Titel

Eine Bombenidee
Wie kann es passieren, dass die Schulden eines kleinen Landes einen
ganzen Kontinent ins Wanken bringen? Das griechische Drama legt
offen, warum der Euro zur gefährlichsten Währung der Welt geworden
ist: auf Schulden und Schwindel gebaut, ohne Fundament
und Führung. Die Geschichte einer guten Idee, die zur Tragödie wird.
 evor Horst Reichenbach einen Fuß

B auf Athener Boden gesetzt hat,

wissen die Griechen schon, wer da
landet. Von „Horst Wessel“ haben sie in
ihren Medien gelesen, vom „Dritten Rei-
chenbach“ gehört, der mit seinem Team
von „30 Gau-Leitern“ einmarschiere.
Die Taxifahrer am Flughafen streiken;
vor dem Parlamentsgebäude stehen Hun-
derte von ihnen und rufen ihre Parolen;
einer trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift:
„Ich brauche keinen Sex, die Regierung
fickt mich jeden Tag“ – Horst Reichen-
bach merkt in den ersten Stunden, er ist
in einem Notstandsgebiet gelandet.
Reichenbach ist Leiter der Task Force,
die von der EU-Kommission nach Athen
geschickt wurde, um „technische Hilfe“
zu leisten bei der Umsetzung nötiger Re-
formen, so heißt das im Brüsseler Jargon.
Für griechische Medien ist die Task Force
die Vorhut einer Invasionstruppe: Jetzt
kommen die Bürokraten, um das schöne
Griechenland in eine deutsche Kolonie
zu verwandeln.
Reichenbach beschreibt es so: Neuord-
nung des Steuerwesens, Verschlankung
der Verwaltung, Beschleunigung der Pri-
vatisierung, Stärkung der Rechtssicher-
heit, Öffnung geschützter Berufsgruppen,
Umgestaltung von Energie- und Gesund-
heitssektor, Abbau von investitionsfeind-
lichen Strukturen. Man müsse dabei
„eher in Jahren rechnen als in Monaten“,
sagt Reichenbach. Er war Vizepräsident
der Europäischen Bank für Wiederaufbau
und wollte eigentlich Ende Dezember in
Pension gehen. Aber dann rief EU-Kom-
missionspräsident José Manuel Barroso
an und schickte ihn auf diese Mission Im-
possible.
Seine Reise wird begleitet von flehen-
den Warnungen aus aller Welt, es ist so,
als würden Amerikaner, Chinesen, Bra-
silianer, Inder ängstlich auf das kleine
Land im Südosten Europas starren und
eine Lösung herbeisehnen. Es ist so, als
ob die US-Konjunktur und die Weltkon-
junktur bestimmt werden von guten oder
schlechten Nachrichten aus Athen.
In den ersten drei Tagen will Reichen-
bach ein knappes Dutzend griechische
Minister treffen mit lauter schwierigen
Namen, Papaconstantinou, Diamanto-
poulou, Xenogiannakopoulou, dazu Di-
plomaten, Oppositionsvertreter und wei-
tere Akteure der griechischen Tragödie.
Auf dem Weg zum Finanzminister, im
6. Stock des Ministeriums, geht er vorbei
an Bildern antiker Helden, hier ein brü-
chiger Kentaur, dort Ikarus im Sturzflug.
Man kann jetzt überall böse Omen sehen,
CLAUDIO HILS / AGENTUR FOCUS

wenn man will, aber Reichenbach will

Hoffnung verbreiten. Als Mutmacher ist
er gekommen, auch wenn sein Optimis-
mus in Sätzen gipfelt wie diesem: „Ich
glaube ja, dass man Erfolg haben kann.“
Er ist der Vermittler zwischen dem ei-
Reinigung einer Euro-Druckplatte nen Europa und dem anderen, zwischen
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 Titel

dem Norden und dem Süden. Der Euro Billionenwette von Staatsmännern gegen dass von einer echten europäischen Ko-
war gedacht als Währung, die Europa zu- die Märkte ist – die platzen wird. ordination die Rede hätte sein können.
sammenwachsen lässt, aber die erste gro- Der Maastricht-Vertrag, mit dessen Un-
ße Krise des Euro treibt den Norden und Wer verstehen will, warum der Euro den terzeichnung 1992 die Europäische Union
den Süden, die Mark-Wirtschaft und die Kontinent erzittern lässt, muss sich die überhaupt erst gegründet wurde, hätte
Lire-Wirtschaft gegeneinander. Nicht ge- Mühe machen, die Zeit um 20, 25 Jahre alles möglich gemacht. Er stellte Europa
nug, es gibt auch das Europa der zwei zurückzudrehen. auf „drei Säulen“, deren erste die wirt-
Geschwindigkeiten, hier das rasende Eu- Das visionäre, tollkühne Projekt einer schaftliche war samt „Wirtschafts- und
ropa der Finanzmärkte und Banken, dort gemeinsamen Währung unterschiedlicher Währungsunion“. Der gesetzliche Rah-
das hinterherhechelnde Europa der Re- Staaten und Völker ist nicht zu verste- men war damit gegeben, auch eine ge-
gierungen und Parlamente. Und: Es gibt hen ohne Erinnerung daran, dass in den meinsame Finanzpolitik wäre denkbar
das Europa der zwei Wahrheiten. Die späten achtziger Jahren die Berliner gewesen, die Verständigung über eine ab-
eine ist in Brüssel zu Hause, in Berlin Mauer fiel, dass die Welt damals noch in gestimmte Steuer- und Zinspolitik. Aber
und Paris, in den Machtzentralen; die an- dem Gefühl lebte, der Zweite Weltkrieg es fehlte der politische Wille, den Rah-
dere in den Wohnzimmern und auf den sei noch nicht sehr lange vergangen, dass men von Maastricht auszufüllen.
Straßen europäischer Städte. Europa darüber diskutierte, ob Deutsch- Die „Vereinigten Staaten von Europa“
In den Kanzler- und Präsidentenbüros land nun wieder eine Gefahr darstelle blieben eine Floskel für Sonntagsreden,
weiß man, wie es um den Euro steht, aber oder nicht. und doch sollte – mit dem Euro – ein Fak-
die Kanzler und Präsidenten tum geschaffen werden, das
meinen, dieses Wissen sei nicht mehr zurückzunehmen
den Bürgern nicht zuzumu- war, eine Art europäischer
ten. Sie wollen seit andert- Urknall, dem eine Evolution
halb Jahren nur Zeit gewin- folgen und in deren Verlauf
nen, aber sie verkennen, sich alle Detailfragen klären
dass die Regierten sich fra- sollten.
gen, wofür die Regierenden Und es ging, das viel-
eigentlich Zeit gewinnen leicht vor allem, um politi-
wollen. sche Symbolik. Griechen-
So ehrbar es ist, dass land, sagt Delors, habe er
Horst Reichenbach und selbst immer als sehr fern
seine 30 Nationbuilder in empfunden, als eigen, sogar
Athen für Ordnung sorgen fremd. Die Aufnahme des
sollen – 350 Milliarden Euro Landes sei in jedem Fall viel
Staatsschulden werden sie zu früh gekommen. Aber
nicht wegorganisieren. Wie damals, in den neunziger
man sie in den Griff be- Jahren, stellten sich Politi-
kommt, ohne das europäi- ker vor Mikrofone und sag-
sche Projekt zu ruinieren, ist ten, Europa sei ohne Athen,
die dringlichste Frage dieser ohne die „Wiege der Demo-
Wochen. Nach 20 Jahren kratie“, nicht denkbar. Und
versäumter Entscheidungen, auch Portugal, mit seiner
NIKOS PILOS

mutloser Reformen, aufge- Nelkenrevolution, hätte es

schobener Taten haben nicht verdient, dabei zu sein. Und
die Bürger, sondern die Task-Force-Leiter Reichenbach in Athen: Einmarsch von „Horst Wessel“ den Iren, so lange geschun-
Märkte das vereinte Europa den von der britischen Kro-
in ein Endspiel um den Euro gezwungen. Jacques Delors ist der beste Zeitzeuge, ne, musste aufgeholfen werden. Und wer
Wie hat dieses Geld eine Zukunft? Be- wenn es um diese Dinge geht, er war hätte, nur aufgrund von hohen Lohn-
steht die Gefahr, dass Griechenland nur zehn Jahre lang Präsident der EU-Kom- stückkosten und Inflationsraten, Italien
der erste Dominostein in einer Reihe ist, mission, er war der federführende Autor die Tür weisen wollen?
an deren Ende Deutschland steht? Ist die des Maastricht-Vertrags, der die Grund- So taten sich, als die Euro-Zone Wirk-
Euro-Zone eine Fehlkonstruktion? züge des Euro festlegte. Nun muss er sich lichkeit wurde, Elefanten wie Deutsch-
Ein Team von SPIEGEL-Reportern ist jeden Tag anhören, wie schlecht seine land und Frankreich zusammen mit Mäu-
diesen Fragen in Brüssel, Luxemburg, Arbeit war, wie illusorisch die Vision ei- sen wie Portugal, Irland und Luxemburg.
Athen, Berlin und anderswo nachge- ner gemeinsamen Währung. Aber er will Stabile, wohlhabende Länder des Nor-
gangen. Es rekonstruiert Aufstieg und Fall davon nichts wissen. Wäre es allein nach dens teilten ein gemeinsames Geld mit
einer Währung, die nur überleben kann, ihm gegangen, sagt er, wäre Europa viel wackeligen, unterentwickelten Nationen
wenn in den nächsten Monaten nach- besser gerüstet gewesen, wäre einheit- des Südens, ausgeformte Industriestaaten
geholt wird, was in zwei Jahrzehnten ver- licher verfasst, würde zentralisiert regiert mit halben Entwicklungsländern und,
säumt worden ist. von einer Kommission, deren Arbeit auch das, strenge Protestanten mit le-
nicht dauernd im Rat der Staats- und Re- bensfrohen Katholiken.
gierungschefs zerredet würde. War die Annahme überhaupt vernünf-
I. Akt: Die Geburt des Euro Delors wollte immer weitergehen als tig, dass dieser künstliche Binnenmarkt
(1991 bis 2001) die Politik-Elite, mit der er es zu tun nun automatisch stärker wachsen würde?
hatte. Sie war damals – anders als heute, Nur weil ein paar Zölle wegfielen? Und
Warum schon in der Gründungsphase die sagt er – durchgehend mit überzeugten weil mit einem anderen Geld die Kosten
Fehler gemacht werden, die den Euro Europäern bestückt, Mitterrand und für die Wirtschaft sanken?
später bedrohen. Wie sich Griechenland Kohl, Lubbers in den Niederlanden und Die Versprechen des Euro waren, im
und andere Staaten in die Währungs- Silva in Portugal. Aber auch die wagten Vertrag von Maastricht fixiert: eine Wäh-
union schummeln. Warum der Euro eine es nicht, ihre Länder so zu verzahnen, rung, die Europa stark macht im globalen
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Wettstreit; die die europäischen Volks-
wirtschaften einander annähert; die die
Staaten verpflichtet, Schulden und Defi-
zite zu begrenzen; die garantiert, dass kein
Staat für die Schulden eines anderen
haftet; die die politische Einheit fördert.
Details würde man unterwegs klären.
Die Griechen nutzen ihre Chance
In Griechenland nährte der Euro die Hoff-
nung auf eine bessere Zukunft. Im Ok-
tober 1993 wurde der Sozialdemokrat
Andreas Papandreou als Ministerpräsi-
dent wiedergewählt, und im Kabinett
der neuen Regierung, sagt der damalige
Finanzminister Jannos Papantoniou heu-
te, sei man schnell zu der Auffassung ge-
langt, dass ein Beitritt Griechenlands zur
Währungsunion die einzige
Chance sei, die griechischen
Finanzprobleme zu lösen.
Das Land war damals
schon weit über seine Mög-
lichkeiten verschuldet. Die
Verbindlichkeiten des Staa-
tes lagen über der realen
Wirtschaftskraft, ihre Sum-
me entsprach 114 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts.
Die Drachme verlor rasant
an Wert, Athen kämpfte mit
über 14 Prozent Inflation,
die Wirtschaft schrumpfte.
Jeder Ökonom hätte er-
kennen können: Griechen-
lands Wirtschaft war nicht
wettbewerbsfähig, sie glich
der eines aufstrebenden Ent-
wicklungslandes. Ihre we-
sentlichen Säulen waren Oli-
venöl und Joghurt, Schiff-
fahrt und Tourismus, das
Waigel, der die Aufnahme Griechen-
lands in der „Süddeutschen Zeitung“ vor
einigen Wochen als „Todsünde“ bezeich-
nete, habe sich zu einem Griechenland-
Fan entwickelt, sagt Papantoniou. „Waigel
war es, der uns in den Euro gebracht hat“,
sagt er. „Es ist absolut nicht wahr, dass er Es gab, nach Jahren der Debatte, der An-
ein Gegner unseres Euro-Beitritts war.“
Das vorläufige Nein zu Griechenland
ist in Wahrheit ein Ja mit Zeitzünder. Bei
der nächsten Prüfung ihrer Zahlen, so ha-
ben die Deutschen und andere Regierun-
gen den Griechen signalisiert, würden sie
Euro-tauglich sein.
Den Vorwurf, sein Land habe sich mit
gefälschten Zahlen den Beitritt zur Euro-
Zone erschlichen, wischt der griechische
Finanzminister jener Jahre weg mit dem
wirtschaftsleistung dramatisch weit über
der in Maastricht vereinbarten Verschul-
dungsgrenze von 60 Prozent. Auch Bel-
gien verstieß massiv gegen Vorgaben.
Aber nun war die Lage, obwohl ökono-
misch im Fluss, politisch schon verfestigt.
kündigungen, der mehr oder minder his-
torischen Reden auf den Euro kein Zu-
rück mehr.
Bundesbankchef Tietmeyer sah damals
mit Sorge, dass die Europäer im Jahr
1998, beseelt von der Größe ihres Pro-
jekts, die endgültige Prüfung, ob über-
haupt genügend Staaten die Vorausset-
zung für den Euro erfüllten, aus den Ab-
laufplänen der Währungsumstellung ge-
strichen hatten. Der Euro würde kom-
men, am 1. Januar 2002, und
fast muss es schon hier hei-
ßen: Koste es, was es wolle.
Tietmeyer trug in der ver-
meintlich entscheidenden
Sitzung der Bundesregie-
rung seine Bedenken gegen
einige Euro-Kandidaten vor,
aber die hatten keinen Ein-
fluss mehr. Tatsächlich stand
das Ergebnis der Sitzung
bereits vorab fest und war
sogar schon schriftlich for-
muliert.
Helmut Kohl, ein durch-
aus romantischer Europäer,
ein Mann aus der Denkschu-
le des „Nie wieder Krieg!“,
wollte diesen historischen
Entschluss. Der Mantel der
Geschichte knatterte, und
der Kanzler sagte, wie Tiet-
meyer sich erinnert, feier-
lich: „Möge in 50 Jahren der
DPA

