Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
GESCHMACK
Warum wir mögen,
was wir mögen
ISBN 978-3-446-44893-3
Copyright © 2016 by Tom Vanderbilt
First published in the US.
Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel
You May Also Like bei Knopf US.
Alle Rechte der deutschen Ausgabe:
© Carl Hanser Verlag München 2016
Umschlag: Hauptmann & Kompanie, Zürich
Motiv: © Ming Lok Fung / Getty Images und
© Kat Chadwick / Getty Images
Satz: Satz für Satz, Wangen im Allgäu
Datenkonvertierung E-Book:
Kreutzfeldt digital, Hamburg
Für Sylvie,
die wissen wollte, warum
INHALT
Einleitung
Was ist Ihre Lieblingsfarbe
(und warum haben Sie überhaupt eine)?
1
Was hätten Sie denn gern?
Gedanken über unseren Geschmack beim Essen
2
Das Problem sind nicht unsere Sterne,
sondern wir
Geschmack in einer vernetzten Welt
3
Wie vorhersehbar ist unser Geschmack?
Was Ihre Playlist über Sie sagt
(und was Sie über Ihre Playlist sagen)
4
Woher wissen wir, was uns gefällt?
Über Hype und Streit in der Kunst
5
Warum (und wie) sich
unser Geschmack verändert
6
Katzen, Schmutz und Bier
Wie bestimmen Experten, was gut ist?
Schlussfolgerungen
Reine Geschmackssache
Oder doch nicht?
Anmerkungen
Register
»Und ihr sagt mir, Freunde, daß nicht zu streiten sei
über Geschmack und Schmecken? Aber alles Leben ist
Streit um Geschmack und Schmecken!«
Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra
Einleitung
Was ist Ihre Lieblingszahl? Wenn Sie wie die meisten ticken, dann
ist es die »Sieben«. In den westlichen Industrienationen ist Sieben
das Blau der Zahlen. In mehreren Studien der 1970er Jahre wurden
beide so oft gemeinsam genannt, dass die Psychologie sogar vom
»Blue-Seven«-Phänomen sprach, als hätte das eine mit dem anderen
zu tun. 11 Doch lassen wir die Farben für einen Moment außer Acht
und fragen wir uns, warum die Sieben?
Wie bei den meisten Vorlieben ist die Antwort darauf eine
Gemengelage aus kulturellem Lernen, psychologischer Verzerrung,
inhärenten Eigenschaften und Einflüssen des Entscheidungsumfelds.
Die simpelste Begründung ist die einfache Tatsache, dass die Sieben
in unserem Kulturkreis so beliebt ist. Sie gilt als Glückszahl,
vermutlich weil sie die »heilige Zahl par excellence« ist, so ein
Forscher, und in der Bibel und der rabbinischen Literatur immer
wieder auftaucht. 12 Eine Rolle könnte auch spielen, dass unser
Arbeitsspeicher für Ziffernfolgen bei der »magischen« Sieben ins
Stocken gerät (und amerikanische Telefonnummern darum stets
siebenstellig sind). 13
Oder liegt es etwa an der Sieben selber? Fragt man Leute, welche
Zahl zwischen eins und zehn ihnen zuerst in den Kopf kommt,
nennen die meisten die Sieben – und an zweiter Stelle die Drei. Sie
wollen vermutlich eine Zahl nennen, die möglichst »zufällig« wirkt,
und aus geheimnisvollen »mathematischen« Gründen ist das die
Sieben. Wir müssen uns den Gedankengang in etwa so vorstellen:
»Eins oder zehn? Zu auffällig. Fünf? Genau in der Mitte. Zwei?
Gerade Zahlen wirken weniger zufällig als ungerade, oder? Null? Ist
das eine Zahl?« Weil Sieben eine Primzahl ist, erscheint sie von
anderen Zahlen unabhängig und darum zufälliger. Sie steht allein
und verrät kein Muster. Aber so überzeugend das klingen mag,
wenn man den Kontext verändert – etwa: »Denken Sie an eine Zahl
zwischen sechs und zweiundzwanzig« –, ist die Sieben nicht mehr
die erste Wahl. Doch ihr Einfluss wirkt fort:14 An ihre Stelle tritt die
Siebzehn.
Tagtäglich wird von uns auf die eine oder andere Weise verlangt
zu erklären, warum uns das eine besser gefällt als das andere.
Warum haben wir gerade bei dem Song den Sender verstellt oder
gerade diesen Facebook-Eintrag »geliked«? Wieso schmeckt einem
»richtige« Cola besser als Diät-Cola? All diese winzigen
Alltagsentscheidungen sind zum einen bloß eine bescheidene
Möglichkeit, ein wenig Ordnung in unsere Welt zu bringen – etwa
wenn wir unser Frühstück »ordern«: »Wie möchten Sie die Eier?
Brötchen oder Brot? Marmelade oder Honig?« Eigentlich
unbedeutende Entscheidungen, aber jeder hat wohl schon erlebt,
wie unschön es sich anfühlt, wenn der Kellner dann doch das Falsche
bringt. Andererseits kann sich eine Vorliebe auch in ein
umfassendes, tiefgreifendes Geschmacksurteil verwandeln, das
etwas darüber aussagt, wer wir sind: »Ich liebe Country-Musik.«
»Die französische Sprache klingt in meinen Ohren einfach
wunderbar.« »Sci-Fi-Filme gefallen mir überhaupt nicht.«
Warum meine Tochter allerdings plötzlich eine Leidenschaft für
Lieblingssachen aller Art entwickelte, ist bislang kaum erforscht. 15
Leicht alarmiert las ich in einem der raren Artikel zu dem Thema, es
gebe einen Zusammenhang zwischen »Lieblingszahlen« und
Zwangsstörungen. 16 Auch ohne große Theoriegebäude leuchtet es
ein, dass man durch »Lieblingssachen« seine Identität auf
preiswerte, leicht erkennbare Weise verdeutlichen und zeigen kann,
dass man anderen ähnlich und unähnlich ist. Wenn mir meine
Tochter von einer neuen Freundin erzählt, erfahre ich immer zuerst,
wann die Freundin Geburtstag hat, und dann ihre Lieblingsfarbe.
Mancher mag jetzt einwenden, diese flatterhaften Vorlieben
würden sich doch irgendwann auswachsen und als Erwachsene
besäßen wir schließlich einen vernünftigen, verlässlichen
Geschmack. Doch das stimmt nur bedingt. Als wären wir
abergläubisch, zeigen wir beispielsweise ausgeprägte Vorlieben für
Dinge, die sich im Grunde durch nichts von anderen unterscheiden.
Welche Kabine nehmen Sie zum Beispiel auf einer öffentlichen
Toilette? Vorausgesetzt, alle Kabinen sind frei, eher eine Kabine am
Ende oder in der Mitte? Wie eine Studie an einem »öffentlichen
Strand-WC in Kalifornien« zeigt, zweifellos ein Bericht direkt von
der soziologischen Front, bevorzugen die Besucher in der Regel die
mittleren Kabinen. 17 Man hat keinen danach gefragt, aber die
Besucher hatten, ähnlich wie bei der Sieben, vermutlich ihre Gründe
dafür. Die erste Kabine könnte zu nah am Eingang liegen und die
letzte zu weit davon weg. Dann wären die mittleren Kabinen »genau
richtig«. Aber ist das auch die beste Entscheidung? Das hängt von
den Kriterien ab – doch laut dem Mikrobiologen, der die
Bakterienmenge bewertete, sind die beliebtesten Kabinen leider
auch die schmutzigsten.
Und um bei den Toiletten zu bleiben: Es gibt ja nicht wirklich
einen rationalen Grund, warum man das Toilettenpapier besser »von
oben« oder »von unten« abrollen sollte. Oder hat sich das
Toilettenpapier schon irgendwann einmal nicht ordnungsgemäß
abreißen lassen?18 Obwohl es also vollkommen beliebig scheint, wie
man die Klopapierrolle aufhängt, berichtet die Kolumnistin Ann
Landers, dass sie noch nie, ob zu Abtreibung oder Waffengesetzen,
so viele Zuschriften bekommen habe wie zu diesem Thema.
Möglicherweise liegt es am intimen Charakter des Badezimmers,
dass darüber so vehement gestritten wird. Andererseits können
Vorlieben aber auch so schwach sein, dass die Psychologie sie als
»unmotivierte Präferenzen« oder völlig unbegründete Vorlieben
bezeichnet. Unmotivierte Präferenzen sind, so eine Studie, »der
experimentelle Abfall, den die ordnungsliebenden psychologischen
Theorien noch zusammenfegen müssen«. Es könnte sein, dass wir
uns bei diesen Vorlieben nach einer uns unbekannten oder kaum
bewussten Regel entscheiden – ohne eine Entscheidung zu treffen.
Da die meisten Leute allerdings dieselben Vorlieben hegen, darf
man vermuten, dass auch die scheinbar willkürlichste Entscheidung
irgendwelche Gründe hat – also nicht wirklich unbegründet ist.
Aber wo kommen solche Vorlieben her? In einem klassischen
linguistischen Versuch sollten Probanden unter mehreren Wörtern
wie »blick« oder »bnick« dasjenige auswählen, das am ehesten ein
englisches Wort sein könnte. Man muss kein Scrabble-Held sein, um
zu erkennen, dass »blick« am ehesten englisch ist. Einfach, weil es
englische Wörter gibt, die mit »bl«, aber keine, die mit »bn«
beginnen. Doch was, so Adam Albright, Linguist am MIT, wenn die
Leute unter mehreren, offensichtlich nicht englischen Wörtern wie
»bnick«, »bdick« oder »bzick« das auswählen sollen, das ihnen am
besten gefällt? Wie und warum äußert jemand eine Vorliebe für
etwas, wenn es eigentlich keine Entscheidungsgrundlage gibt und er
wählen muss – »Zwangsentscheidung« nennt das die Wissenschaft.
Entscheiden sich die Leute für »bnick«, weil es englischer klingt –
auch wenn das nicht stimmt?19 Oder weil sie einer angeborenen
»phonologischen Verzerrung« erliegen: weil das sogenannte
»Anfangscluster«, die Anfangskonsonanten in »bnick« oder »bzick«,
in ihren Ohren besser klingt? Die richtige Antwort scheint eine
unbeschreibbare Kombination aus Erlerntem und dem zu sein, was
uns von Natur aus besser gefällt. Beides lässt sich kaum
auseinanderhalten. Denn auch, wenn wir etwas erst lieben lernen,
passiert das unterhalb der Bewusstseinsschwelle.
Und das bringt uns zur Farbe Blau zurück. Kurz nachdem meine
Tochter mir ihre Lieblingsfarbe verkündet hatte, besuchte ich
Stephen Palmer in Berkeley, Professor für Psychologie an der
University of California. Er leitet das Forschungsinstitut für visuelle
Wahrnehmung und Ästhetik, das Palmer Lab, und hat mit seinen
Kollegen eine der überzeugendsten Theorien zu unseren
Lieblingsfarben entwickelt.
Wie er mir in seinem engen Büro, dessen institutionelle
Nüchternheit nur durch Palmers Interpretation von van Goghs
Sternennacht ein wenig gemildert wird, erzählt, sei sein Interesse
für Ästhetik durch seine Fotoleidenschaft geweckt worden – und
seine Sternennacht in einem Malkurs entstanden, mit dem er
künstlerische Vorgehensweisen besser verstehen wollte. Wie bei
jeder Kunst müsse man zunächst mehrere Entscheidungen treffen:
Was möchte ich fotografieren? Welche Perspektive führt zu dem
besten Foto? Wie platziere ich das Fotoobjekt? Ambitionierten
Fotografen wie Palmer wird normalerweise geraten, sich an den
»Goldenen Schnitt« zu halten und das zentrale Fotoobjekt entlang
der horizontalen oder vertikalen Linien zu platzieren, die das Bild
dreiteilen. Doch wenn Palmer Leute fragte, wie ihnen ein
bestimmtes Foto gefiel, oder ihnen eine Kamera in die Hand drückte
und sie um eine schöne Aufnahme bat, befand sich das Fotoobjekt
bei der überwiegenden Mehrheit in der Bildmitte.
Was eine neue Frage aufwirft: Warum werden Künstler
angehalten, Bilder zu schaffen, die den Leuten offenbar gar nicht so
gefallen?20 Warum stimmen die Vorlieben von Künstlern nicht mit
denen der breiten Allgemeinheit überein? Um das herauszufinden,
befragte Palmer Kunst- und Musikstudenten – sowie
Psychologiestudenten als Kontrollgruppe – nach ihrer sogenannten
Harmoniepräferenz. 21 Die Probanden lauschten verschiedenen
Komponisten, betrachteten Farbkompositionen und schauten sich
Kreise an, die in Rechtecken an unterschiedlicher Stelle platziert
waren. Alle empfanden mehr oder weniger dasselbe als harmonisch
und etwa Maurice Ravel als harmonischer als den Zwölftöner
Arnold Schönberg. Doch was den Kunst- und Musikstudenten gefiel,
war nicht unbedingt das, was sie als harmonisch bewerteten.
Waren sie einfach nur Snobs? Oder interessiert man sich durch
ein künstlerisches Studium weniger für Harmonie? Oder werden vor
allem Leute mit geringerem Harmoniebedürfnis Künstler? Palmer
ist sich nicht sicher. Menschen, die sich ausgiebig mit Kunst
beschäftigen, bräuchten vielleicht einfach einen stärkeren »Reiz«,
um ihr Interesse daran zu erhalten. »Teilweise liegt es wohl an
einer Art Übersättigung«, sagte er. »Immer dasselbe langweilt.
Zunächst positioniert man das Wichtigste in der Bildmitte, aber
irgendwann wird das fade. Außerdem verlangt der Lehrer ständig
Neues und will, dass sich die Objekte außerhalb der Bildmitte
befinden.«
Doch wir alle, ob Künstler oder Laien, besitzen ein ästhetisches
Empfinden. Bewusst oder unbewusst fragen wir uns unweigerlich,
ob uns etwas gefällt oder nicht. So zeigen Säuglinge schon wenige
Tage nach der Geburt eine starke Vorliebe für Gesichter, die ihnen
zugewandt sind. 22 Doch warum lieben die Leute bloß die Farbe
Blau? Blau steht seit den Anfangstagen der Psychologie, als der
Pionier Joseph Jastrow 1893 Tausenden von Besuchern der
Chicagoer Weltausstellung Farbmuster aushändigte, unangefochten
an der Spitze. 23
Trifft die Farbe einfach einen idealen chromatischen Punkt? Wenn
die Lieblingsfarbe Blau beim Menschen angeboren wäre, müssten
die meisten Säuglinge diese Farbe bevorzugen. Palmer ließ darum in
einer Studie Babys – sofern sie nicht wegen »allgemeiner
Aufgeregtheit« ausschieden – Farbkreise betrachten. 24 Bei
Säuglingen und in geringerem Maße auch bei Erwachsenen gilt die
»Blickdauer« als Zeichen der Vorliebe. Je länger man hinguckt,
desto besser gefällt’s. Derselbe Test wurde zugleich mit
Erwachsenen durchgeführt. Während die erwachsenen Probanden
erwartungsgemäß am längsten bei der Farbe Blau verweilten,
zeigten die Säuglinge nicht nur kein besonderes Interesse dafür,
sondern bevorzugten sogar die bei Erwachsenen normalerweise
unbeliebteste Farbe: »dunkelgelb«. Palmer hat für diese bräunliche
Farbpalette eine eigene wissenschaftliche Bezeichnung: »eklige
Kaka-Farben«.
Was war da los? Palmer und seine Kollegin Karen Schloss glauben,
die ökologische Valenztheorie könne die Farbvorliebe von
Erwachsenen und Säuglingen erklären. Danach gefallen uns nämlich
die Farben der Dinge am besten, die wir besonders mögen. Um ihre
Annahme zu belegen, entwickelten die Forscher eine ebenso
einfache wie elegante Versuchsanordnung. Zunächst musste eine
Probandengruppe angeben, wie gut ihnen 32 Farben gefielen. Dann
bat man eine zweite Gruppe, in 20 Sekunden möglichst viele Dinge
dieser Farbe aufzuzählen. Eine dritte Gruppe musste schließlich
sagen, wie gut ihnen diese Dinge gefielen. Was dieser Gruppe gefiel,
erlaubte eine 80-prozentige Vorhersage darüber, welche Farben sie
mochten. Wie nicht anders zu erwarten, nahm Blau die
Spitzenstellung ein, denn an was denken wir nicht alles bei Blau? An
einen strahlenden Himmel, an sauberes Wasser. Wem gefiele das
nicht, und wer bräuchte das nicht zum Überleben? Hat die
Vorherrschaft von blauen Hemden und hellbraunen Hosen im
männlichen Kleiderschrank also etwas mit der Natur zu tun? »Das
ist der Strand«, erklärte der Journalist Peter Kaplan, als man ihn
einmal auf sein Lieblingsoutfit aus hellblauem Hemd und beiger
Hose ansprach. 25 »Da trifft das Meer auf die Küste.« Und wem
gefällt es schließlich nicht am Strand?
Braungelb schnitt in Palmers Test dagegen eher schlecht ab und
versammelte massenhaft unangenehme Assoziationen auf sich:
dunkler Schleim, Erbrochenes, Eiter oder den Dreitürer AMC Pacer
aus den Siebzigern. Doch warum war die Farbe dann bei Säuglingen
so beliebt?
Das Reizvolle an der Theorie ist, dass unsere Lieblingsfarben, wie
unser Lieblingsessen, danach evolutionär verankert wären – wir
mögen, was uns guttut –, aber ebenso durch adaptives Lernen
erworben würden – wir lernen, womit wir uns gut fühlen. Säuglinge
haben noch nicht gelernt, Kot mit Ekel zu assoziieren – wie alle
Eltern bestätigen werden, die den Kampf am Wickeltisch geführt
haben. Es könnte also sein, so Palmer, »um das Ganze rund zu
machen«, dass Säuglinge das dunkelgelbe bis bräunliche Spektrum
evolutionär bedingt mögen, weil es an die mütterliche Brustwarze
erinnert, von der sie sich eines Tages freiwillig oder durch einen
Lernprozess abwenden.
Die ökologische Valenztheorie wurde auch noch anderweitig
überprüft. So befragten Palmer und seine Kollegen Studenten in
Berkeley und Stanford und stellten fest, dass diese die eigenen
Unifarben denen der Konkurrenzuni vorzogen. 26 Je besser ihnen die
Uni gefiel, desto besser gefielen ihnen auch die Farben. Das deutet
Palmer zufolge darauf hin, dass Farbpräferenzen weniger auf der
Farbe selbst beruhen als vielmehr auf dem, was wir damit
verbinden. Denn dass jemand nach Berkeley geht, weil ihm die
Unifarben gefallen, ist wohl eher unwahrscheinlich. Wenn man
Leuten nur angenehme rote Dinge wie Erdbeeren oder Tomaten
zeigt, gehen die Werte für die Farbe Rot auf der Stelle nach oben.
Präsentiert man dagegen offene Wunden oder Schorf, nimmt die
Leidenschaft für Rot empfindlich ab. Ebenso gefällt den Demokraten
und Republikanern »ihre« Farbe sofort leicht besser, wenn man sie
am Wahltag zu ihren »Parteifarben« Blau und Rot befragt. 27
Auch wer in der Farbenindustrie tätig ist, kann Dinge über
adaptives Lernen erzählen, die der ökologischen Valenztheorie
verdächtig ähneln. Wie die bekannte Farbberaterin Leatrice
Eiseman erzählt – die bei HP schon Monate, bevor Apple mit dem
bahnbrechenden iMac auf den Markt kam, auf einen blaugrünen
Computer drängte –, haben die Leute manchmal vielleicht eine
Aversion gegen Modefarben wie Chartreuse, würden der Farbe
aber dann doch eine zweite Chance geben. »Ich nenne das den
peripheren Blick«, sagte sie mir gegenüber. »Oh, da gibt es gelb-
grün und da auch. Hm, so schlecht ist die Farbe gar nicht. An einem
Hemd sieht sie gar nicht übel aus.« Und plötzlich wisse man gar
nicht mehr, wieso einem die Farbe ursprünglich nicht gefallen habe.
Tom Mirabile, in leitender Position beim Unternehmen Lifetime
Brands, das als eines der ersten bunte Küchengeräte auf den Markt
brachte, hat es so gesagt: »Man sieht die Farbe so oft, dass man
irgendwann denkt, genau die Farbe suche ich.«
Einigen geht die Annahme, alle Vorlieben seien konstruiert,
allerdings zu weit. Sie argumentieren, dass es etwa bei
Konsumgütern »inhärente«, also seit Urzeiten existierende
Vorlieben gebe, die wie verdrängte Erinnerungen nur darauf warten
würden, geweckt zu werden. 28 So habe das iPhone gezeigt, dass die
Leute, anders als vielfach angenommen, keine mechanische
Handytastatur wollen. Doch häufig steckt hinter den angeblich
»natürlichen« Vorlieben jede Menge Kultur. Die Vorstellung etwa,
Mädchen würden von Natur aus Rosa lieben, wird dadurch leicht
verkompliziert, dass Rosa Anfang des vorigen Jahrhunderts als
typische Jungenfarbe galt. 29 Mädchen lieben Rosa
höchstwahrscheinlich, weil sie es bei anderen Mädchen sehen. Denn
selbst wenn Frauen manchen Studien zufolge eher zu »rötlichen«
Farbtönen tendieren, kann das nicht erklären, warum Rosa nicht als
passende Farbe für Jungenfahrräder gilt oder es kaum rote
Mädchenfahrräder gibt. Und wieso sind Damenfahrräder dann so
gut wie nie rosa?
Es setzt quasi eine Rückkopplungsschleife ein: Je häufiger man
eine Farbe sieht und je stärker sie mit positiven Erlebnissen wie der
rosa Geburtstagstorte oder dem dunkelroten Männerhemd
assoziiert wird, desto besser gefällt sie einem. Und je besser sie
einem gefällt, desto häufiger wird sie zu einem positiven Erlebnis
beitragen: Rot ist eine tolle Farbe für einen Ferrari, wieso also nicht
für einen Mixer? »Wir führen in unserem Leben sozusagen Statistik
über die Farben der Dinge, die uns gefallen oder missfallen«, so
Palmer, »und weil wir eine besondere Antenne dafür besitzen, sind
unsere Assoziationen stets aktuell.« So wie meine Tochter ständig
ihre Lieblingssachen umsortiert, »kalkulieren wir all das im
Handumdrehen«, erklärte Palmer. Eine Lieblingsfarbe ist also eine
Art chromatische Bilanz über alles, was uns jemals ein gutes Gefühl
gegeben hat.
***
Vor einigen Jahren fiel mir irgendwann auf, wie oft ich an jedem x-
beliebigen Tag gefragt wurde, ob mir etwas gefiel oder nicht
(manchmal fragte ich mich das auch selber), und wie oft meine
Antwort vage ausfiel.
Oder:
»Wir waren bei dem neuen Thailänder.« »Wie ist er?« »Gut, aber
nicht so gut, wie ich dachte.«
Und natürlich:
Ihre Meinung ist uns wichtig. Bewerten Sie Ihren Einkauf bitte
auf einer Skala von 1 bis 5 (1 = sehr schlecht, 5 = sehr gut).
__________
I Spaßeshalber können Sie jetzt noch versuchen zu erklären, warum international
erscheinende Bücher in jedem Land mit anderen Covern versehen werden.
1
***
Wenn wir in ein Restaurant gehen, freuen wir uns auf gutes Essen.
Doch um herauszufinden, was uns schmeckt und warum, könnten
wir ebenso gut darüber nachdenken, was uns weniger mundet.
Ich habe dabei die Armeerationen im Kopf, die im »Warfighter
Café« auf einer tarnfarbenen Tischdecke vor mir ausgebreitet
lagen. Ich hatte das U. S. Army’s Soldier Systems Center in Natick,
Massachusetts, zu dem das Café gehört, aufgesucht, um die
herausfordernde Aufgabe besser zu verstehen, aus einem
vielgehassten Essen – der Einmannpackung oder EPa – ein
irgendwie schmackhaftes Gericht zu machen. Natick, wie das
Forschungszentrum mit seinen flachen 1960er-Jahre-
Behördenbauten meist genannt wird, beherbergt neben
Tarnforschung, Wind-, Regentunneln und Freifalltürmen auch das
Verpflegungsamt der amerikanischen Armee, das »Combat Feeding
Directorate of the Department of Defense«. »Schon bald auf einem
Kriegsschauplatz in deiner Nähe!«, verkündete der Slogan über
einer Liste mit verschiedenen Gerichten. Gerald Darsch und Kathy
Evangelos, meine Gastgeber, leiten das Verpflegungsamt. »Ein
Panzer muss Diesel tanken, damit er läuft«, sagte Darsch. »Unser
Job ist es, die Soldaten am Laufen zu halten.«
Was mich an dem, was da ausgebreitet vor mir lag – von
transfettfreiem Vanillekuchen über Kräuter-Focaccia bis zum
»koffeinierten Fleischstück« –, am meisten verblüffte: Ich könnte in
drei Jahren wiederkommen und genau dasselbe essen. Ich meine
wirklich genau das.
»Die EPa muss mindestens drei Jahre haltbar sein«, erklärte mir
Darsch. Sie unterliege ihren ganz eigenen Zwängen: »Kraft muss
sich keine Gedanken darüber machen, ob man seine Produkte aus
dem Flugzeug wirft.« Ein Großteil der technologischen Forschung
beschäftige sich darum damit, sicherzustellen, dass Nahrung und
Packung selbst härteste Bedingungen überstehen. Die Sandwiches
würden im nahen Krankenhaus durch den Kernspintomographen
geschickt, um zu gewährleisten, dass sie keine überflüssige
Feuchtigkeit und somit Schimmel enthalten. Doch diese
Herausforderungen seien keineswegs neu. Die Ursprünge der
neuen Natick-Technologie »Hitzesterilisation unter Druck« fänden
sich bereits in dem »Einkoch-Verfahren«, das der Pariser
Meisterkoch Nicolas Appert auf Napoleons Aufruf hin entwickelte,
die Methoden der Lebensmittelkonservierung zu verbessern.
»Napoleon hat mehr Soldaten durch Mangelernährung und
Nahrungsmittelvergiftungen als durch feindliche Kugeln verloren«,
erklärte Darsch.
Aber abgesehen von reichlich Technologie, die in die Haltbarkeit
der Nahrung fließt – »eine Willy-Wonka-Fabrik für
Soldatennahrung«, scherzte Kathy Evangelos –, sei da noch die
ebenso wichtige Frage, wie man den Geschmack der Nahrung
verbessern kann beziehungsweise ihre »Akzeptanz«, wie man hier
sagt. Das ist die simpelste Messlatte für den Geschmack: ob man
bereit ist, etwas in den Mund zu stecken. »Wir wussten, dass wir
möglichst viele Kalorien und Nährstoffe auf kleinsten Raum packen
konnten«, sagte Darsch. »Das hört sich auf dem Papier gut an, doch
haben wir dabei ein winziges Rezeptdetail vernachlässigt. Würden
unsere Soldaten das akzeptabel finden, würden sie das also essen?«
Am Ende des Tages musste die Ration »ansprechend aussehen, gut
schmecken und ein Drittel des empfohlenen militärischen
Nährstoffbedarfs liefern«.
Einer der wichtigsten Kriegsschauplätze des Verpflegungsamts ist
der Kampf gegen die Erwartungshaltung. Denn eine wichtige
Geschmacksregel lautet: Wenn wir erwarten, etwas zu mögen,
steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir es mögen. Armeerationen
blicken leider auf eine lange Geschichte kümmerlicher
Erwartungshaltungen zurück. So brachte der amerikanische
Bürgerkrieg, wie der Historiker William C. Davis in A Taste for War
schreibt, eine Reihe neuartiger Lebensmittel wie »Trockengemüse«
hervor: runde Platten, in denen alles von Kohlblättern über
Pastinaken bis zu »nicht löslichen und unlösbaren Reststoffen« auf
zweieinhalb Zentimeter zusammengepresst war. 67 Durch Kochen
quoll es auf – und erinnerte manchen Soldaten an »verdreckte
Bäche«, auf denen »überall braunes Laub herumschwimmt«. Die
Soldaten tauften es denn auch »totes Gemüse«.
Während die Lebensmittelforschung an schmackhafteren Speisen
arbeitet, versuchen Wissenschaftler wie Armand Cardello vom
Natick seit Jahrzehnten, die psychologische Frage aufzudröseln, wie
Soldaten essen und was ihnen schmeckt. Und ihre Arbeit hat die
Lebensmittelindustrie wiederum enorm beeinflusst. »Welche
Umfrage man auch durchführt, ob es darum geht, warum man sich
für etwas entscheidet oder etwas kauft, ob um den Preis oder die
Ernährung«, sagte Cardello am überquellenden Schreibtisch seines
kleinen Büros, »am Ende kommt es immer auf den Geschmack an.
Und wenn wir über Geschmack reden, dann reden wir darüber, was
uns schmeckt.«
Die Armeeverpflegung bietet oft wenig Anlass, sie zu mögen. Die
Soldaten erhalten eine seltsame Packung mit etwas halbwegs
Definierbarem, die, so Cardello, »drei Monate bei 50 Grad Celsius
im Wüstenlager hinter sich hat«. Vielleicht schmecke es sogar
besser als gedacht, aber die Soldaten würden sich unweigerlich
fragen, welcher alchimistischen Kunst es sich verdankt, dass das
Ganze unter extremen Kampfbedingungen noch essbar ist. Darum
versuche das Forscherteam, die Lebensmittel möglichst so aussehen
zu lassen wie ihr Gegenstück in der echten Welt da draußen. Oder
einfach das Echte zu nehmen.
Darsch zeigte mir eine flache Packung mit der Aufschrift »Toaster-
Gebäck, Brauner Zucker«. »Es ist eine Pop-Tart!«, sagte er. Keine
Armee-Pop-Tart, sondern eine echte Pop-Tart, wenngleich in
armeegrüner Verpackung. Durch Cardellos Studien weiß das
Verpflegungsamt sehr wohl, dass den Soldaten die Pop-Tart besser
schmecken würde, wenn sie so bunt verpackt wäre wie Pop-Tarts
sonst. Warum bekommen sie dann nicht einfach die aus dem
Supermarkt? »Die Verpackung besitzt nicht die
Schutzeigenschaften, die wir brauchen, um Feuchtigkeit, Sauerstoff
und Licht draußen zu halten«, sagte Darsch.
Supermarktlagerfähigkeit ist eben nicht militärische Lagerfähigkeit.
Diese Pop-Tart trägt Kevlar.
Die Antwort auf die Frage, wann und wo genau eine Abneigung in
Vorliebe umschlägt, wird noch dadurch verkompliziert, dass bei
beiden dieselben Gehirnregionen aktiviert werden. 127 So reagiert
offenbar die Amygdala – oder der Mandelkern – im selben Maße auf
Dinge, die wir mögen oder nicht mögen. Vielleicht wird die
Wissenschaft eines Tages einen Weiß nicht-Schaltkreis entdecken
und feststellen, dass wir im Grunde häufig ziemlich unentschieden
sind. Möglicherweise liegt es nur an einer bestimmten Synapse, die
gerade feuert, oder an dem Menschen, mit dem wir zu Mittag essen,
oder an einem Song im Radio, ob wir uns für das eine oder andere
entscheiden.
Doch obwohl unsere Abneigungen und Vorlieben so anfällig für
Verzerrungen und Manipulationen durch unser Gehirn oder äußere
Einflüsse sind, halten wir komischerweise hartnäckig daran fest.
Vermutlich spüren wir instinktiv, wie bedroht und beliebig sie sind,
und klammern darum erst recht. Fest steht jedenfalls, dass unser
Verhältnis zum Geschmack, im buchstäblichen und metaphorischen
Sinne, beim Essen am engsten und persönlichsten ist. Wie
Beauchamp im Monell-Institut zu mir sagte: »Die wichtigste
tagtägliche Entscheidung für jeden Menschen ist, was er sich in den
Mund steckt und was nicht.« Einst ging es dabei um Leben und Tod,
heute nur noch um den persönlichen Geschmack.
Doch das macht unsere Entscheidungen offenbar noch
komplizierter und lässt uns in unserer Wahl noch schwankender
werden. Als wir in dem chinesischen Restaurant saßen, sagte Rozin
über unsere »affektive« Beziehung zum Essen: »Sie ist fundamental,
archaisch und regelmäßig. Nicht so regelmäßig wie unser Atmen,
aber das hat ja auch nichts mit Geschmack zu tun.« Dann hielt er
inne, schob seinen letzten Bissen süß-saure Shrimps auf die Gabel
und steckte ihn in den Mund. »Aber die Öffnung ist dieselbe«, sagte
er dann.
__________
IIUnd dann kommt die Rechnung. Der Komiker Jerry Seinfeld meint darum, wir sollten
die Rechnung besser vor dem Essen bezahlen, und bemerkt: »Wir haben doch gar
keinen Hunger. Wofür sollen wir bloß das ganze Essen kaufen?«
»Aber die Geschmacksurteile begründen an sich auch
gar kein Interesse. Nur in der Gesellschaft wird es
interessant, Geschmack zu haben.«
Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft
Als ich eines Abends auf Netflix nach einem passenden Film suchte,
erschien im Pop-up-Fenster The Rocking Horse Winner – »weil
Ihnen Psycho, Der Stadtneurotiker, Fargo gefallen haben«. Ich
klickte weiter und stieß auf einen britischen Film von 1949. Der
Film, nach einer Kurzgeschichte von D. H. Lawrence, handelte von
einem Jungen, der den Sieger von Pferderennen vorhersagen
konnte, indem er ungestüm auf seinem Schaukelpferd ritt. Ich
kannte weder Geschichte noch Film.
Da sind die algorithmischen Empfehlungssysteme doch wirklich
genial, dachte ich. Mit einer unsichtbaren, mir rätselhaften
Zauberformel fischen sie irgendeinen vergessenen Streifen aus dem
Papierkorb der Filmgeschichte. Doch was hatte The Rocking Horse
Winner mit Woody Allens Kult-Komödie, Alfred Hitchcocks
Psychothriller und dem düsteren Film der Coen-Brüder aus dem
Mittleren Westen gemein? Was an meinem Bewertungsverhalten
hatte zu dieser filmischen Ménage à quatre geführt? Was, wenn ich
den Hitchcock-Film in den Himmel gehoben, der Stadtneurotiker
mir aber nicht gefallen hätte? Hätte man mir dann einen anderen
Film ans Herz gelegt?
Greg Linden, der den bahnbrechenden Algorithmus von Amazon
mitentwickelte, meint, man dürfe nicht zu viel in die Systeme
hineingeheimnissen, auch wenn sie manchmal irgendwelche
merkwürdig passenden Vorschläge machen. »Der Computer
analysiert lediglich, was die Menschen tun«, sagte er. Allerdings
räumten selbst die Computererfinder ein, dass die zunehmend
komplexeren mathematischen Systeme zu HAL-ähnlichen
»Blackboxen« werden könnten, deren Verhalten wir im Einzelnen
nicht mehr wirklich bestimmen oder vorhersagen können, um uns so
wenigstens noch irgendwie damit zu identifizieren. 1
Manchmal habe ich mich auch gegen eine Netflix-Empfehlung
gesträubt: ein Adam Sandler-Film? Soll das ein Witz sein? Doch die
Kehrseite der riesigen Filmauswahl ist, dass wir heute immer mehr
Zeit für die Auswahl des richtigen Films aufwenden müssen. Da mir
in dieser Epoche der gigantischen Möglichkeiten die Zeit fehlt, um
mich durch alte Filmzeitschriften zu kämpfen oder im Plattenladen
die Ramschkisten zu durchstöbern, habe ich irgendwann
eingesehen, dass es durchaus seine Vorteile hat, den Entscheidungs-
und Entdeckungsprozess an Computer outzusourcen. Schließlich
lagern wir unsere Gedächtnislücken ja auch großteils an Google
aus.
Immerhin habe ich meinen Netflix-Algorithmus eine Zeitlang
rigoros trainiert. Ich bewertete jeden Film, den ich sah, und
studierte mit protestantischer Gewissenhaftigkeit alles, was mir
»auch noch gefallen könnte«. Ich wollte dieses Ding so fein
justieren, dass es mit meinem komplexen Geschmacksprofil wirklich
klarkam. Es sollte zur Kenntnis nehmen, dass mir trotz meiner
Begeisterung für den Tanz der Teufel nicht einfach jeder Horrorfilm
gefiel. Es sollte nicht nur wissen, was mir gefiel, sondern auch,
warum mir etwas gefiel. Ich verlangte wohl zu viel.
Als ich mich schließlich am Netflix-Hauptsitz im kalifornischen Los
Gatos wiederfand, einem Gebäude mit rotem Ziegeldach, einer
Mischung aus altehrwürdigem Hollywood und La Quinta Inn,
wimmelte es in meinem Kopf daher vor Bewertungssternen. Ich war
geradezu besessen von den Sternen. Ich verschwendete endlose
Gedanken daran, ob ich mir einen Film, der für mich eine
Bewertung von 2,9 vorhersagte, wirklich anschauen sollte – die
Differenz zwischen 2,9 und 3,0 schien mir wie eine Offenbarung.
Filme mit nur einem Stern gehörten geradezu ins Reich des
Verbotenen. Und wenn ich auf einen Film stieß, den ich noch nicht
kannte, der aber eine 4,7-Bewertung für mich prognostizierte,
schwanden mir beinah die Sinne.
Ich wusste, dass ich damit nicht allein war. Die
Computerwissenschaftler, die die prognostizierten Bewertungen bei
Netflix um zehn Prozent verbessern konnten, waren von dem
Unternehmen mit dem berühmten »Optimization Prize« in Höhe von
einer Million Dollar ausgezeichnet worden. Viele kluge Leute hatten
sich dafür stundenlang den Kopf über Dinge wie etwa das
»Napoleon Dynamite«-Problem zerbrochen: Was sollte man mit
Filmen machen, die kaum vorhersehbar polarisierten? Ich stellte
mir vor, ich würde hier in Los Gatos einer Art wohlwollender
Geschmacks-Stasi begegnen, die über alle Filmliebhaber bestens
Bescheid wusste und eine riesige Geschmacksfundgrube ihr Eigen
nannte. Mich interessierten durchaus auch geheime Dinge, die man
mir natürlich nicht verraten würde: Wie stark reagierte der
Algorithmus auf Bewertungen? Wie schnell sickerte in mein
Bewertungs-Ökosystem ein, dass ich einem Film nur 2,7 Sterne gab,
obwohl Netflix 3,2 für mich prognostiziert hatte? Bei welchem Film
gab es die breiteste Verteilung von extrem negativen und extrem
positiven Bewertungen?
Als ich mit Todd Yellin, Leiter für Produktinnovation bei Netflix, im
Top Gun-Raum saß – alle Netflix-Räume sind nach Filmen oder
Fernsehserien benannt –, hörte ich also das Gras förmlich wachsen.
»Ich war im Unternehmen zunächst für die Produktpersonalisierung
zuständig«, sagte er. »Es ging damals darum, wie wir Ratings
erhalten und daraus bessere Prognosen ableiten können und an
welcher Stelle der Benutzerschnittstelle diese angesiedelt sein
sollen.« So weit, so gut. Doch dann sagte er: »Im Lauf der Jahre
weiteten wir dann die Personalisierung aus, und unsere
Begeisterung für die Bewertungsprognosen hat erheblich
nachgelassen.«
Das musste ich erst mal verdauen. Die Begeisterung hat
erheblich nachgelassen. Vermutlich wirkte ich leicht geknickt. Ich
spürte förmlich, dass Yellin mir meine Enttäuschung ansah. Ich war
gekommen, um die raffinierteste Engine zur Geschmacksprognose
bei Filmen besser zu verstehen, und die Leute sagten mir, ihre
Begeisterung für den Geschmack, zumindest in Form einer
Bewertung, habe erheblich nachgelassen. »Bei uns wurden mehr
Filmen und Fernsehserien Sterne verliehen als bei jedem anderen
Unternehmen auf der Welt«, sagte Yellin. »Und wir haben zahllose
Algorithmus-Rezepte für eine höhere Prognosegenauigkeit
entwickelt.« Aber das, so Yellin, war 2005 oder 2006. Meine
schlauen Fragen wirkten auf einmal schrecklich gestrig. Netflix
sollte so viel Zeit und Mühe darauf verwendet haben, das perfekte
bewertungsbasierte Empfehlungssystem zu entwickeln, und hatte
ihm dann einfach den Rücken gekehrt?
