategorischeForm . . . . . . . . 143
§43. Umfangsinterpretation dieser Form . . . . . . . . . . 147
§44. Inhaltsinterpretation dieser Form . . . . . . . . . . . 151
§45. Die negativen kategorischen Sätze und die Bedeutung der Negation 155
§46. Die üblichen Einteilungen der kategorischen Aussage: Quantität 163
§47. Sigwarts Analyse der allgemein bejahenden Form . . . . 165
§48. Existenz des Subjekts in der allgemein bejahenden Form . 183
§49. Brentanos Interpretation der allgemein bejahenden Form 185
§50. Partikular bejahende Formel. . . . . . . . . . . . . 186
§50a. Die verneinenden Sätze . . . . . . . . . . . . . . . 189
§51. Die mannigfachen Formen kategorischer Sätze, bestimmt durch die
Form der Materie. . . . . . . . . . . . 191
§52. Der logische Gehalt der generellen Aussage . . . 197
Beilage. Generelle Aussage . . . . . . . . . . 203
§53. Streit über impersonale und existentiale Aussagen. 207
§54. Existenz und Wahrheit . . . . . . . . . . . . 215
INHALT VII

§ 55. Bedeutung der existentialen Aussage . . . . . . . . . . . . . . 222


§ 56. Die Existenz des Subjekts im kategorischen Satz . . . . . . . . . 227
§ 57. Existentialsatz und kategorischer Satz als Typen einfacher Satzformen 229

III. LEHRE VON DEN SCHLÜSSEN


§ 58. Kausale Sätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
§ 59. Begriff des Schlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
§ 59a. Schlussgesetz als Gesetz hypothetischer Wahrheiten, nicht kausaler 236
§60. Logische und alogische Schlussgesetze und die entsprechende
Einteilung der hypothetischen Wahrheiten . . . . . . . . . . . 238
§ 61. Die verschiedenen Klassen logischer Schlussgesetze und Theorien . 241
§ 62. Vorbemerkungen zur Konstituierung einer apriorischen Theorie der
propositionalen Schlussgesetze . . . . . . . . . . . . . . . 242
§ 63. Einige Grundgesetze, die allen Theorien vorhergehen müssen. 249
§ 64. Bezeichnungen zu Zwecken der propositionalen Theorie . 252
§ 65. Die Theorie der propositionalen Gesetze 254
§ 66. Die Theorie der konzeptualen Schlüsse . . . . . . . . 262

AUS DER VORLESUNG" ÜBER DIE NEUEREN


FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK" (1895)

Logik als theoretische Disziplin


William Rowan Hamilton
Augustus De Morgan .
George Boole . . . . .

NACHWEIS DER ORIGINALSEITEN . 32 9


NAMENREGISTER • • • • • . . 331
EINLEITUNG DER HERAUSGEBERIN

Der vorliegende Band enthält den fast vollständigen Textl der vier-
stündigen Vorlesung, die Husserl unter dem Titel "Logik" in Halle
im Sommersemester 1896 vom 24. April bis zum I. August gehalten
hat. Husserls Manuskript dieser Vorlesung weist deutliche Spuren
einer Ausarbeitung auf: Die Blätter der einleitenden Vorlesungen
sind teilweise, die des Hauptteils der Vorlesung beinahe bis zum
Ende paginiert. Der Text des Hauptteils ist in Paragraphen eingeteilt,
und Husserl hat ein ausführliches Inhaltsverzeichnis für diesen Teil
angelegt. Verschiedentlich ist der im Vorlesungsstil abgefasste Text
(Anrede der Studenten) in Buchfassung gebracht. Vielleicht noch
während, spätestens aber am Ende des Sommersemesters begann
Husserl, in Hinblick auf eine Veröffentlichung,2 mit dieser Umarbei-
tung des Vorlesungstextes, der übrigens, sowohl was die Streitfragen in
den einleitenden Vorlesungen als auch die Einteilung und Begrifflich-
keit des Hauptteils anbelangt, stark von Bolzanos Wissenschafts/ehre
abhängig ist. Husserl könnte damit bis zum Herbst 1896 beschäftigt
gewesen sein. Er brach die Ausarbeitung des Hauptteils der Vorlesung
aber schließlich ab, nachdem in den letzten beiden Paragraphen über
"Die Theorie der propositionalen Gesetze" und ,,(Die) Theorie der
konzeptualen Schlüsse", in denen er, wohl nach dem Vorbild der
englischen Logiker, eine mathematische Formelsprache der Logik
zu entwickeln suchte, Unstimmigkeiten in den Formeln aufgetreten
waren. 3 Wollte Husserl den Faden bei späterer Gelegenheit wieder
aufnehmen? Jedenfalls hat er diesen Teil der Vorlesung nicht weiter

1 Die Einleitung ist nicht vollständig erhalten. Das vorliegende Manuskript bietet, wie der
Umschlag vermerkt, in dem die Einleitungsblätter liegen, nur eine "Auswahl von Blättern aus
den einleitenden Vorlesungen" (K I 20I2a).
2 Am 19. Juli 1S96 schreibt Husserl an Meinong: "Ich wage nur zu hoffen, daß ich mit der
Veröffentlichung der Ergebnisse langjähriger Bemühungen in nicht ferner zeit werde beginnen
können." (Edmund Husserl, Briefwechsel. In Verbindung mit E. Schuhmann herausgegeben
von K. Schuhmann, DordrechtJBostonl London 1994, Bd. I: Die Brentanoschule, S. 134).
3 Ob dieser FormeIteil, dessen Unstimmigkeiten auch in der vorliegenden Edition (vgl. die
letzten Seiten des schließlich abrupt abbrechenden Vorlesungstextes) nicht beseitigt werden
konnten, in der Vorlesung gebracht wurde oder nur Ausarbeitung darstellt, ist fraglich.
x EINLEITUNG DER HERAUSGEBERIN

zu einer Veröffentlichung ausgebaut. Stattdessen wandte Husserl sich


wieder den einleitenden Vorlesungen zu und arbeitete diese weiter
aus. Am 22. Dezember 1896 schreibt er an von Arnim: "Ich habe
in diesem Winter (ja eigentlich schon im vorigen Sommer) allen
Verkehr abgebrochen, ich nehme keine Einladung an. (...) Meine
Reinausarbeitung der log(ischen) Untersuchungen ist tüchtig fortge-
schritten. "1 Und in einem Brief vom 14.115. März 1897 an Natorp
erwähnt Husserl seine ,,(seit Mitte December vor(igen) Jahres so
gut wie druckfertigen) Ausarbeitungen".2 Es muss also im Dezem-
ber 1896 eine Reinausarbeitung, wohl in Kurrentschrift, vorgelegen
haben, die, wie aus diesem Brief weiter hervorgeht,3 die ersten fünf
Kapitel der zukünftigen Prolegomena, zumindest in einer Vorform,
umfasste.4 Möglicherweise wies diese Stufe der Ausarbeitung mehr
Ähnlichkeit mit den hier edierten Einleitungsblättern der Vorlesung
auf als die tatsächlich veröffentlichten Prolegomena, wo sich die Wört-
lichen Übereinstimmungen mit dieser Einleitung beschränken auf die
Paragraphen 4 bis 8 und hin und wieder auf einzelne Sätze, wie in den
Paragraphen 3 und 9.5
Teile aus der Logikvorlesung von 1896 hat Husserl später für
die Vorlesung "Logik und Erkenntnistheorie" des Wintersemesters
1901/02 verwendet. Diese zog er ihrerseits dann wieder zur Vorbe-
reitung der beiden Vorlesungen " Logik" und " Allgemeine Erkennt-
nistheorie" des Wintersemesters 1902/03 heran, wobei er Textstücke
von 1901/02 vor allem in die " Logik " einarbeitete. Mit Blättern dieser
Logikvorlesung von 1902/03 gelangten schließlich einige Blätter der
Logikvorlesung von 1896 unter die Blätter der Vorlesung "Alte und
neue Logik" des Wintersemesters 1908/09.
Zusammen mit Blättern aus der Einleitung der Logikvorlesung von
1896, aus denen Husserl vermutlich 1901/02 wieder vorgetragen hat,
beließ Husserl auch die Einleitungsblätter der Vorlesung "Logik und
Erkenntnistheorie" von 1901/02 im Vorlesungsmanuskript von 1896.
Diese Anfangsblätter von 1901/02 dürften auch die Ursache eines wie-

1 Briefwechsel, Bd. IX: Familienbriefe, S. 135f.


2 A.a.O., Bd. V: Die Neukantianer, S. 51.
3 Vgl. a.a.O., S. 52.
4 Vielleicht bezieht sich auf diese Reinausarbeitung der Hinweis im zweiten Paragraphen des
Hauptteils der Logikvorlesung: "Vgl. 41 der Ausarbeitung" (K I 2o/61b).
5 Vgl. Elmar Holensteins "Einleitung des Herausgebers" in Husserliana XVIII, S. XXV.
EINLEITUNG DER HERAUSGEBERIN XI

derholten husserlschen Irrtums sein.! In der Vorlesung "Einführung


in die Logik und Erkenntniskritik" des Wintersemesters 1906/07 sagt
Husserl, dass die Prolegomena "im wesentlichen Ausarbeitungen von
Vorlesungen sind, die ich im Jahre 1895 in Halle gehalten habe. "2 Im
1913 verfassten Entwurf einer Vorrede zur Neuauflage der Logischen
Untersuchungen schreibt er, die Prolegomena seien" im Wesentlichen,
und zumal nach allen antipsychologistischen Argumentationen, nur
eine Wiedergabe von Universitätsvorlesungen aus dem Sommer und
Herbst 1896".3 Und im schließlich veröffentlichten Vorwort zu die-
ser Neuauflage heißt es: "Die Prolegomena zur reinen Logik sind
ihrem wesentlichen Inhalte nach eine bloße Ausarbeitung zweier
sich ergänzender Hallenser Vorlesungsreihen aus dem Sommer und
Herbst 1896. "4 Es gab aber keine solche "sich ergänzenden Vorle-
sungsreihen". Wohl hatte Husserl für das Wintersemester 1896/97
eine "Einleitung in die Erkenntnistheorie" angekündigt. 5 Wie aus
dem" Verzeichnis der wirklich gehaltenen Vorlesungen der Philoso-
phischen Fakultät" (Universitätsarchiv Halle) ersichtlich ist, wurde
diese erkenntnistheoretische Vorlesung aber "nicht gehalten mit Ge-
nehmigung der Fakultät"; an ihrer Stelle las Husserl eine "Einleitung
in die Philosophie",6 die er schon in den Sommersemestern 1893
und 1894 gehalten hatte. 1913, als Husserl die Logikvorlesung von
1896 wieder durchblätterte, stieß er offenbar zuerst auf die Anfangs-
blätter der Vorlesung "Logik und Erkenntnistheorie" von 1901/02,
die nicht als solche gekennzeichnet sind und die gleich zu Anfang
ankündigen: "Dies soll nun auch der Zweck der einleitenden Be-
trachtungen sein, mit denen ich die Darstellung der Logik und
Erkenntnistheorie eröffnen will. "7 Da er also alle in Konvolut
K I 20 liegenden Einleitungsblätter als aus der Vorlesung von 1896
stammend ansah, konnte er in dem genannten Entwurf einer Vorrede
! Er findet sich noch bei Holenstein, 0.0.0, S. XXVf.
2 Husserliana XXIV, S. 57. Husserl meint die Logikvorlesung von IB96.
3 FIII 1/143. Im Ms. irrig ,,1895".
4 Husserliana XVIII, S. 12.
5 Vgl. Karl Schuhmann, Husserl- Chronik. Denk- und Lebensweg Edmund Husserls, Den Haag
1977, S. 47. Dass Husserl eine solche Vorlesung wirklich geplant hatte, dafür könnte evtl. der
Randtitel auf Blatt 1 des vorliegenden Haupttextes der Logikvorlesung "I. Teil. Formale Logik"
sprechen, den Husserl nicht in das von ihm angefertigte Inhaltsverzeichnis aufgenommen hat;
ein" 11. Teil" folgte nicht.
6 Vgl. Hans-Martin Gerlach und Hans Rainer Sepp, Husserl in Halle, Frankfurt am Main
1994, S. 35ft.
7 Hervorhebung E. Sch.
XII EINLEITUNG DER HERAUSGEBERIN

zur Neuauflage der Logischen Untersuchungen auch behaupten, dass


"die Prolegomena in allen Argumentationen, bis herab zu den ent-
scheidenden Formulierungen, eigentlich nur eine Reinausarbeitung "
der " logischen Vorlesungen von 1896" seien.! Indessen haben die aus
dem Wintersemester 1901/02 stammenden Blätter, die u.a. mit den
Paragraphen 41, 43, 49 und 50 der Prolegomena zum Teil wörtlich
übereinstimmen, vielmehr umgekehrt die Prolegomena zur Grund-
lage.2

*
Der Text der Logikvorlesung von 1896 ist mit Tinte in Gabelsber-
ger Stenographie auf mittengefaltete Blätter (Format 21,5 x 17 cm)
geschrieben. Neben den halbzeilig beschriebenen Vorlesungsblättern
finden sich auch ganzzeilig beschriebene, zum Teil in Paragraphen
gegliederte und mit Titeln versehene Ausarbeitungsblätter. Das Ma-
nuskript weist Streichungen, Unterstreichungen, Veränderungen, Zu-
fügungen und Randbemerkungen mit Tinte, Blaustift und Bleistift
auf! und ist in Paragraphen gegliedert, die meist am Rand, aber auch
im Text selber eingetragen sind. Die Blätter der einleitenden Vorle-
sungen sind von" I "-" 27", die Blätter des Hauptteils von" I "-" 301 "
mit Bleistift paginiert. Bis zur Paginierung ,,8" des Hauptteils sind die
Blätter gezählt, ab ,,9" die Seiten, wobei aber nur die Vorderseiten
eine Seitenzahl tragen.
Die Blätter des Vorlesungsmanuskripts hat Husserl in verschiedene
Konvolute eingelegt. Der weitaus größte Teil befindet sich in Konvolut

! F III 1/138a. Im Ms. irrig .. 1895".


2 Die Gegenüberstellung von Psychologisten und Kritizisten (stattAntipsychologisten) auf
den Blättern K I 20/42-44 und 46 dUrfte übrigens nicht, wie Holenstein (.. Einleitung des
Herausgebers" in Husserliana XVIII, S. XXVI) vermutet, auf Stumpf, .. Psychologie und Er-
kenntnistheorie", Abhandlungen der philosophisch-phüologischen Klasse der k1Jniglich bayeri-
schen Akademie der Wissenschaften 19 (1891), S. 466-516, zurückgehen, sondern auf Natorps
Rezension der Prolegomena (.. Zur Frage der logischen Methode" in Kant-Studien 6 (1901), S.
270-283)·
3 Eine spätere Bleistiftüberarbeitung des Textes könnte gelegentlich der Vorbereitung der
Vorlesung .. Logik und Erkenntnistheorie" aus dem Wintersemester 1901/02, der Vorlesung
.. Logik" aus dem Wintersemester 1902/03 oder der Vorlesung .. Alte und neue Logik" .aus dem
Wintersemester 1908/09 vorgenommen worden sein. Diese Vermutung wird nahe gelegt durch
die Randbemerkung auf Blatt K I 23/27: .. Das ist das, was ich in den Logischen Untersuchungen
die Materie nannte" (unten S. 221. - Bezugnahmen auf den Text des vorliegenden Bandes
werden im Folgenden nachgewiesen mit Seiten- und Zeilenangabe), die frühestens 1901/02,
aber auch erst 1908/09 entstanden sein könnte.
EINLEITUNG DER HERAUSGEBERIN XIII

K I 20. Dieses Konvolut enthält 165 Blätter, die in einem Umschlag


aus blauer Pappe (K I 20/1+ 167) liegen, der mit Blaustift die Aufschrift
"Logik. Halle 1895" trägt. Die Ziffer ,,5" ist dabei mit Bleistift ver-
bessert zu ,,96". t Die oben erwähnten sowohl aus der Logikvorlesung
von 1896 als auch aus der Vorlesung " Logik und Erkenntnistheorie"
von 1901/02 stammenden Einleitungsblätter (K I 20/3-54) liegen in
einem Innenumschlag, dessen mit Blaustift geschriebener Titel lau-
tet: "Auswahl von Blättern aus den einleitenden Vorlesungen aus
der ,Logik' von 1895." Auch hier hat Husserl die ,,5" mit Bleistift
verbessert, und zwar in ,,1896?"~ Aus der Vorlesung "Logik und Er-
kenntnistheorie" vom Wintersemester 1901/02 stammen die Blätter
der Archivpaginierung 4-7 und 38-54.2 Zur Logikvorlesung von 1896
gehören die Blätter der Archivpaginierung 8-20 (S. 3, Z. 2 - S. 20,
Z. 28), 22-23 (S. 20, Z. 29 - S. 23, Z. 26) und 25-37 (S. 23, Z. 27 -
S. 41; Z. 2), die bis Blatt 34 von Husserl mit Bleistift von" 1"-" 27"
paginiert wurden, wobei allerdings die Blätter" 13 " .und ,,14" nicht
aufgefunden werden konnten. Blatt 31 (S. 32, Z .. 6 - S. 33, Z. 7) trägt
neben der Paginierung ,,24" noch eine zweite Bleistiftpaginierung
,,1)". Am Ende der restlichen drei unpaginierten Vorlesungsblätter
bricht die Einleitung ab, wird aber durch die beiden zusammengehö-
rigen Ausarbeitungsblätter K I 20/3 und 21 (auf der Rückseite einer
gedruckten Einladung zu einer Hallenser Antrittsvorlesung vom 2.
Mai 1896) fortgesetzt (S. 41, Z. 3 - S. 42, Z. 33). Blatt 24- ist nicht in
die Einleitung einzuordnen. Unter den von "1"-,, 2I 1 " paginierten
Blättern des Hauptteils der Vorlesung liegen nach Blatt ,,23" (S.
66, Z. 22 - S. 68, Z. 19) zwei ganzzeilig beschriebene, unpaginier-
te Blätter (K I 20/74-75), die wohl aus der Vorlesung "Logik und
Erkenntnistheorie" von 1901/02 stammen. Zwischen den genannten
Einleitungsblättern und diesem Hauptteil liegt ein vierseitiges, mit
Tinte stenographiertes Inhaltsverzeichnis des Hauptteils, dem Husserl
mit Blaustift den Titel " Inhaltsverzeichnis der logischen Vorlesung"
vorangestellt hat.
In Konvolut K I 21 liegen die Blätter ,,213 "-,,217" der Vorlesung
(K I 21/41-43; S. 197, Z. 19-5. 202, Z. 16). Dieses Konvolut umfasst 45
Blätter, von denen das erste und letzte Blatt einen Umschlag bilden

t Bei der Datierung dieser Vorlesung zeigt Husserl des Öfteren Unsicherheit. Vgl. die folgen-
den Anmerkungen.
2 Veröffentlicht in HusserliafUI Materialien, Bd. 11, S. 271-307.
XIV EINLEITUNG DER HERAUSGEBERIN

mit der Aufschrift: "Zur ,reinen Grammatik' als Unterstufe der rei-
nen Logik. Besonders: Einteilungen von Sätzen. Darin ein Konvolut
über den Sinn der generellen Aussage, der wohl aus den Vorlesungen
über Logik von 18<)61 stammt." Dieser mit Tinte geschriebenen Auf-
schrift folgt die Notiz mit Blaustift: "Durchsehen, um wegzuwerfen.
Für Ostern 1909". Zu diesem "Konvolut" gehören neben den Blät-
tern ,,213"-,,217" noch die als" 129"-" 133" paginierten Blätter (K I
21/37-39; S. 2°3, Z. 16 - S. 2°7, Z. 7), die mit Blaustift den Randtitel
"Generelle Aussage" tragen und als Beilage zu § 52 gehören. Diese
Blätter dürften Papier und Faltung zufolge schon vor 1895 entstanden
sein.
Die Blätter ,,219"-,,229" (S. 202, Z.I7-S. 2°3, Z. 14 und S. 2°7,Z.9
-So 216, Z.I7) und ,,233 "-,,247" (S. 216, Z. 26-S. 231, Z. 32) befinden
sich in Konvolut K I 23, das 35 Blätter enthält. Das erste und das letzte
Blatt bilden einen Umschlag mit der Bleistiftaufschrift: "Beilagen
zu den Logik-Vorlesungen von 1908!I909". Dann folgt mit Blaustift:
,,1908/09 Logik formal. Darin das Stück über Existenzialsätze aus der
Logik 1896.2 Darin über mathematische Verallgemeinerung. Ferner
über den Satz vom Widerspruch." Die Blätter ,,219"':"",,229" (K I
23!I9-24) - das erste Blatt trägt mit Bleistift die Notiz: "Aus Vorle-
sungen 1896"3 - sind überarbeitete Vorlesungsblätter, während die
Blätter ,,233"-,,247" (K 120125-32) ganzzeilig beschriebene Ausar-
beitungsblätter sind, die auf der Logikvorlesung von 18<)6 fußen.
Weitere Blätter der Logikvorlesung von 1896 finden sich in Konvo-
lut F I 19. Dieses Konvolut umfasst 185 Blätter. Der Gesamtumschlag
F I 191 I + I 85 trägt die Blaustiftaufschrift: " Aus logischen Vorlesungen
(formale Logik) IgDI ".4 Die Blätter ,,249"-,,277", ,,281 "-,,289" (S.
232, Z. 2 - S. 259, Z. 31), ,,295"-,,301"5 (S. 262, Z. 4 - S. 264, Z.
22), wobei die Blätter ,,249"-,,255" (S. 232, Z. 2 - S. 238, Z. 8),
,,283"-,,289" (S. 255, Z. 29 - S. 259, Z. 31) und ;,3°1" (S. 262,
Z. 4 - S. 263, Z. 10) ganzzeilig beschriebene Ausarbeitungsblätter

1 Im Ms. irrig" 1895".


2 Im Ms. irrig" 18951<}6 ".
3 Im Ms. irrig" 18951<}6 ".
4 Das Konvolut enthält den größten Teil der Logikvorlesung des Wintersemesters 1902/03. in
die viele Blätter der Vorlesung "Logik und Erkenntnistheorie" des Wintersemesters 1901/02
aufgenommen wurden. UrsprOnglich enthielt dieses Konvolut wohl nur die Blätter der Vorle-
sung von 1901/02.
5 Sowohl die Seitenangabe ,,295 bis 301" auf F I 1<)!68a als auch die weitere ,,2<}6 bis 301" auf
68b ist zu verbessemin ,,(...) bis 300".
EINLEITUNG DER HERAUSGEBERIN xv

sind, liegen in einem Innenumschlag (F I 1912+88) mit der Blei-


stiftaufschrift: "Erste Göttinger Vorlesungen über Logik 19OI. (Göt-
tingen). "1 Danach folgt mit Blaustift: "Einlagen an verschiedenen
Stellen: Die pp. 213-249 der Logikvorlesung 1896.2 Am Schluss: p.
249-281 etc. die Lehre von den Schlüssen aus Logik 1896. "3 Die im
Innenumschlag enthaltenen Blätter F I 19/69-81 und 83-87 sind in
den Umkreis der Logikvorlesung von 1896 gehörende unpaginierte
Ausarbeitungsblätter; nur die Blätter der Archivpaginierung 75 und
83 tragen jedes die Bleistiftpaginierung "P". Die Blätter der Logik-
vorlesung von 1896 liegen nach Blättern der Vorlesung "Logik und
Erkenntnistheorie" von 1901/02 sowie Blättern der Logikvorlesung
von 1902/03 und sind von diesen durch einen an Husserl adressierten
Briefumschlag (F 119/47) geschieden. 4 Der Umschlag eines zweiten,
aus den Blättern 89-119 bestehenden Bündels trägt den Bleistift-
vermerk: "Aus den ersten Göttinger Vorlesungen über Logik (1901
f.), und zwar aus der Einleitung." Diese und die restlichen nach
dem Bündel liegenden Blätter des Konvoluts stammen meist aus
der Logikvorlesung von 1902/03, ein kleinerer Teil kommt aus der
Vorlesung "Logik und Erkenntnistheorie" von 1901/02. Die Blätter
F I 19/106-1085 entstammen der Vorlesung "Erkenntnistheorie und
Hauptpunkte der Metaphysik" vom Wintersemester 1898/99. Den
Schluss des Konvoluts bilden ältere Blätter; F I 19/174a trägt die
ausdrückliche Bleistiftnotiz: "Wohl aus 1894". Das in Konvolut K I
23 fehlende Blatt ,,231" (S. 216, Z. 18-25), dessen Rückseite Husserl
für die Vorlesung "Logik und Erkenntnistheorie" von 1901/02 ver-
wendet hat, wurde durch einen Bleistiftzusatz in die Logikvorlesung
von 1902/03 eingepasst und liegt unter den entsprechenden Blättern
dieses Konvoluts.
Die Blätter ,,291" und ,,293" (S. 259, Z. 32 - S. 262, Z. 2) befinden
sich als die Blätter der Archivpaginierung 185 und 186 in Konvolut
F I I, welches das Manuskript von Husserls Vorlesung "Alte und
neue Logik" vom Wintersemester 1908/09 enthält. Dieses Konvolut

1 Gemeint ist die Vorlesung .. Logik und Erkenntnistheorie" des Wintersemesters 1901/02.
2 Im Ms.irrig.,1895".
3 Im Ms. irrig .. 18g5". In der Vorlesung .. Logik und Erkenntnistheorie" des Wintersemesters
1901/02 hat Husserl offensichtlich aus diesen auf dem Umschlag genannten und damals noch
vollzählig darin enthaltenen Blättern vorgetragen.
4 Der unvollständige Poststempel ist evtI. als .. 27.12.08" zu lesen.
5 Veröffentlicht in Husserliana Materialien, Bd. III, S. 251-255.
XVI EINLEITUNG DER HERAUSGEBERIN

besteht aus zwei in einem Gesamtumschlag liegenden Teilen, die


jeweils wieder in Innenumschlägen liegen. Der erste Teil umfasst
die von" I" bis ,,97" paginierten Blätter F I 1/3-115. Im zweiten
Teil liegt nach den restlichen Blättern der Vorlesung von 1908/09
noch eine Anzahl älterer Blätter, u.a. aus den Vorlesungen "Logik
und Erkenntnistheorie" des Wintersemesters 1901/02 und " Logik "
des Wintersemesters 1902/03, unter denen die beiden Blätter aus der
Vorlesung von 1896 liegen.
In Konvolut K I 19 liegt als Blatt 2 (S. 89, Z. 12 - S. 90, Z. 4)
die "Beilage: Relation: Beschaffenheiten von Inbegriffen". Dieses
Ausarbeitungsblatt trug ursprünglich die Seitenzahl ,,279", welche
dementsprechend im Vorlesungsmanuskript fehlt; Husserl ersetzte
die Seitenangabe durch den Vermerk "Beilage zu § 19, ad 55ff.-60".
Laut Inhaltsverzeichnis gehört diese Beilage allerdings nicht zu § 19,
sondern zu § 20 (wo sie unten im Druck wiedergegeben wird). Kon-
volut K I 19 umfasst 36 Blätter. Der Gesamtumschlag K I 19/1+36
trägt mit Tinte den Titel" Relation". Dieser Gesamtumschlag enthält
zwei in Innenumschlägen liegende Bündel. Der Umschlag des ersten
Bündels (K I 19/4+ 10) trägt u.a. die Aufschrift mit Tinte" Gegenstand,
Merkmal. Dieselbe Sache in äquivalenten Sätzen. Einteilung der Ge-
genstände" sowie den die 3. Logische Untersuchung betreffenden
Bleistiftvermerk "Zu Untersuchung 111". Der Umschlag des zweiten
Bündels (K I 19/11+35), eine Drucksache vom Januar 1905, trägt
keine Aufschrift. Doch bezieht sich auf dieses Bündel der Vermerk
auf dem Gesamtumschlag: "Darin ein Konvolut aus ältester Zeit über
Relationen. Neuere Blätter: Hume's Relationstheorie hinsichtlich der
Unterscheidungen im Treatise. Meinongs ideale und reale Relationen
und meine Philosophie der Arithmetik."
In die vorliegende Ausgabe der Logikvorlesung von 1896 wurden
alle von Husserl paginierten Blätter aufgenommen. Um die einleiten-
den Vorlesungen in etwa zu vervollständigen, wurden den paginierten
Blättern sowohl die daran anschließenden unpaginierten Blätter K I
20/35-37 (S. 23, Z. 27 - S. 41, Z. 2) als auch die beiden unpaginierten
Ausarbeitungsblätter K I 20/3 und 21 (S. 41, Z. 3 - S. 42, Z. 33)
angefügt. Für die Gliederung des Hauptteils der Vorlesung wurde das
von Husserl erstellte Inhaltsverzeichnis verwendet, das an einigen
Stellen durch im Text selber auftretende Titel ergänzt wurde.

*
EINLEITUNG DER HERAUSGEBERIN XVII

Außer der Vorlesung des Sommers 1896 wurde in den vorliegenden


Band als Ergänzung auch das allein erhaltene Fragment von Husserls
Vorlesung des Sommersemesters 1895 aufgenommen, die er in Hal-
le unter dem Titel "Über die neueren Forschungen zur deduktiven
Logik" vom 26. April bis 3. August gehalten hat. Obwohl die darin
enthaltene Darstellung der Lehren von Hamilton, De Morgan und
Boole sich vielfach auf Liards Büchlein Die neuere englische Logikl
stützt, stammen doch die kritischen Bemerkungen von Husserl selbst.
Das halbzeilig mit Tinte in Gabelsberger Stenographie geschriebene
Fragment liegt in Konvolut K I 25 und besteht aus den Blättern 2-
45, die alle das Format 21,5 x 17 cm haben und in der Mitte gefaltet
sind. Sie liegen im Umschlag K I 25/1+47 mit der Bleistiftaufschrift:
" Aus den Vorlesungen über neuere Fortschritte der deduktiven Logik
(De Morgan, mathematische Logik etc.) aus 1895." Die Vorderseite
von Blatt 46 ist zur Hälfte mit Notizen aus einem Artikel De Mor-
gans beschrieben.2 Das Manuskript weist nur wenige Streichungen,
Randbemerkungen und Einfügungen mit Blau- bzw. Bleistift auf, die
vielleicht schon während des Sommersemester 1895 vorgenommen
wurden.
Das Vorlesungsfragment K I 2512-45 wird im vorliegenden Band
vollständig veröffentlicht.3 Lediglich Blatt 46 bleibt als bloßes No-
tizblatt außer Betracht. Der Übersichtlichkeit halber wurden einige
wenige Überschriften in den Text eingefügt.

*
Die Texte beider Vorlesungen werden in Letztfassung geboten.
Infolgedessen wurden sowohl alle mit der Niederschrift zeitgleichen
als auch alle späteren Textveränderungen, Einfügungen, Ergänzungen
und Randbemerkungen mit Tinte, Blaustift und Bleistift nach Mög-
lichkeit in den Drucktext aufgenommen. Randbemerkungen, die sich
nicht eingliedern ließen (vor allem solche kritischer Natur), stehen in
Fußnoten. Auch gestrichene und durch anderen Text ersetzte Text-
stücke werden, sofern sie inhaltlich Neues bringen und von einiger
Wichtigkeit sind, in den Fußnoten in Auswahl geboten. Dabei wurden
besonders erst in späterer Zeit gestrichene Textstücke berücksichtigt.
I Louis Liard, Die neuere englische Logik, 2. Aufl., Leipzig 1883.
2 Augustus De Morgan, "On the Syllogism III and on Logic in General", Cambridge Philo·
sophical Transactions X (1858), S. 173-230.
3 Die Blätter K I 25/31-38 wurden erstmals in Husserliana XXI, S. 57-68 veröffentlicht.
XVIII EINLEITUNG DER HERAUSGEBERIN

Kurze Streichungen und bloße Verbesserungen wurden nicht eigens


namhaft gemacht. Fußnoten mit Asterisken enthalten Literaturnach-
weise der Herausgeberin.
Verschreibungen Husserls oder fehlerhafte Sätze wurden still-
schweigend korrigiert. Alle Hinzufügungen der Herausgeberin sind
in spitze Klammern (... ) gesetzt. Die überaus zahlreichen Unterstrei-
chungen Husserls in den Manuskripten wurden nur in den wenigsten
Fällen, und zwar als Sperrdruck, berücksichtigt, sofern sie zum bes-
seren Verständnis des Textes beitragen. Die Rechtschreibung wurde
den neuen Regeln des Duden angepasst. Für Husserl spezifische Aus-
drücke und Schreibungen wurden dagegen beibehalten.

*
An dieser Stelle möchte ich dem ehemaligen Direktor des Husserl-
Archivs Professor Samuel IJsseling und dem heutigen Direktor Pro-
fessor Rudolf Bernet meinen Dank aussprechen. Ohne ihre Initiative
und Umsicht hätte die vorliegende Edition nicht erscheinen können.
Professor Ullrich Melle danke ich für seine tatkräftige Unterstützung
und seine hilfreichen Ratschläge bezüglich der Textgestaltung. Mein
besonderer Dank gilt Karl Schuhmann für seine Mitarbeit beim Kol-
lationieren und seine Beratung in Einzelfragen.

Elisabeth Schuhmann
LOGIK

VORLESUNG 1896
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN

Es ist eine alltägliche Erfahrung, dass die Vorzüglichkeit, mit der


ein Künstler seinen Stoff meistert, und das entschiedene und oft
sichere Urteil, mit dem er das Kunstwerk abschätzt, nur ganz aus-
nahmsweise auf einer theoretischen Erkenntnis der Gesetze beruht,
welche im Verlauf der praktischen Betätigung ihm Form und An-
ordnung vorschreiben, und im Besonderen der Gesetze, welche die
wertenden Maßstäbe enthalten, nach denen Vollkommenheit und
Unvollkommenheit eines Werks abzuschätzen ist. Von einigen be-
merkenswerten Ausnahmen abgesehen, ist der praktische Künstler
nicht derjenige, welcher über die Prinzipien seiner Kunst die rich-
tige Auskunft zu geben vermag. Er schafft nicht nach Prinzipien,
und er wertet nicht nach Prinzipien; schaffend folgt er der inneren
Regsamkeit seiner harmonisch gebildeten Kräfte und urteilend dem
fein ausgebildeten künstlerischen Takt und Gefühl. Ähnlich verhält
es sich aber nicht bloß bei den schönen Künsten, die wir hier zunächst
im Auge hatten, sondern auch in den kunstmäßigen Betätigungen des
wissenschaftlichen Schaffens sowie in der theoretischen Beurteilung
seiner Resultate, der wissenschaftlich begründeten Tatsachen oder
Theorien. Auch der Mathematiker, Physiker, Astronom bedarf zur
Durchführung wissenschaftlicher Leistungen nicht der Einsicht in die
letzten Gründe seines Tuns. Und obschon die gewonnenen Resultate
für ihn und andere die Kraft vernünftiger Überzeugung besitzen,
so kann er doch nicht den Anspruch erheben, überall die letzten
Prinzipien, auf denen die Triftigkeit seiner Methoden beruht, nach-
gewiesen und damit seiner Wissenschaft den höchsten theoretischen
Abschluss verliehen zu haben. Auch in der Mathematik, um an das
extremste Beispiel, das der fortgeschrittensten aller Wissenschaften,
anzuknüpfen, verhält es sich nicht anders. Der Jünger tritt lernbe-
gierig in die Wissenschaft ein, indem er die Wissensschätze, die sich
im Lauf von Jahrtausenden angesammelt haben, allmählich kennen
lernt. Vom Leichteren zum Schwierigeren fortschreitend macht er sich
mit den Problemen und ihren Lösungswegen vertraut. Die typischen
Formen der Methoden prägen sich, auch ohne dass er überall letzte
4 LOGIK

Einsicht und Klarheit zu besitzen brauchte (geschweige denn, dass


er je dazu kommen müsste, ihre rein abstrakte Form herausgelöst zu
haben), seinem Geiste ein. Er gewinnt die Fähigkeit, vernünftige von
unvernünftigen Fragestellungen zu unterscheiden, gestellte Fragen in
der richtigen Weise anzufassen. Es bildet sich ein gewisser Takt heraus,
welcher ihm die ersten Ahnungen einzuschlagender Beweiswege an
die Hand gibt usw. Was wahr und falsch ist, was eine rechte und
eine trügerische Herleitung ist, das lernt er wieder durch die Praxis.
So manches erscheint ihm anfangs als dunkel, paradox, ja absurd.
Aber die Erfahrung der unzweifelhaften, durch vielfältige Proben
bewährten Erfolge, die sich durch solche Hilfsmittel gewinnen lassen,
drängt den Zweifel und das Bedürfnis nach einer letzten Klärung
meist zurück. Und schließlich sturnpft die langjährige Gewohnheit
gegen die anfangs noch empfundenen Unklarheiten in den Grundla-
gen völlig ab.
Die Mathematik gilt vielfach, aber immer nur den Außenstehen-
den, als das Ideal aller Wissenschaft überhaupt. Aber wie wenig
sie dies in Wirklichkeit ist, lehren die alten Streitigkeiten über die
Axiome und Postulate der Geometrie sowie (die Frage) nach den
berechtigenden Gründen der Methoden des Imaginären in der Arith-
metik. Dieselben Forscher, die mit unvergleichlicher Meisterschaft
die wundervollen Methoden der Mathematik handhaben oder sie um
Neues bereichern, zeigen sich hierbei gänzlich unfähig, von ihrer logi-
schen Triftigkeit ausreichend Rechenschaft zu geben. Dies gilt selbst-
verständlich a potiori von den übrigen so viel weniger entwickelten
Wissenschaften. Sind nun auch die Wissenschaften durch ein derartig
naturwüchsiges, halb und halb naives Verfahren groß geworden, ha-
ben sie auch zu einer früher nie gekannten Herrschaft über die Natur
verholfen, so können sie uns doch nicht theoretisch Genüge tun. Sie
sind eben nicht das, wofür sie der Außenstehende halten möchte: rein
in sich selbst ruhende, kristallklare, miteinander überall verträgliche
Theorien, in denen die Funktion aller einzelnen Begriffe und Sätze
völlig begreiflich, in denen alle Voraussetzungen genau analysiert und
somit das Ganze über jeden theoretischen Zweifel erhaben wäre. Wir
müssen es als eine wichtige Tatsache anerkennen, dass alle Wissen-
schaften, so wie sie jetzt vorliegen, der systematischen Vollendung,
der ausreichenden theoretischen Begründung ermangeln, die wir im
Interesse einer vollen intellektuellen Befriedigung von ihnen fordern
müssen.
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 5

Um dieses theoretische Ziel zu erreichen, bedarf es, wie ziemlich


allgemein anerkannt ist, fürs Erste einer Gattung von Untersuchun-
gen, die in das Reich der Metaphysik gehören. Die Aufgabe derselben
ist nämlich, die ungeprüften, meistens sogar unbemerkten und doch
überaus bedeutungsvollen Voraussetzungen metaphysischer Art zum
Gegenstand wissenschaftlicher Forschung zu machen. Solche Voraus-
setzungen sind z.B., dass es eine Außenwelt gibt, welche nach Raum
und Zeit ausgebreitet ist, dass alles reale Werden dem Kausalitätsge-
setz unterliegt, dass Widersprechendes realiter nicht existieren könne
u.dgl.; Voraussetzungen, die zum Teil außerordentlich inhaltsreich
sind. Ich erinnere nur an die Annahme eines realen Raums von
der Beschaffenheit einer mathematischen dreidimensionalen euklidi-
schen Mannigfaltigkeit mit jener unübersehbaren Fülle von Gesetzen,
welche die euklidische Geometrie kennen lehrt.
Schon der Umstand, dass die wesentlichsten dieser Voraussetzun-
gen allen, oder mindest allen Erfahrungswissenschaften gemeinsam
sind, und wiederum, dass ihre theoretische Begründung bzw. theore-
tische Vervollkommnung ganz anderer Methoden und Dispositionen
bedarf als solcher, die in der Besonderheit der spezialwissenschaft-
lichen Forschungsgebiete gründen, würde dazu zwingen, die ergän-
zenden Untersuchungen einer eigenen Wissenschaft zu überweisen.
Man nennt sie heutzutage gewöhnlich Erkenntnistheorie, aber sie ist
im Wesentlichen identisch, oder identisch einem Teil nach, mit der
altehrwürdigen Metaphysik, der Ersten Philosophie des Aristoteles.
Nur vermeidet man gern einen Namen, der durch hohle Irrlehren
unseres Jahrhunderts einen schlechten Beigeschmack erhalten hat.
Die Wissenschaften bedürfen also fürs Erste einer metaphysischen
Grundlegung. Darunter ist aber nichts weniger gemeint als eine dia-
lektische Herausspinnung der konkreten Resultate dieser Wissen-
schaften aus einer abstrakten Begriffsmystik, sondern, viel beschei-
dener und fruchtbarer, eine nüchterne Klärung und Prüfung jener all-
gemeinen Voraussetzungen, welche die Wirklichkeitswissenschaften
über das reale Sein machen, und in weitergehender wissenschaftlicher
Arbeit die Herstellung der gereiftesten und letzten Erkenntnis vom
realen Sein, von seinen Elementen, Formen und Gesetzen, die der je-
weilige Stand der Einzelwissenschaften, der Öttl'ttQu <plAO<JO<pLU, wie
sie Aristoteles nennt, gestattet. Diese metaphysische Grundlegung
reicht aber nicht aus, um die gewünschte theoretische Vollendung
der Einzelwissenschaften zu gewährleisten. Sie betrifft ohnehin bloß
6 LOGIK

die Wissenschaften, die mit der realen Wirklichkeit zu tun haben,


und das tun doch nicht alle, sicher nicht die rein mathematischen
Wissenschaften, deren Gegenstand Zahlen, Mannigfaltigkeiten u.dgl.
sind, also nicht reale Dinge, sondern Ideen. Anders verhält es sich
mit einer zweiten Gruppe von Untersuchungen, deren theoretische
Erledigung ebenfalls ein unerlässliches Postulat unseres Erkenntnis-
strebens ist. Sie gehen alle Wissenschaften in gleicher Weise an, weil
sie auf das gehen, was Wissenschaften zu Wissenschaften macht. Sie
konstituieren selbst eine Wissenschaft, deren Eigentümliches es ist,
Wissenschaft von Wissenschaft überhaupt zu sein. Es ist eben die
Wissenschaft, auf die wir es hier abgesehen haben.
Inwiefern gibt Wissenschaft überhaupt Anlass zur Konstituierung
einer neuen Wissenschaft? Machen wir uns, um diese Frage zu be-
antworten, den Begriff der Wissenschaft klar. Im Begriff der Wissen-
schaft liegt es, ein Inbegriff von Wahrheiten zu sein, und zwar nicht
von Wahrheiten schlechthin, sondern von Wahrheiten als Objekten
des Wissens. Unterscheiden wir aktuelles und potentielles Wissen, so
ist aktuelles Wissen die Erkenntnis einer Wahrheit, ein potentielles
Wissen hingegen die bloße Disposition irgendjemandes zum Erle-
ben dieser Erkenntnis. Das potentielle Wissen vom pythagoreischen
Lehrsatz hat der Mathematiker auch, wenn er schläft, das aktuelle
Wissen aber nur, wenn er den Satz mit vollem Verständnis erfasst
und seine Wahrheit einsieht. Es ist nun klar, dass die Wissenschaft
nicht in der zufälligen Summe aktueller Wissensakte ihrer Forscher
besteht. Die Ergebnisse ihres erfolgreichen Erkenntnisstrebens legen
die Forscher in Abhandlungen und Büchern nieder; in dieser litera-
rischen Form erhält sich die Wissenschaft und pflanzt sie sich von
Generation zu Generation fort. Abhandlungen und Bücher sind aber
für sich betrachtet nichts anderes als Bände bedruckten Papiers. Für
sich betrachtet sind sie aber auch keine Wissenschaft. Es muss neben
ihnen auch Menschen geben, die befähigt sind, das bedruckte Papier
zu lesen, das, was die Zeichen meinen, zu verstehen, die Wahrheiten,
die sie andeuten, aufzunehmen, sie als solche zu erkennen und damit
ein aktuelles Wissen von ihnen zu erlangen. So hat die Wissenschaft
ihr objektives Dasein als Kulturerscheinung in Form von äußeren
Veranstaltungen, die ihr Korrelat haben in gewissen intellektuellen
Dispositionen der Menschen und speziell der Gelehrten, mit einem
Worte: in deren potentiellem Wissen. Dieses weist aber wieder zurück
auf Erlebnisse aktuellen Wissens, aus welchen es hervorgegangen ist
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 7

und in welchen wieder zu terminieren es berufen ist. Aber was cha-


rakterisiert nun dieses aktuelle Wissen als solches? Im Wissen sollen
wir die Wahrheit selbst erfassen. Aber was gibt uns gegebenenfalls
die Bürgschaft dafür, dass wir dies wirklich tun? Was unterscheidet
klares Wissen von blindem oder gar irrigem Meinen? Die bloße
Überzeugung, dass, was wir für wahr halten, auch wahr sei, kann
doch nicht genügen, und sei sie auch noch so lebhaft. Wie oft finden
wir den lächerlichsten Irrtum von der stärksten Zuversicht begleitet,
wie oft stellt es sich heraus, dass, was wir mit vollster Überzeugung,
ohne das mindeste Zweifeln und Schwanken für wahr halten, auf
Vernunftgeltung nicht Anspruch erheben könne. Ich sage, es stellt
sich oft heraus. Sollte damit nichts weiter gemeint sein, (als) dass die
ursprüngliche Überzeugung einer neuen Überzeugung Platz macht?
Aber welchen Vorzug hat die eine Überzeugung vor der anderen, dass
diese vor ihr weichen muss? In der Lebhaftigkeit kann es nicht liegen,
denn auch die lebhafteste Überzeugung kann zum Wanken gebracht
werden und einer anderen weichen, die in dieser Hinsicht gar nicht
ausgezeichnet ist. Da also weder Überzeugung überhaupt noch eine
besondere Stärke der Überzeugung die Wahrheit verbürgen kann, so
fehlte, wenn wir nur auf Überzeugung angewiesen wären, jedwede
Sicherheit, dass auch nur in einem Fall das wirklich wahr sei, was
wir für wahr halten. Es ist danach offenbar: Unsere ganze Erkenntnis
schwebte in der Luft, fehlte uns die Evidenz, die klare, von der blo-
ßen Überzeugung unterschiedene Einsicht, in der wir die Wahrheit
nicht bloß glauben, meinen, für wahr halten, sondern sie als solche
in völlig unzweifelhafter Art erkennen. Gäbe es nie und nirgend ein
derart voll bewusstes und zweifelloses Erfassen der Wahrheit, dann
verfielen wir in den absoluten Skeptizismus. Und nicht einmal diesen
dürften wir fest als theoretische Wahrheit vertreten. Nicht einmal die
Behauptung dürften wir als sicher hinstellen, dass alles zweifelhaft sei,
oder auch nur, dass wir an allem zweifeln; denn auch dies könnte eine
Täuschung sein. Dass nun ein solcher Unterschied zwischen bloßer
Überzeugung und Evidenz wirklich besteht und die Gegenüberstel-
lung von Wissen und Meinen ihren festen Grund hat, dies können
wir uns an passend gewählten Beispielen leicht klarmachen. Mögen
wir unserer Zweifelssucht noch (so) breiten Spielraum gönnen, nie
werden wir in Reflexion auf unseren Zweifel zweifeln können, dass
wir zweifeln. An diesem Punkt fassen wir nach dem Vorgang von
Augustinus und Cartesius den absoluten Skeptizismus. Und dasselbe,
8 LOGIK

was vom Zweifeln gilt, (gilt) von jedem unmittelbaren inneren Erleb-
nis. Wenn wir irgendetwas vorstellen, so mag das, was wir vorstellen,
eine Chimäre sein; aber in Hinblick auf dieses Vorstellen ist es doch
evident, dass wir die Chimäre vorstellen. Wenn wir etwas glauben, so
mag der Glaube irrig sein, aber dass wir glauben, das ist, wenn wir auf
diesen Akt voll bewusst hinblicken, evident. Und in all diesen Fällen
haben wir nicht eine bloße Überzeugung, dass wir zweifeln, vorstellen,
glauben, Lust oder Schmerz fühlen usw., sondern wir haben eben Evi-
denz, wir erfassen die Wahrheit selbst. Und ebenso wie bei singulären
Gegenständen verhält es sich bei gewissen abstrakten Sachverhalten
wie 2 x 2 = 4, 3 > 2. Es ist hier doch ganz anders, als wenn wir etwa
eine politische Überzeugung haben oder wenn wir einem Menschen
mit Überzeugung Vertrauen schenken oder überzeugt sind, dass, was
(wir) da essen, Brot sei u.dgl. Hier ist immer Zweifel möglich. Selbst
wenn die Wahrscheinlichkeit, dass wir irren, noch so gering sein mag:
hier ist Irrtum möglich; hier fehlt uns aber auch die Evidenz im Sinne
der Einsichtigkeit. Also Wissen im strengen Sinn beruht auf Evidenz
im Gegensatz zu bloßer Überzeugung und schrankenloser Gewissheit.
Und Wissen in diesem strengen Sinn beansprucht die Wissenschaft zu
geben.
Zum Begriff der Wissenschaft gehört aber mehr als bloßes Wissen.
Wenn ich eine innere Wahrnehmung habe, wenn ich einen Zweifel,
eine Lust, einen Schmerz, der in mir aktuell ist, als da seiend aner-
kenne, so habe ich Wissen, aber lange noch keine Wissenschaft. Wenn
ich eine einzeine Begriffswahrheit, wie z.B. die, dass zwei Größen
einer dritten gleich etc., mit Evidenz erfasse, so habe ich ein Wissen,
aber keine Wissenschaft. Aber auch eine Mehrheit von Wahrheiten,
selbst wenn sie sachlich verwandt sind oder nach bestimmten Ge-
sichtspunkten zusammengeordnet, machen noch keine Wissenschaft
aus, obschon es sicherlich zum Begriff der Wissenschaft gehört, dass
in ihr eine Mehrheit zusammengehöriger Wahrheiten gegeben sei.
Offenbar müssen wir noch Weiteres supponieren, nämlich den sys-
tematischen Zusammenhang, und dazu gehört die Begründung der
Wahrheiten und zugleich die gehörige Ordnung ihrer Begründun-
gen. Das Gesamtreich der Wahrheiten resp. Erkenntnisse wird nach
gewissen Prinzipien in Gruppen geordnet und jede Gruppe einer
Wissenschaft zugewiesen. Innerhalb jeder Wissenschaft werden dann
wieder nach gewissen Prinzipien Gruppen unterschieden und damit
Teilgebiete, Teildisziplinen. Innerhalb eines solchen Gebietes werden
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 9

aber die Wahrheiten resp. Erkenntnisse nicht bloß hingestellt, sondern


auch tunliehst begründet, und dies wieder in gehörigem Zusammen-
hang. Und dazu gehört z.B., dass in möglichst geordneter Stufenfolge
die begründeten Wahrheiten der niederen Stufen gründend sind für
Wahrheiten der höheren, bis wir zu gewissen obersten Wahrheiten
gelangen, welche die Gesamtheit der sachlich zueinander gehörigen
Objekte des Gebietes in der Weise von Grundgesetzen beherrschen.
Die Einheit der erklärenden Theorie ist es, welche einer jeden Wis-
senschaft, und wie der ganzen Wissenschaft, so ihren relativ selbstän-
digen Zweigen, systematische Einheit gibt. Aber warum begnügen
wir uns dann nicht mit bloßer Zusammenstellung, was treibt uns, auf
Begründung und systematische Verknüpfung so hohen Wert zu legen,
dass uns die Wissenschaft als die höchste Form von Wissen erscheint?
Ist es ein bloß ästhetischer Zug unserer geistigen Natur, der hier
nach Betätigung drängt und der einer bloßen Zusammenstellung von
Wahrheiten seine Zustimmung versagt? Die letztere Frage müssen
wir entschieden verneinen. In der Wissenschaft mögen ästhetische
Bedürfnisse sich da und dort mit geltend machen, eine durchgreifen-
de Bedeutung für die Konstituierung und Ordnung der Erkenntnisse
besitzen sie in keiner Weise. Endlich und schließlich ist der Zweck der
Wissenschaft eben das Wissen, und zwar Wissen in solchem Ausmaß
und in solcher Form, wie es unseren höchsten theoretischen Zielen in
möglichster Vollkommenheit entspricht. Die Wissenschaft soll das
Mittel sein, uns in möglichstem Umfang das Reich der Wahrheit
zu unterjochen, dass wir darin in möglichster Freiheit schalten und
walten und aufgrund der bereits gewonnenen Wahrheiten in immer
fernere Regionen desselben erobernd eindringen können. Das Reich
der Wahrheit ist aber kein ungeordnetes Gemenge. Wie die Wahr-
heiten systematischen Zusammenhang haben, so wie sie beherrscht
werden von einheitlicher Gesetzlichkeit und Theorie, so muss die
Erforschung der Wahrheit und deren Darlegung systematisch sein.
Die Systematik der Erkenntnis muss die Systematik, die in den Sa-
chen selbst gründet, bis zu einem gewissen Grad widerspiegeln. So
wie die Wahrheiten sich als niedere und höhere ordnen, so müssen
die Erkenntnisse von niederen zu höheren emporsteigen, damit wir
von den unteren Stufen des Wissens in immer höhere Regionen des
Wahrheitsreichs einzudringen vermögen. Die Evidenz ist es, sagten
wir, in welcher wir der Wahrheit eines vorgestellten Sachverhalts
innewerden. Aber die Evidenz ist keineswegs eine natürliche Beigabe,
10 LOGIK

die sich mit der bloßen Vorstellung der Sachverhalte und ohne jede
methodisch künstlichen Veranstaltungen einfände. Es geht nicht an,
alle erdenklichen Sachverhalte vorzustellen, dann zuzusehen, ob sich
Evidenz einstellt, um schließlich die so ausgezeichneten Sachverhalte
in einen Haufen zusammenzutragen. Ein solches Verfahren wäre tö-
richt, ein solcher Haufe von Wahrheiten wertlos. Läge die Sache so,
dass sich bei jedem normal Veranlagten im bloßen, Hinblick auf den
jeweiligen Satzgedanken die Evidenz, die ihn als Wahrheit stempelt,
ohne weiteres einstellen würde, dann freilich wären die Menschen
nie darauf verfallen, eine Wissenschaft aufzubauen. Wozu die Be-
gründungsverhältnisse erforschen und Beweise aufbauen, wenn man
der Wahrheit in unmittelbarem Anschauen teilhaftig werde? Faktisch
stellt sich aber die Evidenz (resp. Absurdität) nur bei einer relativ
höchst eingeschränkten Gruppe einfachster Sachverhalte unmittelbar
ein. In unzähligen anderen Fällen bedarf es einer begründenden Her-
leitung, die von gegebenen Erkenntnissen zu neuen Erkenntnissen
hinführt; das heißt, in unzähligen Fällen stellt sich bei bloßem Hinblick
auf den Satzgedanken keinerlei Evidenz ein, aber sie stellt sich ein,
sowie wir von gegebenen Erkenntnissen ausgehen und dann einen
gewissen Denkweg zu diesem Satz einschlagen. Es mag für denselben
Satz mehrere solche Methoden der Begründung geben, die, sei es
von denselben, sei es von verschiedenen Wahrheiten den Ausgang
nehmen. Aber charakteristisch ist immer dies, dass es ungeheure
Mannigfaltigkeiten von Wahrheiten gibt, die, wenn nicht eine solche
methodische Prozedur befolgt wird, nimmer in ein Wissen verwandelt
werden können «(vgl. die) Geometrie).1
Die eben dargelegten Tatsachen, also die Tatsache, dass die Evi-
denz, in welcher wir eine Wahrheit begreifen, in der unvergleichlichen
Mehrheit der Fälle nichts ist, was sich ohne weiteres an die Vorstellung
des betreffenden Sachverhalts anknüpft, sondern dass es mehr oder
minder umständlicher Gedankenwege, mehr oder minder komplizier-

1 Gestrichen Indem nun die bereits begründeten Wahrheiten immer wieder als Ausgangs-
punkte neuer Begründungen dienen, gelangen wir von Erkenntnissen, die den unmittelbaren
Evidenzen ganz nahe liegen, zu immer ferner liegenden und komplizierteren, und so schreitet
unsere Erkenntnis unaufhaltsam weiter. Hierbei zeigt es sich bald und drängt es sich jedem
beteiligten Forscher ganz von selbst auf, dass gewisse sachgemäße Anordnungen der Sätze und
Begründungen ganz unerlässlich sind, um eine vollkommene theoretische Herrschaft über den
Stoff zu gewinnen. Analogien treten so hervor, die sonst übersehen worden wären. Vorahnend
erhebt sich der Geist zu neuen Sätzen, und indem die Begründungsmittel in ihrer Ordnung zu
leichtester Verfügung bereitstehen, gelingt schließlich auch der intendierte Beweis.
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 11

ter Begründungen bedarf, um über das unmittelbar Evidente und Tri-


viale hinauszukommen: in dieser Tatsache gründet die Notwendigkeit
und Möglichkeit von Wissenschaften, und in weiterer Folge gründet
in jenen die Möglichkeit einer Wissenschaftslehre, einer Wissenschaft
von der Wissenschaft überhaupt.!
Verfahren alle Wissenschaften methodisch im Verfolge der Wahr-
heit, haben sie alle gewisse mehr oder minder künstliche Hilfsmittel
in Gebrauch, um Wahrheiten erkenntlich zu machen, die sonst ver-
borgen blieben, um das unmittelbar Selbstverständliche oder bereits
Gesicherte als Hebel zu nützen für die Erreichung von Entlegenem,
unmittelbar durchaus nicht Erfassbarem, dann dürfte doch die ver-
gleichende Betrachtung dieser methodischen Hilfen (in denen die
Erfahrungen und Einsichten ungezählter Forschergenerationen auf-
gezeichnet sind) Mittel an die Hand geben, um allgemeine Gesetze für
solche Verfahrungsweisen aufzustellen und desgleichen auch Regeln
für die erfindende Konstruktion derselben je nach den verschiedenen
Klassen von Fällen.2

! Gestrichen Danach ist klar, dass der Begriff einer systematischen Zusammenordnung und
Verknüpfung von Wahrheiten nicht den Begriffder Wissenschaft erschöpft. Wissenschaften sind
systematische Verknüpfungen von Wahrheiten, die einem gewissen Zwecke dienen, nämlich
dem Zwecke möglichster Bereicherung und Erweiterung der Erkenntnis innerhalb der Gebiete,
die sie sich zur Forschung abgesteckt haben.
2 Gestrichen Man wird hier also Gesetze erwarten dürfen von folgender Form: Wenn ein Satz
mit irgendwelchen Wahrheiten P, Q, R ... oder irgendwelchen, die so und so charakterisiert
sind, in einer Verbindung V steht, welche die und die bestimmten Charaktenüge hat, dann tritt
bei jedem intellektuell Normalen, der sich momentan in normaler Denkverfassung befindet,
Evidenz ein, die den Satz als Wahrheit charakterisiert. Und solcher Gesetze wird es eine
ganze Vielheit geben können. Natürlich werden sich dann auch Sätze anschließen können mehr
prinzipieller Art, die vor möglichen Irrtümern in der Verbindung der gefundenen Sätze warnen,
die zeigen, wie in manchen Fällen die Bedingungen ihrer GUltigkeit nur scheinbar erfüllt sind
und wie, .wenn dies nicht beachtet ist, tatsächlich A~urditäten deduktibel wären u.dgl. Man
wird also überhaupt all das in der fraglichen Wissenschaft erwarten, was irgend geeignet ist, die
Erweiterung unserer Erkenntnis zu fördern und die Gefahren des Irrtums zu beseitigen. Und
neben allgemeinsten Sätzen und Regeln, denen alle Wissenschaften überhaupt unterliegen, mag
es dann auch solche geben, die zum besonderen Gehalt einer bestimmten Wissenschaft eine
besondere Beziehung haben, und so wird ergänzend zu einer allgemeinen Wissenschaftslehre,
einer allgemeinen Logik, hintreten eine Logik der Mathematik, der Physik usf.
Nach diesen Betrachtungen ergibt sich die Logik oder Wissenschaftslehre als die wis·
senschaftliche Disziplin von den methodischen Verfahrungsweisen, welche zum Begriff einer
Wissenschaft überhaupt wesentlich gehören, und weitergehend von den Verfahrungsweisen,
durch welche Wissenschaften von möglichst vollkommener Gestaltung aufzubauen sind, also
Wissenschaften, die uns in vonüglichstem Maße dem Ziel der Bereicherung und Erweiterung
der Erkenntnis entgegenführen. Die Überlegungen, die wir in der letzten Vorlesung angestellt
haben, zeigten uns, allerdings nur erst von fern, die Möglichkeit einer Wissenschaftslehre, d.i.
12 LOGIK

Überlegen wir uns, um die Sache noch aus tieferem Grunde zu ver-
stehen, die bedeutsamsten Eigentümlichkeiten dieser merkwürdigen
Gedankenläufe, die wir Begründungen nennen, etwas näher. Diese
Gedankenverläufe, die wir Begründungen nennen, haben, um auf ein
Erstes hinzuweisen, (den) Charakter fester Gefüge. Nicht können
wir, um zu einer gewissen Erkenntnis, z.B. der des Gravitationsge-
setzes zu kommen, ganz beliebige aus den unmittelbar gegebenen
Erkenntnissen zu Ausgangspunkten wählen, und nicht dürfen wir im
weiteren Verlauf beliebige Gedankenglieder einfügen und wegtun,
soll die Evidenz des zu begründenden Satzes wirklich hervorspringen,
die Begründung also wahrhaft Begründung sein.
Noch ein Zweites hebe ich hervor. Von vornherein, d.h. vor allem
Hinblick auf Beispiele von Begründungen, die uns aus irgendwelchen
wissenschaftlichen Theorien in Fülle zuströmen, möchte man es für
möglich halten, dass jede Begründung nach Gehalt und Form ganz ein-

einer Disziplin. welche a11 die methodischen Ordnungen und Verknüpfungen von Erkenntnis-
sen zum Gegenstand der Forschung macht, die, unter dem Namen Wissenschaft systematisch
zusammengefasst, den Zweck haben, unser Streben nach Bereicherung und Erweiterung der
Erkenntnis zu einem möglichst erfolgreichen zu gestalten. Ist es wahr, sagten wir, dass alle
Wissenschaften methodisch verfahren im Verfolge der Wahrheit, ist es wahr, dass sie alle
mehr oder minder künstliche Hilfsmittel in Gebrauch haben, um die Erkenntnisse zugänglich
zu machen, die uns sonst verschlossen blieben, um die trivialen Selbstverständlichkeiten, auf
die wir sonst beschränkt blieben, als Hebel zu benützen für die Erreichung neuer und neuer
Erkenntnisse, ist es ferner wahr, dass die Wissenschaften als ganze selbst wieder (den) Charakter
haben von nützlichen Veranstaltungen zur möglichsten Bereicherung der Wahrheit: dann dürfte
doch die vergleichende Betrachtung dieser methodischen Prozeduren Mittel an die Hand geben,
um allgemeine Sätze über solche Verfahrungsweisen aufzustellen und nicht minder praktisch
fruchtbare Regeln für die erfindende Konstruktion solcher in bestimmt charakterisierten Klas-
sen von Fällen.
Dass es methodischer Hilfsmittel der Art, wie sie in den Wissenschaften üblich sind und
die Wissenschaften als solche charakterisieren, bedarf, das konnten wir uns leicht klarmachen.
Wissen im strengen Sinne des Wortes beruht auf Evidenz. Aber nur in den seltensten Fällen
genügt die aufmerksame Betrachtung eines wahren Sachverhalts, um seine Wahrheit auch
einzusehen. Nur in den seltensten Fällen genügt es sozusagen, nur die Augen zu öffnen, dass man
das Gegebene in unmittelbarem Anschauen erfasse. Unzählige wahre Sachverhalte erfassen
wir als Wahrheiten nur dann, wenn sie" begründet" werden, wenn sie also Endglieder gewisser
Gedankenverläufe sind, die, von unmittelbaren oder bereits begründeten Erkenntnissen aus-
laufend, das eigen haben, dass sie den Sachverhalten, mit denen sie enden, den Charakter der
Evidenz, der Erkenntnis aufprägen; und dies als ein Neues, was diesen Sachverhalten eben nur
anhaftet in diesem Zusammenhang.
Und dass sich dies so verhält, dass wir Begründungen brauchen, um in der Erkenntnis über
das unmittelbar Evidente und darum Triviale hinauszukommen, das macht Wissenschaften
möglich und nötig, und mit den Wissenschaften in weiterer Folge eine Wissenschaftslehre, eine
Logik.
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 13

zigartig ist. Eine Laune der Natur könnte unsere geistige Konstitution
so eigensinnig geformt haben, dass die uns jetzt so verständliche Rede
von mannigfachen Begründungsformen eines jeden Sinnes bar wäre
und dass als Gemeinsames bei Vergleichung irgendwelcher Begrün-
dungen immer nur das eine zu konstatieren wäre, dass eben ein Satz S,
der für sich evidenzlos ist, den Charakter der Evidenz erhält, wenn das
Denken desselben im Zusammenhang auftritt mit gewissen ihm ohne
jedes rationelle Gesetz ein für allemal zugeordneten Erkenntnissen
P,Q ...
Aber so steht die Sache nicht. Nicht hat eine blinde Allmacht einen
Haufen von wahren Sätzen P, Q, R .. , zusammengehäuft und mit
dem Satz S zusammengekoppelt und dann den Menschengeist so
eingerichtet, dass die Erkenntnis der Wahrheit der ersteren dieser
Sätze unweigerlich (oder unter gewissen normalen Umständen) die
Erkenntnis von S nach sich ziehen muss. In keinem einzigen Fall
verhält es sich so. In den Begründungszusammenhängen herrscht
nicht blinder Zufall, sondern Vernunft und Ordnung, und das heißt
regelndes Gesetz. Ein Beispiel wird das klarmachen. Wenn wir in
einer mathematischen Aufgabe, die von einem gleichseitigen Drei-
eck ABC handelt, den Satz anwenden "Ein gleichseitiges Dreieck
ist gleichwinklig", machen wir expliziert folgenden Schluss: "Alle
gleichseitigen Dreiecke haben gleiche Winkel. Das Dreieck ABC ist
gleichseitig. Also hat es gleiche Winkel." Setzen wir daneben einen
zweiten Schluss: "Alle dekadischen Zahlen mit gerader Endziffer
sind selbst gerade Zahlen. 364 ist eine dekadische Zahl mit gera-
der Endziffer. Also ist 364 eine gerade Zahl." Wir bemerken sofort,
dass diese beiden Begründungen etwas Gemeinsames (haben), eine
gleichartige innere Konstitution, die wir deutlich ausdrücken in der
Schlussform "Alle A sind B. S ist A. Also ist SB." Und nicht bloß
diese zwei Begründungen haben diese Form, sondern unendlich viele;
alle Schlüsse, deren Funktion es überhaupt ist, einen allgemeinen
Satz auf einen besonderen oder untergeordneten Fall zu übertragen.
Und andererseits haben doch nicht alle Begründungen diese Form,
nicht in allen wird ja ein Gesetz auf einen daruntergehörigen Fall
bloß übertragen. Aber noch mehr. Eine so geformte Verknüpfung
von erkannten Vordersätzen mit einem so geformten Nachsatz, wie
wir sie hier vorfinden, hat auch die merkwürdige Eigenschaft, die
Wahrheit dieses Nachsatzes zu verbürgen. Es kann nicht jemand
kommen und sagen: Ich habe hier zwei Erkenntnisse der Form" Alle
14 LOGIK

A sind B" und "Ein S ist A", und daran knüpft sich mir die Evi-
denz, dass dieses S nicht B ist. Nein. Wir! wissen apriori, dass zu
einem Paar Prämissen der angegebenen Form gerade ein Schlusssatz
der Form "S ist B" gehört und dass ein solches Prämissenpaar mit
dem Satz "S ist nicht B" unverträglich ist. Wir wissen apriori, dass
jede vorgebliche Begründung, die in der angegebenen Form verläuft,
richtig ist, wenn sie überhaupt von richtigen Prämissen ausgeht. Was
uns an diesem Beispiel klar wurde, gilt ganz allgemein. Wo immer
wir von gegebenen Erkenntnissen begründend aufsteigen zu neu-
en Erkenntnissen, da wohnt dem Begründungswege eine gewisse
Form ein, die ihm gemeinsam ist mit unzähligen anderen Begrün-
dungen und die in gewisser Beziehung steht zu einem allgemeinen
Gesetz, das all diese einzelnen Begründungen auch mit einem Schla-
ge zu rechtfertigen vermag. Keine Begründung steht, dies ist eine
höchst merkwürdige Tatsache, isoliert. Keine verknüpft Erkenntnis
mit Erkenntnis, ohne dass, sei es in der Art ihrer Verknüpfung, sei
es in dieser und zugleich in der inneren Konstitution der einzelnen
Sätze, ein bestimmter lYpus ausgeprägt wäre, der, in allgemeinen
Begriffen erfasst, sofort zu einem allgemeinen, auf unendlich vie-
le mögliche Begründungen bezügliches Begründungsgesetz überlei-
tet.
Endlich noch ein Drittes möchte ich als merkwürdig hervorheben.
Von vornherein, d.i. vor Vergleichung der verschiedenen Wissenschaf-
ten, möchte man den Gedanken nicht für unmöglich halten, dass die
Begründungsformen an gewisse Erkenntnisgebiete gebunden seien.
(Wenn schon nicht überhaupt mit den Klassen von Objekten die
zugehörigen Begründungen wechseln, so könnte es doch sehr allge-
meine Klassenbegriffe geben, etwa diejenigen, die die Gebiete der
verschiedenen Wissenschaften charakterisieren, nach welchen sich
die auf solche Klassen bezüglichen' Begründungen scharf trennen.)
Ist es also nicht so, dass keine Begründungsform existiert, die je
zwei Wissenschaften gemeinsam ist, der Mathematik z.B. und der
1 Die zwei folgenden Satze ersetzen den gestrichenen Text Der nonnale Mensch ist so konsti-
tuiert, dass sich ihm an die Evidenz zweier Sätze der Fonn "Alle A sind B" und "S ist A" nicht
die Evidenz von "S ist nicht B" knüpfen kann, vielmehr so, dass sich ihm, wenn er in nonnaler
Denkverfassung ist, wenn er etwa nicht unaufmerksam ist oder schläft u.dgl., die Evidenz
des Satzes "S ist B" knüpfen muss. Die Fonn charakterisiert also nicht bloß eine Klasse von
Begründungen, sondern fundiert auch ein Gesetz, wonach jede Begründung, die solche Wege
einschlägt, die von Erkenntnissen der hier charakterisierten Fonn ausgeht, zu einem Schlusssatz
fUhren muss, der wahr und in nonnalen Verhältnissen evident ist.
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 15

Astronomie usf.? Indessen, auch das ist nicht der Fall. Das lehrt schon
unser Beispiel. Keine Wissenschaft, in der nicht allgemeine Gesetze
auf untergeordnete Fälle übertragen, keine Wissenschaft also, in der
nicht der uns als Beispiel dienende Schluss öfter auftreten würde. Das
gilt aber nicht bloß von ihm, sondern auch von unzähligen anderen.
Die Tatsachen nun, auf die ich jetzt der Reihe nach aufmerksam
gemacht habe, stehen in offenbarer Beziehung zur Möglichkeit einer
Wissenschaft und weiterhin einer Wissenschaftslehre.
Dass es Begründungen gibt, reicht in dieser Beziehung nicht hin.
Wären die Begründungen form- und gesetzlos, bestände nicht die
fundamentale Wahrheit, dass allen Begründungen eine Form inne-
wohnt, dass die Form nicht etwas diesem hic et nunc vorliegenden
Schluss Eigentümliches, sondern etwas für Klassen von Schlüssen
lYpisches ist, dass für diese ganze Klasse die Form als das die Rich-
tigkeit der Begründung unbedingt Verbürgende angesehen werden
kann, dann gäbe es keine Wissenschaft. Das Reden von einer Me-
thode hätte keinen Sinn mehr ebenso wie das Reden von einem
systematischen Fortschritt von Erkenntnis zu Erkenntnis. Jeder Fort-
schritt wäre Zufall. Da würden einmal zufällig die Sätze P, Q, R
... in unserem Bewusstsein günstig zusammentreffen, die dem Satz
S Evidenz zu verleihen fähig sind, und richtig würde die Evidenz
hervorspringen. Könnten wir aus irgendeiner zustande gekommenen
Begründung für die Zukunft das Geringste lernen? Nein. Keine Be-
gründung hätte ja etwas Vorbildliches für irgendeine andere. Kei-
ne verkörperte in sich einen Typus, und so hätte denn auch keine
Satzgruppe als Prämissensystem etwas Typisches an sich, das sich
uns in neuem Fall, bei Gelegenheit ganz anderer Materien, vermö-
ge seiner Gleichartigkeit aufdrängen und nach den Gesetzen der
Ideenassoziation die Gewinnung einer neuen Erkenntnis erleichtern
könnte. Nach einem Beweis für einen gegebenen Satz, dessen Wahr-
heit noch nicht gesichert ist, forschen, das hätte keinen Zweck und
Sinn. Wie sollten wir dies denn anstellen? Sollten wir etwa die un-
endliche Mannigfaltigkeit denkbarer Vordersätze durchprobieren, ob
sie als Prämissen für den gegebenen Satz brauchbar seien, ob sich
an sie vielleicht die Evidenz dieses Satzes anknüpfen ließe? Der
Klügste hätte hier vor dem Dümmsten nichts voraus, und es wäre
fraglich, ob er überhaupt etwas Wesentliches vor ihm noch voraus
hätte. Eine reiche Phantasie, ein umfassendes Gedächtnis, die Kraft
angespannter Aufmerksamkeit u.dgl. sind schöne Dinge; aber in-
16 LOGIK

tellektuelle Bedeutung haben sie doch nur bei einem Wesen, des-
sen denkendes Begründen und Erfinden unter Gesetzmäßigkeiten
steht, während sie andernfalls nichts nützen. Wie der Inhalt des Ge-
dachten überhaupt assoziativ wirkt und auf· Ähnliches unsere Ge-
danken lenkt, so gilt dasselbe auch von der ihm innewohnenden
Form. Die Form unserer Gedanken kann also fördernd wirken. Wie
die Form gewisser Prämissen den zugehörigen Schlusssatz mit be-
sonderer Leichtigkeit hervorspringen lässt, weil uns früher Schlüsse
ähnlicher Form schon gelungen waren, so kann auch die Form ei-
nes zu beweisenden Satzes gewisse Prämissenformen in Erinnerung
bringen, die ähnlich geformte Schlusssätze früher ergeben hatten.
Und ist es nicht klare Erinnerung, so kann es doch gewissermaßen
latente Erinnerung sein, "unbewusste Erregung"; jedenfalls ist es
etwas, das sich für das leichtere Gelingen von Beweiskonstruktio-
nen als förderlich erweist. Der geübte Denker findet leichter Be-
weise als der ungeübte, der geübte Mathematiker leichter als der
ungeübte. Und warum dies? Weil diesem sich die typischen For-
men der Beweise durch reiche Erfahrung immer tiefer eingegra-
ben haben und für ihn darum so viel leichter wirksam und die Ge-
dankenrichtung bestimmend sein müssen. In gewissem Umfang übt
das wissenschaftliche Denken beliebiger Gattung für wissenschaftli-
ches Denken überhaupt. Daneben aber übt in weitem Umkreis das
mathematische Denken nur für weiteres mathematisches Denken,
das naturwissenschaftliche für naturwissenschaftliches usw., philolo-
gisches ... Das erste beruht offenbar auf jenen Klassen typischer
Formen, die allen Wissenschaften gemeinsam sind, das letztere auf
jenen, die zu der Besonderheit der Gebiete besondere Beziehung
haben. Die Eigenheiten des wissenschaftlichen Taktes, die vorausbli-
ckenden Intuitionen und Divination hängen hiermit zusammen. Wir
sprechen von einem philologischen Takt und Blick, aber auch von
einem mathematischen Takt usw. Und wer besitzt ihn? Der durch
vieljährige Übung geübte Philologe bzw. Mathematiker usw. In der
allgemeinen Natur der Gegenstände als Gegenstände gerade die-
ses Gebietes gründen gewisse Formen sachlicher Zusammenhänge,
und diese bestimmen wieder gewisse typische Eigentümlichkeiten
der gerade in diesem Gebiet häufig auftretenden Begründungsfor-
men.
Alle Erfindung und Entdeckung beruht auf den Gesetzmäßigkeiten
der Form. Ohne sie keine Prüfung gegebener Sätze und Beweise,
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 17

keine planmäßige Konstruktion neuer Beweise, kein planmäßiger


Aufbau von Theorien und ganzen Systemen!!
Ermöglicht nun nach all dem die Gesetzmäßigkeit der Form die
Wissenschaft, so ermöglicht andererseits die in weitem Umfang be-
stehende Unabhängigkeit der Form von einem Wissensgebiet die
Möglichkeit einer Wissenschaftslehre. Bestände diese Unabhängig-
keit nicht, dann gäbe es nur einander nebengeordnete Logiken, aber
keine allgemeine Logik. In Wahrheit finden wir aber beides nötig:
Neben den wissenschaftstheoretischen Untersuchungen, welche das
allen Wissenschaften Gemeinsame betreffen, finden wir nur ergän-
zende Untersuchungen nötig,2 die sich speziell auf die Theorie der
mathematischen Wissenschaften, der Naturwissenschaften usw. be-
ziehen und das diesen Eigentümliche zu erforschen suchen.
So dürfte die Hervorhebung jener Eigentümlichkeiten, die sich bei
der vergleichenden Betrachtung der Begründungen ergeben, nicht
nutzlos gewesen sein, auf unsere Disziplin selbst einiges Licht zu
werfen.3

1 Gestrichen Und vorher schon: keine vorauseilende wissenschaftliche Vennutung. Doch das
liegt schon in der Leugnung jedes Planes. Ein Plan ist ja eben eine vorauseilende Vennutung,
auf den Typus des Beweises oder der Theorie gehend, wonach man die Sache selbst dann zu
machen sucht.
2 Hier Unterscheidung zwischen Begründung und Hilfsverrichtung.
3 Gestrichen Wir nannten sie Wissenschaftslehre. Den Namen verdient sie in doppeltem Sinne.
Einmal kann man sie so definiert denken, dass ihr Forschungsgebiet die methodischen Mittel der
sämtlichen Wissenschaften sind derart, dass sie die Wissenschaft wäre, die von den methodischen
Prozessen in den Wissenschaften handelt. Sie kann aber auch so gefasst werden, dass sie als die
Wissenschaft betrachtet wird, welche von den methodischen Veranstaltungen zur Bereicherung
der Erkenntnis handelt, welche man selbst Wissenschaften nennt. Denn jede Wissenschaft
enthält nicht bloß Methoden zur Erreichung der Wahrheit, sondern ist in ihrer systematischen
Verwebung solcher Methoden selbst eine solche Methode. Beide Definitionsweisen führen
offenbar auf dieselbe Wissenschaft. Wählen wir den letzteren Begriff, so ist es ja klar, dass die
Erforschung der Uberaus komplizierten systematischen Gewebe aus einzelnen Begründungen,
Begründungsgruppen und Gruppen solcher Gruppen, die wir Wissenschaften nennen, durchaus
beruhen mUsste auf der Erforschung der BegrUndungsfonnen und Systematisierungen, die in
ihnen auftreten. Und umgekehrt: Stellen wir die Erforschung der methodischen Fonnen in den
Wissenschaften als Ziel der Wissenschaftslehre hin, dann wäre natUrlieh auch die Erforschung
der Komplikationen und Systematisierungen, die selbst wieder den Charakter von methodischen
Fonnen haben, eine Aufgabe der Wissenschaftslehre, und das wUrde schließlich hinfUhren auf
die Verwebung zu höchsten Einheiten, zu den Wissenschaften selbst. Und endlich ist es klar, dass
wir abennals einen gleichwertigen Begriff erhalten, wenn wir die Logik als die wissenschaftliche
Disziplin definierten, welche Uberhaupt die methodischen Verfahrungsweisen zu erforschen
hat, welche der Bereicherung und Erweiterung der Erkenntnis dienen. Denn indem wir von
diesem Begriff ausgingen, kamen wir schrittweise von der Betrachtung der einfacheren und
immer komplizierteren methodischen Fonnen schließlich auch zu den höchsten und wichtigs-
18 LOGIK

Im innigsten Zusammenhang mit der so fest umrandeten Wissen-


schaft steht aber eine andere, die, obschon öfter mit demselben Namen
Logik bezeichnet, keineswegs mit ihr zusammenfällt, aber doch im-
mer wieder mit ihr zusammengeworfen worden ist. Zu einem klaren
Begriff von ihren Objekten, von ihren Grenzen, von ihrem Verhältnis
zur Logik im Sinne einer Wissenschafts- oder Methodenlehre sowie
zu einem ernstlichen Versuch ihres systematischen Aufbaus hat es
überhaupt nur ein älterer und heutzutage so gut wie verschollener
Denker gebracht. Viele andere Logiker, zumal diejenigen, welche
"reine" Logik von der Methodenlehre als angewandter Logik unter-
schieden, haben sie vor Augen gehabt und auf sie abgezielt. So Kant,
wie eine längere Ausführung in der Kritik der reinen Vernunft" und die
von Jäsche besorgte Ausgabe seiner Vorlesungen über Logik beweist;
ebenso Herbart u.a. Da ihnen aber eine klare Begrenzung dieser
Disziplin und eine richtige Bezeichnung ihrer Objekte misslingt, da
sie ihre geschlossene Einheit und Selbständigkeit mehr erschauen als
in begrifflicher Klarheit diskursiv machen können, so ist die wachsen-
de Vermischung mit der Wissenschaftslehre, die wir in den Schulen
finden, und die endliche Dahingabe der ganzen Unterscheidung bei
Außenstehenden nicht mehr zu verwundern. In der neuesten Zeit
ist, mindest wenn wir auf die bedeutendsten Logiker Deutschlands
hinblicken, der Begriff dieser Disziplin so gut wie verloren gegangen.
Und so ist die gegenwärtige Sachlage, obschon es sich da nicht etwa
um eine an und für sich und in Bezug auf die Wissenschaftslehre
bedeutungslose Disziplin handelte!
An und für sich wertlos ist keine Wissenschaft. Aber auch abge-
sehen davon: Hier handelt es sich um eine Wissenschaft, die für die

ten Verwebungen derselben, die wir Wissenschaften nennen. Immer ist ja zu beachten, dass
die Zusammenordnung von Erkenntnissen in Erkenntnisgebieten und die Konstituierung von
Wissenschaften nichts Willkürliches ist, sondern den Zweck der Bereicherung und Erweiterung
der Erkenntnis erfüllt.
Unterschiede: I) Empirische Vergleichung der Wissenschaften in Betreff ihrer Methoden
und empirischen Gemeinsamkeiten, evtI. auch genetische Entwicklung von Methoden, Ent-
wicklung der Wissenschaften (Abgrenzung, Fortschritt). 2) Alle Methoden sind im Zweck der
Erkenntnis auf der einen und der Besonderheit der menschlichen Natur und Lage auf der
anderen Seite begründet, und zwar so, dass sie entweder alle Wissenschaften umfassen oder
einzelnen eigentümlich sind. Man muss bei jeder Methode apriori einsehen, dass die Methode
M zur Wahrheit fUhren muss und somit zur Erkenntnis. Es gibt aber Methoden, die nicht
bloß überhaupt allen Wissenschaften gemeinsam sind, sondern sich auch ohne Rekurs auf ihre
Gegenstände apriori rechtfertigen lassen.
" Vgl. Transzendentale Logik, Einleitung, I.
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 19

Philosophie eine geradezu einzigartige Bedeutung beanspruchen darf,


und zugleich um eine solche, welche in Bezug auf die Wissenschafts-
lehre schlechthin fundamental ist. Ich wage es zu behaupten, dass ein
strenger und fruchtbarer Aufbau einer Wissenschaftslehre und jeder
wesentliche Fortschritt derselben sowie der den Haupttypen beson-
derer Wissenschaften zugehörigen besonderen Wissenschaftslehren
so lange ausgeschlossen ist, als es an einer reinlichen Abgrenzung
und exakten Durchführung dieser Disziplin, dieser "reinen Logik"
fehlt. Es handelt sich nun darum, Wesen und Grenzen dieser Disziplin
klarzumachen.\
Also nicht menschliche Seelenphänomene und Dispositionen sind
die Gegenstände, auf die das uns als Beispiel dienende logische Gesetz
geht, sondern Sätze, die als Glieder gewisser allgemeiner Satzklas-
sen charakterisiert sind, Nun könnte man aber meinen, Sätze seien
doch selbst psychische Phänomene. Indessen muss man hier wohl
unterscheiden das Vorstellen oder Meinen eines Satzes und den Satz
selbst. Wenn ich 2 x 2 = 4 denke, so ist dieses Denken ein Phänomen
meines Bewusstseins. Aber dieses Phänomen, dieser Denkakt ist da-
hin, sowie ich mich einem anderen Gegenstande zuwende. Denke ich
dann wieder einmal daran, dass 2 mal 2 4 ist, so ist der Denkakt
ein neuer; das psychische Phänomen ist nicht dasselbe, aber das,
was ich gedacht habe, ist dasselbe. Und so kann unzähligen Akten,
gleichgültig ob meinen Akten oder denen eines anderen, objektiv
dasselbe zugrunde liegen, und dieses Identische, das selbst nicht ein
individuelles Phänomen ist, das ist hier der Satz 2 x 2 =4. Wenn unser
logisches Gesetz aber auch nicht psychische Phänomene betrifft, wenn
es auch nicht die Form eines Dispositionsgesetzes hat, so will ich damit
keineswegs sagen, dass es zu Phänomenen oder Psychischem ohne
jede Beziehung ist. Im Gegenteil, wir können nun sofort anknüpfen:

\ Gestrichen In den Betrachtungen, die zur Charakterisierung der Wissenschaftslehre dienten,


sprach ich fast ausschließlich von Begründungen, während ich doch in den Definitionen den
Ausdruck "methodische Verfahrungsweise" bevorzugte. Danach möchte es scheinen, als ob
beide Begriffe zusammenfielen. Obzwar dies nun nicht der Fall ist, so konnte ich mich darum
auf Begründungen beschränken, weil alle methodischen Verfahrungsweisen entweder Begrün-
dungen sind oder zum Nutzen von Begründungen da sind. Sie stellen dann mehr oder minder
komplizierte Hilfsverrichtungen dar, die zur Vorbereitung, zur Erleichterung, Sicherung oder
Ermöglichung von kUnftigen Begründungen dienen.
So ist es z.B. ein wichtiges Vorerfordernis für die Sicherheit von Begründungen überhaupt,
dass die Gedanken in richtiger Weise zum Ausdruck kommen mittels angemessener Zeichen.
Die Sprache bietet dem Denker ein fertiges Zeichensystem zum Ausdruck der Gedanken.
20 LOGIK

Weil dieses Gesetz besteht, so darf auch behauptet werden, dass der
normal Veranlagte, wann immer ihm zwei Prämissen jener Formen ge-
geben sind, auch die Evidenz eines zugehörigen Schlusssatzes erleben
wird, vorausgesetzt, dass er nur in normaler Denkverfassung ist, Z.B.
nicht schläft. Natürlich dürfen wir dies behaupten, denn das gehört
ja gerade zum Begriff der normalen Disposition, dass sie zur Evidenz
all der besonderen Begründungen befähigt, die in einem allgemeinen
und von uns als wahr erkannten Gesetz als Besonderungen enthalten
sind. 1 Wie wir den nicht mehr für normal anerkennen würden, der
unfähig wäre, die Evidenz des allgemeinen Gesetzes zu erleben "Alle
A sind B", so würden wir auch den natürlich nicht für normal hal-
ten, der im besonderen Anwendungsfall diese Evidenz nicht erleben
könnte.
Wir fassen nun unseren Begriff von normaler Disposition darum
so, weil wir in der Erfahrung wirklich bestätigt finden, dass die meisten
Menschen, zumal alle, die in der Erkenntnis etwas Ordentliches und
Rechtes zustande bringen, so disponiert zu sein pflegen. (Aber wären
sie es auch nicht, so würde dies noch nicht wesentlich schaden, wenn
ihnen nur der Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere in jedem
Fall einleuchtete. Hätten sie die Evidenz des allgemeinen Gesetzes,
so könnten sie dieses ja auf jeden der unendlich vielen Fälle, die
es befasst, übertragen. Rechnen wir also zum Begriff des normalen
Intellekts nur dies, dass er einerseits alle oder die hauptsächlichs-
ten allgemeinen Gesetze über die Bedingtheitsverhältnisse allgemein
charakterisierter Sätze mit Evidenz zu fassen vermöchte, und dazu
nur noch, dass er in jedem gegebenen Fall des Schlusses fähig ist:
" Was allgemein gilt, das gilt auch in diesem Fall", dann wäre alles
erfüllt, was für ein intellektuelles Geschöpf wesentlich ist.)
Was uns im Beispiel klar wurde, gilt allgemein. Alle Gesetze, welche
die Logik über Begründungsformen aufstellt, d.i. alle im prägnanten
Sinne des Wortes logischen Gesetze, haben nicht den Sinn von Gesetz-
mäßigkeiten über psychische Phänomene und Dispositionen, sondern
von Gesetzmäßigkeiten, die objektive Zusammenhänge zwischen Sät-
zen betreffen.
Das Verhältnis zwischen Subjektivem und Objektivem ist hier
immer dies: Wenn wir irgendwelche Sätze deduktiv oder induktiv
begründen, dann läuft in uns ein gewisser Gedankengang ab, der als

1 Vgl. die Kritik von Hamiltons Logik in den Vorlesungen Ober deduktive Logik.
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 21

Ganzes wie seinen Teilen nach selbstredend subjektiv ist, es ist eine
Verkettung unserer psychischen Phänomene. Aber das, was wir hier-
bei denken, das, worauf sich der Gedankenverlauf nach seinen Teilen
und als Ganzes bezieht, das ist darum keineswegs etwas Subjektives.
Wer aus den Hebelgesetzen und dem Gesetz der Schwere die Wir-
kungsweise einer Maschine ableitet, hat zwar eine gewisse Gedanken-
folge, aber das, worauf sich die Gedanken beziehen, das sind eben die
Hebel, die Schwere und ihre Gesetze, desgleichen die Wirkungsweise
der Maschine und das objektive Bedingtsein der Letzteren durch die
Ersteren. Es entspricht also der subjektiven Begründung ein objekti-
ver Bedingtheitszusammenhang zwischen Sätzen. Ist die Begründung
richtig, dann ist dieser Zusammenhang objektive Wahrheit. Gelten
die Hebelgesetze wirklich, dann ist die Wirkungsweise der Maschine
eine objektive Folge derselben. Und das ist eine objektive Sachlage,
betone ich, denn sie betrifft nicht mehr unsere Gedanken, und sie
bleibt wahr, gleichgültig ob wir oder irgendjemand sie denkt oder
nicht. Dieses objektive Verhältnis der Bedingtheit ist nun das, was
man in der Regel im Auge hat, wo man von einem Schluss spricht
und nicht von einem subjektiven Schließen, Begründen. Der Schluss
ist es nun, der jeweilig eine Form und mittels dieser Beziehung hat
auf ein allgemeines Schlussgesetz. Vom jeweiligen Schluss gilt also
direkt das, was ich letzthin von den Begründungen ausführte, und von
den Begründungen gilt alles nur indirekt. Vom Schluss gilt es, dass er
nichts Isoliertes ist, dass er immer Besonderheit ist eines allgemeinen
Schlussgesetzes, dass die Schlussgesetze Beziehung haben teils auf
alle Erkenntnisgebiete und teils auf besondere. Aber selbstredend
sind diese Schlussgesetze immer streng auseinander zu halten von
den Begründungen.
Haben wir nun mit Evidenz ein Schlussgesetz erfasst, dann haben
wir die Einsicht, dass alle erdenklichen Schlüsse, die die Form dessel-
ben haben und deren Prämissen wahr sind, auch wahr sein müssen.
Und damit gewinnen wir eine unbedingt gültige Norm, um die Trif-
tigkeit aller Begründungen, deren objektiver Gehalt die gesetzliche
Schlussform hat, abzumessen. Wir wissen apriori, dass, wenn jemand
nach dieser Form begründet, er richtig begründet. Zieht ein anderer
aber aus Prämissen gleicher Form einen widerstreitenden Schlusssatz,
so wissen wir, dass dieser falsch begründet, denn es gilt zugleich das
objektive Gesetz, dass Widerstreitendes nicht zusammen wahr sein
kann.
22 LOGIK

Dass nun eine Theorie der Schlüsse das letzte Fundament abgeben
muss für eine jede Logik, ist ohne weiteres klar. Sollen wir Wissen-
schaft verstehen, so müssen wir das Begründen verstehen, und da
heißt es sich klarmachen, dass den Begründungen objektive Schlüs-
se entsprechen, dass diese Schlüsse Gesetzmäßigkeiten unterworfen
sind, welche voll erkannt die Gesamtheit aller möglichen richtigen
Begründungsweisen in sich fassen. Und noch von einer anderen Seite
leuchtet die immanente Bedeutung einer objektiven Schlusslehre ein.
Mit Aristoteles beginnt die wissenschaftliche Logik. Aristoteles hat sie
zuerst als ein wissenschaftliches Gebiet abgegrenzt und nicht bloß ein-
zelne Gedanken, sondern umfassende systematische Theorien für sie
ausgebildet. Aber kaum beginnt das zarte Pflänzchen zu wachsen, da
gerät die griechische Kultur und Philosophie in Entartung. Was von ihr
in wissenschaftlicher Beziehung übrig bleibt, erstarrt in den Formen
der Scholastik. Und so geht es auch der Logik. Als unantastbares Ver-
mächtnis des Aristoteles wird sie aufgenommen und als eine fertige
Disziplin betrachtet. Zu Zwecken der Schule erfährt sie eine dogma-
tisch starre Systematisierung, die ihr den für die Folgezeiten so gefähr-
lichen Anschein von Fertigkeit und Abgeschlossenheit gab, insbeson-
dere in Ansehung ihres Hauptstückes, der Lehre von den Schlüssen.
Das Erwachen des neuen Geistes bezeichnet auf allen Gebieten, und
so auch in dem unseren, der Kampf gegen die Scholastik. Aber wie
sehr man in Worten gegen sie eiferte, ihren Geist konnte man nicht
so leicht abschütteln, und wie sehr man sich in unserem Jahrhundert
von der Scholastik entfernt haben mag, so sind doch noch mancherlei
Reste des scholastischen Geistes mächtig, in Gutem und Schlimmem.
Die bei den meisten Logikern merkliche und fast ausschließliche
Bevorzugung der Klassen von Schlüssen, die man Syllogismen nennt,
beruht auf der aristotelisch-scholastischen Tradition und desgleichen
die ganze Form der Behandlung, die den artigen Schein erweckt, als
habe man es mit einem systematisch fertigen und nicht mehr erweite-
rungsfähigen Ganzen zu tun. Als zweites Moment ist zu erwähnen das
sich in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts fortdauernd steigernde
Interesse für psychologische Probleme, das zu einem großen Auf-
schwung der Psychologie geführt und zugleich auf die Behandlung
der übrigen philosophischen Disziplinen einen immer mächtigeren
Einfluss geübt hat. Mehr und mehr gewöhnte man sich daran, überall,
wo Psychisches im Spiel ist, darauf besonders zu achten und seine
genetischen Zusammenhänge zu erforschen. So drängt das psycho-
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 23
logische Interesse, die psychologische Fragestellung und Forschung,
alles andere immer (weiter) zurück. Schließlich erscheinen Ästhetik,
Ethik, und so auch die Logik wie bloße Dependancen der Psychologie,
sei es als bloße Stücke, sei es als besondere Anwendungen dieser
Wissenschaft. Blicken wir in die bedeutendsten psychologischen Wer-
ke unserer Zeit, so finden wir in ihnen gar tiefsinnige Erörterun-
gen über die Psychologie der Erkenntnis, über die Psychologie der
Vorstellung, der Begriffsbildung, des Urteils, der Begründung, über
die psychischen Prozesse, die bei den oder jenen Methoden in Frage
sind usw., und zwischen all dem schieben sich die eigentlich logischen
Erörterungen ein, auf die man, (als) im Gebiet des rein Logischen,
wie es nicht anders sein kann, nur durch einen salto mortale kommt.
Durch psychologisch-genetische Theorien glaubt man ein Verständnis
der logischen Gesetze und Normen, in weiterer Folge die ganze wis-
senschaftliche Methodik (be)gründen zu können. Aber das misslingt
und muss misslingen. Nicht als ob psychische Phänomene hier nicht im
Spiel wären. Gewiss ist logisches Denken auch Denken, gewiss sind
dabei Akte des Vorstellens, des Urteilens, des Begründens Bestand-
stüclce. Und gewiss ist auch die Methodik der Erkenntnis ohne Rück-
sicht auf die psychologischen Eigentümlichkeiten und Gesetze nicht
zustande zu bringen. Aber jedes an seiner Stelle. Das erste und Haupt-
fundament aller Logik ist die objektive, d.h. nicht-psychologische
Theorie der Bedingtheitsverhältnisse zwischen Sätzen. Und mögen
auch Vorstellungen von Sätzen oder Fürwahrhaltungen von Sätzen
psychische Phänomene sein, so sind Sätze als solche dies eben nicht
und ebenso wenig die darin auftretenden Begriffe und Gegenstände.
Erst bei der Verwendung der objektiven Schlussgesetze zur Rege-
lung der Erkenntnis betreten wir die Domäne der Psychologie und
desgleichen bei der Frage nach den Faktoren, welche auf Sicherheit
und Leichtigkeit der Begründungen Einfluss haben oder welche die
Entdeckung passender Beweise oder neuer Sätze begünstigen u.dgl.
Die Schlüsse selbst darf man aber nicht, wie es so gut wie allge-
mein geschieht, mit den subjektiven Phänomenen des Begründens
verwechseln oder als Gesetze für subjektive Begründungen ansehen
und somit als ein Psychologisches taxieren, das nach seiner psycholo-
gischen Gesetzmäßigkeit betrachtet und durch diese erhellt werden
könnte.
Den größten Anteil an dieser für die Psychologie der Erkennt-
nisprozesse so fruchtbaren, für die Logik selbst aber gefährlichen
24 LOGIK

Wendung hatte wohl der Einfluss des großen englischen Logikers 1.


St. Mill, dessen System der deduktiven und induktiven Logik zuerst
1840 erschien und seitdem immer wieder aufgelegt worden ist. Am
schärfsten drückt er seine Meinung mit folgenden Worten aus: "Die
Logik ist nicht eine von der Psychologie verschiedene und mit ihr
koordinierte Wissenschaft. Sofern sie überhaupt Wissenschaft ist, ist
sie ein Teil oder Zweig der Psychologie, sich von ihr einerseits unter-
scheidend wie der Teil vom Ganzen und andererseits wie die Kunst
von der Wissenschaft. Ihre theoretischen Grundlagen verdankt sie
also gänzlich der Psychologie, und sie schließt genauso viel von dieser
Wissenschaft ein, als erforderlich ist, um die Normen (Regeln), die
sie aufstellt, zu begründen" (Hamilton, (S.) 461):
Da möchte ich dann wirklich wissen, wie man die Triftigkeit irgend-
eines Schlussgesetzes psychologisch begründen sollte, und möchte
doch nur ein einziges Beispiel sehen, wo dies geschehen oder auch
nur versucht worden ist. Deutschland wehrte sich lange gegen solche
Auffassungsweisen, standen ihnen doch so große Autoritäten wie
Kant und Herbart feindlich entgegen, die beide gerade gegen die
Vermischung von Psychologischem und Logischem so entschiedenen
Protest erhoben. Aber Mills Einfluss siegte, und so bewegt sich denn
die deutsche Logik seit 1870 mit ihren reichhaltigen und bedeutenden
Werken vorwiegend auf dem Boden der Psychologie. Und dies gilt
auch von den Werken solcher Forscher, die, im dunklen Gefühl einer
berechtigten Selbständigkeit mindest der fundamentalen Partien der
Logik, irgendeine Scheidung zwischen Psychologie und Logik kon-
struieren wollen. Die Konsequenteren sprechen ihren Standpunkt
aber in ungemilderter Scharfheit aus. So heißt es in dem von dem
scharfsinnigen Münchner Psychologen Lipps verfassten Grundriß der
Logik (1893) im §3: "Die Logik ist eine psychologische Disziplin
so gewiss, als das Erkennen nur in der Psyche vorkommt und das
Denken, das sich in ihm vollendet, ein psychisches Geschehen ist. Dass
in der Psychologie im Unterschied von der Logik der Gegensatz von
Erkenntnis und Irrtum nicht in Betracht komme, kann nicht heißen,
dass die Psychologie diese beiden voneinander unterschiedenen psy-
chischen Tätigkeiten als gleich ausgäbe, sondern nur, dass sie beide in
gleicher Weise verständlich machte ... Eben dass die Logik eine Son-

• Vgl. John Stuart Mill, An Examination o{ Sir William Hamilton's Philosophy and o{ the
Principal Philosophical Questions Discussed in his Writings, 5th ed., London 1878, S. 461f.
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 25
derdisziplin von der Psychologie ist, unterscheidet beide genügend
deutlich voneinander. ".
Lipps' Argumentation, die das ausspricht, was im Grunde alle
Psychologisten bestimmt, hat ja sicherlich einen verführerischen An-
schein. Aber er kann nicht mehr täuschen, wenn man sich einmal das
Verhältnis zwischen Erkennen und seinen Gegenständen klargemacht
und dann darauf geachtet hat, dass all die so genannten logischen
Gesetze an sich weder Erkenntnisse sind noch vom Erkennen oder
sonstigen psychischen Tätigkeiten handeln, nicht über diese Gültiges
aussagen und aussagen wollen. Logische Gesetze können Gegenstand
von Erkenntnisakten sein, aber sie sind nicht Erkenntnisakte. Und
wohin würde uns eine andere Auffassung auch führen! Bestände
etwa der Satz des Widerspruchs, wonach von zwei entgegengesetz-
ten Sachverhalten nur der eine wahr sein kann, wonach entweder
das Ja oder Nein gilt und nicht ein Drittes, nur in dem Moment,
wo ihn irgendjemand dächte? Er hinge also von der Existenz von
Menschen ab? Dann wäre doch alle objektive Wahrheit aufgehoben.
Oder sollte man die Wahrheit selbst als etwas Subjektives ansehen
wollen? Nun, dann würde sich die Existenz aller Dinge reduzieren auf
die Existenz des psychischen Wesens, das diese Dinge als existierend
denkt; und wenn die psychischen Wesen alle schliefen oder die Dinge
nicht dächten, nun, dann beständen sie auch nicht. Und wie stände es
dann mit der Existenz des Menschen, wenn er schliefe? Sie sehen, in
welche lächerlichen Verwicklungen wir uns verlören, wollten wir alles
Objektive, wie es in der Tendenz der psychologistischen Logik liegt,
subjektivistisch verfälschen. Und begreiflich wird es uns auch, warum
überall die Kapitel, in denen die Logiker von Existenz, Wahrheit,
Notwendigkeit und Möglichkeit handeln, so peinlich wirken, mindest
auf jeden, der Licht und Klarheit liebt.
Der Schluss der zitierten Stelle aus Lipps' Logik wendet sich ganz
berechtigt gegen eine von alters her sehr beliebte Art der Scheidung
von Psychologie und Logik, der auch ich mein non liquet entgegen-
halte. Die Psychologie, sagt man (und so sagt z.B. auch Kant), hat es
mit dem Denken überhaupt zu tun, dem irrenden ebensowohl als dem
erkennenden. Sie hat die Naturgesetze des Denkens, wie die Naturge-
setze der psychischen Phänomene überhaupt, aufzustellen. Die Logik
hingegen hat es mit den Normalgesetzenzu tun, den Gesetzen, welche

• Theodor Lipps, GrundzUge der Logik, Hamburg und Leipzig 1893. S. If.
26 LOGIK

die Kriterien angeben, wonach man ein Urteilen als Erkenntnis oder
Irrtum abschätzen kann. Macht man den von uns betonten Unter-
schied zwischen Subjektivem und Objektivem, zwischen Erkenntnis
und Wahrheit, zwischen Satz und Urteil, zwischen Schluss und Be-
gründung nicht, dann zieht die Unterscheidung zwischen Psychologie
und Logik auch nicht. Denn richtiges Denken ist ja auch Denken,
Normalgesetz ist dann auch ein Denken, und alles Denken gehört in
die Psychologie. Der Logiker wäre also der Psychologe, der gewisse
Partien der Psychologie studiert, die es ausschließlich auf gewisse
Charakterzüge in den Urteilen abgesehen haben, auf Evidenz u.dgl.
Fragen wir andererseits, wie man sich von alters herbei einer
solchen Scheidungsweise zwischen Psychologie und Logik beruhigen
konnte, so ist der Grund nicht weit zu suchen. Was man Normalgesetze
des Denkens nannte, das waren ja gerade die objektiven Gesetze wie
der Satz des Widerspruchs oder all die Schlussmodi der Syllogismen.
Dass all diese Gesetze nichts Psychologisches sind, sah man, dass sie
der Normierung dienen, ebenfalls; das war ja ihre besondere Funktion
in der Logik. Aber man übersah andererseits, dass ein Unterschied
ist zwischen dem Gehalt eines Gesetzes und seiner Funktion, d.h.
seiner praktischen Verwendung. Man übersah, dass die so genannten
logischen Grundgesetze in sich selbst nicht Normen sind, sondern
eben nur als Normen dienen, und dass somit das Wesen dieser Geset-
ze nicht in der Normierung liegt von Erkenntnissen. Mit Rücksicht
auf die Normierung hatte man sich gewöhnt, von Denkgesetzen, von
Gesetzen des nchtigen Denkens zu sprechen, und so schien es, als ob
auch diese Gesetze auf Psychisches Bezug haben und der Unterschied,
der sie vor psychologischen Gesetzen auszeichne, nur darin bestehe,
dass sie normieren, während die psychologischen dies nicht tun.
Wir sind inmitten einleitender Betrachtungen stehen geblieben,
die den Zweck haben, den Begriff der Disziplin, die uns in diesem Se-
mester beschäftigen soll, zu bestimmen und aufgrund desselben eine
klare Vorstellung von den hauptsächlichsten Klassen von Aufgaben,
die ihr obliegen, und der Ordnung, in der sie gelöst werden müssen,
zu gewinnen.
Eine einfache Überlegung führte uns auf den Begriff der Logik
als Wissenschaftslehre, einer Disziplin, welche die Methoden, die der
Erweiterung und Bereicherung der Erkenntnisse dienen, die also Wis-
senschaften konstituieren, zum Gegenstand der Untersuchung macht
und dabei zugleich den praktischen Zweck verfolgt, aufgrund der
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 27

erkannten Formen und Gesetzmäßigkeiten dieser Methoden Regeln


zu gewinnen, wonach man richtige und falsche Methoden unterschei-
den, gegebene Methoden verbessern, neue erfinden und überhaupt in
jeder Weise den Fortschritt der Erkenntnis fördern kann~
Die Erörterung des Begriffs der Logik führte uns dann zur Unter-
scheidung von Begründungen und Hilfsverrichtungen von Begrün-
dungen, d.i. methodischen Prozessen, welche der Erleichterung, Er-
möglichung, SiCherung von Begründungen dienen. Und nachdem wir
weiter erkannt hatten, dass allem Begründen ein Objektives zugrunde
liegt, nämlich objektive Sachverhalte und Bedingtheitsbeziehungen
zwischen denselben, also das, was man im besten Sinne des Wortes
als Schlüsse bezeichnen kann, so erschien uns als die fundamentale
Doktrin für den Aufbau der Logik eine reine Theorie dieser objek-
tiven Gesetzmäßigkeiten, eine Theorie, die, wie wir sahen, durchaus
den Charakter einer selbständigen, von den Abzweckungen der Me-
thodenlehre zunächst unabhängigen Wissenschaft hat. Ohne einen
genügenden, von rein theoretischen Interessen getragenen und daher
möglichst systematischen und vollständigen Ausbau dieser fundamen-
talen Disziplin kann die Wissenschaftslehre ihr Ziel nicht angemessen
erreichen. Und in der Tat bezeichnete ich es als ein hauptsächliches
Hemmnis für den Fortschritt der Logik, dass den meisten ihrer Ver-
treter der Begriff dieser Disziplin und somit auch die Erkenntnis der
Notwendigkeit eines selbständigen Aufbaus derselben abgeht, dass
sie, dem vorherrschenden Zug unserer Zeit folgend, sich mit einsei-
tiger Ausschließlichkeit in die Psychologie der Erkenntnis vertieften
und in beständiger Verwechslung von Subjektivem und Objektivem
dem in prägnantestem Sinne Logischen nicht gerecht werden konnten.
Sicherlich hängt damit zusammen die bei den Forschern der exakten
Wissenschaften so gewöhnliche Klage über die Unfruchtbarkeit der
Logik. Die exakten Forscher würden von der Logik gern Nutzen
ziehen. Denn auch die exaktesten Wissenschaften sind nicht vollkom-
men durchsichtige, ihrer methodologischen Konstitution nach allseitig
geklärte Systeme. Oft genug befindet sich der einzelne Forscher im
Zweifel, ob eine Methode zulässig sei oder nicht oder welches die
rationalen Gründe sind für die Triftigkeit mancher historisch gewor-
dener und nur durch vielfältige Erfolge gesicherter Methoden. Von
solchen Zweifeln bedrängt, wendet er sich an die Logik. Aber sooft
er es tut, lässt sie ihn immer wieder im Stich. Sie gibt ihm keine
Handhaben, die bestimmten Fragen, die er an sie stellt, zu beant-
LOGIK

worten, und wovon sie in breiter Ausführlichkeit handelt, nämlich


Psychologie der Erkenntnis, das interessiert ihn nicht, das steht, wie er
wohl fühlt, zu dem, was er braucht, in keiner Beziehung. Daran knüpft
sich als Folge, dass die exakten Forscher die zeitgenössische Logik
einfach zu ignorieren und schließlich, wenn ihre logischen Bedürfnisse
unwiderstehlich werden, eben Logik auf eigene Faust zu betreiben
pflegen. Das hat aber seine großen Nachteile. Ich meine allerdings,
dass eine logische Untersuchung, die an konkrete wissenschaftliche
Bedürfnisse anknüpft, niemals ganz wertlos sein wird, wenn sie nur
von einem selbständig denkenden wissenschaftlichen Kopf herrührt.
Aber da logische Untersuchungen doch eine ganz andere Vorbildung
verlangen als etwa die physiologischen oder mathematischen, so ist es
nicht zu verwundern, dass sich derartige Abhandlungen in der Regel
als sonderbares Gemenge darstellen von bedeutsamen, trivialen und
selbst handgreiflich falschen Gedanken. Der fachmännische Logiker
aber, von dem Dilettantischen in solchen Versuchen abgestoßen, über-
sieht dann meist das sachlich Begründete und Wertvolle, und so entge-
hen ihm die fruchtbaren Anregungen aus den Einzelwissenschaften.
Es fehlt so überhaupt an einem hinreichend innigen Zusammenhang
zwischen Logik und Einzelwissenschaft.
Wir verfügen in unserer Zeit über eine Reihe wahrhaft bedeuten-
der Werke über Logik. Sie geben uns die glänzendsten Proben des
Geistes und der Gelehrsamkeit ihrer Verfasser. Sie sind auch reich an
tiefsinnigen Theorien,·an mannigfachen fruchtbaren Beobachtungen,
sogar an glücklichen Winken. Lächerlich wäre die Behauptung, dass
die bisherige Arbeit der Logiker, und im Besonderen der Logiker der
letzten Generation, eine verlorene sei.
Aber bei all dem kann ich mich dem Eindruck nicht entziehen,
dass die Logik doch noch in den Kinderschuhen stecke. Nehmen
wir uns eine Anzahl von Werken zur Hand, die irgendeine exakte
Wissenschaft, und zwar ein und dasselbe Gebiet derselben behan-
deln, so finden wir zwar mancherlei Unterschiede in der Anordnung
und Bearbeitung des Stoffes, aber der Stoff selbst, die Tatsachen,
die Gesetze, die Theorien und Methoden sind allen gemeinsam. Und
da der Stoff eben gegeben und ein für allemal bearbeitet, gestaltet,
objektiv erledigt ist, herrscht in den besseren Darstellungen eine Ein-
fachheit und Klarheit, die dem Verständnis des mit entsprechenden
Vorkenntnissen Ausgestatteten keine besonderen Schwierigkeiten in
den Weg legt.
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 29
Wie ganz anders in der Logik! Wie geringfügig die Sphäre der Über-
einstimmung, die den identischen Stoff der Wissenschaft ausmachen
würde! In allem Übrigen herrscht Streit und damit in Zusammen-
hang die allgemeine Klage über die Armut an nutzbaren Sätzen und
über die Unklarheit der Darstellung, über die Schwierigkeiten des
Verständnisses.
Am schlimmsten steht es in dieser Hinsicht mit den Partien, welche
die Fundamente behandeln und die unter dem Titel Elementarlehre
oder Lehre von Begriff, Urteil und Schluss die erste Hälfte des je-
weiligen Systems auszumachen pflegen. Man findet zwar hier gerade
umfassende und mitunter höchst scharfsinnige psychologische Un-
tersuchungen zur Erkenntnislehre, aber die Vermischung oder das
Schwanken zwischen Subjektivem und Objektivem bringt die Lehre
von dem, was wahrhaft das Fundamentale ist, nämlich von den ob-
jektiven Elementen in unserem Denken und von ihren objektiven
Beziehungen, insbesondere die Lehre von den Schlüssen, in uner-
trägliche Verwirrung. Sowie man hier scheidet, was zu scheiden ist,
Psychologisches und Außerpsychologisches, Subjektives und Objek-
tives, Methodenlehre und die Lehre von den Schlüssen, ihren Formen
und gesetzmäßigen Zusammenhängen, dann verbreitet sich über die
Logik das hellste Licht und es eröffnet sich die Aussicht auf ein festes,
über den Streit der Meinungen erhabenes Lehrgebiet.
Wenn ich auf diese Scheidungen nun so großes Gewicht lege, wenn
ich auf eine Abgrenzung und Durchführung einer objektiven Schluss-
lehre und, was dazu gehört, einer Lehre von dem objektiven Gehalt
unserer Vorstellungen, Begriffe, Sätze usw. dringe und ihr den Rang
einer selbständigen wissenschaftlichen Disziplin eingeräumt wissen
will, so könnte Ihnen der Gedanke kommen, dass es sich hier wohl um
eine recht beschränkte Gruppe ziemlich trivialer und noch dazu sehr
langweiliger Sätze handle der Art, wie sie uns als Beispiele gedient
haben, wie "Alle A sind B. ... B C. Also AC", und die in ihrer
Verknüpfung gerade das trockenste und ledernste Bestandstück der
traditionellen Logik ausmachen. Indessen, so liegt die Sache nicht.
Einerseits ist zu beachten, dass, was die traditionelle Logik als Lehre
von den Schlüssen in so unzureichender Weise behandelt, nur ein
geringfügiges Stück einer umfassenden und, (in) ihrer Allgemeinheit
erfasst, höchst interessanten Theorie darstellt. Wie wenig sie auf Tri-
vialitäten hinausläuft, das mag schon daraus hervorgehen, dass in ihr
Gebiet auch die ganze große Wissenschaft der Wahrscheinlichkeiten
30 LOGIK

hineingehört, eine der bewunderungswürdigsten Errungenschaften


des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, eine Wissenschaft,
deren Gesetze in den exakten Wissenschaften sozusagen zum tägli-
chen Brot gehören und welche zugleich das Fundament liefert für die
Theorie der Induktion.
Ich nannte eine systematisch durchgeführte Lehre von den Schlüs-
sen eine höchst interessante Theorie. Und wirklich ist es, um nur eins
anzudeuten, keine bedeutungslose Sache, dass die unzähligen for-
malen Gesetze der Schlüsse, statt zusammenhanglos nebeneinander
herzulaufen, selbst durch Gesetzmäßigkeiten miteinander verbunden
sind derart, dass die Schlüsse sich in Klassen sondern und dass nun
innerhalb jeder Klasse alle erdenklichen Gesetze sich mit rein de-
duktiver Notwendigkeit aus einigen wenigen unmittelbar evidenten
und insofern allerdings trivialen Grundgesetzen herleiten lassen. Es
verhält sich hier ganz so wie etwa in der Arithmetik, deren Ausdeh-
nung so groß ist, dass sie heutzutage kaum noch ein Forscher ganz zu
beherrschen vermag, und wo doch alle Gesetzmäßigkeiten reine Kon-
sequenzen sind der Definitionen und einiger weniger ganz trivialer
Grundsätze, die man Axiome nennt. Eine Lehre von den Schlüssen
besteht also nicht in einer bloßen Aufzählung und Aneinanderrei-
hung gewisser Schlussprinzipien, sondern im Aufbau eines Systems,
in dem nach Feststellung der axiomatischen Grundlagen methodisch
die höheren und komplizierteren Gesetzmäßigkeiten deduktiv abge-
leitet werden. Was aber den Vorwurf der Trockenheit und Ledernheit
anbelangt, so trifft er diese Wissenschaft so viel oder so wenig als
irgendeine andere abstrakte Wissenschaft. Die sinnliche Fülle der
Anschauung, das frische pulsierende Leben des Individuellen, das
unserer unmittelbaren Teilnahme sicher ist, geben wir freilich auf,
wenn wir uns zum Abstrakten erheben. Aber ohne Abstraktion kein
Begriff, ohne Begriff kein Gesetz, ohne Gesetz keine Einsicht aus dem
Grund, keine Theorie, keine Wissenschaft, und ohne Wissenschaft
keine Philosophie. Die entsagungsvolle Abwendung von den grünen
Tälern und Gefilden des Lebens zur grauen, ledernen, nüchternen
Theorie ist eben das einzige Mittel, um unsere höchsten und reinsten
Erkenntnisinteressen zu befördern. Und handelt es sich nur um eine
echte und rechte Theorie, d.h. um eine Theorie, welche uns nach ir-
gendeiner Seite die Nerven des gesetzlichen Zusammenhangs in Welt
oder Wissenschaft enthüllt, dann wird die Freude lichtvoller Einsicht
auch nicht den Gedanken an die Mühen der Abstraktion aufkommen
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 31

lassen. Und wie viel mehr müsste dies gelten von denjenigen Theorien,
die so fundamental sind, dass sie uns die höchsten Gesetzmäßigkeiten
enthüllen, denen alle Gesetzmäßigkeiten als solche unterstehen und
die uns so das Wesen aller Gesetzmäßigkeiten auseinander zu legen
berufen sind. Freilich, wo man theoretisiert ohne klares Ziel und rech-
te Methode, wo man Abstraktionen häuft ohne sichtlichen Nutzen,
ohne unser Interesse an prinzipiellen Einsichten, an der Aufdeckung
allgemeiner und allgemeinster Gesetzmäßigkeiten zu befördern, da
stellt sich unweigerlich das peinliche Gefühl ein, dass wir zwecklos
gequält, durch leere Subtilitäten ermüdet und entsetzlich gelangweilt
werden.
All das findet auch in unserem Fall Anwendung, und so mögen Sie
derartige Zweifel beruhigt zurückstellen. Der systematische und reine
Aufbau der in Rede stehenden Theorien, so viel von ihnen gegenwär-
tig ausgebildet und ohne zu große Schwierigkeiten zu behandeln ist, zu
dem wir uns in einer der allernächsten Stunden wenden werden, soll
den Nachweis liefern, dass sie reelle Interessen.reell zu befriedigen
ermöglichen.
Die einleitenden Betrachtungen, die Ouvertüre sozusagen meiner
Vorlesungen, will ich damit beschließen, einige Streitfragen zu erle-
digen, die sich seit alten Zeiten an die Definition der Logik knüpfen
und die von dem Standpunkt, den wir einnehmen, mit einem Schlage
eine völlig klare Entscheidung gewinnen. In ihnen spiegelt sich der
unvollkommene Zustand der Wissenschaft und die Unklarheit über
ihre wesentlichen Ziele und Methoden.
Von alters her gehen die Meinungen auseinander, ob die Logik I)
eine unabhängige Wissenschaft ist oder eine abhängige. Diejenigen,
die die letztere Ansicht vertreten, sind wieder uneinig darüber, von
welcher anderen Disziplin die Logik abhänge, ob von der Psycholo-
gie oder Metaphysik oder gar von beiden. 2) Desgleichen herrscht,
und dies schon seit dem Mittelalter, Streit darüber, ob die Logik
eine Kunst sei (bzw. Kunstlehre) oder eine Wissenschaft im engeren
und prägnanteren Sinn. 3) Wieder streitet man, ob sie eine formale
Disziplin sei, ob sie mit den bloßen Formen der Erkenntnis zu tun
habe oder auch auf die Materie der Erkenntnis Rücksicht zu nehmen
habe. 4) Und endlich auch, ob sie den Charakter einer demonstrativen
oder empirischen Wissenschaft habe. Alle diese Streitfragen hängen
aufs Innigste zusammen derart, dass die Stellungnahme zu der einen,
bis zu einem gewissen Grad wenigstens, die Stellungnahme zu den
32 LOGIK

anderen mitbedingt. Und von allen gilt, dass die Uneinigkeit die
hauptsächliche, wo nicht die alleinige Quelle darin hat, dass man
die objektive Doktrin von den Begriffen, Sätzen, Schlüssen nicht als
solche und als eine independente Wissenschaft erkannt und sie mit
der Wissenschaftslehre zusammengeworfen hat.
Unterlässt man diese Konfusion, dann erledigt sich fürs Erste die
Streitfrage, ob die Logik eine unabhängige oder abhängige Wissen-
schaft sei. Versteht man unter Logik die Wissenschafts- oder Metho-
denlehre der Erkenntnis, dann ist natürlich von Unabhängigkeit keine
Rede. Einerseits setzt die Logik die objektive Wissenschaft voraus,
die wir kurz als Wissenschaft von den Schlüssen bezeichnet haben,
andererseits die Psychologie, da die methodischen Veranstaltungen,
die wir brauchen, um die Erkenntnis der Eigentümlichkeiten und
Gesetze des Objektiven nutzbar zu machen für den Fortschritt der
menschlichen Erkenntnis, selbstverständlich auf der Psychologie der
intellektuellen Betätigungen beruhen. Und da diese methodischen
Veranstaltungen in den Wissenschaften auftreten, ja die Wissenschaf-
ten selbst als umfassendste Veranstaltungen dieser Art anzusehen
sind, so setzt die Logik die Wissenschaften auch voraus. Aber doch
nicht so, dass sie von der Fertigstellung derselben abhängig (ist),
sondern nur so, dass sie in ihnen das Material sammelt für ihre allge-
meinen methodischen Erwägungen. Im Besonderen gilt dies auch von
der Wissenschaft der Metaphysik. Sicher brauchen wir nicht fertige
metaphysische Überzeugungen, um eine Logik aufbauen zu können.
Auch wenn kein einziger Satz der Metaphysik feststände: hätten wir
nur sonst Wissenschaften, so hätten wir auch Material für eine Logik.
Wie wird aber bei dieser Sachlage der Streit verständlich? Wie
konnten Logiker dazu kommen, ihrer Wissenschaft Unabhängigkeit
zu vindizieren? Die Antwort ist einfach. Sie lenkten ihren Blick aus-
schließlich auf Sätze, die in das Gebiet jener objektiven und indepen-
denten Schlusslehre gehören. Sie hatten also eine dunkle Vorstellung
von der Selbständigkeit dieser Disziplin, und mit Bezug auf sie ver-
traten sie die Unabhängigkeit der Logik. Es war ihnen klar, dass der
Satz des Widerspruchs z.B. oder die syllogistischen Gesetze unmöglich
als Dependancen der Psychologie oder irgendeiner anderen Wissen-
schaft angesehen werden können, dass vielmehr alle Wissenschaften
diese Wahrheiten voraussetzen. Indem sie aber Wesen und Grenzen
dieser Disziplin verkannten, mischten sie beim Aufbau der angeblich
unabhängigen Logik doch wieder allerorten Methodologisches ein.
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 33

Anstatt einer Logik im Sinne einer reinen Schlusstheorie bauten sie


dem eigentlich historischen Begriff entsprechend eine Methodenlehre
auf, und so hatten ihre Gegner darin doch Recht, dass ihr tatsächliches
Verfahren ihren Behauptungen nicht entspräche und dass die Abhän-
gigkeit des wirklich ausgeführten Gebietes von anderen Disziplinen
klar erweisbar sei. Aber auch auf der anderen Seite war ein Stück
Unrecht, wenn man auf ihr doch nicht bemerkte, dass die Gegner
etwas Richtiges im Auge hatten, nämlich dass ein Gebiet von Sätzen
existiere, welches den Anspruch auf Independenz erheben dürfe und
müsse. Und so konnte man, wie wir letzthin hörten, sogar dahin kom-
men, die Logik ganz in Psychologie aufgehen zu lassen. Ich erinnere
Sie an die Zitate aus Mill und Lipps, aus denen Sie ersehen haben,
wie weit die Verkennung des für alle Logik und Erkenntnistheorie
fundamentalen Unterschieds zwischen Objektivem und Subjektivem
in der Erkenntis führen kann. Das muss man sich doch beständig vor
Augen halten, dass die im prägnanten Sinne so genannten logischen
Gesetze an sich weder Erkenntnisse sind noch von Erkenntnissen
und sonstigem Psychischen handeln. Nur das Verhältnis besteht, dass,
wenn wir sie erkennen, sie die Gegenstände unserer Erkenntnis sind
und dass, wenn wir sie als Normen subjektiver Begründungen verwen-
den, sie von uns in subjektiven Akten zu anderen subjektiven Akten in
Beziehung gesetzt werden. Wollten wir diesen Unterschied zwischen
Gesetz und Erkenntnis des Gesetzes, zwischen Gesetz und gesetz-
mäßiger Begründung oder Normierung der Begründung nicht gelten
lassen Und so überhaupt Objektives und Subjektives durcheinander
mischen, dann wäre der extremste Subjektivismus und Skeptizismus
das Ende. Nehmen wir etwa den Satz des Widerspruchs: Von zwei
Sätzen, deren einer bejaht, was der andere verneint, ist einer wahr
und einer falsch. Mit anderen Worten: In Ansehung eines jeden Sach-
verhalts gilt entweder Ja oder Nein und kein Drittes. Ist das etwa ein
subjektives, ein psychisches Phänomen? Ist es etwa nur wahr, wenn
irgendein psychisches Wesen es denkt? Das müsste doch wohl so sein,
wenn wir Erkenntnis des Satzes und Satz selbst vermischen. Aber
dann wäre doch alle objektive Wahrheit aufgehoben, sie bestände
nur in psychischen Wesen. Aber wenn die psychischen Wesen etwa
schliefen oder plötzlich alle stürben, dann wäre die Wahrheit auch
dahin? Und wie stände es dann mit der Wahrheit "Dieser Mensch
schläft", wenn er schliefe? Bestände sie etwa nur darin, dass ein
anderer Mensch sie dächte? Aber wenn der auch schliefe und alle
34 LOGIK

psychischen Wesen schliefen oder gar alle sonst tot wären? Nicht
besser ist es, wenn wir auf Dispositionen zurückgehen. Bestände
die Wahrheit des Satzes, dass die Erde vor Auftreten organischer
Wesen ein feurig-flüssiger Ball war, eben vor dem Auftreten solcher
Wesen bloß darin, dass, wenn es damals psychische Wesen gegeben
hätte, sie disponiert gewesen wären, diese Wahrheit zu erkennen?
Und wie stände es dann mit dieser Wahrheit selbst? Wer sieht nicht,
dass wir da auf den absurdesten Relativismus, auf einen absurden
Regress in infinitum kommen! Das wären die klaren Konsequenzen,
wenn wir der subjektivistischen Tendenz der psychologistischen Logik
ernstlich nachgäben. Und begreiflich wird es nun auch, warum in
den modemen logischen Werken gerade die Kapitel über Existenz,
Wahrheit, Notwendigkeit und Möglichkeit so voll sind peinlichster
Verworrenheit. Dahinter steht eben das schlechte logische Gewissen.
Doch genug über die Abhängigkeit der Logik von der Psychologie,
die ja auch wir statuieren, aber eben nur nachseiten der eigentlichen
Methodenlehre, nicht nachseiten der Lehre von den Schlüssen und so
von dem Objektiven der Erkenntnis überhaupt.
Als eine zweite und dazu uralte Streitfrage erwähnte ich die, ob
denn die Logik eine praktische oder rein theoretische Disziplin sei,
eine Kunstlehre oder eine Wissenschaft im prägnanten Sinn. Zum
Begriff der Wissenschaft gehört es, ein Ganzes sachlich zusammen-
gehöriger Wahrheiten zu sein, oder noch deutlicher, ein Ganzes von
Wahrheiten, die sich auf ein und dasselbe Objektgebiet beziehen. In
einer Kunstlehre liegt die Einheit nicht allein in der Sache, sondern
in einem gewissen Zweck, der das für die Anordnung und Verknüp-
fung der Wahrheiten ausschließlich Maßgebende ist. Was die Logik
anbelangt, so kann sie nun offenbar in beiderlei Sinn betrachtet
und behandelt werden, obschon unverkennbar der praktische Ge-
sichtspunkt eine gewisse Überlegenheit hat. Man könnte einerseits
so vorgehen, dass man, die Wissenschaften miteinander vergleichend,
die Methoden, die in ihnen zur Wahrheit führen, in solche gruppiert,
die allen Wissenschaften gemeinsam sind, und solche, die einzelnen
Wissenschaften oder Gruppen von Wissenschaften eigentümlich sind;
dann erforschen, worauf die Gültigkeit dieser Methoden beruht und
wie sie historisch entstanden sind. Das wären sicher theoretische
Forschungen, in denen es sich offenbar um Anwendungen der Lehre
von den Schlussformen, ferner um Anwendungen der Psychologie
der Erkenntnis und zugleich um Stücke der allgemeinen Kulturge-
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 35

schichte handelte. Indessen, das Hauptinteresse, das uns zu derartigen


Forschungen treibt, ist doch das praktische Erkenntnisinteresse. Wir
wollen nicht bloß wissen, was für Methoden in den Wissenschaften
eben bestehen und was sie berechtigt, sondern auch neue Mittel zur
Bereicherung und Erweiterung der Erkenntnis finden, Mittel zur
exakten Abschätzung von Methoden überhaupt und Winke für die
Konstruktion, für die Verbesserung und Erweiterung von Methoden.
Eine Methodenlehre in praktischer Abzweckung wird jenes Theore-
tische natürlich auch in sich schließen und dazu noch mehr, nämlich
das, was die Nutzbarmachung desselben angeht.
Das alles ist nun wieder so klar, dass man nicht begreifen würde,
wie ernstlicher Streit darüber bestehen und sich nun gar durch Jahr-
hunderte hinziehen könne, wäre es nicht wieder jene unselige Ver-
mengung der Methodenlehre mit ihrem objektiven Hauptfundament,
jener rein theoretischen Disziplin von den allgemeinsten Gesetzen des
Objektiven in unserer Erkenntnis, in Sonderheit von den Schlüssen.
Dieses Gebiet ist selbstredend keine Kunstlehre, so wenig als es etwa
die Arithmetik ist. Der arithmetische Satz, dass das Produkt der Sum-
me und Differenz zweier Zahlen gleich ist der Differenz der Quadrate
dieser Zahlen, ist sicher kein praktischer Satz. Aber er kann natürlich
als Norm oder zu praktischen Zwecken dienen, wie wenn ich sage:
Wenn man Summe und Differenz miteinander multipliziert, so muss
herauskommen eine Zahl ... , und sonst ist die Multiplikation schlecht
ausgeführt u.dgl. So verhält es sich auch mit den logischen Sätzen.
Dass aus zwei partikularen syllogistischen Prämissen nichts folgt, das
ist eine objektive Wahrheit, dass der Schluss Barbara besteht, ebenso
usf. Aber ich kann alle diese Gesetze, welche von allen praktischen
Gedanken frei sind, in praktischer Absicht verwenden.
Und indem man ausschließlich auf dieses Gebiet hinblickte, sagte
man, die Logik sei eine rein theoretische Disziplin. Von dieser Dis-
ziplin gilt es, was Kant in seinen Vorlesungen von der Logik sagt:
Sie sei kein Organon der Wissenschaften, obschon sie natürlich " zur
Beurteilung und Berichtigung unseres Erkenntnisses dienen könne".'
In der Streitfrage, ob die Logik als theoretische oder praktische
Disziplin definiert und behandelt werden muss, entschieden wir uns
am Schluss der gestrigen Vorlesung für das Letztere. Zwar wiesen
wir den Gedanken einer rein aus theoretischen Gesichtspunkten ent-

• Kant, Logik, A 4f.


