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HUSSERLIANA
EDMUND HUSSERL
MATERIALIENBÄNDE
BAND I
LOGIK
VORLESUNG 1896
LOGIK
VORLESUNG 1896
HERAUSGEGEBEN VON
ELISABETH SCHUHMANN
LOGIK
VORLESUNG 1896
HAUPITEIL
§ I. Einleitung. Denkakte und ihr objektiver Gehalt. . . . . . . . . . 43
§ 2. Objektive Vorstellung und Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . 47
§3. Gegenstandsvorstellungen (im engeren Sinn) und Sätze (Namen und
Aussagen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Der vorliegende Band enthält den fast vollständigen Textl der vier-
stündigen Vorlesung, die Husserl unter dem Titel "Logik" in Halle
im Sommersemester 1896 vom 24. April bis zum I. August gehalten
hat. Husserls Manuskript dieser Vorlesung weist deutliche Spuren
einer Ausarbeitung auf: Die Blätter der einleitenden Vorlesungen
sind teilweise, die des Hauptteils der Vorlesung beinahe bis zum
Ende paginiert. Der Text des Hauptteils ist in Paragraphen eingeteilt,
und Husserl hat ein ausführliches Inhaltsverzeichnis für diesen Teil
angelegt. Verschiedentlich ist der im Vorlesungsstil abgefasste Text
(Anrede der Studenten) in Buchfassung gebracht. Vielleicht noch
während, spätestens aber am Ende des Sommersemesters begann
Husserl, in Hinblick auf eine Veröffentlichung,2 mit dieser Umarbei-
tung des Vorlesungstextes, der übrigens, sowohl was die Streitfragen in
den einleitenden Vorlesungen als auch die Einteilung und Begrifflich-
keit des Hauptteils anbelangt, stark von Bolzanos Wissenschafts/ehre
abhängig ist. Husserl könnte damit bis zum Herbst 1896 beschäftigt
gewesen sein. Er brach die Ausarbeitung des Hauptteils der Vorlesung
aber schließlich ab, nachdem in den letzten beiden Paragraphen über
"Die Theorie der propositionalen Gesetze" und ,,(Die) Theorie der
konzeptualen Schlüsse", in denen er, wohl nach dem Vorbild der
englischen Logiker, eine mathematische Formelsprache der Logik
zu entwickeln suchte, Unstimmigkeiten in den Formeln aufgetreten
waren. 3 Wollte Husserl den Faden bei späterer Gelegenheit wieder
aufnehmen? Jedenfalls hat er diesen Teil der Vorlesung nicht weiter
1 Die Einleitung ist nicht vollständig erhalten. Das vorliegende Manuskript bietet, wie der
Umschlag vermerkt, in dem die Einleitungsblätter liegen, nur eine "Auswahl von Blättern aus
den einleitenden Vorlesungen" (K I 20I2a).
2 Am 19. Juli 1S96 schreibt Husserl an Meinong: "Ich wage nur zu hoffen, daß ich mit der
Veröffentlichung der Ergebnisse langjähriger Bemühungen in nicht ferner zeit werde beginnen
können." (Edmund Husserl, Briefwechsel. In Verbindung mit E. Schuhmann herausgegeben
von K. Schuhmann, DordrechtJBostonl London 1994, Bd. I: Die Brentanoschule, S. 134).
3 Ob dieser FormeIteil, dessen Unstimmigkeiten auch in der vorliegenden Edition (vgl. die
letzten Seiten des schließlich abrupt abbrechenden Vorlesungstextes) nicht beseitigt werden
konnten, in der Vorlesung gebracht wurde oder nur Ausarbeitung darstellt, ist fraglich.
x EINLEITUNG DER HERAUSGEBERIN
*
Der Text der Logikvorlesung von 1896 ist mit Tinte in Gabelsber-
ger Stenographie auf mittengefaltete Blätter (Format 21,5 x 17 cm)
geschrieben. Neben den halbzeilig beschriebenen Vorlesungsblättern
finden sich auch ganzzeilig beschriebene, zum Teil in Paragraphen
gegliederte und mit Titeln versehene Ausarbeitungsblätter. Das Ma-
nuskript weist Streichungen, Unterstreichungen, Veränderungen, Zu-
fügungen und Randbemerkungen mit Tinte, Blaustift und Bleistift
auf! und ist in Paragraphen gegliedert, die meist am Rand, aber auch
im Text selber eingetragen sind. Die Blätter der einleitenden Vorle-
sungen sind von" I "-" 27", die Blätter des Hauptteils von" I "-" 301 "
mit Bleistift paginiert. Bis zur Paginierung ,,8" des Hauptteils sind die
Blätter gezählt, ab ,,9" die Seiten, wobei aber nur die Vorderseiten
eine Seitenzahl tragen.
Die Blätter des Vorlesungsmanuskripts hat Husserl in verschiedene
Konvolute eingelegt. Der weitaus größte Teil befindet sich in Konvolut
t Bei der Datierung dieser Vorlesung zeigt Husserl des Öfteren Unsicherheit. Vgl. die folgen-
den Anmerkungen.
2 Veröffentlicht in HusserliafUI Materialien, Bd. 11, S. 271-307.
XIV EINLEITUNG DER HERAUSGEBERIN
mit der Aufschrift: "Zur ,reinen Grammatik' als Unterstufe der rei-
nen Logik. Besonders: Einteilungen von Sätzen. Darin ein Konvolut
über den Sinn der generellen Aussage, der wohl aus den Vorlesungen
über Logik von 18<)61 stammt." Dieser mit Tinte geschriebenen Auf-
schrift folgt die Notiz mit Blaustift: "Durchsehen, um wegzuwerfen.
Für Ostern 1909". Zu diesem "Konvolut" gehören neben den Blät-
tern ,,213"-,,217" noch die als" 129"-" 133" paginierten Blätter (K I
21/37-39; S. 2°3, Z. 16 - S. 2°7, Z. 7), die mit Blaustift den Randtitel
"Generelle Aussage" tragen und als Beilage zu § 52 gehören. Diese
Blätter dürften Papier und Faltung zufolge schon vor 1895 entstanden
sein.
Die Blätter ,,219"-,,229" (S. 202, Z.I7-S. 2°3, Z. 14 und S. 2°7,Z.9
-So 216, Z.I7) und ,,233 "-,,247" (S. 216, Z. 26-S. 231, Z. 32) befinden
sich in Konvolut K I 23, das 35 Blätter enthält. Das erste und das letzte
Blatt bilden einen Umschlag mit der Bleistiftaufschrift: "Beilagen
zu den Logik-Vorlesungen von 1908!I909". Dann folgt mit Blaustift:
,,1908/09 Logik formal. Darin das Stück über Existenzialsätze aus der
Logik 1896.2 Darin über mathematische Verallgemeinerung. Ferner
über den Satz vom Widerspruch." Die Blätter ,,219"':"",,229" (K I
23!I9-24) - das erste Blatt trägt mit Bleistift die Notiz: "Aus Vorle-
sungen 1896"3 - sind überarbeitete Vorlesungsblätter, während die
Blätter ,,233"-,,247" (K 120125-32) ganzzeilig beschriebene Ausar-
beitungsblätter sind, die auf der Logikvorlesung von 18<)6 fußen.
Weitere Blätter der Logikvorlesung von 1896 finden sich in Konvo-
lut F I 19. Dieses Konvolut umfasst 185 Blätter. Der Gesamtumschlag
F I 191 I + I 85 trägt die Blaustiftaufschrift: " Aus logischen Vorlesungen
(formale Logik) IgDI ".4 Die Blätter ,,249"-,,277", ,,281 "-,,289" (S.
232, Z. 2 - S. 259, Z. 31), ,,295"-,,301"5 (S. 262, Z. 4 - S. 264, Z.
22), wobei die Blätter ,,249"-,,255" (S. 232, Z. 2 - S. 238, Z. 8),
,,283"-,,289" (S. 255, Z. 29 - S. 259, Z. 31) und ;,3°1" (S. 262,
Z. 4 - S. 263, Z. 10) ganzzeilig beschriebene Ausarbeitungsblätter
1 Gemeint ist die Vorlesung .. Logik und Erkenntnistheorie" des Wintersemesters 1901/02.
2 Im Ms.irrig.,1895".
3 Im Ms. irrig .. 18g5". In der Vorlesung .. Logik und Erkenntnistheorie" des Wintersemesters
1901/02 hat Husserl offensichtlich aus diesen auf dem Umschlag genannten und damals noch
vollzählig darin enthaltenen Blättern vorgetragen.
4 Der unvollständige Poststempel ist evtI. als .. 27.12.08" zu lesen.
5 Veröffentlicht in Husserliana Materialien, Bd. III, S. 251-255.
XVI EINLEITUNG DER HERAUSGEBERIN
*
EINLEITUNG DER HERAUSGEBERIN XVII
*
Die Texte beider Vorlesungen werden in Letztfassung geboten.
Infolgedessen wurden sowohl alle mit der Niederschrift zeitgleichen
als auch alle späteren Textveränderungen, Einfügungen, Ergänzungen
und Randbemerkungen mit Tinte, Blaustift und Bleistift nach Mög-
lichkeit in den Drucktext aufgenommen. Randbemerkungen, die sich
nicht eingliedern ließen (vor allem solche kritischer Natur), stehen in
Fußnoten. Auch gestrichene und durch anderen Text ersetzte Text-
stücke werden, sofern sie inhaltlich Neues bringen und von einiger
Wichtigkeit sind, in den Fußnoten in Auswahl geboten. Dabei wurden
besonders erst in späterer Zeit gestrichene Textstücke berücksichtigt.
I Louis Liard, Die neuere englische Logik, 2. Aufl., Leipzig 1883.
2 Augustus De Morgan, "On the Syllogism III and on Logic in General", Cambridge Philo·
sophical Transactions X (1858), S. 173-230.
3 Die Blätter K I 25/31-38 wurden erstmals in Husserliana XXI, S. 57-68 veröffentlicht.
XVIII EINLEITUNG DER HERAUSGEBERIN
*
An dieser Stelle möchte ich dem ehemaligen Direktor des Husserl-
Archivs Professor Samuel IJsseling und dem heutigen Direktor Pro-
fessor Rudolf Bernet meinen Dank aussprechen. Ohne ihre Initiative
und Umsicht hätte die vorliegende Edition nicht erscheinen können.
Professor Ullrich Melle danke ich für seine tatkräftige Unterstützung
und seine hilfreichen Ratschläge bezüglich der Textgestaltung. Mein
besonderer Dank gilt Karl Schuhmann für seine Mitarbeit beim Kol-
lationieren und seine Beratung in Einzelfragen.
Elisabeth Schuhmann
LOGIK
VORLESUNG 1896
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN
was vom Zweifeln gilt, (gilt) von jedem unmittelbaren inneren Erleb-
nis. Wenn wir irgendetwas vorstellen, so mag das, was wir vorstellen,
eine Chimäre sein; aber in Hinblick auf dieses Vorstellen ist es doch
evident, dass wir die Chimäre vorstellen. Wenn wir etwas glauben, so
mag der Glaube irrig sein, aber dass wir glauben, das ist, wenn wir auf
diesen Akt voll bewusst hinblicken, evident. Und in all diesen Fällen
haben wir nicht eine bloße Überzeugung, dass wir zweifeln, vorstellen,
glauben, Lust oder Schmerz fühlen usw., sondern wir haben eben Evi-
denz, wir erfassen die Wahrheit selbst. Und ebenso wie bei singulären
Gegenständen verhält es sich bei gewissen abstrakten Sachverhalten
wie 2 x 2 = 4, 3 > 2. Es ist hier doch ganz anders, als wenn wir etwa
eine politische Überzeugung haben oder wenn wir einem Menschen
mit Überzeugung Vertrauen schenken oder überzeugt sind, dass, was
(wir) da essen, Brot sei u.dgl. Hier ist immer Zweifel möglich. Selbst
wenn die Wahrscheinlichkeit, dass wir irren, noch so gering sein mag:
hier ist Irrtum möglich; hier fehlt uns aber auch die Evidenz im Sinne
der Einsichtigkeit. Also Wissen im strengen Sinn beruht auf Evidenz
im Gegensatz zu bloßer Überzeugung und schrankenloser Gewissheit.
Und Wissen in diesem strengen Sinn beansprucht die Wissenschaft zu
geben.
Zum Begriff der Wissenschaft gehört aber mehr als bloßes Wissen.
Wenn ich eine innere Wahrnehmung habe, wenn ich einen Zweifel,
eine Lust, einen Schmerz, der in mir aktuell ist, als da seiend aner-
kenne, so habe ich Wissen, aber lange noch keine Wissenschaft. Wenn
ich eine einzeine Begriffswahrheit, wie z.B. die, dass zwei Größen
einer dritten gleich etc., mit Evidenz erfasse, so habe ich ein Wissen,
aber keine Wissenschaft. Aber auch eine Mehrheit von Wahrheiten,
selbst wenn sie sachlich verwandt sind oder nach bestimmten Ge-
sichtspunkten zusammengeordnet, machen noch keine Wissenschaft
aus, obschon es sicherlich zum Begriff der Wissenschaft gehört, dass
in ihr eine Mehrheit zusammengehöriger Wahrheiten gegeben sei.
Offenbar müssen wir noch Weiteres supponieren, nämlich den sys-
tematischen Zusammenhang, und dazu gehört die Begründung der
Wahrheiten und zugleich die gehörige Ordnung ihrer Begründun-
gen. Das Gesamtreich der Wahrheiten resp. Erkenntnisse wird nach
gewissen Prinzipien in Gruppen geordnet und jede Gruppe einer
Wissenschaft zugewiesen. Innerhalb jeder Wissenschaft werden dann
wieder nach gewissen Prinzipien Gruppen unterschieden und damit
Teilgebiete, Teildisziplinen. Innerhalb eines solchen Gebietes werden
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 9
die sich mit der bloßen Vorstellung der Sachverhalte und ohne jede
methodisch künstlichen Veranstaltungen einfände. Es geht nicht an,
alle erdenklichen Sachverhalte vorzustellen, dann zuzusehen, ob sich
Evidenz einstellt, um schließlich die so ausgezeichneten Sachverhalte
in einen Haufen zusammenzutragen. Ein solches Verfahren wäre tö-
richt, ein solcher Haufe von Wahrheiten wertlos. Läge die Sache so,
dass sich bei jedem normal Veranlagten im bloßen, Hinblick auf den
jeweiligen Satzgedanken die Evidenz, die ihn als Wahrheit stempelt,
ohne weiteres einstellen würde, dann freilich wären die Menschen
nie darauf verfallen, eine Wissenschaft aufzubauen. Wozu die Be-
gründungsverhältnisse erforschen und Beweise aufbauen, wenn man
der Wahrheit in unmittelbarem Anschauen teilhaftig werde? Faktisch
stellt sich aber die Evidenz (resp. Absurdität) nur bei einer relativ
höchst eingeschränkten Gruppe einfachster Sachverhalte unmittelbar
ein. In unzähligen anderen Fällen bedarf es einer begründenden Her-
leitung, die von gegebenen Erkenntnissen zu neuen Erkenntnissen
hinführt; das heißt, in unzähligen Fällen stellt sich bei bloßem Hinblick
auf den Satzgedanken keinerlei Evidenz ein, aber sie stellt sich ein,
sowie wir von gegebenen Erkenntnissen ausgehen und dann einen
gewissen Denkweg zu diesem Satz einschlagen. Es mag für denselben
Satz mehrere solche Methoden der Begründung geben, die, sei es
von denselben, sei es von verschiedenen Wahrheiten den Ausgang
nehmen. Aber charakteristisch ist immer dies, dass es ungeheure
Mannigfaltigkeiten von Wahrheiten gibt, die, wenn nicht eine solche
methodische Prozedur befolgt wird, nimmer in ein Wissen verwandelt
werden können «(vgl. die) Geometrie).1
Die eben dargelegten Tatsachen, also die Tatsache, dass die Evi-
denz, in welcher wir eine Wahrheit begreifen, in der unvergleichlichen
Mehrheit der Fälle nichts ist, was sich ohne weiteres an die Vorstellung
des betreffenden Sachverhalts anknüpft, sondern dass es mehr oder
minder umständlicher Gedankenwege, mehr oder minder komplizier-
1 Gestrichen Indem nun die bereits begründeten Wahrheiten immer wieder als Ausgangs-
punkte neuer Begründungen dienen, gelangen wir von Erkenntnissen, die den unmittelbaren
Evidenzen ganz nahe liegen, zu immer ferner liegenden und komplizierteren, und so schreitet
unsere Erkenntnis unaufhaltsam weiter. Hierbei zeigt es sich bald und drängt es sich jedem
beteiligten Forscher ganz von selbst auf, dass gewisse sachgemäße Anordnungen der Sätze und
Begründungen ganz unerlässlich sind, um eine vollkommene theoretische Herrschaft über den
Stoff zu gewinnen. Analogien treten so hervor, die sonst übersehen worden wären. Vorahnend
erhebt sich der Geist zu neuen Sätzen, und indem die Begründungsmittel in ihrer Ordnung zu
leichtester Verfügung bereitstehen, gelingt schließlich auch der intendierte Beweis.
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 11
! Gestrichen Danach ist klar, dass der Begriff einer systematischen Zusammenordnung und
Verknüpfung von Wahrheiten nicht den Begriffder Wissenschaft erschöpft. Wissenschaften sind
systematische Verknüpfungen von Wahrheiten, die einem gewissen Zwecke dienen, nämlich
dem Zwecke möglichster Bereicherung und Erweiterung der Erkenntnis innerhalb der Gebiete,
die sie sich zur Forschung abgesteckt haben.
2 Gestrichen Man wird hier also Gesetze erwarten dürfen von folgender Form: Wenn ein Satz
mit irgendwelchen Wahrheiten P, Q, R ... oder irgendwelchen, die so und so charakterisiert
sind, in einer Verbindung V steht, welche die und die bestimmten Charaktenüge hat, dann tritt
bei jedem intellektuell Normalen, der sich momentan in normaler Denkverfassung befindet,
Evidenz ein, die den Satz als Wahrheit charakterisiert. Und solcher Gesetze wird es eine
ganze Vielheit geben können. Natürlich werden sich dann auch Sätze anschließen können mehr
prinzipieller Art, die vor möglichen Irrtümern in der Verbindung der gefundenen Sätze warnen,
die zeigen, wie in manchen Fällen die Bedingungen ihrer GUltigkeit nur scheinbar erfüllt sind
und wie, .wenn dies nicht beachtet ist, tatsächlich A~urditäten deduktibel wären u.dgl. Man
wird also überhaupt all das in der fraglichen Wissenschaft erwarten, was irgend geeignet ist, die
Erweiterung unserer Erkenntnis zu fördern und die Gefahren des Irrtums zu beseitigen. Und
neben allgemeinsten Sätzen und Regeln, denen alle Wissenschaften überhaupt unterliegen, mag
es dann auch solche geben, die zum besonderen Gehalt einer bestimmten Wissenschaft eine
besondere Beziehung haben, und so wird ergänzend zu einer allgemeinen Wissenschaftslehre,
einer allgemeinen Logik, hintreten eine Logik der Mathematik, der Physik usf.
Nach diesen Betrachtungen ergibt sich die Logik oder Wissenschaftslehre als die wis·
senschaftliche Disziplin von den methodischen Verfahrungsweisen, welche zum Begriff einer
Wissenschaft überhaupt wesentlich gehören, und weitergehend von den Verfahrungsweisen,
durch welche Wissenschaften von möglichst vollkommener Gestaltung aufzubauen sind, also
Wissenschaften, die uns in vonüglichstem Maße dem Ziel der Bereicherung und Erweiterung
der Erkenntnis entgegenführen. Die Überlegungen, die wir in der letzten Vorlesung angestellt
haben, zeigten uns, allerdings nur erst von fern, die Möglichkeit einer Wissenschaftslehre, d.i.
12 LOGIK
Überlegen wir uns, um die Sache noch aus tieferem Grunde zu ver-
stehen, die bedeutsamsten Eigentümlichkeiten dieser merkwürdigen
Gedankenläufe, die wir Begründungen nennen, etwas näher. Diese
Gedankenverläufe, die wir Begründungen nennen, haben, um auf ein
Erstes hinzuweisen, (den) Charakter fester Gefüge. Nicht können
wir, um zu einer gewissen Erkenntnis, z.B. der des Gravitationsge-
setzes zu kommen, ganz beliebige aus den unmittelbar gegebenen
Erkenntnissen zu Ausgangspunkten wählen, und nicht dürfen wir im
weiteren Verlauf beliebige Gedankenglieder einfügen und wegtun,
soll die Evidenz des zu begründenden Satzes wirklich hervorspringen,
die Begründung also wahrhaft Begründung sein.
Noch ein Zweites hebe ich hervor. Von vornherein, d.h. vor allem
Hinblick auf Beispiele von Begründungen, die uns aus irgendwelchen
wissenschaftlichen Theorien in Fülle zuströmen, möchte man es für
möglich halten, dass jede Begründung nach Gehalt und Form ganz ein-
einer Disziplin. welche a11 die methodischen Ordnungen und Verknüpfungen von Erkenntnis-
sen zum Gegenstand der Forschung macht, die, unter dem Namen Wissenschaft systematisch
zusammengefasst, den Zweck haben, unser Streben nach Bereicherung und Erweiterung der
Erkenntnis zu einem möglichst erfolgreichen zu gestalten. Ist es wahr, sagten wir, dass alle
Wissenschaften methodisch verfahren im Verfolge der Wahrheit, ist es wahr, dass sie alle
mehr oder minder künstliche Hilfsmittel in Gebrauch haben, um die Erkenntnisse zugänglich
zu machen, die uns sonst verschlossen blieben, um die trivialen Selbstverständlichkeiten, auf
die wir sonst beschränkt blieben, als Hebel zu benützen für die Erreichung neuer und neuer
Erkenntnisse, ist es ferner wahr, dass die Wissenschaften als ganze selbst wieder (den) Charakter
haben von nützlichen Veranstaltungen zur möglichsten Bereicherung der Wahrheit: dann dürfte
doch die vergleichende Betrachtung dieser methodischen Prozeduren Mittel an die Hand geben,
um allgemeine Sätze über solche Verfahrungsweisen aufzustellen und nicht minder praktisch
fruchtbare Regeln für die erfindende Konstruktion solcher in bestimmt charakterisierten Klas-
sen von Fällen.
Dass es methodischer Hilfsmittel der Art, wie sie in den Wissenschaften üblich sind und
die Wissenschaften als solche charakterisieren, bedarf, das konnten wir uns leicht klarmachen.
Wissen im strengen Sinne des Wortes beruht auf Evidenz. Aber nur in den seltensten Fällen
genügt die aufmerksame Betrachtung eines wahren Sachverhalts, um seine Wahrheit auch
einzusehen. Nur in den seltensten Fällen genügt es sozusagen, nur die Augen zu öffnen, dass man
das Gegebene in unmittelbarem Anschauen erfasse. Unzählige wahre Sachverhalte erfassen
wir als Wahrheiten nur dann, wenn sie" begründet" werden, wenn sie also Endglieder gewisser
Gedankenverläufe sind, die, von unmittelbaren oder bereits begründeten Erkenntnissen aus-
laufend, das eigen haben, dass sie den Sachverhalten, mit denen sie enden, den Charakter der
Evidenz, der Erkenntnis aufprägen; und dies als ein Neues, was diesen Sachverhalten eben nur
anhaftet in diesem Zusammenhang.
Und dass sich dies so verhält, dass wir Begründungen brauchen, um in der Erkenntnis über
das unmittelbar Evidente und darum Triviale hinauszukommen, das macht Wissenschaften
möglich und nötig, und mit den Wissenschaften in weiterer Folge eine Wissenschaftslehre, eine
Logik.
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 13
zigartig ist. Eine Laune der Natur könnte unsere geistige Konstitution
so eigensinnig geformt haben, dass die uns jetzt so verständliche Rede
von mannigfachen Begründungsformen eines jeden Sinnes bar wäre
und dass als Gemeinsames bei Vergleichung irgendwelcher Begrün-
dungen immer nur das eine zu konstatieren wäre, dass eben ein Satz S,
der für sich evidenzlos ist, den Charakter der Evidenz erhält, wenn das
Denken desselben im Zusammenhang auftritt mit gewissen ihm ohne
jedes rationelle Gesetz ein für allemal zugeordneten Erkenntnissen
P,Q ...
Aber so steht die Sache nicht. Nicht hat eine blinde Allmacht einen
Haufen von wahren Sätzen P, Q, R .. , zusammengehäuft und mit
dem Satz S zusammengekoppelt und dann den Menschengeist so
eingerichtet, dass die Erkenntnis der Wahrheit der ersteren dieser
Sätze unweigerlich (oder unter gewissen normalen Umständen) die
Erkenntnis von S nach sich ziehen muss. In keinem einzigen Fall
verhält es sich so. In den Begründungszusammenhängen herrscht
nicht blinder Zufall, sondern Vernunft und Ordnung, und das heißt
regelndes Gesetz. Ein Beispiel wird das klarmachen. Wenn wir in
einer mathematischen Aufgabe, die von einem gleichseitigen Drei-
eck ABC handelt, den Satz anwenden "Ein gleichseitiges Dreieck
ist gleichwinklig", machen wir expliziert folgenden Schluss: "Alle
gleichseitigen Dreiecke haben gleiche Winkel. Das Dreieck ABC ist
gleichseitig. Also hat es gleiche Winkel." Setzen wir daneben einen
zweiten Schluss: "Alle dekadischen Zahlen mit gerader Endziffer
sind selbst gerade Zahlen. 364 ist eine dekadische Zahl mit gera-
der Endziffer. Also ist 364 eine gerade Zahl." Wir bemerken sofort,
dass diese beiden Begründungen etwas Gemeinsames (haben), eine
gleichartige innere Konstitution, die wir deutlich ausdrücken in der
Schlussform "Alle A sind B. S ist A. Also ist SB." Und nicht bloß
diese zwei Begründungen haben diese Form, sondern unendlich viele;
alle Schlüsse, deren Funktion es überhaupt ist, einen allgemeinen
Satz auf einen besonderen oder untergeordneten Fall zu übertragen.
Und andererseits haben doch nicht alle Begründungen diese Form,
nicht in allen wird ja ein Gesetz auf einen daruntergehörigen Fall
bloß übertragen. Aber noch mehr. Eine so geformte Verknüpfung
von erkannten Vordersätzen mit einem so geformten Nachsatz, wie
wir sie hier vorfinden, hat auch die merkwürdige Eigenschaft, die
Wahrheit dieses Nachsatzes zu verbürgen. Es kann nicht jemand
kommen und sagen: Ich habe hier zwei Erkenntnisse der Form" Alle
14 LOGIK
A sind B" und "Ein S ist A", und daran knüpft sich mir die Evi-
denz, dass dieses S nicht B ist. Nein. Wir! wissen apriori, dass zu
einem Paar Prämissen der angegebenen Form gerade ein Schlusssatz
der Form "S ist B" gehört und dass ein solches Prämissenpaar mit
dem Satz "S ist nicht B" unverträglich ist. Wir wissen apriori, dass
jede vorgebliche Begründung, die in der angegebenen Form verläuft,
richtig ist, wenn sie überhaupt von richtigen Prämissen ausgeht. Was
uns an diesem Beispiel klar wurde, gilt ganz allgemein. Wo immer
wir von gegebenen Erkenntnissen begründend aufsteigen zu neu-
en Erkenntnissen, da wohnt dem Begründungswege eine gewisse
Form ein, die ihm gemeinsam ist mit unzähligen anderen Begrün-
dungen und die in gewisser Beziehung steht zu einem allgemeinen
Gesetz, das all diese einzelnen Begründungen auch mit einem Schla-
ge zu rechtfertigen vermag. Keine Begründung steht, dies ist eine
höchst merkwürdige Tatsache, isoliert. Keine verknüpft Erkenntnis
mit Erkenntnis, ohne dass, sei es in der Art ihrer Verknüpfung, sei
es in dieser und zugleich in der inneren Konstitution der einzelnen
Sätze, ein bestimmter lYpus ausgeprägt wäre, der, in allgemeinen
Begriffen erfasst, sofort zu einem allgemeinen, auf unendlich vie-
le mögliche Begründungen bezügliches Begründungsgesetz überlei-
tet.
Endlich noch ein Drittes möchte ich als merkwürdig hervorheben.
Von vornherein, d.i. vor Vergleichung der verschiedenen Wissenschaf-
ten, möchte man den Gedanken nicht für unmöglich halten, dass die
Begründungsformen an gewisse Erkenntnisgebiete gebunden seien.
(Wenn schon nicht überhaupt mit den Klassen von Objekten die
zugehörigen Begründungen wechseln, so könnte es doch sehr allge-
meine Klassenbegriffe geben, etwa diejenigen, die die Gebiete der
verschiedenen Wissenschaften charakterisieren, nach welchen sich
die auf solche Klassen bezüglichen' Begründungen scharf trennen.)
Ist es also nicht so, dass keine Begründungsform existiert, die je
zwei Wissenschaften gemeinsam ist, der Mathematik z.B. und der
1 Die zwei folgenden Satze ersetzen den gestrichenen Text Der nonnale Mensch ist so konsti-
tuiert, dass sich ihm an die Evidenz zweier Sätze der Fonn "Alle A sind B" und "S ist A" nicht
die Evidenz von "S ist nicht B" knüpfen kann, vielmehr so, dass sich ihm, wenn er in nonnaler
Denkverfassung ist, wenn er etwa nicht unaufmerksam ist oder schläft u.dgl., die Evidenz
des Satzes "S ist B" knüpfen muss. Die Fonn charakterisiert also nicht bloß eine Klasse von
Begründungen, sondern fundiert auch ein Gesetz, wonach jede Begründung, die solche Wege
einschlägt, die von Erkenntnissen der hier charakterisierten Fonn ausgeht, zu einem Schlusssatz
fUhren muss, der wahr und in nonnalen Verhältnissen evident ist.
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 15
Astronomie usf.? Indessen, auch das ist nicht der Fall. Das lehrt schon
unser Beispiel. Keine Wissenschaft, in der nicht allgemeine Gesetze
auf untergeordnete Fälle übertragen, keine Wissenschaft also, in der
nicht der uns als Beispiel dienende Schluss öfter auftreten würde. Das
gilt aber nicht bloß von ihm, sondern auch von unzähligen anderen.
Die Tatsachen nun, auf die ich jetzt der Reihe nach aufmerksam
gemacht habe, stehen in offenbarer Beziehung zur Möglichkeit einer
Wissenschaft und weiterhin einer Wissenschaftslehre.
Dass es Begründungen gibt, reicht in dieser Beziehung nicht hin.
Wären die Begründungen form- und gesetzlos, bestände nicht die
fundamentale Wahrheit, dass allen Begründungen eine Form inne-
wohnt, dass die Form nicht etwas diesem hic et nunc vorliegenden
Schluss Eigentümliches, sondern etwas für Klassen von Schlüssen
lYpisches ist, dass für diese ganze Klasse die Form als das die Rich-
tigkeit der Begründung unbedingt Verbürgende angesehen werden
kann, dann gäbe es keine Wissenschaft. Das Reden von einer Me-
thode hätte keinen Sinn mehr ebenso wie das Reden von einem
systematischen Fortschritt von Erkenntnis zu Erkenntnis. Jeder Fort-
schritt wäre Zufall. Da würden einmal zufällig die Sätze P, Q, R
... in unserem Bewusstsein günstig zusammentreffen, die dem Satz
S Evidenz zu verleihen fähig sind, und richtig würde die Evidenz
hervorspringen. Könnten wir aus irgendeiner zustande gekommenen
Begründung für die Zukunft das Geringste lernen? Nein. Keine Be-
gründung hätte ja etwas Vorbildliches für irgendeine andere. Kei-
ne verkörperte in sich einen Typus, und so hätte denn auch keine
Satzgruppe als Prämissensystem etwas Typisches an sich, das sich
uns in neuem Fall, bei Gelegenheit ganz anderer Materien, vermö-
ge seiner Gleichartigkeit aufdrängen und nach den Gesetzen der
Ideenassoziation die Gewinnung einer neuen Erkenntnis erleichtern
könnte. Nach einem Beweis für einen gegebenen Satz, dessen Wahr-
heit noch nicht gesichert ist, forschen, das hätte keinen Zweck und
Sinn. Wie sollten wir dies denn anstellen? Sollten wir etwa die un-
endliche Mannigfaltigkeit denkbarer Vordersätze durchprobieren, ob
sie als Prämissen für den gegebenen Satz brauchbar seien, ob sich
an sie vielleicht die Evidenz dieses Satzes anknüpfen ließe? Der
Klügste hätte hier vor dem Dümmsten nichts voraus, und es wäre
fraglich, ob er überhaupt etwas Wesentliches vor ihm noch voraus
hätte. Eine reiche Phantasie, ein umfassendes Gedächtnis, die Kraft
angespannter Aufmerksamkeit u.dgl. sind schöne Dinge; aber in-
16 LOGIK
tellektuelle Bedeutung haben sie doch nur bei einem Wesen, des-
sen denkendes Begründen und Erfinden unter Gesetzmäßigkeiten
steht, während sie andernfalls nichts nützen. Wie der Inhalt des Ge-
dachten überhaupt assoziativ wirkt und auf· Ähnliches unsere Ge-
danken lenkt, so gilt dasselbe auch von der ihm innewohnenden
Form. Die Form unserer Gedanken kann also fördernd wirken. Wie
die Form gewisser Prämissen den zugehörigen Schlusssatz mit be-
sonderer Leichtigkeit hervorspringen lässt, weil uns früher Schlüsse
ähnlicher Form schon gelungen waren, so kann auch die Form ei-
nes zu beweisenden Satzes gewisse Prämissenformen in Erinnerung
bringen, die ähnlich geformte Schlusssätze früher ergeben hatten.
Und ist es nicht klare Erinnerung, so kann es doch gewissermaßen
latente Erinnerung sein, "unbewusste Erregung"; jedenfalls ist es
etwas, das sich für das leichtere Gelingen von Beweiskonstruktio-
nen als förderlich erweist. Der geübte Denker findet leichter Be-
weise als der ungeübte, der geübte Mathematiker leichter als der
ungeübte. Und warum dies? Weil diesem sich die typischen For-
men der Beweise durch reiche Erfahrung immer tiefer eingegra-
ben haben und für ihn darum so viel leichter wirksam und die Ge-
dankenrichtung bestimmend sein müssen. In gewissem Umfang übt
das wissenschaftliche Denken beliebiger Gattung für wissenschaftli-
ches Denken überhaupt. Daneben aber übt in weitem Umkreis das
mathematische Denken nur für weiteres mathematisches Denken,
das naturwissenschaftliche für naturwissenschaftliches usw., philolo-
gisches ... Das erste beruht offenbar auf jenen Klassen typischer
Formen, die allen Wissenschaften gemeinsam sind, das letztere auf
jenen, die zu der Besonderheit der Gebiete besondere Beziehung
haben. Die Eigenheiten des wissenschaftlichen Taktes, die vorausbli-
ckenden Intuitionen und Divination hängen hiermit zusammen. Wir
sprechen von einem philologischen Takt und Blick, aber auch von
einem mathematischen Takt usw. Und wer besitzt ihn? Der durch
vieljährige Übung geübte Philologe bzw. Mathematiker usw. In der
allgemeinen Natur der Gegenstände als Gegenstände gerade die-
ses Gebietes gründen gewisse Formen sachlicher Zusammenhänge,
und diese bestimmen wieder gewisse typische Eigentümlichkeiten
der gerade in diesem Gebiet häufig auftretenden Begründungsfor-
men.
Alle Erfindung und Entdeckung beruht auf den Gesetzmäßigkeiten
der Form. Ohne sie keine Prüfung gegebener Sätze und Beweise,
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 17
1 Gestrichen Und vorher schon: keine vorauseilende wissenschaftliche Vennutung. Doch das
liegt schon in der Leugnung jedes Planes. Ein Plan ist ja eben eine vorauseilende Vennutung,
auf den Typus des Beweises oder der Theorie gehend, wonach man die Sache selbst dann zu
machen sucht.
2 Hier Unterscheidung zwischen Begründung und Hilfsverrichtung.
3 Gestrichen Wir nannten sie Wissenschaftslehre. Den Namen verdient sie in doppeltem Sinne.
Einmal kann man sie so definiert denken, dass ihr Forschungsgebiet die methodischen Mittel der
sämtlichen Wissenschaften sind derart, dass sie die Wissenschaft wäre, die von den methodischen
Prozessen in den Wissenschaften handelt. Sie kann aber auch so gefasst werden, dass sie als die
Wissenschaft betrachtet wird, welche von den methodischen Veranstaltungen zur Bereicherung
der Erkenntnis handelt, welche man selbst Wissenschaften nennt. Denn jede Wissenschaft
enthält nicht bloß Methoden zur Erreichung der Wahrheit, sondern ist in ihrer systematischen
Verwebung solcher Methoden selbst eine solche Methode. Beide Definitionsweisen führen
offenbar auf dieselbe Wissenschaft. Wählen wir den letzteren Begriff, so ist es ja klar, dass die
Erforschung der Uberaus komplizierten systematischen Gewebe aus einzelnen Begründungen,
Begründungsgruppen und Gruppen solcher Gruppen, die wir Wissenschaften nennen, durchaus
beruhen mUsste auf der Erforschung der BegrUndungsfonnen und Systematisierungen, die in
ihnen auftreten. Und umgekehrt: Stellen wir die Erforschung der methodischen Fonnen in den
Wissenschaften als Ziel der Wissenschaftslehre hin, dann wäre natUrlieh auch die Erforschung
der Komplikationen und Systematisierungen, die selbst wieder den Charakter von methodischen
Fonnen haben, eine Aufgabe der Wissenschaftslehre, und das wUrde schließlich hinfUhren auf
die Verwebung zu höchsten Einheiten, zu den Wissenschaften selbst. Und endlich ist es klar, dass
wir abennals einen gleichwertigen Begriff erhalten, wenn wir die Logik als die wissenschaftliche
Disziplin definierten, welche Uberhaupt die methodischen Verfahrungsweisen zu erforschen
hat, welche der Bereicherung und Erweiterung der Erkenntnis dienen. Denn indem wir von
diesem Begriff ausgingen, kamen wir schrittweise von der Betrachtung der einfacheren und
immer komplizierteren methodischen Fonnen schließlich auch zu den höchsten und wichtigs-
18 LOGIK
ten Verwebungen derselben, die wir Wissenschaften nennen. Immer ist ja zu beachten, dass
die Zusammenordnung von Erkenntnissen in Erkenntnisgebieten und die Konstituierung von
Wissenschaften nichts Willkürliches ist, sondern den Zweck der Bereicherung und Erweiterung
der Erkenntnis erfüllt.
Unterschiede: I) Empirische Vergleichung der Wissenschaften in Betreff ihrer Methoden
und empirischen Gemeinsamkeiten, evtI. auch genetische Entwicklung von Methoden, Ent-
wicklung der Wissenschaften (Abgrenzung, Fortschritt). 2) Alle Methoden sind im Zweck der
Erkenntnis auf der einen und der Besonderheit der menschlichen Natur und Lage auf der
anderen Seite begründet, und zwar so, dass sie entweder alle Wissenschaften umfassen oder
einzelnen eigentümlich sind. Man muss bei jeder Methode apriori einsehen, dass die Methode
M zur Wahrheit fUhren muss und somit zur Erkenntnis. Es gibt aber Methoden, die nicht
bloß überhaupt allen Wissenschaften gemeinsam sind, sondern sich auch ohne Rekurs auf ihre
Gegenstände apriori rechtfertigen lassen.
" Vgl. Transzendentale Logik, Einleitung, I.
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 19
Weil dieses Gesetz besteht, so darf auch behauptet werden, dass der
normal Veranlagte, wann immer ihm zwei Prämissen jener Formen ge-
geben sind, auch die Evidenz eines zugehörigen Schlusssatzes erleben
wird, vorausgesetzt, dass er nur in normaler Denkverfassung ist, Z.B.
nicht schläft. Natürlich dürfen wir dies behaupten, denn das gehört
ja gerade zum Begriff der normalen Disposition, dass sie zur Evidenz
all der besonderen Begründungen befähigt, die in einem allgemeinen
und von uns als wahr erkannten Gesetz als Besonderungen enthalten
sind. 1 Wie wir den nicht mehr für normal anerkennen würden, der
unfähig wäre, die Evidenz des allgemeinen Gesetzes zu erleben "Alle
A sind B", so würden wir auch den natürlich nicht für normal hal-
ten, der im besonderen Anwendungsfall diese Evidenz nicht erleben
könnte.
Wir fassen nun unseren Begriff von normaler Disposition darum
so, weil wir in der Erfahrung wirklich bestätigt finden, dass die meisten
Menschen, zumal alle, die in der Erkenntnis etwas Ordentliches und
Rechtes zustande bringen, so disponiert zu sein pflegen. (Aber wären
sie es auch nicht, so würde dies noch nicht wesentlich schaden, wenn
ihnen nur der Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere in jedem
Fall einleuchtete. Hätten sie die Evidenz des allgemeinen Gesetzes,
so könnten sie dieses ja auf jeden der unendlich vielen Fälle, die
es befasst, übertragen. Rechnen wir also zum Begriff des normalen
Intellekts nur dies, dass er einerseits alle oder die hauptsächlichs-
ten allgemeinen Gesetze über die Bedingtheitsverhältnisse allgemein
charakterisierter Sätze mit Evidenz zu fassen vermöchte, und dazu
nur noch, dass er in jedem gegebenen Fall des Schlusses fähig ist:
" Was allgemein gilt, das gilt auch in diesem Fall", dann wäre alles
erfüllt, was für ein intellektuelles Geschöpf wesentlich ist.)
Was uns im Beispiel klar wurde, gilt allgemein. Alle Gesetze, welche
die Logik über Begründungsformen aufstellt, d.i. alle im prägnanten
Sinne des Wortes logischen Gesetze, haben nicht den Sinn von Gesetz-
mäßigkeiten über psychische Phänomene und Dispositionen, sondern
von Gesetzmäßigkeiten, die objektive Zusammenhänge zwischen Sät-
zen betreffen.
Das Verhältnis zwischen Subjektivem und Objektivem ist hier
immer dies: Wenn wir irgendwelche Sätze deduktiv oder induktiv
begründen, dann läuft in uns ein gewisser Gedankengang ab, der als
1 Vgl. die Kritik von Hamiltons Logik in den Vorlesungen Ober deduktive Logik.
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 21
Ganzes wie seinen Teilen nach selbstredend subjektiv ist, es ist eine
Verkettung unserer psychischen Phänomene. Aber das, was wir hier-
bei denken, das, worauf sich der Gedankenverlauf nach seinen Teilen
und als Ganzes bezieht, das ist darum keineswegs etwas Subjektives.
Wer aus den Hebelgesetzen und dem Gesetz der Schwere die Wir-
kungsweise einer Maschine ableitet, hat zwar eine gewisse Gedanken-
folge, aber das, worauf sich die Gedanken beziehen, das sind eben die
Hebel, die Schwere und ihre Gesetze, desgleichen die Wirkungsweise
der Maschine und das objektive Bedingtsein der Letzteren durch die
Ersteren. Es entspricht also der subjektiven Begründung ein objekti-
ver Bedingtheitszusammenhang zwischen Sätzen. Ist die Begründung
richtig, dann ist dieser Zusammenhang objektive Wahrheit. Gelten
die Hebelgesetze wirklich, dann ist die Wirkungsweise der Maschine
eine objektive Folge derselben. Und das ist eine objektive Sachlage,
betone ich, denn sie betrifft nicht mehr unsere Gedanken, und sie
bleibt wahr, gleichgültig ob wir oder irgendjemand sie denkt oder
nicht. Dieses objektive Verhältnis der Bedingtheit ist nun das, was
man in der Regel im Auge hat, wo man von einem Schluss spricht
und nicht von einem subjektiven Schließen, Begründen. Der Schluss
ist es nun, der jeweilig eine Form und mittels dieser Beziehung hat
auf ein allgemeines Schlussgesetz. Vom jeweiligen Schluss gilt also
direkt das, was ich letzthin von den Begründungen ausführte, und von
den Begründungen gilt alles nur indirekt. Vom Schluss gilt es, dass er
nichts Isoliertes ist, dass er immer Besonderheit ist eines allgemeinen
Schlussgesetzes, dass die Schlussgesetze Beziehung haben teils auf
alle Erkenntnisgebiete und teils auf besondere. Aber selbstredend
sind diese Schlussgesetze immer streng auseinander zu halten von
den Begründungen.
Haben wir nun mit Evidenz ein Schlussgesetz erfasst, dann haben
wir die Einsicht, dass alle erdenklichen Schlüsse, die die Form dessel-
ben haben und deren Prämissen wahr sind, auch wahr sein müssen.
Und damit gewinnen wir eine unbedingt gültige Norm, um die Trif-
tigkeit aller Begründungen, deren objektiver Gehalt die gesetzliche
Schlussform hat, abzumessen. Wir wissen apriori, dass, wenn jemand
nach dieser Form begründet, er richtig begründet. Zieht ein anderer
aber aus Prämissen gleicher Form einen widerstreitenden Schlusssatz,
so wissen wir, dass dieser falsch begründet, denn es gilt zugleich das
objektive Gesetz, dass Widerstreitendes nicht zusammen wahr sein
kann.
22 LOGIK
Dass nun eine Theorie der Schlüsse das letzte Fundament abgeben
muss für eine jede Logik, ist ohne weiteres klar. Sollen wir Wissen-
schaft verstehen, so müssen wir das Begründen verstehen, und da
heißt es sich klarmachen, dass den Begründungen objektive Schlüs-
se entsprechen, dass diese Schlüsse Gesetzmäßigkeiten unterworfen
sind, welche voll erkannt die Gesamtheit aller möglichen richtigen
Begründungsweisen in sich fassen. Und noch von einer anderen Seite
leuchtet die immanente Bedeutung einer objektiven Schlusslehre ein.
Mit Aristoteles beginnt die wissenschaftliche Logik. Aristoteles hat sie
zuerst als ein wissenschaftliches Gebiet abgegrenzt und nicht bloß ein-
zelne Gedanken, sondern umfassende systematische Theorien für sie
ausgebildet. Aber kaum beginnt das zarte Pflänzchen zu wachsen, da
gerät die griechische Kultur und Philosophie in Entartung. Was von ihr
in wissenschaftlicher Beziehung übrig bleibt, erstarrt in den Formen
der Scholastik. Und so geht es auch der Logik. Als unantastbares Ver-
mächtnis des Aristoteles wird sie aufgenommen und als eine fertige
Disziplin betrachtet. Zu Zwecken der Schule erfährt sie eine dogma-
tisch starre Systematisierung, die ihr den für die Folgezeiten so gefähr-
lichen Anschein von Fertigkeit und Abgeschlossenheit gab, insbeson-
dere in Ansehung ihres Hauptstückes, der Lehre von den Schlüssen.
Das Erwachen des neuen Geistes bezeichnet auf allen Gebieten, und
so auch in dem unseren, der Kampf gegen die Scholastik. Aber wie
sehr man in Worten gegen sie eiferte, ihren Geist konnte man nicht
so leicht abschütteln, und wie sehr man sich in unserem Jahrhundert
von der Scholastik entfernt haben mag, so sind doch noch mancherlei
Reste des scholastischen Geistes mächtig, in Gutem und Schlimmem.
Die bei den meisten Logikern merkliche und fast ausschließliche
Bevorzugung der Klassen von Schlüssen, die man Syllogismen nennt,
beruht auf der aristotelisch-scholastischen Tradition und desgleichen
die ganze Form der Behandlung, die den artigen Schein erweckt, als
habe man es mit einem systematisch fertigen und nicht mehr erweite-
rungsfähigen Ganzen zu tun. Als zweites Moment ist zu erwähnen das
sich in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts fortdauernd steigernde
Interesse für psychologische Probleme, das zu einem großen Auf-
schwung der Psychologie geführt und zugleich auf die Behandlung
der übrigen philosophischen Disziplinen einen immer mächtigeren
Einfluss geübt hat. Mehr und mehr gewöhnte man sich daran, überall,
wo Psychisches im Spiel ist, darauf besonders zu achten und seine
genetischen Zusammenhänge zu erforschen. So drängt das psycho-
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 23
logische Interesse, die psychologische Fragestellung und Forschung,
alles andere immer (weiter) zurück. Schließlich erscheinen Ästhetik,
Ethik, und so auch die Logik wie bloße Dependancen der Psychologie,
sei es als bloße Stücke, sei es als besondere Anwendungen dieser
Wissenschaft. Blicken wir in die bedeutendsten psychologischen Wer-
ke unserer Zeit, so finden wir in ihnen gar tiefsinnige Erörterun-
gen über die Psychologie der Erkenntnis, über die Psychologie der
Vorstellung, der Begriffsbildung, des Urteils, der Begründung, über
die psychischen Prozesse, die bei den oder jenen Methoden in Frage
sind usw., und zwischen all dem schieben sich die eigentlich logischen
Erörterungen ein, auf die man, (als) im Gebiet des rein Logischen,
wie es nicht anders sein kann, nur durch einen salto mortale kommt.