Nicht ganz. »Es werden noch immer Bewertungen abgegeben,
und wir betrachten sie weiterhin als nützliche Informationen«, sagte
Yellin. »Aber sie sind mittlerweile zweitrangig.« Zweierlei hat den
Nutzen der Sterne verdunkelt: Erstens, so Xavier Amatriain, Leiter
Empfehlungssysteme bei Netflix, hatte das Unternehmen bei der
Geschwindigkeit der Geschmacksprognosen gewissermaßen das
Ende der Fahnenstange erreicht. »Es ist wie mit vielem in der Welt
der Algorithmen«, sagte er. »Man braucht zwanzig Prozent der Zeit
für eine neunzigprozentige Genauigkeit und achtzig Prozent der Zeit
für die restlichen zehn.« Ob sich die Investitionen in die restlichen
zehn Prozent lohnen würden, war höchst ungewiss – auch wegen der
dadurch zunehmenden Komplexität des Empfehlungssystems, das
schon unter der Last von »Restricted Boltzmann Machines«,
»Random Forests« und »latenten Dirichlet-Allokationen« ächzte.
Und noch etwas hatte sich verändert. Seit dem »Netflix Prize«
war Netflix von einem Unternehmen, das DVDs per Post
verschickte, zu einem Streaming-Dienst geworden. »Wenn die Leute
früher eine Bewertung abgaben«, so Amatriain, »ließen sie uns an
einem Meinungsbildungsprozess teilhaben. Sie fügten ihrer
Warteschlange etwas hinzu und schauten den Film zwei Tage später
an. Dann äußerten sie ihre Meinung und wussten, dass sie damit
langfristig etwas bewirken konnten.« Aber beim Streaming sei das
anders. »Das ist ein völlig anderes Konzept. Wenn einem etwas nicht
gefällt, was soll’s. Man schaut einfach einen anderen Film. Die
Umtauschkosten sind erheblich gesunken.«
Netflix bekam beim Streaming vielleicht weniger explizites
Feedback zu sehen, dafür aber mehr implizites Verhalten. »Heute
können wir die Abspieldaten in Echtzeit verfolgen«, sagte Yellin,
»und die sind aussagekräftiger als das, was man über seine
Wunschfilme sagt.« Netflix weiß heute unendlich mehr darüber, was
und wie man schaut: wann und wo man schaut, an welcher Stelle
man abbricht, was man als Nächstes guckt, ob man etwas mehrmals
anschaut. Auch wonach man sucht – noch ein Geschmackssignal.
Yellin erzählt mir das mit leidenschaftlicher Begeisterung. Er wirkt
mit seinem nervösen Gehabe, dem kantigen Kopf und dem leicht
verhärmten Gesichtsausdruck, der durch den kahlen Kopf noch
verstärkt wird, wie ein allwissender Videothekmitarbeiter aus
Zeiten, als es diese noch gab. Ein Videothekmitarbeiter mit
allumfassendem Einblick, der weiß, was seine Landsleute in den
Videorekorder schieben und an welcher Stelle sie auf »Rewind«
drücken. Wenn das ein Verstoß gegen den Datenschutz sein sollte,
wird das am ehesten daran deutlich, dass man sich nicht länger vor
seinem eigenen Geschmack drücken kann.
Unternehmen wie Netflix haben mit ihren Daten-Petabytes über
Vorlieben und Abneigungen ihrer Kunden, mit den unzähligen
Daumen und Favoriten, nie dagewesene Einblicke in bislang schwer
fassbare Bereiche erlangt: in Urteilsbildung, Äußerung von
Vorlieben oder Geschmacksbildung. Dank der gigantischen
Internetaktivitäten, der sogenannten »digitalen Mundpropaganda«,
fanden die »unerklärbaren« abstrakten Geschmacksäußerungen
Eingang in das empirische Internetsystem mit seinen kollaborativen
Filter-Algorithmen, ausladenden Datensätzen und scheinbar
ununterbrochenen Aktivitätsaufzeichnungen. Die einzelne
Bewertung, ob Daumen oder »Like«, ist dabei im Grunde nutzlos,
weil sie unter dem Problem des »Lippenbekenntnisses« leidet, wie
Raymond Fisman es nennt. 2 Erst in der Gesamtheit und durch die
schiere Zahl können das Geraune gefiltert, Ausreißer aussortiert
und eine statistische Meinung gebildet werden.
Soziologen wie etwa Pierre Bourdieu – der vielleicht mehr über
den Geschmack nachgedacht hat als irgendwer sonst und auf den
wir noch zurückkommen werden – standen stets vor dem Problem
der Selbstaussage. Leute nach ihren Vorlieben zu befragen ist nicht
dasselbe, wie ihr Verhalten zu beobachten. Zum Glück für die
Forschung kann man im Internet zunehmend zuverlässiger
beobachten, was jemand tut, und zwar unabhängig davon, was er
sagt. Fast alle Bereiche des menschlichen Geschmacks, die einst
Bourdieu interessierten, werden im Internet tagtäglich in
Größenordnungen erfasst, von denen jeder Soziologe nur träumen
kann. Welche Musik gefällt Ihnen? (Spotify, Pandora) Wie sieht Ihr
Idealgesicht aus? (OkCupid, Match.com) Welche Fotoobjekte sind
ideal? (Flickr, Instagram)
Während Netflix sich früher stark darauf verließ, was die Leute
über ihre Vorlieben sagen, und damit einen relativ neuen
Ausgangspunkt für sein Empfehlungssystem nutzte, setzt das
Unternehmen heute schwerpunktmäßig darauf, was die Leute
tatsächlich gucken. 3 »Das hat viele Vorteile«, sagte Amatriain.
»Was übrigens auch damit zu tun hat, dass die Leute häufig zu
Wunschbewertungen tendieren. Sie geben an, was sie gern schauen
würden oder was für ein Filmkonsument sie gern wären.« Wie
Carlos Gómez Uribe, Netflix-Leiter Produktinnovation, erläuterte,
»gibt beispielsweise ein relativ hoher Prozentsatz an, häufig
ausländische Filme oder Dokumentarfilme zu schauen, obwohl das
in der Praxis eher selten vorkommt.«
Mein Mann und ich stießen eines Abends auf diesen Ort »abseits
ausgetretener Pfade«, als wir in der Dunkelheit auf einem
Wüsten-Highway unterwegs waren. Das Zimmer war ein
bisschen altmodisch – mit Spiegeln an der Decke (LOL) –, aber
erfreulicherweise bekamen wir überraschend ein kostenloses
Upgrade. Es gab sogar eisgekühlten Champagner auf dem
Zimmer! Aber es war leider sehr laut: Mitten in der Nacht
wurden wir durch Stimmen aus dem Schlaf gerissen, die von
irgendwo auf dem Korridor kamen. Ich bin derselben Meinung
wie der vorige Bewerter: Der Ort ist »such a lovely place!«. Aber
ich habe doch eher gemischte Gefühle. Am schlimmsten waren
meiner Meinung nach die Check-out-Regeln, die ich absolut
unannehmbar fand.
Falsch ist die Nummer zwei. Forschern der Cornell University ist es
gelungen, eine selbstlernende Software zu entwickeln, die mit 90-
prozentiger Sicherheit feststellen kann, ob eine Bewertung echt ist
oder nicht. 34 Die Trefferquote ist damit weitaus besser als die, die
ein geübter Mensch normalerweise erzielt. Wir leiden nämlich
unter anderem unter dem »Wahrheitsbias«: Wir nehmen gern an,
dass Menschen die Wahrheit sagen.
Bei der Entwicklung des Algorithmus konnte das Cornell-Team auf
die jahrzehntelange Forschung zum Sprechverhalten von
Plaudertaschen zurückgreifen. »Erfundene Berichte« sind weniger
detailgenau, weil der Sprecher nicht wirklich vor Ort war. Die
gefälschten Hotel-Bewertungen enthielten, so die Forscher, weniger
Angaben zu Details wie Zimmergröße oder Lage. Sie verwendeten
außerdem mehr Superlative wie das Beste! oder das Schlimmste!
Weil Lügen anstrengend ist, sind falsche Bewertungen in der Regel
auch kürzer. Außerdem verwendet man beim Lügen eher Verben als
Substantive, weil es leichter ist, zu beschreiben, was man getan hat,
als wie etwas beschaffen ist. 35 Und man benutzt tendenziell
weniger Personalpronomen als ehrliche Sprecher, vermutlich, weil
man zwischen sich und dem Betrug eine gewisse Distanz schaffen
will.
Aber gibt es in dem obigen Täuschungsmanöver nicht jede Menge
Personalpronomen? In Fake-Bewertungen, so das Cornell-Team,
beziehen sich Menschen tatsächlich häufiger auf sich selbst, weil sie
wahrscheinlich hoffen, so glaubwürdiger zu klingen.
Interessanterweise werden in falschen Negativbewertungen aber
weniger Personalpronomen verwendet als in positiven. 36
Anscheinend ist die Distanz wichtiger, wenn die Lüge noch dazu
gemein ist. Im Internet ist das Lügen, so darf man annehmen, zudem
einfacher, weil man nicht aus dem Stegreif und Aug in Aug etwas
erfinden muss. Wie einfach genau? Review Skeptic, eine von einem
Cornell-Teammitglied entwickelte Website, stufte zumindest meine
erfundene »Hotel California«-Bewertung als glaubwürdig ein. 37
Gefälschte Bewertungen sind Realität und zeitigen zweifellos
wirtschaftliche Folgen. Die geballte Aufmerksamkeit, die die
gefälschten Bewertungen in den Medien genießen, und die
gewaltigen Anstrengungen, sie automatisch herauszufiltern, könnten
nun zu der bequemen Annahme verleiten, alle anderen Bewertungen
seien schlicht und ergreifend »wahr«. Sie sind nicht bewusst
gefälscht, doch gibt es noch endlose andere versteckte und offene
Verzerrungen und Fehlerquellen.
Ein Problem liegt schon darin, dass kaum jemand Bewertungen
schreibt. Bei einem Online-Händler waren es nicht einmal fünf
Prozent der Kunden – was man kaum als demokratisch bezeichnen
kann. 38 Zudem unterscheiden sich die ersten Produktbewerter von
denen, die sich erst ein Jahr später äußern. Und sei es nur, weil jede
Bewertung die nachkommenden beeinflusst. Hinzu kommt, dass man
vermutlich von vornherein positiv eingestellt ist, wenn man etwas
auf einer Internetseite kauft. Wer auf Amazon ein Buch bewertet,
das er woanders gekauft hat, so Simester und Anderson, beurteilt
das Buch mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit negativ.
Schließlich motiviert einen vor allem eine besonders positive oder
negative Erfahrung, eine Bewertung zu schreiben. Die Bewertungen
zeigen daher eine tendenziell »bimodale« Verteilung: Es gibt
überdurchschnittlich viele Sterne im oberen und unteren Bereich.
Man nennt das »j-förmige Verteilung« oder etwas plastischer das
»Angeber- und Meckerer-Phänomen«. 39
Die Verteilungskurve ist j-förmig und nicht Zuckerstangen-förmig,
weil es bei Online-Bewertungen noch ein weiteres Phänomen gibt:
das »Positivitätsbias«. So werden auf Goodreads.com
durchschnittlich 3,8 von 5 Sternen vergeben. Auch bei Yelp leiden
die Bewertungen laut einer Analyse an einem »künstlich hohen
Grundstandard«. 40 Die durchschnittliche Bewertung bei TripAdvisor
liegt bei 3,7 Sternen, und wenn ein vergleichbares Appartement bei
Airbnb erscheint, fällt die Bewertung sogar noch höher aus, weil
Eigentümer ihre Gäste bewerten können. 41 Bei eBay gibt es
ebenfalls kaum negative Feedbacks, unter anderem, weil sich
Käufer und Verkäufer in Abwandlung des berühmten
»Ultimatumspiels« gegenseitig bewerten können. 42 Das
Positivitätsbias nahm bei eBay irgendwann so hemmungslose
Formen an, dass das Unternehmen sein System 2009 überarbeiten
musste. Seitdem gewährleistet nicht mehr eine Mindestanzahl an
Sternen den »Mindeststandard« eines Verkäufers, vielmehr muss er
eine bestimmte »Mängelquote«, eine gewisse Anzahl an
Negativbewertungen vorzeigen können. Nur wer auch mal schlecht
ist, kann wirklich gut sein. 43
Vor einigen Jahren hatte auch YouTube ein Problem. Jeder
hinterließ als Bewertung fünf Sterne. »Scheinbar gibt es nur alles
oder nichts«, stellte der Blog der Website fest. 44 Offenbar wurde
die Bewertung in erster Linie als »Genehmigungsstempel« genutzt,
so ein YouTube-Techniker, als ein grundsätzliches »Gefällt mir« und
nicht als »redaktioneller Kommentar«. Die zweitbeliebteste
Bewertung war übrigens ein Stern – für alle, denen es nicht gefiel.
Angesichts des massiv verzerrten, statistisch mehr oder minder
nutzlosen Bewertungssystems entschied sich YouTube dann für
»Daumen rauf« und »Daumen runter«. Aber auch dieses
zweigleisige System ist nicht frei von Mängeln. So wird das
Katzenvideo mit den halbwegs süßen Kätzchen – wenn wir ehrlich
sind, eine ziemlich niedrige Messlatte – mit demselben Gefühl
bedacht wie das weltweit süßeste Katzenvideo. Aber in der
oberflächlichen, schnelllebigen Welt des Internets, in der
Informationen billig und der Tastendruck so gut wie umsonst zu
haben sind, wollen die Menschen vermutlich kein
Bewertungssystem, das so lange dauert wie das Videoerlebnis
selbst. Und darum ist jedes »Like« einfach ein »Like«.
Und dann wäre da noch die Bewertung der Bewertung – oder des
Bewerters. Sehr hilfreiche Produktbewertungen erhöhen die
Wahrscheinlichkeit, dass jemand etwas kauft, besonders wenn es um
sogenannte »Long-Tail-«, also Nischenprodukte geht. 45 Aber diese
Bewertungen leiden an einer seltsamen Dynamik. Frühe
Bewertungen werden häufiger als »hilfreich« eingestuft, und je
mehr Stimmen eine Bewertung auf sich vereinigen kann, umso mehr
Stimmen zieht sie wiederum an. Wenn Bewertungen bei Amazon als
»hilfreich« eingestuft werden, können sie die Verkäufe steigern –
und zwar unabhängig davon, wie viele Sterne das Produkt erhielt. 46
Wann ist eine Bewertung hilfreich? Ein Team der Cornell
University und Forscher von Google untersuchten dazu das
Bewertungsverhalten auf Amazon.com. Wie sie feststellten, nimmt
die Einschätzung einer Bewertung als »hilfreich« ab, wenn die
Anzahl ihrer Sterne vom Durchschnitt der Sterne abweicht. Und
was genau bedeutet überhaupt »hilfreich«? Konnte die Bewertung
bei einer Kaufentscheidung helfen, oder wurde sie als »hilfreich«
ausgezeichnet, weil sie die Aussagen anderer bestätigte? Um diese
Frage zu klären, suchten die Forscher nach Bewertungen mit
identischem Text – wie sie schreiben, eine Praxis, die bei Amazon
offenbar zunehmend um sich greift und bei der ein- und dieselbe
Bewertung für unterschiedliche Produkte verwendet wird. Wie sich
bei der Untersuchung der Bewertungszwillinge dann herausstellte,
wurde jeweils der Zwilling als hilfreicher eingeschätzt, der näher an
der Anzahl der Sterne aller Bewertungen lag. Kurzum: Eine
Bewertung galt unabhängig vom Inhalt als besser, wenn sie eher
dem entsprach, was auch andere sagten.
Ich weiß, dass viele Leute das Buch sehr bewundern. Aber auch
wenn ich anderer Meinung sein sollte als Sie, dürfen Sie nicht
vergessen, dass meine Informationen für alle nützlich sein können,
die noch nicht wissen, ob sie das Buch kaufen sollen oder nicht.
Darum geht es mir. Ich möchte McCarthy oder Ihren persönlichen
Geschmack nicht schlechtreden. Ich möchte das Buch nur unter
einem anderen Blickwinkel besprechen.
Mancher wird nun einwenden, es sei etwas völlig anderes, ob ich ein
Restaurant auf Yelp, Bücher oder Salatschleudern auf Amazon oder
Filme auf Netflix bewerte. Dennoch führt im Internet eine seltsame
Meta-Logik Regie: Normalerweise ordnet keiner ein Werk in den
historischen Kontext ein oder zerbricht sich über ähnliche Dinge
den Kopf, für die Kritiker früher einmal bezahlt wurden. Jeder
schreibt nur über sein Konsumerlebnis.
Wie eine »Inhaltsanalyse« zu den Unterschieden zwischen
herkömmlichen Kritikern und Online-»Mundpropaganda« anhand
von Filmrezensionen im Internet ergab, äußern sich Kritiker
regelmäßiger als durchschnittliche Kinobesucher zu Plot, Regie und
Schauspielerleistung. 66 Wenn sie allerdings von sich selbst
sprechen, weichen ihre Rezensionen interessanterweise stärker
vom Durchschnitt ab. Nichts verweist mehr auf den Geschmack als
das Wörtchen »ich«. Amateurkritiker schreiben dagegen häufiger
darüber, was ihnen der Film persönlich bedeutet – in 33 Prozent der
Filme versus null bei den Kritikern. Zudem bezog sich beinah die
Hälfte der Rezensionen der Kinogänger auf herkömmliche
Filmkritiken, während – logischerweise – kein Kritiker die
Besprechungen durchschnittlicher Kinobesucher erwähnte. 67
Während uns Kritiker also sagen, warum uns ein Film gefallen
sollte – oder nicht –, reden durchschnittliche Kinogänger eher
darüber, warum ihnen etwas gefallen hat. Komischerweise wird
Kritikern häufig vorgeworfen, sie würden ihren Geschmack »allen
anderen« aufzwingen wollen. Doch in Wahrheit ist es genau
umgekehrt: Der Vorwurf stimmt vor allem für »alle anderen«.
Viele haben sich mittlerweile so daran gewöhnt, alles und jedes zu
bewerten, dass man manchmal leicht seltsamen
»Produktbewertungen« etwa von Büroklammern begegnet: »Was
soll man da sagen, es sind Büroklammern!« Vier Sterne! Dass eine
Seite wie Amazon quasi alles verkauft, führt dazu, dass sich vieles
verwischt oder verflacht. So werden Bücher verrissen, weil sie nicht
als E-Book erhältlich sind oder wegen ihrer Schrifttype. 68 Im Netz
verschwimmen die Grenzen der Fachkompetenz. Was kann der
kompetente Kritiker der Büroklammern über die französischen
Gedichte des Symbolismus sagen? Nach welchen Kriterien wird so
etwas wie ein »White Noise«-Gerät bewertet und was befähigt den
Bewerter dazu? Um nur einen Satz zu zitieren: »Das weiße
Rauschen klingt für uns ein wenig zu tief.« Der einsame Kritiker
mag durch die massenhaften Online-Bewertungen vom Thron
gestoßen worden sein. Aber mit seinem Sturz ist der Geschmack in
tausend Stücke zerbrochen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die
Scherben zu sichten und aus den Aussagen anderer über die
Bedeutung, die bestimmte Dinge für sie haben, eine mögliche
Bedeutung herauszulesen.
Doch nun wollen wir die Frage einmal umdrehen: Im nächsten
Kapitel interessiert uns nicht, was wir über unsere Vorlieben sagen,
sondern, was unsere Vorlieben über uns sagen.
__________
III O’Briens Sammlung erhielt bei Goodreads.com 3,75 von 5 möglichen Sternen.
IV Die Zeit war mit dem Film gnädiger. Auf IMDb.com erhielt er 6,5 von 10 Sternen.
»Er glaubte ausgeprägte kleine Vorlieben und
schroffe kleine Abweisungen zu erraten,
einen tiefen Argwohn gegen das Gewöhnliche
und eine eigenwillige Auffassung von dem, was sich gehört.«
Henry James, Die Gesandten
Verschollen im Geschmacksall
So radikal war das Versprechen gar nicht. Und nicht einmal wirklich
neu. Schon 1905 schrieb der deutsche Soziologe Georg Simmel,
dass »Mode einerseits den Anschluß an die Gleichgestellten«
bedeute, »und eben damit den Abschluß dieser Gruppe gegen die
tiefer Stehenden, die Charakterisierung dieser als nicht zu jener
gehörig«. 2 Da wundert es nicht, dass Georg Simmel dies gerade im
viktorianischen Zeitalter schrieb, das auf soziale Distinktion größten
Wert legte. Als Erstes hatten sich die Philosophen in den Salons des
18. Jahrhunderts ernsthaft mit dem ästhetischen Geschmack
auseinandergesetzt, animiert durch das aufstrebende Bürgertum.
Denn, wie die Historikerin Jennifer Tsien schreibt: »Jeder Bürger
hatte das Gefühl, dass er das Recht habe, über Gemälde und Bücher
zu urteilen.«3
Im 19. Jahrhundert verließ der Geschmack dann den Bereich des
philosophischen Sinnierens und wurde zur gesellschaftlichen
Obsession. Da mehr Menschen mehr Geld besaßen, wurde es zu
einer Art Gesellschaftsspiel, das zeigte, wer man war. 4 Die soziale
und kulturelle Identität definierte sich immer weniger über
bewährte Institutionen wie Kirche oder Adel, sondern zunehmend
über Geld: darüber, wie viel man hatte, und vor allem, wofür man es
ausgab. VI Selbst wie man sich kleidete, konnte verraten, wer man
war. Und je unklarer es wurde, wer man war, desto wichtiger
wurde, was man trug.
»Je nervöser ein Zeitalter«, schrieb Simmel, »desto rascher
werden seine Moden wechseln.« Man denke dazu nur an »Das
Einrichtungskommando« des viktorianischen Zeitalters: Als ein
Kunde der oberen Mittelschicht den renommierten Londoner
Innenausstatter Morris & Co. zu Rate zog und Dante Gabriel
Rossetti fragte, wie er sein trautes Heim neu ausstatten könne,
erhielt er prompt die entschiedene und jeder heutigen Reality-Show
würdige Antwort: »Am besten verbrennen Sie alles, was Sie
haben.«5 Der Kunde zeigte sich später voll des Lobes, weil die
Firma zahllose Leute davor bewahrt habe, »inmitten von
Schäferinnen, Vögeln und Schmetterlingen oder geschmacklosen
Ornamenten und anderen stilistischen Verirrungen zu sitzen«.
In einem Roman wie Norden und Süden (1855) von Elizabeth
Gaskell ist die geographische Grenze denn auch in Wahrheit eine
geschmackliche Grenze zwischen der Londoner Gentlemen-
Gesellschaft und der aufsteigenden Kaufmannsschicht im englischen
Norden. Nichts ist zu unbedeutend, um die geschmacklichen
Verwerfungslinien zu berühren: nicht das Tapetenmuster und nicht
die richtige Anzahl der Köstlichkeiten bei Tisch. Die Begriffe »guter
Geschmack« und »schlechter Geschmack« tauchten im Grunde erst
im 20. Jahrhundert auf (dies gilt zumindest für das Englische in der
Google-Buchdatenbank Ngram) und stabilisierten sich dann in den
1950er Jahren, als der »Spießer« zum Mehrheitsbürger wurde – ein
Witzbold definierte ihn einmal als die Leute, »die hoffen, sich
irgendwann an den Kram zu gewöhnen, der ihnen gefallen soll«. 6
Niemand hat die Taxonomie des Geschmacks – was er ist und
wofür er steht – so gründlich ausgelotet wie der französische
Soziologe Pierre Bourdieu. Sein bahnbrechendes Werk Die feinen
Unterschiede von 1979 wurde als »die kopernikanische Wende der
Geschmacksforschung« bezeichnet. 7 Auf Basis von 1217 Franzosen
entwickelte Bourdieu »Geschmacksprofile«, wie heutige Websites es
nennen würden. Er verknüpfte dazu die Methode der
ethnographischen Beobachtung mit einer umfangreichen,
innovativen Umfrage, die alles Mögliche wissen wollte: »Welche drei
der unter genannten Maler sind Ihre Lieblingsmaler?« »Wo haben
Sie Ihre Möbel her?« Sogar, wie die Leute ihr Haar trugen, wollte
er wissen.
All das glich er dann mit den demographischen Daten der
Befragten ab, die er wiederum streng in Gruppen wie »leitende
Angestellte, Ingenieure« oder »klerikale, mittlere Führungskräfte« –
dies sei ein sehr französisches Buch, wie er warnte – unterteilt
hatte. Und schließlich fand er durch statistische Korrelation heraus:
»Die sozialen Subjekte, Klassifizierende, die sich durch ihre
Klassifizierungen selbst klassifizieren, unterscheiden sich
voneinander durch die Unterschiede, die sie […] machen.«8 Das war
nicht unbedingt neu, doch Bourdieu konnte zeigen, wie winzig die
geschmacklichen Unterschiede sein konnten, wie eng sie offenbar
mit der sozialen Stellung zusammenhingen und wie häufig sie
weniger durch das Vermögen als vielmehr durch die Bildung eines
Menschen bestimmt waren.
Die Korrelationen waren beeindruckend: Bei der Musik
bevorzugte die »herrschende Klasse« Werke wie Ravels Konzert für
die linke Hand, die »Mittelklassen« aber die Ungarische
Rhapsodie, die in den Zeichentrickfilmen der Jahrhundertmitte so
beliebt war, während den »unteren Klassen« eher »leichtere« Stoffe
wie An der schönen blauen Donau gefielen. Der Geschmack eines
Menschen ließ sich anhand des »Bildungskapitals« zuverlässiger
vorhersagen als anhand des aktuellen Vermögens. Mehr als Geld
verband die Menschen das Bildungskapital: Während die Pariser
Architekten Kandinsky mochten, waren die Zahnärzte eher für
Renoir.
Und der Geschmack zeigte sich nicht nur darin, welche Filme man
sah. Die Art, wie man darüber sprach, fungierte ebenfalls als kaum
verhülltes Signal des Bildungskapitals, das »den eigenen Rang und
die Distanz zu anderen bekräftigt«. Hat jemand den neuesten »Film
mit George Clooney« gesehen oder den aktuellen »Film von
Alexander Payne«? Wer über den Regisseur spricht, signalisiert,
dass er in der sozialen Hierarchie einen bestimmten Platz einnimmt.
Er besitzt damit einen dezenten Stallgeruch, der Zugang zu einer
Art Club gewährt, ebenso wie wenn man weiß, dass Ray Eames eine
amerikanische Designerin war oder Ortega y Gasset nicht zwei
Personen sind, sondern ein spanischer Philosoph. (Beides gehörte
übrigens zu meinen frühen Irrtümern.)9
Bourdieu betonte wiederholt, dass diese »Gegensätze« nicht nur
in den »kulturellen Praktiken«, sondern auch in banalen Dingen wie
den »Eßgewohnheiten« zum Ausdruck kämen. Er wollte mit den
alten Grenzen aufräumen, die seit Kant den »ästhetischen Konsum«
– Kunst, die uns gefällt – vom »Bereich des ordinären Konsums« –
niederen Vergnügungen wie Essen und Konsumgüter – trennt.
Geschmack sah er überall am Werk: »Der Geschmack ist die
Grundlage all dessen, was man hat – Personen und Sachen –, wie
dessen, was man für die anderen ist«,10 schrieb er. »Die
Wissenschaft vom Geschmack (…) hat jene sakrale Schranke
niederzureißen, die legitime Kultur zu einer separaten Sphäre
werden läßt, um zu jenen intelligiblen Beziehungen vorzudringen,
die die scheinbar isolierten ›Optionen‹: für Musik und Küche,
Malerei und Sport, Literatur und Frisur, zu einer Einheit fügen.«11
Das Hunch-Portal versuchte auf seine Weise, solche »intelligiblen
Beziehungen« zu entdecken. Hunch war quasi Bourdieu zum
Quadrat: Von jeder soziologischen Last befreit, arbeitete die Seite
mit einer gigantischen Datenmenge von 55 Millionen Antworten und
geradezu lachhaft vielen Verhaltensmustern. Längst ging es nicht
mehr nur um Bourdieus Malerei und Essgewohnheiten, sondern
genauso um den Weihnachtsbaum – Natur oder Plastik –, wie man
seine Pommes Frites am liebsten aß oder was man auf die Frage
antwortete: »Hältst du es für falsch, dass man Delphine in
Gefangenschaft hält und ihnen Tricks beibringt?« Mit jeder Antwort
auf eine Hunch-Frage, so Liu, »traten die persönlichen Koordinaten
im Geschmacksdiagramm klarer zutage«. So wie die GPS-
Technologie mit der Triangulation von Längen- und Breitengraden
Ihre Position auf der Erdoberfläche bestimmt, versuchte Hunch, mit
einem System aus 50 Koordinaten Ihre gesellschaftliche Position zu
bestimmen.
Angesichts von Hunchs popularisierter Bourdieu-Anmutung
überrascht es nicht, dass Liu zu seinen MIT-Zeiten manche
Anregung bei dem französischen Soziologen fand. 12 Doch dessen
Forschungsergebnisse stammten großteils aus dem Frankreich der
1960er Jahre, und die Wissenschaft meldete mittlerweile erhebliche
Zweifel an Bourdieus strengen Klassen- und Geschmackshierarchien
an. 13 Einfach gesagt, hielt man Geschmack nicht mehr länger für
eine Strategie der höheren Klassen, um die unteren zu beherrschen,
sondern für ein horizontales System aus koexistierenden
Interessengemeinschaften, den »Geschmackswelten«.
Die traditionellen Geschmacksmarker waren trügerisch geworden
und, zumindest in der Theorie, demokratischer. 14 Wenn bei Hunch
und anderen Internet-Start-ups alle gleich alt wirkten, niemand
mehr ein Büro besaß und offenbar jeder Jeans und T-Shirt trug, war
eine soziale Hierarchie nicht mehr unmittelbar erkennbar. Es schien
vielmehr eine neue Regel zu gelten: Wenn die Einkommensschere
auseinandergeht, gleicht sich das Outfit an. Aber sind die Sandalen,
die Google-Mitbegründer Sergey Brin trägt, wirklich ein
Gegensignal und kleidet er sich so, um seinen Reichtum zu
verbergen?15 Oder sind sie doch noch ein Signal? Dass ich offenbar
keinen Wert auf mein Äußeres lege, ist eigentlich ein
aussagekräftiges unterschwelliges Zeichen meiner Macht. Aber wo
lassen sich die sozioökonomischen Unterschiede noch erkennen,
wenn jeder das gleiche Smartphone auf den Tisch legt? An den
leider unsichtbaren Gigabytes? Oder hebe ich mich gar durch eine
handgearbeitete Straußenlederhülle ab, mit hochglanzpolierten
Initialen in auffälligem Design? Oder durch die gänzlich fehlende
Hülle, weil mir das Schicksal meines Handys egal ist und ich sowieso
bald die nächste Version kaufe? Die ultimative soziale Abgrenzung
könnte auch darin bestehen, gar kein Handy mehr zu besitzen.
Die Signale, sagte Liu, sind unscharf geworden. Das teuer
wirkende Hemd war vielleicht ein Schnäppchen von H&M. Vieles
von dem, was Bourdieu in Die feinen Unterschiede auflistet, hat sich
heute ins Netz verlagert. Der Habitus eines Menschen kommt heute
etwa in dem lässigen Instagram-Foto zum Ausdruck, das den von
den Großeltern vererbten trendigen Vintage-Sessel zeigt oder den
Espresso aus exklusiven Bohnen mit dichter crema – ein Wort, das
vor wenigen Jahren ja noch kein Mensch kannte.
Die besorgte Standortbestimmung von Bourdieu findet sich heute
in den getwitterten »Humblebrags« wieder, in dem Versuch, sein
kulturelles Kapital zur Schau zu stellen, ohne es so aussehen zu
lassen. 16 »Als wir im Taxi saßen, lief gerade unser Song im Radio.
Wie peinlich!«17 So lauten die typischen Tweets von
Nachwuchsbands. Und im Facebook-Profil kann man etwa seine
Musikfavoriten veröffentlichen. Allerdings besser nicht aufs
Geratewohl: Wie eine Universitätsstudie zu Facebook-Konten zeigt,
konnten nur die Favoriten »Klassik« und »Jazz«, aber nicht »Indie«
oder »Dance« andere dazu bewegen, einem zu folgen. Nur Erstere
umgibt ein gewisses Prestige.
Wenn man allerdings wahllos alle Hunch-Daten heranzieht,
können durchaus zweifelhafte Korrelationen und Theorien ohne
Hand und Fuß entstehen. So vermutete Liu, dass Menschen, die das
Kino verlassen, wenn ihnen ein Film nicht gefällt, psychologisch auch
eher bereit seien, sich scheiden zu lassen. »Eine schlechte Ehe ist
wie ein schlechter Film«, sagte er. »Kann man sich davon loseisen
oder nicht?« In solchen Momenten fällt es schwer, in Hunch mehr zu
sehen als ein nettes Datenspielzeug. Doch als wir wieder in der
Decision Lounge saßen, dem einzigen separaten Raum bei Hunch,
führte mir Liu den »Twitter-Prädiktor« der Website vor. Hunch
nahm dazu meine Twitter-Follower und alle, denen ich folgte,
verortete unsere sämtlichen Geschmackskoordinaten und
generierte daraus mein persönliches Geschmacksdiagramm.
»Geschmack per Assoziation«, nannte das Liu.
Dann stellte mir der Twitter-Prädiktor Fragen und versuchte,
meine Antworten zu erraten. »Würdest du bei einem bekannten
Land wissen, ob man die Uhr vor oder zurückstellen muss?« Ja.
»Hast du bei der letzten großen Wahl in deinem Land gewählt?« Ja.
»Schaust du dir Dokumentarfilme an?« Ja. Bis dahin kannte mich der
Twitter-Prädiktor verdammt gut. Ich fühlte mich, als wäre ich auf
der Partnerbörse OkCupid mir selbst begegnet. VII Doch waren diese
Fragen wirklich eng genug gestellt? Oder zeigte sich hier nicht
vielmehr der sogenannte Forer-Effekt, durch den wir uns in
Psychotests oder beim Wahrsager gern wiedererkennen, weil die
Aussagen so allgemein sind?
Die nächsten Fragen schienen da schon spezifischer und nicht so
offensichtlich an Faktoren wie Politik gekoppelt. »Hältst du es für
eine gute Idee, saubere Nadeln an Drogenabhängige zu verteilen?«
»Spielst du auf Facebook Spiele?« »Sollten Ärzte Patienten beim
Suizid helfen dürfen?« Doch Hunch geriet nicht ein einziges Mal ins
Straucheln. Liu überprüfte mein Ergebnis. »19:0 für Hunch.« Hunch
könne die Antworten zu 90 Prozent richtig vorhersagen, erklärte
Liu. Oder wie es Hunch-Gründer Chris Dixon ausdrückte: »Die
Leute in unseren Studien stimmen einfach zu über 90 Prozent der
Zeit mit sich selbst überein.«18
Lamere führte als Beispiel Miley Cyrus an, die seine damals 15-
jährige Tochter vor einigen Jahren anhimmelte. Akustisch, so
Lamere, könne man Cyrus in eine Reihe mit »einigen Singer-
Songwritern der Indie-Szene« stellen. Den Noten nach zu urteilen,
klingen sie ziemlich ähnlich. Doch niemand würde sich bei einem
Musikanbieter als Nächstes diese Singer-Songwriter herunterladen,
wenn er Miley Cyrus gehört hat. »Die kulturelle Unverträglichkeit
wäre einfach zu groß«, erläuterte er.
Was Lamere in der schrägen Sprache des ITlers beschreibt, war
möglicherweise die größte Herausforderung für den lernenden
Computer: der menschliche Geschmack. Menschen beurteilen, ob
Miley Cyrus zu einer Gruppe anderer ähnlich klingender Singer-
Songwriter passt. Menschen beurteilen, zu welchem Musikgenre
ein Musiker gehört und ob etwas unter ein bestimmtes Genre fällt.
Wobei sich die Genres natürlich ständig wandeln.
Die Sängerin Lucinda Williams erzählte einmal, wie sie früher mit
einer Demoaufnahme die Labels abklapperte und ständig abgelehnt
wurde. »Sony hier in L.A. fand, das klinge für Rockmusik zu sehr
nach Country. Wir schickten es also nach Nashville. In Nashville
sagten sie dann: ›Für Country hört es sich zu sehr nach Rockmusik
an.‹«32 Irgendwann veröffentliche schließlich ein englisches Label,
das eigentlich Punk herausbrachte, ihr Album. Und es wurde zur
Benchmark des neuen Genres »Alternative Country« – »whatever
that is«, wie der berühmte Untertitel von No Depression, der
Zeitschrift der Bewegung, besagte. Lucinda Williams’ Song
»Passionate Kisses« schaffte es sogar in die Charts von Nashville,
allerdings in einer von Mary Chapin Carpenter gesungenen Version,
die die Computer von Echo Nest allerdings kaum von der anderen
unterscheiden könnten. 33
Wie Whitman einräumte, gelang es den Algorithmen des
Unternehmens zwar recht gut, die Musik selbst automatisch zu
erfassen – dank über einer Billiarde Datenpunkte aus über 35
Millionen Songs und über 2,5 Millionen Musikerinnen und Musikern
–, »die Beziehung zwischen Hörer und Musik« aber bekamen sie
weniger gut in den Griff. Als ich das Unternehmen besuchte, testete
es gerade eine neue »Geschmacksprofil«-Technologie. Eines fernen
Tages soll sie mittels der Musik auch andere menschliche Vorlieben
erkennen können. In einem Versuch à la Bourdieu korrelierte Echo
Nest die Musikvorlieben von US-Amerikanern mit deren politischer
Zugehörigkeit. 34 »Können uns allein die iTunes-Downloads verraten,
ob jemand Republikaner ist?«, fragte sich Whitman. Einige
Ergebnisse überraschten wenig: Republikanern gefiel öfter
Country-Musik und Demokraten öfter Rap.
Andere Korrelationen verblüfften allerdings. Pink Floyd, so zeigte
sich, gefällt überwiegend Republikanern – trotz des eher liberalen
Erscheinungsbilds der Band. Whitman führte dies vor allem auf die
veränderte Demographie der alternden Fans zurück. Doch im Laufe
der Zeit hat sich auch die Band musikalisch verändert, daher
machte Whitman eine Zweiteilung aus: Die Fans der früheren, mehr
psychedelischen Band mit Syd Barrett neigten stärker den
Demokraten zu. Und Data-Mining förderte noch weiteres zutage:
Den Demokraten gefielen mehr Musikgenres (zehn) als den
Republikanern (sieben). Und wenn jemand die Beatles gut fand,
sagte das nicht das Geringste über seine politischen Präferenzen
aus.
Das am wenigsten aussagekräftige Musikgenre, was die politische
Zugehörigkeit betraf, war interessanterweise Metal. Laut und
rebellisch kann offenbar viele Spielarten annehmen. »Dazu muss
man bedenken, wie viele unterschiedliche Ausprägungen von Metal
es gibt«, sagte Whitman. Allein für »Black Metal« nennt die
Genrekarte von »Every Noise at Once« fast ein Dutzend Varianten:
von Radio-kompatiblen Headbanging-Hymnen bis zu
»kirchenstürmerischem Metal«, wie Whitman es scherzhaft nannte.
Alle Spielarten verbindet ein heftiger, wenn auch frei schwebender
»Freiheitsdrang«, wie es der englische Musiksoziologe Adrian
North mir gegenüber ausdrückte. Vermutlich würde man in den
Tiefen der Metal-Untergenres wie »symphonischer Black Metal«,
»Neo Black Metal« oder »Deathcore« stärkere politische
Korrelationen finden. Vielleicht verbergen sich dort unerschlossene
Wählerschichten von »Mathcore-Liberalen« oder »Synth-Pop-
Sozialdemokraten«. Musik kann uns eine Menge über Menschen
erzählen – wenn man die Musik bloß kennen würde.
Als einen der Gründe, warum gerade Musik, historisch gesehen,
so viel über die Klassenzugehörigkeit eines Menschen aussagt,
führte Bourdieu an, dass musikalische Kenntnisse wie die Fähigkeit,
ein »vornehmes Instrument« zu spielen, so schwer zu erwerben
seien. In Museen und Theatern fände man einfacheres,
preisgünstigeres »kulturelles Kapital«. Doch mit dem Aufkommen
des Grammophons stürzte dieses Argument in sich zusammen. »Man
kann darauf berühmte Musikstücke so einfach hören, wie man ein
Glas Bier bestellt«, bemerkte der Komponist Claude Debussy leicht
pikiert. 35
Heute sind die Reproduktionskosten quasi auf null
zusammengeschrumpft. Und auf Spotify kann man so viele Songs
hören, dass laut Forgotify-Website um 2013 ungefähr 4 der 20
Millionen Tracks nie gespielt wurden – »I need a Girl [with a Car]«
von den Desperation Squads mag seine Qualitäten haben, bei der
Weltöffentlichkeit stieß es auf taube Ohren. Aber was passiert mit
dem Geschmack, wenn die meisten Menschen gleichermaßen
Zugang zu fast der kompletten Musik haben, die jemals
aufgenommen wurde? Wie der Soziologe Richard Peterson schreibt:
»Die Vorliebe für klassische Musik, Rockmusik, Techno oder
Country wird ihre statusbildende Bedeutung kaum bewahren
können, wenn diese laufend weiter kommerzialisiert werden und
einfach zu erwerben sind.«36 Gibt es heute überhaupt noch etwas,
was weniger knapp ist als der Zugang zur Musik?