LOGIK

worfenen Wissenschaftslehre seiner Möglichkeit nach nicht zurück,


doch schien es naturgemäß, das treibende Motiv für alle wissen-
schaftstheoretische Untersuchung auch von vornherein maßgebend
werden zu lassen, und dieses Motiv ist möglichste Erweiterung und
Bereicherung der Erkenntnis. Wenn daher die Logik öfter definiert
worden ist als Kunst des Denkens oder Kunst des Erkennens u.dgl.,
so hätten wir ja nichts dagegen einzuwenden, wofern diese in ihrer
Kürze nicht ganz deutlichen Ausdrücke in unserem Sinn auseinander
gelegt würden. Ich habe auch schon darauf hingewiesen, dass nur die
alte Vermengung zwischen dem rein theoretischen Gebiet, das wir
Schlusslehre nannten und das für alle eigentlich logischen Normierun-
gen und Abzweckungen das Fundament bilden muss, mit der Logik
selbst die zunächst auffällige Tatsache erklären kann, dass man sich
in der Frage, ob die Logik eine praktische oder theoretische Disziplin
sei, nicht hat einigen können. Wie jede kunstmäßige Betätigung auf
einer Gesetzmäßigkeit, also jede einsichtige kunstmäßige Betätigung
auf einer theoretischen Einsicht beruht, so muss natürlich jede Kunst
auf einer oder mehreren theoretischen Disziplinen beruhen. Das gilt
auch von der Logik. Das kann aber nicht gelten von der objektiven
Schlusslehre. Wollten wir auch sonst verkennen, dass sie eine rein
theoretische Disziplin ist, dann müsste es uns doch klar werden, dass
es keine theoretische Disziplin geben kann, die ihr als Fundament
dient, denn die Gesetzmäßigkeiten, die sie feststellt, sind für keine
Wissenschaft entbehrlich. Schlüsse zu ziehen, das gehört zum We-
sen aller Wissenschaft, und die ScWussgesetze der ScWusslehre sind
das Allgemeine, dem all diese Schlüsse unterstehen. Und eben darin
gründete ja die Unabhängigkeit, die wir ihr in der letzten Vorlesung
zugesprochen haben. (Jede andere wissenschaftliche Disziplin, sei sie
theoretisch oder praktisch, kann als von ihr abhängig gedacht werden.
Sie selbst steht in souveräner Unabhängigkeit da, und damit isteo ipso
ihr rein theoretischer Charakter gegeben.)
Danach gilt es also von ihr und nicht von der Logik im gewöhn-
lichen Sinn, wenn Kant sagt, die Logik sei kein Organon der Wis-
senschaften, obzwar sie zur Beurteilung und Berichtigung unserer
Erkenntnisse dienen könne. Nicht mehr voll zustimmen können wir
aber, wenn wir in den Vorlesungen lesen, die Logik sei ein Kanon,
der nachher zur Kritik dient: Unter einem Kanon verstehen wir ja

• Kant, a.a.O.,A 9.
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 37

ein Regelsystem. Im Begriff der Regel liegt aber der Gedanke der
Normierung. Wir hingegen sehen in den Gesetzen der Schlusslehre
gar keines, dem der Gedanke der Regelung wesentlich innewohnte
und nicht von uns erst hineingetragen wäre. Wir hätten es ja auch sonst
nicht mit rein theoretischen Sätzen zu tun. Noch weniger können
wir aber unter seiner Voraussetzung, dass die Begriffe Logik und
objektive Schlusstheorie identifiziert werden, Kant zustimmen, wenn
er sagt: "In der Logik ist die Frage nicht nach zufälligen, sondern nach
notwendigen Regeln, nicht, wie wir denken, sondern, wie wir denken
sollen. Die Regeln der Logik müssen daher nicht vom zufälligen,
sondern vom notwendigen Verstandesgebrauch hergenommen sein,
den man ohne alle Psychologie bei sich findet. Wir wollen in der
Logik nicht wissen, wie der Verstand ist und denkt und wie er bisher
im Denken verfahren ist; sondern wie er im Denken verfahren sollte.
Sie soll uns den richtigen, d.h. mit sich selbst übereinstimmenden
Gebrauch des Verstandes lehren. ".
Ähnliche Bestimmungen sind seit Kant oft genug wiederholt wor-
den, und nicht bloß in der kantischen Schule, sondern insbesondere
auch vonseiten der Herbartianer, die Kant in der Beurteilung der
Logik überhaupt ziemlich nahe standen. So unterschied man Natur-
gesetze, die besagen, was da ist, und Normalgesetze, die besagen,
was da sein sollte, und glaubte dann, die Logik als eine Lehre von
den Normalgesetzen des Denkens der Psychologie als der Lehre von
den Naturgesetzen desselben gegenüberstellen und als eine von ihr
verschiedene Disziplin definieren zu können. Sie finden diese Unter-
scheidung z.B. in dem gediegenen Werke von Drobisch:·
Sie begreifen, warum ich diese Auffassungsweisen erst hier, bei der
Streitfrage, ob die Logik eine praktische oder theoretische Disziplin
ist, bespreche und nicht bei Gelegenheit der Diskussion der Streit.:.
frage nach dem Verhältnis von Logik und Psychologie, wohinein es
ja auch spielt. Aber indem bei den Kantianern und Herbartianern
der normative Charakter der logischen Gesetze betont wird, indem
es heißt, dass sie vom Denken handeln, wie es sein soll t e, von
Normalgesetzen des Denkens, machen sie ja aus der Logik eine nor-
mative, also praktische Disziplin. Das stimmt natürlich vortrefflich,

• Kant, a.a.O., A 6.
•• Vgl. Moritz Wilhelm Drobisch, Neue Darstellung der Logik nach ihren einfachsten Verhalt-
nissen mit Rücksicht auf Mathematik und Naturwissenschaft, 4. Autl., Leipzig 1875, S. 3.
LOGIK

wenn man unter Logik Methodenlehre versteht. Tht man aber dies,
dann ist doch keine Rede von einer Unabhängigkeit der Logik, keine
Rede davon, dass, wie Kant sich ausdrückt, die Logik eine allgemei-
ne Propädeutik alles Verstandes- und Vernunftgebrauchs sei, dass
sie nicht in die Wissenschaften und deren Materien eingehen dürfe,
dass sie nicht ein Organon der Wissenschaften sein dürfe, dass sie
nicht der Erweiterung, sondern nur der Beurteilung und Berichtigung
unserer Erkenntnisse dienen möge. Und es ist weiter auch keine
Rede davon, dass sie dann eine von der Psychologie unabhängige
Disziplin sei, geschweige denn, dass der Gegensatz zwischen Natur-
und Normalgesetz ein scheidendes Merkmal abgeben könnte. Im
Gegenteil wird sie durch diese Bestimmung ganz offenbar zu einer
auf Psychologie ruhenden Disziplin gestempelt. Mit Recht haben
die psychologistischen Logiker hier eingewendet: Ein notwendiger
Verstandesgebrauch ist auch ein Verstandesgebrauch, ein Denken,
wie es sein sollte, ist auch ein Denken, es ist ein spezieller Fall von
dem Denken, wie es ist; folglich gehört das eine wie das andere, das
besondere wie das allgemeine, in die Psychologie als die Wissenschaft,
die von den psychischen Phänomenen und psychischen Dispositionen
überhaupt handelt, also darunter auch vom Denken und vom Verstan-
de. Mit Recht sagt also Lipps an einer letzthin schon von uns zitierten
Stelle: Dass in der Psychologie im Unterschied von der Logik der
Gegensatz von Erkenntnis und Irrtum (vom Denken, wie es ist und
wie es sein sollte) nicht in Betracht komme, kann nicht heißen, dass
die Psychologie diese beiden voneinander unterschiedenen psychi-
schen Tätigkeiten als gleich ausgebe, sondern nur, dass sie beide in
gleicher Weise verständlich zu machen suche - woran Lipps freilich
die falsche Konsequenz schließt, dass die Logik eine Sonderdisziplin
der Psychologie sei.
Sie sehen, in welche Verwirrung uns Kant in den zitierten Sätzen
hineinführt. Er spricht scharf die Unabhängigkeit der Logik von der
Psychologie aus. 1 Der notwendige Verstandesgebrauch soll sich in uns
vor aller Psychologie befinden. Er legt auf die Trennung der Logik
von der Psychologie so großes Gewicht, dass er wiederholt und mit

I Gestrichen Und andererseits gibt er von ihr doch Bestimmungen, nach denen sie Regeln des
notwendigen Verstandesgebrauchs,des Denkens, wie es sein soll, fixiert, also Bestimmungen, in
denen die Beteiligung der Psychologie handgreiflich vorliegt. Und noch sonderbarer: Während
nach manchen Sätzen der praktische Charakter der Logik entschieden geleugnet wird, liegt er
in anderen Sätzen wieder greifbar ausgesprochen.
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 39

aller Entschiedenheit auf diesen Punkt dringt. Es heißt Z.B. in den


Vorlesungen: "Einige Logiker setzen zwar in der Logik psychologi-
sche Prinzipien voraus. Dergleichen Prinzipien aber in die Logik zu
bringen, ist ebenso ungereimt, als Moral vom Leben herzunehmen.
(Nähmen wir die Prinzipien aus der Psychologie, d.h. aus den Beob-
achtungen über unseren Verstand, so würden wir bloß sehen, wie das
Denken vor sich geht und wie es ist unter den mancherlei subjektiven
Hindernissen und Bedingungen. Dieses wUrde also zur Erkenntnis
bloß zufälliger Gesetze führen. "t Und nun gar die berühmte Stelle in
der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft, wo es
von der Logik heißt: "Wenn einige Neuere sie dadurch zu erweitern
dachten, dass sie teils psychologische Kapitel von den verschiedenen
Erkenntniskräften, teils metaphysische von den verschiedenen Arten
der Gewissheit, teils anthropologische von den Vorurteilen hinein-
schoben, so rührt dies von der Unkunde der eigentümlichen Natur
dieser Wissenschaft her. Es ist nicht Vermehrung, sondern Verunstal-
tung der Wissenschaften, wenn man ihre Grenzen ineinander laufen
lässt ... "•• Man kann die Beteiligung der Psychologie an der Logik
nicht schärfer abweisen, als Kant es getan hat. Und doch gibt es auf
der anderen Seite Bestimmungen, nach denen die Beteiligung der
Psychologie die selbstverständlichste Konsequenz wäre, nach denen
sich die Logik sogar als Teilgebiet in die Psychologie einzugliedern
scheint. Denn welcher Gedanke liegt uns näher, wenn wir hören:
Die Logik hat die Regeln zu erforschen des Denkens, wie es sein
sollte. Und wieder finden wir uns in die sonderbarste Verwirrung
versetzt, wenn auf der einen Seite mit dem Satz "die Logik könne
kein Organon der Wissenschaften sein"••• der praktische Charakter
der Logik entschieden geleugnet wird, während er auf der ande-
ren, in den Worten "Regel", "sollen" u.dgl. unmittelbar ausgedrückt
ist.!
Und bei all dem: Kant bleibt Kant! Und hinter dieser Verwirrung
steht ein gutes Stück Weisheit, von der die psychologistischen Logiker
viel lernen könnten. Kant hatte eben, wo er von Logik sprach, nicht

• Kant, Logik, A 6.
•• Kant, Kritik der reinen Vernunft, B VIII.
••• Kant, Logik, A 4.
1 Alles ist lückenhaft, weil nicht auf Kant, (Kritik der reinen Vernunft, in: Immanuel Kant's
stimmtliehe Werke. In chronologischer Reihenfolge hrsg. von G. Hartenstein, Leipzig 1867-1868,
Bd.) III, (S.) 81-98 Rücksicht genommen ist.
40 LOGIK

die Methodenlehre im Auge, sondern jene theoretische Fundamen-


talwissenschaft derselben, von der wir wiederholt sprachen. Auf sie
passt es trefflich, dass sie Propädeutik aller Wissenschaften sei. Damit
bekundet Kant, dass er ihre einzigartige Stellung unter den Wissen-
schaften gesehen hat. Und auf sie passt alles andere, wofern wir nur
das Sollen und das Denken und den Verstandesgebrauch, kurz alles,
was sie zur normativen oder psychologischen Disziplin macht, beiseite
lassen. Die ganze Schuld an der Verwirrung, in die Kant hineingeriet,
besteht darin, dass er die Möglichkeit einer Loslösung von der Psycho-
logie mehr füWte als wirklich durchführen konnte, dass er nicht sah,
dass Sätze, Begriffe, Schlüsse etwas schlechthin Objektives sind, dass
Schlussgesetze nicht nur nicht über den zufälligen, sondern auch nicht
über den notwendigen Verstandesgebrauch etwas sagen, nicht nur
nicht über das Denken, wie es ist, sondern auch nicht über das Denken,
wie es sein sollte, kurz, dass es sich hier um objektive Gesetze handelt,
die wir zwar nachträglich und mit höchstem Nutzen Zur Normierung
des Verstandesgebrauchs verwenden, die aber an sich mit ihm nichts
zu tun haben. Und er übersah weiter, dass alles Reden von Verstand
und Vernunft auf der Objektivität dieser Gesetze beruht, indem wir
eben einem Wesen Verstand und Vernunft nur zuschreiben, sofern
und wenn es in seinen Erkenntnissen und Begründungen mit jenen
Gesetzen übereinstimmend sich verhält. Aber freilich, dass er all das
übersah, das hängt wieder mit dem ganz subjektivistischen Charakter
seiner Philosophie zusammen, und so ist es eigentümlich, dass der-
selbe Mann, der philosophisch einen subjektivistischen Standpunkt
vertrat, in der Logik den Subjektivismus bekämpfte, ohne sich aber,
wie begreiflich, auch in ihr zu einem reinen Objektivismus erheben zu
können.
Ähnlich wie Kant erging es Herbart und seiner Schule. Herbart kam
zwar der Unterscheidung von Subjektivem und Objektivem beträcht-
lich näher. Aber in seiner vollen Reinheit konnte er den Unterschied
nicht erfassen; und daher die Halbheiten und Unklarheiten in den
logischen Werken seiner Schule, daher auch hier die Vermengung der
objektiven ScWussdoktrin mit der Logik und die Unfähigkeit, in der
Unterscheidung zwischen Logik und Psychologie sowie in der Frage,
ob die Logik theoretische oder normative, also praktische Disziplin
ist, eine haltbare Position einzunehmen.
3) Als dritte Streitfrage erwähnte ich die, ob die Logik eine" bloß
formale" Disziplin sei, d.h. bloß mit den Formen des Denkens zu tun
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 41

habe, oder ob sie auch auf die Materie derselben Rücksicht nehmen
müsse.!
Eine Einigung in diesem Streite scheiterte schon daran, dass man
es von jeder Seite versäumt hatte, die so vieldeutigen Begriffe von
Form und Materie zu definieren. Sehen wir zu, wo man ursprünglich
den Anlass genommen hatte, in der Logik von Form und Materie
zu reden, so werden wir wieder auf die objektive Doktrin von Sät-
zen und Schlüssen geführt. Z.B. man unterschied die kategorische,
hypothetische und disjunktive Satzform.
Betrachten wir die Sätze" Alle Ellipsen haben zwei Brennpunkte"
und "Alle Menschen sind sterblich", so haben sie dieselbe Form,
die ersichtlich wird durch den Ausdruck "Alle A sind B". Ich kann
die Zeichen A und B als Repräsentanten ganz beliebiger Begriffe
nehmen, und ich erhalte einen verständlichen (wenn auch vielleicht
falschen oder absurden) Satz. Ich sehe also, dass es eine Klasse von
Sätzen gibt, die zwei Begriffe nach einem bestimmten Typus verbin-
den, und das ist eben die Form. Ebenso stellt der hypothetische Satz
eine bestimmte Satzform dar: "Wenn A gilt, gilt B". Hier stehen die
Zeichen A und B für beliebige Sätze. Ich erhalte, welche ich immer
wähle, immer einen verständlichen Satz eines und desselben Typus.
Von den Formen der Begriffe, Sätze oder Satzgewebe, aus denen
sich nun Schlüsse zusammensetzen, hängen dann Schlussgesetze ab,
in denen daher immer gewisse Buchstabenfiguren als Zeichen für die
unbestimmt und beliebig gelassenen Begriffe oder Sätze (fungieren).
Führt man in diese Formen bestimmte Worte für die Buchstaben ein,
so erhält man konkrete Sätze.
Sagte man danach, die Logik habe es mit der bloßen Form zu tun,
so müsste die Meinung die sein, dass sie nur von der Unterscheidung
der verschiedenen Formen und den Gesetzmäßigkeiten, die von den
Formen abhängen, zu handeln habe. Und so wird alsbald klar, dass die
Logiker, die in diesem ursprünglichen Sinn, ohne ihn näher zu fassen,
von einer formalen Logik sprechen, nicht die Methodenlehre, sondern
die objektive Lehre von den Begriffen, Sätzen und Schlüssen treffen
konnten. Wenigstens passte die Rede von einer formalen Logik nur
auf dieses Gebiet, und man konnte zu dieser Rede nur in Hinblick auf

! Die weiteren Ausführungen sind sehr mangelhaft, weil nicht hinreichend auf Kant, (Kritik
der reinen Vernunft, in: lmmanuel Kant's slimmtliche Werke. In chronologischer Reihenfolge
hrsg. von G. Hartenstein, Leipzig 1867-1868, Bd.) II1, (S.) 81-98 Rücksicht genommen ist.
42 LOGIK

Sätze kommen, die in dieses Gebiet gehören. Da man das Gebiet aber
nicht selbständig abgrenzte, sondern in Wahrheit immer die Metho-
denlehre aufbaute, so war die Behauptung, dass die Logik es init den
bloßen Formen zu tun habe und von aller Materie, d.h. von aller nähe-
ren Bestimmung der Termini abzusehen habe, verkehrt; und erst recht
verkehrt war es zu reden von Formen des Denkens, der Erkenntnis
u.dgl., von Urteilsformen, Vorstellungsformen, als ob diese Formen
die psychischen Betätigungen beträfen und die Schlussgesetze also
Gesetze psychischer Betätigungen ausdrückten. Die Formen, die hier
in Frage kommen, sind offenbar Formen von Gegenständen, Begriffen
und Sätzen, und formale Gesetze sind Gesetze, welche in der Weise
allgemein sind, dass sie für beliebige Gegenstände, Begriffe oder Sätze
gültig sind. Indem man aber diese einfache Sachlage verkannte, das
Objektive vom Subjektiven nicht zu scheiden wusste, geriet man in
die absonderlichsten psychologischen und metaphysischen Irrwege;
man hypostasierte die Vernunft als ein Vermögen, das dem konkreten
Material die Formen aufprägt, und sah in den formalen Gesetzen
die lYpen für das uns unbewusste Verfahren dieses Vermögens, also
diesem angeborene Gesetzmäßigkeiten, womit man auch die letzte
Quelle der Rechtfertigung für alle Wahrheit gefunden zu haben glaub-
te. Doch es ist nicht nötig, darauf weiter einzugehen. Das Wenige
genügt, um die Bedeutung der Abscheidung einer rein objektiven
Schlusslehre von der Logik als Methodenlehre auch in diesem Punkt
zu verdeutlichen.
4) Schließlich erwähnte ich auch noch den Streit über den logi-
schen Charakter der Logik selbst, ob sie nämlich den Charakter einer
demonstrativen Wissenschaft habe wie die Mathematik (oder) den
Charakter einer empirischen Wissenschaft wie etwa die Psychologie
oder Physiologie. Wieder ist unsere Stellung ganz klar. Die Logik als
Methodenlehre, die im Hinblick auf die empirischen Erkenntnisfä-
higkeiten des Menschen diesen im Verfolg der Wahrheit möglichst
fördern will, ist selbstredend eine empirische Wissenschaft. Sie kann
sich den Menschen und seine Fähigkeiten (... )
(HAUPTfEIL)

§ I. Einleitung. Denkakte und ihr objektiver Gehalt


Wir beginnen heute den systematischen Aufbau der Logik. Nach
den klärenden Überlegungen der letzten Vorlesungen liegt der Logik
in dem von uns akzeptierten Sinn einer Wissenschafts- oder Metho-
denlehre als ihr wesentlichstes Fundament eine von ihr völlig indepen-
dente und rein theoretische Disziplin zugrunde, zu ihr etwa in dem
Verhältnis stehend wie die praktische Mechanik zur physikalischen
und analytischen Mechanik. Wir haben auch gehört, dass die Idee
dieser Disziplin hauptsächlich den Forschern vorgeschwebt hat, die
auf eine" reine" oder" formale" Logik dringen und diese von allen
Abzweckungen einer Erkenntniskunst entfernt abhandeln wollten.
Und jedenfalls waren es diese Forscher, die die hier in Rede stehende
Disziplin hauptsäcWich gefördert haben, wie wenig ihnen eine reine
Ablösung derselben auch gelang. Um nicht neue Namen einführen zu
müssen, wollen wir von nun an ebenfalls von reiner oder formaler Lo-
gik im Gegensatz zur Methoden- oder Wissenschaftslehre sprechen,
werden es aber als unsere besondere Aufgabe betrachten, die Erstere
in ihrer Selbständigkeit zu entwickeln und alle psychologischen Ver-
unreinigungen von ihr fern zu halten. Ihrer Stellung und Bedeutung
entsprechend werden wir sie in dem ersten und größeren Teil der
Vorlesungen behandeln und nach ihrer Erledigung im zweiten Teil
die eigentliche Methodenlehre anschließen.
Die Selbständigkeit der formalen Logik beruhte nach unseren frü-
heren Überlegungen auf dem Unterschied zwischen Subjektivem und
Objektivem in unseren Denkbetätigungen. Schon der systematischen
Vollständigkeit halber müsste ich hier den wesentlichen Gedanken
dieser Unterscheidung wiederholen. Doch muss es auch geschehen,
weil er hier die Form erhalten soll, die ihn für die Anknüpfung weiterer
Forschungen brauchbar erscheinen lässt.
Wenn wir Erkenntnis gewinnen oder auf Erkenntnis ausgehen,
gleichgültig ob als wissenschaftlich geschulte oder ungeschulte Den-
ker, verlaufen in uns mancherlei psychische Betätigungen. Wir stellen
44 LOGIK

dies oder jenes vor, wir machen eine Wahrnehmung oder Beobach-
tung, wir verallgemeinern singuläre Tatsachen und bilden Hypothe-
sen, wir beurteilen diese Hypothesen, wir bejahen oder verneinen, wir
halten für wahrscheinlich oder für unwahrscheinlich, wir verifizieren
und induzieren, wir ziehen deduktiv Konsequenzen durch Syllogis-
men usw. Jede dieser psychischen Betätigungen ist etwas Individuel-
les für sich, ist ein realer Zustand des psychischen Wesens, dem sie
zugehört. Sie besteht während der ihr zugemessenen Zeitdauer und
sinkt ins Nichts zurück, wenn sie abgelaufen ist; sie ist dann als das,
was sie ist, für alle Ewigkeit dahin. Es mag eine gleiche oder ähnliche
psychische Betätigung später wiederkehren, aber Gleichheit ist nicht
Identität.
Nun wiesen wir aber auf die Tatsache hin, dass verschiedene solche
Akte, gleichgültig ob Akte desselben Individuums oder verschiede-
ner Individuen, ob Akte desselben Zeitabschnitts oder verschiedener
Zeitabschnitte, ganz oder zum Teil einen identischen Gehalt haben,
etwas Identisches intendieren oder meinen können, und wir erkann-
ten, dass dieses Objektive nicht mit dem Akt selbst verwechselt und
auch nicht als ein reales Stück des Aktes angesehen werden kann.
Wir wollen diese Sätze näher erläutern. Wenn wir den Ausdruck "ein
Pferd" hören oder lesen, so ist das, was wir dabei vorstellen, offenbar
zu unterscheiden von unserer Vorstellung selbst. Während dieses Was
seinen Ausdruck eben findet durch das Wortepaar "ein Pferd", bedarf
es für den Ausdruck des psychischen Phänomens eines ganz ande-
ren Ausdrucks. l Wir müssten sagen: "meine gegenwärtige subjektive
Vorstellung von einem Pferd", und diese beiden Ausdrücke kann
man keineswegs miteinander vertauschen. Demgemäß ist es auch
grundverschieden, über Pferde etwas auszusagen und über meine
Vorstellungen und über Vorstellungen von Pferden überhaupt etwas
auszusagen. Gesetze über Pferde gehören in die Zoologie, Gesetze
über subjektive Vorstellungen in die Psychologie, Gesetze über ob-
jektive Vorstellungen in die Logik.
Wie steht es nun mit dem objektiven Gehalt der Vorstellung? Ist sie
etwa ein Stück des psychischen Aktes? Wenn ich jetzt den Ausdruck
"ein Pferd" lese und später den gleichen Ausdruck wieder lese, beide

1 Nein. Wenigstens die Anführungszeichen gehören mit. Das Was der Vorstellung kann
heißen: der objektive Gehalt. Und das wäre Vorstellung von einem Pferd oder Vorstellung
"ein Pferd", und im Gegensatz dazu subjektive Vorstellung "ein Pferd".
EINLEITUNG 45

Male mit Verständnis, dann habe ich zwei Ausdrücke, zwei Vorstel-
lungen, aber nicht zwei verschiedene Gehalte. Das eine und andere
Mal ist der Gehalt, das, was gemeint ist, identisch dasselbe. Identisch,
und nicht bloß gleich oder ähnlich! Psychologisch mag ja mancherlei
Verschiedenheit vorliegen, es mag die Vorstellung einmal von einem
lebendigen Anschauungsbild eines Pferdes begleitet sein, das andere
Mal nicht, es mag das eine Mal dieses, das andere Mal jenes von
den früher gesehenen Pferden mir einfallen u.dgl. Aber was mir da
auch beifallen mag, das trifft nicht die Bedeutung des Ausdrucks" ein
Pferd "; und habe ich andererseits die Bedeutung, dann ist sie immer
identisch dieselbe, in wie vielen und in wie verschieden ausgestatteten
Akten ich sie auch haben möge. Und dabei ist es auch gleich, ob es
sich um meine Akte handelt oder um Akte eines anderen, ob um
Akte, die wir alle gleichzeitig haben, oder um Akte, die in ganz ver-
schiedene Zeiten fallen. Verstehen wir all die Ausdrücke" Bismarck",
" der König der Belgier", ,,2 x 2 ist 4 ", " Satz von der Winkelsumme "
u.dgl., so meinen wir alle ein und dasselbe. Und was von einzelnen
solchen Ausdrücken gilt, das gilt von zusammengesetzten. Schillers
Werke mögen in hunderttausend Exemplaren vorliegen und mögen
von Hunderttausenden Menschen gelesen werden: haben nur die-
se Menschen alle dasselbe Verständnis, so liegt all den unzähligen
psychischen Phänomenen dasselbe Objektive zugrunde, die und die
Dichtungen, Abhandlungen usw. Dieses Objektive ist selbst nichts
Psychisches, wie schon daraus hervorgeht, dass es nicht einmal ein
Reales zu sein braucht. Der psychische Akt ist ein zeitlich bestimmtes
Reales, sein objektiver Gehalt hingegen braucht überhaupt nichts
von zeitlicher Bestimmtheit und Realität einzuschließen; er kann es
wohl.! Z.B. wenn ich von Bismarck spreche, so zielt die Bedeutung des
Wortes und somit der Gehalt meiner Vorstellung auf einen gewissen
realen und zeitlich bestimmten Gegenstand. Aber diese Realität ist
doch etwas ganz anderes als die Realität des Aktes, in dem sich
das psychische. Individuum auf den Gegenstand bezieht. Bismarcks
Realität ist nicht die Realität meines Denkens von Bismarck. Und das
Einwohnen der einen in der anderen ist nicht ein reales Verhältnis.
Bismarck ist nicht ein Stück der Realität, die ich mein Denken von
Bismarck nenne. Die intentionale Inexistenz, sagten schon die Scho-

! Hier ist wieder zu trennen die objektive Vorstellung und das Reale, das sie vorstellt. Die
objektive Vorstellung selbst ist nichts Reales, auch wenn sie Reales vorstellt.
LOGIK

lastiker, muss von der realen Inexistenz unterschieden werden. Aber


nicht immer haben wir es im Denken mit Realem zu tun. Wenn ich mir
die Unmöglichkeit eines runden Vierecks vorstelle, so bezieht (sich)
der objektive Gehalt meiner Vorstellung und damit sie selbst nicht auf
ein Reales; ebenso wenn ich mir den Gehalt des Satzes 5 x 5 =25 oder
2 x 2 = 6 verdeutliche oder wenn ich vom pythagoreischen Lehrsatz
spreche usw. Jeder, der an diese Sätze denkt, denkt dasselbe, und was
er denkt, ist nicht das Denken oder sonstwie ein individuell Psychi-
sches, sondern eben diese Bedeutung, dieser Satz, dieser Gegenstand,
dieser Begriff. Und dass das Gedachte identisch dasselbe sein kann in
mannigfachen Akten, dass es so etwas wie Objektives und Subjektives
im Unterschied voneinander gibt, das ist die letzte Tatsache, die wir
hinnehmen müssen und an die wir das Weitere anknüpfen.
Auf eins muss hier noch hingewiesen werden, damit es Sie nicht
verwirre. Die psychischen Akte sind, während wir denken, da, gleich-
gültig ob wir auf sie hinblicken oder nicht. Wir können nun auch
auf sie hinblicken und können sie selbst zu Objekten denkender
Betätigung machen, wie wir es ja schon in dem Momente tun, wo
wir von unseren Akten des Vorstellens, Vermutens, Bejahens etc.
sprechen, sei es im Allgemeinen, sei es in Ansehung der oder jener
Gegenstände. Die subjektiven Akte können dann also selbst Gegen-
stand unserer theoretischen Betrachtung, unserer wissenschaftlichen
Forschung werden. Und die Wissenschaft, die sie ins Auge fasst, ist
natürlich die Psychologie. Aber wie es zweierlei ist, mit Gegenständen
der oder jener Klassen beschäftigt sein und mit den verschiedenen
Denkbetätigungen in Betreff dieser Gegenstände beschäftigt sein, so
ist natürlich ein Unterschied zwischen psychologischer und objektiver
Betrachtungsweise. Die objektive Betrachtungsweise ist die der nicht
psychologischen Wissenschaften und in allgemeinster! Form die der
formalen Logik. Die psychologische Betrachtungsweise aber gehört
eben der Psychologie an.
Wir haben in unseren Beispielen zwar mannigfaltige Akte nach
ihrem Gehalt miteinander verglichen, aber. immer Akte derselben
Spezifität, immer Vorstellungsakte. Indessen, auch verschiedenartige
Akte können einen gemeinsamen objektiven Gehalt besitzen, aber
so, dass ein Teil des Objektiven auf der einen und anderen Seite sich
deckt. Dasselbe, was jemand sich bloß vorstellt, kann ein anderer für

! Das ist nicht klar. Es muss hier genauere und klarere Bestimmungen geben.
EINLEITUNG 47
wahr oder für falsch halten, für wahrscheinlich oder unwahrschein-
lich. Und wieder kann dasselbe sich dem einen als Schlusssatz eines
Syllogismus ergeben, dem anderen wieder als Vordersatz in einem
hypothetischen Satz dienen usw. Man bemerkt allerdings, dass die
Vorstellungsakte unter diesen mannigfachen Betätigungsformen eine
bevorzugte Stellung einnehmen, insofern der objektive Gehalt eines
jeden wie immer gearteten Aktes immer zugleich als Gehalt einer
gewissen Vorstellung dienen kann. Und die Psychologen sind sogar
meist der Ansicht, dass allen Akten, die nicht selbst Vorstellungen
sind, von vornherein Vorstellungen einwohnen; was wir hier nicht
näher zu erörtern brauchen.

§ 2. Objektive Vorstellung und Wahrheit


Betrachten wir nun das Objektive, das in den Denkakten inten-
diert und sprachlich in verschiedenen Ausdrucksformen gemeint ist,
so müssen wir von vornherein Folgendes als wesentlich verschieden
auseinander halten: den bloßen Gedanken seinem objektiven Gehalt
nach und das Sein, die Wahrheit.
Zunächst ein Beispiel: Wenn jemand den Satz von der Winkelsum-
me sich bloß vorstellt und ein anderer diesen Satz als Wahrheit ein-
sieht, so ist im Denken beider ein Gemeinsames, das ist eben der Satz,
aber nicht als grammatischer Satz, sondern als objektiver Gedanke,
als objektive Vorstellung. Zugleich besteht aber eine wesentliche Ver-
schiedenheit darin, dass der Letztere eben nicht bloß den Gedanken
des Satzes, sondern die Wahrheit des Satzes hat, und diese Wahrheit
gehört in:t letzteren Fall zum objektiven Gehalt des Denkens, während
sie dies im ersteren Fall nicht tut. Wer nicht weiß, dass der Satz von
der Winkelsumme besteht, oder davon absieht und ihn vorstellt, der
stellt zwar einen Satz vor, dem eine Wahrheit entspricht, aber er meint
nicht die Wahrheit selbst. Der bloße Satz, dass die Winkelsumme eines
Dreiecks zwei Rechte ist, und die Wahrheit, dass die Winkelsumme
eines Dreiecks zwei Rechte ist, sind zu unterscheiden. Unzählige Akte
können' das Identische gemein haben, das wir den bloßen objektiven
Gedanken, dass die Winkelsumme zwei Rechte ist, nennen; unzähli-
ge Akte können andererseits das Identische gemein haben, das wir
die entsprechende Wahrheit nennen. Also wer urteilt, der hat einen
anderen objektiven Gehalt vor Augen als wer bloß vorstellt. Der
Urteilende stellt etwas als wahr hin, der Vorstellende stellt es hin,
LOGIK

ohne an die Wahrheit zu denken, mindest ohne auf sie zu achten


und sie zu meinen. Demgemäß ist auch der sprachliche Ausdruck
nicht derselbe. Der Urteilende sagt kategorisch: "Die Winkelsumme
eines Dreiecks ist zwei Rechte", während der Vorstellende dies nicht
tun kann. Man sagt, dass der Erstere wirklich ein Objektives im
Auge hat. Er will ja nicht sagen: "Ich glaube das, dass es sich so
verhält", sondern einfach: "Es ist so. " Ich brauche nicht zu betonen,
dass zwei Sätze der Form "A ist B" und "Ich glaube, dass A Bist"
nicht identisch denselben Gedanken ausdrücken. Der eine enthält in
seinem objektiven Gehalt die Beziehung auf das urteilende Subjekt,
der andere nicht. Und dasselbe gilt auch für evidente Urteile, in denen
die Wahrheit nicht bloß behauptet, sondern wirklich erfasst wird. Die
Wahrheit ist hier der objektive Gehalt des evidenten Urteils, aber
nicht das evidente Urteil selbst. Hundert Menschen, die mit Evidenz
urteilen 2 x 2 = 4, urteilen (behaupten, erkennen an) nicht hundert
Wahrheiten, sondern identisch eine.
Die Wahrheit ist also der eine Klassenbegriff von Objektivem,
der als Gehalt in unseren Denkakten intendiert sein kann. Und ihr
stellten wir gegenüber den bloßen Gedanken, das Wort in objektivem
Sinn genommen als ein Gedachtes, ohne Rücksicht auf das Sein oder
Nichtsein, die Wahrheit oder Falschheit. Wer z.B. eine Absurdität
denkt, wie ein hölzernes Eisen, der hat ein Objektives, obschon nichts
Wahres, nichts Existierendes als Gehalt seines Denkens; aber ebenso
auch derjenige, der ein Wahres denkt, aber nicht als Wahres. Z.B.
der hypothetische Satz" Wenn Gott gerecht ist, so werden die Bösen
bestraft" enthält im Vordersatz als objektiven Gehalt den Gedanken,
dass Gott gerecht ist, aber nicht als Wahrheit. Der Atheist glaubt nicht
an Gott, aber auch nicht an die Gerechtigkeit Gottes, gleichwohl wird
er den ganzen Satz verstehen und für wahr halten. Und das, was er
dabei denkt und für wahr hält, das ist identisch mit dem, was ein Theist
mit demselben Satz meint und glaubt. Denn der Theist, obschon er
glaubt, dass Gott ist und gerecht ist, bedarf doch dieser Erkenntnis
nicht in dem Fall, wo er bloß sagen will, dass, wenn Gott gerecht
ist, die Bösen bestraft werden. Also nicht die Wahrheit, sondern der
bloße Gedanke, die bloße Vorstellung, dass Gott gerecht ist, fungiert
als Vordersatz dieser hypothetischen Wahrheit.
Dies wird wohl genügen, um den Sinn der Gegenüberstellung von
objektivem Gedanken oder objektiver Vorstellung auf der einen und
objektiver Wahrheit auf der anderen Seite klarzumachen. Ein großer
EINLEITUNG 49

Nachteil besteht freilich in dem Mangel an einer völlig passenden


Bezeichnung. Wir verfügen leider über keinen Ausdruck, der in völlig
unzweideutiger Weise das Objektive, das wir objektive Vorstellung
hier nennen, bezeichnete. In dem Vordersatz der eben erwähnten
hypothetischen Wahrheit bezeichnen wir mit "wenn Gott gerecht
ist" offenbar nicht einen subjektiven Vorstellungsakt, andererseits
aber auch nicht eine objektive Wahrheit, ein Seiendes als solches.
Wie sollten wir nun dieses Objektive, das hier gegeben ist, bezeich-
nen? Hier fehlt ein Terminus. Bolzano verwendet zu diesem Zwecke
den Terminus" Vorstellung an sich" oder "objektive Vorstellung" im
Gegensatz zum Vorstellungsakt, zum psychischen Phänomen. Ande-
re gebrauchen gelegentlich den Ausdruck "Gedanke" in ähnlichem
Sinn. Allen diesen Ausdrücken haftet aber die große Unzuträglichkeit
an, dass sie eben auch auf subjektive Phänomene angewendet werden,
so dass es ganz absurd klingt, von einer Vorstellung zu sprechen, die
niemand vorstellt, oder von einem Gedanken, den niemand denkt.
Und doch ist, wenn wir objektive Vorstellungen, objektive Gedanken
meinen, so wenig Absurdität darin, dass wir im Gegenteil behaupten
dürfen, es gäbe unzählige objektive Vorstellungen, die niemand je
gedacht hat. Denken Sie nur an die schier unendliche Mannigfaltig-
keit von Merkmalen, die in verschiedenen Zusammenhängen in tat-
sächlichem wissenschaftlichem Denken auftreten, und beachten Sie,
dass jede beliebige Verknüpfung von solchen Merkmalen zu einem
komponierten Begriff ein neues Merkmal ergibt. Aber wer hat je die-
se unübersehbare Mannigfaltigkeit von kombinatorischen Verknüp-
fungen durchgeführt? Und doch entspricht jeder eine Vorstellung
an sich, die etwas mit sich Identisches ist, gleichgültig ob irgendein
psychisches Wesen sie je gedacht hat oder nicht. Der Begriff einer
Kurve zweiter Klasse ist an einem historisch bestimmten Zeitpunkt in
den Gesichtskreis der Geometer getreten. Ebenso verhält es sich mit
dem Begriff der Röntgenstrahlen in Bezug auf den Gesichtskreis der
Physiker und desgleichen mit unzähligen anderen wissenschaftlichen
Begriffen. Vorher waren diese Begriffe von keinem menschlichen
Wesen je konzipiert worden. Und doch sind diese Begriffe, was sie
sind, nicht erst durch die Entdeckung der Geometer bzw. der Physiker
geworden, so wenig als die Wahrheiten, die in Bezug auf diese Begriffe
gelten, erst durch die Entdeckung zu Wahrheiten wurden. Im Begriff
eines so und so beschaffenen elektrischen Strahls liegt nichts von
dem Menschen, der ihn wahrnimmt oder vorstellt. Das Vorstellen des
50 LOGIK

Begriffs ist ein zeitliches Ereignis, aber nicht der Begriff selbst und
die Wahrheiten, die auf ihn gehen. Dass die Röntgenstrahlen durch
den Magneten keine Ablenkung erfahren, dass sie fluoreszierende
Substanzen in Erregungszustände versetzen, dass sie durch Messing
in geringem (Maße), durch Papier, Holz und Muskelsubstanz leicht
durchgehen usw., das sind lauter Wahrheiten, die uns Röntgen gelehrt
hat, aber nicht sind sie erst durch ihn zu Wahrheiten geworden; und
sie sind, was sie sind, ob es Menschen je gegeben hätte, die sie erkannt
hätten, oder nicht. Und was von den Wahrheiten, gilt natürlich auch
von dem objektiven Material, aus dem Wahrheiten bestehen, von den
Begriffen und Sätzen, überhaupt von den objektiven Vorstellungen,
die hier auftreten. All das muss man sich ein für allemal klarmachen,
damit die Ausdrücke, die unserer ganzen Terminologie entsprechend
subjektivistisch klingen, doch nicht subjektivistisch verstanden wer-
den.

§ 3. Gegenstandsvorstellungen (im engeren Sinn)


und Sätze (Namen und Aussagen)
Wir wollen nun die Objektivitäten, die wir Wahrheiten nennen,
vorläufig ganz beiseite lassen; ihre allgemeinsten Beschaffenheiten
und Gesetze werden wir späterhin ausführlich betrachten. Da jeder
Wahrheit gewisse Vorstellungen einwohnen, schon insofern, als jeder
Wahrheit eine gewisse objektive Vorstellung entspricht, die dasselbe,
was sie als wahr setzt, in der Weise der Vorstellung bloß vorstellt,
während das Umgekehrte nicht der Fall ist, so wird es naturgemäß
sein, zunächst die allgemeinen Eigentümlichkeiten der objektiven
Vorstellungen zu studieren. Hier drängt sich aber wieder eine funda-
mentale Unterscheidung ohne weiteres auf. Vergleichen wir folgende
beide Reihen von Beispielen: I) "Sokrates, der Weiseste der Athe-
ner", "ein rechtwinkliges Dreieck", "ein Pferd, welches seinen Reiter
abwirft", "ein hölzernes Eisen" ... , 2) ,,2 x 2 = 5", "Bismarck feierte
seinen achtzigsten Geburtstag", "Kathodenstrahlen werden durch
Magneten ab(ge)lenkt" usw., " Wenn Gott gerecht ist, so werden die
Bösen bestraft", so haben wir es in der zweiten Reihe mit lauter
vollständigen Sätzen zu tun, bei denen wir aber von Wahrheit oder
Falschheit ganz absehen, die wir also nur als objektive Gedanken ins
Auge fassen wollen. In den Beispielen der ersteren Reihe dienen zwar
gelegentlich Sätze als Bestandteil des Ausdrucks, aber die ganzen Aus-
EINLEITUNG 51

drücke bezeichnet man doch nicht als Sätze; es sind im weitesten Sin-
ne des Wortes N amen. Und wie die Ausdrucksweisen grammatisch
unterschieden werden, so unterscheiden wir die zugrunde liegenden
Gedanken auch objektiv. Es ist offenbar ein ganz markanter Unter-
schied. Im einen Fall betreffen die objektiven Gedanken in gewissem
Sinne des Wortes Gegenstände, im anderen Fall nicht Gegenstände,
sondern Sachverhalte. Bei letzteren Gedanken, denjenigen, die auf
Sachverhalte gerichtet sind, verwendet man öfter auch den Ausdruck
"Satz", ohne den grammatischen Ausdruck zu meinen. Wer vom
pythagoreischen Lehrsatz spricht oder, um auch Nicht-Wahrheiten
heranzuziehen, vom falschen Satz, dass die Luft einen Horror vor dem
leeren Raum hat (horror vacui) oder dass bei der Verbrennung ein
feiner Stoff Phlogiston entweicht u.dgl., so meint man ja nicht einen
so und so geformten grammatischen Ausdruck. Die Sätze in dem hier
fraglichen Sinn bleiben dieselben, ob sie französisch oder deutsch
ausgesprochen sind, aber die grammatischen Sätze natürlich nicht.
Man gebraucht hier also für den ganzen objektiven Satzgedanken
den Namen Satz.
Sätze in diesem Sinn, logische Sätze im Gegensatz zu grammati-
schen Sätzen und zugleich zu subjektiven Vorstellungen von Sätzen,
bilden nun eine vollkommen charakteristisch ausscheidbare Gruppe
von objektiven Vorstellungen. Und die andere Gruppe bilden die
Gegenstandsvorstellungen, in Bezug auf welche manchmal der Aus-
druck " Begriff", und zwar in einem sehr extendierten Sinn verwendet
wird. Insbesondere gilt dies von den Herbartianern, die in gleicher
Weise die Bedeutung der Ausdrücke" Sokrates ", "ein Viereck", "ein
Mann, welcher den Ernst des Lebens erfasst hat" u.dgl. als Begriffe
bezeichnen, während andere freilich die Bedeutung von Eigennamen
nicht als Begriffe gelten lassen würden, den Terminus also in einem
viel engeren Sinn verwenden. Indem ich von Gegenstandsvorstellung
spreche, habe ich den Ausdruck "Gegenstand" in einem einzelnen
Sinn gebraucht; denn auch dieser Terminus wird in vielfachem Sinn
gebraucht, wie überhaupt der Fluch der philosophischen Terminolo-
gie die Äquivokation ist. In weiterem Sinne des Wortes entspricht
jeder Vorstellung ein Gegenstand, also auch der Satzvorstellung. Der
Sachverhalt, den der Satz vorstellt, wäre also der Gegenstand. Aber
in einem engeren Sinn würden wir den Sachverhalt, dass das Theater
gegenüber unserer Universität liegt, nicht einen Gegenstand nennen,
während in diesem engeren Sinn das Theater, die Universität wohl
52 LOGIK

Gegenstände sind. In diesem engeren Sinn ist ein rundes Viereck ein
Gegenstand (obschon natürlich ein nicht existierender), aber nicht
der Sachverhalt, dass ein Viereck rund ist (der wieder absichtlich als
absurder gewählt ist).
Ich habe die primitive und fundamentale Scheidung, die hier vor-
liegt, bloß durch Beispiele erläutert. Sie werden vielleicht erwarten,
dass ich ihnen scharf fixierte Definitionen nachfolgen lasse. Indessen
werde ich darauf aus guten Gründen Verzicht leisten müssen. In der
Tat hört doch bei den allerprirnitivsten Begriffen eo ipso das Defi-
nieren auf. Jedes Definieren führt die Bedeutung eines zusammen-
gesetzten Ausdrucks auf die Bedeutung gewisser einfacherer zurück,
und dementsprechend wird der zusammengesetzte Begriff definiert,
indem man seine einfacheren Bestandteile angibt. Aber das geht doch
nur so lange, als wir eben mit komplizierten Begriffen zu tun (haben).
Wo ein neues Gedankenelement in unzerlegbarer Weise auftritt, da
kann man es nur aufweisen, nur an Beispielen deutlich machen. Wie
ich den Unterschied zwischen objektiver Vorstellung und objektiver
Wahrheit nur aufgewiesen und nicht im gewöhnlichen Sinne des Wor-
tes definiert habe, so konnte ich auch hier nicht mehr tun.
Man hat sich zwar einige Mühe gegeben, definitorische Merkmale
für die fragliche Unterscheidung zu gewinnen. Man hat z.B. gesagt:
Alles, was im eigentlichen Sinn entweder als wahr oder falsch bezeich-
net werden kann, ist ein Satz; alles, was als Subjekt eines Satzes stehen
kann, heißt Begriff (im weitesten Sinn). Oder auch: Jede Vorstellung,
deren Gegenstand als existierend oder nichtexistierend, nicht aber als
wahr und falsch bezeichnet werden kann, heißt ein Begriff.
Indessen scheinen mir derartige Bestimmungen wenig zu leisten.
Man spricht von Wahrem und Falschem auch da, wo keine Sätze
vorliegen. Man nennt die Vorstellung eines runden Vierecks eine
falsche Vorstellung, die Vorstellung vom ersten deutschen Kaiser eine
wahre. Die Vertreter der erwähnten Definitionen sagen nun: Hier liegt
eine uneigentliehe Redeweise vor. Im eigentlichen Sinn ist es der Satz
"Es gibt ein rundes Viereck", welcher falsch ist, und der Satz, dass
es einen ersten deutschen Kaiser gibt, welcher wahr ist. Aber wir
werden sehen, dass diese Auffassung sich nicht gut durchführen lässt
und dass auch bei Nichtsätzen das Reden von Wahrheit und Falsch-
heit einen guten Sinn haben kann. Allerdings verwenden wir diese
Prädikate mit Vorliebe in Bezug auf Sätze, oder genauer noch: auf
Sachverhalte, wie wir die Prädikate existierend und nichtexistierend
EINLEITUNG 53

mit Vorliebe auf Gegenstände im engeren Sinn anwenden. Die funda-


mentale Scheidung von Gegenstands- und Sachverhaltsvorstellungen
und die ganz verschiedene Rolle, die beide in der Logik spielen, macht
verschiedene Termini erwünscht, obschon im Wesentlichen dasselbe
Prädikat beiderseits vorliegt. Aber gelegentlich vertauschen wir auch
die Ausdrücke. Wir können verständlich auch sagen: "Es ist so, dass
2 x 2 4 ist" oder auch: "Dass 2 x 2 4 ist, ist" u.dgl. Und erst rechtist
das Merkmal, dass Gegenstandsvorstellungen als Subjekte von Sätzen
fungieren können, welches eine Abgrenzung des Begriffs vom Satze
schon voraussetzt, nicht etwas Charakteristisches. Denn wir können
doch auch Sätze bilden, in denen Vorstellungen von Sachverhalten
als Subjekte fungieren, Z.B. "Dass 2 x 2 4 ist, ist wahr". Wenn ange-
nommen wird, dass 2 > 3 ist, so lassen sich unzählige arithmetische
Absurditäten deduzieren u.dgl.
Wir begnügen uns also mit der bloßen Aufweisung des Unter-
schieds und halten eine Definition hier nicht für angebracht. Im Ver-
hältnis zueinander können wir ein charakteristisches Moment wohl
hervorheben: Jeder Satz ist ein Ganzes, in dem sich mindest eine
Gegenstandsvorstellung befindet. Welchen Satz wir auch betrachten
mögen, wir finden diese Beobachtung bestätigt. Die allereinfachsten
Sätze haben die Form "A ist" bzw. "A ist B". Hier stellt mindest
A einen Gegenstand vor, der sich vom Ganzen des Satzes ablösen
und für sich hinstellen lässt. Mit Rücksicht auf diese Sachlage wird
es nun wieder naturgemäß sein, zunächst die allgemeinen Eigentüm-
lichkeiten der Gegenstandsvorstellungen, der Begriffe im weitesten
Wortsinn, zu studieren und die wichtigsten Klassen derselben zu fi-
xieren.
I. BEGRIFFE IM WEITESTEN SINN
(GEGENSTANDSVORSTELLUNGEN)
UND IHRE GEGENSTÄNDE

§ 4. Materie und Gegenstand des Begriffs


(Bedeutungsinhalt und Gegenstand)
Indem wir von Gegenstandsvorstellungen sprachen und sie den
Sachverhaltsvorstellungen an die Seite setzten, haben wir durch die
Form des Ausdrucks bereits angedeutet, dass von dem Objektiven,
das wir hier als Vorstellung bezeichneten, so etwas wie Gegenstand
bzw. Sachverhalt zu unterscheiden sei. Wir wollen dies zunächst hier
für unsere Klasse von objektiven Urteilen erläutern. Wenn wir die Be-
deutung des Ausdrucks "der Weiseste der Athener" betrachten, so be-
zieht sich derselbe auf eine gewisse Person; wir wissen, dass diese So-
krates ist. Für den ersten Augenblick möchte es danach scheinen, dass
dieser Gegenstand das Objektive sei, was der Ausdruck meine. Wir
sehen sofort, dass dies unrichtig wäre. Das Objektive, das ausgedrückt
ist und das identisch bleibt, wer immer den Ausdruck verständnisvoll
verwendet, ist ja nicht das reale Objekt Sokrates, sondern nur die Vor-
stellung von ihm, die Vorstellung in unserem objektiven Sinn. Wie ist
es nun mit diesen Vorstellungen? Unterscheiden sie sich bloß nach den
Gegenständen? Sind also die Vorstellungen dieselben, wenn sie sich
auf dieselben Gegenstände beziehen, und verschieden, wenn auf ver-
schiedene? Beispiele belehren uns, dass dies falsch ist. Die Ausdrücke
"Sokrates ", "der Weiseste der Athener", "der Begründer der Lehre
von der Definition", "der Lehrer des Platon" usw. beziehen sich alle
auf identisch denselben Gegenstand, aber die Vorstellungen sind ver-
schieden. Und nicht bloß die subjektiven Vorstellungen; objektiv ist
die Bedeutung der Ausdrücke eine andere. Der objektive Gedanken-
gehalt ist geändert, wenn wir die Ausdrücke miteinander vertauschen,
und damit hängt zusammen, dass denselben Gegenstand betreffende
Wahrheiten uns eine ganz verschiedenartige Belehrung bieten kön-
nen, je nachdem die einen oder anderen Begriffe vermitteln. Ja es
kann sogar in der Erkenntnis der Identität des Gegenstandes verschie-
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 55

dener solcher begrifflicher Vorstellungen eine bedeutsame Erweite-


rung der Erkenntnis liegen. Wie oft verhält es sich (so) in der Mathe-
matik, wo erst nach umständlichen Überlegungen die Identität zweier
durch verschiedene Begriffe veränderter Zahlen oder Figuren erwie-
sen wird. Und selbst in unserem Beispiel wird es ja manchen geben,
der es als ein Neues erfährt, dass Sokrates dieselbe Person ist wie der
Begründer der Lehre von der Definition. 'Aber wer in dieser Lage ist,
hat doch schon, ehe er die Identität der Person erfuhr, die beiden auf
sie bezüglichen Ausdrücke verstanden; er hatte sie je als verschiedene
Vorstellungen. Und auch nach der gewonnenen Erkenntnis werden
die Vorstellungen nicht identisch, sondern es stellt sich eben nur her-
aus, dass ihre Gegenstände identisch sind. Diese Betrachtung macht
es deutlich, dass es objektiv verschiedene Vorstellungen gibt, die iden-
tische Gegenstände vorstellen. l Man sieht, dass man nicht bloß schei-
den muss subjektive Vorstellung und objektiven Gehalt, sondern an
diesem objektiven Gehalt wieder, d.i. an der objektiven Vorstellung,
ihre Materie, wie wir sagen können, und ihren Gegenstand. Objektive
Vorstellungen verschiedener Materie können doch identisch densel-
ben Gegenstand angehen. Und damit hängt es zusammen, dass man
zu großen Irrtümern gelangen muss, wenn man Unterschiede der Ma-
terie, also Unterschiede, welche die Vorstellung selbst angehen, mit
Unterschieden der Gegenstände, die sie vorstellen, zusammenwirft.

§ 5. Einfache und zusammengesetzte Vorstellungen


Dies ist alsbald zu beachten bei der ersten Einteilung der Vorstel-
lungen, die wir jetzt betrachten, nämlich derjenigen in einfache und
zusammengesetzte. Die Ausdrücke der meisten Gegenstandsvorstel-
lungen komponieren sich aus mehreren Worten, und gehen wir den
Bedeutungen nach, so finden wir, mindest in der Regel, dass auch in
ihnen eine Komposition zu konstatieren ist. Wenn ich sage: "ein Mann
wie von Eisen", "ein König, der sich die Achtung seiner Untertanen
erwirbt" u.dgl., so finden wir leicht in den bezüglichen Vorstellungen

1 Ist es nicht besser, wie Bolzano Bedeutung = objektive Vorstellung zu setzen, und nicht
Bedeutung + Gegenstand? Die Bedeutung existiert immer, der Gegenstand nicht. Aber vgl.
das Spätere Ober die wechselnde Beziehung der allgemeinen Prädikate auf diesen oder jenen
Gegenstand. Die Bedeutung bleibt ungeändert, die gegenständliche Beziehung, und damit die
ganze Vorstellung, ändert sich. Und so wird man wohl dabei bleiben, die objektive Vorstellung
von der Bedeutung zu sondern. Doch ist das zwingend?
56 LOGIK

Teilvorstellungen: "Mann", "Eisen", "König", "Achtung" etc. sind


Worte, die diesen zugehören. Hierbei ist aber auf Folgendes zu achten.
In den zusammengesetzten Ausdrücken, die wir hier verwenden, fin-
den wir einzelne Worte, die für sich wieder Vorstellungen bedeuten,
andere hingegen, die es nicht tun, die überhaupt keine abgeschlossene
Bedeutung haben, sondern nur in Zusammenhang mit anderen selb-
ständig bedeutsamen Worten eine Vorstellung ausdrücken können.
So verhält es sich mit den Partikeln. "Ein Mann wie von Eisen":
Das "wie", "von" und auch ihre Verbindung" wie von" bedeutet
für sich nichts, aber trägt zur Bedeutung des ganzen Ausdrucks bei.
Mit Beziehung darauf unterschieden schon die Scholastiker synka-
tegorematische und kategorematische Ausdrücke. Und Mill, der den
Unterschied neuerdings aufgenommen hat, unterscheidet danach die
Ausdrücke, die nicht ganze Sätze sind, in Namen und Nicht-Namen
oder Namen und Ausdrücke, die bloß als Teile von Namen oder Sätzen
auftreten können: Wir akzeptieren diese Unterscheidung hier gern,
bemerken jedoch, dass, wie überhaupt ein Teil der fundamentalen
Deskriptionen, die der theoretischen Logik zugrunde liegen müssen,
bei den Logikern in grammatischer Verhüllung auftritt, so auch hier
das Grammatische nur die Hülle ist, in der ein Logisches steckt, das wir
herauslösen müssen. Wo immer von Zusammengesetztheit und somit
von einem Ganzen und seinen Teilen die Rede ist, da liegt ein Mannig-
faltiges vor, eine Vielheit in einer Einheit. In diesem Mannigfaltigen
müssen wir nun aber scheiden die Elemente, die zusammengesetzt
sind, d.i. die Teile im eigentlichen Sinn, die sich eben im Ganzen einen,
und die Zusammensetzung selbst, also die Verknüpfungen, die die
Teile zur Einheit, zum Ganzen gestalten. Die Teile ohne Verbindung
sind keine Teile, sind Einzelheiten in bloßer Summe. Andererseits
sind die Verbindungen, die Teile mit Teilen oder alle Teile in einem
Schlag zum Ganzen gestalten, sie aneinander knüpfen, nicht selbst
wieder Teile, nicht Einzelheiten neben den anderen Einzelheiten,
sonst bildeten sie mit jenen doch wieder nur eine Summe. Wir bräuch-
ten also eine neue Verbindungsform für die Verknüpfung der Form
mit den Teilen, und so in infinitum.! Wir sehen also, der Unterschied

• Vgl. John Stuart MiII, System der deduktiven und induktiven Logik, übs. von Theodor
Gomperz, Leipzig 1872, Bd. I, Erstes Buch, Kap. 11, § 2.
! Also primär ist die Einteilung der Gegenstände in einfache und zusammengesetzte. u.a.
sind Bedeutungen Gegenstände, also können sie einfach und zusammengesetzt sein. Ebenso
Sätze.
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 57

zwischen Selbständigkeit und Unselbständigkeit liegt in den Dingen


selbst. Sind zwei selbständige Objekte zu einem Ganzen verknüpft,
so ist dieses ein neues selbständiges Objekt, das jene beiden in sich
fasst; aber es ist nicht der Inbegriff jener beiden alles, was vorliegt. Sie
sind auch verbunden, und ihre Verbindung ist ein neues Moment, aber
nicht ein selbständiges Objekt; es ist nichts ohne selbständige Glieder,
die es verknüpft. Wir können es bemerken und beachten, aber zum
vollen Gegenstand wird es nur, wenn wir es" ergänzen", wie der gute
Ausdruck heißt. Wir können von der Besonderheit der verknüpf-
ten Glieder wohl absehen, aber dann bleiben gewissermaßen ergän-
zungsbedürftige Stellen übrig. Wir müssen mindest die unbestimmte
Gegenstandsvorstellung supponieren und haben dann den Gedanken
von etwas, das mit irgendetwas anderem so oder so verknüpft ist. Dies
findet nun auch in unserem Falle Anwendung. Wir müssen bei den
zusammengesetzten Vorstellungen unterscheiden die Teile, die zu-
sammengesetzt werden, und die Zusammensetzungsform, bestehend
aus den oder jenen Verknüpfungen, welche aus einer bloßen Summe
von Einzelheiten das Vorstellungsganze machen. Die Teile, die hier
auftreten, sind selbst wieder Vorstellungen, entweder Gegenstands-
vorstellungen oder Sachverhaltsvorstellungen, also ganze Sätze. Die
Verbindungsformen hingegen sind, wenn sie sozusagen in lebendiger
Funktion genommen werden, nicht Vorstellungen. Ihnen entsprechen
aber Vorstellungen, wenn wir sie herausheben und mindest durch
unbestimmte Beziehungsglieder ergänzen. Z.B. betrachten wir die
objektive Vorstellung "der Kaiser von Deutschland", dann finden
wir die Teilvorstellungen "Kaiser" und "Deutschland", die selbst
Gegenstandsvorstellungen sind. Das" von" stellt zwischen beiden die
Verknüpfung her, nicht bloß grammatisch, sondern sachlich. Sagen
wir: "der deutsche Kaiser", so liegt die Form im Adjektivum und sei-
ner Flexion, und offenbar steckt in demselben ebenfalls die objektive
Vorstellung von Deutschland, obschon in anderer Weise. Nehmen wir
endlich noch den Ausdruck "ein König, welcher seine Untertanen
liebt". Hier tritt ein ganzer Satz innerhalb der Vorstellung auf. Aber
als Teilvorstellung können wir ihn hier nicht bezeichnen, insofern der
Satz keine selbständige Vorstellung darstellt. Der Ausdruck" welcher
seine Untertanen liebt" hat keine selbständige Bedeutung. Der Satz
dient hier zur Verknüpfung; es sind die Vorstellungen " König " und
" Untertanen" in eine gewisse Beziehung gesetzt. In anderen Fällen
hingegen kann ein Satz sehr wohl Bestandteil in einer Vorstellung
LOGIK

sein, Z.B. "Die Eigenschaft, dass die Röntgenstrahlen keine Brechung


zulassen, unterscheidet sie von allen anderen Strahlengattungen ". Im
Subjekt haben wir eine Vorstellung, in der offenbar ein ganzer Satz
ein für sich ablösbarer Bestandteil ist.
Fasst man, so wie wir es getan haben, den Begriff eines Teiles einer
Vorstellung oder einer Teilvorstellung derart also, dass sie wirklich
eine Vorstellung ist, die in einer gegebenen Vorstellung als expliziter
Bestandteil enthalten ist, dann ist es klar, dass zwei zusammengesetzte
Vorstellungen aus denselben Bestandteilen evtl. sogar in gleichartiger
Weise zusammengeknüpft und doch verschieden sein können, Z.B. ,,23
und 32 " , "ein Dreieck, dem ein Kreis eingeschrieben ist", "ein Kreis,
dem ein Dreieck eingeschrieben ist" usw. Selbst wenn sich die Begriffe
auf gleiche Gegenstände beziehen, wie "ein Freund seines Lehrers"
und" ein Lehrer seines Freundes", so sind die Begriffe als solche doch
offenbar verschieden. In diesen Beispielspaaren ist die allgemeine
Form der Verbindung jeweilig dieselbe, aber die verkDüpften Glieder
sind nicht an gleichen Stellen der Form sozusagen eingefügt, und das
macht den Unterschied aus.

§6. Teile von Vorstellungen und Teile von Gegenständen


Wie die Vorstellungen, so können auch ihre Gegenstände zusam-
mengesetzt sein, aber man darf nicht vermengen Teile von Vorstel-
lungen und Teile ihrer Gegenstände. Man darf auch nicht glauben,
dass, weil die Vorstellung den Gegenstand vorstellt, jeder Teil der
Vorstellung einen entsprechenden Gegenstandsteil hat, den sie vor-
stellt. Wenn wir die Vorstellung "rechtwinkliges Dreieck" betrachten,
so deutet allerdings das Adjektiv auf einen Teil des Gegenstandes
hin, der hier wirklich einen rechten Winkel hat. Die Teilvorstellung
"Dreieck" deutet ebenso hin auf die Beschaffenheit der Dreieckig-
keit, die dem Gegenstand zukommt. Und sofern man auch abstrakte
Beschaffenheiten als Teile einer Sache im weiteren Sinne ansehen
kann, mag alles in diesem Beispiel stimmen. Wenn wir aber andere
Beispiele nehmen, etwa "ein Land ohne Berge", "ein Buch, das
keinen Einband hat" u.dgl., so finden wir hier Teilvorstellungen, die
gerade nicht Teile der Sache vorstellen. Und erst recht, wenn wir ein
Beispiel nehmen wie" der Giebel des Hauses ": Hier ist" Haus" eine
Teilvorstellung, aber das Vorgestellte ist hier nicht ein Haus, sondern
eben ein Giebel, und das Haus ist doch nicht Teil des Giebels. Man
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 59
sieht auch, dass Vorstellungen zu;sammengesetzt sein können, deren
Gegenstände einfach sind. So ist ein Raumpunkt etwas Einfaches,
sein Begriff aber, als ein räumliches Gebilde, das keine Teile ein-
schließt, ist offenbar zusammengesetzt. Umgekehrt können Vorstel-
lungen einfach sein und ihre Gegenstände zusammengesetzt. Mindest
ist das klar, dass eine Vorstellung durchaus nicht alle Bestandteile
ihres Gegenstandes in Form von Teilvorstellungen vorstellen muss. So
wird z.B. niemand behaupten, dass die Vorstellung "Bismarck" die
Vorstellungen all der unendlich vielen Muskeln, Nerven, Zellen usw.,
die den gewaltigen Körper des Altreichskanzlers zusammenbauen,
Stück für (Stück in) sich enthalte.

§ 7. Einzelvorstellung, Etwas, Individualvorstellung,


abstrakte und konkrete Vorstellung
Außerordentlich wichtige Unterschiede der Vorstellungen ergeben
sich nach gewissen allgemeinsten Eigentümlichkeiten ihrer Gegen-
stände.
Wir heben deskriptiv hervor zunächst den Unterschied, ob eine
Vorstellung einen einzelnen Gegenstand vorstellt oder ob sie einen
Inbegriff von Gegenständen, eine Vielheit, vorstellt. Beschränken wir
uns auf die ersteren Vorstellungen, so kann der einzelne Gegenstand
zunächst ganz unbestimmt sein; wir erhalten dann die logisch so wich-
tige Vorstellung "Etwas ". Gewissermaßen den völligen Gegensatz zu
der Leerheit dieser Vorstellung bieten Vorstellungen der Art, wie sie
jeder Eigenname zur Bedeutung hat, Sokrates, Afrika usf., also die
Individualvorstellungen. An sie müssen wir dann die abstrakten Vor-
stellungen anreihen, worunter wir Vorstellungen von Abstraktis, von
Attributen verstehen, wie Thgend, Weiße, Zahl 4 usw. Die Abstrakta
sind dadurch charakterisiert, dass sie zu anderen Gegenständen in
der Beziehung stehen, die wir die Beziehung von Gegenstand und
seiner Beschaffenheit nennen;! es ist das Verhältnis der Inhärenz.
Jedes Abstraktum weist also versteckterweise auf Gegenstände hin,
denen es als Beschaffenheit einwohnt: Thgend weist hin auf jemand,
der Thgend hat, Röte auf etwas, das rot ist, 4 auf eine Menge, die
die Objektzahl 4 hat. Offenbar kommt es nicht allen Gegenständen
zu, dass sie anderen Gegenständen inhärieren; nicht von allen Ge-

1 Nicht Beschaffenheit.
60 LOGIK

genständen hat es einen möglichen Sinn zu sagen, sie kämen einem


Gegenstand zu. Es gibt einen guten Sinn zu sagen: "Weisheit ist
etwas dem Sokrates Zukommendes", aber es gibt keinen Sinn zu
sagen: "Sokrates ist etwas Zukommendes." Sokrates hat Beschaffen-
heiten, aber er ist keine Beschaffenheit. Und so zerfallen überhaupt
die Gegenstände in solche, die Beschaffenheiten haben, aber keine
sind, und solche, die Beschaffenheiten sind. Die ersteren nennt man
absolut konkrete Gegenstände, die letzteren abstrakte Gegenstände.
Wenn man von Konkretis schlechthin spricht, so meint man aber
nicht immer absolute Konkreta. Beschaffenheiten können nämlich
wieder Beschaffenheiten haben. So ist 4 als Anzahl einer gewissen
Menge eine Beschaffenheit derselben. Aber 4 selbst hat wieder Be-
schaffenheiten, z.B. Teilbarkeit durch 2 u.dgl. Mit Rücksicht darauf
werden die Ausdrücke "konkret" und "abstrakt" auch als Korrelativa
gebraucht. Ein Gegenstand heißt ein Konkretum in Hinblick auf ein
Abstraktum, das er als Beschaffenheit hat, gleichgültig ob er selbst
wieder Abstraktum ist eines anderen Konkretum oder nicht.

§ 7a. Abstraktum und Beschaffenheit


Ich habe in der letzten Vorlesung auf das Inhärenzverhältnis den
Unterschied zwischen Abstraktum und Konkretum gegründet und
dasselbe auch als Verhältnis von Beschaffenheit und Gegenstand, der
die Beschaffenheit hat, bezeichnet. Gewisse logische Interessen lassen
es mir als wünschenswert erscheinen, hier doch eine Trennung einzu-
führen. l In weiterem Sinn können wir ja von jeder Beschaffenheit
sagen, dass sie ihrem Gegenstand anhänge, ihm inhäriere. Aber das
Inhärieren kann auch in einem engeren Sinn verstanden werden, bei
dem das Abstraktum als Teil des Konkretum angesehen werden kann,
während dies sonst nicht der Fall ist. Wenn ich ein Haus als rot be-
zeichne, so ist die Röte ein abstraktes Moment in der Anschauung des
Hauses, sie ist nicht ein Stück desselben, nicht ein physischer Teil, aber
in gewisser Art doch ein Teil; sie ist etwas in ihm Enthaltenes, ihm an
und für sich Angehöriges und daher aus der anschaulichen Einheit für
sich Hervorzuhebendes, für sich Merkbares. 2 Wenn wir hingegen das
1Abstrakter Teil und abstrakter Begriff ist zu scheiden.
2Nein. Dieses Haus hat diese individuelle Farbe als Bestandteil, welche ihrerseits individuelle
Farbe ist, also Gegenstand des Begriffs Farbe, näher: Gegenstand des Begriffs der niedersten
Spezies. Die individuelle Beschaffenheit inhäriert dem Gegenstand. Aber dadurch ist eine
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 61

Haus (als) kleiner bezeichnen als die Kirche, so gilt das Gesagte doch
nicht von der Beschaffenheit" kleiner sein als die Kirche", die nichts
dem Haus Innewohnendes, als Bestandstück desselben zu Fassendes,
aber doch ihm Zukommendes ist. Beschränken wir also das Inhärieren
auf dieses nicht weiter zu beschreibende Einwohnen, wie es in den
Verhältnissen von Gegenstand und Farbe, Form u.dgl. zu erfassen
ist, so gewinnt auch der Begriff des Abstraktum einen prägnanten
Gehalt. Der Gegenstand, dem das Abstraktum innewohnt, ist dann
das Konkretum. Von diesem Begriffspaar ist dann zu trennen das neue
Begriffspaar Beschaffenheit und Träger oder Subjekt der Beschaffen-
heit. Dem letzteren Paar entspricht das Verhältnis des Zukommens
oder das prädikative Verhältnis.

§ 8. Innere und äußere Beschaffenheiten


Jedem Abstraktum korrespondiert eine gewisse Beschaffenheit.
Dem Abstraktum rote Farbe entspricht die Beschaffenheit des Rot-
seins, dem Abstraktum Farbe die Beschaffenheit des Farbigseins, dem
Abstraktum Tugend das Tugendhaftsein, dem Abstraktum Dreieck
das Dreieckigsein usw. In allen diesen Fällen steckt das Abstraktum
in gewisser Weise als Teil in der Beschaffenheit. 1 Anstatt "rot sein"
können wir auch sagen: "rote Farbe haben", anstatt "tugendhaft
sein" können wir auch sagen: "Tugend haben" usw. In dieser Aus-

bestimmte Beziehung zum Begriff, zu dieser Beschaffenheit selbst hergestellt, welche ebenfalls
Inhärenz genannt zu werden pflegt. Aber das ist eine Übertragung! Der Begriff inhäriert nicht
im Gegenstand. Im anderen Fall ist das der Beschaffenheit umnittelbar zugehörige Fundament
nicht ein (im eigentlichen Sinn) Inhärierendes, sondern sozusagen Adhärierendes in der Weise
einer relativen Bestimmung. Das heißt, A hat nicht Bo, sondern A ist selbst Teil eines Sachver-
halts, in dem Bo als unselbständiges Moment auftritt, welches A mit als Grundlage hat. Subjekt
einer Beschaffenheit ist immer der Gegenstand, nicht sein Abstraktum. Dieses individuelle Rot
hat nicht die Beschaffenheit, rot zu sein! Es ist ein Fall von Rot, aber nicht ein Rotseiendes,
nicht ein Rotes, aber ein Rot. Das wiederholt sich im Verhältnis zwischen Rot und Farbe.
1 Missverständnis! Dem Abstraktum im echten Sinn entspricht die zugehörige Spezies (Röte).
.. G hat Röte" = .. G ist rot". Und im anderen Sinn: .. Es hat ein individuelles Rot." Im zweiten
Ausdruck ist die Unselbständigkeit angedeutet, im ersten das zugrunde liegende Teilverhältnis.
Da tritt aber eine Verwicklung ein: ..G hat die Eigenschaft, Röte zu haben oder rot zu sein", .. G
ist etwas, das rot ist, dem Rotsein zukommt", in infinitum. Hier ist also das Verhältnis zwischen
G und der Beschaffenheit Röte in der Weise gewöhnlicher Verhältnisse prädikativ zerlegt,
wodurch das neue Prädikat, die neue Beschaffenheit .. Röte haben", .. rot sein", entspringt. Und
so in infinitum. All diese Reflexionsprädikate sind äquivalent. Zu jeder Relation A <p B gehört
ein grammatisches Prädikat <p B, so auch zur Relation .. A hat B". Diesem Prädikat entspricht
eine neue relative Beschaffenheit: .. rechts von B sein", .. B haben".
62 LOGIK

drucksform finden wir auch sprachlich das Abstraktum als Bestandteil


hervortretend. Überall ist hier das Abstraktum gerade Abstraktum
des Subjekts der entsprechenden Beschaffenheit. Und überdies findet
man, dass die Beschaffenheitsvorstellung keine sonstigen Teilvorstel-
lungen enthält, die auf anderes als solche Abstrakta gingen. Aber
nicht immer ist die Sachlage die eben geschilderte. Wenn wir sagen:
"Das Haus ist kleiner als die Kirche", so schließt die Beschaffenheit
"kleiner sein als die Kirche" nicht ein Abstraktum ein, dessen zu-
gehöriges Konkretum das Haus wäre. Zwar eine gewisse Beziehung
zu einem Abstraktum könnte man auch hier finden. Wenn wir in der
Anschauung das Haus zusammen mit der Kirche haben, dann bilden
sie eine einheitliche Anschauung, in der das Größenverhältnis min-
dest ein Analogon eines abstrakten qualitativen Moments ist. Aber
dieses Abstraktum oder Analogon von einem Abstraktum hat sein
Konkretum in der anschaulichen Einheit von Haus und Kirche. Das
Verhältnis ist nicht etwas dem Haus für sich Innewohnendes, wie es
auch nicht als Bestandteil in der Beschaffenheit des Hauses, kleiner als
die Kirche zu sein, steckt. Anstatt eines Abstraktums von Haus finden
wir hier in der Beschaffenheitsvorstellung eine andere Teilvorstellung:
Kirche, die einen dem Haus an sich betrachtet äußerlichen Gegen-
stand herbeizieht. Offenbar gibt es unzählige Beschaffenheiten, die
denselben lYpus haben wie dieses Beispiel. Schüler des Sokrates,
Lehrer des Aristoteles, Freund des Theophrast zu sein, sind etwa sol-
che Beschaffenheiten. Auch das Beispiel" rot wie Zinnober", etwa als
Beschaffenheit des Hauses gedacht, gehört in die zweite Gruppe. Röte
ist zwar ein Abstraktum, das dem Subjekte unserer Beschaffenheit
inhäriert, aber der Zusatz" wie Zinnober" drückt nicht mehr etwas
aus, was dem Subjekte inhärierte, es führt auf ein dem Haus Fremdes. l
Die wichtige Unterscheidung, auf die wir hier geführt werden, ist
die zwischen inneren und äußeren Beschaffenheiten. Innere Beschaf-
fenheiten nennt man auch Eigenschaften, äußere Beschaffenheiten
auch relative Beschaffenheiten, in älterer Zeit auch Verhältnisse.2 Die
Definition kann man so fassen: Beschaffenheiten, die keine anderen
Teilbeschaffenheiten3 enthalten als solche, die Abstrakta des Subjekts
oder überhaupt Teile des Subjekts als diesem zukommend vorstel-
1 Abstraktum und abstrakter Begriff ist zu unterscheiden.
2 Vgl. (Bemard) Bolzano, (Wissenschafts/ehre, Sulzbach 1837, Bd. I, §80). Viel zu eng!
3 Teilvorstellungen sind hier Vorstellungen selbständiger Gegenstände. Aber das stimmt
nicht!
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE

len, heißen innere Beschaffenheiten, alle anderen Beschaffenheiten


äußere. 1 In den letzteren muss sich also mindest eine Teilvorstel-
lung finden. Jede Beschaffenheitsvorstellung enthält mindest eine
Teilvorstellung. Der prädikativen Beziehung von Subjekt und seiner
Beschaffenheit entspricht im ersten Fall das Inhärenzverhältnis, das
Verhältnis zwischen Konkretum und Abstraktum, im zweiten Fall ein
anderes Verhältnis, z.B. Verhältnis zwischen Vater und Sohn, König
und Untertan, das Größenverhältnis usw. 2
Wenn wir Beschaffenheiten und Abstrakta gegenübergestellt ha-
ben, so ist doch von uns nicht ohne weiteres behauptet worden, dass es
sich da um ausschließende Begriffe handle. Die innere Beschaffenheit
ist freilich sicher nicht Abstraktum des Subjekts. Aber ob sie, und so
jede Beschaffenheit, nicht als Abstraktum des Sachverhalts angese-
hen werden kann, der sie und ihr Subjekt verbindet? Z.B. "Dieses
Papier ist weiß": Das Weißsein ist kein Abstraktum des Papiers,
sondern nur die Weiße. Aber ist nicht das Weißsein Abstraktum in
Beziehung auf die ganze Komplexion" Dieses Papier ist weiß" (oder
auch Abstraktum im Ganzen: weiß seiendes Papier)? Der Psychologe
würde hier wohl von Abstraktion sprechen können. Aber logisch
finden wir hier doch etwas ganz anderes als ein Abstraktum. Wenn
wir im Sachverhalt ein unselbständiges Moment finden, so inhäriert
dieses doch nicht dem Sachverhalt.

§ 9. Beschaffenheiten von Beschaffenheiten. Absolute Subjekte


Die Unterscheidung von Konkretum und Abstraktum ist, wie wir
letzthin hörten, eine relative, sofern einem Abstraktum selbst wieder
Abstrakta inhärieren können. Es gibt aber Gegenstände, die zwar
Abstrakta haben, aber nicht Abstrakta sind. Wir nannten sie ab-
solute Konkreta. Dasselbe gilt von Beschaffenheiten in dem heute
geklärten Sinn. Beschaffenheiten können wieder Beschaffenheiten
haben, wie wenn ich sage: "Das Rotsein ist eine Art des Farbigseins. "
Dem Prädikat entspricht natürlich eine Beschaffenheit. Aber es gibt

1 Begriffe von selbständigen oder unselbständigen Teilen des SUbjekts sind innere Beschaffen-
heiten. Hierbei denken wir sie als einem Subjekte zukommend. Sonst sprechen wir schlechthin
von Gattungsbegriffen.
2 Vielleicht muss man innere und äußere Abstrakta unterscheiden. Innere Abstrakta, unselb-
ständige Momente des Gegenstands, äußere unselbständige Momente des Sachverhalts, in den
der Gegenstand eingewoben ist": "rot", "größer als B".
LOGIK

Gegenstände, die zwar als Träger von Beschaffenheiten, als Subjek-


te, fungieren können, die aber nicht selbst wieder Beschaffenheiten
sind, also gewissermaßen absolute Subjekte. Zu ihnen gehören aber
natürlich sowohl Abstrakta als Konkreta. Jedes absolute Konkretum
ist auch absolutes Subjekt. Das Abstraktum Kreis l ist so wenig ei-
ne Beschaffenheit als Sokrates. Dagegen sind Beschaffenheiten "die
Form eines Kreises haben" identisch mit" Sokrates sein" u.dgl.

§ 10. Beschaffenheiten und Prädikate


Beschaffenheiten sind in unserem Sinn Gegenstände ebenso gut
wie Abstrakta oder Individuen. Aber sie haben das Eigentümliche,
dass sie, anders wie diese, sozusagen bloß Vergegenständlichungen
von Prädikaten sind. In dem Sachverhalt "Gold ist schwer" reprä-
sentiert "schwer" das Prädikat. Aber das Wörtchen deutet hier nicht
eine Teilvorstellung in unserem strengen Sinn an, also nicht einen
selbständig ablösbaren Teil des ganzen Sachverhalts. Ich kann ganz
richtig nicht sagen: "Gold ist Schwersein, ist Schwere. " Sowie wir die
Ablösung versuchen und vollziehen, nehmen wir unweigerlich eine
gewisse Änderung vor, aus "schwer" wird dann "das Schwersein"
oder, wenn wir auf das pure Abstraktum achten, "die Schwere"; das
"schwer" ganz so wie das "rot", "die Schwere" ganz so wie "die
Röte". Im letzteren Fall kann entweder der abstrakte Begriff gemeint
sein, sozusagen für sich, oder es kann die Beziehung zu dem entspre-
chenden Subjekte mitgemeint sein; "Schwere" als Beschaffenheit und
"schwer" als Gattungs- oder Artbegriff. Lassen wir das Abstraktum
beiseite, so sehen wir, dass dem Prädikatbestandteil des Satzes eine
Beschaffenheitsvorstellung entspricht, und dies gilt offenbar ganz all-
gemein in jedem Satz, der eben ein Prädikat hat, und mit Beziehung
auf jedes Prädikat. Diese Vergegenständlichung nehmen wir immer
vor, wenn wir den Satz umkehren, Z.B. sagen: "Das Schwersein ist
eine Beschaffenheit des Goldes. " Wir können keinen Satz so umkeh-
ren, dass wir das Prädikat unverändert ins Subjekt verwandeln, denn
Subjekt eines Satzes kann nur eine Gegenstandsvorstellung sein, und
das Prädikat ist eben keine Gegenstandsvorstellung.Ihr entspricht

1 (Das ist doch die Kreisgestalt.) Die Kreisgestalt ist doch wie jeder abstrakte Begriff eine
Beschaffenheit, es sei denn, dass wir (zu) dieser Beschaffenheit den Begriff des Zukommens
hinzunehmen. Dann ist Röte als Spezies keine Beschaffenheit.
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE

aber eine solche, nämlich die objektivierte Beschaffenheit, in welcher


dann, ähnlich wie vorher im Satze, das Prädikat als unselbständiger
Bestandteil auftritt: In der Beschaffenheit "Schwersein " finden wir
das Prädikat " schwer " wieder. Und in dieser eigentümlichen Weise
entspricht jedem Prädikat eine Beschaffenheit und umgekehrt jeder
Beschaffenheit ein Prädikat.
Damit hängt es zusammen, dass man ganz gewöhnlich die Be-
schaffenheiten selbst als Prädikate bezeichnet. Man sagt z.ll.: "die
Prädikate der Farbigkeit, Durchsichtigkeit usw." Aber " Farbigkeit "
ist doch im eigentlichen Sinn nicht Prädikat eines Satzes, sondern
" farbig". Sind die Beschaffenheiten innere, also Eigenschaften, dann
macht, wie wir wissen, ein gewisses Abstraktum des Subjekts in un-
mittelbar ersichtlicher Weise den Körper sozusagen des Prädikats und
der Beschaffenheit aus. Und so kommt es, dass man mitunter auch die
Abstrakta selbst als Prädikate bezeichnet, wie wenn man sagt: "die
Prädikate Farbe, Kreisform " u.dgl. Auch werden diese Abstrakta ge-
legentlich als Beschaffenheiten und Eigenschaften bezeichnet, worin
wieder eine Übertragung liegt.

§ I I. Begriffdes Begriffs
Alle diese Wendungen macht nun auch ein anderer Terminus mit,
der in aller Logik eine große Rolle spielt, ohne je scharf definiert
zu werden: Ich meine den Terminus Begriff. Wir hörten, dass er von
Herbart und seiner Schule in so extendiertem Sinne verwendet wur-
de, dass er alle objektiven Gegenstandsvorstellungen umfasst, selbst
Individqalvorstellungen wie Sokrates. Herbart empfand eben das Be-
dürfnis nach einem Terminus, der möglichst von subjektivistischer
Färbung frei ist. Das ist beim Terminus Begriff der Fall, und so wählte
er ihn als Klassenterminus. Aber in der traditionellen Logik und
außerhalb der herbartschen Schule ist die Bedeutung desselben eine
unvergleichlich engere, aber leider nicht scharf abgegrenzte. Sehen wir
näher zu, so finden wir bald, dass die verschiedenen Verwendungswei-
sen zusammenhängen und alle auf die Übertragungen hinauslaufen,
die wir soeben beim Terminus Prädikat und Beschaffenheit kennen
gelernt haben. Man sagt z.ll.: In dem kategorischen Satz "Sokrates
ist weise" steckt als Subjekt ein Gegenstand, als Prädikat ein Begriff.
Man spricht aber auch vom Begriff des Weiseseins, der Weisheit. Das
Schädliche der Äquivokation verschwindet, sowie wir die Sachlage
66 LOGIK

geklärt und zwischen Prädikat im eigentlichen Sinn, objektiviertem


Prädikat oder Beschaffenheit, und dem innewohnenden Abstraktum
unterschieden haben. Wollen wir den Begriff als Gegenstand definie-
ren, dann müssen wir die Beschaffenheit Begriff nennen. Das Prädikat
im eigentlichen Sinn wäre dann nicht ein Begriff, aber ihm entspräche
als Objektivierung ein Begriff. Identifizieren wir aber Begriff und
Prädikat, dann ist die Vorstellung des Begriffs keine volle Vorstellung,
sondern Bestandteil einer solchen, nämlich Bestandteil einer Sach-
verhaltsvorstellung. Ich werde die letztere Redeweise bevorzugen,
da ohne Zweifel das Prädikat gegenüber der Beschaffenheit als ein
Primäres anzusehen ist, wie daraus hervorgeht, dass das Prädikat in
der Beschaffenheit Teil ist.

§ 12. Gegenstand eines Begriffs


Wo man von Begriff spricht, da ist auch die Rede von einem Ge-
genstand des Begriffs nicht fern. Darunter ist natürlich zu verstehen
ein Subjekt des betreffenden Prädikats resp. ein Subjekt der zugehö-
rigen Beschaffenheit. Ist birgendeine Beschaffenheit, so "fungiert"
in einem Satz der Form "A hat die Beschaffenheit b" A als Subjekt
der Beschaffenheit. A ist wirklich Subjekt, wenn dieser Satz wahr ist.
Wenn wir die Vorstellung A allein nehmen, so ist sie zwar Vorstellung
eines Subjekts dieser Beschaffenheit, aber sie stellt nicht ihren Gegen-
stand als Subjekt vor. Aber eine Vorstellung, die dies leistet, können
wir jederzeit bilden. Offenbar stellt die Bedeutung des Ausdrucks" A,
welches die Beschaffenheit b hat" A als Subjekt der Beschaffenheit
b vor. Eine solche Vorstellung heißt eine Attributivvorstellung, z.B.
"Sokrates, welcher die Beschaffenheit der Weisheit hat" oder auch
"Sokrates, welcher weise ist". Im letzteren Ausdruck ist Sokrates als
Gegenstand des Begriffs" weise" vorgestellt. Attributivvorstellungen
sind manche solche Gegenstandsvorstellungen, welche Gegenstände
als Gegenstände gewisser Begriffe bzw. Beschaffenheiten vorstellen.
Die Gegenstände können auch unbestimmt sein, wie wenn wir sa-
gen: "jemand, der weise ist" oder: "etwas, das weise ist". Sagen wir:
"jemand", so ist damit gemeint eine Person, d.h. etwas, das Person ist.
Hier ist der Gegenstand also zunächst als Gegenstand eines anderen
Begriffs gedacht und dann erst als Gegenstand des Begriffs" weise".
In der ersteren Gegenstandsvorstellung ist das Subjekt völlig unbe-
stimmt. Und so werden wir überhaupt auf zwei wesentlich verschie-
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE

dene Fälle zurückgeführt: Entweder es fungiert letztlich als Träger ein


bestimmter Gegenstand oder es fungiert als Träger ein unbestimmter
Gegenstand, Etwas. Wo der unbestimmte Artikel auftritt, da haben
wir es in der Regel mit unbestimmten Attributivvorstellungen zu tun,
also mit Vorstellungen eines einzelnen, aber nicht bestimmten, nicht
aufgewiesenen Gegenstandes des Begriffs: ein Mensch, ein Baum, ein
Rotesusw.
Ich muss noch erwähnen, dass in der traditionellen Logik diese un-
bestimmten Attributivvorstellungen öfter als konkrete Vorstellungen
definiert worden sind, während man die der entsprechenden Beschaf-
fenheiten oder Abstrakta (ohne beides auseinander zu halten) als
abstrakte Vorstellungen bezeichnet hat. Ich brauche nicht die Gründe
auseinander zu setzen, warum ich diese Sprechweise als eine sehr
unpassende finde.

(§) 13. Merkmal


Wo von Begriffen und Gegenständen derselben die Rede ist, da
ist ferner die Rede von Merkmalen dieser Begriffe und Gegenstände
nicht weit. Wieder ist der Terminus Merkmal mit Äquivokationen
behaftet, und zwar mit überaus schädlichen. Nicht selten wird der
Begriff des Merkmals so weit gebraucht, dass er schließlich jede
Beschaffenheit und zugleich jedes Prädikat bezeichnen· kann. Zu-
gleich unterscheidet man aber nicht zwischen Beschaffenheit und Be-
schaffenheitsvorstellung, Prädikat und Prädikatvorstellung, was auf
Identifikation des Begriffs Merkmal mit dem Begriff des Begriffs
hinauskommen würde. Meistens hat man jedoch einzelne Teilbe-
schaffenheiten im Auge, aus denen eine Beschaffenheit sich zusam-
mensetzt, bzw. einzelne Teilprädikate, die in ein umfassendes Prädi-
kat eingehen und die den Gegenständen des letzteren zukommen.
Z.B. im Begriff homo, sagt man, finden sich die Merkmale animal
und rationale; im Begriff des roten Vierecks die Merkmale Rot und
Viereckig usw. Nun spricht man aber zugleich von Merkmalen des
Begriffs und von Merkmalen seiner Gegenstände. Das ist eine ganz
verkehrte Redeweise. Versteht man unter Merkmalen des Begriffs
Teilbeschaffenheiten, die er vereinigt vorstellt, oder in dem Begriff
vorgestellte Teilprädikate, so kann man nicht von Merkmalen des
Gegenstandes sprechen. Zwar die Merkmale sind Beschaffenheiten,
die dem Gegenstand zukommen. Ist ein Gegenstand ein rotes Vier-
68 LOGIK

eck, so kommt es ihm zu, rot zu sein und viereckig zu sein. Aber
der Gegenstand ist doch nicht eine Beschaffenheit, in der diese Be-
schaffenheiten als Teile enthalten wären. Und umgekehrt sind die
einzelnen Beschaffenheiten, die dem Gegenstand zukommen, nicht
Beschaffenheiten, die seinem Begriff oder seiner Gesamtbeschaffen-
heit zukommen. Der Begriff des roten Vierecks ist nicht rot und nicht
viereckig, er enthält nur die Teilbegriffe Rot und Viereckig. Wir müs-
sen also durchaus scheiden: Merkmalbegriffe, aus denen ein Begriff
sich zusammensetzt, und Merkmale des Begriffs, d.h. Merkmale, die
ihm zukommen. Unter Merkmalen verstehen wir Teilbegriffe eines
Begriffs, die Beschaffenheiten sind, welche seinen Gegenständen zu-
kommen, nicht aber Beschaffenheiten, die dem Begriff zukommen.
Folglich dürfen wir nicht zugleich sagen: "Merkmal des Begriffs" und
"Merkmal des Gegenstandes", als ob der Genitiv dasselbe bedeu-
tet. Akzeptieren wir die Rede von Merkmalen des Gegenstandes,
so müssen wir dann statt von Merkmalen des Begriffs vielmehr von
Merkmalen sprechen, die durch Teilbegriffe des Begriffs vorgestellt
werden, resp. von Merkmalbegriffen, aus denen der Begriff sich kon-
stituiert.
Offenbar ist die Redeweise von Merkmalen des Begriffs, wo nicht
Beschaffenheiten desselben gemeint sind, eine leichter aufzugebende
als die Redeweise von Merkmalen des Gegenstandes im Sinne von
Beschaffenheiten desselben. Und danach wollen wir uns richten. Am
besten wäre es schließlich, den Terminus möglichst zu vermeiden.
Nichts hat zu dem Irrtum, als ob die Gegenstände aus bloßen Begriffen
zusammengesetzt wären, mehr beigetragen als die eben besprochene
Äquivokation des Ausdrucks "Merkmal von etwas". Man hat völ-
lig übersehen, dass es etwas total Verschiedenes ist, einem Begriff
Eigenschaften zuzuschreiben und einem Gegenstand Eigenschaften
zuzuschreiben, so dass es nichts weniger als zusammenfällt, von Ei-
genschaften des Begriffs und Eigenschaften seiner Gegenstände zu
sprechen. l
Wir haben soeben von Teilbegriffen und Teilbeschaffenheiten ge-
sprochen. Dies bedarf noch einer Erläuterung. Sind rot, rund, schwer
... irgendwelche einzelne Prädikate, so lassen sie sich immer zu einem

1 Gestrichen Und wieder hat man übersehen, dass Begriffe eben Prädikate sind, während
Gegenstände durchaus nicht Prädikate sind, so dass es absurd ist, einen Gegenstand des Begriffs
rotes Viereck als Kompositum der Begriffe Rot und Viereck zusammensetzen zu wollen.
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE

vereinigten Prädikat verbinden: rot und rund, rot und schwer usw.
Zwar ist die Prädizierung nicht eine doppelte, wenn ich einen Ge-
genstand rot und rund nenne. In einem ScWage sozusagen empfängt
er das vereinigte Prädikat, aber die Teile desselben sind so, dass sie
dem Gegenstand auch für sich zukommen und dass sie überhaupt als
Prädikate in Sachverhalten fungieren können; und das allein gehört
zum Gehalt des Begriffs Begriff. Hier können wir also sagen, der
vereinigte Begriff enthalte explicite die Teilbegriffe Schwer, Rund
usw. Betrachten wir nun die zugehörige einheitliche Beschaffenheit,
so können wir von ihr nicht sagen, sie enthalte explicite die entspre-
chenden Einzelbeschaffenheiten. Die einheitliche Eigenschaft, rot
und rund zu sein, enthält die beiden Begriffe Rot und Rund, aber nicht
die zwei Beschaffenheiten, rot zu sein und rund zu sein, ich meine
explicite als gesondert auftretende Bestandteile. Aber diese beiden
Beschaffenheiten hängen so nah mit der ursprünglichen zusammen,
dass wir von selbst darauf kommen, diese als ihre Verknüpfung zu
bezeichnen. Jeder Gegenstand, der die Beschaffenheiten hat, rot zu
sein und rund zu sein, hat auch die Beschaffenheit, rot und rund
zu sein, und umgekehrt. Und darum nennen wir die Beschaffenhei-
ten ebenso zusammengesetzt wie die ihnen entsprechenden Begrif-
fe.
Im Übrigen sind die Begriffe nicht immer so aneinander gebun-
den wie in diesen Beispielen, also nach Art einer Summe, in der
die Glieder miteinander willkürlich vertauscht werden können. Ver-
bindungen von Prädikaten, die diese Form haben, heißen konjunk-
tive Verbindungen. Aber es gibt auch andere Verbindungen. Schon
wenn wir sagen: "rot und viereckig", andererseits: "ein rotes Vier-
eck", merken wir einen Unterschied. Im letzteren Fall ist" Viereck"
als Hauptbestandteil bevorzugt: ein rotes Viereck, das ist ein Vier-
eck, welches rot ist. Eine Vorstellung bildet hier das Fundament für
die andere, während im anderen Beispiel die beiden Begriffe Rot
und Viereckig nebeneinander geordnet sind. Eine solche Verbindung
heißt eine determinative. Bei beiden Verknüpfungsarten gilt es aber,
dass die Teilbegriffe Prädikate vorstellen, die den Gegenständen des
komponierten Begriffs zukommen. Dies gilt offenbar nicht bei allen
Zusammensetzungsarten. Wenn wir das komponierte Prädikat "rot
oder blau" nennen, so ist der Gegenstand, den wir rot oder blau
nennen, nicht rot und blau. In diesem Fall würde man auch nicht
"rot und blau" als Merkmal des Begriffs "rot oder blau" bezeichnen.
70 LOGIK

Man hatte dabei ausschließlich die erwähnten Verbindungen im Auge,


in denen die Teilprädikate auch Prädikate des Begriffsgegenstandes
sind.

§ 14. Inhalt des Begriffs


Wir können geradezu sagen: Unter Merkmalen, aus denen ein
Begriff sich konstituiert, sind die konjunktiven oder determinativen
Teilbegriffe desselben zu verstehen. Und hierin können wir alsbald
den so oft verwendeten Ausdruck" Inhalt eines Begriffs" definieren:
Unter Inhalt eines Begriffs versteht man die Gesamtheit der einan-
der disjunkten, sei es konjunktiven oder determinativen Teilbegriffe.
Unter disjunkten verstehe ich hier solche Teilbegriffe, die keine kon-
junktiven oder determinativen Teilbegriffe gemeinsam haben, so dass
keiner doppelt gezählt wird. Wir können natürlich auch sagen: Die
Gesamtheit disjunkter Merkmale, aus denen ein Begriff sich konsti-
tuiert, ist sein Inhalt. Ist der Begriff nicht eine konjunktive oder deter-
minative Verknüpfung, also in dieser Hinsicht einfach, so nennen wir
ihn selbst seinen Inhalt. Danach wäre Z.B. der Inhalt des Begriffs" rot
oder blau" "rot oder blau". Der Inhalt des Begriffs "rotes Viereck"
wäre der Inbegriff der beiden Begriffe Rot und Viereckig.
Von jedem Merkmal sagen wir, es gehöre zum Inhalt des Begriffs.
Unter Inhalt des Begriffs wird mitunter aber viel mehr verstanden,
als hier angegeben ist. Wir werden in der Lehre von den Wahrheiten
hören, dass an .gewisse Prädikate sich als notwendige Folgen weite-
re Prädikate evtl. in unendlich großer Zahl anknüpfen können der-
art, dass jeder Gegenstand der ursprünglichen Merkmale notwendig
auch die abgeleiteten besitzen muss. So ist der Kreis definiert als
der geometrische Ort der Punkte, die von einem gegebenen Punkt
gleich weit abstehen. In dem Kapitel der Geometrie, welches von
Kreisen handelt, werden nun aufgrund dieser oder einer sonstigen
Definition mannigfaltige Sätze über Kreise abgeleitet, und jeder die-
ser Sätze schreibt dem Kreis neue und neue Beschaffenheiten zu,
die, wie man sich bildlich ausdrückt, in dem durch die Definition
festgelegten Begriff des Kreises gegründet, in ihm eingeschlossen
sind. Aber eingeschlossen sind all diese Merkmale doch nicht als
explizite Bestandteile des Begriffs, sie kommen ja nicht unter den
definitorischen Merkmalen vor. Sie stecken nur bildlich in ihnen,
sie werden aus ihnen durch Deduktion herausgezogen. Jedenfalls ist
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 71
die Gesamtheit von Beschaffenheiten, die den Gegenständen eines
Begriffs als notwendige Folgen der ihn konstituierenden Merkmale
zukommen, eine objektiv geschlossene Einheit, und diese ist es, die
man den idealen Inhalt des Begriffs gelegentlich nennen hört. Die
ursprünglichen Merkmale pflegt man hierbei auch noch mitzurech-
nen. Die Merkmale, aus denen ein Begriff sich wirklich konstituiert,
die also seinem Inhalt im gewöhnlichen Sinne des Wortes zugehören,
nennt man auch konstitutive Merkmale, die aus ihnen ableitbaren die
konsekutiven. Die Gesamtheit der konstitutiven und konsekutiven
Merkmale, die zu einem Begriff gehören, ist also der ideale Inhalt des
Begriffs.
Danach gehören all die ungezählten Beschaffenheiten, die in der
Kreislehre von den Kreisen ausgesagt werden, zum idealen Inhalt des
Begriffs Kreis, denn sie alle sind rein deduktive Konsequenzen der
Definition, welche die ursprünglichen oder konstitutiven Merkmale
des Kreises aufzählt. Im Grunde genommen gehören aber die zuletzt
erörterten Begriffe nicht in die Lehre von den Elementen, denn wir
setzten hier einen Begriff voraus, der erst in späteren Teilen der Logik
wirklich erörtert werden kann: den Begriff der Deduktion.

§ 15. Umfang des Begriffs


Gehen wir in der Deskription weiter. Bei Begriffen spricht man
auch von einem Umfang, ja in der traditionellen Logik weist man
sogar jeder Vorstellung einen Umfang an und unterscheidet die Vor-
stellungen, je nachdem sie einen oder viele Gegenstände oder sogar
keine vorstellen, so dass es scheinen könnte, als handle es sich hier
um den Unterschied von singulären und pluralen Vorstellungen, noch
erweitert um die Vorstellungen, die angeblich keine Gegenstände vor-
stellen. Indessen, hinter all dem stecken wieder erhebliche Unklarhei-
ten. Ich muss darauf bestehen, dass man nur bei begrifflichen Vorstel-
lungen von einem Umfang spricht. Überlegen wir, was das heißen soll.
Eine begriffliche Vorstellung stellt wie jede Vorstellung etwas vor, und
dieses ist hier ein Prädikat, z.B. rot. Eine nichtbegriffliche Vorstellung
wie "Sokrates" stellt einen andersartigen Gegenstand vor. Aber in
beiden Beispielen ist es ein Einzelnes, was vorgestellt wird, ein einzel-
nes Prädikat dort, ein einzelnes reales Ding hier. Also der Unterschied
besteht sicher nicht darin, dass jene begriffliche Vorstellung vieles vor-
stellt und diese individuelle Vorstellung nur eins. Und doch sprechen
72 LOGIK

wir im einen Fall von einem Umfang, im anderen nicht. Was ist es nun,
was gemeint ist? Ein Prädikat kommt einem Subjekt zu; bei einem
Individuum kann ich nicht sagen, es komme irgendeinem Subjekt zu.
Und nur in diesem Unterschied müssen wir die Quelle des Begriffs
Umfang suchen. In der Tat sind a, b, c ... irgendwelche Gegenstände,
denen es in Wahrheit zukommt, rot zu sein, derart also, dass die Sätze
gelten: "a ist rot", "b ist rot" usf. So gehören alle diese Gegenstände
zum Umkreis der Gegenstände überhaupt, von denen ich in Wahrheit
aussagen kann, dass sie rot seien. Alle diese Gegenstände sind durch
ihre Beziehung zum Begriff Rot, dessen "Begriffsgegenstand" sie
sind, in gewisser Weise zusammengebunden. Und so kann man sie zu
einer Einheit zusammengefasst denken, d.h. man kann die objektive
Vorstellung bilden von der Gesamtheit der einzelnen Gegenstände,
denen es wahrhaft zukommt, rot zu sein, und kann diese Gesamtheit
den Umfang des Begriffs Rot nennen. Der Begriff Rot, also das Prä-
dikat Rot, ist nicht etwa eine Vorstellung, die alle diese Gegenstände
vorstellt. Das Prädikat Rot ist nicht eine Vorstellung, sondern Gegen-
stand einer Vorstellung, nämlich der Prädikatvorstellung. Auch die
entsprechende Attributivvorstellung "ein Rotes" stellt nicht alle diese
Gegenstände vor; was diese vorstellt, ist vielmehr ein unbestimmter
Gegenstand, welcher rot ist, also ein unbestimmter, aus dem Umfang
herausgegriffener Gegenstand. Durch weitere Determinationen kann
zwar aus dieser Attributivvorstellung eine andere hergeleitet werden,
die dem oder jenem bestimmten Gegenstand des Umfangs ausschließ-
lich zukommt, und die Determinationen können so gewählt werden,
dass ein jedes Glied des Umfangs dabei resultiert. Aber an und für
sich können wir doch von keinem bestimmten Gegenstand, der rot
ist, behaupten, dass er durch die Vorstellung "ein Rotes" vorgestellt
wird. Täuschend ist hier nur die Redeweise, vermöge deren wir jeder
Röte eben das Prädikat geben können, es sei ein Rotes. Aber hier steht
nicht als Prädikat die unbestimmte Attributivvorstellung, sondern der
gleiche sprachliche Ausdruck verhüllt hier das einfache Prädikat Rot.
"Dieses ist ein Rotes" und "Dieses ist rot", das ist nicht wesentlich
verschieden. Wollen wir eine Verschiedenheit annehmen, so könnte
es nur die sein, dass der erstere Ausdruck meine: "Dies ist identisch
mit etwas, das rot ist", in welchem Fall" etwas, das rot ist" oder "ein
Rotes" nicht das ganze Prädikat wäre. Also müssen wir uns klar vor
Augen halten: Wenn wir einem Begriff einen Umfang zuweisen, so
meint der Umfang nicht einen Inbegriff von Gegenständen, den der
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 73

Begriff vorstellt, sondern gemeint ist ein Inbegriff von Gegenständen,


die in einer gewissen Beziehung zu dem Prädikate stehen, nämlich in
der Beziehung, dass sie Subjekte desselben sind. Und wie das Prädikat
Beziehung hat auf diese Subjekte, so hat die Prädikatvorstellung dann
entsprechend eine gewisse Beziehung zu den Vorstellungen dieser
Subjekte. Und das ist alles.
Man kann aber den Begriff des Umfangs noch etwas weiter neh-
men. Nach der bisherigen Auffassung gehörte in den Umfang jedes
Einzelne, von dem in Wahrheit gesagt werden kann, es sei rot. Wenn
aber dies, so muss es ein Existierendes sein; denn wenn ich mir ein
Nichtexistierendes denke, so kann ich mir wohl denken, dass es rot
ist, aber wenn es überhaupt nicht ist, so ist es auch nicht als Rotes.
Nun könnten wir uns aber doch begnügen mit all den vorgestellten
Gegenständen, die als rote eben vorgestellt sind, und die Gesamt-
heit dieser vorgestellten Gegenstände als Umfang bezeichnen. Wir
könnten also unter Umfang des Begriffs Rot die Gesamtheit der
Gegenstände definieren, die durch irgendwelche Attributivvorstel-
lungen mit dem Attribut Rot vorgestellt werden (dazu (gehören)
aber alle Attributivvorstellungen, deren Merkmale das Merkmal Rot
in konsekutiver Weise einschließen, also explizit oder implizit), also
der Vorstellung "rot" zuordnen die Gesamtheit der Attributivvor-
stellungen "Etwas, das rot ist" oder "X, das rot ist", wo für X alles
und jedes stehen mag. Umfang im ersten Sinn wollen wir reellen
Umfang, Umfang im zweiten Sinn den ideellen Umfang des Begriffs
Rot nennen. Und endlich kann Umfang noch in einem dritten Sinn
genommen werden,! nämlich so, dass man sich innerhalb des ideellen
Umfangs auf solche Attributivvorstellungen beschränkt, die keine
Unmöglichkeiten einschließen, so dass in den Umfang" alles mögliche
Rote" hineingehören würde,2 gleichgültig ob es wirklich existiert oder
nicht. Umfang in diesem Sinn bezeichnen wir als Möglichkeitsumfang,
wobei freilich der Begriff der Unmöglichkeit vorausgesetzt ist, den wir
erst in der Lehre von den hypothetischen Sätzen werden aufstellen
können.
Aus unserer Auffassung ist es nun klar, dass nicht jedem Begriff
ohne Ausnahme ein Umfang zukommt in jeder dieser drei Bedeutun-
! Hypothetischer Umfang: die Gesamtheit der Gegenstände, die, wenn sie existierten, A
wären.
2 Nein: Unter der Hypothese, es gäbe A, heißt die Gesamtheit der Gegenstände, die A sind,
(reeller Umfang).
74 LOGIK

gen. In der ersten Bedeutung wird es an einem Umfang fehlen, wenn


es keine Gegenstände gibt, die ihm unterstehen, in der dritten, wenn
es keine möglichen Gegenstände gibt, d.h. wenn er ein in sich wider-
streitender Begriff ist wie rundes Viereck. Dagegen in der zweiten
Bedeutung hat jeder Begriff einen Umfang. Denn wenn der Begriff
einen Widerstreit enthält wie der des runden Vierecks, so gibt es doch
Attributivvorstellungen der Form "etwas, das rundes Viereck ist".
Und wenn die Gegenstände, die sie vorstellen, auch nicht wahrhaft
existieren: sie sind doch vorgestellte Gegenstände. Und so hat auch
der Begriff der Gesamtheit der durch diese Attributivvorstellungen
vorgestellten (obschon nicht existierenden) Gegenstände einen be-
stimmten Gegenstand, und das eben ist der ideelle Umfang. Also wie
immer, der Begriff des Umfangs ist immer ein wohldefinierter. Von
Umfang in keinerlei Sinn hingegen ist die Rede bei Nicht-Begriffen,
da bei ihnen der Ausdruck, sie kämen einem anderen zu, keinen
vernünftigen Sinn gibt, absurd ist. Sokrates ist kein Begriff und darum
entfällt die Vorstellung von der Gesamtheit der Gegenstände, die das
Attribut Sokrates haben.
Die Vorstellung einer Beschaffenheit oder eines Prädikats schließt
in gewisser Art die Vorstellung eines Etwas als eines zugehörigen
Subjekts ein - Rotsein ist Rotsein von irgendetwas u.dgl. -, die Vor-
stellung eines Individuums aber nicht. Die Vorstellung einer Gesamt-
heit von Gegenständen, die das Attribut Sokrates haben, ist absurd,
weil es absurd ist, Sokrates in solch eine Beziehung einzuspannen,
weil es unverträglich ist, von einem Attribut Sokrates zu sprechen.
Anders, wenn ich von der Vorstellung der Gesamtheit der Gegenstän-
de spreche, die das Attribut haben "rundes Viereck". Hier liegt die
Unverträglichkeit nicht in der Rede vom Attribut" rundes Viereck",
denn das ist ein Attribut, es ist ein Begriff, sondern darin, dass ein
Gesetz besteht, dass, was rund ist, nicht viereckig sein kann, und um-
gekehrt. Das sind Unverträglichkeiten sozusagen ganz verschiedener
Dimension. Im ersteren Fall werden wir es lieben zu sagen, es läge
ein Unsinn vor, eine Absurdität, im letzteren sprechen wir von einer
Unverträglichkeit, einem Widerstreit.
In den eben erörterten Punkten weiche ich ganz von der logi-
schen Tradition ab. Die Logiker mengen hier ganz Verschiedenar-
tiges zusammen, indem sie Einzel- und Allgemeinvorstellungen ein-
ander gegenüberstellen und unter den letzteren eben Vorstellungen
verstehen, die viele Gegenstände vorstellen, im Gegensatz zu den
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 75

ersteren, die nur einen vorstellen. Diese Vielheit von Gegenständen


bzw. die Einheit soll nun der Umfang der bezüglichen Vorstellung
sein. In der tatsächlichen Durchführung tritt es aber sofort heraus,
dass Unter den Allgemeinvorstellungeil Begriffe verstanden sind und
unter dem Umfang die Gesamtheit der Begriffsgegenstände. Ich sage,
hier wird infolge schlechter Deskription ganz Verschiedenartiges ver-
mengt. Denn unterschieden wir Einzelvorstellungen als die Klasse von
Vorstellungen, die einen einzelnen Gegenstand vorstellen, so wäre
die ergänzende Klasse die der Vorstellungen, die viele Gegenstände
vorstellen (wobei überdies die Frage erörtert werden müsste, ob es
nicht Vorstellungen gibt, die weder ein Einzelnes noch eine Vielheit
vorstellen). Wären nun Allgemeinvorstellungen die Vorstellungen,
die eine Vielheit vorstellen, dann wäre jede Kollektivvorstellung eine
allgemeine, "Sokrates und Platon" wäre eine Allgemeinvorstellung,
ebenso aber auch" ein Regiment" u.dgl. Das meint man nun natürlich
nicht. Was man wirklich meint, wo man von Allgemeinvorstellung
spricht, sind die Begriffe, denen eine Vielheit von Begriffsgegenstän-
den korrespondiert. Aber man begeht dabei den groben Irrtum, die
Begriffsgegenstände als Gegenstände der begrifflichen Vorstellungen
anzusehen. Das Prädikat Rot kommt jedem roten Gegenstand zu,
aber das Prädikat Rot stellt diese Gegenstände nicht vor. Gegenstand
eines Begriffs und Gegenstand einer Vorstellung, das bedeutet etwas
total Verschiedenes. Die Begriffe kann man nun allerdings einteilen in
singuläre und nichtsinguläre,je nachdem in den Umfang desselben nur
ein Gegenstand fällt (sei es im Sinne der Wahrheit oder Möglichkeit)
oder nicht. Aber man darf dann nicht Individualvorstellungen als
singuläre Begriffe bezeichnen und darf überhaupt nicht bei nichtbe-
grifflichen Vorstellungen von einem Umfang sprechen, wie es fast
allgemein geschieht.
Manche haben versucht, den Begriff der Allgemeinvorstellung an-
ders zu definieren als die Vorstellung, deren Gegenstand das mehreren
Gegenständen Gemeinsame ist (Erdmann): Aber obschon sich darin
eine Ahnung der Wahrheit findet, so ist die Definition abermals nicht
passend, zumal wenn durch sie die Allgemeinvorstellung immer noch
an die Seite gestellt werden soll der Singulärvorstellung, die einen
einzelnen Gegenstand vorstellt. Das mehreren Gegenständen Ge-
meinsame braucht durchaus kein Begriff zu sein. Wenn zwei Häuser

• Benno Erdmann, Logische ElemenJarlehre, HaUe 1892, S. 47.