Durch psychologisch-genetische Theorien glaubt man ein Verständnis
der logischen Gesetze und Normen, in weiterer Folge die ganze wis-
senschaftliche Methodik (be)gründen zu können. Aber das misslingt
und muss misslingen. Nicht als ob psychische Phänomene hier nicht im
Spiel wären. Gewiss ist logisches Denken auch Denken, gewiss sind
dabei Akte des Vorstellens, des Urteilens, des Begründens Bestand-
stüclce. Und gewiss ist auch die Methodik der Erkenntnis ohne Rück-
sicht auf die psychologischen Eigentümlichkeiten und Gesetze nicht
zustande zu bringen. Aber jedes an seiner Stelle. Das erste und Haupt-
fundament aller Logik ist die objektive, d.h. nicht-psychologische
Theorie der Bedingtheitsverhältnisse zwischen Sätzen. Und mögen
auch Vorstellungen von Sätzen oder Fürwahrhaltungen von Sätzen
psychische Phänomene sein, so sind Sätze als solche dies eben nicht
und ebenso wenig die darin auftretenden Begriffe und Gegenstände.
Erst bei der Verwendung der objektiven Schlussgesetze zur Rege-
lung der Erkenntnis betreten wir die Domäne der Psychologie und
desgleichen bei der Frage nach den Faktoren, welche auf Sicherheit
und Leichtigkeit der Begründungen Einfluss haben oder welche die
Entdeckung passender Beweise oder neuer Sätze begünstigen u.dgl.
Die Schlüsse selbst darf man aber nicht, wie es so gut wie allge-
mein geschieht, mit den subjektiven Phänomenen des Begründens
verwechseln oder als Gesetze für subjektive Begründungen ansehen
und somit als ein Psychologisches taxieren, das nach seiner psycholo-
gischen Gesetzmäßigkeit betrachtet und durch diese erhellt werden
könnte.
Den größten Anteil an dieser für die Psychologie der Erkennt-
nisprozesse so fruchtbaren, für die Logik selbst aber gefährlichen
24 LOGIK
• Vgl. John Stuart Mill, An Examination o{ Sir William Hamilton's Philosophy and o{ the
Principal Philosophical Questions Discussed in his Writings, 5th ed., London 1878, S. 461f.
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 25
derdisziplin von der Psychologie ist, unterscheidet beide genügend
deutlich voneinander. ".
Lipps' Argumentation, die das ausspricht, was im Grunde alle
Psychologisten bestimmt, hat ja sicherlich einen verführerischen An-
schein. Aber er kann nicht mehr täuschen, wenn man sich einmal das
Verhältnis zwischen Erkennen und seinen Gegenständen klargemacht
und dann darauf geachtet hat, dass all die so genannten logischen
Gesetze an sich weder Erkenntnisse sind noch vom Erkennen oder
sonstigen psychischen Tätigkeiten handeln, nicht über diese Gültiges
aussagen und aussagen wollen. Logische Gesetze können Gegenstand
von Erkenntnisakten sein, aber sie sind nicht Erkenntnisakte. Und
wohin würde uns eine andere Auffassung auch führen! Bestände
etwa der Satz des Widerspruchs, wonach von zwei entgegengesetz-
ten Sachverhalten nur der eine wahr sein kann, wonach entweder
das Ja oder Nein gilt und nicht ein Drittes, nur in dem Moment,
wo ihn irgendjemand dächte? Er hinge also von der Existenz von
Menschen ab? Dann wäre doch alle objektive Wahrheit aufgehoben.
Oder sollte man die Wahrheit selbst als etwas Subjektives ansehen
wollen? Nun, dann würde sich die Existenz aller Dinge reduzieren auf
die Existenz des psychischen Wesens, das diese Dinge als existierend
denkt; und wenn die psychischen Wesen alle schliefen oder die Dinge
nicht dächten, nun, dann beständen sie auch nicht. Und wie stände es
dann mit der Existenz des Menschen, wenn er schliefe? Sie sehen, in
welche lächerlichen Verwicklungen wir uns verlören, wollten wir alles
Objektive, wie es in der Tendenz der psychologistischen Logik liegt,
subjektivistisch verfälschen. Und begreiflich wird es uns auch, warum
überall die Kapitel, in denen die Logiker von Existenz, Wahrheit,
Notwendigkeit und Möglichkeit handeln, so peinlich wirken, mindest
auf jeden, der Licht und Klarheit liebt.
Der Schluss der zitierten Stelle aus Lipps' Logik wendet sich ganz
berechtigt gegen eine von alters her sehr beliebte Art der Scheidung
von Psychologie und Logik, der auch ich mein non liquet entgegen-
halte. Die Psychologie, sagt man (und so sagt z.B. auch Kant), hat es
mit dem Denken überhaupt zu tun, dem irrenden ebensowohl als dem
erkennenden. Sie hat die Naturgesetze des Denkens, wie die Naturge-
setze der psychischen Phänomene überhaupt, aufzustellen. Die Logik
hingegen hat es mit den Normalgesetzenzu tun, den Gesetzen, welche
• Theodor Lipps, GrundzUge der Logik, Hamburg und Leipzig 1893. S. If.
26 LOGIK
die Kriterien angeben, wonach man ein Urteilen als Erkenntnis oder
Irrtum abschätzen kann. Macht man den von uns betonten Unter-
schied zwischen Subjektivem und Objektivem, zwischen Erkenntnis
und Wahrheit, zwischen Satz und Urteil, zwischen Schluss und Be-
gründung nicht, dann zieht die Unterscheidung zwischen Psychologie
und Logik auch nicht. Denn richtiges Denken ist ja auch Denken,
Normalgesetz ist dann auch ein Denken, und alles Denken gehört in
die Psychologie. Der Logiker wäre also der Psychologe, der gewisse
Partien der Psychologie studiert, die es ausschließlich auf gewisse
Charakterzüge in den Urteilen abgesehen haben, auf Evidenz u.dgl.
Fragen wir andererseits, wie man sich von alters herbei einer
solchen Scheidungsweise zwischen Psychologie und Logik beruhigen
konnte, so ist der Grund nicht weit zu suchen. Was man Normalgesetze
des Denkens nannte, das waren ja gerade die objektiven Gesetze wie
der Satz des Widerspruchs oder all die Schlussmodi der Syllogismen.
Dass all diese Gesetze nichts Psychologisches sind, sah man, dass sie
der Normierung dienen, ebenfalls; das war ja ihre besondere Funktion
in der Logik. Aber man übersah andererseits, dass ein Unterschied
ist zwischen dem Gehalt eines Gesetzes und seiner Funktion, d.h.
seiner praktischen Verwendung. Man übersah, dass die so genannten
logischen Grundgesetze in sich selbst nicht Normen sind, sondern
eben nur als Normen dienen, und dass somit das Wesen dieser Geset-
ze nicht in der Normierung liegt von Erkenntnissen. Mit Rücksicht
auf die Normierung hatte man sich gewöhnt, von Denkgesetzen, von
Gesetzen des nchtigen Denkens zu sprechen, und so schien es, als ob
auch diese Gesetze auf Psychisches Bezug haben und der Unterschied,
der sie vor psychologischen Gesetzen auszeichne, nur darin bestehe,
dass sie normieren, während die psychologischen dies nicht tun.
Wir sind inmitten einleitender Betrachtungen stehen geblieben,
die den Zweck haben, den Begriff der Disziplin, die uns in diesem Se-
mester beschäftigen soll, zu bestimmen und aufgrund desselben eine
klare Vorstellung von den hauptsächlichsten Klassen von Aufgaben,
die ihr obliegen, und der Ordnung, in der sie gelöst werden müssen,
zu gewinnen.
Eine einfache Überlegung führte uns auf den Begriff der Logik
als Wissenschaftslehre, einer Disziplin, welche die Methoden, die der
Erweiterung und Bereicherung der Erkenntnisse dienen, die also Wis-
senschaften konstituieren, zum Gegenstand der Untersuchung macht
und dabei zugleich den praktischen Zweck verfolgt, aufgrund der
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 27
lassen. Und wie viel mehr müsste dies gelten von denjenigen Theorien,
die so fundamental sind, dass sie uns die höchsten Gesetzmäßigkeiten
enthüllen, denen alle Gesetzmäßigkeiten als solche unterstehen und
die uns so das Wesen aller Gesetzmäßigkeiten auseinander zu legen
berufen sind. Freilich, wo man theoretisiert ohne klares Ziel und rech-
te Methode, wo man Abstraktionen häuft ohne sichtlichen Nutzen,
ohne unser Interesse an prinzipiellen Einsichten, an der Aufdeckung
allgemeiner und allgemeinster Gesetzmäßigkeiten zu befördern, da
stellt sich unweigerlich das peinliche Gefühl ein, dass wir zwecklos
gequält, durch leere Subtilitäten ermüdet und entsetzlich gelangweilt
werden.
All das findet auch in unserem Fall Anwendung, und so mögen Sie
derartige Zweifel beruhigt zurückstellen. Der systematische und reine
Aufbau der in Rede stehenden Theorien, so viel von ihnen gegenwär-
tig ausgebildet und ohne zu große Schwierigkeiten zu behandeln ist, zu
dem wir uns in einer der allernächsten Stunden wenden werden, soll
den Nachweis liefern, dass sie reelle Interessen.reell zu befriedigen
ermöglichen.
Die einleitenden Betrachtungen, die Ouvertüre sozusagen meiner
Vorlesungen, will ich damit beschließen, einige Streitfragen zu erle-
digen, die sich seit alten Zeiten an die Definition der Logik knüpfen
und die von dem Standpunkt, den wir einnehmen, mit einem Schlage
eine völlig klare Entscheidung gewinnen. In ihnen spiegelt sich der
unvollkommene Zustand der Wissenschaft und die Unklarheit über
ihre wesentlichen Ziele und Methoden.
Von alters her gehen die Meinungen auseinander, ob die Logik I)
eine unabhängige Wissenschaft ist oder eine abhängige. Diejenigen,
die die letztere Ansicht vertreten, sind wieder uneinig darüber, von
welcher anderen Disziplin die Logik abhänge, ob von der Psycholo-
gie oder Metaphysik oder gar von beiden. 2) Desgleichen herrscht,
und dies schon seit dem Mittelalter, Streit darüber, ob die Logik
eine Kunst sei (bzw. Kunstlehre) oder eine Wissenschaft im engeren
und prägnanteren Sinn. 3) Wieder streitet man, ob sie eine formale
Disziplin sei, ob sie mit den bloßen Formen der Erkenntnis zu tun
habe oder auch auf die Materie der Erkenntnis Rücksicht zu nehmen
habe. 4) Und endlich auch, ob sie den Charakter einer demonstrativen
oder empirischen Wissenschaft habe. Alle diese Streitfragen hängen
aufs Innigste zusammen derart, dass die Stellungnahme zu der einen,
bis zu einem gewissen Grad wenigstens, die Stellungnahme zu den
32 LOGIK
anderen mitbedingt. Und von allen gilt, dass die Uneinigkeit die
hauptsächliche, wo nicht die alleinige Quelle darin hat, dass man
die objektive Doktrin von den Begriffen, Sätzen, Schlüssen nicht als
solche und als eine independente Wissenschaft erkannt und sie mit
der Wissenschaftslehre zusammengeworfen hat.
Unterlässt man diese Konfusion, dann erledigt sich fürs Erste die
Streitfrage, ob die Logik eine unabhängige oder abhängige Wissen-
schaft sei. Versteht man unter Logik die Wissenschafts- oder Metho-
denlehre der Erkenntnis, dann ist natürlich von Unabhängigkeit keine
Rede. Einerseits setzt die Logik die objektive Wissenschaft voraus,
die wir kurz als Wissenschaft von den Schlüssen bezeichnet haben,
andererseits die Psychologie, da die methodischen Veranstaltungen,
die wir brauchen, um die Erkenntnis der Eigentümlichkeiten und
Gesetze des Objektiven nutzbar zu machen für den Fortschritt der
menschlichen Erkenntnis, selbstverständlich auf der Psychologie der
intellektuellen Betätigungen beruhen. Und da diese methodischen
Veranstaltungen in den Wissenschaften auftreten, ja die Wissenschaf-
ten selbst als umfassendste Veranstaltungen dieser Art anzusehen
sind, so setzt die Logik die Wissenschaften auch voraus. Aber doch
nicht so, dass sie von der Fertigstellung derselben abhängig (ist),
sondern nur so, dass sie in ihnen das Material sammelt für ihre allge-
meinen methodischen Erwägungen. Im Besonderen gilt dies auch von
der Wissenschaft der Metaphysik. Sicher brauchen wir nicht fertige
metaphysische Überzeugungen, um eine Logik aufbauen zu können.
Auch wenn kein einziger Satz der Metaphysik feststände: hätten wir
nur sonst Wissenschaften, so hätten wir auch Material für eine Logik.
Wie wird aber bei dieser Sachlage der Streit verständlich? Wie
konnten Logiker dazu kommen, ihrer Wissenschaft Unabhängigkeit
zu vindizieren? Die Antwort ist einfach. Sie lenkten ihren Blick aus-
schließlich auf Sätze, die in das Gebiet jener objektiven und indepen-
denten Schlusslehre gehören. Sie hatten also eine dunkle Vorstellung
von der Selbständigkeit dieser Disziplin, und mit Bezug auf sie ver-
traten sie die Unabhängigkeit der Logik. Es war ihnen klar, dass der
Satz des Widerspruchs z.B. oder die syllogistischen Gesetze unmöglich
als Dependancen der Psychologie oder irgendeiner anderen Wissen-
schaft angesehen werden können, dass vielmehr alle Wissenschaften
diese Wahrheiten voraussetzen. Indem sie aber Wesen und Grenzen
dieser Disziplin verkannten, mischten sie beim Aufbau der angeblich
unabhängigen Logik doch wieder allerorten Methodologisches ein.
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 33
psychischen Wesen schliefen oder gar alle sonst tot wären? Nicht
besser ist es, wenn wir auf Dispositionen zurückgehen. Bestände
die Wahrheit des Satzes, dass die Erde vor Auftreten organischer
Wesen ein feurig-flüssiger Ball war, eben vor dem Auftreten solcher
Wesen bloß darin, dass, wenn es damals psychische Wesen gegeben
hätte, sie disponiert gewesen wären, diese Wahrheit zu erkennen?
Und wie stände es dann mit dieser Wahrheit selbst? Wer sieht nicht,
dass wir da auf den absurdesten Relativismus, auf einen absurden
Regress in infinitum kommen! Das wären die klaren Konsequenzen,
wenn wir der subjektivistischen Tendenz der psychologistischen Logik
ernstlich nachgäben. Und begreiflich wird es nun auch, warum in
den modemen logischen Werken gerade die Kapitel über Existenz,
Wahrheit, Notwendigkeit und Möglichkeit so voll sind peinlichster
Verworrenheit. Dahinter steht eben das schlechte logische Gewissen.
Doch genug über die Abhängigkeit der Logik von der Psychologie,
die ja auch wir statuieren, aber eben nur nachseiten der eigentlichen
Methodenlehre, nicht nachseiten der Lehre von den Schlüssen und so
von dem Objektiven der Erkenntnis überhaupt.
Als eine zweite und dazu uralte Streitfrage erwähnte ich die, ob
denn die Logik eine praktische oder rein theoretische Disziplin sei,
eine Kunstlehre oder eine Wissenschaft im prägnanten Sinn. Zum
Begriff der Wissenschaft gehört es, ein Ganzes sachlich zusammen-
gehöriger Wahrheiten zu sein, oder noch deutlicher, ein Ganzes von
Wahrheiten, die sich auf ein und dasselbe Objektgebiet beziehen. In
einer Kunstlehre liegt die Einheit nicht allein in der Sache, sondern
in einem gewissen Zweck, der das für die Anordnung und Verknüp-
fung der Wahrheiten ausschließlich Maßgebende ist. Was die Logik
anbelangt, so kann sie nun offenbar in beiderlei Sinn betrachtet
und behandelt werden, obschon unverkennbar der praktische Ge-
sichtspunkt eine gewisse Überlegenheit hat. Man könnte einerseits
so vorgehen, dass man, die Wissenschaften miteinander vergleichend,
die Methoden, die in ihnen zur Wahrheit führen, in solche gruppiert,
die allen Wissenschaften gemeinsam sind, und solche, die einzelnen
Wissenschaften oder Gruppen von Wissenschaften eigentümlich sind;
dann erforschen, worauf die Gültigkeit dieser Methoden beruht und
wie sie historisch entstanden sind. Das wären sicher theoretische
Forschungen, in denen es sich offenbar um Anwendungen der Lehre
von den Schlussformen, ferner um Anwendungen der Psychologie
der Erkenntnis und zugleich um Stücke der allgemeinen Kulturge-
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 35
• Kant, a.a.O.,A 9.
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 37
ein Regelsystem. Im Begriff der Regel liegt aber der Gedanke der
Normierung. Wir hingegen sehen in den Gesetzen der Schlusslehre
gar keines, dem der Gedanke der Regelung wesentlich innewohnte
und nicht von uns erst hineingetragen wäre. Wir hätten es ja auch sonst
nicht mit rein theoretischen Sätzen zu tun. Noch weniger können
wir aber unter seiner Voraussetzung, dass die Begriffe Logik und
objektive Schlusstheorie identifiziert werden, Kant zustimmen, wenn
er sagt: "In der Logik ist die Frage nicht nach zufälligen, sondern nach
notwendigen Regeln, nicht, wie wir denken, sondern, wie wir denken
sollen. Die Regeln der Logik müssen daher nicht vom zufälligen,
sondern vom notwendigen Verstandesgebrauch hergenommen sein,
den man ohne alle Psychologie bei sich findet. Wir wollen in der
Logik nicht wissen, wie der Verstand ist und denkt und wie er bisher
im Denken verfahren ist; sondern wie er im Denken verfahren sollte.
Sie soll uns den richtigen, d.h. mit sich selbst übereinstimmenden
Gebrauch des Verstandes lehren. ".
Ähnliche Bestimmungen sind seit Kant oft genug wiederholt wor-
den, und nicht bloß in der kantischen Schule, sondern insbesondere
auch vonseiten der Herbartianer, die Kant in der Beurteilung der
Logik überhaupt ziemlich nahe standen. So unterschied man Natur-
gesetze, die besagen, was da ist, und Normalgesetze, die besagen,
was da sein sollte, und glaubte dann, die Logik als eine Lehre von
den Normalgesetzen des Denkens der Psychologie als der Lehre von
den Naturgesetzen desselben gegenüberstellen und als eine von ihr
verschiedene Disziplin definieren zu können. Sie finden diese Unter-
scheidung z.B. in dem gediegenen Werke von Drobisch:·
Sie begreifen, warum ich diese Auffassungsweisen erst hier, bei der
Streitfrage, ob die Logik eine praktische oder theoretische Disziplin
ist, bespreche und nicht bei Gelegenheit der Diskussion der Streit.:.
frage nach dem Verhältnis von Logik und Psychologie, wohinein es
ja auch spielt. Aber indem bei den Kantianern und Herbartianern
der normative Charakter der logischen Gesetze betont wird, indem
es heißt, dass sie vom Denken handeln, wie es sein soll t e, von
Normalgesetzen des Denkens, machen sie ja aus der Logik eine nor-
mative, also praktische Disziplin. Das stimmt natürlich vortrefflich,
• Kant, a.a.O., A 6.
•• Vgl. Moritz Wilhelm Drobisch, Neue Darstellung der Logik nach ihren einfachsten Verhalt-
nissen mit Rücksicht auf Mathematik und Naturwissenschaft, 4. Autl., Leipzig 1875, S. 3.
LOGIK
wenn man unter Logik Methodenlehre versteht. Tht man aber dies,
dann ist doch keine Rede von einer Unabhängigkeit der Logik, keine
Rede davon, dass, wie Kant sich ausdrückt, die Logik eine allgemei-
ne Propädeutik alles Verstandes- und Vernunftgebrauchs sei, dass
sie nicht in die Wissenschaften und deren Materien eingehen dürfe,
dass sie nicht ein Organon der Wissenschaften sein dürfe, dass sie
nicht der Erweiterung, sondern nur der Beurteilung und Berichtigung
unserer Erkenntnisse dienen möge. Und es ist weiter auch keine
Rede davon, dass sie dann eine von der Psychologie unabhängige
Disziplin sei, geschweige denn, dass der Gegensatz zwischen Natur-
und Normalgesetz ein scheidendes Merkmal abgeben könnte. Im
Gegenteil wird sie durch diese Bestimmung ganz offenbar zu einer
auf Psychologie ruhenden Disziplin gestempelt. Mit Recht haben
die psychologistischen Logiker hier eingewendet: Ein notwendiger
Verstandesgebrauch ist auch ein Verstandesgebrauch, ein Denken,
wie es sein sollte, ist auch ein Denken, es ist ein spezieller Fall von
dem Denken, wie es ist; folglich gehört das eine wie das andere, das
besondere wie das allgemeine, in die Psychologie als die Wissenschaft,
die von den psychischen Phänomenen und psychischen Dispositionen
überhaupt handelt, also darunter auch vom Denken und vom Verstan-
de. Mit Recht sagt also Lipps an einer letzthin schon von uns zitierten
Stelle: Dass in der Psychologie im Unterschied von der Logik der
Gegensatz von Erkenntnis und Irrtum (vom Denken, wie es ist und
wie es sein sollte) nicht in Betracht komme, kann nicht heißen, dass
die Psychologie diese beiden voneinander unterschiedenen psychi-
schen Tätigkeiten als gleich ausgebe, sondern nur, dass sie beide in
gleicher Weise verständlich zu machen suche - woran Lipps freilich
die falsche Konsequenz schließt, dass die Logik eine Sonderdisziplin
der Psychologie sei.
Sie sehen, in welche Verwirrung uns Kant in den zitierten Sätzen
hineinführt. Er spricht scharf die Unabhängigkeit der Logik von der
Psychologie aus. 1 Der notwendige Verstandesgebrauch soll sich in uns
vor aller Psychologie befinden. Er legt auf die Trennung der Logik
von der Psychologie so großes Gewicht, dass er wiederholt und mit
I Gestrichen Und andererseits gibt er von ihr doch Bestimmungen, nach denen sie Regeln des
notwendigen Verstandesgebrauchs,des Denkens, wie es sein soll, fixiert, also Bestimmungen, in
denen die Beteiligung der Psychologie handgreiflich vorliegt. Und noch sonderbarer: Während
nach manchen Sätzen der praktische Charakter der Logik entschieden geleugnet wird, liegt er
in anderen Sätzen wieder greifbar ausgesprochen.
AUS DEN EINLEITENDEN VORLESUNGEN 39
• Kant, Logik, A 6.
•• Kant, Kritik der reinen Vernunft, B VIII.
••• Kant, Logik, A 4.
1 Alles ist lückenhaft, weil nicht auf Kant, (Kritik der reinen Vernunft, in: Immanuel Kant's
stimmtliehe Werke. In chronologischer Reihenfolge hrsg. von G. Hartenstein, Leipzig 1867-1868,
Bd.) III, (S.) 81-98 Rücksicht genommen ist.
40 LOGIK
habe, oder ob sie auch auf die Materie derselben Rücksicht nehmen
müsse.!
Eine Einigung in diesem Streite scheiterte schon daran, dass man
es von jeder Seite versäumt hatte, die so vieldeutigen Begriffe von
Form und Materie zu definieren. Sehen wir zu, wo man ursprünglich
den Anlass genommen hatte, in der Logik von Form und Materie
zu reden, so werden wir wieder auf die objektive Doktrin von Sät-
zen und Schlüssen geführt. Z.B. man unterschied die kategorische,
hypothetische und disjunktive Satzform.
Betrachten wir die Sätze" Alle Ellipsen haben zwei Brennpunkte"
und "Alle Menschen sind sterblich", so haben sie dieselbe Form,
die ersichtlich wird durch den Ausdruck "Alle A sind B". Ich kann
die Zeichen A und B als Repräsentanten ganz beliebiger Begriffe
nehmen, und ich erhalte einen verständlichen (wenn auch vielleicht
falschen oder absurden) Satz. Ich sehe also, dass es eine Klasse von
Sätzen gibt, die zwei Begriffe nach einem bestimmten Typus verbin-
den, und das ist eben die Form. Ebenso stellt der hypothetische Satz
eine bestimmte Satzform dar: "Wenn A gilt, gilt B". Hier stehen die
Zeichen A und B für beliebige Sätze. Ich erhalte, welche ich immer
wähle, immer einen verständlichen Satz eines und desselben Typus.
Von den Formen der Begriffe, Sätze oder Satzgewebe, aus denen
sich nun Schlüsse zusammensetzen, hängen dann Schlussgesetze ab,
in denen daher immer gewisse Buchstabenfiguren als Zeichen für die
unbestimmt und beliebig gelassenen Begriffe oder Sätze (fungieren).
Führt man in diese Formen bestimmte Worte für die Buchstaben ein,
so erhält man konkrete Sätze.
Sagte man danach, die Logik habe es mit der bloßen Form zu tun,
so müsste die Meinung die sein, dass sie nur von der Unterscheidung
der verschiedenen Formen und den Gesetzmäßigkeiten, die von den
Formen abhängen, zu handeln habe. Und so wird alsbald klar, dass die
Logiker, die in diesem ursprünglichen Sinn, ohne ihn näher zu fassen,
von einer formalen Logik sprechen, nicht die Methodenlehre, sondern
die objektive Lehre von den Begriffen, Sätzen und Schlüssen treffen
konnten. Wenigstens passte die Rede von einer formalen Logik nur
auf dieses Gebiet, und man konnte zu dieser Rede nur in Hinblick auf
! Die weiteren Ausführungen sind sehr mangelhaft, weil nicht hinreichend auf Kant, (Kritik
der reinen Vernunft, in: lmmanuel Kant's slimmtliche Werke. In chronologischer Reihenfolge
hrsg. von G. Hartenstein, Leipzig 1867-1868, Bd.) II1, (S.) 81-98 Rücksicht genommen ist.
42 LOGIK
Sätze kommen, die in dieses Gebiet gehören. Da man das Gebiet aber
nicht selbständig abgrenzte, sondern in Wahrheit immer die Metho-
denlehre aufbaute, so war die Behauptung, dass die Logik es init den
bloßen Formen zu tun habe und von aller Materie, d.h. von aller nähe-
ren Bestimmung der Termini abzusehen habe, verkehrt; und erst recht
verkehrt war es zu reden von Formen des Denkens, der Erkenntnis
u.dgl., von Urteilsformen, Vorstellungsformen, als ob diese Formen
die psychischen Betätigungen beträfen und die Schlussgesetze also
Gesetze psychischer Betätigungen ausdrückten. Die Formen, die hier
in Frage kommen, sind offenbar Formen von Gegenständen, Begriffen
und Sätzen, und formale Gesetze sind Gesetze, welche in der Weise
allgemein sind, dass sie für beliebige Gegenstände, Begriffe oder Sätze
gültig sind. Indem man aber diese einfache Sachlage verkannte, das
Objektive vom Subjektiven nicht zu scheiden wusste, geriet man in
die absonderlichsten psychologischen und metaphysischen Irrwege;
man hypostasierte die Vernunft als ein Vermögen, das dem konkreten
Material die Formen aufprägt, und sah in den formalen Gesetzen
die lYpen für das uns unbewusste Verfahren dieses Vermögens, also
diesem angeborene Gesetzmäßigkeiten, womit man auch die letzte
Quelle der Rechtfertigung für alle Wahrheit gefunden zu haben glaub-
te. Doch es ist nicht nötig, darauf weiter einzugehen. Das Wenige
genügt, um die Bedeutung der Abscheidung einer rein objektiven
Schlusslehre von der Logik als Methodenlehre auch in diesem Punkt
zu verdeutlichen.
4) Schließlich erwähnte ich auch noch den Streit über den logi-
schen Charakter der Logik selbst, ob sie nämlich den Charakter einer
demonstrativen Wissenschaft habe wie die Mathematik (oder) den
Charakter einer empirischen Wissenschaft wie etwa die Psychologie
oder Physiologie. Wieder ist unsere Stellung ganz klar. Die Logik als
Methodenlehre, die im Hinblick auf die empirischen Erkenntnisfä-
higkeiten des Menschen diesen im Verfolg der Wahrheit möglichst
fördern will, ist selbstredend eine empirische Wissenschaft. Sie kann
sich den Menschen und seine Fähigkeiten (... )
(HAUPTfEIL)
dies oder jenes vor, wir machen eine Wahrnehmung oder Beobach-
tung, wir verallgemeinern singuläre Tatsachen und bilden Hypothe-
sen, wir beurteilen diese Hypothesen, wir bejahen oder verneinen, wir
halten für wahrscheinlich oder für unwahrscheinlich, wir verifizieren
und induzieren, wir ziehen deduktiv Konsequenzen durch Syllogis-
men usw. Jede dieser psychischen Betätigungen ist etwas Individuel-
les für sich, ist ein realer Zustand des psychischen Wesens, dem sie
zugehört. Sie besteht während der ihr zugemessenen Zeitdauer und
sinkt ins Nichts zurück, wenn sie abgelaufen ist; sie ist dann als das,
was sie ist, für alle Ewigkeit dahin. Es mag eine gleiche oder ähnliche
psychische Betätigung später wiederkehren, aber Gleichheit ist nicht
Identität.
Nun wiesen wir aber auf die Tatsache hin, dass verschiedene solche
Akte, gleichgültig ob Akte desselben Individuums oder verschiede-
ner Individuen, ob Akte desselben Zeitabschnitts oder verschiedener
Zeitabschnitte, ganz oder zum Teil einen identischen Gehalt haben,
etwas Identisches intendieren oder meinen können, und wir erkann-
ten, dass dieses Objektive nicht mit dem Akt selbst verwechselt und
auch nicht als ein reales Stück des Aktes angesehen werden kann.
Wir wollen diese Sätze näher erläutern. Wenn wir den Ausdruck "ein
Pferd" hören oder lesen, so ist das, was wir dabei vorstellen, offenbar
zu unterscheiden von unserer Vorstellung selbst. Während dieses Was
seinen Ausdruck eben findet durch das Wortepaar "ein Pferd", bedarf
es für den Ausdruck des psychischen Phänomens eines ganz ande-
ren Ausdrucks. l Wir müssten sagen: "meine gegenwärtige subjektive
Vorstellung von einem Pferd", und diese beiden Ausdrücke kann
man keineswegs miteinander vertauschen. Demgemäß ist es auch
grundverschieden, über Pferde etwas auszusagen und über meine
Vorstellungen und über Vorstellungen von Pferden überhaupt etwas
auszusagen. Gesetze über Pferde gehören in die Zoologie, Gesetze
über subjektive Vorstellungen in die Psychologie, Gesetze über ob-
jektive Vorstellungen in die Logik.
Wie steht es nun mit dem objektiven Gehalt der Vorstellung? Ist sie
etwa ein Stück des psychischen Aktes? Wenn ich jetzt den Ausdruck
"ein Pferd" lese und später den gleichen Ausdruck wieder lese, beide
1 Nein. Wenigstens die Anführungszeichen gehören mit. Das Was der Vorstellung kann
heißen: der objektive Gehalt. Und das wäre Vorstellung von einem Pferd oder Vorstellung
"ein Pferd", und im Gegensatz dazu subjektive Vorstellung "ein Pferd".
EINLEITUNG 45
Male mit Verständnis, dann habe ich zwei Ausdrücke, zwei Vorstel-
lungen, aber nicht zwei verschiedene Gehalte. Das eine und andere
Mal ist der Gehalt, das, was gemeint ist, identisch dasselbe. Identisch,
und nicht bloß gleich oder ähnlich! Psychologisch mag ja mancherlei
Verschiedenheit vorliegen, es mag die Vorstellung einmal von einem
lebendigen Anschauungsbild eines Pferdes begleitet sein, das andere
Mal nicht, es mag das eine Mal dieses, das andere Mal jenes von
den früher gesehenen Pferden mir einfallen u.dgl. Aber was mir da
auch beifallen mag, das trifft nicht die Bedeutung des Ausdrucks" ein
Pferd "; und habe ich andererseits die Bedeutung, dann ist sie immer
identisch dieselbe, in wie vielen und in wie verschieden ausgestatteten
Akten ich sie auch haben möge. Und dabei ist es auch gleich, ob es
sich um meine Akte handelt oder um Akte eines anderen, ob um
Akte, die wir alle gleichzeitig haben, oder um Akte, die in ganz ver-
schiedene Zeiten fallen. Verstehen wir all die Ausdrücke" Bismarck",
" der König der Belgier", ,,2 x 2 ist 4 ", " Satz von der Winkelsumme "
u.dgl., so meinen wir alle ein und dasselbe. Und was von einzelnen
solchen Ausdrücken gilt, das gilt von zusammengesetzten. Schillers
Werke mögen in hunderttausend Exemplaren vorliegen und mögen
von Hunderttausenden Menschen gelesen werden: haben nur die-
se Menschen alle dasselbe Verständnis, so liegt all den unzähligen
psychischen Phänomenen dasselbe Objektive zugrunde, die und die
Dichtungen, Abhandlungen usw. Dieses Objektive ist selbst nichts
Psychisches, wie schon daraus hervorgeht, dass es nicht einmal ein
Reales zu sein braucht. Der psychische Akt ist ein zeitlich bestimmtes
Reales, sein objektiver Gehalt hingegen braucht überhaupt nichts
von zeitlicher Bestimmtheit und Realität einzuschließen; er kann es
wohl.! Z.B. wenn ich von Bismarck spreche, so zielt die Bedeutung des
Wortes und somit der Gehalt meiner Vorstellung auf einen gewissen
realen und zeitlich bestimmten Gegenstand. Aber diese Realität ist
doch etwas ganz anderes als die Realität des Aktes, in dem sich
das psychische. Individuum auf den Gegenstand bezieht. Bismarcks
Realität ist nicht die Realität meines Denkens von Bismarck. Und das
Einwohnen der einen in der anderen ist nicht ein reales Verhältnis.
Bismarck ist nicht ein Stück der Realität, die ich mein Denken von
Bismarck nenne. Die intentionale Inexistenz, sagten schon die Scho-
! Hier ist wieder zu trennen die objektive Vorstellung und das Reale, das sie vorstellt. Die
objektive Vorstellung selbst ist nichts Reales, auch wenn sie Reales vorstellt.
LOGIK
! Das ist nicht klar. Es muss hier genauere und klarere Bestimmungen geben.
EINLEITUNG 47
wahr oder für falsch halten, für wahrscheinlich oder unwahrschein-
lich. Und wieder kann dasselbe sich dem einen als Schlusssatz eines
Syllogismus ergeben, dem anderen wieder als Vordersatz in einem
hypothetischen Satz dienen usw. Man bemerkt allerdings, dass die
Vorstellungsakte unter diesen mannigfachen Betätigungsformen eine
bevorzugte Stellung einnehmen, insofern der objektive Gehalt eines
jeden wie immer gearteten Aktes immer zugleich als Gehalt einer
gewissen Vorstellung dienen kann. Und die Psychologen sind sogar
meist der Ansicht, dass allen Akten, die nicht selbst Vorstellungen
sind, von vornherein Vorstellungen einwohnen; was wir hier nicht
näher zu erörtern brauchen.
Begriffs ist ein zeitliches Ereignis, aber nicht der Begriff selbst und
die Wahrheiten, die auf ihn gehen. Dass die Röntgenstrahlen durch
den Magneten keine Ablenkung erfahren, dass sie fluoreszierende
Substanzen in Erregungszustände versetzen, dass sie durch Messing
in geringem (Maße), durch Papier, Holz und Muskelsubstanz leicht
durchgehen usw., das sind lauter Wahrheiten, die uns Röntgen gelehrt
hat, aber nicht sind sie erst durch ihn zu Wahrheiten geworden; und
sie sind, was sie sind, ob es Menschen je gegeben hätte, die sie erkannt
hätten, oder nicht. Und was von den Wahrheiten, gilt natürlich auch
von dem objektiven Material, aus dem Wahrheiten bestehen, von den
Begriffen und Sätzen, überhaupt von den objektiven Vorstellungen,
die hier auftreten. All das muss man sich ein für allemal klarmachen,
damit die Ausdrücke, die unserer ganzen Terminologie entsprechend
subjektivistisch klingen, doch nicht subjektivistisch verstanden wer-
den.
drücke bezeichnet man doch nicht als Sätze; es sind im weitesten Sin-
ne des Wortes N amen. Und wie die Ausdrucksweisen grammatisch
unterschieden werden, so unterscheiden wir die zugrunde liegenden
Gedanken auch objektiv. Es ist offenbar ein ganz markanter Unter-
schied. Im einen Fall betreffen die objektiven Gedanken in gewissem
Sinne des Wortes Gegenstände, im anderen Fall nicht Gegenstände,
sondern Sachverhalte. Bei letzteren Gedanken, denjenigen, die auf
Sachverhalte gerichtet sind, verwendet man öfter auch den Ausdruck
"Satz", ohne den grammatischen Ausdruck zu meinen. Wer vom
pythagoreischen Lehrsatz spricht oder, um auch Nicht-Wahrheiten
heranzuziehen, vom falschen Satz, dass die Luft einen Horror vor dem
leeren Raum hat (horror vacui) oder dass bei der Verbrennung ein
feiner Stoff Phlogiston entweicht u.dgl., so meint man ja nicht einen
so und so geformten grammatischen Ausdruck. Die Sätze in dem hier
fraglichen Sinn bleiben dieselben, ob sie französisch oder deutsch
ausgesprochen sind, aber die grammatischen Sätze natürlich nicht.
Man gebraucht hier also für den ganzen objektiven Satzgedanken
den Namen Satz.
Sätze in diesem Sinn, logische Sätze im Gegensatz zu grammati-
schen Sätzen und zugleich zu subjektiven Vorstellungen von Sätzen,
bilden nun eine vollkommen charakteristisch ausscheidbare Gruppe
von objektiven Vorstellungen. Und die andere Gruppe bilden die
Gegenstandsvorstellungen, in Bezug auf welche manchmal der Aus-
druck " Begriff", und zwar in einem sehr extendierten Sinn verwendet
wird. Insbesondere gilt dies von den Herbartianern, die in gleicher
Weise die Bedeutung der Ausdrücke" Sokrates ", "ein Viereck", "ein
Mann, welcher den Ernst des Lebens erfasst hat" u.dgl. als Begriffe
bezeichnen, während andere freilich die Bedeutung von Eigennamen
nicht als Begriffe gelten lassen würden, den Terminus also in einem
viel engeren Sinn verwenden. Indem ich von Gegenstandsvorstellung
spreche, habe ich den Ausdruck "Gegenstand" in einem einzelnen
Sinn gebraucht; denn auch dieser Terminus wird in vielfachem Sinn
gebraucht, wie überhaupt der Fluch der philosophischen Terminolo-
gie die Äquivokation ist. In weiterem Sinne des Wortes entspricht
jeder Vorstellung ein Gegenstand, also auch der Satzvorstellung. Der
Sachverhalt, den der Satz vorstellt, wäre also der Gegenstand. Aber
in einem engeren Sinn würden wir den Sachverhalt, dass das Theater
gegenüber unserer Universität liegt, nicht einen Gegenstand nennen,
während in diesem engeren Sinn das Theater, die Universität wohl
52 LOGIK
Gegenstände sind. In diesem engeren Sinn ist ein rundes Viereck ein
Gegenstand (obschon natürlich ein nicht existierender), aber nicht
der Sachverhalt, dass ein Viereck rund ist (der wieder absichtlich als
absurder gewählt ist).
Ich habe die primitive und fundamentale Scheidung, die hier vor-
liegt, bloß durch Beispiele erläutert. Sie werden vielleicht erwarten,
dass ich ihnen scharf fixierte Definitionen nachfolgen lasse. Indessen
werde ich darauf aus guten Gründen Verzicht leisten müssen. In der
Tat hört doch bei den allerprirnitivsten Begriffen eo ipso das Defi-
nieren auf. Jedes Definieren führt die Bedeutung eines zusammen-
gesetzten Ausdrucks auf die Bedeutung gewisser einfacherer zurück,
und dementsprechend wird der zusammengesetzte Begriff definiert,
indem man seine einfacheren Bestandteile angibt. Aber das geht doch
nur so lange, als wir eben mit komplizierten Begriffen zu tun (haben).
Wo ein neues Gedankenelement in unzerlegbarer Weise auftritt, da
kann man es nur aufweisen, nur an Beispielen deutlich machen. Wie
ich den Unterschied zwischen objektiver Vorstellung und objektiver
Wahrheit nur aufgewiesen und nicht im gewöhnlichen Sinne des Wor-
tes definiert habe, so konnte ich auch hier nicht mehr tun.
Man hat sich zwar einige Mühe gegeben, definitorische Merkmale
für die fragliche Unterscheidung zu gewinnen. Man hat z.B. gesagt:
Alles, was im eigentlichen Sinn entweder als wahr oder falsch bezeich-
net werden kann, ist ein Satz; alles, was als Subjekt eines Satzes stehen
kann, heißt Begriff (im weitesten Sinn). Oder auch: Jede Vorstellung,
deren Gegenstand als existierend oder nichtexistierend, nicht aber als
wahr und falsch bezeichnet werden kann, heißt ein Begriff.
Indessen scheinen mir derartige Bestimmungen wenig zu leisten.
Man spricht von Wahrem und Falschem auch da, wo keine Sätze
vorliegen. Man nennt die Vorstellung eines runden Vierecks eine
falsche Vorstellung, die Vorstellung vom ersten deutschen Kaiser eine
wahre. Die Vertreter der erwähnten Definitionen sagen nun: Hier liegt
eine uneigentliehe Redeweise vor. Im eigentlichen Sinn ist es der Satz
"Es gibt ein rundes Viereck", welcher falsch ist, und der Satz, dass
es einen ersten deutschen Kaiser gibt, welcher wahr ist. Aber wir
werden sehen, dass diese Auffassung sich nicht gut durchführen lässt
und dass auch bei Nichtsätzen das Reden von Wahrheit und Falsch-
heit einen guten Sinn haben kann. Allerdings verwenden wir diese
Prädikate mit Vorliebe in Bezug auf Sätze, oder genauer noch: auf
Sachverhalte, wie wir die Prädikate existierend und nichtexistierend
EINLEITUNG 53
1 Ist es nicht besser, wie Bolzano Bedeutung = objektive Vorstellung zu setzen, und nicht
Bedeutung + Gegenstand? Die Bedeutung existiert immer, der Gegenstand nicht. Aber vgl.
das Spätere Ober die wechselnde Beziehung der allgemeinen Prädikate auf diesen oder jenen
Gegenstand. Die Bedeutung bleibt ungeändert, die gegenständliche Beziehung, und damit die
ganze Vorstellung, ändert sich. Und so wird man wohl dabei bleiben, die objektive Vorstellung
von der Bedeutung zu sondern. Doch ist das zwingend?
56 LOGIK
• Vgl. John Stuart MiII, System der deduktiven und induktiven Logik, übs. von Theodor
Gomperz, Leipzig 1872, Bd. I, Erstes Buch, Kap. 11, § 2.
! Also primär ist die Einteilung der Gegenstände in einfache und zusammengesetzte. u.a.
sind Bedeutungen Gegenstände, also können sie einfach und zusammengesetzt sein. Ebenso
Sätze.
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 57
1 Nicht Beschaffenheit.
60 LOGIK
Haus (als) kleiner bezeichnen als die Kirche, so gilt das Gesagte doch
nicht von der Beschaffenheit" kleiner sein als die Kirche", die nichts
dem Haus Innewohnendes, als Bestandstück desselben zu Fassendes,
aber doch ihm Zukommendes ist. Beschränken wir also das Inhärieren
auf dieses nicht weiter zu beschreibende Einwohnen, wie es in den
Verhältnissen von Gegenstand und Farbe, Form u.dgl. zu erfassen
ist, so gewinnt auch der Begriff des Abstraktum einen prägnanten
Gehalt. Der Gegenstand, dem das Abstraktum innewohnt, ist dann
das Konkretum. Von diesem Begriffspaar ist dann zu trennen das neue
Begriffspaar Beschaffenheit und Träger oder Subjekt der Beschaffen-
heit. Dem letzteren Paar entspricht das Verhältnis des Zukommens
oder das prädikative Verhältnis.
bestimmte Beziehung zum Begriff, zu dieser Beschaffenheit selbst hergestellt, welche ebenfalls
Inhärenz genannt zu werden pflegt. Aber das ist eine Übertragung! Der Begriff inhäriert nicht
im Gegenstand. Im anderen Fall ist das der Beschaffenheit umnittelbar zugehörige Fundament
nicht ein (im eigentlichen Sinn) Inhärierendes, sondern sozusagen Adhärierendes in der Weise
einer relativen Bestimmung. Das heißt, A hat nicht Bo, sondern A ist selbst Teil eines Sachver-
halts, in dem Bo als unselbständiges Moment auftritt, welches A mit als Grundlage hat. Subjekt
einer Beschaffenheit ist immer der Gegenstand, nicht sein Abstraktum. Dieses individuelle Rot
hat nicht die Beschaffenheit, rot zu sein! Es ist ein Fall von Rot, aber nicht ein Rotseiendes,
nicht ein Rotes, aber ein Rot. Das wiederholt sich im Verhältnis zwischen Rot und Farbe.
1 Missverständnis! Dem Abstraktum im echten Sinn entspricht die zugehörige Spezies (Röte).
.. G hat Röte" = .. G ist rot". Und im anderen Sinn: .. Es hat ein individuelles Rot." Im zweiten
Ausdruck ist die Unselbständigkeit angedeutet, im ersten das zugrunde liegende Teilverhältnis.
Da tritt aber eine Verwicklung ein: ..G hat die Eigenschaft, Röte zu haben oder rot zu sein", .. G
ist etwas, das rot ist, dem Rotsein zukommt", in infinitum. Hier ist also das Verhältnis zwischen
G und der Beschaffenheit Röte in der Weise gewöhnlicher Verhältnisse prädikativ zerlegt,
wodurch das neue Prädikat, die neue Beschaffenheit .. Röte haben", .. rot sein", entspringt. Und
so in infinitum. All diese Reflexionsprädikate sind äquivalent. Zu jeder Relation A <p B gehört
ein grammatisches Prädikat <p B, so auch zur Relation .. A hat B". Diesem Prädikat entspricht
eine neue relative Beschaffenheit: .. rechts von B sein", .. B haben".
62 LOGIK
1 Begriffe von selbständigen oder unselbständigen Teilen des SUbjekts sind innere Beschaffen-
heiten. Hierbei denken wir sie als einem Subjekte zukommend. Sonst sprechen wir schlechthin
von Gattungsbegriffen.
2 Vielleicht muss man innere und äußere Abstrakta unterscheiden. Innere Abstrakta, unselb-
ständige Momente des Gegenstands, äußere unselbständige Momente des Sachverhalts, in den
der Gegenstand eingewoben ist": "rot", "größer als B".
LOGIK
1 (Das ist doch die Kreisgestalt.) Die Kreisgestalt ist doch wie jeder abstrakte Begriff eine
Beschaffenheit, es sei denn, dass wir (zu) dieser Beschaffenheit den Begriff des Zukommens
hinzunehmen. Dann ist Röte als Spezies keine Beschaffenheit.
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE
§ I I. Begriffdes Begriffs
Alle diese Wendungen macht nun auch ein anderer Terminus mit,
der in aller Logik eine große Rolle spielt, ohne je scharf definiert
zu werden: Ich meine den Terminus Begriff. Wir hörten, dass er von
Herbart und seiner Schule in so extendiertem Sinne verwendet wur-
de, dass er alle objektiven Gegenstandsvorstellungen umfasst, selbst
Individqalvorstellungen wie Sokrates. Herbart empfand eben das Be-
dürfnis nach einem Terminus, der möglichst von subjektivistischer
Färbung frei ist. Das ist beim Terminus Begriff der Fall, und so wählte
er ihn als Klassenterminus. Aber in der traditionellen Logik und
außerhalb der herbartschen Schule ist die Bedeutung desselben eine
unvergleichlich engere, aber leider nicht scharf abgegrenzte. Sehen wir
näher zu, so finden wir bald, dass die verschiedenen Verwendungswei-
sen zusammenhängen und alle auf die Übertragungen hinauslaufen,
die wir soeben beim Terminus Prädikat und Beschaffenheit kennen
gelernt haben. Man sagt z.ll.: In dem kategorischen Satz "Sokrates
ist weise" steckt als Subjekt ein Gegenstand, als Prädikat ein Begriff.