Aber natürlich hat Bourdieu auch gesagt, die Musik, die man nicht
höre, sage über einen genauso viel aus wie das, was man höre. Die
Liebe zur Oper schloss nach seinen Daten aus, dass einem Country-
und Westernmusik gefiel. Als Peterson und sein Kollege Albert
Simkus jedoch in den frühen 90er Jahren über den Kunstdaten des
Statistischen US-Bundesamtes brüteten, beobachteten sie einen
interessanten Trend: Zwischen 1982 und 1992 begannen die
»Eliten«, vielfältigere Musik zu mögen, darunter sogar die Genres
der »Kulturbanausen« wie Country und Blues.
Peterson und Simkus nannten diese Leute »Omnivores« –
Allesfresser. Doch damit verschwanden nicht sämtliche
Zusammenhänge zwischen Musik und sozialer Schicht. Die Hörer
klassischer Musik waren weiterhin eher älter, wohlhabender und
gebildeter. Und die Hörer weniger prestigeträchtiger Genres
mieteten nicht plötzlich eine Loge in der Oper. Es entstand eher eine
neue Form der »Distinktion«, bei der es weniger um den
symbolträchtigen Ausschluss als vielmehr um breitgefächerte,
inkludierende Vorlieben ging. Es schien also wohl nur so, als würden
Bourdieus alte Kategorien wegbröckeln. Oder taten sie es doch?
Massenmedien und Internet machten plötzlich alle möglichen
Kulturformen zugänglich. Wie der Musikkritiker Nitsuh Abebe es
ausdrückte: »Es gibt einfach zu viel Musik auf dieser Welt, um
wirklich sicher sein zu können, dass das, was einem über den Weg
läuft, wirklich bedeutsamer ist als der ganze Rest.«37
Die alten Eliten schichteten ihr kulturelles Kapital – unter der
Flagge des Allesfressers – um: Sie gingen nun mehr in die Breite als
in die Tiefe und errichteten eher durch waagerechte als senkrechte
Grenzziehungen neue Geschmackshierarchien. 38 Ein Snob zu sein
konnte sich nun als kontraproduktiv erweisen, da man sich so
weniger geschickt durch die verschiedenen sozialen Netzwerke
bewegen konnte. Bei der MP3-Playlist-Kultur – bei der man physisch
nichts besaß – ging es weniger um die Auswahl der richtigen Musik,
sondern vielmehr um eine möglichst vielseitige Auswahl, weniger
darum, Musikgenres von vornherein abzulehnen, als um die
»interessanten« Gründe dafür, sie seinem Mix einzuverleiben – wie
Bourdieu sagte, darum, »dasselbe auf andere Art zu mögen«. 39
Bourdieu hat stets betont, dass die Art, wie wir Dinge
konsumieren, genauso viel über uns sagt wie das, was wir
konsumieren. Der Omnivore, stellte mancher fest, übernehme
einfach die alte Strategie der Oberschicht – die Fähigkeit, so
Bourdieu, »beliebige oder sogar ›vulgäre‹ Objekte zu ästhetisieren«
– und wende sie auf die bis dahin ausgeschlossenen Musikgenres an.
In Kontaktanzeigen in der New York Review of Books, einer
scheinbar ewig sprudelnden Quelle des Geschmacks der gebildeten
oberen Mittelschicht, stößt man auf die »Allesfresser« ebenso
unvermeidlich wie auf Wandern und Frankreich. 40 Um nur ein
Beispiel aus der Ausgabe (pardon, dem kulturellen Kapital) zu
nehmen, die gerade neben mir liegt: »Meine Interessen sind gutes
Essen, anspruchsvolle Filme, spannende Reisen, Kammermusik,
Jazz, Rock …« Subtext: Mein Geschmack ist genauso aufregend
wie ich, aber ich habe Geschmack. Hingegen fällt es schwer, sich
vorzustellen, wie ein 50er-Jahre-Leser mit Hornbrille und
Strickjacke verkündet, er schwärme für Bill Haley genauso wie für
Bebop und Brahms. 41
Es sei nicht etwa so, sagt der Soziologe Omar Lizardo, dass den
Allesfressern diese ganze neue Musik wirklich gefallen würde, aber
es gelinge ihnen offenbar, schwach ausgeprägte, breitgefächerte
Vorlieben, also viele kleine Töpfe, am Köcheln zu halten. Denn
letztendlich kostet es Zeit, Dinge zu mögen. Wie der Soziologe Noah
Marks sagt, verleiben sich die Leute nicht nur die Musik ein, »die
musikalischen Formen verleiben sich auch die Leute ein«. 42 Je mehr
einem ein Genre gefällt, desto weniger Zeit hat man für all die
anderen. Auch bei Echo Nest fielen Whitman die Allesfresser auf:
»Wir haben Hörermodelle mit breitgefächerten Geschmacksprofilen
generiert und das Hörverhalten eine Woche lang mit den
Hörerprofilen der zwölf wichtigsten Radioformate verglichen. Ein
durchschnittlicher On-Demand-Hörer konsumierte in einer Woche
5,6 Radioformate.« Hier hat natürlich schon eine Vorauswahl
stattgefunden. Omnivores suchen in der Regel nach der gigantischen
Vielfalt, die die Online-Dienste bieten. Offenbar wollen die meisten
Menschen aber noch immer die Hits: Laut einer Analyse entfallen
77 Prozent aller Tonträgereinnahmen auf nur ein Prozent aller
Interpreten. 43
Doch sogar die Allesfresser müssen noch Platz für Abneigungen
lassen. Als die Soziologin Bethany Bryson 1996 ebenfalls die
Geschmacksdaten des Statistischen US-Bundesamtes durchforstete,
aber dabei den Schwerpunkt auf die Abneigungen legte, stellte sie
fest, dass bei den »toleranten« Personen Heavy Metal und Rap – so
die etwas grobschlächtige amtliche Einteilung – auf die geringste
Gegenliebe stießen. Das überrascht allerdings nicht: Beide Genres
waren auch bei den Befragten insgesamt am unbeliebtesten. IX
Doch Bryson fand zudem heraus, dass die toleranten Hörer auch
Country und Gospel ablehnten, zwei der drei in der
Gesamtbevölkerung beliebtesten Genres. Warum? »Die bei den
toleranten Personen unbeliebtesten Genres«, so Bryson, »sind jene,
die die Personen mit dem niedrigsten Bildungsniveau am meisten
schätzen.« Bei aller Gefräßigkeit zogen also auch die Allesfresser
sorgsame – und statistisch vorhersagbare – Grenzen um das, was
gefallen durfte – und das wurde wohl weniger von der Musik
bestimmt als davon, wem diese Musik sonst noch gefiel.
Das Gegenstück zum Omnivore ist der sogenannte »Univore«: Er
mag am wenigsten Genres und äußert sich am ablehnendsten
gegenüber den anderen. Univores sind tendenziell Personen mit
geringer Bildung, die einer Gruppe mit niedrigem kulturellem Status
angehören. Peterson erwähnt aber interessanterweise auch
»univore Angehörige der Oberschicht«. Sie seien genauso restriktiv,
nur aus anderen Gründen. Tendenziell bevorzugen Univores, in
einer Art Symbiose, die Genres, die bei den Omnivores am
unbeliebtesten sind. Auch Echo Nest fand dafür Belege, als es mit
seinem sogenannten »Passion-Index« arbeitete. Welche Musiker,
wollte man wissen, »dominieren wirklich die Playlists ihrer Fans«?
Metal-Bands, das Schreckgespenst des Allesfressers, nahmen dabei
großen Raum ein. Metal-Fans wollten ausschließlicher Metal hören
– und nichts anderes – als die Anhänger anderer Genres ihre
Lieblingsmusik. Möglicherweise als Gegenreaktion auf die erlebte
symbolische – und reale – Ausgrenzung errichten Univores ihre
eigenen, mächtigen kulturellen Grenzzäune.
Nehmen wir eine der meistgeschmähten Bands, die
»Horrorcore«X-Rap-Rockgruppe Insane Clown Posse. Die Magazine
Blender und Spin hielten sie für die schlechteste Band aller Zeiten.
Die Gruppe und ihre Fans werden vom breiten Publikum verachtet,
von der Kritik in der Luft zerrissen und genießen nicht einmal die
ironische Anerkennung der coolen, ästhetisierenden Allesfresser.
Trotzdem und obwohl sie, wie das Magazin n+1 betont, kaum
gespielt werden, sind ihre Alben in den Independent-Charts
erfolgreicher als die von den White Stripes, Arcade Fire oder den
Arctic Monkeys. Nur die eigenen Fans, die sogenannten Juggalos,
eine locker definierte, aber sich stark selbstidentifizierende
»Familie«, geben zu, dass ihnen diese Musik gefällt. Was diesen
»proto-utopischen Karnevalsverein«, wie ein Soziologe die Juggalos
scherzhaft nannte, so interessant macht, ist, dass sie einen Großteil
ihrer Anziehungskraft anscheinend aus ihrer symbolischen
Ausgrenzung beziehen; Bourdieu bezeichnete dies als »die
Ablehnung aller Ablehnungen«. 44 »Die werden irgendwie so
akzeptiert, wie sie sind«, sagte ein Juggalo über andere
»Familienmitglieder«. »Du bist, wie du bist. Man muss sich nicht
modisch kleiden oder ein schickes Auto fahren.«
Bei diesen Betrachtungen über Insane Clown Posse hört man
förmlich Bourdieu, der über die bei der Arbeiterklasse beliebten
»populären Spektakel« sagte: »[Sie befriedigen] Geschmack und
Sinne am Fest, am offenen Drauflosen-Reden und am offenen
Gelächter, die befreien, indem sie die soziale Welt auf den Kopf
stellen, indem sie die Konventionen, Anstand und Sitte, für Momente
außer Kraft setzen.« Vielleicht geht es dabei gar nicht um die Musik
selbst, sondern vielmehr um eine Rückkehr zu älteren musikalischen
Ritualen – als die Musik noch kein isolierter, zufälliger
Konsumgegenstand auf einer riesigen Playlist war, sondern ein
Mittel zur Festigung der Gruppenidentität. Dass weder die Musik
noch die soziale Gruppe besonders beliebt sind, festigt den
Gruppenzusammenhalt nur noch. Es geht um die Ablehnung
jeglichen Geschmacks, um eine Oase der Toleranz, die den Sitten
aller anderen widerspricht, auch denen der angeblich so toleranten
Allesfresser. Wie Bourdieu schrieb: »Die Auffassung von dem
Klassifikationssystem [hängt] von der eigenen Stellung innerhalb
der Klassifikationen ab.«45 Oder wie es der Autor Kent Russell
ausdrückte: »Man kann ein Juggalo sein oder White Trash – der
erste Begriff gehört einem selbst, der andere kommt von außen.«46
Menschen stecken die Musik in Schubladen und werden selbst
durch die Musik in Schubladen gesteckt. Das Interessante daran ist,
wie die Schubladen mancher Leute mit der Musik zusammenpassen
oder nicht, die sie wirklich hören. Denn was die Leute über ihre
Abneigungen sagen, verrät häufig mehr über sie als das, was sie
tatsächlich tun.
Die Geschmacksbüchse der Pandora:
Wie kann uns etwas gefallen, das wir gar nicht kennen?
***
_________
V Bei meinem Treffen mit Liu stand der Verkauf der Website an eBay bevor, und
seitdem ist der Zugriff auf die Seite nicht mehr möglich.
VIDas verkündet auch heute noch etwa die Wochenendbeilage der Financial Times
mit dem vielsagenden Titel How to Spend It.
VII Das erinnert an die Szene in Ghost World, wo der Protagonist Seymour erklärt:
»Vielleicht möchte ich niemanden mit meinen Interessen treffen. Ich hasse meine
Interessen nämlich.«
VIIIEnde 2015 wurde allerdings diskutiert, ob es eine solche Option geben sollte.
Jedoch ging es dabei darum, anderen sein Mitgefühl auszudrücken, also schlechte
Nachrichten von anderen zu »disliken«.
IX Zumindest 1996. Wie bei allen einstigen »Außenseiter«-Genres deutet vieles darauf
hin, dass Metal es mittlerweile ins Mainstream-Fach geschafft hat. So trat der Pianist
Lang Lang bei den Grammy Awards 2014 gemeinsam mit Metallica auf – beide
wollten sich dadurch vermutlich legitimieren.
X
Die Website »Every Noise at Once« (http://everynoise.com/engenremap.html) führt
dies allerdings nicht als Genre, dafür aber »Juggalo«, wie die Anhänger der Band
heißen.
XI Als in dem Film Gefühlt Mitte Zwanzig ein hipper junger »Allesfresser«
offensichtlich voller Bewunderung »Eye of the Tiger« von Survivor hört, bemerkt der
von Ben Stiller verkörperte Generation-X-Vertreter: »Ich erinnere mich noch an Zeiten,
als man diesen Song für schlecht hielt.«
4
***
***
***
Weil sich diese Reaktion so richtig anfühlt, sagt Zajonc, ist sie für
uns fast unumstößlich. Natürlich hat das Bauchgefühl, das uns sagt,
wie wir ein Kunstwerk finden, seine Berechtigung. Die Kunstkritiker
richten sich alle naselang danach. Es hilft uns, unsere Welt zu
scannen. Denn was ist der Geschmack schließlich anderes als eine
Art kognitiver Mechanismus, um unsere tägliche Reizüberflutung
irgendwie in den Griff zu bekommen? Dennoch spricht einiges für
eine gesunde Skepsis. Wir interpretieren unser Bauchgefühl nämlich
nicht immer richtig.
Manchmal ist uns sogar unser eigener Geschmack fremd. Haben
Sie von einer Reise auch schon einmal Erinnerungsstücke
mitgebracht? Eine Flasche italienischen Wein vielleicht oder
Kunsthandwerk aus Bali? Bestimmt waren Sie davon begeistert,
doch zu Hause wussten Sie plötzlich nicht mehr, was Sie jemals
daran fanden. Vermutlich waren Sie eigentlich von Ihrem Urlaub in
Italien oder Bali begeistert. »Weil sich affektive Urteile ohne unser
Zutun einstellen«, so Zajonc, »lassen sie sich nicht so leicht
einordnen wie Wahrnehmungs- oder kognitive Prozesse.« Affektive
Urteile sind beeinflussbarer und schwerer zu kontrollieren. Wie uns
ein Gemälde gefällt, wird beispielsweise dadurch beeinflusst, ob und
wie jemand anders es betrachtet. Wenn der Besucher neben Ihnen
beim Anblick des Vermeer lächelt, gefällt Ihnen das Bild eher, als
wenn er die Stirn runzelt. 45 Selbst der mürrische Blick eines
übereifrigen Museumwärters kann Sie aus dem Konzept bringen. 46
Einstellungen oder, genauer gesagt, Gefühle zu ändern ist
anstrengend. »Affekte bleiben häufig selbst dann noch bestehen,
wenn ihre ursprüngliche kognitive Basis schon vollkommen
widerlegt ist«, so Zajonc. 47 Außerdem reagiert unser Gehirn, diese
Mustererkennungs-Engine, auf Unbekanntes nur selten positiv. So
witzelte der Kritiker Clement Greenberg einmal: »Jede originelle
Kunst ist erst mal hässlich.«48 Und was uns nicht gefällt, sehen wir
vielleicht gar nicht. »Ich glaube, bei Kunst müssen wir uns selbst
erst einmal eine Chance geben«, so die Kunsthistorikerin Linda
Nochlin. 49 »Was einem auf den ersten Blick gefällt, ist nämlich nicht
immer das, was einen beim zweiten, dritten oder vierten Hingucken
begeistert.« Die Annahme, wir könnten das »Wesen« eines
Gemäldes sofort erfassen, beruht auf der Illusion, wir hätten alles
darauf gesehen. 50 Doch es sei ihm schon passiert, so der
Kunstkritiker Kenneth Clark, dass er vom langsam fahrenden Bus
aus ein imposantes Gemälde im Schaufenster entdeckt habe, an der
nächsten Haltestelle ausgestiegen und zurückgelaufen sei, aber
»meinen ersten Eindruck aufgrund einer mangelhaften Maltechnik
oder seltsamen Ausführung revidieren musste«. 51
Inwiefern wird unser Geschmacksurteil dadurch beeinflusst, wie
wir durchs Museum gehen? Einer Studie zufolge schlendern die
meisten Besucher so lange durchs Museum, bis ihnen irgendwann
ein Bild ins Auge sticht. 52 Das scheint eine kluge Strategie: Warum
Zeit mit Dingen verschwenden, die einem nicht gefallen? Was einem
zuerst ins Auge sticht, muss allerdings nicht unbedingt das sein,
wonach man sucht. Vielleicht fiel unser Blick unwillkürlich auf ein
großes, auffälliges Werk, das der Kurator als »wichtiges Werk« noch
dazu mittig gehängt hatte, weil er wusste, dass wir dort zuerst
hinschauen. Außerdem sticht uns vor allem ins Auge, was wir zu
sehen erwarten.
Solche Top-down-Einflüsse wirken gewissermaßen wie die
ausführlichen Erklärungen neben Gemälden, die Studien zufolge
beeinflussen, wo Laien bei einem Gemälde hinschauen. 53 In dem
hervorragenden Film Museum Hours besichtigt eine Reisegruppe
den beeindruckenden Brueghel-Raum im Kunsthistorischen Museum
Wien. Vor Die Bekehrung des Paulus bleibt der Reiseleiter
schließlich stehen und erläutert, wie schwierig es sei, das
Blickzentrum des Gemäldes auszumachen. (Wie bei dem Ikarus-Bild
bereits erwähnt, ist dies ein typisches Brueghel-Merkmal.) Könnte
es Saulus sein? Ja, sagt einer aus der Gruppe, das verrate ja schon
der Bildtitel. Aber warum ist der gestürzte Reiter dort am Boden
dann kaum zu sehen? Und warum fällt der »Pferdehintern« weit
mehr ins Auge? Am Ende erklärt der Reiseleiter, nicht ohne
Widerspruch von Seiten der Gruppe, das Blickzentrum sei ein
kleiner Junge, »ein Soldat, zu jung für den Krieg«, dem der Helm
über die Augen rutsche und der sich hinter diesem »kunstvollen
Baum« verstecke. Das sei lediglich seine Interpretation, fügt er
noch hinzu. Doch seitdem ich den für mich bis dahin unsichtbaren
Jungen entdeckt habe, fällt mein Blick zuerst unweigerlich darauf.
Anders als im Theater oder Konzert, so der Kritiker Philip
Hensher, bestimmen wir bei einem Gemälde selbst, »wie viel Zeit
wir ihm widmen«. 54 Die Betrachtungszeit sei »ein guter Maßstab
dafür, wie stark uns ein Werk interessiert«. Der Maßstab ist
allerdings nicht ohne Mängel. Selbst wenn einem ein Bild gefällt,
kann es einen drängen, weiterzugehen, weil es ja noch so viel mehr
zu sehen gibt, das einen genauso interessieren könnte. Etwa dieses
abstrakte Bild von de Kooning:55 Wussten Sie, dass er mit gängigen
Anstreicherfarben gemalt hat, weil er so knapp bei Kasse war? Eine
Rückkopplungsschleife hält uns gefangen:56 Wir widmen uns einem
Gemälde, damit wir es besser verstehen, aber wie viel Zeit wir
davor verbringen, hängt davon ab, wie gut wir es verstehen.
Bei manchen Werken gibt es natürlich eher wenig zu
interpretieren. »Obwohl sich uns die Bedeutung dieses Werks bis
heute nicht erschließt«, schreibt Robert Hughes über Goyas einsam
und verloren ins Ungewisse blickenden Hund, »werden wir
unterhalb einer narrativen Ebene davon berührt«. XVI Dann gibt es
auf Gemälden aber auch Dinge, die niemand wirklich sieht oder
fühlt. So hat ein anderes Werk im Prado, Las Meninas von
Velázquez, beispielsweise seine Bedeutung verloren, die es im
Arbeitszimmer von Philip IV. einst hatte. 57 Der Kunsthistoriker
Michael Baxandall spricht vom »Blick der Zeit«, der den
Nachfahren abhandenkomme: Selbst wenn wir wüssten, wie
sündhaft teuer die Farbe Ultramarinblau einst war, könnten wir die
italienischen Gemälde des 15. Jahrhunderts nicht mehr mit dem
damaligen Blick betrachten und so ihren »exotischen, gefährlichen
Charakter« spüren. 58
Sogar wenn wir meinen, aufmerksam hinzuschauen, können uns
Dinge entgehen: So verbrachten die Besucher des Whitney
Museums einer Studie zufolge zwar mehr Zeit vor den Bildern,
wenn sie einen Audioguide benutzten. 59 Als man sie später aber zu
den Werken befragte, die nicht vom Audioguide erklärt worden
waren, konnten sie weniger darüber sagen als diejenigen, die
einfach nur geguckt hatten. Wer glaubt, er habe »sich nun ein Bild
gemacht« und wisse, welche Gemälde ihm gefallen und welche nicht,
kann in einem Teufelskreis gefangen sein: Wahrscheinlich hat er die
Werke nicht so betrachtet, dass er dafür »belohnt« wird, was
wiederum zu mehr Aufmerksamkeit und zur Entdeckung von
weiteren Details und Belohnungen geführt hätte.
Man begegnet in all diesen Studien immer wieder der Vorstellung
von einer zutiefst emotionalen Reaktion auf Kunst. Die Leute wollen
berührt werden. Sie möchten so etwas wie das Stendhal-Syndrom
erleben und sich durch rein ästhetische Wonnen wie im siebten
Himmel fühlen. Eher »intellektuelle« Reaktionen und weitergehende
Überlegungen, warum einem etwas gefällt, scheinen ihnen eher
suspekt zu sein. Das passt zu Zajoncs Theorie. Es falle dem
Menschen schwer, so Zajonc, über instinktive Gefühle zu sprechen,
weil er Gefühle nonverbal ausdrückte, solange er noch nicht
sprechen konnte. (Unser Gesicht verrät schon, dass es uns nicht
schmeckt, noch ehe wir ein Wort darüber verloren haben.) Wir
greifen darum bei Gefühlen gern nach so vagen Begriffen wie
»cool«, »furchtbar« oder sogar »schön«.
Der Philosoph Ludwig Wittgenstein monierte besonders den
Gebrauch von »lieblich« und bemerkte dazu: »Natürlich benutzen
eine Menge Leute, die sich nicht richtig ausdrücken können, solche
Wörter häufig.«60 Mit Emoticon-ähnlichen Gesichtern – die dann
Jahrzehnte später Einzug in die sozialen Medien halten sollten –
könnten wir unsere ästhetischen Reaktionen besser ausdrücken als
mit solchen Adjektiven. »Selbst bei allseits gefeierten und überall
beliebten Bildern«, so Alain de Botton, »verfallen wir in
schmerzliches Schweigen, wenn uns jemand danach fragt, warum
sie uns gefallen.«61
Darum das Unbehagen angesichts von Kunst:62 Wir sind nicht nur
unsicher, ob uns etwas gefällt (oder gefallen sollte), wir können auch
keinem erklären, warum uns etwas gefällt. Man hat daher auch
schon vermutet, dass uns Bilder desto besser gefallen, je leichter
wir darüber sprechen können. Und manchmal frage ich mich, ob die
Feindseligkeit vieler Leute gegenüber Kritikern, die ihnen angeblich
etwas vorschreiben wollen, nicht eigentlich daher rührt, dass sich
da offenbar jemand so wortreich über das Warum äußern kann.
Wie kann Kunst auf uns wirken? Wie nistet sie sich in unseren
Köpfen ein und verändert uns? Was passiert, wenn wir auf Kunst
»reagieren«? Zeigen wir bei Kunst eine andere biologische oder
neurologische Reaktion als bei einem köstlichen Mahl? Wenn man
bedenkt, wie schwer wir Kunst erkennen, obwohl wir uns gern
davon berühren lassen, dann stellt sich zudem die Frage: Gibt es
unter all den Eindrücken, denen wir in einem Museum oder auch im
Alltag begegnen, welche, zu denen wir uns instinktiv hingezogen
fühlen?
Eines Tages fand ich mich in einem Unternehmen namens
NeuroFocus wieder, in Berkeley, Kalifornien, gegenüber einem
Skaterpark. Ich blickte auf einen Flachbildschirm, wo der Trailer
für Planet Erde im Discovery Channel lief. Die bunten Bilder waren
wunderschön (ein Pilz entfaltete im Zeitraffer seinen Schirm),
eindrucksvoll (Unterwasserbilder von schwimmenden Elefanten)
und spannend (gleich würde der Gepard das gehetzte Zebra töten).
Mit bombastischer Musik untermalt, die dramatisch anschwoll, als
sich ein Hai aus dem Wasser erhob, wirkten die Bilder einfach
gewaltig und erhaben. Doch für die Forscher stellte sich die Frage:
Der Hai war vielleicht aus dem Wasser gesprungen, aber hatte das
mein Gehirn registriert?
»Zu meiner Überraschung gehören Sie zu den wenigen Leute,
denen der Hai nicht sonderlich imponiert hat«, sagte Andrew
Pohlmann, Marketingchef des Unternehmens, später zu mir. Vor uns
auf dem Tisch lag ein sperriger Ausdruck mit dürren, unruhigen
Linien, die irgendwie mit meinen flimmernden
elektrophysiologischen Gehirnaktivitäten zusammenhingen. Um
meine Gehirnaktivitäten zu messen, hatte man mir eine Art
Küchenhelferhaube auf den Kopf gesetzt, mit jeder Menge
eingenähten EEG-Sensoren. Die für die Elektroenzephalographie
notwendige Leitfähigkeit wurde durch einen Leave-in-Haarfestiger
garantiert.
»Es sind 64 Sensoren«, erklärte mir der CEO, A. K. Pradeep.
»Jeder misst das Gehirn zweitausend Mal in der Sekunde: Damit
haben wir in jeder Sekunde 128000 Datenpunkte.« Eine Linie
namens »EXO2« zeigte die größten Zacken. »Das ist ein Blinzeln«,
meinte Robert Knight, Leiter des Helen Wills Neuroscience Institue
an der University of California in Berkeley und wissenschaftlicher
Chefberater bei NeuroFocus. »Ein riesiges Störsignal. Wenn Ihre
Augen nach oben rollen, schicken sie ein Aktionspotential durchs
Gehirn.«
Aber »Störsignale« beiseite: NeuroFocus, ein
Tochterunternehmen des Marktforschungsgiganten Nielsen, suchte
in den Zacken des EEG nach Anzeichen meiner inneren Beteiligung.
Die gigantischen elektrischen Aktivitätsströme sollten ihnen sagen,
ob ich reglos auf den Bildschirm starrte, ob ich wahrnahm und
abspeicherte, was ich sah, oder vielleicht sogar davon berührt
wurde.
Das war ein Traum, den die Werbewelt schon lange hegte. Bereits
Ende des 19. Jahrhunderts hatte Harlow Gale, der an der University
of Minnesota »physiologische Psychologie« lehrte, eine Studie zu
dem »Problem der unwillkürlichen Aufmerksamkeit« durchgeführt,
wie er es nannte. Ihm ging es um Werbung.
Gale ließ die Teilnehmer seines gleichermaßen simplen wie
raffinierten Experiments in einem abgedunkelten Raum Platz
nehmen. Dann beleuchtete er einen Moment lang eine Wand, auf
der verschiedene Zeitschriftenseiten mit Werbetexten und -bildern
zu sehen waren. Anschließend fragte Gale die Probanden, an was
sie sich erinnerten. Gale interessierte sich nicht nur für das, was die
Leute bewusst sahen, sondern auch für die unbewusste Wirkung von
Werbung. »Die linke Hälfte der Zeitschriftenseite ist erheblich
vorteilhafter«, stellte er fest, weil dies den Lesegewohnheiten
entspreche. Bei Männern finde schwarzer Text auf weißem Grund
zudem die meiste Aufmerksamkeit, bei Frauen hingegen roter Text.
Die frischgebackene Psychologie und die neue Disziplin der
Massenwerbung waren eine Liaison eingegangen.
Gale wollte nicht nur wissen, welche Werbung den Leuten auffiel,
sondern auch, warum sie auf die eine stärker reagierten als auf die
andere. Das Experiment hinterließ bei ihm einen bleibenden
Eindruck, der wohl auch für unsere Frage des Kunstgeschmacks
gilt: »Wie unbewusst manche Leute urteilen! Und selbst, wenn sie
es versuchen, können sie keinen Grund dafür angeben!«64
Aber was ist mit den Leuten, denen Kinkade gefällt?XVIII Ist ihr
Kunstgenuss etwa nicht authentisch? Würde ein Gehirnscanner,
wenn wir Kinkade betrachten, eine ebenso starke neuronale
Reaktion feststellen wie bei, sagen wir, Raphael? »Nur wenn es
zwischen der Bedeutung eines großen Kunstwerks und unserem
eigenen Leben eine Verbindung gibt, kann es unseren Geist
erheben«, so der Kritiker Kenneth Clark. 107 Wenn man die
Aussagen von Kinkade-Fans liest, tut seine Kunst genau das. Aber
Clark sagt auch: »Kunst muss mehr sein als nur Vergnügen.«
Warum genau, sagt er allerdings nicht, aber er bringt uns damit
wieder zu Kant und Hume zurück. Wenn wir über Geschmack und
vor allem darüber nachdenken, wie unser Geschmack beschaffen
sein sollte, stehen die Theorien der beiden Philosophen noch immer
im Raum. Kant und Hume lebten in einem Zeitalter, in dem die
soziale Mobilität beängstigend zunahm, sich neue kulturelle
Stimmen zu Wort meldeten, die Urteile über Kunst, Literatur oder
Mode individueller und subjektiver wurden, und daher plötzlich
mehr über den eigenen Charakter verrieten und erschreckend
bedeutungsschwer waren. 108 Die Philosophen wollten den
Geschmacksdiskurs vor den Wirren des puren Relativismus und der
Korruption durch belanglose Launen in Sicherheit bringen. 109
Mit seinem »schwierigen« Werk Kritik der Urteilskraft von 1790
galt Kant lange als der Maßstab, wenn es um ästhetisches
Empfinden ging. 110 Kants Ideal eines ästhetischen
Geschmacksurteils ist allerdings ziemlich rigoros: Man müsse
vollkommen »interesselos« sein. Was nicht uninteressiert heiße,
aber man dürfe bezüglich des fraglichen Gegenstands keine
persönlichen Ziele verfolgen oder Begehrlichkeiten hegen. Gefragt
war die »bloße Betrachtung«. Etwas konnte nur schön sein, wenn es
eine »freie Schönheit« war. Frei von bestimmten Konzepten,
Zuschreibungen, Zwecken oder vorgefassten Meinungen. Etwas von
Kant scheint bis heute in der Neuroästhetik durch, wenn sie nach
»angeborenen« Reaktionen auf ästhetische Objekte wie Pollocks
fraktale Muster sucht und man auf keinen Fall wissen darf, dass es
sich um einen Pollock handelt!
Kants »interesseloses Wohlgefallen« hat natürlich eher wenig mit
dem zu tun, wie wir im Großen und Ganzen Schönheit beurteilen.
Blumen oder Muscheln sind Kant zufolge zwar ebenfalls freie
Schönheiten, doch nur ein Wesen vom fremden Stern – wo es keine
Blumen und Muscheln gibt – kann sie dem Kant’schen Ideal gemäß
betrachten. 111 Wie der Philosoph Denis Dutton jedoch darlegt,
findet man zunächst etwa eine Muschel am Strand und bewundert
sie. Dann entdeckt man noch eine, die oh noch schöner ist! Nun holt
man vielleicht ein Buch aus dem Schrank, informiert sich über die
gefundenen Muscheln, ihre Namen und Klassifizierung. »All das«, so
Dutton, »das Heraussuchen, Einordnen, Vergleichen und
Bewundern, setzt ein Konzept voraus.«112 Selbst die Muschel als
Muschel zu erkennen erfordere ein Konzept. 113
Vielleicht ahnte Kant, dass es beinah unmöglich war, seinem hohen
ästhetischen Maßstab gerecht zu werden, jedenfalls ließ er auch
das bloß »Angenehme« gelten, was allerdings durch unseren
Geschmack korrumpiert sei. Angenehmes würde uns einfach
gefallen, und eben darum, weil es uns gefiel, durften wir von
anderen nicht denselben Geschmack erwarten. Hier melde sich bloß
unser »Privat-Geschmack« zu Wort. Die Werke von Kinkade, fürchte
ich, fallen unter Kants Verdikt: »Das reine Geschmacksurteil ist von
Reiz und Rührung unabhängig.«114 Nicht, dass Schönheit ohne Reiz
oder Rührung wäre, aber sie dürfe sich nicht dadurch definieren.
David Hume musste sich, wenn es um Geschmackssachen ging,
jahrhundertelang mit einem Platz in Kants Schatten begnügen, doch
sein Stern ist in den letzten Jahrzehnten beträchtlich gestiegen.
Philosophische Zeitschriften melden ein »steigendes« Interesse an
dem bislang »unterschätzten« Hume. 115 Vermutlich, weil absolute
ästhetische Urteile in unserem Zeitalter endgültig passé scheinen
oder seine Theorien eher dem entsprechen, wie der Mensch
tatsächlich ist.
Obwohl Humes eigener Geschmack als durchaus fragwürdig
bezeichnet wurde, scheint seine Abhandlung »Of the Standard of
Taste« heute aktueller denn je. 116 Als Philosoph des Empirismus
beschäftigte sich Hume eher damit, wie die Dinge tatsächlich liegen,
als damit, wie sie sein sollten. »Die Geschmacksvielfalt ist so
offensichtlich, dass sie niemandem entgehen kann«, schreibt
Hume. 117 Und das hänge nicht nur, wie Bourdieu später postulieren
sollte, von der Gesellschaftsschicht ab. »Auch die gebildetsten
Menschen kennen jemanden in ihrem engsten Umkreis, der ihren
Geschmack nicht teilt; dabei können sie sogar dieselbe Erziehung
genossen und dieselben Vorurteile eingeimpft bekommen haben.«118
Hume hat ganz richtig erkannt, dass wir zwar sagen Ȇber
Geschmack lässt sich nicht streiten«, den eigenen aber trotzdem
meist als besser empfinden.
Aber das war für Hume okay, und das sollte es auch für Sie sein,
meinte er: »Es ist beinah unmöglich, keine Vorliebe für das zu
empfinden, was zur persönlichen Situation und Disposition passt.«
Natürlich mag man als Teenager die Rockband Van Halen – um
Humes Beispiele Ovid und Tacitus zu aktualisieren –, liebe als 23-
Jähriger dann die Pixies und als 50-Jähriger eher Leonard Cohen.
Wir verurteilen niemanden. Aber wir müssen, so Hume,
Geschmacksurteile fällen. Trotz oder wegen der Geschmacks- und
Meinungsvielfalt »suchen wir vergebens nach einer Norm, die die
verschiedenen Haltungen versöhnt«.
Aber wer soll die Geschmacksurteile fällen? Dafür brauchen wir
laut Hume gute Kritiker. Doch die seien rar: »Nur wenige können
Kunst wirklich beurteilen oder ihr eigenes Empfinden zur
Schönheitsnorm erheben.« Ein guter Kritiker brauche vieles, etwa
einen »erlesenen Geschmack«, womit Hume nicht bloß auf das Auge
anspielte, sondern auch auf den Gaumen. Man hielt »Geschmack«
als sensorisches Erlebnis und als Inbegriff raffinierter Urteilskraft
damals nämlich erst seit kurzem auseinander. 119
Der gute Kritiker brauche zudem Zeit, um »launenhafte und
vorschnelle Schlüsse« zu vermeiden, die sich »störend in das reine
Schönheitsempfinden einmischen.«120 Als wolle er die Kinkade-
Studie erläutern, führt Hume aus, dass gute Kritiker mehrmals
hinschauen müssten. »Eine gewisse überladene, oberflächliche
Schönheit gefällt zwar zunächst«, so Hume. »Doch weil sie weder
Vernunft noch Leidenschaft angemessen zum Ausdruck bringt, wirkt
sie schnell schal und wird schließlich sogar verachtet oder
zumindest geringgeschätzt.«
Möglicherweise sind Ihnen bezüglich Hume bereits einige Zweifel
gekommen, wie sie auch die neuere Philosophie beschäftigen. Spielt
er den Ball nicht einfach wieder zurück, wenn er die
Geschmacksurteile fähigen Kritikern überlassen will?121 Was ist,
wenn zwei hervorragende Kritiker ein vollkommen anderes Urteil
über ein und dasselbe Werk fällen? Ein Kritiker müsse seinen Geist
von »jedem Vorurteil befreien«, betonte Hume, sagte aber auch,
dass man bei der Beurteilung von Werken anderer Epochen oder
Kulturkreise »den besonderen Blick oder die Vorurteile« dieser
Epoche oder Kultur übernehmen müsse. Wollte Hume, so fragte sich
die Philosophieprofessorin Michelle Mason, dass die Kritiker »ihre
eigenen Vorurteile aufgaben, um dann andere zu übernehmen«?122
Hume ahnte, in welch tiefen Sumpf er sich da begab. Er stelle
»unangenehme« Fragen, schrieb er, die ihn auch wieder in den
Tümpel der »Ungewissheit« zurückführen könnten, aus dem er sich
zu befreien versuche. Ein Zeitgenosse von Hume bedauerte, »dass
unser Autor nicht, wie wir erwarten, eine Geschmacksnorm aufstellt
oder bestätigt, sondern uns in Ungewissheit zurücklässt«. 123
Doch Jahrhunderte später wirkt Humes Abhandlung faszinierend
aktuell, wenngleich vielleicht auch nur, weil wir der Antwort noch
kein Stück näher gekommen sind – oder weil sie wie die Bibel viel
Raum für Interpretationen lässt. Hume spreche uns heute so stark
an, meint der Philosophieprofessor James Shelley, weil wir
unbedingt daran glauben wollen, dass es uns gelingen könne, eine
Geschmacksnorm zu finden. 124 Humes einzige Hoffnung bestand
aber lediglich darin, dass man den Geschmacksurteilen der besten
Kritiker die gebührende Aufmerksamkeit zollt. Diese
»gemeinsamen« Geschmacksurteile würden dann durch das Urteil
der Zeit bestätigt werden. »Macht oder Vorurteile mögen einen
schlechten Dichter oder Redner zeitweilig emporheben«, schrieb
Hume, »aber dieses Ansehen wird nie von Dauer sein.« Mit anderen
Worten: Darbietungshäufigkeit allein reicht nicht aus. Kinkade125
mag in einem von zwanzig US-amerikanischen Haushalten hängen,
aber die Werke von Maxfield Parrish126 fanden sich angeblich einst
in einem von fünf. Haben Sie heute noch irgendwo eines gesehen?
127
__________
XII
Eine offensichtliche Hommage an ausgestopfte Affen im Naturhistorischen
Museum von Tokio.
XIII
Es gibt natürlich noch weitere Mitspieler im extravaganten Gerangel um das
Schöne: von Lord Shaftesbury über Edmund Burke bis zu Nietzsche. Doch die
Theorien von Kant und Hume fanden die meiste Beachtung.
XIV Deutsch: Je mürrischer man ist, desto mehr Arschlöcher trifft man.
XV Das hängt natürlich davon ab, auf welcher Seite wir vorher gegangen sind. In
Großbritannien gehen die Leute eher links und wenden sich darum beim Betreten des
Museums nach links.
XVI Interessanterweise wurde die Provenienz des Werks kürzlich in Frage gestellt, was
eine spannende philosophische Frage aufwirft: Muss man sich die Lust am
Unauthentischen als eine authentische Lust vorstellen?
XVIIDie Darmstädter Madonna gilt heute als das echte Gemälde; der Punkt geht also
an die ästhetische Klugheit der Massen. Anfang 2014 wurde es für 70 Millionen Dollar
verkauft.
XVIII
Die gibt es: Man schätzt, dass in einer von zwanzig US-amerikanischen
Wohnungen ein Kinkade hängt.