LOGIK

eine Mauer gemein haben, so ist die Mauer doch keine Allgemeinvor-
stellung, (kein) Begriff. Und umgekehrt gibt es doch wieder Begriffe,
die apriori nur einem Gegenstand zukommen können, wie wenn
wir vom" weisesten Menschen" sprechen. Hier wird nichts mehreren
Gegenständen Gemeinsames vorgestellt. Sollten wir diese Vorstellun-
gen nun grundsätzlich abtrennen von den übrigen Begriffen und sie
etwa mit den Individualvorstellungen in eine Klasse bringen? Hieße
das nicht Zusammengehöriges auseinander reißen und Heterogenes
zusammenwerfen?

§ 16. Direkte und indirekte Vorstellungen


Den Begriffen werden seit Kants Vorgang häufig die Anschauun-
gen gegenübergestellt, den begrifflichen Vorstellungen die anschau-
lichen. Verstehen wir unter anschaulichen Vorstellungen, wie es am
nächsten liegt, diejenigen subjektiven Vorstellungen,in denen wir die
Existenz des vorgestellten Gegenstandes mit unmittelbarer Evidenz
erfassen,! dann würde die Unterscheidung nicht in die formale Lo-
gik hineingehören, welche es ja nicht mit Subjektivem, sondern mit
Objektivem zu tun hat. Indessen dürfte es wohl möglich sein, eine
objektive Verschiedenheit herauszufinden, an die die Logik eigent-
lich gedacht haben möge, wenn wir uns an die Erklärung halten,
welche Kant gegeben hat, indem er die Anschauungen als unmittel-
bare, die Begriffe als mittelbare Vorstellungen eines Gegenstandes
bezeichnet.·· 2 Allerdings haben wir gehört, dass die Begriffe im wah-
ren Sinne des Wortes nicht Vorstellungen sind der Gegenstände, die
man Gegenstände des Begriffs nennt und die den Umfang desselben
ausmachen. Indessen besteht ein gewisser Zusammenhang, der es
erklärlich macht, wie man in diesen Irrtum verfallen ist. Ist nämlich
X ein Gegenstand, der in den Umfang des Begriffs' Pferd z.B. fällt,
so gilt "X ist ein Pferd", etwa "Bucephalus ist ein Pferd". In diesem
Satze ist der unbestimmte Gegenstand der Attributivvorstellung "ein
Pferd" identifiziert mit dem Subjektgegenstand Bucephalus, und so
wird durch diese Beziehung die unbestimmte Attributivvorstellung

! Das genügt nicht, denn Begriffe selbst gehörten hierher, und Begriffe werden nicht ange-
schaut. Es müssen Individualvorstellungen sein.
• Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, A '9.
2 Kant versteht das "mittelbar" aber ganz anders als ich hier. Vgl. richtig Bolzano, (Wissen-
schaftslehre, Bd. I, § 75): Mittelbar: Mittels Anschauungen bezieht sich der Begriff auf Dinge.
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 77

zur Vorstellung desselben Gegenstandes, welchen die Subjektvor-


stellung vorstellt, d.i. zur Vorstellung des bestimmten einzelnen Be-
griffsgegenstandes. In diesem Zusammenhang meint also" ein Pferd"
denselben Gegenstand wie Bucephalus. Dies gilt für jeden bestimmten
Gegenstand unseres Begriffs, für jedes bestimmte Pferd, jedes ist ein
Pferd. Also das unbestimmte "ein" kann als jedes bestimmte Pferd
verstanden werden. Aber das gilt eben nur in diesen Identifizierungs-
zusammenhängen. An und für sich stellt die Vorstellung "ein Pferd"
nicht den Bucephalus oder irgendein anderes bestimmtes Pferd vor,
sondern eben "ein" Pferd, ein gänzlich Unbestimmtes aus dem Um-
fang des Begriffs. Wir müssen also eigentlich sagen, die Prädikation
modifiziert die Bedeutung des Ausdrucks. Die Bedeutung selbst wird
nicht modifiziert, aber eine Modifikation tritt ein nachseiten dessen,
worauf sich die Bedeutung bezieht. Statt eines Unbestimmten ist es
evtl. das Allerbestimmteste, "dieses". Wir könnten sagen, der Gedan-
ke wird modifiziert, nicht nachseiten aber der Bedeutung. Im prädi-
kativen Zusammenhang, in dem" ein Pferd" im Prädikat steht, haben
wir gar nicht mehr die unbestimmte Attributivvorstellung. Indem man
sich dies aber nicht klargemacht hat, wird es begreiflich, dass man
die unbestimmte Attributivvorstellung selbst als Vorstellung jedes
Begriffsgegenstandes angesehen und danach auch als "begriffliche
Vorstellung" von jedem Begriffsgegenstand bezeichnet hat. Und in
weiterer Folge hat man auch den Begriff selbst als Vorstellung seiner
Gegenstände aufgefasst. (Übrigens habe ich letzthin zu erwähnen ver-
gessen, dass auch die einem Begriff zugehörige Attributivvorstellung
in manchen Zusammenhängen selbst als Begriff bezeichnet worden
ist, so dass der Terminus Begriff noch eine Bedeutung mehr hat.)
Gibt es nun aber nicht Fälle, wo man im wahren Sinne des Wortes
sagen kann, die unbestimmte Attributivvorstellung habe denselben
Gegenstand wie irgendeine nichtattributive Vorstellung, oder wo man
sagen kann, die unbestimmte Attributivvorstellung sei eine wahrhafte
Vorstellung eines Gegenstandes des ihr korrespondierenden Begriffs?
Ja, solche Fälle gibt es. Oder vielmehr einen, und nur einen solchen
Fall gibt es. Es ist der, wo der Umfang des Begriffs nur aus einem
einzigen Gegenstand besteht, z.B. ein Fixstern, der heller ist als alle
anderen Fixsterne. In den Umfang dieses Begriffs fällt nur ein Stern;
es ist der Sirius. Aber es gilt nicht bloß: Sirius ist ein hellster Fixstern,
sondern mit Recht sagen wir: Er ist der hellste Fixstern. Das will
sagen: Die Vorstellung" ein hellster Fixstern" stellt zwar einen unbe-
LOGIK

stimmten Gegenstand des Begriffs hellster Fixstern vor. Aber da es


einen, und nur einen solchen Gegenstand gibt, so ist der unbestimmte
Gegenstand identisch mit Sirius, die Vorstellung "hellster Fixstern"
stellt an und für sich dasselbe Objekt vor wie die Vorstellung" Sirius".
Die Vorstellung "ein Stern" tut das nicht. Ich muss sie erst determi-
nieren, oder ich muss ihre Unbestimmtheit modifizieren und somit
sie selbst ändern, wenn ich auf denselben Gegenstand kommen will.
Die Vorstellung eines Sterns hat eben begriffliche Beziehung auf viele
Gegenstände.
Was in unserem Beispiel gilt, gilt in unzähligen anderen, offen-
bar überall da, wo der Umfang (es handelt sich hier offenbar um
Wahrheits- oder Möglichkeitsumfang) sich auf einen einzigen Ge-
genstand reduziert: "I - die kleinste Primzahl", "die Gerade - die
Linie, die durch zwei Punkte eindeutig bestimmt ist" "das Universi-
tätsgebäude - das Haus N° in der Alten Promenade". Der bestimmte
Artikel deutet hier überall darauf hin, dass der Umfang des Begriffs
nur ein enGegenstand enthält, dass der Begriff also ein singulärer ist.
Es ist damit eigentlich ein selbständiges Urteil ausgedrückt, das dies
besagt, und dem entspricht, wenn es richtig ist, objektiv eine Wahrheit.
Aus den Beispielen ersehen Sie, dass nicht bloß eine attributive und
eine nichtattributive, sondern auch mehrere Attributivvorstellungen
einen und denselben Gegenstand haben können. Auch in unserem
ersten Beispiel könnten wir solche Vorstellungsgruppen bilden und·
etwa sagen: "Der hellste Fixstern, das ist der Stern, welcher die
und die Stellung am Himmelsgewölbe hat, ist der Stern, welcher ein
durch die und die Linien charakterisiertes Spektrum hat" usw. Es ist
klar: Jede Reihe von unbestimmten Attributivvorstellungen, deren
zugehörige Begriffe sämtlich singulär sind und einen und denselben
Begriffsgegenstand haben, muss als eine Reihe Vorstellungen eben
dieses Gegenstandes bezeichnet werden. Oder kürzer: Singuläre At-
tributivvorstellungen, die sich auf denselben Gegenstand beziehen,
können als Vorstellungen dieses selben Gegenstandes bezeichnet wer-
den. Derselbe Gegenstand kann danach in vielerlei Vorstellungen
vorgestellt sein, und dies sind notwendig Attributivvorstellungen, zu
Begriffen gehörig, die nur diesen Gegenstand im Umfang haben, oder
nichtattributive Vorstellungen wie unser erstes Beispiel, Sirius.
Ich frage nun: Kann es mehrere nichtattributive Vorstellungen
geben, die auf einen und denselben Gegenstand gerichtet sind? Die
Rede ist natürlich nicht von subjektiven Vorstellungen, deren es un-
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 79

endlich viele gibt, sondern von objektiven Vorstellungen, von Vor-


stellungen verschiedener objektiver Materie. Zunächst möchte es
scheinen, als sei diese Frage ohne weiteres zu bejahen. Wenn der
Gegenstand durch zwei verschiedene Namen bezeichnet ist, dann
haben wir mit ihnen doch zwei Vorstellungen. Ferner, wenn wir zwei
Beschaffenheitsvorstellungen nehmen der Art wie gleichseitiges Drei-
eck zu sein und gleichwinkliges Dreieck zu sein, so sind das nichtat-
tributive Vorstellungen, aber sie stellen, könnte man sagen, dasselbe
vor. Aber so liegt die Sache denn doch nicht. Wenn derselbe Stern
zwei Namen hat, wie Arcturus und Alpha Bootis, so ist der Name
selbst subjektiver Bestandteil der Vorstellung, aber nicht objektiver.
Der Name ist das Mittel, um den objektiven Gehalt der Vorstellung
in uns zu erwecken, also eine entsprechende subjektive Vorstellung
von solchem Gehalt in uns zu erzeugen. Aber der Name ist nicht
Bestandteil von dem, was wir meinen, indem wir den Namen äußern.
Nur was zur Bedeutung gehört, gehört zur objektiven Vorstellung, und
die Bedeutung stellen wir gerade dem Ausdruck gegenüber. Darum
haben wir ja Ausdrücke verschiedener Sprachen, sofern sie gleicher
Bedeutung sind, als Vorstellungen gleicher Materie, gleichen Gehalts
angesehen. Demgemäß sind auch verschiedene Eigennamen für eine
Sache nicht Zeichen verschiedener Vorstellungen. Alpha Bootis und
Arcturus verkörpern dieselbe Vorstellung.
Was ferner die beiden Beschaffenheitsvorstellungen anbelangt, die
uns als Beispiel dienten, so ist es durchaus falsch, dass sie dasselbe
vorstellen. Die Beschaffenheit, ein gleichseitiges Dreieck zu sein, (ist)
durchaus nicht dieselbe Beschaffenheit wie die, ein gleichwinkliges
Dreieck zu sein. Sie haben nur denselben Umfang, d.h. jedes gleich-
seitige Dreieck ist gleichwinklig, und umgekehrt.
Wir können allgemein behaupten: Die nichtattributiven Vorstel-
lungen haben sämtlich verschiedene Gegenstände, es gibt nicht zwei
nichtattributive Vorstellungen, die dasselbe vorstellen.
Von einer nichtattributiven Vorstellung können wir nun sagen,
sie stelle ihren Gegenstand direkt vor, von einer der unbestimmten
Attributivvorstellungen, die denselben Gegenständen ausschließlich
zugehören, sie stelle diesen Gegenstand bloß indirekt vor. Die letz-
teren beziehen sich auf ihn mittels gewisser Begriffe, die zu ihrer
Materie gehören, und die indirekte Vorstellung kommt bloß durch
diese Beziehung zustande. Jede Attributivvorstellung hat eine gewisse
Beziehung zu den Gegenständen des zugehörigen Begriffsumfangs.
80 LOGIK

Reduziert sich der Umfang auf ein Einziges, dann ist mit dieser Be-
ziehung eo ipso die Vorstellung gegeben. Denn was dann vorgestellt
ist als Gegenstand, ist identisch mit diesem einzigen Begriffsgegen-
stand.! Aber in dieser Sachlage finden wir eben eine Vermittlung,
die bei nichtattributiven Vorstellungen fehlt. Die letzteren stellen
ihren Gegenstand vor als das, was er ist, in seiner eigenen Bestimmt-
heit; so Z.B. die Vorstellungen" Bismarck", "Röte", "Gerechtigkeit"
u.dgl. Eine unbestimmt attributive Vorstellung hingegen stellt zu-
nächst einen unbestimmten Gegenstand vor, aber sie stellt ihn vor
als Träger dieser oder jener Prädikate. Erst dadurch aber, dass die
Wahrheit hinzutritt, dass ein so Determiniertes existiert, und nur ein
Einziges mit solchen Determinationen existiert oder existieren kann,
erscheint die Unbestimmtheit mittelbar gehoben. Die Vorstellung des
Staatsmannes, dem wir die Wiederaufrichtung des Deutschen Reichs
verdanken, stellt nicht den Bismarck direkt vor, sondern zunächst eine
unbestimmte Person mit den angegebenen Prädikaten. Aber begleitet
ist diese von der Wahrheit, dass es einen solchen, und nur einen gibt
und dass dieser eben Bismarck ist. Und so ist bei derartigen singulären
Vorstellungen die Unbestimmtheit mittelbar beseitigt. Bei ihnen kann
1 Gestrichen Aber obschon Identität besteht, ist doch der Gegenstand nicht als das, was er
ist, vorgestellt. Als das, was er ist, vorgestellt ist der Gegenstand nur in einer nichtattributiven
Vorstellung. Der Name Sokrates bezieht sich auf die bekannte Person selbst unmittelbar, die
Namen "der Weiseste der Athener", .. der Lehrer des Platon" mittelbar, denn die nächste
Bedeutung dieser Namen ist ein gewisser unbestimmter Gegenstand eines gegebenen Begriffs.
Und erst die Wahrheit, dass dieser Gegenstand nur einer sein kann, nämlich Sokrates, stellt
die Beziehung zu Sakrates her und macht, dass diese Vorstellungen auch Vorstellungen von
Sokrates sind. In der begrifflichen Vorstellung haben wir daher zweierlei: die Materie, d.i. der
begriffliche Gehalt, und die Sache, den Gegenstand. Bei einer nichtbegrifflichen Vorstellung
haben wir nur eins: den Gegenstand. Nicht als ob die Vorstellung hier mit dem Gegenstand
zusammenfiele, wir müssen auch hier beides trennen. Aber der objektive Gehalt der Vorstellung
ist, ab(ge}sehen davon, dass sie Vorstellung ist, erschöpft durch den Gegenstand. Im anderen Fall
aber ist der objektive Gehalt der Vorstellung hierdurch nicht erschöpft. Hier haben wir einen
gewissen begrifflichen Gehalt in Anknüpfung an das unbestimmte Subjekt Etwas, und erst die
Identitätsbeziehung zwischen dem Etwas und jenem bestimmten Gegenstand berechtigt zum
Ausspruch, dass auch diese Attributivvorstellung Vorstellung desselben Gegenstandes sei. In
Wahrheit also ist sie nicht eigentlich und unmittelbar Vorstellung desselben, sondern unmittelbar
ist sie die Vorstellung von etwas so und so Bestimmtem, das als so Bestimmtes identisch ist mit
dem Gegenstand Sokrates. .
Fragen wir, was die Vorstellung "Sirius" vorstellt, so ist es eben der Sirius, und mehr ist
nichts zu finden. Fragen wir, was die Vorstellung des hellsten aller Fixsterne vorstellt, so ist
zunächst auch nichts zu antworten als eben: ein(en} Stern, der heller als alle Fixsterne ist. Aber
es gilt zugleich, dass es einen, und nur einen solchen Stern gibt und dass dieser selbe identisch
ist mit Sirius. So haben wir hier eine indirekte Beziehung zum Sirius, und wir sagen, unsere
Vorstellung stelle ihn nur indirekt vor.
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 81

man nicht wie bei gewöhnlichen Attributivvorstellungen der Art wie


"ein Mensch" viele Gegenstände annehmen, die mit dem unbestimmt
vorgestellten Träger identifizierbar sind, sondern eben nur einen, und
von diesem kann man darum nun sagen, er wird vorgestellt. Aber
direkt vorgestellt wird dieser Gegenstand nur von der nichtattribu-
tiven Vorstellung, in unserem Beispiel "Bismarck".l Hier braucht es
keine Vermittlungen, hier sind keine Attributionen und begleitenden
Wahrheiten, die den Umfang als einen singulären feststellen. Hier ist
der objektive Gehalt beschlossen in der Vorstellung des Gegenstandes
selbst und nichts weiter. Bei den indirekten Vorstellungen hingegen
haben wir als Gehalt eben eine begriffliche Attribution, die sich auf
den Gegenstand erst bezieht, den die direkte Vorstellung vorstellt.

§ 17. Attributive Vorstellungen


An unsere Erörterungen können wir sogleich einen Satz anknüp-
fen, nämlich dass alle Unterschiede der Materie in den Vorstellungen
auf Attribution beruhen, d.h. auf begrifflicher Beziehung. Nichtattri-
butive Vorstellungen haben überhaupt keinen Unterschied der Mate-
rie, sie unterscheiden sich nur durch ihre Gegenstände, z.B. Sokrates,
Platon, Bismarck, Röte, Rotsein usw.
Attributivvorstellungen mit bestimmtem Subjekt wie "Sokrates,
der krank ist", "Sokrates, welcher ein Gelehrter ist" u.dgl. unter-
scheiden sich bei gleichem Subjekt durch die verschiedenen Prädikate.
Das Subjekt ist hier für sich eine direkte Vorstellung und nur noch
bereichert um einige Attributionen.
Attributivvorstellungen Init unbestimmtem Subjekt, wie" ein Ge-
lehrter", "ein Mensch", "ein Athener", "ein Staatsmann" usf., unter-
scheiden sich durch ihre Attribute. Bei ungleichen Attributen ist der
Umfang von bestimmten Gegenständen, auf die sie Beziehung haben,
bald derselbe, bald ein verschiedener. Hat der Umfang mehr als einen
Gegenstand, so kann man von umfangsgleichen Vorstellungen nicht
sagen, sie stellten dieselben Gegenstände vor, sondern im strengen
Sinne nur, sie bezögen sich auf dieselben Gegenstände.

1 Man kann zweifeln, ob die Vorstellungen, die Eigennamen entsprechen, wirklich als direkte
anzusehen sind. Sokrates: die Person, welche ein großer Philosoph war, dann und dann geboren
usw., oder die Person, von der all das erzählt wird. Hier sind Existentialurteile eingeschlossen
neben Attributionen, aber so, dass keine bestimmte Definition gegeben ist. Der identische
Gegenstand mannigfaltiger und in bekannter Weise abgegrenzter Prädikate.
82 LOGIK

Besteht der Umfang nur aus einem einzigen Gegenstand, und


verknüpft sich dabei die Beziehung auf diesen Gegenstand mit der
Wahrheit, dass nur ein einziger existiert, dann beziehen sie sich nicht
bloß auf denselben Gegenstand, sondern sie stellen ihn auch vor; sie
tun es indirekt, während die dem Gegenstande zugehörige nichtat-
tributive Vorstellung es direkt tut. Mehrere indirekte Vorstellungen,
die auf denselben Gegenstand gehen, unterscheiden sich durch ihre
Materie. Derselbe Gegenstand wird hier "in verschiedener Weise"
vorgestellt, und diese Verschiedenheit ist eben die verschiedene be-
griffliche Vermittlung. Und wieder in anderer Weise ist der Gegen-
stand durch die direkte Vorstellung vorgestellt, nämlich ohne Materie,
ohne begriffliche Vermittlung überhaupt.
Also wo immer wir logisch von dem verschiedenen Modus spre-
chen, in dem derselbe Gegenstand vorgestellt ist, kommt es auf Un-
terschiede der Attribution hinaus, nämlich ob überhaupt Attribution
vermittelt oder nicht, und wenn das Erstere, ob diese oder jene Attri-
bute vermitteln.

Anmerkung. Der Unterschied zwischen direkten und indirekten Vorstellungen


ist nicht etwa auf Gegenstandsvorstellungen in unserem engeren Sinn beschränkt.
Die Gegenstände, welche indirekt oder direkt vorgestellt werden, können ebenso
gut auch Gegenstände im weiteren Sinn, also ganze Sachverhalte sein. Dasselbe
gilt auch schon vom Unterschied zwischen Begriff und Gegenstand des Begriffs.
Der Gegenstand, auf den ein Begriff sich als Prädikat bezieht, kann evtl. auch ein
ganzer Satz sein. Z.B. sagen wir: "Dass 2X2 4 ist, ist ein wahrer Satz", so kommt
das Prädikat, ein wahrer Satz zu sein, eben dem Satz ,,2 x 2 ist 4" zu. In diesen
Fällen haben wir eine ähnliche Äquivokation wie bei Merkmalen. Prädikat des Satzes
kann heißen Prädikat im Satz und Prädikat, dessen Subjekt der ganze Satz ist. In
unserem Satz ist Prädikat: 4. Prädikat des ganzen Satzes ist hier aber, ein wahrer
Satz zu sein. Doch ist hier die Äquivokation nicht von besonders schädlichen Folgen.
Weil nun Sachverhalte Subjekt von Prädikaten sein können, ist es natürlich, dass sie
auch Gegenstand indirekter Vorstellungen sein können. Es muss nur das Prädikat
so gewählt werden, dass es den Satz ausschließlich charakterisiert. So ist es z.B.
eine indirekte Vorstellung, wenn wir sagen: "der Sachverhalt des von Pythagoras
entdeckten Lehrsatzes". Die entsprechende direkte Vorstellung gibt uns der Satz:
"Das Quadrat über der Hypotenuse usf."
Überhaupt können alle möglichen Gegenstände direkt oder indirekt vorgestellt
werden, selbst Vorstellungen, denn auch Vorstellungen können ja Gegenstand von
Vorstellungen sein, z.B. die Vorstellung, welche den objektiven Gehalt meines ge-
genwärtigen subjektiven Vorstellens ausmacht.
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE

§ 18. Rein begriffliche Vorstellungen


und individuelle Vorstellungen
Wir können hier gleich einen wichtigen Unterschied anschließen,
der später eine große Rolle spielen wird, nämlich den Unterschied
zwischen rein begrifflichen Vorstellungen und unrein begrifflichen
Vorstellungen. Dazu bedarf es aber einer genaueren Bestimmung
des Begriffs Individuum, wozu wir durch unsere bisherigen Analysen
vorzüglich befähigt sind.
Die Gegenstände, so war unser Ausgangspunkt, zerfallen in Sach-
verhalte und Gegenstände im engeren Sinn. Alle Gegenstände kön-
nen in Sachverhalte eintreten, Z.B. für alle Gegenstände gibt es Sach-
verhalte, in denen sie Subjekte sind. Aber nicht alle Gegenstände sind
selbst Sachverhalte. Das sind Gegenstände im engeren Sinn.
Gegenstände können entweder selbständige oder unselbständige
sein, d.h. es gibt Gegenstände, die nicht bestehen können, ohne dass
irgenwelche anderen Gegenstände, die zu ihnen in einer gewissen
Beziehung stehen, aber nicht ihre Teile oder Beschaffenheiten sind,
Bestand haben. Auch so könnten wir sagen (den Begriff Gegenstand
in weiterem Sinn voraussetzend): Gegenstandsteile, die nur als Ge-
genstandsteile denkbar sind, also Gegenstände, die Teile von anderen
Gegenständen sind und als das, was sie sind, nicht existieren können
ohne irgendeinen Gegenstand, zu dem sie in dem gewissen Teilver-
hältnis stehen, das sind unselbständige Gegenstände. Hierbei müsste
ich also die Beschaffenheit, rot zu sein, als Teil eines Sachverhalts, Z.B.
"Dieses Haus ist rot" ansehen. In diesem Sinne sind Prädikate, Be-
schaffenheiten, Abstrakta unselbständige Gegenstände. Ein Prädikat
oder eine Beschaffenheit kann nicht bestehen, ohne dass ein Subjekt
bestände, dem es anhaftete, dem es zukäme. Ebenso kann aber auch
ein Abstraktum wie Rot nicht bestehen, existieren, ohne dass ein
Konkretum existierte, dem es inhärierte. Dem Subjekt eines Prädikats
kommt eine relative Selbständigkeit zu, es ist selbständig in Bezug auf
dieses Prädikat, dieses in Bezug auf das Subjekt unselbständig.
Andererseits gibt es aber Gegenstände, deren Bestand allenfalls
Vorbedingung für den Bestand anderer Gegenstände sein mag, die
aber selbst den Bestand anderer Gegenstände nicht voraussetzen,
notabene von ihren eigenen Teilen abgesehen. Denn das gilt ja freilich
von jedem Ganzen, dass seine Existenz aufgehoben wäre mit der
Existenz irgendeines seiner Teile.
LOGIK

Die Gegenstände im engeren Sinn können aber nach dem, was wir
erörtert haben, sein entweder Vorstellungen oder Nichtvorstellun-
gen, ferner entweder absolute Subjekte von Beschaffenheiten oder
Beschaffenheiten selbst, und wieder entweder absolute Konkreta von
Abstraktis oder Abstrakta selbst. Denken wir nun all diese Absolut-
heiten vereinigt an demselben einzelnen Gegenstand, so gewinnen
wir den Begriff des Individuums; der logischen Substanz, könnten
wir sagen. Es ist also ein einzelner Gegenstand im engeren Sinne des
Wortes - aber nicht eine Vorstellung -, der zugleich ein absolutes
Konkretum und ein absolutes Subjekt ist. Wir haben hier eigentlich
eine Reihe von Negationen gehäuft: ein Einzelnes (also nicht eine
Vielheit), nicht Sachverhalt, nicht Abstraktum, nicht Beschaffenheit,
nicht Vorstellung. Z.B. ein Haus ist ein Einzelnes, es hat Abstrakta,
ist aber kein Abstraktum, es ist Subjekt von Beschaffenheiten, aber
nicht selbst Beschaffenheit, es ist Gegenstand einer Vorstellung, nicht
selbst Vorstellung. Ebenso sind diesem Begriff gemäß Sokrates, ein
Baum, ein Löwe usw. Individuen. Dagegen sind die Zahl 4, die Röte,
die Gerechtigkeit usw. keine Individuen, ebenso auch nicht die Vor-
stellungen" Sokrates", "ein Baum" usf. Zu einer weiteren Vertiefung
dieser Definition kämen wir wohl durch die Unterscheidung der Ge-
genstände in selbständige und unselbständige. Absolut selbständige
Gegenstände im engeren Sinn, welche nicht bloß Vorstellungen sind,
wären dann als Individuen zu definieren.
Haben wir den Begriff des Individuums gewonnen, so haben wir
auch den der Individualvorstellung; und Individualvorstellungen kön-
nen natürlich sein entweder direkte oder indirekte, wie etwa "Bis-
marck" und "der Alte von Friedrichsruh" u.dgl. Aber das erschöpft
noch nicht die Individualvorstellungen, denn dieselben können ja
auch ein unbestimmtes Individuum vorstellen als bloßen Gegenstand
eines nicht singulären Begriffs, wie z.B. die Vorstellungen "ein
Mensch", "ein Haus" u.dgl. es tun.
Nun sind wir hinreichend vorbereitet, um die rein begriffliche
Vorstellung definieren zu können. Eine rein begriffliche Vorstellung
nennen wir eine solche, in der keine direkte Individualvorstellung als
Bestandteil auftritt. Wir können hierbei unter begrifflichen Vorstel-
lungen in gleicher Weise Prädikatvorstellungen, Beschaffenheitsvor-
stellungen und Attributivvorstellungen befassen, übrigens bei jeder
im Besonderen das Prädikat" rein" anwenden. Z.B. "Gerechtigkeit"
ist eine reine Beschaffenheitsvorstellung, nicht aber "die Gerech-
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 85

tigkeit des Aristides". Ebenso halten sich rein die Vorstellungen


"rot", "Blume" u.dgl., nicht aber "rot wie dieses Haus", "Blume
meines Gartens" usf. Denn das Wörtchen "dies" vertritt hier eine
direkte Individualvorstellung, ebenso das Wörtchen "mein". Ebenso
können wir ferner von einer rein abstrakten Vorstellung sprechen,
wie "Farbe", im Gegensatz zu einer unreinen, wie "Farbe dieses
Hauses". Überhaupt ist es von Wichtigkeit, Vorstellungen, die nichts
von direkten Individualvorstellungen enthalten, abzusondern von den
übrigen. Und auch bei Sätzen wird dies später wieder ein wichtiger
Gesichtspunkt sein. Sehr oft wird der Terminus begriffliche Vorstel-
lung, oder geradezu Begriff, in so eingeschränktem Sinn gebraucht.
Danach nennt man z.B. die Vorstellung "Etwas" einen Begriff, ob-
schon hier gar kein Prädikat, keine Beschaffenheit und nicht einmal
ein Abstraktum (im Sinne des Inhärierenden) vorliegt. Allerdings
wird sich im tatsächlichen Gebrauch noch ein anderes anknüpfen.
Man wird nicht bloß verlangen, dass in der Vorstellung keine direkten
Individualvorstellungen eintreten, sondern auch; dass keinerlei Exis-
tenzbehauptung zum Bestand der Vorstellung beitrage. Eine solche
ist schon bei der indirekten Vorstellung als Fundament vorhanden.
Sage ich: "der Weiseste der Athener", so liegt im "der" die Behaup-
tung ausgedrückt, dass ein solcher existiere, was nicht der Fall ist,
wenn ich sage: "ein Athener, der weiser ist wie alle anderen Athe-
ner". Nur die erstere Vorstellung stellt ein bestimmtes Individuum
als bestimmtes vor, und nur bei ihr spricht man von einer indirekten
Vorstellung. In dem engeren Sinn, in dem wir später von rein be-
grifflichen Vorstellungen sprechen werden, sollen also auch die indi-
rekten Individualvorstellungen ausgeschlossen bleiben. Ebenso aber
auch Vorstellungen der Art wie "ein gewisser Mensch". Darin liegt,
dass ein Mensch von einer nicht näher angegebenen Bestimmtheit
gemeint sei und existiere. Hier verbürgt allerdings nicht der Begriff
selbst die Einzigkeit (es gibt ja viele Menschen), noch verbürgt eine
Wahrheit dieselbe. Aber gemeint ist doch ein einziger und existieren-
der Mensch. So hat diese Attributivvorstellung einen bloß singulä-
ren Umfang und tritt in nächste Verwandtschaft mit der indirekten
Vorstellung. Wir werden also im Ausdruck "rein begriffliche Vorstel-
lung" das "rein" in doppelter Beziehung fassen, einmal in Bezug
auf das "begrifflich", wonach keine Anschauung, überhaupt keine
direkte Individualvorstellung zum Gehalte der gegebenen beiträgt,
und fürs Zweite in Bezug auf das Wörtchen "Vorstellung", wonach
86 LOGIK

die Vorstellung rein von Existenzsetzungen irgendwelcher Individuen


bleibt.
Endlich wäre noch von großer Wichtigkeit die generelle Vorstel-
lung, auf die die eben gemachten Bemerkungen ebenfalls bezogen
werden mögen. Was gemeint ist, können hier wie in den anderen
Fällen nur Beispiele deutlich machen. Wenn wir sagen: "Der Mensch
ist sterblich", "Das Dreieck hat drei Seiten" oder auch: "Ein Dreieck
hat drei Seiten", ohne dass wir an ein bestimmtes Dreieck denken,
so ist die subjektive Vorstellung eine generelle. Gemeint ist hier nicht
das Abstraktum Mensch, Dreieck. Denn das Abstraktum Mensch ist
nicht sterblich. Gemeint ist auch nicht: Alle Menschen sind, oder jeder
Mensch ist sterblich. Denn obgleich wir hier einen äquivalenten Satz
haben, so ist doch der Gedankeninhalt geändert und nicht die bloßen
Worte. "Der Mensch" ist nicht ein Ausdruck identisch desselben
Sinnes wie "jeder einzelne Mensch" oder wie" alle Menschen".

§ 19. Inbegriffsvorstellung
Bei den bisherigen· Ausführungen haben wir uns hauptsächlich
auf Vorstellungen singulärer Gegenstände bezogen. Lassen wir diese
Beschränkung fallen, so kommen zunächst in Betracht die bestimm-
ten und unbestimmten Mehrheitsvorstellungen, wobei die Prädikate
"bestimmt" und "unbestimmt" sich ebenso gut auf Mehrheiten wie
auf die einzelnen Gegenstände in den Mehrheiten beziehen können.
Eine einzige Vorstellung kann mehrere, also nicht identische Ge-
genstände zusammen zu ihrem Gegenstand haben, so z.B. "Platon,
Aristoteles und Epikur". In diesem Beispiel sind die Gegenstände,
aus denen die Mehrheit sich komponiert, in selbständigen und di-
rekten Vorstellungen gegeben, und die ganze Mehrheitsvorstellung
ist eine zusammengesetzte Vorstellung, die eben diese einzelnen di-
rekten Vorstellungen als ablösbare Bestandteile in sich fasst. Man
muss sich hier davor hüten, die Aneinanderreihung dieser einzelnen
Vorstellungen mit der Vorstellung des Zusammen ihrer Gegenstände
zu verwechseln und demgemäß zu glauben, es wäre hier nicht ein e
Vorstellung gegeben, sondern eine bloße Vielheit. Die Vorstellungen
von Platon, Aristoteles usw., einzeln für sich genommen und etwa
bloß subjektiv zusammen gedacht, sind doch nicht die Einheit, die wir
meinen, sobald wir den zusammengesetzten sprachlichen Ausdruck
"Platon und Aristoteles und Epikur" äußern oder verstehen. Das
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE

" und" in diesem Ausdruck ist doch nicht ein bedeutungsloses Zei-
chen; es dient einer bestimmten Verknüpfungsweise, es macht aus den
einzelnen Vorstellungen eine einzige Vorstellung, deren Gegenstand
eben das Zusammen der Gegenstände Aristoteles etc. ist. Vorstellun-
gen der Art, wie sie durch unser Beispiel belegt werden, werden wir
Vorstellungen von Inbegriffen bestimmter gegebener Gegenstände
nennen. Ich füge gleich bei, dass wir die Verknüpfung von Gegen-
ständen zu Inbegriffen kollektive Verknüpfung nennen.
Inbegriffsvorstellungen können aber auch ganz unbestimmte Ob-
jekte oder bloß begrifflich bestimmte Objekte in einer kollektiven
Einheit zusammengefasst vorstellen, z.B. "Etwas und Etwas", "Etwas
und Etwas und Etwas". Wir könnten auch sagen: "Etwas und ein
damit nicht identisches Etwas" - denn das ist die gewöhnliche Mei-
nung, dass, was durch "und" verknüpft wird, eben nicht ein und
dasselbe sei -, oder auch: "ein A und ein B", "ein Pferd und ein
Löwe", "ein Baum und ein Baum", "eine Tanne, eine Föhre und
eine Lärche" u.dgl. Die Gegenstände solcher Vorstellungen sind In-
begriffe gewöhnlich unbestimmter Gegenstände oder Inbegriffe von
Gegenständen verschiedener oder gleicher Begriffe. Auch ihre Vor-
stellungen sind zusammengesetzte Vorstellungen, sofern sie als selb-
ständige Teilvorstellungen die einzelnen Attributivvorstellungen oder
unbestimmten Gegenstandsvorstellungen in sich fassen.
Bisher hatten wir lauter Beispiele durchgenommen, welche sich auf
direkte Mehrheitsvorstellungen bezogen. Die jeweilige Mehrheit, ob
sie bestimmte oder unbestimmte Gegenstände kollektiv verknüpft,
war selbst gegeben und durch die Vorstellung vorgestellt.

(§) 20. Beschaffenheiten von einzelnen Gegenständen


und Beschaffenheiten von Mehrheiten
Aber Mehrheiten können auch indirekt vorgestellt werden, und
das setzt natürlich voraus, dass auch Mehrheiten, ganze Inbegriffe als
Subjekte von Prädikaten, als Gegenstände von Begriffen fungieren
können. Und in der Tat können wir die Beschaffenheiten in die zwei
Klassen bringen: Beschaffenheiten, die auf einzelne Gegenstände,
und Beschaffenheiten, die auf Inbegriffe von Gegenständen Bezie-
hung haben. An und für sich gehört es zum Begriff einer Beschaf-
fenheit, dass irgendein Subjekt da sei, dem sie zukomme; aber kei-
neswegs ist vorausgesetzt, dass dieses Subjekt ein Singuläres sei und
88 LOGIK

nicht ein Inbegriff. So sind die Beschaffenheiten Rot, Rund, Schwer,


Thgendhaft usw. Beschaffenheiten von einzelnen Gegenständen, von
körperlichen Dingen, Menschen u.dgl. Aber das gilt nicht von allen
Beschaffenheiten. Sage ich von mehreren Personen, dass sie einen
Verein bildeten, so kommt das Prädikat nicht den einzelnen, son-
dern ihrer Gesamtheit zu. Ebenso wenn wir von mehreren Dingen
sagen, sie seien einander gleich, ähnlich, voneinander verschieden
usf. Man muss sich, um beide Arten von Beschaffenheiten ausein-
ander zu halten, vor Verwechslungen hüten, die aus der Äquivo-
kation der sprachlichen Ausdrücke leicht erwachsen könnten. Der
Ausdruck "Beschaffenheiten, die einer Vielheit von Objekten zu-
kommen" kann meinen Beschaffenheiten, die jedem Einzelnen in der
Vielheit zukommen, und wieder Beschaffenheiten, die der Vielheit
selbst, also nur allen zukommen. Dies muss aber wohl auseinander
gehalten werden. Rot ist ein Prädikat einzelner Dinge. Das schließt
natürlich nicht aus, dass viele einzelne Dinge rot sind. Eine Vielheit
von Dingen gibt es, die rot sind, aber nicht eine Vielheit von Dingen,
die rot ist. Wir können nur von einer Vielheit sagen, dass jedes ihrer
Glieder rot sei. Das ist ganz korrekt. Die Vielheit selbst hat hier ein
Prädikat, aber nicht das Prädikat Rot, sondern das Prädikat, dass
jedes ihrer Glieder rot ist; und das letztere Prädikat gehört in die
zweite unserer Gruppen.
Gelehrsamkeit ist ein Prädikat, das voraussetzt ein psychisches In-
dividuum mit solchen und solchen Dispositionen. Aber eine Mehrheit
von Menschen ist nicht ein psychisches Individuum, welches psychi-
scher Dispositionen fähig ist; nicht die Mehrheit ist gelehrt, sondern
evtl. die einzelnen Personen einer Mehrheit. Um solche Äquivokatio-
nen auszuschließen, ist es nützlich, in Zusammenhängen, wo es sich
um Beschaffenheiten der Mehrheit selbst als eines Ganzen handelt,
lieber den Ausdruck Inbegriff zu verwenden: Der Inbegriff habe die
Beschaffenheit.
Betrachten wir nun die Beschaffenheiten, die Inbegriffen zukom-
men können, so sehen wir bald, dass dieselben entweder in den Be-
schaffenheiten gründen, welche einzelnen Gliedern für sich zukom-
men, oder in den Verknüpfungen, welche die Glieder miteinander
oder alle insgesamt zum Ganzen verbinden. Hat ein Glied eines
Inbegriffs die Eigenschaft, blau zu sein, so hat damit der Inbegriff
selbst eine gewisse Beschaffenheit, nämlich die, ein so beschaffenes
Glied zu enthalten. Und stehen je zwei Personen eines Inbegriffs von
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE

Menschen in Verwandtschaftsverhältnis, so ist der ganze Inbegriff ein


Inbegriff von wechselseitig Verwandten. Ein regelmäßiges Polyeder
ist ein Ganzes, in dem die Seitenflächen die Teile sind. Der Inbegriff
dieser Seitenflächen hat die Eigenschaft, ein komplettes Polyeder zu
konstituieren. Offenbar gilt allgemein, was wir an diesen Beispielen
bemerken. Es besteht, wie wir mit Evidenz erkennen, eine gesetzmä-
ßige Beziehung zwischen den Beschaffenheiten eines Inbegriffs und
denjenigen seiner Glieder und der Beziehungen und Verknüpfungen
der Glieder.

BEILAGE

Relationen: Beschaffenheiten von Inbegriffen


I) Beschaffenheiten von Inbegriffen, welche darin bestehen, dass die einzelnen
Gegenstände gewisse bestimmte Gegenstände sind oder gewisse Beschaffenheiten
haben.
Ein Inbegriff aus einer geraden und einer ungeraden Zahl.
Der Inbegriff von Sokrates und Plato.
Ein Inbegriff aus einer geraden und einer ungeraden Zahl = ein Inbegriff, dem es
zukommt, "eine gerade und eine ungerade Zahl" zu sein. Unter Anführungszeichen
steht hier das einheitliche Prädikat, also das kollektive Prädikat. Sagen wir: "S ist eine
gerade und eine ungerade Zahl", so meint das: S ist eine gerade Zahl und S ist eine
ungerade Zahl; S hat beide Beschaffenheiten. Aber es meint nicht, was hier gemeint
sein soll: S kommt es zu, dieser Inbegriff zu sein oder solch ein Inbegriff zu sein.
Ein allgemeiner Inbegriff "ein A und ein B" hat ebenso einen Umfang wie ein
Allgemeinbegriff der Form" ein A". Und so ist auch" ein A und ein B" eine eigen-
tümliche Art von Beschaffenheiten; es sind Beschaffenheiten, deren Gegenstände
eben individuelle Inbegriffe oder singuläre Inbegriffe sind. (SA und SB), (S'Aund S'B)
... sind die Gegenstände.
2) Allgemeinbegriffe zerfallen eben in solche, welche einzelne Gegenstände unter
sich haben, und solche, welche Inbegriffe unter sich haben. Die Allgemeinbegriffe,
die Inbegriffe unter sich haben, können aber von doppelter Art sein: Entweder es
sind allgemeine Inbegriffe, also Begriffe der Form" ein A und ein B", oder sie sind
Beschaffenheiten, die in anderer Weise 'auf Inbegriffe sich beziehen, Z.B. "Sokrates
und Plato standen in dem Verhältnis von Lehrer und Schüler". Beschaffenheiten von
Inbegriffen beziehen sich immer auf die inbegriffenen Gegenstände, aber eben in
verschiedenerWeise. "Sokrates und Plato" (d.i. der Inbegriffbeider) oder deutlicher:
der Inbegriff "Sokrates und Plato" ist ein Inbegriff der Form "ein Mensch und
ein Mensch" ("Sokrates und Plato" ist "ein Mensch und ein Mensch"); "Sokrates
und Tugend" ist ein "Individuum und ein Abstraktum". Dagegen: Das gleichseitige
Dreieck und das rechtwinklige Dreieck, das sind nicht alle Dreiecksarten. Begriffe
von Inbegriffen, die nicht die Form von "allgemeinen Inbegriffen" haben, oder:
Beschaffenheiten von Inbegriffen, welche den unter sie fallenden singulären Inbe-
90 LOGIK

griffen nicht bloß Bestimmtheiten verleihen, darin bestehend, dass den Einzelnen
in den singulären Inbegriffen für sich gewisse Beschaffenheiten zuerteilt werden,
sondern so, dass die Bestimmtheit alle einzeln, aber in gleicher Weise betrifft, aber
nicht als etwas das Einzelne für sich Angehendes, sondern Relationen.

(§) 21. Verknüpfung und Beziehung


Wir wollen nun überhaupt die mit dem Begriff Mehrheit so in-
nig zusammengehörigen Begriffe Verknüpfung und Beziehung einer
Analyse unterwerfen. Was das heißt, irgendwelche Gegenstände seien
zu einem Ganzen verknüpft, seien Teile eines Ganzen, das müssen wir
als bekannt voraussetzen. Es handelt sich beim Begriff des Ganzen
oder der Verknüpfung offenbar um Grundbegriffe unserer Erkennt-
nis, die einer Definition spotten und nur durch Beispiele zu erläutern
wären. Dagegen ist es notwendig, die verschiedenen Artungen dieses
Begriffs zu verfolgen und auf die gelegentlich bald engeren und bald
weiteren Bedeutungen der in Bezug auf das Verknüpfungsverhältnis
gebrauchten Termini hinzuweisen. Im weitesten Sinne sprechen wir
von einer Verknüpfung, wo verschiedene Gegenstände überhaupt zu
einer Einheit kommen, also im weitesten Sinne des Wortes Teile eines
Gegenstandes sind. In diesem Sinne müssen wir den Satz" Moltke war
ein größerer Feldherr als Blücher" als eine Verknüpfung von Blücher
und Moltke bezeichnen. Worin besteht hier in diesem Beispiel die
Einheit zwischen Moltke und Blücher? Darin, dass ein Sachverhalt
besteht oder vorgestellt ist, in welchem der eine Gegenstand Subjekt
ist einer Beschaffenheit, in welche der andere Gegenstand als Be-
standteil eintritt. Und ebenso ist es auch, wenn wir sagen: "Moltke,
welcher ein größerer Feldherr war wie Blücher". Derartige Verknüp-
fungen heißen Verhältnisse ihrer Gegenstände.
Ganz anders, wenn wir Beispiele betrachten wie "Moltke und
Blücher", "Moltke oder Blücher" oder Beispiele wie 4+3, 4x3 usw.
oder wenn wir von der Verknüpfung zweier Strecken zu einer neuen
Strecke, zweier Dreiecke zu einem Tetraeder sprechen. Im Gewöhn-
lichen werden wir Verhältnisse nicht selbst Verknüpfungen nennen,
sondern sie Verknüpfungen gegenüberstellen, wobei also der Begriff
der Verknüpfung in einem engeren Sinn erscheint. Im wissenschaftli-
chen Sprachgebrauch der deduktiven Wissenschaften wird der Begriff
der Verknüpfung aber noch enger gefasst. Wenn man in der Arithme-
tik von Zahlenverknüpfungen, in der Geometrie von Strecken- und
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 91
Flächenverknüpfungen, in der Mechanik von Kräfteverknüpfungen
spricht, so meint man Verknüpfungen von ZaWen wieder zu einer
ZaW, von Strecken wieder zu einer Strecke, von Kräften wieder zu
einer Kraft usw. Man spricht also hier von Verknüpfung nur mit
Beziehung auf Gegenstände eines und desselben Begriffs und fasst
jeden diesem untergeordneten Begriff, welcher die Vorstellungen
jener Gegenstände als direkte Bestandteile in sich fasst, als eine
Verknüpfungsart dieser Gegenstände. So ist z.B. der Begriff der ad-
ditiven Verknüpfung irgendwelcher ZaWen, sagen wir 3 und 5, nichts
anderes als der Begriff einer ZaW, welche die Einheiten von 3 und
5 zu einer neuen ZaW verknüpft. 3 und 5 erscheinen also als direkte
Teilvorstellungen in diesem begrifflichen Ganzen, das selbst wieder
eine ZaW ist. Jeder Gegenstand des Verknüpfungsbegriffs heißt ein
Ergebnis der Verknüpfung. 8 ist Ergebnis der Verknüpfung 3 + 5.
So viele verschiedene Verknüpfungsbegriffe innerhalb eines und
desselben umfassenden Begriffs unterschieden werden können, von
so vielen Verknüpfungsarten spricht man. Es gibt so viele Arten von
Zahlverknüpfungen, als es Begriffe gibt, die mehrere ZaWen zu einer
ZaW vereinigen.
Man spricht in Bezug auf Verknüpfung auch außerhalb der deduk-
tiven Wissenschaften von Verknüpfungsart oder Verknüpfungsform,
im Gegensatz dazu woW auch von einer Materie der Verknüpfung.
Jede Verknüpfung einigt irgendwelche Gegenstände zu einem neu-
en Gegenstand. Diese einzelnen Gegenstände zusammengenommen,
der Inbegriff der verknüpften Glieder also, repräsentiert die Materie;
das, was über die bloßen Glieder da ist, das im eigentlichen Sinn
Einigende, repräsentiert die Form. Offenbar ist die Form gegenüber
der Materie etwas Unselbständiges. Nicht als ob die Form nur denkbar
wäre mit dieser Materie, aber sie ist nicht denkbar ohne Materie über-
haupt. Z.B. wenn wir die Dreiecksform betrachten, so ist sie nicht zu
denken ohne irgendwelche Strecken, die sich zum Dreieck verbinden.
Wir können die Strecken mannigfach variieren, keine einzige braucht
identisch zu bleiben, aber ohne Strecken gibt es auch kein Dreieck.
Andererseits ist aber das Dreieck nicht bloß das Sein der drei Stre-
cken. Die eigentliche Einheitsform, die wir Dreiecksform nennen, ist
ein Begriff, der die unbestimmte Vorstellung von irgendwelchen, und
zwar gerade drei Strecken einscWießt.
Insofern im weiteren Sinne des Wortes auch Verhältnisse als Ver-
knüpfungen gelten, kann man auch bei ihnen von Materie und Form
LOGIK

sprechen. Doch hört man mehr von verschiedenen Arten von Ver-
hältnissen sprechen, ja, wenn man schlechtweg von verschiedenen
Verhältnissen spricht, meint man Unterschiede, welche eben die Form
betreffen. Auch hier ist die Art, die Form, ein Abstraktum, das dem
Ganzen anhaftet und in der Tat unselbständig ist, dass es ohne ir-
gendwelche Verhältnisglieder nicht denkbar wäre. Z.B. "a ist gleich
b", "ähnlich b" usf.: Die Wörter "gleich", "ähnlich" usw. drücken
die Besonderheit des Verhältnisses, die Art desselben aus. Aber es
sind synkategorematische Worte, sie bedürfen einer gewissen Ergän-
zung, um Ausdrücke einer ganzen Vorstellung zu sein. Wir müssen
sagen: "Gleichheit zwischen Etwas und Etwas" oder: "Verhältnis,
dass etwas gleich einem anderen ist" u.dgl. Bei Verhältnissen wie
bei Verknüpfungen spricht man in gleicher Weise von Einfachheit
und Zusammengesetztheit. Einfache Verhältnisse sind Verhältnisse,
die nicht Verknüpfungen mehrerer Verhältnisse sind. "a ist gleich
und größer als b" ist ein zusammengesetztes Verhältnis, aber auch
"a gleich b", wenn die Gleichheit auf die verschiedenen Beschaffen-
heiten bezogen ist. Das Verhältnis zerfällt hier in mehrere einfachere
oder wirklich einfache Verhältnisse. Auch spricht man von unmit-
telbaren und mittelbaren Verhältnissen. Die mittelbaren sind nach
dem Schema a - b - c zusammengesetzt. Bei Verknüpfungen geht die
Komplikation hauptsächlich in der Art vor sich, dass Verknüpfungs-
ergebnisse wieder Fundamente für neue Verknüpfungen sein können.
So in der Arithmetik: «axb)+c) e f, usf.!

(§) 22. Fortsetzung. Koordinierte Verhältnisse und


die sie fundierende Beziehung
Wir haben uns in der letzten Vorlesung mit der deskriptiven Be-
trachtung der Begriffe Verhältnis und Verknüpfung beschäftigt, deren
logische Wichtigkeit, wie kaum ausgeführt zu werden braucht, eine
außerordentliche ist, da ja kein Gesetz denkbar ist, in dem nicht
Verhältnisse und Verknüpfungen die wesentlichen Substrate wären.

1 Gestrichen Beziehungen und Verknüpfungen haben für die Wissenschaft eine ganz enonne
Bedeutung. Sie bilden die Substrate aller unserer Erkenntnis. Ich merke noch an, was hier in
Allgemeinheit verständlich ist, dass man unterscheiden kann gleichseitige und ungleichseitige
Verhältnisse und Verknüpfungen als solche, in denen man die Glieder vertauschen kann, und
wo nicht. Es bildet, sowie man über die alltäglichen Verknüpfungen hinausgeht, immer eine
wichtige Erweiterung der Erkenntnis, wo man eine solche Vertauschbarkeit feststellen kann.
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 93

Versteht man den Begriff der Verknüpfung im weitesten Sinn, so


erscheinen die Verhältnisse als besondere Fälle von Verknüpfungen.
Was sie auszeichnet, ist die eigentümliche Form der Verknüpfung,
vermöge deren ein Verknüpfungsglied oder ein Inbegriff solcher als
"Subjekt" ausgezeichnet ist, während die übrigen in das Attribut
dieses Subjekts eingehen. In dem Verhältnis "a ist größer als b"
oder "a ist größer als bund c" u.dgl. finden wir diese eigentümliche
Bevorzugung, nicht aber, wenn wir von einer Verknüpfung zweier
Strecken zu einer neuen Strecke sprechen oder von einer Zahlver-
knüpfung, überhaupt von einem Ganzen in einem engeren Sinne des
Wortes. Indessen besteht hier eine allgemeine Beziehung zwischen
Verhältnissen und Verknüpfungen, die nicht die Form von Verhält-
nissen haben. Wenn wir die Einheit zweier Strecken a, ß in einer
Strecke betrachten, so gehört ihr ein Paar von Verhältnissen zu. Ich
kann von a sagen, es sei mit ß, von ß, es sei mit a verknüpft. Und so
zerfällt die Verknüpfung in eine Mehrheit von Verhältnissen. Genauer
gesprochen bleibt die Verknüpfung Verknüpfung. Aber es gilt das
Gesetz, dass, wo immer eine Verknüpfung besteht, da kann jedes
Verknüpfungsglied zum Subjekt eines Verhältnisses gemacht werden,
in dessen Prädikat dann die übrigen Verknüpfungsglieder gehören.
Natürlich darf das Machen hier nicht als ein bloß subjektives Thn
gelten. Offenbar ist objektiv der Gedanke der Verknüpfung und jedes
der ihm zugehörigen Verhältnisse ein verschiedener. Offenbar gilt
das Gesetz, dass zu jeder Verknüpfung eine Mehrheit koordinierter
Verhältnisse gehört, mindest zweier; das Letztere dann, wenn die
Verknüpfung bloß zwei Glieder hat. Die Zahl dieser koordinierten
Verhältnisse hängt offenbar von der Zahl der Glieder ab, wobei die
Form der Verhältnisse noch wechseln kann. Hier wäre noch Raum
für weitere nicht unwichtige deskriptive Unterschiede, die ernstlich
in Betracht zu ziehen man sich nicht die Mühe gegeben hat, obschon
sie im wissenschaftlichen Denken eine Rolle spielen. Sind z.B. drei
Strecken A, B, C zu einem Dreieck vereinigt, so steht A in dem
Verhältnis zu B, C, dass es mit diesen beiden zusammen ein Dreieck
konstituiert. Ebenso haben wir entsprechende Verhältnisse zwischen
Bund A, C; C und A, B. Wir können aber auch von einem Ver-
hältnis bloß zweier dieser Glieder sprechen: A steht zu B in dem
Verhältnis, dass es mit C zusammen ein Dreieck konstituiert. Ich
kann auch das C unbestimmt lassen: A steht zu B in dem Verhältnis,
dass es eine gewisse Strecke gibt, die das Dreieck komplettiert usw.
94 LOGIK

Das gibt eine außerordentliche Mannigfaltigkeit von Möglichkeiten.


Und offenbar haben wir mit jeder solchen Wendung einen neuen
Gedanken, und allen diesen Gedanken liegt in gewisser Weise als
Fundament zugrunde die Dreiecksverknüpfung der Strecken A, B, C.
Und diese gesetzmäßige Beziehung, in der eine Verknüpfung zu einer
solchen Fülle von Verhältnissen Anlass gibt, besteht im Falle jeder
Verknüpfung überhaupt.
Nicht leicht zu entscheiden ist die Frage, ob auch umgekehrt jedem
Verhältnis eine Verknüpfung entspricht, die ihm gewissermaßen als
Fundament zugrunde liegt, ihm sowie anderen koordinierten Ver-
hältnissen. Man wird diese Frage bei sorgsamer Erwägung bejahen
müssen. Betrachten wir z.B. Gleichheitsverhältnisse: a ist gleich b, bist
gleich a. Weisen auch diese zurück auf eine Verknüpfung, in welcher
a und b ohne prädikative Stellung und Bevorzugung als Glieder fun-
gieren? Wenn wir in' der Anschauung eine Gleichheit erfassen, etwa
eine Gruppe von zwei oder mehreren roten Kugeln, so brauchen wir
nicht eine prädikative Bevorzugung eintreten zu lassen, in einem Blick
erfassen wir die Gleichheit zusammen mit der räumlichen Konfigu-
ration. Wenn wir zwanzig Kugeln haben, so müssten wir andernfalls
20X~O I Verhältnisse durchlaufen; was sicher nicht anzunehmen ist.
Man könnte auch hinweisen darauf, dass wir schlechthin von einer
Gleichheit zwischen a und b sprechen und dass in diesem Gedanken
weder das a noch das b, von der zeitlichen Folge abgesehen, als Subjekt
bevorzugt erscheinen. Indessen besteht gegen dieses Argument ein
Einwand dahingehend, dass Gleichheit zwischen a und b nichts weiter
besage wie eins der beiden Verhältnisse selbst, nicht aber eine von
beiden zu unterscheidende Verknüpfung. Die beiden Verhältnisse "a
gleich b" und" b gleich a" haben ja die Beziehungsform, welche durch
das Wörtchen "gleich" angedeutet ist, gemein, und der Terminus
Gleichheit drückt dann eben den Bestand eines Verhältnisses dieser
Form aus. Wäre diese Auffassung richtig, was jedoch nicht sicher ist,
so könnte man sich mit ihr doch so abfinden: Man könnte sagen,
dass das wesentliche Interesse meist auf den Verhältnissen ruht und
nicht auf der Verknüpfung. Gewöhnlich kommt es uns darauf an,
dass dieses oder jenes Element eben die Beschaffenheit hat, zu einem
gewissen anderen in Gleichheitsbeziehung zu stehen. Indessen wird
man besser behaupten müssen, dass "Gleichheit zwischen a und b"
eine gewisse Äquivokation einschließe, wonach es unterschiedslos
die Verknüpfung und die einzelnen in ihr fundierten Verhältnisse
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 95

bezeichne, und dass man sich diese Äquivokation nur darum nicht zum
Bewusstsein bringt, weil eben die vorhin erwähnte Gesetzmäßigkeit
besteht und hier überdies die Gedanken "Es liegt eine Gleichheit
zwischen a und b vor" und Z.B. "a ist mit b gleich" salva veritate
miteinander vertauscht werden können. Noch deutlicher wird die
Sache bei den Verhältnissen, die wir nachher als ungleichseitig be-
zeichnen werden, wie "a ist größer (als) b", "a ist intensiver wie
b" u.dgl. Hier genügt die Angabe "Es besteht ein Größenverhältnis,
ein Intensitätsverhältnis " nicht unserem vorherrschenden Interesse,
denn wir wissen dann noch nicht, ob a > b oder b < a. In den
koordinierten Verhältnissen ist die Stellung der Beziehungspunkte
nicht vertauschbar. Aber welche Stellung die richtige ist, das wissen
wir erst, wenn wir eins der Verhältnisse kennen; ohne prädikative
Gliederung kommen wir hier nicht zu voller Bestimmtheit. Daher
liegt uns besonders an den Verhältnissen, und die Ausdrücke Größen-
verhältnis, Intensitätsverhältnis repräsentieren je einen allgemeinen
Terminus für diese unbekannten Attributionen, während sie doch
hinweisen auf ein sprachlich für sich nicht ausgedrücktes Fundament,
auf eine all diese koordinierten Verknüpfungen begründende ein-
heitliche Verknüpfung. Wir dürfen es danach als richtig annehmen,
dass jedem Verhältnis eine gewisse Verknüpfung entspricht, welche
dieselben Glieder hat, aber sie doch nicht in der Form von Subjekt
und Attribut gegenüberstellt. Jedem Verhältnis, dies ist ein Gesetz,
entsprechen gewisse koordinierte Verhältnisse mit denselben Glie-
dern, aber in verschiedener Stellung, wobei die Form bald dieselbe
ist, bald eine verschiedene. Koordiniert sind: a = b, b = a; a > b, b < a.
Und jede Gruppe koordinierter Verhältnisse hat identisch dasselbe
"Fundament", d.h. ruht auf einer und derselben Verknüpfung. Eben
dies nennen wir die Beziehung, die identisch der abgeschlossenen
Mannigfaltigkeit koordinierter Verhältnisse entspricht. Die Benen-
nung freilich ist nicht ganz passend, denn Beziehung und Verhältnis
sind Ausdrücke, die gewöhnlich im selben Sinn verwendet werden.
Der beste Ausdruck wäre der schon von den Scholastikern gebrauchte
Jundamentum relationis. Jedes Verhältnis habe ein Fundament, eben
die von ihm verschiedene, aber mit ihm äquivalente Verknüpfung,
die nur nicht mit einem koordinierten Verhältnis verwechselt werden
darf. Leider ist in unserer Zeit der Ausdruck äquivok geworden. Die
neueren Forscher, indem sie die für die Relationstheorie so wichtige
Sachlage verkannten und Verhältnis mit Verknüpfung identifizierten,
96 LOGIK

verloren damit auch das Verständnis des scholastischen Terminus und


bezogen ihn auf die Glieder der Verhältnisse. So ist es gegenwär-
tig ein fast allgemeiner Sprachgebrauch geworden, die Glieder der
Verhältnisse als Fundamente der Beziehung zu bezeichnen, während
im guten alten Sinn der Ausdruck Fundament gar keinen Plural in
Hinsicht auf dieselbe Gruppe koordinierter Verhältnisse zulässt. J. St.
Mill hat gelegentlich den Ausdruck fundamentum relationis im Sinn
der Scholastiker akzeptiert. Er definiert in seiner berühmten Ausgabe
des psychologischen Hauptwerks seines Vaters J. Mill den Terminus
Relation in folgender Weise: "Irgendwelche Objekte, gleichgültig ob
geistig oder physisch, stehen in Relation zueinander vermöge irgend-
eines komplexen Bewusstseinszustandes, in welchen sie beide eintre-
ten ... Und sie stehen zueinander in so viel verschiedenen Relationen,
als es spezifisch verschiedene Bewusstseinszustände gibt, von denen
sie beide Teil ausmachen. ".
Eine solche Definition könnten wir natürlich nicht akzeptieren, da
nach uns die Relation nicht ein Bewusstseinszustand ist und es uns
ganz verkehrt erscheinen würde, die Attraktionsbeziehung zwischen
Sonne und Erde als einen subjektiven Bewusstseinszustand irgend-
jemandes zu bezeichnen. Aber was Mill im Auge hat, ist offenbar
nicht ein Bewusstseinszustand, sondern eben das, was wir als die
ein Verhältnis fundierende Verknüpfung bezeichneten. Leider hat
auch Mill den Unterschied zwischen Verhältnis und Verknüpfung
übersehen, und daher bei ihm das Schwanken in der Terminologie~
Jenen "Bewusstseinszustand" bezeichnet er bald als fundamentum
relationis im Sinne der Scholastiker und bald wieder als Relation
selbst. Mitunter bezeichnet er aber auch die Verhältnisse und wie-
der die relativen Attribute, die in ihnen als Prädikat fungieren, als
Relationen:· Auch der treffliche Bolzano, aus dessen Wissenschafts-
lehre in Sachen der deskriptiven Grundlegung der formalen Logik
mehr zu lernen ist als aus allen übrigen logischen Werken alter und
neuerer Zeit zusammengenommen, hat den Begriff des Fundamentes
nicht erfasst, obschon er sonst den Unterschied zwischen Verhält-
nis und Verknüpfung scharfsinnig, obwohl nicht einwandfrei, erör-
tert. Es würde uns aber zu weit führen, auf seine ganz eigenarti-

• Vgl. James Mill, An Analysis al/he Phenomena al/he Human Mind, (vol. 11, London 1878,
S. 10, Anm.) .
•• Vgl. John Stuart Mill, Logik, Bd. I, Erstes Buch, Kap. 111, § 10.
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 97

gen Bemühungen einzugehen. Auf die Flüchtigkeiten und Unklar-


heiten anderer Logiker lohnt es überhaupt nicht, Rücksicht zu neh-
men.
Jede wie immer geartete Verknüpfung, das Wort im weitesten Sinne
genommen, kann als Fundament für gewisse Gruppen von Verhält-
nissen dienen. Da nun auch jedes Verhältnis unter den Begriff der
Verknüpfung im weitesten Sinne fällt, so können auch Verhältnisse
Fundamente sein, woraus sich unendliche Verwicklungen ergeben.
Z.B. "a ist größer als b": Also a steht in dem Verhältnis zu b, dass a
größer als b ist. Hier gilt wieder dasselbe. a steht in dem Verhältnis zu
b, dass a in dem Verhältnis zu b steht, dass a größer als bist usw. Das
sind offenbar ganz wertlose Verwicklungen. Der objektive Gedanken-
gehalt ist zwar bei jedem Schritte ein geänderter, aber es liegen hier
unmittelbare Äquivalenzen vor, die in den Begründungszusammen-
hängen keinerlei wesentliche Rolle spielen und unsere Erkenntnis
demgemäß nicht erweitern und fördern.

(§) 23. Gleichseitige und ungleichseitige


Verhältnisse. Reihen, Ordinalzahlen
Von größter Wichtigkeit ist hingegen der Unterschied zwischen
gleichseitigen und ungleichseitigen Verhältnissen bzw. Verknüpfun-
gen. Manche Verknüpfungen sind derart, dass die ihnen zugehörigen
Verhältnisse sich durch nichts anderes unterscheiden als durch die
Stellung der Glieder. Die Form der koordinierten Verhältnisse ist
hingegen dieselbe, z.B. a = b, b = a; a verschieden (von) b ... Bei
anderen hingegen ist dies nicht der Fall. Ist a intensiver wie b, so
lautet das koordinierte Verhältnis: b weniger intensiv wie a; a > b,
b < a, usw. Wir haben hier in der Form spezifische Unterschiede,
und die Vertauschung der Glieder erfordert, damit wir wirklich das
koordinierte und damit äquivalente Verhältnis erhalten, die Vertau-
schung der Spezies: a rechts von b, b links von a. Allen koordinierten
Verhältnissen entspricht dann eine Gattung im aristotelischen Sinn.
Die beiden Verhältnisse a > bund b < a haben eine gemeinsame
Gattung, sie sind beide Größenverhältnisse. Ebenso sprechen wir
allgemein von Lagenverhältnissen, von Intensitätsverhältnissen usw.
Diese Gattungsbegriffe können selbst als Formbegriffe im Verhältnis
auftreten, wie wenn wir sagen: "a steht in einem Intensitätsverhältnis
zu b." Dann aber haben wir ein gleichseitiges Verhältnis, das durch
LOGIK

Differenzierung der Gattung in die beiden zugehörigen ungleichsei-


tigen Verhältnisse übergeht.
Die erörterten Unterschiede spielen in der Wissenschaft eine
höchst bedeutsame Rolle. Hier sei nur eins erwähnt, dass alle Un-
terschiede zwischen zufälligen und in der Sache selbst gründenden
Ordnungen auf dem Unterschied zwischen gleichseitigen und un-
gleichseitigen Verhältnissen beruhen. Hier ist daher die Quelle der
Begriffe Reihe und Mannigfaltigkeit, welche für alle Mathematik
fundamental sind. Im weitesten Sinn könnte man von einer Ordnung
gewisser Objekte a, b, c ... schon sprechen, wenn sie in einer Verket-
tung der Form a =b =c =.., gedacht wären (a <p b <p c ...). Aber solche
Ordnungen sind zufällige, den Gegenständen selbst äußerliche. Wir
können die Glieder willkürlich vertauschen, denn die Verhältnisse,
die sich verketten, sind gleichseitig. Ganz anders, wenn es sich um
ungleichseitige Verhältnisse handelt: a> b > c > d ... Hier ist eine Ver-
tauschung unmöglich. Eine Gruppe verschiedener Größen bildet per
se eine feste Reihe, gleichgültig ob wir sie in dieser Reihe denken oder
nicht. Und die Ordnung ist eine feste, weil jedes Glied einen festen
und in keiner Weise veränderlichen Platz hat. Was eben ausgeführt
wurde, würde gelten, welche ungleichseitigen Verhältnisse immer die
Glieder in solch einer Verkettung von Verhältnissen in Beziehung
setzten. Indessen spricht man aber nur dann von einer Reihe, wo alle
Verhältnisse der Verkettung von derselben Form sind.
Es wären nun mehrere wichtige Unterschiede zu machen und Be-
griffe zu erörtern: die Unterschiede zwischen begrenzten und unbe-
grenzten, zwischen offenen und geschlossenen Reihen. Die begrenz-
ten Reihen sind eo ipso ungeschlossen, sie können einseitig begrenzt
sein oder zweiseitig begrenzt. Dann ist zu differenzieren, was Rand-
glied, Anfangsglied, Endglied heißt usf. (Inversion von Reihen). Von
da aus ergeben sich weitere wichtige Untersuchungen. Ob eine Reihe
offen oder geschlossen, begrenzt oder unbegrenzt ist, das liegt oft in
der Natur ihrer Glieder. Und so ist es nicht Sache der Willkür, wo
ein begrenztes Reihenstück gegeben ist, ob man sie in Form einer
geschlossenen oder einer offenen Reihe evtl. in infinitum fortsetzt.
Z.B. die Töne ordnen sich in eine Reihe. Nun sind uns aber nicht alle
erdenklichen Töne gegeben, die Tonfolge hat nicht eine bestimmt
charakterisierte Grenze. Woher wissen wir nun, dass das Bild der
Tonreihe als einer orthoiden Reihe, dass die Versinnlichung durch
eine unendliche Gerade zutrifft? Woher wissen wir, dass bei einer
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 99

Fortsetzung der Reihe in die Höhe hinauf, falls unsere Gehörsfähig-


keit nur entsprechend erweitert würde, nicht schließlich die tiefsten
Töne sich anreihen? Es ist also von großer Wichtigkeit, Bedingungen
festzustellen, aus denen man entscheiden kann, ob eine begrenzte
Reihe nur fortsetzbar ist in Form einer offenen Reihe oder fortsetzbar
ist in Form eines Zyklus. In der Tat ist es möglich, solche Bedingungen
zu finden.

(§) 24. Klassenvorstellung und distributive Vorstellung


Nachdem wir (im) § 19 den Begriff der Vielheit und nun den Be-
griff der Reihe erörtert haben, könnten wir hier auch anschließen
die für unsere Erkenntnis so wichtigen Begriffe der Kardinal- und
Ordinalzahlen.
Da wir es aber nicht weiter mit der Erforschung der Zahlen zu tun
haben, gehen wir lieber weiter in den Deskriptionen, die für die theo-
retischen Deduktionen des nächsten Abschnitts fundamental sind.
Wir hatten besprochen die verschiedenen Formen und Eigentüm-
lichkeiten von singulären Vorstellungen und dann von Mehrheitsvor-
stellungen. Von besonderem Interesse waren dabei diejenigen, welche
attributiv bestimmt waren, also einzelne Gegenstände oder Mehrhei-
ten von Gegenständen eines gewissen Begriffs vorstellten. Auch von
den Klassenvorstellungen war schon die Rede, sofern wir bei den
Begriffen und Attributivvorstellungen von einem Umfang sprachen.
Der Umfang eines Begriffs ist ja die Gesamtheit der Gegenstände,
die ihm unterstehen, und diese Gesamtheit ist es, die man auch als die
dem Begriff zugehörige Klasse bezeichnet.
Ich füge nun einige weitere Vorstellungsformen bei.
Zunächst die Form" alle A ". Sie ist nah verwandt mit der Klassen-
vorsteIlung, hat aber eine distributive und nicht wie diese eine kol-
lektive Funktion. Wenn wir sagen: "Die Klasse der Menschen kreuzt
sich mit der Klasse der moralisch verworfenen Wesen", so bezieht
sich das Prädikat auf die ganze Klasse, aber nicht auf jedes Einzelne
in derselben; der einzelne Mensch kreuzt sich nicht mit der Klasse der
moralisch verworfenen Wesen. Sagen wir aber: "alle Menschen", z.B.
"Alle Menschen sind sterblich", so stellen wir zwar auch die Klasse
vor, aber beziehen das Prädikat auf jedes Einzelne aus der Klasse.
Wir haben in den letzten Vorlesungen vom Begriff des Inbegriffs
ausgehend eine Gruppe äußerst wichtiger und innig zusammenge-
100 LOGIK

höriger Begriffe erörtert, so die Begriffe Verhältnis, Verknüpfung,


Beziehung, die Begriffe Ordnung und Reihe nebst einigen anderen
mit diesen als Besonderungen oder Arten zusammenhängenden Be-
griffen. Es handelte sich überall um Begriffe charakteristisch ver-
schiedener Formen der Verbindung einer Mannigfaltigkeit zu einer
Einheit. Und die eigentümliche Stellung, welche der Begriff des Inbe-
griffs unter ihnen einnimmt, ist die, dass jeder wie immer beschaf-
fenen Verbindung ein gewisser Inbegriff entspricht, der Inbegriff
eben der zur Einheit verbundenen Teile, und damit hängt zusam-
men, dass man jede Verbindungsform definieren kann mittels einer
Vorstellung, in welcher der Begriff des Inbegriffs auftritt; eine jede
ist ein Inbegriff so oder so verbundener Elemente. Abstrahieren
wir von der Verbindungsart, so erwächst der Begriff eines Inbe-
griffs irgendwie verbundener Elemente; es ist dies der allgemeine
Mannigfaltigkeitsbegriffin dem in der heutigen Mathematik üblichen
Sinn. Abstrahieren wir auch davon, dass überhaupt eine Verbindung
da ist, so haben wir einen bloßen Inbegriff, das bloße Zusammen
der Elemente, das aber selbst wieder den Charakter einer gewis-
sen Einheitsform besitzt, so dass bloße Inbegriffe doch wieder als
Besonderungen von Mannigfaltigkeiten angesehen werden können,
während diese umgekehrt durch Determinationen aus dem Begriff
des Inbegriffs hervorgehen. Demnach sind die Begriffe Inbegriff und
Inbegriff irgendwie verbundener Elemente äquivalente Begriffe, d.h.
sie haben einen gleichen Umfang, obschon einen verschiedenen In-
halt.!

(§) 24a. Kardinalzahlen. Vielheit und Allheit


Die Einigung von Gliedern zu einer Vielheit hebt alle Bevorzugung
einzelner auf. Alle Ordnung beruht aber darauf, dass Glieder zu einer
Einheit verknüpft sind durch Formen, in welchen es so etwas wie
Stellung der Glieder gibt, in welchen also eine Vertauschung von
Gliedern die Verknüpfung nicht identisch erhält,oSondern in gewisser
Weise verändert. In vollkommenster Weise finden wir diese Eigen-
tümlichkeit realisiert in den Reihenbegriffen, in welchen merkwür-
1 Gestrichen Wenn wir von einern Inbegriff irgendwie verbundener Elemente sprechen, so
kann nun entweder gemeint sein, dass die Verbindungsart eine gewisse nicht näher bezeichnete
sei, oder es kann gemeint sein, dass uns die Verbindungsart völlig gleichgUltig ist und es uns
nur darauf ankomme, dass die und die Elemente zusammen da sind, also uns nur ankomme auf
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 101

dige Verbindungen ungleichseitiger Verhältnisse jedem Glied gegen-


über jedem anderen eine feste Stellung verleihen. So speziell nun
die Determinationen auch sind, durch welche aus bloßen Inbegriffen
Reihen, sei es einfache oder mehrfache, resultieren, so besteht doch
in den Formen eine innige Verwandtschaft, die sich in den für alles
theoretische Denken so fundamentalen Zahlbegriffen äußert. Eine
analoge Abstraktion, die von den Inbegriffen zu den Kardinalzahlen
führt, führt von den Reihen zu den Ordinalzahlen in ihren mannigfa-
chen, mehr oder minder komplizierten Artungen.
Vergleichen wir irgendwelche Inbegriffe miteinander, so können
wir je nach der Richtung der Abstraktion verschiedene allgemeinere
Begriffe gewinnen. Abstrahieren wir von der Besonderheit der einzel-
nen Glieder, nicht aber von der Besonderheit der Verbindungsform,
so kann zunächst als allgemeinster Begriff hervortreten der des In-
begriffs, der Vielheit überhaupt. Halten wir aber an jedem einzelnen
Glied eines Inbegriffs fest, dass es ein Einzelnes, dass es ein Etwas,
und zwar von jedem anderen Glied des Inbegriffs verschiedenes, d.h.
mit ihm nicht identisches Etwas ist, dann treten speziellere Begriffe
hervor, die noch frei sind von dem besonderen Gehalt der einzel-
nen Glieder der in concreto gegebenen Inbegriffe. Am deutlichsten
wird dies, wenn wir die bei den Mathematikern übliche Methode der
eindeutigen Zuordnung benützen.
Vergleichen wir eine Vielheit von Äpfeln und eine Vielheit von
Birnen, und ordnen wir je einem Apfel je eine Birne zu, bis alle Äpfel
erschöpft {sind}, dann kann es sein, dass die Ordnung eine gegenseitig
eindeutige {ist} .Wir sagen dann, die Anzahl sei die gleiche. Was ist hier
das Gleiche? Offenbar dies, dass beide Vielheiten dieselbe Vielheits-

jenen Inbegriff. Im letzteren Fall sprechen wir von einer bloßen Menge. Z.B. ein Geldhaufen ist
eine Menge von Geldstücken. Im Grunde unterscheidet sich also der Begriff der Menge und der
des Inbegriffs seinem objektiven Gehalt nach nicht, der Unterschied liegt nur in der subjektiven
Anweisung, die Verbindungsart als etwas Gleichgültiges anzusehen. Sprechen wir von einer
"Allee Bäume", so haben wir die Fonn der Anordnung mit im Auge, sprechen wir aber im
Hinblick auf dieselbe Allee von "dieser Menge von Bäumen", so wollen wir das Interesse
von der Anordnung und sonstigen Verbindungsfonnen ablenken und auf das bloße Zusammen
hinienken. Allerdings hat aber der Begriff der Menge noch gewisse Nebenbedeutungen, vor
allem die, dass die Glieder alle Gegenstände eines und desselben Begriffs A sind, und ferner
auch die, dass die Anzahl der Glieder eine relativ große ist. Man kann aber davon leicht absehen
und im gegebenen Fall, falls es nötig ist, diese Detenninationen hinzufügen. Objektiv reichen
wir also mit dem Begriff des Inbegriffs aus. Sollen, wie dies im praktischen Denkgebrauch Regel
ist, alle Glieder derselben Art A sein, so sprechen wir eben von einem Inbegriff der Art A oder
von einer Menge, einer Vielheit der Art A, was alles gleichbedeutende AusdrUcke sind.
102 LOGIK

form haben, sei es die Form "irgendeins und irgendeins " oder die
Form "irgendeins und eins und eins" usw. Diese Form bleibt unge-
ändert, wenn ich zwar jeden Apfel als etwas für sich und von jedem
anderen Unterschiedenes betrachte, aber davon absehe, dass es ein
Apfel ist. Wenn ich also unter dieser Bedingung in der Apfelvielheit
jeden Apfel, in der Birnenvielheit jede Birne unter Festhaltung ihrer
Einzelnheit und Unterschiedenheit als ein ganz beliebiges Objekt
vorstelle, ein beliebiges Etwas, dann fließen die beiden Vielheiten,
die der Äpfel und die der Birnen, ineinander über, es resultiert eine
Vorstellung der Form "eins und eins und ... und eins". "Ein Apfel
und ein Apfel" hat in diesem Sinne dieselbe Form wie "eine Birne
und eine Birne" oder "eine Birne und ein Mensch" u.dgl. Die Form
ist der Begriff" eins und eins" oder" zwei". Sie ist verschieden von der
neuen Form" eins und eins und eins usf. ", obschon alle diese Formen
wieder das gemeinsam haben, dass es Inbegriffsformen sind. So spaltet
sich der allgemeinste Begriff des Inbegriffs oder der Vielheit in eine
Reihe charakteristisch unterschiedener spezieller Formen, und das
sind die Zahlen oder Kardinalzahlen. Für den theoretischen Zweck
kommen aber eigentlich etwas inhaltsreichere Begriffe in Betracht,
nämlich die auf Vielheiten einer gewissen, im Übrigen nicht näher
bestimmten Art A bezüglichen Bildungen "ein A und ein A" usw.
In diesem Fall geht die völlig unbestimmte Einheit, das bloße Etwas,
über in die Einheit der Art A. Die Zählung hält sich also innerhalb des
Umfangs eines gewissen vorgegebenen Begriffs wie Apfel, Meter usf.
Da ein Apfel nicht eine Vielheit von Äpfeln, ein A nicht eine Vielheit
von A ist, so kann auch ein Apfel resp. ein A nicht als eine Anzahl
bezeichnet werden. Die erste Zahl in der Reihe der Zahlen ist zwei A.
Bilden wir aus zwei A definitorisch die neuen Zahlen zwei A und ein
A und bezeichnen sie als drei A, ebenso drei A und ein A (als) vier A
usw., so gewinnen wir die Reihe der so genannten natürlichen Zahlen
(einseitig unendlich). Damit ist aber nicht die Gesamtheit der Zahlen
überhaupt erschöpft. Denn wir können auch den Begriff der Anzahl
der Zahlen der natürlichen Zahlenreihe bilden, welcher, wie leicht zu
beweisen, nicht identisch sein kann mit irgendeiner Zahl dieser Reihe
selbst. Diese Anzahl hat merkwürdige Unterschiede gegenüber allen
natürlichen Zahlen. Von je zwei natürlichen Zahlen ist erweisbar,
dass keine ihrer Teilzahlen gleich ist der ganzen Zahl. Anders verhält
es sich mit der Anzahl aller natürlichen Zahlen. 1234 ... ; 1357 ...
Und so kann man in der Tat die zahlen einteilen in endliche und
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 103

unendliche Zahlen mittels der Definition: Endlich ist eine Zahl, wel-
che keine Teilzahl enthält, die gleich wäre der ganzen; unendlich im
gegenteiligen Fall. Man kann diese Unterscheidung natürlich schon
beim Begriff der Vielheit anbringen in folgender Form: Eine Vielheit
ist unendlich, wenn es möglich ist, mittels eines Teils ihrer Glieder eine
Vielheit zu bilden, die sich der ganzen Vielheit gegenseitig eindeutig
zuordnen lässt. An diese Definitionen knüpfen sich interessante Sätze,
wie z.B. der, dass jede endliche Zahl gleich sein muss einer, und nur
einer Zahl in der natürlichen Zahlenreihe, während dies von keiner
unendlichen gelten kann.
Noch eins muss betont werden. Die Begriffe Einheit und Ein-
fachheit dürfen nicht verwechselt werden. Unzählige Irrtümer in der
Metaphysik sind durch diese Verwechslung verschuldet worden. Was
als eins gezählt wird, kann ebenso gut ein Einfaches sein als ein
Zusainmengesetztes. Es kann z.B., was von einem Gesichtspunkt der
Zahlbildung als eins gilt, von einem anderen Gesichtspunkt aus eben-
so gut als Vielheit gelten. Ein Haufen von Äpfeln ist eine Vielheit von
Äpfeln. Zählen wir aber mehrere Haufen von Äpfeln, so ist der Haufe
eins; die Einheit hat sich eben geändert. Zuerst wurden Äpfel gezählt,
dann Haufen von Äpfeln. Dass solch ein Wechsel des Gesichtspunktes
möglich ist, ist selbstverständlich. Denn der Begriff der Einheit fällt
ja zusammen mit dem Begriff des Etwas oder dem des Etwas einer
gewissen Art A, und so gibt es nichts, was nicht als Einheit bezeichnet
werden kann. Immer wird man einen Begriff finden, unter den es fällt,
mindest den Begriff des Etwas.
An die begrifflichen Vorstellungen" ein A ", "viele A", "eine be-
stimmte Anzahl", ,,2, 3 ... A" reiht sich noch ein merkwürdiger und
wichtiger Begriff an: der Begriff der Allheit der A. Wir haben hier
die Vorstellung einer Vielheit von A, in welcher jedes A als Glied
auftritt, oder, wie wir mit Bolzano auch sagen können: Allheit der A,
das heißt ein Inbegriff, in dem jedes Glied ein A ist und jedes A ein
Glied ist.' Offenbar ist die Allheit der A identisch dasselbe wie das,
was man auch als "Klasse der A" oder als Umfang des Begriffs A
bezeichnet.
In der Lehre von den Sätzen werden wir einen zweifachen Ge-
brauch der Ausdrücke "viele A", "alle A" als bedeutsam finden,
den man als kollektiven und distributiven Gebrauch unterscheidet.

• VgI. Bolzano, Wissenschafts/ehre, Bd. I, S. 407f.


104 LOGIK

Wenn wir sagen: "Viele Menschen, alle Menschen bringen mehr zu-
stande als ein einzelner", so meinen wir viele oder alle Menschen
zusammengenommen. Hier supponiert das Wörtchen" viele" resp.
"alle" in kollektiver Bedeutung. Sagen wir aber: "Viele Menschen
sind energielos", "Alle Menschen streben nach Glück", so meinen
wir jeden einzelnen Menschen, und hier supponieren die sogenannten
Quantitätszeichen in distributivem Sinn.
Eine gewisse Distribution findet auch im ersten Fall statt, insofern
zu der Leistung, von der im ersten Beispiel die Rede ist, jeder Einzelne
aus einer Vielheit von Menschen beiträgt, aber es bezieht sich das
Prädikat nicht auf jeden einzelnen Menschen und seine Leistung,
während dies im zweiten Beispiel der Fall ist. Offenbar ist der ei-
gentliche Gedanke im ersten Beispiel der, dass die Gesamtheit der
Menschen oder eine umfassende Vielheit von Menschen, die sich
zu einer Arbeitsleistung vereinigt, mehr zustande bringt als ein ein-
zelner Mensch; und die Verbindung des Ausdrucks "alle resp. viele
Menschen" schafft eine ungehörige Äquivokation. Im eigentlichen
Sinn supponiert dieser Ausdruck in distributivem Sinn, und beseiti-
gen wir die Äquivokation, so bleibt der Unterschied übrig zwischen
den Paaren" Vielheit von A" und "viele A", "Allheit der A" und
"alle A ". "Viele A" ist dabei identisch mit "jedes aus einer Vielheit
von A "; "alle A" ist dabei identisch mit "jedes aus der Gesamtheit
der A ". Und wo immer die Ausdrücke im eigentlichen, d.i. distri-
butiven Sinn gebraucht werden, da müssen die gleichbedeutenden
dafür substituierbar sein. "Alle Menschen sind sterblich": "Jeder
aus der Gesamtheit der Menschen ist sterblich." Hier tritt nun in
der Zusammensetzung das merkwürdige Wörtchen "jeder" auf, und
überdies sagen wir, dass dieses allein genügen würde, dass überall,
wo wir in distributivem Sinn das Wörtchen "alle" gebrauchen, auch
"jeder" dafür gesetzt werden kann: "Alle Menschen sind sterblich"
= "Jeder Mensch ist sterblich". Und oft kann auch das Wörtchen
"ein" oder der Ausdruck "eins, beliebig welches" substituiert wer-
den: "Alle Dreiecke haben drei Winkel" = "Jedes Dreieck hat drei
Winkel" = "Ein Dreieck hat drei Winkel, ein beliebiges Dreieck,
gleichgültig welches". Die Frage ist, ob der objektive Gedankengehalt
identisch derselbe geblieben ist. Man könnte zweifeln, ob "jedes A "
eine Bedeutung hat, in der die Vorstellung von der Gesamtheit der
A expliziter Bestandteil ist. Sagen wir: "alle A", so stellen wir die
Allheit vor, wollen aber von jedem Glied derselben etwas aussa-
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 105

gen. Sagen wir: "jedes A", so scheint es nicht, dass wir die Allheit
explizit vorstellen. Es fragt sich aber, ob das nicht bloß subjektive
Unterschiede sind. Sagen wir bloß: " ein A" oder: " ein beliebiges A"
im Sinne unseres Beispiels, so ist der Gedanke subjektiv sicher ein
anderer: Wir stellen zunächst ein Einzelnes vor und fügen dann im
Denken bei, dass jedes beliebige Einzelne, das A ist, uns ebenso gut
dienen könnte, dass von ihm dasselbe gelten würde. Objektiv scheint
es aber, dass wir identisch denselben Gehalt vor Augen haben wie
beim Ausdruck "jedes A". Aber nicht bloß in diesen Beziehungen
besteht einiger Zweifel. Hervorragende Psychologen und Logiker,
zuallererst Brentano und Sigwart, lehren, dass Ausdrücke wie " alle
A" und "jedes A" bloß Synkategorematika sind, also einer selbständi-
gen Bedeutung ermangeln: Den Satz" Alle Menschen sind sterblich"
interpretiert die traditionelle Logik als einen affirmativen Satz. Das ist
falsch, sagen die erwähnten Forscher. "Jeder" oder "alle", das heißt
"keiner, der nicht": "kein Mensch, der nicht sterblich wäre". Die
Negation im "kein" gehört aber nicht zum Subjektbegriff Mensch,
sondern zur Kopula: "Ein Mensch, der nicht sterblich wäre, ist nicht. "
Ist diese Ansicht richtig, dann würde nur der Begriff der Allheit,
der Gesamtheit, eine selbständige Bedeutung haben, während die
sonstigen erwähnten Ausdrücke auf Bestandteile von Sachverhalten
synkategorematisch hindeuten und somit erst in der Lehre von den
Sätzen zu erörtern wären.
Zum Glück für die Logik sind diese Differenzen nicht von so
großer Bedeutung, wie Brentano gemeint hat. Denn begehen wir auch
einen Fehler damit, Unselbständiges für selbständig, psychologisch
Verschiedenes für logisch verschieden zu halten, so gleicht doch die
Äquival@nz der zugehörigen Satzformen den Fehler wieder aus oder
macht ihn wenigstens in seinen Wirkungen unschädlich.
Ähnliche Begriffsbildungen, wie wir sie in Bezug auf Vielheiten
gefunden haben, ergeben sich auch in Bezug auf Reihen. Haben
wir irgendeine, es sei der Einfachheit halber eine einseitig begrenzte
Reihe, so ist in Bezug auf das Randglied das nächstfolgende Glied
das in der Folge erste, das auf dieses folgende das zweite, das auf das
zweite folgende das dritte usw. Und so begründen denn überhaupt die
Begriffe des folgenden, des auf das folgende folgenden usw. Glieds

• Vgl. Christoph Sigwart, Logik. Zweite durchgesehene und erweiterte Aufl., Freiburg i. B.
1889, Bd. I, §27.
106 LOGIK

den objektiven Gehalt der Ordinalzahlen. Offenbar können wir jedes


Glied einer Reihe als Ausgangsglied nehmen und in Bezug auf dieses
die Zählung vollführen. Doch ergeben sich hier zwei Richtungen
des Fortschritts entsprechend den beiden einander korrelativen und
dabei ungleichseitigen Inhalten, die in überall gleichförmiger Weise
die Reihe aufbauen. Und damit hängt der Unterschied positiver und
negativer Zahlen zusammen. Ebenso entsprechen den unendlichen
Vielheiten die unendlichen Reihen, den unendlichen Kardinalzahlen
die unendlichen Ordinalzahlen. Dem Begriff Allheit der A entspricht,
wenn alle Gegenstände eines Begriffs sich zu einer Reihe zusam-
menschließen, der Begriff der vollen Reihe, wie z.B. der Begriff
der Reihe aller erdenklichen Tonspezies. Hat man den Begriff der
Kardinalzahl schon gebildet, so kann man mittels des Reihenbegriffs
die Ordinalzahlen auch als zusammengesetzte Begriffe definieren, in
welchen die entsprechenden Kardinalzahlen Teilbegriffe darstellen.
In Bezug auf das Anfangsglied oder Nullglied können wir Reihen-
strecken denken von 2, 3 ... Gliedern. Endglied einer in Bezug auf
den Nullpunkt als Ausgang genommenen Reihe von zwei Gliedern,
das wäre dann als das zweite Glied definiert usw.

(§) 25. Verneinende Vorstellungen


Indem ich einige minder wichtige innere Unterschiede und Be-
schaffenheiten von Vorstellungen übergehe,1 will ich noch besonders
den Unterschied zwischen bejahenden und verneinenden Vorstellun-
gen erörtern. Unter diesem Titel wird seit alters her gelehrt, dass
jeder Vorstellung eine kontradiktorisch entgegengesetzte entspricht,
jeder Vorstellung A eine Vorstellung non-A. Die Scholastiker nannten
diese an jeder Vorstellung A mögliche Operation, durch welche aus
ihr ein non-A zu bilden ist, Infinitation. Indessen ist dies doch erst zu
überlegen: Ist Airgendeine Gegenstandsvorstellung, dann bedeutet
non-A etwas, das nicht A ist. Denn bei Gegenstandsvorstellungen ist
Negation ohne Attribution nicht denkbar. Alle Negation hat direkten
Bezug auf irgendeinen Sachverhalt, und nur insofern als Sätze als
determinative Bestandteile auch in Vorstellungen auftreten können,
die nicht selbst Sätze sind, können auch diese Negationen in sich auf-
nehmen. Demgemäß kann non- A nicht, wie der sprachliche Ausdruck

1 Ausnahmsvorstellungen; vgl. Bolzano, (Wissenschafts/ehre, Bd. I,) §88, (S.) 414.


BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE HYl

anzudeuten scheint, aus einer Verknüpfung des A mit der Vorstellung


oder dem Begriff des "nicht" resultieren. Dem Wörtchen "nicht"
entspricht keine selbständige Vorstellung und auch kein Begriff. Es
ist ein synkategorematischer Ausdruck, der erst durch den ganzen
Satz seine volle Bedeutung erhält und dabei in keinem Satz als Prädi-
kat fungieren kann. "Nicht" ist nicht eine Beschaffenheit. Wollen
wir irgendein Vorstellungsobjekt negieren und die entsprechende
verneinende Vorstellung bilden, so müssen wir also eine Attributiv-
vorstellung bilden, in der die Negation in Form einer verneinenden
Attribution auftritt. Und soll zu jeder Vorstellung eine verneinende
gehören, so muss aus jedem A sich die Vorstellung "etwas, das nicht
A ist" bilden lassen. Dies scheint in der Tat möglich, und zwar in
einer überall identischen Weise: ein Baum - ein Nicht-Baum, d.i.
Etwas, das nicht Baum ist; Sokrates - Nicht-Sokrates = Etwas, das
nicht Sokrates ist. Scheinbar ist hier in beiden Beispielen die Proze-
dur dieselbe, obschon die eine Vorstellung attributiv ist, die andere
nicht. Indessen sieht man sofort, dass nichtbegriffliche Gegenstands-
vorstellungen, z.B. Individualvorstellungen, nur darum ein Negati-
vum haben, weil dem Individuum in gewisser Beziehung immer eine
Attributivvorstellung entspricht. Der Individualvorstellung Sokrates
entspricht die Vorstellung "Etwas, das identisch mit Sokrates ist",
und dies liefert dann durch Negation "Etwas, das nicht identisch ist
mit Sokrates". Sagen wir kürzer: "Etwas, das Nicht-Sokrates ist",
dann supponiert das "ist Nicht-Sokrates" eben von vornherein für
"ist nicht-identisch mit Sokrates". Also Gegenstandsvorstellungen,
welche nicht die Form von Attributivvorstellungen haben, können
sich nur in der Weise mit Negationen verbinden, dass durch Her-
einziehen des Identitätsbegriffs eine ihnen entsprechende und ihnen
äquivalente Attributivvorstellung gebildet wird.
Werden wir nun in jedem Fall, wo eine Verneinung als Bestandteil
einer Vorstellung auftritt, auf Attributionen zurückgeführt, so fragt es
sich nun, in welcher Weise die Negation hierbei fungieren kann. Jede
Attribution repräsentiert eigentlich einen Relativsatz: ein kranker
Mensch = ein Mensch, welcher krank ist; ein unsterbliches Wesen
= ein Wesen, welches unsterblich ist. In diesem Relativsatz hat nun
die Negation in jedem Fall Bezug auf das Prädikat, aber in doppelter
Weise. In einem beliebigen Satz kann doch die Negation entweder
so fungieren, dass sie ihn selbst zu einem negativen Satz macht, aber
auch so, dass sie Bestandteil des Prädikats ist, dass der Prädikatbegriff
108 LOGIK

also ein negativer ist, während der Satz selbst affirmativ bleibt. Den
Satz "Sokrates ist nicht krank" nennen wir einen negativen, den Satz
"Sokrates ist gesund" einen affirmativen. Gesund bedeutet so viel wie
nicht-krank. Das Nichtkranksein wird von Sokrates bejaht, während
im ersteren Satz das Kranksein von Sokrates verneint wird. Beides
mag äquivalent sein, aber es ist gedanklich doch verschieden. Und
so kann es sich auch in Relativsätzen verhalten. Sie können negativ
sein oder affirmativ mit negativem Prädikat. Das Erstere gilt in der
Vorstellung "Sokrates, welcher den Giftbecher nicht fürchtete", das
Letztere in der Vorstellung "Sokrates, welcher unsterblich ist". Hier
ist der Begriff selbst verneinend, d.h. enthält die Negation in sich.
Offenbar gehört nun zu jedem Prädikat, also zu jedem Begriff, ein
verneinender: sterblich - unsterblich, vergänglich - unvergänglich,
grün - nichtgrün, Mensch - Nichtmensch usw. Und so gehört zu jeder
Attributivvorstellung eine solche mit negativem Attribut, in der also
der Begriff negativ ist, aber natürlich auch eine solche, wo der Be-
griff verneint ist, als dem Subjektträger nicht zukommend vorgestellt
ist. Sprachlich wird beides nur zu trennen sein, wo man den vollen
Relativsatz verwendet.
Im Übrigen ist es klar, dass die Negation in einer und derselben
Vorstellung vielfach auftreten kann; sie kann eben vielfache Attribu-
tionen einschließen, und innerhalb einer jeden kann negiert werden.
Überdies kann auch bei einer einzelnen Attribution die Negation eine
mehrfache sein. Dasselbe Prädikat kann ja eine beliebige Anzahl von
Negationen häufen: sterblich, nichtsterblich, nicht-nichtsterblich usw.
Aber nach einem später zu erwähnenden Grundgesetz kann jedes
solches Prädikat äquivalent ersetzt werden durch ein solches ohne
jede Negation, wenn die Anzahl der Negationen gerade ist (aequis),
während, wenn die Anzahl ungerade (ist), im Prädikat alle Negati-
onszeichen bis auf eins gestrichen werden dürfen.
Wenn man affirmative und negative Vorstellungen gegenüberstellt,
so meint man, wie ich noch hinzufügen muss, nicht den allgemei-
neren Unterschied von Vorstellungen, die Negationen einschließen,
und solchen, die es nicht tun, sondern Gegensätze der Form A und
non-A, also genauer, Paare von kontradiktorisch entgegengesetzten
Prädikaten oder ihnen entsprechenden unbestimmten Attributivvor-
stellungen: " Etwas, das A ist" und" Etwas, das nicht A ist" resp. ihnen
äquivalente Paare. Aber natürlich kann der besondere Unterschied
nicht gründlich erörtert werden ohne den allgemeineren. Zu beachten
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 109

ist noch, dass, wo negative Begriffe in der Sprache auftreten, ihr Sinn
in der Regel nicht in der vollen Negation liegt. " Unsterblich " meint
eigentlich nicht ein Prädikat von allem und jedem, das nicht sterblich
ist, wozu auch Dreieck, Schwefelsäure u.dgl. gehören würden, sondern
nur organische Wesen. Ein Unsterbliches ist also = ein organisches
Wesen, welches unsterblich ist, so dass die Verneinung innerhalb
eines gegebenen Begriffs sich hält, auf 'den die entsprechende Af-
firmation von vornherein beschränkt ist (1\vardowski)." Coupe für
Nichtraucher heißt nicht ein Coupe für Hunde, Katzen, WarenbaUen,
Dreiecke u.dgl. So, wie man unter Rauchern Menschen versteht, die
rauchen, so unter Nichtrauchern Menschen, die nicht rauchen. Die
gewöhnliche Bedeutung der "Infinitation" besteht also darin, dass
ein übergeordneter Begriff dichotomisch eingeteilt wird: Menschen
in Raucher und Nichtraucher, in Sterbliche und Unsterbliche usf.
Und mit Beziehung auf solch eine Einteilung des Begriffs B bedeutet
non-A ein B, welches nicht A ist. Für logische Zwecke muss natürlich,
was gemeint ist, auch unzweideutig ausgedrückt werden. Thn wir dies,
dann wird es zu keiner Verwechslung kommen zwischen Formen wie
"ein Nicht-A" und "ein B, das nicht A ist".
Historisch sei noch bemerkt, dass Aristoteles Vorstellungen je-
ner voll verneinenden Form non-Aals OVOllu'tU &.oQtcJ'tu, d.h. "un-
bestimmte Vorstellungen" bezeichnet hat:" Diese an sich unzweck-
mäßige Bezeichnung wurde dann ins Lateinische übersetzt durch con-
ceptus infiniti, woraus dann im Deutschen der ganz falsche Ausdruck
"unendliche Vorstellungen ", den man auch bei Kant findet, erwach-
sen ist. Die falsche Übersetzung hat dann zu sonderlich verkehrten
Grübeleien geführt, in denen man dem Adjektiv Unendlich einen
passenden Sinn zu geben versuchte.
Der große englische Philosoph Locke hat in seinem Essay be-
zweifelt, ob es verneinende Vorstellungen überhaupt gebe. Worte
wie "nichts", "Unwissenheit", "Unfruchtbarkeit" sollen nach ihm
nicht Vorstellungen, sondern den bloßen Mangel von Vorstellungen
bezeichnen:"" Locke begeht damit eine sonderbare Verwechslung.
Unfruchtbarkeit bezeichnet die Beschaffenheit von irgendetwas, die
darin besteht, dass ihm die Fruchtbarkeit mangelt. Dass eine ge-
" Vgl. Kasimir 1\vardowski, Zur Lehre vom Inha/t und Gegenstand der Vorstel/ungen, Wien
1894,S. 22.
"" Vgl. Bolzano, Wissenschafts/ehre, Bd. I, S. 420.
""" Vgl. 0.0.0., S. 418.
110 LOGIK

wisse Beschaffenheit mangelt, ist für einen Gegenstand selbst eine


Beschaffenhei~. Aber dieser Mangel einer Beschaffenheit, selbst als
Beschaffenheit gedacht, ist doch nicht dasselbe wie der Mangel einer
Vorstellung überhaupt. Das Wort" Unfruchtbarkeit" hat eine objek-
tive Bedeutung, die jedermann versteht. Wer das Wort gebraucht,
deutet damit nicht den Mangel einer Vorstellung überhaupt an, und
selbst wenn er das täte, so entspräche dem Wort abermals eine Vor-
stellung als Bedeutung. Auch das Wort "nichts" hat eine bestimmte,
obschon widerspruchsvolle Bedeutung: Etwas, das nicht Etwas ist; so
wenigstens, wenn es eine selbständige Vorstellung bezeichnen soll.
Im Zusammenhang der Rede entfällt der Widerspruch, weil" nichts "
überall synkategorematisch fungiert, also nicht einen selbständigen
Gegenstand bezeichnen will. Z.B. "Ich habe über diesen Gegenstand
nichts erfahren" = "Etwas auf diesen Gegenstand Bezügliches habe
ich nicht erfahren". Das" nichts" fasst hier das" etwas" und" nicht"
zusammen. Aber diese Zusammenfassung darf man nicht für einen
eigenen Begriff ansehen.
Es verhält sich das" nichts" also hier wie das" kein" im so genannt
universellen negativen Satz" Kein A ist B ".

(§) 26. Vorstellungen von Vorstellungen


Wir haben schon gelegentlich bemerkt, dass als Gegenstand einer
Vorstellung selbst wieder Vorstellungen, und zwar wieder objektive
fungieren können, und wir wollen diese wichtige Klasse von Vor-
stellungen in unserer Aufzählung ausdrücklich zu berühren nicht un-
terlassen und sie, Bolzano folgend, als Vorstellungsvorstellungen be-
zeichnen: Indem wir in diesem Abschnitt verschiedene Vorstellungs-
arten besprochen haben, haben wir damit lauter Vorstellungen von
Vorstellungen gebildet; so der Begriff einer selbständigen oder un-
selbständigen, einer einfachen oder zusammengesetzten Vorstellung.
Der Ausdruck "eine Vorstellung, welche aus mehreren Vorstellungen
zusammengesetzt ist" ist eine Vorstellungsvorstellung. Dagegen ist
die Vorstellung, die dem Ausdruck "ein guter Mensch" entspricht,
eine schlichte Vorstellung. Sie ist zwar ein Kompositum, in welcher
Teilvorstellungen zu unterscheiden sind, aber die Vorstellungen, die
als Teile auftreten, sind nicht der Gegenstand, welchen die ganze Vor-

• Vgl. 0.0.0., S. 426.


BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 111

stellung vorstellt. Unter einem guten Menschen verstehen wir einen


Menschen, aber nicht eine Vorstellung, und wenn wir sagen "Der
gute :Mensch ist sich des rechten Weges wohl bewusst": so meinen
wir nicht, dass die Vorstellung des guten Menschen sich des rechten
Weges wohl bewusst ist. Das gilt von allen Arten von Vorstellungen,
und im Besonderen muss man Begriffe von Begriffen und schlichte
Begriffe wohl auseinander halten.
Wir hatten es bisher mit inneren Beschaffenheiten und Unter-
schieden der Vorstellungen zu tun. Wir wollen jetzt dazu übergehen,
Verschiedenheiten der Vorstellungen in Betracht zu ziehen, die aus
ihrem Verhältnis untereinander hervorgehen.

(§) 27. Identität und Gleichheit der Vorstellungen


Die erste Frage, die uns hier entgegentritt, ist naturge(mäß) die, ob
mehrere Vorstellungen in dem Verhältnis vollkommener Gleichheit
stehen können. Dass es unzählige subjektive Vorstellungen gibt, die
einander gleich, und völlig gleich sind, daran ist nicht zu zweifeln,
notabene, falls man, wie es gewöhnlich geschieht, unter vollkommen
gleichen subjektiven Vorstellungen solche versteht, die einen iden-
tischen objektiven Gehalt haben. In diesem Sinne haben wir alle
gleiche Vorstellungen, wenn wir alle dasselbe Wort, etwa "Baum",
in gleichem Sinne nehmen und verstehen. Allerdings sind die psychi-
schen Phänomene keineswegs vollkommen gleich. Der eine nimmt als
Stütze für seine vorstellende Tätigkeit die Anschauung einer Tanne,
der Zweite die einer Linde usw. Und selbst wenn im psychologischen
Gehalt allen inneren Beschaffenheiten nach volle Gleichheit bestehen
würde, was übrigens unendlich unwahrscheinlich ist, so bliebe doch
die individuelle Differenz bestehen, die Angehörigkeit zu diesem
oder jenem individuellen Bewusstsein. Wie verhält es sich nun mit
objektiven Vorstellungen? Viele subjektive Akte können, sagten wir,
identisch denselben objektiven Gehalt haben, und dieses ist eben
die objektive Vorstellung. Wodurch unterscheiden sich nun objektive
Vorstellungen? Dass ein Gedanke von vielen gedacht wird, bedingt
in seiner Identität keinen Unterschied, so wenig als ein Individuum,
wie Sokrates, seine identische Einheit verliert dadurch, dass er von
verschiedenen vorgestellt wird. Offenbar entspringt Nichtidentität,

• Vgl. Goethe, Faust I, V.328.


II2 LOGIK

Mannigfaltigkeit unter den objektiven Vorstellungen dadurch, dass in


Bezug auf die innere Konstitution derselben oder in Bezug auf die
Gegenstände, die sie vorstellen resp. vorstellen können, Ungleichheit
besteht. Wo ein gegebener individueller Gegenstand durch eine ein-
fache Vorstellung vorgestellt wird, z.B. wenn wir auf eine vorliegende
Anschauung in ihrer individuellen Bestimmtheit hinweisen, da ist
der objektive Gehalt ein identisch festgelegter. Es können nur die
subjektiven Akte verschieden sein, oder es kann der Gedankenzu-
sammenhang ein verschiedener sein, der sich an diesen Gegenstand
anknüpft und seine Vorstellung bald so, bald so in sich eingliedert. Der
Zusammenhang kann hier aber den Gehalt der Vorstellung nicht än-
dern und sie doch in Bezug auf die inneren Momente gleich erhalten.
Anders verhält es sich bei den begrifflichen Vorstellungen. Nehmen
wir etwa die Vorstellung "etwas", und zwar zunächst in ihrer Isolie-
rung, ohne alle weitere Beziehung zu anderen Gedanken. Wie oft wir
da das Wort und den subjektiven Vorstellungsakt wiederholen mögen:
wir entdecken keine Unterschiedenheit, wir stellen immer dasselbe
vor, einen schlechthin unbestimmten Gegenstand. Wir können hier
nicht von Identität oder Nichtidentität des vorgestellten Gegenstan-
des sprechen, eben weil kein bestimmter Gegenstand gemeint ist. Mit
dem Denken eines Unbestimmten erschöpft sich also der objekti-
ve Gehalt, und so besteht Identität. Aber wie, wenn wir attributive
Bildungen betrachten mit verschiedenen Attributen: "etwas, das rot
ist", "etwas, das blau ist", "etwas, das rund ist", "etwas, das nicht
rund ist" usw.? Können wir wieder sagen, die Vorstellung "etwas",
die hier überall als Bestandteil auftritt, hat identisch denselben Ge-
halt? Offenbar nicht. Die Attribution determiniert das zunächst und
in seiner Isolierung völlig Unbestimmte evtl. sogar zur individuellen
Bestimmtheit, wie wenn wir sagen: "etwas, das identisch mit Sokrates
ist". Es tritt also hier das Merkwürdige ein, dass die Verknüpfung
einer und derselben objektiven Vorstellung mit anderen Vorstellun-
gen sie selbst infiuenziert, ihren objektiven Gehalt in gewisser Weise
modifiziert, und zwar betrifft diese Modifikation nicht die Materie,
d.i. das Begriffliche an der Vorstellung, sondern deli Gegenstand.
Ähnliches tritt überall ein, wo wir unbestimmte Attributivvor-
stellungen betrachten mit gleichen Attributen. In ihrer Isolierung
entfällt jede Verschiedenheit, aber sowie sie als Bestandteil anderer
Vorstellungen auftreten, kann in Hinsicht auf den Gegenstand Modi-
fikation statthaben. Zwischen den Vorstellungen "etwas, das rot ist"
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 113

und "etwas, das rot ist" finden wir nicht den leisesten Unterschied.
Sowie aber Neues dazutritt, Z.B. "etwas, das rot und kreisförmig",
"etwas, was rot und dreieckig ist", ist auch der objektive Gehalt des
"etwas" ein anderer: Aus dem unbestimmten Gegenstand scWechthin
ist im ersten Fall ein unbestimmter Kreis, im zweiten ein unbestimmtes
Dreieck geworden. Und so verhält es sich mit begrifflichen Vorstel-
lungen überhaupt. Das Rot dieses Hauses und das Rot jenes Hauses
ist nicht identisch dasselbe, also (sind) die Vorstellungen auch nicht
identisch. Dagegen entspricht den Wörtern "Rot" und "Rot" in ihrer
Isolierung dieselbe Vorstellung. Es ist nur ein anderer Ausdruck dieser
Tatsache, wenn wir sagen: Abstrahieren wir bei zwei in Bezug auf die
Materie identischen begrifflichen Vorstellungen von dem sonstigen
Gedankenzusammenhang, in dem sie stehen, so fließen sie in eine
identische Vorstellung zusammen. Abstrahieren wir vom Zusammen-
hang nicht, so tritt eine gewisse Differenzierung ein, insofern die
an sich identischen Begriffe Beziehung gewinnen auf verschiedene
Gegenstände oder auf verschiedene Klassen von Gegenständen und
evtl. zu Vorstellungen ergänzt werden, die verschiedene Gegenstände
selbst vorstellen.
Danach ist die Behauptung Bolzanos, dass es bei objektiven Vor-
stellungen so etwas wie völlige Gleichheit nicht gebe; zu modifizieren
oder richtig zu interpretieren, ebenso wie die sonst auch oft wieder-
holte Behauptung, dass Begriffe nicht gleich, sondern identisch sind.
Richtig ist, dass das Wörtchen "rot", in welchem Zusammenhang es
immer erscheint, dieselbe Bedeutung hat, insofern als die vorgestellte
Materie dieselbe ist. Andererseits geht doch eine gewisse Modifikati-
on mit der Vorstellung vor je nach ihrer Beziehung auf das oder jenes
Individuum, diese oder jene Klasse. Sehen wir von dieser Modifikation
ab, dann gilt es natürlich, dass völlige Gleichheit in Bezug auf den
eigentlichen begrifflichen Gehalt nicht existiere, sondern dann nur
Identität. Nehmen wir die Modifikation aber mit auf, dann müsste bei
der Vergleichung auch die Beziehung auf Gegenstände in Betracht
gezogen werden, und völlig gleiche Vorstellungen seien identisch,
hieße bei begrifflichen Vorstellungen so viel wie, die Vorstellungen
hätten identisch dieselbe Konstitution und hätten identisch dieselbe
Beziehung auf Gegenstände. Hier ist in der Tat der objektive Gehalt
in jeder Hinsicht identisch.

• Vgl. Bolzano, Wissenschafts/ehre, Bd. I, §9I.


114 LOGIK

Dass viele Logiker die Rede von identischen Vorstellungen vermei-


den und Vorstellungen gleichen Gehalts nur als gleiche gelten lassen
wollen, das hängt natürlich damit zusammen, dass sie sich den Begriff
der objektiven Vorstellung niemals klargemacht haben. Andererseits
finden wir häufig die Inkonsequenz, dass einerseits der Begriff der
Vorstellung subjektiv genommen und dann doch von einer Identität
von Vorstellungen, zumal von Begriffen, gesprochen wird. Oft werden
übrigens auch äquivalente Vorstellungen mit gleichen oder identi-
schen verwechselt. Begriffliche Vorstellungen gleichen Umfangs, aber
verschiedenen Inhalts, sind als Vorstellungen durchaus nicht gleich.

Anmerkung. Ich will bei dieser Gelegenheit die beiden Begriffe Identität und
Gleichheit in ihrer Beziehung zueinander erörtern. Der Begriff der Identität ist einer
Analyse nicht zugänglich, er ist ein letztes und nicht weiter definierbares objektives
Element. Höchstens kann man zur Verständigung sagen, Identität komme einem
Gegenstand zu mit Beziehung auf verschiedene Begriffe, denen er untersteht, mit
Beziehung auf verschiedene Vorstellungen, die ihn vorstellen u.dgl. Offenbar ist
damit mehr der psychologische Ursprung des Begriffs angezeigt. In wiederholter
Vorstellung beziehen wir uns auf einen Gegenstand und erkennen ihn immer wieder
als denselben. Der Begriff der Identität ist aber überall vorausgesetzt bei derartigen
Charakteristiken. Der Begriffder Gleichheit ist hingegen nicht ein völlig einfacher, er
setzt den Begriff der Identität voraus. Wenn zwei oder mehrere (also nicht identische)
Gegenstände einem und demselben Begriff unterstehen, so heißen sie in Hinsicht auf
die zugehörige Gattung gleich. Zwei Gegenstände sind in Hinsicht auf die Form
(gleich), wenn sie beide Dreiecke sind oder Vierecke etc. Sie sind in Bezug auf die
Farbe gleich, wenn sie beide rot sind oder beide blau usw. Zwei Mengen sind in Bezug
auf die Anzahl gleich, wenn beide identisch dieselbe Anzahl haben.
Danach ist ersichtlich, dass zwei Gegenstände nicht in allen erdenklichen Hinsich-
ten gleich sein können, denn das hieße, dass sie unter alle erdenklichen Begriffe fallen,
also auch alle erdenklichen Beschaffenheiten gemein haben (Axiom). Dann aber wä-
ren sie identisch ein Gegenstand. Nicht identische Gegenstände müssen doch mindest
den Unterschied haben, dass ihre direkten Vorstellungen verschieden sind, dass also
der eine der Vorstellung A untersteht und der andere derselben nicht untersteht.
Alle Gleichheit, das Wort im prägnanten und objektiv logischen Sinn genommen,
ist also eine Art partieller Identität in Bezug auf die oder jene Beschaffenheiten,
und absolute Gleichheit ist ein bloßer Grenzbegriff, der mit Identität äquivalent ist.
Daher können wir im Allgemeinen nicht schlechthin sagen, zwei Gegenstände seien
einander gleich; wir müssen die Rücksicht hinzufügen, in welcher die Vergleichung
statthat. Wenn wir vergleichen, so haben wir die Gegenstände bereits als Gegenstände
eines gewissen Begriffs aufgefasst, und was wir weiter konstatieren wollen, ist, ob auch
der Artbegriff, unter dem sie stehen, derselbe ist. Wir vergleichen nicht Dreieck und
Pferd, sondern Pferd und Pferd oder Dreieck und Dreieck. Vergleichen wir Pferde,
so wollen wir wissen, ob sie gleichartig sind, ob sie von derselben Rasse, Farbe usw.
sind.
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 115

Das Gegenteil von Identität ist Nichtidentität, das von Gleichheit ist Ungleichheit.
Beide Gegenteile werden sprachlich oft mit dem einen Ausdruck .. Verschiedenheit"
bezeichnet, eine unliebsame Äquivokation. Und die Äquivokation wird noch kom-
plizierter dadurch, dass man für Verschiedenheit auch Unterschied sagt und dieser
letztere Ausdruck wieder gelegentlich für Abstand verwendet wird. Wo also von
Verschiedenheit oder Unterschied die Rede ist, muss immer darauf wohl geachtet
werden, ob bloß Nichtidentität, also bloß Sonderung in einer Mehrheit gemeint ist
oder ob es sich um das Resultat einer Vergleichung mehrerer Objekte handelt. Z.B.
was ich in der Vielheit als Einheit zähle, um die Anzahl zu gewinnen, muss von jedem
anderen Zählungsobjekt verschieden sein. Verschiedenheit meint hier offenbar bloß
Nichtidentität. Sagt man hingegen, um die Zahl zu bestimmen, abstrahiere man von
allem Unterschied, von aller Verschiedenheit der einzelnen Zählungsobjekte, so ist
offenbar Ungleichheit gemeint. Man kümmert sich (nicht) um die Beschaffenheiten,
die dem einen zukommen, dem anderen nicht, aber auch nicht (um) die Beschaffen-
heiten, die ihnen gemein sind, sondern nur darum, dass sie nicht identisch sind. Man
hält jedes als ein von jedem anderen identitätsverschiedenes Etwas fest.