Land schien, ohne Anstoß Rückblick auf den Euro

von außen, nicht fähig, dar- Unterzeichnung des Maastricht-Vertrags*: Eine Art europäischer Urknall ebenso positiv ausfallen wie
an grundsätzlich etwas zu heute bei der D-Mark.“
ändern. Der Euro und sein Regime sollten Satz: „Wir haben nichts anderes gemacht Es geht damals, in jenen späten neun-
nötige Reformen erzwingen, sie sollten als alle anderen Länder.“ ziger Jahren, ständig um Zahlen und Da-
vor allem die Kreditbeschaffung erleich- ten. Jahr für Jahr laufen die Medien heiß,
tern. Der Euro-Beitritt wurde Finanzmi- Die Trickserei der Euro-Kandidaten um darüber zu wachen, ob die künftigen
nister Papantonious Auftrag. Tatsächlich bestätigt Hans Tietmeyer, da- Euro-Länder die jährliche Neuverschul-
Er nutzte jede Gelegenheit, an den An- mals Präsident der Bundesbank, in seinem dung bei unter drei Prozent der Wirt-
spruch Griechenlands zu erinnern. Als Buch „Herausforderung Euro“, dass es in schaftsleistung halten können. Man inter-
sich die EU-Finanzminister im April 1997 einigen Ländern „fragwürdige Schönheits- essiert sich jetzt für Inflationsraten und
in Brüssel trafen, um schon über das Aus- operationen gegeben“ habe, um Daten Schuldenstände, weil es die Kriterien von
sehen des neuen Geldes zu diskutieren, über Inflationsraten, Staatsschulden und Maastricht gibt. Es gibt jetzt klare Vor-
warb Papantoniou dafür, nicht nur la- Preisentwicklung an die Euro-Vorgaben gaben, und es gibt in Europa sogar eine
teinische Buchstaben auf die Münzen anzupassen. Auch die Kohl-Regierung ließ Zentrale, die Zahlen und Daten sammelt,
zu prägen, sondern auch griechische. erst nach Wochen aufgeregter Debatten abgleicht und auswertet: Eurostat.
Deutschlands damaliger Finanzminister vom Plan ab, die deutschen Haushalts- Die Behörde in Luxemburg, 1953 als
Theo Waigel lehnte barsch ab. Griechen- zahlen durch eine trickreiche Höher- Zahlenlieferant der Montanunion gegrün-
land sei nicht in der Position, Forderun- bewertung der Goldreserven des Bundes det, wird wichtiger mit dem Euro-Projekt.
gen zu stellen, sagte er. Und an Papanto- aufzufrischen. Andere Länder hatten noch Politiker mögen ihre Visionen haben, am
niou gewandt: „Ihr seid nicht dabei, und mehr Anlass zur kreativen Buchführung. Ende aber brauchen sie harte Zahlen,
ihr werdet auch nicht dabei sein.“ Italien lag mit einer Staatsverschuldung sonst gehen die schönen Argumente aus.
Später kamen sich die Minister näher, von 115 Prozent gemessen an der Gesamt- Das ist die Aufgabe von Eurostat: An-
Papantoniou schlug Waigel eine Wette laufstelle zu sein für die Statistiken, Zah-
vor: Griechenland werde den Euro be- * Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und len, Datenkolonnen aus allen Ländern
kommen. Und es sollte nur ein paar Jahre Bundesfinanzminister Theo Waigel am 7. Februar 1992 der Union. Sollte sich ein Berechnungs-
dauern, bis diese Wette gewonnen war. in Maastricht. fehler irgendwo eingeschlichen haben,
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 Titel

eine Ungereimtheit, dann schreiben die chel: Spanien, Portugal und Griechenland der CDU- und FDP-Abgeordneten befür-
Eurostat-Mitarbeiter einen höflichen waren sämtlich ehemalige Militärdikta- wortet die Aufnahme Griechenlands.
Brief, bitten um Aufklärung, mehr nicht. turen, die erst Mitte der siebziger Jahre
Eurostat gehört zur EU-Kommission, zur Demokratie zurückgefunden hatten. Die Kritiker des Euro
es ist eine Art behördlicher Dienstleister Die starke Einbindung in Europa sei auch Es gibt Gegenstimmen, draußen in der
in Sachen Statistik, in Luxemburg wird als Maßnahme zur Festigung der Demo- Gesellschaft, in Deutschland zumal, wo
erfasst, wie viel Verpackungsmüll in Eu- kratie verstanden worden. die D-Mark viel mehr ist als einfach nur
ropa anfällt und wie viele Fische gefangen Griechenlands Demokratie bekommt ein Zahlungsmittel. Die neunziger Jahre
werden, es geht um die Größe von Milch- das gewünschte Testat im Jahr 2000. EU- sind ein Jahrzehnt des Zanks über den
seen und Butterbergen, nun aber geht es Kommission und Europäische Zentral- Euro.
um alles oder nichts: Erfüllen die Euro- bank bescheinigen dem Land, in den bei- So schließen sich beispielsweise 62 Pro-
Kandidaten die Kriterien? Oder erfüllen den zurückliegenden Jahren ordentlich fessoren zusammen und warnen, 1992,
sie sie nicht? aufgeholt zu haben. Die EZB warnt vor vor der Einführung des Euro. Sie fürchten,
Das Einsammeln der Daten ist jedem der hohen Verschuldung Griechenlands, die Währungsunion werde, so wie sie
EU-Land selbst überlassen, man vertraut dennoch empfiehlt die Kommission die konstruiert war, „Westeuropa starken
einander unter Europäern, in jedem Staat Aufnahme in die Gemeinschaftswährung. ökonomischen Schwankungen aussetzen,
gibt es ein unabhängig agierendes Sta- „Griechenland hat auf einem langen und die in absehbarer Zeit zu einer poli-
tistisches Amt, all das ist geklärt. Was schwierigen Weg einen erfolgreichen tischen Zerreißprobe führen können“.
nicht geklärt ist: Wenn die Eine gemeinsame Wäh-
Daten in Luxemburg zusam- rung könne ohne eine ge-
menfließen und wenn Euro- meinsame Wirtschafts- und
stat Verfehlungen feststellt, Finanzpolitik nicht funktio-
Überschreitungen – welche nieren. Die Politiker sehen
Ebene, welche Stelle, wel- das anfangs genauso. Eine
ches Gremium setzt Sank- Währungsunion ohne poli-
tionen durch? tische Union sei abwegig,
hatte Helmut Kohl im No-
Schröder und vember 1991 im Bundestag
Eichel erben den Euro gesagt.
Deutschland erregt sich noch Und auch das Volk bockt.
über andere Themen. Nach 60 Prozent sind gegen den
16 Jahren Kohl-Regierung Euro. Sie fürchten, am Ende
gewinnt Rot-Grün 1998 die für die Schulden anderer
Wahlen, es herrscht viel Auf- Länder zahlen zu müssen.
bruchstimmung und wenig Schließlich siegt der poli-
europäische Euphorie. Für tische Wille über die ökono-
den neuen Bundeskanzler mischen Einwände. Bundes-
Gerhard Schröder ist der tag und Bundesrat machen
FOTOGLORIA / LUZPHOTO
Euro keine Frage von Krieg im April 1998 den Weg frei
und Frieden mehr. Flapsig für die letzte Stufe der
nennt Schröder das neue Währungsunion. Nur Sach-
Geld eine „kränkelnde Früh- sen unter seinem Minister-
geburt“. präsidenten Kurt Bieden-
Auch für seinen Finanz- Euro-Gründungsvater Delors: „Planlose Feuerwehrleute“ kopf enthält sich im Bun-
minister Hans Eichel ist der desrat der Stimme.
Euro keine Herzensangelegenheit. Er hat Konvergenzprozess hinter sich“, lobt Wenn sich danach ein Amtsträger ge-
ihn schlicht vorgefunden. Und in der Finanzminister Eichel im Bundestag. gen den Euro meldet, ist die Aufregung
Rückschau, sagt er heute, hatte die ganze Griechenlands Finanzminister Papan- gleich riesengroß, in ganz Europa. Hans
Konstruktion einer Einheitswährung ei- toniou ist am Ziel. Er gewinnt seine Wet- Reckers, dem Präsidenten der Hessischen
nige Fehler. Die Klausel etwa, verschul- te gegen Theo Waigel. Griechenland wird Landeszentralbank, ergeht es so, als er
deten Staaten nicht beistehen zu dürfen Euro-Land. es wagt, Bedenken öffentlich zu äußern.
(„No-Bail-Out“-Klausel), war „ein zen- Was bedeutet, dass die europäischen Reckers gehörte damals zum Leitungs-
traler Denkfehler“, und dabei war sie ein Verträge das Papier nicht wert sind, auf gremium der Bundesbank. Im April 2000
Zugeständnis an die Deutschen: Die woll- das sie gedruckt wurden. Die Staatsver- tritt er im Konferenzsaal seiner Landes-
ten sicherstellen, dass im Krisenfall kein schuldung Griechenlands liegt nicht bei bank vor ein paar Fachjournalisten, redet
deutsches Geld fließen muss. 60 Prozent der Wirtschaftsleistung, wie über dieses und jenes, und am Ende räus-
Eichel versteht bis heute den Sinn des als Maximum vorgeschrieben, sondern pert er sich und spricht einen Satz:
Versprechens nicht. Es gab und gibt Hilfs- bei über 100 Prozent. Und schon damals „Griechenland ist meiner Meinung
programme für Länder wie Ungarn, Lett- gab es Zweifel an den offiziell aus Athen nach keineswegs reif für die Währungs-
land oder Rumänien, die nicht zum Euro- gemeldeten Zahlen. union, der Beitritt muss um mindestens
Raum gehören, „aber in der Euro-Zone Auf die Idee, ein Sondergutachten bei ein Jahr verschoben werden.“
selbst darf die EU nicht helfen“. Dabei der Bundesbank einzuholen, wie es zu Es dauert etwa 20 Minuten, bis die ers-
liege die Hilfe für schwächere Länder seinen Amtszeiten Theo Waigel für Bel- ten Agenturmeldungen versendet wer-
doch auch im Interesse der starken, sagt gien und Italien machen ließ, kommt den, es dauert weitere fünf Minuten, bis
Eichel. „Wenn wir denen nicht helfen, Hans Eichel nicht. Alle Entscheider ver- es an der Athener Börse zu Kursabstür-
ihre Wirtschaft zu stärken, können sie fahren nach der Maßgabe: Je mehr Län- zen kommt und die griechische Zentral-
unsere Waren nicht kaufen.“ der in der Euro-Zone, desto besser, desto bank die Drachme mit Stützungskäufen
Und natürlich war der Euro immer mehr können, wie Eichel sagt, „unsere vor dem Verfall bewahren muss. Eichel
auch eine politische Währung, sagt Ei- Waren kaufen“. Auch die große Mehrheit ruft den damaligen Bundesbank-Chef
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Ernst Welteke an, Welteke ruft Reckers dacht, „zu groß geplant“, sagt Finanzöko- schuldung auf höchstens 60 Prozent der
an. Ihm wird der Mund verboten. Aber nom Kenneth Rogoff, ein Harvard-Pro- Gesamtwirtschaftsleistung eines Landes
von den 15 Bankern im Leitungsgremium fessor mit Nickelbrille, Berater von US- festzulegen habe sich als genialer Wurf
der Bundesbank, behauptet Reckers, wa- Präsidenten und Regierungen in aller erwiesen.
ren damals alle 15 der Meinung, dass der Welt. Sein Büro liegt im Littauer Building „Das war damals neu“, sagt Rogoff,
Griechenland-Beitritt ein Fehler sei. am Rand des gepflegten Campus von „es war eine große Erkenntnis.“ Das Pro-
Ein Fehler, sagen manche, den man Cambridge, Massachusetts, es ist ein Bau blem war nur, auch das sollte sich schnell
verschmerzen wird, weil Griechenland so mit einem antiken Säulenportal. erweisen, dass die Europäer die eigenen
klein ist. Als der Euro echtes Geld wurde, hatte Ideen gern verrieten.
Ein dramatischer Fehler, sagen andere, Rogoff gerade den Posten des Cheföko-
unterschätzt nicht die Macht der Finanz- nomen des Internationalen Währungs-
märkte. fonds (IWF) angetreten; als der Euro in II. Akt: Das Leben mit
Und kultiviert und halblaut, meist beim den neunziger Jahren Gestalt annahm, dem Euro (2001 bis 2008)
Mittagessen im Nebenraum des Kon- lehrte er in Princeton. Er teilte die Mei-
ferenzraums, hoch oben im 12. Stock der nung seiner Kollegen in den USA, dass Wie der Euro die Pumpwirtschaft der
Bundesbank, schimpfen die Herren auf der Euro „zu unbescheiden“ angelegt war. Staaten anheizt. Woher sich Griechen-
die Politik, die den Griechen einen Es war offenkundig, dass eine Wäh- land seine Milliarden holt. Wie das
„Maastricht-Rabatt“ einräumt, und sie rungsunion beschlossen war, ohne dass Wachstumswunder ausbleibt. Wie die
finden das Tempo der Euro- Deutschen die Regeln der
Erweiterung gefährlich, nur EU verraten und zum Euro-
leider finden diese Gesprä- Gewinner werden.
che immer nur im Vertrau-
lichen statt, an den Vierer- Die neue Entschlossenheit
tischen des Bundesbank- der Europäer, ihr spürbarer
Restaurants oder am polier- Wille, das historische Projekt
ten Konferenztisch. Die Ban- zum Erfolg zu machen, wird
ker sind alarmiert, aber sie belohnt. Banken, Pensions-
halten still. Auch sonst gibt fonds, Großanleger aus aller
es kaum jemanden von Ge- Welt beginnen sich für dieses
wicht, der die Verantwor- neue Europa zu interessieren.
tung übernähme, die schöne Staatsanleihen Portugals und
Idee des Euro der hässlichen Irlands, verkoppelt mit fran-
Realität gegenüberzustellen. zösischer Wirtschaftskraft
So werden am 1. Januar und deutscher Verlässlich-
2002 wirklich in zwölf Län- keit, sehen plötzlich aus wie
dern Lire, Drachmen, Mark, risikoarme, vernünftige Zu-