»Es gefiel mir, wenn mir etwas gefiel,
ehe es cool war, es cool zu finden.«
Joss Whedon
Wenn man mich im Alter von zehn gefragt hätte, wie mein künftiges
Leben wohl aussehen würde, hätte ich mir in etwa Folgendes
ausgemalt: Ich würde einen Trans Am, eine Corvette oder ein
anderes schnittiges Auto fahren. Meine Wohnung würde eine riesige
Flippersammlung beherbergen. Ich würde raffinierte Drinks wie
Baileys Irish Cream schlürfen, Bücher von Robert Ludlum lesen
oder mich mit cooler Sonnenbrille à la Maxell-Werbung auf dem
Sofa fläzen und volles Rohr Van Halen hören. Doch heute, wo ich
mir jeden meiner Wünsche eins zu eins erfüllen könnte, interessiert
mich das alles nicht mehr, wenn wir mal von Flippern in schwachen
Momenten absehen.
Mein zehnjähriges Ich konnte sich nicht nur nicht vorstellen, wer
ich einmal sein würde, sondern genauso wenig, dass sich mein
Geschmack einmal völlig ändern würde. Woher sollte ich auch
wissen, was ich einmal wollen würde, wenn ich nicht wusste, wer ich
einmal sein würde? Der Psychologe George Loewenstein nennt das
»Projektionsbias«. »Der Mensch geht bei seinem Verhalten davon
aus, dass seine künftigen Vorlieben aktuellen Vorlieben ähnlicher
sind, als dies tatsächlich der Fall ist«, schreibt er. »Wir projizieren
unsere aktuellen Vorlieben quasi auf unser künftiges Ich.«11
Wie wir schon in den vorigen Kapiteln über Nahrungsmittel und
Musik gesehen haben, ahnen wir häufig nicht, welche Wirkung es
auf uns hat, wenn wir etwas tatsächlich genießen. Vielleicht wissen
wir sogar instinktiv, dass uns unsere Lieblingsspeise nicht mehr so
gut schmeckt, wenn wir sie zu oft essen, aber wir unterschätzen,
wie viel besser uns manches schmecken würde, wenn wir es nur
öfter äßen. Ein weiteres Problem, so Loewenstein, sei die
psychologische »Salienz« (Auffälligkeit). Wenn uns per Post ein
Konsumgut mit Rabattgutschein angeboten wird, springt es uns
förmlich ins Auge, und wir gehen los und kaufen es womöglich. Doch
schon auf dem Weg nach Hause nimmt die Salienz ab, und wir lösen
den Rabattgutschein nie ein. 12 Als Zehnjährigem fiel mir ein Auto
ins Auge, wenn es »cool« und schnell war. Monatsraten,
Seitenaufprallschutz, Platz für Kinderwagen und Co. oder das
Bedürfnis, den Anschein einer Midlife-Crisis zu vermeiden, sah ich
dagegen nicht.
Und selbst wenn wir merken, dass sich unser Geschmack in der
Vergangenheit verändert hat, glauben wir kaum, dass das in Zukunft
genauso geschehen könnte. Genau davon leben
Tattooentfernungsstudios. 13 Der Psychologe Timothy Wilson und
seine Kollegen nennen das die »Illusion vom Ende der Geschichte«,
der Glaube, dass die Gegenwart endlich der »Wendepunkt sei, an
dem wir zu dem geworden sind, der wir eigentlich sind«. 14
So waren Probanden in einem Experiment, so Wilson, bereit,
mehr für den Auftritt ihrer aktuellen Lieblingsband in zehn Jahren
zu zahlen, als für den Auftritt ihrer Lieblingsband von vor zehn
Jahren jetzt. Das erinnert an unsere Reaktion beim Durchblättern
alter Fotoalben: »Mein Gott, diese Frisur!« oder »diese
Cordhosen!«, rufen wir entsetzt beim Anblick alter Fotos aus. So
wie wir uns auf manchen Fotos befremdlich finden, weil wir uns
normalerweise nicht mit dem Blick der andern betrachten,
überrascht uns unser ehemaliger Geschmack, weil wir ihn durch die
Brille des heutigen Geschmacks sehen. Vermutlich war Ihre
damalige Frisur weder gut noch schlecht, sondern entsprach einfach
dem Zeitgeschmack. Wenn wir so herablassende Sätze von uns
geben wie: »Unglaublich, dass die Leute damals so rumgelaufen
sind«, vergessen wir, dass unser aktuelles Outfit der schlechte
Geschmack von morgen ist.
Die Leute, die sich 1882 im Londoner Auktionshaus vor Longs
Gemälde scharten, glaubten vermutlich, damit dem Gipfel aller
künstlerischen – und finanziellen – Höhenflüge begegnet zu sein,
einem Werk, das ihnen und ihren Nachkommen noch jahrzehntelang
etwas zu sagen haben würde. Ein bedeutender, renommierter
Künstler malte in einem bekannten Stil ein monumentales Werk, das
den Nerv der Zeit traf. Die Impressionisten? Soziale Außenseiter
mit versponnenen Ideen und kaum erkennbaren Fähigkeiten. Wohin
sollte das führen?
Mich erinnert das an das, was ich gern das »Der Beliebteste der
ganzen Schule«-Problem nenne. Wir alle kennen den strahlenden
Star, der in sämtlichen Sportarten brilliert, ein Alphamännchen,
umlagert von der Schar seiner ergebenen Freunde und
schmachtenden Mädchen. Scheinbar für Großes bestimmt, führt er
später ein ruhiges, unauffälliges Leben. Dann gibt es noch den
schrecklich schüchternen Typ, auf dem jeder gern herumhackt oder
den man demonstrativ links liegenlässt, das Mängelexemplar, das
aber später die Welt verändert.
Auch hier geht es um Salienz. Doch was in der Schule für
allgemeine Aufmerksamkeit sorgt, wie Wettkampfsiege, eine kuriose
Konformität, ein kleines, aber unfreiwilliges Publikum, besitzt für
den Erfolg im Leben wenig Aussagekraft. Wenn man die
kontextuellen Scheuklappen ablegen würde, die uns weismachen,
die Schule sei »das Ende der Geschichte«, würde man
wahrscheinlich erkennen, dass mancher »Underachiever« häufig
nur darum als Versager gilt, weil er den engen schulischen Normen
nicht entspricht. Man würde dann den zündenden Funken spüren,
der nur auf die richtige Umgebung und Zuhörerschaft wartet. So
wie einige wenige clevere Kunsthändler erkannten, dass die
impressionistischen Werken irgendetwas – und sei es nur eine
Gewinnmarge – verhießen, das zwar dem aktuellen Publikum nichts,
aber einem künftigen umso mehr sagen könnte.
Konformistische Distinktion:
Über den Wunsch, anders gleich zu sein
Die Comedy-Serie Portlandia nimmt die Hipster-Szene von Portland
in Oregon satirisch aufs Korn. In einem Sketch sieht man einen
extrovertierten Typen namens Spyke – perfekt mit Ziegenbart,
Tunnel im gedehnten Ohrläppchen und Fixie Bike. Er schlendert an
einer Bar vorbei, blickt hinein und nickt den Gästen, die mindestens
so hip sind wie er, wohlwollend zu. Einige Tage später entdeckt er in
derselben Bar einen glattrasierten Mann mit Bundfaltenhosen und
Oberhemd. »Ey, was ist das?«, brüllt er. »Solch Typen hängen jetzt
hier rum? Die Bar ist ja so was von out!« Aber es sollte noch
schlimmer kommen: Irgendwann besitzt sein Erzfeind ein Fixie, ist
offenbar »Muschelkunst«-Fan und trägt Ziegenbart – was nun samt
und sonders, wie Spyke ihm pöbelhaft deutlich macht, »out« sei. Ein
Jahr später sehen wir Spyke wieder, glattrasiert, in lässigem
Businessgewand und in gepflegter Unterhaltung in der Bar, die der
Ausgangspunkt des ganzen Spiels war. Der Erzfeind? Lungert
draußen herum und erklärt verächtlich, die Bar sei ja so was von
»out«.
Der Sketch bringt die Vorstellung von unserem Geschmack als
Perpetuum mobile wunderbar auf den Punkt. Motor des seltsamen
Kreislaufs ist unser ständiges Hin und Her zwischen Neu und
Vertraut, Hunger und Übersättigung, der seltsame psychophysische
Kalkulator in unserem Inneren, der dafür sorgt, dass wir Speisen,
Songs oder die Farbe Orange irgendwann satthaben. Als Motor
dient aber auch das fast unmerklich veränderte Verhalten all jener,
die sein wollen wie alle anderen oder anders sein wollen als alle
anderen. Jeder kämpft gewissermaßen darum, das Verhalten der
anderen richtig vorherzusagen, ein Kampf, der den Strategen des
Kalten Kriegs nicht fremd war – die als Anhänger der Spieltheorie
davon ausgingen, dass Spieler selten aufgrund »vollständiger
Informationen« agieren. Auch den Lesern der Sneetches von
Dr. Seuss dürfte dies bekannt vorkommen. Als die mythischen
Geschöpfe mit dem Sternnabel entdecken, dass die gegnerische
sternnabellose Gruppe plötzlich »Sterne hat«, entledigen sie sich
umgehend ihres Schmucks.
Dass sich in puncto Geschmack, wie von Portlandia postuliert, die
Katze in den Schwanz beißt, ist kein so abwegiger Gedanke. So
beobachtete ein französischer Mathematiker namens Jonathan
Touboul »ein neues, nicht abgestimmtes, kollektives Phänomen, bei
dem alle gleichermaßen versuchen, anders auszusehen«. 28 Er
nannte dies den »Hipster-Effekt«. Anders als in »kooperativen
Systemen«, in denen jeder bei einer allgemeinen Mode mitmacht,
kommt es zum Hipster-Effekt, wenn Leute versuchen, anders als die
meisten auszusehen.
Weil niemand genau weiß, wie sich die anderen als Nächstes
verhalten werden, und Informationen unter Umständen verzerrt
oder verzögert ankommen, kann es auch kurze »Synchronisations«-
Perioden geben, in denen es den Nonkonformisten nicht gelingt, sich
»anders als die meisten« zu verhalten. 29 Eigentlich hätte Spyke
wohl mehreren Muschelkunst-Fans oder gar Muschelkunst im
Einkaufszentrum begegnen müssen, um sein Hobby aufzugeben.
Zudem gibt es Hipster-Abstufungen, der eine schließt sich Trends
später an als der andere, ihm folgen wieder andere und so weiter,
bis sich alles, wie der bei Astronomen heißbegehrte längst
erloschene Stern, in Wohlgefallen auflöst. XIX Ein anderer Modelling-
Analytiker drückte es so aus: »Die Sehnsucht nach
Nonkonformismus kann Konformismus hervorbringen.«30
Der Portlandia-Sketch wirft nicht nur ein Licht auf unseren
Geschmack, sondern beleuchtet auch zwei zentrale, scheinbar
widersprüchliche menschliche Verhaltensweisen: einmal unsere
Sehnsucht, so zu sein wie andere. »Das soziale Wesen ist in sozialer
Hinsicht grundsätzlich von Nachahmung bestimmt«, schrieb der
allgemein unterschätzte französische Soziologe Gabriel Tarde 1890
in seinem Werk Die Gesetze der Nachahmung. 31 Andere
nachzuahmen, »soziales Lernen« also, ist eine evolutionäre
Anpassungsstrategie: Sie hilft uns, zu überleben und uns
weiterzuentwickeln. Soziales Lernen kommt auch bei anderen Arten
vor, aber keine kann wie der Mensch auf erworbenen Erfahrungen
und Kenntnissen vorangegangener Generationen aufbauen.
Die Summe des sozialen Lernens – die Kultur – macht den
einzigartigen Erfolg des Menschen aus und befähigte ihn, den
gesamten Globus zu besiedeln. Obwohl die Menschen untereinander
genetisch ähnlicher seien als andere Primaten, so der Anthropologe
Joseph Henrich, sei es ihnen gelungen, Tiere in der Arktis zu
erbeuten, Früchte in den Tropen zu sammeln oder als Nomaden die
Wüste zu bewohnen und somit in einer größeren Bandbreite von
Regionen zu überleben als alle anderen Primaten zusammen. 32
Die Anthropologen Robert Boyd und Peter Richerson führen in
ihrem Buch Not by Genes alone als Beispiel an, dass Menschen
auch bittere Heilpflanzen verzehren. Unser sensorisches System
interpretiere das Merkmal bitter eigentlich als potentiell gefährlich
und damit ungenießbar. Instinktiv möchten wir die Pflanze nicht
essen. Doch irgendwann probiert jemand versehentlich davon und
bemerkt die überraschende positive Wirkung. Das sieht ein anderer
und kostet ebenfalls davon. »Eine bittere Arznei«, so die Autoren,
»schlucken wir nicht, weil sich unser sensorisches System
weiterentwickelt und wir die Pille als weniger bitter empfinden,
sondern weil sich ihre medizinische Wirkung in der Bevölkerung
herumspricht.«33 Das sei quasi wie »der erste Schluck Bier« für
eine ganze Kultur.
Der Mensch ahmt andere nach und passt sich kulturell an, so die
Autoren, weil es effizienter sei, von anderen zu lernen, als alles und
jedes per kostspieligem Versuch und Irrtum auszuprobieren. Das
trifft auf urzeitliche Jäger, die wissen mussten, welche
Nahrungsmittel giftig sind oder wo sie Trinkwasser finden, genauso
zu wie auf alle, die sich heute durch Netflix- oder TripAdvisor-
Bewertungen lesen. Bei zu vielen Optionen oder wenn die richtige
Entscheidung nicht unbedingt auf der Hand liegt, ist es offensichtlich
besser, mit dem Strom zu schwimmen. Zumindest kann man so
nichts verpassen.
Mein Lieblingsbeispiel in dieser Hinsicht stammt aus einer
schottischen Studie über Schimpansen in Uganda. 34 Eines der
Schimpansenmännchen, von den Forschern Tinka getauft, litt an
einer beinah vollständigen Lähmung seiner Hände, weil es in eine
Stellfalle geraten war, und zudem an einer chronischen
Hautkrankheit. Da es nicht zu den ranghöheren Affen gehörte,
konnte es nicht auf die Hautpflege der anderen Affen vertrauen.
Also improvisierte Tinka: Der Schimpanse packte mit dem Fuß eine
Liane und zog sie ähnlich über den Rücken, wie wir uns mit dem
Handtuch den Rücken abtrocknen.
Coole Sache. Das dachten offenbar auch einige junge
Schimpansen. Sie kratzten sich nämlich auf dieselbe Weise wie
Tinka, obwohl für sie keine Notwendigkeit dazu bestand. Zunächst
vermuteten die Forscher, die Affen würden sich über Tinka lustig
machen, aber das, so Richard Byrne, »setzt eine größere
Mentalisierungsfähigkeit voraus, als man für Schimpansen
annehmen kann«. Wahrscheinlich wollten sie einfach nur sehen,
welchen Sinn das wohl hatte und was sie verpassten. »Es hatte für
sie natürlich keinen Sinn«, so Byrne, »und sie ließen es bald
wieder.« Doch interessanterweise können sich selbst willkürliche,
sinnlose Verhaltensweisen so verbreiten. Im Jahr 2010
beobachteten Forscher vom Max-Planck-Institut in einer
Schimpansenstation in Sambia einen Affen, den sie Julie nannten. 35
Julie steckte sich einen Grashalm ins Ohr, womit sie aber offenbar,
anders als Tinka, keinen bestimmten Zweck verfolgte. Trotzdem
trugen die meisten Affen schon nach kurzer Zeit stolz einen
Grashalm im Ohr.
Man hat nachahmendes Verhalten oft für primitiv und unterwürfig
gehalten, und ein Wort wie »nachäffen« hat nicht umsonst eine
negative Konnotation. Dabei liebt niemand das Nachäffen mehr als
der Mensch. So führten die Forscher Victoria Horner und Andrew
Whiten einem Schimpansen in einer faszinierenden Studie vor, wie
man eine Futterkiste öffnen konnte. Die Kiste war einmal
undurchsichtig, ein anderes Mal transparent. Einige der
vorgeführten Handgriffe waren tatsächlich notwendig, andere
überflüssig. Als man zuerst die transparente Kiste nahm, begriffen
die Schimpansen schnell, worum es ging, und ließen die
überflüssigen Handgriffe aus. Aber sie taten dies später ebenso
beim Öffnen der undurchsichtigen Kiste. Sie hatten das Gelernte auf
eine andere Situation übertragen.
Vorschulkinder dagegen tendierten bei einem ähnlichen Versuch
dazu, »die beobachteten Handlungen zu wiederholen, ohne ihre
kausale Effizienz zu berücksichtigen«. 36 Die Kinder waren nicht
etwa unfähig, den Zusammenhang von Ursache und Wirkung zu
erkennen, oder empfanden das Öffnen der Kiste als zu schwierig.
Auch als man die Aufgabe vereinfachte, ahmten sie das Vorgemachte
»sklavisch« nach. Horner und Whiten nehmen an, dass die Kinder
sich stärker auf das Vorbild als auf die Aufgabe konzentrierten und
das Vorbild deshalb auch dann nachahmten, wenn es nicht den
einfachsten Weg zum Öffnen der Kiste zeigte. Nachäffen ist eben
menschlich.
Wer ein kleines Kind hat so wie ich, weiß vermutlich auch ohne
wissenschaftliche Experimente, dass Kinder gerne nachahmen. So
erkundigte ich mich eines Tages bei meiner Tochter, warum sie die
Hosenbeine leicht hochgeschoben habe. Das mache ihre Freundin
Madeleine auch so, erhielt ich zur Antwort. »Magst du es, oder tust
du es, weil du deine Freundin magst?« Offenbar verwirrte sie die
Frage. Ich glaube, sie wollte »beides« antworten, konnte ihre
Gedanken aber nicht wirklich entwirren. Egal, der Hosenbeintrend
war es jedenfalls wert, nachgeahmt zu werden.
Wir ahmen paradoxerweise oft das Nutzlose nach, etwa kleine
Modegags. Und zwar genau deshalb, wie der Soziologe Georg
Simmel schon vor über hundert Jahren schrieb: Dort wird »die
Unabhängigkeit gegen jede andere Motivierung positiv fühlbar«. 37
Durch ihre vollkommene Sinnfreiheit entfalten kleine modische
Veränderungen eine gewaltige Macht; zudem ist die Veränderung
billig zu haben. Wie schon Adam Smith bemerkte: »Die Moden des
Hausrates ändern sich weniger rasch als jene der Kleidung, weil
Möbel gewöhnlich dauerhafter sind.«38
Aber Nachahmung gibt es, wo immer man hinschaut. Denken Sie
nur an den Versuch mit den Vorschulkindern aus dem ersten Kapitel:
Die Kinder aßen, was die anderen Kinder am Tisch bevorzugten.
Der Mensch scheint auf soziales Lernen programmiert und vertraut,
wenn er unsicher ist, offenbar instinktiv darauf, was andere tun.
Dabei gucken wir uns nicht nur die Verhaltensweisen anderer ab,
sondern entscheiden uns auch für Dinge, die andere bloß angucken.
So führten Henrich und andere Forscher der University of British
Columbia Kindern Videos vor, in denen erwachsene »Vorbilder«
etwas verzehrten. 39 In manchen Videos schaute jemand den Essern
zu, in anderen schaute der Beobachter weg. Als man die Kinder
später fragte, welches Gericht sie lieber essen würden, wählten sie
tendenziell das, das das beobachtete Vorbild verzehrt hatte. »Wenn
die Umwelt nicht genügend zuverlässige Entscheidungsgrundlagen
bietet«, so Henrich und Robert Boyd, »ahmt der Mensch andere
nach.«40
Haben Sie schon einmal von dem berühmten Experiment gehört,
bei dem Stanley Milgram Leute an einer New Yorker Straßenecke
veranlasste, nach oben zu blicken, obwohl es dort nichts zu sehen
gab? Je mehr Leute hochschauten, desto mehr Passanten gesellten
sich dazu. Warum auch nicht? Wenn so viele hochblicken, muss es ja
wohl etwas zu sehen geben. XX
Doch wenn soziales Lernen so einfach und erfolgreich ist und die
Nachahmung anderer das Überleben unserer Gene so prima
gewährleistet, stellt sich natürlich die Frage, warum sich plötzlich
jemand anders verhält. Oder warum ein Typ wie Spyke wieder
hinter das Neue zurückfällt. Die Frage muss sich die Evolution
gefallen lassen: Warum muss sich die natürliche Zuchtwahl durch
solchen Krimskrams kämpfen? Das »Überleben des Stärkeren«, so
der Biologe Hugo de Vries, kann schließlich nicht erklären, warum
der »Stärkere überhaupt auf der Bildfläche erscheint«. 41 So hätte
Jørn Utzon genauso einlenken und ein traditionelles Opernhaus
bauen oder die Impressionisten sich dem Kunstmarkt beugen
können. Künstler und Erfinder, die zu Lebzeiten angefeindet
werden, scheinen genetische Altruisten zu sein, die auf den
persönlichen Erfolg verzichten, um den Erfolg der Gruppe in einer
fernen Zukunft zu sichern. 42
Boyd und Richerson zufolge gibt es in Gruppen ein optimales
Gleichgewicht aus sozialen und individuellen Lernern. Wenn zu viele
Gruppenmitglieder ausschließlich sozial lernen, fehlt es an
Innovation: Die Menschen wissen dann vielleicht, wie sie die eine
Fischart fangen, weil sie es von Älteren gelernt haben, aber was ist,
wenn die Art ausstirbt? Wenn dagegen zu wenige
Gruppenmitglieder sozial lernen, sind die Menschen so damit
beschäftigt, auf Teufel komm raus Neues auszuprobieren, dass die
Gruppe nicht gedeihen kann. Dann erfindet jeder Pfeil und Bogen
neu, aber an die Jagd denkt keiner mehr.
Der tiefere evolutionsgeschichtliche Sinn dieses Verhaltens könnte
auch erklären, warum der Mensch besonders in den
Industrienationen zwischen zwei Sehnsüchten hin- und hergerissen
ist. Er will einer Gruppe angehören und zugleich ein
unverwechselbares Individuum sein. Wir können das
konformistische Distinktion nennen. Man will nicht der Einzige mit
diesem Geschmack sein, »leidet« aber, wenn einem jemand sagt,
man sei wie alle anderen. 43 Wer hätte nicht ein komisches Gefühl,
wenn eines Tages ein Kollege mit einem ähnlichen Outfit ins Büro
kommt wie man selbst? Das »Habt ihr euch abgesprochen?« kommt
so sicher wie das Amen in der Kirche. Wir alle suchen den
glücklichen Mittelweg. Abweichende Meinungen müsse man
tolerieren, sagt die Miss America in der Gerichtsszene von Woody
Allens Film Bananas, sie dürften allerdings nicht zu stark
abweichen. 44
Der Optimal-Distinctiveness-Theorie zufolge wollen Menschen in
einer Gruppe das Gefühl haben, dazuzugehören, aber dennoch als
individuelle Persönlichkeit wahrgenommen zu werden, was man
beispielsweise gut bei Gruppenbestellungen im Restaurant
beobachten kann. 45 Wenn jeder angepasst wäre, gäbe es keinen
Geschmack, und auch nicht, wenn sich keiner anpassen würde. Wir
passen uns unserer lokalen Umgebung an und sind global anders.
Wie uns das gelingt, haben sich die Psychologen Matthew Hornsey
und Jolanda Jetten gefragt: Demnach sucht man sich eine Gruppe
geeigneter Größe, und ist sie zu groß, eine entsprechende
Untergruppe. 46 Man ist dann kein Sozialdemokrat, sondern ein
linker Sozialdemokrat. Man schwärmt nicht einfach für die Beatles,
sondern nur für die frühen Beatles.
Eine weitere Strategie der konformistischen Distinktion ist die
sogenannte überlegene Konformität. Man erfüllt dann jede
Gruppennorm überkorrekt, um seine Individualität zu
demonstrieren. Man sagt quasi: »Ich bin der bessere Punk/Country-
Fan/Christdemokrat/Veganer.« So spürten in einer Studie zum
Bodypiercing diejenigen das größte Bedürfnis, sich vom Mainstream
abzuheben, die sich am stärksten mit der Gruppe identifizierten. 47
Wenn es zu mühsam wird, sich ständig vom Mainstream
abzugrenzen, kann man den Mainstream auch »anders« nachahmen.
Das war der Gedanke hinter dem »Normcore«-Anti-Modetrend,48
bei dem es einst modebewusste Leute angeblich satthatten und auf
langweilige New-Balance-Sneaker und unauffällige Jeans
umstiegen. 49 Normcore war wohl mehr Konzeptkunst als realer
Business-Fall, doch der Gedanke dahinter, dass »man am besten
anders ist, wenn man gar nicht anders sein will«, wirkte höchst
plausibel und wurde von den Medien, die jede Neuigkeit so gierig
verschlingen wie Saturn seinen Sohn, begeistert aufgegriffen. 50
Dabei war Normcore gar nicht so neu: Georg Simmel schrieb schon
vor einhundert Jahren, »wenn Modernität Nachahmung des sozialen
Beispiels ist, so ist die absichtliche Unmodernität seine
Nachahmung mit umgekehrtem Vorzeichen.«51
Doch zurück zu Spyke. Sobald er seine Individualität, die er
ebenso anstrebte wie alle anderen seiner Gruppe, durch jemand
Fremden bedroht sah, zog er einfach weiter. Der als bedroht
empfundene Kinnbart oder die Muschelkunst, von der er sich nun
abwandte, waren keine funktionalen Dinge. Unsere Identität
signalisieren wir, so Jonah Berger und Chip Heath, nämlich nur auf
bestimmten Feldern. So wird Spyke kaum seine Klopapier- oder
Zahnbürstenmarke wechseln, wenn er hört, dass seine Erzfeinde
dieselbe Marke bevorzugen. Als noch jeder Langspielplatten besaß,
spielte man damit eben Musik ab. Langspielplatten konnten erst
zum identitätsstiftenden Merkmal werden, als sie durch neue
Technologien vom Aussterben bedroht waren. Und wie ich schon
einmal geschrieben habe, mehren sich die Anzeichen, dass
Kassetten heute ein Revival erleben.
Berger und Heath führten an der Stanford University ein
vielsagendes Experiment durch. In einem »Target«-
Studentenwohnheim verkauften sie die damals angesagten »Lance
Armstrong Foundation«-Livestrong-Armbänder. Eine Woche später
boten sie die Armbänder in einem Studentenwohnheim an, das
allgemein als »freakig« galt. Schon nach einer Woche war die
Anzahl der Armbandträger im Target-Wohnheim um 32 Prozent
gefallen. Wie die Studenten des Target-Wohnheims angaben, lehnten
sie die Freaks nicht ab, hielten sie aber für anders als sich selbst.
Aus dem gelben Plastikstück für einen guten Zweck war ein
Identitätssignal, ein Geschmackssignal geworden. Um nicht mit den
Freaks in Verbindung gebracht zu werden, blieb der Target-Gruppe
nichts anderes übrig, als das Armband »aufzugeben«. Geschmack
verändert sich nicht nur, weil man Lust auf Neues hat, sondern auch,
weil man das Alte bewusst ablehnt und sich von allen distanzieren
will, die diesem neuerdings frönen. Üblicherweise heißt es dann:
»Mir gefiel das Armband, aber jetzt trägt es ja Hinz und Kunz.«
Seine Vorlieben zeigt man in der Öffentlichkeit, so der
Anthropologe Richard Wilk, wesentlich unbefangener als seine
Abneigungen. »Dies könnte auch erklären«, so Wilk, »warum man
Konsumgüter so gern zur Schau stellt, Vermeidung und Tabu aber
normalerweise nur andeutet oder unterdrückt.«52 Für den
Gruppenzusammenhalt spielen unsere Abneigungen allerdings wohl
eine größere Rolle als unsere Vorlieben. So handelt eine der, dem
Historiker John Mullan zufolge, ersten englischen Quellen für
»guten Geschmack«, das Doppelspiel von William Congreve aus dem
Jahr 1693, davon, dass »jemand keinen hat« – und das bezieht sich
wohlgemerkt nicht aufs Essen. 53 Und auch in der Kunstgeschichte
haben, so Ernst H. Gombrich, gemeinsame Gruppenabneigungen
eine beträchtliche Rolle gespielt. 54 Demnach haben die meisten
Bewegungen ein neues Tabu aufgestellt, einen Negativgrundsatz,
der auf dem Ausschlussprinzip basierte. Vom Impressionismus bis
zum Punk grenzten sich die Künstler gegen ihre Vorgänger ab. Die
Dadaisten, die einfach »gegen alles« waren, trieben dies bis zum
Extrem.
Unser Geschmack »sagt über uns« vor allem eins: Wir wollen wie
die sein, die diesen Geschmack – noch – haben und uns gefallen, und
anders als die mit anderem Geschmack. 55 Doch hier wird es dann
kompliziert mit der »konformistischen Übertragung«, wonach wir
also einfach durch soziales Lernen andere nachahmen. Manchmal
sehen wir nämlich, was andere tun, und hören daraufhin auf, es
selbst zu tun. Wir betreiben also wie die Sneetches von Dr. Seuss
Anti-Nachahmung. 56
Dann wäre da noch die Frage, ob wir das Verhalten anderer
bewusst übernehmen. Wenn man weiß, dass man von jemandem
beeinflusst wird, und derjenige weiß es ebenso, dann nennt man das
Überzeugung, wenn man sich aber unbewusst beeinflussen lässt und
dies dem anderen ebenso wenig bewusst ist, soziale Ansteckung. 57
Beim Geschmack nimmt man allgemein an, dass wir bestimmte
Verhaltensmuster nicht zufällig übernehmen, sondern etwa mittels
des »Prestige-Bias« von Leuten lernen, die wir als gesellschaftlich
bedeutsam erachten. Die klassische Soziologie hat dies als einen
Sickerprozess von oben nach unten beschrieben: Die Oberschicht
entwickle eine Vorliebe, die soziale Schicht darunter übernehme
diese, woraufhin die Oberschicht die Vorliebe ablehne und eine neue
Vorliebe entwickle. »Denn naturgemäß sehen und streben die
unteren Stände nach oben«, schrieb Simmel – wie über ein
Naturgesetz.
Doch so klar liegen die Dinge nicht unbedingt. So haben es etwa
»Kraftausdrücke«, früher als Kennzeichen von »Schmuddelkindern«
gebrandmarkt, heute sogar bis auf die Buchtitel geschafft. 58 Und
auch die kulturellen »Allesfresser« schauen sich, wie wir im dritten
Kapitel gesehen haben, routinemäßig »unten« um. Oder
Nahrungsmittel wie Hummer unterlagen im Lauf der Geschichte
starken Schwankungen: einmal das Essen sozialer Aufsteiger, dann
ein Zeichen für »Armut und Zerfall«. 59 Schließlich wäre da noch das
lästige Problem, das Bourdieu hat unter den Tisch fallen lassen:60
Auch innerhalb einer sozialen Schicht herrschen unterschiedliche
Vorlieben. Woran kann das liegen?
Der Geschmack kann sich ändern, weil man sich von anderen
abheben will oder aber genauso wie andere sein will. Gruppen
»übertragen« ihre Vorlieben auf andere Gruppen, aber Vorlieben
tragen auch zur Gruppenbildung bei. 61 Winzige, scheinbar banale
Unterschiede, etwa die bevorzugte Kaffeesorte, können so zum
»echten« Streitpunkt werden. 62 Je mehr Menschen Zugang zum
vorgeblich guten Geschmack haben, desto feiner die Abstufungen.
Man denke etwa an die zahllosen Möglichkeiten der sozialen
Abgrenzung durch einst eher homogene Gebrauchsgüter wie Kaffee
oder Jeans. Wem haben denn vor wenigen Jahrzehnten schon
Begriffe wie Single Origin oder Selvage etwas gesagt? Konformität
und Abgrenzung sind wie Ebbe und Flut und bilden beinah einen
paradoxen Zirkel: So möchte jemand wie Spyke in Portland anders
sein. Doch um dies zu erreichen, hält er nach Leuten Ausschau, die
anders sind, und passt sich dieser Gruppe an. Die Nonkonformisten
dieser Gruppe aber, die wiederum gleich sind, spüren nun das
Bedürfnis, sich stärker abzugrenzen – so wie die Träger des
Livestrong-Armbands ihr Armband abgelegt haben, als sie das
Armband bei anderen sahen. 63 Der nicht aufzuhaltende
Geschmackswandel wird durch das soziale Gerangel, durch Lernen
und Vermeiden vorangetrieben. Doch das ist noch nicht das ganze
Bild. Manchmal sind es auch nur Missverständnisse oder Zufälle,
durch die sich der Geschmack ändert.
Versehentlich berühmt:
Über Zufall und Unberechenbarkeit in Geschmacksfragen
Als ich in den 1980er Jahren ein Teenager war, geriet ich eines
Tages bei der Sendersuche im Radio ein wenig zu weit nach links
und landete bei einer Sendung, die Punk Rock und andere spezielle
Musik brachte. Ich fühlte mich, als wäre ich in ein privates
Gespräch geplatzt, das in einer fremden Sprache geführt wurde. Ich
hatte diese Songs noch nie gehört – mein Geschmack war
zugegebenermaßen ziemlich durchschnittlich –, und sie klangen
anders als alles, was ich kannte.
Schon bald wurde ich zum begeisterten Fan dieser seltsamen
Kakophonie und merkte, wie zeitraubend das war: Ich brachte
Stunden damit zu, in obskuren Plattenläden in obskuren Vierteln der
Stadt nach obskuren Alben zu suchen, fuhr zu Acts, die in stickigen,
baufälligen Sälen vor stark gemischten Fangruppen gegeben
wurden, sprach mit den paar Mitschülern, die wussten, wovon ich
redete, und hatte null Ahnung, wie viele Leute in anderen Städten
diese Musik noch gut fanden. Und die ganze Zeit dachte ich, dass
die Musik bestimmt populärer würde, wenn nur mehr Leute davon
erfahren könnten, und verdrängte die heikle Frage, ob dann nicht
meine Liebe zu der Musik aus Gründen der optimalen Distinktion
schwinden würde.
Heute sieht die Sache vollkommen anders aus. Mit einem
Mausklick kann man im Internet fast alles hören, was die Musik der
Welt zu bieten hat, und Fans der abseitigsten Genres begegnen sich
in Chatrooms und Foren. Sämtliche Vertriebshindernisse haben sich
durch die neuen Technologien in Luft aufgelöst: Jeder kann heute
billig und einfach seine eigene Platte veröffentlichen. Wie Echo Nest
gezeigt hat, können quasi über Nacht neue Genres auftauchen und
Fans für sich begeistern. Eigentlich ist meine jugendliche Hoffnung
Wirklichkeit geworden: Theoretisch kann heute jeder alles hören.
Die Musik ist nun horizontal strukturiert: Es kostet nicht mehr
Mühe, obskuren Bands zu lauschen, als dem Mainstream
anzuhängen. Damals hatte ich mir ausgemalt, wie die einstige
Nischenmusik dann populärer werden und dem Mainstream Fans
abjagen würde, weil die Leute ja mehr Auswahl hätten. Zumindest,
so dachte ich, würden sich die abgenudelten Radiohits nicht mehr so
lange halten können, weil die Konkurrenz einfach größer wäre.
Das alles hat sich nicht unbedingt bewahrheitet, wie mir der
Musikkritiker Chris Molanphy sagte, der akribisch die Popcharts
analysierte. »Viele haben angenommen, dass diese gewaltige
Demokratisierung, die den Musikgeschmack allgemein sichtbar
machte, mehr Vielfalt hervorbringen würde«, sagte Molanphy.
»Doch guckt man sich die Charts an, ist genau das Gegenteil
passiert. Die Großen sind noch größer geworden.« Der Musikabsatz
habe zwar insgesamt unter der neuen digitalen Umgebung gelitten,
doch die Platten weiter hinten in den Charts, Platz 200 bis 800,
habe es am härtesten getroffen. Die großen Hits konnten sich
dagegen dank des Internets noch mehr vom Kuchen abschneiden. 89
Der Kurvenverlauf der Download-Charts, so Molanphy, sehe eher
wie ein rechter Winkel aus. 90 »Es ist, als habe Amerika irgendwann
entschieden, dass wir uns nun für ›Fancy‹ von Iggy Azalea oder
›Happy‹ von Pharrell, zwei Hits von 2014, interessieren, und alle
hören es.«
Molanphy nennt das die »Schneeball-Superhits«. Sie rollen immer
geschwinder und nehmen alles andere dabei mit. Und verlängern
damit ihre eigene Lebensdauer. So hielt sich »Radioactive« von den
Imagine Dragons zwei Jahre lang in den Billboard-Hot-100-Charts.
»Yesterday« von den Beatles, »der meistgecoverte Song aller
Zeiten«, blieb dagegen, so Molanphy, nur lächerliche elf Wochen in
den Charts.
Nicht nur die Popularität kann selbsterfüllend sein. Dasselbe gilt
für die mangelnde Popularität. Der Sozialwissenschaftler William
McPhee führte in seinem Klassiker von 1963, Formal Theories of
Mass Behavior, die sogenannte Theorie der »Doppelbestrafung«
ein. Als er sich Meinungsumfragen zur Beliebtheit von Filmstars
oder Radiosendungen anschaute, stellte er verblüfft fest, dass
weniger populäre Kulturgüter nicht nur allgemein unbekannter
waren und die Wahl darum seltener auf sie fiel, sondern sich die
Leute auch seltener dafür entschieden, wenn sie sie kannten, darum
Doppelbestrafung. Aber bedeutete das nun, dass nur die Besten es
an die Spitze der Charts schafften? Nicht unbedingt. McPhee
vermutete, dass »eher diejenigen unbekanntere Alternativen
kennen, die allgemein viele konkurrierende Alternativen kennen«. 91
Die Favoriten »kennen dagegen diejenigen, die sonst wenig anderes
kennen. Kurzum, die Leute, die eher obskure Musik hören, können
sich vermutlich für jede Menge Musik ein wenig erwärmen,
während sich die Liebe der begeisterten Charts-Hörer ganz auf die
Top 10 konzentriert. Allein durch die statistische Verteilung, so
McPhee, sei ein »natürliches« Monopol entstanden. 92
Doch wenn das schon vor Jahrzehnten so war, warum ist das alles
dann heute noch Top-10-lastiger und zäher geworden? Es könnte
daran liegen, wie schon im dritten Kapitel erwähnt, dass wir uns von
dem gigantischen Musikangebot, das quasi alle Musik der Welt auf
Tastendruck bereithält, förmlich erschlagen fühlen, angesichts des
leeren Suchfelds, in das wir den nächsten gewünschten Song
eingeben sollen, zurückschrecken und uns lieber in vertraute
Gefilde flüchten. Oder aber, wir hören noch mehr das, was andere
hören, weil wir dank sozialer Medien genauer wissen, was sie
hören.
Das jedenfalls war das Ergebnis eines berühmten Experiments,
das die Netzforscher Duncan Watts und Kollegen 2006 durchgeführt
haben. Ihre Probandengruppen sollten sich bestimmte Songs
anhören, nach Beliebtheit ordnen und konnten sich dann kostenlos
Songs von einer Website herunterladen. Wenn die Teilnehmer sehen
konnten, was die anderen heruntergeladen hatten, wählten sie mit
größerer Wahrscheinlichkeit dasselbe: »Beliebte« Songs wurden so
noch beliebter und unbeliebte noch unbeliebter. Zudem war es bei
der sozial beeinflussten Entscheidung schwieriger, die Beliebtheit
eines Songs aufgrund seiner Qualität vorherzusagen. Wenn die
Probanden allein entschieden, war die Songauswahl vielfältiger und
besser vorhersagbar. Die Probanden entschieden sich mit größerer
Wahrscheinlichkeit für die Songs, die sie für die besten hielten.
Allerdings krempelten die Leute ihren Musikgeschmack nicht
komplett um, wenn sie erfuhren, was andere hörten. 93 »Die ›besten‹
Songs schneiden nie wirklich schlecht und die ›furchtbarsten‹ nie
wirklich gut ab«, so Watts und sein Co-Autor Matthew Salganik.
Doch wenn die Auswahl der anderen Probanden sichtbar war,
besaßen die weniger guten Songs eine größere Chance, besser
abzuschneiden und umgekehrt. »Wenn individuelle Entscheidungen
sozialen Einflüssen unterliegen«, so die Autoren, »summiert der
Markt nicht einfach die bestehenden individuellen Vorlieben.«94
Kurzum, die Charts finden, wie Geschmack auch sonst, nicht im
luftleeren Raum statt.