Man spricht aber auch vom Begriff des Weiseseins, der Weisheit. Das
Schädliche der Äquivokation verschwindet, sowie wir die Sachlage
66 LOGIK
eck, so kommt es ihm zu, rot zu sein und viereckig zu sein. Aber
der Gegenstand ist doch nicht eine Beschaffenheit, in der diese Be-
schaffenheiten als Teile enthalten wären. Und umgekehrt sind die
einzelnen Beschaffenheiten, die dem Gegenstand zukommen, nicht
Beschaffenheiten, die seinem Begriff oder seiner Gesamtbeschaffen-
heit zukommen. Der Begriff des roten Vierecks ist nicht rot und nicht
viereckig, er enthält nur die Teilbegriffe Rot und Viereckig. Wir müs-
sen also durchaus scheiden: Merkmalbegriffe, aus denen ein Begriff
sich zusammensetzt, und Merkmale des Begriffs, d.h. Merkmale, die
ihm zukommen. Unter Merkmalen verstehen wir Teilbegriffe eines
Begriffs, die Beschaffenheiten sind, welche seinen Gegenständen zu-
kommen, nicht aber Beschaffenheiten, die dem Begriff zukommen.
Folglich dürfen wir nicht zugleich sagen: "Merkmal des Begriffs" und
"Merkmal des Gegenstandes", als ob der Genitiv dasselbe bedeu-
tet. Akzeptieren wir die Rede von Merkmalen des Gegenstandes,
so müssen wir dann statt von Merkmalen des Begriffs vielmehr von
Merkmalen sprechen, die durch Teilbegriffe des Begriffs vorgestellt
werden, resp. von Merkmalbegriffen, aus denen der Begriff sich kon-
stituiert.
Offenbar ist die Redeweise von Merkmalen des Begriffs, wo nicht
Beschaffenheiten desselben gemeint sind, eine leichter aufzugebende
als die Redeweise von Merkmalen des Gegenstandes im Sinne von
Beschaffenheiten desselben. Und danach wollen wir uns richten. Am
besten wäre es schließlich, den Terminus möglichst zu vermeiden.
Nichts hat zu dem Irrtum, als ob die Gegenstände aus bloßen Begriffen
zusammengesetzt wären, mehr beigetragen als die eben besprochene
Äquivokation des Ausdrucks "Merkmal von etwas". Man hat völ-
lig übersehen, dass es etwas total Verschiedenes ist, einem Begriff
Eigenschaften zuzuschreiben und einem Gegenstand Eigenschaften
zuzuschreiben, so dass es nichts weniger als zusammenfällt, von Ei-
genschaften des Begriffs und Eigenschaften seiner Gegenstände zu
sprechen. l
Wir haben soeben von Teilbegriffen und Teilbeschaffenheiten ge-
sprochen. Dies bedarf noch einer Erläuterung. Sind rot, rund, schwer
... irgendwelche einzelne Prädikate, so lassen sie sich immer zu einem
1 Gestrichen Und wieder hat man übersehen, dass Begriffe eben Prädikate sind, während
Gegenstände durchaus nicht Prädikate sind, so dass es absurd ist, einen Gegenstand des Begriffs
rotes Viereck als Kompositum der Begriffe Rot und Viereck zusammensetzen zu wollen.
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE
vereinigten Prädikat verbinden: rot und rund, rot und schwer usw.
Zwar ist die Prädizierung nicht eine doppelte, wenn ich einen Ge-
genstand rot und rund nenne. In einem ScWage sozusagen empfängt
er das vereinigte Prädikat, aber die Teile desselben sind so, dass sie
dem Gegenstand auch für sich zukommen und dass sie überhaupt als
Prädikate in Sachverhalten fungieren können; und das allein gehört
zum Gehalt des Begriffs Begriff. Hier können wir also sagen, der
vereinigte Begriff enthalte explicite die Teilbegriffe Schwer, Rund
usw. Betrachten wir nun die zugehörige einheitliche Beschaffenheit,
so können wir von ihr nicht sagen, sie enthalte explicite die entspre-
chenden Einzelbeschaffenheiten. Die einheitliche Eigenschaft, rot
und rund zu sein, enthält die beiden Begriffe Rot und Rund, aber nicht
die zwei Beschaffenheiten, rot zu sein und rund zu sein, ich meine
explicite als gesondert auftretende Bestandteile. Aber diese beiden
Beschaffenheiten hängen so nah mit der ursprünglichen zusammen,
dass wir von selbst darauf kommen, diese als ihre Verknüpfung zu
bezeichnen. Jeder Gegenstand, der die Beschaffenheiten hat, rot zu
sein und rund zu sein, hat auch die Beschaffenheit, rot und rund
zu sein, und umgekehrt. Und darum nennen wir die Beschaffenhei-
ten ebenso zusammengesetzt wie die ihnen entsprechenden Begrif-
fe.
Im Übrigen sind die Begriffe nicht immer so aneinander gebun-
den wie in diesen Beispielen, also nach Art einer Summe, in der
die Glieder miteinander willkürlich vertauscht werden können. Ver-
bindungen von Prädikaten, die diese Form haben, heißen konjunk-
tive Verbindungen. Aber es gibt auch andere Verbindungen. Schon
wenn wir sagen: "rot und viereckig", andererseits: "ein rotes Vier-
eck", merken wir einen Unterschied. Im letzteren Fall ist" Viereck"
als Hauptbestandteil bevorzugt: ein rotes Viereck, das ist ein Vier-
eck, welches rot ist. Eine Vorstellung bildet hier das Fundament für
die andere, während im anderen Beispiel die beiden Begriffe Rot
und Viereckig nebeneinander geordnet sind. Eine solche Verbindung
heißt eine determinative. Bei beiden Verknüpfungsarten gilt es aber,
dass die Teilbegriffe Prädikate vorstellen, die den Gegenständen des
komponierten Begriffs zukommen. Dies gilt offenbar nicht bei allen
Zusammensetzungsarten. Wenn wir das komponierte Prädikat "rot
oder blau" nennen, so ist der Gegenstand, den wir rot oder blau
nennen, nicht rot und blau. In diesem Fall würde man auch nicht
"rot und blau" als Merkmal des Begriffs "rot oder blau" bezeichnen.
70 LOGIK
wir im einen Fall von einem Umfang, im anderen nicht. Was ist es nun,
was gemeint ist? Ein Prädikat kommt einem Subjekt zu; bei einem
Individuum kann ich nicht sagen, es komme irgendeinem Subjekt zu.
Und nur in diesem Unterschied müssen wir die Quelle des Begriffs
Umfang suchen. In der Tat sind a, b, c ... irgendwelche Gegenstände,
denen es in Wahrheit zukommt, rot zu sein, derart also, dass die Sätze
gelten: "a ist rot", "b ist rot" usf. So gehören alle diese Gegenstände
zum Umkreis der Gegenstände überhaupt, von denen ich in Wahrheit
aussagen kann, dass sie rot seien. Alle diese Gegenstände sind durch
ihre Beziehung zum Begriff Rot, dessen "Begriffsgegenstand" sie
sind, in gewisser Weise zusammengebunden. Und so kann man sie zu
einer Einheit zusammengefasst denken, d.h. man kann die objektive
Vorstellung bilden von der Gesamtheit der einzelnen Gegenstände,
denen es wahrhaft zukommt, rot zu sein, und kann diese Gesamtheit
den Umfang des Begriffs Rot nennen. Der Begriff Rot, also das Prä-
dikat Rot, ist nicht etwa eine Vorstellung, die alle diese Gegenstände
vorstellt. Das Prädikat Rot ist nicht eine Vorstellung, sondern Gegen-
stand einer Vorstellung, nämlich der Prädikatvorstellung. Auch die
entsprechende Attributivvorstellung "ein Rotes" stellt nicht alle diese
Gegenstände vor; was diese vorstellt, ist vielmehr ein unbestimmter
Gegenstand, welcher rot ist, also ein unbestimmter, aus dem Umfang
herausgegriffener Gegenstand. Durch weitere Determinationen kann
zwar aus dieser Attributivvorstellung eine andere hergeleitet werden,
die dem oder jenem bestimmten Gegenstand des Umfangs ausschließ-
lich zukommt, und die Determinationen können so gewählt werden,
dass ein jedes Glied des Umfangs dabei resultiert. Aber an und für
sich können wir doch von keinem bestimmten Gegenstand, der rot
ist, behaupten, dass er durch die Vorstellung "ein Rotes" vorgestellt
wird. Täuschend ist hier nur die Redeweise, vermöge deren wir jeder
Röte eben das Prädikat geben können, es sei ein Rotes. Aber hier steht
nicht als Prädikat die unbestimmte Attributivvorstellung, sondern der
gleiche sprachliche Ausdruck verhüllt hier das einfache Prädikat Rot.
"Dieses ist ein Rotes" und "Dieses ist rot", das ist nicht wesentlich
verschieden. Wollen wir eine Verschiedenheit annehmen, so könnte
es nur die sein, dass der erstere Ausdruck meine: "Dies ist identisch
mit etwas, das rot ist", in welchem Fall" etwas, das rot ist" oder "ein
Rotes" nicht das ganze Prädikat wäre. Also müssen wir uns klar vor
Augen halten: Wenn wir einem Begriff einen Umfang zuweisen, so
meint der Umfang nicht einen Inbegriff von Gegenständen, den der
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 73
eine Mauer gemein haben, so ist die Mauer doch keine Allgemeinvor-
stellung, (kein) Begriff. Und umgekehrt gibt es doch wieder Begriffe,
die apriori nur einem Gegenstand zukommen können, wie wenn
wir vom" weisesten Menschen" sprechen. Hier wird nichts mehreren
Gegenständen Gemeinsames vorgestellt. Sollten wir diese Vorstellun-
gen nun grundsätzlich abtrennen von den übrigen Begriffen und sie
etwa mit den Individualvorstellungen in eine Klasse bringen? Hieße
das nicht Zusammengehöriges auseinander reißen und Heterogenes
zusammenwerfen?
! Das genügt nicht, denn Begriffe selbst gehörten hierher, und Begriffe werden nicht ange-
schaut. Es müssen Individualvorstellungen sein.
• Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, A '9.
2 Kant versteht das "mittelbar" aber ganz anders als ich hier. Vgl. richtig Bolzano, (Wissen-
schaftslehre, Bd. I, § 75): Mittelbar: Mittels Anschauungen bezieht sich der Begriff auf Dinge.
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 77
Reduziert sich der Umfang auf ein Einziges, dann ist mit dieser Be-
ziehung eo ipso die Vorstellung gegeben. Denn was dann vorgestellt
ist als Gegenstand, ist identisch mit diesem einzigen Begriffsgegen-
stand.! Aber in dieser Sachlage finden wir eben eine Vermittlung,
die bei nichtattributiven Vorstellungen fehlt. Die letzteren stellen
ihren Gegenstand vor als das, was er ist, in seiner eigenen Bestimmt-
heit; so Z.B. die Vorstellungen" Bismarck", "Röte", "Gerechtigkeit"
u.dgl. Eine unbestimmt attributive Vorstellung hingegen stellt zu-
nächst einen unbestimmten Gegenstand vor, aber sie stellt ihn vor
als Träger dieser oder jener Prädikate. Erst dadurch aber, dass die
Wahrheit hinzutritt, dass ein so Determiniertes existiert, und nur ein
Einziges mit solchen Determinationen existiert oder existieren kann,
erscheint die Unbestimmtheit mittelbar gehoben. Die Vorstellung des
Staatsmannes, dem wir die Wiederaufrichtung des Deutschen Reichs
verdanken, stellt nicht den Bismarck direkt vor, sondern zunächst eine
unbestimmte Person mit den angegebenen Prädikaten. Aber begleitet
ist diese von der Wahrheit, dass es einen solchen, und nur einen gibt
und dass dieser eben Bismarck ist. Und so ist bei derartigen singulären
Vorstellungen die Unbestimmtheit mittelbar beseitigt. Bei ihnen kann
1 Gestrichen Aber obschon Identität besteht, ist doch der Gegenstand nicht als das, was er
ist, vorgestellt. Als das, was er ist, vorgestellt ist der Gegenstand nur in einer nichtattributiven
Vorstellung. Der Name Sokrates bezieht sich auf die bekannte Person selbst unmittelbar, die
Namen "der Weiseste der Athener", .. der Lehrer des Platon" mittelbar, denn die nächste
Bedeutung dieser Namen ist ein gewisser unbestimmter Gegenstand eines gegebenen Begriffs.
Und erst die Wahrheit, dass dieser Gegenstand nur einer sein kann, nämlich Sokrates, stellt
die Beziehung zu Sakrates her und macht, dass diese Vorstellungen auch Vorstellungen von
Sokrates sind. In der begrifflichen Vorstellung haben wir daher zweierlei: die Materie, d.i. der
begriffliche Gehalt, und die Sache, den Gegenstand. Bei einer nichtbegrifflichen Vorstellung
haben wir nur eins: den Gegenstand. Nicht als ob die Vorstellung hier mit dem Gegenstand
zusammenfiele, wir müssen auch hier beides trennen. Aber der objektive Gehalt der Vorstellung
ist, ab(ge}sehen davon, dass sie Vorstellung ist, erschöpft durch den Gegenstand. Im anderen Fall
aber ist der objektive Gehalt der Vorstellung hierdurch nicht erschöpft. Hier haben wir einen
gewissen begrifflichen Gehalt in Anknüpfung an das unbestimmte Subjekt Etwas, und erst die
Identitätsbeziehung zwischen dem Etwas und jenem bestimmten Gegenstand berechtigt zum
Ausspruch, dass auch diese Attributivvorstellung Vorstellung desselben Gegenstandes sei. In
Wahrheit also ist sie nicht eigentlich und unmittelbar Vorstellung desselben, sondern unmittelbar
ist sie die Vorstellung von etwas so und so Bestimmtem, das als so Bestimmtes identisch ist mit
dem Gegenstand Sokrates. .
Fragen wir, was die Vorstellung "Sirius" vorstellt, so ist es eben der Sirius, und mehr ist
nichts zu finden. Fragen wir, was die Vorstellung des hellsten aller Fixsterne vorstellt, so ist
zunächst auch nichts zu antworten als eben: ein(en} Stern, der heller als alle Fixsterne ist. Aber
es gilt zugleich, dass es einen, und nur einen solchen Stern gibt und dass dieser selbe identisch
ist mit Sirius. So haben wir hier eine indirekte Beziehung zum Sirius, und wir sagen, unsere
Vorstellung stelle ihn nur indirekt vor.
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 81
1 Man kann zweifeln, ob die Vorstellungen, die Eigennamen entsprechen, wirklich als direkte
anzusehen sind. Sokrates: die Person, welche ein großer Philosoph war, dann und dann geboren
usw., oder die Person, von der all das erzählt wird. Hier sind Existentialurteile eingeschlossen
neben Attributionen, aber so, dass keine bestimmte Definition gegeben ist. Der identische
Gegenstand mannigfaltiger und in bekannter Weise abgegrenzter Prädikate.
82 LOGIK
Die Gegenstände im engeren Sinn können aber nach dem, was wir
erörtert haben, sein entweder Vorstellungen oder Nichtvorstellun-
gen, ferner entweder absolute Subjekte von Beschaffenheiten oder
Beschaffenheiten selbst, und wieder entweder absolute Konkreta von
Abstraktis oder Abstrakta selbst. Denken wir nun all diese Absolut-
heiten vereinigt an demselben einzelnen Gegenstand, so gewinnen
wir den Begriff des Individuums; der logischen Substanz, könnten
wir sagen. Es ist also ein einzelner Gegenstand im engeren Sinne des
Wortes - aber nicht eine Vorstellung -, der zugleich ein absolutes
Konkretum und ein absolutes Subjekt ist. Wir haben hier eigentlich
eine Reihe von Negationen gehäuft: ein Einzelnes (also nicht eine
Vielheit), nicht Sachverhalt, nicht Abstraktum, nicht Beschaffenheit,
nicht Vorstellung. Z.B. ein Haus ist ein Einzelnes, es hat Abstrakta,
ist aber kein Abstraktum, es ist Subjekt von Beschaffenheiten, aber
nicht selbst Beschaffenheit, es ist Gegenstand einer Vorstellung, nicht
selbst Vorstellung. Ebenso sind diesem Begriff gemäß Sokrates, ein
Baum, ein Löwe usw. Individuen. Dagegen sind die Zahl 4, die Röte,
die Gerechtigkeit usw. keine Individuen, ebenso auch nicht die Vor-
stellungen" Sokrates", "ein Baum" usf. Zu einer weiteren Vertiefung
dieser Definition kämen wir wohl durch die Unterscheidung der Ge-
genstände in selbständige und unselbständige. Absolut selbständige
Gegenstände im engeren Sinn, welche nicht bloß Vorstellungen sind,
wären dann als Individuen zu definieren.
Haben wir den Begriff des Individuums gewonnen, so haben wir
auch den der Individualvorstellung; und Individualvorstellungen kön-
nen natürlich sein entweder direkte oder indirekte, wie etwa "Bis-
marck" und "der Alte von Friedrichsruh" u.dgl. Aber das erschöpft
noch nicht die Individualvorstellungen, denn dieselben können ja
auch ein unbestimmtes Individuum vorstellen als bloßen Gegenstand
eines nicht singulären Begriffs, wie z.B. die Vorstellungen "ein
Mensch", "ein Haus" u.dgl. es tun.
Nun sind wir hinreichend vorbereitet, um die rein begriffliche
Vorstellung definieren zu können. Eine rein begriffliche Vorstellung
nennen wir eine solche, in der keine direkte Individualvorstellung als
Bestandteil auftritt. Wir können hierbei unter begrifflichen Vorstel-
lungen in gleicher Weise Prädikatvorstellungen, Beschaffenheitsvor-
stellungen und Attributivvorstellungen befassen, übrigens bei jeder
im Besonderen das Prädikat" rein" anwenden. Z.B. "Gerechtigkeit"
ist eine reine Beschaffenheitsvorstellung, nicht aber "die Gerech-
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 85
§ 19. Inbegriffsvorstellung
Bei den bisherigen· Ausführungen haben wir uns hauptsächlich
auf Vorstellungen singulärer Gegenstände bezogen. Lassen wir diese
Beschränkung fallen, so kommen zunächst in Betracht die bestimm-
ten und unbestimmten Mehrheitsvorstellungen, wobei die Prädikate
"bestimmt" und "unbestimmt" sich ebenso gut auf Mehrheiten wie
auf die einzelnen Gegenstände in den Mehrheiten beziehen können.
Eine einzige Vorstellung kann mehrere, also nicht identische Ge-
genstände zusammen zu ihrem Gegenstand haben, so z.B. "Platon,
Aristoteles und Epikur". In diesem Beispiel sind die Gegenstände,
aus denen die Mehrheit sich komponiert, in selbständigen und di-
rekten Vorstellungen gegeben, und die ganze Mehrheitsvorstellung
ist eine zusammengesetzte Vorstellung, die eben diese einzelnen di-
rekten Vorstellungen als ablösbare Bestandteile in sich fasst. Man
muss sich hier davor hüten, die Aneinanderreihung dieser einzelnen
Vorstellungen mit der Vorstellung des Zusammen ihrer Gegenstände
zu verwechseln und demgemäß zu glauben, es wäre hier nicht ein e
Vorstellung gegeben, sondern eine bloße Vielheit. Die Vorstellungen
von Platon, Aristoteles usw., einzeln für sich genommen und etwa
bloß subjektiv zusammen gedacht, sind doch nicht die Einheit, die wir
meinen, sobald wir den zusammengesetzten sprachlichen Ausdruck
"Platon und Aristoteles und Epikur" äußern oder verstehen. Das
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE
" und" in diesem Ausdruck ist doch nicht ein bedeutungsloses Zei-
chen; es dient einer bestimmten Verknüpfungsweise, es macht aus den
einzelnen Vorstellungen eine einzige Vorstellung, deren Gegenstand
eben das Zusammen der Gegenstände Aristoteles etc. ist. Vorstellun-
gen der Art, wie sie durch unser Beispiel belegt werden, werden wir
Vorstellungen von Inbegriffen bestimmter gegebener Gegenstände
nennen. Ich füge gleich bei, dass wir die Verknüpfung von Gegen-
ständen zu Inbegriffen kollektive Verknüpfung nennen.
Inbegriffsvorstellungen können aber auch ganz unbestimmte Ob-
jekte oder bloß begrifflich bestimmte Objekte in einer kollektiven
Einheit zusammengefasst vorstellen, z.B. "Etwas und Etwas", "Etwas
und Etwas und Etwas". Wir könnten auch sagen: "Etwas und ein
damit nicht identisches Etwas" - denn das ist die gewöhnliche Mei-
nung, dass, was durch "und" verknüpft wird, eben nicht ein und
dasselbe sei -, oder auch: "ein A und ein B", "ein Pferd und ein
Löwe", "ein Baum und ein Baum", "eine Tanne, eine Föhre und
eine Lärche" u.dgl. Die Gegenstände solcher Vorstellungen sind In-
begriffe gewöhnlich unbestimmter Gegenstände oder Inbegriffe von
Gegenständen verschiedener oder gleicher Begriffe. Auch ihre Vor-
stellungen sind zusammengesetzte Vorstellungen, sofern sie als selb-
ständige Teilvorstellungen die einzelnen Attributivvorstellungen oder
unbestimmten Gegenstandsvorstellungen in sich fassen.
Bisher hatten wir lauter Beispiele durchgenommen, welche sich auf
direkte Mehrheitsvorstellungen bezogen. Die jeweilige Mehrheit, ob
sie bestimmte oder unbestimmte Gegenstände kollektiv verknüpft,
war selbst gegeben und durch die Vorstellung vorgestellt.
BEILAGE
griffen nicht bloß Bestimmtheiten verleihen, darin bestehend, dass den Einzelnen
in den singulären Inbegriffen für sich gewisse Beschaffenheiten zuerteilt werden,
sondern so, dass die Bestimmtheit alle einzeln, aber in gleicher Weise betrifft, aber
nicht als etwas das Einzelne für sich Angehendes, sondern Relationen.
sprechen. Doch hört man mehr von verschiedenen Arten von Ver-
hältnissen sprechen, ja, wenn man schlechtweg von verschiedenen
Verhältnissen spricht, meint man Unterschiede, welche eben die Form
betreffen. Auch hier ist die Art, die Form, ein Abstraktum, das dem
Ganzen anhaftet und in der Tat unselbständig ist, dass es ohne ir-
gendwelche Verhältnisglieder nicht denkbar wäre. Z.B. "a ist gleich
b", "ähnlich b" usf.: Die Wörter "gleich", "ähnlich" usw. drücken
die Besonderheit des Verhältnisses, die Art desselben aus. Aber es
sind synkategorematische Worte, sie bedürfen einer gewissen Ergän-
zung, um Ausdrücke einer ganzen Vorstellung zu sein. Wir müssen
sagen: "Gleichheit zwischen Etwas und Etwas" oder: "Verhältnis,
dass etwas gleich einem anderen ist" u.dgl. Bei Verhältnissen wie
bei Verknüpfungen spricht man in gleicher Weise von Einfachheit
und Zusammengesetztheit. Einfache Verhältnisse sind Verhältnisse,
die nicht Verknüpfungen mehrerer Verhältnisse sind. "a ist gleich
und größer als b" ist ein zusammengesetztes Verhältnis, aber auch
"a gleich b", wenn die Gleichheit auf die verschiedenen Beschaffen-
heiten bezogen ist. Das Verhältnis zerfällt hier in mehrere einfachere
oder wirklich einfache Verhältnisse. Auch spricht man von unmit-
telbaren und mittelbaren Verhältnissen. Die mittelbaren sind nach
dem Schema a - b - c zusammengesetzt. Bei Verknüpfungen geht die
Komplikation hauptsächlich in der Art vor sich, dass Verknüpfungs-
ergebnisse wieder Fundamente für neue Verknüpfungen sein können.
So in der Arithmetik: «axb)+c) e f, usf.!
1 Gestrichen Beziehungen und Verknüpfungen haben für die Wissenschaft eine ganz enonne
Bedeutung. Sie bilden die Substrate aller unserer Erkenntnis. Ich merke noch an, was hier in
Allgemeinheit verständlich ist, dass man unterscheiden kann gleichseitige und ungleichseitige
Verhältnisse und Verknüpfungen als solche, in denen man die Glieder vertauschen kann, und
wo nicht. Es bildet, sowie man über die alltäglichen Verknüpfungen hinausgeht, immer eine
wichtige Erweiterung der Erkenntnis, wo man eine solche Vertauschbarkeit feststellen kann.
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 93
bezeichne, und dass man sich diese Äquivokation nur darum nicht zum
Bewusstsein bringt, weil eben die vorhin erwähnte Gesetzmäßigkeit
besteht und hier überdies die Gedanken "Es liegt eine Gleichheit
zwischen a und b vor" und Z.B. "a ist mit b gleich" salva veritate
miteinander vertauscht werden können. Noch deutlicher wird die
Sache bei den Verhältnissen, die wir nachher als ungleichseitig be-
zeichnen werden, wie "a ist größer (als) b", "a ist intensiver wie
b" u.dgl. Hier genügt die Angabe "Es besteht ein Größenverhältnis,
ein Intensitätsverhältnis " nicht unserem vorherrschenden Interesse,
denn wir wissen dann noch nicht, ob a > b oder b < a. In den
koordinierten Verhältnissen ist die Stellung der Beziehungspunkte
nicht vertauschbar. Aber welche Stellung die richtige ist, das wissen
wir erst, wenn wir eins der Verhältnisse kennen; ohne prädikative
Gliederung kommen wir hier nicht zu voller Bestimmtheit. Daher
liegt uns besonders an den Verhältnissen, und die Ausdrücke Größen-
verhältnis, Intensitätsverhältnis repräsentieren je einen allgemeinen
Terminus für diese unbekannten Attributionen, während sie doch
hinweisen auf ein sprachlich für sich nicht ausgedrücktes Fundament,
auf eine all diese koordinierten Verknüpfungen begründende ein-
heitliche Verknüpfung. Wir dürfen es danach als richtig annehmen,
dass jedem Verhältnis eine gewisse Verknüpfung entspricht, welche
dieselben Glieder hat, aber sie doch nicht in der Form von Subjekt
und Attribut gegenüberstellt. Jedem Verhältnis, dies ist ein Gesetz,
entsprechen gewisse koordinierte Verhältnisse mit denselben Glie-
dern, aber in verschiedener Stellung, wobei die Form bald dieselbe
ist, bald eine verschiedene. Koordiniert sind: a = b, b = a; a > b, b < a.
Und jede Gruppe koordinierter Verhältnisse hat identisch dasselbe
"Fundament", d.h. ruht auf einer und derselben Verknüpfung. Eben
dies nennen wir die Beziehung, die identisch der abgeschlossenen
Mannigfaltigkeit koordinierter Verhältnisse entspricht. Die Benen-
nung freilich ist nicht ganz passend, denn Beziehung und Verhältnis
sind Ausdrücke, die gewöhnlich im selben Sinn verwendet werden.
Der beste Ausdruck wäre der schon von den Scholastikern gebrauchte
Jundamentum relationis. Jedes Verhältnis habe ein Fundament, eben
die von ihm verschiedene, aber mit ihm äquivalente Verknüpfung,
die nur nicht mit einem koordinierten Verhältnis verwechselt werden
darf. Leider ist in unserer Zeit der Ausdruck äquivok geworden. Die
neueren Forscher, indem sie die für die Relationstheorie so wichtige
Sachlage verkannten und Verhältnis mit Verknüpfung identifizierten,
96 LOGIK
• Vgl. James Mill, An Analysis al/he Phenomena al/he Human Mind, (vol. 11, London 1878,
S. 10, Anm.) .
•• Vgl. John Stuart Mill, Logik, Bd. I, Erstes Buch, Kap. 111, § 10.
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 97
jenen Inbegriff. Im letzteren Fall sprechen wir von einer bloßen Menge. Z.B. ein Geldhaufen ist
eine Menge von Geldstücken. Im Grunde unterscheidet sich also der Begriff der Menge und der
des Inbegriffs seinem objektiven Gehalt nach nicht, der Unterschied liegt nur in der subjektiven
Anweisung, die Verbindungsart als etwas Gleichgültiges anzusehen. Sprechen wir von einer
"Allee Bäume", so haben wir die Fonn der Anordnung mit im Auge, sprechen wir aber im
Hinblick auf dieselbe Allee von "dieser Menge von Bäumen", so wollen wir das Interesse
von der Anordnung und sonstigen Verbindungsfonnen ablenken und auf das bloße Zusammen
hinienken. Allerdings hat aber der Begriff der Menge noch gewisse Nebenbedeutungen, vor
allem die, dass die Glieder alle Gegenstände eines und desselben Begriffs A sind, und ferner
auch die, dass die Anzahl der Glieder eine relativ große ist. Man kann aber davon leicht absehen
und im gegebenen Fall, falls es nötig ist, diese Detenninationen hinzufügen. Objektiv reichen
wir also mit dem Begriff des Inbegriffs aus. Sollen, wie dies im praktischen Denkgebrauch Regel
ist, alle Glieder derselben Art A sein, so sprechen wir eben von einem Inbegriff der Art A oder
von einer Menge, einer Vielheit der Art A, was alles gleichbedeutende AusdrUcke sind.
102 LOGIK
form haben, sei es die Form "irgendeins und irgendeins " oder die
Form "irgendeins und eins und eins" usw. Diese Form bleibt unge-
ändert, wenn ich zwar jeden Apfel als etwas für sich und von jedem
anderen Unterschiedenes betrachte, aber davon absehe, dass es ein
Apfel ist. Wenn ich also unter dieser Bedingung in der Apfelvielheit
jeden Apfel, in der Birnenvielheit jede Birne unter Festhaltung ihrer
Einzelnheit und Unterschiedenheit als ein ganz beliebiges Objekt
vorstelle, ein beliebiges Etwas, dann fließen die beiden Vielheiten,
die der Äpfel und die der Birnen, ineinander über, es resultiert eine
Vorstellung der Form "eins und eins und ... und eins". "Ein Apfel
und ein Apfel" hat in diesem Sinne dieselbe Form wie "eine Birne
und eine Birne" oder "eine Birne und ein Mensch" u.dgl. Die Form
ist der Begriff" eins und eins" oder" zwei". Sie ist verschieden von der
neuen Form" eins und eins und eins usf. ", obschon alle diese Formen
wieder das gemeinsam haben, dass es Inbegriffsformen sind. So spaltet
sich der allgemeinste Begriff des Inbegriffs oder der Vielheit in eine
Reihe charakteristisch unterschiedener spezieller Formen, und das
sind die Zahlen oder Kardinalzahlen. Für den theoretischen Zweck
kommen aber eigentlich etwas inhaltsreichere Begriffe in Betracht,
nämlich die auf Vielheiten einer gewissen, im Übrigen nicht näher
bestimmten Art A bezüglichen Bildungen "ein A und ein A" usw.
In diesem Fall geht die völlig unbestimmte Einheit, das bloße Etwas,
über in die Einheit der Art A. Die Zählung hält sich also innerhalb des
Umfangs eines gewissen vorgegebenen Begriffs wie Apfel, Meter usf.
Da ein Apfel nicht eine Vielheit von Äpfeln, ein A nicht eine Vielheit
von A ist, so kann auch ein Apfel resp. ein A nicht als eine Anzahl
bezeichnet werden. Die erste Zahl in der Reihe der Zahlen ist zwei A.
Bilden wir aus zwei A definitorisch die neuen Zahlen zwei A und ein
A und bezeichnen sie als drei A, ebenso drei A und ein A (als) vier A
usw., so gewinnen wir die Reihe der so genannten natürlichen Zahlen
(einseitig unendlich). Damit ist aber nicht die Gesamtheit der Zahlen
überhaupt erschöpft. Denn wir können auch den Begriff der Anzahl
der Zahlen der natürlichen Zahlenreihe bilden, welcher, wie leicht zu
beweisen, nicht identisch sein kann mit irgendeiner Zahl dieser Reihe
selbst. Diese Anzahl hat merkwürdige Unterschiede gegenüber allen
natürlichen Zahlen. Von je zwei natürlichen Zahlen ist erweisbar,
dass keine ihrer Teilzahlen gleich ist der ganzen Zahl. Anders verhält
es sich mit der Anzahl aller natürlichen Zahlen. 1234 ... ; 1357 ...
Und so kann man in der Tat die zahlen einteilen in endliche und
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 103
unendliche Zahlen mittels der Definition: Endlich ist eine Zahl, wel-
che keine Teilzahl enthält, die gleich wäre der ganzen; unendlich im
gegenteiligen Fall. Man kann diese Unterscheidung natürlich schon
beim Begriff der Vielheit anbringen in folgender Form: Eine Vielheit
ist unendlich, wenn es möglich ist, mittels eines Teils ihrer Glieder eine
Vielheit zu bilden, die sich der ganzen Vielheit gegenseitig eindeutig
zuordnen lässt. An diese Definitionen knüpfen sich interessante Sätze,
wie z.B. der, dass jede endliche Zahl gleich sein muss einer, und nur
einer Zahl in der natürlichen Zahlenreihe, während dies von keiner
unendlichen gelten kann.
Noch eins muss betont werden. Die Begriffe Einheit und Ein-
fachheit dürfen nicht verwechselt werden. Unzählige Irrtümer in der
Metaphysik sind durch diese Verwechslung verschuldet worden. Was
als eins gezählt wird, kann ebenso gut ein Einfaches sein als ein
Zusainmengesetztes. Es kann z.B., was von einem Gesichtspunkt der
Zahlbildung als eins gilt, von einem anderen Gesichtspunkt aus eben-
so gut als Vielheit gelten. Ein Haufen von Äpfeln ist eine Vielheit von
Äpfeln. Zählen wir aber mehrere Haufen von Äpfeln, so ist der Haufe
eins; die Einheit hat sich eben geändert. Zuerst wurden Äpfel gezählt,
dann Haufen von Äpfeln. Dass solch ein Wechsel des Gesichtspunktes
möglich ist, ist selbstverständlich. Denn der Begriff der Einheit fällt
ja zusammen mit dem Begriff des Etwas oder dem des Etwas einer
gewissen Art A, und so gibt es nichts, was nicht als Einheit bezeichnet
werden kann. Immer wird man einen Begriff finden, unter den es fällt,
mindest den Begriff des Etwas.
An die begrifflichen Vorstellungen" ein A ", "viele A", "eine be-
stimmte Anzahl", ,,2, 3 ... A" reiht sich noch ein merkwürdiger und
wichtiger Begriff an: der Begriff der Allheit der A. Wir haben hier
die Vorstellung einer Vielheit von A, in welcher jedes A als Glied
auftritt, oder, wie wir mit Bolzano auch sagen können: Allheit der A,
das heißt ein Inbegriff, in dem jedes Glied ein A ist und jedes A ein
Glied ist.' Offenbar ist die Allheit der A identisch dasselbe wie das,
was man auch als "Klasse der A" oder als Umfang des Begriffs A
bezeichnet.
In der Lehre von den Sätzen werden wir einen zweifachen Ge-
brauch der Ausdrücke "viele A", "alle A" als bedeutsam finden,
den man als kollektiven und distributiven Gebrauch unterscheidet.
Wenn wir sagen: "Viele Menschen, alle Menschen bringen mehr zu-
stande als ein einzelner", so meinen wir viele oder alle Menschen
zusammengenommen. Hier supponiert das Wörtchen" viele" resp.
"alle" in kollektiver Bedeutung. Sagen wir aber: "Viele Menschen
sind energielos", "Alle Menschen streben nach Glück", so meinen
wir jeden einzelnen Menschen, und hier supponieren die sogenannten
Quantitätszeichen in distributivem Sinn.
Eine gewisse Distribution findet auch im ersten Fall statt, insofern
zu der Leistung, von der im ersten Beispiel die Rede ist, jeder Einzelne
aus einer Vielheit von Menschen beiträgt, aber es bezieht sich das
Prädikat nicht auf jeden einzelnen Menschen und seine Leistung,
während dies im zweiten Beispiel der Fall ist. Offenbar ist der ei-
gentliche Gedanke im ersten Beispiel der, dass die Gesamtheit der
Menschen oder eine umfassende Vielheit von Menschen, die sich
zu einer Arbeitsleistung vereinigt, mehr zustande bringt als ein ein-
zelner Mensch; und die Verbindung des Ausdrucks "alle resp. viele
Menschen" schafft eine ungehörige Äquivokation. Im eigentlichen
Sinn supponiert dieser Ausdruck in distributivem Sinn, und beseiti-
gen wir die Äquivokation, so bleibt der Unterschied übrig zwischen
den Paaren" Vielheit von A" und "viele A", "Allheit der A" und
"alle A ". "Viele A" ist dabei identisch mit "jedes aus einer Vielheit
von A "; "alle A" ist dabei identisch mit "jedes aus der Gesamtheit
der A ". Und wo immer die Ausdrücke im eigentlichen, d.i. distri-
butiven Sinn gebraucht werden, da müssen die gleichbedeutenden
dafür substituierbar sein. "Alle Menschen sind sterblich": "Jeder
aus der Gesamtheit der Menschen ist sterblich." Hier tritt nun in
der Zusammensetzung das merkwürdige Wörtchen "jeder" auf, und
überdies sagen wir, dass dieses allein genügen würde, dass überall,
wo wir in distributivem Sinn das Wörtchen "alle" gebrauchen, auch
"jeder" dafür gesetzt werden kann: "Alle Menschen sind sterblich"
= "Jeder Mensch ist sterblich". Und oft kann auch das Wörtchen
"ein" oder der Ausdruck "eins, beliebig welches" substituiert wer-
den: "Alle Dreiecke haben drei Winkel" = "Jedes Dreieck hat drei
Winkel" = "Ein Dreieck hat drei Winkel, ein beliebiges Dreieck,
gleichgültig welches". Die Frage ist, ob der objektive Gedankengehalt
identisch derselbe geblieben ist. Man könnte zweifeln, ob "jedes A "
eine Bedeutung hat, in der die Vorstellung von der Gesamtheit der
A expliziter Bestandteil ist. Sagen wir: "alle A", so stellen wir die
Allheit vor, wollen aber von jedem Glied derselben etwas aussa-
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 105
gen. Sagen wir: "jedes A", so scheint es nicht, dass wir die Allheit
explizit vorstellen. Es fragt sich aber, ob das nicht bloß subjektive
Unterschiede sind. Sagen wir bloß: " ein A" oder: " ein beliebiges A"
im Sinne unseres Beispiels, so ist der Gedanke subjektiv sicher ein
anderer: Wir stellen zunächst ein Einzelnes vor und fügen dann im
Denken bei, dass jedes beliebige Einzelne, das A ist, uns ebenso gut
dienen könnte, dass von ihm dasselbe gelten würde. Objektiv scheint
es aber, dass wir identisch denselben Gehalt vor Augen haben wie
beim Ausdruck "jedes A". Aber nicht bloß in diesen Beziehungen
besteht einiger Zweifel. Hervorragende Psychologen und Logiker,
zuallererst Brentano und Sigwart, lehren, dass Ausdrücke wie " alle
A" und "jedes A" bloß Synkategorematika sind, also einer selbständi-
gen Bedeutung ermangeln: Den Satz" Alle Menschen sind sterblich"
interpretiert die traditionelle Logik als einen affirmativen Satz. Das ist
falsch, sagen die erwähnten Forscher. "Jeder" oder "alle", das heißt
"keiner, der nicht": "kein Mensch, der nicht sterblich wäre". Die
Negation im "kein" gehört aber nicht zum Subjektbegriff Mensch,
sondern zur Kopula: "Ein Mensch, der nicht sterblich wäre, ist nicht. "
Ist diese Ansicht richtig, dann würde nur der Begriff der Allheit,
der Gesamtheit, eine selbständige Bedeutung haben, während die
sonstigen erwähnten Ausdrücke auf Bestandteile von Sachverhalten
synkategorematisch hindeuten und somit erst in der Lehre von den
Sätzen zu erörtern wären.
Zum Glück für die Logik sind diese Differenzen nicht von so
großer Bedeutung, wie Brentano gemeint hat. Denn begehen wir auch
einen Fehler damit, Unselbständiges für selbständig, psychologisch
Verschiedenes für logisch verschieden zu halten, so gleicht doch die
Äquival@nz der zugehörigen Satzformen den Fehler wieder aus oder
macht ihn wenigstens in seinen Wirkungen unschädlich.
Ähnliche Begriffsbildungen, wie wir sie in Bezug auf Vielheiten
gefunden haben, ergeben sich auch in Bezug auf Reihen. Haben
wir irgendeine, es sei der Einfachheit halber eine einseitig begrenzte
Reihe, so ist in Bezug auf das Randglied das nächstfolgende Glied
das in der Folge erste, das auf dieses folgende das zweite, das auf das
zweite folgende das dritte usw. Und so begründen denn überhaupt die
Begriffe des folgenden, des auf das folgende folgenden usw. Glieds
• Vgl. Christoph Sigwart, Logik. Zweite durchgesehene und erweiterte Aufl., Freiburg i. B.
1889, Bd. I, §27.
106 LOGIK
also ein negativer ist, während der Satz selbst affirmativ bleibt. Den
Satz "Sokrates ist nicht krank" nennen wir einen negativen, den Satz
"Sokrates ist gesund" einen affirmativen. Gesund bedeutet so viel wie
nicht-krank. Das Nichtkranksein wird von Sokrates bejaht, während
im ersteren Satz das Kranksein von Sokrates verneint wird. Beides
mag äquivalent sein, aber es ist gedanklich doch verschieden. Und
so kann es sich auch in Relativsätzen verhalten. Sie können negativ
sein oder affirmativ mit negativem Prädikat. Das Erstere gilt in der
Vorstellung "Sokrates, welcher den Giftbecher nicht fürchtete", das
Letztere in der Vorstellung "Sokrates, welcher unsterblich ist". Hier
ist der Begriff selbst verneinend, d.h. enthält die Negation in sich.
Offenbar gehört nun zu jedem Prädikat, also zu jedem Begriff, ein
verneinender: sterblich - unsterblich, vergänglich - unvergänglich,
grün - nichtgrün, Mensch - Nichtmensch usw. Und so gehört zu jeder
Attributivvorstellung eine solche mit negativem Attribut, in der also
der Begriff negativ ist, aber natürlich auch eine solche, wo der Be-
griff verneint ist, als dem Subjektträger nicht zukommend vorgestellt
ist. Sprachlich wird beides nur zu trennen sein, wo man den vollen
Relativsatz verwendet.
Im Übrigen ist es klar, dass die Negation in einer und derselben
Vorstellung vielfach auftreten kann; sie kann eben vielfache Attribu-
tionen einschließen, und innerhalb einer jeden kann negiert werden.
Überdies kann auch bei einer einzelnen Attribution die Negation eine
mehrfache sein. Dasselbe Prädikat kann ja eine beliebige Anzahl von
Negationen häufen: sterblich, nichtsterblich, nicht-nichtsterblich usw.
Aber nach einem später zu erwähnenden Grundgesetz kann jedes
solches Prädikat äquivalent ersetzt werden durch ein solches ohne
jede Negation, wenn die Anzahl der Negationen gerade ist (aequis),
während, wenn die Anzahl ungerade (ist), im Prädikat alle Negati-
onszeichen bis auf eins gestrichen werden dürfen.
Wenn man affirmative und negative Vorstellungen gegenüberstellt,
so meint man, wie ich noch hinzufügen muss, nicht den allgemei-
neren Unterschied von Vorstellungen, die Negationen einschließen,
und solchen, die es nicht tun, sondern Gegensätze der Form A und
non-A, also genauer, Paare von kontradiktorisch entgegengesetzten
Prädikaten oder ihnen entsprechenden unbestimmten Attributivvor-
stellungen: " Etwas, das A ist" und" Etwas, das nicht A ist" resp. ihnen
äquivalente Paare. Aber natürlich kann der besondere Unterschied
nicht gründlich erörtert werden ohne den allgemeineren. Zu beachten
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 109
ist noch, dass, wo negative Begriffe in der Sprache auftreten, ihr Sinn
in der Regel nicht in der vollen Negation liegt. " Unsterblich " meint
eigentlich nicht ein Prädikat von allem und jedem, das nicht sterblich
ist, wozu auch Dreieck, Schwefelsäure u.dgl. gehören würden, sondern
nur organische Wesen. Ein Unsterbliches ist also = ein organisches
Wesen, welches unsterblich ist, so dass die Verneinung innerhalb
eines gegebenen Begriffs sich hält, auf 'den die entsprechende Af-
firmation von vornherein beschränkt ist (1\vardowski)." Coupe für
Nichtraucher heißt nicht ein Coupe für Hunde, Katzen, WarenbaUen,
Dreiecke u.dgl. So, wie man unter Rauchern Menschen versteht, die
rauchen, so unter Nichtrauchern Menschen, die nicht rauchen. Die
gewöhnliche Bedeutung der "Infinitation" besteht also darin, dass
ein übergeordneter Begriff dichotomisch eingeteilt wird: Menschen
in Raucher und Nichtraucher, in Sterbliche und Unsterbliche usf.
Und mit Beziehung auf solch eine Einteilung des Begriffs B bedeutet
non-A ein B, welches nicht A ist. Für logische Zwecke muss natürlich,
was gemeint ist, auch unzweideutig ausgedrückt werden. Thn wir dies,
dann wird es zu keiner Verwechslung kommen zwischen Formen wie
"ein Nicht-A" und "ein B, das nicht A ist".
Historisch sei noch bemerkt, dass Aristoteles Vorstellungen je-
ner voll verneinenden Form non-Aals OVOllu'tU &.oQtcJ'tu, d.h. "un-
bestimmte Vorstellungen" bezeichnet hat:" Diese an sich unzweck-
mäßige Bezeichnung wurde dann ins Lateinische übersetzt durch con-
ceptus infiniti, woraus dann im Deutschen der ganz falsche Ausdruck
"unendliche Vorstellungen ", den man auch bei Kant findet, erwach-
sen ist. Die falsche Übersetzung hat dann zu sonderlich verkehrten
Grübeleien geführt, in denen man dem Adjektiv Unendlich einen
passenden Sinn zu geben versuchte.
Der große englische Philosoph Locke hat in seinem Essay be-
zweifelt, ob es verneinende Vorstellungen überhaupt gebe. Worte
wie "nichts", "Unwissenheit", "Unfruchtbarkeit" sollen nach ihm
nicht Vorstellungen, sondern den bloßen Mangel von Vorstellungen
bezeichnen:"" Locke begeht damit eine sonderbare Verwechslung.
Unfruchtbarkeit bezeichnet die Beschaffenheit von irgendetwas, die
darin besteht, dass ihm die Fruchtbarkeit mangelt. Dass eine ge-
" Vgl. Kasimir 1\vardowski, Zur Lehre vom Inha/t und Gegenstand der Vorstel/ungen, Wien
1894,S. 22.
"" Vgl. Bolzano, Wissenschafts/ehre, Bd. I, S. 420.
""" Vgl. 0.0.0., S. 418.
110 LOGIK
und "etwas, das rot ist" finden wir nicht den leisesten Unterschied.
Sowie aber Neues dazutritt, Z.B. "etwas, das rot und kreisförmig",
"etwas, was rot und dreieckig ist", ist auch der objektive Gehalt des
"etwas" ein anderer: Aus dem unbestimmten Gegenstand scWechthin
ist im ersten Fall ein unbestimmter Kreis, im zweiten ein unbestimmtes
Dreieck geworden. Und so verhält es sich mit begrifflichen Vorstel-
lungen überhaupt. Das Rot dieses Hauses und das Rot jenes Hauses
ist nicht identisch dasselbe, also (sind) die Vorstellungen auch nicht
identisch. Dagegen entspricht den Wörtern "Rot" und "Rot" in ihrer
Isolierung dieselbe Vorstellung. Es ist nur ein anderer Ausdruck dieser
Tatsache, wenn wir sagen: Abstrahieren wir bei zwei in Bezug auf die
Materie identischen begrifflichen Vorstellungen von dem sonstigen
Gedankenzusammenhang, in dem sie stehen, so fließen sie in eine
identische Vorstellung zusammen. Abstrahieren wir vom Zusammen-
hang nicht, so tritt eine gewisse Differenzierung ein, insofern die
an sich identischen Begriffe Beziehung gewinnen auf verschiedene
Gegenstände oder auf verschiedene Klassen von Gegenständen und
evtl. zu Vorstellungen ergänzt werden, die verschiedene Gegenstände
selbst vorstellen.
Danach ist die Behauptung Bolzanos, dass es bei objektiven Vor-
stellungen so etwas wie völlige Gleichheit nicht gebe; zu modifizieren
oder richtig zu interpretieren, ebenso wie die sonst auch oft wieder-
holte Behauptung, dass Begriffe nicht gleich, sondern identisch sind.