(§) 28. Verhältnisse der Vorstellungen nach ihrem Inhalt


Nachdem wir die Frage, ob es zwei Vorstellungen gebe, die in
jeder Hinsicht gleich sind, verneint haben, ergibt sich die weitere
Frage, ob Vorstellungen gleich sein können in gewisser Rücksicht,
und welches dann weiter die hauptsächlichsten Rücksichten sind, in
welchen Gleichheiten bestehen, überhaupt, welches die allgemeinsten
und wesentlichsten Verhältnisse zwischen Vorstellungen sein mögen,
die sich bei der Vergleichung ergeben.
Dass in verschiedenen Vorstellungen gleiche Teilvorstellungen auf-
treten können, ist klar. Die Logiker pflegen nun zwei Gesichtspunkte
anzugeben, nach denen Vorstellungen verglichen werden können:
den Gesichtspunkt des Inhalts und den des Umfangs. Indessen ha-
ben wir aus guten Gründen die Termini Inhalt und Umfang auf
die begrifflichen Vorstellungen eingeschränkt, und so betreffen diese
Gesichtspunkte ausschließlich diese eine, allerdings höchst wichtige
Vorstellungsklasse.
Betrachten wir zunächst die Inhaltsverhältnisse. Haben zwei Be-
griffe denselben Inhalt, sind also in beiden Fällen dieselben Merk-
malvorstellungen zu der Einheit eines Begriffs verknüpft, so sind sie
eigentlich nicht zwei Begriffe, sondern ein Begriff. Wo wir von den-
selben Begriffen sprechen, da abstrahieren wir ja von aller Beziehung
auf Gegenstände. Zwischen einfachen Prädikaten, für sich betrachtet,
besteht also nur entweder Identität oder Nichtidentität. Solche Prä-
116 LOGIK

dikate können aber in mannigfachen Zusammenhängen stehen und


erhalten in ihnen verschiedenartige Beziehungen auf Gegenstände.
Natürlich kann aber auch der Fall eintreten, dass solche Verknüpfun-
gen zum Teil dieselben, zum Teil verschiedene Merkmale enthalten.
Es können alle Merkmale in dem einen Begriff enthalten sein in denen
des anderen: Dreieck - rechtwinkliges Dreieck, rechtwinkliges Drei-
eck - spitzwinkliges Dreieck. Es können beiderseits einige Merkmale
identisch auftreten, aber beiderseits verbunden mit nichtidentischen.
Es kann aber auch sein, dass die beiden Begriffe gar keine Merkmale
gemein haben: Dreieck und Seele. Wir können diese Verhältnisse
analytische Inhaltsverhältnisse nennen, weil die bloße Analyse des
Inhalts der Begriffe genügt, um die Verhältnisse festzustellen. Mit den
analytischen Verhältnissen dürfen aber nicht verwechselt werden die
synthetischen, die am klarsten hervortreten, wenn wir den Begriff des
idealen Inhalts verwenden. Analysieren wir einen Begriff, so treten
die Merkmale hervor, aus denen er wirklich besteht, die reell in ihm
enthalten sind. Z.B. Dreieck bedeutet eine von drei geraden Strecken
umgrenzte Figur. Es ist dies die Definition des Dreiecks. Der Zweck
der Definition ist hier, in gehöriger Ordnung diese reellen Merkmale
aufzuzäWen. An diese, wie man auch sagt, konstitutiven Merkma-
le knüpfen sich nun gewisse konsekutive. Jedem Begriffsgegenstand
kommen aufgrund dieser Merkmale unzählige neue zu, wie dem Drei-
eck, dass es drei Winkel hat, die sich zur Winkelsumme zweier Rechte
ergänzen, dass die drei Höhen sich in einem Punkt schneiden usw.
Die Gesamtheit dieser konsekutiven und der konstitutiven Merkmale
wird zum idealen Inhalt des Begriffs zusammengefasst, und man kann
nun die idealen Inhalte in ähnlicher Weise vergleichen wie die eigentli-
chen Inhalte. Man begeht nun nicht selten die Verwechslung, die kon-
sekutiven Merkmale auch als Bestandteile des Begriffs aufzufassen,
was sie offenbar nicht sind. Die Rede von dem idealen Inhalt ist eine
uneigentliche, da die Einheit seiner Merkmale erst durch Hinblick
auf die Gegenstände und die Notwendigkeitsbeziehungen erwächst,
die gesetzmäßig an die definitorischen Merkmale der Gegenstände
neue Merkmale anknüpfen. Diese Notwendigkeitsbeziehungen sind
das Primäre, und es führt zu keinen Grundgesetzen, wenn man die
Verhältnisse der idealen Inhalte betrachtet.
Von ungleich größerer Wichtigkeit als diese Inhaltsverhältnisse
erweisen sich für die logische Forschung die Umfangsverhältnisse der
Begriffe und die ihnen äquivalenten Verhältnisse. Wie Sie wissen, ver-
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 117

stehen wir unter Umfang die Gesamtheit der Gegenstände, die dem
Begriff unterstehen, d.h. denen das betreffende Prädikat oder jedes
der betreffenden Prädikate, die den Begriff ausmachen, zukommt,
wobei wir dahingestellt lassen, ob solche Gegenstände wirklich exis-
tieren oder nicht. Der Umfang eines Begriffs ist ein gewisser Inbegriff,
und so lassen sich, wie Inbegriffe überhaupt, so auch Umfänge von
Begriffen vergleichen in Bezug auf ihre Quantität. Die entsprechende
Vergleichung der Begriffe, wollen wir sagen, erfolgt nach ihrer Weite.
Zweiter Gesichtspunkt der Vergleichung ist der in Bezug auf die
Gegenstände, die in die Umfänge hineingehören. Und dieser Ver-
gleichung entspricht ein wichtiges Verhältnis der Begriffe selbst, auf
dem diese Umfangsverhältnisse ruhen, wie wir gleich sehen werden.

(§) 29. Vergleichung der Begriffe nach ihrer Weite


Zwei Begriffe können einen gleich weiten Umfang haben, d.h.
jedem Gegenstand des einen entspricht ein Gegenstand des anderen,
und umgekehrt, in gegenseitig eindeutiger Zuordnung. Z.B. es haben
die Begriffe Kardinalzahl und Ordinalzahl nicht denselben Umfang
- denn keine Kardinalzahl ist eine Ordinalzahl -, aber einen gleich
weiten Umfang; es besteht gegenseitig eindeutig Korrespondenz. Die
Weite ist hier gemessen durch eine unendliche Zahl desjenigen Typus,
der von Cantor als w bezeichnet wird: Es können die Umfänge aber
auch gleich weit und von endlicher Größe sein, also dieselbe natürli-
che Zahl als Maß haben. So haben die Begriffe Seite eines Vierecks
und Winkel eines Vierecks gleiche Weite, sie haben beide gleich viele
Gegenstände, und zwar vier.
Sind zwei Begriffe in Bezug auf die Weite ihrer Umfänge ungleich,
so kann es vorkommen, dass der eine weiter ist als der andere (um-
fangsgrößer) resp. umgekehrt, Z.B. Einheit einer endlichen gegebenen
Zahl und Einheit einer unendlichen Zahl. Nicht von allen Begriffen
können wir sagen, sie hätten gleiche oder ungleiche Weite, weil nicht
alle Begriffe in dieser Hinsicht überhaupt vergleichbar sind. Wir
können nicht die Menge von Syllogismen und die von Dreiecken
miteinander vergleichen (Bolzano);•• es fehlt an einem Prinzip, das
eindeutige Zuordnung ermöglichte. Zu beachten ist nur, dass die

• Georg Cantor. Grundlagen einer allgemeinen Mannichfa/tigkeits/ehre, Leipzig 1883, S. 14.


•• Bolzano, Wissenschafts/ehre, Bd. I, S. 438f.
118 LOGIK

quantitative Vergleichung nicht bei unendlichen Vielheiten, also auch


bei Begriffsumfängen unendlicher Weite Halt machen muss, wie schon
unser Beispiel der Kardinalzahlen und Ordinalzahlen lehrte. Aller-
dings müssen wir es hier hinnehmen, (dass) die zwei Umfänge, von
denen der eine Teil ist des anderen, gleiche Weite haben können (un-
gerade Anzahl und Anzahl). Aber eine Absurdität liegt hier durchaus
nicht. Zugleich ergibt sich hier die Artigkeit der kantischen Behaup-
tung, dass sich Begriffe rücksichtlich des Umfangs nur vergleichen
lassen, wenn sie einander untergeordnet sind, weil man sonst nicht
wissen könne, welcher von ihnen mehr Gegenstände umfasst.·

(§) 30. (Vergleichung der Begriffe) in Bezug auf


ihre Gegenstände (und) nach dem Umfang
Gehen wir nun zur Vergleichung der Begriffe über in Hinsicht auf
ihre Gegenstände. Denken wir uns zunächst, es existierten Gegenstän-
de in Bezug auf jeden zweier verglichener Begriffe A und B. Dann
haben wir fünf mögliche Fälle: Entweder jeder Gegenstand von A ist
zugleich Gegenstand von B, oder umgekehrt. Oder es ist zugleich jeder
Gegenstand von A Gegenstand von B, und umgekehrt. Es kann aber
auch sein, dass einige Gegenstände von A beiden Begriffen gemein
sind, während beide noch überdies andere Gegenstände enthalten.
Endlich kann es auch sein, dass beide Begriffe keinen einzigen Ge-
genstand gemein haben. In Bezug auf die Umfänge haben wir dann
offenbar die folgenden Verhältnisse: Die beiden Umfänge sind entwe-
der identisch oder nicht identisch; im letzteren Fall entweder disjunkt
oder nicht disjunkt; im letzteren Fall wieder ist entweder der eine
Stück des anderen oder der zweite Stück des ersten; oder endlich, es
ist keines von beiden der Fall, und beide haben ein identisches Stück.

(§)3I. Die Umfangsverhältnisse


Gehen wir nun zur Vergleichung der Begriffe über hinsichtlich
ihrer Gegenstände. Hier haben wir folgende Möglichkeiten: Zwei
Begriffe A und B können zunächst in dem Verhältnis stehen, dass
jeder Gegenstand, der dem ersteren untersteht, auch dem letzteren
untersteht, kurz, dass jedes A ein B ist oder dass dies nicht der Fall ist.

• Vgl. Bolzano, a.a.O., 440 (bezieht sich allerdings nicht auf Kant, sondern auf KieseweUer).
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE II9

Ist jedes A ein B, dann kann es zugleich sein, dass jedes Bein
A ist, dass also wechselseitig jeder Gegenstand, der dem einen Be-
griff untersteht, auch dem zweiten untersteht. Es kann aber auch
sein, dass nicht jedes Bein A (ist). Ist weiter nicht jedes A B, so
kann es sein, dass dafür jedes B A ist. Oder es kann auch sein,
dass kein A B ist und somit auch kein B A. Und schließlich kann
es auch sein, dass keiner dieser Fälle statthat, indem bloß einige
Gegenstände von A Gegenstände von B und einige Gegenstände
von B Gegenstände von A sind. Man sieht leicht, dass die Zahl
dieser Möglichkeiten im Ganzen fünf ist. Diesen fünf Möglichkeiten
entsprechen nun offenbar fünf mögliche Verhältnisse der Umfänge
je zweier Begriffe. Entweder die Gesamtheit der Gegenstände von
A ist identisch derjenigen von B, oder es ist dies nicht der Fall.
Wenn das Letztere, so kann es sein, dass der eine Umfang ein bloßes
Stück des anderen Umfangs ist, was zwei Fälle ergibt, je nachdem
der Umfang von B Stück ist des Umfangs von A, oder umgekehrt.
Ein neuer Fall ist der, dass sich die Umfänge kreuzen, indem sie
beide bloß einen oder einige Gegenstände gemein haben. Ist auch
dies nicht der Fall, so haben die Umfänge gar keine Gegenstände
gemein, sie sind disjunkt. Wir haben also wieder fünf Verhältnisse,
und offenbar entspricht jedem Verhältnis zwischen den Umfängen je
eins jener Verhältnisse der Begriffe in Bezug auf ihre Gegenstände
als ein Äquivalentes, und umgekehrt. Die Aussage, dass die Begriffe
Bund A einen identischen Umfang haben, ist zwar nicht identisch,
aber offenbar äquivalent der Aussage, dass jeder Gegenstand von B
ein Gegenstand von A ist, und umgekehrt. Und entsprechend bei den
übrigen Verhältnissen. Infolge dieser Äquivalenz hat man, was zu
argen logischen Missverständnissen geführt hat, beiderlei Verhältnis-
se nicht unterschieden und schlechtweg von Umfangsverhältnissen
gesprochen und die Bezeichnungen auch den letzteren angepasst.
Umfänge sind Mengen, und bei je zwei Mengen gibt es ganz all-
gemein die fünf analogen Möglichkeiten, die durch die Ausdrücke
Deckung, Einschluss, Ausschluss, Kreuzung bezeichnet werden. Man
gebraucht nur vier Ausdrücke, weil der Fall des Einschlusses sich
in die Doppelheit spaltet, dass die Menge A in B oder umgekehrt
B in A eingeschlossen sein kann, das Einschlussverhältnis also ein"
ungleichseitiges ist, während die übrigen Verhältnisse, wie man sofort
sieht, gleichseitig sind. Beispiele sind wohl kaum nötig. In Bezug
auf den Umfang decken sich die Begriffe gleichseitiges Dreieck und
120 LOGIK

gleichwinkliges Dreieck, es kreuzen sich die Begriffe rechtwinkli-


ges Dreieck und gleichschenkliges Dreieck. Im Verhältnis des Ein-
schlusses stehen Dreieck und ebene Figur, ebenso ebene Figur und
Raumgebilde. Im Verhältnis des Ausschlusses stehen Dreieck und
Pferd.

Bej/(lge. Was die technische Bezeichnung dieser Verhältnisse anbelangt, so sei


noch Folgendes bemerkt. Anstatt zu sagen: Die beiden Umfänge der beiden Begriffe
A und B stehen in dem Verhältnis des Einschlusses, Ausschlusses, der Kreuzung und
Deckung, sagt man oft auch schlechtweg, die Begriffe selbst ständen in diesen Ver-
hältnissen. Umfangsidentische Begriffe nannte man von alters her auch äquipollent.
Gegenwärtig ist der Ausdruck " äquivalent" häufiger. Zur Definition dienen bald die
Umfänge, bald aber auch jene rein begrifflichen Verhältnisse.
Begriffe, deren Umfänge im Verhältnis des Einschlusses stehen, heißen subordi-
niert. Und zwar heißt der Begriff A dem Begriff B subordiniert, wenn jedes A B
ist, aber nicht umgekehrt. B heißt wohl auch der höhere, A der niedrigere Begriff.
Mitunter gebraucht man auch die Ausdrücke"weiter" und" enger", die wir jedoch
für andere Verhältnisse bereits reserviert haben. Es bilden also die Begriffe Tier,
Vogel, Raubvogel, Adler eine Reihe subordinierter Begriffe, wir schreiten von links
nach rechts von höheren zu niedereren Begriffen fort.
Sich kreuzende Begriffe heißen mitunter auch verkettet, verschlungen, auch dis-
parat. Doch wird dieser Terminus auch in weiterem Sinn gebraucht, in dem Sinn
verträglicher Begriffe, die an einem und demselben Gegenstand auftreten können.
Sich ausschließende Begriffe heißen oft auch inkonsistent, unverträglich. Sie ver-
tragen sich nicht an einem und demselben Gegenstand, d.h. der Vorstellung eines
Gegenstandes, der beiden untersteht, entspricht in Wahrheit kein Gegenstand resp.
kann kein solcher entsprechen. Das Gegenteil der Unverträglichkeit ist die Verträg-
lichkeit. Sie lässt unentschieden, in welchem der vier noch übrigen Verhältnisse die
Begriffe stehen, und hält nur das Gemeinsame fest, dass es Gegenstände gibt oder
geben kann, die allen diesen Begriffen entsprechen.

Zur Versinnlichung der Umfangsverhältnisse bedient man sich seit


Euler mit Vorliebe der Sphären. Jeden Kreis in der Ebene können wir
als Punktmannigfaltigkeit ansehen. Fragen wir nun nach den mögli-
chen Lagen von Kreisen in der Ebene, so erhalten wir wieder die fünf
(Möglichkeiten). Und so können die Punkte der Kreise als Repräsen-
tanten der Begriffsgegenstände, die ganzen Kreise als Repräsentanten
der Begriffsumfänge dienen, ihre Verhältnisse als Repräsentanten
der Umfangsverhältnisse. Nur wird man selbstverständlich nicht allen
Beschaffenheiten des Bildes eine repräsentierende Funktion anrei-
men können, insbesondere allem dem nicht, was Lage, Abstand u.dgl.
angeht.
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 121

Wenn man auf Umfangsverhältnisse und zumal auf ihre repräsen-


tierenden Bilder vorzugsweise hinblickt, so möchte es erscheinen,
als ob es sich hier um einfache Verhältnisse der Begriffe in Bezug
auf ihre Gegenstände handle. Achtet man aber auf die äquivalenten
Verhältnisse der begrifflichen Bedingtheiten, so erkennt man sofort
deren Zusammengesetztheit. Dem Deckungsverhältnis entspricht als
Äquivalent ein Paar von Sätzen: "Jedes A ist B, und jedes Bist A",
dem Einschlussverhältnis das Paar: "Jedes A ist B, aber nicht jedes B
ist A" usw. Nur das Ausschlussverhältnis ist einfach: Kein A ist B; eo
ipso ist dann kein B A. Wir kommen also, wenn wir uns auf die in den
einzelnen dieser Sätze ausgedrückten Verhältnisse beschränken, auf
einfachere und allgemeinere Fälle zurück, welche repräsentiert wer-
den durch die Satzformen, die wir bezeichnen werden als allgemein
bejahenden Satz "Jedes X ist y", als allgemein verneinenden "Jedes
X ist nicht Y" und als besonders bejahenden "Einige X sind Y" und
besonders verneinenden "Einige X sind nicht Y". Statt dieser können
auch äquivalente dienen, und im Grunde kommen wir, wie leicht zu
sehen, bloß auf zweierlei zurück: auf die Form" Jedes X ist Y" und auf
seine Negation. Es (ist) dann nur zu bedenken, dass X und Y beliebige
Begriffe, also wenn A oder B, auch deren Negationen Nicht-A und
Nicht-B formell in sich fassen. Wenn wir alle Möglichkeiten durch-
gehen, so erhalten wir nicht fünf, sondern acht Fälle, von denen aber
nur fünf als nicht äquivalente bestehen und darum nur fünf wirklich
verschiedene Umfangsverhältnisse als ihre Korrelate haben.
Wir werden über diese Punkte später in der Lehre von den Schlüs-
sen ausführlicher handeln müssen.
Von Wichtigkeit ist noch folgende Bemerkung. Die Verhältnisse,
die wir in Betracht gezogen haben, sind (von) zweierlei Art. Bei der
einen beziehen sie sich auf Begriffsumfänge, bei der anderen auf die
Begriffe selbst in Bezug auf die Gegenstände; aber die beiderlei Ver-
hältnisse sind äquivalent. Demgemäß müssen sie auch an der Mehr-
deutigkeit des Begriffs Umfang Anteil haben. Von vielen Logikern
wird der Begriff des Umfangs so definiert, dass er die Gesamtheit
der existierenden Gegenstände umfasst, denen der Begriff zukommt.
Manche fassen aber den Begriff des Umfangs weiter. In der Tat ist es
klar, dass die Verträglichkeits- resp. Unverträglichkeitsverhältnisse
zwischen Begriffen ihre Bedeutung behalten, auch wenn von der
Existenz von Gegenständen, die den Begriffen unterstehen, ganz
abgesehen wird. Der Satz "Jedes A ist B" mag in der gewöhnlichen
122 LOGIK

Redeweise die Bedeutung mitführen, dass es A's, und zwar mindest


eins gibt. Aber er muss nicht diese Bedeutung haben, und jedenfalls
können wir ein allgemeines Verhältnis finden, das zwischen den Be-
griffen A und B obwaltet, ohne über die Existenz von Gegenständen
zu präjudizieren. Sagen wir: "Wenn irgendetwas A ist, so ist es B"
oder: "Es gibt kein A, das nicht Bist", so ist damit ein Verhältnis der
Begriffe festgelegt, das seinen bestimmten Gehalt hat, auch wenn es
keine A's und B's gibt.
Legen wir dieses Verhältnis zugrunde, so haben wir wieder fünf
mögliche Verhältnisse:
1) Wenn etwas A ist, so ist es B, und wenn B, so A.
2) Wenn etwas A ist, so ist es B, aber es ist nicht, wenn B, so A.
3) Wenn etwas B ist, so ist es A, aber nicht umgekehrt.
4) Wenn etwas A ist, so ist es nicht B. Also wenn nicht B, so auch
nicht A.
5) Es ist nicht wahr, dass, wenn etwas A ist, es B ist, aber auch nicht
B € A. «(Es) ist auch nicht wahr, dass, wenn etwas A ist, es nicht B
ist.) Also es kann etwas A sein und B und somit auch B sein und A.
Diese allgemeinen Bedingtheitsverhältnisse können sich nun mit
besonderen Annahmen über Existenz oder Nichtexistenz verbinden,
und durch diese Komplikationen ergeben sich die Verhältnisse,denen
dann auch eben Umfangsverhältnisse im engeren Sinn entsprechen.
Mindestgilt dies für die eine Interpretation der Bedingtheitsverhält-
nisse, nämlich: Als das primitive Verhältnis erscheint das Verhältnis
"A-Sein bedingt B-Sein an jedem beliebigen Gegenstand". Dieses
kann aber in doppelter Weise interpretiert werden. Entweder so, dass
es äquivalent ist mit "Es gibt kein A, das nicht B ist"; dann ergibt die
Verbindung mit dem Existentialsatz "Es gibt ein A" ein Äquivalent
für den Satz "Jedes A ist B" in der gewöhnlichen Bedeutung. Das
Bedingen kann aber auch als ein Notwendigkeitsverhältnis gefasst
werden, und dann ist der Sinn ein geänderter. Er kann äquivalent
ausgedrückt werden durch den Satz "Es ist unmöglich, dass ein A
nicht B ist". Und der Unterschied tritt deutlich bei der Negation
hervor, welche im einen Fall besagt: "Es gibt ein A, das nicht Bist" und
im anderen: "Es kann solch ein A geben." Wir werden auf all diese
Punkte später zurückkommen müssen, nachdem wir die verschiede-
nen Satzformen unterschieden haben und zur Theorie der logischen
Beziehungen übergehen werden. Die Beziehungen zwischen den Be-
griffen begründen eben verschiedene Satzformen, und es ist hier nötig,
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 123

darauf hinzuweisen, dass, was man Umfangsverhältnisse nennt, nichts


Eindeutiges ist und zurückführt auf verschiedene Grundverhältnisse
zwischen Begriffen, mit denen verschiedene Grundformen von Sätzen
gegeben sind. Infolge der doppelten Deutung, in welcher die Bedingt-
heitsbeziehung verstanden werden·kann, spaltet sich der gewöhnlich
als einheitlich betrachtete Begriff der Unverträglichkeit in zwei Be-
griffe, zu deren Bezeichnung wir die Ausdrücke verwenden wollen In-
konsistenz und Inkompatibilität oder Unverträglichkeit. Wir werden
also den Ausdruck Unverträglichkeit reservieren für den notwendigen
Ausschluss, während wir A und B bloß als inkonsistent bezeichnen,
wenn nur gilt, dass es nicht wahr ist, dass etwas A ist und nicht B; eben-
so Konsistenz und Verträglichkeit. Der Inkompatibilität entsprechen
als Arten zwei Begriffe des Gegensatzes, der kontradiktorische und
konträre. Eine Unverträglichkeit der Form "A und non-A" heißt
ein kontradiktorischer Gegensatz. Jede andere Unverträglichkeit "A
und A"', wo A' nicht identisch oder äquivalent mit non-A ist, heißt
konträr. Rot - blau: Das Witzige (?) ist nicht rot, aber auch nicht
blau. Befreien wir uns von der Beschränkung, dass Umfänge von
Begriffen aus seienden Gegenständen konstituiert werden, so gewinnt
der Begriff des Umfangs jene Erweiterungen, die wir ihm schon früher
gegeben haben. Auch bei nichtexistentialer Auffassung können die
eulerschen Sphärenverhältnisse zur Illustration dienen, wofern wir
absurde Begriffe und ihre Bedingtheitsverhältnisse ausschließen. Die
Punkte der Sphären bezeichnen dann nicht wahre Gegenstände der
Begriffe, sondern vorgestellte Gegenstände derart, dass, wenn ihnen
in Wahrheit etwas entspricht, es dem bezüglichen Begriff unterstehen
müsste.
An Beispielen kann man sich leicht überzeugen, dass die meisten
Begriffe gewisse andere über sich und gewisse andere unter sich ha-
ben. Gilt dies nun von jedem Begriff? Offenbar nicht. Es gibt einen
Begriff, der keinem anderen mehr subordiniert ist, während er allen
anderen superordiniert oder höchstens äquivalent ist, nämlich der
Begriff des Etwas, des Gegenstandes überhaupt. Von jedem belie-
bigen Gegenstand eines beliebigen Begriffs kann ich immer auch
zugleich sagen, dass er dem Begriff des Gegenstandes unterstehe.
Aber natürlich gilt dies auch von jedem Begriff, der mit (dem) Begriff
des Etwas äquivalent ist, so z.B. "Etwas, das nicht nichts ist" u.dgl. Der
unbedingt höchste Begriffist offenbar auch der unbedingt weiteste. Es
ist kein Begriff denkbar, der einen weiteren Umfang hätte. Wie steht
124 LOGIK

es nun mit unbedingt niedrigsten und engsten Begriffen? Offenbar


gibt es auch solche, nämlich alle Begriffe, denen nur ein Gegenstand
entspricht, oder besser, entsprechen kann, in deren Gehalt es also
liegt, dass es nicht mehr als ein enGegenstand geben kann, der ihnen
untersteht, z.B. der Begriff eines hellsten Fixsterns u.dgl. Während
alle unbedingt höchsten Begriffe einander äquivalent sind, gilt dies
offenbar nicht von den unbedingt niedrigsten. Jede indirekte Vorstel-
lung eines einzelnen Gegenstandes ist eine niedrigste, aber zwei solche
Vorstellungen brauchen nicht äquivalent zu sein und können es nicht
sein, wenn sie sich auf verschiedene Gegenstände beziehen. Übrigens
können auch Begriffe, die sich nicht auf Individuelles beziehen, die
in Rede stehende Beschaffenheit haben, so z.B. der Begriff einer
bestimmten Spezies von Rot.
Die Subordination ist ein ungleichseitiges Verhältnis, und so kann
es Reihenanordnungen begründen. Es kann im Besonderen vorkom-
men, dass ein Begriff einem anderen übergeordnet, einem dritten
untergeordnet ist, also der Höhe nach zwischen beiden in der Mitte
steht (Tier - Mensch - Europäer). Gibt es nun zwischen je zwei
Begriffen mittlere, oder gibt es auch Paare von Begriffen, die einander
an Höhe zunächststehen? Offenbar gibt es solche Begriffspaare, z.B.
die Begriffe kleinste gerade Zahl und Zahl, die > 0 und < 3 ist. Die
erstere umfasst bloß die Zahl 2, die letztere die Zahlen 1 und 2, und
so kann es zwischen beiden keinen Mittelbegriff mehr geben. Aber
auch das kommt vor, dass zwischen zwei Begriffen unendlich viele
Mittelbegriffe ~xistieren. Die Begriffe Winkel überhaupt und rechter
Winkel liefern ein solches Paar. Der Begriff eines Winkels, der sich zu
einem Nebenwinkel verhält wie 1 : n liefert für jeden Wert des n einen
Zwischenbegriff, und da n unendlich viele Werte haben kann, so haben
wir unendlich viele Zwischenbegriffe (Bolzano, (Wissenschafts/ehre,
Bd. I, S.) 467). Ähnliche Sätze wie in Bezug auf die Höhe kann man
auch in Bezug auf die Weite aufstellen; was hier bloß erwähnt sein
mag.

Anmerkung. Zugleich mit der Erörterung der Umfangsverhältnisse pflegt man


in der traditionellen Logik eines Gesetzes Erwähnung zu tun, wonach Umfang
und Inhalt eines jeden Begriffs in umgekehrtem Verhältnis stehen sollen. Wird
der Inhalt eines Begriffs vermehrt (z.B. Mensch - tugendhafter Mensch), so ver-
mindert sich der Umfang, wird er vermindert, beschränkt, so vermehrt sich der
Umfang. Und umgekehrt soll die Erweiterung (resp. Verengung) des Umfangs ei-
ne Verengung resp. Erweiterung des Inhalts nach sich ziehen. Der Satz stammt
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 125

von der Ars cogitandi her und ist von da aus in unzählige logische Werke bis in
unser Jahrhundert hinein übergegangen: Dass er falsch ist, kann leicht eingesehen
werden.
Es gibt eine Art der Inhaltsbereicherung, die bei jedem Begriff vorgenommen
werden kann, ohne seinen Umfang zu ändern. Wir brauchen zu den konstitutiven
Merkmalen nur ein beliebiges konsekutives hinzuzufügen. Die Begriffe Kugel und
runde Kugel, Quadrat und Quadrat mit gleichen Diagonalen u.dgl. sind ihrem Inhalt
nach offenbar verschieden, aber die Umfänge sind jeweilig dieselben. Hier waren
die hinzutretenden Merkmale rein begriffliche Konsequenzen der definitorischen.
Aber auch, wo nicht ein solches Notwendigkeitsverhältnis besteht, z.B. wo an eine
Klasse empirischer Objekte mit den definitorischen Merkmalen vermöge allgemein
empirischer Gesetze neue Merkmale gegeben sind, bleibt der Umfang ungeändert,
Z.B. materieller Körper und materieller schwerer Körper. Sie sehen übrigens, wie hier
die Verwechslung zwischen eigentlichem Inhalt und idealem Inhalt eines Inbegriffs
hereinspielt und den Irrtum begründet hat.
Übrigens ist auch sonst hier über grobe Ungenauigkeit zu klagen. Definiert man,
wie es meist geschieht, den Inhalt eines Begriffs als den Vorstellungsgehalt, der im
Begriff gedacht ist, dann sind natürlich noch ganz andere und unzählige Bereicherun-
gen des Inhalts denkbar, die den Umfang nicht nur nicht vermehren, sondern sogar
vermindern. Bolzano gibt dafür folgendes Beispiel: Der Begriff eines Menschen, der
alle europäischen Sprachen spricht, wird bereichert, wenn wir sagen: "ein Mensch,
welcher alle lebe n de n europäischenSprachen spricht". Aber der Umfang des neuen
Begriffs ist nicht vermindert, sondern vermehrt: Es gibt mehr Menschen, die alle
lebenden europäischen Sprachen sprechen als solche, die alle Sprachen überhaupt
(sprechen}:· Hier hätten wir dann auch ein Beispiel, wo umgekehrt Umfangsver-
mehrung parallel ginge mit Inhaltsvermehrung.
Doch entfällt dieser ganze Einwand, wenn die fehlerhafte Inhaltsdefinition durch
die unsere, korrekte ersetzt wird. Inhalt ist uns die Gesamtheit konjunktiv verbunde-
ner Merkmale, die den Begriffsgegenständen zukommen und den Begriff selbst reell
konstituieren. Eine Vermehrung des Inhalts findet also nur statt, wenn in den Begriff
ein neues Merkmal seiner Gegenstände aufgenommen wird, eine Verminderung,
wenn von den ihn konstituierenden Merkmalen eins fortgelassen wird. In einen
Begriff eine neue Teilvorstellung einführen, das heißt, den Begriff ändern, aber es
heißt nicht in dem hier fraglichen Sinn den Begriff bereichern.

(§) 32. Einteilung eines Begriffs. Gattung und Art


Einem und demselben Begriff können mehrere Begriffe unterge-
ordnet sein. Diese Begriffe können dann noch in verschiedenen Ver-
hältnissen stehen, sie können sich decken, kreuzen, sich einschließen,
ausschließen. Ein ausgezeichneter und wichtiger Fall ist der des Aus-
• VgI. Bolzano, Wissenschafts/ehre, Bd. I, S. 570 (gemeint ist die lateinische Übersetzung der
Logik von Port Royal L'Art de penser).
•• Bolzano, a.a.O., S. 569.
126 LOGIK

schlusses. Sind die Begriffe B, B', B" '" einem und demselben Begriff ß
untergeordnet und schließen sie sich überdies paarweise aus, so heißen
sie einander koordiniert mit Beziehung auf den Begriff ß. SO sind z.B.
die Begriffe Löwe, Haifisch, Adler, Krokodil mit Beziehung auf den
Begriff Raubtier koordinierte Begriffe. Ist die Gruppe koordinierter
Begriffe B, B' ... so vollständig, dass die Summe ihrer Umfänge sich
ergänzt zum Umfang des ihnen zugehörigen übergeordneten Begriffs
ß, so sagt man, der Begriff ß sei in die Begriffe B, B' ... eingeteilt. Die
Zerlegung eines Begriffsumfangs in eine Gruppe disjunkter Umfänge
führt also auf eine Einteilung des Begriffs. Im eigentlichen Sinn ist
es aber natürlich der Umfang des Begriffs, der eingeteilt, klassifiziert
wird. Die Teilumfänge, die Umfänge der koordinierten Begriffe ei-
ner Einteilung, nennt man partes integrantes, ergänzende Teile. Der
Begriff des organischen Wesens ergibt durch Einteilung die beiden
Begriffe Tier und Pflanze. Die Klasse der Tiere und die der Pflanzen
sind die ergänzenden Teile der Klasse der organischen Wesen. Gehen
wir von den Umfängen auf die Verhältnisse der Begriffe selbst über,
nehmen die Vorstellungen der Umfänge nicht als Vermittler, so haben
wir folgende Sachlage: Jedes ß ist in exklusiver Disjunktion entweder
ein B oder ein B' ... oder ein B(n}; und umgekehrt, alles was entweder
B oder B' ... oder B(n} ist, ist ein ß.
Mit Beziehung auf die Klassifikation spricht man von Gattung
und Art. Der höhere Begriff, der eingeteilt wird, heißt Gattung, die
niederen Begriffe, in die er eingeteilt wird, heißen die koordinier-
ten Arten dieser Gattung. Doch ist hier der Sprachgebrauch nicht
übereinstimmend. Sehr oft werden die Termini von Gattung und
Art so gebraucht, dass jede übergeordnete Vorstellung als Gattung
für eine untergeordnete als Art gilt. Allerdings kann jeder subordi-
nierte Begriff insofern als Art gelten in dem anderen Sinn, als er
zusammen mindest mit seinem kontradiktorischen Gegenteil eine
Einteilung des superordinierten Begriffs ergibt. Von koordinierten
Arten spricht man im zweiten (Fall) nicht so, wie wir von koordi-
nierten Begriffen sprachen. Man spricht aber auch von verschlun-
genen Arten, von sich einschließenden Arten usw. Bei der ersten
Auffassung hingegen bezieht sich aber die Rede von Arten immer
auf eine bestimmte Einteilung, und da kann es keine Verkettung oder
Einschluss geben. Bemerkenswerter ist die doppelte Anwendung der
Termini Gattung und Art auf die Begriffsumfänge und auf die Be-
griffe selbst. Im ursprünglichen Sinn hatten die Termini Bezug auf
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 127

die Begriffsumfänge. Man sprach von der Gattung Mensch, von der
Art Europäer u.dgl. und meinte die Gesamtheit der Menschen, die
Gesamtheit der Europäer. In Übertragung kam dann die Rede in
Gebrauch, den Begriff selbst Gattung zu nennen. Eine wesentlicher
unterschiedene Rede von Gattung und Art werden wir später kennen
lernen.
Ist ein Begriff Gattung zu einem anderen, so kann dieser aus jenem
oft hervorgehend gedacht werden durch Hinzufügung eines gewissen
determinierenden Merkmals. In jedem Fall wird man einen äquivalen-
ten Begriff finden, welcher sich bloß durch solch eine Determination
von dem Gattungsbegriff unterscheidet. Diese Determination heißt
die Differenz.
Liegen Stufen, Reihen vor, in welchen die Arten wieder zu Gat-
tungen anderer Arten werden usw., mit anderen Worten: wird ein Be-
griff klassifiziert in eine Reihe koordinierter Artbegriffe, jeder dieser
wieder klassifiziert usw., wovon uns jede naturhistorische Klassifika-
tion ein Beispiel gibt, dann richtet man mit den beiden Ausdrücken
Gattung und Art nichts aus, und man gebraucht dann eine Folge
anderer Benennungen: Geschlechter, Ordnungen, Klassen, Reiche,
Züge, Rassen usw. Das Verhältnis ist aber bei jeder Stufe das gleiche,
der Zweck der Benennungen ist es nur, im System der Gesamtklassi-
fikation die Stufe anzudeuten.

(§) 33. Verhältnisse von Gegenständen in


Bezug auf ihre Begriffe. Proprium
Zwei Gegenstände miteinander vergleichen heißt Beschaffenhei-
ten, also Begriffe feststellen, die beiden zukommen oder die dem
einen zukommen und dem anderen nicht zukommen. Im ersten Fall
gewinnen wir gemeinsame Beschaffenheiten, im anderen unterschei-
dende Beschaffenheiten oder Unterschiede. Der korrespondierende
Ausdruck zu Unterschied müsste Gleichheit lauten, er wird aber
in diesem Sinn nicht gebraucht. Ein Unterschied, der einem Ge-
genstand ausschließlich zukommt, heißt eine Eigentümlichkeit des-
selben, ein Proprium. So ist Allmächtigkeit ein Begriff, der Gott
ausschließlich zukommt, also ein Proprium desselben. Gewöhnlich
handelt es sich dabei um Begriffsgegenstände als solche. Ist ein A in
gewisser Weise definiert, und zwar so, dass der Begriff kein über-
füllter ist, dann heißt jedes in der Definition natürlich nicht vor-
128 LOGIK

kommende Merkmal, das ebenso gut zur Definition dienen, das also
einen umfangsidentischen Begriff herstellen müsste, ein Proprium
eines A als solchen. Und schließlich könnte man mit Beziehung
auf einen Inbegriff von Gegenständen jeden Begriff, der den Ge-
genständen desselben als solchen und ausschließlich zukommt, ein
Proprium nennen. So ist Z.B. Sprachfähigkeit ein Proprium eines
Menschen als solchen. Wird ein Begriff durch sukzessive Determi-
nation aus einem Gattungsbegriff erzeugt und sind die determinie-
renden Merkmale wirklich umfangsbeschränkend, dann liefert das
letzte dieser determinierenden natürlich ein Proprium.1 In der Tat
hat in der Tradition der Begriff des Proprium eine Beziehung zu der
Definition, welche in der angegebenen Weise den Begriff sukzessiv
erzeugt.
In der eigentlichen Redeweise bezieht sich der Begriff des Unter-
schieds immer auf das Verhältnis eines Gegenstandes zu irgendwel-
chen anderen Gegenständen in Bezug auf einen Begriff. Unterschied,
sagten wir, ist eine Beschaffenheit, die dem Gegenstand zukomme
und anderen Gegenständen (denen eben, von denen er unterschie-
den ist) nicht zukomme. Indessen sprechen die Logiker, gegen diese
allgemein übliche Bedeutung von Unterschied, von einem spezifi-
schen Unterschied (Art oder Gattung) zweier Begriffe da, wo der
eine ein artbildendes Merkmal enthält und der andere nicht. Es liegt
hier wieder die Äquivokation vor, die wir wiederholt erwähnt haben.
Sagt man, der Artbegriff habe im Vergleich zum Gattungsbegriff ein
neues Merkmal, so ist nicht gemeint, ihm kommt das Merkmal zu und
diesem kommt es nicht zu, sondern nur, er enthält es als Teilbegriff
und dieser nicht. Aber es wäre vergeblich, nun noch gegen die Rede
von spezifischen" Differenzen" ankämpfen zu wollen.

(§) 34. Subsumtion und Subordination (Gegenstand


zu seinem Begriffund Begriffzu seinem Begriff)
Das Verhältnis zwischen einem Gegenstand und seinem Begriff ist
scharf zu sondern von dem Verhältnis zweier Begriffe in Bezug auf
ihre Gegenstände. Die Logiker, indem sie einseitig auf die Umfangs-
verhältnisse achteten, gewöhnten sich daran, auch einen einzelnen
Gegenstand, da er als Grenzfall einer Gegenstandsvielheit angese-

1 Gestrichen. Proprium wäre hier also die letzte Differenz in der Reihe der Artbildungen.
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 129

hen werden kann, als eine Klasse anzusehen, und so glaubten sie,
es bestände kein wesentlicher Unterschied zwischen dem Fall, wo
z.B. eine Klasse einer anderen Klasse, und dem Fall, wo ein einzel-
ner Gegenstand einer Klasse untergeordnet ist. Es ist da eben eine
Klasse, die bloß einen Gegenstand enthält, Teil einer umfassende-
ren Klasse. Handelte es sich in der Logik wirklich um bloße Men-
genverhältnisse, so wäre dagegen nicht viel einzuwenden. Aber der
fundamentale Unterschied, der vorliegt, tritt sofort hervor, wenn wir
an die entsprechenden Begriffsverhältnisse denken, die den Begriff
der Klasse im Gegensatz zu der Menge schlechthin allererst begrün-
den.
Wenn wir von der Klasse der Menschen sagen, sie sei eingeordnet
der Klasse der Sterblichen, und wenn wir von Sokrates sagen, er sei
eingeordnet der Klasse der Sterblichen, so sagen wir beiderseits eine
ganz verschiedene Relation aus. Sokrates ist einer der Sterblichen,
aber die Klasse der Menschen ist nicht einer der Sterblichen. Im ersten
Fall haben wir ein Verhältnis der Begriffsumfänge, und dem entspricht
die Bedingtheit: Wenn etwas ein Mensch ist, so ist es sterblich. Im
anderen Fall haben wir ein Verhältnis zwischen einem Gegenstande
und dem Umfang des Begriffs, der ihm zukommt, und dem entspricht
der singuläre Satz: Sokrates ist ein Mensch. Das aber ist etwas total
Verschiedenes. Singuläre Sätze spielen, wie wir später hören werden,
in der theoretischen Gesetzmäßigkeit eine ganz andere Rolle als
hypothetische Sätze sowie die ihnen äquivalenten universellen oder
negativen Existentialsätze; und es ist ein Erbübel, an dem die Logik
bisher krankt und das fast alle Darlegungen der deduktiven Logik,
zumal der Syllogistik verdirbt, dass man diesem Unterschied nicht
hinreichend Rechnung getragen hat. Wir wollen ein für allemal von
Subordination sprechen, wo es sich um die Umfangsverhältnisse der
Begriffe, und von Subsumtion aber, wo es sich um das Enthaltensein
von Gegenständen unter Begriffen handelt. Danach ist zu beachten,
dass der Ausdruck "Ein Begriff A ist einem Begriff B subordiniert"
eine andere Bedeutung hat als der Ausdruck "Der Begriff A ist dem
BegriffB subsumiert". Im letzteren Fall ist gemeint, dass der Begriff A
ein Gegenstand ist, dem es zukommt, B zu sein, während im ersteren
gesagt ist, nicht dass der Begriff A, sondern dass jeder Gegenstand
des Begriffs A ein Gegenstand ist, dem es zukommt, B zu sein.
LOGIK

(§) 35. Aristotelische Gattung und Art


Mit dem letzthin erörterten Unterschied zwischen den Verhält-
nissen der Subordination und Subsumtion in ihrer Anwendung auf
Begriffe hängt zusammen der Unterschied zwischen Gattung im ge-
meinen und Gattung im aristotelischen Sinn. Da Begriffe ebenso gut
wie Nichtbegriffe Gegenstände sein können von gewissen Begriffen,
mit einem Worte, da es auch Begriffe von Begriffen, Begriffe von
Begriffen von Begriffen usw. geben kann, so ist wohl zu achten auf
die Unterschiede zwischen Begriffen und deren Gegenständen und
Begriffen von diesen Begriffen und deren Gegenständen. In gewissen
Fällen ist zwar das eine auf das andere reduzibel, d.h. in gewissen
Fällen entspricht dem Subsumtionsverhältnis zweier Begriffe ein ge-
wisses Subordinationsverhältnis, wenn auch nicht derselben Begriffe,
so doch anderer, die in leicht ersichtlichem Verhältnis zu ihnen stehen.
Jedesmal wenn jedes BA ist (und nicht umgekehrt), also der BegriffB
dem Begriff A subordiniert ist, da ist natürlich der Begriff B zugleich
dem Begriff" subordiniert dem Begriff A" subsumiert. Und so hätten
wir hier gleich eine Klasse von Beispielen. Aber nicht immer ist ein
Subsumtionsverhältnis zwischen zwei Begriffen einem gewissen Um-
fangsverhältnis äquivalent. Wenn ich z.B. ein bestimmtes Rot, etwa
Karminrot, als eine Farbe bezeichne, so wäre es vergeblich, hier nach
einem Umfangsverhältnis zu suchen, das diesem Subsumtionsverhält-
nis entspräche. Der Satz" Karminrot ist eine Farbe" besagt nicht selbst
ein Subordinationsverhältnis, denn dann wäre gemeint, dass jeder
karminrote Gegenstand eine Farbe ist. Aber die karminrote Tinte ist
nicht eine Farbe, sondern eine Tinte. Man darf sich hier nicht durch
falsche Behauptungen vieler Logiker täuschen lassen, die sagen, die
Merkmale der Merkmale seien wieder Merkmale der Sache. Das ist
einfach nicht wahr. Wir können zwar sagen, die Karmintinte sei farbig,
aber nicht, sie sei eine Farbe. Farbig, das heißt, eine Beschaffenheit
haben, die Farbe ist. Die Tinte hat eine Beschaffenheit, die unter den
Begriff Farbe fällt, aber sie selbst fällt nicht unter diesen Begriff. Farbe
ist eben ein Begriff, unter den nur Begriffe fallen können: ein Begriff
von Begriffen.
Sprachlich ist der Unterschied mitunter verhüllt. Wenn der Geome-
ter von Dreieck und sonstigen Figuren spricht, so sind die einzelnen
Gegenstände, auf die sich diese Begriffe beziehen, selbst wieder Be-
griffe; ebenso wenn der Arithmetiker von Zahlen spricht, so meint
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 13 1

er 2, 3; 4 ... Das sind Begriffe .und sind die Einzelheiten, auf die
sich die arithmetischen allgemeinen Begriffe beziehen. Sagen wir
daneben: "Die Tischplatte ist ein Dreieck, ist rechtwinklig" u.dgl.,
so ist der Sinn ein ganz anderer. Tischplatten sind nicht Dreiecke,
sondern Gegenstände, welche gewisse Beschaffenheiten haben, die
selbst unter den Begriff Dreieck fallen.
Von besonderer Wichtigkeit ist nun der Fall, wo Begriffe von
Begriffen, die in der erwähnten Weise nicht die Vorstellung von
Subordinationsverhältnissen einschließen, den Charakter von reinen
Begriffen haben und dabei zugleich frei sind von der direkten Vor-
stellung einzelner Begriffe, die ihnen unterstehen oder die zu ihren
Gegenständen in gewissen Verhältnissen sind, z.B. Farbe, Zahl, Figur
u.dgl. Das sind reine Begriffe von Begriffen. Dies würde aber auch
gelten von" Zahl größer als 4 ",,, Zahl, welche den Flächeninhalt eines
Dreiecks misst", von "Figur, welche das Dreieck ABC einschließt"
u.dgl. (Wir heben also durch unsere Unterscheidung den Begriff des
reinen Begriffs sozusagen auf eine höhere Stufe.) Beschränken wir
uns also auf solche reinen Begriffe der Art wie Farbe, Ton, Zahl,
Figur usf., dann können zwischen zwei solchen Begriffen wieder Sub-
ordinationsverhältnisse bestehen. Z.B. Dreiecke sind Figuren, Figu-
ren sind Raumgebilde; ebenso sind PriInzahlen, algebraische Zahlen,
transzendente Zahlen subordinierte Begriffe in Bezug auf den Begriff
Zahl. Diese besonderen Gattungs- und Artverhältnisse sind es, die wir
als aristotelische Gattungen und Arten bezeichnen, da sie im Großen
und Ganzen, von allem Metaphysischen abgesehen, dem entsprechen,
was Aristoteles bei der Rede von Gattung und Art Objektives im
Auge hatte. Hier ist nicht mehr der Begriff Etwas oberste Gattung,
denn obschon der Begriff des Raumgebildes Z.B. dem Begriff Etwas
untergeordnet ist, so ist doch nicht Etwas ein Begriff, der nur Begriffe
in sich fasst. Korrekt gesprochen wären die niedersten Arten hier
die Begriffe, deren Gegenstände selbst Begriffe sind, aber solche,
denen keine.Begriffe mehr untergeordnet sind; also im Gattungsbe-
griff Farbe wären die Arten etwa Rot, Blau usw., und zwar unterste
Arten. Hingegen wären die einzelnen Nuancen Karminrot u.dgl. nicht
als unterste Arten zu bezeichnen. Im Gegensatz dazu pflegt man,
eben weil diese Nuancen selbst wieder Begriffe sind, eben diese als
die niedersten spezifischen Differenzen zu bezeichnen. Wenn man
von Differenz der Röte, Bläue usw. spricht, meint man gerade diese
Nuancen. Das liegt natürlich an dem großen Irrtum, dass man Begriffe
13 2 LOGIK

von Begriffen und Begriffe von Nichtbegriffen gar nicht auseinander


hält und demgemäß hier meint, dass die Gattungen und Arten eben
dieselben Gegenstände in ihrem Umfang haben müssten, die auch
diese" niedersten" Differenzen haben. Im Gegenteil gehört aber kein
einziger Gegenstand, der unter den Begriff Karminrot fällt, unter den
Begriff Rot. Unter die aristotelischen Gattungen fallen als Gegen-
stände diese so genannten Differenzen, aber nicht die Gegenstände,
die unter die Differenzen fallen.
11. VON DEN SÄTZEN

Nachdem wir die wichtigsten Beschaffenheiten, Unterschiede, Ver-


hältnisse zwischen den Vorstellungen, in Sonderheit den Vorstellun-
gen im engeren Sinn behandelt haben, gehen wir in einem neuen
Abschnitt zu den Sätzen über. Wie die traditionelle Logik, was sie
von den objektiven Vorstellungen beachtet, im Gewand psychologi-
scher und grammatischer Betrachtungen in einem ersten Abschnitt
unter dem Titel "Lehre vom Begriff, von den Vorstellungen" u.dgl.
vorbringt, so pflegt sie die Lehre von den Sätzen im zweiten Ab-
schnitt unter dem Titel" Von den Urteilen" zu erörtern. Aber man
sieht bei einiger Kritik leicht, dass vielerlei gänzlich unabhängig von
der menschlichen Urteilstätigkeit ist und dass in diesem Abschnitt
eben wieder Heterogenes durcheinander gemengt und objektive Un-
terschiede zwischen Sätzen mit subjektiven Unterschieden unserer
Phänomene verwechselt werden.
Sätze sind selbst Vorstellungen, aber Vorstellungen im weiteren
Sinn. Ihre Gegenstände sind Sachverhalte, während die Gegenstände
von Vorstellungen in dem engeren Sinn des ersten Abschnitts nicht
Sachverhalte sind. Wir haben diesen Unterschied zwischen Gegen-
stand und Sachverhalt, zwischen Vorstellung und Satz als einen letzten
und nicht weiter definierbaren hingestellt.
Manche von den Unterschieden zwischen Vorstellungen gelten, wie
wir bemerkt haben, für Vorstellungen im weitesten Sinne des Wortes,
und so finden wir sie bei den Sätzen wieder. Dies gilt gleich von der
ersten Unterscheidung, die wir zu besprechen haben, der zwischen
einfachen und zusammengesetzten Sätzen.

§ 36. Einfache und zusammengesetzte Sätze


Ein Zusammengesetztes istjeder Satz; er ist ein Ganzes, in dem sich
Teile unterscheiden lassen. Wenn wir aber von zusammengesetzten
Sätzen sprechen, so meinen wir nicht dies, sondern den Umstand,
dass es Sätze gibt, die wiederum Sätze als Bestandteile in sich fassen,
ebenso wie wir zusammengesetzte Vorstellungen solche nennen, die
134 LOGIK

aus Vorstellungen bestehen. Es gilt hier nun die Wahrheit, dass ein
jeder Satz als Bestandteil eines zusammengesetzten Satzes fungieren
kann. Ist S ein Satz, so ist ja schon der Satz "S ist ein Satz" von der
verlangten Beschaffenheit. Es können nun aber mehrere bemerkens-
werte Unterschiede obwalten. Es kann sein, dass, wie in unserem Bei-
spiel, Sätze Bestandteile sind des Sachverhalts, der den Gegenstand
des ganzen Satzes bildet; anders ausgedrückt: Sätze, die von Sätzen
handeln, enthalten natürlich die Vorstellungen dieser Sätze in sich.
Es können aber Sätze in ganz anderer Art Bestandteile anderer
Sätze sein, z.B. "Sokrates starb den Heldentod, aber seine edlen
Gedanken lebten fort." Im vorigen Fall bildeten Vorstellungen von
Sätzen Bestandteile eines Satzes und erst mittelbar jenen Satz selbst.
(Der Satz ist eine Vorstellung, also haben wir Vorstellungen von Vor-
stellungen als Bestandteile.) In diesem Fall bilden Sätze unmittelbar
Bestandteile eines Satzes. Wieder macht es einen Unterschied aus,
ob die Zusammensetzung eine solche im eigentlichen Sinn ist, also
eine Verknüpfung mehrerer Sätze, oder ob nicht. Wenn wir sagen:
"Berlin, welches vor zwei Jahrhunderten eine Kleinstadt war, ist ge-
genwärtig die größte deutsche Großstadt", so haben wir einen Satz,
der Sätze als Teile enthält, und doch keine Verknüpfung. Zu einer
Verknüpfung gehört, dass mehrere selbständige Sätze in der oder
jener Form zu einer Einheit verknüpft sind. Wir stoßen also auf den
Unterschied zwischen selbständigen und unselbständigen Sätzen. So,
wie unselbständige Gegenstände solche sind, die nur Bestand haben
können als Teile anderer Gegenstände, unselbständige Vorstellungen
also solche, die nur Bestand haben können als Teile anderer Vorstel-
lungen, so gilt Entsprechendes auch von den Sätzen. Sie sind, was
sie sind, nur als Teile von Sätzen. Die ihnen entsprechenden gram-
matischen Sätze können also nicht verstanden werden, wenn nicht
mindest in ganz unbestimmter Weise die Vorstellung einer Ergänzung
mitgedacht ist. Unselbständig ist in unserem Beispiel der Relativsatz,
wie jeder Relativsatz überhaupt. "Berlin, welches vor zweihundert
Jahren eine Kleinstadt war": Der Satz ist hier unselbständiges Stück
einer Vorstellung im engeren Sinn.1 Ebenso können Sätze natürlich
auch unselbständige Teile von begrifflichen Vorstellungen, also von
Prädikaten sein. Andere Formen von Unselbständigkeiten werden

1 Vgl. {Gottlob} Frege,,, {Über} Sinn und Bedeutung", (Zeitschrift /Ur Philosophie und phi-
losophische Kritik 100 (1892), S. 2S-S0).
VON DEN SÄTZEN 135

wir in den hypothetischen Sätzen kennen lernen. In dem Satz" Wenn


Gott gerecht ist, so werden die Bösen bestraft" unterscheiden wir
den Vorder- und den Nachsatz, aber keiner von beiden ist selbstän-
dig, obschon jeder von ihnen einen selbständigen Satz in gewisser
Weise impliziert. "Wenn Gott gerecht ist" ist für sich ebenso wenig
ein" voller" Satz, d.i. ein selbständiger wie "so werden die Bösen
bestraft". Dagegen sind die in ihnen enthaltenen Sätze "Gott ist
gerecht", "Die Bösen werden bestraft" selbständig.

§37. Sätze, ihre Negationen und Affirmationen


Ehe wir darangehen, die wichtigsten Formen, in welchen selbstän-
dige Sätze zu neuen Sätzen sich verknüpfen lassen, festzustellen, wird
es gut sein, einer Operation sozusagen Erwähnung zu tun, die sich mit
der Verknüpfung zu verbinden pflegt: der Negation.
An jedem Satz lässt sich die Operation der Negation ausführen,
d.h. jedem Satz entspricht seine Verneinung (Negation). Es ist dies
ein Satz, welcher den Ursprungssatz zum Subjekt hat und diesem
die Wahrheit abspricht: "Gott ist gerecht" - "Dass Gott gerecht ist,
ist nicht wahr'~ usw. Ebenso lässt sich aber der Ursprungssatz auch
zum Subjekt eines Satzes machen mit dem Prädikat Wahr: "Dass Gott
gerecht ist, ist wahr". Dieser Satz heißt die Affirmation des gegebenen
Satzes. Die Affirmation sowohl als die Negation eines Satzes stellt
einen Fall jener Verbindungsform von Sätzen dar, die wir im vorigen
Paragraphen als Sätze über Sätze bezeichnet haben.
So, wie jedem Satz die Wahrheit zugesprochen und abgesprochen
werden kann, so darf auch umgekehrt gesagt werden, dass die Ein-
heit eines Satzes so weit reicht als das eine Prädikat Wahr in seiner
Affirmation oder Negation. Wir werden davon gleich Gebrauch zu
machen haben.

§ 38. Die allgemeinsten Satzverknüpfungen:


I) Kopulative Verknüpfung
Betrachten wir nun die wichtigsten Satzverknüpfungen, und zwar
solche, die beliebige Sätze als Glieder in sich aufnehmen können, so
sind es folgende:
I) Die konjunktive Verknüpfung. Je zwei oder mehr Sätze, M, N,
P ... liefern konjunktiv verknüpft einen neuen Satz: Mund N ... , z.B.
LOGIK

"Gott ist gerecht, und die Bösen werden bestraft", "Der Diamant
ist verbrennlich, und der Korund ist unverbrennlich". In neuerer
Zeit ist es allgemein üblich geworden, die konjunktive Verknüpfung
(oder wie man zu sagen pflegte, die kopulative Verknüpfung) als
eine Zusammensetzungsform von Sätzen zu leugnen. Mit Beziehung
auf die entsprechenden Urteile heißt es bei Sigwart, dass die Prä-
dizierung sich nur sprachlich in einem Akte vollziehe in Bezug auf
die Mehrheit. "Die sprachliche Verknüpfung der Sätze mit ,und' ...
sagt zunächst nichts anderes als die subjektive Tatsache des Zusam-
menseins im Satze in einem Bewusstsein, und es kommt ihr darum
keine objektive Bedeutung zu ... Es entsteht zunächst eine Kette von
Urteilsakten, die nur dadurch verknüpft sind, dass sie im urteilenden
Subjekt nacheinander folgen und vom selben Bewusstsein umfasst
sind, das von einem zum anderen übergeht, um die früheren Akte
sofort wieder zu verlieren." «(Logik, Bd. I,) 2. Aufl., (S.) 206). Ich
kann dieser Auffassung, die auf das Psychologische hinblickend das
Logische übersieht, durchaus nicht beistimmen. Wollen wir solch
einer Aufeinanderfolge oder Koexistenz im Bewusstsein Ausdruck
geben, dann werden wir es in ganz anderer Weise tun müssen. Wir
werden sagen: "Ich denke zugleich, dass M gilt und N gilt", aber nicht
werden wir sagen dürfen: "M gilt und N gilt", womit offenbar ein
ganz anderer Gedanke gegeben ist. Es handelt sich so wenig um eine
logisch "indifferente" und bloß subjektive Folge von Phänomenen,
dass vielmehr die kopulative Verbindung (von der) durchgreifendsten
Wichtigkeit ist. Dass sie in der Tat einen neuen objektiven Satz schafft,
erkennen wir sofort an der Negation und Affirmation. Die Verbindung
der beiden Sätze kann ich bejahen und kann ich verneinen, und das
geschieht subjektiv in einem Akte; objektiv aber entspricht dem ein
zweifellos einheitlicher Satz: "Es ist wahr, dass A gilt und B gilt",
"Es ist nicht wahr ... ". Und somit werden wir auch für selbstver-
ständlich halten, dass, was hier der Affirmation zugrunde liegt, ein
Satz ist. Das, was aber hier bejaht wird oder verneint, ist offenbar
nichts, was das Bewusstsein angeht. Wer sagt: "Es ist nicht wahr, dass
Gott allgütig ist und die Bösen straflos ausgehen lässt", der leugnet
damit nicht die Verbindung der beiden Satzvorstellungen in einem
Bewusstseinsakte - die Leugnung setzt ja diese Bewusstseinseinheit
selbstverständlich voraus -, sondern er leugnet ein Objektives, und
dieses Objektive, das nennen wir eben die konjunktive Verknüp-
fung.
VON DEN SÄTZEN 137

Jedes Prämissensystem eines Schlusses macht die Bedeutung der


konjunktiven Verknüpfung klar. Die Prämissen werden nicht bloß
nacheinander gedacht - nacheinander mag noch vielerlei gedacht sein,
vorher und nachher -, die Prämissen sind auch nicht bloß als Inbegriff
gedacht wie irgendwelche zwei andere Gegenstände, sondern sie bil-
den einen einheitlichen Satz; ein einheitliches FÜTWahrhalten bezieht
sich auf sie, und evtl. fundieren sie eine einheitliche Wahrheit.
Zu beachten ist, was wir auch an diesem Beispiel sehen, der Unter-
schied der kopulativen Verbindung von der bloßen Inbegriffsverbin-
dung. Sätze lassen sich miteinander so wie mit anderen Gegenständen
zu Inbegriffen verbinden. Das gilt ja für alle und jede Gegenstände.
Diese Verbindung haben wir z.B., wenn wir Sätze zusammenzählen,
wenn wir Sätze vergleichend zusammen betrachten u.dgl. Aber ein
Inbegriff von Sätzen ist nicht ein Satz und ist nicht eine Kopulation
von Sätzen. Wir gebrauchen zwar in jedem Fall das Wörtchen" und",
aber es ist hier eben zweideutig. Die Kopulation der Sätze" Gott ist
allgütig" und "Die Bösen gehen straflos aus" hat ihr Äquivalent in
dem Satz "Jeder der beiden Sätze ist wahr. "Bilde ich aber den bloßen
Inbegriff der Sätze, z.B. indem ich sie vergleiche und mir klarmache,
dass sie beide kategorischer Form sind, dann ist der Inbegriff kein
selbständiges Urteil. Ebenso bedeutet der Ausdruck "beide Sätze"
in dem Satz "Jeder der beiden Sätze ist wahr" nicht eine kopulative
Verbindung.
Indem wir so einen bloßen Inbegriff zweier Sätze von dem aus bei-
den Sätzen kopulativ zusammengesetzten Satz unterschieden haben,
ergibt sich die Frage, wie denn diese beiden Sätze in die Verbindung
eingehen, ob direkt oder ob mittels ihrer Vorstellungen. Man könnte
zunächst die Ansicht vertreten, der Satz "Gott ist gütig, und die
Bösen· gehen straflos aus" habe keine andere Bedeutung als: Jeder
der beiden Sätze "Gott ist gütig" und "Die Bösen gehen straflos
aus" ist wahr, und dass so überhaupt jeder Satz der Form "M und
N", wo M sowie Nirgendwelche Sätze andeuten, nichts anderes
meine als "Jeder der beiden Sätze M und N ist wahr". Indessen
ist doch klar, dass diese Auffassung schon darum nicht richtig sein
kann, weil in dem interpretierenden Satz Bestandteile auftreten, die
in der schlichten Kopulation fehlen. Nämlich der Begriff des Sat-
zes kommt sicher nicht vor, ebenso der Begriff der Zweiheit, der
in dem "beide" ausgedrückt ist, und der Begriff Wahrheit, der hier
als Prädikat auftritt, und auch der Gedanke der Allgemeinheit, der
LOGIK

im Wörtchen "jeder" ausgesprochen ist, scheint zu fehlen. An der


Äquivalenz des interpretierenden Satzes mit der Kopulation, die mit
ihm identifiziert wird, wollen wir aber natürlich nicht zweifeln, sie
besteht sicherlich. Gleichwohl könnte der Interpretation ein Ver-
dienst zukommen. Sind die genannten Gedanken auch nicht reelle
Bestandteile der Kopulation, so könnten sie in ihr doch sozusagen
in concreto auftreten oder indirekt auf etwas aufmerksam machen,
was sonst leicht übersehen wird. Wäre die Interpretation richtig,
dann würde jedenfalls auch dies gelten, dass in der Kopulation die
Sätze, die als Glieder fungieren, vorgestellte Sätze sind; die Kopu-
lation wäre ein Satz über Sätze. Und das könnte richtig sein, auch
wenn der Begriff des Satzes in ihr keine Rolle spielte. Es ist nicht
zu leugnen, dass dies eine Ansicht ist, die vertreten werden kann.
Fragen wir, wodurch sich der bloße Inbegriff der Sätze von ihrer
kopulativen Verbindung unterscheidet, so finden wir, könnte man
sagen, eben dies, dass in der letzteren ein Satz da ist, der diese Sätze
gegenständlich einschließt als Teil seines Sachverhalts und dadurch
eine neue Satzeinheit schafft. Um sie in Evidenz treten und den
Unterschied des bloßen Inbegriffs von der Kopulation, der durch
die Äquivokation des Wörtchens "und" verdeckt wird, deutlich zu
machen, brauchen wir aber irgendeine äquivalente Umschreibung, sei
es, dass wir sagen, jeder von beiden Sätzen sei wahr oder der Inbegriff
dieser Sätze sei wahr u.dgl. Gleichwohl bin ich nicht ganz sicher,
dass in der schlichten kopulativen Verbindung die Sätze nicht selbst
enthalten sind, sondern unmittelbar nur die Vorstellungen der Sätze.
Wenn ich auf irgendwelche Beispiele hinblicke, etwa "Die Kugel hat
lauter gleiche Diagonalen und die Ellipse auch ungleiche", so will es
mir scheinen, als ob die verbundenen Sätze direkte Bestandteile des
Gesamtsatzes sind.

§39. 2) Disjunktive (Verknüpfung)


Eine neue Art der Verknüpfung, die zwischen ganz beliebigen
Sätzen einen neuen Satz schafft, ist die disjunktive. Sie wird sprach-
lich ausgedrückt durch das Bindewörtchen "oder", welchem evtl. ein
"entweder" vorausgeschickt wird. Indessen impliziert der sprachliche
Ausdruck eine Doppeldeutigkeit, vermöge deren man inklusive und
exklusive Disjunktion unterscheiden muss. Sagt jemand: "Entweder
heute wird es regnen, oder es wird heute die Sonne scheinen", so
VON DEN SÄTZEN 139

schließt das nicht aus, dass beides statthat. In sehr vielen Fällen ist
aber gerade das gemeint, dass die durch das Wörtchen "oder" ge-
trennten Glieder sich ausschließen. Die inklusive Disjunktion ist die
einfache Verknüpfung, auf die uns es hier ankommt. Die exklusive
hingegen stellt ein Kompositum dar aus einer inklusiven Verknüp-
fung und einem gewissen anderen Satz, wie man leicht übersieht.
Der disjunktive grammatische Satz "M gilt, oder N gilt, oder P gilt"
kann sein Äquivalent haben in dem schlichten Ausdruck" Einer die-
ser Sätze M, N, P gilt", wobei offen gelassen ist, ob nicht überdies
mehr als einer oder gar alle gelten. Soll dies nicht offen gehalten
werden, dann muss ich noch besondere Sätze hinzufügen, etwa den,
dass nicht mehr als einer dieser Sätze wahr ist oder dass, wenn einer
dieser Sätze wahr ist, kein anderer unter ihnen wahr ist. Die inklu-
sive Verknüpfung liefert zweifellos einen neuen elementaren Typus
von Verknüpfungen. Die exklusive hingegen reduziert sich auf eine
Kopulation einer inklusiven und einer andersartigen Verknüpfung.
Ich sage "einer" andersartigen Verknüpfung, z.B. "einer" hypothe-
tischen Verknüpfung. Denn man muss sich bei der Reduktion vor
dem Irrtum hüten, als ob die Reihe hypothetischer Sätze" Wenn
M gilt, gilt nicht N und P. Wenn N, so nicht M und P. Wenn P, so
nicht M und N" explizite Bestandteile in der Vorstellung der ex-
klusiven Disjunktion sein müssten, wie man dies Initunter gemeint
hat. Jedenfalls stellt aber diese Disjunktion nichts Elementares dar.
Demgemäß hat die traditionelle Logik darin gefehlt, indem sie ein-
seitig auf die exklusive Disjunktion achtet. Es rächt sich dies in der
Lehre von den Schlüssen, die an Allgemeinheit, Vollständigkeit und
Sicherheit gewinnt, wenn man die inklusive Disjunktion als elemen-
tare Verknüpfungsform zugrunde legt, wie wir dies noch erproben
werden.
Bei der inklusiven Disjunktion fragt es sich wieder, in welcher
Weise die disjunkten Glieder dem Gesamtsatz einwohnen, ob als
unInittelbare Bestandteile oder in Form von vorgestellten Sätzen.
Auch hier ist die Sache nicht ganz unzweifelhaft, doch neigt sich
das Zünglein der Waage mehr auf die letztere Seite. Im Beispiel
"Entweder Gott ist lieblos, oder die Guten finden ihren Lohn" würde
der ganze Satz etwas aussagen über die Sätze" Gott ist lieblos" und
"Die Guten finden ihren Lohn", nämlich aussagen, dass einer von
ihnen Geltung habe, obschon dies in der Weise geschah, dass nicht
gerade der Begriff der Sätze, der Geltung usw. explicite vermittelte.
140 LOGIK

§40.3) Hypothetische (Verknüpfung)


Eine dritte überaus wichtige Verbindungsform ist die hypotheti-
sche. Sprachlich werden in solch einer Verknüpfung, die immer zwei-
gliedrig ist, die Satzausdrücke durch" wenn - so" eingeleitet.!
Wir waren in der letzten Vorlesung bei der hypothetischen Verbin-
dungsform, die je zwei beliebige Sätze zu einem neuen Satz zu ver-
knüpfen gestattet. Vorder- und Nachsatz sind darin zwar unselbstän-
dige Sätze, aber wie wir bereits in einer früheren Vorlesung erwähnt
haben, enthält der eine wie der andere je einen selbständigen Satz,
und diese beiden sind es, die hier verknüpft erscheinen. Die Feststel-
lung des Gehalts, der im hypothetischen Satz ausgesagt erscheint und
durch die grammatische Satzform mit" wenn" und "so" ausgedrückt
wird, hat seine großen Schwierigkeiten. Hier erwähne ich nur das
eine, dass, wie in älterer Zeit Maaß und andere, so in neuerer Zeit
Sigwart als adäquate Ausdrucksform des hier fraglichen Gedankens
den grammatischen Ausdruck bezeichnet hat: "Der Satz A hat zur
notwendigen Folge den Satz B" oder auch: " zieht den Satz B nach sich,
bedingt ihn" usw: Manche sagen lieber: "Die Gültigkeit des Satzes A
hat zur Folge die Gültigkeit des Satzes B." Diesen Interpretationen
gemein ist wieder der Umstand, dass, wenn sie ein Richtiges treffen,
die hypothetische Verbindung direkt nicht die Sätze A und B selbst,
sondern. gewisse Vorstellungen dieser Sätze verbinden würde, analog
wie dies auch bei den beiden anderen Verbindungsformen, die wir in
der letzten Vorlesung besprochen haben, hervorzutreten schien.
Auf die genauere Erörterung der hypothetischen Aussageform und
ihre Bedeutung wollen wir vorläufig noch Verzicht leisten. Die ent-
scheidenden Erörterungen liegen in der Theorie der hypothetischen
Schlüsse, und so wollen wir sie im Zusammenhang derselben auch
vorführen.
Die drei besprochenen Verbindungsformen sind die einzigen ele-
mentaren, die es für Sätze überhaupt gibt. Denken wir uns einen
Inbegriff ganz beliebiger Sätze, so können wir mittels derselben neue
Sätze bilden, indem wir die einzelnen Sätze miteinander kopulativ,
disjunktiv oder hypothetisch verbinden, ohne dass in die Verbindun-
gen irgendetwas anderes einträte als die verbundenen Sätze in der

1 Es fehlt die ganze Analyse der hypothetischen Satzfonn.


• Sigwart, Logik, Bd. I, §36.
VON DEN SÄTZEN

oder jener Verbindungsform. Und die einfachen Verbindungen, aus


denen sie bestehen, sind so beschaffen, dass nicht etwa in ihrem Be-
griff irgendwelche sonstigen Gegenstandsvorstellungen oder Begriffe
vorkämen; und eben darum nennen wir sie ja elementar. Die Gesamt-
verknüpfung der Sätze eines vorgegebenen Inbegriffs zur Einheit des
neuen Satzes kann hierbei entweder in einem Schlage erfolgen, sofern
sie eine einfache ist, oder sie kann auf mannigfache Art kompliziert
sein aus einfachen Verknüpfungen, indem gruppenweise die oder jene
Glieder für sich in einer jener elementaren Formen verknüpft sind,
die Ergebnisse dieser Verknüpfungen wieder verknüpft miteinander
oder mit einzelnen noch nicht in Anspruch genommenen Sätzen usw.
Und offenbar ist hierbei die Anzahl möglicher Komplikationen und
der Komplikationsformen selbst von der Anzahl der zu verbindenden
Sätze abhängig.
Eine einfache Verknüpfung beliebig vieler Sätze gestattet nur die
kopulative und disjunktive Form, während neben ihr auch Komplika-
tionen denkbar sind, z.B. "A und (oder) B und (oder) C", ,,(A und
B) und C", "A und (B und C)". Die hypothetische Form kann als
einfache Verbindung nur zwei Glieder verbinden. Sind mehr als zwei
Glieder, so erhalten wir in den Gliedern selbst schon hypothetische
Verbindungen: "Wenn A gilt, gilt B", "Wenn gilt, dass, wenn A gilt,
B gilt, so gilt C" usw. Wie die Mischungen aussehen aus den ver-
schiedenen Formen, das erkennen Sie an Beispielen: "A, und wenn
B, so C", "Wenn A und B, so C", "Wenn A, so entweder B oder
C", "Wenn gilt, dass, wenn A und B, so C oder D, so gilt E und F"
usf. Jedenfalls ist klar, dass wir für eine beliebige Gliederzahl eine
bestimmt abgeschlossene Zahl von Kombinationen haben.

§ 41. Oberleitung zur Feststellung


der elementaren Satz/ormen
Indem (wir) nun irgendeinen Satz logisch analysieren, so kann es
sein, dass er zu einer dieser Formen gehört, dass wir also bei der Ana-
lyse finden, dass der Satz zusammengesetzt sei aus gewissen anderen
Sätzen in konjunktiver, disjunktiver oder hypothetischer Weise. Für
die Glieder kann das Gleiche gelten, aber schließlich müssen wir doch
zu Sätzen kommen, die selbst nicht mehr derartige Zusammenset-
zungen aufweisen, also konjunktiv, disjunktiv, hypothetisch einfach
sind. Es erhebt sich nun die Frage: Wie verhält es sich mit den in
LOGIK

diesem Sinn einfachen Sätzen? Können auch sie von verschiedener


Form sein, und welches sind dann die elementarsten und wesentlichs-
ten Formen? Von einer Form sprechen wir bei jedem Ganzen, an
dem sich Teile unterscheiden lassen, und die Form wird durch die
Verbindungsweise bestimmt. Ersetzen wir in der Vorstellung eines
Ganzen die Vorstellungen der hic et nunc vorliegenden Teile durch
Vorstellungen von Gegenständen überhaupt oder Teilen überhaupt
unter Festhaltung der Verbindungsweise, so erwächst der Begriff
der zugehörigen Form, also der Begriff davon, dass irgendetwas und
irgendetwas etc. in der und der Weise verknüpft sei. Die bisherigen
Satzformen betreffen Konstitutionen von Sätzen aus Sätzen, und zwar
betreffen sie elementare Verbindungsweisen, die für Sätze als solche
möglich sind, also Formen, die ihren Ausdruck finden durch Begriffe
der Art wie "Aund A und A ... ",,,A oder A" etc. Was bleiben nun
nach Abzug dieser Formen, so können wir unsere Frage auch fassen,
für Satzformen noch übrig? Natürlich werden sich unter ihnen noch
Formen von Sätzen finden, die selbst wieder Vorstellungen von Sätzen
einschließen. Beispiele liefern die Affirmationen und Negationen von
Sätzen: "A ist wahr",,,A ist nicht wahr"; ebenso: "Der Satz A ist im
Satz B als Bestandteil enthalten", "Der Satz A wird von vielen für ein
Gesetz gehalten" u.dgl. Alle diese Sätze sind ja nicht Verknüpfungen
der Elementarformen, die wir festgestellt haben, und enthalten doch
noch Sätze. Nun ist aber zweierlei klar. Einerseits, dass, wenn wir in
solchen Sätzen über Sätze auf die letzteren zurückgehen, diese selbst
zwar wieder Sa.tzvorstellungen einschließen können, dies aber nicht in
infinitum fortgehen kann. Wir kommen jederzeit auf Sätze zurück, die
nicht wieder die Vorstellungen von Sätzen einschließen. Auch diese
Sätze müssen aber ihre Formen haben, denn eine Form hat jeder
Satz, ein jeder enthält unterscheidbare Teile, und finden sich unter
diesen keine Sätze mehr, so müssen die Teile eben andersartig sein.
Z.B. folgenden Satz analysieren wir: Der Satz, dass die Winkelsumme
eines Dreiecks = zwei Rechten ist, gilt nicht in der von Lobatschewsky
definierten Mannigfaltigkeit. Hier finden wir einen Teilsatz, z.B. den
Satz von der Winkelsumme. Aber dieser selbst enthält nicht wieder
Sätze als Bestandteile, sondern Begriffe in eigentümlicher Verwe-
bungsform. Und so verhält es sich überall.
Fürs Zweite bemerken wir, uns in der Welt der Sätze umschauend,
dass derartige Sätze über Sätze, die nicht Satzverknüpfungen der drei
aufgezählten Formen sind, abgesehen davon, dass sie gerade Sätze als
VON DEN SÄTZEN 143

Teilvorstellungen einschließen, nichts Eigentümliches haben gegen-


über solchen Sätzen, die dies nicht tun. Ihre Formen sind mit einem
Wort solche, wie sie sich auch bei Sätzen finden, die nicht auf Sätze
gehen. So hat z.B. der Satz" Das Haus ist baufällig" dieselbe Form wie
der andere: "Der Satz, dass a + b = b + a, ist ein Axiom der Arithme-
tik. " Beide Male können wir die Form zum Ausdruck bringen durch
den symbolischen Satz" A ist B ". Und der Grund dieser Sachlage liegt
offenbar darin, dass Sätze eben auch Vorstellungen sind und dass in
demselben Sinn, in dem von Gegenständen sonst etwas ausgesagt
werden kann, auch von Sachverhalten etwas ausgesagt werden kann.
Die Unterscheidung von Sätzen über Sätze und schlichten Sätzen
kommt also für unsere weitere Untersuchung nicht in Betracht.

§ 42. Kategorische Form


Um nun einen Anhaltspunkt für die Feststellung der elementaren
und darum bedeutsamen Formen zu finden für Sätze, die nicht kopula-
tive, disjunktive oder hypothetische Gebilde aus anderen Sätzen sind
(wenn wir im Weiteren von Sätzen schlechthin sprechen, so meinen
wir immer derart einfache), stellen wir folgende Erwägung an: In
den meisten Sätzen, wo nicht gar in jedem Satz überhaupt, finden
wir mindest einen Begriff, also muss dann auch irgendein Subjekt da
sein, auf den er sich bezieht. Ein Begriff kann sich aber in doppelter
Weise auf ein Subjekt beziehen: Entweder es kann ein Prädikat sein,
das ihm zukommt, oder ein Prädikat, das ihm nicht zukommt, und so
stoßen wir gleich auf zwei zusammengehörige fundamentale Formen
von Sätzen, die symbolisch durch den Ausdruck "S ist P", "S ist
nicht P" bezeichnet sind, Z.B. " Gold ist gelb", " Gold ist nicht grün",
"Bismarck ist ein Staatsmann", "Cartesius war nicht ein Staatsmann".
Jeden Satz dieser Formen nennen wir einen kategorischen Satz, und
zwar je nach Umständen einen bejahenden oder verneinenden. Zur
Bezeichnung der Form haben wir den Ausdruck "S ist P" resp. "ist
nicht P" gewählt, weil die Mehrzahl der grammatischen Sätze, welche
den kategorischen Gedanken ausdrücken, die angedeutete Gliede-
rung haben. Indessen ist dies keineswegs immer der Fall. Allgemein
können wir nur sagen, dass in jedem vollen grammatischen Satz der
hierher gehörigen Art die prädikative Beziehung ausgedrückt ist in
der grammatischen Kongruenz zwischen dem Subjekt und Prädikat in
der Nominal- und Verbalflexion. Aber diese Kongruenz lässt verschie-
144 LOGIK

dene Gliederungen zu. Sage ich: "Die Blume welkt", so steckt in dem
Wörtchen" welkt" der Ausdruck für das hier fragliche P und zugleich
für das, was dem Wörtchen "ist" entspricht. Sage ich: "Der Baum hat
eine schöne Belaubung", so ist die Funktion des Wörtchens" ist" un-
serer Formel übernommen durch das Wörtchen "hat". Gelegentlich
hat man für den Ausdruck der Form das Haben bevorzugt. Bolzano
z.B. legt Gewicht darauf, jeden kategorischen Satz auf die Form "A
hat B" zu bringen: Er meinte, diese Form drücke schärfer aus die
Momente, die in jedem kategorischen Satz und, wie er geradezu meint,
in jedem Satz überhaupt zu unterscheiden sind. Indessen kommt es
natürlich nicht so sehr auf die Wahl der Ausdrucksform an als darauf,
dass ihr Gedanke richtig gefasst und festgehalten wird.
Offenbar trifft die Definition des Satzes, wonach er eine Aussage
sei, in der etwas von etwas ausgesagt oder ihm abgesprochen wird,
durchaus Sätze der kategorischen Formen, und das gilt auch von der
aristotelischen Definition des Urteils, die im Wesentlichen dasselbe
besagt, nur dass die Zeitbestimmung überflüssigerweise hineingezo-
gen ist. Ob der Satz von irgendeinem Jemand behauptet, für wahr
gehalten wird, das ist für uns hier natürlich gleichgültig.
In einer guten Signatur müssen alle Teile oder Momente der Sache
durch unterschiedliche Zeichen bezeichnet sein, so wie auch umge-
kehrt jedem Zeichen irgendetwas an der Sache eindeutig entsprechen
muss. In unserer Signatur der Form des kategorischen Satzes "S ist
P", "S ist nicht P" haben wir, was den bejahenden anlangt, drei, was
den verneinenden anlangt, vier Zeichen, und so müssen wir zusehen,
was ihnen im kategorischen Satzgedanken entspricht.
Vollkommen klar ist die Bedeutung des P. Es stellt irgendeinen
Begriff vor, der dem S zukommt, in Bezug auf den S Begriffsgegen-
stand ist. Und entsprechend ist die Bedeutung des S: Es vertritt die
Subjektvorstellung die Vorstellung des Gegenstandes, dem das P-Sein
zukommt. Neben Sund P finden wir dann noch das synkategorema-
tische Wörtchen "ist" in der affirmativen Form und die Verbindung
"ist nicht" in der negativen Form. Welches ist nun die Funktion der so
genannten Kopula? Ein Gegenstand und ein Begriff, in einheitlicher
Vorstellung gedacht, ist offenbar nicht dasselbe als die einheitliche
Vorstellung, welche beide in der besonderen Einheit denkt, wonach
der Gegenstand den Begriff trägt als das un;oxd~vov dieses Begriffs

• Vgl. Bolzano, Wissenschaftslehre, Bd. 11, § 127.


VON DEN SÄTZEN 145

und infolge davon der Begriff das dem Gegenstand zukommende


Prädikat ist. Eben diese Einheit herzustellen und anzudeuten, ist die
Funktion der Kopula. Objektiv entspricht ihr also die Einheitsform,
die dem kategorischen Satze selbst wesentlich und im Übrigen nicht
weiter zu definieren ist. Sie ist eine unselbständige Vorstellung wie
eine Verbindungsvorstellung überhaupt, wie in der Gleichheit das
Gleich, in dem Größenverhältnis das Größer usw. Zu einer selb-
ständigen Vorstellung wird sie ergänzt, wenn Glieder, die in dieser
Weise verknüpft sind, gegeben werden und sich mit ihr sozusagen
durchdringen. Und diese Glieder haben eben das eigen, dass sie durch
die Verbindungsform in verschiedener Weise charakterisiert sind, eins
als Subjekt und das andere als Prädikat, womit von selbst gegeben ist,
dass der kategorische Satz als Gedanke eines Verhältnisses betrachtet
ein ungleichseitiges Verhältnis denkt; wie sich auch daran zeigt, dass
eine Vertauschung von Sund P nicht ohne weiteres angängig ist und
dass als P immer ein Begriff stehen muss, während das S auch ein
Nichtbegriff sein kann: Punkte, die wir nachher noch genauer erörtern
werden.
Im Grunde kommt also unsere Überlegung darauf hinaus, dass
so, wie das Verhältnis zwischen Gegenstand und Begriff ein letztes
und nicht weiter definibles Verhältnis ist, so auch der Gehalt des
Satzes "S ist P", welcher eben aussagt, dass der Gegenstand dem
Begriff untersteht, einer weiteren Erklärung nicht fähig und bedürftig
ist. In dieser Hinsicht weiche ich von anderen Logikern, und mit
vollem Bewusstsein, ab, die, ein tiefsinniges Problem vermutend da,
wo eine weitere Frage überhaupt keinen Sinn mehr hat, nach einem
verborgenen Gehalt der kategorischen Aussage geforscht haben. Mill
Z.B. führt in seiner berühmten Logik eine weit ausgesponnene Unter-
suchung zur Beantwortung der Frage: "Welches ist der Gegenstand
des Glaubens in einem Satz?" Sätze fasst er nämlich als Ausdrücke
von Urteilen, von Akten des Für-wahr-Haltens, oder, wie er es aus-
drückt, des Glaubens: Da das Für-wahr-Gehaltene, Geglaubte eben
der Satz ist in unserem logischen Sinne, so handelt es sich ihm also um
Feststellung des objektiven Gehalts der Sätze, und da alle nichtkate-
gorischen Sätze für ihn nur verknüpfte Formen kategorischer sind, so
läuft seine Untersuchung also darauf hinaus, einen objektiven Sinn
der kategorischen Formen zu ergründen. Aber was er uns bietet,

• Vgl. Mill, Logik, Bd. I, Erstes Buch, Kap. V, § I.


LOGIK

das ist eine Aufzählung vereinzelter Gruppen materiell bestimmter


kategorischer Sätze, die zum besseren Verständnis der Form selbst
nicht das Gerhigste beitragen und beitragen können.
Gegenstand des bejahenden und verneinenden Glaubens im kate-
gorischen Satz ist nach ihm entweder eine Koexistenz oder Sukzession
zweier Phänomene oder einfach Existenz bzw. Nichtexistenz oder
Ursächlichkeit oder endlich Ähnlichkeit.' Aber was ist dann mit dieser
Aufzählung geleistet? Nichts weiter als einige Klassen von Beispielen
sind gegeben, in denen überall der Gedanke der Prädikation, der
Gedanke des kategorischen Satzes gegeben ist. Aber eine nähere Be-
stimmung dieses Gedankens als kategorischen Gedankens gewinnen
wir so nicht. Natürlich, materiell ändert sich der Gedanke, wenn wir
das Sund P näher bestimmen, aber dadurch ändert sich nicht der
kategorische Satz als solcher, d.i. seiner Form nach. Es entspringen
unwesentliche Unterschiede ganz so, wie unwesentliche Zahlenunter-
schiede entspringen, wenn wir die Einheiten der Zahl bald als Steine,
bald als Pferde, bald als Wörter usw. bestimmen oder wenn wir eine
Klassifikation der Zahlen nach einer Klassifikation des Zählbaren
geben wollten. Wesentliche Unterschiede, d.i. arithmetische, entsprin-
gen nur aus der Form, also bei Abstraktion von der Besonderheit des
Gezählten. Ein arithmetischer Unterschied ist der zwischen 2 und
3, zwischen gerader und ungerader Zahl usf. Selbst wenn uns Mill
eine vollständige Klassifikation der Gegenstände, die als Subjekte
von Sätzen, und der Begriffe, die in ihnen als Prädikate auftreten
können, geboten hätte, würde damit für die Verständlichmachung
des kategorischen Satzgedankens selbst nichts geleistet sein. Aber er
gibt nicht einmal das, er würfelt ein paar Verhältnisformen zusammen,
ohne Prinzip und Vollständigkeit durch die ganze Untersuchung zum
Glauben verführend, als sei die kategorische Beziehung etwas der
Erklärung Bedürftiges und als könne dergleichen zu ihr etwas leisten.
Vergleichen wir ein Koexistenzurteil "A koexistiert mit B" auf der
einen und etwa ein Ähnlichkeitsurteil "A ist ähnlich mit B" auf der
anderen Seite, so ist es ja ganz klar, dass die kategorische Form als
solche sich dabei nicht differenziert. " Mit B koexistieren" ist ebenso
gut ein Begriff wie "mit B ähnlich sein", und beide sind Begriffe,
die als einem A zukommend gedacht sind. Will man aber durch
Hereinziehen der Materie formelle Unterschiede erzeugen, dann darf

• Vgl. a.a.O., §§5 und 6.


VON DEN SÄTZEN 147

man nicht Ähnlichkeit und Koexistenz, also zwei ganz spezifische Ver-
hältnisformen, bevorzugen. Man müsste dann Z.B. den Unterschied
der Begriffe erwähnen zwischen solchen, die innere, und solchen, die
äußere Beschaffenheiten vorstellen u.dgl., also die allerallgemeinsten,
durchgreifendsten Unterschiede.

§43. Umfangsinterpretation dieser Form


Ich habe gestern erwähnt, wie Mill und andere Denker durch
Rekurs auf die Materie des kategorischen Satzes, also auf die mögli-
chen Besonderheiten des Sund P, den wesentlichen Gedanken des-
selben glaubten näher bestimmen zu können. Aber noch anderer
Irrtümer muss ich hier Erwähnung tun, die, immer im Gewand ei-
ner Urteilstheorie auftretend, ebenfalls den Gedanken des kategori-
schen Satzes betreffen. Da ist zunächst zu erwähnen die so genannte
"Subsumtionstheorie des Urteils". Der wahre Gedanke der Form
"S ist P" ist danach die Vorstellung eines Umfangsverhältnisses. Es
wird der ganze Umfang oder ein Teil des Umfangs von Seingeordnet
gedacht dem Umfang von P. Das Subjekt ist das contentum, das Prä-
dikat das continens. Danach müsste natürlich die Kopula eigentlich
"ist enthalten im Umfang" oder ähnlich lauten. Diese Auffassung
durchzieht in mehr oder minder klar ausgesprochener Weise die Logik
vom späten Altertum an bis in unsere Zeit hinein. Nun will ich gar
nicht von der sonderbaren Beschränkung sprechen, die darin besteht,
dass, wenn man sich nach der traditionellen Ausdrucksweise richtet,
das Prädikat als continens umfangsweiter sein soll wie das Subjekt,
wodurch der Fall der Umfangsgleichheit ausgeschlossen wäre und
mit ihm eine unendliche Fülle von Sätzen ganz desselben Habitus als
die des abgegrenzten Gebietes. Man sieht doch überhaupt nicht ein,
warum gerade dies eine Umfangsverhältnis bevorzugt sein soll vor an-
deren. Und warum soll denn, frage ich weiter, ein Umfangsverhältnis
überhaupt vor irgendwelchen anderen Verhältnissen bevorzugt sein?
Ist denn jedes Verhältnis ein Umfangsverhältnis? Wenn ich sage: "a
ist gleich, größer, ähnlich, verschieden in Bezug auf b": Wo ist da das
Umfangsverhältnis, das ich angeblich meine? Wenn wir einen ganz
beliebigen kategorischen Satz nehmen, z.B. "Sokrates ist krank ": Wie
kann man da nur auf den Einfall kommen, von einem Umfangsver-
hältnis zu sprechen? Der Begriff des Kranken hat einen Umfang.
Aber doch nicht Sokrates, denn Sokrates stellt ein Individuum vor
LOGIK

und keinen Begriff. Ich könnte höchstens sagen: "Der Umfang des
mit Sokrates Identischen ist eingeordnet dem Umfang des Begriffs
des Kranken." Aber wer sieht nicht, dass der Gedanke hier geändert
ist? Wer sagt, dass Sokrates krank ist, will doch nicht diesen ebenso
verwickelten wie uninteressanten Gedanken aussprechen. Und selbst
wenn als Subjekt ein Begriff fungiert, der als solcher wirklich einen
Umfang hat, so ist die Meinung des Satzes weder ein Umfangsver-
hältnis noch etwas damit Äquivalentes. Z.B. "Rot ist eine Farbe ":
Gemeint ist doch nicht, dass der Umfang des Begriffs Rot Teil ist des
Umfangs des Begriffs Farbe, also in äquivalenter Ausdrucksweise,
dass jeder rote Gegenstand eine Farbe ist, was ja ganz falsch wäre.
Und in weiterer Folge kann man auch Folgendes einwenden. Wenn
der Sinn jedes Satzes "S ist P" sein soll: "Der Umfang von S ist
eingeordnet dem Umfang von p", so müsste dasselbe doch auch
von diesem Satz gelten, auch er hat die Form "S ist P". Also der
Umfang des Begriffs" Umfang von S" ist eingeordnet dem Umfang
des Begriffs "eingeordnet dem Begriff P", und so in infinitum.
Andererseits kann der Irrtum auch nicht aus der Luft gegriffen
sein; es muss irgendeinen Gesichtspunkt geben, der einen täuschen-
den Schein vorspiegelt. Wo sind die Fälle, welche den Irrtum nahe
legen, bei denen von einem "täuschenden Schein" überhaupt ge-
sprochen werden kann? Die Antwort lautet: Die Quelle des Irrtums
liegt in der traditionellen Syllogistik. Für Zwecke des Schließens,
sagte ich wiederholt, kann man äquivalente Sätze in gleicher Wei-
se verwenden, sofern auch die Schlusssätze dann äquivalente sein
müssen. So gewöhnt man sich daran, auf gedankliche Unterschiede
und Verschiebungen, welche die Äquivalenz der Gedanken nicht
tangieren, nicht besonders zu achten und schließlich für identisch
zu halten, was es durchaus nicht ist. In der traditionellen Syllogis-
tik werden nun Schlüsse behandelt, deren Prämissen so beschaffen
sind, dass sie Schachtelungsverhältnissen zwischen ganzen Begriffs-
umfängen oder Teilen derselben äquivalent sind. Der Rekurs auf
die Begriffsumfänge hat aber von vornherein den Vorteil der grö-
ßeren Anschaulichkeit, denn Umfänge sind Mengen. Mengen sind
an sich schon anschaulichere Vorstellungen, und überdies bietet sich
bei ihnen so bequem das Bild der eulerschen Sphären mit ihren
anschaulichen Deckungen, Kreuzungen usw., die eine Ausführung
der Schlüsse sozusagen in mechanischen Formen gestatten vermöge
der genauen Analogien in den Verhältnissen zwischen Bild und Sa-
VON DEN SÄTZEN 149

che. Indem nun das eigentlich theoretische Verständnis fehlte, das


verlangt, objektiv Identisches als dasselbe, objektiv Verschiedenes als
verschieden gelten zu lassen, kam man begreiflicherweise dazu, den
Gesichtspunkt der Sphärenvergleichung, also der Umfangsbeziehun-
gen in den Vordergrund zu rücken, ihn als den allein wesentlichen zu
betrachten, und schließlich dazu, jeden hierher gehörigen Satz, d.h.
jeden, dem die Vorstellung eines Umfangsverhältnisses äquivalent
entspricht, selbst für die Vorstellung eines Umfangsverhältnisses zu
erklären. Warum dabei das Subsumtionsverhältnis bevorzugt wurde,
das erklärt sich dann wieder aus der Besonderheit der syllogistischen
Theorie, wie sie sich historisch ausgebildet hatte; worauf ich hier
nicht eingehen kann. Die Sätze, die in der traditionellen Syllogistik
eine Rolle spielten, hatten die Form "Alle A sind B" und "Einige
A sind B". Im ersten Fall sagte man: "Der Umfang von A ist B",
(im zweiten:) "Ein unbestimmter Teil des Umfangs von A ist B", und
diese letzteren Sätze nahm man dann geradezu als Interpretation jener
Formeln. Ist ein bestimmtes Einzelnes, z.B. ein Individuum Subjekt,
so dachte man sich auch dieses als eine Menge, als den Grenzfall
nämlich, wo der Umfang sich nur auf ein Glied reduziert, und so
warf man zwei fundamental verschiedene Fälle, den der Subordina-
tion und Subsumtion, durcheinander und fasste Sätze der Formen
"Alle A sind B ", "Einige A sind B" und" Ein bestimmtes Einzelnes,
z.B. Sokrates, ist B" als Differenzierungen einer und derselben Satz-
form, also eines und desselben logischen Gedankens. Der Hauptteil
der Schlussformeln blieb richtig, unabhängig davon, ob die Existenz
von A's angenommen wird oder nicht. Und auch dies trug zu der
Vermengung bei, die, nebenbei bemerkt, die meisten Darlegungen
der Syllogistik mit fehlerhaften, vieldeutigen und zugleich mit einer
Anzahl falscher Schlussformen behaftet. Von diesen mannigfachen
Irrtümern, die sich hier durchkreuzen, können wir absehen. Nur das
eine ist festzuhalten, dass es grundfalsch ist, in der Formel "S ist
P" den Ausdruck eines Umfangsverhältnisses zwischen Sund P zu
sehen. Und überdies betone ich, um Irrtümern vorzubeugen, dass,
wenn die Logiker schreiben "Alle S sind P" und "Einige S sind P"
und dann noch für beide die so genannten Quantitätszeichen un-
terdrückend schreiben "S ist P", allerdings zwischen den Umfängen
von S und P Umfangsverhältnisse bestehen und evtl. solche, die den
ursprünglichen Sätzen äquivalent sind, dass dann aber die Zeichen
S und P durchaus nicht dieselbe Bedeutung haben wie in unserer
150 LOGIK

Formel. Für uns ist S ein Gegenstand des Begriffs P, also evtl. ein
Individuum. In den Formeln der traditionellen Logik muss aber,
korrekt genommen, S ebenfalls und unter allen Umständen einen
Begriff bezeichnen und niemals einen Begriff, der Gegenstand ist
des Prädikatbegriffs. Sagen wir: "Alle oder einige Menschen sind
sterblich", so repräsentiert "Mensch" einen Begriff, und zwar nicht
einen solchen, der Gegenstand ist des Begriffs" sterblich". Die sterb-
lichen Dinge sind nicht Begriffe, sondern Menschen, und unter den
Menschen läuft nicht so etwas herum wie der " Begriff Mensch". Soll
also die Formel "Alle A sind B" eine wahrhaft kategorische sein,
dann muss ihr Gedanke in ganz anderer Weise der Form "S ist P"
entsprechen, in einer Weise, wo durchaus nicht das A mit dem S
und B mit dem P identifiziert ist. Wir werden dies später ausführlich
untersuchen· müssen.
Natürlich trifft unsere Kritik alle Umfangstheorien in gleicher
Weise. Es gibt da nämlich Verschiedenheiten. Während die einen das
Wesen der kategorischen Beziehung in der Subsumtion sehen, meinen
die anderen, darin noch weiter von der Wahrheit abirrend, die Bezie-
hung als ein identisches Verhältnis zwischen zwei Umfängen deuten
zu können: "Wenn alle Dreiecke dreiseitig sind, so ist die Klasse
der Dreiecke identisch mit der Klasse der Dreiseitigen", " Wenn alle
Menschen sterblich sind, so ist die Klasse Mensch identisch mit einem
gewissen Teil der Klasse der Sterblichen. " Und diese Identität auszu-
sprechen, sei die Funktion dieses kategorischen Satzes und in ähnli-
cher Weise die Funktion eines jeden kategorischen Satzes überhaupt.
Diese Auffassung spielt schon in alter Zeit, so in der Logique de Port
Royal eine bestimmende Rolle, kehrt im 18. Jahrhundert öfter wieder
und findet einen einflussreichen Vertreter in Hamilton, der auf sie
eine Einteilung der bejahenden kategorischen Urteile in toto-totale,
toto-partielle, parti-totale ("Einige Figuren sind alle Dreiecke") und
parti-partielle ("Einige Dreiecke sind einiges Dreiseitige") gründet
und darauf dann weiter eine eigentümliche Behandlung der Syllogis-
tik: Soweit dem Irrtum Wahrheit entspricht, handelt es sich wieder um
gewisse Äquivalenzen, die zwischen gewissen Sätzen und Sätzen über
Umfangsidentitäten bestehen. Freilich geht Hamilton über die bloße
Umdeutung weit hinaus, wenn er einem Satz wie" Alle Menschen sind

• William Hamilton, Lectures on Metaphysics and Logic, 3th rev. ed., Edinburgh 1874, voI. IV:
Lectures on Logic, voI. 11, S. 287.
VON DEN SÄTZEN

sterblich" substituiert: "Alle Menschen sind einige Sterbliche", der


offenbar eine konjunktive Zusammensetzung aus zwei einfacheren
Sätzen darstellt.

§ 44. Inhaltsinterpretation dieser Form


Ebenso ablehnend wie zu den Umfangstheorien müssen wir uns
auch zu den Inhaltstheorien des Urteils bzw. Satzes stellen. Ihnen
gemeinsam ist dies, dass jeder kategorische Satz (wir wollen uns, wie
in diesen ganzen Betrachtungen, auf die affirmativen beschränken)
ein Inhaltsverhältnis zwischen zwei Vorstellungen, Sund P, oder deren
Gegenständen meine. Von einem Inhaltsverhältnis von Vorstellungen
kann im Allgemeinen sicher nicht die Rede sein. Wenn wir sagen:
"Die Sonne geht auf", so meinen wir, wie Mill mit Recht betont hat,
gewiss nicht, dass die Vorstellung der Sonne aufgeht. Wir wollen über
die Sonne selbst etwas aussagen und nicht über die Vorstellung der
Sonne und über ihr Verhältnis zur Vorstellung des Aufgehens:
Was aber das Inhaltsverhältnis zwischen Sund P anbelangt, so
ist, wenn wir unter Inhalt das verstehen, was wir darunter definiert
haben, sicher nicht in jedem kategorischen Satz ein Inhaltsverhältnis
ausgedrückt, da doch in unserem Sinn von Inhalt nur gesprochen
werden darf, und aus guten Gründen, bei Begriffen, während das S
wenigstens auch ein Nichtbegriff sein kann. Verstehen wir hier aber
unter Inhalt den gegenständlichen Gehalt der beiden Vorstellungen,
so ist es sicher, dass zwischen den Inhalten ein gewisses Verhältnis
besteht, eben das Verhältnis, dass das S P ist. Aber ich leugne, dass
man über dieses ganz Allgemeine hinauskommt. Wenn man sagt, es
sei das Verhältnis des Gegenstandes zu seinem Begriff vorgestellt, so
ist das ein neuer Ausdruck, mit Hilfe der Begriffe Gegenstand und
Begriff umschreibend, aber er besagt nichts Neues, da die Begriffe
Gegenstand und Begriff in ihrem Verhältnis zueinander eben nur im
kategorischen Satz klarzumachen sind. Es ist ebenso, wie man das
Größenverhältnis a > b nicht näher bestimmt dadurch, dass man sagt,
es sei das Verhältnis eines Größeren zu einem Kleineren. Diejenigen
indessen, die Inhaltstheorien des Urteils aufgestellt haben, meinten in
der Regel, die Besonderheit des kategorischen Verhältnisses in ganz
anderer Weise fassen zu können, nämlich als ein Identitätsverhältnis

• Vgl. Mill, Logik, Bd. I, Erstes Buch, Kap. II, § I.


LOGIK

oder Gleichheitsverhältnis. So zerfällt z.B. Jevons die kategorischen


Sätze in einfache, partielle und beschränkte Identitäten. Eine ein-
fache Identität ist der Satz "Deal war der Landungsplatz Cäsars",
"Höflichkeit ist die beste Politik". Eine partiale Identität ist der Satz
"Eisen ist ein Metall".' Denn Eisen ist nicht dasselbe wie Metall über-
haupt, sondern eben wie Eisen seiendes Metall. Und so ist die Formel:
A =AB. Limitierte Identitäten sind belegt durch das Beispiel" Große
Pflanzen sind Pflanzen ohne lokomotorische Kraft". Ihre Formel ist
AB =AC.
Verwandte Gedanken finden wir bei uns in Deutschland in Lotzes
Logik. Der wahre Sinn des Satzes" Cäsar ging über den Rubikon" ist,
meint er, kein anderer als der Identitätssatz "Der über den Rubikon
gehende Cäsar war der über den Rubikon gehende Cäsar." Denn
nicht der Cäsar, der in den Windeln lag, oder Cäsar, der schlief u.dgl.,
sei der Gegenstand, von dem hier die Rede gelte. Ebenso bedeute
das Urteil "Einige Menschen sind schwarz" eine Identität: Unter den
"einigen Menschen" sind nicht die braunen, die weißen usw., sondern
eben schon die schwarzen verstanden, und umgekehrt, die schwarzen,
von denen im Prädikat die Rede ist, die sind nur die im Subjekte
gedachten:'
Was wir gegen solche Auffassungen einzuwenden haben, ist klar.
Natürlich kann unter Umständen Identität in einem kategorischen
Satz ausgesagt sein, aber nicht immer ist und kann er Identität meinen.
In vielen Fällen - sie gehören zu den einfachen Identitäten im
Sinne Jevons' '- dient das Wörtchen "ist" geradezu als Ausdruck
der Identitätsbeziehung. "Deal ist der Landungsplatz Cäsars": Deal
und der Landungsplatz ist hier ein und derselbe Ort. "Salzburg ist
die Geburtsstadt Mozarts ": Salzburg und die Geburtsstadt ist hier
ein und derselbe Ort. Aber vergeblich ist es, nach Maßgabe dieser
Fälle alle anderen als Fälle von Identitäten zu deuten. Die Aussage
"Eisen ist ein Metall" und "Eisen ist identisch dasselbe wie Eisen
seiendes Metall" sind offenbar nicht Aussagen, welche denselben
Gedanken ausdrücken. Würde das Sein immer Identität bezeichnen,
so müsste doch auch in der Attribution dasselbe gelten. "Eisen sei-
endes Metall ist Metall, welches Eisen ist"; da nun Eisen und Metall
, Vgl. w. Stanley Jevons, The Principles 0/ Science: A Treatise on Logic and Scientific Method,
London 1883, S. 37-40.
" Hennann Lotze, Logik. Drei BUCher vom Denken, vom Untersuchen und vom Erkennen, 2.
Auft., Leipzig 1880, S. 8of.
VON DEN SÄTZEN 153

wieder nicht identisch sind, so müsste ich abermals setzen für Eisen
"Eisen seiendes Metall", und in der Attribution demnach " Eisen
seiendes Eisen seiendes Metall", und so in infinitum. Hinter dieser
Umdeutung steckt im Grunde wieder der in England besonders ein-
flussreiche Gesichtspunkt des Umfangs. Der Umfang der Begriffe
Eisen und Metall deckt sich nicht, sondern der eine ist identisch
mit einem Teil des anderen. Diese partielle Identität der Umfänge
wird auf die Begriffe selbst übertragen, und so erwächst die For-
mel A =AB. Ebenso werden wir Lotze gegenüber geltend machen
müssen, dass jedem von allen theoretischen Verwirrungen unbeein-
flussten und normalen Menschen der Sinn des Satzes "Der über den
Rubikon gehende Cäsar war der über den Rubikon gehende Cäsar"
als durchaus verschieden erscheinen wird als der Sinn des Satzes
" Cäsar ging über den Rubikon. " Der erstere ist eine Tautologie, was
der letztere durchaus nicht ist. Dass ferner, wenn einige Menschen
schwarz sind, die Menschen, auf welche das Wörtchen" einige" Bezug
haben kann, nur schwarz sein können, geben wir gerne zu. Aber
dass der Satz meint, schwarze Menschen sind schwarz, das geben
wir gar nicht zu, abgesehen davon, dass wir noch nicht entschieden
haben, ob die ,hier behandelte Form überhaupt eine kategorische
ist.
Auch als Gleichheitsverhältnis, sagte ich, hat man den Gehalt
des kategorischen Satzes "S ist P" deuten wollen. Woran möchte
man da denken? Wenn wir einen roten Gegenstand vorstellen, so
ist das Rot in gewisser Weise Bestandteil in der Vorstellung des
Gegenstandes. Nennen wir ihn nun rot, dann haben wir mit der
Prädikatvorstellung eine solche gegeben, die mit der Subjektvor-
stellung in Bezug auf das, was sie vorstellen, in einem Gleichheits-
verhältnis steht. Genauer müssten wir aber sagen, in einem Iden-
titätsverhältnis: Die eine stellt etwas vor, was identisch ist mit ei-
nem Teil dessen, was in der anderen vorgestellt ist. Nun ist aber die
Funktion der kategorischen Aussage sicher nicht, dieses Verhältnis
der Vorstellungen auszusagen, denn sie enthält wohl die Vorstellung
von Sund P, aber sie sagt nicht aus über die Vorstellung von S
und P, vielmehr über Sund P selbst. So kommen wir wieder zu-
rück, es könnte höchstens das gelten, dass die Funktion der Aussage
sein möchte, jenes Identitätsverhältnis selbst auszudrücken. "Das
rote Haus ": Der Gegenstand ist partiell identisch mit dem Inhalt
der Prädikatvorstellung Rot, sofern das Rot enthalten ist im Haus,
154 LOGIK

als Abstraktum im Konkretum. Indessen, wie steht es dann, wenn


das Prädikat eine äußere Beschaffenheit des Gegenstandes ist, z.B.
"Dieses Haus gehört dem Herrn Schultze"? Hier kann man sicher
nicht sagen, dass der Gegenstand der Prädikatvorstellung in dem
Verhältnis des Teils stehe zum Gegenstand der Subjektvorstellung.
Keine Analyse kann in der Vorstellung des Hauses und im Haus
selbst einen Bestandteil finden, der identisch wäre mit dem Prädikat
"dem Herrn Schultze gehören". Es mag ja sein, dass, wenn wir einen
Gegenstand zu anderen in Beziehung bringen und nun diese oder
jene relativen Beschaffenheiten an ihm entdecken, eben durch diese
beziehende Tätigkeit und das Auftauchen der relativen Beschaffen-
heiten die Gegenstandsvorstellung gewisse Tinktionen erhält, dass
uns mit ihr sozusagen anders zumute wird als vorher, ehe wir die
Relationen betrachteten. Die subjektive Vorstellung erfüllt sich mit
weiterem Gehalt, aber objektiv bleibt der Gegenstand das, was er
ist. Die entdeckten relativen Prädikate verwandeln ihn nicht objek-
tiv in einen neuen Gegenstand, in dem sie nun als Teile steckten.
Objektiv bestehen Sätze, die diese relativen Beschaffenheiten als
ihm zukommend vorstellen, und diese Beschaffenheiten sind nicht
in ihm als Teile, sondern an ihm als Prädikate. Und was das heißt
"an ihm", was das heißt "Prädikat" und "kategorische Beziehung
überhaupt", das wird durch alle Psychologie nicht um (ein) Haar
geklärt.
Indem wir uns so bemühten, den rein schlichten Sinn der Formel
"S ist P" von trübenden Umdeutungen frei zu halten, sind wir noch
lange nicht aller Schwierigkeiten und aller kritischen Arbeit ledig.
Einerseits bezog sich alle Ausführung vorzugsweise auf die affirmative
Formel, und auf die negative nur insofern, als darin nicht die Funk-
tion der Negation selbst in Betracht kam. Aber diese Funktion führt
ihre eigenen Schwierigkeiten und Probleme mit sich. Andererseits
ergibt sich die Frage nach den Differenzierungen der affirmativen
und negativen Formeln. Von alters her teilt man die kategorischen
Sätze nach dem so genannten Gesichtspunkt der Quantität, und drei
Gruppen sollen resultieren: die allgemeinen, besonderen und einzel-
nen Sätze. Eben diese Einteilung sowie der Sinn der den Gliedern
zugeordneten Aussageformen "Alle A sind B", "Einige A sind B"
und "Ein einzelnes A ist B" hat zu weit reichenden Diskussionen
Anlass gegeben, und die Logiker sind bis nun zu erträglicher Einigkeit
nicht gekommen.
VON DEN SÄTZEN ISS

§ 45. Die negativen kategorischen Sätze


und die Bedeutung der Negation
Sehen wir uns zunächst die negativen kategorischen Sätze an. Da
herrscht seit langem der Streit, ob die negativen kategorischen Sätze
überhaupt als eine gleichberechtigte Klasse neben den affirmativen
gelten dürfen und ob sie nicht vielmehr zu deuten wären als affirmative
kategorische Sätze mit negativen Prädikaten. Und wieder herrscht
der Streit, ob nicht die Negation, wenn sie nicht, wie in der eben
erwähnten Ansicht, Bestandteil des Prädikats ist, auf den entspre-
chenden affirmativen Satz gerichtet sei, sodass der Sinn von "S ist
nicht P" wäre, dass der Bestand von"S ist P" zu verwerfen sei. Lotze
wiederum lässt weder die eine noch die andere Ansicht gelten und
behauptet, im affirmativen wie negativen kategorischen Satze läge
dieselbe Relation zugrunde, aber im einen werde sie als gültig, im
anderen als ungültig betrachtet, so dass jeder kategorische Satz die
Form eines Satzes hätte, wo die bezügliche Relation mit dem Prädikat
" gültig " oder" ungültig" versehen sei.'
I) Überlegen wir zunächst Lotzes Lehre. Im § 40 seiner Logik heißt
es: Die beiden Sätze"S ist P" und"S ist nicht P" ... müssen natürlich
genau dieselbe Verbindung von Sund P meinen, nur dass die Geltung
derselben von dem einen bejaht, von dem anderen verneint wird.
Diese Verbindung, meint er weiter, denken wir uns zunächst als einen
noch fraglichen Gedanken, über den dann zwei Nebenurteile ge-
fällt werden mit den respektiven Prädikaten Gültigkeit, Ungültigkeit.
Zwei wesentlich verschiedene Arten des Urteils als solchen werden
also durch den Unterschied zwischen bejahendem und verneinendem
Urteil nicht begründet. Wieder heißt es: " Gültigkeit und Ungültigkeit
sind als sachliche Prädikate zu betrachten, die von dem ganzen Ur-
teilsinhalt als Subjekt gelten. Dieser Inhalt hat seinen von Bejahung
und Verneinung noch freien Ausdruck im Fragesatz. Und dieser hätte
als drittes Glied wohl schicklicher die Dreiheit der Urteilsqualitäten
ausgefüllt als das so genannte limitative Urteil mit der Form ,S ist
non-P'''.
Genau besehen würde die Bestreitung der traditionellen Neben-
ordnung von affirmativen und negativen Sätzen, welche schon Aristo-
teies vertreten hatte - Aristoteles hat das affirmative Urteil allerdings

• Lotze. Logik, S. 61.


LOGIK

als das 1tQOO'tEQOV und YVOQLI-tOO'tEQOV bezeichnet" -, sich nicht auf den
kategorischen Satz beschränken. In jedem, müsste man konsequent
sagen, sei der Urteilsinhalt zu unterscheiden, der im Fragesatz zum
reinen Ausdruck komme, und die beiden Nebenurteile, die ihm die
Prädikate Gültigkeit und Ungültigkeit verleihen. Und das wäre na-
türlich ganz selbstverständlich für alle diejenigen, welche jeden Satz
überhaupt als einen dem Gedanken nach kategorischen fassen.
Wie weit Lotze von der Wahrheit abirrt, das lehrt eine sehr einfache
Überlegung. Wie sollen wir die Nebenurteile, von denen hier die Rede
ist, ausdrücken und wie den angeblichen Urteilsinhalt, der von ihnen
unterschieden ist? Z.B. beim Satz" Gold ist gelb" bzw. "Gold ist nicht
gelb"? Es ist offenbar auf keine andere Weise möglich, als dass wir
nebeneinander stellen die drei Sätze" Gold ist gelb", '" Gold ist gelb'
ist gültig", '" Gold ist gelb' ist ungültig", also in unserer Terminolo-
gie den schlichten Satz, seine Affirmation und Negation. Wenigstens
wüsste ich nicht, wie wir den Urteilsinhalt als ein sinnvolles Ganzes
ausdrücken könnten, ohne das" ist" hinzuzuziehen. "Gold gelb" gibt
doch keinen Sinn, gibt doch keine Vorstellung eines Verhaltens. Ist
dem aber so, dann müsste die wahre Meinung des Satzes "Gold ist
gelb", der den Urteilsinhalt ausdrückt, selbst wieder sein: ",Gold ist
gelb' ist gültig." Darin kommt abermals der Urteilsinhalt vor. Wir
müssten dieselbe Umformung vornehmen, und so in infinitum.
Und andererseits, betrachten wir doch die beiden so genannten
Nebenurteile, Z.B. ",Gold ist gelb' ist gültig" oder, anders ausge-
drückt, "Es ist gültig, dass Gold gelb ist". Aber das ist doch wieder
ein kategorischer Satz, er hat wieder die Form" S ist P". Er müsste also
eigentlich wieder die Bedeutung haben" Dass S P ist, ist gültig". Also
müssten wir haben" Es ist gültig, dass es gültig ist, dass Gold gelb ist",
und so in infinitum. Und so kommen wir von jedem Gesichtspunkt
aus auf reine Absurditäten.
Übrigens ist zu bemerken, dass sich hier bei Lotze mit dem logi-
schen ein paralleler psychologischer Irrtum verbindet. Denn er spricht
nicht, wie wir, von Sätzen, er spricht von Urteilen; Urteile sind aber
Fürwahrhaltungen oder Fürfalschhaltungen. Nun ist gewiss, dass man
unterscheiden muss die Urteilsmaterie, d.i. die bloße Vorstellung von
"S ist P", des bloßen Satzes, von dem entsprechenden bejahenden
oder verneinenden Urteil. Aber dieses kann nicht selbst wieder be-

• Aristoteles, Analytica posteriora, I, 25 (86 b 29).


VON DEN SÄTZEN 157

stehen in der bloßen Vorstellung der Sätze ,,,S ist P' ist gültig oder
ungültig", denn solche Sätze vorstellen heißt doch noch nicht, sie
für wahr halten. Und wäre jedes Urteil "S ist P" im Grunde ein
Urteil der Form ",S ist P' ist gültig", so würde dieses Urteil, da es
wieder dieselbe Form hat, auf ein zweites zurückführen, und so in
infinitum. Bei Lotze vermischen sich offenbar beide Irrtümer, indem
er einerseits Urteil als psychischen Akt versteht und andererseits doch
von der Me in u n g der Sätze" S ist P" und" S ist nicht P" spricht" und
dies begründen will, eine Meinung, die nicht den psychischen Akt
trifft, sondern seinen objektiven Gehalt.
Auch mit der Behauptung können wir uns natürlich nicht befreun-
den, dass der Fragesatz eine dem affirmativen und negativen Satz
nebengeordnete Stelle in einer Klassifikation vertreten könnte. Denn
was ist der Sinn des Satzes "Ist S P?"? Doch kein anderer als: Ich
wünsche· zu wissen, ob S P ist (objektiver Gehalt: "Welches von
beiden gilt", ob das eine oder das andere?). Es liegt hier also ein
sehr spezieller kategorischer Satz vor der bejahenden Form. Und die
Einteilung würde etwa der Einteilung der Pferde gleichen in zahme
Pferde, wilde Pferde und deutsche Pferde.
2) Ich habe noch eine zweite merkwürdige Ansicht über die Bedeu-
tung der Negation im kategorischen Satze erwähnt, wonach, wie man
sich ausdrückt, das "nicht" zum Prädikat gehört als ein dasselbe zum
negativen Begriff stempelnder Bestandteil, nicht aber zur Kopula.
Sätze wie" Gold ist nicht grün", "Der König ist nicht verreist" u.dgl.
sollen interpretiert werden nach Maßgabe der Sätze "Die Seele ist
unsterblich", "Holz ist ein Nichtleiter der Elektrizität", "Die Asym-
ptoten sind unendlich" usf. Schon Hobbes hat in seiner Schrift De
Corpore diese Lehre vertreten;' in neuerer Zeit neben einer Reihe
unbedeutender Logiker kein Geringerer als Bolzano, der allerdings
gesteht, dass sich ihm erst nach langem Hin- und Herschwanken diese
Meinung befestigt habe..••
Der so genannte negative Satz soll also nichts weiter sein als ein
affirmativer mit negativem Prädikat. So gut wir einem Sein P zu-
schreiben können, so gut können wir ihm auch den Mangel des P, das
Fehlen des P zuschreiben, und das eben ist die Meinung des negativen

• Vgl. Latze, Logik, S. 58 und 63f.


•• Vgl. Thomas Hobbes, De Corpore, 111.15.
... Bolzano, Wissenschafts/ehre, Bd. 11, S. 45.
LOGIK

Prädikats. Dass es nun vielfach so ist, dass die Negation in diesem


Sinne zum Prädikat gehört, das können wir natürlich nicht leugnen.
In allen Beispielen der zweiten Gruppe ist es wirklich der Fall: Es wird
das Unsterblichsein vom Menschen, das Nichtleitersein vom Holz
usw. bejaht. Und ich möchte auch nicht, wie manche Logiker es getan
haben, die Rede von affirmativen Urteilen mit negativen Prädikaten
bemängeln, weil diese Sätze bzw. Urteile der Sache nach verneinend
und der Form nach bejahend seien (Erdmann): Die bejahende Form
macht sie zu bejahenden; und ob in dem Sachverhalte, der bejaht wird,
eine Negation steckt oder nicht, ist für das Weitere gleichgültig.
Die Frage ist nun aber, ob es richtig ist, alle Sätze der Form "S ist
nicht P" in dieser Form "S ist non-P" zu interpretieren. Was wären
dann die Motive für diese jedenfalls doch verwunderliche Ansicht?
Ein Argument, das öfter mitspielt, Z.B. bei Bolzano;· ist dies, dass,
wenn die Negation zur Kopula gehörte, die ganze Verknüpfung zwi-
schen S und P negiert, der Sinn also sein müsste: "Dass S P ist, ist
nicht wahr. " In der Tat kämen wir, da dieser Satz selbst wieder negativ
ist, zu einem unendlichen Regress, wenn wir uns nicht entschlössen,
das "nicht" mindest in diesem Satz zum Prädikat zu rechnen, also
zu interpretieren: "S ist P" ist falsch. Dann aber läge es nahe, diese
Interpretation gleich beim ursprünglichen Satze anzunehmen.
Gegen dieses Argument erheben sich aber gewichtige Bedenken.
Die Kopula hat in der affirmativen Formel "S ist P" sicherlich die
Funktion, die Synthese zwischen S und P herzustellen. Indem wir
den Satz denken "Gold ist gelb", denken wir nicht bloß "Gold"
und "gelb", sondern von Gold stellen wir vor, dass es gelb ist. Das
Subjekt erscheint als Subjekt dieses Prädikats, das Prädikat als Prädi-
kat dieses Subjekts. Diese Beziehung zwischen S P besteht sicherlich
nicht, wenn wir sagen: "S ist nicht P". Aber keineswegs liegt darin
als ein Selbstverständliches, dass die" Meinung dieser letzteren Formel
sei, es bestehe nicht das, was die andere vorstelle. Es ist doch wohl
auseinander zu halten die Behauptung, wenn S nicht P ist, so gelte
nicht "S ist P", und die andere Behauptung, die Behauptung "S ist
nicht P" meine, es gilt nicht "S ist P". Es ist entschieden unrichtig,
dass die Vorstellung "S ist nicht P" die Vorstellung "S ist P" explizit
einschließt und dieser die Gültigkeit abgesprochen vorstellt. Wäre

• VgI. Erdmann, Logische Elementarlehre, S. 353.