Der Aufstieg an die Spitze der Charts ist heute theoretisch
demokratischer geworden, also weniger top-down, aber auch
weniger vorhersehbar. »Happy« von Pharrell wurde durch ein
erfolgreiches Musikvideo in einem Jahr zum Hit. Doch die Spitze der
Hierarchie ist schmaler geworden. So konnte 2013
schätzungsweise ein Prozent aller Acts 77 Prozent aller Einnahmen
auf sich versammeln. 95
Die Plattenfirmen versuchen natürlich noch immer, Hits zu
produzieren, doch laut Molanphy »entscheidet heute das allgemeine
Publikum, welcher Song zum Hit wird, weil Vorlieben ansteckend
sind«. Der virale Welterfolg »Gangnam Style« wurde den
Radiosendern quasi aufgezwungen, so Molanphy, und der Song stand
dann auf Platz zwölf der US-Charts – wobei YouTube, wo der Song
vor allem gehört wurde, noch gar nicht mitgerechnet ist. »Den
Erfolg hat keiner bewusst herbeigeführt. Das allgemeine Publikum
war einfach von dem leicht albernen Video begeistert und sagte
Freunden und Bekannten: ›Das Video musst du dir einfach
angucken.‹« Der Schneeballeffekt, so Molanphy, zeige sich aber
auch im Radio. So lief der in den USA meistgespielte Song von 2013,
»Blurred Lines«, doppelt so oft im Radio wie der meistgespielte
Song von 2003.
In den 1970er Jahren, als ich wie ein Besessener die Top 40 rauf
und runter hörte, sah das noch ganz anders aus. Damals galt es als
Binsenwahrheit, so der frühere Radioberater Sean Ross, dass der
Hörer eine gefühlte Ewigkeit vorm Radio saß, darauf wartete, dass
sein Lieblingssong endlich lief, und danach ausschaltete. Er hatte
sein Ziel ja erreicht. Hätte das Radio schon damals den heutigen
Zugang zu Absatzzahlen und Hörerdaten gehabt, wären die
Lieblingssongs, so Molanphy, auch damals häufiger gespielt
worden. 96 Ein Song wie »Yesterday« wäre wesentlich öfter zu hören
gewesen. Die immer präziser werdenden Echtzeitdaten zum
Hörerverhalten führten dazu, dass die Feedback-Schleife erheblich
verstärkt werde. »Dass Vertrautes gern gehört wird, wusste man
schon immer«, so Molanphy. »Aber jetzt weiß man genau, wann
jemand den Sender wechselt und, hey, er wechselt den Sender
wirklich, wenn er etwas nicht kennt.« Daher versuche man
geradezu verzweifelt, Unbekanntes so schnell wie möglich in
Bekanntes zu verwandeln.
__________
XIX Manchmal gibt es auch pure Zufälle wie den »versehentlichen Hipster«, wie ihn
ein Freund von mir einmal nannte: der alte Typ an der Bushaltestelle mit den billigen
Klamotten, die er aus ökonomischen Gründen trägt – und die zufällig mit denen
identisch sind, die von den abgrenzungsbewussten Hipstern aktuell gehypt werden.
XX Soziales Lernen kann aber natürlich auch maladaptiv sein. Jeder hat von jemand
anderem »gelernt« zu rauchen, und manch einer sogar von Gesundheitsfachleuten.
XXI So habe ich das Gefühl, dass manche Eltern in meiner Brooklyner Nachbarschaft
die Namen ihrer Kinder geradezu als Marke betrachten, eine Art Product Placement
ihrer eigenen Lifestyle-Marketingkampagne.
6
Auf mehr als zweihundert Seiten habe ich nun ausgeführt, wie
trügerisch unser Geschmack sein kann. Manchmal ist er sogar uns
selber fremd. Unweigerlich unterliegt er sozialen Einflüssen, zudem
nehmen wir meist nur höchst flüchtig wahr, was wir gerade in den
Mund stecken oder vor Augen haben. Wenn das alles so verworren
ist, so dachte ich, sollte ich mich vielleicht mal mit Leuten
unterhalten, die über ihren Geschmack zwangsläufig reflektieren
und das Ganze auch noch in überzeugende Worte packen – oder
zumindest begründen müssen, warum das eine besser als das
andere ist. Ich meine Wettkampfrichter und Gutachter. Sie müssten
den Nebel unserer Neigungen doch mit kühlem Blick lichten und
dank ihrer glasklaren Neutralität ein wenig Ordnung in das
undurchdringliche Geschmacksdickicht bringen können. Was können
wir von ihnen lernen, um endlich klarer zu sehen?
Als erstes möchte ich einer Frage nachgehen, die bestimmt so
manch einen schon einmal beschäftigt hat: Was macht eine gute
Katze aus? Um die Frage zu beantworten, habe ich mich nach Paris
begeben, wo in einem kleinen Konferenzzentrum im
12. Arrondissement eine internationale Katzenausstellung stattfand,
der »Salon International du Chat«. Das hört sich pompös an, es
handelt sich aber eher um eine regionale Angelegenheit: Blauäugige
Ragdoll-Katzen, wollig gelockte Selkirk-Rex-Katzen oder schlanke
Burmakatzen präsentieren sich in einem mittelgroßen Saal. Ein
Blindenhund führt seinen Besitzer, wohl in dem Gefühl, es könne hier
was zu holen geben, durch die Gänge, aber die unerschütterlichen
Katzen lassen sich selbst durch den großen Hund nicht aus der Ruhe
bringen.
Ich bin nicht hier, weil das eine überaus wichtige
Katzenausstellung wäre. Im Übrigen genießen Katzenausstellungen
und Katzenbesitzer generell weniger Ansehen als Hundeshows und
Hundebesitzer. Ich bin hier, weil einer der Preisrichter, der
Niederländer Peter Moormann, nicht nur Katzen bewertet, sondern
auch Professor für Psychologie an der Universität Leiden ist. Und
um die Sache rund zu machen, hat er über die Psyche von
Preisrichtern geforscht.
Moormann, mit silbrig-gewelltem Haar und freundlichem Blick
ganz Europäer alter Schule, interessiert sich für Katzen schon
genauso lange wie für Psychologie. Er ist noch im Indonesien der
Kolonialzeit zur Welt gekommen. Seine Eltern überlebten die
Thailand-Burma-Todeseisenbahn und das japanische
Kriegsgefangenenlager und flohen dann mit ihm in die Niederlande.
Dort beschäftigten sich gute Freunde aus Indonesien mit der
Perserkatzenzucht, und weil Moormann offenbar gut mit Tieren
konnte, fragten sie ihn, ob er sie zu einer Ausstellung begleiten
wolle. Nach und nach durchlief er die Katzenausstellungslaufbahn:
Ordner, Juniorrichter, Richter. Mittlerweile studierte er zudem
Psychologie und trat bei Meisterschaften im Inlineskating und
später Eiskunstlauf an. »Ich habe immer mehreres gleichzeitig
gemacht«, so Moormann. Seine Dissertation schrieb er über die
Psychologie der Bewertung im Eiskunstlauf, ein in den Eiskunstlauf-
besessenen Niederlanden hochgehandeltes Thema. Ein Kapitel
seiner Dissertation hieß: »Unwillkürliche Verzerrungen bei der
Bewertung von Eiskunstläufern«. Vermutlich versuchte Moormann
solche Fehler zu vermeiden, als er später in der Jury von Sterren
Dansen op het Ijs, dem holländischen Dancing on Ice, saß.
Als ich neben Moormann an einem Klapptisch im Richterbereich
saß, stolzierten lächelnde Katzenbesitzer mit ihren Tieren und
erwartungsvollem Blick an seinem Tisch entlang. Wenn eine Katze
auf dem Tisch Platz nahm, fragte man sich unweigerlich, wer hier
überhaupt wen beurteilte. Den Katzen gelang ein erstaunlicher
Doppelaxel aus Lässigkeit und Arroganz: Sie schauten um sich, als
wäre das ihr Tisch, und schienen leicht gelangweilt, wenn man sie
vor diesem fröhlichen Niederländer absetzte, der vor ihrer Nase
mit einer Feder wedelte. Die Feder ist eine typische
Preisrichtermasche und soll die Katzen vor allem dazu animieren,
sich wie Katzen zu benehmen. Wie ein Richter mir erklärte: »Wenn
man das Spielzeug rausholt, will man Ausdruck sehen, aufgestellte
Ohren.«
Man schreibt Menschen oder Tieren ja nur ungern nationale
Eigenheiten zu, aber beim Anblick dieser französischen Katzen fällt
es schwer, nicht an die berühmte grenzenlose Gleichgültigkeit der
französischen Kellner zu denken, die ihre wartenden Gäste beinah
mitfühlend beobachten, als würden sie Zeuge eines existentiellen
Dramas, das sich außerhalb ihres Einflussbereichs abspielt. Manche
Katzen schauen Moormanns Feder genauso gelangweilt und
mitleidig an, wie der Garçon den Gast, der offenbar zu zahlen
wünscht.
Moormann stupste und stieß die Katze an, spürte
Schädelverformungen nach und suchte nach »Schwanzfehlern«,
unklaren Zeichnungen oder fehlenden Hoden. Das Äußere kann, wie
beim Gebrauchtwagen, täuschen. Manche Katzen schieden
umgehend als »Lackierarbeit« aus: Ihr Fell hatte einfach einen
neuen Anstrich oder eine neue Zeichnung erhalten. Ein guter Teil
der Preisrichterarbeit gilt der Anmutung: der Länge der Katze, dem
Muskeltonus oder, wie ein Richter sagte, »der irren Frontpartie«.
Während der Prüfung gab Moormann dann und wann ein Wort des
Lobes von sich: »bonne« oder »très expressif«. »Bei jeder Katze«,
so Moormann, »kann man irgendwas finden und Punkte abziehen.
Es gibt keine perfekte Katze.« Und keinen Preisrichter, der ein
Roboter wäre. Vor Moormann steht ein Katzenbesitzer, der unter
anderem dafür gezahlt hat, dass der Preisrichter zu dieser
Ausstellung gekommen ist. »Man möchte die Leute einfach …«,
Moormann sucht nach dem richtigen Wort: »glücklich machen.«
Während Moormann die Katzen studierte, studierte ich die
Katzenbesitzer. Die Frau mit den Katzenpfoten auf ihren
Fingernägeln oder die, die sich entschuldigte, weil sie ihre Katze
kaum bändigen konnte. »Einmal hat mir eine Perserkatze den
Fingernagel durchgebissen«, murmelte Moormann. Das Klischee,
dass Haustier und Besitzer sich unweigerlich ähneln, fand ich, war
nicht völlig von der Hand zu weisen. Die Frauen, die eine
orientalische Kurzhaarkatze unter dem Arm trugen, besaßen
ähnlich lange, gerade Nasen. Als Moormann einer Perserkatze über
den Schwanz strich, sah ich, wie sich die Besitzerin durchs Haar
fuhr.
Laut Moormann gibt es zwei Möglichkeiten, Katzen zu bewerten.
Da sei einmal der »analytische Ansatz«, bei dem »das Ganze die
Summe seiner Teile ist«. Dabei gebe es Punkte für bestimmte
Eigenschaften jeder Katzenrasse: für Augen, Farbe oder Schwanz.
Die beste Katze sei dann die, die in allen Kategorien die meisten
Punkte erhält. Ein scheinbar objektives Verfahren, doch wie
Moormann schrieb, »steht dafür kein objektives Messinstrument
außer dem Richtergehirn zur Verfügung«. 1 Beim »ganzheitlichen
Ansatz«, so Moormann, könne »das Ganze dagegen mehr sein als
die Summe seiner Teile«. Der Preisrichter gehe dabei »von der
idealen Katze« aus und bewerte die Katze umso höher, je näher sie
seiner Idealvorstellung kommt. »Die Katze insgesamt sollte dann
etwas Besonderes, Charismatisches haben«, so Moormann, »eine
ansprechende Anmutung, die sich aber nicht wirklich beschreiben
lässt. Es passt eben alles zusammen, und daraus ergibt sich etwas
sehr Schönes.« Hier bestehe die Gefahr, so Moormann, dass der
Richter die Bäume vor lauter Wald nicht sieht und durch den »Halo-
Effekt« des Gesamteindrucks Fehler nicht bemerkt.
Wenn die Katzen den Tisch verließen, kritzelte Moormann sofort
ein paar Sterne neben den entsprechenden Katzennamen.
Manchmal schrieb er auch »BV« für »beste Varietät«. Die Sterne
sind Moormanns persönliches Bewertungssystem, weniger eine
Michelin-Qualitätsangabe als ein System, um die Katzen, eine lange
Abfolge von Fellen, Pfoten und Buckeln, auseinanderzuhalten und
sich später daran zu erinnern. »Zu viele Katzen an einem Tag geht
nicht. Dann überlagern sie sich. Katze bleibt Katze.« Katzen zu
beurteilen ist anscheinend mindestens so schwierig, wie Katzen zu
hüten.
Für kaum ein Unternehmen weltweit spielt die Frage, wie und
wonach etwas schmeckt, eine größere Rolle als für den globalen
Gewürz- und Aromahersteller McCormick. Darum machte ich mich
eines Tages von Brooklyn, wo ich wohne, in die Vorstadt von
Baltimore auf, wo das Unternehmen seinen Hauptsitz hat. Ich wollte
Leuten bei der Arbeit zusehen, die für das Verkosten bezahlt
werden.
Als ich auf den Parkplatz fuhr, stieg mir eine zarte Gewürzwolke in
die Nase, deren Düfte ich nicht näher benennen konnte. (John
Locke, ich fühle mit dir.) Marianne Gillette, im Unternehmen für
angewandte Forschung verantwortlich, erklärte mir später, dass die
älteren Bewohner von Baltimore, die das Unternehmen noch
kannten, als es an der Küste beheimatet war, »bei dem Geruch von
Baltimore an McCormick denken«.
»Zimt erkennt jeder«, so Gillette. Was nicht weiter überrasche,
weil Zimt nicht nur das meistverkaufte Gewürz sei, sondern, wie
eine interne Studie des Unternehmens zu Essen und Emotionen
zeige, auch »das liebenswerteste«. Zimt führe geradewegs ins
Gedächtnis, für viele sei Zimt mit der stärkste Geruch ihrer
Kindheit. Auch ich erinnere mich noch sehr gut an die längliche,
weiße Zimtdose von McCormick, nicht aber an das Oregano. Doch
auch wenn viele McCormick mit Gewürzdöschen oder Würzflaschen
in Verbindung bringen, ein wesentlicher Geschäftsbereich des
Unternehmens bietet heute »maßgeschneiderte Aromalösungen« für
Produkte weiter oben in der Nahrungsmittelkette an. »Wir sind in
jedem Supermarktregal vertreten«, sagte Gillette, und in unzähligen
»Schnellrestaurants«.
Beim Besuch des McCormick-Aromalabors kann man erleben, wie
vager menschlicher Geschmackssinn auf wissenschaftliche
Gewissheit trifft. Als ich einige Testtuben, die auf einem Arbeitstisch
lagen, neugierig beäugte, meinte Silvia King, Forschungsleiterin im
weißen Kittel, ich könne ruhig daran riechen. Ich roch Tomate oder
genauer gesagt, den Geruch, der an den Fingern haften bleibt, wenn
man Tomatenblätter berührt. »Einmal kam ein Kunde mit einem
verarbeiteten Tomatenprodukt zu uns«, erzählte King, »in dem
einfach das Geschmacksprofil frisch gepflückter Tomaten fehlte.«
Die McCormick-Forscher können dann unter Tausenden, aus
natürlichen Bestandteilen gewonnenen Molekülen nach der
Kopfnote (die, die man zuerst schmeckt) suchen, die den frischen
Tomatengeschmack herbeizaubert. Dabei werden die Moleküle in
lächerlich geringen Mengen beigemischt. »Wenn man einen einzigen
Tropfen dieser Thiazolverbindung hier in ein
Olympiaschwimmbecken geben würde«, sagte King und zeigte auf
die Testtube, »würde das komplette Becken nach Tomatenpflanze
riechen«.
Dem Labor stehen viele Werkzeuge zur Verfügung, um
herauszufinden, was Tomaten den Tomatengeschmack verleiht. King
deutete auf einen Computerbildschirm, auf dem ich gekappte
Zacken sah. »Dieses sogenannte Gas-Chromatogramm ist für mich
wie ein Rezept. Jede Zacke steht für einen bestimmten Bestandteil.«
So könne man Thiazol etwa mit Dimethylsulfid mischen, dem Geruch
nach geschäumtem Mais, oder mit Phenylethylalkohol, der nach
»Rosen oder Bier« rieche, oder mit Isovaleriansäure: Schokolade
und Käse. »Mit dieser Mischung«, so King, erhalte »man eine
wunderbare Kopfnote«, die bei gekochten oder älteren Tomaten oft
fehle. In der gigantischen Datenbank des Unternehmens verstecken
sich unter anderem auch »die molekularen Fingerabdrücke, die
mexikanischen von israelischem Oregano unterscheiden«.
Das Problem mit all dem Computerwissen ist allerdings, dass der
Mensch kein Computer ist. Wir kosten nicht von irgendetwas und
liefern dann wie ein Refraktometer einen Brix-Wert, um den
Zuckergehalt einer wässrigen Lösung als Gewichtsanteil
anzugeben. Der Mensch bringt eigene sensorische und
interpretatorische Vorrichtungen mit. 49 Anders als beim Computer
kann beim Menschen etwa eine winzige Aromaveränderung alles
Mögliche in Gang setzen. Wenn man nur ein bisschen Vanilleextrakt
in fettarme Milch gibt, scheint uns die Milch nicht nur süßer,
sondern auch sahniger und dickflüssiger. Dabei hat Vanille keinerlei
Einfluss auf Süße, Fettgehalt oder Viskosität. 50
Genau zu bestimmen, was ein Aroma für uns bedeutet, ist harte
Arbeit. Wie King erzählt, kommt ein Kunde vielleicht zu McCormick
und wünscht sich ein Avocadoaroma. »Er sagt uns: ›Ich weiß nicht,
womit man bei der Entwicklung des Aromas anfangen könnte. Ich
weiß nicht, ob ich eher eine Avocado-Guacamole oder lieber eine
frisch geschälte Avocado möchte.‹« Das Team entwickelt die ganze
Bandbreite. Manchmal seien die Kundenangaben noch
verwirrender, erzählt Gillette. »Wenn ein Kunde sagt, ›Ich möchte
Avocado oder Guacamole‹, schwebt ihm oft etwas ganz Bestimmtes
vor, was aber gar nicht Avocado ist, sondern eher Mais oder die
Limettennote in der Guacamole.« Oder das »Ritual« der Guacamole,
die er jedes Wochenende in seinem mexikanischen
Lieblingsrestaurant isst.
Auf der Suche nach mehr Klarheit greift McCormick, wie Gillette
schmunzelnd sagt, auf »menschliche Chromatographen« zurück,
geschulte Geschmackstester. Ich treffe Jason Ridgway und Tess
Aldredge, zwei erfahrene sensorische Tester, in einem kleinen
Nebenraum. Durch einen Spionspiegel schauen wir in einen rötlich
erleuchteten Raum mit rundem Tisch, an dem mehrere Leute
bedächtig an Brezeln aus kleinen Pappbechern knabbern. »Die
Geschmackstests finden unter Rotlicht statt«, hatte mir Gillette
erklärt. »Wenn man zwei Bratensoßen testet, von der die eine
dunkler als die andere ist, hält man die dunklere sonst für fleischiger
und gehaltvoller.« Das Fehlen von Licht und Farbe erschwere den
Testerjob noch, sagte Aldredge. »Wenn man die Rotverzerrung nicht
berücksichtigt, schmeckt es ›wie Erdbeere‹. Man muss genau
nachdenken. Das ist psychisch sehr anstrengend.«
Ridgway legte einen Schalter um. Aus dem anderen Raum
drangen Töne herüber, wie eine Übertragung aus einem entfernten
Raumschiff. Der Testleiter fragte die Gruppe nach der
»Knusprigkeitsdauer«, was mir Ridgway als den Zeitraum erklärte,
»nach dem sich die Qualität beim Kauen vollkommen verändert
hat«. Die Testgruppe erhielt eine Skala zur Bewertung der
»Knusprigkeitsdauer«, die von Cornflakes bis zu Pringles-
Kartoffelchips reichte. Der Testleiter fragte: »Schmeckt sonst noch
jemand die angebrannten Stücke?«
Dann warf jemand das Wort »modrig« in den Raum. Ich wunderte
mich. Was hat Moder mit Brezeln zu tun? Und möchte irgendjemand
modrige Brezeln? »Wenn Sie hier Fachbegriffe wie angebrannt oder
modrig hören«, erklärte mir Ridgway, »müssen Sie immer daran
denken, dass das sensorische Beschreibungen sind. Eine
angebrannte oder modrige Note ist nichts Negatives.« Und
Aldredge fügte hinzu: »Viele Produkte haben eine modrige Note. Oft
bezeichnen die Leute dieses Wasser« – dabei zeigte sie auf die
Pappbecher zur Reinigung des Gaumens – »als leicht modrig.«
»Dann ist es Zeit, den Filter in unserer Filteranlage zu wechseln«,
sagte Ridgway. Die modrige Note rühre zwar von einem chemischen
Bestandteil her, Alpha-Phenylalkohol, aber, so Ridgway, Begriffe wie
»modrig«, »nasser Hund« oder »dreckige Socken« seien irgendwie
»benutzerfreundlicher«. Ridgway wies mich auch darauf hin, »dass
jeder modrig ein wenig anders interpretiert. Da gibt es alles vom
feuchten Keller bis zu alten Büchern.« »Für mich ist es Wasser aus
dem Gartenschlauch«, warf Aldredge ein.
Die Worte wollen sorgfältig abgewogen sein. 51 Man braucht einen
sensorischen Begriff wie »frische Ananas« nämlich nur zu
erwähnen, und schon macht die Testgruppe diesen etwa in Cheddar-
Käse aus. Die Tester schmecken dann »Phantom«-Eigenschaften.
Sie werden in die falsche Richtung geschickt und die Verbraucher
am Ende auch. »Es ist schon vorgekommen, dass jemand sagte:
›Hier der Käse schmeckt mir.‹ Wir sind ihn dann durchgegangen,
haben ihn mit unseren Begriffen beschrieben, und plötzlich
bemerkte jemand: ›Ey, der riecht echt nach Babykotze.‹ Dann essen
die Leute den Käse nicht mal mehr zu Hause.« Jedes
Nahrungsmittel verwandelt sich. Zwiebeln haben eine
»Gumminote«. Mango riecht nach Schwefel. »Eine wirklich gute
Papaya«, so Gillette, »hat eine starke Müll-Note.« (Merke: Wer
jemals zum Müllessen gezwungen werden sollte, denke dabei am
besten an Papayas.)
Es überrascht angesichts des verfügbaren Vokabulars wohl kaum,
dass die Frage, die uns beim Verkosten als Erstes einfallen würde,
bei Geschmackstests nie gestellt wird: Schmeckt es gut oder
schlecht? Das liegt unter anderem daran, dass sich die
Wahrnehmung der Geschmackstester durch die Äußerung von
Vorlieben und Abneigungen wohl verändern würde. Professionellen
Geschmackstestern schmeckt zudem oft nicht dasselbe wie
Laientestern, den Verbrauchern also. Der Titel einer Studie im
Australian Journal of Dairy Technology sagt schon alles:
»Käsebewertungen contra Verbraucherakzeptanz: eine
unvermeidliche Kluft.«
Die Berücksichtigung von Präferenzen bei Geschmackstests
würde nur unnötig Staub aufwirbeln. Wie der einflussreiche
Lebensmittelwissenschaftler Harry Lawless sagt: »Man fragt auch
keinen Gas-Chromatographen oder ein pH-Messgerät, wie es
schmeckt, warum also eine Testgruppe, die einen Geschmack
analysieren soll?« Angenommen, man fragt Tester, ob Produkt A
oder B salziger sei, und anschließend, welches ihnen besser
schmecke. 52 Was macht man, wenn die Leute beim Salztest falsch
liegen? Hält man ihr hedonistisches Urteil dann immer noch für
glaubwürdig? Außerdem mag nicht jeder dasselbe oder aus
denselben Gründen. Eine frühere Ausgabe des McCormick-
Gewürzlexikons kannte noch die Kategorie »schlechte
Geschmacksnote«, beispielsweise »seifig« bei Sellerie. Doch wer
auf »seifig« abschätzig herunterblickt, ignoriert, dass die »seifige«
Note zum Selleriecharakter gehört. Sensorische Lexika vermeiden
Begriffe, die eine Qualitätsaussage beinhalten oder nicht für jeden
dasselbe bedeuten könnten. Vieles aus typischen »Weingesprächen«
wie »rund« oder »weich« kommt in professionellen Weinlexika nicht
vor. 53
Ein weiteres Problem ist, dass sensorische Geschmackstests nicht
in der Umgebung stattfinden, in der man normalerweise seine
Mahlzeiten einnimmt. Was einer kleinen Runde im Labor gut genug
erscheint, wirkt am abendlichen Esstisch vielleicht weniger
ansprechend. Man kann das Geschmacksprofil eines Softdrinks im
Labor analysieren, so Nancy Farace, Managerin für
Lebensmittelerkenntnisse bei McCormick, aber wenn man das
Getränk dann in die Wildnis entlässt, also dem Verbraucher
übergibt, entpuppt es sich möglicherweise als ein völlig anderes
Tier. »Wie trinkt der Verbraucher das Getränk? Mit Eis? Oder bei
null Grad? Aus einem Plastikbecher, einem Glas oder aus der Dose
oder mit Deckel und Strohhalm? Was isst er vorher und nachher? Es
geht nicht nur darum, wie dem Verbraucher das Getränk schmeckt,
sondern auch, wie und wann er es konsumiert.« Wenn man
jemanden fragt, wie ihm etwas schmeckt, so der niederländische
Lebensmittelforscher E. P. Köster, dann ist er sofort in
Habachtstellung: Er »prüft den Geschmack aufmerksam und urteilt
möglicherweise nach anderen Kriterien, als wenn er einfach nur
isst.«54 Würde man aber durchschnittliche Verbraucher bitten,
analytischer zu denken, könnte das ihre vorbehaltlose
Wahrnehmung stören.
Kurz und gut, zumindest in der Lebensmittelindustrie will man im
Allgemeinen nicht wissen, was den Fachleuten gut schmeckt – weil
dasselbe den meisten Verbrauchern vermutlich nicht schmeckt –,
und man will auch nicht allzu genau wissen, warum dem
Verbraucher etwas schmeckt – weil er dies kaum mit brauchbaren
Begriffen erklären kann. Nehmen wir den Kaffee. Die Leute mögen
als sensorisches Merkmal vor allem die Bitterkeit, erklärte mir
Moskowitz, aber beim Verkauf von Kaffee würde man den Begriff
niemals in den Mund nehmen. Doch wenn man einfach nur
verkaufen will, was den Leuten schmeckt, müsste man sich doch gar
nicht mit solch raffinierten Geschmackstests und Testern, deren
Unterscheidungsfähigkeit auf Höchstleistung getrimmt ist,
herumschlagen. Wie mir Gillette erklärte, sind die Geschmackstests
unter anderem dazu da, die sensorischen Bestandteile auf den
Verbrauchergeschmack abzustimmen. Man testet nicht 50
Vanillesorten und versucht, herauszufinden, welche dem
Verbraucher schmecken, sondern man analysiert das Aromaprofil
von dem, was dem Verbraucher bekanntlich schmeckt und
entwickelt davon ausgehend neue Produkte.
Gillette hatte mich vor den Geschmacksexperten gewarnt, Leuten,
mit »denen ich nicht gemeinsam Mittagessen wollte«. Doch da
waren wir, in der Kantine von McCormick, und aßen Udon-Nudeln
mit frittiertem Hühnchen und Oregano und andere Köstlichkeiten
von der modernen Aromafront. Als geschulter Geschmackstester, so
Gillette, reagiere man »auf alte Lebensmittel und Öle besonders
empfindlich. Öle werden sehr schnell ranzig. Der durchschnittliche
Verbraucher isst wahrscheinlich hochzufrieden manches, was wir
schon als ranzig empfinden.« Wie Aldredge sagte, passiere es ihr
manchmal, dass sie mitten in einer Mahlzeit nicht mehr weiteressen
könne. »Freunde fragen dann, ›warum isst du nicht weiter?‹ Ich
sage: ›Darüber möchte ich jetzt nicht reden.‹ Aber dann sind sie
natürlich erst recht neugierig.«
Den Gourmet mit der goldenen Zunge oder die »Riechnase« der
Duftindustrie, die dank ihrer göttlichen Begabung zig für uns
ununterscheidbare Bestandteile wahrnehmen, hat man lange Zeit
geradezu kultähnlich verehrt. So berichtet Brillat-Savarin in The
Physiology of Taste von »römischen Gourmets«, die »allein am
Geschmack erkennen, ob ein Fisch unter einer Stadtbrücke oder
weiter unten im Flusslauf geangelt wurde«. 55 Oder Sancho Pansa,
selbst mit einem »ausgeprägten, angeborenen Riecher für den
Wein« gesegnet, erzählt im Don Quijote, wie zwei seiner
Verwandten von Dörflern aufgefordert werden, einen Fasswein zu
beschreiben: »Der eine kostete ihn mit der Zungenspitze, der andre
führte ihn bloß an die Nase. Der Erste sagte, der Wein schmecke
nach Eisen, der Zweite, eher nach feinem Ziegenleder.«56 Der
Winzer protestiert, das Fass sei sauber. Doch als aller Wein
schließlich verkauft und das Fass gereinigt wird, kommt ein
Schlüsselchen mit einem kleinen Riemen aus Ziegenleder zum
Vorschein.
Dennoch sollten wir skeptisch sein, wenn Leute sich in blumigen
Wein- oder Kaffeebeschreibungen ergehen. 57 Unsere Fähigkeit, die
Bestandteile komplexer Duftmischungen richtig herauszuriechen,
stößt nämlich schon bei drei Inhaltsstoffen an ihre Grenzen. Danach
fangen die Leute an zu raten und liegen dabei noch schlechter als
die statistische Wahrscheinlichkeit.
Auch über den »ausgeprägten, angeborenen Riecher« von Sancho
Pansa haben Geschmacksexperten einiges zu sagen. Ein geborenes
Talent gibt es nicht, sagen sie. In dem Dokumentarfilm Somm von
2013 erläutert ein angehender Meister-Sommelier: »Wer
großartige Samurai-Schwerter fertigen kann, hatte einen Lehrer.
Doch bei Wein denken wir, man müsse ein Naturtalent sein. Bei
einem Schwertmacher würde niemand von einer natürlichen Gabe
reden.« Auch Aldredge gestand mir: »Ehrlich gesagt glaube ich
nicht, dass ich einen feineren Geschmack als andere besitze. Ich
weiß allerdings, was ich schmecke, und kann es benennen.« Es gibt
natürlich individuelle Unterschiede in der sensorischen
Wahrnehmung, die für Testgruppen auch eine Rolle spielen. Doch
Geschmackstester brauchen noch andere grundlegende
Fähigkeiten. So müssen sie etwa den »Triangel-Test« bestehen, also
unter drei Dingen das bestimmen können, das sich von den beiden
anderen unterscheidet. Jedenfalls ist die Schlüsselfertigkeit für
einen professionellen Geschmackstester nicht die begnadete Zunge.
Ihr Geheimnis, das gar kein Geheimnis ist, ist genau das, was wir
schon bei anderen Experten gesehen haben. Erstens die Praxis: Bei
McCormick absolvieren die Experten ungefähr 150
Schulungsstunden, ehe sie an ihrem ersten Test teilnehmen. Und
ehe sie überhaupt angenommen werden, müssen sie Fragen
beantworten wie: »Sind Sie bereit, zwar Ungefährliches, aber
Unangenehmes zu essen?« Dass die Praxis wichtiger ist als
angeborene Fähigkeiten, haben schon viele Versuche belegt, in
denen man Experten, die in einem Aromabereich erfahren waren,
anderes zum Testen vorlegte. 58 Die neuen Aromen konnten sie nicht
so zuverlässig erkennen und zuordnen. Oder sie übertrugen auf den
neuen Bereich schon bekannte Begriffe, obwohl diese ungeeignet
waren.
Zweitens das Gedächtnis: Wer wissen will, ob eine Brezel
ungefähr dieselbe »Knusprigkeitdauer« wie Ritz-Cracker hat, muss
sich erinnern können, wie knusprig Ritz-Cracker sind. Wer sagt,
eine Karotte rieche heuähnlich, muss den Heugeruch in seinem
Gedächtnis abrufen können. Vergleichsstudien mit erfahrenen und
unerfahrenen Weinverkostern zeigen, dass erfahrene Tester die
Noten des Weinbouquets nicht absolut besser wahrnehmen,
sondern vor allem besser bestimmen können. 59 Bei unbekannten
Duftnoten schneiden erfahrene und unerfahrene Verkoster fast
gleich gut ab.
Doch am wichtigsten ist vielleicht die Sprache. Man kann, wie
schon John Locke festgestellt hat, den Geschmack einer Ananas nur
richtig beschreiben, wenn man schon einmal eine gegessen hat.
Doch dann kann die Sprache hervorlocken, was genau wir
geschmeckt haben. Geschmackstester berichten häufig von einer
Rückkopplungsschleife: Je mehr Aromen man schmeckt, desto mehr
Wörter fallen einem ein, die dann noch mehr Aromen hervorlocken.
Wie viel von dem Minzgeschmack entsteht erst durch das Wort
»Minze«?
Sprache und Gedächtnis sind bei Geschmackserlebnissen
untrennbar verknüpft. So untersuchte eine australische Studie, wie
zuverlässig erfahrene und weniger erfahrene Weinverkoster Listen
mit Weinvokabeln zur »üblichen Beschreibung bestimmter Weine«
wiedergeben konnten. Die Probanden erhielten zunächst Kartensets
mit typischen sensorischen Merkmalen bestimmter Weine. Den
Wein selber bekamen sie leider nicht. Riesling etwa schmeckte
»nach Mineralien und Kalk« und hatte ein »spritziges, blumiges«
Bouquet. Dann gab man den Probanden gemischte Kartensets, die
keinen bestimmten Wein beschrieben. Nun erinnerten sich die
erfahrenen Weinverkoster an weniger Weinvokabeln als die
unerfahrenen Verkoster. Ähnlich ergeht es Schachexperten: Ihr
grandioses Gedächtnis für Schachpositionen löst sich in nichts auf,
wenn die Schachfiguren zufällig und anders angeordnet sind, als sie
es tausendmal auf dem Schachbrett gesehen haben. 60
Weinexperten und Sommeliers haben eine bestimmte Weinsprache
verinnerlicht. 61 Normalerweise beruht diese auf
»Verkostungskarten«, die die Eigenschaften eines Weins in einer
bestimmten Reihenfolge auflisten, übrigens eine ähnliche Strategie,
wie sie Schachmeister verwenden. Die Reihenfolge der Begriffe
wird im Gedächtnis schließlich so dominant, dass einzelne Wörter
ohne ihren Zusammenhang schlechter erinnert werden. Doch
erinnert oder nicht, Wörter sind jedenfalls genauso wichtig wie die
Verkostung selber.
Wir stellen uns in der Regel vor, dass Weintester um einen Tisch
sitzen, sich durch die Weine schnüffeln oder atmen und dann die
rätselhaften Geheimnisse des Weins in ihrer blumigen Sprache
beschreiben. Doch meist ist es genau umgekehrt. Die Weinexperten
berücksichtigen zunächst die Kategorie des Weins, etwa Sauvignon
Blanc aus Neuseeland, beschwören einen Prototyp dieses Weins
herauf und schauen dann, inwieweit der verkostete Wein dem
Prototyp entspricht. 62 Wenn man weiß, wonach man sucht, ist es
wesentlich einfacher, etwa das Aroma eines Weins wahrzunehmen.
Wie die Psychologin Sylvie Chollet und ihre Kollegen schreiben, ist
»denken, dann schnüffeln« eine bessere Strategie zur
Identifizierung von Gerüchen als »schnüffeln, dann denken«. 63
Weinexperten sind so auf Prototypen programmiert, dass das auch
nach hinten losgehen kann, wenn man Ungewöhnliches unter einen
Wein mischt. 64 So gab die Wahrnehmungsforscherin Rose Marie
Pangborn rote Lebensmittelfarbe in Weißwein, und die erfahrenen,
nicht die unerfahrenen Verkoster hielten den Wein sofort für süßer.
»Das liegt vermutlich daran«, so Pangborn, »dass sie viele süße
Roséweine kennen.«65 Wie die Lebensmittelfarbe auf den Wein,
färbt das Wissen der Weinexperten auf den Geschmack ab. 66
Einmal angenommen, wir hielten Verkostungsexperten für
Naturtalente, weil wir in den getesteten Produkten nicht das
»sehen« können, was sie sehen. Dann stehen wir, so der Professor
für Philosophie Barry Smith, vor einem Dilemma: »Denn entweder
hat ein Wein einen bestimmten Geschmack und Geruch, den alle
wahrnehmen können, oder Geschmack und Geruch können nur von
Auserwählten wahrgenommen werden, die über ein besonderes
Geschmacksempfinden, also eine spezielle sensorische Ausstattung
verfügen.«67 Es dürfte bis hierin klargeworden sein, dass zweifellos
Ersteres richtig ist. Geschmack ist weniger eine Gabe als ein
Ergebnis. 68 Es geht weniger darum, was man hat, als was man
draus macht.
Die meisten von uns machen eher wenig daraus. Üblicherweise
kratzen wir lediglich an der Oberfläche der sensorischen Welt, und
der Geschmack macht da keine Ausnahme. Der »Akustik-Ökologe«
Murray Schafer sagte einmal, wenn man wirklich hören wolle,
müsse man die akustische Verarbeitung im Gehirn umtrainieren. 69
Er schlug dazu verschiedene Übungen vor: die Augen zu schließen,
um weniger abgelenkt zu sein, oder Klängen einen
»onomatopoetischen«, lautmalerischen, Namen zu geben – was an
die Bemühungen erinnert, Geschmack durch Sprache zu
beschreiben. Meistens sind wir beim Essen und Trinken jedoch
stark abgelenkt, und zudem kennen wir nur wenige Wörter, um zu
beschreiben, was im Mund passiert. Was wir von einer Mahlzeit
wahrnehmen und woran wir uns erinnern, bleibt meist dem Zufall
oder gar dem Unterbewusstsein überlassen.
Samuel Renshaw, ehemals Psychologe an der Ohio State
University, hat bekanntlich ein Schulungssystem entwickelt, durch
das die amerikanischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg feindliche
Flugzeuge und Schiffe besser erkennen sollten. Er hat aber ebenso
mit Destillerien zusammengearbeitet, damit deren
Geschmackstester Abweichungen besser herausschmecken
konnten. Renshaw zufolge nutzen die meisten im Alltag »nur etwa
zwanzig Prozent ihrer sensorischen Fähigkeiten«. 70 Besitzen wir
also Sensibilitätsreserven, die nur darauf warten, durch die
richtigen Methoden oder Umstände zum Leben erweckt zu werden?
In einer beeindruckenden niederländischen Studie sollten
Probanden aus fünf Milchsorten mit unterschiedlichem Fettgehalt
die fettarme Milch heraussuchen, die sie normalerweise kaufen. 71
Nur wenigen gelang das wirklich. Alle Optionen schienen der
»eigenen« Milch zu ähneln. Als aber eine zweite Gruppe aus
denselben Milchsorten ihre »echte holländische Milch« unter den
ansonsten »billigen, minderwertigen, ausländischen Sorten«
heraussuchen sollte, konnten die Probanden »ihre« Milch plötzlich
viel besser identifizieren. Auf einmal waren sie motiviert,
Unterschiede herauszuschmecken. (Wie könnte ich meine schöne
Milch mit diesem billigen ausländischen Zeug verwechseln!) Durch
ihre emotionale Reaktion wurden implizite Präferenzen
»freigesetzt«, die auch vorher schon da waren. 72 Das Experiment
lehrt uns, dass uns unsere eigenen Vorlieben oft verborgen bleiben:
Unser eigener Geschmack ist uns fremd. Darum kann die simple
Frage, was uns schmeckt, kaum zu befriedigenden Antworten
führen.
Als ich mit den Experten von McCormick über die sensorischen
Eigenschaften von Brezeln sprach, lenkte mich eine Dose Dr Pepper
ab, die mit anderen Erfrischungsgetränken auf dem Tisch stand. Mir
fiel plötzlich auf, dass ich, ähnlich wie Locke mit seiner Ananas, gar
nicht richtig wusste, nach was Dr Pepper eigentlich schmeckt; ich
hatte auch noch nie wirklich darüber nachgedacht. Mein erster
Gedanke war: Das schmeckt »nach Dr Pepper«. Doch wie würde ich
jemandem die Geschmacksnoten beschreiben, der das Getränk nicht
kennt? Das Unternehmen nutzt das epistemologische Dunkel
natürlich aus und wirbt auf der Dose mit »23 Aromen«. Das macht
Gusto darauf, das Geheimnis zu lüften. Welche Aromen könnten das
sein? Und 23 sind doch bestimmt besser als 11!