Richtig ist, dass das Wörtchen "rot", in welchem Zusammenhang es
immer erscheint, dieselbe Bedeutung hat, insofern als die vorgestellte
Materie dieselbe ist. Andererseits geht doch eine gewisse Modifikati-
on mit der Vorstellung vor je nach ihrer Beziehung auf das oder jenes
Individuum, diese oder jene Klasse. Sehen wir von dieser Modifikation
ab, dann gilt es natürlich, dass völlige Gleichheit in Bezug auf den
eigentlichen begrifflichen Gehalt nicht existiere, sondern dann nur
Identität. Nehmen wir die Modifikation aber mit auf, dann müsste bei
der Vergleichung auch die Beziehung auf Gegenstände in Betracht
gezogen werden, und völlig gleiche Vorstellungen seien identisch,
hieße bei begrifflichen Vorstellungen so viel wie, die Vorstellungen
hätten identisch dieselbe Konstitution und hätten identisch dieselbe
Beziehung auf Gegenstände. Hier ist in der Tat der objektive Gehalt
in jeder Hinsicht identisch.
Anmerkung. Ich will bei dieser Gelegenheit die beiden Begriffe Identität und
Gleichheit in ihrer Beziehung zueinander erörtern. Der Begriff der Identität ist einer
Analyse nicht zugänglich, er ist ein letztes und nicht weiter definierbares objektives
Element. Höchstens kann man zur Verständigung sagen, Identität komme einem
Gegenstand zu mit Beziehung auf verschiedene Begriffe, denen er untersteht, mit
Beziehung auf verschiedene Vorstellungen, die ihn vorstellen u.dgl. Offenbar ist
damit mehr der psychologische Ursprung des Begriffs angezeigt. In wiederholter
Vorstellung beziehen wir uns auf einen Gegenstand und erkennen ihn immer wieder
als denselben. Der Begriff der Identität ist aber überall vorausgesetzt bei derartigen
Charakteristiken. Der Begriffder Gleichheit ist hingegen nicht ein völlig einfacher, er
setzt den Begriff der Identität voraus. Wenn zwei oder mehrere (also nicht identische)
Gegenstände einem und demselben Begriff unterstehen, so heißen sie in Hinsicht auf
die zugehörige Gattung gleich. Zwei Gegenstände sind in Hinsicht auf die Form
(gleich), wenn sie beide Dreiecke sind oder Vierecke etc. Sie sind in Bezug auf die
Farbe gleich, wenn sie beide rot sind oder beide blau usw. Zwei Mengen sind in Bezug
auf die Anzahl gleich, wenn beide identisch dieselbe Anzahl haben.
Danach ist ersichtlich, dass zwei Gegenstände nicht in allen erdenklichen Hinsich-
ten gleich sein können, denn das hieße, dass sie unter alle erdenklichen Begriffe fallen,
also auch alle erdenklichen Beschaffenheiten gemein haben (Axiom). Dann aber wä-
ren sie identisch ein Gegenstand. Nicht identische Gegenstände müssen doch mindest
den Unterschied haben, dass ihre direkten Vorstellungen verschieden sind, dass also
der eine der Vorstellung A untersteht und der andere derselben nicht untersteht.
Alle Gleichheit, das Wort im prägnanten und objektiv logischen Sinn genommen,
ist also eine Art partieller Identität in Bezug auf die oder jene Beschaffenheiten,
und absolute Gleichheit ist ein bloßer Grenzbegriff, der mit Identität äquivalent ist.
Daher können wir im Allgemeinen nicht schlechthin sagen, zwei Gegenstände seien
einander gleich; wir müssen die Rücksicht hinzufügen, in welcher die Vergleichung
statthat. Wenn wir vergleichen, so haben wir die Gegenstände bereits als Gegenstände
eines gewissen Begriffs aufgefasst, und was wir weiter konstatieren wollen, ist, ob auch
der Artbegriff, unter dem sie stehen, derselbe ist. Wir vergleichen nicht Dreieck und
Pferd, sondern Pferd und Pferd oder Dreieck und Dreieck. Vergleichen wir Pferde,
so wollen wir wissen, ob sie gleichartig sind, ob sie von derselben Rasse, Farbe usw.
sind.
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 115
Das Gegenteil von Identität ist Nichtidentität, das von Gleichheit ist Ungleichheit.
Beide Gegenteile werden sprachlich oft mit dem einen Ausdruck .. Verschiedenheit"
bezeichnet, eine unliebsame Äquivokation. Und die Äquivokation wird noch kom-
plizierter dadurch, dass man für Verschiedenheit auch Unterschied sagt und dieser
letztere Ausdruck wieder gelegentlich für Abstand verwendet wird. Wo also von
Verschiedenheit oder Unterschied die Rede ist, muss immer darauf wohl geachtet
werden, ob bloß Nichtidentität, also bloß Sonderung in einer Mehrheit gemeint ist
oder ob es sich um das Resultat einer Vergleichung mehrerer Objekte handelt. Z.B.
was ich in der Vielheit als Einheit zähle, um die Anzahl zu gewinnen, muss von jedem
anderen Zählungsobjekt verschieden sein. Verschiedenheit meint hier offenbar bloß
Nichtidentität. Sagt man hingegen, um die Zahl zu bestimmen, abstrahiere man von
allem Unterschied, von aller Verschiedenheit der einzelnen Zählungsobjekte, so ist
offenbar Ungleichheit gemeint. Man kümmert sich (nicht) um die Beschaffenheiten,
die dem einen zukommen, dem anderen nicht, aber auch nicht (um) die Beschaffen-
heiten, die ihnen gemein sind, sondern nur darum, dass sie nicht identisch sind. Man
hält jedes als ein von jedem anderen identitätsverschiedenes Etwas fest.
stehen wir unter Umfang die Gesamtheit der Gegenstände, die dem
Begriff unterstehen, d.h. denen das betreffende Prädikat oder jedes
der betreffenden Prädikate, die den Begriff ausmachen, zukommt,
wobei wir dahingestellt lassen, ob solche Gegenstände wirklich exis-
tieren oder nicht. Der Umfang eines Begriffs ist ein gewisser Inbegriff,
und so lassen sich, wie Inbegriffe überhaupt, so auch Umfänge von
Begriffen vergleichen in Bezug auf ihre Quantität. Die entsprechende
Vergleichung der Begriffe, wollen wir sagen, erfolgt nach ihrer Weite.
Zweiter Gesichtspunkt der Vergleichung ist der in Bezug auf die
Gegenstände, die in die Umfänge hineingehören. Und dieser Ver-
gleichung entspricht ein wichtiges Verhältnis der Begriffe selbst, auf
dem diese Umfangsverhältnisse ruhen, wie wir gleich sehen werden.
• Vgl. Bolzano, a.a.O., 440 (bezieht sich allerdings nicht auf Kant, sondern auf KieseweUer).
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE II9
Ist jedes A ein B, dann kann es zugleich sein, dass jedes Bein
A ist, dass also wechselseitig jeder Gegenstand, der dem einen Be-
griff untersteht, auch dem zweiten untersteht. Es kann aber auch
sein, dass nicht jedes Bein A (ist). Ist weiter nicht jedes A B, so
kann es sein, dass dafür jedes B A ist. Oder es kann auch sein,
dass kein A B ist und somit auch kein B A. Und schließlich kann
es auch sein, dass keiner dieser Fälle statthat, indem bloß einige
Gegenstände von A Gegenstände von B und einige Gegenstände
von B Gegenstände von A sind. Man sieht leicht, dass die Zahl
dieser Möglichkeiten im Ganzen fünf ist. Diesen fünf Möglichkeiten
entsprechen nun offenbar fünf mögliche Verhältnisse der Umfänge
je zweier Begriffe. Entweder die Gesamtheit der Gegenstände von
A ist identisch derjenigen von B, oder es ist dies nicht der Fall.
Wenn das Letztere, so kann es sein, dass der eine Umfang ein bloßes
Stück des anderen Umfangs ist, was zwei Fälle ergibt, je nachdem
der Umfang von B Stück ist des Umfangs von A, oder umgekehrt.
Ein neuer Fall ist der, dass sich die Umfänge kreuzen, indem sie
beide bloß einen oder einige Gegenstände gemein haben. Ist auch
dies nicht der Fall, so haben die Umfänge gar keine Gegenstände
gemein, sie sind disjunkt. Wir haben also wieder fünf Verhältnisse,
und offenbar entspricht jedem Verhältnis zwischen den Umfängen je
eins jener Verhältnisse der Begriffe in Bezug auf ihre Gegenstände
als ein Äquivalentes, und umgekehrt. Die Aussage, dass die Begriffe
Bund A einen identischen Umfang haben, ist zwar nicht identisch,
aber offenbar äquivalent der Aussage, dass jeder Gegenstand von B
ein Gegenstand von A ist, und umgekehrt. Und entsprechend bei den
übrigen Verhältnissen. Infolge dieser Äquivalenz hat man, was zu
argen logischen Missverständnissen geführt hat, beiderlei Verhältnis-
se nicht unterschieden und schlechtweg von Umfangsverhältnissen
gesprochen und die Bezeichnungen auch den letzteren angepasst.
Umfänge sind Mengen, und bei je zwei Mengen gibt es ganz all-
gemein die fünf analogen Möglichkeiten, die durch die Ausdrücke
Deckung, Einschluss, Ausschluss, Kreuzung bezeichnet werden. Man
gebraucht nur vier Ausdrücke, weil der Fall des Einschlusses sich
in die Doppelheit spaltet, dass die Menge A in B oder umgekehrt
B in A eingeschlossen sein kann, das Einschlussverhältnis also ein"
ungleichseitiges ist, während die übrigen Verhältnisse, wie man sofort
sieht, gleichseitig sind. Beispiele sind wohl kaum nötig. In Bezug
auf den Umfang decken sich die Begriffe gleichseitiges Dreieck und
120 LOGIK
von der Ars cogitandi her und ist von da aus in unzählige logische Werke bis in
unser Jahrhundert hinein übergegangen: Dass er falsch ist, kann leicht eingesehen
werden.
Es gibt eine Art der Inhaltsbereicherung, die bei jedem Begriff vorgenommen
werden kann, ohne seinen Umfang zu ändern. Wir brauchen zu den konstitutiven
Merkmalen nur ein beliebiges konsekutives hinzuzufügen. Die Begriffe Kugel und
runde Kugel, Quadrat und Quadrat mit gleichen Diagonalen u.dgl. sind ihrem Inhalt
nach offenbar verschieden, aber die Umfänge sind jeweilig dieselben. Hier waren
die hinzutretenden Merkmale rein begriffliche Konsequenzen der definitorischen.
Aber auch, wo nicht ein solches Notwendigkeitsverhältnis besteht, z.B. wo an eine
Klasse empirischer Objekte mit den definitorischen Merkmalen vermöge allgemein
empirischer Gesetze neue Merkmale gegeben sind, bleibt der Umfang ungeändert,
Z.B. materieller Körper und materieller schwerer Körper. Sie sehen übrigens, wie hier
die Verwechslung zwischen eigentlichem Inhalt und idealem Inhalt eines Inbegriffs
hereinspielt und den Irrtum begründet hat.
Übrigens ist auch sonst hier über grobe Ungenauigkeit zu klagen. Definiert man,
wie es meist geschieht, den Inhalt eines Begriffs als den Vorstellungsgehalt, der im
Begriff gedacht ist, dann sind natürlich noch ganz andere und unzählige Bereicherun-
gen des Inhalts denkbar, die den Umfang nicht nur nicht vermehren, sondern sogar
vermindern. Bolzano gibt dafür folgendes Beispiel: Der Begriff eines Menschen, der
alle europäischen Sprachen spricht, wird bereichert, wenn wir sagen: "ein Mensch,
welcher alle lebe n de n europäischenSprachen spricht". Aber der Umfang des neuen
Begriffs ist nicht vermindert, sondern vermehrt: Es gibt mehr Menschen, die alle
lebenden europäischen Sprachen sprechen als solche, die alle Sprachen überhaupt
(sprechen}:· Hier hätten wir dann auch ein Beispiel, wo umgekehrt Umfangsver-
mehrung parallel ginge mit Inhaltsvermehrung.
Doch entfällt dieser ganze Einwand, wenn die fehlerhafte Inhaltsdefinition durch
die unsere, korrekte ersetzt wird. Inhalt ist uns die Gesamtheit konjunktiv verbunde-
ner Merkmale, die den Begriffsgegenständen zukommen und den Begriff selbst reell
konstituieren. Eine Vermehrung des Inhalts findet also nur statt, wenn in den Begriff
ein neues Merkmal seiner Gegenstände aufgenommen wird, eine Verminderung,
wenn von den ihn konstituierenden Merkmalen eins fortgelassen wird. In einen
Begriff eine neue Teilvorstellung einführen, das heißt, den Begriff ändern, aber es
heißt nicht in dem hier fraglichen Sinn den Begriff bereichern.
schlusses. Sind die Begriffe B, B', B" '" einem und demselben Begriff ß
untergeordnet und schließen sie sich überdies paarweise aus, so heißen
sie einander koordiniert mit Beziehung auf den Begriff ß. SO sind z.B.
die Begriffe Löwe, Haifisch, Adler, Krokodil mit Beziehung auf den
Begriff Raubtier koordinierte Begriffe. Ist die Gruppe koordinierter
Begriffe B, B' ... so vollständig, dass die Summe ihrer Umfänge sich
ergänzt zum Umfang des ihnen zugehörigen übergeordneten Begriffs
ß, so sagt man, der Begriff ß sei in die Begriffe B, B' ... eingeteilt. Die
Zerlegung eines Begriffsumfangs in eine Gruppe disjunkter Umfänge
führt also auf eine Einteilung des Begriffs. Im eigentlichen Sinn ist
es aber natürlich der Umfang des Begriffs, der eingeteilt, klassifiziert
wird. Die Teilumfänge, die Umfänge der koordinierten Begriffe ei-
ner Einteilung, nennt man partes integrantes, ergänzende Teile. Der
Begriff des organischen Wesens ergibt durch Einteilung die beiden
Begriffe Tier und Pflanze. Die Klasse der Tiere und die der Pflanzen
sind die ergänzenden Teile der Klasse der organischen Wesen. Gehen
wir von den Umfängen auf die Verhältnisse der Begriffe selbst über,
nehmen die Vorstellungen der Umfänge nicht als Vermittler, so haben
wir folgende Sachlage: Jedes ß ist in exklusiver Disjunktion entweder
ein B oder ein B' ... oder ein B(n}; und umgekehrt, alles was entweder
B oder B' ... oder B(n} ist, ist ein ß.
Mit Beziehung auf die Klassifikation spricht man von Gattung
und Art. Der höhere Begriff, der eingeteilt wird, heißt Gattung, die
niederen Begriffe, in die er eingeteilt wird, heißen die koordinier-
ten Arten dieser Gattung. Doch ist hier der Sprachgebrauch nicht
übereinstimmend. Sehr oft werden die Termini von Gattung und
Art so gebraucht, dass jede übergeordnete Vorstellung als Gattung
für eine untergeordnete als Art gilt. Allerdings kann jeder subordi-
nierte Begriff insofern als Art gelten in dem anderen Sinn, als er
zusammen mindest mit seinem kontradiktorischen Gegenteil eine
Einteilung des superordinierten Begriffs ergibt. Von koordinierten
Arten spricht man im zweiten (Fall) nicht so, wie wir von koordi-
nierten Begriffen sprachen. Man spricht aber auch von verschlun-
genen Arten, von sich einschließenden Arten usw. Bei der ersten
Auffassung hingegen bezieht sich aber die Rede von Arten immer
auf eine bestimmte Einteilung, und da kann es keine Verkettung oder
Einschluss geben. Bemerkenswerter ist die doppelte Anwendung der
Termini Gattung und Art auf die Begriffsumfänge und auf die Be-
griffe selbst. Im ursprünglichen Sinn hatten die Termini Bezug auf
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 127
die Begriffsumfänge. Man sprach von der Gattung Mensch, von der
Art Europäer u.dgl. und meinte die Gesamtheit der Menschen, die
Gesamtheit der Europäer. In Übertragung kam dann die Rede in
Gebrauch, den Begriff selbst Gattung zu nennen. Eine wesentlicher
unterschiedene Rede von Gattung und Art werden wir später kennen
lernen.
Ist ein Begriff Gattung zu einem anderen, so kann dieser aus jenem
oft hervorgehend gedacht werden durch Hinzufügung eines gewissen
determinierenden Merkmals. In jedem Fall wird man einen äquivalen-
ten Begriff finden, welcher sich bloß durch solch eine Determination
von dem Gattungsbegriff unterscheidet. Diese Determination heißt
die Differenz.
Liegen Stufen, Reihen vor, in welchen die Arten wieder zu Gat-
tungen anderer Arten werden usw., mit anderen Worten: wird ein Be-
griff klassifiziert in eine Reihe koordinierter Artbegriffe, jeder dieser
wieder klassifiziert usw., wovon uns jede naturhistorische Klassifika-
tion ein Beispiel gibt, dann richtet man mit den beiden Ausdrücken
Gattung und Art nichts aus, und man gebraucht dann eine Folge
anderer Benennungen: Geschlechter, Ordnungen, Klassen, Reiche,
Züge, Rassen usw. Das Verhältnis ist aber bei jeder Stufe das gleiche,
der Zweck der Benennungen ist es nur, im System der Gesamtklassi-
fikation die Stufe anzudeuten.
kommende Merkmal, das ebenso gut zur Definition dienen, das also
einen umfangsidentischen Begriff herstellen müsste, ein Proprium
eines A als solchen. Und schließlich könnte man mit Beziehung
auf einen Inbegriff von Gegenständen jeden Begriff, der den Ge-
genständen desselben als solchen und ausschließlich zukommt, ein
Proprium nennen. So ist Z.B. Sprachfähigkeit ein Proprium eines
Menschen als solchen. Wird ein Begriff durch sukzessive Determi-
nation aus einem Gattungsbegriff erzeugt und sind die determinie-
renden Merkmale wirklich umfangsbeschränkend, dann liefert das
letzte dieser determinierenden natürlich ein Proprium.1 In der Tat
hat in der Tradition der Begriff des Proprium eine Beziehung zu der
Definition, welche in der angegebenen Weise den Begriff sukzessiv
erzeugt.
In der eigentlichen Redeweise bezieht sich der Begriff des Unter-
schieds immer auf das Verhältnis eines Gegenstandes zu irgendwel-
chen anderen Gegenständen in Bezug auf einen Begriff. Unterschied,
sagten wir, ist eine Beschaffenheit, die dem Gegenstand zukomme
und anderen Gegenständen (denen eben, von denen er unterschie-
den ist) nicht zukomme. Indessen sprechen die Logiker, gegen diese
allgemein übliche Bedeutung von Unterschied, von einem spezifi-
schen Unterschied (Art oder Gattung) zweier Begriffe da, wo der
eine ein artbildendes Merkmal enthält und der andere nicht. Es liegt
hier wieder die Äquivokation vor, die wir wiederholt erwähnt haben.
Sagt man, der Artbegriff habe im Vergleich zum Gattungsbegriff ein
neues Merkmal, so ist nicht gemeint, ihm kommt das Merkmal zu und
diesem kommt es nicht zu, sondern nur, er enthält es als Teilbegriff
und dieser nicht. Aber es wäre vergeblich, nun noch gegen die Rede
von spezifischen" Differenzen" ankämpfen zu wollen.
1 Gestrichen. Proprium wäre hier also die letzte Differenz in der Reihe der Artbildungen.
BEGRIFFE UND IHRE GEGENSTÄNDE 129
hen werden kann, als eine Klasse anzusehen, und so glaubten sie,
es bestände kein wesentlicher Unterschied zwischen dem Fall, wo
z.B. eine Klasse einer anderen Klasse, und dem Fall, wo ein einzel-
ner Gegenstand einer Klasse untergeordnet ist. Es ist da eben eine
Klasse, die bloß einen Gegenstand enthält, Teil einer umfassende-
ren Klasse. Handelte es sich in der Logik wirklich um bloße Men-
genverhältnisse, so wäre dagegen nicht viel einzuwenden. Aber der
fundamentale Unterschied, der vorliegt, tritt sofort hervor, wenn wir
an die entsprechenden Begriffsverhältnisse denken, die den Begriff
der Klasse im Gegensatz zu der Menge schlechthin allererst begrün-
den.
Wenn wir von der Klasse der Menschen sagen, sie sei eingeordnet
der Klasse der Sterblichen, und wenn wir von Sokrates sagen, er sei
eingeordnet der Klasse der Sterblichen, so sagen wir beiderseits eine
ganz verschiedene Relation aus. Sokrates ist einer der Sterblichen,
aber die Klasse der Menschen ist nicht einer der Sterblichen. Im ersten
Fall haben wir ein Verhältnis der Begriffsumfänge, und dem entspricht
die Bedingtheit: Wenn etwas ein Mensch ist, so ist es sterblich. Im
anderen Fall haben wir ein Verhältnis zwischen einem Gegenstande
und dem Umfang des Begriffs, der ihm zukommt, und dem entspricht
der singuläre Satz: Sokrates ist ein Mensch. Das aber ist etwas total
Verschiedenes. Singuläre Sätze spielen, wie wir später hören werden,
in der theoretischen Gesetzmäßigkeit eine ganz andere Rolle als
hypothetische Sätze sowie die ihnen äquivalenten universellen oder
negativen Existentialsätze; und es ist ein Erbübel, an dem die Logik
bisher krankt und das fast alle Darlegungen der deduktiven Logik,
zumal der Syllogistik verdirbt, dass man diesem Unterschied nicht
hinreichend Rechnung getragen hat. Wir wollen ein für allemal von
Subordination sprechen, wo es sich um die Umfangsverhältnisse der
Begriffe, und von Subsumtion aber, wo es sich um das Enthaltensein
von Gegenständen unter Begriffen handelt. Danach ist zu beachten,
dass der Ausdruck "Ein Begriff A ist einem Begriff B subordiniert"
eine andere Bedeutung hat als der Ausdruck "Der Begriff A ist dem
BegriffB subsumiert". Im letzteren Fall ist gemeint, dass der Begriff A
ein Gegenstand ist, dem es zukommt, B zu sein, während im ersteren
gesagt ist, nicht dass der Begriff A, sondern dass jeder Gegenstand
des Begriffs A ein Gegenstand ist, dem es zukommt, B zu sein.
LOGIK
er 2, 3; 4 ... Das sind Begriffe .und sind die Einzelheiten, auf die
sich die arithmetischen allgemeinen Begriffe beziehen. Sagen wir
daneben: "Die Tischplatte ist ein Dreieck, ist rechtwinklig" u.dgl.,
so ist der Sinn ein ganz anderer. Tischplatten sind nicht Dreiecke,
sondern Gegenstände, welche gewisse Beschaffenheiten haben, die
selbst unter den Begriff Dreieck fallen.
Von besonderer Wichtigkeit ist nun der Fall, wo Begriffe von
Begriffen, die in der erwähnten Weise nicht die Vorstellung von
Subordinationsverhältnissen einschließen, den Charakter von reinen
Begriffen haben und dabei zugleich frei sind von der direkten Vor-
stellung einzelner Begriffe, die ihnen unterstehen oder die zu ihren
Gegenständen in gewissen Verhältnissen sind, z.B. Farbe, Zahl, Figur
u.dgl. Das sind reine Begriffe von Begriffen. Dies würde aber auch
gelten von" Zahl größer als 4 ",,, Zahl, welche den Flächeninhalt eines
Dreiecks misst", von "Figur, welche das Dreieck ABC einschließt"
u.dgl. (Wir heben also durch unsere Unterscheidung den Begriff des
reinen Begriffs sozusagen auf eine höhere Stufe.) Beschränken wir
uns also auf solche reinen Begriffe der Art wie Farbe, Ton, Zahl,
Figur usf., dann können zwischen zwei solchen Begriffen wieder Sub-
ordinationsverhältnisse bestehen. Z.B. Dreiecke sind Figuren, Figu-
ren sind Raumgebilde; ebenso sind PriInzahlen, algebraische Zahlen,
transzendente Zahlen subordinierte Begriffe in Bezug auf den Begriff
Zahl. Diese besonderen Gattungs- und Artverhältnisse sind es, die wir
als aristotelische Gattungen und Arten bezeichnen, da sie im Großen
und Ganzen, von allem Metaphysischen abgesehen, dem entsprechen,
was Aristoteles bei der Rede von Gattung und Art Objektives im
Auge hatte. Hier ist nicht mehr der Begriff Etwas oberste Gattung,
denn obschon der Begriff des Raumgebildes Z.B. dem Begriff Etwas
untergeordnet ist, so ist doch nicht Etwas ein Begriff, der nur Begriffe
in sich fasst. Korrekt gesprochen wären die niedersten Arten hier
die Begriffe, deren Gegenstände selbst Begriffe sind, aber solche,
denen keine.Begriffe mehr untergeordnet sind; also im Gattungsbe-
griff Farbe wären die Arten etwa Rot, Blau usw., und zwar unterste
Arten. Hingegen wären die einzelnen Nuancen Karminrot u.dgl. nicht
als unterste Arten zu bezeichnen. Im Gegensatz dazu pflegt man,
eben weil diese Nuancen selbst wieder Begriffe sind, eben diese als
die niedersten spezifischen Differenzen zu bezeichnen. Wenn man
von Differenz der Röte, Bläue usw. spricht, meint man gerade diese
Nuancen. Das liegt natürlich an dem großen Irrtum, dass man Begriffe
13 2 LOGIK
aus Vorstellungen bestehen. Es gilt hier nun die Wahrheit, dass ein
jeder Satz als Bestandteil eines zusammengesetzten Satzes fungieren
kann. Ist S ein Satz, so ist ja schon der Satz "S ist ein Satz" von der
verlangten Beschaffenheit. Es können nun aber mehrere bemerkens-
werte Unterschiede obwalten. Es kann sein, dass, wie in unserem Bei-
spiel, Sätze Bestandteile sind des Sachverhalts, der den Gegenstand
des ganzen Satzes bildet; anders ausgedrückt: Sätze, die von Sätzen
handeln, enthalten natürlich die Vorstellungen dieser Sätze in sich.
Es können aber Sätze in ganz anderer Art Bestandteile anderer
Sätze sein, z.B. "Sokrates starb den Heldentod, aber seine edlen
Gedanken lebten fort." Im vorigen Fall bildeten Vorstellungen von
Sätzen Bestandteile eines Satzes und erst mittelbar jenen Satz selbst.
(Der Satz ist eine Vorstellung, also haben wir Vorstellungen von Vor-
stellungen als Bestandteile.) In diesem Fall bilden Sätze unmittelbar
Bestandteile eines Satzes. Wieder macht es einen Unterschied aus,
ob die Zusammensetzung eine solche im eigentlichen Sinn ist, also
eine Verknüpfung mehrerer Sätze, oder ob nicht. Wenn wir sagen:
"Berlin, welches vor zwei Jahrhunderten eine Kleinstadt war, ist ge-
genwärtig die größte deutsche Großstadt", so haben wir einen Satz,
der Sätze als Teile enthält, und doch keine Verknüpfung. Zu einer
Verknüpfung gehört, dass mehrere selbständige Sätze in der oder
jener Form zu einer Einheit verknüpft sind. Wir stoßen also auf den
Unterschied zwischen selbständigen und unselbständigen Sätzen. So,
wie unselbständige Gegenstände solche sind, die nur Bestand haben
können als Teile anderer Gegenstände, unselbständige Vorstellungen
also solche, die nur Bestand haben können als Teile anderer Vorstel-
lungen, so gilt Entsprechendes auch von den Sätzen. Sie sind, was
sie sind, nur als Teile von Sätzen. Die ihnen entsprechenden gram-
matischen Sätze können also nicht verstanden werden, wenn nicht
mindest in ganz unbestimmter Weise die Vorstellung einer Ergänzung
mitgedacht ist. Unselbständig ist in unserem Beispiel der Relativsatz,
wie jeder Relativsatz überhaupt. "Berlin, welches vor zweihundert
Jahren eine Kleinstadt war": Der Satz ist hier unselbständiges Stück
einer Vorstellung im engeren Sinn.1 Ebenso können Sätze natürlich
auch unselbständige Teile von begrifflichen Vorstellungen, also von
Prädikaten sein. Andere Formen von Unselbständigkeiten werden
1 Vgl. {Gottlob} Frege,,, {Über} Sinn und Bedeutung", (Zeitschrift /Ur Philosophie und phi-
losophische Kritik 100 (1892), S. 2S-S0).
VON DEN SÄTZEN 135
"Gott ist gerecht, und die Bösen werden bestraft", "Der Diamant
ist verbrennlich, und der Korund ist unverbrennlich". In neuerer
Zeit ist es allgemein üblich geworden, die konjunktive Verknüpfung
(oder wie man zu sagen pflegte, die kopulative Verknüpfung) als
eine Zusammensetzungsform von Sätzen zu leugnen. Mit Beziehung
auf die entsprechenden Urteile heißt es bei Sigwart, dass die Prä-
dizierung sich nur sprachlich in einem Akte vollziehe in Bezug auf
die Mehrheit. "Die sprachliche Verknüpfung der Sätze mit ,und' ...
sagt zunächst nichts anderes als die subjektive Tatsache des Zusam-
menseins im Satze in einem Bewusstsein, und es kommt ihr darum
keine objektive Bedeutung zu ... Es entsteht zunächst eine Kette von
Urteilsakten, die nur dadurch verknüpft sind, dass sie im urteilenden
Subjekt nacheinander folgen und vom selben Bewusstsein umfasst
sind, das von einem zum anderen übergeht, um die früheren Akte
sofort wieder zu verlieren." «(Logik, Bd. I,) 2. Aufl., (S.) 206). Ich
kann dieser Auffassung, die auf das Psychologische hinblickend das
Logische übersieht, durchaus nicht beistimmen. Wollen wir solch
einer Aufeinanderfolge oder Koexistenz im Bewusstsein Ausdruck
geben, dann werden wir es in ganz anderer Weise tun müssen. Wir
werden sagen: "Ich denke zugleich, dass M gilt und N gilt", aber nicht
werden wir sagen dürfen: "M gilt und N gilt", womit offenbar ein
ganz anderer Gedanke gegeben ist. Es handelt sich so wenig um eine
logisch "indifferente" und bloß subjektive Folge von Phänomenen,
dass vielmehr die kopulative Verbindung (von der) durchgreifendsten
Wichtigkeit ist. Dass sie in der Tat einen neuen objektiven Satz schafft,
erkennen wir sofort an der Negation und Affirmation. Die Verbindung
der beiden Sätze kann ich bejahen und kann ich verneinen, und das
geschieht subjektiv in einem Akte; objektiv aber entspricht dem ein
zweifellos einheitlicher Satz: "Es ist wahr, dass A gilt und B gilt",
"Es ist nicht wahr ... ". Und somit werden wir auch für selbstver-
ständlich halten, dass, was hier der Affirmation zugrunde liegt, ein
Satz ist. Das, was aber hier bejaht wird oder verneint, ist offenbar
nichts, was das Bewusstsein angeht. Wer sagt: "Es ist nicht wahr, dass
Gott allgütig ist und die Bösen straflos ausgehen lässt", der leugnet
damit nicht die Verbindung der beiden Satzvorstellungen in einem
Bewusstseinsakte - die Leugnung setzt ja diese Bewusstseinseinheit
selbstverständlich voraus -, sondern er leugnet ein Objektives, und
dieses Objektive, das nennen wir eben die konjunktive Verknüp-
fung.
VON DEN SÄTZEN 137
schließt das nicht aus, dass beides statthat. In sehr vielen Fällen ist
aber gerade das gemeint, dass die durch das Wörtchen "oder" ge-
trennten Glieder sich ausschließen. Die inklusive Disjunktion ist die
einfache Verknüpfung, auf die uns es hier ankommt. Die exklusive
hingegen stellt ein Kompositum dar aus einer inklusiven Verknüp-
fung und einem gewissen anderen Satz, wie man leicht übersieht.
Der disjunktive grammatische Satz "M gilt, oder N gilt, oder P gilt"
kann sein Äquivalent haben in dem schlichten Ausdruck" Einer die-
ser Sätze M, N, P gilt", wobei offen gelassen ist, ob nicht überdies
mehr als einer oder gar alle gelten. Soll dies nicht offen gehalten
werden, dann muss ich noch besondere Sätze hinzufügen, etwa den,
dass nicht mehr als einer dieser Sätze wahr ist oder dass, wenn einer
dieser Sätze wahr ist, kein anderer unter ihnen wahr ist. Die inklu-
sive Verknüpfung liefert zweifellos einen neuen elementaren Typus
von Verknüpfungen. Die exklusive hingegen reduziert sich auf eine
Kopulation einer inklusiven und einer andersartigen Verknüpfung.
Ich sage "einer" andersartigen Verknüpfung, z.B. "einer" hypothe-
tischen Verknüpfung. Denn man muss sich bei der Reduktion vor
dem Irrtum hüten, als ob die Reihe hypothetischer Sätze" Wenn
M gilt, gilt nicht N und P. Wenn N, so nicht M und P. Wenn P, so
nicht M und N" explizite Bestandteile in der Vorstellung der ex-
klusiven Disjunktion sein müssten, wie man dies Initunter gemeint
hat. Jedenfalls stellt aber diese Disjunktion nichts Elementares dar.
Demgemäß hat die traditionelle Logik darin gefehlt, indem sie ein-
seitig auf die exklusive Disjunktion achtet. Es rächt sich dies in der
Lehre von den Schlüssen, die an Allgemeinheit, Vollständigkeit und
Sicherheit gewinnt, wenn man die inklusive Disjunktion als elemen-
tare Verknüpfungsform zugrunde legt, wie wir dies noch erproben
werden.
Bei der inklusiven Disjunktion fragt es sich wieder, in welcher
Weise die disjunkten Glieder dem Gesamtsatz einwohnen, ob als
unInittelbare Bestandteile oder in Form von vorgestellten Sätzen.
Auch hier ist die Sache nicht ganz unzweifelhaft, doch neigt sich
das Zünglein der Waage mehr auf die letztere Seite. Im Beispiel
"Entweder Gott ist lieblos, oder die Guten finden ihren Lohn" würde
der ganze Satz etwas aussagen über die Sätze" Gott ist lieblos" und
"Die Guten finden ihren Lohn", nämlich aussagen, dass einer von
ihnen Geltung habe, obschon dies in der Weise geschah, dass nicht
gerade der Begriff der Sätze, der Geltung usw. explicite vermittelte.
140 LOGIK
dene Gliederungen zu. Sage ich: "Die Blume welkt", so steckt in dem
Wörtchen" welkt" der Ausdruck für das hier fragliche P und zugleich
für das, was dem Wörtchen "ist" entspricht. Sage ich: "Der Baum hat
eine schöne Belaubung", so ist die Funktion des Wörtchens" ist" un-
serer Formel übernommen durch das Wörtchen "hat". Gelegentlich
hat man für den Ausdruck der Form das Haben bevorzugt. Bolzano
z.B. legt Gewicht darauf, jeden kategorischen Satz auf die Form "A
hat B" zu bringen: Er meinte, diese Form drücke schärfer aus die
Momente, die in jedem kategorischen Satz und, wie er geradezu meint,
in jedem Satz überhaupt zu unterscheiden sind. Indessen kommt es
natürlich nicht so sehr auf die Wahl der Ausdrucksform an als darauf,
dass ihr Gedanke richtig gefasst und festgehalten wird.
Offenbar trifft die Definition des Satzes, wonach er eine Aussage
sei, in der etwas von etwas ausgesagt oder ihm abgesprochen wird,
durchaus Sätze der kategorischen Formen, und das gilt auch von der
aristotelischen Definition des Urteils, die im Wesentlichen dasselbe
besagt, nur dass die Zeitbestimmung überflüssigerweise hineingezo-
gen ist. Ob der Satz von irgendeinem Jemand behauptet, für wahr
gehalten wird, das ist für uns hier natürlich gleichgültig.
In einer guten Signatur müssen alle Teile oder Momente der Sache
durch unterschiedliche Zeichen bezeichnet sein, so wie auch umge-
kehrt jedem Zeichen irgendetwas an der Sache eindeutig entsprechen
muss. In unserer Signatur der Form des kategorischen Satzes "S ist
P", "S ist nicht P" haben wir, was den bejahenden anlangt, drei, was
den verneinenden anlangt, vier Zeichen, und so müssen wir zusehen,
was ihnen im kategorischen Satzgedanken entspricht.
Vollkommen klar ist die Bedeutung des P. Es stellt irgendeinen
Begriff vor, der dem S zukommt, in Bezug auf den S Begriffsgegen-
stand ist. Und entsprechend ist die Bedeutung des S: Es vertritt die
Subjektvorstellung die Vorstellung des Gegenstandes, dem das P-Sein
zukommt. Neben Sund P finden wir dann noch das synkategorema-
tische Wörtchen "ist" in der affirmativen Form und die Verbindung
"ist nicht" in der negativen Form. Welches ist nun die Funktion der so
genannten Kopula? Ein Gegenstand und ein Begriff, in einheitlicher
Vorstellung gedacht, ist offenbar nicht dasselbe als die einheitliche
Vorstellung, welche beide in der besonderen Einheit denkt, wonach
der Gegenstand den Begriff trägt als das un;oxd~vov dieses Begriffs
man nicht Ähnlichkeit und Koexistenz, also zwei ganz spezifische Ver-
hältnisformen, bevorzugen. Man müsste dann Z.B. den Unterschied
der Begriffe erwähnen zwischen solchen, die innere, und solchen, die
äußere Beschaffenheiten vorstellen u.dgl., also die allerallgemeinsten,
durchgreifendsten Unterschiede.
und keinen Begriff. Ich könnte höchstens sagen: "Der Umfang des
mit Sokrates Identischen ist eingeordnet dem Umfang des Begriffs
des Kranken." Aber wer sieht nicht, dass der Gedanke hier geändert
ist? Wer sagt, dass Sokrates krank ist, will doch nicht diesen ebenso
verwickelten wie uninteressanten Gedanken aussprechen. Und selbst
wenn als Subjekt ein Begriff fungiert, der als solcher wirklich einen
Umfang hat, so ist die Meinung des Satzes weder ein Umfangsver-
hältnis noch etwas damit Äquivalentes. Z.B. "Rot ist eine Farbe ":
Gemeint ist doch nicht, dass der Umfang des Begriffs Rot Teil ist des
Umfangs des Begriffs Farbe, also in äquivalenter Ausdrucksweise,
dass jeder rote Gegenstand eine Farbe ist, was ja ganz falsch wäre.
Und in weiterer Folge kann man auch Folgendes einwenden. Wenn
der Sinn jedes Satzes "S ist P" sein soll: "Der Umfang von S ist
eingeordnet dem Umfang von p", so müsste dasselbe doch auch
von diesem Satz gelten, auch er hat die Form "S ist P". Also der
Umfang des Begriffs" Umfang von S" ist eingeordnet dem Umfang
des Begriffs "eingeordnet dem Begriff P", und so in infinitum.
Andererseits kann der Irrtum auch nicht aus der Luft gegriffen
sein; es muss irgendeinen Gesichtspunkt geben, der einen täuschen-
den Schein vorspiegelt. Wo sind die Fälle, welche den Irrtum nahe
legen, bei denen von einem "täuschenden Schein" überhaupt ge-
sprochen werden kann? Die Antwort lautet: Die Quelle des Irrtums
liegt in der traditionellen Syllogistik. Für Zwecke des Schließens,
sagte ich wiederholt, kann man äquivalente Sätze in gleicher Wei-
se verwenden, sofern auch die Schlusssätze dann äquivalente sein
müssen. So gewöhnt man sich daran, auf gedankliche Unterschiede
und Verschiebungen, welche die Äquivalenz der Gedanken nicht
tangieren, nicht besonders zu achten und schließlich für identisch
zu halten, was es durchaus nicht ist. In der traditionellen Syllogis-
tik werden nun Schlüsse behandelt, deren Prämissen so beschaffen
sind, dass sie Schachtelungsverhältnissen zwischen ganzen Begriffs-
umfängen oder Teilen derselben äquivalent sind. Der Rekurs auf
die Begriffsumfänge hat aber von vornherein den Vorteil der grö-
ßeren Anschaulichkeit, denn Umfänge sind Mengen. Mengen sind
an sich schon anschaulichere Vorstellungen, und überdies bietet sich
bei ihnen so bequem das Bild der eulerschen Sphären mit ihren
anschaulichen Deckungen, Kreuzungen usw., die eine Ausführung
der Schlüsse sozusagen in mechanischen Formen gestatten vermöge
der genauen Analogien in den Verhältnissen zwischen Bild und Sa-
VON DEN SÄTZEN 149
Formel. Für uns ist S ein Gegenstand des Begriffs P, also evtl. ein
Individuum. In den Formeln der traditionellen Logik muss aber,
korrekt genommen, S ebenfalls und unter allen Umständen einen
Begriff bezeichnen und niemals einen Begriff, der Gegenstand ist
des Prädikatbegriffs. Sagen wir: "Alle oder einige Menschen sind
sterblich", so repräsentiert "Mensch" einen Begriff, und zwar nicht
einen solchen, der Gegenstand ist des Begriffs" sterblich". Die sterb-
lichen Dinge sind nicht Begriffe, sondern Menschen, und unter den
Menschen läuft nicht so etwas herum wie der " Begriff Mensch". Soll
also die Formel "Alle A sind B" eine wahrhaft kategorische sein,
dann muss ihr Gedanke in ganz anderer Weise der Form "S ist P"
entsprechen, in einer Weise, wo durchaus nicht das A mit dem S
und B mit dem P identifiziert ist. Wir werden dies später ausführlich
untersuchen· müssen.
Natürlich trifft unsere Kritik alle Umfangstheorien in gleicher
Weise. Es gibt da nämlich Verschiedenheiten. Während die einen das
Wesen der kategorischen Beziehung in der Subsumtion sehen, meinen
die anderen, darin noch weiter von der Wahrheit abirrend, die Bezie-
hung als ein identisches Verhältnis zwischen zwei Umfängen deuten
zu können: "Wenn alle Dreiecke dreiseitig sind, so ist die Klasse
der Dreiecke identisch mit der Klasse der Dreiseitigen", " Wenn alle
Menschen sterblich sind, so ist die Klasse Mensch identisch mit einem
gewissen Teil der Klasse der Sterblichen. " Und diese Identität auszu-
sprechen, sei die Funktion dieses kategorischen Satzes und in ähnli-
cher Weise die Funktion eines jeden kategorischen Satzes überhaupt.
Diese Auffassung spielt schon in alter Zeit, so in der Logique de Port
Royal eine bestimmende Rolle, kehrt im 18. Jahrhundert öfter wieder
und findet einen einflussreichen Vertreter in Hamilton, der auf sie
eine Einteilung der bejahenden kategorischen Urteile in toto-totale,
toto-partielle, parti-totale ("Einige Figuren sind alle Dreiecke") und
parti-partielle ("Einige Dreiecke sind einiges Dreiseitige") gründet
und darauf dann weiter eine eigentümliche Behandlung der Syllogis-
tik: Soweit dem Irrtum Wahrheit entspricht, handelt es sich wieder um
gewisse Äquivalenzen, die zwischen gewissen Sätzen und Sätzen über
Umfangsidentitäten bestehen. Freilich geht Hamilton über die bloße
Umdeutung weit hinaus, wenn er einem Satz wie" Alle Menschen sind
• William Hamilton, Lectures on Metaphysics and Logic, 3th rev. ed., Edinburgh 1874, voI. IV:
Lectures on Logic, voI. 11, S. 287.
VON DEN SÄTZEN
wieder nicht identisch sind, so müsste ich abermals setzen für Eisen
"Eisen seiendes Metall", und in der Attribution demnach " Eisen
seiendes Eisen seiendes Metall", und so in infinitum. Hinter dieser
Umdeutung steckt im Grunde wieder der in England besonders ein-
flussreiche Gesichtspunkt des Umfangs. Der Umfang der Begriffe
Eisen und Metall deckt sich nicht, sondern der eine ist identisch
mit einem Teil des anderen. Diese partielle Identität der Umfänge
wird auf die Begriffe selbst übertragen, und so erwächst die For-
mel A =AB. Ebenso werden wir Lotze gegenüber geltend machen
müssen, dass jedem von allen theoretischen Verwirrungen unbeein-
flussten und normalen Menschen der Sinn des Satzes "Der über den
Rubikon gehende Cäsar war der über den Rubikon gehende Cäsar"
als durchaus verschieden erscheinen wird als der Sinn des Satzes
" Cäsar ging über den Rubikon. " Der erstere ist eine Tautologie, was
der letztere durchaus nicht ist. Dass ferner, wenn einige Menschen
schwarz sind, die Menschen, auf welche das Wörtchen" einige" Bezug
haben kann, nur schwarz sein können, geben wir gerne zu. Aber
dass der Satz meint, schwarze Menschen sind schwarz, das geben
wir gar nicht zu, abgesehen davon, dass wir noch nicht entschieden
haben, ob die ,hier behandelte Form überhaupt eine kategorische
ist.
Auch als Gleichheitsverhältnis, sagte ich, hat man den Gehalt
des kategorischen Satzes "S ist P" deuten wollen. Woran möchte
man da denken? Wenn wir einen roten Gegenstand vorstellen, so
ist das Rot in gewisser Weise Bestandteil in der Vorstellung des
Gegenstandes. Nennen wir ihn nun rot, dann haben wir mit der
Prädikatvorstellung eine solche gegeben, die mit der Subjektvor-
stellung in Bezug auf das, was sie vorstellen, in einem Gleichheits-
verhältnis steht. Genauer müssten wir aber sagen, in einem Iden-
titätsverhältnis: Die eine stellt etwas vor, was identisch ist mit ei-
nem Teil dessen, was in der anderen vorgestellt ist. Nun ist aber die
Funktion der kategorischen Aussage sicher nicht, dieses Verhältnis
der Vorstellungen auszusagen, denn sie enthält wohl die Vorstellung
von Sund P, aber sie sagt nicht aus über die Vorstellung von S
und P, vielmehr über Sund P selbst. So kommen wir wieder zu-
rück, es könnte höchstens das gelten, dass die Funktion der Aussage
sein möchte, jenes Identitätsverhältnis selbst auszudrücken. "Das
rote Haus ": Der Gegenstand ist partiell identisch mit dem Inhalt
der Prädikatvorstellung Rot, sofern das Rot enthalten ist im Haus,
154 LOGIK
als das 1tQOO'tEQOV und YVOQLI-tOO'tEQOV bezeichnet" -, sich nicht auf den
kategorischen Satz beschränken. In jedem, müsste man konsequent
sagen, sei der Urteilsinhalt zu unterscheiden, der im Fragesatz zum
reinen Ausdruck komme, und die beiden Nebenurteile, die ihm die
Prädikate Gültigkeit und Ungültigkeit verleihen. Und das wäre na-
türlich ganz selbstverständlich für alle diejenigen, welche jeden Satz
überhaupt als einen dem Gedanken nach kategorischen fassen.
Wie weit Lotze von der Wahrheit abirrt, das lehrt eine sehr einfache
Überlegung. Wie sollen wir die Nebenurteile, von denen hier die Rede
ist, ausdrücken und wie den angeblichen Urteilsinhalt, der von ihnen
unterschieden ist? Z.B. beim Satz" Gold ist gelb" bzw. "Gold ist nicht
gelb"? Es ist offenbar auf keine andere Weise möglich, als dass wir
nebeneinander stellen die drei Sätze" Gold ist gelb", '" Gold ist gelb'
ist gültig", '" Gold ist gelb' ist ungültig", also in unserer Terminolo-
gie den schlichten Satz, seine Affirmation und Negation. Wenigstens
wüsste ich nicht, wie wir den Urteilsinhalt als ein sinnvolles Ganzes
ausdrücken könnten, ohne das" ist" hinzuzuziehen. "Gold gelb" gibt
doch keinen Sinn, gibt doch keine Vorstellung eines Verhaltens. Ist
dem aber so, dann müsste die wahre Meinung des Satzes "Gold ist
gelb", der den Urteilsinhalt ausdrückt, selbst wieder sein: ",Gold ist
gelb' ist gültig." Darin kommt abermals der Urteilsinhalt vor. Wir
müssten dieselbe Umformung vornehmen, und so in infinitum.
Und andererseits, betrachten wir doch die beiden so genannten
Nebenurteile, Z.B. ",Gold ist gelb' ist gültig" oder, anders ausge-
drückt, "Es ist gültig, dass Gold gelb ist". Aber das ist doch wieder
ein kategorischer Satz, er hat wieder die Form" S ist P". Er müsste also
eigentlich wieder die Bedeutung haben" Dass S P ist, ist gültig". Also
müssten wir haben" Es ist gültig, dass es gültig ist, dass Gold gelb ist",
und so in infinitum. Und so kommen wir von jedem Gesichtspunkt
aus auf reine Absurditäten.