•• VgI. Bolzano, Wissenschaftslehre, Bd. 11, § [36,2.
VON DEN SÄTZEN 159

dies wahr, dann bestände der unendliche Regress- denn absprechen,


das heißt verneinen, dass etwas ist -, und so hätten wir abermals einen
Satz der Form" S ist nicht P", nämlich "Dass S P ist, ist nicht wahr"
usw.
Also das Argument ist zu verwerfen. Überlassen wir uns vorur-
teilslos der vergleichenden Betrachtung von Sätzen wie "Holz ist
ein Nichtleiter der Elektrizität" und "Holz ist nicht ein Leiter der
Elektrizität"; "Messing ist unverbrennlich", "Messing ist nicht so
widerstandsfähig wie Eisen" u.dgl., so sehen wir ja ganz klar den
Unterschied zwischen dem Absprechen eines Prädikats und dem Zu-
sprechen eines entgegengesetzten Prädikats. Es ist evident, dass die
Meinung eine verschiedene ist. Und hauptsächlich ist auch Folgendes
geltend zu machen: Was ist der Sinn eines negativen Prädikats? "Der
Mensch ist unsterblich": Was heißt das? Offenbar, der Mensch hat die
Eigenschaft, dass er nicht sterblich ist. Gilt der schlichte Satz" S ist
P", so gilt der etwas verwickeltere "S hat die Eigenschaft, dass es P
ist". Und gilt der schlichte Satz "S ist nicht P", so gilt auch der andere
"S hat die Eigenschaft, dass es nicht P ist". Die negativen Prädikate
setzen also die negativen kategorischen Sätze voraus. Ein non-P ist
der Begriff von etwas, das nicht P ist, und dieser Umstand, dass es
nicht P ist, das macht das negative Prädikat ganz aus.
3) Nach dem eben Erörterten erledigt sich zugleich die dritte der
erwähnten Ansichten, wonach der Sinn der negativen Formel kein
anderer ist als" ,S ist P' ist falsch". "Die Kopula", sagt Sigwart, "ist
nicht der Träger, sondern das Objekt der Verneinung, es gibt keine
verneinende, sondern nur eine verneinte Kopula".' Wir müssen diese
Lehre verwerfen, denn dann kämen wir ja nicht bei jenem absurden
unendlichen Regress vorbei. Der Sinn von "S ist nicht P" wäre ",S
ist P' ist nicht gültig", dessen Sinn wieder "Es ist nicht gültig, dass
,S ist P' nicht gültig ist", und so in infinitum. Wir kämen niemals zur
Ausschöpfung des Sinnes unserer so einfachen und verständlichen
Formel. Zur Annahme dieser falschen Lehre haben verschiedene
Motive beigetragen. Zunächst die Vieldeutigkeit der Frage, von der
man den Ausgang zu nehmen pflegte: Gehört die Negation zur Kopula
oder nicht? Die Scholastiker sagten: In propositione negativa negatio
afficere debet copulam. Was ist Init diesem afficere gemeint? Einerseits
kann der Satz als sprachlicher verstanden werden und die Meinung

• Sigwart, Logik, Bd. I, S. 154.


160 LOGIK

also dahin gehen, das Wörtchen "nicht" gehöre zum Wörtchen "ist"
(der sprachlichen Kopula). Beiden zusammen gehöre die einheitliche
Funktion zu, die gedankliche Kopula, den Beziehungsgedanken, der
S und P in die Einheit des Satzes zusammenschließe, anzudeuten.
Gemeint kann aber von vornherein der logische Satz sein und
demgemäß das afficere die Bedeutung einer näheren Bestimmung
haben, die zu der logischen Kopula "ist", also der Kopula, welche
dem affirmativen Satz "S ist P" die Einheit schafft, hinzutrete.
Der triftige Gedanke ist der erstere. Aber leicht gleitet man in
den letzteren über, und wenn man auch diese nähere Bestimmung
nicht in der Weise Inissdeutet, dass man das "Nicht-Ist" als einen
besonderen Fall des Ist auffasst, so liegt es doch umso näher, das
Nicht als Negationszeichen zu fassen, welches an dem "ist", also an
der affirmativen Verknüpfung des S mit P, eine gewisse Operation
übt, eine Operation, die dann nicht anders gedeutet werden kann als
Ungültigkeitserklärung des "S ist P". Und so erwächst die Formel
"Es ist nicht wahr, dass S P ist" als angeblich exakte Interpretation
der einfacheren "S ist nicht P".
Sigwart sucht seine Ansicht psychologisch zu begründen. Die Ver-
neinung will er nicht als eine dem positiven Urteil "gleichberechtigte
und gleichursprüngliche Spezies des Urteils" gelten lassen (Sigwart,
(Logik, Bd.) I, (S.) 150)' Die subjektive, individuell zufällige Bewe-
gung des Denkens, die in ihren Einfällen, Fragen, Vermutungen und
irrtümlichen Behauptungen über das objektiv Gültige hinausgreift,
werde durch die Verneinung in ihre durch die Natur der gegebenen
Vorstellungen gesteckten Schranken verwiesen. So setze die Vernei-
nung für ihre Entstehung immer ein vollzogenes oder versuchtes
Urteil voraus, Inindest den Gedanken einer positiven Beilegung ei-
nes Prädikats. Sie habe also nur einen Sinn, indem es einer solchen
widerspricht und sie aufhebt. 1 Aber derartige Argumente sind ganz
wirkungslos, wenn man bedenkt, dass die Frage der psychologischen
Priorität für die Frage der logischen durchaus nicht präjudiziert, also
auch die Möglichkeit einer logischen Unabhängigkeit völlig unberührt
lasse. Die logische Priorität bedeutet begriffliche Unabhängigkeit,
und diese vertreten wir, indem wir meinen, dass der Gedanke des
negativen Satzes nicht explizit den des entsprechenden affirmativen

1 Vgl. (Anton) Marty, .. (Über) subjektlose Sätze (und das Verhältnis der Grammatik zu Logik
und Psychologie) 11" (Vieneljahrsschrift /Ur wissenschaftliche Philosophie (8 (1884), S.) 190.
VON DEN SÄTZEN 161

einschließe. Es kann natürlich die kausale Ordnung der psychischen


Phänomene eine solche sein, dass niemals ein negativer Satz ins Be-
wusstsein tritt, ohne dass der entsprechende affirmative da gewesen
sei. Aber damit ist nicht bewiesen, dass in dem objektiven Gedan-
kengehalt des ersteren der letztere als Bestandteil fungieren müsse.
Übrigens ist es gar nicht richtig, dass solch ein psychologisches Gesetz
besteht; richtig ist, dass überhaupt Verneinungen in unserem psychi-
schen Leben später auftreten als Bejahungen und dass erst aus Anlass
solcher Erlebnisse, wie es der Widerstreit des Erwarteten und wirklich
Eingetretenen ist, die Negation vollzogen wird. Aber keineswegs ist
es richtig, dass jedes negative Urteil den Versuch oder auch nur den
Gedanken des entsprechenden affirmativen voraussetze, und noch
weniger gilt dies von dem bloß negativen Satz.
Wir halten also auch dieser Lehre gegenüber fest, dass es zwei
koordinierte Formen des kategorischen Satzes gibt, die affirmative
und negative, und dass der Begriff des Absprechens und Zusprechens,
des Bejahens oder Verneinensund wie man es nennen will, einander
koordiniert sind. Ich will auch mit der Tradition dabei bleiben, eben-
sowohl von einer bejahenden als von einer verneinenden Kopula zu
sprechen. Sigwart meint zwar: "Ein Band, welches trennt, ist Un-
sinn",*ähnlich wie schon Krug am Anfang dieses Jahrhunderts: "Eine
Kopula, in der nicht kopuliert wird, ist ein Widerspruch":* Aber diese
Bemerkung kann doch nur solche Logiker treffen, welche das Urteil
als Verbindung oder Trennung von Vorstellungen definierten, indem
sie die Negation als Trennung der Sund P bezeichneten. Uns aber ist
der negative Satz ebenso eine Einheitsform wie der affirmative. Und
die Verknüpfung zwischen Sund P herzustellen, ist ebensowohl die
Funktion des "ist" wie des" ist nicht".
Noch eins sei bemerkt. Wir hatten früher für beliebige Sätze die
Unterscheidung gemacht zwischen ihren Affirmationen und Negatio-
nen. Jedem Satz S entspricht ein Satz "S ist wahr" und "S ist nicht
wahr". Das gilt auch von den kategorischen. Aber die beiden Sätze
",S ist P' ist wahr" resp. "nicht wahr" unterscheiden wir von den
beiden Sätzen "S ist P" und "S ist nicht P". Und das sind nicht vier
koordinierte Formen, denn die beiden ersteren sind selbst spezielle
Fälle der letzteren.

* Sigwart, Logik, Bd. I, S. 153.


** Vgl. Bolzano, Wissenschafts/ehre, Bd. 11, S. 511.
162 LOGIK

In der logischen Tradition seit Kant wurden lange Zeit neben den
affirmativen und negativen Sätzen als dritte koordinierte Klasse die
limitativen genannt: "S ist non-P". Dass ihnen diese ihre Stellung
nicht gebührt, da sie den Charakter affirmativer Sätze mit speziel-
len, nämlich mit negativen Prädikaten haben, das ist ebenfalls in
unseren Kritiken hervorgetreten. Unberechtigt muss ich es jedoch
finden, wenn Lütze sie als" widersinnige Erzeugnisse des Schulwit-
zes " brandmarkt. Schon das finde ich von dem berühmten Den-
ker sonderbar, dass er negative Begriffe wie Nicht-Mensch nicht
einmal als fassbare Vorstellungen gelten lassen will: "In der Tat,
wenn Nicht-Mensch alles bedeutet, was es logisch bedeuten soll,
nämlich alles, was nicht Mensch ist, mithin nicht bloß Tier oder
Engel, sondern auch Dreieck, Schwefelsäure und Wehmut, so ist es
eine ganz unausführbare Forderung, dies wüste Gemeng des Ver-
schiedenartigsten in eine Vorstellung zusammenzufassen, die sich
dann als Prädikat zu einem Subjekt hinzufügen ließe. ". Eine son-
derbare Bemerkung. Wir behaupten dann, dass Nicht-Mensch al-
les bedeute, dem es zukommt, ein Nicht-Mensch zu sein; und nun
gar, dass dies der logische Sinn davon sein müsse? Bedeutet denn
Mensch alles, was Mensch ist? Bedeutet Mensch so viel wie Bis-
marck, Schiller u.dgl.? Und ist es nicht ebenso unausführbar, dieses
Gemenge von Bismarck, Schiller usf., kurz alles, was in den Umfang
des Begriffs Mensch gehört, von irgendeinem Gegenstand zu prä-
dizieren, als es unausführbar ist, Dreieck, Schwefelsäure, und was
sonst in den Umfang des Begriffs Nicht-Mensch gehört, von irgend-
einem Gegenstand zu prädizieren? Wie konnte nur ein so scharf-
sinniger Denker den Umfang eines Begriffs und seine Bedeutung,
d.i. den Begriff selbst verwechseln? Und wie stellt sich nun, werden
Sie fragen, Lotze zu den Fällen, wo das natürliche Denken Sätze
der Form "S ist non-P" verwendet, da man ihm doch nicht zumuten
darf, sich mit widersinnigen Bildungen abzugeben? Z.B. "Ärzte sind
Nicht-Kombattanten": Ja, sagt Lütze, der Satz kann nicht etwa die
Bedeutung (haben), die ihm der limitative Satz zu unterschieben
scheint, denn Nicht-Kombattanten wären auch Pferde, Wagen, Drei-
ecke u.dgl., und diesen würde man doch nicht die Ärzte einreihen
wollen. Gemeint seien Heerespersonen, die nicht kombattieren.•• Das

• Lotze, Logik, S.6If.


•• A.a.O., S. 62.
VON DEN SÄTZEN

ist gewiss richtig, dass man beim negativen Prädikat nicht an all die
heterogenen Objekte denkt, die in seinen Umfang fallen, und richtig
ist es, dass man eben nur an einer nicht genauer bezeichneten Teil-
klasse interessiert ist und evtl. auch an sie denkt. Aber liegt die Sache
doch nicht SO, dass man, mindest in nicht seltenen Fällen, zunächst
bloß den negativen Begriff bildet, einfach aus Bequemlichkeit? Man
ist zu bequem, den Begriff der besonderen Klasse näher zu fixie-
ren.

§ 46. Die üblichen Einteilungen der


kategorischen Aussage: Quantität
Bei den Einteilungen nach der Qualität handelte es sich um die
Frage, ob im kategorischen Satze Subjekt und Prädikat wirklich einen
primitiven Unterschied in der Verknüpfungsweise zeigen können, ob
also zwei verschiedene Arten kategorischer Beziehung eines Sund
eines P unterschieden werden müssen, ohne dass es möglich wäre, die
eine Form "S ist nicht P" als besonderen Fall der anderen, nur mit
geändertem Sund P, aufzufassen.
Um Ähnliches soll es (sich) aber auch bei dem Unterschied der
Quantität handeln, der nach der traditionellen Logik einen neuen
Gesichtspunkt der Klassifikation der kategorischen Sätze darstellen
und dabei primitive Unterschiede der Verknüpfungsform der S und P
treffen soll. So heißt es in Kants Vorlesungen über Logik: "Der Quan-
tität nach sind die Urteile entweder allgemeine oder besondere oder
einzelne, je nachdem das Subjekt entweder ganz von der Notion des
Prädikats ein- oder ausgeschlossen oder davon zum Teil nur ein-, zum
Teil nur ausgeschlossen ist. Im allgemeinen Urteile wird die Sphäre
eines Begriffs ganz innerhalb der Sphäre eines andern beschlossen,
beim partikularen wird ein Teil der ersteren unter die Sphäre des
anderen, und im einzelnen Urteile endlich wird ein Begriff, der gar
keine Sphäre hat, mithin bloß als Teil unter die Sphäre eines andern
beschlossen. ".
Kant zählt diese Einteilung unter den Einteilungen nach der Form
auf und erklärt die Form als Bestimmung der Art und Weise, wie die
verschiedenen Vorstellungen zu ein e m Bewusstsein gehören.··

• Kant, Logik, A 157f.


•• A.a.O., A 156.
LOGIK

Das sind nun zunächst psychologische Unterschiede, wie sehr Kant


sich auch dagegen verwahrt, dass die Logik auf Psychologie ruhe.
Aber da es (sich) offenbar um Satzformen handelt, so können wir
alles festhalten mit bloßer Vertauschung der Begriffe Urteil und Satz.
Zugleich ist es klar, dass mit den Unterschieden der Form gemeint
sind Unterschiede in den Weisen der Verknüpfung der objektiven
Vorstellungen zur Einheit des Satzes, und zwar Verknüpfungsweisen,
die aufeinander irreduzibel sind, von denen also keine als Besonde-
rung der anderen aufgefasst werden kann, indem man das Sund P
nur verschieden bestimmt.
Der gewöhnliche Ausdruck der drei Formen lautet bei affirmativer
Qualität "Alle S sind P", "Einige S sind P" und "Ein bestimmtes
Einzelnes, etwa A, ist P", und entsprechend lautet der Ausdruck
bei negativer Qualität. Quantität und Qualität fasst man eben als
unabtrennbare Gesichtspunkte der Unterscheidung auf, und darum
muss jeder vollständige Ausdruck eines Satzes sowohl Quantitäts- als
Qualitätsausdrücke in sich fassen. Bei Kant treffen beide Gesichts-
punkte den Umfang der Vorstellungen Sund P. Die Affirmation sagt
bloß, dass S unter der Sphäre P steht, aber noch nicht, ob es ganz oder
zum Teil daruntersteht. Bei der Negation ist bloß gesagt, dass S außer
der Sphäre, aber noch nicht, ob es ganz oder nur zum Teil außerhalb
dieser Sphäre steht.· Andere Forscher haben den Umfangsgesichts-
punkt bei der Unterscheidung nach der Qualität verlassen, ihn aber
bei der Unterscheidung der Quantität beibehalten. Hierbei treten
die größten Differenzen hervor. Die einen ließen den Gesichtspunkt
der Quantität als einen durchgreifenden elementaren Unterschied
der Verknüpfungsform gelten und hielten jeden Satz für quantitativ
bestimmt. Andere hielten nur die allgemeinen und besonderen Sätze
fest als zwei einzelne Satzklassen, da eben nicht alle Vorstellungen
quantitativ bestimmbar sind, und unterschieden daneben andere Satz-
klassen, wobei die Form der allgemeinen und besonderen Sätze bald
als primitiv, bald als abgeleitet angesehen wurde. Manche sahen die
Quantität so wenig als Moment in der Verknüpfungsform von Subjekt
und Prädikat an, dass sie meinten, das "alle" und " einige " sei Be-
standteil des Subjekts. Es sei der Grundfehler der traditionellen Logik
gewesen, mit den Formeln "Alle S sind P" und " Einige S sind P" die
Sache so hinzustellen, als bezeichneten Sund P bzw. die Subjekte und

• A.a.O., A 160.
VON DEN SÄTZEN 165

Prädikate die unter die Formeln gehörigen Sätze. Das sei aber ganz
und gar nicht der Fall. Dabei treten aber wieder große Differenzen in
der Bestimmung der wahren Subjekte und Prädikate hervor. Wieder
andere gingen noch weiter, indem sie behaupteten, die allgemeinen
und besonderen Sätze seien überhaupt nicht kategorische Sätze, son-
dern bejahende oder verneinende Existentialsätze, welche sie als eine
wohlunterschiedene Klasse den kategorischen an die Seite setzten,
wobei sie sich freilich auch bemühten, die eigentlichen kategorischen
Sätze als eigentümliche Verbindungen von Existentialsätzen zu be-
greifen.
Der Streit geht so weit, dass die verschiedenen Interpretationen,
die man den Formeln gegeben hat, miteinander nicht einmal äquiva-
lent sind, sofern die Ansichten darüber gänzlich auseinander gehen,
ob in der Formel des allgemeinen Satzes" Alle A sind B" die Existenz
von A's impliziert sei oder nicht.

§ 47. Sigwarts Analyse der allgemein bejahenden Form"


Beschäftigen wir uns, damit Sie eine konkretere Vorstellung vom
Gehalt der Streitfragen und von der Weise, in der man ihre Lösung ver-
suchte, (erhalten,) mit den Lehren Sigwarts. Seiner ganzen Richtung
nach versteht es sich von selbst, dass er den Gegenstand psychologisch
untersucht.
Die Aussagen der Formen" Alle A sind B" und" Einige A sind B"
untersucht er in dem Abschnitt, der von den pluralen Urteilen handelt.
Unter pluralen Urteilen versteht er solche, welche in einem Satz von
einer Mehrzahl von Subjekten ein Prädikat aussagen. Die Erörterung
der uns interessierenden Formen knüpft Sigwart an an die Erörterung
der von ihm so genannten kopulativen Urteile, d.h. solcher, wo einer
Reihe von Subjekten A, B ... ein und dasselbe Prädikat P beigelegt
wird. Die Form ist also "X und Y und Z usw. sind P". Bilden nun
die X, Y, Z eine Gruppe untereinander gleicher oder sehr ähnlicher
Dinge, die also sämtlich dieselbe Benennung A tragen, so kommt
uns die Wiederholung derselben Anschauung zum Bewusstsein in
der Unterscheidung der vielen A von einem A und sprachlich in der
Bildung des Pluralis. Es entstehen die unbestimmten Quantitätsbe-
zeichnungen und -vorstellungen: wenige, einige, mehrere, viele usw.,

" VgI. zu diesem Paragraphen Sigwart, Logik, Bd. 1,5. Abschnitt.


166 LOGIK

und Sätze der Art wie" Einige Sterne werden sichtbar", " Viele Bäume
sind entwurzelt "; und wenn sich mit der Schätzung auch Zählung
verbindet, Sätze mit bestimmten Quantitätsvorstellungen, wie ,,50
Mann sind verwundet".
Welcher Art ist nun, fragt Sigwart, die" Urteilsfunktion " in diesen
Fällen?
1) Am nächsten liege die Auffassung, dass der Plural als Zeichen
einer Mehrheit von Urteilsakten diene. Dies treffe für eine Klasse
von Fällen in der Tat zu. Uns werden am Abendhimmel einzelne
bestimmte Sterne sichtbar, etwa a Lyrae, ß Orionis. Aber sei es,
dass wir die Namen nicht wissen, sei es, dass wir sie nicht benennen
wollen, genug, wir sagen nicht, a Lyrae werde sichtbar und ß Orionis
werde sichtbar etc., sondern wir bezeichnen sie bloß mit dem einen
sie gemeinschaftlich umfassenden Namen Sterne. Wir sagen: "Einige
Sterne werden sichtbar", obwohl wir bei all dem die bestimmten
einzelnen meinen.
2) Anders verhalte es sich in einer zweiten Klasse von Fällen, in
der nämlich zuerst die Vorstellung einer sozusagen in einem Blick
wahrgenommenen Vielheit da ist und von dieser dann das Prädikat
ausgesagt wird, z.B. "Die Bäume stehen dicht gedrängt", "Zahllose
Vögel beleben den Wald". Hier sei die Synthese eine einfache, die
Urteile seien hier nicht aus einer Summierung von vielen Urteilen
entstanden.
3) In gewissen Fällen wieder gehöre die Quantitätsbezeichnung
eigentlich zum Prädikat. Sagen wir: "Viele Menschen sind kurzsich-
tig", so wollen wir nicht mitteilen, dass A, B, C ... kurzsichtig sind.
Was mitgeteilt werden soll, das ist die allgemeine Tatsache, dass der
Kurzsichtigen viele sind, viele im Vergleich zur Gesamtzahl. Ähnlich,
wenn es im Gefechtsbericht lakonisch heißt: "tot: 10, verwundet: 50".
Schon in dieser Betrachtung, welche als Grundlage für die Deutung
der universellen und partikularen Satzformen dienen soll, können wir
nicht ganz zustimmen und beobachten den verderblichen Einfluss der
psychologischen Analyse auf den Fortgang der logischen. Was trägt
denn die Frage, wie die Satzformen psychologisch entstehen, zur Frage
nach dem, was sie meinen, bei? Nicht dadurch, dass wir erforschen,
wie die pluralen Sätze der drei Gruppen entstehen, konstatieren wir
ihren Bedeutungsunterschied, sondern dadurch, wenn wir eben auf
die Bedeutungen achten, und davon lenkt die psychologische Analyse
nur ab. Dass im Satz "Einige Sterne sind sichtbar" ein anderer lYpus
VON DEN SÄTZEN

ausgeprägt ist als im Satz "Die Bäume stehen dicht gedrängt", das
erkennen wir an dem Umstand, dass im ersten Satz das Prädikat jedem
Einzelnen der unbestimmten Vielheit, die das Subjekt vorstellt, zu-
kommt, während dies im zweiten Beispiel nicht zutrifft. Der einzelne
Baum ist nicht dicht gedrängt. Wie die Vielheit vorgestellt ist, ob
in einer einheitlichen Anschauung oder in sukzessiver Aufsammlung
von Einzelheiten oder sonstwie, das ist doch gleichgültig. Und wenn
Sigwart den Unterschied davon herleitet, dass das eine Mal erst die
Einzelnen da sind und an jedem das Prädikat bemerkt wird und das an-
dere Mal eine Gesamtanschauung einer sinnlichen Vielheit, so führt er
uns in die Irre, er lenkt unser Interesse auf etwas, das logisch ganz irre-
levant ist. Wenn ich sage: " Die Begründungsgesetze der formalen Lo-
gik bilden ein System", so habe ich ein Urteil genau derselben Form,
wie wenn wir sagen: "Die Bäume stehen dicht gedrängt." Aber dass
wir die BegrÜDdungsgesetze in einer Gesamtanschauung nach Art der
sinnlichen Mengen vorstellen könnten, wird niemand behaupten.
Dieses einseitige Achten auf den psychologischen Vorgang ver·
führt Sigwart bei der ersten Gruppe, die durch das Beispiel" Einige
Sterne werden sichtbar" belegt ist, zu der Meinung, es sei die Funk-
tion des Ausdrucks, auf eine Vielheit von Urteilsakten hinzuweisen.
Das ist sicher falsch. Mögen uns auch zunächst bestimmte einzelne
Sterne sichtbar geworden sein, wenn wir sagen: "Einige Sterne ... ",
so meinen wir nicht mehr bestimmte einzelne Sterne, selbst wenn die
anschaulichen Vorstellungen derselben uns noch gegenwärtig sind.
Meinen wir die bestimmten einzelnen (etwa, weil uns an diesen etwas
auffällt) und können wir sie nicht benennen, so werden wir mindest
sagen: " Gewisse Sterne werden sichtbar", was nicht gleichbedeutend
ist mit "einige Sterne". Und auch dann wird man nicht behaupten
können, dass die Bedeutung des Satzes in den vorausgehenden und in
der Erinnerung festgehaltenen einzelnen Urteilen bzw. Sätzen liege.
Wer auf die bestimmten einzelnen nicht direkt hinweisen, sie aber
auch nicht benennen oder sonstwie indirekt vorstellig machen kann,
der muss überhaupt darauf verzichten, dem anderen die Urteile zu
vermitteln, die eben die Vorstellungen der bezüglichen einzelnen
selbst voraussetzen würden. In der Not begnügt er sich dann damit,
gewisse andere Sätze auszusprechen, welche statt der bestimmten
unbestimmte Vorstellungen enthalten, aber mit Prädikaten, die den
eigentlich intendierten aber auch zukommen und um derentwillen auf
den betreffenden Gegenständen unser Interesse ruht.
168 LOGIK

An die Analyse der pluralen Urteile, worüber wir in der letzten


Stunde gesprochen haben, knüpft Sigwart die Interpretationen der
Formel des universellen Satzes der traditionellen Logik. Ich spreche
von Interpretationen. In der Tat sucht Sigwart nachzuweisen, dass der
Sinn der Formel "Alle A sind B" ein vieldeutiger ist, und er macht
der traditionellen Logik den großen Vorwurf, dass sie Heterogenes
zusammenwerfe, indem sie jeden Satz, der mit "alle" anfange, ohne
weiteres als zur seiben Spezies gehörig behandle. Man muss sich nach
Sigwart vor allem klarmachen, dass ein fundamental verschiedener
Sinn der universellen Aussage vorliege, je nachdem sie im Sinn eines
empirisch allgemeinen oder in dem eines unbedingt allgemeinen Ur-
teils verstanden wird. Das empirisch allgemeine Urteil repräsentiert
den ursprünglichen Sinn der universellen Formel. Ursprünglich be-
zieht sie sich, sagt Sigwart, auf einzelne Dinge in bestimmter, begrenz-
ter, zählbarer Anzahl, sie hat eine bloß empirische, durch faktisches
Zählen erreichbare Allgemeinheit im Auge, von deren einzelnen Glie-
dern das Prädikat B einzeln behauptet wird. Sie bezieht sich auf eine
bestimmte und begrenzte Vergleichung vorliegender Fälle und setzt
voraus, dass wir von jedem einzelnen er st des Urteils gewiss sind, ehe
wir es von allen behaupten können. Diese Interpretation der Formel
"Alle A sind B" reiht sich jener Klasse von pluralen Urteilen an, in
denen die bestimmte oder unbestimmte Zahlbestimmung im Prädikat
steckt. Sie erinnern sich an die Beispiele "tot: 30, verwundet: 50",
"Der Kurzsichtigen sind viele" u.dgl. Also sei hier die Meinung keine
andere als" Die A, die B sind, sind alle A ". Die Formel" Alle A sind
B" entstand ursprünglich, wo die Anzahl der Objekte, die A sind, dem
Urteilenden in bestimmter Anzahl gegeben war, z.B. "Alle neun sind
gefallen", "Alle Gäste sind da" u.dgl. Die einzelnen Objekte der be-
grenzten Menge werden einzelnweise durchlaufen, einzelnweise wird
an ihnen das bezügliche Prädikat konstatiert, und indem das Resultat
dieses Vergleichungsprozesses durch die Formel "Alle A sind B"
ausgesprochen wird, ist die Meinung keine andere, als dass keinem
das Prädikat B fehlt, dass in dem Haben des B keine Ausnahme
besteht. Also "alle" negiert die Ausnahme. Der Sinn des Wörtchens
"alle" ist immer durch eine doppelte Negation hindurchgegangen.
Darauf weisen sprachliche Ausdrücke hin wie nemo non, nullus non,
die sicher ursprünglicher sind als das omnes. Und indem so ausgesagt
sei, dass keine Ausnahme bestehe, sei das "alle", logisch betrachtet,
das Prädikat: "Die Kugeln, die gefallen sind, sind alle", "Die Gäste,
VON DEN SÄTZEN 169
die gekommen sind, sind alle Gäste". Denn die Frage, die durch solche
Sätze wie "Alle Kugeln sind gefallen" ihre Antwort finde, sei eben
die, ob die Kugeln, die gefallen sind, alle sind, ob keine Ausnahme
statthabe.
Dieser ursprüngliche Sinn der Formel sei aber nicht der einzige
geblieben. In Beispielen der Art wie "Alle Menschen sind sterblich",
"Alle Dreiecke haben zur Winkelsumme zwei Rechte", "Alle Tiere
empfinden" sei der Sinn sicher nicht der, dass der Urteilende alle
Menschen, alle Dreiecke, Körper einzeln durchgegangen und abge-
zählt habe, sondern dass, was immer ein Mensch (sei), das Prädikat
"sterblich" habe usw. In diesen unbedingt allgemeinen Urteilen wer-
de im Gegensatz zu den empirisch allgemeinen Urteilen die notwendi-
ge Zusammengehörigkeit des Prädikats B mit der Subjektvorstellung
A gedacht, aber in einer inadäquaten Weise durch Rekurs auf die
unbegrenzte Menge der Einzelnen ausgedrückt.
Im Übrigen unterscheidet Sigwart auch beim unbedingt allgemei-
nen Urteil einen vielfachen Sinn. Es kann einerseits den Sinn eines
analytischen Satzes haben; wir sagen: "Alle Tiere empfinden." Natür-
lich tun sie es, da der Begriff des Tieres das Merkmal, empfindungs-
fähig zu sein, einschließe, und so sei der Satz" Alle Tiere empfinden"
nur ein Sonderausdruck des Gedankens, dass das Tier als solches
empfinde.
In anderen Fällen wieder sei das Prädikat nicht analytisch in der
Bedeutung des Subjektworts eingeschlossen, es sei ihm synthetisch
angeknüpft; so, wenn wir urteilen: "Alle Menschen sind sterblich"
oder: "Alle Dreiecke haben zur Winkelsumme ... " Hier seien die
Urteile Resultat des Schlusses, sei es von allen beobachteten und so
einzeln durchlaufenen Fällen auf alle überhaupt oder von den im A
gedachten Bestimmungen auf gewisse damit notwendig verbundene
B. Wer solch ein Urteil wirklich bildet und nicht bloß nachspricht,
kann es nur aufgrund eines solchen Schlusses hin bilden. Und all
diese so vielfach verschiedenen Bedeutungen wirft die traditionelle
Logik zusammen!
Mittels dieser Untersuchung glaubt Sigwart auch die alte Streit-
frage, ob die Formel "Alle A sind B" die Existenz von A's voraus-
setze oder mitbehaupte, leicht erledigen zu können. Die empirisch
allgemeinen Urteile, da sie es mit bestimmt gegebenen empirischen
Objekten A zu tun haben, beziehen sich eo ipso auf existierende A.
Nicht aber die unbedingt allgemeinen, da die ihnen adäquat entspre-
LOGIK

chende Formel eigentlich lauten müsste: " Wenn etwas A ist, so ist es
notwendig auch B ", ein Urteil, das offenbar die Existenz eines A nicht
voraussetzt oder einschließt. Die im empirischen Gebiet entstandene
Formel führt aber den Nebengedanken mit sich, dass A's existieren,
und so ist sie ein höchst inadäquater Ausdruck des Notwendigkeitsge-
dankens, wenn ein unbedingt Allgemeines ausgedrückt werden sollte.
Es ist, sagt Sigwart, eine J.tE'taßaOL~ ... , ein Rückfall aus dem Gebiet
des freien und unabhängigen, in unseren festen Vorstellungen sich
bewegenden Denkens in die Gewohnheiten der Anschauung, die es
mit Einzelnem zu tun hat. Adäquat wäre der Ausdruck "Der Mensch
ist sterblich" u.dgl., "A ist B ".
Machen wir hier wieder einen Haltepunkt und prüfen wir die Halt-
barkeit dieser einflussreich gewordenen Lehren.
Abermals muss ich einwenden, dass sie weder psychologisch noch
logisch das Richtige treffen und dass sie vor allem in einer höchst
unangemessenen Weise psychologische Unterschiede, die sich bei den
Urteilen finden oder die ihre Entstehung betreffen, hineintragen in die
logische Unterscheidung der den Urteilen innewohnenden objektiven
Sätze.
Dass der psychologische Ursprung der Urteile, die in der Form
"Alle A sind B" ausgedrückt werden, auf Fälle hinweist, wo eine
begrenzte Vielheit anschaulicher Objekte eines und desselben Be-
griffs gegeben sind, ist richtig. Aber dass darum die Bedeutung der
Formel, selbst wenn sie Anwendung findet auf solch eine begrenz-
te Vielheit übersehbarer anschaulicher Objekte, den Begriff dieser
Anwendungsform einschließe, also im selben Sinn nur gebraucht
werden könne, wo eben begrenzte Vielheiten empirisch gegebener
Gegenstände vorliegen, das muss entschieden geleugnet werden.
Schon die psychologische Deskription, welche die Entstehung des
Urteils betrifft, ist sehr mangelhaft. In manchen Fällen mag es sein,
dass die Anzahl der Objekte wirklich bestimmbar sei und dass das
Urteil aufgrund eines Durchlaufens der Einzelnen und in der Kon-
statierung, dass einem jeden das Prädikat zukomme, resultiere. In
vielen anderen Fällen trifft dies aber nicht zu; weder ist da von der bei
Sigwart so sehr betonten Zählbarkeit die Rede noch davon, dass von
den Einzelnen das Prädikat B auch einzeln behauptet werde. Z.B.
wenn wir, in einen großen gefüllten Saal eintretend, konstatieren,
dass alle Herren im Frack sind, so tun wir dies sicher nicht aufgrund
so vieler Einzelbehauptungen, als Herren da sind. In einem Blick
VON DEN SÄTZEN

sozusagen erfassen wir die anschauliche Vielheit als eine Vielheit von
Herren, und wieder in einem Blicke erfassen wir sie als eine Vielheit
befrackter Herren. Wir brauchen, wenn hundert Herren da sind, nicht
hundert Urteile zu fällen. Oder denken Sie, wenn die Zeit der Vogel-
wanderungen ist und mächtige Schwärme von Lerchen, Schwalben,
Wildenten u.dgl. die Fluren und Lufträume erfüllen: Da ist doch von
einer wirklichen Zählbarkeit keine Rede und ebenso wenig von einem
Durchlaufen der Einzelnen, wenn wir Sätze aussprechen: "All diese
Vögel sind Wildenten und Lerchen." Wir mögen einzelne Schritte
machen, an jedem das Prädikat konstatierend, aber wir begnügen
uns eben mit einzelnen und sagen doch allgemein und nicht bloß
mit Beziehung auf die wirklich durchlaufenen: "All diese Vögel sind
Schwalben. " Und wie, wenn im Feuerwerk ein Sprühregen von roten
Kugeln geworfen wird, der im Aufblitzen schon wieder dahin ist? Da
ist doch sicher von Zählbarkeit und Einzeldurchlaufen keine Rede.
Und erst recht nicht, wenn in fortgesetzter Sukzession Sprühregen auf
Sprühregen folgt.
Sicherlich würde aber Sigwart selbst diese Beispiele als echte Bei-
spiele seiner Klasse empirisch allgemeiner Urteile gelten lassen.
Lassen wir also die Zählbarkeit und das Einzeldurchlaufen fallen
und halten uns bloß daran, dass in einer anschaulichen Einheit, sei es
in anschaulicher Koexistenz oder in Sukzession, eine Mannigfaltigkeit
von empirisch-anschaulichen Dingen gegeben sei. Ist dadurch, frage
ich nun weiter, der objektive Gehalt der Aussage "Alle A sind B"
beschränkt? Nehmen wir selbst an, die sigwartsche Interpretation für
diese Fälle sei richtig, die Formel meine "Die A, die B sind, sind alle
A ": Kann sie nicht im selben Sinn auf anderes Anwendung finden
als auf anschauliche Dinge? Kann ich nicht sagen: "Alle Spezies von
Tonqualitäten ordnen sich in eine Reihe" und dann ebenso inter-
pretieren: "Die Spezies von Tonqualitäten, die sich in eine Reihe
ordnen, sind alle Spezies von Tonqualitäten"? Oder ein anderes Bei-
spiel: "Alle Fehlschlüsse dieser Abhandlung sind Folge der und der
falschen Sätze." Hier ist doch wahrhaftig nicht von anschaulichen
Dingen die Rede. Oder: "Alle Kegelschnitte werden von den Schnei-
denden in höchstens zwei Punkten geschnitten" usw. Und wie, wenn
wir Sigwarts Beispiele der unbedingt allgemeinen Urteile nehmen:
Lassen sie sich nicht genau in dem Sinne interpretieren, der für die
empirisch allgemeinen festgesetzt war? "Alle Menschen sind sterb-
lich ": "Die Menschen, die sterblich sind, sind alle Menschen" usw.
LOGIK

Nach Sigwart soll, die Ausnahme zu leugnen, der Sinn des empirisch
allgemeinen Satzes sein. Aber kann nicht, wo von empirischen Ob-
jekten in dem Sinne anschaulich gegebener Objekte gar keine Rede
ist, gleichwohl eine Ausnahme geleugnet werden? Und wenn dies,
warum soll dann das Anwendungsgebiet der Aussageform, welche
Ausnahme leugnen will, einen verschiedenen Sinn derselben ausma-
chen? Die Einheit der Bedeutung besteht doch gerade darin, dass
bei Abstraktion von der Besonderheit konkret gegebener Termini
ein einheitlicher Gedanke da ist, welcher in immer gleicher Weise
das konkret Gegebene in der Einheit der Satzform zusammenbin-
det. Indem Sigwart sich vom Gesichtspunkt des Ursprungs und der
Anwendung leiten lässt, verwechselt er Unterschiede der möglichen
Veranschaulichung, also dessen, was unter A und B gedacht ist, mit
Unterschieden der Form, d.i. Unterschieden in der logischen Bildung
des Satzes.

Beiklge. Dass der Vorwurf, den wir eben zu machen geneigt waren, gerecht ist,
das zeigt die Überlegung des Grundes, den Sigwart selbst für die Unterscheidung
zwischen empirisch und unbedingt allgemeinen Sätzen angibt. Die ersteren entstehen
durch einzelweise Aufzählung und Konstatierung des immer wieder vorfindlichen B,
die letzteren hingegen, wenn wir von den analytischen Sätzen absehen, auf dem Wege
des Schlusses, sei es von den beobachteten Fällen auf alle möglichen überhaupt, sei
es von dem Inhalt des A auf das notwendig damit verbundene B. Und damit wird
für Sigwart der Unterschied der Bedeutung klar. Durch den Schluss gewinnen die
unbedingt allgemeinen Sätze den Charakter der Notwendigkeit, den die empirisch
allgemeinen nicht besitzen können, da sie ja nur das Tatsächliche konstatieren, dass
dies und dies und dies Einzelne B sei.
Das scheint ja sehr plausibel.! Und näher besehen zeigt sich der Irrtum der
Argumentation leicht. Mag auch jedes allgemeine Urteil auf dem Wege des Schlusses,
also als notwendige Folge gewisser Prämissen entstanden sein, so ist doch zweierlei,
notwendige Folge eines anderen sein und das notwendig Folgen aus diesem ande-
ren behaupten. Gesetzt, dass das Urteil "Alle Menschen sind sterblich" auf dem
Weg irgendeines Schlusses folgt, so ist es doch nicht die Funktion des Satzes "Alle
Menschen sind sterblich", eben dieses sein Folgen aus einem anderen zu behaupten.
Dazu bräuchten wir vielmehr einen ganz anderen Satz: Dass alle Menschen sterblich
sind, ist eine notwendige Folge von dem und dem. Leicht wäre auch nachzuweisen,
dass Sigwart hier zugleich zwei total verschiedene Bedeutungen von Notwendigkeit
durcheinander wirft: die Notwendigkeit des Folgens und die Notwendigkeit, die
einem Satz selbst anhaftet und einwohnt, die Notwendigkeit des Gesetzes. Sage
ich: "Jeder Satz ist notwendig wahr oder falsch", so wohnt dem die Notwendigkeit

1 Gestrichen Aber wie könnte es richtig sein, da doch die Entstehung eines Urteils etwas ganz
anderes ist als der Sinn seines objektiven Gehalts.
VON DEN SÄTZEN 173

ein. Es ist ein Gesetz ausgesprochen. Und diese Notwendigkeit beruht nicht auf
einer Deduktion, da es sich um ein unmittelbares und nicht mehr deduktibles Axiom
handelt. Und wieder, selbst wenn ein Satz ableitbar ist, kann er doch eine innere
Notwendigkeit einschließen - er kann ein Gesetz sein -, die verschieden ist von der
Notwendigkeit der Deduktion, aus der er stammt.
Sigwart, indem er die Notwendigkeit, mit der ein Satz aus einem Beweis· her-
vorgeht, verwechselt mit der ihm eigenen und innewohnenden Notwendigkeit, wie
sie Gesetzen, und nur Gesetzen zukommt, fasst die unbedingt allgemeinen Sätze,
weil sie angeblich nur aus Schlüssen entspringen, als notwendige Sätze, und zwar als
Gesetze (eben durch die angegebene Verwechslung), und so kommt es, dass er ihnen
die Bedeutung unterschiebt: Wenn etwas A ist, so ist es notwendig B, d.h. es ist ein
Gesetz, dass jedes A B ist.
Übrigens bemerken wir auch, dass es psychologisch unrichtig ist, jedes allgemeine
Urteil entspringe aus einem Schluss (wenn es nicht analytisch sei). Es genügt, darauf
hinzuweisen, dass wir unzählige Urteile auf Autorität hin fällen, und dann sprechen
wir nicht bloß die Aussagen nach, sondern wir urteilen auch. Hier verwechseltSigwart
psychologischen Ursprung und logische Begründung. Er denkt eigentlich, alle diese
Sätze können nur logisch begründet werden durch einen Schluss, und er macht daraus:
Sie entspringen psychologisch aus Schlüssen.

Was hier Sigwart in die Irre geführt hat, ist aber nicht bloß die
psychologische Untersuchungsart. Logisch bedeutsam sind nicht bloß
Unterschiede der Form, sondern auch mancherlei Unterschiede der
Materie.
Einer der wichtigsten Unterschiede ist nun gerade der zwischen
Sätzen, welche individuelle Existenzen voraussetzen, und solchen, die
es nicht tun. In Bezug auf die universellen Sätze ergab dies den wahren
Unterschied der empirisch allgemeinen und apodiktisch allgemeinen.
Die beiderlei Sätze spielen theoretisch eine verschiedene Rolle, ob-
schon sie von derselben Form sind. Das hat Sigwart jedenfalls auch
bemerkt, obschon er sich. es nicht zu diskursiver Klarheit gebracht
hat, und das spielt hier verwirrend mit hinein, hier, wo es sich nur um
Feststellung der Bedeutung der Satzform als solcher handelt.
Damit ist aber unsere Kritik nicht beendet. Einerseits haben wir
bloß vorläufig die Deutung angenommen, " Alle A sind B" meine im
empirischen Gebiet "Die A, die B sind, sind alle A "; " alle " gehöre
zum Prädikat. Und andererseits haben wir bloß festgestellt, dass, wie
immer die Interpretation erfolge, dieselbe Interpretation auch im
Gebiet des Nichtanschaulichen, Nichtempirischen statthaben könnte,
während wir uns mit der von Sigwart selbst dargebotenen und ihrem
Sinne nach abweichenden Formel nicht auseinander gesetzt haben.
174 LOGIK

Dass das Wörtchen" alle" andeute, es fehle keines, es bestehe keine


Ausnahme, dass es sonach eine doppelte Negation einschließt, das ist
eine wichtige Bemerkung, die zu gleicher Zeit auch Brentano gemacht
und verwertet hat: Eine andere Frage ist es, ob die doppelte Negation
des "alle" zum Prädikat gehört. Gewiss gibt der Ausdruck "Die A,
die B sind, sind alle A" einen vollen Sinn. Aber das scheint doch
unzweifelhaft, dass der Gedanke hier ein komplizierterer ist als der in
"Alle A sind B". Wenn wir eine anschauliche Vielheit durchlaufend
immer wieder das Prädikat B finden, dann enden wir mit dem Urteil
"Es fehlt an keinem das B "; das heißt doch "Kein A ist da, das nicht
B wäre" oder" Unter den A gibt es keine Nicht-B". Was heißt aber
"Die A, die B sind, sind alle A "? Das heißt offenbar, die A, die B
sind, haben die Beschaffenheit, dass es keines unter ihnen gibt, das
nicht A wäre, und dass es kein A gibt, das nicht unter ihnen wäre; was
doch ein sehr komplizierter Gedanke ist, der als Bestandteil selbst
wieder Sätze enthält, die die Form jenes einfacheren haben, den wir
als Sinn der Formel proponieren. Aus theoretischem Gesichtspunkt
müssten wir also unter allen Umständen die erstere Interpretation
vorziehen, selbst wenn die kompliziertere der gewöhnlichen Meinung
mehr entspräche, oder wir müssten wenigstens für das Einfachere
angemessene neue Ausdrucksformen schaffen. Im Übrigen beobachte
(man) hier, dass beide Interpretationen logisch äquivalent sind.
Die eine wie die andere ist nun ihrer Materie nach unbeschränkt,
d.h. sie gibt einen sinnvollen Satz, was immer wir für A und B sub-
stituieren mögen. Sigwart hatte, wie wir vorhin besprochen haben,
die Bedeutung der Formel durch die Besonderheit der Materie be-
schränkt, die nur auf anschaulich abzählbare Vielheiten Anwendung
finden sollte. Wo hingegen diese Bedingung nicht erfüllt ist, da spricht
er von dem unbedingt allgemeinen Urteil und interpretiert dieses
durch einen ganz anderen formalen Ausdruck, nämlich" Wenn etwas
A ist, so ist es notwendigerweise auch B ". Wie verhält sich dieser Ge-
danke zu dem von uns bevorzugten? Sind sie bei aller Verschiedenheit
wenigstens äquivalent? Dies ist offenbar nicht der Fall. " Unter den A
gibt es keines, das Bist", das impliziert, dass es A's gibt. Ganz anderes
gilt von der letzteren Formel, mit Beziehung auf welche in der Tat
gilt, was Sigwart vom unbedingt allgemeinen Urteil sagt, dass hier die
Existenz von A's offen bleibt.

• Vgl. Franz Brentano, Psychologie vom empirischen Standpunkte, Leipzig 1874, Bd. I, S. 283.
VON DEN SÄTZEN 175

Die letzten beiden Vorlesungen haben Ihnen an den Untersuchun-


gen des einflussreichsten deutschen Logikers der Gegenwart ein Ex-
empel geliefert, mit welchen Schwierigkeiten die theoretische Logik
zu kämpfen hat, wie grammatische Unvollkommenheiten des sprach-
lichen Ausdrucks und zugleich Unvollkommenheiten der Untersu-
chungsmethode der Ausscheidung und Festlegung der fundamentalen
und primitiven Satzformen in den Weg treten. Da wir bei der Erfor-
schung der Sätze selbstredend von der Analyse der uns gegebenen
den Ausgang nehmen müssen, Sätze aber uns nur gegeben sind durch
unsere Vorstellungen und Urteile, diese selbst aber in schier unlösli-
chem Zusammenhang mit sprachlichen Ausdrucksformen auftreten,
so haben wir es begreiflicherweise zunächst mit der Interpretation
sprachlicher Formen zu tun, und die Versuchung liegt nahe, einerseits
dem Grammatischen, andererseits auch dem Psychologischen einen
ungeliörigen Einfluss auf das Ziel der Untersuchung einzuräumen.
Eine Elimination der Fehlerquellen ist nur möglich, wenn man sich
eben dieses Ziel selbst immer scharf vor Augen hält und damit auf
den Unterschied von Subjektivem und Objektivem, von Ausdrucks-
form und ausgedrücktem Gehalt besonders achtet. Bei Sigwart war es
hauptsächlich der Psychologismus in der Methode, welcher die Fehler
verschuldete, während bei anderen, insbesondere älteren Forschern,
das Eindringen grammatischer Unterschiede Unheil stiftet.
Sigwarts Formel des empirisch allgemeinen Urteils erschien uns
nicht als ein Ausdruck einer wesentlichen Urteils- oder besser Satz-
klasse, da Unterschiede des Gebietes in Bezug auf die Form un-
wesentlich sind. Der Umstand, dass diese allgemeinen Urteile die
ursprünglichen sind, der für Sigwart bestimmend war, erschien uns
als völlig gleichgültig.
Wir versuchten nun am Schluss der gestrigen Stunde den Sinn der
in sich nicht ganz klaren Formel zu fixieren. Sigwart interpretierte den
Ausdruck" Alle A sind B" durch" Die A, die B sind, sind alle A ". Wir
hielten es für einfacher und zugleich dem tatsächlichen Gebrauch in
der Mehrzahl der Fälle für entsprechender zu interpretieren: " Unter
den A gibt es keines, das nicht B wäre." " Unter den A ", das bezöge
sich ursprünglich auf die anschauliche Vielheit, deren jedes Glied A
ist; und im allgemeinen Fall könnte der Ausdruck beibehalten werden,
da der Gedanke der Vielheit, obschon im anschaulichen Gebiet von
uns zuerst aufgenommen, doch nicht auf Anschauliches beschränkt
ist. Was ist das nun für eine Vielheit, die durch den Plural angedeutet
LOGIK

ist, und welche Bedeutungsfunktion hat der bestimmte Artikel, da wir


sagen: " unter den A's "? Sagen wir: " Alle Blumen dieses Gartens sind
Lilien", d.i. " Unter den Blumen dieses Gartens gibt es keine, die nicht
Lilien sind", so meint der Plural im Ausdruck" unter den Blumen"
offenbar die Gesamtheit der Blumen dieses Gartens. Es genügt nicht,
eine bestimmte Vielheit von Blumen dieses Gartens, etwa die Blumen
eines einzelnen Beetes, allein vorzustellen. Darauf bezieht sich das
Prädikat nicht, sondern gemeint ist die Gesamtheit der Blumen. Und
ebenso meinen wir im Satze "Unter den Dreiecken gibt es keines,
das nicht zwei spitze Winkel hätte": Unter den Dreiecken überhaupt,
in ihrer Gesamtheit, in der Allheit der Dreiecke gibt es keines usw.
Zugleich ist es klar, dass die Funktion des bestimmten Artikels keine
andere ist, (als) die Existenz dieser Allheit zum Ausdruck zu bringen.
Gibt es keine Blumen in meinem Garten, so kann ich sagen: "Es gibt
keine Blume in meinem Garten, welche eine Lilie ist", aber nicht
kann ich sagen: " Unter den Blumen ... " Freilich will ich damit nicht
behaupten, der Ausdruck "ein Inbegriff, dessen jedes Glied A und
jedes A Glied ist" sei explicite ein Bestandteil unseres Satzes. Wir
werden es noch genauer untersuchen müssen, inwiefern eine Exis-
tenzsetzung als Bestandteil eines Satzes fungieren kann, ohne dass
die Prädikation der Existenz ein Teilsatz im Satze wäre. Jedenfalls
halten wir fest, dass irgendwie die Existenz von A's, die Gesamtheit
der A's, in unserer Satzform impliziert und im bestimmten Artikel
ausgedrückt ist. Aber noch sind wir nicht fertig. Was ist denn in
unserem Satz Subjekt? Offenbar kann, wenn überhaupt ein solches
vorhanden ist, nur in dieser Allheit das Subjekt liegen. Der Gedanke
wäre dann: Die Allheit der A hat die Beschaffenheit, dass keines
ihrer Glieder existiert, das nicht B wäre. Dies scheint in der Tat mit
der gewöhnlichen Formel "Alle A sind B" zu stimmen. Denn man
sagt ja, dass in ihr die Meinung sei, es komme allen A zu, B zu sein. Die
gleiche Analyse an der sigwartschen Formel" Die A, die B sind, sind
alle A" würde zu dem Ergebnis führen, dass die Allheitsvorstellung
doppelt auftritt und die Beziehung, die behauptet, gedacht wird, die
Identitätsbeziehung sei: "Die Allheit der A, die B sind, ist identisch
mit der Allheit der A." Wollten wir die Identität vermeiden, dann
kämen wir zu einem Doppelsatz: "In der Allheit der A, die B sind,
gibt" es keines, das nicht A wäre" und "In der Allheit der A gibt
es keines, das nicht B wäre", von denen der zweite derselbe ist wie
unser ganzer Satz, während der erste einen offenbar entbehrlichen
VON DEN SÄTZEN 177

Satz ausspricht. Jedenfalls würde ebenso der Identitätssatz als dieser


Doppelsatz sich ziemlich weit vom Sinn der gemeinen Formel "Alle
A sind B" entfernen.
Ich würde es wohl begreifen, wenn Sie bei diesen Überlegungen
ein lebhaftes Unbehagen beschliche. Was wird Ihnen da nicht alles zu-
gemutet! Die wohlvertraute Formel " Alle A sind B" soll in Wahrheit
besagen, die Allheit der A sei so beschaffen, dass kein einzelnes in ihr
sei, das nicht B wäre. Was ist das doch für eine Verwicklung! Schon
im Subjektausdruck soll die Existenz des Subjekts angedeutet sein,
was den Satz am Ende zu einem Doppelsatz stempeln sollte. Und
das Prädikat soll nun gar einen ganzen Satz einschließen mit nicht
weniger als zwei Negationen. Aber denken wir denn wirklich diese
zwei Negationen? Findet der, welcher sagt: "Alle A sind B", etwas
von einer Verneinung überhaupt in sich? So möchten Sie sich der
Ansicht derjenigen zuneigen, die, mit der altehrwürdigen Tradition
übereinstimmend, die Formel für eine ganz einfache halten. So, wie
ich im Satze" Sokrates ist ein Philosoph" von Sokrates aussage, dass
er eben Philosoph ist, und nichts weiter, so sage ich von allen A aus,
dass sie B sind. Der allgemeinsten Formel "A ist B" unterstehen
eben drei Besonderungen. Das Subjekt kann ein Einzelnes sein oder
ein Allgemeines oder ein unbestimmter Teil eines Allgemeinen, und
danach haben wir die drei Formen des singulären, des allgemeinen
und des partikularen Satzes.
Indessen, hier ist eine Klippe, vor der ich Sie warnen muss, wenn Sie
nicht auch an der Verwechslung von Psychologischem und Logischem
scheitern sollen. Die Frage, was wir bei einer Satzform denken, was
wir, die entsprechende Aussage gebrauchend, in uns vorfinden, und
die Frage nach dem objektiven Gehalt, nach der Bedeutung der Aus-
sage, ist ganz zu trennen. Dies gilt übrigens nicht bloß von Aussagen,
sondern auch von Vorstellungen und Namen. Bei Letzteren mag die
Differenz zunächst klargemacht werden an einem beliebigen Beispiel.
Es äußert jemand den Namen London. Was ich eben bei diesem
Namen denke, kann ich Ihnen ganz genau sagen: Ich finde in mir
das Lautbild des Wortes, außerdem in grobem lateinischen Druck das
Schriftbild, und zugleich blitzt das Phantasma der Landkarte von Eng-
land in mir auf. Würde ich länger warten, dann würde sich mancherlei
noch einstellen. Aber wofern ich kein Interesse an psychologischer
Beobachtung habe, wofern ich etwa über London etwas erfahren
will, da bleibt es bei diesen, übrigens von Fall zu Fall wechselnden
LOGIK

Begleiterscheinungen. Und was über sie hinaus da ist, das ist ein
eigentümliches inneres Erlebnis, das wir Verständnis des Wortes nen-
nen. Was das Wort" London" bedeutet, das ist der logische Gehalt der
entsprechenden Vorstellung, und das ist offenbar gänzlich verschie-
den von dem, was wir jeweils in uns finden. Ähnlich verhält es sich bei
Aussagen. Überlegen wir uns doch die Entstehung der allgemeinen
Urteile an der Anschauung. Eine sinnliche Menge einzeln durchlau-
fend finden wir Schritt für Schritt: Dieses A ist B, dieses A ist wieder B,
usw. Der Schluss ist: Alle sind B, keines ist da, das nicht B wäre. Aber
sinnliche Mengen, d.h. in einer sinnlichen Anschauung verstreute Ob-
jekte gleichen sinnlichen Typus, bilden eine sinnliche Einheit, die Ein-
heit einer Konfiguration derart, dass durch die sinnliche Gleichheit die
Konfiguration als Ganzes einen einheitlichen qualitativen Charakter
erhält. Davon geben Zeugnis Ausdrücke wie "ein Schwarm Mücken",
"ein Haufen Kugeln", "ein Zug Enten" usf. Ist nun mehrfach sinnli-
che Gleichheit vorhanden, so hat die sinnliche Gesamtmenge in ihrer
Gesamtkonfiguration eine doppelte qualitative Bestimmtheit, und so
kann hier ein singuläres Urteil in derselben Weise sich bilden wie
in anderen Fällen. Wie ich bei einem sinnlichen Einzelnen urteile:
"Dieses Pferd ist rot", so kann ich sagen: "Dieses Vierergespann ist
schön, ist unruhig" u.dgl., "Diese Ochsen sind alle rot", "Diese Vögel
sind Schwalben" usf. Es haben sich eben erfahrungsmäßig verknüpft
die Vorstellung einheitlicher sinnlicher Mengen mit ihren quasiqua-
litativen Bestimmtheiten und die Überzeugung, dass, wo derartige
quasiqualitative Bestimmtheiten bestehen, auch eine Einzeldurchlau-
fung möglich sei und das Allheitsurteil begründen würde. In einem
Blick erfassen wir so die sinnliche Vielheit als Vielheit von Rosen. Der
logische Gehalt der Vielheitsvorstellung würde erfordern die Bildung
einer summatorischen Vorstellung der Form" eine Rose und eine Ro-
se" usf. Aber in einem Blick erfassen wir die sinnliche Einheit und an
ihr den sinnlichen Mengencharakter, der uns die Möglichkeit gewähr-
leistet, die eigentliche Vielheitsvorstellung zu vollziehen. Und ebenso
verhält es sich mit dem Gleichheitscharakter in Bezug auf das Merk~
mal Rot. Die sinnliche Gesamtmenge, aufgefasst mit dem Gesamt-
charakter, der sie indirekt als eine Menge von Rosen kennzeichnet,
ist Subjekt eines singulären Urteils, welchem das Prädikat zukommt,
dass auch der einheitliche Rotcharakter da sei. Und dieses singuläre
Urteil surrogiert dann psychologisch für das eigentlich intendierte All-
heitsurteil. In uns finden wir bloß ein affirmatives Urteil. Wir bejahen
VON DEN SÄTZEN 179

bloß, und doch meinen wir etwas, das keine bloße Bejahung ist, das
sogar eine doppelte Verneinung in sich fasst. Es ist ähnlich wie bei dem
Beispiel der Vorstellung" London ". Die Vorstellung der Landkarte ist
die Vorstellung von etwas Anschaulichem, das in einer gewissen Be-
ziehung zum eigentlich gemeinten Gegenstand steht. Und diese Vor-
stellung hat psychologisch die Eignung gewonnen, das Bedeutungsbe-
wusstsein zu tragen, zu stützen und auch da hervorspringen zu lassen,
wo das eigentlich Intendierte in anschaulicher Weise gar nicht vor-
stellig gemacht werden kann. Beim Worte" Kultur" fällt mir eben das
Bild einer griechischen Tempelruine ein, beim Worte" Wissenschaft"
ein Buch u.dgl. Und so, wie eine Vorstellung für eine Vorstellung
surrogieren kann, so auch ein Urteil für ein Urteil und unter Umstän-
den eine Bejahung für eine Verneinung. Die Entstehung der Formel
"Alle A sind B" an sinnlich anschaulichen Mengen bedingt es eben,
dass, wo wir sie gebrauchen, symbolisch anschauliche Mengenvorstel-
lungen mit ihren quasiqualitativen Charakteren auftauchen und mit
ihnen zugleich die Vorstellungen affirmativer Zusammenhänge dieser
Charaktere, die den Bestand der eigentlich intendierten universellen
Sätze mit ihren doppelten Negationen regelmäßig begleiten.
Dasselbe, was vom Ausdruck "Alle A sind B" gilt, (gilt), wie ich
hier gleich anfügen will, von einem Ausdruck "Jedes A ist B", der
von den Logikern promiscue neben dem anderen gebraucht wird als
Ausdruck desselben Gedankens. "Jedes A", das weist hin auf das
einzeln Durchlaufen. Je eins nehme ich zur Hand und finde dann
das B. Hier vermittelt das eigentümliche Erlebnis des schrittweisen
Wiederfindens eines und desselben Merkmals innerhalb der Glieder
einer sinnlichen Gesamteinheit, die durch ihre Form oder Ordnung
die Vollständigkeit des Durchlaufens von selbst geWährleistet und
so den wirklichen Vollzug des negativen Urteils "Es ist keines da,
das nicht B wäre" überflüssig macht. Wenn ich eine Soldatenreihe
durchschreite, so ist es die Reih~nform, die mir das negative Urteil
erspart; wenn ich Goldstücke aus einem Sack herausgreife und ein-
zeinweise die Echtheit konstatiere, so ist es die Leerheit des Sackes,
die mir die Negation erspart. Im Begriff der Leerheit steckt zwar die
Negation, aber ich beurteile sie ja gewöhnlich nach indirekten An-
zeichen, an dem lappigen Zusammenschrumpfen, an der Leichtigkeit
des Entleerten usw. Damit hängt es ja auch zusammen, dass Prädikate,
deren eigentliche Bedeutung eine negative ist, in uns durch affirmative
vertreten werden und dass man bei negativen Wortbildungen nicht
180 LOGIK

immer auf negative Begriffe schließen darf, da sie als Zeichen solcher
entstanden sein können, aber dadurch, dass die Stellvertretung zur
Bedeutung wurde, im Lauf der Zeit eine affirmative Funktion erlangt
haben können.
Sie verstehen nun, wenn ich aufgrund dieser Sachlage von einer
Klippe der logischen Analyse sprach. Hier liegt in der Tat eine der ge-
fährlichsten, zumal in unserer psychologisierenden Philosophie. Fin-
det der Psychologe bei der Vergegenwärtigung einer Aussage in sich
ein affirmatives Urteil, so wird er geneigt sein, den entsprechenden
Satz selbst als einen affirmativen zu fassen. Tht er dies aber nicht,
indem er seinem lebendigen Bedeutungsbewusstsein folgt, so wird er
es sich gefallen lassen müssen, dass man ihm einen psychologischen
Irrtum vorwirft, und er verliert die Macht, Gleichgesinnte zu überzeu-
gen. So hoffe ich, Ihre Bedenken bezüglich unserer Analyse beseitigt
zu haben, welche die vertraute Formel" Alle A sind B" in dem Sinne
deutet, dass von der Allheit der A ausgesagt wird, dass nichts in ihr
sei, das nicht B wäre.
Gegen die Meinung hingegen, welche zwischen Sätzen der Form
"Alle A sind B" und "Ein bestimmtes Einzelnes ist B" keinen ande-
ren Unterschied findet als den Unterschied in der Subjektform, die
im einen Fall ein Allgemeines, im anderen ein Einzelnes ist, brauchen
wir keinen großen Apparat widerlegender Argumente. Gewiss ist der
Unterschied beiderseits der, dass das Prädikat, B zu sein, einmal allen
A und das andere Mal dem bestimmten einzelnen S zukommen soll.
Aber was unzweifelhaft erscheint, ist doch, dass die Prädikation in
beiden Fällen verschieden erfolgt. "Alle A", das ist nicht ein Sub-
jekt, ein Gegenstand für den Begriff B. Das Gegenständliche, das wir
in der Bedeutung des Ausdrucks finden, das ist die Vorstellung der
Gesamtheit der A und damit vermüpft der Nebengedanke, dass von
den Einzelnen dieser Gesamtheit auszusagen sei, ein Nebengedanke,
der den Ausdruck" alle A" zu einem synkategorematischen stempelt.
Wir sagen also von der Gesamtheit, der Allheit der A aus, aber das
Prädikat, das wir ihr beilegen, ist nicht, B zu sein, sondern, dass kein
Einzelnes in ihr nicht B ist. "Alle Menschen sind sterblich", das heißt:
Stelle ich mir alle Menschen vor, den Inbegriff der existierenden Men-
schen, so gilt, dass darin nichts vorkommt, das nicht sterblich wäre.
Der Gedanke der universellen Formel, der sich uns ergeben hat,
zeigt eine Komplikation, die auf einfachere Satzformen zurückführt.
Die universelle Form kann keine der elementarsten Satzformen dar-
VON DEN SÄTZEN 181

stellen, in ihr erscheint ja im Prädikat ein ganzer Satz, und im Subjekt


steckt wenigstens implicite ein Satz. Man sieht sofort, dass sich bei-
de Sätze, und damit der ganze universelle Satz, äquivalent ersetzen
lassen durch eine konjunktive Verbindung. In " Alle Menschen sind
sterblich" steckt erstens, dass es Menschen gibt, und zweitens, dass
es keine nicht sterblich seienden Menschen gibt, und die Verbindung
dieser beiden Sätze ist äquivalent der allgemeinen Formel. Der erstere
der beiden Sätze ist wieder äquivalent dem Satz "Es gibt einen Men-
schen ". Denn so wie der Plural" Es gibt Menschen" nicht ausschließt,
dass es nur einen Menschen gibt, und nicht bestimmt, wie viele über-
haupt es gibt, so schließt der Singular" Es gibt einen Menschen", "Es
existiert ein Mensch", "Es ist ein Mensch" oder welche Ausdrucks-
weise wir hier wählen mögen, nicht aus, dass es beliebig viele Men-
schen gibt. Wir werden also hier auf das affirmative Existentialurteil
geführt. Der zweite Satz in unserer Verbindung führt auf die negative
Form, die in der Materie selbst wieder einen negativen Attributivsatz
enthält. In Bezug auf diese einfacheren Satzformen, die wir hier exis-
tentiale genannt haben, wird sich nun die wichtige Frage ergeben, ob
sie vielleicht die primitivsten Satzformen überhaupt darstellen oder
mindest zu den primitiven Formen zählen, oder ob sie nicht besondere
Fälle der kategorischen Form mit singulärem Subjekt darstellen. Also
"Ein Mensch existiert" = "Ein Mensch ist existierend" u.dgl. Hier
können wir diese Frage noch nicht entscheiden, da wir die singuläre
Satzform selbst noch genauer werden betrachten müssen.
Überlegen wir nun noch, wie sich Sigwarts unbedingt allgemeines
Urteil, dessen adäquater Ausdruck lauten soll" Wenn etwas A ist,
ist es notwendig B", zu den universellen im gemeinen Sinn verhält.
Sicher besteht der Unterschied mindest darin, dass hier die Existenz
von A's nicht impliziert ist, während in unserer Auffassung des Sinnes
der Formel "Alle A sind B" das Gegenteil statthat. Lassen wir aber
die affirmative Komponente weg, so dass bloß übrig bleibt "Es gibt
kein A, das nicht B ist", dann besteht der Zweifel, wie der Gehalt
dieses Satzes zu dem jenes hypothetischen sich stellt. Brentano hält
beide für äquivalent< und, wenn ich recht verstehe, auch Sigwart.
Aber das führt auf ernste Schwierigkeiten. Jedenfalls werden wir gut
tun, die negative Existentialform und die ihr scheinbar äquivalente
hypothetische gut auseinander zu halten.

• VgI. Brentano, 0.0.0, S. 286.


182 LOGIK

Die Analyse des so genannten allgemein bejahenden kategorischen


Urteils hat uns letzthin zur Überzeugung geführt, dass es sich bei
ihm jedenfalls'nicht um dieselbe einfache Synthese handelt wie bei
kategorisch singulären Urteilen. In den formellen Ausdrücken "Alle
S sind P" und "Dieses S ist P" ist nicht dasselbe S beiderseits Subjekt
und P beiderseits Prädikat. Der Unterschied tritt auch klar hervor bei
den negativen Formeln. Wird einem Subjekt S ein P abgesprochen,
so ist der negative Satz "S ist nicht P" gleich "Es ist nicht wahr,
dass S P ist". Aber der Satz "Alle S sind nicht P" bildet nicht den
kontradiktorischen Gegensatz zu "Alle S sind P". Denn der Satz "Es
ist nicht wahr, dass alle SP sind" hat eine Bedeutung, die äquivalent ist
mit "EsgibtS,die nichtPsind" oder "Einige S sind P". Und jedenfalls
ist durch unsere Analyse auch klar geworden, dass der allgemein
bejahende Satz kein einfacher Satz ist. Sage ich: "Alle Menschen sind
sterblich", "Alle Blumen dieses Gartens sind verwelkt", so liegt darin
Doppeltes: dass es Menschen gibt und dass es keinen gibt, der nicht
sterblich wäre; dass es Blumen im Garten gibt und keine, die nicht
verwelkt wäre usw. Wenn wir die Funktion der allgemein bejahenden
Ausdrucksweise in unserem Denken beachten, so erkennen wir, dass
es sich bei ihr nicht darum handelt, die Existenz der S erst festzu-
stellen, sondern in erster Linie auszudrücken, dass es keines gibt, das
nicht P wäre. Dass es Menschen gibt, das wissen wir schon längst.
Jetzt kommt es uns darauf an zu betonen, dass es keinen gibt, der
nicht sterblich wäre. Ist von Kängurus die Rede, und man sagt: "Alle
sind Beuteltiere", so ist das Neue, das hier angeknüpft und dadurch
die Erkenntnis erweitert werden soll, dass jedes ein Beuteltier ist;
keines, von dem das nicht gälte. So ist im praktischen Gebrauch der
negative Existentialsatz sozusagen der Hauptbestandteil der affirma-
tiven Existentialsätze, oder die ihm entsprechende Existentialsetzung
ist sekundär. Immerhin aber ist der Gebrauch der Formel durch die
Existenz der S beschränkt. Dass die S existieren, steckt mit darin,
und zwar sind beide Urteile offenbar nicht so getrennt wie die beiden
Sätze "Es existieren S" und "Es existiert kein S, das nicht P wäre",
sondern sie sind eigentümlich verwoben; wir sagen: "Unter den S
existiert keines, das nicht P wäre. " Aber wegen der Äquivalenz kön-
nen wir immerhin die trennende Konjunktion vorteilhaft zugrunde
legen.
VON DEN SÄTZEN

(§)48. Existenz des Subjekts in der


allgemein bejahenden Form
Es' ist nun aber wiederholt bestritten worden, dass der allgemein
bejahende kategorische Satz und die kategorischen Sätze überhaupt
(selbst die singulären einbegriffen) die Existenz der Simplizieren.
Man hat hingewiesen auf Beispiele wie "Alle Dreiecke haben drei
Winkel", also auf die mathematischen Allgemeinheiten, und wieder
auf Sätze, deren Subjekt Fiktionen sind: "Alle Zentauren haben Pfer-
defüße." Die mathematischen Dreiecke existieren in realer Wirk-
lichkeit sicher nicht. Niemand behauptet, dass es reale Objekte gibt,
die den strengen mathematischen Begriffen entsprechen. Und doch
können wir über diese nicht existierenden Dreiecke ein allgemein
bejahendes Urteil aussprechen. Ebenso wissen wir sehr wohl, dass
Zentauren Fiktionen sind. Aber es hat einen guten Sinn zu sagen:
"Alle Zentauren haben Pferdefüße." Dieser Standpunkt ist insbe-
sondere von Herbart geltend gemacht worden, und in Bezug auf
die allgemein bejahenden Sätze ist ihm vielfach Zustimmung zuteil
geworden. Nur eine Minorität von Logikern, zu denen Ueberweg und
Bergmann gehören, haben den älteren Standpunkt beibehalten.
Auch wir werden uns diesem Letzteren anschließen müssen. Die
Beispiele machen, wenn man sie richtig interpretiert, nicht die gerings-
te Schwierigkeit. Was zunächst die geometrischen Allgemeinheiten
anbelangt, so setzen auch sie die Existenz ihrer Subjekte voraus. Ich
sage: die Existenz, und nicht: die Realität, was wohl auseinander
gehalten werden muss. Mit realen dreieckigen Dingen hat es nicht
die Geometrie zu tun, sie hat es zu tun mit Dreiecken schlechthin
als solchen und solchen Spezies von Raumfiguren. Dass es im Raum
Dreiecke gibt, und, wofern von näher bestimmten Dreiecksklassen die
Rede ist, gerade so bestimmte Dreiecke, das beweist der Geometer.
Und solange er dies nicht getan hat, spricht er nicht einen Satz der
Form "Alle Dreiecke haben die und die Beschaffenheit" aus. Wenn
der Arithmetiker sagt: "Alle Wurzeln einer Gleichung n1en Grades
sind reell oder imaginär", so beweist er vorher, dass jede Gleichung
dieser Art Wurzeln besitzt, und solange er dies (nicht) getan hat,
unterlässt er es auch, allgemein bejahend und kategorisch über sol-
che Wurzeln zu urteilen. Der Mathematiker hat es ausschließlich
mit den Zahlen, Figuren u.dgl. als solchen zu tun. Ob es in realer
Wirklichkeit so etwas wie Raum und räumliches Ding gibt, das ist
LOGIK

ihm gleichgültig. Er geht von Definitionen des Raumes aus, er legt


also den objektiven Begriff eines Raumes als einer durch bestimmte
Merkmale definierten Mannigfaltigkeit zugrunde. Die Existenzl ei-
ner solchen Mannigfaltigkeit, das kann als die Generalassumption
angesehen werden, die man der Geometrie vorausschickt. Es braucht
also keine besonderen Assumptionen. Alle weiteren Existenzen sind
die Arten von Gebilden: Im Raume gibt es ... Die Idee dieses Gan-
zen schließt Ideen solcher Teile ein, bedingt sie als eingeschlossene.
Aufgrund der definitorischen Merkmale ergeben sich dann gewisse
Existentialsätze. Existiert ein Raum, dann existieren in ihm gewisse
Arten von Figuren: Dreiecke, Quadrate usw.; andere wieder existieren
nicht, wie regelmäßige Körper von fünfzig Seitenflächen. In Bezug
auf die als existierend erwiesenen werden dann allgemeine Sätze
demonstriert, und so erwachsen Sätze der Art wie "Alle Dreiecke
haben drei Winkel, haben zur Winkelsumme zwei Rechte" usf. Will
der Geometer sagen, dass ein allgemeiner Satz bestehen würde, wenn
die Existenz der bezüglichen Figuren gesichert wäre, dann sagt er,
wie wir es auch ähnlich im gewöhnlichen Leben tun, alle S würden
P sein, d.h. "Gesetzt, es gibt S, dann gibt es unter ihnen keines, das
nicht P wäre". Ein komplizierter Gedanke, der offenbar äquivalent
ist mit dem schlichten und so viel einfacheren Existentialsatz "Es
gibt kein S, das nicht P ist." Also die Existenz der S, auf welche sich
allgemein das P beziehen soll, setzt der Mathematiker immer voraus,
aber nicht die Realität. Sind die S Zahlen, so kann das Gezählte
ebensowohl als Nichtreales gedacht sein, als eine Vielheit von Sätzen,
Begriffen, Widersprüchen, Unmöglichkeiten, wie als eine Vielheit von
realen Dingen. Aber freilich stehen die Existentialsätze unter einer
Assumption, in der Geometrie unter der Assumption, dass ein Raum
der definierten Beschaffenheit existiert, in der Arithmetik unter der
Assumption, dass die unendliche Zahlenreihe existiert u.dgl. Auch
die Beispiele der zweiten Gruppe machen keine Schwierigkeiten.
Wie wir es in der Geometrie mit geometrischen Existenzen zu tun
haben, so in der Mythologie mit mythologischen. Machen wir in der
Geometrie die Generalassumption, dass es so etwas wie einen Raum
gibt, dann existieren darin unzählige so und so beschaffene Figu-
ren, und von den unter dieser Assumption existierenden handeln die
geometrischen Sätze. Versetzen wir uns andererseits auf den Boden

1 Die Existenz ist die ideale Existenz einer Idee!


VON DEN SÄTZEN I8S

der griechischen Mythologie, machen wir sozusagen die Assumption,


dass, was die mythologische Phantasie der Griechen fabuliert, wahr
sei, dann gibt es Zentauren, und von den unter dieser Assumption
existierenden gilt dann weiter, dass sie Pferdefüße haben usw. Man
kann den objektiven Gehalt derartiger allgemein bejahender Sätze
also auch so fassen: Sie meinen eigentlich nicht direkt das, was sie
besagen, sie verschweigen eine Hypothesis. Wenn wir uns auf den
Boden der Mythologie versetzen oder auf den Boden eines Märchens,
so nehmen wir die phantasierte Wirklichkeit wie eine wahre, und so
müssten wir genauer sagen: "In der griechischen Mythologie haben
alle Zentauren Pferdefüße" oder: "Die Griechen glaubten, dass es
Zentauren gäbe und dass sie alle Pferdefüße hätten" u.dgl.
Viel Verwirrung hat in der eben erörterten Streitfrage die Ver-
wechslung zwischen Existenz und Realität verschuldet. Wenn wir den
Satz aussprechen: "Alle geometrischen Gesetze sind Folgen einer
begrenzten Anzahl von Axiomen", so ist natürlich nicht die Realität
geometrischer Gesetze gemeint und vorausgesetzt, denn ein Gesetz
ist kein Reales wie eine Farbe, ein Außending u.dgl., aber ein Existie-
rendes ist es. Es gibt geometrische Gesetze, und dass dies gilt, das ist
in unserem allgemeinen Satze impliziert.

(§) 49. Brentanos Interpretation der


allgemein bejahenden Form
Immerhin müssen wir nun damit rechnen, dass, wenn auch nicht
in Leben und Wissenschaft, so doch in der Logik durch die Missdeu-
tung eine Äquivokation eingerissen ist. Eine erhebliche Anzahl von
Logikern versteht die Formel" Alle S sind P" in einem Sinn, der den
erwähnten Existentialsatz nicht einschließt;· Brentano am allerein-
fachsten und passendsten so, dass er sie identifiziert mit der Formel
"Es gibt kein S-Nicht-P": Er hält also nur den einen Bestandteil der
Komplexion fest. Sigwart hingegen interpretiert sie unter dem Einfluss
Herbarts, wie wir hörten, durch den hypothetischen Satz" Wenn etwas
S ist, so ist es P", der nach unserer Auffassung nicht einmal als ein
Bestandteil in der Formel enthalten ist.
Die Differenz, so bedeutsam sie ist als Differenz des objektiven
Gedankens, würde doch in deduktiven Zusammenhängen einflusslos

• Vgl. Brentano, Psychologie vom empirischen Standpunkte, S.283.


186 LOGIK

sein, wenn der Sinn jener negativen Existentialformel und dieser hy-
pothetischen äquivalent wäre. Sigwart scheint dieser Ansicht zu sein,
und Brentano geht sogar noch weiter; er meint, es bestände nicht
bloß Äquivalenz, sondern Identität. Der hypothetische Satz habe gar
keine andere Meinung als die jenes negativen Satzes, und dieser sei
vorzüglicher, weil er Qualität und Materie deutlicher hervortreten
lasse.·
Indessen bestehen hier große Schwierigkeiten, welche von den be-
rühmten Forschern gänzlich übersehen worden sind. Betrachten wir
doch die Negationen. Sind zwei Sätze äquivalent, so müssen auch ihre
Negationen äquivalent sein. Die Negation des Satzes "Es gibt kein S,
das Nicht-P ist" liefert "Es gibt ein S, das Nicht-P ist". Die Negation
des hypothetischen Satzes" Wenn etwas S ist, so ist es P" führt aber
auf etwas ganz anderes. Einen hypothetischen Satz können wir auch
aussprechen so wie einen entsprechenden negativen Existentialsatz,
ohne zu glauben, dass es S gibt, Z.B. "Wenn ein Dreieck zwei rechte
Winkel hätte, so würde es zur Winkelsumme mehr als zwei Rechte
haben". Leugnen wir solch einen Satz, so liegt offenbar nur darin,
dass es ein Dreieck dieser Art geben könnte, in dem die Winkel-
summe doch nicht größer wäre als zwei Rechte. Also die Negation
lautet bloß: " Ein S kann es geben, das Nicht-P ist"; eine Formel, die
keineswegs einzuschließen scheint, dass es ein S gibt, das nicht P ist.
Also die Negationen sind nicht äquivalent. Und trotzdem scheinen
die entsprechenden Positionen äquivalent zu sein. Es liegt hier eine
der merkwürdigsten logischen Paradoxien, deren Lösung uns später
ausführlicher beschäftigen wird.

(§) 50. Partikular bejahende Formel


Wenden wir uns nun zur Formel des so genannten partikularen
Urteils ,;Einige S sind P", welches nach der traditionellen Logik
besagen soll, dass ein Teil des Umfangs von S eingeordnet sei dem
Gesamtumfang von P.
Dass diese Auffassung so wenig richtig sein kann als die korrespon-
dierende beim universellen Satz, das braucht nicht langer Begrün-
dung. Sicher ist es nicht der Gedanke dieser Formel, ein Schachte-
lungsverhältnis zwischen zwei Umfängen auszusagen. Dass wir, wenn

• Vgl. a.a.O., S. 285f.


VON DEN SÄTZEN

überhaupt, an den Umfang der S, sicher nicht an den Umfang von


P denken, dass wir den Begriff der Allheit der Weisen nicht bilden,
wenn wir einige Menschen als weise bezeichnen, das ist ohne weiteres
klar. Bestenfalls unterschiebt also die ältere Logik dem eigentlichen
Gedanken des Satzes einen ihm fremden, aber äquivalenten. Wie
sollen wir selbst nun den Gedanken der viel umstrittenen Formel
fassen? Wir wollen uns diesmal nicht von Sigwart leiten lassen, an
dessen Darlegungen wir ähnliche Kritik üben müssten wie im Falle
des universellen Satzes.
Wieder könnten wir ausgehen von der Anschauung, von dem Ge-
biet also, in dem der partikulare Satz zunächst Anwendung gefunden
haben wird, und wieder kann der Gedanke, dem er in diesem Gebiete
dient, so allgemein gefasst werden, dass er von aller Beziehung zu
anschaulichen Vielheiten frei ist. Wie es ein gemeines Erlebnis ist, dass
in einer anschaulich abgegrenzten Vielheit von lauter S alle einzelnen
eine weitere gemeinsame Beschaffenheit P haben, und wie sich uns die
Gemeinsamkeit der Beschaffenheit als eine einheitliche Quasiqualität
an der ganzen anschaulichen Menge aufdrängt, so ist es ein gemeines
Erlebnis, dass in einer anschaulich einheitlichen Menge von lauter
S's einige hervorstechen, die eine gemeinsame Beschaffenheit haben,
die sich als eine einheitliche Teilmenge eben vermöge der Qualität
abheben. "Einige S sind P" meint hier also" Unter den S sind einige,
die P sind". "Einige Blumen dieses Beetes (= Subjekt) sind verwelkt ":
Es handelt sich also um eine Teilvielheitaus der Allheit der S, in Bezug
auf welche das P distribuiert ist, in Bezug auf welche also gemeint
ist, dass keines da ist, das nicht P wäre. Ausgeschlossen ist unter
diesen Umständen gewöhnlich, dass die einigen S alle S sind. Sind alle
Blumen dieses Beetes verwelkt, so werde ich nicht sagen: "Einige sind
verwelkt. " Drücke ich mich so aus, so versteht sich, dass ich meine nur
einige; das liegt schon im Ausdruck" einige der Blumen". Ich blicke
auf einen bloßen Teil der Allheit hin. Der Satz drückt aber nicht diesen
bestimmten Teil, diese nach Zahl und Gliedern individuell bestimmte
Teilvielheit aus, sondern eine unbestimmte Teilvielheit aus der Allheit.
Auch dies ist gewöhnlich ausgeschlossen, dass nur ein einziges S P
ist. Denn erblicke ich nur eine oder auch nur zunächst eine Blume,
die verwelkt ist, so werde ich wohl nicht sagen: "Einige Blumen sind
verwelkt. "
Nähmen wir den Gehalt des partikularen Satzes in dem Sinn die-
ser Klasse von Fällen, so lägen in ihm offenbar zwei Behauptungen:
188 LOGIK

einmal der Satz "Mehrere S sind p", ferner der Satz, dass nicht alle
es sind, der äquivalent durch den gedanklich einfacheren vertreten
werden könnte "Es gibt S, welche nicht Psind." Doch sind das nicht
explizite Bestandteile. Der partikulare Satz in seiner Einheit wäre
auszudrücken durch die Aussageform "Mehrere unter allen S sind
P. " Hier würde der Ausdruck "mehrere unter allen S" den ziemlich
komplizierten Gedanken des Subjekts darstellen. Das Prädikat wäre
aber nicht P, sondern, dass ein jedes aus dieser Mehrheit P sei.
Man kann sagen, dass dies der gewöhnliche Sinn der partikularen
Formel ist. Im Gegensatz dazu lehrt aber die traditionelle Logik, dass
die Sätze der Form "Einige S sind P" weder ausschließen, dass alle
S P sind, noch, dass ein einziges S P ist. Danach hätte die Formel
einen weniger beschränkten Gedanken. Schon die Beziehung auf alle
S wäre fallen gelassen. Es wäre nicht gedacht" einige der S", sondern
"einige S schlechthin". Von der unbestimmt vorgestellten Mehrheit
der S wäre ausgesagt, dass sie P sind. Aber die Mehrheit wäre in so
weitem Sinne verstanden wie etwa in der Arithmetik die Zahl, welche
auch eine bloße Einheit als Besonderung zulässt. Genauer könnten
wir also den Sinn ausdrücken durch "Ein S oder einige S sind p",
wo das Wörtchen" einige" eine unbestimmte Vielheit vorstellt. Diese
Disjunktion im Subjekt könnten wir ersparen, wenn wir dem Satze
den äquivalenten substituierten "Ein S ist P". Denn dann ist ja nicht
ausgeschlossen, dass es noch ein S, noch beliebig viele S gibt, die Psind,
evtl. sogar alle S. In jedem Fall ist es klar, dass man für den Satz einen
affirmativen Existentialsatz nehmen kann: "Es gibt ein S, welches P
ist" oder "Es gibt S, welche P sind". Und in der Tat kann man sagen,
dass es eine häufige Funktion der partikularen Formel, falls sie in der
eben besprochenen Weite gelten soll, ist, solchen Existentialsätzen
Ausdruck zu geben. Sie sollen nämlich Allgemeinsätze, die wir etwa
als Vorurteile für wahr halten, abwehren. Wir glaubten, dass Fixsterne
wirklich feststehen. Nun erfahren wir, der Sirius und der und jener so
genannte Fixstern bewegen sich. Einige Fixsterne bewegen sich also.
Hier dient uns der Satz zum Ausdruck des Existentialurteils "Also es
gibt Fixsterne, die nicht feststehen". Doch mag man auch sagen, wir
ersparen uns diese neue Form nur deshalb, weil sie selbstverständliche
Folge und Äquivalent der partikularen Formel ist. In anderen Fällen
wieder dient das partikulare Urteil als Durchgangspunkt zur Ent-
scheidung der Allgemeinheitsfrage, der entsprechenden allgemeinen
Formel "Alle S sind P". Wir haben gefunden, dass einzelne deka-
VON DEN SÄTZEN

disehe Zahlen mit der Endziffer 0 oder 5 durch 5 teilbar sind. Wir
fragen: Gilt dies allgemein? Die Antwort lautet: Ja, alle sind in dieser
Weise teilbar. Hier hat die partikulare Formel nicht den Sinn der
existentialen, sondern hat prädikativen Charakter. Zunächst weiß ich
bloß von einigen S, dass sie P sind, nachher beweise ich, dass alle P
sind. Wenn nun aber der Satz selbst nicht ein Existentialsatz ist, so
enthält er doch, jedenfalls vermöge des Plurals und der Distribution
des Prädikats, einen solchen in sich. Von einer unbestimmten Vielheit
von S wird ja ausgesagt: Es gibt kein Glied in ihr, das nicht P wäre.
Wie der allgemein bejahende, so impliziert auch der partikulare,
dass es Gegenstände gibt, die dem S unterstehen. Und auch hier ist
es wieder ein Problem, ob mit dem Subjekt zugleich ein expliziter
Existentialsatz gedacht ist, ob also hier der Sinn des Satzes lautet:
Es existiert eine Vielheit von S und unter deren Gliedern keines, das
nicht P wäre.
Hingegenl entfällt die Frage bei dem entsprechenden und äquiva-
lenten Existentialsatz "Es gibt ein S, das P ist", denn dieser impliziert
den Satz "Es gibt S" sicher nur als eine Folge. In dem Satz "Es gibt
eine Art Viereck mit gleichen Diagonalen" liegt nicht als wirklicher
Bestandteil der Satz "Es gibt eine Art Viereck", aber der letztere ist
mit dem ersteren als unmittelbare Konsequenz gegeben.

§ 50a. Die verneinenden Sätze


Wenig Schwierigkeiten wird uns nun auch machen, den Sinn der
allgemein verneinenden und partikular verneinenden Formeln zu ana-
lysieren. Was ist gemeint, wenn wir sagen: "Kein S ist P"? Keinem S
kommt es zu, P zu sein. Das heißt natürlich nicht, einem Gegenstand,
den wir "kein S" nennen, komme das Prädikat P zu. Offenbar ist
damit verworfen, dass es ein S gibt, das P ist. Wir hätten also den
negativen Existentialsatz "Es gibt kein S P" oder "Es ist nicht wahr,
dass ein S P ist". Indessen könnte man zweifeln, ob es nicht im Sinne
der Ausdrucksweise liegt, dass es S gibt. Wenn wir sagen: "Kein Planet

1 Dieser Absatz ersetzt den gestrichenen Text Auch dieser Gebrauch der Fonnel "Einige Ssind
P" setzt eigentlich voraus den Gedanken, dass es S gibt. Indessen bedarf es der Hervorhebung
desselben darum nicht, weil der Satz" Es gibt S, welche P sind" genügt, um die Existenz von S zu
verbürgen. Wir können so immer, anstatt zu sagen:" Unter den Ssind einige P", einfacher setzen:
"Es gibt S, die P sind". Jedenfalls sehen Sie, wie wir bei der Analyse auf lauter Existentialsätze
stoßen mit unbestimmter singuiärer oder pluraler Materie.
190 LOGIK

hat eine der Sonne gleichkommende Temperatur", so sprechen wir


von existierenden Planeten. Wenn wir sagen: "Keine ganze Zahl ist
in der Zahlenreihe die letzte", so meinen wir natürlich, dass es ganze
Zahlen gibt. Indessen wird man andererseits kaum behaupten kön-
nen, dass es die Intention der Aussage sei, diese Existenz zu bejahen.
Natürlich beziehen sich unsere Urteile auf existierende Objekte, denn
deren Eigenschaften allein interessieren uns. Aber es braucht darum
nicht die Funktion der Aussage sein, diese Existenz besonders zu
bejahen. Jedenfalls könnten wir diesen Existenzgedanken, wo es nötig
ist, besonders ausdrücken, und wir hätten in der Komplikation "Es
gibt ein S" und "Es gibt kein S, das P ist" ebenso ein Äquivalent
für die negative universelle Formel in dem hier fraglichen Sinn wie in
der analogen Komplexion "Es gibt ein S" und "Es gibt keines, das
Nicht-P ist" ein Äquivalent für die universelle affirmative Formel, bei
der die Existenz des Subjekts deutlicher impliziert ist.
Endlich bleibt noch der partikulare Satz "Einige S sind nicht P".
Er ist Init denselben Vieldeutigkeiten behaftet wie der affirmative
partikulare Satz. Es kann wieder gemeint sein: "Nur einige S (und
evtl. sogar mehr als eins) sind nicht P" oder: "Mindestens einige
sind nicht P". Z.B.l "Einige dieser Rosenstöcke haben noch keine
Blüten": Hier ist das "alle" ausgeschlossen. Und wieder: "Einige
Wurzeln dieser Gleichung sind reell "; ob alle, das weiß ich noch nicht
und will es demgemäß nicht ausschließen. Die traditionelle Logik
fasst das" einige" immer im Sinn von Inindenstens einige, wobei auch
ein Einziges zugelassen ist. Natürlich muss man, um die sprachlichen
Vieldeutigkeiten zu vermeiden, immer scharf präzisierte Ausdrücke
wählen. Man muss, was man meint, auch klar ausdrücken. Von Wich-
tigkeit ist hier die Frage nach der Beziehung der auftretenden Nega-
tion zum ganzen Satz. Ist der jeweils vorliegende Satz ein negativer
1 Der Rest dieses Absatzes ersetzt den gestrichenen Text Im ersteren Fall finden wir leicht
Äquivalente in Satzkomplexionen: .. Es gibt ein S, das nicht P ist, aber auch ein S, das P ist."
Evtl. mUsste noch hinzutreten: ..Und nicht nur ein S gibt es, das nicht P ist, also zwei oder
mehrere." Im anderen Fall einfacher: .. Es gibt ein S, das nicht P ist." Wieder werden wir also,
wenn wir das einfachste Äquivalent wählen, sowohl bei der allgemein verneinenden als der
partikular verneinenden Formel auf Existentialsätze zurückgeführt. Bei der Vieldeutigkeit der
sprachlichen AusdrUcke kann es hier überhaupt nicht die Aufgabe sein, anderes als äquivalente
und dabei scharf präzisierte Gedanken zu fixieren. Wie immer wir es tun, wir sehen klar,
dass Sund P hier nicht die Prädikate und Subjekte (sind). Ob die Existentialsätze überhaupt
prädikativ sind, das werden wir nOCh überlegen müssen. Wollen wir aber von ihnen abgesehen
eine Prädikation als Gehalt oder Äquivalent haben, so kommen wir jedenfalls auf ganz andere
Subjekte und Prädikate wie Sund P.
VON DEN SÄTZEN

kategorischer Satz, wie die traditionelle Logik es behauptet? Man


überzeugt sich leicht, dass sie eben durch Verkennung der wahren
Subjekte und Prädikate hierin gröblich geirrt hat. In jedem Fall ist
doch das Subjekt in der Formel mit" einige" eine unbestimmte Viel-
heit. Verneine ich etwas von dieser unbestimmten Vielheit, wenn ich
sage: "Einige S sind nicht P"? Die traditionelle Logik sagt: Ja, das
P-Sein wird abgesprochen. Aber ist dann das P Prädikat der Vielheit?
Z.B. "Einige Menschen haben keine Selbstachtung": Ist Selbstach-
tung ein Prädikat, das der Vielheit zukommt? Nein, es ist ein Prädikat
jedes Einzelnen der Vielheit, und spreche ich Selbstachtung ab, so
kann ich sie nur dem Einzelnen absprechen. Was ist also der wahre
Sinn des Satzes? Eine unbestimmte Vielheit von Menschen haben die
Eigenschaft, dass keiner unter ihnen ist, der nicht der Selbstachtung
ermangelte, oder dass keiner unter ihnen ist, der Selbstachtung hätte.
Also gehört die Negation zum Prädikat, und das wahre Prädikat wird
dem wahren Subjekte zugesprochen und nicht abgesprochen.

(§) SI. Die mannigfachen Formen kategorischer Sätze,


bestimmt durch die Form der Materie
Überblicken wir nun unsere gesamten Analysen, so zeigte sich uns
von jeder Seite die Unzulänglichkeit der traditionellen Logik, welche
den Gesichtspunkt der Quantität mit dem der Qualität als gleichwertig
hinstellen wollte. Die prädikative BeZIehung eines S zu einem Prädi-
kat P lässt nur zwei Spezies zu, die Verknüpfung in der Form "S ist P"
und die in der Form" S ist nicht P". Demgemäß gibt es nur einen we-
sentlich~n Unterschied, nur einen Unterschied, den Unterschied der
Qualität. Alle anderen Unterschiede können nur die Materie betref-
fen, alsD die Konstitution oder den konkreten Gehalt der Subjekte und
Prädikate, die bejahend oder verneinend aneinander geknüpft sind.
Eine exakte Klassifikation der kategorischen Satzformen müsste also
nach zwei Gesichtspunkten getrennt sein: nach dem Gesichtspunkt
der Qualität, welcher die Art der Verknüpfung, die wir kategorisch
nennen; selbst angeht, und nach dem Gesichtspunkt der Materie,
welche auf den Besonderungen der Subjekte und Prädikate beruht.
Von diesen letzteren Besonderungen können nun in die formale Logik
natürlich nicht solche gehören, welche erwachsen, indem in das Sund
P bestimmt gegebene Begriffe und Vorstellungen bestimmt gegebener
Einzelheiten eintreten, sondern nur solche Besonderungen, welche
LOGIK

eben wieder die Form der Vorstellungen betreffen, also Besonde-


rungen, welche nur auf die allerallgemeinsten und durchgreifendsten
Klassifikationen im Vorstellungsgebiete rekurrieren. Wir haben diese
allgemeinsten Unterschiede, die bei Vorstellungen zu finden sind, im
ersten Abschnitt besprochen, und aus ihnen können wir also eine Rei-
he Form bildender Unterschiede im Gebiet der kategorischen Sätze
entnehmen. So war es Z.B. ein Unterschied von durchgreifender Be-
deutung, dass manche Vorstellungen in direkter Weise auf bestimmt
gegebenes Einzelnes gehen, sei es auf ein Individuum oder auf eine
Beschaffenheit oder auf Inbegriffe von Individuen und Beschaffen-
heiten, während andere Vorstellungen nur indirekt, in der Weise der
unbestimmten Attributivvorstellung, sich auf einen Gegenstand als
Träger einer Beschaffenheit, als Begriffsgegenstand also, beziehen
und ihn unter Umständen eindeutig, aber immer indirekt bestimmen.
Dies wäre gleich ein Unterschied, der Form bildend werden könnte,
je nachdem wir festsetzen, dass in das Sund P solche oder solche
Vorstellungen eintreten. In gehöriger Ordnung müssten wir natürlich
vorgehen in der Weise, dass wir uns zunächst das S differenziert
denken, während wir das P beliebig lassen, dann umgekehrt beson-
dere Bildungen des P annehmen bei beliebig gelassenem S und dann
beiderlei Bildungen kombinieren. Die traditionelle Logik hingegen
hat für diese so einfachen und klaren Gesichtspunkte keinen Sinn.
Willkürlich greift sie heraus das so genannte Quantitätsverhältnis,
indem sie von dem Vorurteil ausgeht, als drückte jeder kategorische
Satz ein Umfangsverhältnis aus, und im Zusammenhang damit finden
wir das Vorurteil, als käme jeder Vorstellung als solcher ein Umfang
zu, während wir nachgewiesen haben, dass die Rede von Umfangsver-
hältnissen nur auf Begriffe Beziehung haben darf. Die Einteilung der
traditionellen Logik in universelle und partikulare Sätze trifft danach
nur ein geringes Teilgebiet der möglichen Besonderungen der katego-
rischen Formel, der noch sehr viele andere eingereiht werden könnten
und in geordneter Systematik auch eingereiht werden müssten. Und
wenn die Tradition die singulären Sätze als dritte Klasse beifügt, ver-
lässt sie eigentlich den Gesichtspunkt der Einteilung ganz, da ein be-
stimmtes Einzelnes zu seinem Prädikat in keinem Umfangsverhältnis
steht. Überdies werden hier logisch fundamental verschiedene Bezie-
hungen, die Beziehung zwischen Gegenstand und Begriff und (die)
Beziehung zwischen Klasse und Klasse unterschiedslos durcheinander
geworfen, was die ganze Schlusstheorie gründlich verdorben hat.
VON DEN SÄTZEN 193

Wir haben in der letzten Vorlesung besprochen, dass die kategori-


sche Satzform nur einen wesentlichen Unterschied aufweist, den der
Qualität. Alle anderen Unterschiede betreffen die Materie, d.i. die
Besonderheit der kategorisch verknüpften Subjekte und Prädikate.
Indessen sind doch nicht alle derartigen Unterschiede, wie wir hörten,
für die Logik irrelevant. Die allgemeinsten Formen der Vorstellungen
bestimmen, wenn sie differenzierend in die kategorische Satzform
eingreifen, wenn in ihr also die allgemeinsten Unterschiede, welche
die Gegenstandsvorstellungen und Begriffe aufweisen können, zur
Begrenzung dienen, mannigfache Satzformen, die, obschon unter den
allgemeinen Typus des affirmativen oder negativen kategorischen Sat-
zes fallend, doch von aller Beschränkung auf bestimmte Klassen von
Gegenständen und Begriffen frei sind. Jede solche Satzform gibt uns
eine allgemeine Vorstellung davon, wie irgendwelche Gegenstände
und Begriffe oder solche der allerallgemeinsten logischen Klassen zu
der Einheit eines kategorischen Satzes verknüpft sein können. Um
Ihnen eine genauere Vorstellung von der Weise, wie die hier in Frage
kommenden Differenzierungen zustande kommen, zu vermitteln und
zugleich einige der wichtigsten derartigen Bildungen zu besprechen,
stellen wir folgende Überlegung an. Wenn wir die allgemeine Formel
"S ist P" betrachten, so deutet darin Sirgendeine Gegenstandsvor-
stellung an, P irgendeinen Begriff. Was der Gehalt von S oder P sei,
ob ein einfacher oder ein komplizierter, und im letzteren Fall, ob
durch diese oder jene Verknüpfungsform bestimmter, das ist gänz-
lich offen gelassen. Was sollen wir nun formell bestimmen, um neue
Formen abzuleiten? Natürlich können wir formelle Unterschiede im
Subjekt und wieder solche im Prädikat annehmen. Am nächsten liegt
es zunächst, das Subjekt in der Weise zu differenzieren, dass wir als S
eine ganz allgemeine Verknüpfung von irgendwelchen Gegenständen
annehmen. So, wie wir von einem Subjekt Sein P aussagen können, so
können wir von einer beliebigen Mehrheit von Gegenständen SI, S"
S3 ... P aussagen. Die kollektive Verknüpfungsweise ist eine allgemein
logische. Jedes beliebige S', S" ... lässt sich mit jedem zu einer neuen
und von der Besonderheit der Einzelnen ganz unabhängigen Einheit
verknüpfen. Es gibtVerknüpfungsweisen, die durch die Besonderheit
der Gegenstände beschränkt sind. Zwei Metallstücke können wir
aneinander schmieden. Aber diese Verknüpfungsweise ist eben nur
bei Metallen möglich. Zwei Widerspruche, zwei Pferde u.dgl. kön-
nen wir nicht aneinander schmieden. Aber was für Gegenstände wir
194 LOGIK

immer haben, wir können die durch das Wörtchen" und" sprachlich
angedeutete Verknüpfung vornehmen, wir gewinnen dadurch immer
wieder einen Gegenstand, nämlich einen Inbegriff. Ein Inbegriff be-
liebiger und einzeln gegebener Objekte S', S", S'" ... liefert uns also
eine allgemeine Differenzierung des S in der allgemeinsten Formel
"S ist P". Soll dieser Inbegriff wirklich Subjekt sein für das Prädikat
P, dann muss sich das P auf ihn als Ganzes beziehen, wie wenn wir z.B.
sagen: "Castor und Pollux ist ein Sternenpaar. "
Die Beziehung eines Begriffs auf eine Mehrheit von Gegenständen
kann aber eine doppelte sein, entweder die kollektive, wo der Begriff
Prädikat ist der Mehrheit als eines Ganzen; und die distributive, wo
der Begriff Prädikat ist eines jeden Einzelnen der Mehrheit. Ziehen
wir das Letztere in Betracht, so erwächst die neue Form "SI und S2
und S3 sind P": "Gold, Silber und Kupfer sind Metalle". Hier ist
nicht mehr P allein das Prädikat, im Plural "sind" liegt offenbar ein
weiterer Bestandteil davon, der übrigens nicht leicht festzustellen ist.
Die älteren Logiker haben öfter diese pluralen Sätze unter verschie-
denen Namen als besondere Satz- resp. Urteilsklassen aufgeführt. Die
neueren neigen zu der Ansicht hin, dass es überhaupt nicht einheit-
liche Sätze, sondern Kombinationen von Sätzen seien. "Gold, Silber
und Kupfer sind Metalle", das sei nur ein verkürzter sprachlicher
Ausdruck für "Gold ist ein Metall" usw. Psychologisch ist, wenn wir
auf die jeweiligen Vorstellungs- oder Urteilsakte hinblicken, diese
Ansicht jedenfalls unrichtig. Gewiss liegt eine einheitliche Prädikation
hier vor. Logisch aber ist es zweifelhaft, ob in der Distribution ein
eigentümliches und nicht weiter reduzibles Prädikat von Inbegriffen
liegt oder ob der Sinn nicht in dem Gedanken liege: Jedes der Gold,
Silber, Kupfer ist ein Metall, oder: Dieser Inbegriff "Gold, Silber,
Kupfer" hat die Eigenschaft, dass jedes Glied darin ein Metall ist.
Danach würde kein pluraler Satz mit bestimmt gegebenen Subjekten
sein, der nicht den Gedanken eines universellen bereits einschlösse.
Wie immer, es besteht zwischen den verschiedenen Interpretationen
ÄqUivalenz. Sicher ist jeder solcher Satz äquivalent einer Kombinati-
on von Sätzen, in denen die S einzeln die Subjekte sind. Und wieder
besteht Äquivalenz mit der zweiten Interpretation.
Ähnlich verhält es sich mit einer neuen Satzform, die entsteht,
wenn wir daran denken, dass beliebige Gegenstände S" S2 ... in
disjunktiver Weise in einem kategorischen Satz auftreten können:
"SI oder S2 oder S3 ist P." Auch da kann man interpretieren, gemeint
VON DEN SÄTZEN 195

sei: "S(I} ist P oder S, ist P ... "; oder interpretieren: "Eins der SI, S, ...
ist p", z.B. "Mayer oder Joule war der erste Entdecker des Gesetzes
vom mechanischen Wärmeäquivalent".
Vollkommen parallel Init diesen Differenzierungen des kategori-
schen Satzes, die auf den allgemeinsten Verknüpfungsformen von
Gegenständen beruhen, laufen andere, in denen die entsprechenden
Verknüpfungsformen im Prädikat angeführt werden. 1 In konjunktiver
oder disjunktiver Weise lassen sich auch beliebige Beschaffenheiten
als solche verknüpfen, gleichgültig was sonst ihr Gehalt sein mag.
S ist PI und P, = S ist PI und S ist P 2 =S ist beides.
S ist PI oder P, =S ist PI oder S ist P, =S ist eins von beiden.
Die Gliederzahl ist ganz beliebig, so dass wir hier schon unzählige
Formen haben. Und die Mannigfaltigkeit der Formen wird nun sofort
wachsen, wenn wir die Kombinationen durchführen, wenn wir sowohl
das S als das P in der oder jener Weise bestimmt denken, z.B. "SI
und S, sind entweder PI oder P,". Als Grenzfall in Bezug auf all
diese aufzählbaren Formen fungiert der, wo die Gliederzahl in den
konjunktiven und disjunktiven Verbindungen auf ein einziges Glied
reduziert (wird), und das ergibt wieder die Form "S ist P".
Weitere Differenzierungen gewinnen wir durch Einführung des
wichtigen Unterschieds zwischen Gegenstandsvorstellungen, die ihre
Gegenstände in völliger Bestimmtheit, also direkt, oder in mehr oder
minder bestimmter Weise, insbesondere in der Weise unbestimmter
Attributivvorstellungen vorstellen, also Formen der Art wie "Dies
ist P", ,; Carlyle ist ein edler Vorkämpfer des sittlichen Heroismus".
Ebenso können in den Konjunktionen und Disjunktionen, die als
Subjekte fungieren, die einzelnen Glieder lauter direkte Vorstellun-
gen sein: "Carlyle, Froude und Macaulay sind berühmte englische
Historiker." Auf der anderen Seite können aber die einzelnen Vor-
stellungen S, SI"', sei es einzeln, sei es alle, Vorstellungen völlig
unbestimmter Gegenstände sein: "Etwas läuft dort." In der Mehrheit
kommt diese Form kaum vor. "Etwas und Etwas läuft dort" sagen
wir nicht, aber wir sagen: "Zweie laufen dort", und das ist doch
wohl dasselbe. Wieder können die bestimmten oder unbestimmten
Gegenstände attributiv bestimmt sein, z.B. "Der treffliche Carlyle

1 Die Analogie ist doch nicht vollkommen. Bei den Subjektformen haben wir den Inbegriff
als Subjekt, hier haben wir hingegen nicht einen Inbegriff von Begriffen im Prädikat, sondern
die konjunktive Begriffsverbindung.
LOGIK

war ein großer Verehrer der deutschen Klassiker". Ebenso bei In-
begriffen als Subjekten. Und wieder: "Ein Hase läuft dort", "Ein
Habicht und eine Krähe kämpften um die Wette". Hier treten wieder
Zahlen auf, welche die Attribute der konjunktiv verknüpften Subjekte
derselben sind. "Ein Hase und ein Hase laufen dort": "Zwei Hasen
laufen dort" usw. Die ursprünglichen Formen werden vermieden,
nachdem die Zahlen gebildet sind, obschon der Gedanke nicht ein
identischer ist. Zwei Hasen, das ist eine Zwei, auf deren Einhei-
ten das Attribut Hase distribuiert ist: Zwei, deren jedes ein Hase
ist.
Sachlich in näherem Zusammenhang mit diesen Aussageformen
stehen die unbestimmten pluralen Sätze" Einige, viele sind P", " Viele
sind gekommen"; oder mit Attribution: "Viele A sind B." Im Aus-
druck "viele A" ist nicht "viele" ein Attribut von "ein A ". Vielheit
ist zwar ein bestimmter Begriff, aber unter ihn fallen alle Bildungen
der Form "Etwas und Etwas", "Etwas und Etwas und Etwas" usw.
als Besonderungen, und so bildet er zwar einen ausgezeichneten und
doch einen allgemeinen logischen Fall von Formbestimmtheit. Ähn-
lich verhält es sich mit den Anzahlen.
Wieder reihen sich an die Allheitssätze "Alle S sind P." Die Zu-
sammenordnung wird hier von einem systematischen Gedanken ge-
trieben, dass, wenn ein S P ist, entweder nur dieses S P ist oder dass
noch mehrere S P sind; und wieder, dass hierbei alle S P sind oder
nicht alle. Mit derartigen systematischen Gedanken wird natürlich die
sozusagen mechanische Durchführung der mannigfachen Formunter-
schiede, die in kategorischen Sätzen auftreten können, durchbrochen.
Aber eine solche Durchführung hätte auch keinen rechten Zweck.
Sind die allgemeinsten Bildungsformen von Vorstellungen festge-
legt, dann ist es ja selbstverständlich, dass bei der völligen Unbe-
stimmtheit des S in der Formel "S ist P" ebenso viel Besonderungen
kategorischer Satzformen resultieren müssen, wofern man das S in
dieser oder jener Bildungsform vorstellt. Zur wirklichen Aufstellung
der entsprechenden Satzformen müssen also besondere Bedürfnisse
treiben. Diese aber können nur erwachsen bei der Erforschung der
allgemeinsten Gesetzmäßigkeiten, welche in den höchsten logischen
Begriffen, in den Begriffen Gegenstand, Begriff, Satz, Wahrheit u.dgl.
gründen, mit einem Worte, in der Theorie der allgemeinen logischen
Schlüsse. Wären alle erdenklichen Formen der Materie in gleicher
Weise für die Schlussbildung bestimmend derart, dass die Kombina-
VON DEN SÄTZEN 197

tion jedes Paares oder jedes Inbegriffs der zu bildenden Satzformen


immer wieder einen Schlusssatz eigentümlicher Form ergeben würde,
dann freilich wäre die erste Aufgabe in der Lehre von Sätzen, alle
erdenklichen Formen systematisch aufzuzählen. In Wahrheit aber
ergeben nur gewisse Kombinationen von Satzformen auch Schluss-
formen, und welche das sind, darauf wird man nur geführt durch
systematische Überlegungen, welche auf die allgemeinsten Verhält-
nisse, die zwischen Gegenständen, Begriffen, Sätzen, Wahrheiten a
priori erdenklich sind, hinblicken. So werden auch wir in der Lehre
von den Schlüssen die wichtigeren einzelnen Formen herausgreifen
und verwenden.

§ 52. Der logische Gehalt der generellen Aussage


Ich will nun noch den Sinn einiger sprachlicher Aussageformen,
welche zu mancherlei Schwierigkeiten Anlass gegeben haben, erör-
tern. Manche Logiker haben als eine besondere Form des kategori-
schen Satzes den generellen aufgeführt, während andere dies nicht
getan, sondern die generelle Aussage als nur grammatisch unterschie-
den von der universellen oder hypothetischen aufgefasst haben.
Beispiele genereller Aussagen sind: "Gold ist gelb", "Das Drei-
eck hat zur Winkelsumme zwei Rechte", "Das Pferd ist ein Haus-
tier" u.dgl. Manche Logiker haben gesagt: In diesen Sätzen bedeutet
"Gold", "das Dreieck", "das Pferd" eine allgemeine Vorstellung,
ganz so, wie in Sätzen "Bismarck ist ein Staatsmann", "Dieser Ring
ist gelb" im Subjekte singuläre Vorstellungen stehen. Und wie den
singulären Vorstellungen singuläre Gegenstände, so entsprechen hier
den allgemeinen Vorstellungen allgemeine Gegenstände. Also in den
generellen Sätzen seien die Subjekte allgemeine Gegenstände. Wie
einzelnen, so sollen allgemeinen Gegenständen Prädikate zukommen,
und dieselben Prädikate bald den einen, bald den anderen. Sagen
wir: "Gold ist gelb", so meinen wir nicht, dieses oder jenes Gold
ist gelb, sondern Gold im Allgemeinen, Gold überhaupt sei gelb.
Ebenso: "Das Dreieck im Allgemeinen hat die bekannte Winkel-
summe."
Es ginge, sagt man, nicht an nach der vorherrschenden Tradition,
diese Aussagen mit den universellen zu identifizieren. Ganz wie es
dem grammatischen Ausdruck mit demSingularis entspricht, stel-
len wir nicht vor alles Gold, alle Dreiecke u.dgl., um erst auf diese
LOGIK

Allheit das bezügliche Prädikat im Plunil zu beziehen, es also zu


distribuieren. Zwar gilt mit dem Satz "Gold ist gelb" auch der Satz
"Alles Gold ist gelb", aber wir dächten dabei Verschiedenes. Die
Allheit der Gegenstände, die golden sind, träte im ersten Fall nicht
in unsere Vorstellung. Auch die hypothetische Deutung, welche man-
che proponieren, sei unrichtig. Es gilt zwar mit dem gegebenen Satz
auch der Satz "Wenn etwas Gold ist, so ist es gelb", aber wieder
sei der Gedanke hier ein verschiedener. In unserem Bewusstsein
fänden wir nicht die hypothetische, sondern eine kategorische Ver-
knüpfung.
Andererseits fehlt es auch nicht an Einwänden gegen die Rede
von allgemeinen Gegenständen. Sollen wir sagen, der allgemeine
Gegenstand Gold gehöre in den Umfang des Gelben? Gehört also
in diesen Umfang, wie jedes bestimmte einzelne Gold, also etwa
dieser goldene Ring, diese goldene Kette usw., auch der allgemeine
Gegenstand Gold? Gehört in den Umfang des Begriffs geradlinige
Figur neben diesem und jenem einzelnen Dreieck auch so etwas wie
das Dreieck im Allgemeinen? Das müsste doch gelten. Denn so gut ich
sagen kann: "ABC ist eine geradlinige Figur", kann ich sagen: "Das
Dreieck ist eine geradlinige Figur. " Das würde aber auf Schwierig-
keiten führen. "Jede geradlinige Figur ist entweder gleichseitig oder
ungleichseitig", also müsste auch gelten: "Das Dreieck ist entweder
gleichseitig oder ungleichseitig." Aber beides ist falsch: Das Dreieck
ist nicht gleichseitig, das Dreieck ist nicht ungleichseitig. Nun könnte
man auszuweichen suchen, indem man sagte: Unter Umfang versteht
man gewöhnlich nur die einzelnen Gegenstände, die dem Begriff
unterstehen, oder, wie manche Logiker (sagen), nur die generellen
Gegenstände, die dem Begriff unterstehen. Aber beides darf man
nicht durcheinander mischen. .
Es ist dabei aber nicht klar, warum das nicht erlaubt sein soll. Weil
die allgemeinen Sätze für einzelne Gegenstände, nicht für generelle
Gegenstände gelten? Da möchte man aber doch sagen, dass ein Satz
wie der erwähnte "Jede geradlinige Figur ist entweder gleichseitig
oder ungleichseitig" doch unbedingt allgemein sei. Er besage: Wem
auch immer das Prädikat zukomme, geradlinige Figur zu sein, komme
auch das Prädikat zu, gleichseitig oder ungleichseitig zu sein. Und
gilt nicht das allgemeine Gesetz, dass ein jeder Gegenstand von zwei
kontradiktorisch entgegengesetzten Prädikaten eins haben muss? Ist
also Gold ein Gegenstand, so muss eins von beiden wahr sein: "Gold
VON DEN SÄTZEN 199

ist viereckig - Gold ist nicht viereckig", "Gold ist rund - Gold ist
nicht rund" u.dgl.: Sätze, die insgesamt falsch sind.!
Soll man etwa sagen, das logische Grundgesetz spreche nur von sin-
gulären Gegenständen? Dann müssten wir fragen: Was charakterisiert
denn die allgemeinen Gegenstände? Man sagt, sie seien das, was eine
Vorstellung in vielen Gegenständen gemeinsam vorfinde. Gemeinsam
vielen Gegenständen kann nur sein ein Abstraktum oder ein Teil im
engeren Sinn eines Stücks oder endlich eine Beschaffenheit. Aber wir
finden durchaus nicht, dass diese Teile irgendwelche Ausnahme(n)
vom erwähnten Gesetz machen. Das Abstraktum Figur ist sicher
entweder gleichseitig oder ungleichseitig; denn diese Aussage schließt
den Fall ein, der hier die Wahrheit ist, dass es gleichseitig ist. Gleich-
seitigkeit ist nämlich ein Merkmal, das nur Gegenständen zukommen
kann, die Figuren sind, denen das Abstraktum Figur einwohnt, nicht
aber können Abstrakta selbst gleichseitig sein; so wie farbig nur Ge-
genstände heißen, die Farbe haben, während das Abstraktum Farbe
selbst nicht farbig ist.
Danach scheint diese Schwierigkeit unüberwindlich zu sein. Wie
sollen wir uns aus diesen Dilemmen heraushelfen, da doch die Gründe
für und gegen die besprochene Lehre gleich kräftig zu sein scheinen?
Überlegen wir uns noch einmal die Gründe, die es nahe legten,
dass im generellen Urteil ein Prädikat P in gleicher Weise einem
allgemeinen Gegenstand beigelegt oder abgesprochen wird wie im
singulären Urteil einem singulären Gegenstand. Halten wir uns an
die Aussageform selbst, so scheint es doch klar, dass, wie diesem
Ring Gelbsein zugesprochen wird, so ein andermal dem Gold als
solchem. Und das Letztere kommt zum Ausdruck durch die gene-
relle Aussage "Gold ist gelb". Und was sollte denn sonst ausge-
drückt sein? Ein universelles oder hypothetisches Urteil? Davon
finden wir nichts in uns, wir denken nicht an "wenn" und "so"
oder an eine Allgemeinheit. Halten wir uns an die letztere, so wäre
es, wenn die Logik des Satzes identisch wäre mit der Psychologie
des Urteils, sicherlich entscheidend. Ist das psychische Phänomen,
das wir in uns bei den verschiedenen Aussageformen vorfinden, ein
verschiedenes, so müsste auch der Satz logisch als ein verschiede-
ner gelten. Und dass es verschieden ist, das ist nicht zu bezwei-
feln.