Das Rätsel lässt an die Geschichte der Marke denken. Das Image
von Dr Pepper, so Joseph Plummer, war in den 1960er Jahren vor
allem durch Missverständnisse geprägt: Das Getränk galt als Arznei
oder bestand angeblich aus Pflaumensaft. Dem Unternehmen gelang
es jedoch, die komischen Noten seines Schmeckt-nicht-nach-Cola-
Getränks in Stärken zu verwandeln. Anfang der 1970er Jahre war
Dr Pepper der viertbeliebteste Softdrink. 73 Es kann nämlich eine
Stärke sein, wenn ein Geschmack nur schwer zu entschlüsseln ist.
Eine Coca-Cola, so Howard Moskowitz, sei auch wegen ihres
komplexen Aromas beliebter als Orangenlimo. Die Verbraucher
haben sie nicht so schnell satt wie eine Orangenlimo, die mit ihrem
einfachen, leicht wiedererkennbaren Geschmacksprofil zunächst
vielleicht »leichter zu lieben« sei. Je besser man einen Geschmack
bestimmen könne, desto eher setze er sich im Gedächtnis fest und
werde wiedererkannt.
Wie es der Zufall will, ist mir Dr Pepper ziemlich schnuppe.
Normalerweise kaufe ich das Getränk nicht, gehe ihm aber auch
nicht reflexhaft aus dem Weg. Und egal, wie gut es mir vielleicht
sogar schmeckt, mein Gefühl bezieht sich eher auf das Getränk als
Ganzes und nicht auf eine Analyse seiner sensorischen und
trigeminalen Eigenschaften. Meine Gefühle wurden unter anderem
durch die Darbietungshäufigkeit geformt. Dr Pepper ist eher im
Süden der Vereinigten Staaten verbreitet, und weil ich nicht dort
aufgewachsen bin, hatte ich nicht so viel Gelegenheit, davon zu
kosten. Aber spielt dabei nicht vielleicht doch eine negative
Einschätzung eine Rolle? Würde ich das Getränk möglicherweise
lieber trinken, wenn ich mehr darüber wüsste?
Da schoss mir durch den Kopf, dass das doch die Gelegenheit war.
Ich saß mit lauter sensorischen Experten am Tisch. Die Gelegenheit
für einen Geschmackstest also. »Wir sollten Herrn Vanderbilt in den
Dr-Pepper-Aromastoffen schulen«, sagte Gillette sofort. Ich führte
das Glas zur Nase. »Nach was riecht es?«, fragte Ridgway. »Wenn
Sie es nicht beschreiben können, an was erinnert es Sie?« Ich roch
etwas, wusste aber nicht, was. Ich spürte geradezu, wie eine
frustrierte Synapse feuern wollte, die meine sensorischen
Vorrichtungen mit meinem Gedächtnis verband. Gillette erkannte
mein Problem und roch an dem Glas. »Für mich riecht es nach
etwas, das kein Getränk ist und das ich liebend gern zum Dessert
esse.« Vor meinem inneren Auge erschien ein vages Bild. »Ohne die
richtige Sprache ist es immer schwer«, sagte Ridgway mitfühlend.
Gillette fragte, ob sie mir helfen dürfe: »Mich erinnert es an
Burgundy-Cherry-Eiscreme. Vanille, die cremige Note,
Traubenkirschen.«
Es war, als öffnete sich eine Tür. Ich roch noch einmal, und da
hatte ich es, quasi in Großbuchstaben tauchte es vor meinen Augen
auf. Wieso hatte ich das nicht gleich gemerkt? Natürlich kannte ich
den Geruch. Das war nicht Lockes Ananas. Aber besaß ich nun doch
eine schwache Erinnerung an das, was ich dachte, was es war, oder
sorgte erst die Terminologie dafür, dass ich mich erinnerte?
Gerüche, besonders unangenehme Gerüche, können ja, so sagt man,
alte Erinnerungen heraufbeschwören. 74 Aber was beschwört die
Erinnerung an die Gerüche herauf?
Die Wissenschaft ist in der Frage eher gespalten. 75 Werden
Geruchserinnerungen durch Worte, also eine semantische
Vermittlung, geweckt, oder arbeitet das Geruchsgedächtnis quasi
allein? Wie auch immer, ich fand es seltsam, dass ich beim Geruch
von Dr Pepper eine ganz klare Empfindung hatte, genau wusste,
dass es nicht Coca-Cola und auch nicht 7Up war, aber nicht, was es
denn eigentlich war. Wie viel Zeit verbringen wir in unserem Leben
als sensorische Schlafwandler, die Dinge nur unbewusst
wahrnehmen? Und wo liegt der Unterschied zwischen meiner
seltsamen Empfindung und einem Song, den wir keinem Genre
zuordnen können, oder einem weitentfernten Gegenstand, den wir
nur ungenau erkennen?
Wenn man zu aufmerksam ist, kann man verrückt werden. Das
dachte ich, als wir unsere Geschmacksnoten verglichen. »Ich fand
das Getränk fad«, sagte Aldredge. »Für mich war es eher kein
Lebensmittel, sondern Mulch.« »Oh«, sagte Gillette mit
hochgezogenen Augenbrauen. »Es hat erdige Noten«, sagte
Aldredge, »holzig.« Ein wenig verlegen warf ich »Klee?« in die
Runde. »Könnte sein«, sagte Ridgway unbeeindruckt. Jedenfalls
konnte keiner im Raum alle 23 Aromen benennen. Vergessen wir
nicht: Die sensorische Spitzenleistung liegt bei drei Zutaten. Wir
sprachen über Aromen, versuchten, sie durch Sprache
hervorzulocken, und erweckten damit neue Erinnerungen – und
neue Geschmacksrichtungen – zum Leben. Gillette hatte mich
gewarnt: »Danach schmeckt Dr Pepper für Sie nie mehr wie
vorher.«76
Dem einen ist die violette Farbe sanft und lieblich, dem andern tot
und erstorben. Einer liebt den Ton der Blasinstrumente, der andre
den von den Saiteninstrumenten. Darüber in der Absicht zu
streiten um das Urteil anderer, welches von dem unsrigen
verschieden ist, gleich als ob es diesem logisch entgegengesetzt
wäre, für unrichtig zu schelten, wäre Torheit; in Ansehung des
Angenehmen gilt also der Grundsatz: ein jeder hat seinen eigenen
Geschmack (der Sinne). 78
Ein Geschmacksurteil ist, so Kant, nur »sofern rein, als kein bloß
empirisches Wohlgefallen dem Bestimmungsgrunde desselben
beigemischt wird.«79 Nach Kant sind die Geschmacksurteile der
Richter auf der Katzenausstellung oder dem Beer Festival zwar
»interesselos«, weil sie eigene Vorlieben zugunsten allgemeiner
Kriterien zurückstellen, aber dass die zu bewertenden Objekte
unter bestimmten Begriffen betrachtet werden, macht die Urteile
verdächtig. Wer diese »Regeln«, »nur generale (wie die empirischen
alle sind), nicht universale Regeln«,80 festlegt, »setzt einen Begriff
vom Zwecke voraus, welcher bestimmt, was das Ding sein soll,
mithin einen Begriff seiner Vollkommenheit; und das ist also bloß
adhärierende Schönheit«. 81 Vielleicht hätte Kant über Bier gesagt,
so der Philosoph Matt Lawrence: »Es gibt in dem Bier selber etwas,
das es so großartig macht.«82
Mit seinem berühmten, dornigen und »verbotenen« Text
versuchte Kant, so der Kant-Experte Christian Wenzel, das Problem
zu lösen, das auch für mich bei der Frage nach dem Wandel
ästhetischer Normen auftauchte: Ist Geschmack subjektiv oder
objektiv? »Das Lustgefühl, das mit einem Geschmacksurteil
einhergeht«, so Wenzel, »kann auf der einen Seite nicht völlig
subjektiv sein. Sonst gäbe es keine Rechtfertigung für den
allgemeinen Anspruch, den man damit erhebt. Ein solcher Anspruch
könnte gar nicht erst entstehen, und es käme zu keinen
Auseinandersetzungen über den Geschmack.«83
Man kann eine Katze oder ein Bier also nicht nach Gutdünken als
gut bezeichnen. Denn was wäre das für eine Aussage, und woher
wüssten wir dann, welche Katze besser ist? »Unser Lustgefühl bei
der Betrachtung von Schönheit kann aber auf der anderen Seite«,
so Wenzel, »auch nicht völlig objektiv sein, weil Streitigkeiten in
puncto Geschmack dann, wie in der Physik, mit wissenschaftlichen
Methoden entschieden werden könnten.« Ein Computer könnte uns
dann sagen, welches Bier das beste ist. Unser Geschmack, auf dem
unser Urteil beruht, scheint also eine undurchsichtige Mittelstellung
einzunehmen. Und mit dem Richterwesen gibt man Leuten offenbar
die Möglichkeit, über Geschmack zu reden, ohne wirklich über
Geschmack oder zumindest nicht über persönlichen Geschmack zu
reden.
Was also ist ein gutes Bier? Die Frage stellte ich einer kleinen
Richterrunde am Ende eines langen Festivaltags, an dem die Richter
jede Menge Geschmackstests absolviert hatten. Passender- oder
vielleicht seltsamerweise fand die Unterhaltung bei einem Bier
statt, Pilsner von Left Hand Brewing. »Die Richtertätigkeit
erfordert eine hohe Konzentration«, erklärte mir Jamie Floyd, der
tätowierte, verstrubbelte und offenbar mit endloser Energie
gesegnete Eigentümer von Ninkasi Brewing in Eugene, Oregon. »Da
tut ein schönes, klares Pils einfach gut.«
Die Richter verklickerten mir als Erstes, dass sie natürlich so
analytisch vorgingen wie möglich, aber sie seien schließlich auch
nur Menschen, und jeder habe eben seine Vorlieben. »Wir
versuchen, objektiv zu sein und anhand der detaillierten Richtlinien
zu urteilen«, sagte Brad Kraus, der schlaksige maestro cervecero
mit Cowboy-Hut von der panamesischen Brauerei La Rana Dorada.
»Aber ein bisschen subjektiv müssen wir schon sein, sonst könnte ja
ein Computer unseren Job machen.« Ein Bier kann der Richtlinie
perfekt entsprechen, aber ist es darum schon ein gutes Bier? »Zu
unserer Brauerei gehört ein Analyselabor, aber auch ein
sensorisches Labor«, ergänzte Floyd. »Wir haben beides, eine
Laboreinrichtung trinkt schließlich kein Bier.«
Shanteau hatte mir gesagt, ein Experte zeichne sich unter
anderem dadurch aus, dass er andere davon überzeugen könne, ein
Experte zu sein. Doch die Richter, mit denen ich am Tisch saß,
machten überraschenderweise keinen Hehl aus ihren Zweifeln.
Vorhin war mir aufgefallen, dass die Stout-Richter wie eine
Pokerrunde wirkten: Sie saßen um einen runden Tisch und
begutachteten, was sie vor sich hatten, mit möglichst regloser
Miene. Dabei sind die Biere zufällig gruppiert: Man kann sein
»Blatt« also nicht durch seine Mimik verraten.
Fal Allen, Braumeister von Anderson Valley Brewing, Bartträger
mit schlauem Blick, sagte, häufig würden die Richter zunächst auf
Fehler verweisen. Der Grund dafür könne sein, dass unsere Sinne
Fehler zuerst bemerken. Aber vielleicht sei es auch einfach leichter,
auf Fehler hinzuweisen als vage positive Qualitäten zu verteidigen:
»Heute habe ich es gesagt: ›Mir gefällt dieses Bier.‹ Und jemand
fragte: ›Wow, was daran gefällt dir?‹ Und ich dachte, ›Oh nein, jetzt
muss ich meinen Geschmack vor all diesen Experten begründen und
rede bestimmt Blödsinn.‹ Manchmal ist es einfach leichter, sich die
negativen Punkte herauszupicken.«
Es mag am Richtertisch tausenderlei äußere Einflüsse geben, das
vorherige Bier, die Raumtemperatur oder die Stimmen der anderen
Richter, doch in der rauen Wirklichkeit ist die Frage, warum uns ein
bestimmtes Bier schmeckt, noch viel schwieriger zu beantworten.
Das Bier muss damit nicht einmal was zu tun haben. Kein Mensch
trinkt sein Bier wie ein Richter, ohne die Marke zu kennen, in
winzigen Schlückchen und nur auf das konzentriert, was er im Mund
hat. Ein Richter trinkt nicht zum Vergnügen, sondern mit einem Ziel.
Er isst zwischen zwei Bieren ein Stück Schokolade oder schnüffelt
an seinem eigenen Arm, um seinen Gaumen »auf null zu setzen«.
Wer würde das in der Kneipe tun? »In einer vollen Kneipe gibt es
neben dem Bier noch vieles andere«, sagte Floyd. »Musik,
interessante Menschen, Gerüche oder schiefen Karaokegesang. Da
kann man schon mal drei oder vier Bier runterkippen, ohne dass sie
irgendwie Eindruck machen. Und plötzlich konzentriert man sich auf
das Bier und fragt sich verblüfft: ›Was schmeckt mir überhaupt
daran?‹«
Vorige Woche, so erzählte ich den Richtern, hätte ich mir in einem
Ramen-Laden in Brooklyn eine billige Dose des Biers Pabst Blue
Ribbon genehmigt. Seit meiner College-Zeit hatte ich
wahrscheinlich kein Pabst mehr getrunken und auch keine
besondere Sehnsucht danach verspürt. Doch zufälligerweise erfreut
sich Pabst seit Anfang des 21. Jahrhunderts wachsender
Beliebtheit. 84 Im Jahr 2009 verzeichnete das Bier eine
Absatzsteigerung von 25,9 Prozent, und in den Kneipen wurde es
sogar teurer. Seine Popularität, schrieb der Autor Rob Walker, liege
offenbar an einer seltsamen, das Gesetz von Angebot und
Nachfrage ignorierenden Kombination aus niedrigem Preis,
relativer Knappheit und einer klugen Marketingkampagne, die auf
die »Authentizität« des Biers setzte, ohne die Stammkunden, die
dem Bier diese Authentizität verliehen, zu verprellen. Der
Geschmack des Biers wird, zumindest von den zigtausend
Bewertern auf RateBeer.com, leicht widerstrebend und quasi
entschuldigend so beschrieben: »ein anständiges Bier fürs
Rasenmähen«, »das richtige Bier, wenn man auf einem Konzert in
der Menge steht«, »das perfekte Bier für den Collegestudenten, der
sich einen Aufsatz aus den Fingern saugen muss«. Pabst hat beim
GABF übrigens gerade den ersten Preis in der Kategorie American
Light Lager davongetragen, und wie mir ein Richter glucksend
zuraunte: »Wie könnte es auch anders sein?«
Als ich das Pabst trank, fragte ich mich: Wieso kann ich überhaupt
noch so ein farbloses Bier trinken, wo es heute so viele andere
Biere gibt? Schmeckt es mir »als das, was es ist«, und passe ich
meine Top-down-Erwartungen entsprechend an? Und inwiefern
unterscheidet sich mein Trinkerlebnis von dem eines Pabst-
Liebhabers, dem man auf einmal ein ausgefallenes Craftbeer
kredenzt? Ist sinnliches Vergnügen nur im Verhältnis zum eigenen
Wissen zu haben, oder entsteht es auch aus sich heraus? Die
vielleicht unbedarfteste Antwort würde lauten: Der Pabst-Liebhaber
wird von dem einfach überlegenen Geschmack des Craftbeer so
überwältigt sein, dass er sich fragt: »Mein Gott, wieso habe ich bloß
mein Leben lang so ein Gesöff getrunken?«
In der Craft-Welt begegnet einem hin und wieder der Begriff
»Einsteigerbier«: ein Anfänger-Craftbeer, mit dem man sich
langsam an das Bier gewöhnt, nicht zu ausgefallen, vielleicht sogar
einfach eine gehaltvollere und qualitativ bessere Version der Sorte,
die man gewöhnlich trinkt. Früher war das wohl ein Heineken,
heute vielleicht ein Sam Adams. Doch ein Einsteigerbier allein
genügt nicht, um jemanden zum echten Bierkenner zu machen.
Die Macht der Top-down-Konditionierung kann die
Erwartungshaltung und die Biervorlieben so stark prägen, dass der
Einsteiger das neuartige oder fremde Bier aus der Privatbrauerei
gar nicht als Bier wahrnimmt. Unsere Sinnesorgane mögen keine
Überraschungen. »Wenn jemand zum ersten Mal ein Guinness
trinkt«, sagte Fal Allen, »ist er normalerweise nicht auf das
vorbereitet, was ihn erwartet. Er trinkt und denkt: ›Au Mann, was
soll das sein?‹ Besser sollte man ihm vorher erklären: ›Das
schmeckt anders als die Biere, die du gewohnt bist, schokoladig, und
achte mal auf die Espresso-Note.‹ Dann ist man offener für das, was
kommt.« Ebenso fehl am Platze, fügte Floyd hinzu, sei allerdings
auch die Ankündigung, »das wird dein Leben für immer verändern«.
Jemandem ein teures Trapist Ale hinzuknallen und zu erklären,
»Danach will ich in deinem Kühlschrank keine Coors-Büchse mehr
sehen!, käme nicht so gut«.
Aber was passiert, wenn der Einstieg gelingt? In seiner
Auseinandersetzung mit dem philosophischen Begriff der qualia, der
»Art und Weise, wie wir Dinge subjektiv erleben«, schildert der
Philosoph Daniel Dennett zwei hypothetische Kaffeetester bei
Maxwell House. 85 Nach sechs Jahren in der Firma beichten sie sich
gegenseitig, dass ihnen der Kaffee nicht mehr schmeckt. Aber über
die Gründe sind sie sich uneins. Der eine führt an, seine Standards
hätten sich gewandelt und er sei nun ein besserer Kaffeetester. Der
Geschmack von Maxwell-Kaffee gefalle ihm nicht mehr. Der andere
sagt dagegen, etwas in seinem Wahrnehmungsapparat habe sich
verändert: »Der Kaffee schmeckt jetzt einfach anders.« Würde er
noch genauso schmecken, würde er ihn noch mögen. Dennett
schließt daraus, dass wir »die Frage möglicherweise nicht endgültig
klären können«. Beide Ansichten hätten, wie in der Theorie vom
»Geschmacksobjekt«, etwas für sich, weil das »innere Abbild vom
Kaffee im Gehirn« über zahlreiche neuronale Netze mit den
sensorischen Rezeptoren in unserem Körper interagiere. Wie
könnte der Standard auch unverändert bleiben, wenn sich unsere
Sinne verändern, weil sie »mehr« Kaffee bekommen, und wie könnte
ein veränderter Standard nicht die Sinne verändern, die nun nach
»mehr« verlangen.
Was immer mit den Kaffeetestern passiert ist, es hat sich etwas
verändert. Was für den Einsteigerbierkonsumenten die Frage
aufwirft, was passiert, wenn er wieder »kehrtmacht«. Hat mir das
Pabst, das ich getrunken habe, wirklich geschmeckt? Und wenn ja,
habe ich tatsächlich seinen Geschmack genossen? Oder habe ich
daran gedacht, wie viel ich damit spare? Oder an seinen seltsamen
Hipster-Touch? Oder fühlte ich mich einen Moment lang von den
Mühen des Bierkennertums entlastet und schwelgte in den
einfachen Genüssen?
Der Braumeister Garrett Oliver, ein echter Gourmet, vertraute
mir an, dass er, wenn er jemanden mit einer Tüte White Castle
Cheeseburger hereinkommen sehe, »sofort zehn davon verschlingen
könnte. Ich halte nicht besonders viel von White Castle
Cheeseburgern, aber das ändert nichts daran, dass sie ein Teil
meiner Kindheit sind und ich mir damals kaum Besseres vorstellen
konnte.« Doch sie schmecken nie so gut wie in der Erinnerung.
Wenn wir als Erwachsene die Orte unserer Kindheit, unser Zimmer
oder den Garten, aufsuchen, scheinen sie, wie Dennett feststellt,
plötzlich geschrumpft, weil unser Gedächtnis mit unseren aktuellen
Größenmaßstäben kollidiert. Man kann ein Pabst nicht mehr
genauso trinken wie früher, ebenso wie man sein ehemaliges
Kinderzimmer nicht mit dem Körper und dem Geist des Kindes
erleben kann, das man einmal war.
Aber was ist, wenn der Einstieg einmal geschafft ist? Liegt vor
einem dann ein endloser, Escher-ähnlicher Reigen weiterer
Einstiegstore? Macht es den Menschen glücklicher, wenn er mehr
Biersorten zu genießen weiß und mehr Freuden auskostet, oder
riskiert er damit einen Lust-Kater? »In Oregon sind heute 38
Prozent aller verkauften Biere Craft-Biere«, sagte Floyd. »Die
Leute kennen sich da mit Bier aus. Aber es gibt auch jede Menge
zutiefst unglückliche Biertrinker. Zu Bier fällt ihnen nichts Gutes
mehr ein. Sie merken nur noch, was daran nicht stimmt. Manchmal
haben die Leute, glaube ich, eine so einseitige Wahrnehmung, dass
sie gar nicht mehr wissen, was sie anfangs so begeistert hat.«
Und wer glücklicher ist, ist noch längst nicht ausgemacht: Wer
tagein tagaus ein- und dieselbe, womöglich mittelmäßige Biersorte
trinkt und kaum ahnt, welche Biere er damit verpasst, oder der
wahre Bierkenner, ständig auf der Suche nach Neuem, der alles
kennt und immer ahnt, dass es bestimmt ein noch besseres Bier gibt
als das, das er gerade trinkt? Brad Kraus empfiehlt da einen
pragmatischen Ansatz, eine mittlere Strategie, die, wenn auch
bescheiden, der Weg zum Glück sein könnte: »Die Leute fragen mich
oft: ›Welches Bier trinken Sie am liebsten?‹ Ich habe nicht das eine
Lieblingsbier. Normalerweise sage ich, das, das ich gerade in der
Hand halte. Das hört sich für mich irgendwie gut an.«
Schlussfolgerungen
REINE GESCHMACKSSACHE
Oder doch nicht?
Was ich über die Welt des Geschmacks berichten konnte, klingt eher
beunruhigend. Wir wissen scheinbar oft gar nicht, was und warum
uns etwas gefällt. Unsere Geschmacksvorlieben leiden unter
unserer vielfältig verzerrten und unbewussten Wahrnehmung und
können durch Kontext und soziale Einflüsse sehr leicht ins Wanken
geraten. Dass uns morgen noch dasselbe gefällt wie heute, ist längst
nicht so wahrscheinlich, wie wir denken. Noch unwahrscheinlicher
ist allerdings, dass wir uns später erinnern, warum uns etwas
irgendwann einmal gefiel. Wie wir zudem gesehen haben, sind
selbst Experten nicht unfehlbar und können uns nicht sagen, wo wir
das Wahre und Gute finden oder von welchen Gefühlen sie sich bei
einer Entscheidung leiten lassen. Obwohl unser
Geschmackskompass, der uns bei Speisen, Musik, Kunst oder auch
Joghurtmarken den »richtigen« Weg weist, untrennbar zu unserer
Identität zu gehören scheint, können wir über dieses dauerhaft
aktivierte System kaum bewusst reflektieren. Im Lauf unserer
Betrachtungen haben sich jedoch einige Punkte, winzige Wegweiser
entlang eines verwirrenden, schwierigen Pfads, herauskristallisiert.
Mit diesen Wegweisern, die uns ein wenig Mut machen und etwas
Licht ins Dunkel bringen können, möchte ich dieses Buch beenden,
mit einer Art »Praxisleitfaden für Geschmackssachen« in unserer
Welt der unendlichen Möglichkeiten.
Ob uns etwas gefällt oder nicht, wissen wir, noch ehe wir wissen,
warum. Wir fällen »affektive Urteile« in Millisekunden. In unserer
komplexen Welt ist das eine tolle Fähigkeit, die uns wie ein
effizienter Filter durch unsere pralle Lebenswirklichkeit navigiert.
Doch Kurzbefehle haben ihren Preis: Wir übersehen mitunter, was
uns eigentlich gefallen hätte, sortieren voreilig aus, was uns später
doch gefällt, oder verstehen nicht, wo die wirklichen Gründe
unserer Vorlieben liegen.
Es gibt mehr als »Gefällt mir« oder »Gefällt mir nicht«. In der Welt
der sensorischen Geschmackstests rät man von Aussagen wie
»Gefällt mir« und »Gefällt mir nicht« allgemein ab. Wieso? Weil sie
die Urteilsfähigkeit der Geschmackstester beeinträchtigen.
Vorlieben und Abneigungen sind Top-down-Konzepte, die häufig
verhindern, dass wir Dinge wirklich wahrnehmen. Die Frage, ob uns
etwas gefällt oder nicht, kann ein Gespräch, das eigentlich
interessant zu werden versprach, vorschnell beenden.
Wissen Sie, warum Ihnen etwas gefällt? Erinnern Sie sich noch an
die Leute auf der Landwirtschaftsmesse, denen die eine von zwei
fast identischen Ketchup-Sorten besser schmeckte? Ihre Vorliebe
hatte unbewusste, tief in ihren Kindheitserinnerungen verborgene
Gründe. Wir halten unsere Vorlieben gern für authentisch, doch in
Wahrheit sind sie durch den Kontext beeinflusst (der Wein aus dem
Italienurlaub, der uns besser schmeckte als alles, was wir kennen)
oder durch unsere Erwartung gefärbt (Napa-Valley-Wein ist immer
beliebter als New-Jersey-Wein, egal, wo der Wein herkommt). 1
Unser persönlicher Geschmack kann Ausdruck eines größeren
kulturellen »Rahmens« sein, der uns zur Gewohnheit geworden ist:
So war dem Wissenschaftler Evgeny Yakovlev zufolge der billige,
leicht verfügbare Wodka in Russland jahrzehntelang hochbeliebt,
doch nachdem die Marktbeschränkungen aufgehoben worden
waren, explodierte der Bierkonsum – bei jungen Verbrauchern. 2
Und die älteren Wodka-Liebhaber? Trinken meist weiterhin Wodka.
Uns gefällt, was wir sehen, doch wir sehen auch, was uns gefällt.
Wir interpretieren die Welt durch unsere Sinne, aber unsere Sinne
interpretieren die Welt so, wie sie unserer Vorstellung nach ist.
Lieben heißt Lernen. Der Geschmack »an sich« ist ein Märchen.
Was wir für unsere »natürlichen« Vorlieben halten, ist oft kulturell
erworben und kommt bloß im biologischen Gewand daher.
Uns gefällt, worauf wir uns freuen; uns gefällt, woran wir uns
erinnern. Der Romanautor Julian Barnes nannte die Vorfreude in
Anlehnung an Flaubert »die sicherste Freude«, weil sie nicht durch
die Realität getrübt werde. Die Erinnerung ist eine ähnlich sichere
Bank. Vergangene Freuden bewerten wir nämlich nur selten neu.
Der »momentane« Genuss ist häufig noch für alles offen, ein
neuronales Feuer, das sich noch in beide Richtungen entwickeln
kann.
Einleitung
Was ist Ihre Lieblingsfarbe
(und warum haben Sie überhaupt eine)?
1 Siehe Meghan R. Busse, et al., »Projection Bias in the Car and Housing Markets«,
Working Paper 18212, National Bureau of Economic Research, Washington D.C., Juli
2012.
2 Da die Puppen nicht »sehen« konnten, welches Gericht die Kinder bevorzugten,
gingen die Forscher davon aus, dass die Kinder die Puppen bevorzugten, die
dieselben Vorlieben »hatten« wie sie selbst und nicht die, die diesen Geschmack
lediglich »äußerten«, um sich irgendwie beliebt zu machen. Siehe Neha Mehajan und
Karen Wynn, »Origins of ›Us‹ Versus ›Them‹: Prelinguistic Infants Prefer Similar
Others«, Cognition 124, 2012, S. 227–233. In einer anderen Studie verschwand dieser
Effekt, wenn die Puppen sich offensichtlich »unsozial« verhielten. J. Kiley und Karen
Wynn, »Who Knows Whats Good to Eat? Infants Fail to Match the food Preferences of
Antisocial Others«, Cognitive Development 27, 2012, S. 227–239.
3 Wie Paul Rozin feststellt, »geben Eltern, obwohl sie dieselben Gene wie ihre
Kinder haben und die Umgebung ihrer Kinder in den ersten Lebensjahren größtenteils
steuern, ihre Nahrungsmittelpräferenzen und andere Präferenzen eher selten an ihre
Kinder weiter. Die Eltern-Kind-Korrelationen liegen bei Nahrungsmitteln oder Musik
nur bei 0 bis 30.« Rozin, »From Trying to Understand Food Choice to Conditioned
Taste Aversion and Back«,
http://w.american.edu/cas/psychology/cta/highlights/rozin_highlight.pdf.
4
Edmund Burke, Philosophische Untersuchungen über den Ursprung unserer
Begriffe vom Erhabenen und Schönen, Hartknoch, Riga 1773, S. 2.
5 Gary Becker, Accounting for Tastes, Harvard University Press, Cambridge, Mass.,
S. 49.
8 Laut Dan Ariely und Michael Norton denken wir häufig, wir würden uns für etwas
entscheiden, weil es das Beste sei, greifen aber eigentlich auf erinnerte vergangene
Entscheidungen zurück, die wir fälschlicherweise für bewusste Entscheidungen halten:
»Wir gehen davon aus, dass Verhalten weniger auf einem hedonistischen Nutzen
gründet, sondern teilweise auf der Beobachtung vergangener Handlungen beruht, die
von im Wesentlichen zufälligen Umständen wie dem Wetter beeinflusst wurden, aber
nun als dauerhafte Vorliebe interpretiert werden.« Ariely und Norton, »How Actions
Create – Not Just Reveal – Preferences«, Trends in Cognitive Science 12, Nr. 1, Jan.
2008, S. 16.
9 Zahlreiche Studien haben versucht, diese Dynamik zu ergründen. Häufig bat man
dazu Probanden, eine Liste zu ordnen, ihr Lieblingsobjekt auszuwählen und die Liste
anschließend erneut zu ordnen. Theoretisch konnte man daraus schließen, dass
Leuten ein Objekt, nachdem sie es ausgewählt hatten, besser gefiel – und ihnen die
nicht ausgewählten schlechter gefielen. Anders gesagt: Ihre Auswahl bestimmte die
Präferenz, nicht umgekehrt. Wie Forscher in einer Studie allerdings feststellten,
würden Anordnungen in einem Versuch mit »freier Wahl« von Natur aus variieren,
auch wenn die »Vorlieben stabil bleiben«. Sie schreiben: »Es scheint so, als würden
den Teilnehmern Objekte besser gefallen, nachdem sie sie ausgewählt haben,
eigentlich fanden sie die höher bewerteten Objekte aber schon ›besser‹, ehe sie sie
auswählten – sofern sie sie auswählten. Die neue Anordnung, die man für eine
Verhaltensveränderung durch die Auswahl halten könnte, sollte man daher besser als
Beleg für die Bedeutung der Information einer Wahl interpretieren.« Siehe M. Keith
Chen und Jane L. Risen, »How Choice Affects and Reflects Preferences: Revisiting the
Free-Choice Paradigm«, Journal of Personal Social Psychology 99, Nr. 4, Okt. 2010,
S. 573–94.
10 Stephen Bayley, Taste: The Secret Meaning of Things, Pantheon, N.Y. 1991, S. Xviii.
11 Siehe William E. Simon und Louis H. Primavera, »Investigation of the ›Blue Seven
Phenomenon‹ in Elementary and Junior High School Children«, Psychological Reports
31, 1972, S. 128ff. Das Phänomen konnte durch zahlreiche weitere Studien belegt
werden; siehe beispielsweise Julian Paciak und Robert Williams, »Note on the ›Blue-
Seven Phenomenon‹ Among Male Senior High Students«, Psychological Reports 35,
1974, S. 394.
15 Laut einer Theorie sind das Äußern von Präferenzen und das Bewusstsein,
inwiefern diese von denen anderer abweichen, wichtige Schritte in der kindlichen
Entwicklung einer Theory of Mind – Theorie des Geistes –, wozu auch die Empathie
gehört.
16 Carol Zaremba Berg et al., »The Survey Form of the Leyton Obsessional
Inventory-Child Version: Norms from an Epidemiological Study«, Journal of the
American Academy of Child and Adolescent Psychiatry 27, Nr. 6, Nov. 1988, S. 759–763.
17 Siehe Nicholas Christenfeld, »Choices from Identical Options«, Psychological
Science 6, Nr. 1, Jan. 1995. Die Präferenz für die mittleren Kabinen sorgt
ironischerweise dafür, dass diese am schmutzigsten sind, zumindest laut dem
Mikrobiologen Charles Gerba von der University of Arizona, auch Dr. Keim genannt.
Siehe beispielsweise Elizabeth Landau, »Conquering the ›Ewww‹ Factor of the Public
Potty«, CNN, 9. Dez. 2008,
http://www.cnn.com/2008/HEALTH/10/03/bathroom.hygiene/index.html?eref=rss_latest.
19 Laut einem Aufsatz »lassen Studien vermuten, dass eine stark steigende
Sonorität (z.B. blif) gegenüber einer geringer steigenden Sonorität (z.B. bnif)
bevorzugt wird, welche wiederum gegenüber einer gleichbleibenden Sonorität (z.B.
bdif) bevorzugt wird; eine gleichbleibende Sonorität wird jedoch gegenüber einer
sinkenden Sonorität bevorzugt (z.B. lbif)«. Und dies, obwohl »die lexikalische Struktur
des Englischen dem Sprecher wenig Anhaltspunkte für eine Sonoritätshierarchie
bietet«. Siehe Iris Berent et al., »What We Know About What We Have Never Heard:
Evidence from Perceptual Illusions«, Cognition 104, 2007, S. 590–631.
20 Diese Kluft findet sich beinah in jedem kreativen Beruf. Als Erklärung dafür wird
unter anderem angeführt, dass Fachleute und Laien unterschiedliche
Bewertungskriterien anlegen würden. So gaben laut einer Studie zur Architektur »zwar
sowohl Architekten als auch Laien an, dass ein ausdrucksstarkes Gebäude für sie ein
ästhetisch gelungenes Gebäude sei, beide Gruppen nannten aber keine gemeinsamen
konkreten Merkmale, um darüber zu entscheiden, inwiefern ein Gebäude
ausdrucksstark ist«. Die Autoren der Studie empfahlen eine »Kampagne zur geistigen
Versöhnung«, um diesen Unterschied bewusst zu machen. Siehe Robert Gifford et al.,
»Why Architects and Laypersons Judge Buildings Differently: Cognitive Properties and
Physical Bases«, Journal of Architectural and Planning Research 19, Nr. 2, Sommer
2002, S. 131–148.
21 Siehe Stephen Palmer und William Griscom, »Accounting for Taste: Individual
Differences in Preference for Harmony«, Psychonomic Bulletin Review 20, Nr. 3, 2013,
S. 453–461.
23 Jastrow stellte in seiner Studie fest, dass Frauen Rot bevorzugen. Siehe Joseph
Jastrow, »The Popular Esthetics of Color«, Popular Science Monthly, Jan. 1897. Jastrow
wies allerdings darauf hin, dass nur eine bestimmte Farbpalette zur Auswahl stand
und dass die Vorlieben auch durch die Anordnung der Farben auf der Seite
beeinflusst worden sein könnten. Dennoch belegen zahlreiche Studien, dass Blau
generell beliebt – und Dunkelgelb eher unbeliebt ist. Einen hervorragenden Überblick
über die Forschung zu menschlichen Farbpräferenzen findet sich in: A. Hurlbert und Y.
Ling, »Understanding Colour Perception and Preference«, Colour Design: Theories
and Applications, Hrsg. Janet Best, Woodhead, Oxford 2012, S. 129, 157. Die Autoren
weisen darauf hin, man müsse »trotz der allgemein so überzeugenden Argumente
betonen, dass weder die Vertreter der Evolution noch der Ontogenese ihre These
belegen konnten. Die Frage, inwiefern Präferenzen genetisch festgelegt oder
individuell formbar sind, ist noch zu beantworten.«
24 Chloe Taylor et al., »Color Preferences in Infants and Adults Are Different«,
Psychonomic Bulletin and Review 20, Nr. 1, Feb. 2013.
25 Siehe Nathan Heller, »The Cranky Wisdom of Peter Kaplan«, New Republic,
14. Sept. 2012.
27 Karen Schloss und Stephen Palmer, »The Politics of Color: Preferences for
Republican Red Versus Democratic Blue«, Physochonomic Bulletin Review 21, Nr. 2,
April 2014. Der Effekt lässt sich demnach für Nicht-Wahltage nicht belegen. Dies
könnte daran liegen, dass die Republikaner allgemein mit Blau und die Demokraten
mit Rot assoziiert werden. In den Medien werden »Rotes Amerika« und »Blaues
Amerika« erst in letzter Zeit verwendet. »Als der Republikaner Reagan 1984 die
Präsidentschaftswahlen gewann«, so die Autoren, »wurden die Reagan-Siege auf den
Wahlkreiskarten blau gekennzeichnet, und man nannte die entsprechenden Regionen
den ›Vorstadt-Swimmingpool‹«.
29 Mehr zu diesem Thema siehe Jo Paoletti, Pink and Blue: Telling the Boys from the
Girls in America, Indiana University Press, Bloomington 2013.
30 Siehe Saeideh Bakhshi, David A. Shamma und Eric Gilbert, »Faces Engage Us:
Photos with Faces Attract More Likes and Comments on Instagram«. ACM:
Proceedings of the SIGCHI Conference on Human Factors in Computing Systems, 2014,
S. 965–974.
31 Wie der Philosoph Karl Duncker schreibt, können »das Unlustgefühl bei
Zahnschmerzen und das Lustgefühl beim Anblick einer schönen Landschaft nur
schwer koexistieren, und zwar weniger, weil der unterschiedliche hedonistische Tonus
entgegengesetzte Signale mit sich bringt, sondern weil die zugrundeliegenden
Erfahrungen oder Haltungen unvereinbar sind.« Siehe Duncker, »On Pleasure,
Emotion, and Striving«, Philosophy and Phenomenological Research 1, Nr. 4, Juni
1941, S. 391–430.
32 C. Geroldi et al., »Pop Music and Frontotemporal Dementia«, Neurology 55, 2000,
S. 1935f. In einem anderen Fall ging die ästhetische Kehrtwende eher in die andere
Richtung: Wie mehrere Neurowissenschaftler berichten, wurde bei einem Patienten
mit vorübergehender linksseitiger Lobektomie aus einer Vorliebe für Hardrock
plötzlich eine Vorliebe für »polyphonen keltischen und korsischen Gesang«. Der
Patient sei »von seiner Geschmacksveränderung überrascht worden und hielt sie nicht
für ein Zeichen von Reife, sondern bedauerte sie«. François Sellal et al., »Dramatic
Changes in Artistic Preference After Left Temporal Lobectomy«, Epilepsy and
Behavior 4, 2003, S. 449f.
33 Siehe beispielsweise Daniel J. Graham, Simone Stockinger und Helmut Leder, »An
Island of Stability: Art Images and Natural Scenes – but Not Natural Faces – Show
Consistent Esthetic Response in Alzheimer’s-Related Dementia«, Frontiers in
Psychology 4, März 2013, Artikel 107. Wie die Studie herausfand, war die Erinnerung
an Fotos von Gesichtern wesentlich unstabiler als die Vorliebe für Landschaftsmalerei
und andere Gemälde. Laut den Autoren waren die Alzheimerpatienten beim
Betrachten von Gesichtern eventuell durch eine »kognitive Interferenz« beeinträchtigt,
etwa durch den nagenden Gedanken, das Foto irgendwo schon einmal gesehen zu
haben. Gemälde hingegen können vermutlich »einfacher nach ästhetischen Regeln
bewertet werden, mit weniger Interferenzen aus Gesichtserkennung und
Wahrnehmungssystemen«.
36 Siehe Claudia Fritz et al., »Player Preferences Among New and Old Violins«,
PNAS 109, Nr. 3, 2012, S. 760–763. Die meisten Musiker konnten in der Studie die
alten nicht von den neuen Instrumenten unterscheiden. Kritisiert wurde, dass die
Studie in einem Hotelzimmer stattfand. Doch als man die Folgestudie an anderen
Orten wie Proberäumen und Konzertsälen durchführte, wurden die neuen Instrumente
von mehr Musikern bevorzugt. Fritz weist allerdings darauf hin, dass »wir nicht wissen
können, inwiefern unsere alten und neuen Testinstrumente repräsentativ sind«, – was
man auch über die Musiker sagen könnte – »und die Ergebnisse daher nicht auf eine
größere Zahl guter Violinen übertragen werden können«. Man darf aber jedenfalls
vermuten, dass die Leute an alten italienischen Geigen vor allem die Vorstellung
lieben, dass es sich um eine alte italienische Geige handelt, und weniger die
inhärenten Klangeigenschaften. Fritz et al., »Soloist Evaluations of Six Old Italian and
Six New Violins«, PNAS 111, Nr. 20, 2014, S. 7224–7229.