CLAUDIO HILS / AGENTUR FOCUS

Gulden und Schilling ge- kunftsinvestitionen. Es ist die
gen die neuen Euro-Scheine Zeit, in der die Finanzwirt-
und Münzen getauscht, die schaft ihre neuen Zauber-
Bürger des neuen Euro-Eu- tricks entwickelt.
ropas stürmen die Geldauto- Klärwerksbetreiber in
maten. Schwaben, Stadtverwaltun-
Im Schatten der Anfangs- gen in Spanien, Dörfer in
euphorie kommen die wah- „Tag des Euro“ in Luxemburg 2002: Romantisch, realitätsblind Portugal, Provinzbanken in
ren Probleme nicht zur Spra- Irland lassen sich mit Wall-
che. Die zwölf neuen Euro-Staaten haben es eine politische Union gegeben hätte, Street-Bankern und Fondsmanagern aus
ihre Verschuldung in den fünf Vorberei- und damit keine Möglichkeiten einer London ein, die Profite versprechen, in-
tungsjahren des Euro – allen Absichts- Zentralregierung, schnell auf Probleme dem sie Schulden in handelbare Wert-
erklärungen von Maastricht zum Trotz – im Währungsraum zu reagieren. papiere verwandeln. Und während sich
um mehr als 600 Milliarden Euro nach Rogoff konnte beobachten, dass sich die Zentralregierungen darum bemühen,
oben getrieben. Sie sind Ende 2002 mit zwischen den Ökonomen ein transatlan- ihre Staatshaushalte nach den Maastricht-
zusammen 4,9 Billionen Euro verschuldet, tischer Graben auftat. Amerikaner und Vorgaben zu deckeln, laden sich die Kom-
Italien allein mit 1,3 Billionen. Westeuropäer, die sonst in wesentlichen munen Verbindlichkeiten auf, die auf
Die wachsende Verschuldung sorgt die Fragen der Makroökonomie mehr oder europäischer Ebene nirgends erfasst, nir-
Regierungschefs nicht. Ihre Strategie minder übereinstimmten, stritten sich gends verbucht werden.
heißt Hoffnung, und sie vertrauen auf die plötzlich bis an den Rand der Beleidi- Es wäre damals, als die Kredite in der
Kraft des Wachstums: Die Dynamik der gung. Die Europäer warfen ihren Kolle- Hoffnung auf die Segnungen des Euro
Volkswirtschaften werde die Steuerein- gen in Übersee vor, die historischen Vor- fröhlich sprudelten, möglich gewesen, sagt
nahmen schon sprudeln und die Verschul- gänge nicht zu begreifen, die große Vi- Rogoff, Rücklagen zu bilden, Vorsorge zu
dung sinken lassen. Und wenn nicht, sion, den Sprung nach vorn. Die Ameri- treffen. Aber Rogoff hat den Menschen
dann vererbt man die Schulden eben dem kaner, pragmatisch und trocken, hielten studiert, sehr häufig am Schachbrett und
politischen Nachfolger und der nächsten den Kollegen vor, die Risiken kleinzu- in zahllosen Dokumenten der Wirtschafts-
Generation. Aber der Euro werde es reden, sie fanden die alte Welt, wieder geschichte aus 800 Jahren*. „Es ist sehr
schon richten. einmal, romantisch, realitätsblind. schwierig, das Geld zusammenzuhalten,
Im Werk der EU- und Euro-Architek- wenn es einfach da ist“, sagt er.
Die Skepsis der Amerikaner ten fand Rogoff gute Einfälle. Das Schul-
Jenseits des Atlantiks beugen sich Ame- denkriterium von Maastricht etwa sei * Carmen Reinhart / Kenneth Rogoff: „Dieses Mal ist
rikas Ökonomen über Europas Pläne, die eine brillante, gültige Idee bis heute, sagt alles anders: Acht Jahrhunderte Finanzkrisen“. Finanz-
ihnen vorkommen wie nicht zu Ende ge- Rogoff. Die Obergrenze der Staatsver- Buchverlag, München; 592 Seiten; 34,90 Euro.
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 Titel

Politiker haben ein lässiges Verhältnis tempo verschwinden machen, sei Irrsinn wickelt, um an diesem Markt nennens-
zur Verschuldung, und sie haben gute gewesen. wert teilzunehmen. Das ändert sich nun,
Gründe dafür. Sparsamkeit zahlt sich Die Griechen kommen nun viel zu bil- als feststeht, dass die Griechen in die
nicht aus für Politiker, sie machen Schul- lig an neues Geld, zu Zinssätzen, die nur Euro-Zone vorgelassen werden.
den, weil es nicht belohnt wird, keine zu knapp über jenen liegen, die der deutsche Normalerweise ist der Handel mit An-
machen. Billige Kredite waren überall zu Staat für Anleihen zahlen muss. „Der leihen ein unspektakuläres Geschäft.
haben, es war leicht, ihre Rückzahlung Euro war eine Art Paradies“, sagt Grie- Laufen die fünf- oder zehnjährigen Pa-
in eine ferne Zukunft zu verschieben, die chenlands damaliger Finanzminister Jan- piere aus, gibt der Staat neue aus, er re-
Staatsausgaben zu refinanzieren, es war nos Papantoniou. finanziert sich, er „rollt“ seine Schulden,
sogar leicht, sie auszuweiten. Die Südländer Europas hätten nach zu Zinsen wie vorher, ein bisschen hö-
Damals schon tat sich eine Lücke des dem Euro-Beitritt die Anstrengungen ein- her, ein bisschen niedriger, je nach Markt-
Maastricht-Vertrags auf. Rogoff sagt, dass gestellt, ihre Haushalte weiter zu sanie- lage. Schwierig wird es, wenn sich der
die 60-Prozent-Schuldenregel dringend ren, sagt Papantoniou. Aus den Ländern Ruf des Staates verschlechtert, wenn er
hätte ergänzt werden müssen. Es sei Nordeuropas floss das Geld auch ohne so regiert wird, dass Anleger Zweifel be-
falsch gewesen, nur rein quanitativ fest- Anstrengungen, der öffentliche Sektor kommen, ob sie ihr Geld zurückerhalten
zulegen, dass im Verhältnis zur Wirt- Griechenlands nahm Kredite auf, als gä- werden.
schaftsleistung 60 Prozent Schulden an- be es kein Morgen mehr – und das ging Der Mangel an Vertrauen macht es
gehäuft werden dürften, ohne danach zu nur, weil sich das Land mit dem Euro schwieriger, neue Staatsanleihen loszu-
fragen, wo die Kredite ei- werden, der Staat muss die
gentlich herkamen. Rendite erhöhen, er muss
Es wäre nötig gewesen, den Anlegern mehr Zinsen
sagt Kenneth Rogoff, den bezahlen. Zinsen von sechs
Anteil der Auslandsverbind- Prozent aufwärts gelten als
lichkeiten an den jeweiligen alarmierend, Zinsen von
Staatsschulden zu begren- zehn oder mehr Prozent hei-
zen. Solche Schulden führen ßen: Dieser Staat treibt in
auf Dauer – und erst recht den Bankrott.
im Moment einer Wirt-
schaftskrise – zu unguter Die Griechen gründen
Abhängigkeit von der Wind- eine Schuldenagentur
richtung auf den Märkten. Die sozialistische Regierung
Tatsächlich finanzierten in Athen etabliert im Jahr
sich die Staaten im Über- 1999 eine „Schuldenagen-
maß bei ausländischen Geld- tur“, zu deren Leiter Chris-
gebern, besonders gern bei toforos Sardelis berufen
europäischen Großbanken. wird. Der promovierte Wirt-
Sie häuften an, was die Wis- schaftswissenschaftler hat