Übrigens ist zu bemerken, dass sich hier bei Lotze mit dem logi-
schen ein paralleler psychologischer Irrtum verbindet. Denn er spricht
nicht, wie wir, von Sätzen, er spricht von Urteilen; Urteile sind aber
Fürwahrhaltungen oder Fürfalschhaltungen. Nun ist gewiss, dass man
unterscheiden muss die Urteilsmaterie, d.i. die bloße Vorstellung von
"S ist P", des bloßen Satzes, von dem entsprechenden bejahenden
oder verneinenden Urteil. Aber dieses kann nicht selbst wieder be-
stehen in der bloßen Vorstellung der Sätze ,,,S ist P' ist gültig oder
ungültig", denn solche Sätze vorstellen heißt doch noch nicht, sie
für wahr halten. Und wäre jedes Urteil "S ist P" im Grunde ein
Urteil der Form ",S ist P' ist gültig", so würde dieses Urteil, da es
wieder dieselbe Form hat, auf ein zweites zurückführen, und so in
infinitum. Bei Lotze vermischen sich offenbar beide Irrtümer, indem
er einerseits Urteil als psychischen Akt versteht und andererseits doch
von der Me in u n g der Sätze" S ist P" und" S ist nicht P" spricht" und
dies begründen will, eine Meinung, die nicht den psychischen Akt
trifft, sondern seinen objektiven Gehalt.
Auch mit der Behauptung können wir uns natürlich nicht befreun-
den, dass der Fragesatz eine dem affirmativen und negativen Satz
nebengeordnete Stelle in einer Klassifikation vertreten könnte. Denn
was ist der Sinn des Satzes "Ist S P?"? Doch kein anderer als: Ich
wünsche· zu wissen, ob S P ist (objektiver Gehalt: "Welches von
beiden gilt", ob das eine oder das andere?). Es liegt hier also ein
sehr spezieller kategorischer Satz vor der bejahenden Form. Und die
Einteilung würde etwa der Einteilung der Pferde gleichen in zahme
Pferde, wilde Pferde und deutsche Pferde.
2) Ich habe noch eine zweite merkwürdige Ansicht über die Bedeu-
tung der Negation im kategorischen Satze erwähnt, wonach, wie man
sich ausdrückt, das "nicht" zum Prädikat gehört als ein dasselbe zum
negativen Begriff stempelnder Bestandteil, nicht aber zur Kopula.
Sätze wie" Gold ist nicht grün", "Der König ist nicht verreist" u.dgl.
sollen interpretiert werden nach Maßgabe der Sätze "Die Seele ist
unsterblich", "Holz ist ein Nichtleiter der Elektrizität", "Die Asym-
ptoten sind unendlich" usf. Schon Hobbes hat in seiner Schrift De
Corpore diese Lehre vertreten;' in neuerer Zeit neben einer Reihe
unbedeutender Logiker kein Geringerer als Bolzano, der allerdings
gesteht, dass sich ihm erst nach langem Hin- und Herschwanken diese
Meinung befestigt habe..••
Der so genannte negative Satz soll also nichts weiter sein als ein
affirmativer mit negativem Prädikat. So gut wir einem Sein P zu-
schreiben können, so gut können wir ihm auch den Mangel des P, das
Fehlen des P zuschreiben, und das eben ist die Meinung des negativen
also dahin gehen, das Wörtchen "nicht" gehöre zum Wörtchen "ist"
(der sprachlichen Kopula). Beiden zusammen gehöre die einheitliche
Funktion zu, die gedankliche Kopula, den Beziehungsgedanken, der
S und P in die Einheit des Satzes zusammenschließe, anzudeuten.
Gemeint kann aber von vornherein der logische Satz sein und
demgemäß das afficere die Bedeutung einer näheren Bestimmung
haben, die zu der logischen Kopula "ist", also der Kopula, welche
dem affirmativen Satz "S ist P" die Einheit schafft, hinzutrete.
Der triftige Gedanke ist der erstere. Aber leicht gleitet man in
den letzteren über, und wenn man auch diese nähere Bestimmung
nicht in der Weise Inissdeutet, dass man das "Nicht-Ist" als einen
besonderen Fall des Ist auffasst, so liegt es doch umso näher, das
Nicht als Negationszeichen zu fassen, welches an dem "ist", also an
der affirmativen Verknüpfung des S mit P, eine gewisse Operation
übt, eine Operation, die dann nicht anders gedeutet werden kann als
Ungültigkeitserklärung des "S ist P". Und so erwächst die Formel
"Es ist nicht wahr, dass S P ist" als angeblich exakte Interpretation
der einfacheren "S ist nicht P".
Sigwart sucht seine Ansicht psychologisch zu begründen. Die Ver-
neinung will er nicht als eine dem positiven Urteil "gleichberechtigte
und gleichursprüngliche Spezies des Urteils" gelten lassen (Sigwart,
(Logik, Bd.) I, (S.) 150)' Die subjektive, individuell zufällige Bewe-
gung des Denkens, die in ihren Einfällen, Fragen, Vermutungen und
irrtümlichen Behauptungen über das objektiv Gültige hinausgreift,
werde durch die Verneinung in ihre durch die Natur der gegebenen
Vorstellungen gesteckten Schranken verwiesen. So setze die Vernei-
nung für ihre Entstehung immer ein vollzogenes oder versuchtes
Urteil voraus, Inindest den Gedanken einer positiven Beilegung ei-
nes Prädikats. Sie habe also nur einen Sinn, indem es einer solchen
widerspricht und sie aufhebt. 1 Aber derartige Argumente sind ganz
wirkungslos, wenn man bedenkt, dass die Frage der psychologischen
Priorität für die Frage der logischen durchaus nicht präjudiziert, also
auch die Möglichkeit einer logischen Unabhängigkeit völlig unberührt
lasse. Die logische Priorität bedeutet begriffliche Unabhängigkeit,
und diese vertreten wir, indem wir meinen, dass der Gedanke des
negativen Satzes nicht explizit den des entsprechenden affirmativen
1 Vgl. (Anton) Marty, .. (Über) subjektlose Sätze (und das Verhältnis der Grammatik zu Logik
und Psychologie) 11" (Vieneljahrsschrift /Ur wissenschaftliche Philosophie (8 (1884), S.) 190.
VON DEN SÄTZEN 161
In der logischen Tradition seit Kant wurden lange Zeit neben den
affirmativen und negativen Sätzen als dritte koordinierte Klasse die
limitativen genannt: "S ist non-P". Dass ihnen diese ihre Stellung
nicht gebührt, da sie den Charakter affirmativer Sätze mit speziel-
len, nämlich mit negativen Prädikaten haben, das ist ebenfalls in
unseren Kritiken hervorgetreten. Unberechtigt muss ich es jedoch
finden, wenn Lütze sie als" widersinnige Erzeugnisse des Schulwit-
zes " brandmarkt. Schon das finde ich von dem berühmten Den-
ker sonderbar, dass er negative Begriffe wie Nicht-Mensch nicht
einmal als fassbare Vorstellungen gelten lassen will: "In der Tat,
wenn Nicht-Mensch alles bedeutet, was es logisch bedeuten soll,
nämlich alles, was nicht Mensch ist, mithin nicht bloß Tier oder
Engel, sondern auch Dreieck, Schwefelsäure und Wehmut, so ist es
eine ganz unausführbare Forderung, dies wüste Gemeng des Ver-
schiedenartigsten in eine Vorstellung zusammenzufassen, die sich
dann als Prädikat zu einem Subjekt hinzufügen ließe. ". Eine son-
derbare Bemerkung. Wir behaupten dann, dass Nicht-Mensch al-
les bedeute, dem es zukommt, ein Nicht-Mensch zu sein; und nun
gar, dass dies der logische Sinn davon sein müsse? Bedeutet denn
Mensch alles, was Mensch ist? Bedeutet Mensch so viel wie Bis-
marck, Schiller u.dgl.? Und ist es nicht ebenso unausführbar, dieses
Gemenge von Bismarck, Schiller usf., kurz alles, was in den Umfang
des Begriffs Mensch gehört, von irgendeinem Gegenstand zu prä-
dizieren, als es unausführbar ist, Dreieck, Schwefelsäure, und was
sonst in den Umfang des Begriffs Nicht-Mensch gehört, von irgend-
einem Gegenstand zu prädizieren? Wie konnte nur ein so scharf-
sinniger Denker den Umfang eines Begriffs und seine Bedeutung,
d.i. den Begriff selbst verwechseln? Und wie stellt sich nun, werden
Sie fragen, Lotze zu den Fällen, wo das natürliche Denken Sätze
der Form "S ist non-P" verwendet, da man ihm doch nicht zumuten
darf, sich mit widersinnigen Bildungen abzugeben? Z.B. "Ärzte sind
Nicht-Kombattanten": Ja, sagt Lütze, der Satz kann nicht etwa die
Bedeutung (haben), die ihm der limitative Satz zu unterschieben
scheint, denn Nicht-Kombattanten wären auch Pferde, Wagen, Drei-
ecke u.dgl., und diesen würde man doch nicht die Ärzte einreihen
wollen. Gemeint seien Heerespersonen, die nicht kombattieren.•• Das
ist gewiss richtig, dass man beim negativen Prädikat nicht an all die
heterogenen Objekte denkt, die in seinen Umfang fallen, und richtig
ist es, dass man eben nur an einer nicht genauer bezeichneten Teil-
klasse interessiert ist und evtl. auch an sie denkt. Aber liegt die Sache
doch nicht SO, dass man, mindest in nicht seltenen Fällen, zunächst
bloß den negativen Begriff bildet, einfach aus Bequemlichkeit? Man
ist zu bequem, den Begriff der besonderen Klasse näher zu fixie-
ren.
• A.a.O., A 160.
VON DEN SÄTZEN 165
Prädikate die unter die Formeln gehörigen Sätze. Das sei aber ganz
und gar nicht der Fall. Dabei treten aber wieder große Differenzen in
der Bestimmung der wahren Subjekte und Prädikate hervor. Wieder
andere gingen noch weiter, indem sie behaupteten, die allgemeinen
und besonderen Sätze seien überhaupt nicht kategorische Sätze, son-
dern bejahende oder verneinende Existentialsätze, welche sie als eine
wohlunterschiedene Klasse den kategorischen an die Seite setzten,
wobei sie sich freilich auch bemühten, die eigentlichen kategorischen
Sätze als eigentümliche Verbindungen von Existentialsätzen zu be-
greifen.
Der Streit geht so weit, dass die verschiedenen Interpretationen,
die man den Formeln gegeben hat, miteinander nicht einmal äquiva-
lent sind, sofern die Ansichten darüber gänzlich auseinander gehen,
ob in der Formel des allgemeinen Satzes" Alle A sind B" die Existenz
von A's impliziert sei oder nicht.
und Sätze der Art wie" Einige Sterne werden sichtbar", " Viele Bäume
sind entwurzelt "; und wenn sich mit der Schätzung auch Zählung
verbindet, Sätze mit bestimmten Quantitätsvorstellungen, wie ,,50
Mann sind verwundet".
Welcher Art ist nun, fragt Sigwart, die" Urteilsfunktion " in diesen
Fällen?
1) Am nächsten liege die Auffassung, dass der Plural als Zeichen
einer Mehrheit von Urteilsakten diene. Dies treffe für eine Klasse
von Fällen in der Tat zu. Uns werden am Abendhimmel einzelne
bestimmte Sterne sichtbar, etwa a Lyrae, ß Orionis. Aber sei es,
dass wir die Namen nicht wissen, sei es, dass wir sie nicht benennen
wollen, genug, wir sagen nicht, a Lyrae werde sichtbar und ß Orionis
werde sichtbar etc., sondern wir bezeichnen sie bloß mit dem einen
sie gemeinschaftlich umfassenden Namen Sterne. Wir sagen: "Einige
Sterne werden sichtbar", obwohl wir bei all dem die bestimmten
einzelnen meinen.
2) Anders verhalte es sich in einer zweiten Klasse von Fällen, in
der nämlich zuerst die Vorstellung einer sozusagen in einem Blick
wahrgenommenen Vielheit da ist und von dieser dann das Prädikat
ausgesagt wird, z.B. "Die Bäume stehen dicht gedrängt", "Zahllose
Vögel beleben den Wald". Hier sei die Synthese eine einfache, die
Urteile seien hier nicht aus einer Summierung von vielen Urteilen
entstanden.
3) In gewissen Fällen wieder gehöre die Quantitätsbezeichnung
eigentlich zum Prädikat. Sagen wir: "Viele Menschen sind kurzsich-
tig", so wollen wir nicht mitteilen, dass A, B, C ... kurzsichtig sind.
Was mitgeteilt werden soll, das ist die allgemeine Tatsache, dass der
Kurzsichtigen viele sind, viele im Vergleich zur Gesamtzahl. Ähnlich,
wenn es im Gefechtsbericht lakonisch heißt: "tot: 10, verwundet: 50".
Schon in dieser Betrachtung, welche als Grundlage für die Deutung
der universellen und partikularen Satzformen dienen soll, können wir
nicht ganz zustimmen und beobachten den verderblichen Einfluss der
psychologischen Analyse auf den Fortgang der logischen. Was trägt
denn die Frage, wie die Satzformen psychologisch entstehen, zur Frage
nach dem, was sie meinen, bei? Nicht dadurch, dass wir erforschen,
wie die pluralen Sätze der drei Gruppen entstehen, konstatieren wir
ihren Bedeutungsunterschied, sondern dadurch, wenn wir eben auf
die Bedeutungen achten, und davon lenkt die psychologische Analyse
nur ab. Dass im Satz "Einige Sterne sind sichtbar" ein anderer lYpus
VON DEN SÄTZEN
ausgeprägt ist als im Satz "Die Bäume stehen dicht gedrängt", das
erkennen wir an dem Umstand, dass im ersten Satz das Prädikat jedem
Einzelnen der unbestimmten Vielheit, die das Subjekt vorstellt, zu-
kommt, während dies im zweiten Beispiel nicht zutrifft. Der einzelne
Baum ist nicht dicht gedrängt. Wie die Vielheit vorgestellt ist, ob
in einer einheitlichen Anschauung oder in sukzessiver Aufsammlung
von Einzelheiten oder sonstwie, das ist doch gleichgültig. Und wenn
Sigwart den Unterschied davon herleitet, dass das eine Mal erst die
Einzelnen da sind und an jedem das Prädikat bemerkt wird und das an-
dere Mal eine Gesamtanschauung einer sinnlichen Vielheit, so führt er
uns in die Irre, er lenkt unser Interesse auf etwas, das logisch ganz irre-
levant ist. Wenn ich sage: " Die Begründungsgesetze der formalen Lo-
gik bilden ein System", so habe ich ein Urteil genau derselben Form,
wie wenn wir sagen: "Die Bäume stehen dicht gedrängt." Aber dass
wir die BegrÜDdungsgesetze in einer Gesamtanschauung nach Art der
sinnlichen Mengen vorstellen könnten, wird niemand behaupten.
Dieses einseitige Achten auf den psychologischen Vorgang ver·
führt Sigwart bei der ersten Gruppe, die durch das Beispiel" Einige
Sterne werden sichtbar" belegt ist, zu der Meinung, es sei die Funk-
tion des Ausdrucks, auf eine Vielheit von Urteilsakten hinzuweisen.
Das ist sicher falsch. Mögen uns auch zunächst bestimmte einzelne
Sterne sichtbar geworden sein, wenn wir sagen: "Einige Sterne ... ",
so meinen wir nicht mehr bestimmte einzelne Sterne, selbst wenn die
anschaulichen Vorstellungen derselben uns noch gegenwärtig sind.
Meinen wir die bestimmten einzelnen (etwa, weil uns an diesen etwas
auffällt) und können wir sie nicht benennen, so werden wir mindest
sagen: " Gewisse Sterne werden sichtbar", was nicht gleichbedeutend
ist mit "einige Sterne". Und auch dann wird man nicht behaupten
können, dass die Bedeutung des Satzes in den vorausgehenden und in
der Erinnerung festgehaltenen einzelnen Urteilen bzw. Sätzen liege.
Wer auf die bestimmten einzelnen nicht direkt hinweisen, sie aber
auch nicht benennen oder sonstwie indirekt vorstellig machen kann,
der muss überhaupt darauf verzichten, dem anderen die Urteile zu
vermitteln, die eben die Vorstellungen der bezüglichen einzelnen
selbst voraussetzen würden. In der Not begnügt er sich dann damit,
gewisse andere Sätze auszusprechen, welche statt der bestimmten
unbestimmte Vorstellungen enthalten, aber mit Prädikaten, die den
eigentlich intendierten aber auch zukommen und um derentwillen auf
den betreffenden Gegenständen unser Interesse ruht.
168 LOGIK
chende Formel eigentlich lauten müsste: " Wenn etwas A ist, so ist es
notwendig auch B ", ein Urteil, das offenbar die Existenz eines A nicht
voraussetzt oder einschließt. Die im empirischen Gebiet entstandene
Formel führt aber den Nebengedanken mit sich, dass A's existieren,
und so ist sie ein höchst inadäquater Ausdruck des Notwendigkeitsge-
dankens, wenn ein unbedingt Allgemeines ausgedrückt werden sollte.
Es ist, sagt Sigwart, eine J.tE'taßaOL~ ... , ein Rückfall aus dem Gebiet
des freien und unabhängigen, in unseren festen Vorstellungen sich
bewegenden Denkens in die Gewohnheiten der Anschauung, die es
mit Einzelnem zu tun hat. Adäquat wäre der Ausdruck "Der Mensch
ist sterblich" u.dgl., "A ist B ".
Machen wir hier wieder einen Haltepunkt und prüfen wir die Halt-
barkeit dieser einflussreich gewordenen Lehren.
Abermals muss ich einwenden, dass sie weder psychologisch noch
logisch das Richtige treffen und dass sie vor allem in einer höchst
unangemessenen Weise psychologische Unterschiede, die sich bei den
Urteilen finden oder die ihre Entstehung betreffen, hineintragen in die
logische Unterscheidung der den Urteilen innewohnenden objektiven
Sätze.
Dass der psychologische Ursprung der Urteile, die in der Form
"Alle A sind B" ausgedrückt werden, auf Fälle hinweist, wo eine
begrenzte Vielheit anschaulicher Objekte eines und desselben Be-
griffs gegeben sind, ist richtig. Aber dass darum die Bedeutung der
Formel, selbst wenn sie Anwendung findet auf solch eine begrenz-
te Vielheit übersehbarer anschaulicher Objekte, den Begriff dieser
Anwendungsform einschließe, also im selben Sinn nur gebraucht
werden könne, wo eben begrenzte Vielheiten empirisch gegebener
Gegenstände vorliegen, das muss entschieden geleugnet werden.
Schon die psychologische Deskription, welche die Entstehung des
Urteils betrifft, ist sehr mangelhaft. In manchen Fällen mag es sein,
dass die Anzahl der Objekte wirklich bestimmbar sei und dass das
Urteil aufgrund eines Durchlaufens der Einzelnen und in der Kon-
statierung, dass einem jeden das Prädikat zukomme, resultiere. In
vielen anderen Fällen trifft dies aber nicht zu; weder ist da von der bei
Sigwart so sehr betonten Zählbarkeit die Rede noch davon, dass von
den Einzelnen das Prädikat B auch einzeln behauptet werde. Z.B.
wenn wir, in einen großen gefüllten Saal eintretend, konstatieren,
dass alle Herren im Frack sind, so tun wir dies sicher nicht aufgrund
so vieler Einzelbehauptungen, als Herren da sind. In einem Blick
VON DEN SÄTZEN
sozusagen erfassen wir die anschauliche Vielheit als eine Vielheit von
Herren, und wieder in einem Blicke erfassen wir sie als eine Vielheit
befrackter Herren. Wir brauchen, wenn hundert Herren da sind, nicht
hundert Urteile zu fällen. Oder denken Sie, wenn die Zeit der Vogel-
wanderungen ist und mächtige Schwärme von Lerchen, Schwalben,
Wildenten u.dgl. die Fluren und Lufträume erfüllen: Da ist doch von
einer wirklichen Zählbarkeit keine Rede und ebenso wenig von einem
Durchlaufen der Einzelnen, wenn wir Sätze aussprechen: "All diese
Vögel sind Wildenten und Lerchen." Wir mögen einzelne Schritte
machen, an jedem das Prädikat konstatierend, aber wir begnügen
uns eben mit einzelnen und sagen doch allgemein und nicht bloß
mit Beziehung auf die wirklich durchlaufenen: "All diese Vögel sind
Schwalben. " Und wie, wenn im Feuerwerk ein Sprühregen von roten
Kugeln geworfen wird, der im Aufblitzen schon wieder dahin ist? Da
ist doch sicher von Zählbarkeit und Einzeldurchlaufen keine Rede.
Und erst recht nicht, wenn in fortgesetzter Sukzession Sprühregen auf
Sprühregen folgt.
Sicherlich würde aber Sigwart selbst diese Beispiele als echte Bei-
spiele seiner Klasse empirisch allgemeiner Urteile gelten lassen.
Lassen wir also die Zählbarkeit und das Einzeldurchlaufen fallen
und halten uns bloß daran, dass in einer anschaulichen Einheit, sei es
in anschaulicher Koexistenz oder in Sukzession, eine Mannigfaltigkeit
von empirisch-anschaulichen Dingen gegeben sei. Ist dadurch, frage
ich nun weiter, der objektive Gehalt der Aussage "Alle A sind B"
beschränkt? Nehmen wir selbst an, die sigwartsche Interpretation für
diese Fälle sei richtig, die Formel meine "Die A, die B sind, sind alle
A ": Kann sie nicht im selben Sinn auf anderes Anwendung finden
als auf anschauliche Dinge? Kann ich nicht sagen: "Alle Spezies von
Tonqualitäten ordnen sich in eine Reihe" und dann ebenso inter-
pretieren: "Die Spezies von Tonqualitäten, die sich in eine Reihe
ordnen, sind alle Spezies von Tonqualitäten"? Oder ein anderes Bei-
spiel: "Alle Fehlschlüsse dieser Abhandlung sind Folge der und der
falschen Sätze." Hier ist doch wahrhaftig nicht von anschaulichen
Dingen die Rede. Oder: "Alle Kegelschnitte werden von den Schnei-
denden in höchstens zwei Punkten geschnitten" usw. Und wie, wenn
wir Sigwarts Beispiele der unbedingt allgemeinen Urteile nehmen:
Lassen sie sich nicht genau in dem Sinne interpretieren, der für die
empirisch allgemeinen festgesetzt war? "Alle Menschen sind sterb-
lich ": "Die Menschen, die sterblich sind, sind alle Menschen" usw.
LOGIK
Nach Sigwart soll, die Ausnahme zu leugnen, der Sinn des empirisch
allgemeinen Satzes sein. Aber kann nicht, wo von empirischen Ob-
jekten in dem Sinne anschaulich gegebener Objekte gar keine Rede
ist, gleichwohl eine Ausnahme geleugnet werden? Und wenn dies,
warum soll dann das Anwendungsgebiet der Aussageform, welche
Ausnahme leugnen will, einen verschiedenen Sinn derselben ausma-
chen? Die Einheit der Bedeutung besteht doch gerade darin, dass
bei Abstraktion von der Besonderheit konkret gegebener Termini
ein einheitlicher Gedanke da ist, welcher in immer gleicher Weise
das konkret Gegebene in der Einheit der Satzform zusammenbin-
det. Indem Sigwart sich vom Gesichtspunkt des Ursprungs und der
Anwendung leiten lässt, verwechselt er Unterschiede der möglichen
Veranschaulichung, also dessen, was unter A und B gedacht ist, mit
Unterschieden der Form, d.i. Unterschieden in der logischen Bildung
des Satzes.
Beiklge. Dass der Vorwurf, den wir eben zu machen geneigt waren, gerecht ist,
das zeigt die Überlegung des Grundes, den Sigwart selbst für die Unterscheidung
zwischen empirisch und unbedingt allgemeinen Sätzen angibt. Die ersteren entstehen
durch einzelweise Aufzählung und Konstatierung des immer wieder vorfindlichen B,
die letzteren hingegen, wenn wir von den analytischen Sätzen absehen, auf dem Wege
des Schlusses, sei es von den beobachteten Fällen auf alle möglichen überhaupt, sei
es von dem Inhalt des A auf das notwendig damit verbundene B. Und damit wird
für Sigwart der Unterschied der Bedeutung klar. Durch den Schluss gewinnen die
unbedingt allgemeinen Sätze den Charakter der Notwendigkeit, den die empirisch
allgemeinen nicht besitzen können, da sie ja nur das Tatsächliche konstatieren, dass
dies und dies und dies Einzelne B sei.
Das scheint ja sehr plausibel.! Und näher besehen zeigt sich der Irrtum der
Argumentation leicht. Mag auch jedes allgemeine Urteil auf dem Wege des Schlusses,
also als notwendige Folge gewisser Prämissen entstanden sein, so ist doch zweierlei,
notwendige Folge eines anderen sein und das notwendig Folgen aus diesem ande-
ren behaupten. Gesetzt, dass das Urteil "Alle Menschen sind sterblich" auf dem
Weg irgendeines Schlusses folgt, so ist es doch nicht die Funktion des Satzes "Alle
Menschen sind sterblich", eben dieses sein Folgen aus einem anderen zu behaupten.
Dazu bräuchten wir vielmehr einen ganz anderen Satz: Dass alle Menschen sterblich
sind, ist eine notwendige Folge von dem und dem. Leicht wäre auch nachzuweisen,
dass Sigwart hier zugleich zwei total verschiedene Bedeutungen von Notwendigkeit
durcheinander wirft: die Notwendigkeit des Folgens und die Notwendigkeit, die
einem Satz selbst anhaftet und einwohnt, die Notwendigkeit des Gesetzes. Sage
ich: "Jeder Satz ist notwendig wahr oder falsch", so wohnt dem die Notwendigkeit
1 Gestrichen Aber wie könnte es richtig sein, da doch die Entstehung eines Urteils etwas ganz
anderes ist als der Sinn seines objektiven Gehalts.
VON DEN SÄTZEN 173
ein. Es ist ein Gesetz ausgesprochen. Und diese Notwendigkeit beruht nicht auf
einer Deduktion, da es sich um ein unmittelbares und nicht mehr deduktibles Axiom
handelt. Und wieder, selbst wenn ein Satz ableitbar ist, kann er doch eine innere
Notwendigkeit einschließen - er kann ein Gesetz sein -, die verschieden ist von der
Notwendigkeit der Deduktion, aus der er stammt.
Sigwart, indem er die Notwendigkeit, mit der ein Satz aus einem Beweis· her-
vorgeht, verwechselt mit der ihm eigenen und innewohnenden Notwendigkeit, wie
sie Gesetzen, und nur Gesetzen zukommt, fasst die unbedingt allgemeinen Sätze,
weil sie angeblich nur aus Schlüssen entspringen, als notwendige Sätze, und zwar als
Gesetze (eben durch die angegebene Verwechslung), und so kommt es, dass er ihnen
die Bedeutung unterschiebt: Wenn etwas A ist, so ist es notwendig B, d.h. es ist ein
Gesetz, dass jedes A B ist.
Übrigens bemerken wir auch, dass es psychologisch unrichtig ist, jedes allgemeine
Urteil entspringe aus einem Schluss (wenn es nicht analytisch sei). Es genügt, darauf
hinzuweisen, dass wir unzählige Urteile auf Autorität hin fällen, und dann sprechen
wir nicht bloß die Aussagen nach, sondern wir urteilen auch. Hier verwechseltSigwart
psychologischen Ursprung und logische Begründung. Er denkt eigentlich, alle diese
Sätze können nur logisch begründet werden durch einen Schluss, und er macht daraus:
Sie entspringen psychologisch aus Schlüssen.
Was hier Sigwart in die Irre geführt hat, ist aber nicht bloß die
psychologische Untersuchungsart. Logisch bedeutsam sind nicht bloß
Unterschiede der Form, sondern auch mancherlei Unterschiede der
Materie.
Einer der wichtigsten Unterschiede ist nun gerade der zwischen
Sätzen, welche individuelle Existenzen voraussetzen, und solchen, die
es nicht tun. In Bezug auf die universellen Sätze ergab dies den wahren
Unterschied der empirisch allgemeinen und apodiktisch allgemeinen.
Die beiderlei Sätze spielen theoretisch eine verschiedene Rolle, ob-
schon sie von derselben Form sind. Das hat Sigwart jedenfalls auch
bemerkt, obschon er sich. es nicht zu diskursiver Klarheit gebracht
hat, und das spielt hier verwirrend mit hinein, hier, wo es sich nur um
Feststellung der Bedeutung der Satzform als solcher handelt.
Damit ist aber unsere Kritik nicht beendet. Einerseits haben wir
bloß vorläufig die Deutung angenommen, " Alle A sind B" meine im
empirischen Gebiet "Die A, die B sind, sind alle A "; " alle " gehöre
zum Prädikat. Und andererseits haben wir bloß festgestellt, dass, wie
immer die Interpretation erfolge, dieselbe Interpretation auch im
Gebiet des Nichtanschaulichen, Nichtempirischen statthaben könnte,
während wir uns mit der von Sigwart selbst dargebotenen und ihrem
Sinne nach abweichenden Formel nicht auseinander gesetzt haben.
174 LOGIK
• Vgl. Franz Brentano, Psychologie vom empirischen Standpunkte, Leipzig 1874, Bd. I, S. 283.
VON DEN SÄTZEN 175
Begleiterscheinungen. Und was über sie hinaus da ist, das ist ein
eigentümliches inneres Erlebnis, das wir Verständnis des Wortes nen-
nen. Was das Wort" London" bedeutet, das ist der logische Gehalt der
entsprechenden Vorstellung, und das ist offenbar gänzlich verschie-
den von dem, was wir jeweils in uns finden. Ähnlich verhält es sich bei
Aussagen. Überlegen wir uns doch die Entstehung der allgemeinen
Urteile an der Anschauung. Eine sinnliche Menge einzeln durchlau-
fend finden wir Schritt für Schritt: Dieses A ist B, dieses A ist wieder B,
usw. Der Schluss ist: Alle sind B, keines ist da, das nicht B wäre. Aber
sinnliche Mengen, d.h. in einer sinnlichen Anschauung verstreute Ob-
jekte gleichen sinnlichen Typus, bilden eine sinnliche Einheit, die Ein-
heit einer Konfiguration derart, dass durch die sinnliche Gleichheit die
Konfiguration als Ganzes einen einheitlichen qualitativen Charakter
erhält. Davon geben Zeugnis Ausdrücke wie "ein Schwarm Mücken",
"ein Haufen Kugeln", "ein Zug Enten" usf. Ist nun mehrfach sinnli-
che Gleichheit vorhanden, so hat die sinnliche Gesamtmenge in ihrer
Gesamtkonfiguration eine doppelte qualitative Bestimmtheit, und so
kann hier ein singuläres Urteil in derselben Weise sich bilden wie
in anderen Fällen. Wie ich bei einem sinnlichen Einzelnen urteile:
"Dieses Pferd ist rot", so kann ich sagen: "Dieses Vierergespann ist
schön, ist unruhig" u.dgl., "Diese Ochsen sind alle rot", "Diese Vögel
sind Schwalben" usf. Es haben sich eben erfahrungsmäßig verknüpft
die Vorstellung einheitlicher sinnlicher Mengen mit ihren quasiqua-
litativen Bestimmtheiten und die Überzeugung, dass, wo derartige
quasiqualitative Bestimmtheiten bestehen, auch eine Einzeldurchlau-
fung möglich sei und das Allheitsurteil begründen würde. In einem
Blick erfassen wir so die sinnliche Vielheit als Vielheit von Rosen. Der
logische Gehalt der Vielheitsvorstellung würde erfordern die Bildung
einer summatorischen Vorstellung der Form" eine Rose und eine Ro-
se" usf. Aber in einem Blick erfassen wir die sinnliche Einheit und an
ihr den sinnlichen Mengencharakter, der uns die Möglichkeit gewähr-
leistet, die eigentliche Vielheitsvorstellung zu vollziehen. Und ebenso
verhält es sich mit dem Gleichheitscharakter in Bezug auf das Merk~
mal Rot. Die sinnliche Gesamtmenge, aufgefasst mit dem Gesamt-
charakter, der sie indirekt als eine Menge von Rosen kennzeichnet,
ist Subjekt eines singulären Urteils, welchem das Prädikat zukommt,
dass auch der einheitliche Rotcharakter da sei. Und dieses singuläre
Urteil surrogiert dann psychologisch für das eigentlich intendierte All-
heitsurteil. In uns finden wir bloß ein affirmatives Urteil. Wir bejahen
VON DEN SÄTZEN 179
bloß, und doch meinen wir etwas, das keine bloße Bejahung ist, das
sogar eine doppelte Verneinung in sich fasst. Es ist ähnlich wie bei dem
Beispiel der Vorstellung" London ". Die Vorstellung der Landkarte ist
die Vorstellung von etwas Anschaulichem, das in einer gewissen Be-
ziehung zum eigentlich gemeinten Gegenstand steht. Und diese Vor-
stellung hat psychologisch die Eignung gewonnen, das Bedeutungsbe-
wusstsein zu tragen, zu stützen und auch da hervorspringen zu lassen,
wo das eigentlich Intendierte in anschaulicher Weise gar nicht vor-
stellig gemacht werden kann. Beim Worte" Kultur" fällt mir eben das
Bild einer griechischen Tempelruine ein, beim Worte" Wissenschaft"
ein Buch u.dgl. Und so, wie eine Vorstellung für eine Vorstellung
surrogieren kann, so auch ein Urteil für ein Urteil und unter Umstän-
den eine Bejahung für eine Verneinung. Die Entstehung der Formel
"Alle A sind B" an sinnlich anschaulichen Mengen bedingt es eben,
dass, wo wir sie gebrauchen, symbolisch anschauliche Mengenvorstel-
lungen mit ihren quasiqualitativen Charakteren auftauchen und mit
ihnen zugleich die Vorstellungen affirmativer Zusammenhänge dieser
Charaktere, die den Bestand der eigentlich intendierten universellen
Sätze mit ihren doppelten Negationen regelmäßig begleiten.
Dasselbe, was vom Ausdruck "Alle A sind B" gilt, (gilt), wie ich
hier gleich anfügen will, von einem Ausdruck "Jedes A ist B", der
von den Logikern promiscue neben dem anderen gebraucht wird als
Ausdruck desselben Gedankens. "Jedes A", das weist hin auf das
einzeln Durchlaufen. Je eins nehme ich zur Hand und finde dann
das B. Hier vermittelt das eigentümliche Erlebnis des schrittweisen
Wiederfindens eines und desselben Merkmals innerhalb der Glieder
einer sinnlichen Gesamteinheit, die durch ihre Form oder Ordnung
die Vollständigkeit des Durchlaufens von selbst geWährleistet und
so den wirklichen Vollzug des negativen Urteils "Es ist keines da,
das nicht B wäre" überflüssig macht. Wenn ich eine Soldatenreihe
durchschreite, so ist es die Reih~nform, die mir das negative Urteil
erspart; wenn ich Goldstücke aus einem Sack herausgreife und ein-
zeinweise die Echtheit konstatiere, so ist es die Leerheit des Sackes,
die mir die Negation erspart. Im Begriff der Leerheit steckt zwar die
Negation, aber ich beurteile sie ja gewöhnlich nach indirekten An-
zeichen, an dem lappigen Zusammenschrumpfen, an der Leichtigkeit
des Entleerten usw. Damit hängt es ja auch zusammen, dass Prädikate,
deren eigentliche Bedeutung eine negative ist, in uns durch affirmative
vertreten werden und dass man bei negativen Wortbildungen nicht
180 LOGIK
immer auf negative Begriffe schließen darf, da sie als Zeichen solcher
entstanden sein können, aber dadurch, dass die Stellvertretung zur
Bedeutung wurde, im Lauf der Zeit eine affirmative Funktion erlangt
haben können.
Sie verstehen nun, wenn ich aufgrund dieser Sachlage von einer
Klippe der logischen Analyse sprach. Hier liegt in der Tat eine der ge-
fährlichsten, zumal in unserer psychologisierenden Philosophie. Fin-
det der Psychologe bei der Vergegenwärtigung einer Aussage in sich
ein affirmatives Urteil, so wird er geneigt sein, den entsprechenden
Satz selbst als einen affirmativen zu fassen. Tht er dies aber nicht,
indem er seinem lebendigen Bedeutungsbewusstsein folgt, so wird er
es sich gefallen lassen müssen, dass man ihm einen psychologischen
Irrtum vorwirft, und er verliert die Macht, Gleichgesinnte zu überzeu-
gen. So hoffe ich, Ihre Bedenken bezüglich unserer Analyse beseitigt
zu haben, welche die vertraute Formel" Alle A sind B" in dem Sinne
deutet, dass von der Allheit der A ausgesagt wird, dass nichts in ihr
sei, das nicht B wäre.
Gegen die Meinung hingegen, welche zwischen Sätzen der Form
"Alle A sind B" und "Ein bestimmtes Einzelnes ist B" keinen ande-
ren Unterschied findet als den Unterschied in der Subjektform, die
im einen Fall ein Allgemeines, im anderen ein Einzelnes ist, brauchen
wir keinen großen Apparat widerlegender Argumente. Gewiss ist der
Unterschied beiderseits der, dass das Prädikat, B zu sein, einmal allen
A und das andere Mal dem bestimmten einzelnen S zukommen soll.
Aber was unzweifelhaft erscheint, ist doch, dass die Prädikation in
beiden Fällen verschieden erfolgt. "Alle A", das ist nicht ein Sub-
jekt, ein Gegenstand für den Begriff B. Das Gegenständliche, das wir
in der Bedeutung des Ausdrucks finden, das ist die Vorstellung der
Gesamtheit der A und damit vermüpft der Nebengedanke, dass von
den Einzelnen dieser Gesamtheit auszusagen sei, ein Nebengedanke,
der den Ausdruck" alle A" zu einem synkategorematischen stempelt.
Wir sagen also von der Gesamtheit, der Allheit der A aus, aber das
Prädikat, das wir ihr beilegen, ist nicht, B zu sein, sondern, dass kein
Einzelnes in ihr nicht B ist. "Alle Menschen sind sterblich", das heißt:
Stelle ich mir alle Menschen vor, den Inbegriff der existierenden Men-
schen, so gilt, dass darin nichts vorkommt, das nicht sterblich wäre.
Der Gedanke der universellen Formel, der sich uns ergeben hat,
zeigt eine Komplikation, die auf einfachere Satzformen zurückführt.
Die universelle Form kann keine der elementarsten Satzformen dar-
VON DEN SÄTZEN 181
sein, wenn der Sinn jener negativen Existentialformel und dieser hy-
pothetischen äquivalent wäre. Sigwart scheint dieser Ansicht zu sein,
und Brentano geht sogar noch weiter; er meint, es bestände nicht
bloß Äquivalenz, sondern Identität. Der hypothetische Satz habe gar
keine andere Meinung als die jenes negativen Satzes, und dieser sei
vorzüglicher, weil er Qualität und Materie deutlicher hervortreten
lasse.·
Indessen bestehen hier große Schwierigkeiten, welche von den be-
rühmten Forschern gänzlich übersehen worden sind. Betrachten wir
doch die Negationen. Sind zwei Sätze äquivalent, so müssen auch ihre
Negationen äquivalent sein. Die Negation des Satzes "Es gibt kein S,
das Nicht-P ist" liefert "Es gibt ein S, das Nicht-P ist". Die Negation
des hypothetischen Satzes" Wenn etwas S ist, so ist es P" führt aber
auf etwas ganz anderes. Einen hypothetischen Satz können wir auch
aussprechen so wie einen entsprechenden negativen Existentialsatz,
ohne zu glauben, dass es S gibt, Z.B. "Wenn ein Dreieck zwei rechte
Winkel hätte, so würde es zur Winkelsumme mehr als zwei Rechte
haben". Leugnen wir solch einen Satz, so liegt offenbar nur darin,
dass es ein Dreieck dieser Art geben könnte, in dem die Winkel-
summe doch nicht größer wäre als zwei Rechte. Also die Negation
lautet bloß: " Ein S kann es geben, das Nicht-P ist"; eine Formel, die
keineswegs einzuschließen scheint, dass es ein S gibt, das nicht P ist.
Also die Negationen sind nicht äquivalent. Und trotzdem scheinen
die entsprechenden Positionen äquivalent zu sein. Es liegt hier eine
der merkwürdigsten logischen Paradoxien, deren Lösung uns später
ausführlicher beschäftigen wird.
einmal der Satz "Mehrere S sind p", ferner der Satz, dass nicht alle
es sind, der äquivalent durch den gedanklich einfacheren vertreten
werden könnte "Es gibt S, welche nicht Psind." Doch sind das nicht
explizite Bestandteile. Der partikulare Satz in seiner Einheit wäre
auszudrücken durch die Aussageform "Mehrere unter allen S sind
P. " Hier würde der Ausdruck "mehrere unter allen S" den ziemlich
komplizierten Gedanken des Subjekts darstellen. Das Prädikat wäre
aber nicht P, sondern, dass ein jedes aus dieser Mehrheit P sei.
Man kann sagen, dass dies der gewöhnliche Sinn der partikularen
Formel ist. Im Gegensatz dazu lehrt aber die traditionelle Logik, dass
die Sätze der Form "Einige S sind P" weder ausschließen, dass alle
S P sind, noch, dass ein einziges S P ist. Danach hätte die Formel
einen weniger beschränkten Gedanken. Schon die Beziehung auf alle
S wäre fallen gelassen. Es wäre nicht gedacht" einige der S", sondern
"einige S schlechthin". Von der unbestimmt vorgestellten Mehrheit
der S wäre ausgesagt, dass sie P sind. Aber die Mehrheit wäre in so
weitem Sinne verstanden wie etwa in der Arithmetik die Zahl, welche
auch eine bloße Einheit als Besonderung zulässt. Genauer könnten
wir also den Sinn ausdrücken durch "Ein S oder einige S sind p",
wo das Wörtchen" einige" eine unbestimmte Vielheit vorstellt. Diese
Disjunktion im Subjekt könnten wir ersparen, wenn wir dem Satze
den äquivalenten substituierten "Ein S ist P". Denn dann ist ja nicht
ausgeschlossen, dass es noch ein S, noch beliebig viele S gibt, die Psind,
evtl. sogar alle S. In jedem Fall ist es klar, dass man für den Satz einen
affirmativen Existentialsatz nehmen kann: "Es gibt ein S, welches P
ist" oder "Es gibt S, welche P sind". Und in der Tat kann man sagen,
dass es eine häufige Funktion der partikularen Formel, falls sie in der
eben besprochenen Weite gelten soll, ist, solchen Existentialsätzen
Ausdruck zu geben. Sie sollen nämlich Allgemeinsätze, die wir etwa
als Vorurteile für wahr halten, abwehren. Wir glaubten, dass Fixsterne
wirklich feststehen. Nun erfahren wir, der Sirius und der und jener so
genannte Fixstern bewegen sich. Einige Fixsterne bewegen sich also.
Hier dient uns der Satz zum Ausdruck des Existentialurteils "Also es
gibt Fixsterne, die nicht feststehen". Doch mag man auch sagen, wir
ersparen uns diese neue Form nur deshalb, weil sie selbstverständliche
Folge und Äquivalent der partikularen Formel ist. In anderen Fällen
wieder dient das partikulare Urteil als Durchgangspunkt zur Ent-
scheidung der Allgemeinheitsfrage, der entsprechenden allgemeinen
Formel "Alle S sind P". Wir haben gefunden, dass einzelne deka-
VON DEN SÄTZEN
disehe Zahlen mit der Endziffer 0 oder 5 durch 5 teilbar sind. Wir
fragen: Gilt dies allgemein? Die Antwort lautet: Ja, alle sind in dieser
Weise teilbar. Hier hat die partikulare Formel nicht den Sinn der
existentialen, sondern hat prädikativen Charakter. Zunächst weiß ich
bloß von einigen S, dass sie P sind, nachher beweise ich, dass alle P
sind. Wenn nun aber der Satz selbst nicht ein Existentialsatz ist, so
enthält er doch, jedenfalls vermöge des Plurals und der Distribution
des Prädikats, einen solchen in sich. Von einer unbestimmten Vielheit
von S wird ja ausgesagt: Es gibt kein Glied in ihr, das nicht P wäre.
Wie der allgemein bejahende, so impliziert auch der partikulare,
dass es Gegenstände gibt, die dem S unterstehen. Und auch hier ist
es wieder ein Problem, ob mit dem Subjekt zugleich ein expliziter
Existentialsatz gedacht ist, ob also hier der Sinn des Satzes lautet:
Es existiert eine Vielheit von S und unter deren Gliedern keines, das
nicht P wäre.
Hingegenl entfällt die Frage bei dem entsprechenden und äquiva-
lenten Existentialsatz "Es gibt ein S, das P ist", denn dieser impliziert
den Satz "Es gibt S" sicher nur als eine Folge. In dem Satz "Es gibt
eine Art Viereck mit gleichen Diagonalen" liegt nicht als wirklicher
Bestandteil der Satz "Es gibt eine Art Viereck", aber der letztere ist
mit dem ersteren als unmittelbare Konsequenz gegeben.
1 Dieser Absatz ersetzt den gestrichenen Text Auch dieser Gebrauch der Fonnel "Einige Ssind
P" setzt eigentlich voraus den Gedanken, dass es S gibt. Indessen bedarf es der Hervorhebung
desselben darum nicht, weil der Satz" Es gibt S, welche P sind" genügt, um die Existenz von S zu
verbürgen. Wir können so immer, anstatt zu sagen:" Unter den Ssind einige P", einfacher setzen:
"Es gibt S, die P sind". Jedenfalls sehen Sie, wie wir bei der Analyse auf lauter Existentialsätze
stoßen mit unbestimmter singuiärer oder pluraler Materie.
190 LOGIK
immer haben, wir können die durch das Wörtchen" und" sprachlich
angedeutete Verknüpfung vornehmen, wir gewinnen dadurch immer
wieder einen Gegenstand, nämlich einen Inbegriff. Ein Inbegriff be-
liebiger und einzeln gegebener Objekte S', S", S'" ... liefert uns also
eine allgemeine Differenzierung des S in der allgemeinsten Formel
"S ist P". Soll dieser Inbegriff wirklich Subjekt sein für das Prädikat
P, dann muss sich das P auf ihn als Ganzes beziehen, wie wenn wir z.B.
sagen: "Castor und Pollux ist ein Sternenpaar. "
Die Beziehung eines Begriffs auf eine Mehrheit von Gegenständen
kann aber eine doppelte sein, entweder die kollektive, wo der Begriff
Prädikat ist der Mehrheit als eines Ganzen; und die distributive, wo
der Begriff Prädikat ist eines jeden Einzelnen der Mehrheit. Ziehen
wir das Letztere in Betracht, so erwächst die neue Form "SI und S2
und S3 sind P": "Gold, Silber und Kupfer sind Metalle". Hier ist
nicht mehr P allein das Prädikat, im Plural "sind" liegt offenbar ein
weiterer Bestandteil davon, der übrigens nicht leicht festzustellen ist.
Die älteren Logiker haben öfter diese pluralen Sätze unter verschie-
denen Namen als besondere Satz- resp. Urteilsklassen aufgeführt. Die
neueren neigen zu der Ansicht hin, dass es überhaupt nicht einheit-
liche Sätze, sondern Kombinationen von Sätzen seien. "Gold, Silber
und Kupfer sind Metalle", das sei nur ein verkürzter sprachlicher
Ausdruck für "Gold ist ein Metall" usw. Psychologisch ist, wenn wir
auf die jeweiligen Vorstellungs- oder Urteilsakte hinblicken, diese
Ansicht jedenfalls unrichtig. Gewiss liegt eine einheitliche Prädikation
hier vor. Logisch aber ist es zweifelhaft, ob in der Distribution ein
eigentümliches und nicht weiter reduzibles Prädikat von Inbegriffen
liegt oder ob der Sinn nicht in dem Gedanken liege: Jedes der Gold,
Silber, Kupfer ist ein Metall, oder: Dieser Inbegriff "Gold, Silber,
Kupfer" hat die Eigenschaft, dass jedes Glied darin ein Metall ist.
Danach würde kein pluraler Satz mit bestimmt gegebenen Subjekten
sein, der nicht den Gedanken eines universellen bereits einschlösse.
Wie immer, es besteht zwischen den verschiedenen Interpretationen
ÄqUivalenz. Sicher ist jeder solcher Satz äquivalent einer Kombinati-
on von Sätzen, in denen die S einzeln die Subjekte sind. Und wieder
besteht Äquivalenz mit der zweiten Interpretation.
Ähnlich verhält es sich mit einer neuen Satzform, die entsteht,
wenn wir daran denken, dass beliebige Gegenstände S" S2 ... in
disjunktiver Weise in einem kategorischen Satz auftreten können:
"SI oder S2 oder S3 ist P." Auch da kann man interpretieren, gemeint
VON DEN SÄTZEN 195
sei: "S(I} ist P oder S, ist P ... "; oder interpretieren: "Eins der SI, S, ...
ist p", z.B. "Mayer oder Joule war der erste Entdecker des Gesetzes
vom mechanischen Wärmeäquivalent".