! Das sind aber keine kontradiktorischen Sätze, wenn die Subjekte nicht Individuen sind.
200 LOGIK

Aber wir wissen auch, dass psychologische und logische Verschie-


denheit sich durchaus nicht decken. Wir wissen, dass psychische Phä-
nomene eine repräsentative Funktion haben können für ganz an-
dere Phänomene, wir wissen, dass evtl. sogar bejahende Urteile er-
lebt und verneinende gemeint sein können. Und so könnte es auch
hier sein, dass der logische Gehalt der generellen Aussage identisch
wäre mit dem einer universellen oder hypothetischen, während ihr
psychologischer Gehalt und ihre erkenntnispraktische Funktion im
gemeinen und forschenden Denken stark unterschieden sein könn-
ten. Und durch den psychologischen Gehalt könnte die Aussage so
sehr bedingt sein, dass scheinbar das Prädikat von einem Gegenstand
bejaht erschiene, während in Wahrheit die Beziehung des Prädikats
auf eine dem Subjektworte in gewisser Weise entsprechende Allheit
oder irgendein anderes gemeint wäre.
Suchen wir uns den Gehalt der generellen Aussage etwa am trivia-
len Beispiel "Das Dreieck hat drei Winkel" klarzumachen. Es wird
dann gut sein, sich den Gehalt möglichst anschaulich zu vergegen-
wärtigen. Wir finden dann in uns das Phantasma eines Dreiecks, und
an dem finden wir die drei Winkel. Genau dasselbe mag gegeben
sein, wenn wir bloß denken wollten, dass irgendein Dreieck, nicht ein
Dreieck überhaupt, drei Winkel habe. Aber wir meinen hier nicht
ein Dreieck, sondern das Dreieck überhaupt. Wir achten nur auf den
anschaulichen Gesamtcharakter der Figur, und alles andere ist uns
gleichgültig. In der Tat ist, wo dieser anschauliche Charakter gegeben
ist, da auch das Prädikatmerkmal vorhanden. Das Phantasma des
Dreiecks dient uns also wie ein Beispiel, wie ein Repräsentant für ein
beliebiges, was demselben Begriff untersteht. Indem wir im Beispiel
nur auf die bestimmenden Momente achten, kann uns so der singuläre
Satz, der das Beispiel betrifft, als Repräsentant für den allgemeinen
dienen, der eigentlich intendiert ist: Eigentlich meinen wir, es gelte
allgemein, dass ein Dreieck drei Winkel hat. Aber wir stellen nur vor
ein Dreieck, welches drei Winkel hat; und indem wir das tun, sind
wir disponiert zu dem Gedanken, dass, was wir da finden, allgemein
gelte, dass, was immer die Dreiecksbeschaffenheit habe, auch die
Drei-Winkel-Beschaffenheit haben muss u.dgl. Obschon dieses nicht
explizit gedacht ist, so besteht doch unter den gegebenen psychischen
Umständen die Disposition, dieses zu denken. Und noch mehr: Die
erregte Disposition mag als eine in unser Bewusstsein hineinfallende
Wirkung dem Singulären, das allein in der subjektiven Vorstellung
VON DEN SÄTZEN 201

gegeben ist, eine gewisse Tinktion verleihen, wodurch der singuläre


Satz mit repräsentativer Funktion einen anderen Habitus gewinnt als
der singuläre Satz ohne repräsentative Funktion. l
In dieser Weise könnte sich der Vertreter der Auffassung, die den
logischen Gehalt der generellen und universellen Aussage identifi-
ziert, die Sache psychologisch sehr gut zurechtlegen.
Vielleicht noch günstiger läge die Sache für den, der die generelle
Aussage logisch als einen hypothetischen Satz taxiert. Gehen wir wie-
der von anschaulichen Materien aus als den jedenfalls ursprüngliche-
ren, und somit auf die (die) grammatischen Bildungen bestimmenden.
Zeigte sich in der Erfahrung immer wieder bei einem als S aufgefass-
ten Gegenstand, dass ihm auch P zukomme, und war diese Beziehung
öfter von Interesse, so erwächst eine gewohnheitsmäßige Verknüp-
fung zwischen den Begriffsinhalten Sund P in unserer Vorstellung,
und diese Verknüpfung prägt den Inhalten selbst eine Art Einheit auf.
Wir fühlen uns gedrängt, ein als S Erkanntes auch als P zu beurteilen,
wobei uns das, was das S als dieses S charakterisiert, evtl. individua-
lisiert, bei der Richtung unseres Interesses gleichgültig ist. Versuchen
wir gar, das S nicht als P vorzustellen, so fühlen wir einen lebhaften und
oft unüberwindlichen Widerstand, und mit verdoppelter Kraft tritt
die Verknüpfung der Inhalte S und P uns entgegen. Diese innere und
fühlbare Verbindung, diese Nötigung bzw. dieser Widerstand finden
ihren Ausdruck in Sätzen der Art wie "S-Sein bedingt P-Sein", "Ein
S muss P sein und kann nicht Nicht-P sein", "Ist irgendetwas S, so
muss es P sein" u.dgl., Sätze, die dann sozusagen in Verklärung ihres
ursprünglichen Gedankens die Funktion erlangen, anstatt der sub-
jektiven Nötigung die objektive logische Notwendigkeit auszusagen:
" Ist irgendetwas S, gleichgültig wie es sonst beschaffen sein mag, so
ist es auch P. " Die Variabilität der mitverbundenen Beschaffenheiten
ist ja anschaulich klar. Die gewohnheitsmäßige Verknüpfung des S
und P und ihr eigentümlicher Charakter bleiben bestehen, wie immer
das als S Gedachte in Bezug auf seine sonstigen Beschaffenheiten
in der Phantasie variiert werden mag. Kurz, da sind verschiedene
psychologische Prozesse, welche die zunächst vorliegende singuläre
Aussage" Ein S ist P", z.B. "Ein Mensch hat zwei Augen, einen Mund"
u.dgl., in psychologische Beziehung zu mannigfaltigen gleichartigen

1 Unterschied des Verständnisses: Ein Dreieck hat drei Höhen, die sich in einem Punkt
schneiden. Plötzlich leuchtet uns auf, ein Dreieck überhaupt sei gemeint.
202 LOGIK

Aussagen früherer Erfahrung setzen, sie mit eigentümlichen Disposi-


tionen behaften und ihr dabei eine Tinktion geben, durch welche sie
surrogierend eintreten kann für eine hypothetische Aussage, welche
nun auch ihre eigentliche Intention ausmacht. So kann je nach der
inneren psychologischen Lage derselbe grammatische Satz verschie-
dene Intention, verschiedene logische Bedeutung gewinnen: "Ein
Dreieck hat drei Winkel", "Der Mensch ist sterblich" usw.
Und so können wir die irreführende Lehre von den allgemeinen
Gegenständen in der Logik entbehren. Aus gutem Grunde habe ich
unter den möglichen Unterschieden im Vorstellungsgebiete die Vor-
stellungen allgemeiner Gegenstände nicht erwähnt. Nur im generel-
len Satz kommt so etwas wie ein allgemeiner Gegenstand vor. Und
was da sein Eigentümliches ausmacht, ist nicht eine neue logische
Gattung von Gegenständen, sondern eine eigentümliche psychologi-
sche Funktion, die dem Begriffsinhalte S anhaftet, aber ihm nur als
Quasisubjekte dieses Satzes anhaftet.
Die generelle Aussage drückt also entweder einen universellen
Satz aus oder einen hypothetischen oder einen damit äquivalenten.
Der Satz" Gold ist gelb" heißt entweder" Alles, was Gold ist, ist gelb"
oder" Wenn etwas Gold ist, ist es gelb" oder" Der Begriffsinhalt Gold
zieht den Begriffsinhalt Gelb nach sich, natürlich an irgendeinem Ge-
genstand "; ein Satz, der wieder äquivalent ist mit dem hypothetischen,
obschon er selbst die Form des kategorischen hat.
Auf einen fundamentalen Unterschied muss hier gleich aufmerk-
sam gemacht werden. Fasst man die generelle Aussage als Aussage
über die Beziehung zwischen zwei Begriffen, so meint sie, wenn wir
unser Beispiel betrachten, dass der Begriff S den Begriff P nach sich
zieht, bedingt. In diesem Fall ist nicht P das Prädikat, wie schon der
komplette Satz "S-Sein von irgendetwas bedingt P-Sein desselben
Etwas" deutlich macht. Aber wie wir wissen, können 'von Begriffen S
auch andere Prädikate ausgesagt werden, und so ist nicht jeder Satz
"S ist P", in dem S als Zeichen eines Begriffs steht, in der von uns
proponierten Weise zu interpretieren; so wenn ich sage: "Rot ist eine
Art von Farbe" im aristotelischen Sinn.
Wieder ist der wesentliche Unterschied zu beachten, der zwischen
den Beispielen besteht" Der Mensch ist sterblich" und" Das Dreieck
ist eine Figur". Im einen Fall bezieht sich der Subjektbegriff, und somit
auch der Prädikatbegriff, auf einzelne Dinge, im anderen Fall auf Ar-
ten, also auf Abstrakta oder Beschaffenheiten. Der einzelne Mensch
VON DEN SÄTZEN 2°3

ist ein Individuum, das einzelne Dreieck ist aber ein Abstraktum. Sage
ich: "Jedes Dreieck ist eine Figur" oder: "Das Dreieck ist eine Figur",
so meine ich nicht die dreieckigen Gegenstände, denn das sind nicht
Figuren, sondern jeder hat eine Figur. Sage ich: "Die Farbe, der Ton
usw. sind Qualitäten", so kann ich doch nicht sagen: "Die farbigen
Dinge sind Qualitäten "; sie hab e n vielmehr Qualitäten. Wollen wir in
der formalen Logik die generellen Sätze behalten als eine Satzklasse,
so können sie offenbar nur in diesem letzteren Sinn verstanden wer-
den als kategorische Sätze, deren Subjekte eben genera, also Arten
sind. Von diesen Sätzen sind einige auf nichtgenerelle Sätze äquivalent
reduzierbar"andere hingegen nicht.! Und das wären die generellen
Sätze, X<l't' E~6X'YJv. Aussagen der Art wie "Der Mensch ist sterblich"
usw. würden also nicht als generelle Aussagen bezeichnet werden
dürfen, wir würden sie unecht generelle Aussagen nennen müssen.

(BEILAGE)

Generelle Aussage
Die generelle Aussage hat keineswegs dieselbe Funktion wie die universelle oder
hypothetische.
Vor allem achte man auf den verschiedenen psychologischen Gehalt. "Der
Mensch ist sterblich", "Die Gerade ist durch zwei Punkte bestimmt" u.dgl.: All-
gemein müssen wir dies ausdrücken: "Das A(seiende) ist B", "Ein A als solches
ist B" (missdeutlich, weil in der allgemeinen Formel in der Regel zwischen singulä-
ren Gegenständen und Gegenständen von Begriffen nicht unterschieden ist). Hier
steht als Subjekt eine allgemeine Vorstellung, d.h. eine repräsentierende Vorstellung
(evtl. eine Bildanschauung mit repräsentierender Funktion), welche ein beliebiges
A vertritt. Liegt eine Anschauung zugrunde, so ist es die Anschauung eines A, in
welchem aber ausschließlich auf das Merkmal oder den Merkmalkomplex A geachtet
ist. Freilich reicht das nicht hin. Ein abstraktes Moment herausgehoben haben ist
nicht dasselbe als eine Repräsentation haben, welche für ein beliebiges A-Habendes
als solches dasteht. An den repräsentierenden Inhalt erscheint nun angeknüpft das
Merkmal, analytisch oder synthetisch. Da das generelle Urteil über ein A nur als A
urteilt, da es das B-Sein nur an das A-Sein anknüpft, nicht aber an den Gegenstand
nach dem, was er sonst sein mag, so ist dasselbe Urteil natürlich äquivalent mit
dem universellen. Geht die Intention der repräsentierenden Vorstellung nur auf das
A-Sein von irgendetwas, dann kann dieses Etwas wie immer sonst beschaffen sein:
Solange es A ist und bleibt, ist daran B zu knüpfen. Also nehme ich ein A und wieder
ein A und wieder ein A ..., denke ich mir beliebige A (in unbestimmter Vielheit):
Jedes ist B.

1 Nicht? Rot ist eine Farbe; Jedes Rot (jeder Fall von Rot) ist ein Fall von Farbe.
204 LOGIK

Das universelle und generelle Urteil sind also äquivalent. Wo es sich also um
Zwecke der Deduktion oder der Prüfung von Notwendigkeitsverhältnissen zwischen
Urteilen handelt, sind sie als identisch zu nehmen. Man kann, wo es bequemer ist,
das eine für das andere setzen. Damit ist aber nicht gesagt, dass sie überhaupt logisch
gleichwertig sind.
Das generelle Urteil beurteilt ein generelles Subjekt und beurteilt es genauso wie
das singuläre Urteil ein singuläres Subjekt. Der Unterschied ist nur, dass das singuläre
Subjekt notwendig eine nicht repräsentierende Anschauung ist oder eine Repräsen-
tation, die nur ein bestimmtes Einzelnes repräsentiert, während das generelle Subjekt
ein beliebiges A als solches repräsentiert. Im universellen Urteil gehört also mit zum
beurteilten Inhalt eine Mannigfaltigkeit von A, die in den anderen Fällen mangelt.
Wo immer es nun auf Heraushebung der Vielheit ankommt und damit auf die
Unterschiedenheit der einzelnen Exemplare oder Arten von A, da wird das univer-
selle Urteil dienen. Es wird also Anwendung finden, wo eben durch eine Induktion
aus singulären Urteilen das allgemeine gewonnen wurde; wo durch einzelweise Kon-
statierung an allen Arten von A das B gefunden wurde u.dgl. Wo immer und solange
noch das Interesse an den Gegenständen oder Arten haftet, wo wir in Betreff dieser
Erkenntnisse sammeln und sie darum einzeln betrachten müssen, da dient uns die
universelle Form. Wo es aber darauf nicht ankommt, sondern nur auf die Koexistenz
des A und B, da dient die generelle. Hier ruht das Interesse auf der Verknüpfung der
Merkmale, dort auf den Gegenständen oder Arten als Trägem oder Besitzern der
Merkmale. 1
Sage ich: "Alle Kurven zweiten Grades sind als Schnitte einer Ebene mit einem
Kegel erzeugbar", so ruht das auf Unterscheidung. Es ist eine Reihe wertvoller
Erkenntnisse vorausgesetzt, ich habe unterschieden die verschiedenen Formen der
Kurven zweiten Grades je nach den Beziehungen zwischen den Koeffizienten der
Gleichung und je nach den geometrischen Eigentümlichkeiten, die sich daran knüp-
fen. Auf die so unterschiedenen bezieht sich die Prädikation. Dagegen sage ich:
" Das Dreieck hat zur Winkelsumme zwei Rechte. "Denn hier kommt es nicht auf die
Unterscheidung verschiedenerArten von Dreiecken, geschweige denn verschiedener
Exemplare an, weder beim Beweis des Satzes noch für das, was sich an ihn anknüpft.
Worauf es ankommt, ist, zu wissen, dass Dreieckigsein das Merkmal nach sich zieht,
dass, wo von einem Dreieck die Rede ist, ich auch das Merkmal anknüpfen kann usw.
Man kann aber wohl fragen: Sind all das nicht Unterschiede in der Nebenbedeu-
tung der Aussage? Muss man nicht bei den verschiedenen Aussageformen neben
ihrer primären und eigentlichen Bedeutung eine sekundäre unterscheiden?2 Die
verschiedenen Aussageformen haben, könnte man sagen, im Zusammenhang des
Forschens und Beweisens verschiedene Funktion auch dadurch, dass sie eben auf
Verschiedenheiten in der Richtung der logischen Interessen und damit auf Ver-
schiedenheiten von Zusammenhängen, denen das Urteil zu dienen hat, in mehr
oder minder bestimmter Art hinweisen. Und all das kann bestehen, während ihre

1 Erdmann, (Logische E/ementar/ehre, S. 340).


2 Besser: Funktion der Aussage, Bedeutung der Aussage, das sind Unterschiede. Die Bedeu-
tung gehört in den Rahmen der formalen Logik, die Funktion in den Rahmen der Psychologie
und praktischen Logik.
VON DEN SÄTZEN 205

primäre Bedeutung identisch dieselbe ist. Eben der verschiedene psychologische


Gehalt der Aussagen dient als Anknüpfung für die feineren Beziehungen, die der
Aussage eine bestimmte Funktion für den Zusammenhang des Denkens erteilen.
Sage ich: "Alle A sind B", so dient die Mehrheitsvorstellung von A's zugleich
dazu, mein Interesse auf die Verschiedenheit in den A's, obschon sie durch die
Aussage selbst nicht bestimmt sind, zu fixieren oder fixiert zu erhalten. Das In-
teresse geht dahin, für verschiedene Arten von A's etwas zu erkennen, und das
Urteil hält die Tatsache der Verschiedenheit im Auge, hebt aber das Gemeinsame
in der Verschiedenheit hervor. Ist dies eine vorzugsweise Funktion der universellen
Aussage, da muss natürlich die generelle bevorzugt werden, wo dieses Interesse
nicht maßgebend ist, wo also die plurale Vorstellung mit ihrer Nebenfunktion das
Interesse ablenken würde von dem, worauf es uns besonders ankommt, auf den
Zusammenhang der Merkmale selbst. Aber im Wesentlichen, könnte man sagen, ist
die Bedeutung, die primäre, in beiden Fällen dieselbe. "Das Quadrat hat vier rechte
Winkel" meint auch nichts anderes als " Jedes Quadrat hat vier rechte Winkel" oder
"Alle Quadrate haben vier Rechte". "Der Mensch ist sterblich" - "Alle Menschen
sind sterblich".
Fraglich wäre noch, ob auch das generelle Urteil die Existenz des Subjektgegen-
standes voraussetzt. l
Wie steht es endlich mit der hypothetischen Form "Wenn etwas A ist, ist es
B", "Was A ist, ist auch B"? Hier führt das "wenn - so" den Gedanken mit sich:
Vorausgesetzt, dass etwas A ist, dann kann ich schließen, dass es B ist. In diesem
Fall ist jedenfalls die Existenz eines A nicht vorausgesetzt, und somit liegt hier ein
Unterschied in der primären Bedeutung der Aussage vor. Andererseits ist die Aussage
nicht eindeutig, sofern sie entweder meinen kann: "Es gibt kein A, das Nicht-B ist"
oder: " Vorausgesetzt, dass etwas A ist, dann ist eine notwendige Folge davon, dass
es B ist." Im ersten Fall sage ich nur mit Beziehung darauf, dass es kein A Nicht-B
gibt, dass ich aus dem einen das andere folgern kann, während im zweiten Fall ein
anderer und eigentlicher Notwendigkeitszusammenhang besteht.
"Der Eisbär lebt im hohen Norden" = "Was ein Eisbär ist, lebt im hohen Norden"
= "Es gibt keine Eisbären, die ihren natürlichen Wohnsitz nicht im hohen Norden
hätten "; wobei aber die generelle Form hier die Existenz von Eisbären stillschweigend
assozüert. Dagegen wird der Satz"Wenn das Parallelenaxiom besteht, so ist der Raum
ein euklidischer" einen Notwendigkeitszusammenhang aussagen. Nehme ich das Axi-
om an, dann folgt daraus unter Zuhilfenahme der stillschweigend mitvorausgesetzten
sonstigen Axiome mit Notwendigkeit der Satz von der Winkelsumme etc. Im einen
Fall werden wir sagen: "Was ein A ist, ist auch ein B." Und die Funktion dieser
Aussage ist folgende: Es gibt kein A Nicht-B, und somit kann ich aus "Irgendetwas
ist A" schließen, es sei B.
" Wenn etwas A ist, so ist es B" ="Aus A-Sein kann ich schließen B-Sein ". Dabei
ist aber nicht gesagt, was den Schluss vermittelt. Der Notwendigkeitszusammenhang
kann also der alleräußerlichste sein. Indes ist dann, wo "wenn etwas" übersetzbar
ist mit "in allen Fällen, wo etwas" ein Äquivalent eines bloßen Existentialurteils
gegeben.

1 Gestrichen Ich glaube, dass man auch dies bejahen muss.


206 LOGIK

Es scheint mir nun doch ein Irrtum zu sein, dass die generelle Aussage bzw. das ihr
entsprechende Urteil einen bloß repräsentativen Charakter hat für ein solches ganz
anderer Qualität. Ebenso wie der generelle Begriff nichts repräsentiert, geschweige
denn, dass er alles und jedes, was unter den Begriff fällt, "repräsentierte".
Die Intention des Wortes "Schnee", "Blut" etc. geht auf einen Gegenstand
ausschließlich, sofern er gewisse Merkmale hat, die eben die Bedeutung des Wortes
ausmachen, oder ausschließlich, sofern er unter die Bedeutung des Wortes fällt. Die
Bedeutung selbst ist nicht etwas "für sich Vorstellbares" in dem Sinne eines selbstän-
dig anschaubaren Inhalts, und jedenfalls geht die Intention nicht ausschließlich auf
dieses Abstraktum, sondern auf einen unbestimmten Träger, sofern er eben das Ab-
straktum trägt, und ausschließlich insofern. Was ein Gegenstand, der der Bedeutung
des Wortes entspricht, außer derselben noch an Merkmalen hat, was ihn zu einem
so und so beschaffenen und zu "diesem" macht, das ist gleichgültig, das wird von
der Vorstellung nicht vorgestellt, nicht intendiert. Wo immer also ein Anschauliches
als Verständnismittel dient, wo immer wir den Begriff veranschaulichen, da ist nichts
geändert, wenn wir an diesen individualisierenden und speziellen Momenten ändern.
Es interessiert in jedem Fall nicht dies, sondern dass es Blut ist etc.
Und das so Vorgestellte ist Subjekt für ein Prädikat, welches direkt ausschließlich
an die Bedeutung des Wortes angeknüpft ist. Das Urteil wird also durch Variation
des Individuellen oder Speziellen nicht berührt. "Schnee ist weiß ": Schnee, das heißt
nicht "dieser oder jener Schnee", auch nicht "ein beliebiger Schnee", sondern eben
"Schnee". Und "Schnee ist weiß" sagt nicht: "Ein beliebiger Schnee ist weiß" und
auch nicht: "JederSchnee ist weiß" oder:" Alles, was Schnee ist, ist weiß", auch nicht:
" Wenn und wo etwas die Merkmale des Schnees hat, hat es auch das Merkmal des
Weißen", obschon alle diese Urteile äquivalent sind dem generellen.
Die generellen Urteile schließen der Natur ihrer Bedeutung nach die Existenz
eines Subjektgegenstandes nicht ein. Im Einzelnen mag die Existenz stillschweigend
vorausgesetzt sein, aber im logischen Ausdruck muss dies besonders gesagt werden)
Sage ich: "Die Tanne ist ein Waldbaum"",Das Pferd ist ein Haustier" u.dgl., so
deutet das" das" oft allerdings ein Urteil an, nämlich dass es sich um etwas Bekanntes
handle, um ein vertrautes Objekt des gemeinen Lebens, der Forschung, der Dichtung
etc. Ebenso "Der Zentaur hat einen Pferdeleib". Aber schon daraus, dass der Sinn
der Existenzbeurteilung, der in diesen Fällen berechtigt wäre, ein sehr verschiedener
ist, kann man erkennen, dass dies nicht im Urteil eingeschlossen ist. Sage ich: "der
Zentaur", so spiele ich damit an ein Bekanntes an, mir steht der Zentaur als ein
Vertrautes gegenüber. Aber ich denke nicht explicite an einen wirklich seienden,
aber auch nicht an einen fingierten, in der Mythologie der Griechen vorkommenden
Zentaur. Ich kann das tun, muss es aber nicht.
Der Geometer, der ein Gebilde definiert hat, spricht dann die Eigenschaften
desselben in der Form aus: "D a s Gebilde hat A" etc. Durch die Definition ist es zum
festen Denkobjekt geworden.
Wie ist es aber in folgenden Beispielen: "Der Mensch, der sich in der Wüste
verirrt, geht zugrunde", "Der Löwe, der Blut geleckt hat, wird gefährlich" u.dgl.?

1 Vgl. dagegen Marty, " (Über) Subjektlose Sätze VI", (Vierteljahrsschrift /Ur wissenschaftliche
Philosophie 19 (189S),S.) 66.
VON DEN SÄTZEN 207

Hier handelt es sich um Abstraktionen aus bekannten Fällen der Erfahrung, die dann
unbedingt in genereller Form hingestellt werden.
Im Übrigen ist (die) Verknüpfung zwischen Subjekt und Prädikat hier dieselbe
wie im singulären Urteil. Im singulären Urteil geht die Intention des Subjekts auf
den Gegenstand mitsamt seinem Begriff (falls solche mitgegeben sind), hier auf
den Gegenstand bloß, insofern er dem Begriff entspricht. Immerhin wird von dem
Subjekt, so wie es eben gedacht ist, das Prädikat prädiziert.

§ 53. Streit über impersonale und existentiale Aussagen


Wir gehen nun zur Interpretation zweier neuer Klassen von Aus-
sagen über, deren rätselhafter Gehalt schon seit alten Zeiten den Lo-
gikern und Grammatikern viel zu schaffen machte, ich meine die im-
personalen und die existentialen Aussagen. Zahllos sind die Abhand-
lungen, welche nur in den letzten Jahrzehnten diesen Aussageformen
gewidmet worden sind. Nirgend(s) sind die Gegensätze der logischen
Richtungen schärfer aufeinander geplatzt, und nirgends sind wir von
einer Einigkeit weiter entfernt als hier. Das andauernde Interesse,
das der logischen und psychologischen Analyse dieser Satzformen
zugewendet worden ist, lässt es erwarten, dass sie in nächstem Zu-
sammenhang stehen wird mit fundamentalen Fragen der Psychologie
des Urteils und der formalen Logik. Und so verhält es sich in der
Tat. Beispiele von Impersonalien sind: "Es brennt", "Es fehlt an
Geld", "Es regnet" u.dgl. Ebenso entsprechende Negationen: "Es
brennt nicht ... " Beispiele von Existentialsätzen: "Gott ist", "Diese
Unmöglichkeit existiert", "Dieses Verhältnis zwischen Seiten und
Winkel des Dreiecks besteht nicht" u.dgl.
Die große Streitfrage ist hier nun die: Sind die impersonalen so-
wie die existentialen Aussagen, so wie es nach ihrer grammatischen
Form erscheint, Ausdrücke kategorischer Sätze? Ist die uralte, bis auf
Aristoteles zurückgehende Tradition im Rechte, dann müsste jeder
Satz die kategorische Form haben oder wenigstens ein Gewebe von
kategorischen Sätzen darstellen. Und somit müsste dies auch von den
in den strittigen Aussageformen ausgedrückten Sätzen gelten, wofern
sie überhaupt den Anspruch erheben, Satzgedanken Ausdruck zu
verleihen.
Die Interpretation der impersonalen und existentialen Aussage-
formen ist nicht eine bloße Frage grammatischer Interpretation. Es
handelt sich hier um eine logische und deskriptiv-psychologische
208 LOGIK

Grundfrage. Da jeder Satzform eine Urteilsform entspricht, so ist


natürlich die Unterscheidung wesentlich verschiedener Satzformen
zugleich eine Unterscheidung wesentlicher Urteilsfunktionen. Die
Lehre von den Impersonalien und Existentialsätzen ist nun faktisch
der Kampfplatz, auf dem nach Ansicht der meisten gegenwärtigen
Logiker die Grundfragen der deskriptiven Psychologie des Urteils
entschieden werden. Die Impersonalien scheinen subjektlos zu sein,
die Existentialsätze sind nach Brentano prädikatlos: Sind die einen
oder anderen es wirklich, dann kann nicht das Wesen jedes, oder
mindest jedes einfachen Urteils in der Affirmation oder Negation
eines Subjekts von einem Prädikate sein. Während man hier also
nach Subjekten und Prädikaten sucht, sie annimmt oder leugnet,
hat man die ganz allgemeine Frage im Auge: Liegt das Wesen des
Urteils in einer Zuerkennung oder Aberkennung eines Prädikats
von einem Subjekt, also in einer Prädikation?! Oder kann auch ein
ganz einfacher Gegenstand, in dessen Vorstellung nichts von einer
Gliederung in Subjekt- und Prädikatvorstellung zu finden ist, Objekt
einer Bejahung und Verneinung sein? In diesen beiden Fragen sind
die Devisen zweier Parteien bezeichnet, die sich seit dem Erscheinen
von Brentanos Psychologie und Sigwarts Logik auf das erbittertste
bekämpfen.
Aber nicht bloß psychologische, auch metaphysische Interessen
hängen an einer richtigen Analyse der in Rede stehenden Aussagefor-
men. In der affirmativ existentialen scheint die Existenz das Prädikat
zu sein, das einem Subjektgegenstand zugesprochen wird. Ist Existenz
ein Merkmal, so wie Rot, Blau, Spitzwinklig u.dgl., das evtl. analytisch
im Subjektbegriff enthalten sein kann? Descartes hatte gesagt: Was
im Begriff einer SacQ.e liegt, das kann von ihr auch in Wahrheit aus-
gesagt werden.Im Begriff eines notwendig existierenden Wesens, also
• Vgl. Brentano. Psychologie vom empirischen Standpunkte, S.276.
! Die vorigen Slttze dieses Abschnitts ersetzen den gestrichenen Text Mit den Sätzen parallel
laufen Wahrheiten bzw. Falschheiten. Danach scheint die entsprechende Frage hier zu sein:
Ist jede Wahrheit eine kategorische, oder gibt es auch Wahrheiten, deren Materien keine
kategorische Gliederung aufweisen? Wie verhält es sich speziell mit den in impersonalen und
existentialen Aussagen ausdrückbaren Wahrheiten? Wo sind aber die Subjekte, denen etwas zu-
oder abgesprochen wird, wo die Prädikate, die zu- oder abgesprochen werden? Der Nachweis
der Subjekte und Prädikate, der im ersten Augenblick so leicht erscheint, stößt aufmerkwürdige
und, je länger man der Sache nachgeht, auf immer größere Schwierigkeiten.
Die Logiker sprechen indessen nicht von Sätzen und Wahrheiten, sondern von Urteilen,
sei es wirklich gefällten, sei es bloß vorgestellten Urteilen. Für sie ist die Streitfrage also eine
psychologische. Sie geht auf den springenden Punkt aller psychologischen Urteilstheorie.
VON DEN SÄTZEN 209

Gottes, liegt die notwendige Existenz als Merkmal, so wie im Begriff


eines Dreiecks das Haben der bekannten Winkelsumme: Also ist
es unmittelbar evident, dass ein Gott existiert und sogar notwendig
existiert. Seit Hume und Kants Kritiken durchgedrungen sind, glaubt
man nicht mehr an die Beweiskraft solcher ontologischer Beweise,
die aus dem Begriff auf die Existenz der Sache schließen, und der
springende Punkt in diesen Kritiken ist immer die Analyse des exis-
tentialen Satzes, sei es, dass man nachzuweisen sucht, Existenz sei kein
Merkmal, das analytisch im Subjektbegriff liegen könnte, oder, es sei
überhaupt kein mögliches Prädikat, der Sinn des Existentialsatzes sei
einfach Zuerkennung und Aberkennung u.dgl. Kurz, Sie sehen, dass
die Analyse der impersonalen und existentialen Aussagen mehr ist als
Thema einer akademischen Dissertation, und Sie werden nicht mehr
verwundert sein zu hören, dass eine höchst umfassende Literatur sich
mit ihnen beschäftigt und die scharfsinnigsten Denker sich eingehend
mit ihnen beschäftigt haben. Welche Stellung sollen wir selbst nun
einnehmen?1
Betrachten wir zunächst die Impersonalien. Was ist die Bedeutung
von Aussagen der Art wie "Es brennt", "Es ist kalt", "Es fehlt an
Geld" u.dgl.? Der grammatischen Form nach scheint das Verbum oder
überhaupt das grammatische Prädikat der Ausdruck eines logischen
Prädikats zu sein. Betrachten wir zunächst die Auffassungen, die auf
diesem Standpunkt stehen.
(1.) Interpretieren wir, was am nächsten liegt, die Aussage "Es ist
kalt" in demselben Sinn wie die Aussage "Das Wetter ist kalt", die
Aussage "Es brennt" in demselben Sinn wie "Das Haus brennt", so
muss das Subjekt im Wörtchen" es " ausgedrückt sein. Was heißt aber
"es "?
a) Da könnte man hinweisen auf Fälle, wo die Aussage mit "es"
unzweifelhaft ein Klassifikationsurteil ausdrücken will: "Was läuft
dort? Es ist ein Hase", "Was für eine Farbe hat das? Es ist weiß",
"Was raschelt hier? Es ist eine Eidechse" usw. Gemeint ist hier, sagt
man: "D a s ist ein Hase, eine Eidechse", "D i e se Farbe ist weiß. " So

• Descartes,Meditationes, V. Meditation.
1 Gestrichen Sind wir in der Logik überhaupt auf richtigem Wege, dann muss alles, was in
diesen Analysen von logischem Interesse ist, sich entscheiden lassen ohne jeden Rekurs auf
Psychologie und Metaphysik. Zugleich werden wir erwarten, dass auch hier die Einmengung
fremdartiger Gedankenkreise und damit zusammenhängende Verwechslungen den Gang der
Untersuchungen in schlimmer Weise beeinflusst haben.
210 LOGIK

hat gelegentlich Sigwart in seinen durchaus nicht einheitlichen und


klaren Ausführungen (sich) ausgesprochen: Indessen wird niemand
den Satz "Es ist kalt" verstehen in dem Sinn einer Klassifikation
"Dies ist kalt". Und wie gar bei den Verbalformen? "Es regnet":
Wir müssten hier, die gewöhnliche Bedeutung der Verbalform ver-
lassend, interpretieren: "Es ist Regen." Aber wiewohl dieser Satz
Antwort sein kann auf die Frage "Was ist das?", so ist doch der
gewöhnliche Sinn des Satzes durchaus nicht solch eine Klassifikati-
on. Ebenso wenn wir sagen: "Es brennt", so heißt das doch nicht
"Dies ist ein Brand". Nur auf eins werden wir hier aufmerksam:
dass von den echten Impersonalien unechte zu unterscheiden sind,
solche nämlich, wo in der impersonalen Form ein Klassifikationssatz
ausgesprochen werden soll, ein Satz, der ein bestimmtes Subjekt in
der Weise eines Demonstrativs bezeichnet und durch das Prädikat
klassifiziert.
b) Noch in anderer Weise hat man aber das Wörtchen "es" inter-
pretiert. "Es", sagte man, heißt hier so viel wie " etwas ". "Es regnet",
das heißt "Etwas regnet". Das Subjekt ist hier gänzlich unbestimmt
gelassen. Danach müsste aber auch weiter (gesagt werden:) "Es friert
mich" = "Etwas friert mich", "Es fehlt an Geld" = "Etwas fehlt
an Geld". Und wieder werden wir einwenden müssen: Ist selbst da,
wo sich das Etwas als mögliches Subjekt einschieben lässt, der Sinn
des Satzes ungeändert geblieben? "Es ist still ": "Etwas ist still "; "Es
ist Regen ": " Etwas ist Regen". Bei einem unbestimmten Subjekt ist
immer die Frage sinnvoll und nahe liegend: " Was ist oder tut das?"
"Etwas läuft dort": "Was ist es?" Antwort: "ein Hase" oder: "Ich
weiß nicht, was." Aber in den jetzt betrachteten Beispielen gibt das
keinen Sinn. "Es regnet": " Was ist es, das regnet?"
(c) Der alte Grammatiker Priscian interpretierte das Impersonale
curritur durch cursus curritur, ebenso sedetur sessio, evenit eventus
usw. "Es regnet" hieße also "Ein Regen regnet" oder "Der Regen
regnet". Auch diese Ansicht ist, insbesondere bei Grammatikern,
öfter vertreten worden. Aber wieder ist sie undurchführbar. "Es
geht mir schlecht": Wo ist die res verbi, die das Subjekt abgibt? Das
Schlechtgehen. Also "Das Schlechtgehen geht mir schlecht." Und
doch ist es evident, dass der Sinn aller dieser echten Impersonalien
nur einer ist; also muss auch die Interpretation nur eine sein.)

• Vgl. Sigwart, Logik, Bd. I, § I 1.


VON DEN SÄTZEN 2II

d) Sonderbare Interpretationen bieten uns Schleiermacher, Ue-


berweg, Lotze, Prantl: Ueberweg meint, in den Impersonalien ver-
trete die unbestimmt vorgestellte Totalität des Seienden (oder ein
unbestimmter Teil) das Subjekt. Schleiermacher sagt: die chaotisch
vorgestellte Totalität des Seienden. Nach Lotze soll der Gedanke
der allumfassenden Wirklichkeit, nach Prand die unbestimmte Allge-
meinheit der Wahrnehmungswelt im Subjekte vertreten (sein). Auch
auf die ursprüngliche Vorstellungsweise des sprachbildenden Men-
schen wurde hingewiesen, der alle Vorgänge an bestimmte Subjekte
knüpft: "Es regnet" hieß ihm "Zeus regnet" u.dgl. Sind das aber
die Subjekte, so müssten wir sie ohne Änderung des Sinnes dem Es
jeweils substituieren können. Aber wie lächerlich muten uns die Sätze
an: "Die allumfassende Wirklichkeit regnet" u.dgl. Und wie gar bei
Sätzen der Art wie "Es fehlt an Geld" usw. Apriori ist es klar, dass
alle Versuche, die das grammatische Subjekt als ein logisches ansehen,
notwendig scheitern müssen. Es trifft sie alle der unwiderlegliche
Einwand, dass, wenn das Impersonale überhaupt ein echtes ist, die
Frage nach dem Subjekte dieses Prädikats, nach dem, was denn regne,
friere, Geld fehle u.dgl., sinnlos sei.
H. Viele 1 Forscher, welche sonst mit Entschiedenheit die Lehre ver-
treten, dass jedem Urteil (und somit auch jedem Satz) ein Subjekt und
ein Prädikat zukomme, behelfen sich mit der Verlegenheitsauskunft,
in den Impersonalien lägen keine gewöhnlichen Urteile vor oder es
seien Rudimente von Urteilen u.dgl. So Herbart und Trendelenburg,
von Grammatikern Heyse, 1. Grimm, Miklosich. Das sind Halbheiten
und offenbare Inkonsequenzen, und überdies erhebt sich dann die
Frage, was denn die Bedeutung dieser" ungewöhnlichen" Urteile sei.
IH. Am aussichtsreichsten erscheinen die Versuche, welche auf der
Ersetzbarkeit der impersonalen durch existentiale Aussagen beruhen
und davon ausgehen, das Impersonale sei ein verknappter Existential-
satz: "Es brennt" ="Es ist ein Brand" ="Ein Brand ist"; "Es regnet"
= "Ein Regen ist"; "Es gibt einen Gott" = "Gott ist". Alle Sätze mit
"es gibt", "es besteht" u.dgl. haben offenbar identisch denselben
Gedanken wie die entsprechenden existentialen Aussagen.
Gegen solche Reduktionen ist nichts einzuwenden, sie verändern
jedenfalls nicht den wesentlichen Gedanken. Nach ihnen wäre die

• VgI. Marty, "Subjektlose Sätze I", S. n


1 Marty, ("Subjektlose Sätze) I", (S.) 93.
212 LOGIK

Frage, zu der das Impersonale die Antwort darstellen würde, nicht:


"Was regnet?", "Was ist kalt?", "Was fehlt an Geld?" u,dgl., son-
dern überall die gleiche: "Was ist?", "Was findet statt?" "Ein Regen,
eine Kälte, ein Geldmangel usw. ist. " Das trifft offenbar die richtige
Antwort.
Die Analyse der Impersonalien führt uns auf diese Weise auf die
Analyse der Existentialsätze. Lautet(e) die Vexierfrage früher: Wo ist
das Subjekt?, so lautet sie jetzt: Wo ist das Prädikat? Die gewöhnliche
Formel des kategorischen Satzes lautet" S ist P", die des existentialen
aber "S ist". Also scheint der letztere prädikatlos zu sein. Streichen
wir im Satze" Gott ist gütig" den Prädikatbegriff weg, so bleibt" Gott
ist". Indessen, so einfach ist die Sache nicht abgetan. Der Satz ist nicht
eine Summe von Bestandteilen, wie die entsprechende Aussage eine
Summe von Worten ist. In dem Satz" Gott ist gütig" ist, grammatisch
gesprochen, zwar das Wortepaar "Gott ist" enthalten, aber dieses
fungiert offenbar in ganz anderem Sinn im Existentialsatz als im
kategorischen. Der letztere geht aus dem ersteren nicht hervor, indem
ich noch einen Begriff" gütig" hinzuaddiere. Der Satz" Gott ist" und
der Begriff" gütig" machen nicht zusammen den Satz" Gott ist gütig".
Nun könnte man auch darauf hinweisen, dass in unzähligen Fällen
Prädikatbegriff und Kopula verschmolzen sind im flektierten Verbum
und dass es sich also auch hier (so) verhalten könnte. Im Wörtchen
"ist" könnte also beides stecken. Das Wörtchen "ist" (das man kurz-
weg auch als Kopula bezeichnet) könnte doppeldeutig sein. Während
es in der Aussageform "S ist P" der Prädikation des P vom SAusdruck
gibt, also selbst nichts vom Prädikatbegriff enthält, nichts von einer
Beschaffenheit, die dem S zukäme, würde es in der Aussageform "S
ist" das Prädikat selbst enthalten, eine gewisse Beschaffenheit des S,
und diese zugleich als dem S zukommend ausdrücken.
A. a) Den Streit können wir nun so formulieren: Die eine Partei
sagt, das Wörtchen "ist" habe in der kategorischen und existentia-
len Satzform dieselbe Funktion, nämlich Bejahung auszudrücken,
entsprechend das "ist nicht" die Funktion der Verneinung. In der
existentialen Aussage steckt in dem "ist" gar nichts weiter, sie ist
wirklich prädikat- und somit auch subjektlos, sie will nichts anderes
besagen als Bejahung oder Verneinung des in der Subjektvorstellung
vorgestellten Gegenstandes.
ß) Die andere Partei sagt: Das gerade Gegenteil ist richtig. Af-
firmation und Negation eines Gegenstandes hat keinen Sinn. Also
VON DEN SÄTZEN 21 3

auch in der existentialen Aussage wird Etwas von Etwas bejaht oder
verneint. Das Prädikat ist hier eben das Sein, die Existenz, und zwar
als Begriff eines ganz eigenen Gehalts.
B. Damit sind aber noch nicht alle Gegensätze gekennzeichnet. Der
Gegensatz, den wir eben besprochen haben, ging von der stillschwei-
genden Voraussetzung aus, dass in "S existiert", wenn überhaupt, so
S das Subjekt und Existenz das Prädikat sei. Aber auch das ist vorge-
kommen, dass man die existentiale Aussage als eine der Form nach ka-
tegorische aufgefasst, aber nicht S als Subjekt, den Existenzbegriff als
den zu S gehörigen Prädikatbegriff zugelassen hat. Die Aussageform
"S existiert" wäre also eine täuschende. Obzwar ihrer Bedeutung nach
kategorisch, meint sie doch nicht, dass von S die Existenz ausgesagt
wird, sondern anderes. Dies war Z.B. Kants Ansicht, wenn er lehrte, im
Existenzsatz komme der Gegenstand synthetisch zum Begriff hinzu:
Dahinter steckt wohl der Gedanke, dass die Meinung sei, dem Begriff
entspräche ein Gegenstand. Und so haben in der Tat Bolzano" und
andere den Sinn des Existentialsatzes interpretiert. "Gott existiert",
das hieße, der Vorstellung Gottes entspricht ein Gegenstand: Die
Vorstellung Gott hat Gegenständlichkeit. Hier wäre die Subjektvor-
stellung eine Vorstellungsvorstellung, das Subjekt selbst nicht Gott,
sondern die Vorstellung Gottes.
C. a) Und mit diesen Hauptgegensätzen verbinden sich noch an-
dere. Hume hatte geradezu geleugnet, dass es einen Existenzbegriff
gebe:" Aber sonst ist ein solcher allgemein angenommen worden.
Auch die Vertreter der einfachen Natur der Existentialsätze (der
Lehre also, wonach in ihnen keine Prädikation von Existenz gegeben
sei) erkennen an, dass es einen Existenzbegriff gebe. Ist dem aber so,
dann müssen sie ohne weiteres zugestehen, dass es Sätze gibt, in denen
einem S die Existenz im Sinne dieses Begriffs zugesprochen oder
abgesprochen wird. Dies tun dann auch die meisten. Sie erkennen also
an, dass kategorische Sätze der Form" S ist existierend" möglich sind
und bestehen. Aber was sie behaupten, ist, dass nicht alle Sätze der
Form" S ist" diesen kategorischen Gedanken ausdrücken wollen. Sie
meinen, die ursprünglichen Existentialurteile waren nicht prädikativ,
und erst in Reflexion auf sie entstand der Begriff der Existenz, also

• VgI. Marty, "Subjektlose Sätze VI", S. 26.


•• VgI. Bolzano, Wissenschafts/ehre, Bd. 11, § 137.
••• VgI. Marty, "Subjektlose Sätze VI", S. 23.
21 4 LOGIK

erst nachher waren Prädikationen von Existenz möglich. Es ist dies für
die Urteilstheorie von prinzipieller Wichtigkeit, denn ist diese Lehre
richtig, dann kann das Wesen des Urteils nicht in der Prädikation be-
stehen. Unzählige Urteile waren und sind jetZt noch nicht prädikativ.
Immerhin wird von den hierher gehörigen Forschern zugestanden,
dass solch ein nichtprädikativer Existentialsatz äquivalent sei einem
prädikativen, in dem Existenz das Prädikat sei.
ß) Ganz anders war in diesem Punkt Kants Position. Er leugnet
nicht den Existenzbegriff, aber er leugnet, dass ein Satz, der Existenz
als Prädikat habe, ein Existentialsatz sei oder auch nur Äquivalent
eines Existentialsatzes.•
D. Und nun kommt erst zu all dem der Hauptstreitpunkt nach
dem Inhalt des Existenzbegriffs. Gleichgültig ob er in der Existen-
tialaussage das logische Prädikat ist oder nicht, sicher ist, dass sie
eine Aussage über Existenz ist. Aber was ist das nun, Existenz? Dass
diese ebenso wie die bisher berührten Fragen die Logik sehr viel
angeht, das ersehen Sie daraus, dass der Existenzbegriff zu jedem
Gegenstand und Sachverhalt eine gewisse Beziehung hat, und dem-
gemäß der Existentialsatz zu allen anderen Satzformen. Brentano
hat gemeint, alle Urteile seien im Grunde Existentialurteile oder
Komplexionen von solchen, wie sehr der grammatische Schein die-
se Sachlage auch verhülle. Und demgemäß müssten auch logisch
alle Sätze Vorstellungen von Existenzsetzungen sein oder in einer
Komplexion von vorgestellten Existenzsetzungen bestehen.·· Ob nun
diese Ansicht richtig ist oder nicht, jedenfalls kann man sagen, dass in
jedem Satzt ein Existentialsatz oder eine Komplexion solcher logisch
impliziert seien. Ich erinnere Sie an die Äquivalenzen, die wir früher
kennen gelernt haben: "Alle Menschen sind sterblich" = "Es gibt
Menschen, und es gibt keinen Menschen, der nicht sterblich ist";
"Einige Menschen sind sterblich" = "Es gibt sterbliche Menschen";
"Irgendein Mensch ist sterblich, ist unsterblich" = "Es gibt einen
sterblichen Menschen; es gibt einen unsterblichen Menschen". Ferner
wenn wir sagen: "Sokrates war ein Philosoph", so können wir daraus
unmittelbar entnehmen: Also es gab einen Philosophen. Und so bei
jedem Satz, der über bestimmte allgemeine Objekte urteilt, wobei die

• Vgl. 0.0.0., S. 23f. .


•• Vgl. Brentano; Psychologie vom empirischen Standpunkte, 2. Buch, Kap. 7, §7.
t Zu jedem Satz mit Unbestimmten! .
VON DEN SÄTZEN 21 5

Formen mit "es gibt" natürlich Existenzgedanken Ausdruck geben.


Dies allein schon genügt, um Ihnen deutlich zu machen, dass der
Existenzbegriff nicht einen logisch nebensächlichen Charakter hat,
wie etwa der Begriff Farbe oder Pferd, sondern einen der logischen
Grundbegriffe darstellt, analog wie der Begriff der Wahrheit. Auch bei
diesem finden wir eine allgemeine Beziehung zu allen erdenklichen
Sätzen, sofern jeder Satz sich äquivalent in einen solchen transferieren
ließe mit dem Prädikat" wahr". Anstatt "S ist P" können wir immer
sagen: "Es ist wahr, dass S P ist. "

§ 54. Existenz und Wahrheit


Was soll nun also mit der Existenz, die in so universeller Weise
zu allen erdenklichen Gegenständen und Sachverhalten Beziehung
hat, gemeint sein? Dass1 hier ungewöhnliche Schwierigkeiten liegen,
ersieht man an den vergeblichen Bemühungen der bedeutendsten
Logiker, zu einer einstimmigen und klaren Position zu kommen;
so z.B. Sigwart. Ich reproduziere die scharfe Kritik, die Brentano
gegen Sigwarts Versuch gerichtet hat. 2 Wollen wir z.B. in dem hoch-
berühmten logischen Werke von Sigwart Rat einholen, so hören wir
zunächst, "Sein" wolle eine Relation ausdrücken: Aber welche soll
es denn sein? Zunächst scheint es bei Sigwart die Relation zu dem
denkenden Subjekt. Aber das geht nicht, wie Sigwart selbst einsieht.
Denn dies soll ja die Behauptung des Existentialsatzes sein, dass das
Seiende sei, also (ab)gesehen von seiner Beziehung zu mir oder einem
anderen denkenden Wesen. Nach langen Diskussionen heißt es end-
lich, die Relation sei die" Übereinstimmung des vorgestellten Dinges
mit einer möglichen Wahrnehmung"." Statt Übereinstimmung wird
gelegentlich auch Identität gesagt. Ist diese Bestimmung haltbar?
Offenbar nicht. Von vielem können wir ja sagen, es existiere, was
überhaupt nicht wahrnehmbar ist. Z.B. ist die Vergangenheit oder
Zukunft, es ist ein Mangel, eine Unmöglichkeit nicht wahrnehmbar,
1 Die drei folgenden Slitze ersetzen den gestrichenen Text Natürlich hat man, dem psychologisti-
schen Zug unserer Zeit folgend, eine psychologische Analyse zu geben und durch sie den Inhalt
zu bestimmen gesucht. Wie nicht anders zu erwarten stand, sind die Antworten verschieden aus-
gefallen, und die verkehrte Untersuchungsweise rächte sich in dem unerträglichsten Schwanken
der Bestimmungen nicht bloß bei Verschiedenem, sondern bei einem und demselben.
2 Brentano, Sittliche Erkenntnis, (Leipzig 1889,) S. 62.
, Sigwart, Logik, Bd. I, S. 88f.
,. A.a.O., S. 94f.
216 LOGIK

und doch können wir sagen: "Es gibt eine Vergangenheit", "Es gibt
eine Unmöglichkeit" usf.
Aber in den vielfachen und schwankenden Ausführungen bleibt
Sigwart bei dieser BestiInmung nicht stehen. Nach manchem scheint
es, als ob ihm Existenz die Fähigkeit sei, in kausale Verhältnisse zu
treten. Das Existierende, heißt es, ist etwas, was Wirkungen auf mich
und andere ausüben kann: Nach anderen Stellen wieder möchte
man seine Ansicht so auslegen: existierend sei alles, was entweder
wahrgenommen sei oder als wahrnehmbar erschlossen werden könne.
Lauter, wie man leicht sieht, unhaltbare Versuche.
Die Existenz von etwas erschließen kann nicht heißen, seine Wahr-
nehmbarkeit erschließen. Wenn der Physiker die Existenz von Ato-
men erschlossen zu haben glaubt oder die Existenz von leeren Räu-
men, so meint er darum doch nicht ihre Wahrnehmbarkeit erschlossen
zu haben. Im Gegenteil, er hält beides auseinander: Die Atome sind
ihm unwahrnehmbar, aber sie existieren. Und offenbar hat er Recht,
so zu trennen. Es ist klar, dass, wenn die Aussagen "Etwas existiert"
und "Etwas ist wahrgenommen oder als wahrnehmbar erschlossen"
gleichbedeutend wären, derjenige einen Unsinn aussprechen würde,
der sagte: "Ich bin überzeugt, dass vieles existiert, dessen Existenz
doch von niemandem wahrgenommen oder auch nur erschlossen
werden kann." Aber dieser Ausspruch ist so wenig widersinnig, dass
er allgemein für den Ausdruck einer gar nicht unberechtigten Ver-
mutung gilt. Jeder, der von Schranken der menschlichen Erkenntnis
spricht, pftichtet ihm eo ipso bei.
Dass auch die Wirkungsfähigkeit nicht zur Definition der Existenz
dienen kann, dass "wirklich" im Sinn von "wirkend zu sein" auch
nicht ein Proprium des Existierenden als solchen sei, davon über-
zeugt man sich leicht. Wirken kann nur das Reale, aber nicht alles
Existierende ist real. Eine Unmöglichkeit kann existieren, aber sie
kann nicht real sein. Ebenso ein Mangel, ein Verhältnis der Gleich-
heit, Verschiedenheit usw. Den Terminus" wirklich" verwenden wir
allerdings häufig, um das Existierende vom bloß Vorgestellten zu
unterscheiden, und es wird auch richtig sein, dass das "wirklich"
ein Adjektiv ist, das im Hinblick auf Wirkendes gebildet wurde.
Aber jedenfalls ist sein Ursprung für seine künftige Bedeutung nicht
maßgebend geblieben. Und wir können ebenso gut sagen, eine Un-

• A.a.O., S. 91.
VON DEN SÄTZEN 21 7

möglichkeit bestehe wirklich,- als wir sagen, ein Haus existiere in


Wirklichkeit.
Brentano und Marty haben an derartigen Versuchen, den Begriff
der Existenz zu bestimmen, scharfe Kritik geübt. Sehen wir zu, wie
nun nach ihnen, und zunächst nach Brentano, die Schwierigkeiten sich
lösen sollen, so hören wir,) der Begriff der Existenz soll entspringen
durch Reflexion auf das anerkennende Urteil: Und jedes einfache
Urteil ist nach Brentano Anerkennung oder Verwerfung eines Ur-
teilsgegenstandes.•• Danach scheint es, dass, wenn ein Gegenstand,
das Wort im weitesten Sinn genommen, also irgendein Urteilsobjekt
anerkannt wird, dies selbst existieren müsste. Und es scheint zugleich,
dass Existenz dieses Gegenstandes nichts weiter bedeuten könnte, als
dass er eben anerkannt sei. Aber dies ist zu offenbar falsch, als dass
es die Meinung der genannten scharfsinnigen Forscher sein könnte.
"Bismarck existiert", das heißt natürlich nicht: Bismarck wird von
irgendjemand anerkannt, also für existierend gehalten. Und unzählige
Dinge (Gesetze, Verhältnisse), meinen wir, existieren, ohne dass sie
jemals von einem urteilsfähigen Wesen vorgestellt, geschweige denn
beurteilt worden wären. Also die schlichte Reflexion auf den Urteils-
akt, durch den das Beurteilte eben als beurteilt erkannt würde, kann
nicht gemeint sein, obschon die Reflexion auf das bejahende Urteil
doch wesentlich sein soll für die Gewinnung des Existenzbegriffs,
nämlich in folgender Weise: Nicht den Gedanken des wirklichen
anerkennenden Urteils, sondern den eines möglichen und überdies
richtigen schließe der Begriff ein. 2 Existenz meint die Beziehung
irgendeines Gegenstandes, also eines beliebig Vorstellbaren, auf ein
mögliches Urteil, das ihn anerkennt und dabei richtig ist. Darin würde
also liegen: Ein Gegenstand A existiert, wenn jedes Urteil, das ihn
anerkennt, richtig ist.
Jene Reflexion auf das anerkennende Urteil ist also ein missdeutli-
cher Ausdruck dafür, dass der Begriff der Existenz den des anerken-
nenden Urteils voraussetzt. Psychologisch kann aber dieser letztere
1 Der erste Teil dieses Satzes ersetzt den gestrichenen Text Aber obschon sie die Fehler rich-
tig erkennen, welche in grammatischen oder genetisch-psychologischen Gesichtspunkten ihre
Quelle haben, so stehen doch auch sie auf psychologischem Boden, nur glauben sie den Gehalt
des Existenzbegriffs nicht durch genetische, sondern durch deskriptive Analyse gewinnen zu
können.
• Vgl. Marty, "Subjektlose Sätze 11", S. 171f.
•• Vgl. a.a.O., S. 161.
2 Marty, (a.a.O., S. 171f.)
218 LOGIK

Begriff natürlich nur zu unserer subjektiven Vorstellung kommen,


wenn wir auf irgendwelche anerkennenden Urteile hingeblickt, auf
sie "reflektiert" haben. Zugleich muss bemerkt werden, dass für
Brentano die Begriffe richtiges Urteil, wahres Urteil und Wahrheit
identisch sind, so dass Wahrheit und existierender Gegenstand Kor-
relativa sind. Der Gegenstand der Wahrheit, des wahren Urteils ist
ein existierender:
Wir müssen es dieser Bestimmung nachrühmen, dass sie zum min-
dest(en) einen, den zu bestimmenden umfangsgleichen Begriff dar-
stellt. Sicher ist die Materie eines jeden richtigen anerkennenden
Urteils eine existierende, und umgekehrt können wir auch sagen,
dass, wo in Ansehung eines vorgestellten Gegenstandes ein Urteil
möglich ist, das ihn anerkennt und richtig ist, er auch existiere. Hier
fehlt jede unzulässige Beschränkung auf reale Gegenstände, auf wir-
kende, auf wahrgenommene oder wahrnehmungsfähige usw. Und der
Begriff des Gegenstandes ist im weitesten Sinn genommen, wonach
ein Sachverhalt ebenso gut ein Gegenstand ist wie ein Pferd.
Dagegen werden wir darin bedenklich sein dürfen, ob mehr als
Umfangsgleichheit statthat, ob also der propositionale Begriff der
Existenzbegriffselbst ist. Sollte wirklich im Existenzbegriff der Begriff
des Urteils als Bestandteil enthalten sein? Wir müssten also, von der
Existenz Gottes sprechend, an mögliche Urteile denken, die Gott als
seiend bejahten und dabei richtig wären? (Auch macht diese Rede von
möglichen Urteilen einige Schwierigkeiten. Woher wissen wir es denn,
dass jeder Gegenstand erkennbar ist? Vielleicht gibt es Gegenstände,
die von keinen intellektuellen Wesen richtig beurteilbar sind? Wir
müssten also die Möglichkeit nicht in dem Sinn verstehen, als bezöge
sie sich auf die realen Fähigkeiten urteilsfähiger Wesen, sondern so,
dass einfach gemeint ist: Ein Gegenstand existiert, das heißt nichts
anderes als: Wenn ein Urteil den Gegenstand anerkennte, so wäre es
richtig.)
Aber was heißt dann weiter: Ein Urteil ist richtig? Die Antwort
lautet: Richtig ist ein Urteil, wenn es anerkennt, was anerkannt wer-
den soll, bzw. verwirft, was verworfen werden soll. Hier wird also
hingewiesen auf eine Normierung. Wenn aber diese Normierung nicht
gänzlich subjektiv bleiben soll, so muss ihr ein Objektives zugrunde
liegen, ein an sich existierendes Maß aller Richtigkeit. Beachten Sie,

• Vgl. Marty, ..Subjektlose Sätze VI", S. 35.


VON DEN SÄTZEN 21 9

dass, wenn ein Urteil richtig ist, jedes Urteil überhaupt, das diesel-
be Materie besitzt, richtig ist. Darin liegt eben, dass die Norm der
Richtigkeit von dem einzelnen Urteilsakt gänzlich unabhängig ist,
dass alle Urteile einer und derselben Materie auch ein und dasselbe
Maß haben; so z.B. alle Urteilsakte, die anerkennen, dass 2 x 2 4 ist,
gleichgültig wer immer und wann immer er dies anerkennt. Was soll
nun dieses Maß sein? Sind die Urteile einer solchen Klasse wahr, weil
ihnen allein ein und dieselbe Materie zugrunde liegt? Nein. Denken
wir uns eine absurde Materie, wie, dass 2 x 2 5 ist, so ist eine Klasse
von Urteilen denkbar, welche diese Materie anerkennen und somit
falsch sind. Etwas Objektives haben sie alle gemein, die objektive
Vorstellung von" 2 x 2 ist 5". Aber die objektive Vorstellung verbürgt
nicht die Richtigkeit des bezüglichen Urteils. Was ist also über die ob-
jektive Vorstellung hinaus das Identische in allen richtigen Urteilen,
welche den Gegenstand eben dieser selben objektiven Vorstellung
affirmieren? Ich sehe nicht, dass darauf eine andere Antwort gegeben
werden kann als: die objektive Wahrheit. Wenn wir alle urteilen:
,,2 x 2 ist 4", so ist diesen Urteilen und allen erdenklichen Urteilen
überhaupt, die diesen selben arithmetischen Sachverhalt anerkennen,
über den bloßen Satzgedanken hinaus, dass 2 x 2 4 ist, gemein eben
die objektive Wahrheit" 2 x 2 ist 4". Nicht sind die Begriffe richtiges
Urteil und Wahrheit identisch, sondern richtig ist eben das Urteil,
das urteilt, was objektive Wahrheit ist. Wahrheit ist nicht Richtigkeit,
sondern Wahrheit ist das Maß der Richtigkeit. So, wie die subjektive
Vorstellung zur objektiven sich verhält, so verhält sich das richtige
Urteil zur Wahrheit.
Aus dieser Überlegung geht hervor, dass Brentanos Bestimmung
des Existenzbegriffs mit dem Begriff des richtigen Urteils auch den
der Wahrheit einschließt. Aber einerseits können wir nicht zugeben,
dass der Begriffder Existenz überhaupt direkte Beziehung zum Urteil
habe, und andererseits ist es leicht einzusehen, dass, wenn wir den
Begriff der Wahrheit haben, als Korrelat der der Existenz schon
gegeben ist. Denn daran ist nicht zu zweifeln, dass das Wahre, d.h.
der Gegenstand, der in der Wahrheit wahr ist, existiert, und dass
umgekehrt alles Existierende Gegenstand einer Wahrheit ist. Sind
wir aber zur Überzeugung gekommen, dass der Begriff des richtigen
Urteils den der Wahrheit voraussetzt, so erscheint der Rekurs auf
den ersteren Begriff als ganz überflüssig. Das einzig Passende ist es
dann, sich direkt auf das Korrelativum zu stützen, also zu definieren:
220 LOGIK

Ein Gegenstand existiert, das heißt, er ist Gegenstand einer Wahr-


heit.
Damit ist zugleich unsere eigene Position in Ansehung des Begriffs
Existenz und damit zugleich des Wahrheitsbegriffs gekennzeichnet.
Eine kurze Erläuterung wird hier gut sein.
Existenz und Wahrheit sind Begriffe, die nur in Relation zueinan-
der sowie zum Begriff der objektiven Vorstellung aufgewiesen, aber
eigentlich nicht definiert werden können. Es sind letzte deskriptive
Elemente der formalen Logik. Alle Versuche, diese Begriffe durch
Hereinziehen der subjektiven Vorstellungen und Urteile zu definie-
ren, misslingen und müssen misslingen.
Einerseits muss man sich davor hüten,·diese Begriffe subjektivis-
tisch zu missdeuten. Die Wahrheit ist etwas Objektives, sie schließt
nicht den Begriff urteilender Wesen ein. Gleichgültig ob es solche
Wesen gibt oder nicht: Wahrheit bleibt Wahrheit, Existenz bleibt Exis-
tenz. Unendlich viele Vorstellungen und Urteilsakte sind denkbar,
welche auf Wahrheiten und Existenzen gehen. Aber eine und dieselbe
Wahrheit ist das identische Objekt unendlich vieler möglicher Akte,
sie ist nicht eine psychologische Eigentümlichkeit oder ein Teil dieser
Akte. Man muss sich auch davor hüten, Wahrheit und richtiges Urteil
zu verwechseln und ebenso das Wahre, das Existierende und das in
richtiger Weise Anerkannte und Anerkennbare. Wir haben dies eben
besprochen. Das richtige Urteil ist das wahrheitsgemäße, aber nicht
die Wahrheit selbst.
Es darf ferner nicht verwechselt werden Wahrheit und wahre Vor-
stellung im subjektiven oder objektiven Sinn. Eine Vorstellung kann
in übertragenem Sinn wahr heißen, wenn ihr eine Wahrheit entspricht
in der Weise, dass diese als wahr setzt, was die Vorstellung vorstellt.
Man kann die scholastische Definition der Wahrheit, sie sei adaequatio
rei et intelleetus, in diesem Sinne interpretieren, dass sie auf wahre
Vorstellung Beziehung hat. Die adaequatio besteht zwischen dem
vorgestellten Gegenstand und dem existierenden, d.h. dem als wahr
gesetzten. Ferner darf man nur nicht glauben, dass so die Wahrheit
selbst definiert sei oder dass die Wahrheit in dem Verhältnis dieser
"Übereinstimmung" bestehe. Wie verhalten sich also Vorstellung,
Wahrheit, Existenz zueinander?
Derselbe Gegenstand, also dasselbe Ding, derselbe Sachverhalt,
was immer es sei, kann Gegenstand einer Vorstellung und Gegenstand
einer Wahrheit sein. Wahrheit und Vorstellung sind dabei wohl ver-
VON DEN SÄTZEN 221

schieden. Die Vorstellung eines mathematischen Satzes, wie sie Z.B.


im Vordersatz eines hypothetischen Urteils auftritt, ist nicht dasselbe
wie die Wahrheit des Satzes. Jeder Wahrheit entspricht eine Vorstel-
lung identisch desselben Gegenstandes; aber nicht jeder Vorstellung
entspricht eine Wahrheit identisch desselben Gegenstandes, sondern
nur entweder eine Wahrheit mit demselben oder eine solche mit ent-
gegengesetztem Gegenstand. Dass 2 x 2 = 5 ist, das ist eine objektive
Vorstellung. Aber ,,2X2 ist 5" ist keine Wahrheit. In der wahren
Vorstellung können dieselben Teilvorstellungen auftreten wie in der
Wahrheit, und in genau derselben Gliederung. Die Vorstellung davon,
dass 2 x 2 4 ist, und die Wahrheit" 2 x 2 ist 4" haben nicht bloß Ge-
meinschaft des Gegenstandes, sondern die Wahrheit schließt offenbar
die ganze Vorstellung, in allen ihren Gliederungen etwa, in sich.!
So, wie wir nun an der Vorstellung unterscheiden die Materie
und den Gegenstand, so müssen wir dasselbe auch bei der Wahrheit
unterscheiden. Der Gegenstand nun, der einer Wahrheit zugrunde
liegt, heißt ein wahrer oder wirklicher oder existierender, so, wie der
Gegenstand einer Vorstellung ein vorgestellter heißt. Bismarck ist
ein wirklicher, ein wahrer, ein existierender Gegenstand, von Cerbe-
rus gilt dies nicht. Dass 2 x 2 4 ist, ist wahr, der Sachverhalt besteht
wirklich, existiert wirklich. Dass in einem rechtwinkligen Dreieck die
Winkel sämtlich gleich sind, dies Verhältnis existiert nicht, ist nicht
wirklich so, es besteht nicht.
Unterscheidung der Gegenstände in solche im weiteren und enge-
ren Sinn (Satz und Gegenstand):
Ich habe in der letzten Vorlesung die Begriffe Wahrheit und Exis-
tenz im Verhältnis zueinander sowie im Verhältnis zum Begriff der
objektiven Vorstellung erörtert und Ihnen zu zeigen gesucht, wie alle
diese Begriffe nur aufweisbar und im Verhältnis zueinander bestimm-
bar, nicht aber eigentlich definierbar sind. Hätten wir niemals das
Eigentümliche der Wahrheit an irgendwelchen Sätzen erlebt oder
mindest zu erleben geglaubt, so hätten wir auch niemals den Wahr-
heitsbegriff bilden können. Und hätten wir niemals den Unterschied
zwischen dem bloßen Vorstellen eines Gegenstandes und jenem ganz
andersartigen Gegebensein desselben erlebt,' in dem er uns als sei-
ender gegenübertritt, so hätten wir auch nicht den Unterschied zwi-
schen vorgestellten und existierenden Gegenständen in unsere Ge-

1 Das ist das, was ich in den Logischen Untersuchungen die Materie nannte.
222 LOGIK

dankenwelt einführen können. Und offenbar handelt es sich hier um


lauter objektive Unterschiede. Nicht der Vorstellungsakt macht den
Gegenstand zum Gegenstand einer Vorstellung, und nicht der Wahr-
nehmungsakt, der Akt des einfachen oder evidenten Fürwahrhaltens,
(macht) den Gegenstand zu einem wahren und seine Vorstellung zu
einer Wahrheit. Wie viele auch anerkennen, dass 2 x 2 4 ist, es ist immer
dieselbe Wahrheit, die hier vorliegt, und ein und'derselbe existierende
Sachverhalt. Wie viele auch anerkennen, dass es einen Bismarck gibt,
wie viele ihn auch in der Weise eines Existierenden in Bewusstseinsak-
ten setzen, es ist ein und derselbe Bismarck, es ist seine Existenz nicht
vervielfacht durch die Anzahl der Akte. Hält man nur Subjektives
und Objektives gut auseinander, unterscheidet man also subjektive
Vorstellung (sei es eines Gegenstandes im engeren Sinn, sei es eines
Satzes) von' der objektiven Vorstellung, dem objektiven Satze, und
wieder das subjektive Fürwahrhalten oder Alswahrerkennen von der
objektiven Wahrheit, den subjektiv für wahr gehaltenen Sachverhalt,
für existent gehaltenen Gegenstand von dem objektiv wahren Sach-
verhalt, von dem objektiv existierenden Gegenstand, dann werden
alle Verhältnisse vollkommen klar, und die Übertragung der Termini
Wahr und Falsch vom Objektiven auf das Subjektive wirken nicht
mehr verwirrend.
Ich sagte am Schluss der letzten Vorlesung, dass der Terminus Exis-
tenz vorzugsweise auf Gegenstände im engeren Sinn, der Terminus
Wahrheit hauptsächlich auf Sachverhalte Anwendung findet, evtl. auf
die ihnen entsprechenden Vorstellungen, also auf Sätze. Aber es ist
nicht ein Unterschied im Wesen, sondern nur in den Gegenständen
der bezüglichen Wahrheiten. Es verhält sich auch im parallelen Ge-
biet der subjektiven Akte natürlich entsprechend. Der Habitus des
Urteilens ist ein anderer als der Habitus des Vorstellens. Aber dieser
Habitus des Fürwahrhaltens ist derselbe, ob wir es mit Gegenständen
im engeren Sinn zu tun haben, wie in der Wahrnehmung eines Tisches
oder Baumes, oder mit Sachverhalten, wie in den Glaubensakten, die
ihren objektiven Gehalt in Sätzen aussprechen.

§ 55. Bedeutung der existentialen Aussage


Die gewonnene Einsicht kann uns nun dazu dienen, den logischen
Gehalt der Existentialsätze zu begreifen und im Zusammenhang da-
mit wichtige logische Streitfragen klar zu entscheiden.
VON DEN SÄTZEN 223

Die Meinung einer existentialen Aussage ist jedenfalls die Exis-


tenz eines gewissen Gegenstandes. Aussagen dienenin der Regel als
Ausdrücke von wirklichen oder vermeintlichen Wahrheiten. Wer über
einen Gegenstand in gewisser Weise urteilt, hält etwas für wahr resp.
für falsch, und das stellt er nun objektiv hin als eine Wahrheit. Die
Aussage prätendiert also, einer Wahrheit Ausdruck zu geben. Doch
dienen eben dieselben Aussageformen oft auch als Ausdrücke von
bloßen Sätzen, so, wenn sie als Bestandteile von Namen auftreten,
während nicht behauptet wird, dass dem Genannten irgendetwas
entspricht. Oder auch im hypothetischen Urteil, wo Vordersatz und
Nachsatz in Aussagen auftreten, die ganz so geformt sein können wie
andere, die wirklichen Urteilen Ausdruck geben.!
Nehmen wir nun zunächst die existentialen Aussagen als Aus-
drücke von Wahrheiten, dann ist klar, dass sie dann die Existenz
eines Gegenstandes hinstellen. Dies ist in doppelter Weise möglich:
entweder in der, dass von dem Gegenstand Existienz prädiziert ist,
oder, dass dies nicht der Fall ist. Es besteht hier notwendig eben der
Unterschied, den wir bei wahren Sätzen, also bei Wahrheiten, deren
Gegenstände Sachverhalte sind, vorfinden.
Sage ich: ,,2 x 2 ist 4", so gebe ich damit einer Wahrheit Ausdruck,
aber ich prädiziere nicht Wahrheit. Das tue ich, wenn ich sage: "Dass
2 x 24 ist, ist eine Wahrheit. " Ebenso kann bei Gegenständen im enge-
ren Sinn Existenz bestehen und gemeint sein, ohne dass die Existenz
prädiziert würde. Ich erinnere Sie hier an die Fälle der Wahrnehmung.
Es ist ein Unterschied, ob wir einen Baum bloß vorstellen oder an
seine Existenz glauben und sie etwa in der Wahrnehmung unmittel-
bar erfassen. In unzähligen Fällen besteht solch ein Für-wahr-Halten,
spezieller gesprochen: ein Für-existent-Halten, ohne Prädikation. Al-
lerdings tritt dies in der Regel nur ein, wo das Existierende in irgend-
welche Wahrheiten als Bestandteil eintritt. Sagen wir: "Der Kaiser
Wilhelm besuchte den Prinzen Heinrich", so liegt im Ausdruck "der
Kaiser" schon die Existenz des Genannten; ebenso im Ausdruck "den
Prinzen Heinrich". Wer nicht an die Existenz glaubt, kann sich nicht
so ausdrücken. Und doch wird man nicht behaupten können, dass
hier zwei Prädikationen von Existenz vorliegen in dem Sinn, dass
den bloß vorgestellten Gegenständen "Kaiser Wilhelm" und "Prinz

! Gestrichen Und wir wissen ja, dass jedem vorgestellten Gegenstand eine Existenz, jeder
Vorstellung eine Wahrheit entspricht von demselben Vorstellungsgehalt.
224 LOGIK

Heinrich" die Existenz als Prädikat beigelegt würde in besonderen


Sätzen. Wir haben in unserem Beispiel nicht drei Sätze, sondern einen,
aber allerdings drei Wahrheiten in inniger Verwebung, eine Dreieinig-
keit der Wahrheit sozusagen. Und so mag es nun sein, dass auch der
Existentialsatz, obschon er grammatisch die Form einer Prädikation
hat, doch nur diese schlichte Existenz ohne Prädikation meint. Zumal
wenn wir sagen: "Es ist kalt", "Es brennt", "Es regnet"; da wird
wohl diese einfache Existenzbehauptung ohne Existenzprädikation
gemeint sein. In unzähligen Fällen wieder mag die Prädikation der
Existenz gerade das Gemeinte sein. Der Sinn des Satzes" S existiert"
ist dann: Dem vorgestellten Gegenstand S entspricht ein wirklicher
Gegenstand. Was prädiziert wird, ist, dass dem vorgestellten S zu-
kommt, der Gegenstand einer ihn als existent stempelnden Wahrheit
zu sein, Z.B. "Der Schnittpunkt der Diagonalen eines Parallelogramms
existiert", d.h. ein solcher Schnittpunkt ist ein wahrer, nicht bloß ein
vorgestellter. Der Vorstellung desselben entspricht eine Wahrheit.
All das sind natürlich Umschreibungen, denn die angeführten Be-
griffe vorgestellter Gegenstand, Zugrundeliegen u.dgl. sollen hier
nur dazu dienen, auf Momente der Sache hinzuweisen, während sie
selbst nicht Bestandteil der Existentialvorstellung sind. Die Richtig-
keit unserer Auffassung zeigt sich, wenn wir die analogen Fälle bei
Sätzen bzw. Sachverhalten betrachten. "Der Satz ,2 x 2 ist 4' ist eine
Wahrheit" oder "Dass 2 x 2 4 ist, ist wahr", das heißt, dieser Sach-
verhalt ist nicht ein bloß vorgestellter, sondern eben ein wahrer Satz.
Wodurch unterscheidet sich ein wahrer Sachverhalt von einem bloß
vorgestellten? Der Wahrheit" 2 x 2 ist 4" wohnt der Satzgedanke, dass
2 x 2 4 ist, ein, es ist dasselbe beiderseits gedacht, aber das eine Mal
eben in der Weise einer Vorstellung, das andere Mal in der Weise einer
Wahrheit. Indem nun der Gegenstand in Reflexion auf die Wahrheits-
form betrachtet (wird) und diese Beziehung zur Form der Wahrheit
im Unterschied von der bloßen Vorstellung (das) Fundament bildet
für eine Prädikation, gewinnen wir den Satz "Dass 2 x 2 4 ist, ist
wahr". Und wie dieser Satz äquivalent ist mit der schlichten Wahrheit
,,2 x 2 ist 4", so ist eine Prädikation von Existenz äquivalent mit einer
schlichten Existenzsetzung. Weiß ich, dass Kaiser Wilhelm existiert,
dann kann ich sagen: "der Kaiser", kann ihn in Satzbildungen ein-
beziehen, in denen er als wahrer Gegenstand fungiert und nicht bloß
als vorgestellter. Und umgekehrt, wo ich von "dem Kaiser" spreche,
also eine schlichte Existenzsetzung vollziehe und ausdrücke, da kann
VON DEN SÄTZEN 225

ich auch sagen: "Ein Kaiser Wilhelm existiert." Wir sehen zugleich,
dass schlichte Existenzen zwar Wahrheiten sind, aber nicht Satzwahr-
heiten, während dies von den Existenzprädikationen natürlich gilt.
Damit ist die Frage nach dem Sinn der Existentialsätze entschieden.
Wir haben zwar jetzt die Existentialsätze als Aussagen von Wahrheit
angesehen. Aber nehmen wir die Sätze als bloße Sätze, so stellen sie
ja dasselbe vor, was die entsprechenden Wahrheiten als wahr setzen.
Ein Cerberus existiert nicht, aber der Satz "Ein Cerberus existiert"
ist ein Existentialsatz, nur eben ein falscher. Ebenso kann ich, ohne
dass es wirklich brennt, doch den Ausdruck mir verständlich machen
"Es brennt." Und entweder es stellt mir derselbe eine Prädikation
von Existenz vor oder eine einfache Existenzsetzung. Im ersteren Fall
hätte ich einen kategorischen Satz, im letzteren aber gar keinen Satz,
sowenig die andere Ausdrucksweise" der Brand" einen Satz darstellt.
Wir haben bisher die affirmativen Existentialsätze einseitig be-
vorzugt. Wie verhält es sich mit den negativen? Auch bei ihnen
müssen wir, genau besehen, unterscheiden schlichte Existenznega-
tionen und prädikative Existenznegationen. Diese Unterscheidung
entspricht wieder einer analogen bei Sätzen. So, wie der Satz "Es ist
2 x 2 4" oder" 2.X 2 ist 4" Ausdruck einer schlichten Setzung sein kann,
ohne dass man sich den Sachverhalt als Subjekt und Wahrheit als Prä-
dikat denken müsste, so kann der Satz" Es ist nicht 2 x 2 4" Ausdruck
einer schlichten Aufhebung, Verwerfung sein, ohne dass die Meinung
sein müsste: Dass 2 x 24 ist, ist nicht wahr. Aber dort wie hier ist das
gedanklich Unterschiedene äquivalent. Wir müssen danach, durch
die genauere Erwägung der Existentialsätze aufmerksam gemacht,
unsere früheren Analysen dahin ergänzen, dass die Negation eines
Sachverhalts keineswegs immer die Prädizierung der Unwahrheit von
ihm sein muss. Dadurch wird auch manches in der Lehre von den
kategorischen Sätzen durchsichtiger. Der Formel "S ist P" stellten
wir gegenüber "S ist nicht P". Das Letztere kann dann Doppeltes
bedeuten, entweder "Es ist nicht S P" oder "S kommt es zu, dass es
nicht P ist",d.h. "S ist non- P".1 Und im ersteren Fall wäre die einfache
Verwerfung gemeint. Danach würden wir auch wohl daran tun, bei
dem kategorischen Satze zu unterscheiden I) die Materie, d.h. das
kategorische Verhältnis; es besteht zwischen einem Gegenstand und
einer ihm zukommenden Beschaffenheit; 2) das Sein oder Nichtsein

1 VgI. den folgenden Paragraphen.


226 LOGIK

dieses Verhältnisses. Haben wir es mit einem bloßen Satz zu tun,


dann ist Sein oder Nichtsein bloß vorgestellt, wir haben eine bloß
vorgestellte Wahrheit oder Falschheit. Ist die kategorische Aussage
aber für sich und absolut hingestellt, dann meint sie die Wahrheit oder
Falschheit selbst. Dem objektiven Gehalt nach deckt sich jede Beja-
hung mit einer Wahrheit, jede Verneinung mit einer Falschheit. Und
wir müssen Falschheit als etwas ebenso Ursprüngliches ansehen wie
Wahrheit. Nur ist jede Falschheit äquivalent einer gewissen Wahrheit
mit geänderter Materie, und zwar mit einer so geänderten, dass ein
negativer Sachverhalt Bestandteil derselben wird. Die Negation bietet
eben selbst (ein) Fundament für die Bildung von Attributen. Anstatt
"Es ist nicht 2 x 2 4" haben wir dann" Dass 2 x 2 4 ist, ist nicht wahr. "
Anstatt des Satzes" Es ist nicht diese Blume verwelkt" haben wir den
anderen: "Diese Blume ist nicht-verwelkt." Das Wörtchen "ist" im
kategorischen Satz würde dann ausschließlich die Funktion haben, der
Wahrheit, sei es der wirklichen, sei es der bloß vorgestellten, Ausdruck
zu geben. Denn auch Wahrheit kann ein vorgestellter Gegenstand
sein, und so wie die Vorstellung eines Cerberus nicht impliziert, dass es
einen solchen Gegenstand wirklich gibt, so impliziert die Vorstellung
der Wahrheit von ,,2X2 gleich 5" nicht, dass es solch eine Wahrheit
in Wirklichkeit gebe. Richtig ist es, wenn wir früher sagten, das "ist"
drückt das Prädikat ais dem Subjekt zukommend aus, aber nicht dür-
fen wir sagen, es sei Ausdruck der kategorischen Beziehung, sondern
Ausdruck der die kategorische Beziehung betreffenden Affirmation,
also Wahrheit. Dieses Moment müssen wir als ein Eigenes der Materie
gegenüberstellen. Im negativen kategorischen Satz "S ist nicht P" ist
das "nicht", wenn er wirklich negativ ist, zur Kopula zu rechnen,
und das "ist nicht" drückt die Negation der kategorischen Beziehung
aus, während, wenn wir das "nicht" zum Prädikat rechnen, wir eine
affirmative Beziehung haben mit negativem Prädikat.
Im Ganzen wird durch diese Änderungen von unseren früheren
Analysen nicht viel betroffen, es wird nur einiges explicite hervorge-
hoben, was wir in den einzelnen Ausführungen.wiederholt benützt
haben, und nur eine unzulässige Rede wird abgeschafft, die von zwei-
erlei kategorischen Beziehungen. Die Beziehung ist nur eine, aber
sie ist einmal in der Form der Wahrheit und einmal in der Form der
Falschheit gedacht.
Kehren wir nun wieder zu den Existenzialaussagen zurück, so sehen
wir nun deutlich, dass, wenn diese Aussagen Ausdrücke von Sätzen
VON DEN SÄTZEN 227

sind, sie nichts weiter darstellen als kategorische Sätze mit dem Prä-
dikat Existenz. Aber nicht immer sind die Existentialaussagen Aus-
drücke von Sätzen, sondern (sie) sind auch gelegentlich Ausdrücke
von schlichten Setzungen oder Verwerfungen eines Gegenstandes,
und dies trotz ihrer grammatischen Form, die auf Prädikation hin-
weist. Und ganz besonders gilt dies von gewissen impersonalen Aus-
sagen, wie "Es brennt", "Es ist kalt" u.dgl. Logisch sind diese also
nicht als Sätze zu fassen. Indessen sind sie existentialen Sätzen doch
äquivalent.
Unsere Stellung zu den Streitigkeiten in Sachen der existentialen
Aussage können wir mit wenigen Worten so fixieren: Alle Interpre-
tationen sind falsch, und doch steht unsere Auffassung der brentano-
sehen außerordentlich nah. Sie bildet sozusagen nur die Übertragung
der brentanoschen Interpretation aus dem subjektiv psychologischen
Gebiet in das objektiv logische.
Auch in der Auffassung der Eindeutigkeit der Kopula "ist" stim-
men wir nach den letzten Erörterungen mit Brentano im Wesentli-
chen überein. Unter allen Umständen ist das Wörtchen ("ist") in der
kategorischen Aussage Ausdruck der Bejahung oder in Verbindung
mit der Partikel "nicht" Ausdruck einer Verneinung; ebenso in der
schlichten Existentialaussage; Aber, so müssen wir hinzufügen, in der
prädikativen Existentialaussage ist mit der einfachen Bejahung auch
ein Prädikat ausgedrückt, nämlich das Prädikat der Existenz, was aber
nur eine äquivalente Änderung darstellt. So z.B. wenn wir" Gott ist"
in dem Sinn verstehen" Gott hat Existenz".

§ 56. Die Existenz des Subjekts im kategorischen Satz


Nach Erledigung dieser schwierigen Elementaranalysen können
wir mit weniger Worten auch die neuerdings wieder viel verhandelte
Streitfrage erörtern, ob in den kategorischen Sätzen die Existenz des
Subjekts, sei es explicite oder implicite, mitgesetzt sei. Brentano lehrt,
dass in grammatischen Sätzen der Form "S ist P", falls sie wirklich
kategorisch sind, also irgendein P von einem Gegenstand S bejahen,
Doppelurteile ausgedrückt seien: Bei den universellen Sätzen hatten
wir scheinbar dieselbe Streitfrage. Aber obschon die Logiker die For-
mel "S ist P" in der Regel so verstehen, dass sie auch die Formel" Alle

• Vgl. Marty, "Subjektlose Sätze VI",S. 63ft.


228 LOGIK

S sind P" in sich fassen soll, und obschon sie in Konsequenz davon
in der letzteren Formel Sund P als Subjekt und Prädikat bezeichnen,
so haben wir doch gesehen, dass diese Auffassung falsch ist und dass,
wenn die universelle Aussage überhaupt als kategorische verstanden
wird, sie ein ganz anderes Subjekt und Prädikat besitzt, als das Sund
P andeutet. Wir halten uns nun an die reine und in ihrer Reinheit
allgemeinste Formel des kategorischen Satzes, und so können wir
nicht, was sich bei den universellen Sätzen ergeben hat, hier einfach
übertragen. Herbart hatte gerade in Hinblick auf diese Sätze behaup-
tet, dass kein kategorischer Satz die Existenz des Subjekts impliziere:
und sehr viele haben ihm darin beigestimmt. Indessen, wenn wir
sagen: "Sokrates ist ein Philosoph", so liegt sicher nicht darin, was
nach Herbart hineininterpretiert werden müsste: "Sokrates, wenn er
existiert, ist ein Philosoph." Gilt, dass Sokrates ein Philosoph ist, so
gilt auch, dass es einen Philosophen Sokrates gibt, dass es also einen
SOkrates gibt und einen Philosophen gibt. Und dasselbe gilt ohne
Zweifel bei jedem kategorischen Satz in Ansehung seines wahren
Subjekts bzw. Prädikats.
Auch Sätze der Art wie "Cerberus ist der Höllenhund" machen
davon keine Ausnahme. Wer diesen Satz hinstellt, versetzt sich in die
mythische Anschauung der Griechen, und sicher existiert in der grie-
chischen Mythologie ein Cerberus. Wer aber von Mythologie nichts
weiß, der wird sicher den Satz so verstehen, dass es einen wirklichen
Hund Cerberus gebe.
Die Frage ist nun, ob das Subjekt des Satzes "Sokrates ist ein Phi-
losoph" der als existierend gesetzte Sokrates ist oder der bloß vorge-
stellte; m.a.W. die Frage ist, ob in der Setzung des ganzen Sachverhalts
explicite auch die Setzung des Subjektgegenstandes gegeben sei. Wer
die Aussage absolut hinstellt und einer Wahrheit Ausdruck geben
will, der würde hier eine zusammengesetzte Wahrheit ausdrücken:
"Sokrates ist, und er ist ein Philosoph" (wovon die letztere in einer
eigentümlichen Weise mit der ersteren verwoben ist, in ihr gründet).
Dass solche Verwebungen mitunter gemeint sind, davon überzeugen
uns Beispiele der Art wie "Der Kaiser ist verreist". Wer so spricht,
glaubt schon an die Existenz eines gewissen Kaisers, und auf den
existierenden Kaiser bezieht sich die Prädikation. Indessen ist es doch
fraglich, ob sich das notwendig so verhalten muss. Wenn wir hören" Es

• Vgl. Bolzano, Wissenschafts/ehre, Bd. 11, S. 403f.


VON DEN SÄTZEN 229

ist ein Mann da gewesen", so liegt hier doch eine einfache Anerken-
nung des prädikativen Sachverhalts vor, ohne dass darin explizit die
Anerkennung der Existenz eines Mannes ausgesprochen wäre. (Und
es ist nicht abzusehen, warum der Satz "Ein Mann ist da gewesen"
nicht ebenso verstanden werden darf.) Natürlich gilt auch hier, dass,
wenn nicht ein Mann existierte, er nicht da gewesen sein könnte. Aber
diese Existenz brauchen wir nicht im Einzelnen festzustellen, denn
ist die ganze prädikative Beziehung wahr, so muss auch ihr Subjekt
existieren. Glaube ich dem, der sagt: "Ein Mann ist da gewesen",
so folgt daraus, dass ein Mann existiert und dass ein Dagewesenes
existiert, aber es braucht nicht explizit darin gesagt zu sein.
Indessen sind diese Differenzen praktisch darum nicht von Bedeu-
tung, weil die entgegenstehenden Auffassungen äquivalente Sätze
betreffen. Zugeben muss man, dass die gewöhnliche Funktion der
gegliederten Aussageform "S ist P" darin besteht, von einem bereits
als existierend hingestellten S als Neues das P-Sein auszusagen. Aber
dieser Verwebung von Wahrheiten entspricht äquivalent eine einfache
Wahrheit mit der komponierten Materie SP.l Da ferner das Subjekt,
wenn überhaupt, so in einer einfachen Existenzsetzung gegeben wäre,
so bliebe der kategorische Satz immer ein einfacher. Ein einfacher
Satz, aber eine zusammengesetzte Wahrheit, das widerspricht sich
nicht.

§ 57. Existentialsatz und kategorischer


Satz als Typen einfacher Satzformen
Nachdem wir die wichtigsten einfachen Aussageformen durch-
(ge)gangen sind, können wir an die Erwägung der Frage (her)an-
treten, ob die kategorische Form die einzige elementare ist. Nach der
traditionellen Logik sollen sei es alle Urteile oder mindest die einfa-
chen Urteile die kategorische Form haben. Es gebe also nur einen
prädikativen Urteilstypus, und alle Unterschiede müssten, wenn wir
von dem der Bejahung und Verneinung absehen, Unterschiede der S
und P betreffen, also Unterschiede der kategorischen Materie sein.
Urteile sind Akte der Fürwahrhaltung. Wer ein Urteil ausspricht,
will aber nicht seinem subjektiven Erlebnis Ausdruck geben, sondern
einer objektiven Wahrheit. Sagen wir: "Es ist kalt", so beruht diese

1 Also doch zwei Satzformen: I) Es ist SP. 2) S ist P = Es ist S P.


230 LOGIK

Aussage natürlich auf unserem subjektiven Erlebnis, unserer Kälte-


empfindung. Aber wir sagen nicht: "Ich fühle eine Kälteempfindung ",
sondern: "Es ist kalt." Und selbst wenn wir das Erstere sagen, so
stellen wir doch wenigstens das Sein dieses subjektiven Empfindens
als eine objektive Tatsache hin, sonst müssten wir ja wieder sagen: " Ich
urteile, dass ich eine Kälteempfindung fühle", und so in infinitum.
Stellen wir also, wie es sich gehört, die Frage objektiv, so muss sie
lauten: Sind alle Wahrheiten und entsprechend alle Falschheiten von
kategorischer Form?
In jeder Wahrheit unterscheiden wir die Qualität, die Bejahung,
von dem, was bejaht, was als wahr gesetzt ist. Dieses Letztere ist die
Materie. Die Frage geht also darauf, ob als Materie jeder Wahrheit
notwendig eine kategorische Beziehung dienen müsse oder ob dies
wenigstens für jede einfache Wahrheit gelten müsse. Die Antwort lau-
tet Nein. Sie ist das Ergebnis unserer Analysen über Existentialsätze.
Es gibt neben kategorischen Materien auch nichtkategorische. Jeder
Gegenstand, das Wort im weitesten Sinn genommen, kann als Materie
einer schlichten Existenzsetzung dienen, und darin ist dann nicht der
Begriff Existenz das Prädikat. Es gibt also nicht bloß kategorische
Wahrheiten. Allerdings kann aber zu jeder Wahrheit eine äquiva-
lente kategorische aufgestellt werden, indem man eben das Prädikat
" existiert", "ist wahr" einführt.
Die fundamentale Unterscheidung zwischen Gegenständen im en-
geren Sinn und Sachverhalten in Betracht ziehend, können wir be-
haupten, dass alle einfachen Sachverhalte kategorische Gliederung
haben. Fassen wir also den Wahrheitsbegriff so eng wie den Begriffdes
Satzes, so wäre zu sagen, dass jede Wahrheit, wenn sie einfach ist, eine
kategorische sein muss. Aber es geht nicht an, den Wahrheitsbegriff
so sehr zu beschränken, es bliebe die große Klasse von schlichten
Existenzsetzungen ausgeschlossen, die logisch denselben Wahrheits-
charakter haben, nur eine andere Materie. Jedenfalls spielt in der
Theorie der Schlüsse der Unterschied eine große Rolle, ob eine Wahr-
heit die Existenz eines Gegenstandes setzt bzw. die Nichtexistenz
oder ob sie den Bestand oder den Nichtbestand eines Sachverhalts
setzt. Existentialsätze und kategorische Sätze haben eine wesentlich
verschiedene Funktion, und darum sind sie als fundamentale Klassen
von Sätzen zu unterscheiden. Genauer müssten wir eigentlich sagen:
existentiale Wahrheiten und kategorische Wahrheiten, und entspre-
chend: existentiale Vorstellungen und kategorische Vorstellungen.
VON DEN SÄTZEN 23 1

Die eine Gruppe wird gebildet durch scWichte Existentialsetzungen


oder Existenzprädikationen, was ja beides äquivalent ist. Eben wegen
der Äquivalenz können wir einfacher von Existentialsätzen sprechen,
beiderlei Vorstellungen damit umfassend. Es sind Sätze oder ihnen
äquivalente Vorstellungen, welche die Existenz eines Gegenstandes
im engeren Sinn vorstellen. Ihnen gegenüber stehen kategorische
Vorstellungen, welche Sachverhalte als seiend oder nichtseiend vor-
stellen. Und die letztere Klasse ist auf die andere zwar äquivalent
reduktibel: anstatt "Sokrates ist ein Philosoph" = "Sokrates, welcher
ein Philosoph ist, existiert"; aber der Gedanke ist hier wesentlich
geändert, und die Änderung nützt auch nichts, weil die ScWüsse mit
kategorischen Prämissen eben auf der kategorischen Gliederung der
Materie beruhen.
Was die zusammengesetzten Sätze und Wahrheiten anbelangt, so
bauen sie sich aus einfachen Sätzen und Wahrheiten der einen und
anderen Klasse auf, wobei das Ganze selbst nicht in eine dieser Klas-
sen zu gehören braucht. Nur durch äquivalente Umformung können
wir einen zusammengesetzten Satz in jedem Fall durch einen an-
deren ersetzen, der existentialen oder kategorischen Gehalt besitzt.
Aber diese Umformungen machen die theoretische Unterscheidung
und Berücksichtigung der verschiedenen Kompositionsformen kei-
neswegs überflüssig.
Der hypothetische Satz"Wenn A gilt, gilt B" kann äquivalent
ersetzt werden durch den anderen, die Gültigkeit von A würde die
Gültigkeit von B zur Folge haben. Aber nun ist der Gedanke der
hypothetischen Verknüpfung ins Subjekt und Prädikat hineingetra-
gen. Er muss schon gegeben sein, damit wir solch eine Umformung
vornehmen können. Und jedenfalls für theoretische Zusammenhänge
zwischen Sätzen ist damit nichts Wesentliches gewonnen oder gar er-
spart. Jede neue Verknüpfungsart begründet gewisse Schlussformen,
und man erspart die Aufstellung dieser nicht, wenn man so tut, als
hätte man nur kategorische Sätze mit besonderer Materie.
III. LEHRE VON DEN SCHLÜSSEN

§ 58. Kausale Sätze


Als Überleitung zu der Lehre von den Schlüssen nehme ich eine
Klasse zusammengesetzter Wahrheiten und Sätze, deren ich bisher
noch nicht Erwähnung getan habe. Ich meine die kausalen, die wir
in der allgemeinen Form aussprechen können: "Weil A ist, ist B."
Wir haben schon wiederholt Fälle kennen gelernt, wo Wahrheiten,
sei es wirkliche, sei es vorgestellte, in die Materien von Sätzen bzw.
anderen Wahrheiten eintreten. So verhält es sich bei den gewöhnli-
chen kategorischen Sätzen, in denen von dem voraus als existierend
gesetzten Subjekt ein Prädikat bejaht oder verneint ist; ebenso in den
universellen Sätzen" Alle A sind B ", deren normale Bedeutung darin
liegt, dass unter den A keines ist, das nicht B wäre. "Unter den A ",
das heißt, es gibt A. Und diese Wahrheit gehört hier mit zur Materie
der universellen Wahrheit.
Ähnlich verhält es sich auch bei den kausalen Sätzen. In der Formel
"Weil A, so B" liegt, dass A ist, dass B ist; aber nicht dies allein,
sondern eben, dass, weil das A wahr ist, auch das B wahr ist. Dabei
brauche ich natürlich nicht zu sagen, dass nicht die Prädikationen der
Wahrheit Vorder- und Nachsatz des kausalen Satzes bilden müssen.
Die kausale Wahrheit hat eine große Verwandtschaft mit der hypo-
thetischen bzw. der kausale Satz mit dem hypothetischen Satz. Ja die
meisten Logiker scheinen den kausalen Satz zu interpretieren als den
entsprechenden hypothetischen, bloß verknüpft mit einem weiteren
Satz; nämlich sie scheinen zu glauben, der Satz" Weil A ist, ist B" sei
identisch mit der Kombination der beiden Sätze"Wenn A ist, ist B"
und "A ist". "Weil Gott gerecht ist, so werden die Bösen bestraft"
= "Gott ist gerecht, und wenn Gott ... " Indessen muss man wohl
auseinander halten Äquivalenz und Identität. Es ist ja klar, dass im
kausalen Satz genau ebenso wie das Sein des A auch das Sein des B
enthalten ist. So dass wir dann drei Sätze nehmen müssten: "Gott ist
gerecht", "Die Bösen werden bestraft", " Und wenn '" " Aber auch
diese drei Sätze machen nicht die Identität mit dem kausalen Satze
LEHRE VON DEN SCHLÜSSEN 233
voll. Denn das ist doch klar, dass, wer diese drei Sätze zusammen für
wahr hält, darum noch nicht urteilen muss, dass, weil Gott gerecht ...
Es wird, was ich meine, vielleicht deutlicher, wenn ich es so ausdrücke:
Wer kausal urteilt, der will sagen, die Wahrheit, dass die Bösen bestraft
werden, habe ihren Grund in der Wahrheit, dass Gott gerecht sei; bzw.
umgekehrt, die letztere Wahrheit begründe die erstere. Eben diesen
Gedanken hat aber nicht der ausgesprochen, der bloß sagt, beide Sätze
seien Wahrheiten, und wenn der eine gültig sei, sei es auch der andere.
Es wäre denkbar, dass der Urteilende hier die Kombination der drei
Sätze für wahr halte und an das kausale Verhältnis gar nicht dächte
oder dass es ihn gar nicht interessierte, er es also auch nicht meinte.
Aber freilich besteht Äquivalenz, und nicht erst zwischen den drei
Sätzen und dem kausalen, sondern es genügen zwei Sätze, nämlich
"A gilt" und "Wenn A gilt, gilt B". Jedesmal wenn wir zwei Sätze
dieser Form finden, können wir schließen, es sei, weil A, so auch B;
und umgekehrt, wenn dies gilt, gelten auch die beiden Sätze. Und es
ist klar, dass, indem wir diese Zusammenhänge feststellen, wir selbst
wieder zwei kausale Wahrheiten aussprechen.
Diese Sachlage hat ihr genaues Analogon an den universellen Sät-
zen der Form" Alle A sind B " ="Unter den A gibt es kein (Nicht-)B ",
wo wir in dem Satzpaar "Es gibt A" und "Es gibt kein A, das nicht
Bist" ein Äquivalent haben, aber doch nicht ein dem· Gedanken
nach identisches Satzpaar. Die innere Beziehung, wonach die eine
Wahrheit Fundament für eine andere ist, ist verloren gegangen.
Wir halten nach dieser Analyse die kausalen Sätze als eine eigene
Satzklasse fest. Es liegt mit ihnen eine ganz eigentümliche Verwe-
bungsform von wirklichen oder vorgestellten Wahrheiten vor, und
eben diejenige, welche den objektiven Gehalt aller Schlüsse konstitu-
iert.

(§) 59. Begriffdes Schlusses


Die Logiker, wenn sie die Lehre von den Schlüssen beginnen, erklä-
ren, wie wir nicht anders erwarten werden, den Begriff des Schlusses
ganz subjektivistisch. Sie sagen: Wenn wir schließen, dass, weil alle
Menschen sterblich sind und Cajus ein Mensch ist, Cajus auch sterb-
lich ist: Was liegt da vor? Nun, die Ableitung eines Urteils aus gewissen
gegebenen Urteilen, also eine eigentümliche Entstehungsart von Ur-
teilen, vermöge deren das so genannte erschlossene Urteil zustande
234 LOGIK

kommt, indem ein Fürwahrhalten der so genannten Prämissensätze


vorangegangen und in unserem Bewusstsein noch lebendig ist. Oder
man sagt: Im Hinblick auf wirkliche oder vermeintliche Wahrheit
der Prämissensätze kommt die Überzeugung von der Wahrheit der
conclusio zustande; ein eigentümlich komplexer Bewusstseinszustand
liegt vor, der diese Urteile in eins setzt und das erschlossene Urteil
in eigentümlicher Weise charakterisiert. Indessen ist es doch unver-
kennbar, dass, wer sagt, dass aus den Wahrheiten A die Wahrheit B
folgt, nicht etwas über seine eigenen Bewusstseinsvorgänge aussagen
will, sondern über ein objektives Verhältnis dieser Wahrheiten, und
dieses objektive Verhältnis ist offenbar nichts anderes als die kausale
Wahrheit" Weil A gilt, gilt B". Hat der Urteilende richtig geurteilt,
dann ist dies eine wirkliche Wahrheit; wenn nicht, so stellt er es als
Wahrheit hin, er prätendiert, eine Wahrheit auszusprechen, obschon
es nicht Wahrheit ist. Aber jedenfalls ist die Meinung nicht die: "Ich
habe den und den Bewusstseinsvorgang in mir", sondern es ist eine
objektive Wahrheit, dass, weil alle Menschen sterblich sind und Cajus
ein Mensch ist, er auch sterblich ist. Der kausale Satz spricht nicht von
urteilenden Wesen und deren Akten, sondern von einer gewissen Be-
ziehung der angeblichen Wahrheiten "Alle Menschen sind sterblich.
Cajus ist ein Mensch" auf der einen Seite und "Cajus ist sterblich"
auf der anderen Seite.
Wie jeder Schluss, das Wort objektiv verstanden, nichts weiter ist
wie ein kausaler Satz, so kann umgekehrt auch jeder kausale Satz in
gewisser Weise als Schluss bezeichnet werden; doch nur dann, wenn
der Terminus Schluss in seinem weitesten Sinn genommen wird. Im
Allgemeinen gebrauchen wir den Terminus in einem viel engeren
Sinn. In gewisser Weise können wir sagen, im Satz" Weil Gott gerecht
ist, werden die Bösen bestraft" wird von der Gerechtigkeit Gottes
auf die Bestrafung der Bösen geschlossen. Und wer den Satz leugnet,
kann sich auch in der Form ausdrücken: Diesen Schluss kann ich
nicht einsehen, nicht zugeben. Andererseits merken Sie doch den
Unterschied dieses Beispiels von dem Cajus-Beispiel, wo in einem
engeren Sinn von einem Schluss die Rede ist. Vergleichen Sie noch
" Cajus ist ein Mensch, also ist er sterblich" und "Alle Menschen sind
sterblich, Cajus ... ". Der erstere Satz hängt mit dem vollen Schluss
eng zusammen, aber er selbst ist nicht ein kompletter Schluss, obschon
ein kompletter Kausalsatz. Wir werden auf diesen Unterschied noch
zu sprechen kommen.
LEHRE VON DEN SCHLÜSSEN 235
Vorläufig wollen wir uns erlauben, den Begriff des Schlusses mög-
lichst weit zu fassen, um durch den Zwang der Sache selbst zu einer
Einschränkung gezwungen zu werden. Wir identifizieren also vorläu-
fig Schluss und Kausalsatz.
Überlegen wir uns nun, was mit einer Theorie der Schlüsse gemeint
sein kann und worauf eine solche ihrer Möglichkeit nach beruht. Die
Gesamtheit aller Schlüsse ist eine abgeschlossene Mannigfaltigkeit
von Wahrheiten, aber eine unendliche. Es ist unmöglich, alle Schlüsse,
also alle einzelnen kausalen Wahrheiten aufzuzählen und in einer
Logik hinzustellen. Und sie würden auch nicht in die Logik hinein-
gehören. Die einzelnen kausalen Urteile gehören in die einzelnen
Wissenschaftsgebiete hinein. In die Logik kann offenbar nur hinein-
gehören die Gesetzmäßigkeit, welche die kausalen Urteile beherrscht,
unabhängig von der Besonderheit des Gebietes, falls es hier so etwas
wie Gesetzmäßigkeit gibt. Wie sind nun Gesetze der Schlüsse zu
verstehen, und wie sind sie möglich? Ich habe einiges darüber schon
in der Einleitung angedeutet. Wäre jeder Schluss in Bezug auf jeden
anderen isoliert, gäbe es (keine) allgemeinen Beschaffenheiten der
Schlüsse, an welchen sie apriori als gültig erkennbar wären, dann hätte
auch das Reden von Schlussgesetzen keinen Sinn. Beschaffenheiten
der Schlüsse können nur bestehen in der Form der Sätze, die in ihnen
als Prämissen oder Schlusssatz auftreten. Allen Schlüssen gemein ist
diese selbe Weise der Verknüpfung von Wahrheiten mit Wahrhei-
ten. Also nicht in der kausalen Verknüpfungsform, sondern nur in
der Form der verknüpften Wahrheiten kann also eine Sonderung in
Schlussklassen begründet sein. Und soll die Form zugleich für ein
Schlussgesetz bestimmend sein, dann muss gelten, dass jeder Schluss,
der Prämissen einer gewissen Form F 1 mit einem Schlusssatz einer
zugehörigen Form F 2 verknüpft, ein wahrer ist. Jedes Schlussgesetz
müsste sich in dieser Weise aussprechen lassen, nur würde der Begriff
F 1 und F 2 von Gesetz zu Gesetz wechseln.
In der bloßen Vorstellung können wir natürlich beliebige Gruppen
von Sätzen zusammennehmen und in willkürlicher Weise zur Bildung
von Kausalsätzen verbinden, indem wir irgendwelche Sätze als Prä-
missen nehmen und irgendwelche zu Konklusionen. 1
1 Gestrichen Aber im Allgemeinen erlangen wir dadurch keine kausalen Wahrheiten. Auch
wenn wir uns einen Bereich von gegebenen Wahrheiten nehmen und in willkürlicher Weise
aus ihnen Kausalsätze bilden, so werden diese nicht kausale Wahrheiten sein. Es wird sich
also fragen: Gibt es allgemeine Formeigenschaften der kausalen Wahrheiten, woran sie als
LOGIK

(§ 59a.) Schlussgesetz als Gesetz


hypothetischer Wahrheiten, nicht kausaler
Wir haben in der letzten Vorlesung eine Überlegung angestellt, um
Klarheit darüber zu gewinnen, was denn, wenn wir unter Schlüssen
kausale Wahrheiten verstehen, unter Schlussgesetzen gemeint sein
könnte. Wir sagten: Gibt es allgemeine Beschaffenheiten von Schlüs-
sen, an denen sie apriori als wirklich geltende Schlüsse erkannt wer-
den können, dann muss objektiv eine allgemeine Wahrheit Bestand
haben des Gehalts, dass jeder Schluss, der durch diese Beschaffenheit
ausgezeichnet ist, wahr sei. Soll diese Wahrheit dann den Charakter
eines Gesetzes haben, dann können die fraglichen Beschaffenheiten
der Schlüsse nur in Form oder Gehalt der Wahrheiten entspringen,
die in der Weise des Schlusses, also kausal miteinander verknüpft
sind als Prämissen- und Schlusswahrheiten. Da allen Schlüssen als
solchen diese kausale Verknüpfungsform (gemeinsam) ist, so kann ja
das sie Unterscheidende nur in den verbindenden Gliedern liegen,
und somit auch das Allgemeine, was ein Schlussgesetz begründet.
Und soll wirklich ein Schlussgesetz begründet sein, dann können nur
innere Beschaffenheiten der Prämissen und Schlusswahrheiten und

Wahrheiten sofort zu erkennen sind? Ist jede kausale Wahrheit gegebener Materie Besonderheit
eines allgerneinen Gesetzes, welches sagt: Allgemein begründen solche Prämissen einen solchen
Schlusssatz; und woran wir unmittelbar schließen: Also gilt es auch für diesen Fall, für diese
ganz spezielle Materie?
Wir können die Sache aber etwas vereinfachen. Jeder kausalen Wahrheit entspricht, wie wir
wissen, eine hypothetische. Und offenbar müssen auch die Gesetzmäßigkeiten der einen und
anderen Klassen von Wahrheiten einander genau entsprechen. Jeder kausale Satz ist äquivalent
einem hypothetischen in Konjunktion mit einem weiteren Satz, welcher die Wahrheit der
Hypothesis annimmt. Ist uns also der hypothetische Satz gegeben, so wissen wir, dass, wenn
seine Hypothesis wahr ist, auch der Schluss von der Hypothesis auf die Thesis gUltig wäre. Und
Analoges gilt von den Gesetzen.
Wir können uns also zunächst auf die Bestimmung der Gesetze beschränken, welche hy-
pothetische Zusammenhänge zwischen Sätzen betreffen. Und wenn es überhaupt allgemeine
Gesetze dieser Art gibt, so müssen Klassen von Fällen nachweisbar sein, wo eine hypothetische
Wahrheit unabhängig von der Besonderheit ihrer Materie gültig ist, m.a.w.: wo in einer hypothe-
tischen Wahrheit irgendwelche Vorstellungen, evtl. Gesetze willkürlich varüert werden können,
ohne dass die Wahrheit aufhörte zu bestehen. Dass es sich wirklich so verhält, erkennen wir an
Beispielen. Dem Schluss" Weil alle Menschen sterblich sind ... " entspricht der hypothetische
Satz" Wenn alle Menschen ... ".
Wir erkennen sofort, dass die Materie mehrere unbeschränkt Variable enthält. Für die
Vorstellungen Mensch, Sterblich, Cajus können wir setzen welche auch immer, immer resultiert
eine hypothetische Wahrheit. Es gilt eben das allgemeine Gesetz: "Wenn alle A B sind und S
ist A, so ist auch SB", gleichgültig was S, A, B bedeuten mögen.
LEHRE VON DEN SCHLÜSSEN 237
Relationen, die in diesen inneren Beschaffenheiten ausschließlich
gründen, in Betracht kommen, also, wenn wir von dem allgemeinen
Moment der Wahrheit selbst absehen, innere Beschaffenheiten und
innere Relationen der entsprechenden Sätze.
Jedes Schlussgesetz müsste also die Form haben: Allgemein gilt,
dass ein Kausalsatz" Weil A ist, ist B" eine Wahrheit ist, wenn in ihm
A die inneren Beschaffenheiten F I und B die korrespondierenden
inneren Beschaffenheiten F 2 besitzt oder wenn zwischen ihnen eine
gewisse durch diese inneren Beschaffenheiten begründete Relation
F(AB) besteht.
Dazu ist aber mehreres zu bemerken. Jedenfalls gilt folgendes Ge-
setz: Allgemein ist jeder Kausalsatz" Weil A ist, ist B" eine Wahrheit,
in Bezug auf welchen gilt, dass A eine Wahrheit ist und zugleich der
hypothetische Satz"Wenn A ist, ist B" eine Wahrheit ist; wie auch
umgekehrt jedem Paar Wahrheiten der letzteren Form ein entspre-
chender Kausalsatz zugehört.
Subjektiv gesprochen geht also vor: Wissen wir, dass A gilt und
dass, wenn A, so B ist, dann wissen wir auch, dass wir von A auf B
schließen dürfen. In praktischer Beziehung hätten nun offenbar nur
solche Schlussgesetze für uns einen Wert, die nicht auf die Wahrheit
des B rekurrieren. Denn wir wollen ja erst mittels des Schlussgesetzes
von A auf B schließen. Es kommt uns darauf an, nachdem wir schon
das A als wahr erkannt haben, einen Begründungsweg zu finden,
der uns zu B hinleitet. Und so ist, was wir in praktischem Interesse
anstreben, ausschließlich die Auffindung solcher Gesetze, vermöge
deren die Wahrheit jener ergänzender hypothetischer Sätze gesichert
erscheint. Worauf es uns also zu Erkenntniszwecken allein ankommt,
das sind BegrÜDdungsgesetze folgender Form: Allgemein gilt, dass ein
hypothetischer Satz" Wenn A gilt, gilt B" eine Wahrheit ist, wenn A
und B die und die Beschaffenheiten haben, sei es für sich, sei es in
Relation zueinander. Ein solches Gesetz verbürgt uns im gegebenen
Fall zunächst die Richtigkeit des die hic et nunc gegebenen A und B
betreffenden Satzes" WennA, so B ". Und wissen wir nun schon, dass
A gilt, dann haben wir alles erreicht, wir wissen auch, dass nun B gilt.
Wissen wir aber Ersteres noch nicht, dann ist es unsere Aufgabe, auch
noch die Gültigkeit des A zu beweisen.
Aber muss sich denn jeder Beweis in diesem Doppelschritte vollzie-
hen? Gibt es nicht Gesetze, die mit einem Schlage die Gültigkeit eines
Kausalsatzes" Weil A, so B" erkennen lassen, ohne dass wir einzeln
LOGIK

auf die Wahrheit von A und auf die Wahrheit des entsprechenden hy-
pothetischen Satzes rekurrieren müssten? Die Antwort lautet: Unser
praktisches Verfahren ist vollkommen berechtigt. Alle Gesetze, die
sich auf Schlüsse überhaupt beziehen, reduzieren sich auf Gesetze,
welche den Bestand der hypothetischen Wahrheiten betreffen, die sie
implizieren. Evtl. mag auch die Gültigkeit des A eine gesetzmäßige
sein; aber jedenfalls besteht dann das Gesetz, welches den Schluss als
einen allgemein gültigen hinstellt aus zwei getrennten Gesetzen, von
denen das eine sagt: Allgemein gilt, dass jedes A der und der allge-
meinen Beschaffenheiten wahr ist; und zweitens: Allgemein gilt, dass
ein hypothetischer Satz" Wenn A ist, ist B" der und der allgemeinen
Beschaffenheiten wahr ist.
So werden wir also auf die Gesetze, welche die hypothetischen
Wahrheiten beherrschen, zurückgeführt.
Sind wir im Besitz aller dieser Gesetze, so haben wir damit alles, was
nötig ist, um von bereits gegebenen Wahrheiten auf neue Wahrheiten
zu schließen. Und verbinden wir diese Gesetze mit den Gesetzen,
welche sonst noch die Wahrheit von irgendwelchen Satzklassen be-
herrschen, dann haben wir auch alle die Kausalgesetze, in denen
beides gesetzmäßig bestimmt ist, die Wahrheit der Prämissen und
die Wahrheit der Konsequenz. Da sich dies nun so verhält, so kommt
die ganze Theorie der Schlüsse hinaus auf eine Theorie der hypothe-
tischen Wahrheiten; und in der Tat versteht man in aller Logik, wie
schon eine flüchtige Übersicht lehrt, unter einer Schlusstheorie gar
nichts weiter, obschon es nirgends klar ausgesprochen ist.

(§) 60. Logische und alogische Schlussgesetze und die


entsprechende Einteilung der hypothetischen Wahrheiten
Soll nun eine derartige Theorie der hypothetischen Wahrheiten
möglich sein, sollen für diese Wahrheitsklassen Gesetze bestehen,
dann müssen offenbar, sei es alle, sei es gewisse Gruppen von hypo-
thetischen Wahrheiten Besonderheiten von solchen Gesetzen sein. Es
muss also Fälle geben, wo eine hypothetische Wahrheit unabhängig
von der Besonderheit ihrer Materie oder gewisser Bestandteile ihrer
Materie gültig ist und somit gültig bleibt, wenn diese Besonderheiten,
diese Bestandteile in ihr willkürlich varüert werden. Dass sich dies nun
wirklich so verhält, erkennen wir an Beispielen. Der hypothetische
Satz" Wenn alle Menschen sterblich sind und Sokrates ein Mensch ist,
LEHRE VON DEN SCHLÜSSEN 239
ist Sokrates auch sterblich" ist eine Wahrheit. Aber es besteht hier die
Eigentümlichkeit, dass wir in dieser Wahrheit gewisse Momente der
Materie, nämlich die Vorstellungen bzw. Begriffe Sokrates, Mensch,
Sterblich, willkürlich variieren können. Wir können z.B. für Sokrates
auch setzen den Zentaur Chiron. Wir können für den Begriff Mensch
setzen, was immer wir wollen, z.B. den Begriff Pferd, Baum u.dgl.; und
ebenso für den Begriff Sterblich. Die einzelnen Sätze, aus denen die
Materie der hypothetischen Wahrheit sich dabei konstituiert, mögen
falsch, lächerlich, absurd werden, das Ganze bleibt immer eine gülti-
ge hypothetische Wahrheit. Es liegt hier eben ein Gesetz zugrunde,
welches wir aussprechen in der Form:" Wenn alle A B sind und Sein
A ist, so ist auch Sein B "; äquivalent ausgesprochen: "Wenn es kein
A gibt, das nicht B ist, und Sein A ist, so ist SB." Die Buchstaben
bezeichnen hier unbeschränkt Variable, analog wie die Buchstaben in
den arithmetischen Formeln. In diesem Beispiel sehen wir, dass die
Gegenstandsvorstellungen und begrifflichen Vorstellungen, die hier
variabel sind, derart die logische Einheit des Satzes konstituieren,
dass in ihrer Verknüpfung keine weitere Vorstellung eintritt und dass
die Form der Verknüpfung allgemein logischer Art ist, d.h. von der
Besonderheit irgendwelcher Klassen von Materien unabhängig eine
bestimmte Bedeutung besitzt. So verhält es sich nicht immer. Wenn
ich drei Menschen, sagen wir Hans, Kunz und Wilhelm, vergleiche
und schließe: Hans größer Kunz größer Wilhelm, also Hans größer
Wilhelm, so ist dieser Schluss ebenfalls Besonderheit eines Gesetzes.
Ich kann die drei Namen durch beliebige ersetzen, Vorstellungen be-
liebiger Personen; beliebige Sachen können angeführt werden, ohne
die Wahrheit des Satzes aufzuheben. Aber eine Größenbeziehung hat
nur "Sinn" eben für das, was Größe hat. Genauer gesprochen: Die
Größenbeziehung, als Beziehung von Nichtgrößen vorgestellt, führt
auf eine absurde Vorstellung. Die Größenbeziehung hängt also von
der Besonderheit der Materien ab. Der Schluss "a > b. b > c. Also
a > c" gehört nicht in das allgemein logische Gebiet, er ist einge-
schränkt auf das Gebiet der Größen.
Ähnlich wie Vorstellungen von Gegenständen oder Begriffen un-
beschränkt variabel sein können in hypothetischen Sätzen, kann es
auch vorkommen, dass ganze Sätze dies sind. Dies sehen Sie 'sofort
an dem Gesetz, dessen Wahrheit ohne weiteres einleuchtet: "Wenn
A gilt, gilt B. Wenn B, so C ... " Hier vertreten A, B, C irgendwelche
Sätze, und Sie bemerken zugleich, dass die variablen Sätze nur in
240 LOGIK

allgemein logischer Weise miteinander verknüpft sind. Es tritt nichts


weiter in die Verknüpfung ein, was die Anwendung auf besondere
Gebiete beschränkte.
Aus diesen Beispielen ersehen wir, dass es mannigfaltige Geset-
ze hypothetischer Wahrheiten gibt. Ja wir brauchen die Beispiele
gar nicht künstlich zusammenzusuchen. Denn es gilt als ein Fun-
damentalsatz, dass jede hypothetische Wahrheit, sei es so, wie sie
dasteht, sei es nach einer gewissen Ergänzung, Besonderheit eines
allgemeinen Gesetzes ist, so dass eine jede zur Konstituierung ei-
nes Gesetzes Verwendung finden kann. Einteilung: I. Hypothetische
Wahrheiten, die Besonderungen von Gesetzen, 11. solche, die nicht
Besonderungen von Gesetzen sind. Das gibt zugleich eine allgemeine
Einteilung der hypothetischen Wahrheiten selbst: a) solche, die in
allgemein logischen Begriffen gründen, b) solche, die in alogischen
Begriffen gründen. Allerdings werden hierbei unendlich viele hy-
pothetische Wahrheiten auf ein und dasselbe Gesetz zurückführen.
Unsere Beispiele leiten uns zugleich auf eine wesentliche Klassi-
fikation der Gesetze hypothetischer Wahrheiten oder kurzweg der
Schlussgesetze. Nicht alle derartigen Gesetze werden wir der formalen
Logik zuweisen können, denn es gibt unter ihnen unzählige, welche
in der Besonderheit des Gebietes gründen, in dem sie allein mögliche
Anwendung finden. Jede hypothetische Wahrheit enthält, wie wir
wissen, variable Termini, und jeder der Sätze, aus denen sie besteht
und in die solche Termini eingehen, kann als eine Beziehung oder
Verknüpfung der entsprechenden variablen Vorstellungen angesehen
werden. Beziehungen und Verknüpfungen können wir aber in zwei
Klassen teilen:
I) In solche, die allgemein logischer Art sind, d.h. die für die Ge-
genstände der obersten logischen Kategorien, also für Gegenstände,
Begriffe, Sätze als solche möglich sind und insofern in diesen Katego-
rien gründen.
2) In solche, welche in irgendwelchen anderen Begriffen gründen,
z.B. in den Begriffen der Farbe, des Tones, der räumlichen Ausdeh-
nung, der Zeit u.dgl. Die Beziehung zwischen Gegenstand und Be-
griff, die prädikative Beziehung, ist eine allgemein logische, ebenso
die Verknüpfung von einzelnen Gegenständen zu Inbegriffen, die
Verknüpfungen von mehreren Prädikaten zu einem konjunktiven
Prädikate, die Verknüpfungen mehrerer Sätze zu einem einzigen kon-
junktiven oder disjunktiven oder hypothetischen Satz. Dagegen sind
LEHRE VON DEN SCHLÜSSEN 241

die Beziehungen des Vorher und Nachher, des Rechts und Links, die
Verknüpfungen von Strecken zu einer Figur, von Flächen zu einem
körperlichen Gebilde u.dgl. alogisch.
Entsprechend zerfällen wir die Gesetze in logische und alogische.
In logische Gesetze gehen nur logische Beziehungen und Verknüp-
fungen ein, sie konstituieren sich ausschließlich aus den allgemein
logischen Kategorien und dem, was in ihnen gründet. In alogische
Gesetze gehen auch andere Begriffe ein und sind aus ihnen nicht
fortzuschaffen, etwa durch Verallgemeinerung. Dies gilt auch von den
Schlussgesetzen, die entsprechend zerfallen. Die Formeln, in welchen
wir logische Schlussgesetze aussprechen, enthalten demgemäß außer
den Buchstaben als Zeichen unbeschränkt Variabler, nur synkate-
gorematische Zeichen, die auf allgemein logische Verknüpfungs- und
Beziehungsformen hinweisen, evtl. allgemein logische Begriffe selbst,
obschon diese auch durch äquivalente Änderung fortzuschaffen sind.
So verhält es sich mit der Formel" Wenn alle A B sind, so gibt es B, die
A sind." Wir können dafür auch sagen: "Wenn die Gesamtheit der
A die Beschaffenheit hat, dass ein jedes Bist, u.dgl." Diese Begrif-
fe Gesamtheit, Beschaffenheit usw., welche durch diese äquivalente
Umschreibung eingeführt wurden, sind nur allgemein logischer Art,
ändern also nicht den Charakter des Gesetzes.