NIKOS PILOS / DER SPIEGEL

senschaft „externe“ Schul- während der griechischen
den nennt. So kaufte die Militärdiktatur in Stock-
Deutsche Bank griechische holm gelehrt, nun schart er
Schuldtitel, die Société Gé- zwei, drei Dutzend Mitarbei-
nérale investierte in spa- ter um sich.
nische Anleihen, Pensions- Zum ersten Mal wird ver-
kassen aus Amerika und Ex-Finanzminister Papantoniou: „Der Euro war eine Art Paradies“ sucht, auch ausländische
Japan kauften europäische Anleger zu gewinnen, für
Staatspapiere. Die waren zwar nicht son- auch Deutschlands Glaub- und Kredit- größere Volumen und längere Laufzei-
derlich gut verzinst, aber dafür bargen würdigkeit geliehen hatte. ten – die Botschaft ist: „Kauft einen at-
sie auch kein Verlustrisiko, so schien es. Der Handel mit Staatsschulden funk- traktiven Schuldtitel aus der Europäi-
Aber in dieser Zeit werden die monetä- tioniert im Grunde nicht viel anders als schen Union.“
ren Beziehungen geknüpft, die Griechen- der mit Aktien eines Konzerns. Wie ein Er habe ganz Europa beackert, mit
land zu einer Geldbombe machen, die Betrieb, der große Investitionen plant, allen Fonds gesprochen, erinnert sich
Jahre später die gesamte Euro-Zone be- Anteilsscheine verkauft, um sich das nö- Sardelis, er ist heute 61 und sitzt im Vor-
drohen wird. tige Geld zu besorgen, so suchen sich stand des größten griechischen Privatver-
Rogoffs Zweifel am Euro-Projekt wa- Staaten ihre „bondholders“. sicherers Ethniki. „Unsere Aufgabe war
ren übermächtig: Um Italien fit aussehen Jeder, der sich einen Bundesschatzbrief es, auf die bestmögliche Art Geld zu be-
zu lassen für die Währungsunion, sagt er, kauft, gibt der Bundesrepublik Deutsch- schaffen.“
hätten sich die Euro-Macher darauf ein- land Kredit. Und folglich hat bei ihm der Bei mancher Staatsauktion verkauft
gelassen, sogar den Schwarzmarkt des deutsche Staat Schulden, die je nach Griechenland bald auf einen Schlag Ob-
Landes zur realen Wirtschaftsleistung ir- Laufzeit des Wertpapiers zurückgezahlt ligationen im Wert fünf Milliarden Euro
gendwie hinzuzurechnen, „und das ist werden. Im großen Spiel der Weltfinanz und mehr, es gibt, sagt Sardelis, ab 2001
natürlich ein Witz“. kaufen Investoren Schuldtitel in Tranchen „riesige Nachfrage aus ganz Europa“,
Und jeder wusste, dass Griechenland von 10 oder 50 Millionen, das Geschäft auch aus Japan oder Singapur. Alles läuft
weit davon entfernt war, die Maastricht- findet auf Auktionen statt, bei denen die so gut, dass Sardelis Fachleute der Deut-
Kriterien zu erfüllen. Das Land lag in Zinssätze verhandelt werden, die der schen Bank abwerben kann, Griechen-
seiner Entwicklung 50, vielleicht 100 Jah- Staat zahlen muss. land ist en vogue, irgendwie „in“. In
re hinter den modernen Industrienatio- Es ist ein komplexes Gewebe aus Fäl- Wirklichkeit versteigern die Griechen
nen zurück, Griechenland war Entwick- ligkeiten und laufenden Verbindlichkei- ihre eigene Zukunft – und merken es
lungsland, sagt Rogoff, und die Annahme, ten, und bis zum Jahr 2000 ist Griechen- nicht. Sie sehen im Euro-Beitritt das Ziel,
der Euro könne den Rückstand im Eil- land zu uninteressant und zu unterent- obwohl er erst ein Start ist.
62 D E R S P I E G E L 3 9 / 2 0 1 1
 Noch im Frühjahr 2003 liegt die Ver- ner von ihnen ist der Niederländer Frits Ein Kataster ist eine Liegenschaftskar-
zinsung griechischer Anleihen nur um Bolkestein, er hat Mathematik, Physik, te sämtlicher Flurstücke eines Landes,
0,09 Prozentpunkte über vergleichbaren Jura, Wirtschaft und Altgriechisch stu- geometrische Lage, Gebäude, Art, Nut-
deutschen Bonds, das heißt im Klartext: diert, eine steile Karriere beim Shell-Kon- zung, alles fein säuberlich kartiert und
Die Märkte hielten damals Griechenland zern absolviert, von 1999 bis 2004 ist er aufgelistet in Liegenschaftsbüchern. Bol-
mit seiner Wirtschaft aus Oliven und in der EU-Kommission für Binnenmarkt kestein staunt, dass die Griechen derlei
Joghurt, Schiffen und Touristeninseln für und Steuern zuständig. nicht haben, findet die Idee aber gut. Er
ebenso kreditwürdig wie den hochindu- Gegen den Beitritt Italiens zur Euro- befürwortet sie, auch eingedenk der rät-
strialisierten Exportweltmeister Deutsch- Zone hat er öffentlich argumentiert, der selhaften Fehler, die den Griechen beim
land. Warum? Weil beide Länder nun die- Beitritt Griechenlands war für Bolkestein Antrag auf Agrarsubventionen angeblich
selbe Währung haben und weil die Märk- nur die Konsequenz aus „dem Fluch der unterlaufen sind – als sie die zu sub-
te, wie der Chef des deutschen Banken- bösen Tat“, wie er die Aufnahme Italiens ventionierende Agrarfläche dreimal grö-
verbandes später sagen wird, nie an die bis heute nennt. Als Romano Prodi, fünf ßer angaben als die Gesamtfläche des
„No-Bail-out“-Klausel des Maastrichter Jahre lang Präsident der Europäischen Landes.
Vertrages geglaubt haben. Kommission, im Jahr 2002 den Stabilitäts- Ein Jahr später, seine Amtszeit als
Man habe darauf vertraut, dass „im pakt, der die Solidität des Euro sichern Währungskommissar neigt sich dem Ende
Ernstfall die starken die schwachen Staa- soll, als „stupide“ abtut, tritt Bolkestein zu, lässt Bolkestein nachfragen, was mit
ten stützen werden“, weil der laxe Um- vor Fernsehkameras und schmettert in die dem griechischen Kataster passiert sei.
gang der Euro-Politiker mit Man habe das Projekt auf-
ihren Regeln das früh signa- gegeben, lautet die Antwort.
lisiert habe. Wer damals im Eine Kommission tagt,
großen Stil Greek-Bonds Thema: Wie viel von den 150
kaufte, wettete darauf, dass Millionen soll man zurück-
sich Europas Staatsmänner fordern? Alles, findet Bolke-
im Krisenfall selbst untreu stein. „I want my money
würden. back“, sagt er. Aber es gibt
Sardelis behauptet, er ha- eine Koalition der Nachsich-
be die aufkommenden Pro- tigen, erinnert sich Bolke-
bleme gesehen und davor stein, erinnern sich andere,
gewarnt. Er spricht heute die Nachsichtigen werden
von der immer weiter um angeführt von der Kommis-
sich greifenden „Illusion, die sarin Anna Diamantopoulou
Währungsunion könnte un- aus Griechenland. Am Ende
sere Probleme lösen“. Aber werden etwa 75 Millionen
statt ernsthafte Reformen Euro zurückerstattet.
der griechischen Staatsfinan- Der Rest sei nicht mehr
zen anzustrengen, sei ein vorhanden, erfährt Bolke-
„Rückfall in alte Mentali- stein. Und wo das Geld ge-
ANDREAS ALTWEIN / DPA
täten“ festzustellen gewe- blieben sei? Das wisse nie-
sen. Statt zu sparen, wurde mand.
verlangt, „so viel Geld wie Die Deutschen sind mit ei-
möglich zu beschaffen“. genen Tricksereien beschäf-
Stets frisches Geld in der tigt, im Schulterschluss mit
Haushaltskasse, die Olympi- Euro-Befürworterin Merkel 2001: Kein deutsches Geld im Krisenfall Frankreich – beide von ei-
schen Spiele vor der Tür, nem Defizitverfahren be-
Aufbruchstimmung auf jeder Insel – all Mikrofone: „Es ist die Aufgabe des EU- droht – hebeln sie den Vertrag von Maas-
das verstellt den Verantwortlichen den Kommissionspräsidenten, die europäi- tricht aus. Sie verweigern sich den Sank-
Blick auf die Realitäten, meint Sardelis: schen Verträge zu ehren und zu verteidi- tionen. Im EU-Finanzministerrat besorgen
„Das Land verfiel in Lethargie und Faul- gen, darunter fällt vor allem der Euro- sie sich eine Mehrheit, die das Strafver-
heit.“ Stabilitätspakt.“ fahren der EU-Kommission kassiert. Es
Am nächsten Morgen, sagt Bolkestein, ist ein schwerwiegender Verstoß, dessen
Deutschland hebelt den Vertrag aus habe sein Telefon geklingelt. Romano Tragweite sich erst später erweisen wird.
Im Jahr 2002 hat die deutsche Bundes- Prodi ist dran, er sagt: „Sie haben mich Die deutsch-französische Aktion erle-
regierung anderes zu tun, als in grie- beleidigt, ich verlange eine Erklärung.“ digt den Stabiliäts- und Wachstumspakt,
chische Haushaltsbücher zu schauen. Sie Bolkestein besteht darauf, dass er die ab- den die Deutschen ihren Partnern auf-
gerät selbst in Schwierigkeiten. Die EU- fälligen Äußerungen Prodis zum Stabili- gezwungen hatten. Die Folgen sind fatal:
Kommission droht, einen Blauen Brief tätspakt für falsch halte, und fügt hinzu: Wenn sich die beiden größten Volkswirt-
nach Berlin zu schicken. Die Neuverschul- „Wenn diese Haltung vom Rest der EU- schaften der Euro-Zone nicht an die Re-
dung liegt voraussichtlich über Plan und Kommission geteilt wird, biete ich mei- geln halten, warum sollten es dann die
der erlaubten Obergrenze von drei Pro- nen Rücktritt an.“ anderen tun? Und wenn sich Deutsch-
zent. Was folgt, sind nicht deutsche Dis- Mit seiner kritischen Haltung gegen- land, die selbsterklärte Heimat der Haus-
ziplin und vorbildliches Europäertum, über Italien und Griechenland steht Bol- haltsdisziplin, nicht mehr um die Diszi-
sondern ein sich über zwei Jahre hinzie- kestein oft allein in der Kommission. plin schert – worauf soll man sich in Eu-
hender Abwehrkampf der Regierung Gleichzeitig will er die Bemühungen des ropa dann noch verlassen?
Schröder gegen die schlechten Zeugnisse Landes, sich weiterzuentwickeln, beloh- Der Sündenfall wird hinter Politsprech
aus Brüssel. nen. Als die griechische Regierung 150 versteckt, der Bruch des Pakts mit fal-
Innerhalb der EU-Kommission gibt es Millionen Euro möchte, um für das Land schen Bekenntnissen zum Pakt verschlei-
wenige, die ihre Kritik an der Aufwei- ein Kataster zu erstellen, unterstützt er ert. Seine Bestimmungen werden nicht
chung der Maastricht-Regeln äußern. Ei- das Anliegen. formal abgeschafft, aber informell so auf-
D E R S P I E G E L 3 9 / 2 0 1 1 63
geweicht, dass sie in Zukunft gen und Finanzminister mi-
jederzeit zum Vorteil einer schen mit, und es herrscht,
Regierung in Finanznöten nach der euphorischen Auf-
verbogen werden können. bruchstimmung um die Jahr-
Und ein nicht unwesent- tausendwende, mit einem
licher Nebeneffekt kommt Mal sehr dicke Luft in die-
hinzu: Die exekutive Macht sem neuen Europa.
in Europa, eigentlich bei der Der Eurostat-Generaldi-
EU-Kommission angesiedelt, rektor verweist zu seiner

JASON GROW PHOTOGRAPHY

die die „Hüterin der Verträ- Verteidigung auf die Fuß-
ge“ genannt wird, geht de noten in den halbjährlichen
facto auf den Rat der Staats- Berichten seiner Behörde.
und Regierungschef über. Sie lauten zum Beispiel:
Statt die Bemühungen der „Eurostat sieht sich auf-
Euro-Zone in Brüssel zu grund fehlender oder un-
bündeln und zu konzentrie- Finanzökonom Rogoff: „Kein Kredit wird Griechenland retten“ vollständiger Informationen
ren, wie es gedacht war, re- außerstande, die Zahlen zu
gen sich die nationalen Interessen wie- gelöste: Verteidigungsausgaben werden verifizieren.“ Es klingt wie ein vorneh-
der in Berlin und Paris, in Madrid und zurückgebucht auf den Zeitpunkt der mes Räuspern.
Rom, und in Athen gab es ohnehin immer Bestellung, nicht der Bezahlung, und da- Das wird lauter am 22. November
nur sie. mit aus den aktuellen Büchern herausge- 2004, als Eurostat einen ersten großen
rechnet. Haushalte werden be- und ent- Bericht veröffentlicht, der die Jahre 1997
Der griechische Schwindel fliegt auf lastet, ganz wie es passt. Die Bürokratie bis 1999 und das Jahr 2004 behandelt.
Griechenlands 2004 neu gewählte konser- weigert sich, Prognosen über die Haus- Darin kommt die Behörde zu dem Fazit,
vative Regierung legt offen, dass die ab- haltsentwicklung zu machen, und setzt dass es drei große Schwächen in der grie-
gelösten sozialistischen Vorgänger seit in die Budgetplanungen stets ein schlicht chischen Kalkulation gebe.
dem Jahr 2000 manipulierte Zahlen an angenommenes Defizit von weniger als Erstens würden die Militärausgaben
Eurostat gemeldet haben. Auch bei den als drei Prozent ein. verbucht, wie es gerade passe. Zweitens
Beitrittsdaten wurde getrickst. Der Leiter der „Schuldenagentur“, habe man chronisch die Sozialausgaben
EU-Kommissionspräsident José Manu- Christoforos Sardelis, wird abgelöst und deutlich zu niedrig angesetzt, und drit-
el Barroso, ein Portugiese, kritisiert Grie- ersetzt. Der Nachfolger profitiert wie Sar- tens wurden die Steuereinkommen weit
chenland nicht, sondern lobt die neue Re- delis vor ihm von den niedrigen Zinsen überschätzt. Was folgt aus solchen Be-
gierung für ihre Offenheit und gratuliert für die Schuldtitel des Landes. Noch 2005 richten? Nichts.
ihr zu den „mutigen Schritten“, die Fehler sind die Zinsen auf Greek-Bonds um nur Zu allem Überfluss werden die Hoff-
der Vergangenheit wettzumachen. Nun 0,16 Prozentpunkte höher als auf deut- nungen auf kräftiges Wirtschaftswachs-
müsse Griechenland „die Dinge bis 2006 sche Anleihen. Der Markt kauft, die tum in der Euro-Zone nicht wahr, im Ge-
in Ordnung“ bringen. Griechen verkaufen. Im Jahr 2006 steigt genteil. Deutschland vor allem schwä-
Dabei zeigt sich die neue die Staatsverschuldung um weitere 14,7 chelt, das Wachstum in Europa ist mick-
Regierung in Athen bald Prozent. rig, die Arbeitsmarktzahlen besorgniser-
ähnlich erfinderisch In Brüssel beginnt ein „blame game“, regend. Europa ist immer wieder Thema
wie die ab- es wird darüber gestritten, wer eigentlich in Washington, beim Internationalen
wen falsch oder unzureichend informiert: Währungsfonds.
Der Währungskommissar der EU zeigt
auf den Generaldirektor von Eurostat, Der IWF warnt Europa
der die Schuld weiterreicht an die EU- Am Sitz des IWF steht Europa unter Be-
Kommissare, die die Europäische Zen- obachtung. Die Euro-Länder, die sich seit
tralbank kritisieren, nationale Regierun- den späten neunziger Jahren schöne,

66 D E R S P I E G E L 3 9 / 2 0 1 1
neue Welten hingebaut hat- für Lohnstückkosten, für all
ten, das meiste davon auf die sperrigen Begriffe und
Pump, saßen in den folgen- Instrumente der Volkswirt-
den Jahren schon, fast noch schaft, kaum einer kämpft
unbemerkt, jedenfalls weit gegen Korruption, Subven-
unterschätzt, tief in einem tionsbetrug und falsche Pri-
Schuldenloch. Sie glichen ei- vilegien. Die Folgen der Ver-
ner Maus, die sich an der Fal- säumnisse lassen sich heute
le gerade noch darüber freut, etwa in Nordgriechenland,
ein schönes Stück Käse ge- im Grenzgebiet zu Bulga-
funden zu haben, und die rien, wie in einem Freiluft-