Vollkommen parallel Init diesen Differenzierungen des kategori-
schen Satzes, die auf den allgemeinsten Verknüpfungsformen von
Gegenständen beruhen, laufen andere, in denen die entsprechenden
Verknüpfungsformen im Prädikat angeführt werden. 1 In konjunktiver
oder disjunktiver Weise lassen sich auch beliebige Beschaffenheiten
als solche verknüpfen, gleichgültig was sonst ihr Gehalt sein mag.
S ist PI und P, = S ist PI und S ist P 2 =S ist beides.
S ist PI oder P, =S ist PI oder S ist P, =S ist eins von beiden.
Die Gliederzahl ist ganz beliebig, so dass wir hier schon unzählige
Formen haben. Und die Mannigfaltigkeit der Formen wird nun sofort
wachsen, wenn wir die Kombinationen durchführen, wenn wir sowohl
das S als das P in der oder jener Weise bestimmt denken, z.B. "SI
und S, sind entweder PI oder P,". Als Grenzfall in Bezug auf all
diese aufzählbaren Formen fungiert der, wo die Gliederzahl in den
konjunktiven und disjunktiven Verbindungen auf ein einziges Glied
reduziert (wird), und das ergibt wieder die Form "S ist P".
Weitere Differenzierungen gewinnen wir durch Einführung des
wichtigen Unterschieds zwischen Gegenstandsvorstellungen, die ihre
Gegenstände in völliger Bestimmtheit, also direkt, oder in mehr oder
minder bestimmter Weise, insbesondere in der Weise unbestimmter
Attributivvorstellungen vorstellen, also Formen der Art wie "Dies
ist P", ,; Carlyle ist ein edler Vorkämpfer des sittlichen Heroismus".
Ebenso können in den Konjunktionen und Disjunktionen, die als
Subjekte fungieren, die einzelnen Glieder lauter direkte Vorstellun-
gen sein: "Carlyle, Froude und Macaulay sind berühmte englische
Historiker." Auf der anderen Seite können aber die einzelnen Vor-
stellungen S, SI"', sei es einzeln, sei es alle, Vorstellungen völlig
unbestimmter Gegenstände sein: "Etwas läuft dort." In der Mehrheit
kommt diese Form kaum vor. "Etwas und Etwas läuft dort" sagen
wir nicht, aber wir sagen: "Zweie laufen dort", und das ist doch
wohl dasselbe. Wieder können die bestimmten oder unbestimmten
Gegenstände attributiv bestimmt sein, z.B. "Der treffliche Carlyle
1 Die Analogie ist doch nicht vollkommen. Bei den Subjektformen haben wir den Inbegriff
als Subjekt, hier haben wir hingegen nicht einen Inbegriff von Begriffen im Prädikat, sondern
die konjunktive Begriffsverbindung.
LOGIK
war ein großer Verehrer der deutschen Klassiker". Ebenso bei In-
begriffen als Subjekten. Und wieder: "Ein Hase läuft dort", "Ein
Habicht und eine Krähe kämpften um die Wette". Hier treten wieder
Zahlen auf, welche die Attribute der konjunktiv verknüpften Subjekte
derselben sind. "Ein Hase und ein Hase laufen dort": "Zwei Hasen
laufen dort" usw. Die ursprünglichen Formen werden vermieden,
nachdem die Zahlen gebildet sind, obschon der Gedanke nicht ein
identischer ist. Zwei Hasen, das ist eine Zwei, auf deren Einhei-
ten das Attribut Hase distribuiert ist: Zwei, deren jedes ein Hase
ist.
Sachlich in näherem Zusammenhang mit diesen Aussageformen
stehen die unbestimmten pluralen Sätze" Einige, viele sind P", " Viele
sind gekommen"; oder mit Attribution: "Viele A sind B." Im Aus-
druck "viele A" ist nicht "viele" ein Attribut von "ein A ". Vielheit
ist zwar ein bestimmter Begriff, aber unter ihn fallen alle Bildungen
der Form "Etwas und Etwas", "Etwas und Etwas und Etwas" usw.
als Besonderungen, und so bildet er zwar einen ausgezeichneten und
doch einen allgemeinen logischen Fall von Formbestimmtheit. Ähn-
lich verhält es sich mit den Anzahlen.
Wieder reihen sich an die Allheitssätze "Alle S sind P." Die Zu-
sammenordnung wird hier von einem systematischen Gedanken ge-
trieben, dass, wenn ein S P ist, entweder nur dieses S P ist oder dass
noch mehrere S P sind; und wieder, dass hierbei alle S P sind oder
nicht alle. Mit derartigen systematischen Gedanken wird natürlich die
sozusagen mechanische Durchführung der mannigfachen Formunter-
schiede, die in kategorischen Sätzen auftreten können, durchbrochen.
Aber eine solche Durchführung hätte auch keinen rechten Zweck.
Sind die allgemeinsten Bildungsformen von Vorstellungen festge-
legt, dann ist es ja selbstverständlich, dass bei der völligen Unbe-
stimmtheit des S in der Formel "S ist P" ebenso viel Besonderungen
kategorischer Satzformen resultieren müssen, wofern man das S in
dieser oder jener Bildungsform vorstellt. Zur wirklichen Aufstellung
der entsprechenden Satzformen müssen also besondere Bedürfnisse
treiben. Diese aber können nur erwachsen bei der Erforschung der
allgemeinsten Gesetzmäßigkeiten, welche in den höchsten logischen
Begriffen, in den Begriffen Gegenstand, Begriff, Satz, Wahrheit u.dgl.
gründen, mit einem Worte, in der Theorie der allgemeinen logischen
Schlüsse. Wären alle erdenklichen Formen der Materie in gleicher
Weise für die Schlussbildung bestimmend derart, dass die Kombina-
VON DEN SÄTZEN 197
ist viereckig - Gold ist nicht viereckig", "Gold ist rund - Gold ist
nicht rund" u.dgl.: Sätze, die insgesamt falsch sind.!
Soll man etwa sagen, das logische Grundgesetz spreche nur von sin-
gulären Gegenständen? Dann müssten wir fragen: Was charakterisiert
denn die allgemeinen Gegenstände? Man sagt, sie seien das, was eine
Vorstellung in vielen Gegenständen gemeinsam vorfinde. Gemeinsam
vielen Gegenständen kann nur sein ein Abstraktum oder ein Teil im
engeren Sinn eines Stücks oder endlich eine Beschaffenheit. Aber wir
finden durchaus nicht, dass diese Teile irgendwelche Ausnahme(n)
vom erwähnten Gesetz machen. Das Abstraktum Figur ist sicher
entweder gleichseitig oder ungleichseitig; denn diese Aussage schließt
den Fall ein, der hier die Wahrheit ist, dass es gleichseitig ist. Gleich-
seitigkeit ist nämlich ein Merkmal, das nur Gegenständen zukommen
kann, die Figuren sind, denen das Abstraktum Figur einwohnt, nicht
aber können Abstrakta selbst gleichseitig sein; so wie farbig nur Ge-
genstände heißen, die Farbe haben, während das Abstraktum Farbe
selbst nicht farbig ist.
Danach scheint diese Schwierigkeit unüberwindlich zu sein. Wie
sollen wir uns aus diesen Dilemmen heraushelfen, da doch die Gründe
für und gegen die besprochene Lehre gleich kräftig zu sein scheinen?
Überlegen wir uns noch einmal die Gründe, die es nahe legten,
dass im generellen Urteil ein Prädikat P in gleicher Weise einem
allgemeinen Gegenstand beigelegt oder abgesprochen wird wie im
singulären Urteil einem singulären Gegenstand. Halten wir uns an
die Aussageform selbst, so scheint es doch klar, dass, wie diesem
Ring Gelbsein zugesprochen wird, so ein andermal dem Gold als
solchem. Und das Letztere kommt zum Ausdruck durch die gene-
relle Aussage "Gold ist gelb". Und was sollte denn sonst ausge-
drückt sein? Ein universelles oder hypothetisches Urteil? Davon
finden wir nichts in uns, wir denken nicht an "wenn" und "so"
oder an eine Allgemeinheit. Halten wir uns an die letztere, so wäre
es, wenn die Logik des Satzes identisch wäre mit der Psychologie
des Urteils, sicherlich entscheidend. Ist das psychische Phänomen,
das wir in uns bei den verschiedenen Aussageformen vorfinden, ein
verschiedenes, so müsste auch der Satz logisch als ein verschiede-
ner gelten. Und dass es verschieden ist, das ist nicht zu bezwei-
feln.
! Das sind aber keine kontradiktorischen Sätze, wenn die Subjekte nicht Individuen sind.
200 LOGIK
1 Unterschied des Verständnisses: Ein Dreieck hat drei Höhen, die sich in einem Punkt
schneiden. Plötzlich leuchtet uns auf, ein Dreieck überhaupt sei gemeint.
202 LOGIK
ist ein Individuum, das einzelne Dreieck ist aber ein Abstraktum. Sage
ich: "Jedes Dreieck ist eine Figur" oder: "Das Dreieck ist eine Figur",
so meine ich nicht die dreieckigen Gegenstände, denn das sind nicht
Figuren, sondern jeder hat eine Figur. Sage ich: "Die Farbe, der Ton
usw. sind Qualitäten", so kann ich doch nicht sagen: "Die farbigen
Dinge sind Qualitäten "; sie hab e n vielmehr Qualitäten. Wollen wir in
der formalen Logik die generellen Sätze behalten als eine Satzklasse,
so können sie offenbar nur in diesem letzteren Sinn verstanden wer-
den als kategorische Sätze, deren Subjekte eben genera, also Arten
sind. Von diesen Sätzen sind einige auf nichtgenerelle Sätze äquivalent
reduzierbar"andere hingegen nicht.! Und das wären die generellen
Sätze, X<l't' E~6X'YJv. Aussagen der Art wie "Der Mensch ist sterblich"
usw. würden also nicht als generelle Aussagen bezeichnet werden
dürfen, wir würden sie unecht generelle Aussagen nennen müssen.
(BEILAGE)
Generelle Aussage
Die generelle Aussage hat keineswegs dieselbe Funktion wie die universelle oder
hypothetische.
Vor allem achte man auf den verschiedenen psychologischen Gehalt. "Der
Mensch ist sterblich", "Die Gerade ist durch zwei Punkte bestimmt" u.dgl.: All-
gemein müssen wir dies ausdrücken: "Das A(seiende) ist B", "Ein A als solches
ist B" (missdeutlich, weil in der allgemeinen Formel in der Regel zwischen singulä-
ren Gegenständen und Gegenständen von Begriffen nicht unterschieden ist). Hier
steht als Subjekt eine allgemeine Vorstellung, d.h. eine repräsentierende Vorstellung
(evtl. eine Bildanschauung mit repräsentierender Funktion), welche ein beliebiges
A vertritt. Liegt eine Anschauung zugrunde, so ist es die Anschauung eines A, in
welchem aber ausschließlich auf das Merkmal oder den Merkmalkomplex A geachtet
ist. Freilich reicht das nicht hin. Ein abstraktes Moment herausgehoben haben ist
nicht dasselbe als eine Repräsentation haben, welche für ein beliebiges A-Habendes
als solches dasteht. An den repräsentierenden Inhalt erscheint nun angeknüpft das
Merkmal, analytisch oder synthetisch. Da das generelle Urteil über ein A nur als A
urteilt, da es das B-Sein nur an das A-Sein anknüpft, nicht aber an den Gegenstand
nach dem, was er sonst sein mag, so ist dasselbe Urteil natürlich äquivalent mit
dem universellen. Geht die Intention der repräsentierenden Vorstellung nur auf das
A-Sein von irgendetwas, dann kann dieses Etwas wie immer sonst beschaffen sein:
Solange es A ist und bleibt, ist daran B zu knüpfen. Also nehme ich ein A und wieder
ein A und wieder ein A ..., denke ich mir beliebige A (in unbestimmter Vielheit):
Jedes ist B.
1 Nicht? Rot ist eine Farbe; Jedes Rot (jeder Fall von Rot) ist ein Fall von Farbe.
204 LOGIK
Das universelle und generelle Urteil sind also äquivalent. Wo es sich also um
Zwecke der Deduktion oder der Prüfung von Notwendigkeitsverhältnissen zwischen
Urteilen handelt, sind sie als identisch zu nehmen. Man kann, wo es bequemer ist,
das eine für das andere setzen. Damit ist aber nicht gesagt, dass sie überhaupt logisch
gleichwertig sind.
Das generelle Urteil beurteilt ein generelles Subjekt und beurteilt es genauso wie
das singuläre Urteil ein singuläres Subjekt. Der Unterschied ist nur, dass das singuläre
Subjekt notwendig eine nicht repräsentierende Anschauung ist oder eine Repräsen-
tation, die nur ein bestimmtes Einzelnes repräsentiert, während das generelle Subjekt
ein beliebiges A als solches repräsentiert. Im universellen Urteil gehört also mit zum
beurteilten Inhalt eine Mannigfaltigkeit von A, die in den anderen Fällen mangelt.
Wo immer es nun auf Heraushebung der Vielheit ankommt und damit auf die
Unterschiedenheit der einzelnen Exemplare oder Arten von A, da wird das univer-
selle Urteil dienen. Es wird also Anwendung finden, wo eben durch eine Induktion
aus singulären Urteilen das allgemeine gewonnen wurde; wo durch einzelweise Kon-
statierung an allen Arten von A das B gefunden wurde u.dgl. Wo immer und solange
noch das Interesse an den Gegenständen oder Arten haftet, wo wir in Betreff dieser
Erkenntnisse sammeln und sie darum einzeln betrachten müssen, da dient uns die
universelle Form. Wo es aber darauf nicht ankommt, sondern nur auf die Koexistenz
des A und B, da dient die generelle. Hier ruht das Interesse auf der Verknüpfung der
Merkmale, dort auf den Gegenständen oder Arten als Trägem oder Besitzern der
Merkmale. 1
Sage ich: "Alle Kurven zweiten Grades sind als Schnitte einer Ebene mit einem
Kegel erzeugbar", so ruht das auf Unterscheidung. Es ist eine Reihe wertvoller
Erkenntnisse vorausgesetzt, ich habe unterschieden die verschiedenen Formen der
Kurven zweiten Grades je nach den Beziehungen zwischen den Koeffizienten der
Gleichung und je nach den geometrischen Eigentümlichkeiten, die sich daran knüp-
fen. Auf die so unterschiedenen bezieht sich die Prädikation. Dagegen sage ich:
" Das Dreieck hat zur Winkelsumme zwei Rechte. "Denn hier kommt es nicht auf die
Unterscheidung verschiedenerArten von Dreiecken, geschweige denn verschiedener
Exemplare an, weder beim Beweis des Satzes noch für das, was sich an ihn anknüpft.
Worauf es ankommt, ist, zu wissen, dass Dreieckigsein das Merkmal nach sich zieht,
dass, wo von einem Dreieck die Rede ist, ich auch das Merkmal anknüpfen kann usw.
Man kann aber wohl fragen: Sind all das nicht Unterschiede in der Nebenbedeu-
tung der Aussage? Muss man nicht bei den verschiedenen Aussageformen neben
ihrer primären und eigentlichen Bedeutung eine sekundäre unterscheiden?2 Die
verschiedenen Aussageformen haben, könnte man sagen, im Zusammenhang des
Forschens und Beweisens verschiedene Funktion auch dadurch, dass sie eben auf
Verschiedenheiten in der Richtung der logischen Interessen und damit auf Ver-
schiedenheiten von Zusammenhängen, denen das Urteil zu dienen hat, in mehr
oder minder bestimmter Art hinweisen. Und all das kann bestehen, während ihre
Es scheint mir nun doch ein Irrtum zu sein, dass die generelle Aussage bzw. das ihr
entsprechende Urteil einen bloß repräsentativen Charakter hat für ein solches ganz
anderer Qualität. Ebenso wie der generelle Begriff nichts repräsentiert, geschweige
denn, dass er alles und jedes, was unter den Begriff fällt, "repräsentierte".
Die Intention des Wortes "Schnee", "Blut" etc. geht auf einen Gegenstand
ausschließlich, sofern er gewisse Merkmale hat, die eben die Bedeutung des Wortes
ausmachen, oder ausschließlich, sofern er unter die Bedeutung des Wortes fällt. Die
Bedeutung selbst ist nicht etwas "für sich Vorstellbares" in dem Sinne eines selbstän-
dig anschaubaren Inhalts, und jedenfalls geht die Intention nicht ausschließlich auf
dieses Abstraktum, sondern auf einen unbestimmten Träger, sofern er eben das Ab-
straktum trägt, und ausschließlich insofern. Was ein Gegenstand, der der Bedeutung
des Wortes entspricht, außer derselben noch an Merkmalen hat, was ihn zu einem
so und so beschaffenen und zu "diesem" macht, das ist gleichgültig, das wird von
der Vorstellung nicht vorgestellt, nicht intendiert. Wo immer also ein Anschauliches
als Verständnismittel dient, wo immer wir den Begriff veranschaulichen, da ist nichts
geändert, wenn wir an diesen individualisierenden und speziellen Momenten ändern.
Es interessiert in jedem Fall nicht dies, sondern dass es Blut ist etc.
Und das so Vorgestellte ist Subjekt für ein Prädikat, welches direkt ausschließlich
an die Bedeutung des Wortes angeknüpft ist. Das Urteil wird also durch Variation
des Individuellen oder Speziellen nicht berührt. "Schnee ist weiß ": Schnee, das heißt
nicht "dieser oder jener Schnee", auch nicht "ein beliebiger Schnee", sondern eben
"Schnee". Und "Schnee ist weiß" sagt nicht: "Ein beliebiger Schnee ist weiß" und
auch nicht: "JederSchnee ist weiß" oder:" Alles, was Schnee ist, ist weiß", auch nicht:
" Wenn und wo etwas die Merkmale des Schnees hat, hat es auch das Merkmal des
Weißen", obschon alle diese Urteile äquivalent sind dem generellen.
Die generellen Urteile schließen der Natur ihrer Bedeutung nach die Existenz
eines Subjektgegenstandes nicht ein. Im Einzelnen mag die Existenz stillschweigend
vorausgesetzt sein, aber im logischen Ausdruck muss dies besonders gesagt werden)
Sage ich: "Die Tanne ist ein Waldbaum"",Das Pferd ist ein Haustier" u.dgl., so
deutet das" das" oft allerdings ein Urteil an, nämlich dass es sich um etwas Bekanntes
handle, um ein vertrautes Objekt des gemeinen Lebens, der Forschung, der Dichtung
etc. Ebenso "Der Zentaur hat einen Pferdeleib". Aber schon daraus, dass der Sinn
der Existenzbeurteilung, der in diesen Fällen berechtigt wäre, ein sehr verschiedener
ist, kann man erkennen, dass dies nicht im Urteil eingeschlossen ist. Sage ich: "der
Zentaur", so spiele ich damit an ein Bekanntes an, mir steht der Zentaur als ein
Vertrautes gegenüber. Aber ich denke nicht explicite an einen wirklich seienden,
aber auch nicht an einen fingierten, in der Mythologie der Griechen vorkommenden
Zentaur. Ich kann das tun, muss es aber nicht.
Der Geometer, der ein Gebilde definiert hat, spricht dann die Eigenschaften
desselben in der Form aus: "D a s Gebilde hat A" etc. Durch die Definition ist es zum
festen Denkobjekt geworden.
Wie ist es aber in folgenden Beispielen: "Der Mensch, der sich in der Wüste
verirrt, geht zugrunde", "Der Löwe, der Blut geleckt hat, wird gefährlich" u.dgl.?
1 Vgl. dagegen Marty, " (Über) Subjektlose Sätze VI", (Vierteljahrsschrift /Ur wissenschaftliche
Philosophie 19 (189S),S.) 66.
VON DEN SÄTZEN 207
Hier handelt es sich um Abstraktionen aus bekannten Fällen der Erfahrung, die dann
unbedingt in genereller Form hingestellt werden.
Im Übrigen ist (die) Verknüpfung zwischen Subjekt und Prädikat hier dieselbe
wie im singulären Urteil. Im singulären Urteil geht die Intention des Subjekts auf
den Gegenstand mitsamt seinem Begriff (falls solche mitgegeben sind), hier auf
den Gegenstand bloß, insofern er dem Begriff entspricht. Immerhin wird von dem
Subjekt, so wie es eben gedacht ist, das Prädikat prädiziert.
• Descartes,Meditationes, V. Meditation.
1 Gestrichen Sind wir in der Logik überhaupt auf richtigem Wege, dann muss alles, was in
diesen Analysen von logischem Interesse ist, sich entscheiden lassen ohne jeden Rekurs auf
Psychologie und Metaphysik. Zugleich werden wir erwarten, dass auch hier die Einmengung
fremdartiger Gedankenkreise und damit zusammenhängende Verwechslungen den Gang der
Untersuchungen in schlimmer Weise beeinflusst haben.
210 LOGIK
auch in der existentialen Aussage wird Etwas von Etwas bejaht oder
verneint. Das Prädikat ist hier eben das Sein, die Existenz, und zwar
als Begriff eines ganz eigenen Gehalts.
B. Damit sind aber noch nicht alle Gegensätze gekennzeichnet. Der
Gegensatz, den wir eben besprochen haben, ging von der stillschwei-
genden Voraussetzung aus, dass in "S existiert", wenn überhaupt, so
S das Subjekt und Existenz das Prädikat sei. Aber auch das ist vorge-
kommen, dass man die existentiale Aussage als eine der Form nach ka-
tegorische aufgefasst, aber nicht S als Subjekt, den Existenzbegriff als
den zu S gehörigen Prädikatbegriff zugelassen hat. Die Aussageform
"S existiert" wäre also eine täuschende. Obzwar ihrer Bedeutung nach
kategorisch, meint sie doch nicht, dass von S die Existenz ausgesagt
wird, sondern anderes. Dies war Z.B. Kants Ansicht, wenn er lehrte, im
Existenzsatz komme der Gegenstand synthetisch zum Begriff hinzu:
Dahinter steckt wohl der Gedanke, dass die Meinung sei, dem Begriff
entspräche ein Gegenstand. Und so haben in der Tat Bolzano" und
andere den Sinn des Existentialsatzes interpretiert. "Gott existiert",
das hieße, der Vorstellung Gottes entspricht ein Gegenstand: Die
Vorstellung Gott hat Gegenständlichkeit. Hier wäre die Subjektvor-
stellung eine Vorstellungsvorstellung, das Subjekt selbst nicht Gott,
sondern die Vorstellung Gottes.
C. a) Und mit diesen Hauptgegensätzen verbinden sich noch an-
dere. Hume hatte geradezu geleugnet, dass es einen Existenzbegriff
gebe:" Aber sonst ist ein solcher allgemein angenommen worden.
Auch die Vertreter der einfachen Natur der Existentialsätze (der
Lehre also, wonach in ihnen keine Prädikation von Existenz gegeben
sei) erkennen an, dass es einen Existenzbegriff gebe. Ist dem aber so,
dann müssen sie ohne weiteres zugestehen, dass es Sätze gibt, in denen
einem S die Existenz im Sinne dieses Begriffs zugesprochen oder
abgesprochen wird. Dies tun dann auch die meisten. Sie erkennen also
an, dass kategorische Sätze der Form" S ist existierend" möglich sind
und bestehen. Aber was sie behaupten, ist, dass nicht alle Sätze der
Form" S ist" diesen kategorischen Gedanken ausdrücken wollen. Sie
meinen, die ursprünglichen Existentialurteile waren nicht prädikativ,
und erst in Reflexion auf sie entstand der Begriff der Existenz, also
erst nachher waren Prädikationen von Existenz möglich. Es ist dies für
die Urteilstheorie von prinzipieller Wichtigkeit, denn ist diese Lehre
richtig, dann kann das Wesen des Urteils nicht in der Prädikation be-
stehen. Unzählige Urteile waren und sind jetZt noch nicht prädikativ.
Immerhin wird von den hierher gehörigen Forschern zugestanden,
dass solch ein nichtprädikativer Existentialsatz äquivalent sei einem
prädikativen, in dem Existenz das Prädikat sei.
ß) Ganz anders war in diesem Punkt Kants Position. Er leugnet
nicht den Existenzbegriff, aber er leugnet, dass ein Satz, der Existenz
als Prädikat habe, ein Existentialsatz sei oder auch nur Äquivalent
eines Existentialsatzes.•
D. Und nun kommt erst zu all dem der Hauptstreitpunkt nach
dem Inhalt des Existenzbegriffs. Gleichgültig ob er in der Existen-
tialaussage das logische Prädikat ist oder nicht, sicher ist, dass sie
eine Aussage über Existenz ist. Aber was ist das nun, Existenz? Dass
diese ebenso wie die bisher berührten Fragen die Logik sehr viel
angeht, das ersehen Sie daraus, dass der Existenzbegriff zu jedem
Gegenstand und Sachverhalt eine gewisse Beziehung hat, und dem-
gemäß der Existentialsatz zu allen anderen Satzformen. Brentano
hat gemeint, alle Urteile seien im Grunde Existentialurteile oder
Komplexionen von solchen, wie sehr der grammatische Schein die-
se Sachlage auch verhülle. Und demgemäß müssten auch logisch
alle Sätze Vorstellungen von Existenzsetzungen sein oder in einer
Komplexion von vorgestellten Existenzsetzungen bestehen.·· Ob nun
diese Ansicht richtig ist oder nicht, jedenfalls kann man sagen, dass in
jedem Satzt ein Existentialsatz oder eine Komplexion solcher logisch
impliziert seien. Ich erinnere Sie an die Äquivalenzen, die wir früher
kennen gelernt haben: "Alle Menschen sind sterblich" = "Es gibt
Menschen, und es gibt keinen Menschen, der nicht sterblich ist";
"Einige Menschen sind sterblich" = "Es gibt sterbliche Menschen";
"Irgendein Mensch ist sterblich, ist unsterblich" = "Es gibt einen
sterblichen Menschen; es gibt einen unsterblichen Menschen". Ferner
wenn wir sagen: "Sokrates war ein Philosoph", so können wir daraus
unmittelbar entnehmen: Also es gab einen Philosophen. Und so bei
jedem Satz, der über bestimmte allgemeine Objekte urteilt, wobei die
und doch können wir sagen: "Es gibt eine Vergangenheit", "Es gibt
eine Unmöglichkeit" usf.
Aber in den vielfachen und schwankenden Ausführungen bleibt
Sigwart bei dieser BestiInmung nicht stehen. Nach manchem scheint
es, als ob ihm Existenz die Fähigkeit sei, in kausale Verhältnisse zu
treten. Das Existierende, heißt es, ist etwas, was Wirkungen auf mich
und andere ausüben kann: Nach anderen Stellen wieder möchte
man seine Ansicht so auslegen: existierend sei alles, was entweder
wahrgenommen sei oder als wahrnehmbar erschlossen werden könne.
Lauter, wie man leicht sieht, unhaltbare Versuche.
Die Existenz von etwas erschließen kann nicht heißen, seine Wahr-
nehmbarkeit erschließen. Wenn der Physiker die Existenz von Ato-
men erschlossen zu haben glaubt oder die Existenz von leeren Räu-
men, so meint er darum doch nicht ihre Wahrnehmbarkeit erschlossen
zu haben. Im Gegenteil, er hält beides auseinander: Die Atome sind
ihm unwahrnehmbar, aber sie existieren. Und offenbar hat er Recht,
so zu trennen. Es ist klar, dass, wenn die Aussagen "Etwas existiert"
und "Etwas ist wahrgenommen oder als wahrnehmbar erschlossen"
gleichbedeutend wären, derjenige einen Unsinn aussprechen würde,
der sagte: "Ich bin überzeugt, dass vieles existiert, dessen Existenz
doch von niemandem wahrgenommen oder auch nur erschlossen
werden kann." Aber dieser Ausspruch ist so wenig widersinnig, dass
er allgemein für den Ausdruck einer gar nicht unberechtigten Ver-
mutung gilt. Jeder, der von Schranken der menschlichen Erkenntnis
spricht, pftichtet ihm eo ipso bei.
Dass auch die Wirkungsfähigkeit nicht zur Definition der Existenz
dienen kann, dass "wirklich" im Sinn von "wirkend zu sein" auch
nicht ein Proprium des Existierenden als solchen sei, davon über-
zeugt man sich leicht. Wirken kann nur das Reale, aber nicht alles
Existierende ist real. Eine Unmöglichkeit kann existieren, aber sie
kann nicht real sein. Ebenso ein Mangel, ein Verhältnis der Gleich-
heit, Verschiedenheit usw. Den Terminus" wirklich" verwenden wir
allerdings häufig, um das Existierende vom bloß Vorgestellten zu
unterscheiden, und es wird auch richtig sein, dass das "wirklich"
ein Adjektiv ist, das im Hinblick auf Wirkendes gebildet wurde.
Aber jedenfalls ist sein Ursprung für seine künftige Bedeutung nicht
maßgebend geblieben. Und wir können ebenso gut sagen, eine Un-
• A.a.O., S. 91.
VON DEN SÄTZEN 21 7
dass, wenn ein Urteil richtig ist, jedes Urteil überhaupt, das diesel-
be Materie besitzt, richtig ist. Darin liegt eben, dass die Norm der
Richtigkeit von dem einzelnen Urteilsakt gänzlich unabhängig ist,
dass alle Urteile einer und derselben Materie auch ein und dasselbe
Maß haben; so z.B. alle Urteilsakte, die anerkennen, dass 2 x 2 4 ist,
gleichgültig wer immer und wann immer er dies anerkennt. Was soll
nun dieses Maß sein? Sind die Urteile einer solchen Klasse wahr, weil
ihnen allein ein und dieselbe Materie zugrunde liegt? Nein. Denken
wir uns eine absurde Materie, wie, dass 2 x 2 5 ist, so ist eine Klasse
von Urteilen denkbar, welche diese Materie anerkennen und somit
falsch sind. Etwas Objektives haben sie alle gemein, die objektive
Vorstellung von" 2 x 2 ist 5". Aber die objektive Vorstellung verbürgt
nicht die Richtigkeit des bezüglichen Urteils. Was ist also über die ob-
jektive Vorstellung hinaus das Identische in allen richtigen Urteilen,
welche den Gegenstand eben dieser selben objektiven Vorstellung
affirmieren? Ich sehe nicht, dass darauf eine andere Antwort gegeben
werden kann als: die objektive Wahrheit. Wenn wir alle urteilen:
,,2 x 2 ist 4", so ist diesen Urteilen und allen erdenklichen Urteilen
überhaupt, die diesen selben arithmetischen Sachverhalt anerkennen,
über den bloßen Satzgedanken hinaus, dass 2 x 2 4 ist, gemein eben
die objektive Wahrheit" 2 x 2 ist 4". Nicht sind die Begriffe richtiges
Urteil und Wahrheit identisch, sondern richtig ist eben das Urteil,
das urteilt, was objektive Wahrheit ist. Wahrheit ist nicht Richtigkeit,
sondern Wahrheit ist das Maß der Richtigkeit. So, wie die subjektive
Vorstellung zur objektiven sich verhält, so verhält sich das richtige
Urteil zur Wahrheit.
Aus dieser Überlegung geht hervor, dass Brentanos Bestimmung
des Existenzbegriffs mit dem Begriff des richtigen Urteils auch den
der Wahrheit einschließt. Aber einerseits können wir nicht zugeben,
dass der Begriffder Existenz überhaupt direkte Beziehung zum Urteil
habe, und andererseits ist es leicht einzusehen, dass, wenn wir den
Begriff der Wahrheit haben, als Korrelat der der Existenz schon
gegeben ist. Denn daran ist nicht zu zweifeln, dass das Wahre, d.h.
der Gegenstand, der in der Wahrheit wahr ist, existiert, und dass
umgekehrt alles Existierende Gegenstand einer Wahrheit ist. Sind
wir aber zur Überzeugung gekommen, dass der Begriff des richtigen
Urteils den der Wahrheit voraussetzt, so erscheint der Rekurs auf
den ersteren Begriff als ganz überflüssig. Das einzig Passende ist es
dann, sich direkt auf das Korrelativum zu stützen, also zu definieren:
220 LOGIK
1 Das ist das, was ich in den Logischen Untersuchungen die Materie nannte.
222 LOGIK
! Gestrichen Und wir wissen ja, dass jedem vorgestellten Gegenstand eine Existenz, jeder
Vorstellung eine Wahrheit entspricht von demselben Vorstellungsgehalt.
224 LOGIK
ich auch sagen: "Ein Kaiser Wilhelm existiert." Wir sehen zugleich,
dass schlichte Existenzen zwar Wahrheiten sind, aber nicht Satzwahr-
heiten, während dies von den Existenzprädikationen natürlich gilt.
Damit ist die Frage nach dem Sinn der Existentialsätze entschieden.
Wir haben zwar jetzt die Existentialsätze als Aussagen von Wahrheit
angesehen. Aber nehmen wir die Sätze als bloße Sätze, so stellen sie
ja dasselbe vor, was die entsprechenden Wahrheiten als wahr setzen.
Ein Cerberus existiert nicht, aber der Satz "Ein Cerberus existiert"
ist ein Existentialsatz, nur eben ein falscher. Ebenso kann ich, ohne
dass es wirklich brennt, doch den Ausdruck mir verständlich machen
"Es brennt." Und entweder es stellt mir derselbe eine Prädikation
von Existenz vor oder eine einfache Existenzsetzung. Im ersteren Fall
hätte ich einen kategorischen Satz, im letzteren aber gar keinen Satz,
sowenig die andere Ausdrucksweise" der Brand" einen Satz darstellt.
Wir haben bisher die affirmativen Existentialsätze einseitig be-
vorzugt. Wie verhält es sich mit den negativen? Auch bei ihnen
müssen wir, genau besehen, unterscheiden schlichte Existenznega-
tionen und prädikative Existenznegationen. Diese Unterscheidung
entspricht wieder einer analogen bei Sätzen. So, wie der Satz "Es ist
2 x 2 4" oder" 2.X 2 ist 4" Ausdruck einer schlichten Setzung sein kann,
ohne dass man sich den Sachverhalt als Subjekt und Wahrheit als Prä-
dikat denken müsste, so kann der Satz" Es ist nicht 2 x 2 4" Ausdruck
einer schlichten Aufhebung, Verwerfung sein, ohne dass die Meinung
sein müsste: Dass 2 x 24 ist, ist nicht wahr. Aber dort wie hier ist das
gedanklich Unterschiedene äquivalent. Wir müssen danach, durch
die genauere Erwägung der Existentialsätze aufmerksam gemacht,
unsere früheren Analysen dahin ergänzen, dass die Negation eines
Sachverhalts keineswegs immer die Prädizierung der Unwahrheit von
ihm sein muss. Dadurch wird auch manches in der Lehre von den
kategorischen Sätzen durchsichtiger. Der Formel "S ist P" stellten
wir gegenüber "S ist nicht P". Das Letztere kann dann Doppeltes
bedeuten, entweder "Es ist nicht S P" oder "S kommt es zu, dass es
nicht P ist",d.h. "S ist non- P".1 Und im ersteren Fall wäre die einfache
Verwerfung gemeint. Danach würden wir auch wohl daran tun, bei
dem kategorischen Satze zu unterscheiden I) die Materie, d.h. das
kategorische Verhältnis; es besteht zwischen einem Gegenstand und
einer ihm zukommenden Beschaffenheit; 2) das Sein oder Nichtsein
sind, sie nichts weiter darstellen als kategorische Sätze mit dem Prä-
dikat Existenz. Aber nicht immer sind die Existentialaussagen Aus-
drücke von Sätzen, sondern (sie) sind auch gelegentlich Ausdrücke
von schlichten Setzungen oder Verwerfungen eines Gegenstandes,
und dies trotz ihrer grammatischen Form, die auf Prädikation hin-
weist. Und ganz besonders gilt dies von gewissen impersonalen Aus-
sagen, wie "Es brennt", "Es ist kalt" u.dgl. Logisch sind diese also
nicht als Sätze zu fassen. Indessen sind sie existentialen Sätzen doch
äquivalent.
Unsere Stellung zu den Streitigkeiten in Sachen der existentialen
Aussage können wir mit wenigen Worten so fixieren: Alle Interpre-
tationen sind falsch, und doch steht unsere Auffassung der brentano-
sehen außerordentlich nah. Sie bildet sozusagen nur die Übertragung
der brentanoschen Interpretation aus dem subjektiv psychologischen
Gebiet in das objektiv logische.
Auch in der Auffassung der Eindeutigkeit der Kopula "ist" stim-
men wir nach den letzten Erörterungen mit Brentano im Wesentli-
chen überein. Unter allen Umständen ist das Wörtchen ("ist") in der
kategorischen Aussage Ausdruck der Bejahung oder in Verbindung
mit der Partikel "nicht" Ausdruck einer Verneinung; ebenso in der
schlichten Existentialaussage; Aber, so müssen wir hinzufügen, in der
prädikativen Existentialaussage ist mit der einfachen Bejahung auch
ein Prädikat ausgedrückt, nämlich das Prädikat der Existenz, was aber
nur eine äquivalente Änderung darstellt. So z.B. wenn wir" Gott ist"
in dem Sinn verstehen" Gott hat Existenz".
S sind P" in sich fassen soll, und obschon sie in Konsequenz davon
in der letzteren Formel Sund P als Subjekt und Prädikat bezeichnen,
so haben wir doch gesehen, dass diese Auffassung falsch ist und dass,
wenn die universelle Aussage überhaupt als kategorische verstanden
wird, sie ein ganz anderes Subjekt und Prädikat besitzt, als das Sund
P andeutet. Wir halten uns nun an die reine und in ihrer Reinheit
allgemeinste Formel des kategorischen Satzes, und so können wir
nicht, was sich bei den universellen Sätzen ergeben hat, hier einfach
übertragen. Herbart hatte gerade in Hinblick auf diese Sätze behaup-
tet, dass kein kategorischer Satz die Existenz des Subjekts impliziere:
und sehr viele haben ihm darin beigestimmt. Indessen, wenn wir
sagen: "Sokrates ist ein Philosoph", so liegt sicher nicht darin, was
nach Herbart hineininterpretiert werden müsste: "Sokrates, wenn er
existiert, ist ein Philosoph." Gilt, dass Sokrates ein Philosoph ist, so
gilt auch, dass es einen Philosophen Sokrates gibt, dass es also einen
SOkrates gibt und einen Philosophen gibt. Und dasselbe gilt ohne
Zweifel bei jedem kategorischen Satz in Ansehung seines wahren
Subjekts bzw. Prädikats.
Auch Sätze der Art wie "Cerberus ist der Höllenhund" machen
davon keine Ausnahme. Wer diesen Satz hinstellt, versetzt sich in die
mythische Anschauung der Griechen, und sicher existiert in der grie-
chischen Mythologie ein Cerberus. Wer aber von Mythologie nichts
weiß, der wird sicher den Satz so verstehen, dass es einen wirklichen
Hund Cerberus gebe.
Die Frage ist nun, ob das Subjekt des Satzes "Sokrates ist ein Phi-
losoph" der als existierend gesetzte Sokrates ist oder der bloß vorge-
stellte; m.a.W. die Frage ist, ob in der Setzung des ganzen Sachverhalts
explicite auch die Setzung des Subjektgegenstandes gegeben sei. Wer
die Aussage absolut hinstellt und einer Wahrheit Ausdruck geben
will, der würde hier eine zusammengesetzte Wahrheit ausdrücken:
"Sokrates ist, und er ist ein Philosoph" (wovon die letztere in einer
eigentümlichen Weise mit der ersteren verwoben ist, in ihr gründet).
Dass solche Verwebungen mitunter gemeint sind, davon überzeugen
uns Beispiele der Art wie "Der Kaiser ist verreist". Wer so spricht,
glaubt schon an die Existenz eines gewissen Kaisers, und auf den
existierenden Kaiser bezieht sich die Prädikation. Indessen ist es doch
fraglich, ob sich das notwendig so verhalten muss. Wenn wir hören" Es
ist ein Mann da gewesen", so liegt hier doch eine einfache Anerken-
nung des prädikativen Sachverhalts vor, ohne dass darin explizit die
Anerkennung der Existenz eines Mannes ausgesprochen wäre. (Und
es ist nicht abzusehen, warum der Satz "Ein Mann ist da gewesen"
nicht ebenso verstanden werden darf.) Natürlich gilt auch hier, dass,
wenn nicht ein Mann existierte, er nicht da gewesen sein könnte. Aber
diese Existenz brauchen wir nicht im Einzelnen festzustellen, denn
ist die ganze prädikative Beziehung wahr, so muss auch ihr Subjekt
existieren. Glaube ich dem, der sagt: "Ein Mann ist da gewesen",
so folgt daraus, dass ein Mann existiert und dass ein Dagewesenes
existiert, aber es braucht nicht explizit darin gesagt zu sein.
Indessen sind diese Differenzen praktisch darum nicht von Bedeu-
tung, weil die entgegenstehenden Auffassungen äquivalente Sätze
betreffen. Zugeben muss man, dass die gewöhnliche Funktion der
gegliederten Aussageform "S ist P" darin besteht, von einem bereits
als existierend hingestellten S als Neues das P-Sein auszusagen. Aber
dieser Verwebung von Wahrheiten entspricht äquivalent eine einfache
Wahrheit mit der komponierten Materie SP.l Da ferner das Subjekt,
wenn überhaupt, so in einer einfachen Existenzsetzung gegeben wäre,
so bliebe der kategorische Satz immer ein einfacher. Ein einfacher
Satz, aber eine zusammengesetzte Wahrheit, das widerspricht sich
nicht.
Wahrheiten sofort zu erkennen sind? Ist jede kausale Wahrheit gegebener Materie Besonderheit
eines allgerneinen Gesetzes, welches sagt: Allgemein begründen solche Prämissen einen solchen
Schlusssatz; und woran wir unmittelbar schließen: Also gilt es auch für diesen Fall, für diese
ganz spezielle Materie?
Wir können die Sache aber etwas vereinfachen. Jeder kausalen Wahrheit entspricht, wie wir
wissen, eine hypothetische. Und offenbar müssen auch die Gesetzmäßigkeiten der einen und
anderen Klassen von Wahrheiten einander genau entsprechen. Jeder kausale Satz ist äquivalent
einem hypothetischen in Konjunktion mit einem weiteren Satz, welcher die Wahrheit der
Hypothesis annimmt. Ist uns also der hypothetische Satz gegeben, so wissen wir, dass, wenn
seine Hypothesis wahr ist, auch der Schluss von der Hypothesis auf die Thesis gUltig wäre. Und
Analoges gilt von den Gesetzen.
Wir können uns also zunächst auf die Bestimmung der Gesetze beschränken, welche hy-
pothetische Zusammenhänge zwischen Sätzen betreffen. Und wenn es überhaupt allgemeine
Gesetze dieser Art gibt, so müssen Klassen von Fällen nachweisbar sein, wo eine hypothetische
Wahrheit unabhängig von der Besonderheit ihrer Materie gültig ist, m.a.w.: wo in einer hypothe-
tischen Wahrheit irgendwelche Vorstellungen, evtl. Gesetze willkürlich varüert werden können,
ohne dass die Wahrheit aufhörte zu bestehen. Dass es sich wirklich so verhält, erkennen wir an
Beispielen. Dem Schluss" Weil alle Menschen sterblich sind ... " entspricht der hypothetische
Satz" Wenn alle Menschen ... ".
Wir erkennen sofort, dass die Materie mehrere unbeschränkt Variable enthält. Für die
Vorstellungen Mensch, Sterblich, Cajus können wir setzen welche auch immer, immer resultiert
eine hypothetische Wahrheit. Es gilt eben das allgemeine Gesetz: "Wenn alle A B sind und S
ist A, so ist auch SB", gleichgültig was S, A, B bedeuten mögen.
LEHRE VON DEN SCHLÜSSEN 237
Relationen, die in diesen inneren Beschaffenheiten ausschließlich
gründen, in Betracht kommen, also, wenn wir von dem allgemeinen
Moment der Wahrheit selbst absehen, innere Beschaffenheiten und
innere Relationen der entsprechenden Sätze.
Jedes Schlussgesetz müsste also die Form haben: Allgemein gilt,
dass ein Kausalsatz" Weil A ist, ist B" eine Wahrheit ist, wenn in ihm
A die inneren Beschaffenheiten F I und B die korrespondierenden
inneren Beschaffenheiten F 2 besitzt oder wenn zwischen ihnen eine
gewisse durch diese inneren Beschaffenheiten begründete Relation
F(AB) besteht.
Dazu ist aber mehreres zu bemerken. Jedenfalls gilt folgendes Ge-
setz: Allgemein ist jeder Kausalsatz" Weil A ist, ist B" eine Wahrheit,
in Bezug auf welchen gilt, dass A eine Wahrheit ist und zugleich der
hypothetische Satz"Wenn A ist, ist B" eine Wahrheit ist; wie auch
umgekehrt jedem Paar Wahrheiten der letzteren Form ein entspre-
chender Kausalsatz zugehört.
Subjektiv gesprochen geht also vor: Wissen wir, dass A gilt und
dass, wenn A, so B ist, dann wissen wir auch, dass wir von A auf B
schließen dürfen. In praktischer Beziehung hätten nun offenbar nur
solche Schlussgesetze für uns einen Wert, die nicht auf die Wahrheit
des B rekurrieren. Denn wir wollen ja erst mittels des Schlussgesetzes
von A auf B schließen. Es kommt uns darauf an, nachdem wir schon
das A als wahr erkannt haben, einen Begründungsweg zu finden,
der uns zu B hinleitet. Und so ist, was wir in praktischem Interesse
anstreben, ausschließlich die Auffindung solcher Gesetze, vermöge
deren die Wahrheit jener ergänzender hypothetischer Sätze gesichert
erscheint. Worauf es uns also zu Erkenntniszwecken allein ankommt,
das sind BegrÜDdungsgesetze folgender Form: Allgemein gilt, dass ein
hypothetischer Satz" Wenn A gilt, gilt B" eine Wahrheit ist, wenn A
und B die und die Beschaffenheiten haben, sei es für sich, sei es in
Relation zueinander. Ein solches Gesetz verbürgt uns im gegebenen
Fall zunächst die Richtigkeit des die hic et nunc gegebenen A und B
betreffenden Satzes" WennA, so B ". Und wissen wir nun schon, dass
A gilt, dann haben wir alles erreicht, wir wissen auch, dass nun B gilt.
Wissen wir aber Ersteres noch nicht, dann ist es unsere Aufgabe, auch
noch die Gültigkeit des A zu beweisen.
Aber muss sich denn jeder Beweis in diesem Doppelschritte vollzie-
hen? Gibt es nicht Gesetze, die mit einem Schlage die Gültigkeit eines
Kausalsatzes" Weil A, so B" erkennen lassen, ohne dass wir einzeln
LOGIK
auf die Wahrheit von A und auf die Wahrheit des entsprechenden hy-
pothetischen Satzes rekurrieren müssten? Die Antwort lautet: Unser
praktisches Verfahren ist vollkommen berechtigt. Alle Gesetze, die
sich auf Schlüsse überhaupt beziehen, reduzieren sich auf Gesetze,
welche den Bestand der hypothetischen Wahrheiten betreffen, die sie
implizieren. Evtl. mag auch die Gültigkeit des A eine gesetzmäßige
sein; aber jedenfalls besteht dann das Gesetz, welches den Schluss als
einen allgemein gültigen hinstellt aus zwei getrennten Gesetzen, von
denen das eine sagt: Allgemein gilt, dass jedes A der und der allge-
meinen Beschaffenheiten wahr ist; und zweitens: Allgemein gilt, dass
ein hypothetischer Satz" Wenn A ist, ist B" der und der allgemeinen
Beschaffenheiten wahr ist.
So werden wir also auf die Gesetze, welche die hypothetischen
Wahrheiten beherrschen, zurückgeführt.
Sind wir im Besitz aller dieser Gesetze, so haben wir damit alles, was
nötig ist, um von bereits gegebenen Wahrheiten auf neue Wahrheiten
zu schließen. Und verbinden wir diese Gesetze mit den Gesetzen,
welche sonst noch die Wahrheit von irgendwelchen Satzklassen be-
herrschen, dann haben wir auch alle die Kausalgesetze, in denen
beides gesetzmäßig bestimmt ist, die Wahrheit der Prämissen und
die Wahrheit der Konsequenz. Da sich dies nun so verhält, so kommt
die ganze Theorie der Schlüsse hinaus auf eine Theorie der hypothe-
tischen Wahrheiten; und in der Tat versteht man in aller Logik, wie
schon eine flüchtige Übersicht lehrt, unter einer Schlusstheorie gar
nichts weiter, obschon es nirgends klar ausgesprochen ist.
die Beziehungen des Vorher und Nachher, des Rechts und Links, die
Verknüpfungen von Strecken zu einer Figur, von Flächen zu einem
körperlichen Gebilde u.dgl. alogisch.
Entsprechend zerfällen wir die Gesetze in logische und alogische.