(§) 61. Die verschiedenen Klassen logischer


Schlussgesetze und Theorien
Die allgemein logischen Gesetze zerfallen dann wieder in mehrere
Gruppen: in Gesetze, die im Begriff des Satzes gründen, in Gesetze,
welche im Begriff des Begriffs gründen, in Gesetze, welche im Begriff
des Gegenstandes gründen. Dazu treten dann weitere Gebiete, die
mit den eben erwähnten innig zusammenhängen, Gesetze, die in den
Begriffen der allgemein logischen Beziehungen und Verknüpfungen
gründen, also gründen einerseits in den Begriffen Verknüpfung und
Beziehung überhaupt, und wieder in den Begriffen Vielheit, Anzahl,
Ordnung usf. Dass die Anzahlenlehre, die hier miterwähnt wurde,
sich in die allgemeine Logik eingliedert, das mag Ihnen vielleicht
verwunderlich erscheinen, sofern es der gemeinen Meinung wider-
spricht. Aber hervorragende Denker, ich erwähne hier nur Lotze
- und vielleicht müsste ich auch Leibniz hierher rechnen -, haben
die Sachlage richtig erkannt. Anzahl ist spezifische Differenzierung
LOGIK

von Vielheit, und Vielheit repräsentiert den allgemeinsten logischen


Verknüpfungsbegriff für Gegenstände überhaupt.
An die Spitze der theoretischen Bearbeitung der hypothetischen
Wahrheiten müssen naturgemäß die Theorien gestellt werden, welche
die in dem Begriff des Satzes gründenden Gesetzmäßigkeiten syste-
matisch entwickeln. Jede der erwähnten allgemeinen Satzgruppen hat
ihre theoretische Einheit. Es sind Grundsätze da, welche einfach hin-
gestellt werden, und abgeleitete Gesetze, welche aus den Grundsätzen
deduziert werden. Aber jeder deduktive Zusammenhang besteht aus
Schlüssen. Und diese Schlüsse gelten für die Sätze, die in ihnen auf-
treten, entweder darum, weil sie für Sätze überhaupt gelten, oder
sie gelten für sie mit Rücksicht auf die Konstitution der Materien.
Unvermerkt spielen fast in allen deduktiven Zusammenhängen jene
allgemeinsten Gesetze eine Rolle, die für Sätze überhaupt gelten,
und so ist es das Richtige, sie zuallererst zu begründen, um sich dann
in den weiteren Theorien auf sie berufen zu können. Als nächste
Stufe schließen sich dann die in dem Begriff des Begriffs gründenden
Gesetzmäßigkeiten an. In allen Wahrheiten treten Begriffe auf, und
so ist es wieder klar, dass in einem deduktiven Zusammenhang neben
Schlüssen, die in der Besonderheit der Gegenstände und Begriffe ih-
ren Inhalt haben, auch solche eine Rolle, und eine besonders wichtige
Rolle, spielen werden, die für Gegenstände und Begriffe als solche
Geltung haben.
Damit ist unser Weg vorgezeichnet.

(§) 62. Vorbemerkungen zur Konstituierung einer apriorischen


Theorie der propositionalen Schlussgesetze
Wir haben also den Anfang zu machen mit den propositionalen
Gesetzen. Wie sollen wir diese Gesetze aber finden? Sollen wir alle
Beispiele von Schlüssen, die sich in Leben und Wissenschaft vorfin-
den, in Betracht ziehen und nachsehen, ob sie allgemein logischer Art
sind, und wenn dies, ob sie in den Sätzen als solchen gründen, also
unabhängig von der Besonderheit der Sätze Geltung haben? Das wäre
natürlich ein undurchführbares Unternehmen. Überdies können wir
auch nicht erwarten, dass uns alle gültigen Schlüsse unmittelbar als
wahr einleuchten und dass uns also ihre Schlussgesetze auf diesem
Weg zugänglich wären. Und endlich sind der möglichen Gesetze, wie
wir uns überzeugen werden, unendlich viele, und eine unendliche Viel-
LEHRE VON DEN SCHLÜSSEN 243

heit können wir nicht auf dem Wege der Einzelbetrachtung erschöp-
fen. Andererseits ist freilich nicht abzusehen, wie wir, wenn auch nicht
durch jene undurchführbare Betrachtung aller einzelnen Schlüsse, so
durch ein Probierverfahren vorwärts kommen könnten. Wie macht es
denn der Arithmetiker, wenn er seine Wissenschaft begründen will?
Hat er etwa apriorische Gedanken, die ihn der Vollständigkeit der
abzuleitenden arithmetischen Gesetzmäßigkeiten versicherten? Ganz
und gar nicht. Wie ist es also zu einer arithmetischen Wissenschaft
gekommen? Nun dadurch, dass man die zunächst gegebenen arithme-
tischen Sätze, wie sie dem Menschen zuerst unterkamen, analysierte.
Man entdeckte, dass im Zahlbegriff gewisse Beziehungen gründen:
Je zwei Zahlen sind entweder gleich, oder die eine ist größer oder
kleiner wie die andere.
Man bemerkte weiter, dass im Zahlbegriff gewisse Verknüpfungen
gründen, zunächst die Addition, in ihr gründend die Multiplikation
und Potenzierung, und wieder die Inversionen dieser Operationen:
die Subtraktion, die Division, die Wurzelziehung und Logarithmen.
Mit den elementaren Verknüpfungen waren dann gewisse einfache
und unmittelbar einleuchtende Gesetze gegeben, welche durch sorg-
same Analyse auf eine gewisse Minimalanzahl aufeinander nicht mehr
reduktibler Gesetze zurückgeführt wurden. Und diese Grundgesetze
dienten dann als Fundament für die systematischen Deduktionen,
in denen immer neue und neue Gesetze gründeten. Woher weiß
der Arithmetiker, dass die Verknüpfungen, die er da aufzählt, die
sämtlichen für Zahlen überhaupt erdenklichen sind? Die Antwort
lautet: Das weiß er mit Evidenz überhaupt nicht, es ist zu vermu-
ten, da doch unzählige Mathematiker über die Sache nachgedacht
haben. Es ist anzunehmen, dass ihnen andere Verknüpfungsweisen
noch aufgefallen wären, mindest wenn sie dem Menschen überhaupt
zugänglich sind. Aber absolute Sicherheit kann es hier nicht geben.
Und wenn es noch so unwahrscheinlich ist, dass keine dem Menschen
überhaupt erkennbaren Grundoperationen den wissenschaftlichen
Forschern entgangen sind, so bleibt immer noch die Möglichkeit be-
stehen, dass hinter dem Zahlbegriff noch mehr steckt, als der Mensch
erkennen kann. Und ebenso verhält es sich auch mit den Beziehungen,
und wieder ebenso mit den Grundgesetzen. Unendliche Mühe haben
sich die Arithmetiker gegeben, die Minimalzahl der arithmetischen
Axiome festzustellen. Aber ob nicht doch das eine oder andere eine
bloße Folge der übrigen ist, ohne dass sie es bemerkten, das ist doch
244 LOGIK

fraglich. Mindest fehlt es bisher an einem systematischen Beweis.


Ist aus all den Gründen die Arithmetik keine Wissenschaft? Oder
ist sie deshalb etwa eine bloß empirische Wissenschaft, die in blo-
ßer Wahrscheinlichkeit, in bloßer Induktion und Empirie wurzelte?
Auch das nicht. Welches Probierverfahren immer den Gedanken der
Grundoperationen, Grundbeziehungen, Grundsätze den Mathema-
tikern subjektiv nahe gebracht hat: das, was sie in der Arithmetik
treiben, ist nicht ein empirisches Treiben, nicht Beobachtung und Ver-
such, nicht induktive Verallgemeinerung, sondern reine Deduktion.
Die Operations- und Beziehungsbegriffe, einmal aufgefasst, sind da,
und sie sind als Begriffe etwas Objektives. Die Grundgesetze, einmal
erfasst, sind da, und sie sind nicht empirische, sondern apriorische
Grundgesetze. Die psychologischen Vermittlungen, welche sie dem
Menschen nahe brachten, sind nicht Schlüsse, nicht Induktionen aus
der Erfahrung.
Also für das, was der Mathematiker bietet, kann er den Namen
der Wissenschaft und der apriorischen Wissenschaft beanspruchen.
Nur darf er nicht behaupten, dass, was er an Grundlegungen bietet,
aus apriorischen Gründen alles sei, was in Betreff der Zahlen an sich
und apriori an Grundlegungen existiere. Die Götter sind vielleicht
weiter, sie haben möglicherweise eine größere Basis, aber in dem, was
uns zugänglich ist, was auf den uns bekannten Grundoperationen und
Grundsätzen ruht, müssen Götter und Menschen einig sein, wenn es
überhaupt richtig ist, dass die Arithmetik eine Wissenschaft ist.
Genauso verhält es sich nun auch mit der propositionalen Theorie
und mit allen, die wir weiter erörtern werden. Eine Vollständigkeit
können wir nicht garantieren. Die Schlüsse des gemeinen Lebens
und der Wissenschaften haben schon sehr früh, schon im Altertum,
zur Formulierung von Schlussgesetzen, d.i. von Gesetzen für hypo-
thetische Wahrheiten geleitet. Die vergleichende Betrachtung dieser
Gesetze und ein Umschauen auf dem Gebiet der seither so sehr
angewachsenen Wissenschaften gibt das Fundament ab für die ers-
ten Feststellungen der propositionalen Theorie. ·Man analysiert die
Schlüsse, man zeigt, dass die zugehörigen Gesetze vielfach vonein-
ander abhängig sind, dass man das eine Gesetz aus· dem anderen
deduzieren kann aufgrund eines bereits bekannten und einfacheren
Deduktionsgesetzes; und so verfahrend schränkt sich die Zahl der
als independent zuzulassenden Schlussgesetze ein. Indem man so
fortschreitet, das Kompliziertere als komplizierter, das Einfachere
LEHRE VON DEN SCHLÜSSEN 245

als einfacher erkennt, gelangt man schließlich zu einer Reihe ein-


facher, oder für unsere Erkenntnis einfacher, Schlussgesetze. Man
findet auch hier, dass im Begriff des Satzes gewisse Beziehungen und
Verknüpfungen gründen und dass zu einer jeden gewisse Elementar-
gesetze gehören. Und die systematische Kombination dieser Gesetze
zu Zwecken weiterer Deduktion, die Einführung immer zusammen-
gesetzterer Verknüpfungsformen in die einfachen, aber vermöge ih-
rer Allgemeinheit beliebig bestimmbaren Termini der Grundgesetze,
führt auf neue und neue abgeleitete Gesetze in unendlicher Anzahl.
Die Schwierigkeit ist hier nur die, in jedem Schritt nachzuweisen, dass
all die Schlüsse, welche die Deduktion von Gesetzen aus Gesetzen
vermitteln, selbst unter die Gesetze fallen, die bereits als Grund-
gesetze festgestellt sind, da, wenn dieser Nachweis nicht bestände,
sofort hervorgehen würde, dass die Zahl der Grundgesetze nicht
vollständig und um mindest ein neues zu erweitern sei. Und natürlich
besteht auch, wie in der Arithmetik, die Aufgabe, den Fortschritt von
Grundgesetzen zu abgeleiteten möglichst systematisch zu gestalten
und Methoden auszubilden, wonach wir in der Tat die Möglichkeit
haben, jede erdenkliche Aufgabe in geordneter Prozedur zu lösen
und somit in praktischer Absicht jeden vorgelegten, und sei es noch
so komplizierten Schluss deduktiv zu beweisen, d.i. auf die einfa-
chen Elementarschlüsse zu reduzieren, oder für irgendein vorgeleg-
tes Prämissensystem anzugeben, was rein logisch daraus folgt. Für
die genauere Vorstellung der Weise, wie aus Grundgesetzen neue
Gesetze hervorgehen, kann uns wieder die Arithmetik als diejenige
Wissenschaft, in welcher die deduktiven Zusammenhänge am sorg-
samstenanalysiert sind, ein Muster abgeben. Das erste Gesetz, das die
Arithmetiker aufstellen, lautet: a + b =b + a. Schon aus diesem einen
ergeben sich unendlich viele abgeleitete Gesetze einfach dadurch,
dass die a und b vermöge ihrer Allgemeinheit ersetzbar sind auch
durch beliebige Verknüpfungen allgemeiner Termini. Z.B. eine jede
summatorisehe Verknüpfung a+ß, Y+Ö+E usw. stellt immer wieder
eine Zahl dar, was auch immer a, ß ... für Zahlen sein mögen. Wir
können also in unserer Formel für a auch setzen solch eine Ver-
knüpfung, alsoz.B. bilden: (a+ß)+(y+Ö+E) =(y+ö+E)+(a+ß), und
darin können alle Buchstaben wieder beliebige Zahlen bedeuten. Wir
haben also wieder eine Formel, wieder ein Gesetz. Aber statt dieser
Verknüpfungen können wir beliebige andere, von denen allgemein
gilt, dass sie überhaupt Zahlen darstellen, substituieren. Und so birgt
LOGIK

schon ein e Elementarformel unendlich viele in sich. Es gibt aber nicht


ein arithmetisches Grundgesetz, es gibt deren eine ganze Reihe. Von
einem jeden gilt dasselbe, und zugleich sehen wir die Möglichkeit,
dass, nachdem wir eine gültige Formel abgeleitet haben, durch An-
wendung anderer Gesetze daraus wieder neue Formeln hervorgehen.
So ist z.B. ein zweites Gesetz der Arithmetik: (a+b)+c = a+(b+c).
Aber nach dem ersten Gesetz, dem Vertauschungsgesetz, gilt, dass
(a+b)+c =c+(a+b). Also, da Gleiches durch Gleiches ersetzt Glei-
ches gibt: a+(b+c) =c+(a+b). Formulieren wir den Gleichheitssatz
noch als ein besonderes Gesetz, so ist die neue Formel also durch
bloße Anwendung bereits fixierter Gesetze entstanden, durch Sub-
sumtion des besonderen Falles unter dieses oder jenes der fixierten
allgemeinen Gesetze.
Auch noch in anderer Weise als in dieser der Substitution kom-
plizierter Verknüpfungsformen für die Elementargesetze oder in der
Weise äquivalenter Transformation von Zusammensetzungen nach
diesen Gesetzen entstehen neue und neue Formeln. Das Problem der
Inversion führt zu andersartigen Klassen von Aufgaben. Ein Beispiel
wird klarmachen, was gemeint ist. Ist uns irgendeine Kompositions-
form gegeben, der wieder eine Zahl entspricht, z.B. ar+bx+c, so
gehört ihr für jedes System von Zahlen a, b, c, x eine gewisse Zahl
als Wert zu. Angenommen aber, es sei x eine unbekannte Zahl und
nur a, b, c bekannt, und angenommen, die ganze Komposition habe
den Wert m, dann besteht das Problem: Gibt es immer eine Zahl
x derart, dass ax 2 +bx+c = m ist, und wenn dies, wie hängt diese
Zahl mit a, b, c, m zusammen? Man nennt diese Rätselaufgaben in
der Arithmetik Gleichungen. Und auch die Lösung der Gleichungen,
falls es solch eine gibt, erfolgt nur durch Rekurs auf die arithmetischen
Grundgesetze. Schrittweise wird zur Lösung kein Satz zugelassen, der
nicht unter die Grundgesetze fällt. Auch hier braucht man also nicht
den unbedeutendsten Schluss, der, wenn er überhaupt ein spezieller
Zahlenschluss ist, anderes enthielte als Subsumtion unter die Grund-
gesetze.
Wir sehen nun leicht, dass diese Art des Fortschritts und der
Begründung nicht etwa auf die Arithmetik beschränkt ist, sondern
überall da möglich sein muss, wo in einem Gebiete gewisse Ele-
mentarbeziehungen und -verknüpfungen gründen und überdies ge-
wisse Elementargesetze bestehen, welche diese Formen beherrschen,
somit auch in dem Gebiet der Sätze überhaupt und der Begriffe
LEHRE VON DEN SCHLÜSSEN 247

überhaupt. Denn wir wissen, dass es hier Verknüpfungsformen gibt,


die allgemein gültig aus beliebigen Sätzen neue Sätze bilden; denken
Sie nur an die konjunktive und disjunktive Verknüpfung. Wir wissen,
dass es Beziehungen gibt - ich erinnere hier an die hypothetische
Beziehung -, und wieder gibt es Gesetze für diese Beziehungen. Jedes
Schlussgesetz ist selbst solch ein Gesetz. Also übersieht man von
vornherein, dass es irgendwelche Elementargesetze geben muss, die,
selbst nicht mehr ableitbar, allen Ableitungen zugrunde liegen, und
dass unendlich viele neue Gesetze aus den Elementargesetzen durch
Verwickelung (?) der Verknüpfungsformen resultieren müssen.
Und wird dies durch die weitere Ausführung bestätigt, dann ist
auch zu erwarten, dass der praktische Habitus des arithmetischen
Verfahrens, nämlich die Rechnung, ihr genaues Analogon finden muss
in der formalen Disziplin von den Schlüssen. Obschon das Praktische
uns hier nichts angeht, erscheint es mir doch gut, von vornherein
darauf hinzuweisen und auch den äußeren Habitus des Verfahrens zu
klären sowie vor Missdeutungen zu schützen. Was charakterisiert die
Rechnung im Zahlgebiet? Offenbar dies, dass wir, um eine Aufgabe
zu lösen, um einen Satz herzuleiten, gar nicht an die Begriffe selbst
denken müssen, sondern uns damit begnügen können, in einer gewis-
sen, durch feste Regeln umgrenzten Prozedur Zeichen mit Zeichen
zu verknüpfen, Zeichenkomplexe durch andere Zeichenkomplexe
zu ersetzen usw. Die Rechnung ist ein Operieren mit den Zeichen
und nicht mit den Begriffen selbst, und das Rechnungsergebnis ist
zunächst wieder etwas rein Signitives, eine gewisse Kombination von
Zeichen auf dem Papier. Aber die Deutung des Schlussergebnisses
liefert eben den gesuchten Satz.
Was begründet nun dieses sozusagen blinde mechanische Verfah-
ren? Wie kommt es, dass wir uns mit solchen geregelten Zeichenope-
rationen begnügen dürfen, um irgendwelche arithmetische Aufgaben
zu lösen? Wie kommt es, dass wir durch das Hin- und Herschieben
von Zeichen auf dem Papier unsere Erkenntnis erweitern und neue
Gesetze entdecken? Die Sache liegt in der arithmetica universalis,
in der Algebra, nicht viel anders als in der Ihnen praktisch bekann-
ten numerischen Arithmetik. Sie wissen aus eigener Erfahrung, dass
man Additionen, Multiplikationen usw. mit dekadischen Zahlen rein
mechanisch vollzieht, wofern man nicht sogar Maschinen gebraucht,
um die Resultate abzuleiten. Und die Maschinen denken doch selbst
nicht, in den Maschinen entspricht den Zeichen doch kein Gedanke.
LOGIK

Es ist nicht schwer, wenigstens im Groben Klarheit zu erlangen


über die Möglichkeit dieser rechnerischen Prozeduren. In der Arith-
metik wird jede Zahl durch ein wohlunterschiedenes Zeichen bezeich-
net. Ebenso werden gewisse Zeichen eingeführt für die Verknüpfun-
gen: +, -, :, x, durch welche aus Zahlen neue Zahlen definierbar sind.
Und wieder für Beziehungen zwischen Zahlen: =, >, <. Jeder arith-
metische Satz drückt dann den Bestand einer gewissen Beziehung,
sei es zwischen einzeln bestimmten oder zwischen beliebigen Zahlen,
aus, und vermöge der eingeführten Zeichen korrespondiert jedem
Satze ein scharf umrissenes Zeichengebilde, z.B. a+b = b+a. Sätze
mit Buchstabenzeichen meinen Gesetze, die für beliebige Werte der
Buchstaben gültig sind. Wird aber der Begriff einer beliebigen Zahl a
ersetzt durch den einer beliebigen Verknüpfung von Zahlen, etwa
a + ß oder : u.dgl., so entspricht ihm in der Signatur die Ersetzung
des Buchstabens a durch die Buchstabenkombination a+ß etc. Jedes
Grundgesetz gibt nach seiner signitiven Seite zugleich eine solche
Regel für die Ersetzung von Zeichen durch Zeichen. a+b = b+a
kann ich als Zeichenregel fassen: Es ist gestattet, in einer Additi-
onsverknüpfung zweier beliebiger Zeichen die Ordnung zu ändern,
oder: Es ist gestattet, eine Additionsverknüpfung durch eine andere
zu ersetzen mit geänderter Ordnung, aber gleichen Gliedern. Wird
nun mittels der Grundgesetze in reiner Deduktion, d.h. durch bloße
Subsumtion unter die Grundgesetze, irgendein neuer Satz hergeleitet,
so entspricht dem genau parallel ein rein signitiver Prozess, indem aus
einer Zeichenkomplexion durch bloße Anwendung der den Grund-
gesetzen entsprechenden Zeichenregeln schrittweise neue und neue
Zeichenkomplexionen hergeleitet werden. Jeder regelrechten Herlei-
tung entspricht dann ein Resultat, das begrifflich interpretiert einen
richtigen Satz ergeben muss. Es liegt das an dem genauen Paralle-
lismus zwischen gedanklichen Operationen und Zeichenoperationen.
Haben wir einmal alle Grundgesetze fixiert, so dass keine Deduktion
des Gebietes existiert, die in ihren einzelnen Schritten anderes benö-
tigte als bloße Anwendung eines Grundgesetzes, bloße Unterordnung
unter die Allgemeinheit seiner Regel, so gibt es auch keine deduktive
Ableitung, zu der nicht das rechnerische Analogon existierte. Und
setzen wir fest, dass nur die den Grundgesetzen korrespondierenden
ZeiChenverknüpfungen und -umsetzungen gestattet sind und andere
nicht, so liefert uns das reine Spiel mit den Zeichen immer nur signitive
Sätze, die begrifflich interpretiert Wahrheiten sind.
LEHRE VON DEN SCHLÜSSEN 249

(§) 63. Einige Grundgesetze, die allen


Theorien vorhergehen müssen
Wir haben in der letzen Vorlesung eine allgemeine Überlegung
angestellt, aus welcher hervorging., dass eine umfassende Entwick-
lung der Schlussgesetze sich stufenweise vollziehen müsste. Es schien
uns, dass als Gesetze der untersten Stufe diejenigen zuerst aufgestellt
werden müssten, welche im Begriff des Satzes gründen, in weiterer
Folge dann die Gesetze, die in den Begriffen des Begriffs und des
Gegenstandes ruhen. Freilich, ob sich die bezüglichen Theorien völlig
reinlich absondern, ob nicht in die Theorie der propositionalen Ge-
setzmäßigkeiten solche Gesetze eingreifen, welche ihre systematische
Stelle in der Theorie der konzeptualen finden, aber in der ersteren
dadurch eine Rolle spielen, dass sie die Ableitung der sekundären aus
den Grundgesetzen mitregeln, das können wir apriori nicht wissen.
Aber jedenfalls ist das eine klar, dass es eine korrekte systematische
Anordnung der Schlussgesetze geben muss, in welcher die späteren
Lehrsätze in Bezug auf die früheren independent sind, in der also
kein circulus in demonstrando begangen wird. Aber noch mehr: Wir
müssen verlangen, dass die Ableitungen selbst nicht unter Schlussge-
setze fallen, die durch sie unmittelbar oder mittelbar erst bewiesen
werden sollen. Aber freilich ist hiermit eine Aufgabe bezeichnet, die
bisher nicht gestellt, geschweige denn gelöst worden ist. Und es ist
eine Aufgabe, deren erfolgreiche Lösung mit ganz außerordentlichen
Schwierigkeiten behaftet ist. Beginnen wir mit der propositionalen
Theorie, und gelangen wir durch ein systematisches Probierverfahren
zu den primitiven Grundgesetzen derselben, dann führt die geordnete
Deduktion auf die verschiedenen Gruppen von abgeleiteten Geset-
zen. Zunächst möchte man glauben, nun sei alles in Ordnung, die
Ziele einer solchen Theorie seien nun erreicht. Aber nein. Während
wir uns überall sonst dem natürlichen Zug unseres logischen Den-
kens anvertrauen dürfen, ohne über die Formen der Schlüsse, die
schrittweise in Verwendung kommen, uns schrittweise Rechenschaft
abgeben zu müssen, verhält es sich hier ganz anders. Die Grundge-
setze, von denen wir ausgehen, sind Schlussgesetze. Die abgeleiteten
Gesetze sind wieder Schlussgesetze. Aber die Ableitungen selbst sind
doch auch Schlüsse und haben als solche auch ihre Schlussgesetze.
Wie nun, wenn wir ein Schlussgesetz deduzieren würden derart, dass
das dem Schlussverfahren selbst zugrunde liegende Gesetz eben das
LOGIK

abzuleitende wäre? Wir folgern aus dem Gesetz A das Gesetz B.


Aber das Prinzip der Folgerung, dem wir das Ergebnis B verdanken,
setzt eben das B voraus oder ist selbst von der Form B. Im einzelnen
Fall liegt darin nicht etwa ein Zirkel. Ein Beweiszirkelliegt vor, wo
wir einen Satz dadurch bewiesen zu haben glauben, dass wir ihn als
Konsequenz eines anderen nachweisen, den wir doch nur mit Hilfe
des uns fraglichen Satzes beweisen könnten. Oder auch da, wo wir die
Wahrheit eines Satzes B aus der eines Satzes A beweisen, während
A selbst als ausdrückliche oder übersehene Prämisse das B schon
enthält. In unserem Fall aber ist der zu beweisende Satz nicht eine
Prämisse, sondern er gibt nur das Prinzip an, nach welchem der ihn
beweisende Schluss selbst verläuft.
Indessen könnten wir doch eine systematische Theorie der Schlüsse
nicht zulassen, in der an irgendeiner Stelle Schlüsse verwendet wer-
den, deren Prinzipien erst an späterer Stelle als Lehrsätze auftreten.
Eine ideale Schlusstheorie müsste also folgendes Bild bieten. Als
Grundpfeiler dienen gewisse primitive Axiome, die auseinander nicht
ableitbar sind. Dann kommen Lehrsätze, also abgeleitete Schlussge-
setze. Diese Ableitungen sind selbst wieder Schlüsse oder Gewebe von
Schlüssen. Aber lösen wir irgendein solches Gewebe in die Elemen-
tarschlüsse auf, so kommen wir beim ersten Lehrsatz nur auf solche
Schlüsse, die unter die axiomatischen Prinzipien als Besonderungen
fallen. Beim zweiten Lehrsatz kann der ihn beweisende Schluss auch
die Form haben, die im ersten Lehrsatz als gültig nachgewiesen ist,
usw. Kurz, welchen Beweis man in der Theorie auch prüfen und
analysieren mag, man wird immer in der Reihe der Axiome oder
der vorher erwiesenen Gesetze solche finden, die ihn rechtfertigen.
Macht man sich das Wesen dieser fundamentalen Aufgabe klar, und
geht man dann zum Versuch über, ihre Lösung zu gewinnen, so wird
man alsbald auf eine Reihe von Sätzen aufmerksam, die zuallererst
hingestellt sein müssen, damit man überhaupt auch nur einen Schritt
des Beweises machen kann.
Angenommen, es seien in einer Theorie, gleichgültig in welcher,
gewisse allgemeine Grundsätze vorhanden, auf denen die Deduktion
weiterer Gesetze gründet, dann frage ich: In welcher Weise ist dieses
Gründen zu verstehen? Offenbar so, dass die allgemein hingestellten
Grundgesetze angewendet werden. Ich schließe z.B. aus dem arith-
metischen Gesetz A +B = B + A, dass ich für (a - b) + C setzen darf
c+ (a - b). Ich brauche gerade diese Umsetzung bei einem Beweis. Ich
LEHRE VON DEN SCHLÜSSEN

darf sie machen, weil in der Allgemeinheit des Gesetzes der Vertau-
schung liegt, dass auch im Besonderen das allgemeine Airgendeine
Differenz a-b bedeuten kann. Und so verhält es sich überhaupt.
Sollen wir von den Grundsätzen Nutzen ziehen für irgendeinen Be-
weis, so müssen wir sie eben anwenden. Was heißt aber Anwenden?
Es heißt, aus der Wahrheit des allgemeinen Gesetzes auf die Wahr-
heit eines darunter begriffenen Falles schließen. Also ist es selbst-
verständlich, dass unter den allerersten Grundsätzen, und jedenfalls
vor Aufstellung irgendeines Lehrsatzes, das Schlussprinzip, das die
Übertragung des Allgemeinen auf das Besondere für zulässig erklärt,
auftreten muss.
Aber noch ein Zweites liegt in solcher Anwendung und in einem
Beweis überhaupt. Das erste erwähnte Schlussprinzip lautet doch nur:
Wenn A ein allgemeiner Satz ist und A' ein besonderer Fall von A ist,
so gilt auch A'. Im faktischen Schluss sind aber die A Grundgesetze,
also Wahrheiten, und wir schließen nicht mit bloßem" wenn", sondern
mit" weil ": Weil A gilt und A' ein Fall von A ist, gilt auch A'. Hierin
liegt offenbar noch ein zweites Prinzip versteckt: Gilt A, und gilt
überdies" Wenn A, so A' ",so gilt auch A'. Oder noch allgemeiner: Gilt
ein Satz A, und gilt überdies, dass, wenn A wahr ist, auch B wahr ist,
so gilt auch B. Dieses Prinzip ist offenbar von ständiger Anwendung.
Wenn wir aus irgendwelchen Grundsätzen oder Lehrsätzen A neue
Lehrsätze B herleiten, so haben wir zunächst den Zusammenhang
hingestellt: Wenn A gilt, gilt B. Der weitere Schritt ist dann: Nun gelten
die A, es sind eben Grundsätze oder bereits bewiesene Sätze; also gilt
auch B. Nun erst ist B ein selbständiger Lehrsatz für sich. Dieses
Prinzip ist nichts weiter als das des modus ponens der traditionellen
Logik.
Dazu kommen aber noch andere Gesetze, die gleich anfangs in
einer Theorie benötigt werden. So z.B., verknüpfen wir mehrere
Grundsätze oder Lehrsätze, so brauchen wir sofort den Satz: Gilt der
allgemeine A, und gilt der allgemeine B, so gilt auch der allgemeine
A und B, d.h. dass die Kombination beider gilt, und umgekehrt. 1
Und wieder ist ein unerlässlicher Grundsatz der folgende: A und B
seien zwei allgemeine Sätze, sie mögen allgemeine Beziehung auf die
Objekte u irgendeiner abgegrenzten Klasse (haben). Dann können
wir sagen: Angenommen, es gilt, dass jedes u, für das der Satz A wahr

1 Gestrichen Und für die disjunktive Verknüpfung gilt offenbar dasselbe.


LOGIK

ist, auch den Satz B wahr macht, dann ist es sicher, dass, wenn A
überhaupt für jedes u wahr ist, auch B für jedes u wahr sein muss. Z.B.
wenn für jedes Quadrat gilt, dass, wenn es in zwei Dreiecke zerlegbar
ist, seine Winkelsumme vier Rechte sein muss, dann gilt auch: Wenn
jedes Quadrat in zwei Dreiecke zerlegbar ist, dann hat jedes Quadrat
zur Winkelsumme vier Rechte.

(§) 64. Bezeichnungen zu Zwecken


der propositionalen Theorie
Das sind also Sätze, die allen sonstigen Grundsätzen voraufgehen
müssen, und somit brauchen wir sie auch für die Feststellung der
propositionalen Theorie. Um nun in möglichst strenger Weise zu ver-
fahren und zugleich um in möglichst augenfälliger, klipper und klarer
Weise die Sätze fixieren zu können, wird es durchaus erforderlich
sein, Zeichen einzuführen, welche nach Art der arithmetischen oder
geometrischen in eindeutiger Weise die Beziehung und Verknüpfung
sowie die allgemeinen Termini der Sätze bezeichnen. Indem wir die
Zeichen eindeutig definieren und sie streng im Sinne der Definitionen
verwenden, entgehen wir zugleich den Vieldeutigkeiten des sprach-
lichen Ausdrucks und den Irrtümern, die aus diesen entspringen. In
der Theorie der propositionalen Schlüsse handelt es sich darum, die
allgemeinen Wahrheiten zu finden und systematisch zu entwickeln,
die im Begriff des Satzes überhaupt gründen. Solche Allgemeinhei-
ten nun werden selbstredend Beziehung haben auf die verschiedenen
Verknüpfungs- und Relationsformen, die für Sätze als solche denkbar
sind.
Je zwei Sätze können, was immer ihr sonstiger Gehalt sei, zu einem
neuen Satz konjunktiv verbunden werden, z.B. " Gott ist gerecht, und
die Bösen werden bestraft". Diese Verbindung wollen wir durch Ne-
beneinanderschreiben der Buchstaben bezeichnen. AB bedeutet also,
wenn wir die Großbuchstaben als Zeichen irgendwelcher einzelner
Sätze nehmen, die konjunktive Verknüpfung des Satzes A und des
Satzes B; zu lesen: A und B. Ebenso bezeichnen wir durch A +B die
disjunktive Verknüpfung; das Zeichen ist also zu lesen als: A oder
B. Das + fungiert hier also gewissermaßen als Trennungszeichen und
nicht so, wie man es erwarten möchte, als Konjunktionszeichen. Wohl
zu beachten ist, dass wir die Disjunktion hier als primitive Verknüp-
fung betrachten, also als gleichwertig mit: Einer von beiden Sätzen ist
LEHRE VON DEN SCHLÜSSEN 253
wahr (Beispiel: "Gott ist gerecht, oder die Bösen werden bestraft").
Ob nur einer von ihnen wahr, also wenn der eine wahr, der andere
falsch ist, darüber ist nichts ausgemacht. In der gewöhnlichen Rede
wird das Wörtchen "oder" sehr häufig, obschon nicht ausschließlich,
exklusiv verstanden. Diese schädliche Äquivokation nehmen wir also
in unser Zeichen + nicht auf.
Eine dritte elementare Weise, aus zwei Sätzen einen zu bilden,
ist die hypothetische: Wenn A, so B. Aber diese Verbindungsweise
repräsentiert zugleich die Grundform der Beziehung zwischen Sätzen.
Die Gültigkeit von A zieht die von B nach sich, und damit sind beide
Sätze in ein Verhältnis gebracht, aus dem für jeden eigentümlich rela-
tive Beschaffenheiten entspringen: Grund zu sein und Folge zu sein.
Dieses fundamentale Verhältnis bezeichnen wir so: €. Den wichtigen
Fall, wo A € B und zugleich B € A, bezeichnen wir durch A =B.
Allgemein korrespondiert jedem Satz A eine Negation und eine
Affirmation: Es ist wahr, dass A ist; Es ist nicht wahr, dass A ist. Von
der Bezeichnung der Affirmation können wir absehen, da sie dem
schlichten Satz äquivalent ist. Die Negation bezeichnen wir durch
den Index 0: Ao, oder auch durch Überstreichen: Ä.
Wir brauchen noch Zeichen für allgemeine Sätze. In der Arithmetik
pflegt man die Allgemeinheit nicht besonders zu bezeichnen. Man
schreibt a + b = b + a und versteht dies so, dass eine Formel damit
ausgesagt sein soll: Allgemein gilt ... Ebenso können auch wir die
hingeschriebenen algebraischen Beziehungen formelhaft verstehen.
Indessen ist es mitunter doch nötig, auch den Umstand, dass ein Satz
allgemein gilt, zum besonderen Ausdruck zu bringen, insbesondere
dann, wenn nicht alle Termini die Variablen sind. In jedem allgemei-
nen Satze bezieht sich ja die Allgemeinheit auf gewisse Variable, Z.B.
"Allgemein gilt, dass ein Mensch sterblich ist". Hier ist das Wörtchen
"ein" Zeichen für die Variable. Für "ein Mensch" kann ich setzen
Hans und Kunz und wen auch immer, irgendetwas, das eben Mensch
ist. Oder im arithmetischen Satz "Eine gerade und eine ungerade
Zahl geben zur Summe eine ungerade" haben wir zwei Variable. Im
grammatischen Subjekt treten auf "eine gerade und eine ungerade",
gemeint ist: beliebig welche. In diesen Sätzen sind aber nur diese
einzelnen Termini die Träger der Allgemeinheit. Deuten wir durch
das Symbol f(xy ... ab...) einen Satz an, der die Termini x, y, a, b ...
llf(xy... ab) verstehen den Satz: Für
enthält, so wollen wir unter xy...
beliebige xy... gilt f...
254 LOGIK

Den partikularen Satz "Es gibt x, Y ... , wofür f besteht" wollen


wir hingegen signieren durch 1:f.
Den singularen Satz hing~gen "Für die bestimmt gegebenen x',
y' ... gilt f" bezeichnen wir einfach durch f(x'y' ... ).
Indessen müssen wir noch einen Unterschied zum Ausdruck brin-
gen: Ein Satz kann als bloßer Satz auftreten, oder es kann mit ihm
zugleich die entsprechende Wahrheit gemeint sein. Z.B. wenn wir
sagen, dass mit dem Satz" Gott ist gerecht" auch der Satz" Die Bösen
sind bestraft" gegeben ist, dass, wenn der eine, auch der andere gilt,
so haben wir diese Sätze nicht selbst als gültig behauptet. Sagen wir
aber einfach: "Gott ist gerecht", so meinen wir die Wahrheit" Gott ist
gerecht". Wir werden den Unterschied durch ein Ausrufungszeichen
andeuten. Also: A!

(§) 65. Die Theorie der propositionalen Gesetze


Ehe ich in der Aufzählung der Fundamentalgesetze weitergehe,
welche allen den Schlüssen zugrunde liegen, die für Sätze als solche
Geltung haben, möchte ich die Gesetze rekapitulieren, die, wie wir
erörterten, allen anderen voraufgehen müssten.
An erster Stelle nannten wir den Schluss von dem Allgemeinen auf
das untergeordnete Besondere. Ich halte es für wünschenswert, eine
exakte Formulierung des Gesetzes Ihnen an die Hand zu geben, um
Missdeutungen vorzubeugen. Wenn wir einen Satz, der alle Vierecke
angeht, auf die Quadrate "im Besonderen" übertragen, so ist das
Besondere hier in einem anderen Sinn ein solches, als wenn wir einen
Satz, der für alle Menschen gilt, auf Sokrates übertragen. Im einen
Fall ist das Besondere selbst ein Allgemeines, im zweiten Falle nicht.
Für uns kommt das Prinzip nur in dem Sinn in Betracht, wo das
Besondere selbst ein Allgemeines ist, so dass der genaue Wortlaut
folgender wäre: Gilt ein Satz f allgemein für beliebige u, v ... z, und
gilt zugleich, (dass) der Reihe nach jedes u' ein u, jedes v' ein v und
endlich jedes z' ein z ist, dann gilt der Satz f im Besonderen auch für
jedes u', v' ... z'.
Die Zahl dieser Variablen kann beliebig sein. Beispiel: Gilt ein Satz
für jedes Viereck überhaupt, so gilt er auch für jedes Quadrat, für jedes
Rechteck, für jedes Trapez usf., da jedes Quadrat ein Viereck ist usf.
Dieses Prinzip ermächtigt uns, jedes Gesetz, das für Sätze überhaupt
gültig ist, auf beliebige Kombinationen, Disjunktionen oder hypo-
LEHRE VON DEN SCHLÜSSEN 255
thetische Verbindungen von Sätzen zu übertragen, und zwar ganz
allgemein, so dass die resultierenden Sätze wieder den Charakter von
Gesetzen, von Formeln haben. Dieses war das Gesetz a)
Wir zählten ferner auf das Gesetz ß), wonach, wenn f allgemein gilt
und g allgemein gilt, auch der einheitliche Satz fund g allgemein gilt,
und zwar in Bezug auf all die Variablen zugleich, die sowohl in f als in
g vorher angenommen waren, und umgekehrt. Daher schreiben wir
es als eine Gleichung. Es ist eine Kombination von zwei selbständigen
Gesetzen. Wir werden sie immer getrennt verwenden. Dieses Gesetz
gibt uns das Recht, zwei beliebige propositionale Formeln konjunktiv
in eine Formel zusammenzufassen.
Das Gesetz y) besagte, dass, wenn der hypothetische Satz" Wenn
f, so g" allgemein gilt, zu schließen ist, dass, wenn f allgemein gilt,
auch g allgemein gilt. Haben wir also eine hypothetische Formel, und
wissen wir, dass der Vordersatz für sich als Formel besteht, so wissen
wir, dass auch der Nachsatz formelhafte Gültigkeit haben müsse.
Hier möchte ich noch eine Ergänzung einschieben. Ich möchte
noch anfügen ö), ein Gesetz, welches so trivial ist, dass es gar zu leicht
übersehen wird, nämlich: Ist A wahr und B wahr, so ist auch der Satz
A und B wahr, und umgekehrt. AlB, = (AB),
Dann ließen wir folgen:
I. A(A € B) € B (modus ponens)
11. (A€B)(B €C) € (A€C)
111. (M € A)(M € B) € (M € AB)
IV. AB€A
I. Lehrsatz: (A = B) € (A € B)
2. Lehrsatz: (A = B) € (B = A)
V. AB € BA. Selbstverständlich gilt auch BA € AB. Wir brauchen
ja nur die Buchstabenbezeichnung zu vertauschen. Beide Formeln
können wir nun zusammenfassen in I) AB = BA. Das ist aber ein
Lehrsatz 2).
Sieht man genau zu, was der Beweis eigentlich enthält, so ist es
Folgendes:
TI(AB € BA) TI(BA € AB) € TI(AB € BA)(BA € AB)
(€ TI)(AB = BA)
Da nun jeder der beiden allgemeinen Sätze linker Hand eine Wahr-
heit ist, also nach ö) auch beide zusammen, so können wir nach dem
modus ponens schließen, dass auch der Nachsatz eine Wahrheit ist.
(Daraus folgt) 3) (A = B) = (B = A)
LOGIK

Um weitere Lehrsätze abzuleiten, müssen wir aber nun zunächst


einige wichtige Gesetze folgen lassen, die für das Beweisverfahren in
fast allen späteren Fällen typisch verwertet werden.
Die Formel 11 lautet: (A € B)(B € C) € (A € C)
Die Schlussweise y) anwendend (und darin liegt ein Schritt des
modus ponens und zugleich des a) haben wir:
TI(A€B)(B€C)€TI(A€C)
Nun ist doch nach ß):
TI(A€B) TI(B€C)€TI(A€B)(B€C)
Also nach Schlussweise 11:
TI(A € B) TI(B € C) € TI(A € C) (Lehrsatz 2)
Das heißt: Wenn wir zwei solcher Formeln haben von hypotheti-
scher Form, dass das Endglied der ersten gleicher Form ist als das
Anfangsglied der zweiten, so können wir daraus eine neue richtige
Formel herleiten, welche das Anfangsglied der ersten Formel zum
Vordersatz und das Endglied der zweiten Formel zum Nachsatz be-
sitzt.
Von diesem wichtigen Prinzip können wir gleich eine kleine An-
wendung machen, um ein Korrelat zum Gesetz IV zu beweisen, näm-
lich Lehrsatz 3: AB € B.I Natürlich leuchtet dieser Satz genauso klar
ein wie unser Axiom IV. Aber unserem Vorsatz getreu, nur solche
Axiome gelten zu lassen, die sich aus bereits angenommenen nicht
mehr deduzieren lassen, bezeichnen wir unseren jetzigen Satz nicht
als Axiom. Er ist leicht beweisbar:
V. AB € BA; IV. BA € B. Da nach dem dritten Lehrsatz sich ver-
kettende Formeln durch Verknüpfung der Randglieder wieder eine
Formel ergeben, so haben wir: AB € B. qu. e. d.
4. Lehrsatz: (TIMTIN)TIP € TI(MN)P
Beweis:
(TIMTIN)TIP € TIMTIN (V)
TIMTIN € TIMN (ß)
(TIMTIN)TIP € TIMN (111)
(TIMTIN)TIP€TIP (2)
Nach 111: (TIMTIN)TIP € TIMNTIP € TI(MN)P (y). Also nach 111
der Satz selbst.
5. Lehrsatz: TIATI(A € B) € TIB. Beweis genau ebenso. 1,11,111.

I 4.: (A = B) € (B € A)(nach 3.).


LEHRE VON DEN SCHLÜSSEN 257

Von besonderer Wichtigkeit ist ferner:


6. (Lehrsatz): IIMIINII(MN € P) € IIP. Er besagt: Wenn ich zwei
allgemein gültige Gesetze habe, Mund N, und es gilt die allgemeine
Folge, dass aus Mund N P folgen würde, so ist auch P eine allgemeine
Formel.
Der Beweis ist leicht. Nach 4:
IIMIINII(MN € P) € II(MN) (MN € P). Die rechte Seite ist
nach 5: € IIP. Also nach 11 der Satz selbst.
Ähnlich beweist man auch:
(Lehrsatz) 68 : II(M € A)II(M € B) € II(M € AB) entsprechend
Axiom 111. Aber das braucht man nicht mehr, da man 6. hat.
Die Bedeutung dieser Sätze mit dem Zeichen II liegt darin, dass
sie es gestatten, mit Formeln so zu schließen, als wären es singulä-
re Sätze, als bezeichneten in ihnen die Buchstaben nicht Variable,
sondern bestimmte Sätze. Schließen wir genauso, wie wenn die Buch-
staben bestimmte wären, und resultiert ein Satz, so können wir ihn
sofort als eine allgemeine Formel in Anspruch nehmen. Besonders
wichtig nannte ich die Schlussweise des Lehrsatzes 6. Denn in (ihr)
gründet z.B. das Verfahren der Mathematik, wonach man beliebige
Zahienformeln in der Rechnung so behandeln kann, als wären sie
Sätze mit bestimmt gegebenen Zahlen. Jede Folgerung liefert dann
wieder eine Zahlenformel und nicht etwa einen partikular gültigen
Zahlensatz.
Anwendung werden wir in unserem Gebiet sogleich zu machen
haben im
7. (Lehrsatz): A(BC) € (AB)C, und umgekehrt. Also Gleichung.
Beweis für die eine Hälfte:
IV.A(BC)€A
3. A(BC) € BC € B. IV. Schlussweise nach 6.
A(BC) € B; A(BC) € A }111: A(BC) € AB. Wieder nach 6.
Ähnlich erschließen wir: A(BC) € C.
Denn: A(BC) € C; BC € C; A(BC) € C.
Also genau ebenso (111): A(BC) € (AB)C
Jetzt die Sätze 8, 9, 10, I I:
8. (Lehrsatz): (A = B) € (A € B); (A = B) € (B € A)
9. (Lehrsatz): (A = B) € oder = (B = A)
10. (Lehrsatz): (A € B) (A = A') € (A' € B)
I I. (Lehrsatz): (A € B) (B = B') € (A € B')
LOGIK

Überhaupt werden schrittweise die Lehrsätze bewiesen: Gleiches


für Gleiches substituiert gibt Gleiches. 1
VI. (AB€C)A€ (B€C)
12. (Lehrsatz): TI(AB € C)TIA € TI(B € C)
13. (Lehrsatz): A € (B € A)
14. (Lehrsatz): (A € B) € (AC € BC)
An den Satz 14 schließen sich weiter an:
15. (Lehrsatz): (A € B) (A' € B') € (AA' € BB')
16. (Lehrsatz): (A € B) (A' = B') € (AA' € BB')
17. (Lehrsatz): (A =B) (A' =B') € (AA' =BB')
18. (Lehrsatz): (AB € C) € (A € B € C), und umgekehrt, also gleich.
Beweis:
Das Prinzip VI hat selbst die Form AB € C. Wenden wir darauf VI
an, so erhalten wir:
«AB€C)A€(B€C» (AB€C)€(A€(B€C»
ABC
Dieser Satz hat aber wieder die Form AB € C. Er ist dabei eine
Formel. Das "A" darin ist wieder eine Formel. Wenden wir also den
Satz 12 an, so folgt ohne weiteres der Satz. Auf der linken Seite
stehen nun wirklich zwei richtige Sätze. Also ist die rechte Seite auch
ein richtiger Satz (modus ponens).
Man kann einfach so sagen: Der Sinn von 12 ist: Haben wir eine
Formel der Form AB € C und ist darin A selbst eine Formel, so ist
auch B € C eine Formel.2 Nun ist der abgeleitete Satz eine Formel von
der Form AB € C. Also ist in ihr B € C eine Formel.
Dazu ergeben sich noch vielfach andere Sätze, die ich übergehe.
Endlich bleibt nur noch ein Axiom übrig:

1 (12. (Lehrsatz): (A € B) € (AC € BC)


IV. AC € A; A € B; AC € B. Nun nach (Lehrsatz) 3): AC € C; AC € BC
(AC€A) (A€ B)€ (AC€ B); (AC€A) € «A€ B)€AC€ B)
n-Formel n: (A € B) € (AC € B); (A € B) € AC € C (Formel); (A € B) € (III) (AC € B)
(AC € C) € AC € Be. quod erat demonstrandum.)
DafUJchgestrichen Vorher neues Axiom:
VI. (AB€C)A€(B€C)
Daraus folgen verschiedene wichtige Konsequenzen: Siehe unten 12.
Z.B. 13. AB€C€(A€ (B€C». Einmal «AB€C)A€(B€C» (AB€C)€(A€(B€C».
Das erste Stück eine Formel, das Ganze auch; also im Sinne der Schlussweise VI der Sätze. (Wir
können ja noch einmal die Bildung wiederholen und haben dann zwei Formeln als Prämissen.)
14. A € (B € A). Dann setzen wir für C: A in VI, dann (AB € A) (Formel) A € (B € A)
12. Wir können überhaupt den Satz aufstellen nAB € CnA € n(B € C); nach ß und y.
2 Der Beweis der Umkehrung nach (Lehrsatz) 14. Rechts wird beiderseits mit B multipliziert.
LEHRE VON DEN SCHLÜSSEN 259

VII. (A€B)€(A€AB)
Offenbar gilt dann auch das Umgekehrte: (A € AB) € (A € B).
Denn: A(A € AB) € AB € B
Änderung der Ordnung: (A € AB)A € B
Nachl7: (A € AB) € (A € B). Also auch: (A € B) = (A € AB)
Und dazu treten nun noch vielerlei Lehrsätze.
In den bisherigen Lehrsätzen war neben den Bedingtheitsbezie-
hungen nur die Verknüpfung der Konjunktion aufgetreten. Wir ge-
hen nun zu den Gesetzen über, welche Disjunktion und Negation
betreffen. Dazu brauchen wir neue Grundgesetze:
VIII. (A € B)B o€ Ao
IX. (AAo)o
X. (Ao)o= A
XI. A +B = (AoBo)o
Für die Übertragung der Formeln auf Operationen mit Formeln
brauchen wir hier:
E) TI(A+B) € TIA + TIB. Nur die eine Hälfte gilt.
t) TI(Ao) € (TIA)o
Nachl8: (A € B) € (Bo€ Ao); Lehrsatz 2°.
(A = B) € (Bo= Ao); Lehrsatz 3°.
Beide gelten auch umgekehrt.
Unmittelbare Folge aus XI: (AAo)o € A+Ao «(Lehrsatz) 1°. Satz
des ausgeschlossenen Dritten). Wir setzen nur für B: Ao.
Ebenso ergeben sich die obigen Sätze und ihre Umkehrungen.
Daneben ergeben sich noch weitere Lehrsätze.
(Lehrsatz) 4°: A +B = B +A
(Lehrsatz) 5°: A+(B+C) = (A+B)+C
(Lehrsatz) 6°: (A ~ B) = (A +C ~ B +C). In einer Implikation kann
beiderseits derselbe Satz disjunktiv hinzugefügt werden.
(Lehrsatz) 7°: A€B; C€D; A+C€ B+D
Ebenso bei Gleichungen: (A = B) (C = D) € (A+C = B+C)
(Lehrsatz) 8(o}: A € (A+B)
(Lehrsatz) 9(O}: (A € C) (B € C) € (A+B € C); entspricht dem
Gesetz 111. -
Von besonderer Wichtigkeit ist das so genannte Distributionsge-
setz: (A+B)C = AC+BC
Ferner der Satz: (A € B) = (ABo)o
Die eine Hälfte beweisen wir so:
Nach 18: (A € B) € , beiderseits multiplizieren (ABo € BB o)
260 LOGIK

Betrachten wir die rechte Seite:


Nach VIII: (ABo € BBo)(BBo)o € (ABo)o; nach IX ist aber (BBo)o;
also nach 12: (ABo € BBo) € (ABo)o
Verbinden wir dies nach 11 mit dem zuerst eingeschobenen Satz,
so: A € B € (ABo)o
Beweis der Umkehrung (viel umständlicher):
«Ao)oBo)o € Ao+B. Substituiere ich XIß für A: Ao. Aber nach
X: (Ao)o = A. Also (Ao)oBo = ABo. Also (3 0 ) auch die Negationen
beiderseits gleich. Und offenbar kann man Äquivalenz substituieren.
Also (ABo)o€ Ao+B; A(Ao+B) € AAo +AB. Aber M+aao = M; also
€ AB € B; A(Ao+B) € B; Ao+B € (a € b)
Einige Bemerkungen will ich hier noch anfügen.
Wir haben unsere Formeln als völlig allgemein hingestellt. Doch
scheinen sie einer gewissen Beschränkung zu unterliegen, nämlich
der, dass keiner der Ausdrücke durch irgendwelche Besonderung
sinnlos wird. Dies scheint aber der Fall zu sein, wenn wir die A
und B so besondern, dass Vorder- und Nachsatz einer Bedingtheit
identisch wird. "Wenn A gilt, gilt A", das gibt, genau überlegt, kei-
nen Sinn. Wir gebrauchen zwar derartige Ausdrücke sehr oft, z.B.
"Wenn ich etwas befohlen habe, so habe ich es befohlen", "Wenn
ich etwas gesagt habe, so habe ich es gesagt" u.dgl. Aber derglei-
chen Ausdrücke besagen nicht einfach, dass Vorder- und Nachsatz
im objektiven Verhältnis der Bedingtheit stehen, sondern wir meinen
Verschiedenes, z.B. mein Befehl ist, einmal gegeben, bindend, ich
nehme den Befehl nicht zurück, ich bleibe konsequent dabei. Ebenso
"Wenn ich etwas gesagt habe, so habe ich es gesagt", d.h.: Habe
ich etwas gesagt, so bleibe ich mir treu, ich will und werde es nicht
leugnen. Da liegen also nicht einfach Identitäten vor, wie der Aus-
druck es nahe legen möchte. Ich zweifle, ob man unter Absehung von
solchen nicht hierher gehörigen Nebengedanken dem Satz "Wenn
A gilt, gilt A" einen originalen Sinn unterlegen kann. Ähnliche Be-
schränkungen liegen darin, dass Konjunktionen und Disjunktionen
identischer Termini keinen ursprünglichen Sinn haben. A +A: Eins
von beiden gilt, A oder A. AA: Beides gilt, A und A. Sagen wir:
" 2 x 2 ist 4 und 2 x 2 ist 4", so haben wir identisch denselben Satz
wiederholt, aber wir haben keine Konjunktion objektiver Sätze voll-
zogen.
Von diesen Beschränkungen können wir uns nur dadurch befreien,
dass wir gewisse Konventionen einführen:
LEHRE VON DEN SCHLÜSSEN 261

Wir wissen, dass allgemein gilt: (A € B) = (ABo)o. Identifizieren


wir A und B, so wird die rechte Seite = (AAo)o. Sie ergibt einen guten
Sinn also, den Gehalt des Satzes vom Widerspruch. Wir können daher
konventionell festsetzen: (A € A) == (AAo)o. Das heißt, wir geben dem
Identitätssatz "Wenn A gilt, gilt A" die Bedeutung: Dass A gilt und
A nicht gilt, ist falsch.
Ebenso setzen wir konventionell fest, dass XX == X; X + X == X. Ver-
möge dieser Konvention ist dann leicht zu beweisen, dass man für die
Identitätszeichen auch Gleichheitszeichen schreiben kann und dass
dann alle Formeln völlig unbeschränkt Geltung behalten. Man kann
also rechnerisch operieren, unbekümmert, ob in den Verknüpfungen
die Glieder identisch sind oder nicht. Es haben diese Konventionen
hier eine ähnliche Funktion wie gewisse Analoga in der Arithmetik,
vermöge deren die 1 und 0, die im ursprünglichen Sinn keine Zah-
len sind, mittels gewisser Konventionen zu den Zahlen adjungiert
werden. Dadurch erspart man vielerlei Schreiberei. Man kann dann
auch die arithmetischen Formeln so allgemein verstehen, dass die
°
Buchstaben ebenso gut wie eigentliche Zahlen auch und 1 vertreten
können.
Nach diese~ Bemerkungen ist uns also der viel beredete Satz
der Identität, falls wir darunter den erwähnten hypothetischen Satz
(des) identischen Vorder- und Nachsatzes verstehen, nur eine andere
Ausdrucksweise für den Satz des Widerspruchs; eine andere Rede-
oder Schreibweise, die für gewisse Zwecke des Schließens Vorteile
bietet, weil sie einen Ausnahmsfall in unschädlicher Weise bestä-
tigt.
Noch eins. Unter unseren Formeln finden wir eine solche, die nicht
die Form einer Gleichheit oder Bedingtheitsbeziehung hat. Und eben-
so kommen in Schlüssen Prämissen vor, welche einfach Gültigkeiten
oder Ungültigkeiten sind, und solche, welche die Form von Bedingt-
heiten besitzen. Aber wir können auch die schlichten Gültigkeiten
auf die Form von Bedingtheiten bringen.
NäInlich zu den leicht erweisbaren Sätzen gehört, dass AAo =BBo
ce
= =... Bezeichnen wir dieses überall gleich bleibende Verknüp-
fungsprodukt mit 0. Wir haben also AAo = 0. Wenn nun M € AAo oder
M € 0, so ist nach dem modus tollens M falsch. Und zugleich kann
man nachweisen, dass auch umgekehrt, wenn M falsch ist, M € 0 sein
muss, so dass dieser Satz als Äquivalent für "M gilt nicht" eintreten
kann. Ähnlich kann man den Satz "M gilt" äquivalent ersetzen durch
LOGIK

1 € M, WO 1 als gemeinsamer Wert der Kette A+Ao = B+Bo = ...


definiert wird. A+Ao = 11

(§66.) (Die) Theorie der konzeptualen Schlüsse


Es handelt sich hier um die Gesetze, welche die Beziehungen von
irgendwelchen Begriffen in Ansehung ihrer Geg~nstände und die
Beziehungen von Gegenständen zu Begriffen in allgemeinster Allge-
meinheit betreffen, also um Gesetze, die in den Begriffen Gegenstand
und Begriffgründen, die für Gegenstand und Begriff als solche gelten.
Was für Beziehungen kommen hier nun in Betracht? Zunächst die
Beziehung zwischen Gegenstand und Begriff. Bezeichnen wir durch
r einen gewissen, aber nicht näher bezeichneten Gegenstand, ein ge-
wisses Etwas, und durch kleine lateinische Buchstaben irgendwelche
Prädikate, dann wollen wir den Satz "r ist a, hat die Beschaffenheit
a" signieren durch: rea.
Wir können dies auch lesen in der Form "ein gewisses Etwas, ein
gewisser Gegenstand ist a", können dann aber im gegebenen Fall
unter dem r auch verstehen "dieses Haus", "Bismarck" u.dgl.
Etwas anders verhält es sich, wenn wir schlechthin sagen: "Etwas
ist a" in dem Sinn, der äquivalent auch auszudrücken ist durch "Es
gibt etwas, das a ist", "Es gibt ein a". Hier gehört die Unbestimmtheit
des Etwas mit zur Intention des Ausdrucks. Der Satz" Platon ist ein
edler Denker" ist Besonderung des Satzes "Es ist Etwas ein edler
Denker". Aber mit dem letzteren Satze meine ich eben darum nicht
den ersteren. Wenn wir sagen: "Etwas ist ein edler Denker", wollen
wir nicht, oder in dem hier fraglichen Sinn nicht, von einem gewissen
Menschen sprechen, von einem bestimmten, den wir eben nur nicht
genau bezeichnen. (Einen ähnlichen Unterschied haben wir ja bei
Prädikaten. Sagen wir, ein Gegenstand habe eine Beschaffenheit, so
kann gemeint sein, er habe eine gewisse, nur nicht näher bezeichnete
Beschaffenheit, z.B. rot zu sein. Es kann aber auch gemeint sein,
er habe schlechthin eine Beschaffenheit, d.h. es.gebe eine Beschaf-
fenheit, die ihm zukomme; und das gibt einen ganz anderen Sinn.)
Gebrauchen wir also das Zeichen r, so ist das ein allgemeines Zeichen
für irgendwelchen bestimmten Gegenstand: Sokrates, Platon, ein be-
stimmtes Dreieck u.dgl. Wollen wir aber ausdrücken den existentialen

1 Gestrichen Der Satz des Widerspruchs hat dann sein Äquivalent in (AAo}o € I.
LEHRE VON DEN SCHLÜSSEN

Satz" Es ist Etwas a ", so schreiben wir Eea, und für den existentialen
Satz selbst schreiben wir La, "Es gibt ein a ". Betrachten wir nun die
weitere Grundbeziehung, die in dem Ausdruck angedeutet ist: "Wenn
Etwas a ist, so ist es b"; ein Ausdruck, der vielfach als Interpretation
der Formel "Alle a sind b" oder "Jedes a ist b" aufgestellt worden
ist. Sagen wir: " Wenn etwas a ist, so ist es b", so meinen wir natürlich
nicht einen bestimmten einzelnen Gegenstand, dessen a-Sein sein
b-Sein bedinge. 1 Folglich können wir den Gehalt des Satzes auch so
ausdrücken: TI(fea € feb). Durch das Vorzeichen TI ist angedeutet,
dass f der Trlger der Allgemeinheit ist. r
Die propositionalen Prinzipien a), ß), y) sind Besonderungen ge-
wisser konzeptualen.
I) Das Substitutionsprinzip: Ein Gesetz, das für beliebige Sätze
gilt, gilt auch für beliebige Satzformen, die den einzelnen Sätzen sub-
stituiert werden, und damit allgemein für die Termini dieser Formen.
Das ist eine Besonderung des allgemeinen Substitutionsprinzips: Gilt
ein Satz allgemein für beliebige Wertsysteme La, so gilt er auch für
beliebige spezielle Systeme: L' a € La. Der entsprechende Satz für
singuläre Systeme kommt bei der Anwendung der propositionalen
Theorie auf gegebene Sätze zur Geltung, nicht aber in der Theorie.
Doch ist das genau zu überlegen. Bei der Operation mit Formeln
möchte es doch sein, dass der Schluss vom Allgemeinen auf das
Einzelne Anwendung fände.
Der konzeptuale Satz lautet: (a €: b) (a € a) € (a € b) (modus
barbara)
2) TIATIB= TIAB
K9nzeptual: (a € A) (a € B) = (a € AB)
3) TI(A€B)€(TIA€TIB)
a € (A € B) € «a€A) € (a€ B»
Gilt von jedem a, dass es, wenn A, so B ist, so gilt: Wenn jedes a A
ist, so ist es B. Beweis: Gilt von jedem a, dass es, wenn es A ist, so B
ist, so gilt von jedem a, das A ist, dass es B ist. (Ebenso umgekehrt.)

1 Gestrichen Wir meinen aber auch nicht, dass aus dem Satze .. Etwas ist a" (.. Es gibt ein
a") folge, .. Dasselbe Etwas ist b". Denn ist im Vordersatz das Etwas im unbestimmten Sinn
genommen, dann kann sich keine Identität darauf beziehen. Gemeint ist ja nicht, dass, wenn
ein nicht näher bestimmtes Etwas a ist, dasselbe a auch b ist, sondern gemeint ist offenbar,
dass allgemein für jedes Etwas, das a ist, gilt, dass es auch b ist. Gemeint ist, dass das Etwas im
Vordersatz eine unabhängige Variable ist und dass das Etwas im Nachsatz identisch dieselben
Werte zu durchlaufen hat.
LOGIK

a € (A € B) ~ (aA € B). Oder genauer: aA € B


(aA € B) (a € aA) € (a € B); nach dem Substitutionsprinzip. Womit
der Satz schon bewiesen ist.
Ein Wertsystem, ein Satzsystem erfüllt das Gesetz G der Form
A € B = Ein Wertsystem hat die Eigenschaft, dass, wenn dafür A gilt,
dafür auch B gilt = Ein Wertsystem, wofür A gilt, dafür gilt auch B.
Haben wir die besonderen Fälle als Prinzipien angenommen, so
ergeben sich natürlich mit der propositionalen Theorie auch die kon-
zeptualen Formeln (nach Annahme gewisser Grundformein), und
damit die allgemeinen Prinzipien, der modus barabara etc. Auch der
Satz (a€(A€B) = (aA€B);
ll(fea € (feA € feB» = ll(fea feA € feB) = ll(feaA € feB)
Werden die Besonderungen nicht als Prinzipien an die Spitze der
propositionalen Theorie gestellt, so müssten wir als Prinzipien die
erwähnten konzeptualen setzen. Also
I) modus barbara
2) (a€A) (a€B)€(a€AB)
3) a€ (A €B) = (aA€B)
D.h. ll(fw € (feA € feB» = ll(fwA € feB),
r r
oder nur = ll(feafeA € feB)
Hierbei kommt der Satz zur Anwendung: Gleiches für Gleiches
substituiert gibt Gleiches.!

1 Wie steht es damit? Ist das eine Folge der propositionalen Theorie oder ein Axiom?
AUS DER VORLESUNG
"ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN
ZUR DEDUKTIVEN LOGIK" (1895)
(Logik als theoretische Disziplin)
Ebenso· verhält es sich mit den syllogistischen Modis. Wenn die
Vereinigung zweier Urteile der Form "Alle A sind B, alle B sind C"
gilt, so gilt auch das Urteil "Alle A sind C". Ob es ein Urteilspaar
jener Form gibt, das ist nicht mitbehauptet. In unzähligen Fällen lässt
sich die Existenz des entsprechenden Konkreten aufweisen, aber nicht
in jedem Fall. In der modernen Ausgestaltung der Syllogistik, die man
hauptsächlich Boole verdankt, werden formal überaus komplizierte
Schlussprobleme aufgestellt und gelöst, die so wenig aus Beispielen
abstrahiert sind, dass oft ein nicht geringerer Scharfsinn dazugehört,
für die apriori konstruierte Aufgabe ein Beispiel zu bilden, als diese
Aufgabe selbst zu komponieren und in abstracto zu lösen; in dieser
Hinsicht genauso wie in der Arithmetik. Die apriorische Verknüpfung
der Operationen führt auf unzählige Formen, die keinerlei praktische
Anwendung finden oder mindest bisher gefunden haben; (z.B.) ellip-
tische abelsche Gleichung. Natürlich ist aber die Frage praktischer
Anwendung, die Nachweisung von Konkretem, das unter jene höchs-
ten Abstraktionen und aus ihnen gewonnenen höchsten Erkenntnisse
fällt, für die Forderung einer Ausbildung der Theorie ohne Belang. Ich
halte es für höchst unbillig, an die theoretische Logik einen anderen
Maßstab anzulegen wie an die Arithmetik; jener, sowie sie sich über
das Gebiet der alltäglichen Anwendung erheben will, leere Spitz-
findigkeit und Unfruchtbarkeit vorzuwerfen, und andererseits die
Arithmetik zu rühmen, weil sie reiner Theorie zuliebe, um praktische
Nützlichkeit unbekümmert, ausgebaut wird.
Betrachtet die theoretische Logik nichts anderes als ihr For-
schungsgebiet, wie jene höchsten Abstraktionen, die wir logische
Kategorien nannten, und gelangt sie aufgrund desselben wirklich zu
allgemeinen Einsichten ohne jeden Rekurs auf das Besondere der Er-
kenntnis, wie es in den verschiedenen konkreten Wissenschaften be-
arbeitet ist, so muss sie natürlich den Charakter einer demonstrativen
Wissenschaft haben. Unter den älteren Philosophen hat Leibniz schon
diesen Gesichtspunkt vertreten, nach ihm und in Reaktion gegen die

• Das vorhergehende TextstOck fehlt.


268 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

psychologistische Logik des achtzehnten Jahrhunderts Kant und wie-


der Herbart und die meisten Philosophen ihrer Schulen. Dass der de-
monstrative Charakter der Logik immer wieder bestritten worden ist,
kann uns aber nicht wundern. Solange es an einem reinlichen Aufbau
einer Logik als Wissenschaft fehlte, solange man seinen Stolz darein-
setzte, die Logik nur aus praktischen Gesichtspunkten zu entwickeln,
solange man über das Wesen des rein Logischen so sehr im Unklaren
war, dass man es mit dem Psychologischen verwechselte, musste ja
die Behauptung, die Logik sei eine demonstrative Wissenschaft, in
offenkundigstem Widerstreit mit allen tatsächlichen Behandlungen
der Logik stehen. Allerdings haben in den letzten Jahrzehnten ei-
nige englische Mathematiker die entschiedensten Beweise für die
Richtigkeit der älteren Auffassung beigebracht, indem ihnen nichts
Geringeres geglückt ist, als die wesentlichsten Stücke der formalen
Logik rein deduktiv und sogar in Form einer algebraischen Disziplin
zu entwickeln und so das traumhafte und überschwenglich gepriesene
Ziel der leibnizschen Bemühungen zu erreichen. Leider wurde diese
Leistung durch die unglaublichsten Missverständnisse erkauft. Die
absurdesten Lehren über das Wesen des Begriffs und Urteils bildeten
die subjektiven Fundamente für ihre Entdeckungen, und damit wird
die allgemeine Verachtung begreiflich, die jene algebraische Logik
insbesondere in Deutschland gefunden hat. Allerdings haben sich
unsere Logiker auch gar wenig Mühe gegeben, jenen wunderbaren
Versuch genauer zu studieren. Sie hätten bald erkennen müssen, dass
jene absurden oder gänzlich unzulänglichen Ansichten, mit welchen
die algebraischen Logiker ihre Darlegungen begannen und mittels
deren sie sie scheinbar begründeten, gar nicht den Charakter uner-
lässlicher Voraussetzungen haben. Sie hätten erkennen müssen, dass
bleibend Wertvolles und subjektiv Irriges sich hier wohl scheiden las-
sen. Und die älteste und entwickelste aller Wissenschaften hätte ihnen
zugleich ein Beispiel liefern können, wie der Wert einer wissenschaft-
lichen Disziplin nicht gemessen werden kann an der Rechenschaft,
die ihre hervorragendsten Forscher uns von ihren Fundamenten und
Methoden geben, (etwa) d'Alembert.
Wir wollen nun noch in raschem Fluge die wichtigsten Aufgaben
betrachten, die in das Gebiet einer Logik als theoretischer Disziplin
gehören, wodurch wir auch Gelegenheit finden werden, die Frage zu
erwägen, wie sich die theoretische Logik zu einigen bald ihr zugerech-
neten, bald von ihr ausgeschiedenen Disziplinen verhält.
LOGIK ALS THEORETISCHE DISZIPLIN

Alle Erkenntnis vollzieht sich im Urteil. Vom Urteil als subjekti-


vem Akt unterscheiden wir das Urteil selbst, das Urteil im objektiven
Sinn. Fragen wir nun, was im Urteil geurteilt ist, was darin als seiend
oder nichtseiend gesetzt ist, so gelangen wir zur Unterscheidung von
Urteil und Sachverhalt. Das Urteil" Gold ist gelb" setzt den Sachver-
halt, dass Gold gelb ist (dieses ist offenbar selbst nicht ein Urteil), als
seiend. Ein Sachverhalt kann sich nun wieder aus Sachverhalten, evtl.
sogar aus Urteilen oder aus Sachverhalten und Urteilen zusammen-
setzen. Sehen wir von Urteilen ab und betrachten bloß Sachverhalte,
so kann man je zwei Sachverhalte zu einem einzigen Sachverhalt
verknüpfen: "A und B", "A oder B", "A und Nicht-B", "Wenn
A, so B. " Wir haben also die Zusammensetzung von Sachverhalten
zu Sachverhalten, von Urteilen zu Urteilen oder zu Sachverhalten
zu erforschen. In jedem Fall kommt man zu einfachen Sachverhal-
ten und Urteilen (Wahrheiten). Diese aber sind selbst wieder zu-
sammengesetzt, obschon nicht zusammengesetzte Sachverhalte oder
Urteile. l Es gibt, sei es in allen oder in gewissen sehr allgemeinen
Klassen von Sachverhalten, verschiedene Elemente. Dazu rechnet
man Gegenstände und Begriffe. Unter Begriffen versteht man dabei
allerdings nicht immer dasselbe, bald Beschaffenheiten, bald Träger
der Beschaffenheiten, und zwar solche, die als Träger vorgestellt

1 Gestrichen Jedes Urteil urteilt nicht bloß etwas, sondern urteilt auch über etwas. Es gibt,
sei es in allen oder mindest in Klassen von Sachverhalten, gewisse Elemente; so Gegenstände.
Nach vielen Logikern hat jedes Urteil bzw. jeder Sachverhalt die Form, dass von einem Subjekt
ein Prädikat "ausgesagt" wird. Als Prädikat fungiert immer eine Beschaffenheit, als Subjekt
entweder ein gegebener Gegenstand oder ein begrifftich vorgestellter Gegenstand, d.h. " Etwas,
das eine gewisse Beschaffenheit hat". Kurzweg sagt man auch "ein Begriff". Andere sind
freilich der Ansicht, dass sich zwar jedes Urteil bzw. jeder Sachverhalt äquivalent auf diese
Form reduzieren lässt, aber eben nur äquivalent, d.h. dass die elementaren Urteile ursprünglich
verschiedener, nicht identischer Form sind. Es erwächst dann natürlich die Aufgabe, diese ver-
schiedenen Formen zu fixieren, was durch Analyse der entsprechenden sprachlichen AusdrUcke
erfolgen muss. Es sind das oft sehr schwierige Analysen, hauptsächlich wegen der Äquivokation
der meisten Sprachformen, die inmitten des lebendigen Sprechens nicht störend ist, weil wir aus
dem Zusammenhang die Meinung wohl verstehen, im höchsten Maß aber die logische Analyse
hindert, da sie leicht dazu verführt, nur eine der Bedeutungen herauszugreifen und damit eine
Klasse objektiver Gedanken außer Acht zu lassen.
Wie aus einem vorhin angeführten Beispiel hervorgeht, kann dasselbe Urteil in verschiede-
ner Beziehung seiner Form nach betrachtet werden, je nachdem man auf inneren Zusammen-
hang und Formen der Bestandteile weiter oder enger Rücksicht nimmt.
Heben wir zunächst die Gegenstände heraus, die als elementare Formbestandteile in Ur-
teilen auftreten können, so können wir auch bei ihnen von Form sprechen. Wir können un-
terscheiden aufgewiesene Gegenstände und Gegenstände, die nur als gewisse Gegenstände
gedacht sind.
270 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

sind. Beschaffenheiten werden unterschieden in innere und äußere


Beschaffenheiten, von denen die letzteren aus den Relationen zwi-
schen verschiedenen Gegenständen hervorgehen. Ein Gegenstand
kann gedacht sein als ein bloßes Etwas, als ein Gewisses, oder er
kann ein gegebener Gegenstand, ein Dies sein, oder er kann gedacht
sein als ein Etwas, das die Beschaffenheit a hat, und endlich kann
er als ein beliebiges Etwas dieser Beschaffenheit dastehen. Gegen-
stände lassen sich in allgemeinster Form zu neuen Gegenständen
verknüpfen, indem wir Inbegriffe, Vielheiten bilden, die selbst wieder
als Gegenstände fungieren. Ebenso lassen sich Beschaffenheiten (Be-
griffe), z.B. a und ß, wieder zu neuen Beschaffenheiten verknüpfen
in allgemeinster Form, indem wir den Begriff von etwas bilden, das
sowohl aals ß ist. Wieder gibt es eine allgemeinste Form der Bildung
einer Beschaffenheit aus gegebenen Beschaffenheiten, die wir die
disjunktive nennen: Etwas, das entweder a oder ß ist, evtl. beides
zusammen, wodurch wir analoge Verknüpfungen erhalten wie bei
Sachverhalten im Ganzen. So geht die Untersuchung weiter. Hat man
die allgemeinsten Formbestandteile der Sachverhalte gewonnen, so
kann man durch sie Formen der Sachverhalte selbst bilden, indem
man die Bestandteile bald von dieser, bald von jener Form wählt. Z.B.
"Ein A ist M", "Eine Mehrheit von A ist M" oder, in distributiver
Betrachtung, "si nd M", "A und Bund eist M", " Entweder A oder
Bist M" usw.
Hat man die Begriffe gewonnen, so kann man sie zur Aufstel-
lung von Sätzen verwenden. Und damit hebt die eigentliche Wis-
senschaft an, deren Forschungsmaterial abzugrenzen Aufgabe der
vorbereitenden Untersuchungen war. Die Schwierigkeit dieser vor-
bereitenden Untersuchungen liegt hauptsächlich in den Mängeln der
Sprache. Die meisten Ausdrucksformen sind äquivok oder homonym.
Inmitten des lebendigen Sprechens stört dies wenig, weil wir jeweils
mit Leichtigkeit aus dem Zusammenhang der Rede die eigentliche
Meinung entnehmen. Dagegen ist die logische Analyse durch die
Äquivokation behindert, denn leicht wird man dazu verleitet, was
gleich ausgedrückt ist, auch für gedanklich identisch zu halten und
in Anlehnung an irgendeine der verschiedenen Bedeutungen die
anderen zu übersehen. Andererseits stört auch die Homonymie; sie
verleitet uns, was verschieden ausgedrückt ist, auch sachlich für ver-
schieden zu halten und Unterschiede zu suchen, wo keine vorhanden
sind. Doch sind die aus letzterer Quelle fließenden Täuschungen
LOGIK ALS THEORETISCHE DISZIPLIN 271

mehr von psychologischer als logischer Bedeutung. Natürlich stecken


ja hinter all diesen logischen Unterschieden auch psychologische.
Wenn wir objektiv zwischen Subjekt und Prädikat unterscheiden,
so müssen wir auch im Phänomen einen Unterschied finden, der
dem entspricht, sonst könnten wir den objektiven auch nicht wahr-
nehmen und benennen. Es ist daher auch nichts dagegen einzuwen-
den, wenn eine exakte Deskription zugleich in beiderlei Interesse,
in psychologischem und logischem erfolgt. Nur hat das logische aus-
schließlich auf das Sachliche zu achten, auf das, was gemeint ist und
was identisch bleibt, wann immer und wo immer dasselbe gedacht
ist.
Der Umfang der apriorischen Sätze, die man aufgrund der ab-
gegrenzten Begriffe gewinnt, hängt natürlich wesentlich von dem
Umfang der Abgrenzung selbst ab. Beschränkt man sich z.B. auf
den Begriff des Sachverhalts und kümmert sich bloß darum, wie aus
Sachverhalten als solchen neue Sachverhalte zusammensetzbar sind,
hält man sich also bloß an die Verknüpfungsformen, die allgemein
im Begriff des Sachverhalts gründen, ganz ohne Rücksicht auf die
allgemeine innere Konstitution von Sachverhalten und die daraus re-
sultierenden besonderen Verknüpfungen, so gewinnt man ein relativ
abgeschlossenes Gebiet von Sätzen. Nimmt man die Bestandteile und
deren Formen hinzu, so erweitert sich das Gebiet außerordentlich.
Insbesondere ist die Lehre vom Begriff wieder ein relativ abgeschlos-
senes Gebiet. Dabei kann wieder der Gesichtspunkt des Inhalts oder
der des Umfangs maßgebend sein. Im Begriffsumfang denkt man
sich die Gesamtheit der Gegenstände, die unter dem Begriff stehen,
vereinigt. Diese Gesamtheit ist eine Vielheit, daher man auch vom
Gesichtspunkt der Quantität spricht. Ist aber der Begriff der Viel-
heit mit in die Logik aufgenommen, und das kann man doch nicht
vermeiden, so auch die ganze apriorische Mengenlehre. Weiter ist
aber nicht abzusehen, warum dann auch nicht die Zahlen, die nichts
weiter sind als spezifische Besonderungen von Mengen, Aufnahme
finden sollten. Dann aber gehört die ganze Arithmetik in den Rahmen
einer hinreichend weit verstandenen Logik; zunächst aber nur die
Arithmetik als Anzahlenlehre. Aber auch den Begriff der Reihe und
mit ihm den Begriff der Ordinalzahl wird man nicht gut ausschließen
können. Und so werden wir uns mit der zunächst wohl befremdlichen
Auffassung Lotzes befreunden müssen, dass die Arithmetik nur ein
relativ selbständiges und von alters her besonders hoch entwickeltes
272 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

Stück der Logik sei: Tatsächlich repräsentiert sie auch in praktischer


Hinsicht das großartigste Instrument, das der menschliche Geist zu
Zwecken der Deduktion ersonnen hat.
An die Arithmetik schließt sich dann die Mannigfaltigkeitslehre
sowie die sie noch umspannende allgemeinste Lehre von den Rela-
tionen. Der Begriff einer Mannigfaltigkeit ist nichts weiter als der
Begriff einer irgendwelchen Einheit von Elementen, also identisch
mit dem Begriff des Ganzen im weitesten Sinne des Wortes. Und was
die Einheit des Ganzen begründet, sind irgendwelche Verknüpfungen
und mit ihnen gegebene Beziehungen. Ein so allgemeiner Begriff ist
zu leer, als dass sich auf ihn eine Theorie gründen könnte. Nichts
steht aber im Wege, konventionelle Begriffe von Mannigfaltigkeit
zu fixieren, nämlich dadurch, dass man den Elementen bestimmte
Formen der Verknüpfung, und diesen Formen wieder gewisse Gesetz-
mäßigkeiten vorschreibt, nach denen die Formen ineinander transfe-
riert, äquivalent durch einander ersetzt werden dürfen. Unter den
Begriff solcher Verknüpfung fällt dann Z.B. als besonderer Fall die
Verknüpfung zweier Merkmale zu einem komponierten Merkmal
oder die summatorische Verknüpfung zweier Zahlen zu einer neuen
Zahl. Und wie z.B. das Gesetz gilt, dass in einer Zahlensumme die
Elementarzahlen beliebig vertauscht werden dürfen, und wieder, dass
in einer Verknüpfung von Merkmalen die Anordnung derselben für
das resultierende Gesamtmerkmal ungeändert bleibt, so kann man
den allgemeinen Begriff einer Verknüpfung bilden, welche durch Ver-
tauschung der Elemente nach dem, was sie gegenständlich vorstellt,
ungeändert bleibt: a 0 b =boa.
Natürlich kann man demselben Inbegriff von Elementen mehrere
solcher Gesetzmäßigkeiten vorschreiben und durch die Form dieser
Gesetzmäßigkeiten ihren Inhalt bestimmt sein lassen. Und sorgt man
nur für Widerspruchslosigkeit solcher Vorschriften, dann kann man
aus denselben apriori schon Deduktionsformen herleiten. Die Viel-
heit solcher Deduktionssysteme ist unausschöpfbar. Es wird daher
keinem einfallen, sie alle aufstellen zu wollen. Man lässt sich aus die-
sem Grunde von den in der Logik und Arithmetik (und) Größenlehre
bestehenden und dort aus der Natur gegebener Begriffe hervorflie-
ßenden Formen leiten, jedoch mit einem gewissen Grad der Freiheit
derart, dass man umfassendere, weiter herrschende Deduktionssys-

• Vgl. Lotze, Logik, S. 138f.


LOGIK ALS THEORETISCHE DISZIPLIN 273
terne konstruiert, welche die tatsächlich geltenden als beschränkte
Gebiete in sich fassen. Ist die Mathematik das wunderbarste Instru-
ment der Naturforschung, so ist wieder die Mannigfaltigkeitslehre
das Wunderbarste Instrument der Mathematik. Ohne sie wäre die
Mathematik immer in den Kinderschuhen stecken geblieben, und
nur ihr haben wir es auch zu verdanken, dass die moderne Mathe-
matik den Gedanken einer algebraischen Theorie der Begriffe und
Sachverhalte hat wirklich durchführen können. Freilich gehören die
Prinzipien ihrer Konstruktion sicher nicht mehr in die theoretische
Logik. Man muss überall den Erkenntniszweck in den deduktiven
Disziplinen sicher im Auge haben, um jene Formalismen erfinden
zu können, die als wertvoller Behelf der Deduktion dienen können.
Aber theoretisch wird man sie selbst an die allgemeinsten deduktiven
Disziplinen, also an die Logik, doch angliedern müssen.
Soweit wir die Logik bisher betrachtet haben, können wir auch
sagen, sie ist die theoretische Wissenschaft von den deduktiven Ope-
rationen im Allgemeinen oder die theoretische Wissenschaft von den
Formen der Deduktion. Denn dieser Begriff würde doch alles Bis-
herige umfassen: Deduktionsformen gründen im Begriff des Begriffs,
im Begriff des Sachverhalts, im Begriff der Vielheit, im Begriff der
Zahl, endlich im Begriff der Mannigfaltigkeit. Die einzelnen Sätze, die
sich da finden, ohne selbst schon den Charakter von Deduktionen zu
haben, wie das Vertauschungsgesetz, haben dann den Charakter von
Axiomen für das betreffende Deduktionsgebiet; sie geben Mittel, um
aus gegebenen logischen oder arithmetischen Urteilen neue herzulei-
ten. Wie wir im engeren Sinn die Arithmetik als Wissenschaft von den
Zahlendeduktionen oder von den deduktiven Zahlenoperationen be-
zeichnen, so könnten wir dann allgemeiner von der Wissenschaft der
deduktiven Operationen überhaupt sprechen, und das Gesamtgebiet
gliederte sich dann in die erwähnten Sondergebiete, die voneinander
nicht gänzlich unabhängig sind und von denen offenbar das Gebiet
der rein im Begriff des Gegenstandsbegriffs und Sachverhalts bzw.
Urteils gründenden Deduktionen als das fundamentalste gelten muss.
Denn sie stellen die allerallgemeinsten Sätze fest, die in den übrigen
Gebieten, in der Mengenlehre, Arithmetik, in der Lehre von den
Mannigfaltigkeiten, viel Anwendung finden.
Ist damit das Gebiet der Logik als theoretischer Disziplin ab-
geschlossen? Wie steht es, werden Sie fragen, mit der Logik der
Induktion? Die Antwort lautet: In demselben Verhältnis, in dem
274 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

die Kunstlehre der Deduktion zu dem bisher abgegrenzten theoreti-


schen Gebiet steht, steht die Kunstlehre der Induktion zu der Theorie
der Wahrscheinlichkeiten. Die Vermutungen als Akte, in denen uns
subjektiv etwas für wahrscheinlich gilt, sind nicht das Substrat der
Wahrscheinlichkeitslehre, sondern die objektive Wertschätzung der
Wahrscheinlichkeiten, durch welche die bezügliche Vermutung zu
einer entsprechend vernünftigen wird, ganz so, wie ein Urteilsakt
vernünftig ist, der der objektiven Wahrheit gemäß ist. Allerdings ist
die Theorie der Induktion noch immer das Schmerzenskind der Logik.
Die Frage nach den berechtigenden Gründen der Induktion wird seit
Hume vorwiegend negativ, und wenn positiv, so nur scheinbar positiv
beantwortet. Eine scheinbar positive Antwort ist es doch, wenn man
als höchstes Prinzip aller Induktion den apriorisch unbegründeten
und selbst durch keine Induktion zu begründenden Glauben an die
Begreiflichkeit der Natur hinstellt, wenn man von Postulaten unse-
res Erkenntnisstrebens redet, als ob ein Postulat einen vernünftigen
Grund abzugeben vermöchte. Auf viel besseren Wegen scheinen mir
die Logiker zu wandeln, die in der Wahrscheinlichkeitslehre eine rein
apriorische Disziplin sehen, in welcher das genügende theoretische
Fundament der Induktion steckt. Diese Ansicht finde ich schon bei
Bolzano: der in so vielen Punkten seiner Zeit weit voraus ist, in
neuerer Zeit wiederum bei Brentano und gleichzeitig bei Jevons, in
dessen geistvollen Principles, (ebenso bei) Stumpf.
Gibt es nun eine apriorische Wahrscheinlichkeitslehre, so werden
wir sie natürlich wieder als ein Stück der theoretischen Logik in An-
spruch nehmen müssen. Aber wieder handelt es sich um ein relativ
selbständiges Stück. Offenbar stehen einander Syllogistik, Mengen-
lehre und Anzahlenlehre im Ganzen näher als sie alle der Wahrschein-
lichkeitslehre. Immerhin ist die Beziehung beiderseits noch eine zu
innige, um aus der Wahrscheinlichkeitslehre eine ganz selbständige
Wissenschaft zu machen.
Dies also dürften die wesentlichen Gebiete aller theoretischen
Logik sein. l Werfen wir nun von hier einen Blick auf die Logik als
Kunstlehre. Indem ich die Wichtigkeit einer rein theoretischen Erfor-
schung jener Gebiete betonte, wollte ich natürlich nicht gegen eine

• Vgl. Bolzano, Wissenschafts/ehre, Bd. 11, §2S3,Anm.


1 Gestrichen Sie hätten uns, und nicht die Psychologie, das wesentliche theoretische Funda-
ment für eine Logik als Kunstlehre zu bieten.
LOGIK ALS THEORETISCHE DISZIPLIN 275

Kunstlehre der Erkenntnis irgendwie opponieren, deren Wichtigkeit


mir zu einleuchtend erscheint, als dass darüber ein ernstlicher Streit
sein könnte. In einer praktischen Logik dienen uns die erwähnten
theoretischen Sätze zur Normierung unserer Erkenntnis und Erkennt-
niswege. Um mittels ihrer den Erkenntniszweck zu fördern, müssen
wir nun natürlich auf die psychologischen Funktionen, die in der
Erkenntnis zur Geltung kommen, alle Rücksicht nehmen. Es sind
demgemäß aus der Psychologie mannigfaltige Sätze heranzuziehen.
So die Unterschiede zwischen deutlichen und undeutlichen, zwischen
anschaulichen und nichtanschaulichen Vorstellungen, sinnlichen und
nichtsinnlichen. Ferner die Entstehung und psychologische Funktion
der Begriffe und ihrer Zeichen, der Worte. Ebenso Entstehung und
psychologische Funktion der Urteile und alle psychologischen Eigen-
schaften der Urteile: Evidenz, Überzeugung, Gewissheit, Festigkeit
usw., über den Ursprung des Irrtums usw.
Erst innerhalb dieser praktischen Logik ist eine ausreichende Zer-
gliederung der wissenschaftlichen Methoden möglich. Achten wir
bloß auf die Begründungszusammenhänge, so ist nicht alles getan, um
die Methode als solche vollkommen zu erfassen. Nicht jedes metho-
dische Verfahren hat den Charakter eines schrittweise von Evidenz
begleiteten Deduzierens oder Induzierens. Die meisten und entwi-
ckelsten wissenschaftlichen Methoden sind psychologisch gefestigte,
sozusagen mechanische Verrichtungen, deren Gliederung und An-
ordnung durch einsichtige Überlegungen wohlbestimmt war, aber nur
bei demjenigen, der die Methode klar bewusst erfand oder sich ihren
logischen Gehalt zu klarem Bewusstsein brachte; (so) Rechnungen,
algebraische Verfahrungsweisen, Algorithmen.
So viel dürfte aber klar sein, dass andererseits psychologische Be-
trachtung allein nicht hinreichend ist, um uns ein logisches Verständnis
der wissenschaftlichen Verfahrungsweisen zu vermitteln. Sie setzen
sich eben aus zwei Faktoren zusammen, einem apriorischen und einem
empirischen. Mit dem apriorischen Faktor hat es die reine Logik zu
tun, soweit es sich um Einsichten handelt, die von aller Besonderheit
des vorliegenden Gebietes unabhängig sind. Darüberhinaus treten
in dem speziellen Gebiet auch apriorische Wahrheiten auf, die in
seiner besonderen Natur gründen. Die Grundwahrheiten dieser Art
herauszulösen, wäre dann eine Aufgabe der Logik dieses besonderen
Gebietes. Wo es sich aber darum handelt, in weitem Umfang aus ge-
gebenen Erkenntnissen neue Erkenntnisse zu gewinnen, da ist auf die
276 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

Besonderheit des menschlichen Intellekts Rücksicht zu nehmen. Es


sind die Prozeduren des Erkennens so anzuordnen, dass auf möglichst
leichtem und sicherem und andererseits auf möglichst fruchtbarem
Wege neue Erkenntnisse zu gewinnen sind.

(William Rowan Hamilton.)


So viel über die allgemeinen Gesichtspunkte, von denen aus nach
meiner Überzeugung eine künftige Logik sich wird leiten lassen müs-
sen, wenn sie uns dem großen Ziel wirklich näher bringen will, nämlich
klares Licht zu verbreiten über Wesen und Methode der Wissenschaft
und strenge Kriterien an die Hand zu geben, nach denen wir mit
besserem Erfolg als bisher wahre und falsche Methode einsichtig
zu unterscheiden vermöchten. In den nachfolgenden Vorlesungen
gedenke ich Sie mit einigen merkwürdigen Versuchen bekannt zu
machen, das Gebiet der traditionellen formalen Logik vom Grund
aus zu reformieren, den Umkreis ihres Forschungsgebietes mächtig
zu erweitern und ihr zugleich den Charakter einer rein deduktiven,
nach Art der Arithmetik rechnerisch verfahrenden Disziplin zu ver-
leihen. Die ersten Ansätze dieser Tendenzen finden wir bei Leibniz.
Sie kamen aber bei ihm zu keiner vollen Entwicklung. Die wenigen,
erst durch Vergleich mit den Ergebnissen der modemen und voll ent-
wickelten Disziplin interessanten Resultate, die er gewonnen, wurden
erst 1840 in der erdmannschen Ausgabe der philosophischen Werke
publiziert. Sie blieben auch dann ohne Wirkung auf die Bemühungen
ähnlich Gesinnter.
Nach Leibniz wäre insbesondere Lambert zu nennen, den wohl
die in den veröffentlichten Werken Leibnizens verstreuten, obschon
ganz allgemein gehaltenen Verheißungen einer lingua characteristica,
die nach Art der arithmetischen zugleich als Werkzeug rechnerischer
Deduktion dienen sollte, angeregt haben. Und von ihm gehen die Be-
strebungen weiter über aufPloucquet und Holland. Damit aber bricht
die Entwicklungsreihe ab, ohne zu abschließenden und abgeklärten
Ergebnissen gelangt zu sein.
An die Untersuchungen dieser Männer knüpft sich kein weiterer
Fortschritt, und obwohl sie dem Ziel, das die Engländer nachher
wirklich erreicht haben, relativ sehr nahe gekommen waren, so wird
doch der mangelnde Zusammenhang mit den modemen Forschungen
eine Rechfertigung dafür geben, dass wir auf die wenig fruchtbare
WILLIAM ROWAN HAMILTON 277

Zergliederung der Theorien dieser originellen Denker nicht näher


eingehen. Die mathematische Logik, so wie wir sie gegenwärtig vor-
finden, ist der Hauptsache nach ein Produkt des englischen Geistes,
und so wollen wir denn auch auf die Entwicklung derselben in England
allein hinblicken.
Wir beginnen mit Hamilton: Er wurde 1788 zu Glasgow geboren,
wurde 1821 zunächst als Professor der Geschichte in Edinburgh an-
gestellt, erhielt dann (1836) die Professur für Logik und Metaphysik,
die er bis zu seinem Tod 1856 bekleidete. Er ist ohne Zweifel einer
der scharfsinnigsten und zugleich einflussreichsten englischen Den-
ker dieses Jahrhunderts. Als Schotte fühlt er sich vorzugsweise zur
schottischen Schule hingezogen, die er wieder zu Ehren zu bringen
wusste, vor allem durch seine berühmte Ausgabe Reids sowie durch
die Ausgabe der Werke Stewarts. So groß die Einwirkungen auch
waren, die er von den schottischen Philosophen erfuhr, es wäre doch
sehr gefehlt, ihn einfach als Fortsetzer dieser Richtung zu taxieren.
Der Hauptsache nach vertrat er einen selbständig modifizierten Kan-
tianismus, wie in der Erkenntnistheorie und Metaphysik, so im Beson-
deren auch in der Logik, die uns hier allein angeht. Auch ihm ist die
Logik die Wissenschaft von den Gesetzen des Denkens als solchen.
Sie habe ausschließlich auf die Form der Erkenntnis Rücksicht zu neh-
men und von allem Unterschied der Materie zu abstrahieren. Auch
ihm ist die Logik in diesem Sinne eine formale Wissenschaft, auch
ihm eine demonstrative und apriorische Wissenschaft wie die Arith-
metik. Der Unterschied zwischen Materie und Form wird ähnlich
bestimmt wie bei Kant und seinen deutschen Schülern. In allem, was
wir denken, sind zwei faktisch untrennbare, aber theoretisch wohl zu
unterscheidende Faktoren auseinander zu halten: einerseits der Stoff,
der uns durch die vorstellenden Tätigkeiten, durch Wahrnehmung,
Einbildungskraft und Erinnerung, geliefert wird, und die Form, die
vom Verstand herrührt. .Das sind die Gesetze, nach denen wir den-
kend den Stoff zu Begriffen, Urteilen und Schlüssen verarbeiten. Die
Verstandestätigkeit soll auf drei Grundbetätigungen hinauskommen:
auf Vergleichung, Analyse und Synthese. In der Bildung allgemeiner
Begriffe vergleicht, trennt und verknüpft unser Verstand Attribute,
im Urteil vergleicht, verknüpft und trennt er Begriffe, im Schluss

• Zur folgenden Darstellung der Lehre Hamiltons vgl. Louis Liard. Die neuere englische
Logik. 2. Aufl., Leipzig 1883. Kap. III.
278 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

vergleicht, verknüpft und trennt er Urteile. Die Form, die ganze Form
und nichts als die Form, das soll die Devise der Logik sein. Die Dinge,
wie sie wirklich und an sich sind, gehen die Logik nicht an. Sie hat
es nur mit den allgemeinen Denkformen zu tun, unter denen unser
Geist sie auffasst, oder wie es ein andermal heißt: Sie hat es nur mit
den Beziehungen zu tun, die sich aus den Bedingungen des Denkens
ergeben und von diesem ihre Regel empfangen. Daher hat sie es
auch nicht mit der Richtigkeit und Falschheit unserer Urteile zu tun,
sondern nur mit ihrer Widerspruchslosigkeit. Sie verbürgt nicht die
Richtigkeit der Prämissen oder die Richtigkeit des Schlusssatzes, son-
dern nur die Richtigkeit der Folgerung. An Kant findet Hamilton nur
das eine zu tadeln, dass er noch nicht formalistisch genug verfahren
sei und manches Metaphysische, so insbesondere in der Lehre von der
Modalität, habe von Einfluss werden lassen. 1 Wieder erinnert an Kant
die Unterscheidung von Logik und Psychologie. (Wir urteilen nach
Kant bei der Modalität über das Verhältnis des Urteils zum Erkennt-
nisvermögen, nicht über die Sache selbst.) Die Psychologie hat es mit
dem Zufälligen, die Logik mit dem Notwendigen des Denkens zu tun.
Aber sie hat es nicht zu tun mit der Denktätigkeit selbst, mit den
kantischen apriorischen Formen der Sinnlichkeit und des Verstandes,
sondern mit den Produkten des Denkens und deren apriorischen Ge-
setzen.2 Man muss, meint Hamilton, wohl unterscheiden einerseits die
Form des Denkens in Bezug auf das denkende Subjekt - als solche ist
sie Akt, Operation, und gehört der phänomenalen Psychologie an-
und andererseits die Form des Denkens in Bezug auf das Gedachte,
1 Vgl. dagegen Kant (Logik, in: lmmanue/ Kant's sämmtliche Werke. In chronologischer
Reihenfolge hrsg. von G. Hartenstein, Leipzig 1868, Bd.) VIII, (S.) 106. Das hat Liard aus der
Abhandlung von 1833, ("Logic. The Recent English Treatises on That Science"), Discussions
(on Phi/osophy and Literature, Education and University Reform, 3rd ed., Edinburgh 1866, S.)
144-145. Hamilton bezieht sich da aufdie sachliche Unterscheidung von necessitas consequentiae
("ideale",,, formale"), der" logischen" Notwendigkeit, und necessitas consequentis. Die letztere
ist unsere logische Notwendigkeit und hängt von der modality des gefolgerten Sachverhalts ab..
Ist materiale Wahrheit oder Falschheit etwas Extralogisches, so auch Modalität. Notwen-
digkeit und Zufälligkeit sind Umstände, welche die logische Kopula nicht affizieren und den
logischen Schluss nicht angehen. Sie beziehen sich nicht auf die VerknUpfung von Subjekt und
Prädikat des antecedens und consequens als terms in thought, sondern als reality in existence.
Sie sind metaphysische und nicht logische Bedingungen. Der syllogistische Schluss ist immer
notwendig und ist in gleicher Weise apodiktisch bei zufälligen und notwendigen Gegenständen.
Vgl. darUber Weiteres (S.) 145 nebst historischen Bemerkungen.
2 (William Hamilton,}Lectures (on Metaphysics and Logic, 3th ed., Edinburgh 1874, vo1.}I,
(S.) 73. Das Original benUtzen! Besonders (S.) 74 oben. Das scheint Ubrigens nicht aus Liard zu
sein, sondern Übersetzung jener zitierten Stellen.
WILLIAM ROWAN HAMILTON 279
d.i. als Produkt der Tätigkeit. Die Logik hat es nur mit Letzterem
zu tun. Nicht die Tätigkeit des Denkens betrachtet sie, sondern das
Ergebnis des Denkens, nicht die Begriffs-, Urteils- und Schlussbildung
geht sie an, sondern der Begriff, das Urteil, der Schluss.
Was nun die notwendigen Denkgesetze anbelangt, die jene Denk-
produkte regeln und die als notwendige ausschließlich in der Natur
des denkenden Subjekts wurzeln (denn wären sie im Stoff begründet,
so würden sie den Charakter bloßer Zufälligkeiten an sich tragen),
so sind es natürlich die bekannten drei: der Satz der Identität, des
Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten, von denen das erste
als Prinzip der logischen Bejahung, das zweite als Prinzip der logischen
Verneinung, das dritte als Prinzip der logischen Disjunktion gedeutet
wird; worauf wir nicht eingehen wollen. Was wir besprochen haben,
genügt vollständig zur Charakterisierung des allgemeinen Standpunk-
tes, den Hamilton vertritt. Kritisch wäre gegen ihn natürlich dasselbe
einzuwenden wie gegen Kant. Die Unterscheidung von Materie und
Form ist bedenklich äquivok, sie schillert ins Metaphysische zugleich
und ins Psychologische. Dasselbe gilt vom Begriff des Apriori, vom
Begriff der formalen Wissenschaft usw. Wenn es heißt, dass die Ma-
terie von der vorstellenden Tätigkeit herrührt und die Form vom
Verstand, so haben wir damit eine Unterscheidung von solchen Ver-
mögen vorausgesetzt und stehen in der Psychologie, noch dazu in
einer sehr bedenklichen. Wie bei Kant wird diese psychologische Un-
terscheidung dann erkenntnistheoretisch verwertet. Der Verstand soll
das Apriorische liefern, das Notwendige; was aber im Stoff gründet,
soll zufällig sein, aposteriori. Im Grunde geraten wir damit in die
Lehre von den angeborenen Ideen mit allen ihren Gebrechen. Warum
soll das, was aus der Natur des Verstandes herrührt, einen besonde-
ren Vorzug haben vor dem, was aus anderen psychischen Vermögen
stammt? Und ist der Verstand bei allen derselbe? Wenn von zwei
Individuen das eine A urteilt und das andere non- A, warum darf
man da nicht sagen, aus der Natur des Verstandes entspringe bei dem
ersten Individuum das eine und bei dem anderen das entgegengesetzte
Urteil? Wie kommen wir dazu, nur dem einen Wahrheit, dem anderen
aber Irrtum zuzuschreiben? Wie heben wir uns über den extremsten
Subjektivismus hinaus? Ferner, woher wissen wir etwas von diesem so
genannten" Verstand "? Natürlich von der konkreten Erkenntnis der
Wahrheit. Wir haben Einsicht, Erkenntnis, erfassen darin Wahrheit
und schreiben uns nachträglich das Vermögen zu, Wahrheit zu erken-
280 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

nen, und dieses Vermögen nennen wir Verstand. Wie sollte aber die
so vorausgesetzte personifizierte Möglichkeit, die supponierte Dis-
position zu irgendeiner wesentlichen Unterscheidung Grund geben
können? Wir stellen vor, also haben wir Vorstellungskraft; wir urteilen
und erkennen, also haben wir Verstand. Diese Entitäten lässt man nun
zusammenwirken: Was der einen Entität ausschließlich entspringt,
das soll das Apriorische erklären, was der anderen entspringt, das
Aposteriorische. Und so geht es weiter. Als ob das Geringste damit
erklärt wäre! Dass das Morphium die vis soporijica hat, ist eine ebenso
unzweifelhafte als tiefe Wahrheit wie, dass der Mensch Verstand hat
und dass aus ihm die einsichtigen Urteile entspringen. Und die letztere
ist eine ebenso große Bereicherung der Logik und Metaphysik und
Psychologie, als die erstere eine solche der Medizin ist.!
Hamilton legt Gewicht auf den Unterschied zwischen Operation
des Denkens und Ergebnis des Denkens.2 Durch diese Unterschei-
dung hofft er, sich vom Vorwurf, Psychologie und Logik zu vermen-
gen, freizuhalten. Aber ist das Ergebnis einer psychischen Tätigkeit
nicht selbst etwas Psychisches? Natürlich, ein Richtiges hat Hamilton
hier im Auge: Der Begriff ist nicht dasselbe wie die Konzeption, die
Tätigkeit, der wir den Begriff verdanken; ebenso ist Urteilen und Ur-
teil, Schluss und Schließen zu scheiden. Aber die logische Trennung,
die er hier sieht, kann er doch nicht richtig erfassen. Das Wesentliche
ist, dass der logische Begriff nicht der flüchtige, nur im Moment des
Begreifens reale Prozess des Denkens ist, ebenso wenig der subjektiv
phänomenale, nicht minder flüchtige Gehalt dieses Denkens, sondern
das im Wechsel der Phänomene Identische, das Objektive. Vom Be-
griff als realem Phänomen handelt die Psychologie, vom Begriff als
objektivem die Logik. Wenn zwei Personen den Satz "Der Löwe ist
ein Raubtier" in gleichem Sinn verstehen und verwenden, so denken
beide dasselbe; wenn zwei Personen in gleichem Sinn von Sokrates
oder Bismarck sprechen, so meinen sie dieselben Dinge usw. Die
subjektiven Phänomene sind aber nicht dieselben, sind nicht bloß
individuell, sondern auch in der Regel inhaltlich verschieden. "Form"

! Gestrichen Wenn übrigens dem Verstand das Logische koordiniert wird als das Notwendige,
so liegt ein durch Jahrhunderte fortgeschleppter Irrtum zugrunde. Und was sollen wir zur
Trennung von Stofflichem und Form sagen, wenn die Form das Funktionelle und das Stoffliche
das sein soll, an dem die Funktion geübt wird? Wie ist eine Trennung da zu verstehen?
2 Gestrichen Aber wie sollen wir uns das Ergebnis eines reinen Denkens als gelöst von allem
Stofflichen vorstellig machen?
WILLIAM ROWAN HAMILTON

in der Logik ist nicht ein supponiertes Etwas, das gewisse höhere
Seelenkräfte zu dem, was die anderen geben, hinzutun - das wäre
immer noch psychisch -, sondern Form ist ein Klassenbegriff, Form
ist logische Kategorie.
Es wird uns nun darauf ankommen, die durchgreifenden Refor-
men, welche Hamilton für die Logik als unerlässlich angesehen hat
und die für die Entwicklung dieser Wissenschaft in England einfluss-
reich geworden sind, kennen zu lernen. Aus dem Begriff der Logik
ergibt sich, meint Hamilton, ein wichtiges Postulat. Wenn ihr Ge-
genstand die Form, die ganze Form, aber auch nichts als die Form des
Denkens ist, so kann sie ihre Aufgabe unmöglich lösen, wenn sie nicht
alles im Akte und somit auch im Produkte des Denkens Enthaltene
wirklich ausdrückt. Die Sprache des gemeinen Lebens unterlässt dies
in der Regel. Es kommt ihr nicht darauf an, das Wie des Denkens, die
Form, sondern nur darauf, das Was auszudrücken, die Materie. Sie
begnügt sich mit dem, was zum Verständnis des Gedachten unerläss-
lich ist. Die Logik hingegen, da es ihr auf die Form gerade ankommt,
muss alles im Denken implicite Enthaltene mit aller Ausführlichkeit
explicite aussprechen. Tritt ein Urteil dem Logiker entgegen, so tritt
es ihm zunächst durchs Medium einer Aussage entgegen. Ehe er es
zum Forschungsobjekt macht, muss die Bedeutung der Aussage voll-
kommen expliziert sein (Lectures (on Metaphysics and Logic, vol.) I,
(S.) 114). Die älteren Logiker haben diese wichtige Forderung nicht
erfüllt und in ihrer Wichtigkeit nicht gewürdigt, und deshalb sind sie
bei der Analyse ihrer Gegenstände überall auf halbem Wege stehen
geblieben.
Ziehen wir nun die Konsequenz. Jedes Urteil verknüpft ein Subjekt
durch die Kopula mit dem Prädikat. Das Subjekt wird gewöhnlich,
obschon nicht immer, mit einer bestimmten Quantität gedacht, nicht
aber das Prädikat, obschon doch der Quantität des Subjekts auch eine
bestimmte Quantität des Prädikats zugehört und demgemäß, ohne
ausgedrückt, implicite mitgedacht sein muss. Wir sagen: "Alle Men-
schen sind sterblich", ohne näher anzugeben, ob wir alle sterblichen
Wesen meinen oder nur einige. Die Fälle, wo wir eine Quantifikation
des Prädikats ausdrücken, sind die Ausnahme, wie wenn wir z.B.
sagen: "Unter den Tieren ist der Mensch allein vernünftig." Das
ändert aber nichts daran, dass wir in jedem Urteil das Prädikat in
einer bestimmten Quantität notwendig denken und dies also in der
Logik überall auch ausdrücken müssen. In der Tat, was heißt einem
282 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

Subjekt ein Prädikat beilegen? Es heißt nichts anderes als das Subjekt
unter einem oder in einem gegebenen Begriff denken. Sagt man:
"Menschen sind sterbliche Wesen", so stellt man den Begriff Mensch
unter den Begriff sterbliches Wesen, mit anderen Worten: Man stellt
die Klasse des Menschen in die Klasse der sterblichen Wesen.
Aber das reicht noch nicht aus. Wenn wir sagen: "Menschen sind
Tiere", was meinen wir? Dass alle Menschen oder dass einige Men-
schen sterbliche Wesen sind? Natürlich alle. Also das muss ausge-
drückt werden, wie das die Logik immer getan hat. Weiter: Wenn wir
sagen: "Alle Menschen sind sterbliche Wesen", meinen wir, dass alle
Menschen alle sterbliche Wesen sind, oder das, dass sie einige sterbli-
che Wesen sind? Das Letztere. Also muss es auch ausgedrückt werden.
Wie wir in der Logik das Subjekt des Urteils quantifizieren, müssen
wir also auch das Prädikat quantifizieren, und nur so bringen wir den
vollen Sinn des Urteils zum adäquaten Ausdruck.!
Dies ist die Begründung der berühmten Quantifikation des Prä-
dikats, welche das Fundament für die neue Analytik des Hamilton
ist. Die Alten, indem sie diese Entdeckung nicht gemacht haben,
konnten die Logik nur einseitig entwickeln. Ihnen verdanken wir jene
zahlreichen nutzlosen und widerspruchsvollen Regeln, welche durch
die neue Analytik mit einem Schlage beseitigt und durch einfachere,
übersichtlichere und symmetrischere ersetzt werden.
Betrachten wir einige der hervorstechendsten Konsequenzen der
Quantifikation des Prädikats, zunächst für die Theorie des Urteils.
Die alte Logik unterschied die Urteile nach Qualität in bejahende
und verneinende, nach Quantität in allgemeine und besondere. Durch
Kreuzung (ergaben sich) also vier Klassen. Die neue Analytik stellt
vier Möglichkeiten der Quantifikation fest, also erhält acht Klassen
von Urteilen. Die bejahenden sind:
r) Die bejahend toto-totalen: Subjekt- und Prädikatbegriff sind
beide nach ihrem ganzen Umfang gedacht, z.B. Jedes Dreieck ist jedes
Dreiseitige.
2) Die bejahend toto-partiellen: Das Subjekt ist dem ganzen Um-
fang nach gedacht, das Prädikat nur einem Teil nach, also partikular,
(z.B.) Alle Dreiecke sind einige Figuren.
3) Die bejahend parti-totalen: Subjekt partikular, Prädikat Univer-
sell, (z.B.) Einige Figuren sind alle Dreiecke.

1 (HamiIton, Lecrures on Metaphysics and Logic, vol. IV.) 11, Appendix, (S.) 254.
WILLIAM ROWAN HAMILTON

4) Die bejahend parti-partiellen: (z.B.) Einige gleichseitige Figuren


sind einige Dreiecke.
Ebenso haben wir vier negative Formen:
5) Kein Dreieck ist kein Viereck. Any, irgendein, und zwar jedes
Dreieck ist nicht irgendein Viereck.
6) Jedes beliebige Dreieck ist nicht ein gleichseitiges. Alle Dreiecke
sind nicht einiges Gleichseitige (some).
7) Irgendein (some) Gleichseitiges ist nicht irgendein (any, welches
auch immer ich nehme) Dreieck.
8) Einige Dreiecke sind nicht einige gleichseitige Figuren.
Hamilton drückt die Quantifikation, Discussions (on Philosophy
and Literature, S.) 162 so aus:
Affirmation: All ... is all ...; All ... is some ...; Some ... is all ...;
Some ... is some .
Negation: Any is not any ; Any ... is not some ...; Some ... is
not any ...; Some is not some .
Jedes Urteil drückt also ein Quantitätsverhältnis zwischen Subjekt-
und Prädikatbegriff aus. Im affirmativen wird Gleichheit der beiden
Quantitäten ausgesagt; jedes bejahende Urteil ist eine Gleichung. In
den negativen Sätzen wird dagegen die Gleichheit verworfen; es wird
ausgesagt, dass es unmöglich sei, eine Gleichheit zwischen Subjekt
und Prädikat auszusagen.
Durch diese Quantifikation erfährt zunächst die Lehre von den
unmittelbaren Schlüssen, den so genannten Folgerungen, eine große
Vereinfachung. Man braucht nicht mehr die Unterscheidung zwischen
der conversio simplex und conversio per accidens und erst recht (nicht)
die Unterscheidung zwischen conversio und contrapositio. Es gibt
nach der neuen Analytik nur ein e Art der Umkehrung: die conversio
simplex. Natürlich, wenn wir alles quantifizieren, also jedes Urteil in
eine Gleichheit verwandeln, dann lassen sich wie sonst in Gleichungen
und Ungleichungen auch hier die beiden Glieder einfach vertauschen.
Ebenso ist klar, dass sich die Lehre von den Schlüssen außeror-
dentlich vereinfachen muss. Man operiert ganz so wie überhaupt
mit Gleichungen. Die logischen Unterscheidungen zwischen Ober-,
Mittel- und Unterbegriff werden unwesentlich, und der Typus jedes
Schlusses ist der Gleichheitsschluss: Wenn A gleich Bund B gleich C,
so ist A gleich C.
In den Vorlesungen von Hamilton ist diese Theorie allerdings noch
nicht vollständig durchgeführt. Nur allmählich hat sie sich bei Hamil-
284 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

ton entwickelt, und so finden wir in seinen Schriften die Syllogistik in


ähnlicher Durchführung wie bei anderen Logikern, wenn auch mit
manchen originellen Abweichungen und Ergänzungen, noch breit
ausgeführt. Dass Hamilton schließlich zu diesem Resultat gelangt
war, ersieht man aus einem Bruchstück aus dem Nachlass, wo es heißt:
"Das große Ergebnis der Lehre ist Folgendes: Miteinander vertausch-
bar sind im kategorischen Urteil Subjekt und Prädikat; im kategori-
schen Schluss terminus major und minor, desgleichen Obersatz und
Untersatz. Ebenso sind die vier Figuren miteinander vertauschbar
(nicht minder als der nichtfigürliche Schluss). Jede Umkehrung lässt
sich auf eine einfache Gleichung zurückführen. ".
Zur Ergänzung und zugleich zur Verdeutlichung des eben Behaup-
teten wird es beitragen, wenn ich hier Hamiltons Lehre von dem nicht
figurierten Syllogismus anführe. Im gewöhnlichen kategorischen Syl-
logismus haben die Termini der Prämissen eine bestimmte Stellung,
und so auch die Termini des Schlusssatzes. (Desgleichen werden auch
die Prämissen in bestimmter Ordnung gedacht.) Obersatz ist die Prä-
misse, wo das Prädikat des Schlusssatzes, Untersatz ist die Prämisse,
wo das Subjekt des Schlusssatzes neben dem Mittelbegriff auftritt, Z.B.
"Alle A sind B. Alle B sind C. Alle A sind C. " Und darauf gründet sich
die Unterscheidung der Figuren. In jedem Satz stehen hier die Termini
im Verhältnis von Subjekt und Prädikat. Aber in diesem Verhältnis zu
stehen, ist nur eine zufällige Funktion der Begriffe. Wir können doch
jede Prämisse in der Form denken, wo beide Begriffe im Subjekt oder
beide im Prädikat stehen.
Nehmen wir etwa den Satz "Alle B sind C" in vollständig quan-
tifizierter Form. Ihm entspräche die Form "Alle B sind einige C".
Dann kann ich doch dafür setzen: Alle B und einige C sind eini-
ges Vertauschbare (convertible). Deutlicher geredet: Die vollständig
quantifizierte Form ist eine Gleichheit, oder noch genauer, eine Iden-
tität: "Alle B sind identisch mit einem gewissen Teil der C (= einige
C)." Dafür kann ich gleichbedeutend auch sagen: "Alle B und einige
C sind identisch" oder, um auch hier das Prädikat zu quantifizieren,
"sind einiges Identische". Oder auch umgekehrt: "Einiges Identische
sind alle B und einige C." Haben wir nun etwa einen Schluss, so
ist es klar, dass bei dieser Auffassung, da jetzt die Unterschiede von
Subjektbegriff und Prädikatbegriff fortfallen, auch alles, was die Un-

• Liard, Die neuere englische Logik, S. 48, Anm. I.