BUNDESBANK / AP
nicht merkt, dass sich über museum begehen.
dem Käse ein Bügel spannt. Im Industriegebiet von
Und schon damals antwor- Komotini reiht sich Fabrik
tete Kenneth Rogoff, IWF- an Fabrik, Lagerhalle an La-
Chefökonom, wenn ihn je- Euro-Noten in der Bundesbank in Frankfurt: Hat dieses Geld eine Zukunft? gerhalle, und fast alle sind
mand nach der Möglichkeit stillgelegt, obwohl sie ausse-
fragte, ob der Euro-Raum auch wieder zeiten, um nötige Entscheidungen in die hen wie neu. Hier bekommt man Ant-
auseinanderbrechen könnte: „natürlich“. Zukunft zu vertagen. worten auf die Frage, warum Griechen-
Einige Länder, sagte Rogoff damals, wür- Nicht sie, sondern Deutschland geriet lands Wirtschaft nicht wächst, warum sie
den in zehn Jahren vielleicht nicht mehr in die Kritik. Die Deutschen, hieß es, nicht konkurrenzfähig ist, warum im
in Euro rechnen. Und wenn er so redete, drückten ihre europäischen Partner an Land nichts vorangeht.
schauten ihn seine Kollegen, und die eu- die Wand. Pro Jahr steigt der deutsche Die meisten Firmen hier, erzählt der
ropäischen zumal, immer so an, „als hätte Export in die Länder der Euro-Zone um Unternehmer Demetri Politopoulos, ha-
ich nicht mehr alle Tassen im Schrank“. durchschnittlich sechs Prozent, und 73 ben den Betrieb überhaupt nie aufge-
Der IWF beobachtete eine „Lähmung Prozent des deutschen Handelsüber- nommen, sie sind Ruinen der Subven-
in Europa“, sagt Rogoff. Die politische schusses stammen aus diesen Ländern. tionsbetrügerei. Ihre Bauherren besorg-
Union, seit Jahren versprochen, um der Die Agenda-Reformen übten Druck ten sich Geld und billige Kredite bei der
technischen Währungsunion einen echten aus auf die Arbeitslöhne und halfen, die Regierung in Athen und von der EU, stell-
Rahmen zu geben, kam nicht. Aber die Lohnstückkosten so zu senken, dass sich ten Gebäude hin, ohne in ihnen je ein
europäische Party ging weiter. Und alle Deutschland im Vergleich zu Ländern wie Geschäft betreiben zu wollen.
wollten tanzen, solange die Musik spielte. Italien oder Griechenland noch größere Demetri Politopoulos wollte wirklich
Nur Deutschland machte eine Ausnahme, Wettbewerbsvorteile erwirtschaftete. In Geschäfte machen, er errichtete seine
hier wurde reformiert, unter Schmerzen, Deutschland sanken die Lohnstückkos- Macedonian Thrace Brewery in einer der
die Hasswörter des Augenblicks waren ten, in den meisten Ländern der Euro- leeren Straßen, er hatte das Bierbrauen
Agenda 2010 und Hartz IV. Zone stiegen sie, vor allem in Griechen- in Amerika gelernt, nun kam er zurück
„Was die Deutschen damals durchge- land. in die Heimat, um ein erfolgreicher
zogen haben“, sagt Rogoff, „ist sehr be- Unternehmer zu werden. Seine Idee
eindruckend. Sie erkannten ein Schul- Die griechischen Strukturprobleme war, sich weitab der urbanen Zen-
denproblem, sie erkannten die System- Die Griechen konsumieren auf Pump, tren, fern von den übermächtigen
schwächen, also machten sie sich rational Kredite sind günstig, sie kaufen deutsche Konkurrenten in der Provinz nieder-
daran, diese Schwächen zu beseitigen.“ Maschinen und Autos, steigern das deut- zulassen, um hier eine lokale Kund-
Statt auf Entwicklung der Wirtschafts- sche Bruttosozialprodukt, versäumen Re- schaft zu erobern.
kraft, Reform der Sozialsysteme und formen im eigenen Land. Kein Regieren- Dieser Plan ging nicht auf. Dass
Kontrolle der Kosten setzten Staaten wie der will die gewucherte Bürokratie zu- ihm Unbekannte, mutmaßlich im
Griechenland, Portugal, Italien auf immer rückstutzen, kaum einer interessiert sich Auftrag von Konkurrenten, die
neue Kredite mit möglichst langen Lauf- für Schuldentilgung, für Handelsdefizite, Reifen seiner Lieferwagen auf-

D E R S P I E G E L 3 9 / 2 0 1 1 67
 Titel

schlitzten und seine Fertigungsanlagen Militärdiktatur, er kam dafür ins Gefäng- der Fremdenverkehrsförderung, sagt Ver-
sabotierten, war schon hässlich. Egal, wie nis. Später gründete er „Vernicos Yachts“, nicos. Je mehr Touristenschiffe in der
weit er seine Preise senkte – die Geträn- das heute führende Unternehmen für Ägäis, desto besser geht es den Dienst-
kevertriebe schienen sich gegen ihn ver- die Vermietung und den Verkauf von leistern auf den Inseln, den Hotels, den
schworen zu haben. Und fast komisch Yachten. Er ist nebenbei auch General- Restaurants, den Zulieferern. Jeder sechs-
sind seine Erlebnisse mit dem griechi- sekretär des griechischen Tourismusver- te griechische Arbeitnehmer ist im Tou-
schen Staat. bands. rismus beschäftigt.
Politopoulos erzählt von seiner Ge- Seine Kundschaft ist ins Visier der Hellas als Urlaubsökonomie, das ist
schäftsidee, außer Bier auch eine Limo- Steuerfahnder geraten, die bei der Hälfte Vernicos’ Vision, dafür wirbt er. Das ver-
nade aus griechischem Bergtee zu brauen. der rund 10 000 in griechischen Häfen einigte Europa, so Vernicos, sollte doch
Er hatte schon alles beisammen, hatte im liegenden Yachten von Steuerbetrug aus- ein Gebilde sein, in dem „jeder das Seine
ganzen Land 62 Tonnen Bergteekraut zu- gehen. Vier Millionen Euro kostet bei tut“, was schon bei Platon, auch ein Grie-
sammengesucht, hatte sich Gedanken Vernicos die durchschnittliche 30-Meter- che, zur Definition eines gerechten Staa-
über die Vermarktung gemacht, über den Motor-Yacht. Manche Besitzer registrie- tes gehörte. In diesem Europa machen
Vertrieb, als ihm die Gesundheitsbehörde ren ihre Schiffe über Offshore-Firmen in die Deutschen die Maschinen, die Italie-
in Athen mitteilte, die Bewilligung für Zypern, Panama oder auf der Isle of Man, ner schneidern die Anzüge, die Spanier
die Produktion seines Erfrischungs-
Drinks könne nicht erteilt werden.
Grund: ein Gesetz aus der Mitte des
19. Jahrhunderts, erlassen unter der Re-
gentschaft des bayerischen Prinzen Otto
von Wittelsbach, 1832 zum König von
Griechenland gekrönt, der aus Deutsch-
land das Reinheitsgebot für Bier mitge-
bracht hatte. Und darin stand, dass in ei-
ner Bierbrauerei nichts anderes herge-
stellt werden dürfe als Bier. Für eine se-
parate Produktionsstätte fehlte ihm das
Geld, also keine Limonade aus Bergtee.
Politopoulos erlebt sein Unternehmer-
tum in Griechenland als ewigen Kampf
mit der Bürokratie, mit Korruption und
Unfähigkeit, und so wie ihm ergeht es
Hunderten, Tausenden Unternehmern im
Land. Transparency International hält
Griechenland für das korrupteste Land
der EU, Genehmigungen und Beschei-
nigungen gebe es nur gegen Bares. Im
Land selbst findet das nicht jeder proble-
matisch. Manche halten es für einen Teil
der griechischen Kultur, und die sind auch
der Meinung, Steuern zu zahlen sei über-
flüssig. So hat der Staat ein doppeltes
Einnahmeproblem: Die Bürokratie hin-
dert Unternehmen daran, zu wachsen
und Gewinn zu machen; und die Unter-
nehmen, die wachsen und Gewinn ma-
chen, finden Wege, kaum Steuern zu
zahlen.

Die griechische Steuerkultur
Von den 9841 Inseln, die zu Griechenland
gehören, sind 220 bewohnt, und auf ei-
ner davon, Sifnos, lebt der schwerreiche
Yacht-Unternehmer, Steuerbetrugsbefür-
worter und frühere Studentenrevolutio-
när Georgios A. Vernicos. Wer ihn be-
sucht, lernt dieses Land besser zu verste-
hen, als wenn er Zahlenkolonnen über
Wachstum, Verschuldung und Zinsen liest.
„Griechenland ist ein extrem schönes
Land“, sagt Vernicos, er ist 61 und sitzt
im Garten seiner Villa am Meer, „und da-
mit nicht jeder hierherkommt, haben wir
es für andere sehr schwierig gemacht, bei
uns zu überleben.“ Es ist nicht ganz klar,
ob er bloß einen Witz gemacht hat.
1973 gehörte Vernicos zu den Anfüh-
rern des Studentenaufstands gegen die
68
Euro-Einführungsfeier an der Pariser Börse 1999: Haus ohne Hüter
um Steuern zu vermeiden, andere ken-
nen einen noch besseren Trick.
„Man meldet das Schiff statt als Pri-
vat-Yacht als Charter-Boot an, also zum
Vermieten.“ Für den Kauf von Privat-
Yachten zahle man Mehrwert- und Lu-
xussteuern von insgesamt 35 Prozent, für
Miet-Yachten aber gar nichts. „Also ver-
mietet man die Yacht an einem Tag pro
Monat, und schon hat man eine Miet-
Yacht.“ Um in einem Rechtssystem mit
so vielen Grauzonen zu bestehen, müsse
man eben ab und zu die Grenzen des Le-
galen erkunden. Vernicos sagt das mit ei-
nem Gaunerlächeln.
Den Yacht-Besitzern keine Schwierig-
keiten machen – das galt als Grundsatz
D E R S P I E G E L 3 9 / 2 0 1 1
ziehen Gemüse, und alle buchen ihre Fe-
rien bei den Griechen.
Stattdessen wolle die EU ein Europa,
in dem alle alles tun und dabei miteinan-
der auch noch im Wettbewerb stehen.
Aber der Grieche, so Vernicos, könne
nicht bestehen im Produktivitätswettbe-
werb mit Deutschen oder gar Chinesen.
„Wir Griechen sind die Taxifahrer der
Meere“, sagt er – die Taxis selbst aber,
also die Schiffe, würden woanders zu-
sammengeschweißt, vor allem in Fernost.
Griechen bauen keine Schiffe, sie fahren
sie bloß.
Für Georgios A. Vernicos stellt sich das
heutige Europa so dar, dass Brüssel den
Griechen befiehlt, Schiffe zu bauen, statt
nur zu fahren. Also produktiver zu wer-
den. Und Steuern einzutreiben. Und Ge-
setze einzuhalten. Also: deutscher zu
werden. Das will er aber nicht. Dass
Deutschland die Regeln machen soll für
das Spiel in ganz Europa, macht ihn un-
gehalten. „Sie haben es schon zweimal
mit Kriegen versucht. Jetzt versuchen sie
es mit ökonomischen Mitteln.“
Dass die Steuerkommissare seit der
Krise Ernst machen und unangemeldete
Yachten gleich im Dutzend beschlagnah-
men, macht Vernicos wütend. „Die Re-
gierung führt jetzt einfach die Reichen
als Sündenböcke vor.“ Misslaunig kaut
er auf einem Stück Manouri, unfassbar
THOMAS COEX / AFP
stinkendem Käse von Inselziegen. Er
möchte die alten Regeln zurück. Die
waren zwar krumm und ungerecht, aber
darin verlässlich.
Die Mentalität eines Georgios A. Ver-
nicos ist in der Unternehmerschaft des
Landes weit verbreitet. Sie verursacht
jährlich geschätzte 20 Milliarden Euro
Schaden durch Steuerausfälle. Fast ein
Drittel der wirtschaftlichen Aktivität läuft
in Griechenland am Finanzamt vorbei,
heißt es.
Schlechte Noten für Griechenland
Im September 2008, als die Lehman-Plei-
te die Finanzmärkte in den Abgrund reißt,
glaubt die griechische Regierung, ver-
schont zu bleiben. Griechische Banken
besitzen nur wenige der einfallsreichen
Finanzpapiere von der Wall Street. Aber
die Staatsverschuldung ist im Jahr 2008
auf 110 Prozent der Wirtschaftsleistung
angewachsen, Griechenland hat inzwi-
schen Italien überholt, und der Anteil ex-
terner Schulden bei ausländischen Anle-
gern ist im Fall Griechenlands deutlich
höher. Das Land der schönen Inseln ist
viel stärker bedroht, als es glauben mag.
Die Rating-Agenturen, die massenhaft
wertlose Papiere zur sicheren Geldanla-
ge erklärt hatten, stehen mit dem Leh-
man-Crash unter besonderer Beobach-
tung. Sie bewerten schließlich auch Staa-
ten, vergeben Gütesiegel für Staatsanlei-
hen. Was sind ihre Noten wert? Haben
sie sich – wie in der Privatwirtschaft –
auch über die Qualität der Volkswirt-
schaften getäuscht?
Jahrelang haben die drei großen Ra-
ting-Agenturen der Welt die Anleihen der
Euro-Staaten einhellig mit AAA oder AA
bewertet. Am 14. Januar 2009 entscheidet
sich eine von ihnen, Standard & Poor’s,
die griechischen Staatspapiere auf A– zu-
rückzustufen. Das ist der schlechteste
Wert aller 16 Euro-Länder, und – aus heu-
tiger Sicht – der Beginn des Absturzes.
Mit der Herabstufung wird eine Ab-
wärtsspirale in Gang gesetzt, die den Re-
gierungschefs in Europa zeigen wird, wie
fragil ihr Euro ist und wie ansteckend die
Verhältnisse im kleinen Griechenland.
Verantwortlich für die Herabstufung ist
Marko Mršnik, ein „Sovereign Credit
Analyst“ und bei Standard & Poor’s auch
für griechische Staatsanleihen zuständig.
Der gebürtige Slowene redet nicht mit
Journalisten. Wer wissen will, wie er die
Märkte einschätzt, muss seine Berichte
lesen.
Er hat ein Büro in den Londoner Dock-
lands, Canary Wharf, ein Businesszen-
trum mit schimmernden Fassaden und
Latte-macchiato-Bars auf den Ruinen der
alten, schwerindustriellen Gesellschaft.
Auch Lehman Brothers residierte hier,
bis zum Schluss.
Die Kreditwürdigkeit eines Landes
wird in Buchstaben ausgedrückt, AAA ist
die Bestnote, sie bedeutet eine Kredit-
ausfallwahrscheinlichkeit nahe null, C
heißt, dass der Gläubiger sein Geld
höchstwahrscheinlich nie wiedersieht, D
wäre im Schulzeugnis eine glatte Sechs:
Totalausfall. Dieses Ranking hatten die
Bonds des russischen Zaren nach der Ok-
toberrevolution. So weit ist Griechenland
noch nicht.
Die rein wirtschaftlichen Kriterien las-
sen sich ziemlich einfach herauslesen aus
den Tabellen von Zentralbanken, Eurostat
oder IWF. Der Aspekt „Politik“ eines
Landes lässt sich jedoch nicht mit dem
Taschenrechner kalkulieren. Dabei geht
es um das Funktionieren einer Verwal-
tung, um Korruption, starke Gewerkschaf-
D E R S P I E G E L 3 9 / 2 0 1 1
ten, darum, wie rebellisch die Jugend ist
oder wie führungsstark ein Regierungs-
chef, es sind die weichen, dennoch wich-
tigen Faktoren.
Marko Mršnik trifft sich deshalb mit
Journalisten, Bankern, Analysten.
Die Abwertung des Landes begründet
er so: „Die anhaltende Finanz- und Wirt-
schaftskrise hat unserer Ansicht nach ei-
nen grundlegenden Verlust an Wettbe-
werbsfähigkeit in der griechischen Wirt-
schaft verstärkt.“ Nach diesen Sätzen
stürzen die Kurse an der Athener Börse
ab. Und die Zinsen steigen. Die Käufer
griechischer Staatsanleihen wollen für das
steigende Risiko belohnt werden, sie ver-
langen eine höhere Prämie. Wenn sich
Griechenland nun eine Milliarde Euro lei-
hen will, also Anleihen im Wert von einer
Milliarde verkaufen will, muss das Land
2,8 Millionen Euro mehr Zinsen verspre-
chen als Deutschland. Die Schuldenlast
steigt. Und steigt immer weiter.
Aufgeschreckt durch die Abstufung lei-
tet die EU-Kommission erneut ein Defi-
zitverfahren gegen Griechenland ein, es
ist eine hilflose Geste, und das Strafver-
fahren bleibt, wieder einmal, man ist ver-
sucht zu sagen: natürlich, ohne Ergebnis.
Bis heute ist kein Euro-Land, trotz vieler
festgestellter Regelverletzungen, bestraft
worden. Der Sanktionsmechanismus der
Euro-Zone ist eine leere Drohung. Und
er war von Anfang an falsch gedacht: Wie
sinnvoll ist es, ein Land in Geldnot mit
Geldbußen zu bestrafen?
Im Oktober 2009 löst die neue Regie-
rung unter dem Sozialisten Papandreou
die konservative Regierung in Athen ab.
Nach dem Wahlsieg schreibt Marko
Mršnik ein vertrauliches Papier an die
Kunden von Standard & Poor’s: „Ange-
sichts der wiederholten Haushaltsentglei-
sungen der verschiedenen griechischen
Regierungen bleibt abzuwarten, ob die
neue Regierung den Willen hat, eine
glaubhafte Budgetstrategie umzusetzen.“
Das klingt diplomatisch. Aber es ist rei-
ner Sarkasmus. Die Anleger verstehen
die Botschaft: Der Abstieg der Greek-
Bonds vom Wertpapier zum Junk-Fetzen,
von Sicherheit zu Casino-Chip, von Zu-
versicht zu Depression beschleunigt sich.
Es beginnt die griechische Tragödie.
III. Akt: Die Krise des Euro
(2010 / 11)
Wie Griechenland zum Spielball der In-
vestoren wird. Wie die Europäische Zen-
tralbank auf Abwege gerät. Warum die
Griechen die Welt nicht mehr verstehen.
Wie die Wette von Maastricht platzt.
Bei Standard & Poor’s haben Mršniks Ana-
lysten ausgerechnet, dass Griechenlands
Verschuldung im Jahr 2010 auf 125 Pro-
zent der Wirtschaftsleistung ansteigen
69
 Titel