In logische Gesetze gehen nur logische Beziehungen und Verknüp-
fungen ein, sie konstituieren sich ausschließlich aus den allgemein
logischen Kategorien und dem, was in ihnen gründet. In alogische
Gesetze gehen auch andere Begriffe ein und sind aus ihnen nicht
fortzuschaffen, etwa durch Verallgemeinerung. Dies gilt auch von den
Schlussgesetzen, die entsprechend zerfallen. Die Formeln, in welchen
wir logische Schlussgesetze aussprechen, enthalten demgemäß außer
den Buchstaben als Zeichen unbeschränkt Variabler, nur synkate-
gorematische Zeichen, die auf allgemein logische Verknüpfungs- und
Beziehungsformen hinweisen, evtl. allgemein logische Begriffe selbst,
obschon diese auch durch äquivalente Änderung fortzuschaffen sind.
So verhält es sich mit der Formel" Wenn alle A B sind, so gibt es B, die
A sind." Wir können dafür auch sagen: "Wenn die Gesamtheit der
A die Beschaffenheit hat, dass ein jedes Bist, u.dgl." Diese Begrif-
fe Gesamtheit, Beschaffenheit usw., welche durch diese äquivalente
Umschreibung eingeführt wurden, sind nur allgemein logischer Art,
ändern also nicht den Charakter des Gesetzes.
heit können wir nicht auf dem Wege der Einzelbetrachtung erschöp-
fen. Andererseits ist freilich nicht abzusehen, wie wir, wenn auch nicht
durch jene undurchführbare Betrachtung aller einzelnen Schlüsse, so
durch ein Probierverfahren vorwärts kommen könnten. Wie macht es
denn der Arithmetiker, wenn er seine Wissenschaft begründen will?
Hat er etwa apriorische Gedanken, die ihn der Vollständigkeit der
abzuleitenden arithmetischen Gesetzmäßigkeiten versicherten? Ganz
und gar nicht. Wie ist es also zu einer arithmetischen Wissenschaft
gekommen? Nun dadurch, dass man die zunächst gegebenen arithme-
tischen Sätze, wie sie dem Menschen zuerst unterkamen, analysierte.
Man entdeckte, dass im Zahlbegriff gewisse Beziehungen gründen:
Je zwei Zahlen sind entweder gleich, oder die eine ist größer oder
kleiner wie die andere.
Man bemerkte weiter, dass im Zahlbegriff gewisse Verknüpfungen
gründen, zunächst die Addition, in ihr gründend die Multiplikation
und Potenzierung, und wieder die Inversionen dieser Operationen:
die Subtraktion, die Division, die Wurzelziehung und Logarithmen.
Mit den elementaren Verknüpfungen waren dann gewisse einfache
und unmittelbar einleuchtende Gesetze gegeben, welche durch sorg-
same Analyse auf eine gewisse Minimalanzahl aufeinander nicht mehr
reduktibler Gesetze zurückgeführt wurden. Und diese Grundgesetze
dienten dann als Fundament für die systematischen Deduktionen,
in denen immer neue und neue Gesetze gründeten. Woher weiß
der Arithmetiker, dass die Verknüpfungen, die er da aufzählt, die
sämtlichen für Zahlen überhaupt erdenklichen sind? Die Antwort
lautet: Das weiß er mit Evidenz überhaupt nicht, es ist zu vermu-
ten, da doch unzählige Mathematiker über die Sache nachgedacht
haben. Es ist anzunehmen, dass ihnen andere Verknüpfungsweisen
noch aufgefallen wären, mindest wenn sie dem Menschen überhaupt
zugänglich sind. Aber absolute Sicherheit kann es hier nicht geben.
Und wenn es noch so unwahrscheinlich ist, dass keine dem Menschen
überhaupt erkennbaren Grundoperationen den wissenschaftlichen
Forschern entgangen sind, so bleibt immer noch die Möglichkeit be-
stehen, dass hinter dem Zahlbegriff noch mehr steckt, als der Mensch
erkennen kann. Und ebenso verhält es sich auch mit den Beziehungen,
und wieder ebenso mit den Grundgesetzen. Unendliche Mühe haben
sich die Arithmetiker gegeben, die Minimalzahl der arithmetischen
Axiome festzustellen. Aber ob nicht doch das eine oder andere eine
bloße Folge der übrigen ist, ohne dass sie es bemerkten, das ist doch
244 LOGIK
darf sie machen, weil in der Allgemeinheit des Gesetzes der Vertau-
schung liegt, dass auch im Besonderen das allgemeine Airgendeine
Differenz a-b bedeuten kann. Und so verhält es sich überhaupt.
Sollen wir von den Grundsätzen Nutzen ziehen für irgendeinen Be-
weis, so müssen wir sie eben anwenden. Was heißt aber Anwenden?
Es heißt, aus der Wahrheit des allgemeinen Gesetzes auf die Wahr-
heit eines darunter begriffenen Falles schließen. Also ist es selbst-
verständlich, dass unter den allerersten Grundsätzen, und jedenfalls
vor Aufstellung irgendeines Lehrsatzes, das Schlussprinzip, das die
Übertragung des Allgemeinen auf das Besondere für zulässig erklärt,
auftreten muss.
Aber noch ein Zweites liegt in solcher Anwendung und in einem
Beweis überhaupt. Das erste erwähnte Schlussprinzip lautet doch nur:
Wenn A ein allgemeiner Satz ist und A' ein besonderer Fall von A ist,
so gilt auch A'. Im faktischen Schluss sind aber die A Grundgesetze,
also Wahrheiten, und wir schließen nicht mit bloßem" wenn", sondern
mit" weil ": Weil A gilt und A' ein Fall von A ist, gilt auch A'. Hierin
liegt offenbar noch ein zweites Prinzip versteckt: Gilt A, und gilt
überdies" Wenn A, so A' ",so gilt auch A'. Oder noch allgemeiner: Gilt
ein Satz A, und gilt überdies, dass, wenn A wahr ist, auch B wahr ist,
so gilt auch B. Dieses Prinzip ist offenbar von ständiger Anwendung.
Wenn wir aus irgendwelchen Grundsätzen oder Lehrsätzen A neue
Lehrsätze B herleiten, so haben wir zunächst den Zusammenhang
hingestellt: Wenn A gilt, gilt B. Der weitere Schritt ist dann: Nun gelten
die A, es sind eben Grundsätze oder bereits bewiesene Sätze; also gilt
auch B. Nun erst ist B ein selbständiger Lehrsatz für sich. Dieses
Prinzip ist nichts weiter als das des modus ponens der traditionellen
Logik.
Dazu kommen aber noch andere Gesetze, die gleich anfangs in
einer Theorie benötigt werden. So z.B., verknüpfen wir mehrere
Grundsätze oder Lehrsätze, so brauchen wir sofort den Satz: Gilt der
allgemeine A, und gilt der allgemeine B, so gilt auch der allgemeine
A und B, d.h. dass die Kombination beider gilt, und umgekehrt. 1
Und wieder ist ein unerlässlicher Grundsatz der folgende: A und B
seien zwei allgemeine Sätze, sie mögen allgemeine Beziehung auf die
Objekte u irgendeiner abgegrenzten Klasse (haben). Dann können
wir sagen: Angenommen, es gilt, dass jedes u, für das der Satz A wahr
ist, auch den Satz B wahr macht, dann ist es sicher, dass, wenn A
überhaupt für jedes u wahr ist, auch B für jedes u wahr sein muss. Z.B.
wenn für jedes Quadrat gilt, dass, wenn es in zwei Dreiecke zerlegbar
ist, seine Winkelsumme vier Rechte sein muss, dann gilt auch: Wenn
jedes Quadrat in zwei Dreiecke zerlegbar ist, dann hat jedes Quadrat
zur Winkelsumme vier Rechte.
VII. (A€B)€(A€AB)
Offenbar gilt dann auch das Umgekehrte: (A € AB) € (A € B).
Denn: A(A € AB) € AB € B
Änderung der Ordnung: (A € AB)A € B
Nachl7: (A € AB) € (A € B). Also auch: (A € B) = (A € AB)
Und dazu treten nun noch vielerlei Lehrsätze.
In den bisherigen Lehrsätzen war neben den Bedingtheitsbezie-
hungen nur die Verknüpfung der Konjunktion aufgetreten. Wir ge-
hen nun zu den Gesetzen über, welche Disjunktion und Negation
betreffen. Dazu brauchen wir neue Grundgesetze:
VIII. (A € B)B o€ Ao
IX. (AAo)o
X. (Ao)o= A
XI. A +B = (AoBo)o
Für die Übertragung der Formeln auf Operationen mit Formeln
brauchen wir hier:
E) TI(A+B) € TIA + TIB. Nur die eine Hälfte gilt.
t) TI(Ao) € (TIA)o
Nachl8: (A € B) € (Bo€ Ao); Lehrsatz 2°.
(A = B) € (Bo= Ao); Lehrsatz 3°.
Beide gelten auch umgekehrt.
Unmittelbare Folge aus XI: (AAo)o € A+Ao «(Lehrsatz) 1°. Satz
des ausgeschlossenen Dritten). Wir setzen nur für B: Ao.
Ebenso ergeben sich die obigen Sätze und ihre Umkehrungen.
Daneben ergeben sich noch weitere Lehrsätze.
(Lehrsatz) 4°: A +B = B +A
(Lehrsatz) 5°: A+(B+C) = (A+B)+C
(Lehrsatz) 6°: (A ~ B) = (A +C ~ B +C). In einer Implikation kann
beiderseits derselbe Satz disjunktiv hinzugefügt werden.
(Lehrsatz) 7°: A€B; C€D; A+C€ B+D
Ebenso bei Gleichungen: (A = B) (C = D) € (A+C = B+C)
(Lehrsatz) 8(o}: A € (A+B)
(Lehrsatz) 9(O}: (A € C) (B € C) € (A+B € C); entspricht dem
Gesetz 111. -
Von besonderer Wichtigkeit ist das so genannte Distributionsge-
setz: (A+B)C = AC+BC
Ferner der Satz: (A € B) = (ABo)o
Die eine Hälfte beweisen wir so:
Nach 18: (A € B) € , beiderseits multiplizieren (ABo € BB o)
260 LOGIK
1 Gestrichen Der Satz des Widerspruchs hat dann sein Äquivalent in (AAo}o € I.
LEHRE VON DEN SCHLÜSSEN
Satz" Es ist Etwas a ", so schreiben wir Eea, und für den existentialen
Satz selbst schreiben wir La, "Es gibt ein a ". Betrachten wir nun die
weitere Grundbeziehung, die in dem Ausdruck angedeutet ist: "Wenn
Etwas a ist, so ist es b"; ein Ausdruck, der vielfach als Interpretation
der Formel "Alle a sind b" oder "Jedes a ist b" aufgestellt worden
ist. Sagen wir: " Wenn etwas a ist, so ist es b", so meinen wir natürlich
nicht einen bestimmten einzelnen Gegenstand, dessen a-Sein sein
b-Sein bedinge. 1 Folglich können wir den Gehalt des Satzes auch so
ausdrücken: TI(fea € feb). Durch das Vorzeichen TI ist angedeutet,
dass f der Trlger der Allgemeinheit ist. r
Die propositionalen Prinzipien a), ß), y) sind Besonderungen ge-
wisser konzeptualen.
I) Das Substitutionsprinzip: Ein Gesetz, das für beliebige Sätze
gilt, gilt auch für beliebige Satzformen, die den einzelnen Sätzen sub-
stituiert werden, und damit allgemein für die Termini dieser Formen.
Das ist eine Besonderung des allgemeinen Substitutionsprinzips: Gilt
ein Satz allgemein für beliebige Wertsysteme La, so gilt er auch für
beliebige spezielle Systeme: L' a € La. Der entsprechende Satz für
singuläre Systeme kommt bei der Anwendung der propositionalen
Theorie auf gegebene Sätze zur Geltung, nicht aber in der Theorie.
Doch ist das genau zu überlegen. Bei der Operation mit Formeln
möchte es doch sein, dass der Schluss vom Allgemeinen auf das
Einzelne Anwendung fände.
Der konzeptuale Satz lautet: (a €: b) (a € a) € (a € b) (modus
barbara)
2) TIATIB= TIAB
K9nzeptual: (a € A) (a € B) = (a € AB)
3) TI(A€B)€(TIA€TIB)
a € (A € B) € «a€A) € (a€ B»
Gilt von jedem a, dass es, wenn A, so B ist, so gilt: Wenn jedes a A
ist, so ist es B. Beweis: Gilt von jedem a, dass es, wenn es A ist, so B
ist, so gilt von jedem a, das A ist, dass es B ist. (Ebenso umgekehrt.)
1 Gestrichen Wir meinen aber auch nicht, dass aus dem Satze .. Etwas ist a" (.. Es gibt ein
a") folge, .. Dasselbe Etwas ist b". Denn ist im Vordersatz das Etwas im unbestimmten Sinn
genommen, dann kann sich keine Identität darauf beziehen. Gemeint ist ja nicht, dass, wenn
ein nicht näher bestimmtes Etwas a ist, dasselbe a auch b ist, sondern gemeint ist offenbar,
dass allgemein für jedes Etwas, das a ist, gilt, dass es auch b ist. Gemeint ist, dass das Etwas im
Vordersatz eine unabhängige Variable ist und dass das Etwas im Nachsatz identisch dieselben
Werte zu durchlaufen hat.
LOGIK
1 Wie steht es damit? Ist das eine Folge der propositionalen Theorie oder ein Axiom?
AUS DER VORLESUNG
"ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN
ZUR DEDUKTIVEN LOGIK" (1895)
(Logik als theoretische Disziplin)
Ebenso· verhält es sich mit den syllogistischen Modis. Wenn die
Vereinigung zweier Urteile der Form "Alle A sind B, alle B sind C"
gilt, so gilt auch das Urteil "Alle A sind C". Ob es ein Urteilspaar
jener Form gibt, das ist nicht mitbehauptet. In unzähligen Fällen lässt
sich die Existenz des entsprechenden Konkreten aufweisen, aber nicht
in jedem Fall. In der modernen Ausgestaltung der Syllogistik, die man
hauptsächlich Boole verdankt, werden formal überaus komplizierte
Schlussprobleme aufgestellt und gelöst, die so wenig aus Beispielen
abstrahiert sind, dass oft ein nicht geringerer Scharfsinn dazugehört,
für die apriori konstruierte Aufgabe ein Beispiel zu bilden, als diese
Aufgabe selbst zu komponieren und in abstracto zu lösen; in dieser
Hinsicht genauso wie in der Arithmetik. Die apriorische Verknüpfung
der Operationen führt auf unzählige Formen, die keinerlei praktische
Anwendung finden oder mindest bisher gefunden haben; (z.B.) ellip-
tische abelsche Gleichung. Natürlich ist aber die Frage praktischer
Anwendung, die Nachweisung von Konkretem, das unter jene höchs-
ten Abstraktionen und aus ihnen gewonnenen höchsten Erkenntnisse
fällt, für die Forderung einer Ausbildung der Theorie ohne Belang. Ich
halte es für höchst unbillig, an die theoretische Logik einen anderen
Maßstab anzulegen wie an die Arithmetik; jener, sowie sie sich über
das Gebiet der alltäglichen Anwendung erheben will, leere Spitz-
findigkeit und Unfruchtbarkeit vorzuwerfen, und andererseits die
Arithmetik zu rühmen, weil sie reiner Theorie zuliebe, um praktische
Nützlichkeit unbekümmert, ausgebaut wird.
Betrachtet die theoretische Logik nichts anderes als ihr For-
schungsgebiet, wie jene höchsten Abstraktionen, die wir logische
Kategorien nannten, und gelangt sie aufgrund desselben wirklich zu
allgemeinen Einsichten ohne jeden Rekurs auf das Besondere der Er-
kenntnis, wie es in den verschiedenen konkreten Wissenschaften be-
arbeitet ist, so muss sie natürlich den Charakter einer demonstrativen
Wissenschaft haben. Unter den älteren Philosophen hat Leibniz schon
diesen Gesichtspunkt vertreten, nach ihm und in Reaktion gegen die
1 Gestrichen Jedes Urteil urteilt nicht bloß etwas, sondern urteilt auch über etwas. Es gibt,
sei es in allen oder mindest in Klassen von Sachverhalten, gewisse Elemente; so Gegenstände.
Nach vielen Logikern hat jedes Urteil bzw. jeder Sachverhalt die Form, dass von einem Subjekt
ein Prädikat "ausgesagt" wird. Als Prädikat fungiert immer eine Beschaffenheit, als Subjekt
entweder ein gegebener Gegenstand oder ein begrifftich vorgestellter Gegenstand, d.h. " Etwas,
das eine gewisse Beschaffenheit hat". Kurzweg sagt man auch "ein Begriff". Andere sind
freilich der Ansicht, dass sich zwar jedes Urteil bzw. jeder Sachverhalt äquivalent auf diese
Form reduzieren lässt, aber eben nur äquivalent, d.h. dass die elementaren Urteile ursprünglich
verschiedener, nicht identischer Form sind. Es erwächst dann natürlich die Aufgabe, diese ver-
schiedenen Formen zu fixieren, was durch Analyse der entsprechenden sprachlichen AusdrUcke
erfolgen muss. Es sind das oft sehr schwierige Analysen, hauptsächlich wegen der Äquivokation
der meisten Sprachformen, die inmitten des lebendigen Sprechens nicht störend ist, weil wir aus
dem Zusammenhang die Meinung wohl verstehen, im höchsten Maß aber die logische Analyse
hindert, da sie leicht dazu verführt, nur eine der Bedeutungen herauszugreifen und damit eine
Klasse objektiver Gedanken außer Acht zu lassen.
Wie aus einem vorhin angeführten Beispiel hervorgeht, kann dasselbe Urteil in verschiede-
ner Beziehung seiner Form nach betrachtet werden, je nachdem man auf inneren Zusammen-
hang und Formen der Bestandteile weiter oder enger Rücksicht nimmt.
Heben wir zunächst die Gegenstände heraus, die als elementare Formbestandteile in Ur-
teilen auftreten können, so können wir auch bei ihnen von Form sprechen. Wir können un-
terscheiden aufgewiesene Gegenstände und Gegenstände, die nur als gewisse Gegenstände
gedacht sind.
270 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK
• Zur folgenden Darstellung der Lehre Hamiltons vgl. Louis Liard. Die neuere englische
Logik. 2. Aufl., Leipzig 1883. Kap. III.
278 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK
vergleicht, verknüpft und trennt er Urteile. Die Form, die ganze Form
und nichts als die Form, das soll die Devise der Logik sein. Die Dinge,
wie sie wirklich und an sich sind, gehen die Logik nicht an. Sie hat
es nur mit den allgemeinen Denkformen zu tun, unter denen unser
Geist sie auffasst, oder wie es ein andermal heißt: Sie hat es nur mit
den Beziehungen zu tun, die sich aus den Bedingungen des Denkens
ergeben und von diesem ihre Regel empfangen. Daher hat sie es
auch nicht mit der Richtigkeit und Falschheit unserer Urteile zu tun,
sondern nur mit ihrer Widerspruchslosigkeit. Sie verbürgt nicht die
Richtigkeit der Prämissen oder die Richtigkeit des Schlusssatzes, son-
dern nur die Richtigkeit der Folgerung. An Kant findet Hamilton nur
das eine zu tadeln, dass er noch nicht formalistisch genug verfahren
sei und manches Metaphysische, so insbesondere in der Lehre von der
Modalität, habe von Einfluss werden lassen. 1 Wieder erinnert an Kant
die Unterscheidung von Logik und Psychologie. (Wir urteilen nach
Kant bei der Modalität über das Verhältnis des Urteils zum Erkennt-
nisvermögen, nicht über die Sache selbst.) Die Psychologie hat es mit
dem Zufälligen, die Logik mit dem Notwendigen des Denkens zu tun.
Aber sie hat es nicht zu tun mit der Denktätigkeit selbst, mit den
kantischen apriorischen Formen der Sinnlichkeit und des Verstandes,
sondern mit den Produkten des Denkens und deren apriorischen Ge-
setzen.2 Man muss, meint Hamilton, wohl unterscheiden einerseits die
Form des Denkens in Bezug auf das denkende Subjekt - als solche ist
sie Akt, Operation, und gehört der phänomenalen Psychologie an-
und andererseits die Form des Denkens in Bezug auf das Gedachte,
1 Vgl. dagegen Kant (Logik, in: lmmanue/ Kant's sämmtliche Werke. In chronologischer
Reihenfolge hrsg. von G. Hartenstein, Leipzig 1868, Bd.) VIII, (S.) 106. Das hat Liard aus der
Abhandlung von 1833, ("Logic. The Recent English Treatises on That Science"), Discussions
(on Phi/osophy and Literature, Education and University Reform, 3rd ed., Edinburgh 1866, S.)
144-145. Hamilton bezieht sich da aufdie sachliche Unterscheidung von necessitas consequentiae
("ideale",,, formale"), der" logischen" Notwendigkeit, und necessitas consequentis. Die letztere
ist unsere logische Notwendigkeit und hängt von der modality des gefolgerten Sachverhalts ab..
Ist materiale Wahrheit oder Falschheit etwas Extralogisches, so auch Modalität. Notwen-
digkeit und Zufälligkeit sind Umstände, welche die logische Kopula nicht affizieren und den
logischen Schluss nicht angehen. Sie beziehen sich nicht auf die VerknUpfung von Subjekt und
Prädikat des antecedens und consequens als terms in thought, sondern als reality in existence.
Sie sind metaphysische und nicht logische Bedingungen. Der syllogistische Schluss ist immer
notwendig und ist in gleicher Weise apodiktisch bei zufälligen und notwendigen Gegenständen.
Vgl. darUber Weiteres (S.) 145 nebst historischen Bemerkungen.
2 (William Hamilton,}Lectures (on Metaphysics and Logic, 3th ed., Edinburgh 1874, vo1.}I,
(S.) 73. Das Original benUtzen! Besonders (S.) 74 oben. Das scheint Ubrigens nicht aus Liard zu
sein, sondern Übersetzung jener zitierten Stellen.
WILLIAM ROWAN HAMILTON 279
d.i. als Produkt der Tätigkeit. Die Logik hat es nur mit Letzterem
zu tun. Nicht die Tätigkeit des Denkens betrachtet sie, sondern das
Ergebnis des Denkens, nicht die Begriffs-, Urteils- und Schlussbildung
geht sie an, sondern der Begriff, das Urteil, der Schluss.
Was nun die notwendigen Denkgesetze anbelangt, die jene Denk-
produkte regeln und die als notwendige ausschließlich in der Natur
des denkenden Subjekts wurzeln (denn wären sie im Stoff begründet,
so würden sie den Charakter bloßer Zufälligkeiten an sich tragen),
so sind es natürlich die bekannten drei: der Satz der Identität, des
Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten, von denen das erste
als Prinzip der logischen Bejahung, das zweite als Prinzip der logischen
Verneinung, das dritte als Prinzip der logischen Disjunktion gedeutet
wird; worauf wir nicht eingehen wollen. Was wir besprochen haben,
genügt vollständig zur Charakterisierung des allgemeinen Standpunk-
tes, den Hamilton vertritt. Kritisch wäre gegen ihn natürlich dasselbe
einzuwenden wie gegen Kant. Die Unterscheidung von Materie und
Form ist bedenklich äquivok, sie schillert ins Metaphysische zugleich
und ins Psychologische. Dasselbe gilt vom Begriff des Apriori, vom
Begriff der formalen Wissenschaft usw. Wenn es heißt, dass die Ma-
terie von der vorstellenden Tätigkeit herrührt und die Form vom
Verstand, so haben wir damit eine Unterscheidung von solchen Ver-
mögen vorausgesetzt und stehen in der Psychologie, noch dazu in
einer sehr bedenklichen. Wie bei Kant wird diese psychologische Un-
terscheidung dann erkenntnistheoretisch verwertet. Der Verstand soll
das Apriorische liefern, das Notwendige; was aber im Stoff gründet,
soll zufällig sein, aposteriori. Im Grunde geraten wir damit in die
Lehre von den angeborenen Ideen mit allen ihren Gebrechen. Warum
soll das, was aus der Natur des Verstandes herrührt, einen besonde-
ren Vorzug haben vor dem, was aus anderen psychischen Vermögen
stammt? Und ist der Verstand bei allen derselbe? Wenn von zwei
Individuen das eine A urteilt und das andere non- A, warum darf
man da nicht sagen, aus der Natur des Verstandes entspringe bei dem
ersten Individuum das eine und bei dem anderen das entgegengesetzte
Urteil? Wie kommen wir dazu, nur dem einen Wahrheit, dem anderen
aber Irrtum zuzuschreiben? Wie heben wir uns über den extremsten
Subjektivismus hinaus? Ferner, woher wissen wir etwas von diesem so
genannten" Verstand "? Natürlich von der konkreten Erkenntnis der
Wahrheit. Wir haben Einsicht, Erkenntnis, erfassen darin Wahrheit
und schreiben uns nachträglich das Vermögen zu, Wahrheit zu erken-
280 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK
nen, und dieses Vermögen nennen wir Verstand. Wie sollte aber die
so vorausgesetzte personifizierte Möglichkeit, die supponierte Dis-
position zu irgendeiner wesentlichen Unterscheidung Grund geben
können? Wir stellen vor, also haben wir Vorstellungskraft; wir urteilen
und erkennen, also haben wir Verstand. Diese Entitäten lässt man nun
zusammenwirken: Was der einen Entität ausschließlich entspringt,
das soll das Apriorische erklären, was der anderen entspringt, das
Aposteriorische. Und so geht es weiter. Als ob das Geringste damit
erklärt wäre! Dass das Morphium die vis soporijica hat, ist eine ebenso
unzweifelhafte als tiefe Wahrheit wie, dass der Mensch Verstand hat
und dass aus ihm die einsichtigen Urteile entspringen. Und die letztere
ist eine ebenso große Bereicherung der Logik und Metaphysik und
Psychologie, als die erstere eine solche der Medizin ist.!
Hamilton legt Gewicht auf den Unterschied zwischen Operation
des Denkens und Ergebnis des Denkens.2 Durch diese Unterschei-
dung hofft er, sich vom Vorwurf, Psychologie und Logik zu vermen-
gen, freizuhalten. Aber ist das Ergebnis einer psychischen Tätigkeit
nicht selbst etwas Psychisches? Natürlich, ein Richtiges hat Hamilton
hier im Auge: Der Begriff ist nicht dasselbe wie die Konzeption, die
Tätigkeit, der wir den Begriff verdanken; ebenso ist Urteilen und Ur-
teil, Schluss und Schließen zu scheiden. Aber die logische Trennung,
die er hier sieht, kann er doch nicht richtig erfassen. Das Wesentliche
ist, dass der logische Begriff nicht der flüchtige, nur im Moment des
Begreifens reale Prozess des Denkens ist, ebenso wenig der subjektiv
phänomenale, nicht minder flüchtige Gehalt dieses Denkens, sondern
das im Wechsel der Phänomene Identische, das Objektive. Vom Be-
griff als realem Phänomen handelt die Psychologie, vom Begriff als
objektivem die Logik. Wenn zwei Personen den Satz "Der Löwe ist
ein Raubtier" in gleichem Sinn verstehen und verwenden, so denken
beide dasselbe; wenn zwei Personen in gleichem Sinn von Sokrates
oder Bismarck sprechen, so meinen sie dieselben Dinge usw. Die
subjektiven Phänomene sind aber nicht dieselben, sind nicht bloß
individuell, sondern auch in der Regel inhaltlich verschieden. "Form"
! Gestrichen Wenn übrigens dem Verstand das Logische koordiniert wird als das Notwendige,
so liegt ein durch Jahrhunderte fortgeschleppter Irrtum zugrunde. Und was sollen wir zur
Trennung von Stofflichem und Form sagen, wenn die Form das Funktionelle und das Stoffliche
das sein soll, an dem die Funktion geübt wird? Wie ist eine Trennung da zu verstehen?
2 Gestrichen Aber wie sollen wir uns das Ergebnis eines reinen Denkens als gelöst von allem
Stofflichen vorstellig machen?
WILLIAM ROWAN HAMILTON
in der Logik ist nicht ein supponiertes Etwas, das gewisse höhere
Seelenkräfte zu dem, was die anderen geben, hinzutun - das wäre
immer noch psychisch -, sondern Form ist ein Klassenbegriff, Form
ist logische Kategorie.
Es wird uns nun darauf ankommen, die durchgreifenden Refor-
men, welche Hamilton für die Logik als unerlässlich angesehen hat
und die für die Entwicklung dieser Wissenschaft in England einfluss-
reich geworden sind, kennen zu lernen. Aus dem Begriff der Logik
ergibt sich, meint Hamilton, ein wichtiges Postulat. Wenn ihr Ge-
genstand die Form, die ganze Form, aber auch nichts als die Form des
Denkens ist, so kann sie ihre Aufgabe unmöglich lösen, wenn sie nicht
alles im Akte und somit auch im Produkte des Denkens Enthaltene
wirklich ausdrückt. Die Sprache des gemeinen Lebens unterlässt dies
in der Regel. Es kommt ihr nicht darauf an, das Wie des Denkens, die
Form, sondern nur darauf, das Was auszudrücken, die Materie. Sie
begnügt sich mit dem, was zum Verständnis des Gedachten unerläss-
lich ist. Die Logik hingegen, da es ihr auf die Form gerade ankommt,
muss alles im Denken implicite Enthaltene mit aller Ausführlichkeit
explicite aussprechen. Tritt ein Urteil dem Logiker entgegen, so tritt
es ihm zunächst durchs Medium einer Aussage entgegen. Ehe er es
zum Forschungsobjekt macht, muss die Bedeutung der Aussage voll-
kommen expliziert sein (Lectures (on Metaphysics and Logic, vol.) I,
(S.) 114). Die älteren Logiker haben diese wichtige Forderung nicht
erfüllt und in ihrer Wichtigkeit nicht gewürdigt, und deshalb sind sie
bei der Analyse ihrer Gegenstände überall auf halbem Wege stehen
geblieben.
Ziehen wir nun die Konsequenz. Jedes Urteil verknüpft ein Subjekt
durch die Kopula mit dem Prädikat. Das Subjekt wird gewöhnlich,
obschon nicht immer, mit einer bestimmten Quantität gedacht, nicht
aber das Prädikat, obschon doch der Quantität des Subjekts auch eine
bestimmte Quantität des Prädikats zugehört und demgemäß, ohne
ausgedrückt, implicite mitgedacht sein muss. Wir sagen: "Alle Men-
schen sind sterblich", ohne näher anzugeben, ob wir alle sterblichen
Wesen meinen oder nur einige. Die Fälle, wo wir eine Quantifikation
des Prädikats ausdrücken, sind die Ausnahme, wie wenn wir z.B.
sagen: "Unter den Tieren ist der Mensch allein vernünftig." Das
ändert aber nichts daran, dass wir in jedem Urteil das Prädikat in
einer bestimmten Quantität notwendig denken und dies also in der
Logik überall auch ausdrücken müssen. In der Tat, was heißt einem
282 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK
Subjekt ein Prädikat beilegen? Es heißt nichts anderes als das Subjekt
unter einem oder in einem gegebenen Begriff denken. Sagt man:
"Menschen sind sterbliche Wesen", so stellt man den Begriff Mensch
unter den Begriff sterbliches Wesen, mit anderen Worten: Man stellt
die Klasse des Menschen in die Klasse der sterblichen Wesen.
Aber das reicht noch nicht aus. Wenn wir sagen: "Menschen sind
Tiere", was meinen wir? Dass alle Menschen oder dass einige Men-
schen sterbliche Wesen sind? Natürlich alle. Also das muss ausge-
drückt werden, wie das die Logik immer getan hat. Weiter: Wenn wir
sagen: "Alle Menschen sind sterbliche Wesen", meinen wir, dass alle
Menschen alle sterbliche Wesen sind, oder das, dass sie einige sterbli-
che Wesen sind? Das Letztere. Also muss es auch ausgedrückt werden.
Wie wir in der Logik das Subjekt des Urteils quantifizieren, müssen
wir also auch das Prädikat quantifizieren, und nur so bringen wir den
vollen Sinn des Urteils zum adäquaten Ausdruck.!
Dies ist die Begründung der berühmten Quantifikation des Prä-
dikats, welche das Fundament für die neue Analytik des Hamilton
ist. Die Alten, indem sie diese Entdeckung nicht gemacht haben,
konnten die Logik nur einseitig entwickeln. Ihnen verdanken wir jene
zahlreichen nutzlosen und widerspruchsvollen Regeln, welche durch
die neue Analytik mit einem Schlage beseitigt und durch einfachere,
übersichtlichere und symmetrischere ersetzt werden.
Betrachten wir einige der hervorstechendsten Konsequenzen der
Quantifikation des Prädikats, zunächst für die Theorie des Urteils.
Die alte Logik unterschied die Urteile nach Qualität in bejahende
und verneinende, nach Quantität in allgemeine und besondere. Durch
Kreuzung (ergaben sich) also vier Klassen. Die neue Analytik stellt
vier Möglichkeiten der Quantifikation fest, also erhält acht Klassen
von Urteilen. Die bejahenden sind:
r) Die bejahend toto-totalen: Subjekt- und Prädikatbegriff sind
beide nach ihrem ganzen Umfang gedacht, z.B. Jedes Dreieck ist jedes
Dreiseitige.
2) Die bejahend toto-partiellen: Das Subjekt ist dem ganzen Um-
fang nach gedacht, das Prädikat nur einem Teil nach, also partikular,
(z.B.) Alle Dreiecke sind einige Figuren.
3) Die bejahend parti-totalen: Subjekt partikular, Prädikat Univer-
sell, (z.B.) Einige Figuren sind alle Dreiecke.
1 (HamiIton, Lecrures on Metaphysics and Logic, vol. IV.) 11, Appendix, (S.) 254.
WILLIAM ROWAN HAMILTON
1 Gestrichen Unter diesen Umständen können wir in Hamiltons Auffassung nichts weniger
als eine Bereicherung der Logik erblicken. Die hamiltonschen Formen des kategorischen Ur-
teils sind so wenig die Grundformen desselben, dass sie vielmehr einen ganz singulären und
komplexen Charakter haben. Sie erweisen sich als unfähig, die Urteile, mit denen wir es im
wissenschaftlichen Denken in der Regel zu tun haben, angemessen auszudrücken, es sei denn
durch eine sehr wenig empfehlenswerte Komplikation. Sage ich" Alle A sind identisch mit allen
B", so ist das offenbar nur eine Spezialform von "Alle M sind N", wo N jetzt den besonderen
Wert hat: identisch mit allen B.
Den Sinn des Satzes" Alle A sind B" mUssten wir bei unbestimmt gelassener Prädikatquan-
tität nach Hamilton eigentlich ausdrücken entweder: "Alle A sind alle B" oder: "Alle A sind
WILLIAM ROWAN HAMILTON
nicht über die Klassen selbst. Dann aber ist es auch nur Fiktion,
dass wir ein Urteil haben. Der einheitliche Satzausdruck verdeckt
im Englischen zwei Urteile. Im Deutschen treten sie klar hervor,
weil der einheitliche englische Ausdruck ins Deutsche einheitlich
gar nicht übertragbar ist, ohne die beiden Urteile einzeln auszu-
drücken.
Nun könnte man sagen: Hamilton ist sich durch die Besonderheit
der englischen Sprache nicht klar geworden, dass er, die Einheit
des Satzes als Einheit des Urteils deutend, im Grunde genommen
über die Klassen geurteilt hat anstatt über einzelne Begriffsgegen-
stände. Und in der Tat, wenn er selbst davon spricht, dass jedes Ur-
teil durch vollständige Quantifikation in eine Gleichheit verwandelt
werde, worin soll dann die Gleichheit bestehen, wenn nicht in der
Gleichheit, oder genauer geredet, der Identität der Klassen? Ohne
Zweifel hat dies Hamilton auch mit im Auge. Aber leider fehlt die
Klarheit; er schwankt zwischen beiden Auffassungsweisen hin und
her. Lassen wir uns im klaren Bewusstsein vom Gesichtspunkt der
Identität leiten, dann können wir folgende mögliche Verhältnisse
unterscheiden:
Die ganze Klasse der A ist identisch der ganzen Klasse B
(toto-total).
Eine Teilklasse A ist identisch (der) ganze(n) Klasse B.
Die ganze Klasse A ist identisch einer Teilklasse B.
Eine Teilklasse der A ist identisch einer Teilklasse B.
Das scheint wirklich mit den vier affirmativen Formen Hamiltons
zu stimmen. Betrachten wir nun aber die negativen. Da fragt es
sich, was wir unter den negativen verstehen sollen. Zunächst möchte
man diejenigen Formen darunter verstehen, die aus den affirmati-
ven hervorgehen, indem (wir) die Kopula in die entgegengesetzte
verwandeln, also für "ist identisch" "ist nicht identisch" substituie-
ren.
Die verneinenden toto-totalen müssten dann sein: Die ganze Klas-
se der A ist nicht identisch mit der ganzen Klasse der B. Die vernei-
nenden parti-partiellen: Eine Teilklasse der A ist nicht identisch mit
einer Teilklasse der B, usw.
Vergleichen wir diese Formen mit den hamiltonschen negativen,
so stimmen sie nicht. Als Beispiel für die negativen toto-totalen
führt Hamilton an: " Kein Dreieck ist kein Viereck", d.h. die Klassen
Dreieck und Viereck schließen sich wechselseitig aus. Darin liegt
WILLIAM ROWAN HAMILTON
aber ein ganz anderer Gedanke als in dem Satze, dass die beiden
Klassen nicht identisch sind. Nicht identisch sind sie ja auch, wenn
eine die andere einschließt, sofern sie sich nur wechselseitig nicht
einschließen. Näher besehen zeigt es sich, dass die Form wechsel-
seitiger Exklusion in den acht Identitäts- und Nichtidentitätsformen
gänzlich fehlt. Es wäre somit falsch zu sagen, dass Hamilton durch
Quantifikation des Prädikats alle Urteile auf Gleichheiten oder Un-
gleichheiten zwischen Quantitäten, also zwischen Klassen reduziert
hat. Nicht alle möglichen Klassenverhältnisse sind berücksichtigt,
wenn wir die sämtlich möglichen Identitäts- und Nichtidentitätsfor-
men konsequent aufstellen. Hätte Hamilton wirklich die kategori-
schen Urteile auf Gleichungen reduziert, so konnte die Meinung,
dies ist apriori klar, nur die sein, dass er jedes kategorische Urteil
nach Quantifikation des Prädikats in eine Identität zwischen Klassen
verwandelt. Verstehen wir unter den affirmativen Formen diejenigen,
wo das Verknüpfungsverhältnis durch "ist identisch", den negativen
diejenigen, wo das Verknüpfungsverhältnis durch "nicht identisch"
ausgedrückt ist, dann sind durchaus nicht alle Klassenverhältnisse,
also auch nicht alle möglichen Fälle kategorischer Urteile, in der
Tabelle enthalten. Nur wenn wir die Negationen der ganzen Urtei-
le in der Reihe der vier affirmativen Formen bilden, erhalten wir
alle Möglichkeiten. So gewinnen wir z.B. durch Negation der vierten
parti-partiellen Form die wechselseitige Exklusion: "Es ist nicht wahr,
dass eine Teilklasse der A identisch ist einer Teilklasse der B", "Es ist
nicht wahr, dass die ganze Klasse der A identisch ist mit der Klasse
der B."
Aber das stimmt wieder nicht mit Hamiltons Darlegung. Denn
was er (als) negative toto-totale Form bezeichnet, das müssten wir
gerade als negative parti-partielle Form bezeichnen. Da tritt klar
hervor, dass Hamilton ganz in Unklarheit stecken geblieben ist, dass
er zwischen zwei Gesichtspunkten schwankt: Jede Form drückt er, auf
Eigentümlichkeiten der englischen Sprache sich stützend, in ein e m
Satze aus. Dabei hat er aber trotz der Quantifikation nicht die Klas-
sen im Auge, sondern die Verhältnisse der Klassengegenstände als
solcher. In dieser Auffassung ist jede Form trotz des einheitlichen
Ausdrucks eine Komplexion mehrerer einfacher Urteile der tradi-
tionellen Form, welche durch die neue Theorie so wenig überflüssig
gemacht sind, dass sie vielmehr als selbständige Elemente in jeder
der neuen Formen stecken. Andererseits merkt Hamilton wohl auch
292 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK
auf das Verhältnis der Klassen. Jederl seiner Formen entspricht ein
gewisses Klassenurteil. Aber er merkt nicht, dass damit der objektive
Gehalt des Urteils geändert ist, dass die ursprünglichen Doppelurteile
durch je ein äquivalentes Klassenurteil ersetzt worden sind. Hätte
Hamilton mit dem Klassengesichtspunkt Ernst gemacht, dann wäre
offenbar Folgendes der natürliche Gedankengang gewesen: Jedem
Begriff entspricht ein Begriffsumfang, jeder prädikativen Beziehung
ein gewisses Klassenverhältnis. Z.B. "Der Mensch ist sterblich" =
"Alle Menschen sind sterblich" = "Die Klasse der Menschen ist
identisch oder untergeordnet der Klasse der Sterblichen. " Bei dieser
Sachlage muss jedes Urteil, das nicht von vornherein ein Klassenur-
teil ist, in ein äquivalentes Klassenurteil äquivalent reduzierbar sein.
Welches sind nun die apriorisch möglichen Klassenverhältnisse usw.?
Ich bekomme fünf, und nur fünf Verhältnisse usw.
8B 88
Natürlich würde eine solche Theorie nicht behaupten, jedes Urteil
sei, wenn wir seinen vollen Gedanken explizieren, ein Klassenurteil,
jedes Urteil meine eine Beziehung zweier Quantitäten, sondern nur,
jedes Urteil habe darin sein Äquivalent. Und das ist immerhin eine
theoretisch interessante und wichtige Tatsache. Man kann sie dazu
verwenden, um alle syllogistischen Regeln herzuleiten und zu zeigen,
dass das Gebiet der Klassenschlüsse formal gleichwe'rtig ist mit dem
Gebiet der auf attributiven Verhältnissen beruhenden Schlüsse. Statt
so zu verfahren, vermengt Hamilton verschiedene Gesichtspunkte, in-
terpretiert die gewöhnlichen Urteilsformen so, dass sie komplexe Ur-
teile darstellen, und indem er dies seiner Theorie zugrunde legt, stellt
1 Die zwei folgenden SlJtze ersetzen den gestrichenen Text Einigen der aufgestellten Fonnen
entsprechen ja Identitäts- und Nichtidentitätsverhältnisse. Und so glaubt er, alles auf Identität
und Nichtidentität reduziert zu haben, während er dies in Wahrheit nicht getan hat und nicht
tun konnte.
AUGUSTUS DE MORGAN 293
==
Nur ein Teil A nur einem Teil B.
Die ganzen A nur einem Teil B.
Nur ein Teil A nur einem Teil B.
Wie steht es dann mit den Negationen? Oder mit den Urteilen, wo
"ist identisch" durch" ist nicht identisch" ersetzt ist?4
(Augustus De Morgan)
Um die Fortbildung der formalen Logik in der neuesten Zeit
haben sich nicht bloß Philosophen von Fach, sondern auch Mathe-
matiker viel bemüht. Und man wird urteilen müssen, dass sie, durch
die Besonderheit ihres eigenen Forschungsgebietes gut beeinflusst,
im Ganzen die haltbarsten und fruchtbarsten Gedanken zur logi-
schen Reform beigebracht haben. Ich will hier zunächst De Morgan
in Betracht ziehen: Er lebte 1806-1871, war lange Zeit Professor
1 DieserSatz ersetzt den gestrichenen Text Im Übrigen ist es offenbar, dass die Identitätsformen
und ihre Negationen (also nicht die Nichtidentitätsformen) ebenfalls geeignet wären, formal
behandelt zu werden.
2 Gestrichen Aber ein besonderer Nutzen ist dabei nicht zu erwarten. Die Reduktion auf die
fünf Sphärenverhältnisse stellt die Korrespondenz mit allem her, was mit Beziehung auf diese
letzteren später von der englischen Logik gefunden worden ist.
3 Zu studieren: Mills Kritik an Hamilton; Bains Darstellungen, (Logic, voLl I, (S.) 86f., 160f.;
Venn.
4 VgL Venns Kritik im Chapter I seiner Symbolic Logic, (2nd ed., New York 1894). Venn sagt
S. 15: Die vollkommenste und scharfsinnigste Kritik Hamiltons gibt De Morgan in Cambridge
Philosophical Transactions X (3. Abh.). Die beste Darstellung, die De Morgan von seiner
eigenen Auffassung gibt, findet sich im Artikel "Logic", (The) English Cyclopaedia, (A New
Dictionary 0/ Universal Knowledge: Arts and Sciences, VoL V, London 1860).
Für gewisse Fälle kann man die acht Formen aufstellen (Venn, (Symbolic Logic; S.) 15).
"AlIe Eisenbahnzüge halten in allen Stationen": Aber hier handelt es sich nicht um einfache
Quantifikation des Prädikats.
• Zur folgenden Darstellung der Lehre De Morgans vgL Liard, Die neuere englische Logik,
Kap. IV.
294 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK
der Mathematik an der Universität London und gilt als einer der
geistvollsten, obschon nicht fruchtbarsten englischen Mathematiker
dieses Jahrhunderts. Seine besten Kräfte wendete er an die Reform
der Logik. Zu einem einheitlichen, von klaren und haltbaren Ge-
sichtspunkten ausgeführten System hat er es nicht gebracht. Doch
stecken in seinen zahlreichen Arbeiten manch wertvolle Gedanken
inmitten unfruchtbarer Halbheiten und leerer Subtilitäten. Jedenfalls
kam die vorurteilsfreie Rücksichtslosigkeit, mit der De Morgan, viel
weiter blickend als Hamilton, die offenbare Unzulänglichkeit der
aristotelischen Syllogistik zu Zwecken einer formalen Deduktion zu
überwinden suchte, der Wissenschaft zugute.
Auch für De Morgan ist die Logik eine formale Disziplin, die
von der Materie der Erkenntnis abzusehen hat. Auch er schreibt ihr,
freilich nicht eben klar, das Studium der Gesetze der Denktätigkeit
zu. Und es trägt auch nicht gerade zur Klarheit bei, wenn er sagt, sie
habe es weder mit dem Denkenden an sich noch mit den gedachten
Dingen an sich zu tun, sondern mit dem Geist in seinem Verhältnis zu
den Dingen und den Dingen in ihrem Verhältnis zum Geist.
Auch bei ihm treffen wir die Forderung an, die Logik habe darauf
zu achten, dass sprachlich alles ausgedrückt wird, was im denkenden
Geist vor sich gehe, dass also der jeweilige Inhalt des Denkens voll
und ganz zum Ausdruck komme. Auch er sieht in der Unvollkom-
menheit des gewöhnlichen Ausdrucks den hauptsächlichen Grund für
die Unvollständigkeit und Unzulänglichkeit der traditionellen Logik.
Und daran knüpfen sich bei ihm auch genau dieselben Fehler wie bei
Hamilton. Er interpretiert in den gemeinen sprachlichen Ausdruck
hinein, was nicht darin liegt, und vermengt beständig Äquivalenz
mit Identität. Ein Beispiel bietet etwa die Einteilung der Namen in
affirmative und negative. Nicht zu jedem Namen finden wir in der
Sprache den entsprechenden negativen. Es trifft zu bei Sterblichkeit
und Unsterblichkeit, Wirbeltier - wirbelloses Tier, aber nicht etwa
bei Mensch. Das ändert aber nichts daran, dass jeder Name die
Gesamtheit der wirklichen oder erdenklichen Dinge in zwei Grup-
pen teilt: in diejenigen, welche die mitbezeichneten Beschaffenhei-
ten besitzen, und diejenigen, die sie nicht besitzen. Und aufgrund
dessen wird nun jedem Namen ein doppelter Sinn supponiert, ein
positiver und ein negativer. Mit jedem Namen sollen wir angeb-
lich immer sein kontradiktorisches Gegenteil mitdenken, und so ha-
be auch die Logik die Aufgabe, beides zum Ausdruck zu bringen
AUGUSTUS DE MORGAN 295
1 Die Sache ist bei Liard unklar und vielleicht auch bei De Morgan. Ich habe mirs natürlicher
zurechtgelegt.
296 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK
1 VgI. Liard, (Die neuere englische Logik, S.) 67: für Gegenstände. nicht für Vorstellungen
oder Namen; Bain, (Logic, S.) 182. (Bd.) I.
• Liard, Die neuere englische Logik, S. 82.