39 Ein Grafiker entwickelte ein Buch mit Gesichtserkennung, das sich erst öffnen
ließ, wenn das Gesicht des Lesers vollkommen neutral war und daher keine Vorurteile
einflossen. Siehe Alison Flood, »The Book That Judges You by the Cover«, Books
(blog), Guardian, 2. Feb. 2015,
http://www.theguardian.com/global/booksblog/2015/feb/02/book-judges-you-by-your-
cover-moore-thijs-biersteker.
40 Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede, Suhrkamp, Frankfurt 2012, 22. Aufl.,
S. 142.
1
Was hätten Sie denn gern?
1 Siehe Paul Rozin, »Preadaptation and the Puzzles and Properties of Pleasure«, in:
Well-Being: Foundations of Hedonic Psychology, Hrsg. Daniel Kahneman, Edward
Diener und Norbert Schwarz, Russell Sage Foundation, New York 1999, S. 114.
4 Wie der berühmte Psychologe Wilhelm Wundt vor über einem Jahrhundert
schrieb: »Lässt man die Empfindung Süß allmählich bei gleicher Stärke in Sauer oder
Bitter übergehen, so bemerkt man, dass das Saure, und noch mehr das Bittere, bei
gleicher Empfindungsintensität eine stärkere Gefühlserregung als das Süße
hervorbringt.« Siehe Wilhelm Max Wundt, Grundriß der Psychologie, Engelmann,
Leipzig 1896, S. 92.
7 Dieses Detail stammt aus Robert P. Erickson, »A Study of the Science of Taste: On
the Origins and Influence of the Core Ideas«, Behavioral and Brain Sciences 31, 2008,
S. 59–105.
9 Ein weiterer interessanter Indikator für die Tatsache, dass wir Süße besonders
schätzen, ist laut einer Studie, dass wir uns an die Süße einer Mahlzeit besser
erinnern als etwa an ihre Textur. Sieh Léri Morin-Audebrand et al., »Different Sensory
Aspects of a Food Are Not Remembered with Equal Acuity«, Food Quality and
Preference 20, 2009, S. 92–99.
11 Siehe JinLiang Xue und Gary D. Dial, »Raising Intact Male Pigs for Meat:
Detecting and Preventing Boar Taint«, Swine Health and Production 5, Nr. 4, 1997,
S. 151–158. Die Vielfältigkeit der sensorischen Empfindung belege, so schreiben die
Autoren, auch die Tatsache, dass Ebergeruch mit den verschiedensten angenehmen
und unangenehmen Gerüchen verglichen wurde. »Fleisch mit Ebergeruch wurde als
›widerlich‹ oder ›Eber‹-geruch, als ähnlich wie Zwiebeln, Schweiß, Urin, Parfüm, Holz,
Moschus oder ›Elfenbein‹-Seife beschrieben; er rieche süß, fruchtig, nach Ammoniak
und Tier, nach Fäkalien oder bitter.«
12 Jane Wardle und Lucy Cooke schreiben über die berühmte Aversion von
»Superschmeckern« gegenüber der sogenannten chemischen PROP-Verbindung: »Die
Vorstellung, dass eine unterschiedliche Geschmackssensibilität der Grund für die
Ablehnung von Nahrungsmitteln sei, klingt verlockend, aber wie sich nachweisen
lässt, hat die Fähigkeit, PROP zu schmecken, nur wenig Einfluss auf
Nahrungsmittelpräferenzen im Alltag.« Siehe Wardle und Cooke, »Genetic and
Environmental Determinants of Children’s Food Preferences«, Supplement, British
Journal of Nutrition 99, Nr. S. 1, 2000, S. 15–21.
13 Martin Yeomans, »Development of Human Learned Flavor Likes and Dislikes«, in:
Obesity Prevention: The Role of Brain and Society on Individual Behavior, Hrsg.
Laurette Dubé et al., Academic Press, New York 2010, S. 164.
14 Siehe Peter H. Gleick, Bottled and Sold: The Story Behind Our Obsession with
Bottled Water, Island Press, New York 2010, S. 81.
19 Zitat: H. T. Lawless, Sensory Evaluation of Food, Springer, New York 2010, S. 260.
20 Brian Wansink und Jeffery Sobal, »Mindless Eating: The 200 Daily Food Decisions
We Overlook«, Environment and Behavior 39, Nr. 1, 2007, S. 106–123. Von Brian
Wansink gibt es auf Deutsch: Essen ohne Sinn und Verstand, Campus, Frankfurt 2008.
21 Brian Wansink et al., »Dining in the Dark: How Uncertainty Influences Food
Acceptance in the Absence of Light«, Food Quality and Preference 24, Nr. 1, 2012,
S. 209–212.
22 In »Rheologie«-Kreisen ist »knusprig« etwas sehr Spezifisches, das sich von dem
tieferen, länger andauernden »knackig« unterscheidet. In einer Studie heißt es:
»Knusprige Lebensmittel erzeugen hohe Töne mit Frequenzen von über 5 kHz,
knackige Lebensmittel hingegen niedrigere Töne mit Spitzen im Frequenzbereich
zwischen 1,25–2 kHz.« Siehe Mayyawadee Saeleaw und Gerhard Schleining, »A Review:
Crispness in Dry Foods and Quality Measurements Based on Acoustic-Mechanical
Destructive Techniques«, Journal of Food Engineering 105, Nr. 3, 2011, S. 387– 399.
25 Siehe Lance G. Philips et al., »The Influence of Nonfat Dry Milk on the Sensory
Properties, Viscosity, and Color of Lowfat Milks«, Journal of Dairy Science 78, Nr. 10,
Okt. 1995, S. 2113–2118.
26 Dies wird berichtet in: Herbert Mieselman und Halliday McFie, Food Acceptance
and Consumption, Springer, New York 1996, S. 13. Und bezieht sich auf die Studie: J.
Wheatley, »Putting Color into Marketing«, Marketing, 23.–29. Okt. 1973, S. 67.
30
Paul Rozin, J. Haidt und C. R. McCauley, »Disgust«, in: Handbook of Emotions,
Hrsg. M. Lewis und J. M. Haviland-Jones, Guilford Press, New York 2000, S. 638.
31 Tsuyoshi Horio, »EMG Activities of Facial and Chewing Muscles in Human Adults
in Response to Taste Stimuli«, Perceptual and Motor Skills 97, 2003, S. 289–298.
32 Siehe H. A. Chapman et al., »In Bad Taste: Evidence for the Oral Origins of Moral
Disgust«, Science 323, Nr. 5918, 2009, S. 1222–1226.
33
Ebd., S. 644.
35 Siehe Sam Sifton, »Always Be Crisping«, New York Times, 13. Sept. 2012.
36 John S. Allen, The Omnivorous Mind: Our Evolving Relationship with Food,
Harvard University Press, Cambridge, Mass. 2012, S. 36.
38Tyler Cowen, An Economist Gets Lunch: New Rules for Everyday Foodies, Penguin,
New York 2012, S. 71.
43 Deutsch: Ich notiere es mir nicht, damit ich mich später daran erinnere. Ich
notiere es mir, damit ich mich jetzt daran erinnere.
46 Dies wurde »diversification bias« genannt. Daniel Read und George Loewenstein
führten verschiedene Ursachen dafür an, warum wir uns irrtümlich für mehr
Vielfältigkeit entscheiden, als wir eigentlich wollen. Bei einigen Ursachen liegt eine
Verzerrung vor, bei anderen nicht. Bei Letzteren, so schreiben die Autoren, »suchen
die Leute nach Vielfältigkeit, weil sie das Risiko scheuen und hinsichtlich ihrer
Präferenzen unsicher sind. Vielfalt verringert die Gefahr, wiederholt Unerwünschtes zu
kaufen.« Vielfalt trägt außerdem dazu bei, neue Lieblingsdinge zu finden. Zu den
möglichen Erklärungen gehört auch, dass Leute bei einer Entscheidung »die
Zeiträume zwischen dem Verbrauch subjektiv verkürzen«. Wenn man Leuten die
Möglichkeit gibt, eine Woche lang jeden Tag ihre Lieblingseiscreme zu essen, hört
sich das nach sehr viel Eis an. Aber ein Tag ist lang – und Eiscreme doch lecker.
»Trotzdem setzt schnell die Sättigung ein. Schon nach kurzer Zeit kehren wir
normalerweise zu unserer vorigen Verbrauchsmenge zurück.« Read und Loewenstein,
»Diversification Bias: Explaining the Discrepancy in Variety Seeking Between
Combined and Separated Choices«, Journal of Experimental Psychology: Applied 1,
Nr. 1, 1995, S. 34–49.
48 Siehe Yan Zhang, »Buyer’s Remorse: When Evaluation Is Affect-Based Before You
Choose but Deliberation-Based Afterwards«, Ph. D. diss., University of Chicago, Booth
School of Business, 2009.
50
Siehe Geraldine Coppin et al., »I’m No Longer Torn after Choice: How Explicit
Choices Implicitly Shape Preference of Odors«, Physical Science 21, 2010, S. 489–493.
Hier heißt es: »Wir konnten das Vorhandensein von veränderten Präferenzen nach
einer Entscheidung nicht nur zeigen, wenn man sich an die Entscheidungen erinnerte,
sondern auch, wenn man sie vergessen hatte.«
51 Tali Sharot et al., »How Choice Reveals and Shapes Expected Hedonic Outcome«,
Journal of Neuroscience, 25. März 2009, S. 3760–3765. Wie die Forscher anmerken,
hatten die Probanden möglicherweise schon eine Urlaubspräferenz, bevor sie sich
entschieden, aber »diese Differenzen waren als Vorentscheidung nicht groß genug,
um sie mit Standardbewertungen als Verhalten zu erfassen«. Aber, so schreiben sie
weiter, »Differenzen nach der Präferenzentscheidung waren groß genug, um mit
derselben Bewertungsskala beobachtet werden zu können. Das entscheidende
Ergebnis ist, dass die Differenz in der Aktivität des Nucleus caudatus, die mit der
gewählten im Gegenteil zur abgelehnten Option assoziiert wurde, sich weiter
verstärkte.« Eine andere Studie stellte fest, dass eine CD besser gefiel, nachdem man
sich dafür entschieden hatte (assoziiert mit einer bestimmten Gehirnaktivität), siehe
Jungang Qin et al., »How Choice Modifies Preference: Neural Correlates of Choice
Justification«, NeuroImage 55, 2011, S. 240–246.
52 Die Autoren weisen darauf hin, dass sie mit ihrer Studie einer Methodenkritik
entgegenwirken wollten, die sich gegen die These richtet, Präferenzen kämen erst
nach der Entscheidung: »Das Hauptargument lautet dabei, dass man Präferenzen
nicht zuverlässig messen könne und es Bewertungsfehler gebe. Weil die Probanden
besser mit der Bewertungsskala vertraut wären, würden sie genauere Bewertungen
abgeben, und ihre veränderte Bewertung nach einer Entscheidung enthülle daher
einfach nur ihre ursprünglichen Präferenzen – die sich durch ihre Entscheidungen
vorhersagen ließen – und deutete nicht auf durch die Entscheidung veränderte
Präferenzen hin.« In dieser Studie werden die Präferenzen jedoch vollständig vom
Entscheidungsprozess abgekoppelt. Siehe Tali Sharot et al., »Do Decisions Shape
Preference? Evidence from Blind Choice«, Psychological Science 9, 2010, S. 1231–
1235.
53 Siehe Carlos Alós-Ferrer et al., »Choices and Preferences: Evidence from Implicit
Choices and Response Times«, Journal of Experimental Social Psychology 48, Nr. 6,
Nov. 2012, S. 1336–1342.
55 »Die Vorliebe für die gerade gegessene Mahlzeit nahm hinsichtlich aller
gemessenen Wahrnehmungsvariablen und aller verkosteten Nahrungsmittel zwei
Minuten nach dem Essen am stärksten ab.« Siehe Marion Heterington, Barbara J.
Rolls und Victoria J. Burley, »The Time Course of Sensory-Specific Satiety«, Appetite
12, 1989, S. 57–68.
56 Barbara J. Rolls et al., »How Sensory Properties of Foods Affect Human Feeding
Behavior«, Physiological Behavior 29, 1982, S. 409– 417.
57 Die Abnahme war, auch nach der Sättigung, für die nicht gegessenen
Nahrungsmittel wesentlich schwächer ausgeprägt. Hugo D. Critchley und Edmund T.
Rolls, »Hunger and Satiety Modify the Olfactory and Visual Neurons in the Primate
Orbitofrontal Cortex«, Journal of Neurophysiology 75, Nr. 4, April 1996, S. 1673–1686.
61 Barbara J. Rolls, Edward A. Rowe und Edmund T. Rolls, »How Sensory Properties
of Foods Affect Human Feeding Behavior«, Appetite 12, 1989, S. 57–68. Die Forscher
führten auch ein interessantes Nudel-Experiment durch, um festzustellen, ob die
»Form« von Nahrungsmitteln – Farfalle, Hoops und Spaghetti – Einfluss auf die
sinnesspezifische Sättigung hat. Wie sie berichteten, »nahm die Vorliebe für die
bereits gegessenen Formen stärker ab als die für noch nicht gegessene Formen«.
62 Andrea Maier, Zata Vickers und J. Jeffrey Inman, »Sensory-Specific Satiety, Its
Crossovers, and Subsequent Choice of Potato Chip Flavors«, Appetite 49, 2007,
S. 419–428.
64 Elizabeth Capaldi schreibt: »Unsere Gewohnheit, nach der Mahlzeit ein Dessert
zu essen, verstärkt unsere Vorliebe für den süßen Geschmack, weil wir die
›postingestiven‹ Wirkungen der Mahlzeit stärker mit dem Dessert assoziieren als mit
der Mahlzeit.« Siehe Capaldi, »Conditioned Food Preferences«, Psychology of
Learning and Motivation, Hrsg. Douglas Medin, Academic Press, San Diego 1992, S. 9.
65 Elizabeth Rode, Paul Rozin und Paula Durlach, »Experience and Remembered
Pleasure for Meals: Duration Neglect but Minimal Peak, End (Recency) or Primacy
Effects«, Appetite 49, 2007, S. 18–29.
66 Ebd.
67 William C. Davis, A Taste for War: The Culinary History of the Blue and the Gray,
Stackpole Books, Mechanicsburg, Pa. 2003, S. 22.
68 Dies zeigt sich wohl nur, wenn extrinsische und intrinsische Informationen
zueinander passen. In einer faszinierenden Studie reichte man Leuten Wein zum
Kosten, der sauer sei, da ein schlechter Jahrgang – andere Probanden erhielten
hingegen keine Information zu dem Wein. Manchen Probanden gab man einfach den
Wein, für andere war der Wein angeblich mit einer »Wunderfrucht« gewürzt, die das
Saure in Süßes verwandelt. Denjenigen, die den sauren Wein ohne »Wunderfrucht«
tranken, gefiel er weniger als denen, die keine Information zum Wein erhielten. Wer
die Wunderfrucht-Version trank und die Information erhielt, der Wein sei eigentlich
sauer, mochte den Wein lieber als diejenigen, die keine Informationen erhielten. Wie
die Autoren schreiben, »wurde der Wein besser bewertet, wenn er als eigentlich sauer,
aber nun verbessert angekündigt wurde, als wenn der Kontrast zu diesem
extrinsischen Signal fehlte.« Kurzum: Die Leute ließen sich nicht von der Information,
der Wein sei sauer, beeindrucken, wenn dies angeblich nicht sein konnte. Siehe Ab Litt
und Baba Shiv, »Manipulating Basic Taste Perception to Explore How Product
Information Affects Experience«, Journal of Consumer Psychology 22, Nr. 1, Jan. 2012,
S. 55–66.
71
Siehe Joel Wolfson und Naomi S. Oshinsky, »Food Names and Acceptability«, The
Journal of Advertising Research 6, 1961, S. 21ff.
73 Melissa Clark, »The Best in the Box«, New York Times, 5. Feb. 2003.
74
Armand Cardello et al., »Role of Consumer Expectancies in the Acceptance of
Novel Foods«, Journal of Food Science 50, 1985, S. 1707–1714.
75 Siehe Wei Xiao, »The Competitive and Welfare Effects of New Product
Introduction: The Case of Crystal Pepsi«, Food Marketing Policy Center, Research
Report Number 112, University of Connecticut, Nov. 2008.
76 Larry Brown, »A New Generation: Pepsi Offers Clear Choices«, Seattle Times,
13. Jan. 1993.
77 David Novak, »It Tasted Great in the Lab«, Conference Board Review,
http://tcbreview.com/tcbr-quick-insights/it-tasted-great-in-the-lab.html.
78 Lawrence Garber, Eva Hyatt und Richard Starr, »The Effects of Food Color on
Perceived Flavor«, Journal of Marketing Theory and Practice 8, 2003, S. 59–72.
89
Siehe Rebecca K. Ratner, Barbara E. Kahn und Daniel Kahneman, »Choosing
Less-Preferred Experiences for the Sake of Variety«, Journal of Consumer Research 26,
Nr. 1, Juni 1999, S. 1–15.
90 Siehe Tyler Cowen, »But We Just Had Indian Food Yesterday!«, Marginal
Revolution, 16. Okt. 2013,
http://marginalrevolution.com/marginalrevolution/2013/10/but-we-just-had-indian-
food-yesterday.html.
91 Siehe Jeff Galak und Joseph P. Redden, »Variety Amnesia: Recalling Past Variety
Can Accelerate Recovery from Satiation«, Journal of Consumer Research 36, Dez.
2009, Zugriff am 1. Nov. 2013, http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?
abstract_id=1344541. Was Cowens Problem betrifft, schreiben sie: »Die aktuellen
Erkenntnisse halten für Verbraucher, die gegen die Sättigung ankämpfen wollen,
brauchbare Handlungsanweisungen bereit. Die Empfehlung ist klar: Wer sein
Lieblingserlebnis auch in Zukunft noch lieben will, sollte einfach an alle anderen
entsprechenden Erlebnisse der letzten Zeit denken. Wenn Sie beispielsweise in der
bekannten Situation sind, dass Sie schon wieder dasselbe zu Mittag essen müssen,
sollten Sie an all die anderen Dinge denken, die Sie seit dem gestrigen Mittagessen zu
sich genommen haben. Wie unsere Erkenntnisse zeigen, wird Ihnen das Mittagessen
dann ein wenig besser schmecken.«
92 Meiselman und Schutz, »History of Food Acceptance Research in the U.S. Army«.
94 Siehe Massimiliano Zampini und Charles Spence, »Assessing the Role of Visual
and Auditory Cues in Multisensory Perception of Flavor«, The Neural Bases of
Multisensory Processes, Hrsg. M. M. Murray und M. T. Wallace, CRC Press, Boca Raton,
Fla. 2012, Zugriff am 28. Okt. 2013,
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK92852/#ch37_r118.
95 Paul Rozin, »›Taste-Smell Confusions‹ and the Duality of the Olfactory Sense«,
Perception and Psychophysics 31, 1983, S. 397–401.
96 Die Woolf-Aussage fand ich bei Katerina Koutsantoni, Virginia Woolf’s Common
Reader, Ashgate, London 2013, S. 71.
97 Bekanntlich war die Vorliebe der Probanden für Coca-Cola gegenüber Pepsi in
einem Geschmackstest dadurch beeinflusst, dass die Probanden
Markeninformationen erhielten. Samuel McClure et al., »Neural Correlates of
Behavioral Preference for Culturally Familiar Drinks«, Neuron 44, 2004, S. 379–387.
101 Graciela V. Andresen, Leann L. Birch und Patricia A. Johnson, »The Scapegoat
Effect on Food Aversions After Chemotherapy«, Cancer 66, Nr. 7, 1990, S. 1649–1653.
103 Leann L. Birch und Diane Wolfe Marlin, »I Don’t Like It; I Never Tried It: Effects of
Exposure on Two-Year-Old Children’s Food Preferences«, Appetite 3, Nr. 4, Dez. 1982,
S. 353–360.
104 Oder wie der Lebensmittelautor Jeffrey Steingarten schrieb: »Nachdem ich
wiederholt zehn von sechzig Kimchi-Varianten, dem koreanischen Nationalgericht,
probiert hatte, war Kimchi auch mein eingelegtes Lieblingsgemüse.« Steingarten, The
Man Who Ate Everything, Alfred A. Knopf, New York 1997, S. 4.
105 Siehe B. R. Carruth, P. J. Ziegler und S. I. Barr, »Prevalence of Picky Eaters Among
Infants and Toddlers and Their Caregivers’ Decisions About Offering a New Food«,
Journal of the American Dietetic Association 104, 2004, S. 57–64.
107 Aber was ist mit den Spinathassern? Bedeutet Darbietungshäufigkeit, dass man
etwas mag, oder ist die Abneigung nur geringer geworden? Zur Beantwortung dieser
Frage führte der Psychologe Christian Crandall in einer Lachsfabrik in Alaska ein
innovatives Experiment durch. In einem kontrollierten Versuch stellte er nichts
Unbekanntes vor, sondern etwas allgemein Beliebtes, das in der Fabrik aber neu war:
Doughnuts. Je länger die Doughnuts in dem Aufenthaltsraum der Fabrik angeboten
wurden, desto mehr aßen die Leute davon. Crandall vermutet aber auch, dass die
reine Langeweile dazu geführt haben könnte, dass die Fischfabrikarbeiter mehr
Süßigkeiten aßen, obwohl der Verbrauch von anderen Süßigkeiten in dem Zeitraum
nicht zunahm. Man fragt sich allerdings, ob hier nicht auch die Neuigkeit eine Rolle
spielte und ob sich der Verbrauch nicht im Lauf der Zeit stabilisiert hätte oder
gesunken wäre. Oder vielleicht haben Doughnuts auch etwas Leckeres – oder sogar
Süchtigmachendes – an sich. Siehe Crandall, »The Liking of Foods as a Result of
Exposure: Eating Doughnuts in Alaska«, Journal of Social Psychology 125, Nr. 2, 1995,
S. 187–194.
108 Lisa Methven, Elodie Langreney und John Prescott, »Changes in Liking for a No
Added Salt Soup as a Function of Exposure«, Food Quality and Preference 26, Nr. 2,
Dez. 2012, S. 135–140.
109 Siehe D. G. Liem, N. Toraman Aydin und E. H. Zandstra, »Effects of Health Labels
on Expected and Actual Taste Perception of Soup«, Food Quality and Preference 25,
Nr. 2, Sept. 2012, S. 192–197. Wie Fredrik Fernquist und Lena Ekelund feststellen,
bestimmt aber offenbar die Art des Nahrungsmittels, ob eine Gesundheitsinformation
sich auf die hedonistische Reaktion auswirkt. In früheren Studien spielten
Gesundheitsaspekte keine Rolle für die Geschmacksvorlieben, wenn bei allgemein als
gesund geltenden Nahrungsmitteln beispielsweise der Fettgehalt angegeben wurde.
Fernquist und Ekelund, »Credence and the Effect on Consumer Liking of Food – a
Review«, Food Quality and Preference, im Druck, Internetzugriff auf das Manuskript
am 1. Nov. 2013.
110 Richard J. Stevenson und Martin R. Yeomans, »Does Exposure Enhance Liking for
the Chilli Burn?«, Appetite 24, Nr. 2, 1995, S. 107–120. Wie die Autoren schreiben,
»beschrieb keiner der Probanden das Experiment als ein spezielles Experiment zu
Geschmack oder Vorlieben, einige vermuteten aber, dass es um eine sensorische
Anpassung an scharfen Chili ging.« Man kann sich also fragen, ob dies nicht dazu
führte, dass den Probanden der Chili umso besser schmeckte, je schärfer er war, da
sie vielleicht den Forschern gefallen oder ihre Tapferkeit unter Beweis stellen wollten.
Vor und nach dem Versuch tranken die Probanden jedenfalls einen Tomatensaft mit
Capsaicin, der ihnen nicht besser schmeckte.
111 George Orwell, As I Please: 1944–1945, David R. Godine, Boston 2000, S. 42.
112 Julie A. Mennella, Coren P. Jagnow und Gary K. Beauchamp, »Prenatal and
Postnatal Flavor Learning by Human Infants«, Pediatrics 107, Nr. 6, Juni 2001, Zugriff
am 1. Nov. 2013. Hier heißt es: »Zum Geschmacksbild eines Nahrungsmittels gehören
neben anderen sensorischen Reizen die orale Geschmacksempfindung und die
retronasale Geruchsempfindung. Vieles legt nahe, dass die Geruchsvorlieben im
Vergleich zur oralen Geschmacksempfindung, bei der hedonistischer Tonus und
Vorlieben stärker festgelegt sind, in größerem Maße durch individuelle Erfahrungen
bestimmt werden.«
114 Bei Erwachsenen verlieren solche Reaktionen an Bedeutung, sind aber stets so
deutlich, dass eine Gesichtserkennungssoftware in einem Versuch erkennen konnte, ob
ein Proband einen Orangensaft trank, der ihm nach eigener Aussage nicht schmeckte.
Siehe Lukas Danner et al., »Make a Face! Implicit and Explicit Measurement of Facial
Expressions Elicited by Orange Juices Using Face Reading Technology«, Food Quality
and Preference 32, Teil B, März 2014, S. 167–172.
116 Besonders, wenn das fragliche Nahrungsmittel als gesund betrachtet wird. Wie
Morgan Poor in einer Studie feststellte, bewerteten Probanden Schokolade höher,
wenn sie die Schokolade nur sahen, als wenn sie jemand aß. Bei Äpfeln war es genau
umgekehrt. Morgan Poor, Adam Duhachek und H. Shanker Krishnan, »How Images of
Other Consumers Influence Subsequent Taste Perceptions«, Journal of Marketing 77,
Nr. 6, Nov. 2013, S. 124–139.
117
Sibylle K. Escalona, »Feeding Disturbances in Very Young Children«, American
Journal of Orthopsychiatry 15, Nr. 1, Jan. 1945, S. 76–80.
118 L. L. Birch, »Effect of Peer Models’ Food Choices and Eating Behaviors on
Preschoolers’ Food Preferences«, Child Development 51, 1980, S. 489–496.
119Siehe Gillian Tett, »The Science Interview: Jared Diamond«, Financial Times
Magazine, 11. Okt. 2013.
120 Siehe den hervorragenden Essay von Kari Weil, »They Eat Horses, Don’t They?
Hippophagy and Frenchness«, Gastronomica 7, Nr. 2, Frühjahr 2007.
121 John Prescott, Taste Matters, Reaktion Books, London 2012, S. 31.
122 Small bemerkt dazu: »Wird ein Geruch zusammen mit einem Geschmack erlebt,
riecht der Geruch später ähnlich wie der Geschmack, mit dem er erlebt wurde. Die
Sonnencreme wird wirklich zu Malibu.« Siehe Dana Small und Barry Green, »A
Proposed Model of a Flavor Modality«, in: Murray and Wallace, Neural Bases of
Multisensory Processes.
124 Ivan E. de Araújo et al., »Metabolic Regulation of Brain Response to Food Cues«,
Current Biology 23, Nr. 10, Mai 2013, S. 878–883.
126 Kent Berridge, »Wanting and Liking: Observations from the Neuroscience and
Psychology Laboratory«, Inquiry, Oslo, 52, Nr. 4, 2009, S. 378.
127 Wie ein Neurowissenschaftler schrieb: »Nicht ein einziger Bereich, der in der
Literatur für die Lust eine Rolle spielt, spielt nicht auch bei Unlustprozessen eine
Rolle.« Das Zitat stammt von Siri Leknes, in: Morten L. Kringelbach und Kent C.
Berridge, Pleasures of the Brain, Oxford University Press, New York 2010, S. 15.
2
Das Problem sind nicht unsere Sterne,
sondern wir
1 Eine fundierte Auseinandersetzung mit dem »Netflix Optimization Prize« und der
Entwicklung von Bewertungssystemen durch Netflix findet man in: Clive Thompson, »If
You Liked This, You’re Sure to Love This«, New York Times Magazine, 23. Nov. 2008.
2 Siehe Raymond Fisman und Edward Miguel, Economic Gangsters: Corruption,
Violence, and the Poverty of Nations, Princeton University Press, Princeton, N.J. 2008.
4 Thorstein Veblen: Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der
Institutionen, Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1997.
6 Zur schönen Aussicht, in: Ödön von Horváth, Gesammelte Werke, Suhrkamp,
Frankfurt 2. Aufl. 1978, Bd. 3, S. 67.
8 Robert Trivers und William von Hippel, »The Evolution and Psychology of Self-
Deception«, Behavioral and Brain Sciences 34, Nr. 1, 2011, S. 1–56.
9 Was Ihnen dann gefallen kann oder nicht. Wie Xavier Amatriain in einem Aufsatz
schrieb, bevor er für Netflix arbeitete, »hat das Modelling von Nutzerpräferenzen auf
Basis von indirektem Feedback einen großen Haken: Man legt als Annahme zugrunde,
die Lesezeit hänge direkt proportional davon ab, wie gut dem Nutzer ein Content
gefällt«. Xavier Amatriain et al., »I Like It … I Like It Not: Evaluating User Noise in
Recommender Systems«, UMAP: Proceedings of the 17th International Conference on
User Modelling, Adaptation and Personalization, 2009, S. 247–258.
11 Siehe beispielsweise »A Better Way to Rate Films«, Bad Films Are Bad (Blog),
http://goodfil.ms/blog/posts/2011/10/07/a-better-way-to-rate-films/
12
Francis Newman, »Short Stories of 1925«, New York Times, 7. Feb. 1926.
15 Dan Cosley et al., »Is Seeing Believing? How Recommender System Interfaces
Affect Users’ Opinions«, Proceedings of the SIGCHI Conference on Human Factors in
Computing Systems, ACM, New York 2003, S. 585–592.
16 Siehe »Statistics Can Find You a Movie, Part 2«, Website-Artikel von AT&T Labs,
http://www.research.att.com/articles/featured_stories/2010_05/201005_netflix2_article.html?
fbid=rU6tcyhaq6J.
17 Und die Störgeräusche halten an. So müssen sich die Netflix-Techniker auch
durch scheinbar gegensätzliche Geschmackssignale derselben Nutzer kämpfen. Das
anfängliche Problem eines »Haushalts«-Accounts, in dem der Geschmack aller – vom
Kinderfilm über romantische Komödien bis zu Actionkrimis – verschwamm, wurde
bald durch die Einführung von getrennten Profilen gelöst. Aber was, wenn der
Account einer einzigen Person in alle Richtungen ausschlägt? Netflix nennt das
»Launen«. »Man kann in Horror-Laune sein, wenn der Cousin zu Besuch kommt, der
Horrorfilme liebt«, sagte Yellin. Ist das ein »echtes« Signal? Wie lange darf so ein
Signal anhalten?
18 Der Beitrag von Harvey Sacks stammt aus der interessanten Studie von Camilla
Vásquez über die Natur von Beschwerden, »Complaints Online: The Case of
TripAdvisor«, Journal of Pragmatics 43, 2011, S. 1707–1717. Sie schreibt:
»Beschwerden entwickeln sich in Online-Foren zweifellos anders, weil die Leute sich
nicht wie in einer Face-to-Face-Begegnung ›kennen‹. Wie wir zeigen konnten, waren
Online-Beschwerden durch die andere Teilnehmerstruktur gleichzeitig direkt und
indirekt. Wie Heinemann und Traverso, 2009, bezüglich anderer Beschwerdemerkmale
feststellen, erfordern Face-to-Face-Begegnungen Feinfühligkeit und Indirektheit, weil
sich der Beschwerende verwundbar macht, sodass ausdrückliche ›Beschwerdemittel‹
wie extreme Formulierungen, idiomatische Wendungen und negative Beobachtungen
nur in außergewöhnlichen Situationen ›an die Oberfläche kommen‹.«
20George Akerlof, »The Market for ›Lemons‹: Quality Uncertainty and the Market
Mechanism«, Quarterly Journal of Economics 84, Nr. 5, Dez. 1963, S. 941–973.
21 Judith Chevalier und Austan Goolsbee, »Measuring Prices and Price Competition
online: Amazon.com and BarnesandNoble.com«, Quantitative Market and Economics
1, 2003, S. 203–222. Während sich Amazon bei seinen Daten eher bedeckt hielt und
meine Interviewanfrage ablehnte, konnten die Autoren auf Basis von Differenzen bei
den Bewertungs- und Einstufungsdaten der Amazon- und Barnes-&-Noble-Websites
Daten erheben. »Die begrenzten Daten sind natürlich nicht das, was man sich für
einen idealen Test vorstellt, wie wir später sehen werden. Doch wir betrachten
dieselben Bücher, die Kundenbewertungen und einen Wert für den Marktanteil der
Bücher auf jeder Seite.«
23 Die Beschreibung des effizienten Marktes stammt aus Burton G. Malkiel, »The
Efficient Market Hypothesis and Its Critics«, CEPS Arbeitspapier 91, April 2003.
24 Suzanne Moore, »What Does the TripAdvisor Furore Teach Us About Critics?«,
Guardian, 12. Feb. 2012.
25 José Ortega y Gasset, Der Aufstand der Massen, 2. Aufl., Deutsche Verlags-
Anstalt, Stuttgart 2007, S. 7.
26 Das Reichl-Zitat stammt aus Russ Parsons, »Ruth Reichl on Conde Nast, Gourmet
Live, and Online Reviews«, Los Angeles Times, 11. Feb. 2013.
http://articles.latimes.com/2013/feb/11/news/la-dd-ruth-reichl-conde-nast-gourmet-live-
online-reviews-20130211.
27 Siehe Balázs Kovács, Glenn R. Carroll und David W. Lehman, »Authenticity and
Consumer Value Ratings: Empirical Tests from the Restaurant Domain«, Organization
Science 25, Nr. 2, 2014, S. 458–478. Die Autoren erstellten eine Liste mit
Schlüsselwörtern, mit denen sie versuchten, die Wahrnehmung von »authentisch« auf
einer Skala von eins bis hundert zu quantifizieren: »authentisch« führte zu 95,
»Schwindel« ergab 4 und »ordentlich« lag, wie bei einem solchen Wort zu erwarten,
im mittleren Bereich bei 51.
31 Siehe John W. Byers, Michael Mitzenmacher und Georgios Zervas, »The Groupon
Effect on Yelp Ratings: A Root Cause Analysis«, Proceedings of the 13th ACM
Conference on Electronic Commerce, ACM, New York 2012, S. 248–265.
33 Susan Seligson, »Yelp Reviews: Can You Trust Them?«, BU Today, 4. Nov. 2013.
34 Siehe »Finding Deceptive Opinion Spam by Any Stretch of the Imagination«,
Proceedings of the 49th Meeting of the Association for Computational Linguistics,
2011, S. 293–309.
35 Wie Matthew L. Newman und seine Kollegen schreiben: »Wenn Leute eine
Lügengeschichte konstruieren, ist es unserer Ansicht nach leichter, konkrete
Handlungen als wertende Beobachtungen aneinanderzureihen. Unveröffentlichte
Daten unserer Forschungsinstitute belegen eine negative Korrelation zwischen
kognitiver Komplexität und der Verwendung von Bewegungsverben wie gehen, laufen,
sich begeben. Wenn betrügerische Kommunikation also kognitiv weniger komplex ist,
müssten Lügner mehr Bewegungsverben und weniger exklusive Wörter verwenden.«
Siehe Newman et al., »Lying Words: Predicting Deception from Linguistic Styles«,
Personal and Social Psychology Bulletin 29, Nr. 5, Mai 2003, S. 665–675.
36 Myle Ott, Claire Cardie und Jeffrey T. Hancock, »Negative Deceptive Opinion
Spam«, Proceedings of the 2013 Conference of the North American Chapter of the
Association for Computational Linguistics: Human Language Technologies, Atlanta, 9.–
14. Juni 2013, S. 497–501.
37 Merkte allerdings meine Verwendung des relativ vagen Worts »Ort« an.
39 Siehe Christopher S. Leberknight, Soumay Sen und Mung Chiang, »On the
Volatility of Online Ratings: An Empirical Study«, 10th Workshop on E-business,
Shanghai 2011.
41 Siehe Georgios Zervas, Davide Proserpio und John Byers, »A First Look at Online
Reputation on Airbnb, Where Every Stay Is Above Average«, 28. Jan. 2015:
http://ssrn.com/abstract=2554500.
42 Siehe Judith A. Chevalier und Dina Mayzlin, »The Effect of Word of Mouth on
Online Book Sales«, NBER, Arbeitspapier 10148, National Bureau of Economic
Research, Cambridge, Mass., Dez. 2003.
43 Geoffrey Fowler, »On the Internet, Everyone’s a Critic but They’re Not Very
Critical«, Wall Street Journal, 5. Okt. 2009.
45 Siehe Pei-yu Chen, Samita Dhanasobhon und Michael D. Smith, »All Reviews Are
Not Created Equal: The Disaggregate Impact of Reviews and Reviewers at
Amazon.com«, Mai 2008, http://papers.ssrn.com/sol3/paperS.cfm?
abstract_id=918083.
46 Ebd.
48 Sinan Aral, »The Problem with Online Ratings«, MIT Sloan Management Review,
19. Dez. 2013.
49 David Godes und José Silva, »Sequential and Temporal Dynamics of Online
Opinion«, Marketing Science 31, Nr. 3, 2012, S. 448–473.
51 Siehe Nan Hu, Noi Sian Koh und Karempudi Srinivas Reddy, »Ratings Lead You to
the Product, Reviews Help You Clinch It? The Mediating Role of Online Review
Sentiments on Product Sales«, Decision Support Systems 57, 2014, S. 42–53. Wie die
Autoren schreiben, haben Bewertungen, die als sehr hilfreich beurteilt werden oder
einfach aktueller sind, »wesentlich größeren Einfluss auf die Verkäufe als im
Durchschnitt alle Bewertungen«. Allerdings strukturiert Amazon die
Benutzerschnittstelle so, dass diese beiden Variablen herausgestellt werden, was
teilweise oder sogar vollständig für den Effekt verantwortlich sein dürfte. Der Nutzer
kann beispielsweise nicht nach den »am wenigsten hilfreichen Bewertungen« suchen.
52 Die Autoren schreiben, dass man, selbst »wenn die Konsumenten den Bias
korrigieren würden, noch monotone ansteigende und absteigende Kurven erhalten
würde (weil die ersten Bewertungen noch immer unter dem Positivitätsbias litten),
aber es würde nie diesen Einbruch bei den Bewertungen geben, weil die Konsumenten
keinen Fehlkauf tätigen würden.« Information Systems Research 19, Nr. 4, 2008,
S. 456–474.
54 »Wenn die Qualität des Buchs gleich bleibt«, so die Forscher Ye Hu und Xinxin Li
in ihrer Amazon-Studie, »tendieren neue Bewertungen dazu, alten Bewertungen zu
widersprechen.« Das geschieht besonders bei den virtuellen Long-Tail-Produkten (hier
hat der Rezensent mehr Einfluss), wenn die vorherigen Rezensionen sich ähneln (der
stille Ozean muss Wellen schlagen), wenn die Zahl der vorherigen Rezensionen größer
ist (Man kann auf mehr Kontext reagieren) oder wenn Bewertungen vorherige
Bewertungen ausdrücklich erwähnen. Um zu belegen, dass es sich dabei nicht nur um
einen statistischen Effekt handelt, randomisierten Hu und Li die Bewertungen und
stellten fest, dass die negative Tendenz verschwand. »Es kommt auf die Reihenfolge
an, in der die Bewertungen geschrieben werden«, schlussfolgerten sie. Siehe Hu und
Li, »Context-Dependent Product Evaluations: An Empirical Analysis of Internet Book
Reviews«, Journal of Interactive Marketing 25, Nr. 3, 2010, S. 123–133.
55 Bourdieu, Die feinen Unterschiede, a.a.O., S. 105.
56 Balázs Kovács und Amanda J. Sharkey, »The Paradox of Publicity: How Awards
Can Negatively Affect the Evaluation of Quality«, Administrative Science Quarterly 59,
Nr. 1, 2014.
57
Das, so die Autoren, schließt aus, dass es sich lediglich um die Tendenz zur Mitte
handelt.
58 Das Zitat von Steve Albini stammt aus Neil McDonald, »Fire Fighting: Steve
Albini Interviewed«, The Quietus, 2. Sept. 2013.