wird. Noch am selben Tag wird es teurer, fen, dass sie dann den Regeln folgen wür- ein Land zum Junk-Schuldner erklärt.
griechische Anleihen gegen den Ausfall den“, sagt El-Erian. „Und dass sie hart Standard & Poor’s stuft das Rating grie-
abzusichern. Die Ausfallversicherungen, bestraft werden, wenn sie es nicht tun.“ chischer Anleihen gleich um drei Stufen
in der Marktsprache Credit Default Aber so ist es nicht gekommen. Es wur- herab, auf BB+. Das ist auf einer Ebene
Swaps (CDSs) genannt, zeigen an, wie den politische Konzessionen gemacht, die mit Aserbaidschan und Ägypten. Dahin-
schlecht es um Griechenland steht. Es kos- Spielregeln ignoriert. „Das brachte den ter liegen Länder wie Ecuador, El Salva-
tet jetzt 189 000 Dollar im Jahr, eine Zehn- Krebs in die Euro-Zone.“ dor und Zimbabwe.
Millionen-Anleihe Griechenlands gegen Warum haben die Finanzmärkte Grie- Mršnik schreibt, dass Griechenland sei-
Ausfall zu versichern. Für die Großinves- chenland nicht früher abgestraft? Warum ne Staatsschulden „umstrukturieren“
toren heißt das: raus aus Griechenland. wurde bis vor wenigen Jahren für grie- müsse, das ist ein vornehmes Wort für
Auch in Kalifornien, in Newport chische Staatsanleihen noch die gleiche einen Bankrott. Es bedeutet, dass ein
Beach, eine Autostunde südlich von Los Messlatte angelegt wie für deutsche? Schuldenschnitt kommt, dass Eigentümer
Angeles, sind ein paar Leute nervös ge- Warum haben die Märkte immer weiter von griechischen Staatsanleihen beispiels-
worden. Dort hat die Pacific Investment Greek-Bonds gekauft? weise nur 30 Prozent ihres Geldes zu-
Company (Pimco) ihren Firmensitz. El-Erian zuckt die Schultern, sagt: „So rückbekommen. Schuldenschnitt, das
Pimco ist mit Abstand der weltgrößte etwas passiert ständig.“ Als Argentinien heißt: Die Gläubiger sehen nur einen
Investor in Staatsanleihen. Das Unter- Ende der neunziger Jahre zunehmend in Bruchteil des verliehenen Geldes wieder.
nehmen leiht den Staaten Geld, indem Schwierigkeiten geriet, stieß Pimco früh Die Märkte verstehen die Abstufung als
es deren Schuldverschrei- Todesstoß. Wer jetzt noch
bungen kauft. Wenn Pimco Griechenland-Bonds in sei-
nicht mehr kauft, ist das ein nem Portfolio hält, ist wahn-
deutliches Zeichen, dass ei- sinnig. Oder ein mildtätiger
nem Land erst die Krise, Spender.
dann die Pleite droht. Der Markt ist weder das
Pimco herrscht – im Auf- eine noch das andere. Sofort
trag seiner Kunden – über nach Bekanntgabe des
1300 Milliarden Dollar. Es ist Downgrades werden grie-
eine absurde Zahl, selbst in chische Anleihen auf den
dieser Zeit der Superlative, Markt geworfen, deren Kurs
in der Rettungsschirme ge- verfällt. Würde der grie-
spannt und Banken mit end- chische Staat zu diesem Zeit-
losen Staatsmilliarden ge- punkt zweijährige Anleihen
stützt werden: ein Finanzun- auf den Martk bringen,
ternehmen, vielen nicht ein- müsste er den Käufern 13
mal bekannt, mit einer An- Prozent Zinsen versprechen,
lagemacht viermal so groß wenige Tage vorher waren
wie der deutsche Bundes- sie noch mit 6,3 Prozent zu-

NIKOS PILOS / DER SPIEGEL

haushalt. frieden. Der Zins für zehn-
Deswegen halten fast alle jährige Papiere steigt auf
Regierungen einen engen über zehn Prozent.
Draht zu Pimco. Sie schi- Für viele europäische
cken ihre Finanzminister Banken ist das ein Schock.
und Zentralbankvorsitzen- Sie hatten sich nach der
den und manchmal auch ihre Yacht-Unternehmer Vernicos: „Wir sind die Taxifahrer der Meere“ Lehman-Pleite mit den ver-
Regierungschefs zu Moha- meintlich sicheren Staats-
med El-Erian, dem Chef von Pimco, um alle Staatsanleihen ab, doch andere kauf- anleihen eingedeckt, die kleinen Rendi-
ihn zu überzeugen, dass er ihre Staats- ten erst recht zu, weil sie nicht an einen ten suggerierten Sicherheit. Nun aber
anleihen kauft. Zusammenbruch des Landes glaubten. gelten nicht nur griechische Staatsanlei-
Pimco stößt in den Wochen Ende 2009 In den USA dachten die Menschen, sie hen als riskant, auch das Vertrauen in
alle Griechenland-Anleihen ab. „Wir könnten sich Häuser auf Pump kaufen, Portugal, Irland, Spanien, selbst Italien
wollten raus, bevor alle anderen merken, ohne Geld zu verdienen. „In Griechen- schwindet.
dass die Zahlen nicht stimmen“, sagt Mo- land dachten sie: Wir können uns Geld Angst breitet sich aus, in Frankfurt, in
hamed El-Erian. Nie verlässt sich Pimco zu denselben Raten wie die Deutschen London: Über 700 Milliarden Euro hatten
auf ein Urteil von außen, dafür beschäf- leihen, also können wir jetzt alles ma- europäische Banken in Staatsanleihen aus
tigt die Firma Horden von eigenen Ana- chen, was wir wollen“, sagt El-Erian. den fünf Krisenländern angelegt. Und die
lysten, viele waren einst beim Interna- Eigentlich sei der Euro eine tolle Sache, griechischen Banken allein halten grie-
tionalen Währungsfonds, auch El-Erian sagt El-Erian. „Wenn es ihn nicht geben chische Staatsanleihen im Wert von 50
hat dort seine Karriere begonnen. würde, müsste man ihn erschaffen.“ Eine Milliarden. Mit dem Rating der Staats-
Sie graben sich den ganzen Tag lang gemeinsame europäische Währung sei gut papiere fällt auch das Rating der grie-
durch die Datenmengen und Bilanzen für das globale Finanzsystem, sagt er. Gut chischen Banken. Es ist eine Kettenreak-
von Nationen, rechnen nach, erstellen für Investoren. Gut für den Markt. So habe tion, sie bleibt nicht an Griechenlands
Projektionen, füttern die Computer, und er gedacht, als der Euro eingeführt wurde. Grenzen einfach stehen.
wenn ihnen nicht gefällt, was sie sehen, Aber nur „solange sich alle an die Regeln Staatsanleihen dienen auch als Sicher-
dann steigt Pimco aus. halten, solange alle verstehen, was sie da heit, wenn Banken bei der Europäischen
Als Griechenland in die Euro-Zone geschaffen haben und was es bedeutet“. Zentralbank selbst Geld aufnehmen. Die
aufgenommen wurde, war das für Pimco Anleihen sind im Geldverkehr ein zen-
ein Grund mehr, Greek-Bonds zu kaufen. Der Absturz der Greek-Bonds trales Kettenglied, wird ihr Wert zweifel-
„Wir dachten, wenn die Griechen Mit- Am 27. April 2010 wird zum ersten Mal haft, gerät die monetäre Versorgung der
glied eines so elitären Clubs werden dür- in der Geschichte der jungen Währung Volkswirtschaft ins Stocken.
70 D E R S P I E G E L 3 9 / 2 0 1 1
 Griechenland rudert in einem Sturm Sie wird von nun an immer mehr grie- bisher nicht der Markt die Regeln festge-
des Misstrauens, der von den Rating- chische Anleihen kaufen, auch 2011 noch, legt, sondern der Staat.
Agenturen entfacht und von den Finanz- bald auch portugiesische, italienische, Dimitriadis ist einer von denen, die im
märkten gesteigert wird. Je tiefer das Ra- spanische. Die EZB lädt sich das eigene Sommer 2010 demonstrieren gegen die Zu-
ting sinkt, desto teurer wird es, die Schul- Haus, das als Hort der Euro-Stabilität ge- mutungen der Regierung. Überall im Land
den zu refinanzieren, desto größer wer- dacht war, als Fort Knox der neuen Wäh- streiken die Transportunternehmer und le-
den die Schulden, desto tiefer ist das Ran- rung, mit Ramschpapieren voll. Sie rui- gen alles lahm, Tankstellen kriegen kein
king und so weiter. Nun beginnt die große niert die Glaubwürdigkeit des Euro. Benzin mehr, Supermärkte keine Frisch-
Zeit der Devisenhändler, Hedgefonds und Und immer kehren die Fragen des An- ware, acht Tage lang. Zehntausende Tou-
Spekulanten. Sie können auf einen Zerfall fangs wieder: Warum glaubten die Regie- risten bleiben stecken, Flugzeuge verspä-
des Euro wetten und auf eine Rettung der renden Frankreichs, Deutschlands und ten sich, Schiffe können nicht auslaufen.
Griechen durch die Euro-Partner. Sie be- neun anderer Staaten, Griechenlands Art Für Fuhrunternehmer wie Dimitriadis
dienen sich unter anderem der Kreditaus- des Wirtschaftens könne mit anderen gibt es 33 500 Konzessionen im Land, sie
fallversicherungen, der CDSs, die schon Volkswirtschaften unter dem Dach einer wurden zur Zeit der Militärjunta Anfang
nach der Lehman-Pleite die Finanzkrise gemeinsamen Währung harmonieren? der siebziger Jahre ausgegeben, seither
um den ganzen Globus getragen hatten. Wie ist es möglich, dass man eine Wäh- kamen keine neuen hinzu, obwohl die
Eigentlich gedacht, um das Risiko von rung ausschließlich für gute Zeiten ent- griechische Wirtschaft heute um ein Viel-
Kreditausfällen zu versichern, kann man warf, für Phasen des Wachstums – die faches größer ist als damals.
mit ihnen auch spekulieren, Die Lizenz wurde zu einer
wenn man keine Staatsanlei- Art Existenzgutschein. Zur
hen besitzt. Es ist, als ob je- Altersvorsorge. Wer in Pen-
mand eine Feuerschutzver- sion ging, verkaufte seine
sicherung für ein Haus ab- Konzession an den Meistbie-
schließt, das ihm nicht ge- tenden, Zulassungen für gro-
hört. Er wird – möglicher- ße Tanklaster wurden für bis
weise – großes Interesse dar- zu 350 000 Euro gehandelt.
an haben, dass das Haus in Nun soll, unter dem aus
Flammen aufgeht. Wer Aus- Brüssel und Washington dik-
fallversicherungen für grie- tierten Schuldenregime, spä-
chische Staatsanleihen kauft, testens bis 2014 jeder eine Li-
ohne selbst Staatsanleihen zenz erhalten können, der
zu besitzen, der wettet dar- das will, und natürlich sind
auf, dass sie an Wert verlie- damit die Preise zusammen-
ren. Denn dann kann er die gefallen. Antonis Dimitriadis
Versicherung später teurer würde für seinen Schein der-
verkaufen. zeit noch 12 000 bis 15 000
Außerhalb der Börsen ist Euro erhalten.
GRIGORIS SIAMIDIS / REUTERS
ein grauer CDSs-Markt ent- Er hat das Papier, das ihm
standen, 26 Billionen Euro seinen Beruf garantiert, 1993
schwer. Innerhalb weniger als Schenkung von seinem
Wochen verdoppelt sich die Vater erhalten, für den er
Prämie, die gezahlt werden arbeitete, seit er 13 war. Er
muss, um eine griechische putzte den Laster, betankte
Staatsanleihe abzusichern, Proteste in Thessaloniki: Tiefes Misstrauen in den Staat ihn, fuhr auf dem Beifahrer-
die Prämie ist nun zehnmal sitz mit durch ganz Grie-
höher als die Prämie für eine deutsche dann in einer Krise unter bedrohlichen chenland, so wie es jetzt sein elfjähriger
Anleihe. Stress gerät? Sohn Manolis tut, als wäre es ein Natur-
Im Juni 2010 wird Griechenlands Kre- gesetz. Natürlich hat Dimitriadis für sei-
ditwürdigkeit wegen „beträchtlicher“ ge- Der Aufstand der Lkw-Fahrer nen Vater gesorgt, nachdem der ihm die
samtwirtschaftlicher Risiken um vier In Griechenland löst der Absturz der Zündschlüssel übergeben hatte, schon als
weitere Stufen gesenkt, die Staatsanlei- Staatsanleihen vor allem Unruhe aus, weil Dank für die Lkw-Lizenz, und natürlich
hen werden Ramschware. Die Anleger die Hilfsmaßnahmen der EU gebunden würde er dasselbe von seinem Sohn er-
im eigenen Land haben längst begonnen, sind an Sparauflagen und die Forderung warten. Familie ist alles. Es sind vormo-
ihr Geld nach Zypern, Malta, in die nach harten Reformen. Der Staat soll den derne, fast archaisch anmutende Arbeits-
Schweiz zu bringen. Griechenland ist aus über Jahrzehnte aufgeblähten Öffentli- strukturen, die mit umfangreichen Regel-
der Familie kreditwürdiger Staaten aus- chen Dienst um ein Fünftel verkleinern. werken vergesetzlicht und zementiert
gestoßen. Fast noch schlimmer aber ist, Die Märkte sollen liberalisiert werden, wurden. So blieb das Familienunterneh-
für das gesamte Euro-Projekt, dass die um mehr Wachstum zu ermöglichen. men die DNA der griechischen Wirt-
Herabstufung kommt, obwohl Europa Als Lastwagenfahrer gehört Antonis schaft. Von den 4,4 Millionen griechi-
meint, kraftvoll und entschlossen rea- Dimitriadis zur Gruppe der „kleista epag- schen Erwerbstätigen sind rund 1,5 Mil-
giert und die griechische Krise im Griff gelmata“, der geschlossenen Gewerbe, zu lionen beim Staat angestellt; ebenso viele
zu haben. einem arbeitsrechtlichen Kuriosum Grie- arbeiten in Kleinstbetrieben mit einem
Denn einen Monat zuvor, im Mai 2010, chenlands, wozu rund 70 Berufe zählen, bis neun Angestellten, wozu auch die
hat die Europäische Zentralbank grie- und zwar nicht nur Rechtsanwälte und Selbständigen gehören. Und diese Leute
chische Staatsanleihen für 25 Milliarden Notare, sondern eben auch Architekten sollen nun in Wochen verändern, was in
Euro aufgekauft. Sie tat das, um die Kurse und Taxifahrer. Es sind die Angehörigen Jahrzehnten gewachsen ist, eine Zunft-
der Anleihen zu stabilisieren, den Markt dieser Zünfte, die seit dem Beginn der und Familienwirtschaft umstoßen zu ei-
zu beruhigen, was nur für ein paar Tage Reformen auf die Barrikaden gehen, weil ner Marktwirtschaft, die Brüsseler und
gelang. sie ihre Privilegien verlieren. Für sie hat Berliner Vorstellungen entspricht.
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 Titel