298 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK
Sätzen nicht auf dem Satz des Widerspruchs und den beiden anderen
logischen Grundsätzen beruht, sondern auch, dass es unzählige andere
Schlüsse gibt, die sich nicht als Besonderheiten oder deduktive Folgen
dieser Schlüsse auffassen lassen, sondern ihre eigene Quelle haben in
der Besonderheit der Verhältnisse oder, wie wir auch sagen können,
in der Besonderheit der Formen relativer Bestimmungen. Freilich
war auch er von einer klaren Einsicht noch ziemlich entfernt. Die
Hauptquelle des Irrtums der traditionellen Logik bestand nicht, wie
De Morgan geglaubt hatte, darin, dass sie eine ganz spezielle Kopula
aus der unbegrenzten Mannigfaltigkeit möglicher Kopulas willkürlich
bevorzugt hatte, sondern darin, dass sie im berechtigten Streben nach
möglichster Allgemeinheit eben die denkbar allgemeinste Form des
kategorischen Urteils zugrunde gelegt und nun geglaubt hatte, dass,
weil die Prämissen die allgemeinste Form haben, welchen alle erdenk-
lichen besonderen Prämissen unterstehen, auch die entsprechenden
Schlussformen von allumfassendem Charakter sein müssten, denen
sich alle erdenklichen Schlüsse als Besonderungen unterordnen lassen
müssen. Dass einem Subjekt S ein Prädikat P zukomme oder nicht
zukomme, das ist die allgemeinste Form eines kategorischen Urteils,
uhd das drücken die Logiker durch "S ist P" aus. Darin steckt keine
besondere Verhältnisform. Das "ist" bedeutet nicht "ist identisch
mit", auch nicht, wie De Morgan ein andermal sagt, " existiert mit" ,
"ist verknüpft mit". Die Form" S ist identisch mit P" ist selbst nur ein
Spezialfall der Form "S ist P". Und selbst wenn wir die allgemeinste
Form eines Verhältnisses nehmen: "S steht in der Relation <p zu P",
welche nach De Morgan den allgemeinsten Gegenstand der Logik
darstellen soll, so haben wir im Sinne der traditionellen formalen
Logik nur einen speziellen Fall. Das Prädikat ist nicht P, sondern" ist
in Relation <p zu P". Und so haben wir einen allgemeineren Gedanken,
enthalten in der schlichten Formel"S ist P". Nicht jedes kategorische
Urteil drückt ein Verhältnis aus. Zum Begriff des Verhältnisses gehört
es, dass zwei Gegenstände vorliegen, die in Beziehung gesetzt werden:
"Sokrates ist ein bedeutenderer Denker wie Heraklit", "Das Ganze
ist größer als ein Teil", "a ist> b. " Wenn ich aber sage: " Gold ist gelb",
dann meine ich nicht ein Verhältnis zwischen zwei Gegenständen.
Erst wenn ich das Urteil ändere in das äquivalente" Gold hat gelbe
Farbe", finde ich zwei Beziehungspunkte: "Gold" und" gelbe Farbe",
das Konkretum und Abstraktum, deren Verhältnis das Wörtchen
"hat" ausdrückt. Jetzt ist das Wörtchen "hat" nicht mehr Ausdruck
AUGUSTUS DE MORGAN 299
der Kopula im Sinne der traditionellen Logik, sowenig im Satz "a
größer b" das Wörtchen "größer" die Kopula darstellt. Wollen wir
den Prädikatbegriff getrennt von der Kopula ausdrücken, so können
wir nicht anders sagen als "Goldfarbe habend". Indem De Morgan
den Begriff der Kopula missversteht, indem er übersieht, dass der
allgemeinste Gedanke des kategorischen Urteils in nichts anderem
besteht, als dass einem bestimmten oder unbestimmten, besonderen
oder allgemeinen S irgendetwas (P Genanntes) zukommt oder nicht
zukommt, verfällt er in den Irrtum, dem "ist" die Bedeutung einer
ganz singulären Verhältnisbestimmung unterzuschieben, während es
eine Verhältnisbestimmung überhaupt nicht ausdrückt.
Diese Unklarheiten dürfen uns aber nicht verhindern, den un-
zweifelhaft berechtigten und bedeutenden Gedanken, die in den de
Morganschen Theorien impliziert sind, gerecht zu werden. Für die
Theorie der deduktiven Wissenschaften ist die Einsicht von funda-
mentaler Bedeutung, dass alle Versuche, die deduktiven Prozesse in
Syllogismen aufzulösen, grundverfehlt sind. In der Arithmetik spie-
len Syllogismen eine relativ untergeordnete Rolle. Hier herrscht der
GleichheitsscWuss.
Übrigens haben schon ältere Logiker an diesen Gedanken gerührt.
So hat Z.B. Reid ausdrücklich erklärt, der GleichheitsscWuss lasse sich
nicht als Syllogismus auffassen.
De Morgans Lehre ist von vielen Logikern angenommen worden,
so in neuester Zeit von Bradley, gegen den Sigwart die ältere Auffas-
sung zu verteidigen suchte.
Nehmen wir den Schluss A > B. B > C. A > C: Mittels des modus
ponens, des bekannten Grundsatzes für das hypothetische ScWießen,
könne man den Schluss auf das dictum de omni zurückführen. Nämlich
so: "Wenn B > C ist, so ist alles, was> Bist, > C. B > C. Also ist alles,
was> Bist, > C. A ist> B. Also ist A > C. "
Aber was bedeutet der Satz" Wenn B > C ist, so ist alles, was> B,
> C"? A, B, C sind beliebige Objekte. Somit ist der Sinn des Satzes:
Alles, was größer ist als ein Anderes, das selbst wieder größer ist als
ein Drittes, ist größer als dieses Dritte. Aber das sagt genau dasselbe
aus, was wir kürzer und klarer mit Hilfe algebraischer Zeichen in der
Form ausdrücken: "Wenn A > Bund B > C, so ist A > c." Also der
Obersatz des modus ponens ist der ganze Schluss, der eben deduziert
werden sollte, und so ist der Zirkel offenbar. Nur das eine können
wir sagen: Ein gewisser Zusammenhang dieser wie jeder allgemeinen
300 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK
Schlussform mit dem dictum besteht insofern, als die Anwendung im-
mer das dictum voraussetzt. Will ich den Größenschluss als Obersatz
verwenden, so brauche ich natürlich den Satz: Was allgemein gilt,
gilt auch in diesem besonderen Fall. Indessen wäre es doch falsch
vorauszusetzen, dass jeder Größenschluss, z.B. den wir in concreto
ausführen, voraussetze, dass wir den allgemeinen Größenschluss als
Prämisse einführen. Konsequent würde dies ja verlangen, dass wir
keinen Schluss überhaupt ziehen, ohne vorher das allgemeine Prinzip
des Schlusses in Form eines Obersatzes zu verwenden. Dies aber
würde auf einen unendlichen Regress führen. Denn wenn ich z.B.
einen Schluss der Form nehme "Alle A sind B. X ist A. Also ist es
B ", so müsste ich etwa beim Schluss "Alle Menschen sind sterblich.
Sokrates ist ein Mensch. Also ist er sterblich" so verfahren:
Für aUe A, B und X gilt der Schluss ... Setze ich also im Be-
sonderen für A, B, X resp. Mensch, sterblich, Sokrates, so folgt:
"Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist ein Mensch. Also (ist
er) sterblich." Damit habe ich aber selbst einen Schluss, und zwar
derselben Form gezogen. Um ihn machen zu dürfen, müsste ich also
dieselbe Betrachtung für ihn selbst anstellen, und so in infinitum. Wir
werden also aufmannigfaltige, voneinander unabhängige Schlussprin-
zipien geführt. Für Prämissen der allerallgemeinsten Form gelten die
bekannten Grundsätze des hypothetischen Schließens so wie für die
allgemeinsten kategorischen Formen das dictum. Ziehen wir verschie-
dene Klassen von Relationen in Betracht, so ergeben sich dann neue,
in der Besonderheit dieser Relationen gründende Schlüsse.
Ich habe vorhin bereits erwähnt, dass De Morgan jedes Urteil
unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses betrachtet und demge-
mäß als die umfassendste Urteilsform diejenige ansieht, in welcher
das Verhältnis ganz unbestimmt gelassen ist, also die Form "S steht
in dem Verhältnis <p zu P". Wenn die Logik wirklich ist, wofür sie
immer hingestellt wird, nämlich die rein formale Wissenschaft von
den Denkgesetzen, wenn sie wirklich von allem Materiellen, allem
Inhaltlichen des Denkens abstrahieren soll, dann muss sie auch aus
den verschiedenen Relationen des Denkens das Materielle entfernen
und sich auf die reine Form des Verhältnisses überhaupt beschränken.
Die formale Logik im strengsten Sinn muss also eine allgemeine Logik
des Verhältnisses überhaupt sein, der die Logik der Identität, die
Logik der Gleichheit, kurz, die Logik besonderer Verhältnisse als
untergeordnete Besonderungen gegenüberstehen würde.
AUGUSTUS DE MORGAN 3°1
Wie wäre hier zu bestimmten Sätzen zu kommen? Zunächst be-
stehen hier gewisse unmittelbar einleuchtende Sätze: Zu jedem Ver-
hältnis <p gehört ein inverses <p'; Wenn S <p P, so ist P <p' S (größer
- kleiner). Als einen weiteren Satz stellt De Morgan auf: Wenn ein
S nicht in irgendeinem Verhältnis <p zu P steht, dann gibt es immer
ein gewisses entgegengesetztes Verhältnis Nicht-<p, in welchem S zu
P steht. Wenn ein Mensch nicht in dem Verhältnis zu einem anderen
steht, dass er dessen Untertan ist, so kann ich auch sagen, der Erstere
stehe im Verhältnis eines Nicht-Untertans zum Letzteren.
Wie kommt es nun zu Schlüssen? Kann man bei dieser allge-
meinsten Betrachtungsweise von Schlüssen sprechen? Gewiss, sagt
De Morgan. Wenn X <p Y, Y 'P Z, so ist X <P'P Z (steht im verbundenen
Verhältnis <p'P). Wenn X der Lehrer von Y ist, Y der Freund von Z,
so ist X Lehrer des Freundes von Z.
Es' können nun auch negative Formen auftreten als Prämissen.
Etwa in der ersten Prämisse: X steht nicht im Verhältnis <p zu Y;
Y steht im Verhältnis 'P zu Z: X steht im verbundenen Verhältnis
(Nicht-<p)'P zu z, usw.
De Morgan unterscheidet hier wie in der Syllogistik Figuren und
Modi und sucht allgemeine Regeln aufzustellen. Natürlich ist gegen
eine derartige formale Theorie der Verhältnisse im Allgemeinen theo-
retisch nichts einzuwenden. Von den Irrtümern, mit denen De Morgan
seine Darlegung einleitet, können wir leicht absehen; auf die Sätze
selbst haben sie keinen Einfluss. Natürlich darf man nicht glauben, in
den allgemeinsten Verhältnisschlüssen, d.h. in den Schlüssen, deren
Prämissen Verhältnisse nicht näher bestimmter Art sind, Allgemein-
heiten zu besitzen, die jeden Verhältnisschluss als Besonderheit in
sich fassen. Dies hieße einen ganz analogen Irrtum begehen wie den
vorhin gerügten der Logiker, die in der Syllogistik die Lehre von
der Deduktion überhaupt sehen. Aus den allgemeinsten Verhältnis-
schlüssen kann ich niemals als eine selbstverständliche Besonderung
herleiten den Größenschluss, z.B. "a > b > C. Also a > C." Ich kann
nur schließen: "a größer als etwas, das größer ist als c." Dass beides
äquivalent ist, das kann ich nur aus dem besonderen Begriff der Größe
entnehmen.
Und so verhält es sich überall. Diese Schlüsse mit den allgemeinsten
Verhältnisprämissensind also nicht etwa die Gattungen zu den beson-
deren Verhältnisschlüssen als Arten, und demgemäß kommt ihnen im
Ganzen unserer Erkenntnis nur eine untergeordnete Bedeutung zu;
302 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK
sie haben einen bloß singulären Charakter. Wüssten wir bloß, dass,
wenn a ~ b ist und b ~ c ist, a ~ ist als ein Größeres wie b, dann wäre
damit eine sehr geringfügige Erkenntnis ausgesprochen. Die große
Tragweite des Größenschlusses besteht darin, dass das zusammenge-
setzte Verhältnis sich auf ein einfaches derselben Art reduziert, dass
ein Größeres von einem Größeren wieder ein Größeres ist.
Dass De Morgan übrigens nicht geglaubt hat, in seiner allgemeinen
Lehre von den Verhältnissen die Lehre von den besonderen Verhält-
nisarten überflüssig gemacht zu haben, das geht daraus hervor, dass
er der Syllogistik und ihrer Erweiterung und Verbesserung so viele
Abhandlungen gewidmet hat.
Er ist unermüdlich in Neuerungen. Schon in der Feststellung der
Urteilsformen weicht er sehr wesentlich von der traditionellen Logik
ab. Indem er das Urteil als Verhältnis zweier Begriffe ansieht und
jeden der Begriffe sich als positiven und negativen denkt, so hat er,
allgemein zu reden, vier Termini, S, P, s, p, anstelle der üblichen zwei.
Dieselben können nun in vier verschiedenen Paaren sich verknüpfen:
SP, Sp, sP, sp. Die Verknüpfung kann nun in jedem Fall die Formen
A, E, I, 0 besitzen, so dass wir im Ganzen sechzehn Kombinationen
haben, die sich aber nur auf acht nicht äquivalente reduzieren:
Alle S sind PEinige S sind Nicht-P Kein S ist P
Alle P sind SEinige P sind Nicht-S (Kein P ist S) (reduktibel)
Einige S sind P Alles ist entweder S oder P
Einiges ist weder S noch P
Von einem anderen Gesichtspunkt aus, den De Morgan den ony-
matischen nennt, gewinnt De Morgan acht ganz andere Urteilsfor-
men, die im Wesentlichen identisch sind mit den hamiltonschen For-
men. Dies hat dann zu dem berühmten Prioritätenstreit zwischen
beiden Forschern Anlass gegeben. Vom onymatischen Gesichtspunkt
ist das Urteil nach De Morgan nichts weiter als eine Verknüpfung
zweier Namen als Namen desselben Gegenstandes. Also z.B. die Na-
men S und P haben gemeinsam Anwendung. In diesen Gesichtspunkt
will nun De Morgan die Lehre von den universellen und partikularen
Urteilen hineinzwängen. Die universellen und partikularen Urteile
sollen nichts weiter sein als Summen von exemplarischen Urteilen
(Urteilen der Anzahl), und diese selbst sollen onymatisch sein, bloße
Verhältnisse zwischen Namen (wenn ich recht verstehe). Ich will auf
all diese Theorien nicht näher eingehen. Zu haltbaren Ergebnissen
haben sie nicht geführt. Was an ihnen richtig ist, das wird zum größten
AUGUSTUS DE MORGAN 3°3
Teil überflüssig gemacht durch die unvergleichlich vollkommeneren
Formalismen Booles und seiner Nachfolger. Was darüber hinausgeht,
das ist überall die Aufzeigung von Formen, welche über den Rahmen
der gemeinen Syllogismen hinausgehen. Bemerkenswert in dieser
Beziehung ist außer dem Hinweis auf die verschiedenen Relations-
formen der Mathematik auch die Theorie der numerisch bestimmten
Syllogismen. Aus partikularen Prämissen, so lautet ein bekannter
Kanon der formalen Logik, ist kein Schluss zu ziehen. Wird aber die
partikulare Quantität durch eine bestimmte Zahl ersetzt, so werden
Schlüsse möglich. Im Sinne der von den meisten älteren Logikern
gegebenen Definitionen wären die hierher gehörigen Urteile immer
noch als partikular zu bezeichnen, da der Subjektbegriff nicht nach
dem ganzen Umfang genommen ist, so dass die alte Regel nicht mehr
stimmen würde. Indessen hält De Morgan die Regel doch fest, indem
er, wie es geschehen muss, den Begriffdes partikularen Urteils auf den
Sinn der Formel" Einige A sind B " beschränkt, in welcher die Vielheit
der A in keiner Weise bestimmt ist. Es genügt, an einem Beispiel zu
zeigen, dass es wirklich Schlüsse mit numerisch bestimmten Prämissen
gibt, die in der üblichen Schlusslehre nicht erledigt werden: Wenn
von 100 Y 60 Z sind und desgleichen von den 100 Y 70 X, so müssen
mindest 10 Y zugleich X und Z sein.
De Morgan hat nun die allgemeinsten Syllogismen dieser Art be-
trachtet, natürlich bei algebraisch unbestimmt gelassenen Zahlen, und
die zugehörigen Regeln aufgestellt. Nah verwandt mit diesen Syllo-
gismen sind folgende im gewöhnlichen Leben mitunter auftretende
Formen:
Die Mehrzahl der Y sind X. Die Mehrzahl der Y sind Z (Nicht-Z).
Also einige Xsind Z (Nicht-Z).
Die Mehrzahl der Y sind nicht X. Die Mehrzahl der Y sind nicht
Z. Einige Dinge sind weder X noch Z.
Arithmetisch:
y>x y=m+x
111
y>z =n+z
°
Da x und z von verschieden sind, so müssen die entsprechenden
gezählten Einheiten zum Teil identisch sein.
Die logischen Reformversuche, die wir inden letzten Vorlesun-
gen kennen gelernt haben, überschreiten zwar die Gedankenkreise
der traditionellen scholastischen Logik, aber sie stehen ihr doch in
304 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK
(George Boole)
Gehen wir von De Morgan zu Boole über, so finden wir uns in
eine neue Welt versetzt. Ziel und Methoden sind völlig verändert.
Die Analyse tritt weit zurück hinter der Synthese. Um eine möglichst
vollständige Analyse der Urteilsformen hat er sich weniger beküm-
306 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK
! Die Fonneln für 0 und I sind hier durchaus erforderlich, wegen der Analogien im Klassen-
kalkül.
2 b zahlen a: a+a+ ... b-mal = b+b+ ... a-mal. Nehme ich je eine Einheit aus den a auf
der einen Seite, so erhalte ich a Gruppen von b Einheiten. Ich darf ja nach den Gesetzen der
Assoziation und Kommutation die Teilzahlen beliebig umordnen, also auch die Einheiten.
308 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK
dung der Folgesätze mit den Gesetzen der Addition und Subtraktion
ergibt dann die Gesamtheit der Regeln, welche die vier elementaren
Operationen beherrschen.
a
Z.B. finden wir eine Regel der Arithmetik, die sagt: ~ x = :
Beweis:
Ax~xbd - Axbx~xd
b d - b d
Wir multiplizieren jede Seite mit bd und betrachten sie für sich.
Ax~xbd - Axbx~ xd
b d - b d
=axc
=ac
Andererseits:
:xbd = ac (nach 8)
Also auch beiderseits wieder mit bd dividiert: quod erat demons-
trandum.
Oder nehmen wir den Satz: a(b - c) = ab - ac. Rechts schreibe ich
für b: b-c+c, nach 3). Also: = a(b-c+c) -ac
Nach dem Distributionsgesetz:
= a(b - c) +ac - ac, nach einem bereits bewiesenen Satz.
= a (b - c). Also in der Tat der linken Seite gleich. Und so allgemein.
Machen wir uns das Wesen der Sache nun in abstracto klar. Im Zahl-
begriff gründeten der Begriff der Addition und mittelbar die übrigen
Operationsbegriffe. Aus ihnen gingen apriori die neun nummerierten
Grundgesetze hervor. Alle übrigen Sätze der Arithmetik, soweit sie
ins Gebiet der vier Rechnungsoperationen fallen, sind rein formale
Folgen der neun Grundsätze. Das heißt: Um irgendeinen sonstigen
Satz zu erweisen, brauche ich gar nicht mehr auf den Begriff der Zahl
oder auf die Begriffe Addition, Multiplikation etc. zurückzugehen.
Der Beweis besteht vielmehr aus lauter Schritten, in denen wir nichts
weiter zu tun haben, als einen der neun Sätze anzuwenden, also
nichts weiter, als zu subsumieren. Die neun Grundsätze aber sind
voneinander formal unabhängig. Sie sind nicht schlechthin unabhän-
gig, denn die späteren setzen zum Teil die früheren voraus. Aber um
sie einzusehen, müssen wir auf den Begriff einer Zahl oder Summe
usw. zurückgehen. Wir können keinen dieser Sätze als besonderen
Fall der übrigen darstellen oder durch Transformationen herleiten,
deren Berechtigung in ihnen allgemein ausgesprochen ist.
Dies ist alles, was wir zum Verständnis der Arithmetik, wie einer
Kalkülwissenschaft überhaupt, gebrauchen. Es ist nicht nötig, auf die
übrigen Rechnungsoperationen der Arithmetik einzugehen, zumal
GEORGE BOOLE
es strittig ist, was noch als Grundoperation zu gelten hat und was
nicht. Das Bild ist jedenfalls immer dasselbe. Alle Regeln, nach denen
die rechnerischen Transformationen irgendwelcher aufgrund der ver-
schiedenen Operationen in noch so großer Komplikation gebildeter
Ausdrücke vonstatten zu gehen haben, sind formale Konsequenzen
einer begrenzten Zahl von Grundsätzen. Eben dasselbe gilt, aber
ganz allgemein, für alle arithmetischen Sätze. Nicht alle Sätze haben
ja den Charakter solcher Transformationen. Eine große Klasse von
Aufgaben geht darauf aus, Zahlen, die nur als Gleichungslösungen
definiert sind, zu bestimmen, mit anderen Worten, Gleichungen auf-
zulösen. Nehmen wir etwa die Gleichung ax+b = c. Das heißt, ein
Rätsel ist mir aufgegeben. Es wird uns gesagt, die unbekannte Zahl,
mit a multipliziert, ergebe eine Zahl, welche, zu b addiert, gleich c
sei. Wie wird das Rätsel gelöst? Indem die Gleichung schrittweise
durch äquivalente Gleichungen ersetzt wird, bis ich zu einer solchen
komme, welche die Form hat: x = dem und dem ausschließlich aus
den bekannten Zahlen a, b, c komponierten Ausdruck. In unserem
Fall: x =c~ b. Und alle diese Schritte der Transformation erfolgen aus-
schließlich durch Anwendung der Grundsätze oder aus ihnen formal
ableitbarer Sätze, also durch bloße Subsumtion.
Diese eben geschilderte Sachlage begründet nun das Rechnen. Was
charakterisiert das Rechnen? Nichts anderes, als dass es ein Verfahren
ist, um aus irgendwelchen gegebenen Sätzen eines Forschungsgebietes
äquivalente Sätze zu deduzieren, ohne je auf die Besonderheit der Be-
griffe und Relationen zu rekurrieren. Wie ist das aber möglich? Womit
hat man es denn sonst zu tun als mit Begriffen und Verhältnissen? Die
Antwort lautet: Die Begriffe werden gedacht mittels gewisser Termini,
die Verhältnisse mittels ihnen entsprechender Verknüpfungszeichen.
Wenn wir in der Arithmetik rechnen, kümmern wir uns bloß um die
Zeichen und die Regeln ihrer Verknüpfung.
Nun werden Sie aber einwenden: Die Zeichen sind doch Zeichen
für gewisse Sachen, und die Regeln sind Regeln, um mit den Sachen,
in unserem Fall mit den arithmetischen Begriffen, in richtiger Weise
umzugehen, richtige Sätze in Betreff derselben aufzustellen. Beden-
ken Sie aber Folgendes. In der Arithmetik ist knapp und übersichtli-
cherweise jede Zahl durch ein Zeichen ausgedrückt; jede Operation
durch ein entsprechendes Verbindungszeichen: ± ...; Gleichheit und
Verschiedenheit durch neue Zeichen: =, >, < usw. Jedem Satz ent-
spricht also auch eindeutig ein gewisser sinnlicher Ausdruck auf dem
310 OBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK
Papier. Der Anwendung des Satzes, der Regel, die in ihm enthalten,
entspricht zugleich eine Regel für die Operation mit Zeichen, z.B.
a + b =b +a. Nenne ich nun einen sinnlichen Ausdruck einen richtigen
dann, wenn ihm ein wahres Zahlenurteil entspricht, dann entspricht
jedem Satz eine Regel, richtig mit Zeichen zu verfahren. a+b = b+a
heißt dann: Das Zeichen a +b ist gleichwertig dem Zeichen b +a. Ich
darf das eine für das andere setzen. Ich kann sicher sein, dass, wenn
ich diese Art, mit Zahlzeichen zu verfahren, zulasse, jeder aus einem
Zeichenausdruck hergeleitete Ausdruck sicher ein richtiger sein wird.
Die Sache ist also jetzt die: Ich habe eine Gattung bestimmt fixierter
und meinem Gedächtnis eingeprägter Zeichen, dazu eine gewisse
Anzahl von Regeln, die in der Weise von Spielregeln festsetzen, wie
mit den Zeichen verfahren werden darf, derart, dass jedes andere
Verfahren als unzulässig gelten soll. Eine beliebige Verknüpfung von
Zeichen kann dann aufgrund der Regeln mannigfach ersetzt werden
durch eine äquivalente Zeichenverknüpfung. Und richtig ist die Her-
leitung, wenn jeder ihrer Schritte regelgemäß ist, also kein Schritt
gemacht ist, der nicht durch einfache Subsumtion unter irgendeine
der Regeln seine Rechtfertigung findet. Betrachte ich in dieser Weise
die Zeichen für sich, so sind sie darum nicht bloß Schnörkel auf dem
Papier, sie haben offenbar eine gewisse Bedeutung. Was ist nun ihre
Bedeutung? Nicht mehr die entsprechende arithmetische Bedeutung,
denn von dieser habe ich ja gänzlich abstrahiert. Offenbar liegt die
Bedeutung jetzt in den Spielregeln. Es ist ganz so wie im Schachspiel:
Läufer, Turm etc. Ich behaupte nun: Alles Rechnen besteht darin,
dass die ursprünglichen Begriffe, die Zahlbegriffe und die ihnen zu-
gehörigen Beziehungs- und Verknüpfungsbegriffe, durch ihre bloßen
Symbole ersetzt und diese nun als solche rein konventionellen Spiel-
begriffe aufgefasst werden. Die Spielbedeutung dieser Symbole ruht
dann in gewissen Spielregeln, die nichts anderes sind als die genauen
Korrespondenten der Grundgesetze, auf welche alle arithmetische
Deduktion durch bloße Subsumtion reduzierbar ist. Mit anderen
Worten: Um eine arithmetische Deduktion zu vollziehen, brauche ich
nicht an die eigentliche Bedeutung der Zeichen zu denken, in denen
die Sätze ihren Ausdruck finden. Ich brauche nur die Grundsätze als
Regeln eines konvenienten Verfahrens mit den Symbolen aufzufas-
sen und fest einzuprägen. Indem ich diesen Regeln entsprechend die
Zeichen der jeweiligen Ausdrücke auf dem Papier richtig verschiebe,
leite ich neue Ausdrücke her und wieder neue Ausdrücke, so lange,
GEORGE BOOLE 3 11
setzt. Danach ist sofort klar, dass apriori kein Grund einzusehen ist,
warum das Rechnen bloß auf das arithmetische Gebiet beschränkt
sein sollte. Wo immer wir ein Gebiet von Begriffen finden, in dem
sich analoge Verhältnisse finden wie auf dem der Arithmetik, also wo
immer einförmige Weisen der Bildung neuer Begriffe aus gegebenen
nachweisbar sind derart, dass die Bildungsresultate immer wieder als
Elemente für neue Bildungen fungieren können, und wo für diese
Bildungsweisen Gesetze in beschränkter Anzahl existieren, da wird
ein unendliches Gebiet von reinen Folgesätzen aus den Grundsätzen
deduktibel sein, und zwar in der Weise rein formaler Deduktion.
Und da wird auch das rechnerische Verfahren möglich sein, welches
den Rekurs auf die Begriffe überflüssig macht und den äußerlichen
Formen des Verfahrens allein sich hingibt.
Auf Folgendes sei ferner aufmerksam gemacht: Ist unsere Analyse
des rechnerischen Verfahrens richtig, dann ist apriori klar, dass auf
verschiedenen Gebieten formell identische Rechnungsregeln resultie-
ren können, sei es zum Teil, sei es ganz. Nennen wir die Gesamtheit der
Rechnungsregeln einer deduktiven Disziplin mitsamt ihren Folgesät-
zen ihren Algorithmus, dann könnten also ganz verschiedene Gebiete
identisch denselben Algorithmus besitzen. Es wird dies natürlich dann
der Fall sein, wenn jedem Begriff der einen Disziplin ein Begriff der
anderen entspricht, und umgekehrt. Ebenso wenn jedem Operati-
onsbegriff im einen Gebiet ein Operationsbegriff in dem anderen
usw., schließlich, wenn beiderseits formell übereinstimmende Grund-
gesetze und beiderseits in gleicher Zahl existieren, in gegenseitig
eindeutiger Korrespondenz. Die Identität des Algorithmus wird dann
sofort heraustreten, sowie wir beiderseits gleiche Bezeichnungsweisen
verwenden.
In der Natur des Anzahlbegriffs gründen die Unterscheidungen
zwischen 1,2,3 ••• derart, dass 2 = 1 + 1,3 = 2 + 1 ••• Und keine Zahl exis-
tiert, die nicht in dieser unendlichen Reihe ihr Äquivalent hätte. Es
gründen darin ferner die oben angeführten Sätze a + b =b + a usw. An-
genommen, es existierte ein anderer, von der Anzahl verschiedener
Begriff, der sich analog in eine Reihe von Spezialbegriffen spaltet, für
welche analoge Operationen mit analogen Gesetzen etc. gelten, dann
könnte die Analogie doch eine so vollständige sein, dass, wenn wir
die Bezeichnungen passend wählten, ein vollkommener Parallelismus
bestände. Es handelt sich hier nicht um eine bloß vage Möglichkeit!
In der Tat ist das, was man Arithmetik nennt, nur aequivoce ein e
GEORGE BOOLE
o
I
A B
I I
dann die und die Axiome, die gegebenen Gesetze, aus welchen al-
le anderen arithmetischen Sätze durch reine Subsumtion bewiesen
werden.
Ganz anders verhält es sich hier mit dem verallgemeinerten Begriff,
dem der" formalen zahl" im gewöhnlichen Sinn der Arithmetik:. Der
Begriff der formalen Zahl ist der bloße Begriff eines Irgendetwas,
dessen Gegenstände Verknüpfungen und Beziehungen unterliegen
mit Gesetzen, die sich in den Formen der gegebenen Grundsätze
ausdrücken lassen. Die Gesetze sind hier nicht aus dem gegebenen
Begriff abgeleitet, sondern der Begriff wird erst in Reflexion auf
die Form der Gesetze konstruiert. Die Gesetze sind im ersteren
Fall synthetische Sätze apriori, im letzteren Fall rein analytische
Sätze. Und wieder kann man als unterscheidend hervorheben, dass
die Begriffe im einen Fall unmittelbar aus Anschauungen abgeleitet
sind durch Abstraktion, während im anderen Fall die Begriffe durch
vergleichende Verallgemeinerung aus bereits gebildeten Begriffen
gewonnen werden.
Wir wollen jetzt noch eine wichtige Modifikation anbringen. Wir
haben bisher eine Mehrheit von Begriffen, durch welche, einzeln
genommen, Deduktionsgebiete bestimmt werden, betrachtet, denen
identisch derselbe Algorithmus zugehört, Begriffe, die so geartet
sind, dass sie exakt analoge Verknüpfungen, Beziehungen und ent-
sprechende Gesetze aufweisen, und zwar so, dass strenger Paral-
lelismus, strenge gegenseitig eindeutige Korrespondenz beiderseits
besteht. Jeder Anzahl entspricht eine Ordinalzahl, und umgekehrt.
Jeder Verknüpfungsform von Anzahlen entspricht eine bestimmte
Verknüpfungsform von Ordinalzahlen, und umgekehrt. Und endlich,
jedem Gesetz auf der einen Seite entspricht ein formell analoges auf
der anderen Seite, und umgekehrt. Die entsprechenden Glieder wer-
den gleich bezeichnet und benannt, und so gewinnen wir beiderseits
identisch dieselben Formeln.
Es ist nun aber auch der Fall denkbar, dass zwei Gebiete in sol-
chem Verhältnis stehen, dass sie nichtbeide als ganze einander in
angegebener Weise entsprechen, sondern dass ein bloßer Teil des
einen dem ganzen anderen entspricht. Mit anderen Worten, dass der
Gesamtalgorithmus des einen Gebietes identisch ist mit einem Teilal-
gorithmus des anderen. Es handelt sich hier nicht um eine aus der
Luft gegriffene Möglichkeit. Wir haben vorhin von Streckenzahlen
der einfach unendlichen Geraden gesprochen. Nehmen wir anstelle
316 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK
00' o
I
00
dann haben wir zwei Richtungen zu unterscheiden, die wir als Rechts-
und Linksrichtung unterscheiden. Die Gerade zerfällt dann in zwei
°
einfach unendliche Geraden. Nehmen wir in der von nach rechts
sich erstreckenden eine Strecke 1 an und fassen 1 als Zeichen einer
Fortbewegung nach rechts um eine bestimmte Länge und definieren
in der früher angegebenen Weise 2, 3, 4 ... , so 'gilt nun die gewöhnliche
Arithmetik, wenn wir die Definitionen passend fixieren. Ebenso kön-
nen wir I' in der zweiten, nach links laufenden Geraden als Einheit
definieren, und zwar als Zeichen einer Fortbewegung nach links um
eine bestimmte Länge, welche wir als gleich groß annehmen wollen
als diejenige von I. Dann gilt wieder die ganz gemeine Arithmetik.
Denken wir nun aber die Auffassung etwas geändert. Wir verstehen
wieder unter 1 eine Fortbewegung nach rechts um die fixierte Länge,
aber als eine beliebige, gleichgültig wo sie in der unendlichen Geraden
statthat. Ebenso I'. Dann kann in einer Summe jedes Glied entweder
eine Streckenzahl der Art 1 oder der I' sein. Wir unterscheiden sie
durch Indizes. a bedeute also eine in der Rechtsrichtung laufende
Strecke, b' eine in der Linksrichtung laufende Strecke. a + b' bedeute
dann diejenige Strecke, die ich erhalte, wenn ich vom Ausgangspunkt
a Schritte nach rechts gehe und vom erlangten Endpunkt aus dann b'
Schritte nach links. Dann ist klar, dass a + b' dieselbe Strecke darstellt
wie a - b. Denn per definitionem ist ja a - b die Strecke, welche mit b
additiv verknüpft a gibt.
Offenbar erhalte ich jeweils diese Strecke, wenn ich vom Endpunkt
des a um b Einheiten zurückgehe, also nach links gehe.
o ••
a
a-b b
ausführbar. Ich erhalte dann eben Punkte, die links von 0 liegen.
Mit Rücksicht darauf erspart man es, zwei verschiedene Bezeich-
nungen für die Einheiten I und I' einzuführen, denn jede Zahl der
Einheit I', also jedes b', kann mittels der Subtraktionsoperation auf
Zahlen der Einheit I zurückgeführt werden. Nämlich b' =o-b,1 und
o ist dabei = a - a, wo a eine beliebige Zahl bedeutet der Art I. In
dieser Art fortgehend kann man dann wieder den Algorithmus der
Streckenzahlen für eine zweiseitig unendliche Gerade aufstellen bzw.
die deduktive Wissenschaft für die so festgestellten Begriffe fixie-
ren. Vergleichen wir das derart zu gewinnende Deduktionsgebiet mit
dem der Anzahlen oder mit dem der Streckenzahlen einer einseitig
unendlichen Reihe, so erkennen wir sofort, dass nun nicht mehr ge-
genseitig eindeutige Korrespondenz besteht. In der Lehre von den
Anzahlen hat der Begriff eines a - b keine Geltung, wenn b > a ist:
3 -7 ist eine unmögliche Zahl. Ich kann nicht sieben Einheiten von
drei wegnehmen; ich erhalte durch die geforderte Operation keine
Zahl. Anders verhält es sich hier: Ich erhalte eine Zahl, nämlich eine
negative Zahl. Das Gebiet der jetzigen Streckenzahlen ist also ein
weiteres: Die eine Hälfte mitsamt den dafür gültigen Sätzen deckt
sich mit dem Anzahlengebiete; die andere Hälfte ist überschüssig, es
fehlt Korrespondierendes im Anzahlengebiet.
Auch noch in anderer Beziehung ist das Gebiet der Streckenzahlen,
und zwar sowohl der einseitigen als der zweiseitigen unendlichen
Geraden, umfassender. Im Gebiet der Anzahl hat der Begriff 3 : 7
keine Geltung. Ich kann nicht die Zahl 3 in sieben Teile teilen, deren
jeder wieder eine Zahl ist, wie doch im Begriff der Division verlangt
ist. Aber sehr wohl kann ich eine Strecke der Länge 3 in sieben
gleiche Teile teilen. Und ich kann solch einen Teil wieder zahlenmäßig
auffassen, indem ich die so genannten Bruchzahlen einführe: 3 : 7 = 3
Siebtel = 3 x 117, wo 117 eine Strecke bedeutet, die den siebten Teil der
Strecke I darstellt, oder die Strecke, die versiebenfacht I gibt. Eine
Anzahl 117 ist etwas Absurdes.
So ist das Gebiet nun unendlich viel reicher. Es existiert die Bruch-
einheit 1h, 113, 1/4, 1/5 ••• und alle daraus abgeleiteten Zahlen.
Fragen wir, was erforderlich ist, um in irgendeinem deduktiven
Gebiet einen Kalkül zu begründen, so lautet die Antwort offenbar
10- b bezeichnet man mit ob, und man hat so die zweiseitig unendliche Reihe von zahlen: 0,
1,2,3 ...; -I, -2, -3 ...
318 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK
Es ist offenbar, dass die Klasse der Weißen, die Europärer sind,
identisch ist mit der Klasse der Europäer, die weiß sind. Und dass
evident allgemein gilt:
I) xy = yx, wobei wir die Identität der Klassen durch das Gleich-
heitszeichen andeuten.
2) Offenbar ist auch (xy)z = x(yz) (Europäer, Gelehrte, Mathema-
tiker).
3) IX = X
4) ox = o. Denn alles Unmögliche und zugleich x-Seiende ist un-
möglich, und alles Unmögliche ist zugleich ein x-Seiendes, d.h. ist
etwas unmöglich, dann ist es auch als x unmöglich.
5) xx = x. Ein Mensch, der ein Mensch ist, ist ein Mensch, und
umgekehrt. Also die Klasse der Menschen seienden Menschen und
der Menschen ist identisch dieselbe. Bezeichnen wir xx durch x2, so
haben wir also x2 = x. Und offenbar ist dann auch xß = x.
Wir führen nun nach Boole eine neue Operation ein: x und y
seien zwei disjunkte Klassen, d.h. solche,· die nichts gemein haben.
Dann bestimmen beide eine Klasse, welche die Glieder beider Klas-
sen zusammenfasst. Wir bezeichnen sie durch x+ y. Z.B. die Klas-
se der Engländer und die Klasse der Franzosen sind disjunkt. x +Y
ist die Klasse der Engländer und Franzosen. Zu dieser Klasse ge-
hört also jeder Mann, der entweder Engländer ist oder Franzose,
wobei es ausgeschlossen ist, dass einer beides zugleich sei. Offen-
bar ist
6) x+y = y+x und
7) x+(y+z) = (x+y)+z
8)x+o=x
320 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK
Verstehen wir nun unter x - y die x mit Ausschluss der y, also etwa
die Europäer mit Ausnahme der Engländer, dann gilt
9)(x-y)+y =x
10) z(x+y) =zx+zy
8 (I-X)
die Interpretation, man fasse nun die Symbole wieder als solche für
Klassen."
Nach den ausführlichen Erörterungen zur allgemeinen Theorie
der Algorithmen ist die Rechtfertigung des 'booleschen Verfahrens
mit wenigen Worten zu geben. Der Klassenalgorithmus fällt mit dem
Algorithmus der Zahlen zusammen, wenn wir die ganze Zahlenreihe
auf 0 und I zusammengeschrumpft dächten. Mit anderen Worten:
Der Klassenalgorithmus ist ein Stück des arithmetischen Algorithmus.
Dieser ist eine Erweiterung jenes.
Da die Konsistenz des erweiterten Algorithmus durch die Tatsache
erwiesen ist, dass seine sämtlichen Grundformein die adäquaten Aus-
drücke evidenter, also eo ipso verträglicher Grundsätze der Arithme-
tik sind, so dürfen wir den arithmetischen Algorithmus ohne weiteres
zur Auflösung der Aufgaben des Klassenkalküls verwenden, darum
unbekümmert, dass ein großer Teil der Zeichen und der Operationen
vom Standpunkt des Klassengebietes sinnlos oder absurd ist. Sind
wir zu einer Beziehung gekommen, die von allen sinnlosen oder
absurden Zeichenkombinationen frei ist, dann ist dies eine im Sinn
des Klassenkalküls gültige Beziehung.
Damit ist alles, was zum Verständnis des booleschen Verfahrens
nötig ist, eigentlich erschöpft. Sie sehen, wie töricht die Vorwür-
fe sind, die man Boole gemacht hat und die immer wieder darauf
zurückkommen, Zahlen und Klassen seien etwas toto genere Ver-
schiedenes, und es sei daher grundverkehrt, ein Verfahren, das für
Zahlen Sinn habe, auf das Klassengebiet zu übertragen. Man hat-
te eben keine 'Ahnung vom Wesen des rechnerischen Verfahrens,
keine Ahnung von den Grundsätzen der Logik der deduktiven Wis-
senschaften. Und so musste Booles Verfahren wie Spiegelfechterei
erscheinen, wobei freilich das unerklärliche Wunder zu konstatieren
war, das Booles Rechnungen immer zu richtigen Resultaten führten,
dass also, wer, den booleschen Methoden vertrauend, eine logische
Aufgabe rein rechnerisch auflöste, in der Tat eine wahre Lösung
fand, während man doch hätte erwarten müssen, dass eine sinn-
lose Methode auch sinnlose oder zum mindesten falsche Resultate
hervorbringen müsse. Allerdings war Boole selbst über die Gründe
der Triftigkeit seines Verfahrens nicht ganz im Klaren. Es handelt
sich bei ihm mehr um eine geniale Intuition als um eine begriff-
• Zur folgenden symbolischen Darstellung der Urteile vgl. Liard, Die neuere englische Logik,
S·96ff.
324 OBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK
@··o
v kann entweder als x selbst angenommen werden oder als eine
Klasse, die außer x noch irgendein anderes Gebiet enthält, das mit y
nichts gemein hat: x( 1- y) = o.
Betrachten wir nun das allgemein verneinende Urteil "Kein A ist
B" = "Alle A sind nicht B", also x = v( I - y), xy= 0; das partiku-
lar bejahende Urteil: vx = vy, xy =I: 0; das partikular verneinende:
vx = V(I -y), xy =I: o.
Auf diese Weise kann man jedes beliebige kategorische Urteil in
eine Klassengleichung verwandeln. Es ist hierbei gleichgültig ob die
Termini im kategorischen Urteil einfache oder komponierte sind. Die
Verknüpfungsformen, durch welche komponierte Begriffe entstehen,
haben ja ein entsprechendes Korrelat in gewissen Verknüpfungs-
formen von Klassen. Ist die Verknüpfung eine determinative, z.B.
"rotes Haus", so entspricht ihr die multiplikative Verknüpfung der
zugehörigen Klassen. Die Klasse der roten Häuser ist die Klasse der
Dinge, die zugleich zur Klasse der roten Dinge und zur Klasse der
Häuser gehören. Nennen wir die erstere Klasse x, die letztere y, so
haben wir also den Ausdruck xy für die entsprechend komponierte
Klasse. Ist die Verknüpfung eine disjunktive, so werden wir auf die
additive Verknüpfung der Klassen geführt, z.B. Dreiecke sind entwe-
der rechtwinklig oder spitzwinklig oder stumpfwinklig. Die Prädikat-
klasse wird hier durch x+y+z zu signieren sein, da die Glieder sich
ausschließen. Schließen sie sich ein, wie wenn ich von einem Schüler
sage, er sei entweder nachlässig oder faul, wobei ich natürlich nicht
ausschließen will, dass er beides sei, dann muss ich es ausdrücken
durch X(I -y)+y(I -x)+xy.
Festzuhalten ist also: Jedem beliebigen Urteil kann ich äquivalent
substituieren ein gewisses Klassenurteil- offenbar auch umgekehrt-,
und eben weil ich dies kann, so muss notwendig jede Methode, aus
GEORGE BOOLE
von Gleichungen, deren jede beliebig viele Klassen enthält, eine An-
zahl von Klassen, die den Gleichungen gemeinsam sind, eliminieren
wollen, ganz so, wie ich in der Arithmetik aus n Gleichungen m der
in ihnen implizierten Gruppen zu eliminieren lerne.
Boole stellt also die Rechnungsregeln auf, nach denen man aus
einer beliebigen Anzahl von Prämissen, von denen jede irgendeine
Anzahl von Terminis einschließt, so viel Mittelbegriffe, als irgend in
ihnen gemeinsam auftreten, eliminieren kann.
Mit diesen Untersuchungen ist aber die algebraische Logik Booles
nicht abgeschlossen. Auf die Lehre von den primären Urteilen folgt
die Lehre von den sekundären Urteilen, also von demjenigen, was
man neuerdings öfter als Urteilsgefüge bezeichnet hat. Hierher gehört
Z.B. das hypothetische Urteil" Wenn AB ist, so ist CD": " Wenn der
pythagoreische Satz gilt, so gilt der Satz von der Winkelsumme ",
"Wenn die Sonne scheint, wird es schönes Wetter geben." Oder
disjunktive Sätze wie " Marokko gibt die verlangte Genugtuung, oder
Deutschland bombardiert die marokkanischen Küstenorte. " Alle Sät-
ze dieser Art lassen sich ebenfalls in Klassengleichungen verwandeln.
Sie enthalten nämlich in jedem Fall eine Zeitgleichung: "Wenn der
pythagoreische Satz gilt etc." = "Die Klasse der Zeitpunkte (= die
Dauer), in denen der pythagoräische etc." = ... Wir werden es also
nun mit einer Anwendung des Klassenkalküls auf gewisse Klassen
von Zeiten zu tun haben. Bei dieser Interpretation bedeuten die
algebraischen Zeichen nicht gewisse Begriffsumfänge, sondern die
Zeiten, in welchen gewisse Sätze gelten.
Ist x die gesamte Zeitdauer, für welche ein gewisser Satz A gilt, Y
die gesamte Zeitdauer, für welche ein gewisser Satz B gilt, so bedeutet
xy die gesamte Zeitdauer, in welcher A und B beide gültig sind, x+y
die gesamte Zeitdauer, in welcher einer von beiden Sätzen, und zwar
exklusiv, gültig ist. I bedeutet die ganze unendliche Zeit, I - x: die Zeit,
welche übrig bleibt, wenn die Zeitdauer, in welcher A gilt, abgezogen
wird, also die Zeit, in welcher A nicht gültig ist. x = I: Der Satz gilt
für die ganze unendliche Zeit, also einfach: A ist gültig. 0 bedeutet
eine Zeitdauer, die auch nicht einen Zeitpunkt enthält. Also x = 0
besagt, dass der entsprechende Satz A in keinem einzigen Zeitpunkt
gültig ist: A ist ungültig. x = y: Die Zeiten der Gültigkeit für A und
B decken sich; also wenn A, gilt B, und wenn B, gilt A. Wollen wir
allein ausdrücken, dass, wenn A, auch B gilt, so haben wir zu setzen:
x = vy; xy = 0; X(I -y) = VY(I -y) = o. Die Zeit, wofür A gilt, ist ein
328 ÜBER DIE NEUEREN FORSCHUNGEN ZUR DEDUKTIVEN LOGIK
unbestimmter Teil der Zeit, für die B gilt (wobei es aber dahingestellt
bleibt, ob B für irgendeine Zeit gilt.) usw.
Man sieht sofort, dass es sich hier um eine besondere Interpretation
des allgemeinen Klassenkalküls handelt. Demgemäß muss jeder Satz
für das Gebiet der kategorischen Schlüsse sein Korrelat haben im
Gebiet der hypothetischen bzw. disjunktiven Schlüsse, welch letztere
nichts weiter als spezielle Besonderungen von hypothetischen sind.
Dieselben Formeln lassen sich in der einen oder anderen Weise inter-
pretieren.
NACHWEIS DER ORIGINALSEITEN
In der linken Kolonne findet sich die Angabe von Seite und Zeile im
gedruckten Text, in der rechten Kolonne die des Manuskriptkonvoluts
und der Blattzahlen im Manuskript nach der offiziellen Signatur und
Nummerierung des Husserl-Archivs.
1. Logik. Vorlesung 1896. Hrsg. von Elisabeth Schuhmann. 2001 ISBN 0-7923-6911-4
2. Logik. Vorlesung 1902103. Hrsg. von Elisabeth Schuhmann. 2001
ISBN 0-7923-6912-2
3. Allgemeine Erkenntnistheorie. Vorlesung 1902/03. Hrsg. von Elisabeth Schuh-
mann. 2001 ISBN 0-7923-6913-0
I I