WILLIAM ROWAN HAMILTON

terscheidung der Figur begründet, fortgefallen ist. Der Schluss" Alle


A sind B (und zwar einige B). Alle B sind C (und zwar alle C). Also
alle A sind C" reduziert sich auf "Alle A und einige B sind identisch.
Alle B und alle C sind identisch. Alle A und einige C sind identisch".
Hier kann ich die Prämissen vertauschen, ich kann in jeder Prämisse
die Begriffe vertauschen (natürlich samt ihren Quantitäten); es ändert
sich nichts. Diese Syllogismen nennt Hamilton unfigurierte. Sie bieten,
meint er, den Schlüssel zum ganzen Geheimnis der Syllogismen. Das
Prinzip jedes Syllogismus, nämlich" Zwei Begriffe, welche mit einem
dritten zusammenstimmen oder nicht zusammenstimmen, stimmen
auch notwendig zusammen bzw. nicht zusammen", welches nichts
von einer Unterscheidung nach Figuren in sich schließt, ist identisch
mit dem Prinzip des nicht figurierten Syllogismus. Im nicht figurierten
Syllogismus haben wir ja alles reduziert auf einen einfachen Identitäts-
schluss: "A und B sind identisch. Bund C sind identisch. Also A und
C sind identisch." (Hamilton spricht allerdings nicht von Identität,
gelegentlich von Gleichheit, im Übrigen von Vertauschbarkeit.)
Im Übrigen behält Hamilton die figurierten Syllogismen in seiner
Analytik bei. Er will nicht etwa behaupten, dass jeder Syllogismus
selbst ein nicht figurierter sei; jeder kann auf einen nicht figurierten
aber reduziert werden. Behalten wir die Prämissen in der gewöhn-
lichen Form, wo Subjekt- und Prädikatbegriff zu unterscheiden ist,
dann besteht der Unterschied der Figur zu Recht. Und es hat einen
guten Sinn, die Gesetze für Figuren und Modi aufzustellen. Nur muss
man nicht glauben, damit alles erschöpft zu haben, man muss dann
ergänzend die nicht figurierten Syllogismen der formalen Logik hin-
zufügen.
Auf die Reformen, die Hamilton im Gebiet der figurierten Syllo-
gismen vorschlägt, ist es nicht nötig einzugehen, obschon sie man-
cherlei Eigentümliches enthalten, und dabei solches, was der Kritik
Handhaben bieten könnte. Seine Ideen zur Theorie der Induktion
interessieren uns hier ebenfalls nicht, da wir es auf die algebraische
Logik abgesehen haben.
Nur eins muss ich erwähnen. Hamilton unterscheidet neben der
Quantifikation, die wir bisher im Auge hatten, der Quantifikation
im Sinne der Extension, noch eine zweite Quantifikation im Sinne
der Komprehension. Jeder Begriff hat, logisch betrachtet, zweierlei
Quantität. Ich kann einmal die Summe von Attributen betrachten, die
seinen Inhalt konstituieren; und vergleiche ich die Begriffe in dieser
286 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

Hinsicht, so erhalte ich die Inhaltsquantifikation. Ich kann das andere


Mal die Summe von Dingen betrachten, die dem Begriff unterstehen;
und vergleiche ich dieserart die Begriffe nach ihren Umfängen, so
quantifiziere ich sie dem Umfang nach. Die Kopula "ist" soll danach
zwei sehr verschiedene Bedeutungen haben. Im einen Sinn bedeutet
sie, dass das Subjekt das Prädikat enthält, im anderen, dass (das) Sub-
jekt im Prädikat enthalten ist. Also "Der Mensch ist ein Tier" kann
doppelt interpretiert werden: Die Klasse Mensch ist in der Klasse
Tier enthalten, oder: Die Attribute des Begriffs Mensch enthalten die
Attribute des Begriffs Tier. Demgemäß soll es auch zwei Arten von
Syllogismen geben: Syllogismen der Komprehension und solche der
Extension. Der Syllogismus "Alle Menschen sind sterblich. Sokrates
ist ein Mensch. etc." kann also doppelt aufgefasst werden. Wenn wir
die Inhaltsquantifikation anführen, dann reduziert sich jeder Satz
natürlich wieder auf eine Gleichheit, oder genauer: Identität. Und
bei der Überführung in die nicht figurierte Form verschwinden dann
natürlich wieder alle Unterschiede der Figuren.
Auffallend ist noch folgende Lehre: Die hypothetischen und dis-
junktiven Schlüsse sollen nicht den Charakter mittelbarer Schlüsse
haben, sondern nur Abarten unmittelbarer sein. Z.B. "Wenn A ist,
ist B. Nun ist A. Also B ": Hier schließe ich unmittelbar aus dem Sein
von A auf das Sein von B, und der Obersatz "Wenn A ist, ist B"
soll die bloß allgemeine Regel des Schlusses sein, welche im Fall der
eigentlichen Syllogismen immer stillschweigend hinzugedacht wird.
"Alle A sind B. Alle B sind C. Alle A sind C": Regel: "Wenn alle A
B sind etc., so SInd alle A C. Nun gilt, dass etc. "
Wenden wir uns nun zur Kritik.
Betrachten wir zunächst das Prinzip, von dem sich Hamilton bei
seiner Begründung der Quantifikation nicht bloß des Subjekts, als
(auch) des Prädikats in jedem kategorischen Urteil leiten lässt. Alles
im Denken implicite Enthaltene muss die Logik explicite ausdrücken.
Da nämlich die Logik es ausschließlich mit der Form zu tun hat,
so muss sie alles, was im Akte und somit auch im Produkte des
Denkens enthalten (ist), wirklich zum Ausdruck bringen. Das tut die
gewöhnliche Rede nicht, eben weil sie es nicht auf die Form, sondern
auf die Materie des Denkens abgesehen hat. Schon hier finden wir
eine arge Verwirrung. Die Form, mit der es die Logik zu tun hat,
hat nichts zu tun mit dem Akte oder Produkte des Denkens, sondern
mit den allgemeinsten Klassenbegriffen, unter welche sich das Ob-
WILLIAM ROWAN HAMILTON

jektive in den theoretischen Gedanken bringen lässt. Nicht weil wir


im praktischen Leben um. die Akte des Denkens unbekümmert sind,
vernachlässigen wir den Ausdruck der Form, sondern weil die Interes-
sen des Lebens auf die besonderen Begriffe, Urteile, Schlüsse gehen
und nicht auf die logischen Kategorien, auf Klassenbegriffe, denen
sich alle Begriffe, Urteile und Schlüsse, unabhängig von ihrer Beson-
derheit, unterordnen lassen. Um die Formen richtig zu bestimmen,
müssen wir natürlich die Meinung, die Intention jedes Gedankens
zum. klaren Ausdruck bringen. Wir müssen uns hüten, den vielfachen
Äquivokationen der Worte, Wendungen, Flexionen der Volkssprache
zu unterliegen, ebenso, uns mit verkürzten, bloß aus dem weiteren
Gedankenzusammenhang verständlichen Redeformen Genüge sein
zu lassen. So viele explizite Teile im objektiven Gehalt des Gedankens
stecken (notabene: aber so viele Gliederungen hierbei der Gedanke
wirklich intendiert), so viele müssen wir auch zum Ausdruck bringen.
Aber nicht dürfen wir zum Ausdruck bringen, was der Gedanke
nicht wirklich enthält, sondern was sich aus ihm durch logische Pro-
zesse, sei es noch so einfacher Art, erst ausgliedern oder gar erst
erschließen lässt. Der Ausdruck "Es liegt darin, dass A ist, implicite,
dass es B sei" ist äquivok. Es kann gemeint sein, dass das gedankliche
Korrelatvon B reeller Teil des gedanklichen Korrelats von A ist; ob-
schon der sprachliche Ausdruck dies nicht deutlich erkennen lässt. Es
kann aber auch anders gemeint sein, z.B. "Darin, dass a rechts von ß
ist, liegt implicite, dass ßlinks von a ist". Hier ist offenbar nichts weiter
gemeint, als dass der eine Sachverhalt aus dem anderen unmittelbar
zu erschließen ist. Im Übrigen ist offenbar jeder ein verschiedener
Gedanke und keiner als ablösbarer Teil im anderen enthalten. In
gleichem Sinn äquivok ist der Ausdruck, ein Satz meine, bedeute das-
selbe wie ein anderer. "a rechts (von) ß", das meint dasselbe, bedeutet
dasselbe wie" ßlinks von a". Achten wir auf diesen Unterschied, dann
wird die ganze Argumentation Hamiltons, die beweisen soll, es sei in
jedem Urteil nicht bloß eine Quantität des Subjekts, sondern auch
eine Quantität des Prädikts implicite mitgedacht und müsse somit
zum. Ausdruck gebracht werden, hinfällig. Sage ich: "Der Mensch ist
ein Tier": Meine ich damit nur diesen oder jenen Menschen? Nein,
alle Menschen. Also das muss hier zum. Ausdruck gebracht werden:
"Alle Menschen sind Tiere. " Meine ich, dass alle Menschen identisch
sind mit allen Tieren oder mit einem Teil der Tiere? Das Letztere.
Also: "Alle Menschen sind einige Tiere. "
288 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

Das klingt ja recht scheinbar. Aber in strenger Redeweise werden


wir sagen müssen: Wer sagt: "Der Mensch ist ein Tier", meint nicht
dasselbe wie ein anderer, der sagt: " Alle Menschen sind Tiere. " Der
eine urteilt über die Art Mensch, über etwas, das die den Menschen
charakterisierenden Merkmale hat, als solches. Der andere urteilt
über den Inbegriff aller Menschen, über die Klasse Mensch, und
urteilt, dass jedes Element dieser Klasse ein Tier ist. Beide Urteile sind
offenbar äquivalent, aber sie sind nicht identisch. In beiden ist der logi-
sche Gehalt ein verschiedener, aber der logische Wert derselbe. Noch
schlimmer steht es aber mit der Quantifikation des Prädikats. Derjeni-
ge, der urteilt: " Alle Menschen sind Tiere", braucht weder zu meinen,
dass alle Menschen alle Tiere sind oder dass alle Menschen einige
Tiere sind. Meinen könnte er das nur, wenn er wüsste oder mindestens
daran dächte, welches von beiden zutrifft. Aber dergleichen braucht er
nicht zu wissen, und jedenfalls braucht er nicht daran zu denken. Wäre
eine bestimmte partikulare oder universelle Quantität des Prädikats
allzeit ein Teil der Meinung der Formel" Alle A sind B ", dann müsste
sie sinnlos werden im Fall, wo wir nicht wissen, ob alle A alle B oder
ob alle A einige B sind. Im Gegenteil aber wissen wir in tausend Fällen
nicht, ob das eine oder andere gilt, während wir wohl wissen, dass das
Urteil " Alle A sind B" gilt. Wer weiß, dass alle Wiederkäuer gespalte-
ne Hufe haben, braucht nicht zu wissen, dass alle Tiere mit gespaltenen
Hufen auch Wiederkäuer sind usw. Wahr ist nur so viel: Wenn das
Urteil" Alle A sind B" gilt, so gilt die Disjunktion" Entweder es sind
alle A alle B oder einige B ". Aber mit der Bedeutung des Urteils, mit
dem objektiven Gehalt dessen, was geurteilt ist, hat das nichts zu tun.
Im vorigen Fall, wo die Quantifikation des Subjekts in Frage kam,
erhielten wir durch Einführung der Quantität aus dem ursprüngli-
chen ein äquivalentes Urteil. Durch Einführung der Prädikatquantität
bleibt aber nicht einmal die Äquivalenz erhalten.1

1 Gestrichen Unter diesen Umständen können wir in Hamiltons Auffassung nichts weniger
als eine Bereicherung der Logik erblicken. Die hamiltonschen Formen des kategorischen Ur-
teils sind so wenig die Grundformen desselben, dass sie vielmehr einen ganz singulären und
komplexen Charakter haben. Sie erweisen sich als unfähig, die Urteile, mit denen wir es im
wissenschaftlichen Denken in der Regel zu tun haben, angemessen auszudrücken, es sei denn
durch eine sehr wenig empfehlenswerte Komplikation. Sage ich" Alle A sind identisch mit allen
B", so ist das offenbar nur eine Spezialform von "Alle M sind N", wo N jetzt den besonderen
Wert hat: identisch mit allen B.
Den Sinn des Satzes" Alle A sind B" mUssten wir bei unbestimmt gelassener Prädikatquan-
tität nach Hamilton eigentlich ausdrücken entweder: "Alle A sind alle B" oder: "Alle A sind
WILLIAM ROWAN HAMILTON

Schon diese Ausführungen genügen, um einzusehen, dass Hamil-


tons Grundauffassung durchaus falsch ist. Die acht hamiltonschen
Formen treten mit dem Anspruch auf, die Grundformen des (ka-
tegorischen) Urteils zu sein. Sie sollten präzis und vollständig die
Gedanken ausdrücken, die in jedem möglichen kategorischen Urteil
vage und unvollständig gedacht sind. Im Gegenteil aber zeigte es
sich, dass, was in den überlieferten Formen faktisch geurteilt ist, sich
gar nicht deckt mit dem, was die hamiltonschen Formen ausdrücken.
Ja noch mehr: Die Gedanken sind nicht bloß verschieden, sie sind
nicht einmal äquivalent. Näher besehen zeigt es sich weiter, dass
Hamiltons Formen gar nicht Formen einfacher Urteile sind, dass
sie in einheitlichen Sätzen in Wahrheit Urteilskomplexionen darstel-
len, deren Elemente die Formen kategorischer Urteile gewöhnlichen
Sinnes besitzen. Schon De Morgan und Mill haben dies eingese-
hen.
Sie erinnern sich an die Schwierigkeit, im Deutschen manche der
hamiltonschen Formen überhaupt auszudrücken, ohne mindest je
zwei Sätze zu Hilfe zu nehmen. Was heißt das: Alle Dreiecke sind
alles Gleichseitige? Das ist kaum verständlich. Klar ausgedrückt: Je-
des Dreieck ist ein Gleichseitiges, jedes Gleichseitige ist ein Dreieck.
Allenfalls könnte man hier noch durch Änderung der Begriffe ein
einziges Äquivalenzurteil gewinnen: Die Gesamtheit der Dreiecke ist
identisch mit der Gesamtheit der gleichseitigen Figuren. Hier urteilen
wir über die Gesamtheiten der Dreiecke und der Gleichseitigen, nicht
urteilen wir über die Glieder dieser Gesamtheiten. Aber eben über
diese Glieder, dies war die Intention, sollte geurteilt werden. Schon
in der gewöhnlichen Formel "Alle A sind B" ist es klar, dass nicht
dem Inbegriff der A, der Klasse, die Eigenschaft B zugeschrieben
wird, sondern jedem Glied dieses Inbegriffs. Hamiltons Ausdruck
"Jedes A ist jedes B", seine Verwendung von any resp. (bei den
partikularen) von same hält diese Intention aufrecht; es liegt in ihm,
dass über die Gegenstände der Klassen geurteilt werden soll und
einige B "0 Und so wUrde ein unzweifelhaft einfacher Gedanke durch einen sehr komplizierten
ersetzt. Dass die traditionelle Syllogistik die hamiltonschen Formen nicht gebraucht, wird uns
nicht verwundern. Sie kann ihrerseits sehr leicht durch ein Urteilspaar das ausdrUcken, was die
hamiltonsche verlangt; und das genUgt ihr fUr die praktischen Zwecke, die sie, ohne sich es in
der Regel einzugestehen, im Auge hat. Allerdings auf eins werden wir aufmerksam: Wenn es
sich darum handelt, alle gedanklich unterschiedenen Urteilsformen unabhängig von Äquivalenz
oder Nichtäquivalenz aufzustellen, dann muss man vorerst natUrIich wie die unquantifizierten
so die quantifizierten Formen aufstellen, darunter auch die hamiltonscheno
290 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

nicht über die Klassen selbst. Dann aber ist es auch nur Fiktion,
dass wir ein Urteil haben. Der einheitliche Satzausdruck verdeckt
im Englischen zwei Urteile. Im Deutschen treten sie klar hervor,
weil der einheitliche englische Ausdruck ins Deutsche einheitlich
gar nicht übertragbar ist, ohne die beiden Urteile einzeln auszu-
drücken.
Nun könnte man sagen: Hamilton ist sich durch die Besonderheit
der englischen Sprache nicht klar geworden, dass er, die Einheit
des Satzes als Einheit des Urteils deutend, im Grunde genommen
über die Klassen geurteilt hat anstatt über einzelne Begriffsgegen-
stände. Und in der Tat, wenn er selbst davon spricht, dass jedes Ur-
teil durch vollständige Quantifikation in eine Gleichheit verwandelt
werde, worin soll dann die Gleichheit bestehen, wenn nicht in der
Gleichheit, oder genauer geredet, der Identität der Klassen? Ohne
Zweifel hat dies Hamilton auch mit im Auge. Aber leider fehlt die
Klarheit; er schwankt zwischen beiden Auffassungsweisen hin und
her. Lassen wir uns im klaren Bewusstsein vom Gesichtspunkt der
Identität leiten, dann können wir folgende mögliche Verhältnisse
unterscheiden:
Die ganze Klasse der A ist identisch der ganzen Klasse B
(toto-total).
Eine Teilklasse A ist identisch (der) ganze(n) Klasse B.
Die ganze Klasse A ist identisch einer Teilklasse B.
Eine Teilklasse der A ist identisch einer Teilklasse B.
Das scheint wirklich mit den vier affirmativen Formen Hamiltons
zu stimmen. Betrachten wir nun aber die negativen. Da fragt es
sich, was wir unter den negativen verstehen sollen. Zunächst möchte
man diejenigen Formen darunter verstehen, die aus den affirmati-
ven hervorgehen, indem (wir) die Kopula in die entgegengesetzte
verwandeln, also für "ist identisch" "ist nicht identisch" substituie-
ren.
Die verneinenden toto-totalen müssten dann sein: Die ganze Klas-
se der A ist nicht identisch mit der ganzen Klasse der B. Die vernei-
nenden parti-partiellen: Eine Teilklasse der A ist nicht identisch mit
einer Teilklasse der B, usw.
Vergleichen wir diese Formen mit den hamiltonschen negativen,
so stimmen sie nicht. Als Beispiel für die negativen toto-totalen
führt Hamilton an: " Kein Dreieck ist kein Viereck", d.h. die Klassen
Dreieck und Viereck schließen sich wechselseitig aus. Darin liegt
WILLIAM ROWAN HAMILTON

aber ein ganz anderer Gedanke als in dem Satze, dass die beiden
Klassen nicht identisch sind. Nicht identisch sind sie ja auch, wenn
eine die andere einschließt, sofern sie sich nur wechselseitig nicht
einschließen. Näher besehen zeigt es sich, dass die Form wechsel-
seitiger Exklusion in den acht Identitäts- und Nichtidentitätsformen
gänzlich fehlt. Es wäre somit falsch zu sagen, dass Hamilton durch
Quantifikation des Prädikats alle Urteile auf Gleichheiten oder Un-
gleichheiten zwischen Quantitäten, also zwischen Klassen reduziert
hat. Nicht alle möglichen Klassenverhältnisse sind berücksichtigt,
wenn wir die sämtlich möglichen Identitäts- und Nichtidentitätsfor-
men konsequent aufstellen. Hätte Hamilton wirklich die kategori-
schen Urteile auf Gleichungen reduziert, so konnte die Meinung,
dies ist apriori klar, nur die sein, dass er jedes kategorische Urteil
nach Quantifikation des Prädikats in eine Identität zwischen Klassen
verwandelt. Verstehen wir unter den affirmativen Formen diejenigen,
wo das Verknüpfungsverhältnis durch "ist identisch", den negativen
diejenigen, wo das Verknüpfungsverhältnis durch "nicht identisch"
ausgedrückt ist, dann sind durchaus nicht alle Klassenverhältnisse,
also auch nicht alle möglichen Fälle kategorischer Urteile, in der
Tabelle enthalten. Nur wenn wir die Negationen der ganzen Urtei-
le in der Reihe der vier affirmativen Formen bilden, erhalten wir
alle Möglichkeiten. So gewinnen wir z.B. durch Negation der vierten
parti-partiellen Form die wechselseitige Exklusion: "Es ist nicht wahr,
dass eine Teilklasse der A identisch ist einer Teilklasse der B", "Es ist
nicht wahr, dass die ganze Klasse der A identisch ist mit der Klasse
der B."
Aber das stimmt wieder nicht mit Hamiltons Darlegung. Denn
was er (als) negative toto-totale Form bezeichnet, das müssten wir
gerade als negative parti-partielle Form bezeichnen. Da tritt klar
hervor, dass Hamilton ganz in Unklarheit stecken geblieben ist, dass
er zwischen zwei Gesichtspunkten schwankt: Jede Form drückt er, auf
Eigentümlichkeiten der englischen Sprache sich stützend, in ein e m
Satze aus. Dabei hat er aber trotz der Quantifikation nicht die Klas-
sen im Auge, sondern die Verhältnisse der Klassengegenstände als
solcher. In dieser Auffassung ist jede Form trotz des einheitlichen
Ausdrucks eine Komplexion mehrerer einfacher Urteile der tradi-
tionellen Form, welche durch die neue Theorie so wenig überflüssig
gemacht sind, dass sie vielmehr als selbständige Elemente in jeder
der neuen Formen stecken. Andererseits merkt Hamilton wohl auch
292 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

auf das Verhältnis der Klassen. Jederl seiner Formen entspricht ein
gewisses Klassenurteil. Aber er merkt nicht, dass damit der objektive
Gehalt des Urteils geändert ist, dass die ursprünglichen Doppelurteile
durch je ein äquivalentes Klassenurteil ersetzt worden sind. Hätte
Hamilton mit dem Klassengesichtspunkt Ernst gemacht, dann wäre
offenbar Folgendes der natürliche Gedankengang gewesen: Jedem
Begriff entspricht ein Begriffsumfang, jeder prädikativen Beziehung
ein gewisses Klassenverhältnis. Z.B. "Der Mensch ist sterblich" =
"Alle Menschen sind sterblich" = "Die Klasse der Menschen ist
identisch oder untergeordnet der Klasse der Sterblichen. " Bei dieser
Sachlage muss jedes Urteil, das nicht von vornherein ein Klassenur-
teil ist, in ein äquivalentes Klassenurteil äquivalent reduzierbar sein.
Welches sind nun die apriorisch möglichen Klassenverhältnisse usw.?
Ich bekomme fünf, und nur fünf Verhältnisse usw.

8B 88
Natürlich würde eine solche Theorie nicht behaupten, jedes Urteil
sei, wenn wir seinen vollen Gedanken explizieren, ein Klassenurteil,
jedes Urteil meine eine Beziehung zweier Quantitäten, sondern nur,
jedes Urteil habe darin sein Äquivalent. Und das ist immerhin eine
theoretisch interessante und wichtige Tatsache. Man kann sie dazu
verwenden, um alle syllogistischen Regeln herzuleiten und zu zeigen,
dass das Gebiet der Klassenschlüsse formal gleichwe'rtig ist mit dem
Gebiet der auf attributiven Verhältnissen beruhenden Schlüsse. Statt
so zu verfahren, vermengt Hamilton verschiedene Gesichtspunkte, in-
terpretiert die gewöhnlichen Urteilsformen so, dass sie komplexe Ur-
teile darstellen, und indem er dies seiner Theorie zugrunde legt, stellt

1 Die zwei folgenden SlJtze ersetzen den gestrichenen Text Einigen der aufgestellten Fonnen
entsprechen ja Identitäts- und Nichtidentitätsverhältnisse. Und so glaubt er, alles auf Identität
und Nichtidentität reduziert zu haben, während er dies in Wahrheit nicht getan hat und nicht
tun konnte.
AUGUSTUS DE MORGAN 293

er eine Syllogistik komplexer Urteile auf, welche die gewöhnlichen


Syllogismen nicht überflüssig macht, sondern sie wenigstens ihren
Grundsätzen nach voraussetzt. Andererseits 1 schielt er doch wieder
hin auf die entsprechenden Klassenverhältnisse, unterlässt es aber,
den Wechsel des Gesichtspunkts zu markieren und den Gedanken
einer independenten Theorie der Klassenverhältnisse zu verfolgen.2, 3
Weitere Unklarheiten: Some soll heißen: nur ein Teil. Aber dann
haben wir:
=
=
Die ganze Klasse A der ganzen Klasse B.

==
Nur ein Teil A nur einem Teil B.
Die ganzen A nur einem Teil B.
Nur ein Teil A nur einem Teil B.
Wie steht es dann mit den Negationen? Oder mit den Urteilen, wo
"ist identisch" durch" ist nicht identisch" ersetzt ist?4

(Augustus De Morgan)
Um die Fortbildung der formalen Logik in der neuesten Zeit
haben sich nicht bloß Philosophen von Fach, sondern auch Mathe-
matiker viel bemüht. Und man wird urteilen müssen, dass sie, durch
die Besonderheit ihres eigenen Forschungsgebietes gut beeinflusst,
im Ganzen die haltbarsten und fruchtbarsten Gedanken zur logi-
schen Reform beigebracht haben. Ich will hier zunächst De Morgan
in Betracht ziehen: Er lebte 1806-1871, war lange Zeit Professor

1 DieserSatz ersetzt den gestrichenen Text Im Übrigen ist es offenbar, dass die Identitätsformen
und ihre Negationen (also nicht die Nichtidentitätsformen) ebenfalls geeignet wären, formal
behandelt zu werden.
2 Gestrichen Aber ein besonderer Nutzen ist dabei nicht zu erwarten. Die Reduktion auf die
fünf Sphärenverhältnisse stellt die Korrespondenz mit allem her, was mit Beziehung auf diese
letzteren später von der englischen Logik gefunden worden ist.
3 Zu studieren: Mills Kritik an Hamilton; Bains Darstellungen, (Logic, voLl I, (S.) 86f., 160f.;
Venn.
4 VgL Venns Kritik im Chapter I seiner Symbolic Logic, (2nd ed., New York 1894). Venn sagt
S. 15: Die vollkommenste und scharfsinnigste Kritik Hamiltons gibt De Morgan in Cambridge
Philosophical Transactions X (3. Abh.). Die beste Darstellung, die De Morgan von seiner
eigenen Auffassung gibt, findet sich im Artikel "Logic", (The) English Cyclopaedia, (A New
Dictionary 0/ Universal Knowledge: Arts and Sciences, VoL V, London 1860).
Für gewisse Fälle kann man die acht Formen aufstellen (Venn, (Symbolic Logic; S.) 15).
"AlIe Eisenbahnzüge halten in allen Stationen": Aber hier handelt es sich nicht um einfache
Quantifikation des Prädikats.
• Zur folgenden Darstellung der Lehre De Morgans vgL Liard, Die neuere englische Logik,
Kap. IV.
294 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

der Mathematik an der Universität London und gilt als einer der
geistvollsten, obschon nicht fruchtbarsten englischen Mathematiker
dieses Jahrhunderts. Seine besten Kräfte wendete er an die Reform
der Logik. Zu einem einheitlichen, von klaren und haltbaren Ge-
sichtspunkten ausgeführten System hat er es nicht gebracht. Doch
stecken in seinen zahlreichen Arbeiten manch wertvolle Gedanken
inmitten unfruchtbarer Halbheiten und leerer Subtilitäten. Jedenfalls
kam die vorurteilsfreie Rücksichtslosigkeit, mit der De Morgan, viel
weiter blickend als Hamilton, die offenbare Unzulänglichkeit der
aristotelischen Syllogistik zu Zwecken einer formalen Deduktion zu
überwinden suchte, der Wissenschaft zugute.
Auch für De Morgan ist die Logik eine formale Disziplin, die
von der Materie der Erkenntnis abzusehen hat. Auch er schreibt ihr,
freilich nicht eben klar, das Studium der Gesetze der Denktätigkeit
zu. Und es trägt auch nicht gerade zur Klarheit bei, wenn er sagt, sie
habe es weder mit dem Denkenden an sich noch mit den gedachten
Dingen an sich zu tun, sondern mit dem Geist in seinem Verhältnis zu
den Dingen und den Dingen in ihrem Verhältnis zum Geist.
Auch bei ihm treffen wir die Forderung an, die Logik habe darauf
zu achten, dass sprachlich alles ausgedrückt wird, was im denkenden
Geist vor sich gehe, dass also der jeweilige Inhalt des Denkens voll
und ganz zum Ausdruck komme. Auch er sieht in der Unvollkom-
menheit des gewöhnlichen Ausdrucks den hauptsächlichen Grund für
die Unvollständigkeit und Unzulänglichkeit der traditionellen Logik.
Und daran knüpfen sich bei ihm auch genau dieselben Fehler wie bei
Hamilton. Er interpretiert in den gemeinen sprachlichen Ausdruck
hinein, was nicht darin liegt, und vermengt beständig Äquivalenz
mit Identität. Ein Beispiel bietet etwa die Einteilung der Namen in
affirmative und negative. Nicht zu jedem Namen finden wir in der
Sprache den entsprechenden negativen. Es trifft zu bei Sterblichkeit
und Unsterblichkeit, Wirbeltier - wirbelloses Tier, aber nicht etwa
bei Mensch. Das ändert aber nichts daran, dass jeder Name die
Gesamtheit der wirklichen oder erdenklichen Dinge in zwei Grup-
pen teilt: in diejenigen, welche die mitbezeichneten Beschaffenhei-
ten besitzen, und diejenigen, die sie nicht besitzen. Und aufgrund
dessen wird nun jedem Namen ein doppelter Sinn supponiert, ein
positiver und ein negativer. Mit jedem Namen sollen wir angeb-
lich immer sein kontradiktorisches Gegenteil mitdenken, und so ha-
be auch die Logik die Aufgabe, beides zum Ausdruck zu bringen
AUGUSTUS DE MORGAN 295

und die Begriffe paarweise zu betrachten: Mensch - Nichtmensch


usf.
Ferner: Da alle kategorischen Urteile äquivalent verwandelt wer-
den können in solche mit negativem Prädikat, z.B. "Sokrates ist nicht
krank" = "Sokrates ist nicht-krank"; "Kein Mensch ist ein Stein" =
"Jeder Mensch ist ein Nicht-Stein", soll jeder Unterschied zwischen
affirmativen und negativen Urteilen ein scheinbarer sein; er soll sich
reduzieren auf den Unterschied zwischen Urteilen mit affirmativem
und solchen mit negativem Prädikat.
Hier ist jedes Wort der Kritik überflüssig. Im Gegensatz zu der-
gleichen Sonderlichkeiten und Gewaltsamkeiten, wie sie sich bei De
Morgan vielfach finden, möchte ich aber eine sehr wertvolle Gedan-
kenreihe hervorheben:
Nach der traditionellen Logik sollen die einzigen Grundlagen eines
jeden deduktiven Schlusses die drei so genannten Denkgesetze sein:
der Satz der Identität, des Widerspruchs und des ausgeschlossenen
Dritten. Nun kann man, sagt De Morgan, sicherlich nicht leugnen,
dass dieselben zur Begründung der Deduktion wirksam beitragen.
Aber kann man behaupten, dass sie die alleinigen Grundlagen der
Deduktion bilden, und im Besonderen, dass sie das Fortschreiten
des Denkens im Schlussverfahren ermöglichen? Gewiss nicht. Dar-
aus, dass A A ist, dass A nicht Nicht-A ist und dass alles entweder
A oder Nicht-A ist, kann ich gar nichts weiter folgern als Sätze
der Art wie "Ein Mensch ist ein Mensch", "Ein Mensch ist nicht
ein Nicht-Mensch" und "Jedes ist entweder ein Mensch oder nicht
ein Mensch. "1 Aber vergeblich würde ich mich mühen, mittels die-
ser Grundsätze zu schließen, dass, wenn alle Menschen sterblich
sind, mindest einige sterbliche Wesen Menschen sind; oder, wenn
ein Mensch größer ist als eine Mücke, die Mücke kleiner ist als ein
Mensch usw. Indes gilt, dass kein einziger Syllogismus (kein einziger
Schluss, bei dem aus zwei Prämissen, die einen gemeinsamen terminus
medius enthalten, ein neuer Schluss gewonnen wird, der die übrigen
Begriffe enthält), durch jene drei Grundgesetze allein zustande kom-
menkönnte.
Fragen wir nun, wie ein Schluss wirklich zustande kommt, so wer-
den wir aufmerksam, dass es gewisse Beschaffenheiten der jeweiligen

1 Die Sache ist bei Liard unklar und vielleicht auch bei De Morgan. Ich habe mirs natürlicher
zurechtgelegt.
296 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

Kopula sind, die die Verknüpfung der in den Prämissen gesonderten


Begriffe bedingen.
Nehmen wir ein Beispiel: C == A. C == B. A == B. Der Schluss beruht
darauf, dass die Kopula "ist" identisch konvertierbar ist und dass
dieselbe zugleich die Eigenschaft der Transitivität besitzt. Aus C == A
folgt unmittelbar A == C, aus A == C == B: Aidentisch B. Die gleichen
Eigenschaften haben sehr viele Kopulas: "a ist b", " bist a ", "ähnlich
b".
Andere Kopulas haben nicht die Eigenschaft der Kommutativität,
so: "größer b", "intensiver (b)", "Vater von (b)" usw. In diesem
Fall gehört zu jeder Kopula eine korrelative Kopula: "kleiner b",
"minder intensiv", "Sohn von" etc. Und dann lässt jedes Urteil
nicht, wie vorhin, eine konvertible conversio simplex zu, aber jedem
entspricht ein Urteil, wo die Termini konvertiert sind mit korrelativer
Kopula. Zugleich besteht auch dann in sehr vielen Fällen Transitivität:
a > b > c, a > c usw.
Jeder Schluss beruht nun auf diesen Beschaffenheiten der Kopula.
Jeder Schluss setzt mindestens Transitivität voraus. Ist er daraus nicht
vollständig erklärt, so beruht er entweder auch auf Konvertibilität
oder auf den unmittelbaren Folgerungen durch Korrelation.
Ich brauche kaum zu sagen, dass De Morgan hier unter Kopu-
la nicht dasselbe versteht wie die übrigen Logiker, also nicht das
Verbindungszeichen, das Subjekt und Prädikat aufeinander bezieht.
Ihm ist Kopula nichts anderes als die jeweilige Verhältnisform, und
alle Urteile betrachtet er unter dem Gesichtspunkt des Verhältnis-
ses. Die traditionelle Logik setzt jedes kategorische Urteil in der
Form an: "S ist P". Dies ist sicherlich die Form, die alles umfasst.
Denken wir uns Prämissen ausschließlich in Hinsicht auf diese Form
gegeben und dann die bekannten Unterschiede der Quantität und
Qualität berücksichtigt, so ergeben sich daraus die Schlüsse, welche
in der traditionellen Logik unter dem Namen der Folgerungen und
Syllogismen allzeit behandelt wurden. Es war aber ein fundamentaler
Irrtum derselben zu meinen, dass alle deduktiven Schlüsse in diesen
Formen gründen, während in der Tat unzählige, ja gerade alle für den
Fortschritt des wissenschaftlichen Denkens entscheidenden Schlüsse
in den Verhältnisbestimmungen gründen, die, weil zur Materie des
Prädikats gehörig, nicht in den Gesichtskreis der formalen Auffas-
sung fallen und demgemäß in dem allgemeinen Zeichen P nicht zur
Bezeichnung kommen. Es ist freilich ein Irrtum De Morgans, wenn
AUGUSTUS DE MORGAN 297
er meint,l "ist" bedeutet, objektiv betrachtet, an sich nichts anderes
als Identität und die Logiker interpretierten jedes Urteil, indem sie
es in die Form "S ist P" brachten, als Identität. Es ist ein Irrtum,
wenn er ihnen vorwirft, sie brächten die Verhältnisbestimmungen
"gewaltsam ins Prädikat".· Die Kopula ist das verknüpfende Glied
im Ausdruck der prädikativen Beziehung. Sund P verbindend, sagt
sie aus, dass S das Subjekt zum Prädikat P sei, dass dieses jenem
zugehöre. Es ist ferner sicher, dass auch jedes Verhältnisurteil Subjekt
und Prädikat aufweist, dass also von einem gewaltsamen Hineinziehen
der relativen Bestimmung ins Prädikat keine Rede sein kann. Von
Wichtigkeit ist nur, dass in den Fällen, wo das Prädikat eine relative
Bestimmung ist, in der ein gewisser Gegenstand zum Subjektgegen-
stand in Beziehung gesetzt ist, aus dem Begriff der Relation gewisse
Formen von Schlüssen entspringen können. (Aber das Prädikat ist
hier eine relative Bestimmung, die einen Gegenstand in sich fasst,
und ein unselbständiges Moment, welches den Gegenstand eben zur
Bestimmung macht. Sage ich: "a ist größer als b", so ist " größer
als b" das Prädikat. Darin ist b der als Beziehungspunkt dienende
Gegenstand. Dieser aber ist nicht selbst das Prädikat, sondern eben
" größer als b".) Abstrahiere ich von aller Besonderheit des Prädikats
wie in der traditionellen Logik, so gebe ich ihm als Bezeichnung
einen Buchstaben, der jede Unterscheidung zwischen absoluter und
relativer Bestimmung unterdrückt. Diese Auffassung lässt dann nur
die Verknüpfungsformen von Prämissen zu, wie sie die aristotelische
Syllogistik kennt: "S hat das Prädikat M. Was das Prädikat M hat, hat
auch das Prädikat P. Also hat S das Prädikat P. " Dies ist der Gedanke
der ersten Figur, auf dem dann (in Verbindung mit der entsprechenden
negativen Form) alle anderen Schlüsse mittelbar beruhen. Man muss
sich nur klarmachen, dass, weil die Prämissen in der denkbar allge-
meinsten Form gewählt sind, nicht etwa auch der Schluss ein univer-
salissimum sei, das alle besonderen Schlüsse in sich fasse. Eben diese
Meinung hat verderbliche Konsequenzen gehabt in logischer und in
erkenntnistheoretischer Beziehung. Es ist ein Verdienst De Morgans,
hier einer besseren Einsicht den Weg gebahnt zu haben. Nicht nur hat
er erkannt, dass dieser Schluss selbst samt den übrigen syllogistischen

1 VgI. Liard, (Die neuere englische Logik, S.) 67: für Gegenstände. nicht für Vorstellungen
oder Namen; Bain, (Logic, S.) 182. (Bd.) I.
• Liard, Die neuere englische Logik, S. 82.
298 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

Sätzen nicht auf dem Satz des Widerspruchs und den beiden anderen
logischen Grundsätzen beruht, sondern auch, dass es unzählige andere
Schlüsse gibt, die sich nicht als Besonderheiten oder deduktive Folgen
dieser Schlüsse auffassen lassen, sondern ihre eigene Quelle haben in
der Besonderheit der Verhältnisse oder, wie wir auch sagen können,
in der Besonderheit der Formen relativer Bestimmungen. Freilich
war auch er von einer klaren Einsicht noch ziemlich entfernt. Die
Hauptquelle des Irrtums der traditionellen Logik bestand nicht, wie
De Morgan geglaubt hatte, darin, dass sie eine ganz spezielle Kopula
aus der unbegrenzten Mannigfaltigkeit möglicher Kopulas willkürlich
bevorzugt hatte, sondern darin, dass sie im berechtigten Streben nach
möglichster Allgemeinheit eben die denkbar allgemeinste Form des
kategorischen Urteils zugrunde gelegt und nun geglaubt hatte, dass,
weil die Prämissen die allgemeinste Form haben, welchen alle erdenk-
lichen besonderen Prämissen unterstehen, auch die entsprechenden
Schlussformen von allumfassendem Charakter sein müssten, denen
sich alle erdenklichen Schlüsse als Besonderungen unterordnen lassen
müssen. Dass einem Subjekt S ein Prädikat P zukomme oder nicht
zukomme, das ist die allgemeinste Form eines kategorischen Urteils,
uhd das drücken die Logiker durch "S ist P" aus. Darin steckt keine
besondere Verhältnisform. Das "ist" bedeutet nicht "ist identisch
mit", auch nicht, wie De Morgan ein andermal sagt, " existiert mit" ,
"ist verknüpft mit". Die Form" S ist identisch mit P" ist selbst nur ein
Spezialfall der Form "S ist P". Und selbst wenn wir die allgemeinste
Form eines Verhältnisses nehmen: "S steht in der Relation <p zu P",
welche nach De Morgan den allgemeinsten Gegenstand der Logik
darstellen soll, so haben wir im Sinne der traditionellen formalen
Logik nur einen speziellen Fall. Das Prädikat ist nicht P, sondern" ist
in Relation <p zu P". Und so haben wir einen allgemeineren Gedanken,
enthalten in der schlichten Formel"S ist P". Nicht jedes kategorische
Urteil drückt ein Verhältnis aus. Zum Begriff des Verhältnisses gehört
es, dass zwei Gegenstände vorliegen, die in Beziehung gesetzt werden:
"Sokrates ist ein bedeutenderer Denker wie Heraklit", "Das Ganze
ist größer als ein Teil", "a ist> b. " Wenn ich aber sage: " Gold ist gelb",
dann meine ich nicht ein Verhältnis zwischen zwei Gegenständen.
Erst wenn ich das Urteil ändere in das äquivalente" Gold hat gelbe
Farbe", finde ich zwei Beziehungspunkte: "Gold" und" gelbe Farbe",
das Konkretum und Abstraktum, deren Verhältnis das Wörtchen
"hat" ausdrückt. Jetzt ist das Wörtchen "hat" nicht mehr Ausdruck
AUGUSTUS DE MORGAN 299
der Kopula im Sinne der traditionellen Logik, sowenig im Satz "a
größer b" das Wörtchen "größer" die Kopula darstellt. Wollen wir
den Prädikatbegriff getrennt von der Kopula ausdrücken, so können
wir nicht anders sagen als "Goldfarbe habend". Indem De Morgan
den Begriff der Kopula missversteht, indem er übersieht, dass der
allgemeinste Gedanke des kategorischen Urteils in nichts anderem
besteht, als dass einem bestimmten oder unbestimmten, besonderen
oder allgemeinen S irgendetwas (P Genanntes) zukommt oder nicht
zukommt, verfällt er in den Irrtum, dem "ist" die Bedeutung einer
ganz singulären Verhältnisbestimmung unterzuschieben, während es
eine Verhältnisbestimmung überhaupt nicht ausdrückt.
Diese Unklarheiten dürfen uns aber nicht verhindern, den un-
zweifelhaft berechtigten und bedeutenden Gedanken, die in den de
Morganschen Theorien impliziert sind, gerecht zu werden. Für die
Theorie der deduktiven Wissenschaften ist die Einsicht von funda-
mentaler Bedeutung, dass alle Versuche, die deduktiven Prozesse in
Syllogismen aufzulösen, grundverfehlt sind. In der Arithmetik spie-
len Syllogismen eine relativ untergeordnete Rolle. Hier herrscht der
GleichheitsscWuss.
Übrigens haben schon ältere Logiker an diesen Gedanken gerührt.
So hat Z.B. Reid ausdrücklich erklärt, der GleichheitsscWuss lasse sich
nicht als Syllogismus auffassen.
De Morgans Lehre ist von vielen Logikern angenommen worden,
so in neuester Zeit von Bradley, gegen den Sigwart die ältere Auffas-
sung zu verteidigen suchte.
Nehmen wir den Schluss A > B. B > C. A > C: Mittels des modus
ponens, des bekannten Grundsatzes für das hypothetische ScWießen,
könne man den Schluss auf das dictum de omni zurückführen. Nämlich
so: "Wenn B > C ist, so ist alles, was> Bist, > C. B > C. Also ist alles,
was> Bist, > C. A ist> B. Also ist A > C. "
Aber was bedeutet der Satz" Wenn B > C ist, so ist alles, was> B,
> C"? A, B, C sind beliebige Objekte. Somit ist der Sinn des Satzes:
Alles, was größer ist als ein Anderes, das selbst wieder größer ist als
ein Drittes, ist größer als dieses Dritte. Aber das sagt genau dasselbe
aus, was wir kürzer und klarer mit Hilfe algebraischer Zeichen in der
Form ausdrücken: "Wenn A > Bund B > C, so ist A > c." Also der
Obersatz des modus ponens ist der ganze Schluss, der eben deduziert
werden sollte, und so ist der Zirkel offenbar. Nur das eine können
wir sagen: Ein gewisser Zusammenhang dieser wie jeder allgemeinen
300 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

Schlussform mit dem dictum besteht insofern, als die Anwendung im-
mer das dictum voraussetzt. Will ich den Größenschluss als Obersatz
verwenden, so brauche ich natürlich den Satz: Was allgemein gilt,
gilt auch in diesem besonderen Fall. Indessen wäre es doch falsch
vorauszusetzen, dass jeder Größenschluss, z.B. den wir in concreto
ausführen, voraussetze, dass wir den allgemeinen Größenschluss als
Prämisse einführen. Konsequent würde dies ja verlangen, dass wir
keinen Schluss überhaupt ziehen, ohne vorher das allgemeine Prinzip
des Schlusses in Form eines Obersatzes zu verwenden. Dies aber
würde auf einen unendlichen Regress führen. Denn wenn ich z.B.
einen Schluss der Form nehme "Alle A sind B. X ist A. Also ist es
B ", so müsste ich etwa beim Schluss "Alle Menschen sind sterblich.
Sokrates ist ein Mensch. Also ist er sterblich" so verfahren:
Für aUe A, B und X gilt der Schluss ... Setze ich also im Be-
sonderen für A, B, X resp. Mensch, sterblich, Sokrates, so folgt:
"Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist ein Mensch. Also (ist
er) sterblich." Damit habe ich aber selbst einen Schluss, und zwar
derselben Form gezogen. Um ihn machen zu dürfen, müsste ich also
dieselbe Betrachtung für ihn selbst anstellen, und so in infinitum. Wir
werden also aufmannigfaltige, voneinander unabhängige Schlussprin-
zipien geführt. Für Prämissen der allerallgemeinsten Form gelten die
bekannten Grundsätze des hypothetischen Schließens so wie für die
allgemeinsten kategorischen Formen das dictum. Ziehen wir verschie-
dene Klassen von Relationen in Betracht, so ergeben sich dann neue,
in der Besonderheit dieser Relationen gründende Schlüsse.
Ich habe vorhin bereits erwähnt, dass De Morgan jedes Urteil
unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses betrachtet und demge-
mäß als die umfassendste Urteilsform diejenige ansieht, in welcher
das Verhältnis ganz unbestimmt gelassen ist, also die Form "S steht
in dem Verhältnis <p zu P". Wenn die Logik wirklich ist, wofür sie
immer hingestellt wird, nämlich die rein formale Wissenschaft von
den Denkgesetzen, wenn sie wirklich von allem Materiellen, allem
Inhaltlichen des Denkens abstrahieren soll, dann muss sie auch aus
den verschiedenen Relationen des Denkens das Materielle entfernen
und sich auf die reine Form des Verhältnisses überhaupt beschränken.
Die formale Logik im strengsten Sinn muss also eine allgemeine Logik
des Verhältnisses überhaupt sein, der die Logik der Identität, die
Logik der Gleichheit, kurz, die Logik besonderer Verhältnisse als
untergeordnete Besonderungen gegenüberstehen würde.
AUGUSTUS DE MORGAN 3°1
Wie wäre hier zu bestimmten Sätzen zu kommen? Zunächst be-
stehen hier gewisse unmittelbar einleuchtende Sätze: Zu jedem Ver-
hältnis <p gehört ein inverses <p'; Wenn S <p P, so ist P <p' S (größer
- kleiner). Als einen weiteren Satz stellt De Morgan auf: Wenn ein
S nicht in irgendeinem Verhältnis <p zu P steht, dann gibt es immer
ein gewisses entgegengesetztes Verhältnis Nicht-<p, in welchem S zu
P steht. Wenn ein Mensch nicht in dem Verhältnis zu einem anderen
steht, dass er dessen Untertan ist, so kann ich auch sagen, der Erstere
stehe im Verhältnis eines Nicht-Untertans zum Letzteren.
Wie kommt es nun zu Schlüssen? Kann man bei dieser allge-
meinsten Betrachtungsweise von Schlüssen sprechen? Gewiss, sagt
De Morgan. Wenn X <p Y, Y 'P Z, so ist X <P'P Z (steht im verbundenen
Verhältnis <p'P). Wenn X der Lehrer von Y ist, Y der Freund von Z,
so ist X Lehrer des Freundes von Z.
Es' können nun auch negative Formen auftreten als Prämissen.
Etwa in der ersten Prämisse: X steht nicht im Verhältnis <p zu Y;
Y steht im Verhältnis 'P zu Z: X steht im verbundenen Verhältnis
(Nicht-<p)'P zu z, usw.
De Morgan unterscheidet hier wie in der Syllogistik Figuren und
Modi und sucht allgemeine Regeln aufzustellen. Natürlich ist gegen
eine derartige formale Theorie der Verhältnisse im Allgemeinen theo-
retisch nichts einzuwenden. Von den Irrtümern, mit denen De Morgan
seine Darlegung einleitet, können wir leicht absehen; auf die Sätze
selbst haben sie keinen Einfluss. Natürlich darf man nicht glauben, in
den allgemeinsten Verhältnisschlüssen, d.h. in den Schlüssen, deren
Prämissen Verhältnisse nicht näher bestimmter Art sind, Allgemein-
heiten zu besitzen, die jeden Verhältnisschluss als Besonderheit in
sich fassen. Dies hieße einen ganz analogen Irrtum begehen wie den
vorhin gerügten der Logiker, die in der Syllogistik die Lehre von
der Deduktion überhaupt sehen. Aus den allgemeinsten Verhältnis-
schlüssen kann ich niemals als eine selbstverständliche Besonderung
herleiten den Größenschluss, z.B. "a > b > C. Also a > C." Ich kann
nur schließen: "a größer als etwas, das größer ist als c." Dass beides
äquivalent ist, das kann ich nur aus dem besonderen Begriff der Größe
entnehmen.
Und so verhält es sich überall. Diese Schlüsse mit den allgemeinsten
Verhältnisprämissensind also nicht etwa die Gattungen zu den beson-
deren Verhältnisschlüssen als Arten, und demgemäß kommt ihnen im
Ganzen unserer Erkenntnis nur eine untergeordnete Bedeutung zu;
302 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

sie haben einen bloß singulären Charakter. Wüssten wir bloß, dass,
wenn a ~ b ist und b ~ c ist, a ~ ist als ein Größeres wie b, dann wäre
damit eine sehr geringfügige Erkenntnis ausgesprochen. Die große
Tragweite des Größenschlusses besteht darin, dass das zusammenge-
setzte Verhältnis sich auf ein einfaches derselben Art reduziert, dass
ein Größeres von einem Größeren wieder ein Größeres ist.
Dass De Morgan übrigens nicht geglaubt hat, in seiner allgemeinen
Lehre von den Verhältnissen die Lehre von den besonderen Verhält-
nisarten überflüssig gemacht zu haben, das geht daraus hervor, dass
er der Syllogistik und ihrer Erweiterung und Verbesserung so viele
Abhandlungen gewidmet hat.
Er ist unermüdlich in Neuerungen. Schon in der Feststellung der
Urteilsformen weicht er sehr wesentlich von der traditionellen Logik
ab. Indem er das Urteil als Verhältnis zweier Begriffe ansieht und
jeden der Begriffe sich als positiven und negativen denkt, so hat er,
allgemein zu reden, vier Termini, S, P, s, p, anstelle der üblichen zwei.
Dieselben können nun in vier verschiedenen Paaren sich verknüpfen:
SP, Sp, sP, sp. Die Verknüpfung kann nun in jedem Fall die Formen
A, E, I, 0 besitzen, so dass wir im Ganzen sechzehn Kombinationen
haben, die sich aber nur auf acht nicht äquivalente reduzieren:
Alle S sind PEinige S sind Nicht-P Kein S ist P
Alle P sind SEinige P sind Nicht-S (Kein P ist S) (reduktibel)
Einige S sind P Alles ist entweder S oder P
Einiges ist weder S noch P
Von einem anderen Gesichtspunkt aus, den De Morgan den ony-
matischen nennt, gewinnt De Morgan acht ganz andere Urteilsfor-
men, die im Wesentlichen identisch sind mit den hamiltonschen For-
men. Dies hat dann zu dem berühmten Prioritätenstreit zwischen
beiden Forschern Anlass gegeben. Vom onymatischen Gesichtspunkt
ist das Urteil nach De Morgan nichts weiter als eine Verknüpfung
zweier Namen als Namen desselben Gegenstandes. Also z.B. die Na-
men S und P haben gemeinsam Anwendung. In diesen Gesichtspunkt
will nun De Morgan die Lehre von den universellen und partikularen
Urteilen hineinzwängen. Die universellen und partikularen Urteile
sollen nichts weiter sein als Summen von exemplarischen Urteilen
(Urteilen der Anzahl), und diese selbst sollen onymatisch sein, bloße
Verhältnisse zwischen Namen (wenn ich recht verstehe). Ich will auf
all diese Theorien nicht näher eingehen. Zu haltbaren Ergebnissen
haben sie nicht geführt. Was an ihnen richtig ist, das wird zum größten
AUGUSTUS DE MORGAN 3°3
Teil überflüssig gemacht durch die unvergleichlich vollkommeneren
Formalismen Booles und seiner Nachfolger. Was darüber hinausgeht,
das ist überall die Aufzeigung von Formen, welche über den Rahmen
der gemeinen Syllogismen hinausgehen. Bemerkenswert in dieser
Beziehung ist außer dem Hinweis auf die verschiedenen Relations-
formen der Mathematik auch die Theorie der numerisch bestimmten
Syllogismen. Aus partikularen Prämissen, so lautet ein bekannter
Kanon der formalen Logik, ist kein Schluss zu ziehen. Wird aber die
partikulare Quantität durch eine bestimmte Zahl ersetzt, so werden
Schlüsse möglich. Im Sinne der von den meisten älteren Logikern
gegebenen Definitionen wären die hierher gehörigen Urteile immer
noch als partikular zu bezeichnen, da der Subjektbegriff nicht nach
dem ganzen Umfang genommen ist, so dass die alte Regel nicht mehr
stimmen würde. Indessen hält De Morgan die Regel doch fest, indem
er, wie es geschehen muss, den Begriffdes partikularen Urteils auf den
Sinn der Formel" Einige A sind B " beschränkt, in welcher die Vielheit
der A in keiner Weise bestimmt ist. Es genügt, an einem Beispiel zu
zeigen, dass es wirklich Schlüsse mit numerisch bestimmten Prämissen
gibt, die in der üblichen Schlusslehre nicht erledigt werden: Wenn
von 100 Y 60 Z sind und desgleichen von den 100 Y 70 X, so müssen
mindest 10 Y zugleich X und Z sein.
De Morgan hat nun die allgemeinsten Syllogismen dieser Art be-
trachtet, natürlich bei algebraisch unbestimmt gelassenen Zahlen, und
die zugehörigen Regeln aufgestellt. Nah verwandt mit diesen Syllo-
gismen sind folgende im gewöhnlichen Leben mitunter auftretende
Formen:
Die Mehrzahl der Y sind X. Die Mehrzahl der Y sind Z (Nicht-Z).
Also einige Xsind Z (Nicht-Z).
Die Mehrzahl der Y sind nicht X. Die Mehrzahl der Y sind nicht
Z. Einige Dinge sind weder X noch Z.
Arithmetisch:
y>x y=m+x
111
y>z =n+z
°
Da x und z von verschieden sind, so müssen die entsprechenden
gezählten Einheiten zum Teil identisch sein.
Die logischen Reformversuche, die wir inden letzten Vorlesun-
gen kennen gelernt haben, überschreiten zwar die Gedankenkreise
der traditionellen scholastischen Logik, aber sie stehen ihr doch in
304 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

methodischer Beziehung nahe. Die aristotelische Logik war erfunden


worden als eine Methode, die Trugschlüsse der Sophisten aufzude-
cken. Die skeptischen Angriffe gegen die Möglichkeit aller Erkennt-
nis brachten das Gebäude der Wissenschaft ins Wanken. Um die
Bemühungen ernster Wissenschaft zu sichern, musste man unzwei-
felhafte Unterscheidungen gewinnen zwischen strenger Erkenntnis
und sophistischem Schein. Dadurch wurde man auf die logische Form
aufmerksam. Man sah, dass unzählige Schlüsse, denen man Stringenz
zuschrieb, sich auf gewisse einfache lYpen zurückführen ließen, auf
gewisse allgemeinste Schlussformen. Mit anderen Worten, man be-
merkte, dass durch Abstraktion von der Besonderheit der jeweiligen
Materien, die in den bezüglichen Prämissen beurteilt erscheinen, die
Schlüsse unter gewisse Klassenbegriffe zu bringen waren und dass aus
diesen Klassenbegriffen, von aller Erfahrung unabhängig, Erkenntnis
von notwendigen Abhängigkeiten gewonnen wurde, auf welche dann
durch bloße Subsumtion der jeweiligen konkreten Materien die im
gegebenen Fall zu prüfenden konkreten Schlüsse als apriorisch gültig
oder als nicht stringent dargetan werden konnten. Um die Schlussfor-
men zu gewinnen, musste man, sagte ich, von der Besonderheit der
konkreten Materien absehen, man musste also auf die verschiedenen
Urteilsformen zurückgehen. Urteile bauen sich aber aus Begriffen
auf, und so finden wir in der Tat die traditionellen Abschnitte der
Logik unterschieden: Lehre vom Begriff, Lehre vom Urteil, Lehre
vom Schluss. Wäre der rein formale Gesichtspunkt der allein bestim-
mende gewesen, dann hätten die Logiker der Reihe nach folgende
Probleme zu lösen gehabt: Welches sind die verschiedenen Formen
von Begriffen? In welchen Formen kann man apriori, d.h. aufgrund
des Begriffs Begriff, einen beliebigen Begriff verwandeln, mit ir-
gendwelchen anderen Begriffen zu neuen Begriffen verknüpfen? Wir
könnten auch sagen: Welches sind die Operationen, die im Gebiete
des Begriffs als solchen denkbar sind? Wie können diese Formen für
die Konstitution von Urteilsformen bestimmend werden, und wel-
ches sind die verschiedenen Urteilsformen in möglichst vollständiger
Aufzählung? Endlich: Welche Urteile sind durch die bloße Form der
begrifflichen Bestandteile apriori gültig? Und insbesondere auch:
Wie können aus Urteilen gegebener Form neue Urteile aufgrund ihrer
bloßen Form als notwendige Folgen abgeleitet werden? Mit anderen
Worten: Welches sind die formalen Grundwahrheiten, welches sind
die Formen unmittelbarer und mittelbarer Schlüsse?
GEORGE BOOLE 30 5

Indessen, der rein theoretische Gesichtspunkt der logischen Form


ist niemals ganz zum Durchl;>ruch gekommen. Von vornherein trat die
Logik mit Metaphysik vermengt auf, und bis zum heutigen Tage ist die
unerlässliche Loslösung beider Disziplinen nicht allseitig vollzogen
worden. Andererseits wirkten die praktischen Absichten, die man mit
der Logik verfolgte, nämlich sie zu einem Organon wissenschaftlicher
Erkenntnis auszubilden, auf den Gehalt ihrer Lehren, insbesondere
auf den Umkreis der in Betracht zu ziehenden Formen wesentlich
ein. Erst seit dem vorigen Jahrhundert tauchen, zum Teil unter dem
Einfluss einer hoch entwickelten formalen Disziplin, der Arithmetik,
immer neue Bemühungen auf, diesen theoretischen Gesichtspunkt
reiner zur Geltung zu bringen.
Und in dieser Richtung bewegen sich nun auch die Forschungen
von Hamilton und De Morgan, von denen allerdings nur der Letztere
eine etwas klarere Vorstellung von der Art der zu bewältigenden
Aufgabe besaß. Die Tendenz der Arbeiten De Morgans können wir
bezeichnen als Loslösung der formalen Partien der Logik von aller
Metaphysik und wissenschaftlichen Praxis zum Zweck eines Aus-
baus derselben zu einer Wissenschaft, welche sämtliche apriorischen
Erkenntnisse systematisch entwickelt, die, unabhängig von der Be-
sonderheit der zu beurteilenden Gegenstände, in den allgemeinsten
Begriffen von Gegenstand, Begriff, Urteil etc. gründen. Was das Ver-
fahren anbelangt, das De Morgan befolgte, so weicht es nicht sehr
erheblich von dem traditionellen ab. Es erscheint ja auch als das
natürliche. Die Urteilsformen werden durch Analyse festgestellt und
dann zugesehen, wie Prämissen gleicher oder verschiedener Formen
gültige Schlüsse bestimmen. Sind diese gefunden, so werden daraus
allgemeinere Regeln abstrahiert, nach denen man den Prämissen so-
fort ansehen kann, ob sie einen gültigen Schluss ergeben oder nicht.
Hierbei beschränkt sich De Morgan, ganz so wie die traditionellen
Logiker bei ihren Formen, auf die einfachsten Fälle der Syllogismen,
wo also bloß zwei Prämissen gegeben sind.

(George Boole)
Gehen wir von De Morgan zu Boole über, so finden wir uns in
eine neue Welt versetzt. Ziel und Methoden sind völlig verändert.
Die Analyse tritt weit zurück hinter der Synthese. Um eine möglichst
vollständige Analyse der Urteilsformen hat er sich weniger beküm-
306 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

mert. Er nahm, was sie ihm am bequemsten darbot, und akzeptierte


von Vorgängern, von Hamilton und zum Teil wohl auch von De
Morgan, was er gebrauchen konnte. Gebrauchen wofür? Die Ant-
wort lautet: für die kalkulatorische Entwicklung. Denn dies ist das
Ziel, das er sich von vornherein gestellt und mit genialer Kraft und
Sicherheit auch erreicht hat: die formale Logik als mathematische
Wissenschaft begründen. So, wie die Arithmetik als kalkulatorische
Disziplin von den Zahlen dasteht, so soll die formale Logik als kalku-
latorische Disziplin von den Begriffen und Sachverhalten entwickelt
werden.
Wie konnte ein solches Ziel überhaupt gestellt, geschweige denn
erreicht werden? Liegt es nicht in der Natur der Rechnung, Zahlen
mit Zahlen zu verknüpfen, aus Beziehungen zwischen Zahlen wieder
Beziehungen zwischen Zahlen zu deduzieren? Ist es nicht absurd, von
einem Rechnen, also von einem Addieren, Multiplizieren, Subtrahie-
ren und Dividieren bei Begriffen und Urteilen zu sprechen?
Um Ihnen den guten Sinn der booleschen Bemühungen zu ver-
deutlichen und zugleich das Verständnis der speziellen Methodik,
die er weiterhin verfolgt, zu erleichtern, wird es gut sein, wenn wir
eine Zeit lang die Logik ganz beiseite lassen und uns zur Arithmetik
wenden. An ihr können wir es am besten studieren, was ein Kalkül
leistet, worin er gründet und inwiefern er von der Besonderheit der
Zahlenbegriffe abhängig ist.
Es ist natürlich nicht unsere Aufgabe, eine vollständige Arithme-
tik aufzustellen. Wir wollen nur von den ersten Anfängen an einige
Schritte der Entwicklung durchmachen, um das Wesen der Rechnung
zu erfassen.
Die arithmetische Fundamentaloperation ist die Addition. Irgend-
eine Zahl b zu irgendeiner Zahl a addieren, heißt, die Einheiten der
letzteren Zahl zu denen der ersteren hinzufügen und so eine neue
Zahl bilden. Die Operation hat immer ein Resultat und ist eindeutig:
Gleiches zu Gleichem addiert gibt Gleiches. Und es gelten für sie
folgende fundamentale Gesetze:
I) a+b =b+a
2) (a+b)+c = a+(b+c)
Obschon diese Gesetze auf noch einfachere reduzierbar sind, wol-
len wir sie als Grundgesetze annehmen, zumal sie unmittelbar ein-
leuchtend sind. Als unmittelbar einleuchtend werden Sie mir auch
zugestehen, dass die verallgemeinerten Gesetze sind: allgemeine As-
GEORGE BOOLE

soziation, allgemeine Kommutation.! Jedoch begnügen sich die Arith-


metiker mit dem unmittelbaren Einleuchten hier wie sonst nicht. Es
lassen sich diese allgemeineren Gesetze als reine Konsequenzen der
Grundgesetze nachweisen:
«a+b)+c)+d =(a+b)+(c+d) =a+(b+(c+d» usw.
Subtraktion: a - b. Bestimmt, wenn a > b; dann aber auch eindeutig.
Es ist dann:
3)(a-b)+b = a
Aus diesen drei Gesetzen ergeben sich nun schon mehrerlei de-
duktive Konsquenzen. Aus der Eindeutigkeit der Subtraktion folgt
der Satz: .
4) Ist a+c = b+c, so ist a = b
(a+b)-b = a. Nämlich es ist doch «a+b)-b)+b,'nach 3), = a+b.
Also nach dem vorigen Satz: a + b - b = a.
Ähnlich folgt: a - (b +c) = a - b - c = a - c- b usw. Schließlich folgt,
dass man in einem beliebigen additiven und subtraktiven Gefüge die
Glieder samt ihren Zeichen beliebig vertauschen kann usw.
Dann wird die Multiplikation definiert. Eine Summe von b Zahlen a
definiert mir das Produkt von a x b. Multiplikation ist eindeutig: Also,
Gleiches mit Gleichem multipliziert ist gleich.
Es ergibt sich dann aus dem Begriff der Summe und unter Mithilfe
der für die Addition gültigen Gesetze:
5) ab =ba2
6) a(bc) = (ab)c
7) a(b+c) =ab+ac
Definieren wir dann die Division beziehungsweise den Quotien-
ten 6 (als) diejenige Zahl, die ver-b-facht a gibt, so folgt aus der
Definition:
8)(6)b = a
Und zwar ergibt sich wieder, dass die Division, wenn sie ausführbar
ist, immer eindeutig ist. Also:
9) Ist cb =db, so ist c = d.
Verknüpfen wir die Regeln der Multiplikation und Division, so
ergeben sich wieder mannigfache Konsequenzen. Und die Verbin-

! Die Fonneln für 0 und I sind hier durchaus erforderlich, wegen der Analogien im Klassen-
kalkül.
2 b zahlen a: a+a+ ... b-mal = b+b+ ... a-mal. Nehme ich je eine Einheit aus den a auf
der einen Seite, so erhalte ich a Gruppen von b Einheiten. Ich darf ja nach den Gesetzen der
Assoziation und Kommutation die Teilzahlen beliebig umordnen, also auch die Einheiten.
308 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

dung der Folgesätze mit den Gesetzen der Addition und Subtraktion
ergibt dann die Gesamtheit der Regeln, welche die vier elementaren
Operationen beherrschen.
a
Z.B. finden wir eine Regel der Arithmetik, die sagt: ~ x = :
Beweis:
Ax~xbd - Axbx~xd
b d - b d
Wir multiplizieren jede Seite mit bd und betrachten sie für sich.
Ax~xbd - Axbx~ xd
b d - b d
=axc
=ac
Andererseits:
:xbd = ac (nach 8)
Also auch beiderseits wieder mit bd dividiert: quod erat demons-
trandum.
Oder nehmen wir den Satz: a(b - c) = ab - ac. Rechts schreibe ich
für b: b-c+c, nach 3). Also: = a(b-c+c) -ac
Nach dem Distributionsgesetz:
= a(b - c) +ac - ac, nach einem bereits bewiesenen Satz.
= a (b - c). Also in der Tat der linken Seite gleich. Und so allgemein.
Machen wir uns das Wesen der Sache nun in abstracto klar. Im Zahl-
begriff gründeten der Begriff der Addition und mittelbar die übrigen
Operationsbegriffe. Aus ihnen gingen apriori die neun nummerierten
Grundgesetze hervor. Alle übrigen Sätze der Arithmetik, soweit sie
ins Gebiet der vier Rechnungsoperationen fallen, sind rein formale
Folgen der neun Grundsätze. Das heißt: Um irgendeinen sonstigen
Satz zu erweisen, brauche ich gar nicht mehr auf den Begriff der Zahl
oder auf die Begriffe Addition, Multiplikation etc. zurückzugehen.
Der Beweis besteht vielmehr aus lauter Schritten, in denen wir nichts
weiter zu tun haben, als einen der neun Sätze anzuwenden, also
nichts weiter, als zu subsumieren. Die neun Grundsätze aber sind
voneinander formal unabhängig. Sie sind nicht schlechthin unabhän-
gig, denn die späteren setzen zum Teil die früheren voraus. Aber um
sie einzusehen, müssen wir auf den Begriff einer Zahl oder Summe
usw. zurückgehen. Wir können keinen dieser Sätze als besonderen
Fall der übrigen darstellen oder durch Transformationen herleiten,
deren Berechtigung in ihnen allgemein ausgesprochen ist.
Dies ist alles, was wir zum Verständnis der Arithmetik, wie einer
Kalkülwissenschaft überhaupt, gebrauchen. Es ist nicht nötig, auf die
übrigen Rechnungsoperationen der Arithmetik einzugehen, zumal
GEORGE BOOLE

es strittig ist, was noch als Grundoperation zu gelten hat und was
nicht. Das Bild ist jedenfalls immer dasselbe. Alle Regeln, nach denen
die rechnerischen Transformationen irgendwelcher aufgrund der ver-
schiedenen Operationen in noch so großer Komplikation gebildeter
Ausdrücke vonstatten zu gehen haben, sind formale Konsequenzen
einer begrenzten Zahl von Grundsätzen. Eben dasselbe gilt, aber
ganz allgemein, für alle arithmetischen Sätze. Nicht alle Sätze haben
ja den Charakter solcher Transformationen. Eine große Klasse von
Aufgaben geht darauf aus, Zahlen, die nur als Gleichungslösungen
definiert sind, zu bestimmen, mit anderen Worten, Gleichungen auf-
zulösen. Nehmen wir etwa die Gleichung ax+b = c. Das heißt, ein
Rätsel ist mir aufgegeben. Es wird uns gesagt, die unbekannte Zahl,
mit a multipliziert, ergebe eine Zahl, welche, zu b addiert, gleich c
sei. Wie wird das Rätsel gelöst? Indem die Gleichung schrittweise
durch äquivalente Gleichungen ersetzt wird, bis ich zu einer solchen
komme, welche die Form hat: x = dem und dem ausschließlich aus
den bekannten Zahlen a, b, c komponierten Ausdruck. In unserem
Fall: x =c~ b. Und alle diese Schritte der Transformation erfolgen aus-
schließlich durch Anwendung der Grundsätze oder aus ihnen formal
ableitbarer Sätze, also durch bloße Subsumtion.
Diese eben geschilderte Sachlage begründet nun das Rechnen. Was
charakterisiert das Rechnen? Nichts anderes, als dass es ein Verfahren
ist, um aus irgendwelchen gegebenen Sätzen eines Forschungsgebietes
äquivalente Sätze zu deduzieren, ohne je auf die Besonderheit der Be-
griffe und Relationen zu rekurrieren. Wie ist das aber möglich? Womit
hat man es denn sonst zu tun als mit Begriffen und Verhältnissen? Die
Antwort lautet: Die Begriffe werden gedacht mittels gewisser Termini,
die Verhältnisse mittels ihnen entsprechender Verknüpfungszeichen.
Wenn wir in der Arithmetik rechnen, kümmern wir uns bloß um die
Zeichen und die Regeln ihrer Verknüpfung.
Nun werden Sie aber einwenden: Die Zeichen sind doch Zeichen
für gewisse Sachen, und die Regeln sind Regeln, um mit den Sachen,
in unserem Fall mit den arithmetischen Begriffen, in richtiger Weise
umzugehen, richtige Sätze in Betreff derselben aufzustellen. Beden-
ken Sie aber Folgendes. In der Arithmetik ist knapp und übersichtli-
cherweise jede Zahl durch ein Zeichen ausgedrückt; jede Operation
durch ein entsprechendes Verbindungszeichen: ± ...; Gleichheit und
Verschiedenheit durch neue Zeichen: =, >, < usw. Jedem Satz ent-
spricht also auch eindeutig ein gewisser sinnlicher Ausdruck auf dem
310 OBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

Papier. Der Anwendung des Satzes, der Regel, die in ihm enthalten,
entspricht zugleich eine Regel für die Operation mit Zeichen, z.B.
a + b =b +a. Nenne ich nun einen sinnlichen Ausdruck einen richtigen
dann, wenn ihm ein wahres Zahlenurteil entspricht, dann entspricht
jedem Satz eine Regel, richtig mit Zeichen zu verfahren. a+b = b+a
heißt dann: Das Zeichen a +b ist gleichwertig dem Zeichen b +a. Ich
darf das eine für das andere setzen. Ich kann sicher sein, dass, wenn
ich diese Art, mit Zahlzeichen zu verfahren, zulasse, jeder aus einem
Zeichenausdruck hergeleitete Ausdruck sicher ein richtiger sein wird.
Die Sache ist also jetzt die: Ich habe eine Gattung bestimmt fixierter
und meinem Gedächtnis eingeprägter Zeichen, dazu eine gewisse
Anzahl von Regeln, die in der Weise von Spielregeln festsetzen, wie
mit den Zeichen verfahren werden darf, derart, dass jedes andere
Verfahren als unzulässig gelten soll. Eine beliebige Verknüpfung von
Zeichen kann dann aufgrund der Regeln mannigfach ersetzt werden
durch eine äquivalente Zeichenverknüpfung. Und richtig ist die Her-
leitung, wenn jeder ihrer Schritte regelgemäß ist, also kein Schritt
gemacht ist, der nicht durch einfache Subsumtion unter irgendeine
der Regeln seine Rechtfertigung findet. Betrachte ich in dieser Weise
die Zeichen für sich, so sind sie darum nicht bloß Schnörkel auf dem
Papier, sie haben offenbar eine gewisse Bedeutung. Was ist nun ihre
Bedeutung? Nicht mehr die entsprechende arithmetische Bedeutung,
denn von dieser habe ich ja gänzlich abstrahiert. Offenbar liegt die
Bedeutung jetzt in den Spielregeln. Es ist ganz so wie im Schachspiel:
Läufer, Turm etc. Ich behaupte nun: Alles Rechnen besteht darin,
dass die ursprünglichen Begriffe, die Zahlbegriffe und die ihnen zu-
gehörigen Beziehungs- und Verknüpfungsbegriffe, durch ihre bloßen
Symbole ersetzt und diese nun als solche rein konventionellen Spiel-
begriffe aufgefasst werden. Die Spielbedeutung dieser Symbole ruht
dann in gewissen Spielregeln, die nichts anderes sind als die genauen
Korrespondenten der Grundgesetze, auf welche alle arithmetische
Deduktion durch bloße Subsumtion reduzierbar ist. Mit anderen
Worten: Um eine arithmetische Deduktion zu vollziehen, brauche ich
nicht an die eigentliche Bedeutung der Zeichen zu denken, in denen
die Sätze ihren Ausdruck finden. Ich brauche nur die Grundsätze als
Regeln eines konvenienten Verfahrens mit den Symbolen aufzufas-
sen und fest einzuprägen. Indem ich diesen Regeln entsprechend die
Zeichen der jeweiligen Ausdrücke auf dem Papier richtig verschiebe,
leite ich neue Ausdrücke her und wieder neue Ausdrücke, so lange,
GEORGE BOOLE 3 11

bis ich zu Ausdrücken einer gewünschten Form komme. Gehe ich


dann von den Symbolen und ihrer konventionellen Bedeutung über
zu den eigentlichen und ursprünglichen Begriffen, so habe ich einen
Satz über Zahlen, und dieser Satz ist dann immer richtig.
Dass sich ein solches Verfahren aus psychologischen Gründen ent-
wickeln musste, ist leicht begreiflich. Da dem Mathematiker unzählige
Male gleich geformte Ausdrücke entgegentreten und immer und im-
mer dieselben Regeln zur Anwendung kommen, so bildet sich natur-
gemäß eine" gedankenlose" Anwendung aus, man wird unwillkürlich
bei den sprachlichen resp. signitiven Ausdrücken haften bleiben, aber
sie doch immer in der äußerlich richtigen Weise verknüpfen, die den
Regeln entspricht. Durch häufige Anwendung der Regeln gewinnen
die Zeichen eine gewisse Nebenbedeutung. Ein Zahlzeichen ist etwas,
womit man in gewisser (Weise) hantieren darf: Sind zwei Zeichen a
und b durch das Pluszeichen verknüpft, so kann man sie in ihrer Folge
vertauschen' usw.
Aber das Psychologische geht uns hier nichts an, und es begrün-
det auch nichts. Wie steht es also mit dem Rechtsgrund dieses son-
derlichen Verfahrens? Er ist nicht weit zu suchen. Achten wir auf
die eigentlichen Gedanken, so haben wir ein Gebiet von Begriffen,
die gewisse Arten von Verknüpfungen eingehen derart, dass jedes
Verknüpfungsresultat immer wieder als Fundament für eine neue
Verknüpfung dienen kann, diese wieder, und so in infinitum. Für
diese Verknüpfungen gelten dann gewisse Grundbeziehungen in be-
schränkter Zahl, etwa unsere neun Grundgesetze. Alle übrigen Sätze
des Gebietes finden dann ihre Begründung durch Prozesse, die sich
in lauter einfache Subsumtionen unter die neun Grundsätze auflö-
sen. Jeder Begriff findet nun seinen Ausdruck in einem eindeutigen
Zeichen, jede Verknüpfung ebenso in dem entsprechenden kompo-
nierten Zeichen. Jedem Grundsatz entspricht endlich eine gewisse
Regel, mit den Zeichen zu verfahren, und jeder abgeleitete Satz wird
gewonnen durch bloße schrittweise Subsumtion unter diese Regeln.
Es besteht also ein gegenseitig eindeutiger Parallelismus zwischen
dem Spielsystem und seinen Regeln und dem Zahlensystem und sei-
nen Gesetzen. Also gibt es offenbar keinen mechanisch-symbolisch
ableitbaren Satz, der nicht seinen Korrespondenten hätte im'Reich
des Arithmetischen. Alles beruht, wie Sie sehen, auf der vorhin ana-
lysierten logischen Konstitution der Arithmetik, vermöge deren nach
Aufstellung der Grundsätze alle Deduktion bloße Subsumtion voraus-
312 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

setzt. Danach ist sofort klar, dass apriori kein Grund einzusehen ist,
warum das Rechnen bloß auf das arithmetische Gebiet beschränkt
sein sollte. Wo immer wir ein Gebiet von Begriffen finden, in dem
sich analoge Verhältnisse finden wie auf dem der Arithmetik, also wo
immer einförmige Weisen der Bildung neuer Begriffe aus gegebenen
nachweisbar sind derart, dass die Bildungsresultate immer wieder als
Elemente für neue Bildungen fungieren können, und wo für diese
Bildungsweisen Gesetze in beschränkter Anzahl existieren, da wird
ein unendliches Gebiet von reinen Folgesätzen aus den Grundsätzen
deduktibel sein, und zwar in der Weise rein formaler Deduktion.
Und da wird auch das rechnerische Verfahren möglich sein, welches
den Rekurs auf die Begriffe überflüssig macht und den äußerlichen
Formen des Verfahrens allein sich hingibt.
Auf Folgendes sei ferner aufmerksam gemacht: Ist unsere Analyse
des rechnerischen Verfahrens richtig, dann ist apriori klar, dass auf
verschiedenen Gebieten formell identische Rechnungsregeln resultie-
ren können, sei es zum Teil, sei es ganz. Nennen wir die Gesamtheit der
Rechnungsregeln einer deduktiven Disziplin mitsamt ihren Folgesät-
zen ihren Algorithmus, dann könnten also ganz verschiedene Gebiete
identisch denselben Algorithmus besitzen. Es wird dies natürlich dann
der Fall sein, wenn jedem Begriff der einen Disziplin ein Begriff der
anderen entspricht, und umgekehrt. Ebenso wenn jedem Operati-
onsbegriff im einen Gebiet ein Operationsbegriff in dem anderen
usw., schließlich, wenn beiderseits formell übereinstimmende Grund-
gesetze und beiderseits in gleicher Zahl existieren, in gegenseitig
eindeutiger Korrespondenz. Die Identität des Algorithmus wird dann
sofort heraustreten, sowie wir beiderseits gleiche Bezeichnungsweisen
verwenden.
In der Natur des Anzahlbegriffs gründen die Unterscheidungen
zwischen 1,2,3 ••• derart, dass 2 = 1 + 1,3 = 2 + 1 ••• Und keine Zahl exis-
tiert, die nicht in dieser unendlichen Reihe ihr Äquivalent hätte. Es
gründen darin ferner die oben angeführten Sätze a + b =b + a usw. An-
genommen, es existierte ein anderer, von der Anzahl verschiedener
Begriff, der sich analog in eine Reihe von Spezialbegriffen spaltet, für
welche analoge Operationen mit analogen Gesetzen etc. gelten, dann
könnte die Analogie doch eine so vollständige sein, dass, wenn wir
die Bezeichnungen passend wählten, ein vollkommener Parallelismus
bestände. Es handelt sich hier nicht um eine bloß vage Möglichkeit!
In der Tat ist das, was man Arithmetik nennt, nur aequivoce ein e
GEORGE BOOLE

Wissenschaft. In der Tat haben I, + usw., alle die Grundzeichen der


Arithmetik, vielfache Bedeutungen, entsprechend den verschiedenen
Gebieten, in denen derselbe Algorithmus Anwendung finden kann.
Denken wir uns z.B. auf einer einseitig unendlichen Geraden des
Raums vom Ausgangspunkt aus eine beliebige Strecke abgetragen.

o
I
A B
I I

Vom Endpunkt dieser Strecke können wir in gleicher Richtung


eine gleich große abtragen usw. Bezeichnen wir die Aneinanderlegung
zweier Strecken derart, dass der Endpunkt der einen zum identischen
Anfangspunkt der zweiten wird, durch das Zeichen + und verstehen
unter a+b die in der angegebenen Weise aus a und b resultierende
neue Strecke, und fassen wir zwei Strecken als gleich, die sich decken
lassen, dann sind alle die abgetragenen Strecken einander gleich. Wir
wollen den gemeinsamen Wert dieser Strecken durch T bezeichnen.
Wir betrachten nun ausschließlich vom Nullpunkt aus gerechnete
Strecken. Es ist dann T + T eine bestimmte Strecke oB, die wir durch
2 bezeichnen; ebenso 2+ T eine bestimmte Strecke; wir bezeichnen
sie durch 3" usw. Man sieht leicht, dass dann wieder gilt: ä +b = b +ä;
ä+(b+c) = (ä+b)+c .
Ebenso können wir Subtraktion definieren, und zwar: a - b sei
diejenige Strecke, welche so beschaffen ist, dass (a - b) + b = a usw.
Man überzeugt sich leicht, dass formal alles erhalten bleibt. Wir er-
halten dieselben Grundgesetze wie in der Anzahlenlehre, nur haben
wir es nicht mit Anzahlen zu tun, sondern mit Strecken. Es handelt
sich auch nicht etwa um konkrete Anzahlen. Aus dem Satz, dass
3+2 = 2+3, folgt wohl als besonderer Fall, dass die Anzahl von glei-
chen Strecken, die ich erhalte, wenn ich drei Strecken nehme und dann
zwei Strecken dazu, dieselbe ist, als wenn (ich) zwei Strecken nehme
und drei dazu. Nicht aber kann gefolgert werden der Streckensatz
3+2 = 2+3, welcher gar nicht von Anzahlen spricht. Niemals kann
ich aus dem Anzahlbegriff auch nur entnehmen, dass sich mehrere
Strecken zu einer Strecke verknüpfen lassen, geschweige denn, dass
diese Verknüpfung von der in diesem Satze angegebenen Art ist.
Wieder einen anderen Begriff erhalte ich, obschon einen verwand-
ten, wenn ich anstatt Raumstrecken die Strecken in der Zeit von
einem festen Punkt an in einer bestimmten Richtung, etwa in die
Zukunft, annehme; wieder einen anderen Begriff, wenn ich Ordinal-
314 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

zahlen nehme usw. Immer aber erhalte ich denselben arithmetischen


Algorithmus oder, wie man sich ausdrückt, dieselbe Arithmetik. Na-
türlich genügt es, den Algorithmus ein für alle Mal zu entwickeln.
Man braucht nicht für jedes solches Gebiet von vorn anzufangen
und alles parallel zu entwickeln. Man geht etwa vom Anzahlbegriff
aus, begründet die Rechnungsregeln in der bekannten Weise. Hat
man es dann mit Ordinalzahlen zu tun, dann erspart man sich die
ganze Deduktionsarbeit. Man fixiert nur die Begriffe, man stellt die
Grundgesetze auf. Nachher weist man auf die exakte Analogie, auf
den genauen Parallelismus in den beiderseitigen Grundlagen hin und
schließt dann: Sind die Grundlagen identisch, so muss der Algorith-
mus identisch sein. Verstehen wir also umdeutend unter I, 2, 3 ...
die Ordinalzahlen, deuten wir die Operationsbegriffe entsprechend
um, dann ist genauso zu rechnen wie für die gleichen Zeichen in der
Anzahlenarithmetik. Und so überall.
Aber auch noch ein anderer Weg steht offen. Man entwickelt
den Algorithmus für sich und sagt: Jedes Begriffsgebiet, das so be-
schaffen ist, dass wir seine Grundbegriffe durch die Grundzeichen,
seine Verknüpfungsbegriffe durch die Verknüpfungszeichen dieses
Algorithmus bezeichnen können - womit schon gesagt ist, dass den
Grundregeln im Gebiet Grundgesetze entsprechen -, untersteht nach
allen seinen Deduktionen dem Algorithmus.
Und endlich kann man, statt sich auf das rein Algorithmische zu
beziehen, von vornherein eine Verallgemeinerung eintreten lassen,
welche die ganze Klasse der in dem Algorithmus enthaltenen deduk-
tiven Gebiete in sich fasst. Man sagt, es sei ein Gebiet überhaupt
so beschaffen, dass darin eine gewisse Art von Objekten existiert,
die durch 1 bezeichnet werden. Es gelte nun 1 + 1 = 2, 2 + 1 = 3
usw., wobei durch + eine gewisse Verknüpfungsart bezeichnet wird.
Es sollen ferner die Sätze gelten a+b = b+a usw. Verfahren wir
in dieser Art, dann haben wir offenbar einen Allgemeinstbegriff
gewonnen, der als untergeordnete Fälle Anzahlen, Ordinalzahlen,
Streckenzahlen usw. in sich fasst. Und für diesen Allgemeinstbegriff
gelten nun Systeme von Sätzen, besteht, können wir sagen, eine rein
deduktive Wissenschaft, die als Spezialfälle die deduktiven Wissen-
schaften von den Anzahlen, Ordinalzahlen usw. unter sich hat. Ein
wesentlicher Unterschied ist aber gegenüber diesen Wissenschaften
zu betonen. Wenn wir die Wissenschaft von den Anzahlen aufbauen,
gehen wir von dem Begriff der Anzahl aus, und in ihm gründen
GEORGE BOOLE

dann die und die Axiome, die gegebenen Gesetze, aus welchen al-
le anderen arithmetischen Sätze durch reine Subsumtion bewiesen
werden.
Ganz anders verhält es sich hier mit dem verallgemeinerten Begriff,
dem der" formalen zahl" im gewöhnlichen Sinn der Arithmetik:. Der
Begriff der formalen Zahl ist der bloße Begriff eines Irgendetwas,
dessen Gegenstände Verknüpfungen und Beziehungen unterliegen
mit Gesetzen, die sich in den Formen der gegebenen Grundsätze
ausdrücken lassen. Die Gesetze sind hier nicht aus dem gegebenen
Begriff abgeleitet, sondern der Begriff wird erst in Reflexion auf
die Form der Gesetze konstruiert. Die Gesetze sind im ersteren
Fall synthetische Sätze apriori, im letzteren Fall rein analytische
Sätze. Und wieder kann man als unterscheidend hervorheben, dass
die Begriffe im einen Fall unmittelbar aus Anschauungen abgeleitet
sind durch Abstraktion, während im anderen Fall die Begriffe durch
vergleichende Verallgemeinerung aus bereits gebildeten Begriffen
gewonnen werden.
Wir wollen jetzt noch eine wichtige Modifikation anbringen. Wir
haben bisher eine Mehrheit von Begriffen, durch welche, einzeln
genommen, Deduktionsgebiete bestimmt werden, betrachtet, denen
identisch derselbe Algorithmus zugehört, Begriffe, die so geartet
sind, dass sie exakt analoge Verknüpfungen, Beziehungen und ent-
sprechende Gesetze aufweisen, und zwar so, dass strenger Paral-
lelismus, strenge gegenseitig eindeutige Korrespondenz beiderseits
besteht. Jeder Anzahl entspricht eine Ordinalzahl, und umgekehrt.
Jeder Verknüpfungsform von Anzahlen entspricht eine bestimmte
Verknüpfungsform von Ordinalzahlen, und umgekehrt. Und endlich,
jedem Gesetz auf der einen Seite entspricht ein formell analoges auf
der anderen Seite, und umgekehrt. Die entsprechenden Glieder wer-
den gleich bezeichnet und benannt, und so gewinnen wir beiderseits
identisch dieselben Formeln.
Es ist nun aber auch der Fall denkbar, dass zwei Gebiete in sol-
chem Verhältnis stehen, dass sie nichtbeide als ganze einander in
angegebener Weise entsprechen, sondern dass ein bloßer Teil des
einen dem ganzen anderen entspricht. Mit anderen Worten, dass der
Gesamtalgorithmus des einen Gebietes identisch ist mit einem Teilal-
gorithmus des anderen. Es handelt sich hier nicht um eine aus der
Luft gegriffene Möglichkeit. Wir haben vorhin von Streckenzahlen
der einfach unendlichen Geraden gesprochen. Nehmen wir anstelle
316 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

einer solchen vielmehr eine zweifach unendliche Gerade, in ihr einen


beliebig festen Punkt 0,

00' o
I
00

dann haben wir zwei Richtungen zu unterscheiden, die wir als Rechts-
und Linksrichtung unterscheiden. Die Gerade zerfällt dann in zwei
°
einfach unendliche Geraden. Nehmen wir in der von nach rechts
sich erstreckenden eine Strecke 1 an und fassen 1 als Zeichen einer
Fortbewegung nach rechts um eine bestimmte Länge und definieren
in der früher angegebenen Weise 2, 3, 4 ... , so 'gilt nun die gewöhnliche
Arithmetik, wenn wir die Definitionen passend fixieren. Ebenso kön-
nen wir I' in der zweiten, nach links laufenden Geraden als Einheit
definieren, und zwar als Zeichen einer Fortbewegung nach links um
eine bestimmte Länge, welche wir als gleich groß annehmen wollen
als diejenige von I. Dann gilt wieder die ganz gemeine Arithmetik.
Denken wir nun aber die Auffassung etwas geändert. Wir verstehen
wieder unter 1 eine Fortbewegung nach rechts um die fixierte Länge,
aber als eine beliebige, gleichgültig wo sie in der unendlichen Geraden
statthat. Ebenso I'. Dann kann in einer Summe jedes Glied entweder
eine Streckenzahl der Art 1 oder der I' sein. Wir unterscheiden sie
durch Indizes. a bedeute also eine in der Rechtsrichtung laufende
Strecke, b' eine in der Linksrichtung laufende Strecke. a + b' bedeute
dann diejenige Strecke, die ich erhalte, wenn ich vom Ausgangspunkt
a Schritte nach rechts gehe und vom erlangten Endpunkt aus dann b'
Schritte nach links. Dann ist klar, dass a + b' dieselbe Strecke darstellt
wie a - b. Denn per definitionem ist ja a - b die Strecke, welche mit b
additiv verknüpft a gibt.
Offenbar erhalte ich jeweils diese Strecke, wenn ich vom Endpunkt
des a um b Einheiten zurückgehe, also nach links gehe.

o ••
a
a-b b

Der rechte Punkt ist der Endpunkt der Differenzstrecke und 0


der Anfangspunkt. Beschränken wir uns auf eine einseitig unendliche
Gerade, dann existiert eine Differenz nur dann, wenn die Anzahl der
Schritte a größer ist als die Anzahl der Schritte b. Sowie wir eine
zweiseitig unendliche Gerade nehmen, wird die Operation immer
GEORGE BOOLE

ausführbar. Ich erhalte dann eben Punkte, die links von 0 liegen.
Mit Rücksicht darauf erspart man es, zwei verschiedene Bezeich-
nungen für die Einheiten I und I' einzuführen, denn jede Zahl der
Einheit I', also jedes b', kann mittels der Subtraktionsoperation auf
Zahlen der Einheit I zurückgeführt werden. Nämlich b' =o-b,1 und
o ist dabei = a - a, wo a eine beliebige Zahl bedeutet der Art I. In
dieser Art fortgehend kann man dann wieder den Algorithmus der
Streckenzahlen für eine zweiseitig unendliche Gerade aufstellen bzw.
die deduktive Wissenschaft für die so festgestellten Begriffe fixie-
ren. Vergleichen wir das derart zu gewinnende Deduktionsgebiet mit
dem der Anzahlen oder mit dem der Streckenzahlen einer einseitig
unendlichen Reihe, so erkennen wir sofort, dass nun nicht mehr ge-
genseitig eindeutige Korrespondenz besteht. In der Lehre von den
Anzahlen hat der Begriff eines a - b keine Geltung, wenn b > a ist:
3 -7 ist eine unmögliche Zahl. Ich kann nicht sieben Einheiten von
drei wegnehmen; ich erhalte durch die geforderte Operation keine
Zahl. Anders verhält es sich hier: Ich erhalte eine Zahl, nämlich eine
negative Zahl. Das Gebiet der jetzigen Streckenzahlen ist also ein
weiteres: Die eine Hälfte mitsamt den dafür gültigen Sätzen deckt
sich mit dem Anzahlengebiete; die andere Hälfte ist überschüssig, es
fehlt Korrespondierendes im Anzahlengebiet.
Auch noch in anderer Beziehung ist das Gebiet der Streckenzahlen,
und zwar sowohl der einseitigen als der zweiseitigen unendlichen
Geraden, umfassender. Im Gebiet der Anzahl hat der Begriff 3 : 7
keine Geltung. Ich kann nicht die Zahl 3 in sieben Teile teilen, deren
jeder wieder eine Zahl ist, wie doch im Begriff der Division verlangt
ist. Aber sehr wohl kann ich eine Strecke der Länge 3 in sieben
gleiche Teile teilen. Und ich kann solch einen Teil wieder zahlenmäßig
auffassen, indem ich die so genannten Bruchzahlen einführe: 3 : 7 = 3
Siebtel = 3 x 117, wo 117 eine Strecke bedeutet, die den siebten Teil der
Strecke I darstellt, oder die Strecke, die versiebenfacht I gibt. Eine
Anzahl 117 ist etwas Absurdes.
So ist das Gebiet nun unendlich viel reicher. Es existiert die Bruch-
einheit 1h, 113, 1/4, 1/5 ••• und alle daraus abgeleiteten Zahlen.
Fragen wir, was erforderlich ist, um in irgendeinem deduktiven
Gebiet einen Kalkül zu begründen, so lautet die Antwort offenbar

10- b bezeichnet man mit ob, und man hat so die zweiseitig unendliche Reihe von zahlen: 0,
1,2,3 ...; -I, -2, -3 ...
318 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

SO: Wir bezeichnen zunächst die unbestimmt gedachten Gegenstände


des Gebietes durch irgendwelche Zeichen derart, dass etwa a ir-
gendeinen Gegenstand des Gebietes darstellt und jedes verschiedene
Zeichen einen im Allgemeinen davon verschiedenen, im besonderen
Fall aber evtl. ihm gleichen. Andererseits bezeichnen gleiche Zeichen
jedenfalls gleiche Objekte. Wir suchen dann die für Gegenstände des
Gebietes möglichen Verknüpfungen auf. Jede verschiedene Verknüp-
fungsweise bezeichnen wir durch ein verschiedenes Zeichen. Anstatt
Verknüpfung sagt man auch Operation, sofern man die Erzeugung
im Auge hat. Endlich bezeichnet man auch die im Gebiet möglichen
Beziehungen durch besondere Beziehungszeichen. Dann fragt man:
Welche Grundsätze gelten apriori für derartige Verknüpfungen?
Indem man nun die sämtlichen formal voneinander unabhängigen
Sätze aufstellt, hat man das Fundament für den Kalkül.
Wenden wir das Ausgeführte nun an einem Beispiel an. Wir ver-
wenden es unserer ursprünglichen Absicht entsprechend auf die Klä-
rung des booleschen Kalküls des syllogistischen Schließens. Booles
Kalkül wird von ihm ursprünglich als Klassenkalkül aufgebaut. Ge-
nauso wie die Arithmetik der Kalkül für das Anzahlengebiet ist, so
ist der boolesche Kalkül der Kalkül für das Gebiet der Klassen im
Allgemeinen. Jeder Begriff, Z.B. der des Löwen, hat einen gewissen
Umfang. Dieser Umfang ist die Klasse der Löwen, d.h. die Gesamtheit
von Gegenständen, denen es zukommt, Löwen zu sein. Wir bezeich-
nen durch algebraische Zeichen, etwa x, y ... irgendwelche Klassen,
gleichgültig ob die Klasse der Menschen, der Löwen, der Dreiecke
etc.
Unter den Klassen gibt es eine ausgezeichnete, die nämlich alles
mögliche Existierende enthält. Sie wird durch das Zeichen 1 bezeich-
net; wobei Sie aber keineswegs an die Bedeutung der Arithmtik
denken dürfen. Ebenso gibt es eine Klasse, in die wir alle nicht-
existierenden Denkobjekte, etwa die runden Vierecke u.dgl., versetzt
denken. Diese Klasse bezeichnen wir durch o. Gehen wir nun zu den
Verknüpfungen über.
Denken wir uns die Klasse der Europäer und die Klasse der weißen
Menschen. Dann bestimmen diese beiden Klassen eine neue Klasse,
nämlich diejenige der Weißen, die Europäer sind. Und so allgemein.
Sind x und y irgendwelche zwei Klassen, dann repräsentiert das
Zeichen xy diejenige Klasse, welche die Gegenstände der Klasse x
sämtlich enthält, die sämtlich auch in die Klasse y gehören.
GEORGE BOOLE

Es ist offenbar, dass die Klasse der Weißen, die Europärer sind,
identisch ist mit der Klasse der Europäer, die weiß sind. Und dass
evident allgemein gilt:
I) xy = yx, wobei wir die Identität der Klassen durch das Gleich-
heitszeichen andeuten.
2) Offenbar ist auch (xy)z = x(yz) (Europäer, Gelehrte, Mathema-
tiker).

3) IX = X
4) ox = o. Denn alles Unmögliche und zugleich x-Seiende ist un-
möglich, und alles Unmögliche ist zugleich ein x-Seiendes, d.h. ist
etwas unmöglich, dann ist es auch als x unmöglich.
5) xx = x. Ein Mensch, der ein Mensch ist, ist ein Mensch, und
umgekehrt. Also die Klasse der Menschen seienden Menschen und
der Menschen ist identisch dieselbe. Bezeichnen wir xx durch x2, so
haben wir also x2 = x. Und offenbar ist dann auch xß = x.
Wir führen nun nach Boole eine neue Operation ein: x und y
seien zwei disjunkte Klassen, d.h. solche,· die nichts gemein haben.
Dann bestimmen beide eine Klasse, welche die Glieder beider Klas-
sen zusammenfasst. Wir bezeichnen sie durch x+ y. Z.B. die Klas-
se der Engländer und die Klasse der Franzosen sind disjunkt. x +Y
ist die Klasse der Engländer und Franzosen. Zu dieser Klasse ge-
hört also jeder Mann, der entweder Engländer ist oder Franzose,
wobei es ausgeschlossen ist, dass einer beides zugleich sei. Offen-
bar ist
6) x+y = y+x und
7) x+(y+z) = (x+y)+z
8)x+o=x
320 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

Verstehen wir nun unter x - y die x mit Ausschluss der y, also etwa
die Europäer mit Ausnahme der Engländer, dann gilt
9)(x-y)+y =x
10) z(x+y) =zx+zy

Negation: Zu jeder Klasse x gehört eine gewisse Klasse, welche


alle möglichen Objekte enthält, die nicht zur Klasse x gehören. Da
I die Klasse alles möglichen Existierenden ist, so ist die zu x (gehö-
rige) ergänzende Klasse I-X. Sie enthält also alle Dinge, die nicht x
sind.

8 (I-X)

II) Z (x-y) = ZX-ZY

Vergleichen wir nun diese Grundsätze mit den arithmetischen, so


finden wir die auffallendsten Analogien. Dieselben treten in Evidenz
durch die Bezeichnungen, die wir gewählt haben. Die durch ± und
GEORGE BOOLE 321

durch das Nebeneinanderschreiben von Zeichen signierten Klassen-


verknüpfungen befolgen formell dieselben Gesetze wie die entspre-
chenden in der Arithmetik, also wie Addition, Subtraktion und Mul-
tiplikation, und man verwendet hier sprachlich auch denselben Aus-
druck. Ferner sind unter den Zahlen zwei in gewisser Weise ausge-
zeichnet. Es gibt eine Zahl, I genannt, die, multiplikativ mit irgendei-
ner anderen Zahl verknüpft, diese ungeändert lässt. I x x = x. Ebenso
gibt es eine Klasse, die wir auch durch I bezeichneten, mit derselben
Eigenschaft. Ebenso für o.
Aber die Analogie verlässt uns, wenn wir weitergehen, wenn wir
Z.B. das entsprechende Analogon der Division suchen wollten. Dass
es nicht existieren kann, das geht schon daraus hervor, dass in der
Arithmetik aus zx =zy geschlossen werden kann, falls z von 0 verschie-
den ist, x = y, nach dem Satz, dass Gleiches durch Gleiches dividiert
Gleiches gibt, während dies hier durchaus nicht gilt. Der europäische
Grottenolm = der krainische Grottenolm; aber darum ist die Klasse
der Europäer und die der Krainer nicht identisch. Nur für z = I kann
ich den Schluss machen IX = IY; so X = y, nämlich darum, weil beides
äquivalent ist.
Ferner: In der Klassenlehre gilt der Grundsatz xx = x. In der
Arithmtik gilt er durchaus nicht. Nur in den Fällen, wo x = I, X =0 ist,
haben wir ja I x I = I; 0 x 0 = o.
Indem Boole in dieser Weise die Grundsätze der Arithmetik und
der Logik verglich und ihre Verschiedenheiten zum Ausdruck brachte,
fiel es ihm auf, dass die beiderseitigen Grundsätze vollkommen har-
monieren würden, wenn die Zahlenreihe auf die beiden Zahlen I und
o beschränkt würde. Denn für I und 0 reduzieren sich die allgemei-
nen Zahlensätze derart, dass die dem Klassenkalkül eigentümlichen
Gesetze ihr volles Analogon haben. So xx = x usw.
Und diese einfache Bemerkung ist nun die Grundlage des ganzen
booleschen Verfahrens. Dasselbe spricht sich in folgender Haupt-
regel aus: Um irgendeine Aufgabe im Gebiete des Klassenkalküls
zu lösen, sehe man von der Klasseninterpretation der Symbole ab
und betrachte sie vielmehr als arithmetische Symbole, die jedoch
nur der Werte I und 0 fähig sind. Man rechne also genauso, als ob
die Symbole Zahlen bedeuteten, vereinfache aber die Rechnungen,
wo immer es angeht, durch Rücksicht auf die Bemerkung, dass jedes
Symbol nur entweder 0 oder I sein kann. Hat man diese arithmetische
Aufgabe gelöst, dann ändere man in der gefundenen Lösung wieder
322 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

die Interpretation, man fasse nun die Symbole wieder als solche für
Klassen."
Nach den ausführlichen Erörterungen zur allgemeinen Theorie
der Algorithmen ist die Rechtfertigung des 'booleschen Verfahrens
mit wenigen Worten zu geben. Der Klassenalgorithmus fällt mit dem
Algorithmus der Zahlen zusammen, wenn wir die ganze Zahlenreihe
auf 0 und I zusammengeschrumpft dächten. Mit anderen Worten:
Der Klassenalgorithmus ist ein Stück des arithmetischen Algorithmus.
Dieser ist eine Erweiterung jenes.
Da die Konsistenz des erweiterten Algorithmus durch die Tatsache
erwiesen ist, dass seine sämtlichen Grundformein die adäquaten Aus-
drücke evidenter, also eo ipso verträglicher Grundsätze der Arithme-
tik sind, so dürfen wir den arithmetischen Algorithmus ohne weiteres
zur Auflösung der Aufgaben des Klassenkalküls verwenden, darum
unbekümmert, dass ein großer Teil der Zeichen und der Operationen
vom Standpunkt des Klassengebietes sinnlos oder absurd ist. Sind
wir zu einer Beziehung gekommen, die von allen sinnlosen oder
absurden Zeichenkombinationen frei ist, dann ist dies eine im Sinn
des Klassenkalküls gültige Beziehung.
Damit ist alles, was zum Verständnis des booleschen Verfahrens
nötig ist, eigentlich erschöpft. Sie sehen, wie töricht die Vorwür-
fe sind, die man Boole gemacht hat und die immer wieder darauf
zurückkommen, Zahlen und Klassen seien etwas toto genere Ver-
schiedenes, und es sei daher grundverkehrt, ein Verfahren, das für
Zahlen Sinn habe, auf das Klassengebiet zu übertragen. Man hat-
te eben keine 'Ahnung vom Wesen des rechnerischen Verfahrens,
keine Ahnung von den Grundsätzen der Logik der deduktiven Wis-
senschaften. Und so musste Booles Verfahren wie Spiegelfechterei
erscheinen, wobei freilich das unerklärliche Wunder zu konstatieren
war, das Booles Rechnungen immer zu richtigen Resultaten führten,
dass also, wer, den booleschen Methoden vertrauend, eine logische
Aufgabe rein rechnerisch auflöste, in der Tat eine wahre Lösung
fand, während man doch hätte erwarten müssen, dass eine sinn-
lose Methode auch sinnlose oder zum mindesten falsche Resultate
hervorbringen müsse. Allerdings war Boole selbst über die Gründe
der Triftigkeit seines Verfahrens nicht ganz im Klaren. Es handelt
sich bei ihm mehr um eine geniale Intuition als um eine begriff-

" Vgl. Liard, Die neuere englische Logik, S. 101.


GEORGE BOOLE 32 3
liehe Einsicht. Die logischen Prinzipien des rechnerischen Verfah-
rens blieben ihm so wie den späteren Forschern gänzlich verschlos-
sen.
Was nun die Ausbildung des logischen Kalküls anbelangt, so könnte
sie durch die Einordnung desselben in den arithmetischen Kalkül als
abgeschlossen gelten. Indessen ist dies insofern nicht der Fall, als ja
eben durch die Beschränkung auf die Werte 0 und I gewisse Spe-
zialgesetze sich ergeben, außerordentliche Vereinfachungen all der
arithmetischen Gesetze, die allgemeiner für beliebige Zahlen gültig
sind. Für logische Zwecke des Klassenkalküls kommt alles darauf
hinaus, ausschließlich die Sätze der Algebra sich zurechtzulegen, die
resultieren, wenn man die Beschränkung der Zahlenreihe auf 0 und
I statuiert. In der Arithmetik haben diese Spezialisierungen keinen
besonderen Nutzen, denn dort sind 0 und I Ausnahmswerte; es fehlt
dort an Anlässen, diese Spezialisierungen, die Rechnungsregeln für
die Zahlengebilde aus 0 und I aufzustellen. Boole stellt nun ohne
Schwierigkeit die zugehörigen Regeln auf und zeigt dann, wie sie zur
Lösung aller Aufgaben des Kalküls dienlich sein können.
Ehe wir weitergehen, sei eine Frage aufgeworfen: Inwiefern hat sich
denn die Logik für solch einen Klassenkalkül zu interessieren? Lässt
sich vielleicht der Gesamtkomplex von Sätzen, die unter dem Titel
der unmittelbaren und mittelbaren Schlüsse in der Logik gehandelt
werden, auf Klassensätze reduzieren?
Folgen wir wieder Boole: Er scheidet die Urteile in primäre und
sekundäre. Die ersteren drücken Verhältnisse zwischen Dingen aus,
die letzteren Verhältnisse zwischen Urteilen. Zu den ersteren rechnet
er Formen wie "Alle oder einige A sind B ", zu den letzteren Formen
wie" Wenn A B ist, so ist CD".
Beschränken wir uns zunächst auf primäre Urteile. Nehmen wir die
Formel" Alle A sind B ", Z.B. "Alle Menschen sind sterblich". Boole
führt nun, den früheren englischen Logikern folgend, Quantifikation
des Subjekts und Prädikats ein. "Alle A sind B ", das heißt: Die Klasse
der A ist enthalten in der Klasse der B, oder: Die Klasse A ist identisch
mit der Klasse der B. Im letzteren Fall haben wir, falls x die Klasse
der Arepräsentiert, y die Klasse der B: x = y. Im anderen Fall müssen
wir einen anderen Ausdruck wählen. Dazu führt Boole das Symbol

• Zur folgenden symbolischen Darstellung der Urteile vgl. Liard, Die neuere englische Logik,
S·96ff.
324 OBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

der Partikularität ein: v. Wir verstehen unter v eine im Übrigen ganz


unbestimmte Klasse, welche die Beschaffenheit hat, dass sie Glieder
enthält, die auch in die Klasse x gehören. Wenn nun die Klasse x ein
Teil ist der Klasse y, so gibt es sicher eine Klasse v derart, dass x = vy.

@··o
v kann entweder als x selbst angenommen werden oder als eine
Klasse, die außer x noch irgendein anderes Gebiet enthält, das mit y
nichts gemein hat: x( 1- y) = o.
Betrachten wir nun das allgemein verneinende Urteil "Kein A ist
B" = "Alle A sind nicht B", also x = v( I - y), xy= 0; das partiku-
lar bejahende Urteil: vx = vy, xy =I: 0; das partikular verneinende:
vx = V(I -y), xy =I: o.
Auf diese Weise kann man jedes beliebige kategorische Urteil in
eine Klassengleichung verwandeln. Es ist hierbei gleichgültig ob die
Termini im kategorischen Urteil einfache oder komponierte sind. Die
Verknüpfungsformen, durch welche komponierte Begriffe entstehen,
haben ja ein entsprechendes Korrelat in gewissen Verknüpfungs-
formen von Klassen. Ist die Verknüpfung eine determinative, z.B.
"rotes Haus", so entspricht ihr die multiplikative Verknüpfung der
zugehörigen Klassen. Die Klasse der roten Häuser ist die Klasse der
Dinge, die zugleich zur Klasse der roten Dinge und zur Klasse der
Häuser gehören. Nennen wir die erstere Klasse x, die letztere y, so
haben wir also den Ausdruck xy für die entsprechend komponierte
Klasse. Ist die Verknüpfung eine disjunktive, so werden wir auf die
additive Verknüpfung der Klassen geführt, z.B. Dreiecke sind entwe-
der rechtwinklig oder spitzwinklig oder stumpfwinklig. Die Prädikat-
klasse wird hier durch x+y+z zu signieren sein, da die Glieder sich
ausschließen. Schließen sie sich ein, wie wenn ich von einem Schüler
sage, er sei entweder nachlässig oder faul, wobei ich natürlich nicht
ausschließen will, dass er beides sei, dann muss ich es ausdrücken
durch X(I -y)+y(I -x)+xy.
Festzuhalten ist also: Jedem beliebigen Urteil kann ich äquivalent
substituieren ein gewisses Klassenurteil- offenbar auch umgekehrt-,
und eben weil ich dies kann, so muss notwendig jede Methode, aus
GEORGE BOOLE

Klassenurteilen neue Urteile zu erschließen, zugleich eine allgemeine


Methode sein, um aus beliebigen kategorischen Urteilen einen Schluss
zu ziehen.
Ist also irgendeine logische Aufgabe vorgelegt, so denkt man sich
die Urteile, wofern sie nicht eo ipso die Form von Klassengleichungen
haben, in solche verwandelt. Man drückt dann die einzelnen Klassen
durch Buchstaben aus, verwendet für deren Verknüpfungsformen die
entsprechenden Zeichen der Addition, Multiplikation, Subtraktion,
und gewinnt dann eine oder mehrere algebraische Gleichungen. Diese
behandelt man dann so, als ob sie algebraische Gleichungen im Sinne
der Arithmetik wären, unter der beschränkenden Bedingung, dass die
Symbole nur der Werte 0 und I fähig sind.
Nachdem nun Boole die außerordentlich einfachen und elementa-
ren Regeln aufgestellt hat, die sich aus dieser beschränkenden Bedin-
gung für algebraische Gleichungen im gewöhnlichen Sinne des Wortes
ergeben, geht er zur Anwendung auf die Lehre von den Schlüssen
über. Die Tendenz zu allgemeinster Betrachtungsweise, die ihm durch
die Arithmetik von selbst an die Hand gegeben wird, lässt ihn die Pro-
bleme nicht in der Beschränkung und Vereinzelung anfassen, wie es in
der traditionellen Logik geschieht. Zunächst behandelt er in größter
Allgemeinheit das Problem der unmittelbaren Schlüsse. Denken wir
uns eine beliebige Gleichung zwischen einer Anzahl von Klassen, Z.B.
x, y, z, w, dann kann gefragt werden: Was für gültige Klassenurteile
lassen sich aus ihr für jede beliebige dieser Klassen erschließen, z.B.
welche Definition kann ich aus der gegebenen Gleichung für die x
gewinnen, welche Verhältnisse bestehen zwischen je zwei, drei usw.
dieser Klassen zu den übrig bleibenden Klassen?
Algebraisch haben wir danach das Problem: Es soll die gegebene
Gleichung auf jede Weise so transformiert werden, derart, dass diesel-
ben Klassensymbole in verschiedenen Stellungen und Verbindungen
auftreten. Handelt es (sich) im Besonderen um Entwicklung einer
Definition für den einen dieser Begriffe, Z.B. x, so muss x auf die eine
Seite der Gleichung allein zu stehen kommen, während die andere
Seite in möglichst reduzierter Form die übrigen Symbole enthält.
Z.B. Die verantwortlichen Wesen (x) sind alle vernünftigen Wesen
(y), welche frei sind (z) oder (+) ihre Freiheit (y) freiwillig geopfert
haben (w): Was kann man da folgern über das Verhältnis, in dem die

• Zu diesem Beispiel vgl. Liard, Die neuere englische Logik, S. 100ff.


326 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

Vernünftigkeit zur Verantwortlichkeit, zur Freiheit und zum freiwilli-


gen Opfer der Freiheit und deren Gegenteilen steht?
x: die verantwortlichen Wesen
y: die vernünftigen Wesen
z: die freien
w: die Wesen, die ihre Freiheit freiwillig geopfert haben
x=yz+yw
Da wird nun durch algebraische Gleichung z.B. hergeleitet xzw =0,
d.h. die Klasse der Wesen, die gleichzeitig verantwortlich und frei sind
und ihre Freiheit geopfert haben = 0, d.h. es gibt keine Wesen, die
zugleich verantwortlich und frei sind und dabei ihre Freiheit freiwillig
geopfert haben. Ebenso werden weitere Gleichungen deduziert und
in dieser Weise interpretiert.
Eine weitere Klasse von Aufgaben betreffen die Elimination. Bis-
her erschienen in jeder Schlussgleichung alle Klassen wieder, nur in
geänderter Verknüpfung. Wir können aber auch Gleichungen herlei-
ten, die nicht alle Klassen der Prämisse enthalten. Wir können jede
beliebige Klasse eliminieren. In der gewöhnlichen Arithmetik lässt
sich aus einer Gleichung nichts eliminieren. Man braucht mindest
zwei, die die zu eliminierende Gruppe gemeinsam enthalten. Man
macht dabei eben nicht die Voraussetzung, dass die Zahlen nur die
Werte 0 und I haben dürfen. Sowie wir diese für unseren Fall wichtige
Voraussetzung einführen, wird eine Elimination aus einer Gleichung
möglich. Besteht eine Beziehung zwischen einer Mehrheit von Be-
griffen resp. Klassen, dann lassen sich aus ihr in der Regel bestimmte
Beziehungen zwischen weniger Begriffen ableiten.
Der nächste Schritt führt dann auf die allgemeinste Aufgabe der
Elimination, welche die ganze Lehre von den mittelbaren katego-
rischen Schlüssen als Spezialfall in sich fasst. Betrachten wir einen
gewöhnlichen Syllogismus, so finden wir in den Prämissen eine Bezie-
hung zwischen Sund M und eine Beziehung zwischen Mund P. Der
Schlusssatz stellt eine Beziehung zwischen Sund P dar; der Mittel-
begriff ist ausgeschaltet. Denken wir die Prämissen durch die ihnen
äquivalenten Klassengleichungen ersetzt, dann besteht der Schluss
offenbar in der Lösung der algebraischen Aufgabe, aus diesen Glei-
chungen die Klasse M zu eliminieren, d.h. eine Gleichung zwischen S
und P herzuleiten, die M nicht enthält.
Natürlich ist dies nur eine ganz spezielle Eliminationsaufgabe. Rein
mathematisch und allgemein kann ich ja aus einer beliebigen Anzahl
GEORGE BooLE

von Gleichungen, deren jede beliebig viele Klassen enthält, eine An-
zahl von Klassen, die den Gleichungen gemeinsam sind, eliminieren
wollen, ganz so, wie ich in der Arithmetik aus n Gleichungen m der
in ihnen implizierten Gruppen zu eliminieren lerne.
Boole stellt also die Rechnungsregeln auf, nach denen man aus
einer beliebigen Anzahl von Prämissen, von denen jede irgendeine
Anzahl von Terminis einschließt, so viel Mittelbegriffe, als irgend in
ihnen gemeinsam auftreten, eliminieren kann.
Mit diesen Untersuchungen ist aber die algebraische Logik Booles
nicht abgeschlossen. Auf die Lehre von den primären Urteilen folgt
die Lehre von den sekundären Urteilen, also von demjenigen, was
man neuerdings öfter als Urteilsgefüge bezeichnet hat. Hierher gehört
Z.B. das hypothetische Urteil" Wenn AB ist, so ist CD": " Wenn der
pythagoreische Satz gilt, so gilt der Satz von der Winkelsumme ",
"Wenn die Sonne scheint, wird es schönes Wetter geben." Oder
disjunktive Sätze wie " Marokko gibt die verlangte Genugtuung, oder
Deutschland bombardiert die marokkanischen Küstenorte. " Alle Sät-
ze dieser Art lassen sich ebenfalls in Klassengleichungen verwandeln.
Sie enthalten nämlich in jedem Fall eine Zeitgleichung: "Wenn der
pythagoreische Satz gilt etc." = "Die Klasse der Zeitpunkte (= die
Dauer), in denen der pythagoräische etc." = ... Wir werden es also
nun mit einer Anwendung des Klassenkalküls auf gewisse Klassen
von Zeiten zu tun haben. Bei dieser Interpretation bedeuten die
algebraischen Zeichen nicht gewisse Begriffsumfänge, sondern die
Zeiten, in welchen gewisse Sätze gelten.
Ist x die gesamte Zeitdauer, für welche ein gewisser Satz A gilt, Y
die gesamte Zeitdauer, für welche ein gewisser Satz B gilt, so bedeutet
xy die gesamte Zeitdauer, in welcher A und B beide gültig sind, x+y
die gesamte Zeitdauer, in welcher einer von beiden Sätzen, und zwar
exklusiv, gültig ist. I bedeutet die ganze unendliche Zeit, I - x: die Zeit,
welche übrig bleibt, wenn die Zeitdauer, in welcher A gilt, abgezogen
wird, also die Zeit, in welcher A nicht gültig ist. x = I: Der Satz gilt
für die ganze unendliche Zeit, also einfach: A ist gültig. 0 bedeutet
eine Zeitdauer, die auch nicht einen Zeitpunkt enthält. Also x = 0
besagt, dass der entsprechende Satz A in keinem einzigen Zeitpunkt
gültig ist: A ist ungültig. x = y: Die Zeiten der Gültigkeit für A und
B decken sich; also wenn A, gilt B, und wenn B, gilt A. Wollen wir
allein ausdrücken, dass, wenn A, auch B gilt, so haben wir zu setzen:
x = vy; xy = 0; X(I -y) = VY(I -y) = o. Die Zeit, wofür A gilt, ist ein
328 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK

unbestimmter Teil der Zeit, für die B gilt (wobei es aber dahingestellt
bleibt, ob B für irgendeine Zeit gilt.) usw.
Man sieht sofort, dass es sich hier um eine besondere Interpretation
des allgemeinen Klassenkalküls handelt. Demgemäß muss jeder Satz
für das Gebiet der kategorischen Schlüsse sein Korrelat haben im
Gebiet der hypothetischen bzw. disjunktiven Schlüsse, welch letztere
nichts weiter als spezielle Besonderungen von hypothetischen sind.
Dieselben Formeln lassen sich in der einen oder anderen Weise inter-
pretieren.
NACHWEIS DER ORIGINALSEITEN

In der linken Kolonne findet sich die Angabe von Seite und Zeile im
gedruckten Text, in der rechten Kolonne die des Manuskriptkonvoluts
und der Blattzahlen im Manuskript nach der offiziellen Signatur und
Nummerierung des Husserl-Archivs.

3,2-20,28 KI20 8-20


20,29-23,26 22-23
23,27-41:,2 25-37
4I ,3-4I ,34 3
4I ,34-42,33 21
43,3-68,19 58-73
68,20-89,9 76-g1
89,12-90,4 KII9 2
9O,6-I:z0,5 KI20 9 1- 112
I:z0,6-I:z0,29 113
I20,3O-I2O,4° 112
I2I,I-I24,13 114-11 5
I:z4,14-I:z4,3 2 117
I:z4,33-I:z5,34 116
I:z5,36-I 72,15 117- 149
I72,16-I 73,19 150
I73,2o-I73,24 149
I73,25-I 97,18 15 1- 166
I97,19-202,16 KI21 4 1-43
202,17-203,14 KI23 19
203,16-207,7 KI21 37-39
207,9-2I6,17 KI23 19-24
2I6,I8-2I6,25 FII9 164
2I6,26-23I ,32 KI23 25-3 2
232,2-259,3 I FII9 48-67
259,3 2- 262 ,2 FI I 185-186
262,4-263,10 FII9 68
263,11- 264,22 82
267-3 28 KI25 2-45
NAMENREGISTER

d'Alembert, 268 Kant, 18,24, 25,35-41,76, 109,


Aristoteles, 5,22, 109, 131, 155, 118,162-164,2°9,213,214,
207,3°4 268, 277-279
Augustinus, 7 Krug, W. T., 161
Bain, A., 293, 297 Lambert, 1. H., 276
Bergmann, 1., 183 Leibniz, 241, 267, 268, 276
Bolzano, B., 49, 55, 62, 76, 96, Liard, L., 278, 295, 297
103, 106, 110, 113, 117, 124, Lipps, Th., 24, 25, 33, 38
125, 144, 157, 158 , 21 3, 274 Locke, 109
Boole, G., 267,3°3,3°5-328 Lotze, H., 15 2, 153, 155-157,
Bradley, EH., 299 162, 211, 241, 271
Brentano, E, 105, 174, 181, Maaß, 1. G. E., 140
185,186,208,214,215,217- Marty, A., 160, 206, 21 I, 217
21 9,227,274 Miklosich, E, 21 I
Cantor, G., 117 Mill, 1., 96
De Morgan, A., 293-306 Mill, 1. St., 24, 33, 56, 96, 145-
Descartes, 7, 208 147,15 1, 289,293
Drobisch, M., 37 Ploucquet, G., 276
Erdmann, B., 75, 158, 204 Prand, c., 2I I
Erdmann, J. E., 276 Priscianus,210
Euler, L., 120 Reid, Th., 277, 299
Frege, G., 134 Schleiermacher, 2 I I
Grimm, 1., 211 Sigwart, Ch., 105, 136, 140,
Hamilton, W. R., 20, 24, 150, 159-161, 165-182, 185-187,
276-294,3°2,3°5,3°6 208,210, 215,216,299
Herbart, 1. E, 18,24,40,65, Stewart, D., 277
183,185,211,228,268 Stumpf, c., 274
Heyse, K. W., 211 Trendelenburg, A., 2 I I
Hobbes, 157 Twardowski, K., 109
Holland, 1. von, 276 Ueberweg, E, 183, 21 I
Hume, 2°9, 274 Venn, 1.,293
Jevons, W. St., 152,274,
Husserliana
EDMUND HUSSERL - MATERIALIENBÄNDE

1. Logik. Vorlesung 1896. Hrsg. von Elisabeth Schuhmann. 2001 ISBN 0-7923-6911-4
2. Logik. Vorlesung 1902103. Hrsg. von Elisabeth Schuhmann. 2001
ISBN 0-7923-6912-2
3. Allgemeine Erkenntnistheorie. Vorlesung 1902/03. Hrsg. von Elisabeth Schuh-
mann. 2001 ISBN 0-7923-6913-0

I I

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