Der Aufstand der Lastwagenfahrer wurden alle gebrochen: die Staatsschul- Dieses hochexplosive Geflecht aus ge-
richtet einen maximalen internationalen den nicht begrenzt, sondern verdoppelt, genseitigen Abhängigkeiten macht den
Imageschaden an: Bis zum Sommer 2010 nur 5 der 17 Staaten liegen unter der 60- Euro in Krisenzeiten labil; angreifbar und
war die griechische Krise für die Welt- Prozent-Grenze; die Haushaltsdefizite richtig gefährlich wird er aber durch eine
öffentlichkeit noch immer ein ziemlich nicht gedeckelt, nur vier Staaten liegen Besonderheit, die ihn unterscheidet vom
abstraktes Phänomen geblieben, das vor- unter der Norm; das Bail-out-Verbot, ge- Dollar, vom Yuan, von allen Währungen
nehmlich auf den Wirtschaftsseiten ana- brochen; die Europäische Zentralbank, in der Welt: Der Euro ist ein Haus ohne
lysiert wurde. Nun haben die Medien nicht länger unabhängig, sondern Bad Hüter, eine Währung ohne politischen
erstmals auch die Bilder dazu, sie zeigen Bank für notleidende Staatsanleihen. Schutz, ohne einheitliche Finanzpolitik,
ein Land am Rande des Nervenzusam- Es ist nicht einfach nur irgendein poli- ohne die Möglichkeit, sich entschlossen
menbruchs, zeigen wütende Urlauber, tisches Versagen, das folgenlos wäre wie gegen spekulative Angriffe zur Wehr set-
leere Einkaufsregale, blockierte Straßen. irgendein gebrochenes Wahlversprechen. zen zu können.
Militärs, die Kerosin, Benzin und Diesel Es ist ein Versagen zweier Generationen Damit eine Währungsunion funktio-
durchs Land fahren. Sie zeigen ein Land, von Staatsmännern (und -frauen), das niert, dürfen die Volkswirtschaften der
das nicht funktioniert, auf absehbare Zeit Europa nun mit einem gefährlich labilen Mitgliedsländer nicht zu weit auseinan-
nicht funktionieren wird. Geflecht der Staaten, ihrer Notenbanken, derdriften, da der übliche Ausgleichsme-
Sie zeigen auch eine Gesellschaft, die der Zentralbank, der Banken und Anle- chanismus, der Wechselkurs, fehlt. Nor-
dem eigenen Staat tief misstraut. Mit ger überzogen hat. malerweise wertet ein Land, dessen Wirt-
Steuereinnahmen von nicht schaft schwächelt, seine
einmal 30 Prozent der Wirt- Währung ab. Das macht sei-
schaftsleistung hat Griechen- ne Waren auf dem Welt-
land die zweitniedrigste markt billiger, es kann mehr
Steuerquote aller Euro- exportieren und seine Defi-
Länder. Den Umsatz des zite abbauen. In einer Wäh-
Schwarzmarkts schätzt das rungsunion aber geht das
Institut für Wirtschafts- und nicht. Wenn ein Land nicht
Industrieforschung (IOBE) in solide wirtschaftet, wirkt die
Athen auf 59 Milliarden Eu- Einheitswährung wie eine
ro jährlich – ein Viertel der Fessel.
offiziellen Wirtschaft. Wäre Griechenland das
Man kann über all dies Bundesland eines Vereinig-
den Kopf schütteln, über die ten Europa mit einer ge-
Griechen und ihre Sturheit meinsamen Fiskal- und Wirt-
und Rückständigkeit, ihre schaftspolitik, dann wäre es
ganze Art des Wirtschaftens, so geschützt wie das ähnlich
die der mittel- und nord- hoch verschuldete Bundes-
europäischen sehr fremd ist. land Bremen durch die Bun-

BRAD SWONETZ / REDUX / LAIF

Man sollte sich allerdings desrepublik. Weil es aber
noch mehr wundern über eine gemeinsame europäi-
die Politik und ihre Macher sche Finanzpolitik nicht gibt,
in Europa, das beharrliche wird Griechenland als
Wegsehen, Verdrängen, Ver- schwächstes Land der Uni-
leugnen über Jahre hinweg. on – obwohl es nicht einmal
Die Architekten des Euro Schuldenhändler El-Erian: Herrscher über 1300 Milliarden Euro drei Prozent zur Wirtschafts-
und ihre Nachfolger haben leistung der Euro-Staaten
die Wette von Maastricht verloren. Sie ha- Die Staaten der Euro-Zone sind mit beiträgt – zur systemrelevanten Bedro-
ben das Volkseinkommen von zwölf Län- acht Billionen Euro in der Kreide, Banken hung für 16 Staaten und 320 Millionen
dern aufs Spiel gesetzt für die Hoffnung, haben europäische Staatsanleihen im No- Europäer. Und der Euro, gedacht als
die Märkte würden schon nicht merken, minalwert von einer Billion Euro in den Schutz gegen die Unwägbarkeiten der
wie zerbrechlich die schöne neue Währung Büchern. Die Notenbanken von Grie- Globalisierung, wird damit zur gefähr-
ist. Und was die Gründergarde des Euro chenland, Italien, Portugal und Spanien lichsten Währung der Welt.
im Vertragswerk an Lücken ließ, haben sind bei der Bundesbank mit 348 Milliar-
ihre Nachfolger in zehn Jahren genutzt, den verschuldet. Die Zentralbank hat für
um den Euro noch anfälliger zu machen. 150 Milliarden Euro Staatsanleihen auf- IV. Akt: Die Zukunft des Euro
Die Staatsverschuldung der Euro-Staa- gekauft, die Banken parken bis zu 150 (2011 bis ?)
ten hat sich – allen Regelungen zum Trotz Milliarden Euro lieber bei der EZB, als
– seit 1997 nahezu verdoppelt, allein in Kredite zu vergeben – aus Angst vor Kre- Warum der Europa-Schöpfer Jacques De-
den letzten drei Jahren ist sie um knapp ditausfällen. lors weiterhin an den Euro glaubt. War-
zwei Billionen Euro gestiegen, um 30 Pro- Die Summe aller Kreditausfallversiche- um der Forscher Kenneth Rogoff sein
zent. Ohne die Aufwendungen für die rungen für Griechenland ist unbekannt, Schreckensszenario für realistisch hält.
Folgen der Finanzkrise wäre die Wette auch welche Banken sie halten, was ihr Warum der Schuldenhändler Mohammed
vielleicht später geplatzt, aber geplatzt Risiko unberechenbar macht. Große eu- El-Erian sagt, dass keine Wette auf den
wäre sie. Zu groß sind die Konstruktions- ropäische Banken haben so viele Anlei- Niedergang des Euro eingeht.
mängel des Euro; zu schwach ist die eu- hen gefährdeter Staaten in den Büchern,
ropäische Politik, sie zu beheben; zu des- dass sie nach Auffassung des IWF 200 Was Europa nun blüht, in den nächsten
interessiert sind die Völker am ganzen, Milliarden Euro zusätzliches Kapital Wochen und Monaten, hat mit Griechen-
großen Projekt. brauchten, um sicher über die Runden zu land zu tun, hat sich aber auch längst von
Die vier großen Versprechen des Euro, kommen, die Rating-Agenturen reagieren dem Athener Drama abgelöst. Es ist die
formuliert im Vertrag von Maastricht, darauf bereits mit Herabstufungen. Fortsetzung der Finanztragödie, die 2007
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in New York ihren Anfang nahm. Was vestieren, all seine Milliarden sicher zu Die Europäer seien paralysiert, nicht
dort begann, sagt Weltökonom Rogoff, verteilen. Die Welt sei bipolar geworden, nur, weil sie sich nicht einigen können,
war keine normale, nur etwas stärkere es gibt nur gut oder schlecht, an den Euro sondern weil sie nicht wissen, wie sie ge-
Rezession, sondern eine „große Kontrak- glauben oder nicht, kein gutes Umfeld für nau vorgehen wollen, weil es keine Blau-
tion“, wie sie sich in der Wirtschaftsge- sicheres Investieren. pause für so einen Krisenfall gibt.
schichte nur alle 75 Jahre ereignet. Dieser El-Erian sagt, die Welt stehe nun auf So oder so, sagt Rogoff, steht das Eu-
Umstand aber, sagt Rogoff, sei bis heute dem Kopf. Die Entwicklungsländer und ro-Projekt am Scheideweg: Entweder es
nicht erkannt. Und deshalb geht Europas die aufstrebenden Nationen in Südame- kommt jetzt zur Zwangsheirat der eu-
Krise, die als Vertrauenskrise begann, zur rika und Asien haben ihre Krise bereits ropäischen Partner, zu einer „shotgun
Schulden- und Liquiditätskrise wurde und vor zehn Jahren durchgemacht, sie hat- marriage“, oder es kommt über kurz
endlich in multiple Solvenzkrisen mün- ten einen Herzanfall und haben sich da- oder lang zum Bruch. „Und natürlich ist
dete, nicht zu Ende. nach auf Diät gesetzt: keine Exzesse, es fraglich, ob die Völker Europas zu ei-
„Die augenblickliche Politik tut so, als keine Schulden. „Die westliche Welt da- ner so unromantischen Heirat bereit
sei eine Liquiditätskrise zu meistern“, gegen war verliebt in Kredit und Schul- sind.“
sagt Rogoff, „als ginge es darum, nur aus- den, sie sagte: Wir sind die fortgeschrit- Den Deutschen komme die entschei-
reichend Kredite zu verteilen, bis das tenen Volkswirtschaften, wir bekommen dende Rolle zu, sagt Rogoff. Und sie
Wachstum wieder anspringt. Aber diese keine Probleme, alles ist toll so.“ Es sei sollten sich, wenn sie an Griechenlands
Diagnose ist falsch. Wir haben eine Sol- ein Zustand der kompletten Realitäts- Rettung denken, die Lage nüchtern an-
venzkrise, wir haben euro- schauen. Sie sollten, sagt er,
päische Länder und Regio- nach Italien schauen, wie
nen, die fundamental bank- dort Norditalien seit 90 Jah-
rott sind. Kein Kredit dieser ren für Süditalien die Rech-
Welt, und wäre er noch so nungen bezahlt. Und sie soll-
groß, wird Griechenland ret- ten sich fragen, ob sie bereit
ten, auch Portugal nicht und sind, in den nächsten 90 Jah-
sehr wahrscheinlich auch ren die Rechnungen Grie-
nicht Irland, und man muss chenlands zu bezahlen.
sich auch in Italien große „Darum geht es, wenn
Sorgen machen.“ über eine Transferunion
Stimmt dieser Befund, geredet wird. Es ist möglich,
dann bedeutet er, dass der ja. Deutschland ist wahr-
neue europäische Kredit- scheinlich stark genug, alle
fonds EFSF, für notleidende Rechnungen zu bezahlen,

KOSTAS TSIRONIS / BLOOMBERG VIA GETTY IMAGES

Euro-Länder eingerichtet, vermutlich bis zu einem
sinnlos ist. Er bedeutet, dass Umfang von 150 Prozent
die neue Politik der Europäi- seiner eigenen Wirtschafts-
schen Zentralbank, Staats- leistung, das würden die
schulden von Ländern zu fi- Märkte irgendwie mitma-
nanzieren, ins Leere gehen chen. Deutschland wäre
wird. Er bedeutet auch, dass dann der Supereuropäer,
Europas Führer, die von Kri- alle würden Deutschland
sengipfel zu Krisengipfel ei- lieben – aber es wäre, ehr-
len, nur Heftpflaster vertei- lich gesagt, für die Deut-
len, wo eine Operation an Griechischer Ministerpräsident Papandreou: Schuld und Schulden schen ein Risiko, das an
den inneren Organen der Wahnsinn grenzt.“
Union nötig wäre. „Es muss jetzt darum verleugnung gewesen, mit verheerenden Wenn ihn Politiker dieser Tage um Rat
gehen, die Schulden zu kappen“, sagt Ro- Folgen für Europa: „So konnte die Krise fragen, schlägt Rogoff vor, mit dem Schul-
goff, „den Konkurs zu erklären und neu sich ausbreiten, von der Peripherie zum denschnitt so schnell wie möglich zu be-
anzufangen.“ Griechenland sei so über- äußeren Kern und nun langsam zum in- ginnen, und auch diese Lösung würde
schuldet, dass das Land nur eine Zukunft neren.“ sehr teuer. Um die betroffenen Länder
habe, wenn 50 bis 75 Prozent seiner Gleichzeitig steuere „das große Zeit- nicht einfach in den Abgrund zu stoßen,
Staatsschulden abgeschrieben werden, alter des billigen Kredits“ auf seinen Hö- müsste Europa – und vorneweg Deutsch-
und in Irland und Portugal sehe die Lage hepunkt zu, wie sie es bei Pimco nennen. land – eine Formel finden, wie mit den
nicht viel anders aus. „Groß im Sinne von überdimensioniert“, Bankrotteuren umzugehen sei.
„Es kann jetzt nicht mehr darum gehen, sagt El-Erian. Rogoff könnte sich vorstellen, dass die
den Märkten vorzuspielen, dass Europa Wenn in Europa jetzt nicht die schwe- Europäer die Schulden der Zentralregie-
handlungsfähig ist, indem es sich aus der ren Medikamente zum Einsatz kämen, rung eines Landes garantieren, aber nur
Krise mit einem immer größeren Scheck sagt El-Erian, trotz unangenehmer Ne- diese. Das hieße im Fall Irlands, dass die
freikauft. Den Scheck, der groß genug benwirkungen, werde die Infektion bald Garantien für die Banken nicht übernom-
wäre, am Ende Spaniens Schulden oder das Herz und das Gehirn erreichen: men würden. Es hieße im Fall Spaniens,
Italiens Schulden zu bezahlen, gibt es Frankreich und Deutschland. dass die immensen Schulden seiner Kom-
nicht. Die Märkte haben den Glauben ver- Die Krise habe klein angefangen, aber munen, Barcelonas etwa, das Problem
loren.“ sie mutiert und kontaminiert das ganze Spaniens blieben. Es hieße im Fall Grie-
Mohamed El-Erian, der Chef von Pim- globale System, und das passiert nicht, chenlands, dass die nötigsten Aufwen-
co, Herr über 1,3 Billionen Dollar Staats- weil es an Analysen, sondern an Mut zu dungen des Staates bezahlt würden, aber
anleihen, sagt, er habe kein Interesse am schwierigen Entscheidungen mangelt. auch nicht mehr.
Untergang der Euro-Zone, es gebe keinen Frustriert ihn die Unfähigkeit der euro- Es hieße, dass Europa sehr schweren
Gewinn daraus zu ziehen, im Gegenteil, päischen Regierungen, die Krise zu lösen? Zeiten entgegenginge. „Das ist das Pro-
mit jedem Tag werde es schwerer zu in- „Nein, sie macht mir Angst.“ blem der großen Krisen“, sagt Kenneth
D E R S P I E G E L 3 9 / 2 0 1 1 73
 Titel

Rogoff, „sie zeugen am Ende wesentlich Zone in finanziellen Schwierigkeiten schen den Staaten, die – wie Griechen-
mehr Verlierer als Gewinner.“ sind – zukünftig mit 211 Milliarden Euro land – tatsächlich insolvent sind und kei-
Das ist das Szenario des amerikani- haftet statt wie bisher mit 123 Milliarden. ne Chance haben, ihre Schulden jemals
schen Finanzkrisenforschers, europäische „Mit hoher Wahrscheinlichkeit“ sei „nicht zurückzuzahlen. Und anderen, die nur
Politiker wie Jacques Delors halten an ih- mit einer Inanspruchnahme zu rechnen“, ein kurzfristiges Liquiditätsproblem ha-
rer Vision vom großen Europa fest. Dass steht in der Einführung des Gesetzes. ben. Dann müssten die Banken mit staat-
die Euro-Zone auseinanderbricht, im Gro- Und da wird die Sache für einige Ab- lichem Geld versorgt werden, damit das
ßen und Ganzen, kann sich Jacques De- geordnete – vor allem der Regierungs- Finanzsystem nicht kollabiert, wenn die
lors, der Gründervater des modernen koalition – kompliziert. Was sie hören von Geldhäuser einen Teil der Staatsanleihen
Europa, nicht vorstellen. „Es wäre zu teu- Experten wie Rogoff, El-Erian und ande- in ihren Bilanzen abschreiben müssen.
er, ich denke, dass dieses Risiko niemand ren, was sie in der Zeitung lesen über Schließlich müssten die Aussteiger weiter
eingehen will.“ Europa sei eine morali- Griechenland, lässt sie nicht daran glau- gestützt werden, denn Europa kann nicht
sche Verpflichtung, die Politiker unserer ben. Mit ihrer Zustimmung würden sie einfach zusehen, wenn Länder wie Grie-
Zeit hätten das anscheinend vergessen. ein weiteres Tor zur Transferunion auf- chenland im Chaos versinken.
„Sie rennen herum wie planlose Feuer- stoßen, argumentieren sie, und was dann Horst Reichenbach wird also in jedem
wehrleute, und sie glauben immer noch, komme, wisse niemand. Auch den Abge- Fall gebraucht, der Leiter der EU-Task-
alle Feuer löschen zu können.“ Es brauch- ordneten, die zustimmen wollen, ist nicht Force zieht bei seiner ersten Tour durch
te dafür aber eine starke Zentrale in Brüs- klar, wohin diese Politik der immer neuen die Athener Ministerbüros in eine
sel, sagt Delors, die den Ein- Schlacht gegen zwei Jahr-
satz koordiniert, es brauchte zehnte Misswirtschaft, hun-
neue, robuste Institutionen. dert Jahre Langsamkeit und
Der Euro-Romantiker den Stolz auf 3000 Jahre Ge-
Jacques Delors, der Schul- schichte. Mathematiker ist
denhändler Mohamed El- Reichenbach, Ökonom auch
Erian, der Weltökonom Ken- und ein Technokrat mit jahr-
neth Rogoff, sie haben einen zehntelanger Erfahrung in
ganz unterschiedlichen Blick der Brüsseler Bürokratie, ins-
auf die europäische Krise. gesamt ein wohltemperierter
Die Abgeordneten des Deut- Herr mit einer Ausstrahlung
schen Bundestags, die in die- von äußerster fachlicher wie
ser Woche über die Auswei- ästhetischer Strenge. Ein Ab-
tung des Rettungsschirms für gesandter aus einer anderen
den Euro abstimmen, müs- Zeitzone, ein Abgesandter
sen zwischen diesen Blick- aus der Zukunft.
winkeln und einem halben Reichenbach resümiert,
Dutzend anderer entschei- während er vor einem Auf-
den. zug wartet, er fühle sich

LUCA BRUNO / DDP IMAGES / AP

Den Austritt Griechen- „überall äußerst willkom-
lands, Portugals und Irlands men“, und er erklärt sich das
aus dem Euro empfiehlt der damit, dass er ja der „good
große Spekulant und Hedge- guy“ sei in diesem Spiel,
fondsmanager George Soros. während die Vertreter der
Euro-Bonds und noch mehr sogenannten Troika, beste-
Staatsverschuldung schlägt Italiens Regierungschef Berlusconi: In die EU geschummelt hend aus EU-Kommission,
der Nobelpreisträger Joseph Internationalem Währungs-
Stiglitz vor. Verschuldung ohne Austritt Krisenprogramme und Rettungsschirme fonds und Europäischer Zentralbank, die
oder mit Austritt, einen europäischen Fi- letztendlich führt. „Auf Sicht fahren“ über die Einhaltung der Auflagen wa-
nanzminister oder gleich eine europäi- nennt die Kanzlerin diese Nebelpolitik. chen, in Griechenland „mit weniger
sche Wirtschaftsregierung – Vorschläge Am Ende werden nur zwei Möglich- Wohlwollen“ betrachtet würden.
zur Lösung der Euro-Krise fliegen durch keiten bleiben: eine Transferunion, in der Wenn er durch Athen fährt, sieht die
die Luft, sie sind inzwischen nur noch die starken Länder für die schwachen Stadt vor den getönten Scheiben seines
Ausdruck der Ratlosigkeit von Ökono- zahlen; oder eine geschrumpfte Wäh- dunkelblauen Renault Espace wie eine
men und Politikern. Es gibt kein Vorbild rungsunion, ein Kern-Euro-Land gewis- dynamische europäische Metropole aus:
für diese Krise und kein Rezept, das man sermaßen, dem nur einigermaßen ver- Der Wagen der Task Force kommt schnell
übernehmen könnte. Europas Politiker gleichbare Volkswirtschaften angehören. voran, weil 15 000 streikende Taxifahrer
haben sich und ihre Völker in eine bei- Eine Transfer- und Haftungsunion be- von den Straßen verschwunden sind in
spiellose Lage manövriert, die manchen darf neuer politischer Institutionen, die diesen Tagen.
von ihnen mehr Angst macht als ihren Nationalstaaten müssten einen wichtigen Einmal gerät das Auto ins Stocken, die
Wählern – weil Politiker schon wissen, Teil ihrer Zuständigkeiten nach Brüssel Gegenfahrbahn ist abgesperrt. Langsam
was die Wähler noch nicht mal ahnen. abgeben. Einige Politiker freunden sich zieht Reichenbachs Renault vorbei an ei-
Die Abgeordneten des Deutschen Bun- gerade mit dieser Idee an, sie reden von nem lichterloh brennenden Auto vor der
destags müssen an diesem Donnerstag in einer Wirtschaftsregierung oder sogar US-Botschaft. Reichenbach sagt „Ups!“,
zweiter und dritter Lesung über eine ver- von den Vereinigten Staaten von Europa, schaut aus dem Fenster, dann stellt er fest:
gleichsweise simple Sache abstimmen. ohne zu sagen, was damit konkret ge- „Das sieht nicht ungefährlich aus.“
Das „Gesetz zur Änderung der Gesetze meint ist. FERRY BATZOGLOU, MANFRED ERTEL, ULLRICH
zur Übernahme von Gewährleistungen Wahrscheinlicher ist der zweite Weg, FICHTNER, HAUKE GOOS, RALF HOPPE, THOMAS
HÜETLIN, GUIDO MINGELS, CHRISTIAN REIER-
im Rahmen eines europäischen Stabilisie- einfacher wird er nicht, billiger mögli- MANN, CORDT SCHNIBBEN, CHRISTOPH SCHULT,
rungsmechanismus“ regelt, dass die Bun- cherweise auch nicht. Zunächst müsste THOMAS SCHULZ, ALEXANDER SMOLTCZYK
desrepublik – wenn Länder der Euro- eine Brandmauer errichtet werden zwi-
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