60 Wie Shahana Sen und Dawn Lerman schreiben, ist »ein Verbraucher, der nach
einem Erfahrungsgut sucht, engagierter und kann negative Informationen besser
widerlegen als jemand, der nach einem Gebrauchsgegenstand sucht.« Sen und
Lerman, »Why Are You Telling Me This? An Examination into Negative Consumer
Reviews on the Web«, Journal of Interactive Marketing 21, Nr. 4, Herbst 2007.
62 Sheenya Iyengar, The Art of Choosing, Twelve, New York 2010, S. 103.
63 Bourdieu schrieb: »Mehr noch als anderswo ist in Sachen des Geschmacks omnis
determinatio negatio; so ist wohl auch der Geschmack zunächst einmal Ekel,
Widerwille – Abscheu oder tiefes Widerstreben (›das ist zum Erbrechen‹) – gegenüber
dem anderen Geschmack, dem Geschmack der anderen.« Bourdieu, Die feinen
Unterschiede, a.a.O., S. 105.
66 Siehe Stephen Spiller und Helen Belogolova, »Discrepant Beliefs About Quality
and Taste«, 4. Feb. 2014, http://public–prod-
acquia.gsb.stanford.edu/sites/default/files/documents/mktg_03_14_Spiller.pdf.
67 Siehe Anidia Chakravarty, Yong Liu und Tribid Mazumdar, »The Differential
Effects of Online World-of-Mouth and Critics’ Reviews on Pre-release Movie
Evaluation«, Journal of Interactive Marketing 24, Nr. 3, 2010, S. 185–197. Wie die
Studie interessanterweise herausfand, ließen sich »häufige Kinogänger« stärker von
Filmrezensionen beeinflussen, während »seltene Kinogänger« stärker von
Mundpropaganda beeinflusst wurden.
3
Wie vorhersehbar ist unser Geschmack?
1 Devin Leonard, »What You Want: Flickr Creator Spins Addictive New Web
Service«, Wired, Aug. 2010.
3 Siehe Jennifer Tsien, The Bad Taste of Others, University of Pennsylvania Press,
Philadelphia 2012, S. 3. Laut Tsien diente Geschmack besonders in Frankreich als
staatsbildende Strategie: »Hinter den zahlreichen Aufrufen, jedes schlechte
Geschmacksbeispiel im Land auszurotten, steckt das Bemühen, Frankreich als neuen
Weltführer in Sachen Kultur zu etablieren. Um dieses Ziel zu erreichen, mussten die
Kritiker des 18. Jahrhunderts nicht nur festlegen, was guter Geschmack ist, sondern
für sich auch die Autorität dazu beanspruchen.«
4 Wie der Soziologe Omar Lizardo bemerkt, »entwickelten die aufstrebende mobile
Kaufmannsschicht und die ehrgeizige Mittelschicht« während der
»Konsumentenrevolution« des 18. Jahrhunderts »einen scheinbar unstillbaren Hunger
nach Konsumgütern, was in der aufsteigenden Mittelschicht zur Ästhetisierung
vormals ›funktionaler‹ Objekte sowie zur langsamen Entwicklung einer Vorliebe für
innovative kulturelle Hervorbringungen und Objekte führte«. Siehe Lizardo, »The
Question of Culture Consumption and Stratification Revisited«, Sociologica 2, 2008,
S. 1– 31.
5 Siehe Charles Harvey, Jon Press und Mairi Maclean, »William Morris, Cultural
Leadership and the Dynamics of Taste«, Business History Review 85, Nr. 2, Sommer
2011.
7 Siehe Keijo Rahkonen, »Bourdieu and Nietzsche: Taste as a Struggle«, in: Susen
und Turner, Legacy of Pierre Bourdieu, a.a.O., S. 126.
9 Der Autor Ben Lerner macht in seinem herausragenden Roman Leaving the
Atocha Station einen wunderbaren Witz daraus.
11 Ebd., S. 26.
15 Zu der Dynamik von Gegensignalen siehe den hervorragenden Aufsatz von Nick
Feltovich, Richmond Harbaugh und Ted To, »Too Cool for School? Signaling and
Countersignaling«, RAND Journal of Economics 33, Nr. 4, Winter 2002, S. 630–649.
17 Das Beispiel stammt aus Harris Wittels, Humblebrag: The Art of False Modesty,
Grand Central, New York 2012.
18 Caroline McCarthy, »Hunch Homes In on Who You Are«, CNET, 29. März 2010.
19 Carl Wilson, Let’s Talk About Love, Bloomsbury, New York 2014, S. 78.
20 Problematisch bei all diesen Online-Daten ist, dass offenbar riesige, anonyme
Datenströme relativ einfach mit individuellen Verhaltensmustern verknüpft werden
können. Abgesehen von einer Sicherheitslücke ist dies auch ein Zeichen dafür, wie
vorhersehbar unser Verhalten ist. Siehe Joseph A. Calandrino et al., »›You Might Also
Like‹: Privacy Risks of Collaborative Filtering«, IEEE Symposium on Security and
Privacy 2011, 22.–25. Mai 2011, S. 231–246. Die Autoren berücksichtigten in ihrer
Analyse auch Hunch.com (neben anderen wie Last.fm und Amazon.com) und stellten
dabei fest, dass »unser Algorithmus, wenn man ihn hinsichtlich der Genauigkeit
optimierte, ein Drittel der geheim abgegebenen Antworten auf Hunch-Fragen
fehlerfrei erschließen konnte.« Die Interferenz erfolgte auf Grundlage von
»vorübergehenden Veränderungen bei den öffentlich zugänglichen Ergebnissen eines
Empfehlungssystems«. Und als Forscher in Großbritannien »relativ einfaches
menschliches Verhalten« analysierten, beispielsweise öffentlich zugängliche »Likes«
auf Facebook, konnten sie weit über Zufallstreffer hinaus vorhersagen, ob es sich um
Mann oder Frau, Homo oder Hetero und Christ oder Muslim handelte. Die Gründe für
manche der beobachteten Korrelationen waren, so räumten sie allerdings ein,
indirekter Natur: »Es gibt keinen offensichtlichen Zusammenhang zwischen
Spiralfritten und höherer Intelligenz.« Michal Kosinski, David Stillwell und Thore
Graepel, »Private Traits and Attributes Are Predictable from Digital Records of
Human Behavior«, PNAS 110, Nr. 15, 2013, S. 5802–5805.
22 Siehe Peter J. Rentfrow und Samuel D. Gosling, »Message in a Ballad: The Role of
Preferences in Interpersonal Perception«, Psychological Science 17, Nr. 3, 2006,
S. 236–242.
23 Der Gedanke stammt von Richard R. Wilk, »A Critique of Desire: Distaste and
Dislike in Consumer Behavior«, http://www.indiana.edu/~wanthro/disgust.htm. Wilk
schreibt: »Die unterschiedlichen sozialen Signale, die durch Konsum und Nicht-
Konsum ausgesendet werden, können auch dazu beitragen, zu erklären, warum
Abneigungen in einer Massenkonsumgesellschaft für die Bildung expliziter Grenzen
zwischen einem Individuum und anderen und des Gefühls einer unverwechselbaren
Identität so entscheidend sind. Unsere Abneigungen und Aversionen kennen nur
unsere Freunde und Verwandten, während unsere Vorlieben in der unübersehbaren
Wahl von Kleidung, Auto, Möbeln und anderen Konsumgütern öffentlich zur Schau
gestellt werden. Die Vorlieben mögen daher oft konformistische, allgemeine Formen
annehmen, um Zugehörigkeit und Konsens zu signalisieren, aber die Abneigungen
dienen der sozialen Distinktion und formen eine unterscheidbare, persönliche innere
Identität.« In der Internetwelt erscheinen die Vorlieben als »Likes« auf Facebook, die
Abneigungen werden dagegen vielleicht über Snapchat versendet.
24 Roger Scruton, »Judging Architecture«, in: Design and Aesthetics: A Reader, Hrsg.
Mo Dodson und Jerry Palmer, Routledge, London 2003, S. 13.
25 Bourdieu, Die feinen Unterschiede, a.a.O., S. 111: »Tatsächlich bilden sich die
expliziten ästhetischen Entscheidungen nicht selten in Absetzung zu denjenigen sozial
nahestehender Gruppen heraus, zu denen die handgreiflichste und unmittelbarste
Konkurrenz besteht.«
26 Sigmund Freud, »Das Unbehagen in der Kultur«, in: ders., Studienausgabe Bd. 11,
Fischer, Frankfurt 1974, zitiert nach http://gutenberg.spiegel.de/buch/das-unbehagen-
in-der-kultur-922/5.
27 Siehe Mike Savage und Modesto Gayo-Cal, »Against the Omnivore: Assemblages
of Contemporary Musical Taste in the United Kingdom«, CRESC, Working paper 72,
University of Manchester, Nov. 2009.
31 Siehe das exzellente Buch von Simon Frith: Performing Rites: On the Value of
Popular Music, Harvard University Press, Cambridge, Mass. 1996, insbesondere das
Kapitel »Genre Rules«.
32 Die Geschichte mit Lucinda Williams habe ich einem Interview entnommen, das
sie Madeleine Schwartz in The Believer gab, nachgedruckt in: Confidence, or the
Appearance of Confidence: The Best of »Believer« Music Interviews, Hrsg. Vendela
Vida und Ross Simonini, Believer Books, San Francisco 2014, S. 472.
35 Das Zitat stammt aus dem hervorragenden Buch von Evan Eisenberg, The
Recording Angel: Music, Records and Culture from Aristotle to Zappa, Yale University
Press, New Haven, Conn., 2005, S. 45.
38 Der Gedanke stammt von dem Soziologen Omar Lizardo. Seiner Ansicht nach
»manifestiert sich das Allesfressertum wohl am deutlichsten als horizontale
grenzziehende Ressource, die die kulturell Begünstigsten von anderen nahestehenden,
aber doch unterschiedenen Teilen ihrer Schicht abgrenzt«. Siehe Lizardo,
»Reconceptualizing and Theorizing ›Omnivorousness‹: Genetic and Relational
Mechanisms«, Sociological Theory 30, Nr. 4, 2012, S. 263–282.
40 Der Soziologe Roger Kern stellt in einer Untersuchung von Kontaktanzeigen des
The New York Review of Books fest, dass dort die nach Bourdieu für die »symbolische
Ausgrenzung« so wichtigen Abneigungen fehlen. Möglicherweise, so schreibt er,
nehmen die Verfasser der Kontaktanzeigen an, dass sie als snobistisch, ablehnend
und/oder feindselig gelten, wenn sie bei ihrer Selbstbeschreibung dauernd auf
Negatives verweisen. Roger Kern, »Boundaries in Use: The Deployment of Personal
Resources by the Upper Middle Class«, Poetics 25, Nr. 2–3, 1997, S. 177–193.
41 John Seabrook schreibt über das Phänomen, das er »Nobrow« nennt: »In der
alten Welt mit oben und unten bekam man für konsistente kulturelle Präferenzen
Statuspunkte, aber in der ›Nobrow‹-Welt bekommt man Punkte, wenn man die
Kategorien durchbricht: Wenn man ein Snowboarder ist, der klassische Musik hört,
Cola trinkt und Quentin Tarantino verehrt, wenn man als Sprössling aus gutem Hause
Rap toll findet, wenn man als Fan von asiatischen Kampfsportfilmen Frusen Glädjè
besser findet als Häagen-Dazs oder als Fußballfan Fubu-Markenklamotten trägt und
die Oper liebt.« Aus »Nobrow Culture: Why It’s Become So Hard to Know What You
Like«, New Yorker, 20. Sept. 1999.
42 Noah Mark, »Birds of a Feather Sing Together«, Social Forces 77, Nr. 2, Dez.
1998, S. 453–485.
43 Siehe »The Death of the Long Tail«, Music Industry Blog, 4. März 2014,
http://musicindustryblog.wordpress.com/2014/03/04/the-death-of-the-long-tail/. Der
Autor des Berichts meint, die bloße Vielfältigkeit der digitalen Musik habe den »The-
winner-take-it-all-Effekt« noch verstärkt: »Die digitalen Musikdienste haben die
Konzentration auf Superstars verstärkt statt verringert. 75 Prozent der CD-Erlöse,
aber 79 Prozent der Abo-Erlöse entfallen auf die obersten ein Prozent der Interpreten.
Dieser eigentlich überraschende Trend wird durch zwei Faktoren verursacht: a) Bei
den digitalen Diensten gibt es, besonders bei Handys, weniger ›Front-End‹-
Sichtbarkeit und b) sind die Verbraucher durch eine ›Tyrannei der Wahl‹ überfordert:
Die überwältigenden Wahlmöglichkeiten behindern in Wahrheit Neuentdeckungen.«
44 Wie Douglas Holt bemerkt, ist dies vielleicht eine der weitverbreitetsten Formen
der sozialen Distinktion: »Das Bewusstsein eines schichtspezifischen Geschmacks in
Form von Vorlieben für oder Abneigungen gegen bestimmte kulturelle Objekte oder
Praktiken muss nicht unbedingt mit der Unterwürfigkeit der unteren Schichten oder
der Verachtung von Seiten der oberen Schichten einhergehen. Typischerweise
verhalten sich jene mit geringerem kulturellen Kapital gegenüber den Objekten und
Praktiken derer mit größerem kulturellen Kapital eher desinteressiert oder
ablehnend.« (Kursiv von mir.) Siehe Douglas Holt, »Distinction in America? Recovering
Bourdieu’s Theory of Taste from Its Critics«, Poetics 25, Nr. 2–3, 1997, S. 93–120.
46 Kent Russell, »American Juggalo«, n+1, Nr. 12, Herbst 2011, S. 29–55.
47 Siehe Theodor Geiger, »A Radio Test of Musical Taste«, Public Opinion Quarterly
14, Nr. 3, Herbst 1950, S. 453–460.
48 Wie beeinflusst die Art der Musikpräsentation – in Form von Genres oder
anderem – unsere Gefühle dafür? Wie oft erzählen wir einem Soziologen, der mit einer
Umfrage kommt, nicht, was uns gefällt, sondern eher, was wir kennen? In seinem
Essay »The Philosopher and the Sociologist« wirft Jacques Rancière Bourdieu vor,
»den Test zum musikalischen Geschmack in einen Test über musikalische Kenntnisse
zu verwandeln.« Der Soziologe »beurteilt den Musikgeschmack, ohne dass die
Getesteten Musik zu hören bekommen«. Die Befragten würden erraten, worum es bei
der Befragung geht, und entsprechend antworten. Jacques Rancière, Der Philosoph
und seine Armen. Passagen, Wien 2010, S. 187.
49
Aus einem Experiment, das Paul Randolph Farnsworth in seinem Buch Musical
Taste, Stanford University Press, Stanford, Kalif. 1950, S. 64, beschreibt.
51 Paul Rozin, Linda Millman und Carol Nemeroff, »Operation of the Laws of
Sympathetic Magic in Disgust and Other Domains«, Journal of Personality and Social
Psychology 50, Nr. 4, 1986, S. 703–712.
54 Elizabeth Hellmuth Margulis, »One More Time«, Aeon Magazine, 7. März 2014,
https://aeon.co/essays/why-repetition-can-turn-almost-anything-into-music.
55 J. B. Halberstadt und G. Rhodes, »It’s Not Just Average Faces That Are Attractive:
Computer-Manipulated Averageness Makes Birds, Fish and Automobiles Attractive«,
Psychonomic Bulletin and Review 10, 2003, S. 149–156.
56 Siehe Piotr Winkielman et al., »Prototypes Are Attractive Because They Are Easy
on the Mind«, Psychological Science 17, Nr. 9, 2006, S. 799–806. In einer anderen
Studie untersuchten Winkielman und seine Kollegen einen offensichtlichen
Widerspruch: »Einerseits sollte man annehmen, dass künstlich montierte Reize
(Durchschnittsgesichter) leicht zu verarbeiten sind, weil sie eine gute
Zusammenfassung vorhergehender Erfahrungen bieten (z.B. als Prototyp einer
Kategorie), andererseits aber, dass sie schwer zu verarbeiten sind, weil sie bezüglich
der ursprünglichen Gesichter, aus denen sie zusammengesetzt sind, am
uneindeutigsten sind.« Die Autoren führen hierzu ein Beispiel mit Bildern
gemischtrassiger Gesichter an, die in manchen Studien als attraktiver beurteilt
wurden, während andere Studien einen gegenteiligen Effekt feststellten. Sie erklären
die Diskrepanz mit unterschiedlichen Kategorien, nach denen die Gesichter beurteilt
wurden. So würde das Gesicht eines chinesisch-amerikanischen Manns als weniger
attraktiv beurteilt als andere »chinesische« Gesichter, aber vielleicht attraktiver als
männliche Gesichter insgesamt. Sie schreiben: »Gemischtrassige Individuen werden
positiver beurteilt, wenn die Rasse weniger auffällig ist, ironischerweise könnte das
Bewusstsein für den ethnischen Hintergrund durch die dadurch verursachte
mangelnde Attraktivität die positiven Gefühle verringern.« Die Autoren betonen
zudem, dass auch »motivierende Faktoren«, etwa welche Einstellung jemand
gegenüber einer Rasse hegt, bei den Ergebnissen eine Rolle gespielt haben könnten.
Siehe Winkielman et al., »Easy on the Eyes, or Hard to Categorize: Classification
Difficulty Decreases the Appeal of Facial Blends«, Journal of Experimental Social
Psychology 50, Jan. 2014, S. 175–183.
57 Mario Pandelaere et al., »Madonna or Don McLean: The Effect of Order of
Exposure on Relative Liking«, Journal of Consumer Psychology 10, Nr. 4, 2010, S. 442–
451. Dass der erste Reiz die stärkste Wirkung entfaltet, wurde auf ähnliche Weise auch
in der Hirnforschung mit bildgebenden Verfahren beobachtet, wo Probanden einem
Duft ausgesetzt wurden, der mit einem visuellen Gegenstand assoziiert wurde. Diese
Assoziation löste stärkere Hirnaktivitäten aus als die spätere Assoziation des Dufts
mit einem anderen Gegenstand. Wir erinnern uns an den ersten Geruch. Siehe
Andreas Keller, »Odor Memories: The First Sniff Counts«, Current Biology 19, Nr. 21,
2009, S. 988f.
59 Die Acid-House-Geschichte habe ich dem interessanten Artikel von Tim Lawrence
»Acid – Can You Jack?« auf der Website DJHistory.com entnommen; und auch der
hervorragenden Geschichte der Popmusik von Bob Stanley, Yeah! Yeah! Yeah! The
Story of Pop Music from Bill Haley to Beyoncé, W. W. Norton, New York 2014, S. 466.
62 Adrian North und David Hargreaves, The Social and Applied Psychology of Music,
Oxford University Press, New York 2008, S. 83.
64 Aus einem Gespräch mit dem Autor, aber siehe auch Moskowitz, »Engineering
Out Food Boredom«.
65 In Blindversuchen bevorzugten viele Leute sehr oft Pepsi. Wenn Verbraucher beide
Getränke blind trinken und anschließend befragt werden, warum sie das eine lieber
trinken, greifen laut einer Studie viele auf bekannte Erklärungsversuche etwa für
Limonade zurück wie »süßer schmeckt besser«. Die Autoren schreiben: »Dass die
Teilnehmer ihre positiven Gründe für Pepsi leichter verbalisieren können als für Coca-
Cola, deutet darauf hin, dass die Geschmackseigenschaften von Pepsi eine
plausiblere Grundlage für die angenehme Erfahrung bieten.« Kurz gesagt, kann man
besser sagen, warum man Pepsi gut findet als Coca-Cola. Theoretisch könnte dieser
Umstand und nicht das Getränk selbst die Erklärung für unsere Vorliebe sein. Siehe
Ayumi Yamada et al., »The Effect of an Analytical Appreciation of Colas on Consumer
Beverage Choice«, Food Quality and Preference 34, Juni 2014, S. 1–4.
69 Der Musikkritiker Alex Ross wundert sich, wieso das moderne Publikum sich der
zeitgenössischen klassischen Musik gegenüber so widerstrebend verhält, obwohl es
auf anderen Gebieten offen für Neuerungen ist, und verweist dabei auf die Folgen von
Darbietungshäufigkeit und Vertrautheit: »Die modernen Komponisten wurden zum
Opfer eines lange herrschenden allgemeinen Desinteresses, das eng mit der
abgöttischen Verehrung der Vergangenheit durch das klassische Musikpublikum
zusammenhängt. Selbst vor 1900 gingen die Leute mit der Erwartung ins Konzert, in
den lieblichen Klängen längst vergangener Tage zu schwelgen. (›Neue Werke haben in
Leipzig keinen Erfolg‹, schrieb ein Kritiker bei der Premiere von Brahms’ erstem
Klavierkonzert 1859.)« In der klassischen Musik gilt als gut, was vertraut ist – seit
mehreren hundert Jahren. Alex Ross, »Why Do We Hate Modern Classical Music?«,
Guardian, 28. Nov. 2010.
70 Haben vielleicht auch Holbrook und Schindler, wie Rancière Bourdieu vorwarf,
einen Musikerinnerungstest durchgeführt und die Leute eher danach befragt, was sie
kennen, und nicht nach dem, was sie lieben? Würden nicht auch ältere Personen bei
wiederholtem Hören »Sledgehammer« besser finden als »Smoke Rings«? Wie kann
jungen Leuten der Song der Mills Brothers besser gefallen, wenn sie ihn noch nie
gehört haben?
74 In dem Dokumentarfilm We Jam Econo hat Mike Watt von The Minutemen den
Gedanken eines generationenabhängigen Determinismus auf den Punkt gebracht:
»Man kann nichts dafür, wann man geboren wurde und was man gut findet. Manche
wurden vorher, manche nachher und manche genau dann geboren.« Es verstand sich
von selbst, dass »genau dann« den Zeitpunkt ihres musikalischen Erwachens meinte.
75 »Die Vorstellung, alle Musik sei gleich und gleichberechtigt, ist eine zutiefst
demokratische Vorstellung, ebenso wie der damit zusammenhängende Gedanke, das
Publikum und nicht ein Expertenrat könne am besten über die Musikqualität urteilen«,
schrieb Zapruder in seinem Blog. »Die Tatsache aber, dass manche Musik nicht nur
mehr Publikum anzieht, sondern auch mehr Leuten über längere Zeit etwas bedeutet,
zeigt, dass es schon in der Musik selbst eine fundamentale Ungleichheit gibt.« Play
Listen Repeat (Blog), Pandora, 25. Feb. 2009,
http://blog.pandora.com/uncategorized/imagine_that_yo/.
4
Woher wissen wir, was uns gefällt?
1 Pieter Brueghel d. Ä., Landschaft mit dem Sturz des Ikarus, Gedicht von W. H.
Auden, Musée des Beaux Arts, übersetzt von Kurt Heinrich Hansen, zitiert aus: DIE
ZEIT, Archiv, Jahrgang 1952, Ausgabe 39. Einen beeindruckenden Essay über die
Ereignisse, die Auden zu seinem Kommentar bezüglich des Gemäldes aus dem
16. Jahrhundert inspirierten, findet man bei: Alexander Nemerov, »The Flight of Form:
Auden, Brueghel and the Turn to Abstraction in the 1940s«, Critical Inquiry 31, Nr. 4,
Sommer 2005, S. 780–810.
3 Peter Schjeldahl, »The Trouble with Nauman«, in: Bruce Nauman, hrsg. v. Robert
C. Morgan, Johns Hopkins University Press, Baltimore 2002.
5 Clement Greenberg, »The State of Art Criticism«, in: Twentieth Century Theories
of Art, Hrsg. James Thompson, Carleton University Press, Ottawa 1990, S. 102.
6 Für eine gute Darstellung siehe Eric Anderson, Erika H. Siegel und Lisa Feldman
Barrett, »What You Feel Influences What You see: The Role of Affective Feelings in
Resolving Binocular Rivalry«, Journal of Experimental Social Psychology 47, Nr. 4,
2011, S. 856–860.
7 Eric Kandel, Das Zeitalter der Erkenntnis: Die Erforschung des Unbewussten in
Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute, Siedler, München 2012,
S. 331.
11 Edwin Denby, Dance, Writings and Poetry, Yale University Press, New Haven, Conn.
1998, S. 259.
12 Der Satz stammt von William Hazlitt, »Picture-Galleries in England«, in: The
Collected Works of William Hazlitt, J. M. Dent, London 1903, S. 7.
13 Siehe Svetlana Alpers, »The Museum as a Way of Seeing«, in: Exhibiting Cultures,
Hrsg. Ivan Karp und Steven D. Lavine, Smithsonian Institution Press, Washington, D.C.
1991, S. 26.
15 John Dewey, Art as Experience, Perigee, New York 2005, S. 54. In deutscher
Übersetzung: Kunst als Erfahrung, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1988.
17 Ladislav Kesner weist darauf hin, dass wir zwar empirisch belegen können, dass
Museumsbesucher »die ausgestellten Objekte nur flüchtig betrachten«, aber »nicht
wirklich definieren, von empirisch messen ganz zu schweigen, können, wie
befriedigend die Begegnung mit den Werken unter dem Gesichtspunkt der
Wahrnehmung ist«. Kesner, »The Role of Cognitive Competence in the Art Museum
Experience«, Museum Management and Curatorship 21, Nr. 1, 2006, S. 4–19.
19 Jeffrey K. Smith und Lisa F. Wolf, »Museum Visitor Preferences and Intentions in
Constructing Aesthetic Experience«, Poetics 24, Nr. 2–4, 1996, S. 222.
20 Philip Hensher, »We Know What We Like, and It’s Not Modern Art«, Daily Mail,
March 12, 2011, http://www.dailymail.co.uk/news/article-1365672/Modern-art-How-
gallery-visitors-viewed-work-Damien-Hirst-Tracy-Emin-5-seconds/html.
21 Benjamin Ives Gilman, »Museum Fatigue«, Scientific Monthly, Jan. 1916, S. 62–74.
22 Siehe Alessandro Bollo et al., »Analysis of Visitor Behavior Inside the Museum:
An Empirical Study«,
http://neumann.hec.ca/aimac2005/PDF_Text/BolloA_DalPozzoloL.pdf.
23 Der Satz stammt von Philip Fisher, via John Walsh, »Paintings, Tears, Lights, and
Seats«, Antioch Review 61, Nr. 4, Herbst 2003, S. 767–782.
24 Siehe James M. Bradburne, »Charm and Chairs: The Future of Museums«, Journal
of Museum Education 26, Nr. 3, Herbst 2001, S. 3–9.
26 Der Museumsforscher Stephen Bitgood nimmt an, dass Besucher »ein gutes
Preis-Leistungs-Verhältnis anstreben und den größten Nutzen oder die größte
Zufriedenheit für ihre Investition an Zeit und Geld haben wollen«. Siehe Bitgood, »An
Analysis of Visitor Circulation: Movement Patterns and the General Value Principle«,
Curator 49, Nr. 4, 2006, S. 463–475; und Bitgood, »An Overview of the Attention-Value
Model«, in: Attention and Value: Keys to Understanding Museum Visitors, Left Coast
Press, Walnut Creek, Kalif. 2013.
29 Siehe Jeffrey Smith, The Museum Effect: How Museums, Libraries, and Cultural
Institutions Educate and Civilize Society, Rowman & Littlefield, Lanham, Md. 2014,
S. 34.
30 Siehe ebd., S. 22. Smith nennt das Verhalten »gemeinsam besuchen, alleine
betrachten«.
31 Siehe Martin Tröndle et al, »A Museum for the Twenty-First Century: The Influence
of ›Sociality‹ on Art Reception in Museum Space«, Museum Management and
Curatorship 27, Nr. 5, 2012, S. 461–486.
32 Siehe Jay Rounds, »Strategies for the Curiosity-Driven Museum Visitor«, Curator
47, Nr. 4, Okt. 2007, S. 404.
33 Siehe beispielsweise Paolo Viviani und Christelle Aymoz, »Colour, Form, and
Movement Are Not Perceived Simultaneously«, Vision Research 41, Nr. 22, Okt. 2001,
S. 2909–2918. Semir Zeki entwickelt den interessanten Gedanken, dass die
Vorrangigkeit der Farbe im visuellen Wahrnehmungsprozess unser ästhetisches Urteil
beeinflussen könnte: »Es ist eine plausible und interessante Annahme, dass
Kombinationen, die einer ursprünglichen, signifikanten Gestaltung entsprechen und
daher als ästhetisch angenehmer empfunden werden, schneller verarbeitet werden als
solche, die ästhetisch als weniger angenehm empfunden werden, weil sie weniger
einer signifikanten Gestaltung entsprechen.« Siehe Semir Zeki und Tomohiro Ishizu,
»The ›Visual Shock‹ of Francis Bacon: An Essay in Neuroesthetics«, Frontiers in
Human Neuroscience 7, Dez. 2013, S. 9.
34 Für eine interessante Beobachtung, wie die Figuren von Gemälden wie Vermeers
Mädchen »uns« anblicken, siehe Olivier Morin, »How Portraits Turned Their Eyes upon
Us: Visual Preferences and Demographic Change in Cultural Evolution«, Evolution in
Human Behavior 34, Nr. 3, 2013, S. 222–229. In manchen Kulturen, so Morin, ist der
direkte Blick unerwünscht, aber »in Kulturen, wo die Blickrichtung frei variieren kann,
sodass es Porträts mit direktem und abgewandtem Blick gibt, ist Letzterer
erfolgreicher und setzt sich mit der Zeit durch.«
35 Siehe Davide Massaro et al., »When Art Moves the Eyes: A Behavioral and Eye-
Tracking Study«, PLoS ONE 7, Nr. 5, 2012, S. 1–12. Auch einzelne Gesichter
betrachten wir mit einer interessanten Mischung aus Top-down und Bottom-up.
Betrachten wir berühmte Gesichter, schauen wir uns die Augen und andere obere für
die Identifikation normalerweise sehr wichtige Partien weniger an, weil wir die Person
vermutlich schon erkannt haben und unsere Hypothese nur noch bestätigen wollen.
Siehe Jason J. S. Barton et al., »Information Processing During Face Recognition: The
Effects of Familiarity, Inversion and Morphing on Scanning Fixations«, Perception 35,
Nr. 8, 2006, S. 1089–1105.
37 Und das sei gut so. Er schreibt: »Anstatt den Blick anzuziehen, begnügt der
Rahmen sich damit, ihn zu sammeln und sogleich auf das Bild zu lenken.« Der
Rahmen ist weder Gemälde noch Wand, sondern eine hermetische Grenze zwischen
beiden. Er ist unsichtbar, es sei denn, er enthält kein Bild. Siehe José Ortega y Gasset,
»Meditation über den Rahmen«, in: ders., Über die Liebe, Meditationen, DVA,
Stuttgart 1957, S. 70 f.
38 Siehe u.a. C. F. Nodine, P. J. Locher und E. A. Krupinski, »The Role of Formal Art
Training on the Perception and Aesthetic Judgment of Art Compositions«, Leonardo
26, Nr. 3, 1993, S. 219–227.
40 Paul J. Locher, »The Aesthetic Experience with Visual Art ›at First Glance‹«, in:
Investigations into the Phenomenologie and the Ontology of the Work of Art: What are
Artworks an How Do We Experience Them?, Hrsg. Peer F. Bundgaard und Frederik
Stjernfelt, Springer, New York 2015.
41 Siehe Abigail Housen, »Eye of the Beholder: Research, Theory, and Practice«,
Paper für die Konferenz »Aesthetic and Art Education: A Transdisciplinary Approach«,
27.–29. Sept. 1999, Lissabon, Portugal.
43 Kenneth C. Lindsay und Bernard Huppe schreiben zum Beispiel: »Wir müssen uns
durch massenhafte Details kämpfen, um zum ikonographischen Zentrum
vorzudringen.« Lindsay und Huppe, »Meaning and Method in Brueghel’s Painting«,
Journal of Aesthetics and Art Criticism 14, Nr. 3, März 1956, S. 376–386.
44 Robert Zajonc, »Feeling and Thinking: Closing the Debate over the Independence
of Affect«, in: Feeling and Thinking: The Role of Affect in Social Cognition, Hrsg.
Joseph P. Forgas, Cambridge University Press, New York 2000.
48
Das Zitat stammt aus Thierry de Duve, Clement Greenberg, Between the Lines,
University of Chicago Press, Chicago 2010, S. 19.
49 Siehe George Plimpton, »The Art of the Matter«, New Yorker, 10. Juni 2012.
53 In der bekannten Studie des Psychologen Alfred Yarbus wurden Besucher mit
einem einfachen Eye-tracking-Gerät ausgestattet und gebeten, ein Bild zu betrachten:
Ilja Jefimowitch Repin, Unerwartete Heimkehr, zeigt die Heimkehr eines Soldaten aus
dem sibirischen Exil. Während der Betrachtung fragte man die Besucher, wie lange
der Soldat wohl weg gewesen sei oder wie die sozioökonomische Situation der Familie
wohl aussehe. Der Blickverlauf fiel je nach Fragestellung erheblich anders aus. Hier
drängt sich auch der Vergleich zu begleitenden Schildern auf, die die Aufmerksamkeit
der Besucher ebenso lenken dürften. Siehe Yarbus, Eye Movements and Vision, Plenum
Press, New York 1967. Eine gute Zusammenfassung von Yarbus’ Forschungsarbeit
findet man in: Sasha Archibald, »Ways of Seeing«, Cabinet, Nr. 30, Sommer 2008:
http://www.cabinetmagazine.org/issues/30/archibald.php.
54 Hensher, »We Know What We Like, and It’s Not Modern Art«, a.a.O.
55 Dieses Beispiel verdanke ich Pablo Tinios Paper »From Artistic Creation to
Aesthetic Reception: The Mirror Model of Art«, Psychology of Aesthetics, Creativity and
the Arts, 7, Nr. 3, 2013, S. 265–275.
56 Siehe David Brieber et al., »Art in Time and Space: Context Modulates the
Relation Between Art Experience and Viewing Time«, PloS ONE 9, Nr. 6, Juni 2014,
S. 1–8.
57 Siehe Mary Tompkins Lewis, »The Power, and Art, of Painting«, Wall Street Journal,
25. Sept. 2009.
58 Michael Baxandall, Painting and Experience in Fifteenth Century Italy, Oxford
University Press, Oxford 1988, S. 11.
59 Siehe Jeffrey K. Smith und Pablo P. L. Tinio, »Audibly Engaged: Talking the Walk«,
in: Digital Technologies and the Museum Experience: Handheld Guides and Other
Media, Hrsg. Loïc Tallon und Kevin Walker, AltaMira Press, New York 2008, S. 75.
62 Ayumi Yamada, »Appreciating Art Verbally: Verbalization Can Make a Work of Art
Be Both Undeservedly Loved and Unjustly Maligned«, Journal of Experimental Social
Psychology 45, Nr. 5, 2009, S. 1140–1143.
67Siehe Erika Michael, Hans Holbein the Younger: A Guide to Research, Routledge,
New York 2013, S. 327.
68 Die Ergebnisse seiner Studie nennt Fechner in dem Bericht über das auf der
Dresdener Holbein-Ausstellung ausgelegte Album, Breitkopf und Härtel, Leipzig 1872.
Danke an Sophie Duvernoy für die Hilfe bei der Übersetzung.
69 Gustav Theodor Fechner, Bericht über das auf der Dresden Holbein-Ausstellung
ausgelegte Album, Breitkopf und Härtel, Leipzig 1872, http://reader.digitale-
sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10997465_00005.html
71 Gustav Theodor Fechner, Vorschule der Ästhetik, Cambridge University Press, New
York 2013, S. 243 f.
73 Dieser Einwand stammt von Richard Padovan: »Die generelle Präferenz für
Formen, ob Quadrat oder halbes Quadrat, Quadrat oder dreiviertel Quadrat, könnte
ihre Ursache auch einfach darin haben, dass wir diesen Formen tagtäglich – beim
Kartenspiel, bei Fensterscheiben, Büchern und Gemälden – begegnen und sie uns
vertraut sind.« Siehe Padovan, Proportion: Science, Philosophy, Architecture, Taylor
and Francis, London 1999, S. 312.
74 Der Philosoph Rudolf Arnheim bemängelte beispielsweise, dass die Anhänger der
experimentellen Ästhetik nur von »Präferenz« sprächen und »damit alles
vernachlässigen, was den Kunstgenuss vom Genuss einer Eiscreme unterscheidet«.
Fechners Rechtecksstudien würden, auch wenn sie scheinbar gewisse Präferenzen
offenbarten, zeigen, was den Leuten gefiel, aber nicht warum. Die meisten Studien, so
Arnheim, »verraten uns reichlich wenig darüber, was die Leute sehen, wenn sie ein
ästhetisches Objekt betrachten, oder was sie damit meinen, dass ihnen etwas gefalle
oder nicht, oder warum ihnen das eine besser gefällt als das andere«. Siehe Arnheim,
»The Other Gustav Theodor Fechner«, in: New Essays on the Psychology of Art,
University of California Press, Berkeley 1986, S. 45. Selbst der Psychologe Daniel
Berlyne, der die experimentelle Ästhetik in den 1970er Jahren wieder aufgriff und zu
ihren bekanntesten Fürsprechern gehört, schrieb, dass »die experimentelle Ästhetik
zwar eine lange, aber keine hoch angesehene Geschichte« habe. Berlyne, Studies in
the New Experimental Aesthetics, Hemisphere Publishing, Washington, D.C. 1974, S. 5.
77 Zeki schreibt: »Wenn wir ein Mondrian-Gemälde betrachten, in dem Linien eine
besondere Rolle spielen …, werden in der Sehregion unseres Gehirn zahlreiche Zellen
aktiviert, die entsprechend lebhaft reagieren – sofern eine Linie mit einer bestimmten
Ausrichtung in dem Feld liegt, das die Zelle mit einer Präferenz für diese Ausrichtung
›sieht‹.« Siehe Semir Zeki, Inner Vision: An Exploration of Art and the Brain, Oxford
University Press, Oxford 1999, S. 114. Interessanterweise ist es dabei für die erzielte
Wirkung gleichgültig, wie man das Mondrian-Werk betrachtet. Laut einer Studie
bevorzugten die Probanden nicht die originale Ansicht von Mondrians Werk
Komposition, sondern eher drei andere Ausrichtungen – in anderen Studien gelang es
den Teilnehmern allerdings wesentlich besser, die originale Ausrichtung zu erraten.
Siehe George Mather, »Aesthetic Judgment of Orientation in Modern Art«, i-Perception
3, Nr. 1, 2012, S. 18–24. In einer weiteren Studie wurden den Probanden Mondrian-
Bilder mit schrägen statt mit den originalen horizontalen und vertikalen Linien
präsentiert – in rautenförmigen Rahmen, damit die Probanden durch die
Rahmenausrichtung nicht beeinflusst wurden. Hier wurden die Originalgemälde
bevorzugt – Allerdings könnte hier auch ein Bekanntheitseffekt eine Rolle spielen, weil
die Leute wissen, wie ein Mondrian aussehen muss. Siehe Richard Latto, »Do We Like
What We see?«, in: Multidisciplinary Approaches to Visual Representations and
Interpretations, Hrsg. Grant Malcolm, Elsevier, Amsterdam 2004, S. 343–356.
78 Siehe Zaira Cattaneo et al., »The World Can Look Better: Enhancing Beauty
Experience with Brain Stimulation«, Social Cognitive and Affective Neuroscience 9,
Nr. 11, 2014, S. 1713–1721. Ähnliche Effekte lassen sich interessanterweise auch für
Nahrungsmittel belegen. In einem Versuch konnte ein mit »Elektroden ausgestatteter
Löffel«, der auch Licht erzeugte, »die wahrgenommene Geschmacksintensität«
erhöhen. Siehe Aviva Rutkin, »Food Bland? Electric Spoon Zaps Taste into Every Bite«,
New Scientist, 31. Okt. 2014.
79 Siehe Joel S. Winston et al., »Brain Systems for Assessing Facial Attractiveness«,
Neuropsychologia 45, 2007, S. 195–206. Die Forscher stellen fest: »Offenbar verringert
sich die Aktivität in einigen mit dem Belohnungssystem zusammenhängenden
Bereichen, wenn man Gesichter auf ihre Attraktivität hin bewertet. Das könnte daran
liegen, dass der Belohnungswert – oder vielleicht der ästhetische Wert – eines
visuellen Reizes sinkt, wenn man diesen bewerten will. Um diese scheinbar
widersprüchliche Wirkung besser erklären zu können, sind zweifellos weitere
Verhaltens- und Neuroimaging-Studien nötig.«
82 Michael Peppiatt, Francis Bacon: Anatomie eines Rätsels, Dumont, Köln 2000,
S. 134.
85 Zeki führt dies genauer aus in: »The Woodhull Lecture: Visual Art and the Visual
Brain«, Nachdruck in: Exploring the Universe: Essays on Science and Technology,
Hrsg. P. Day, Oxford University Press, London 1997, S. 37.
88 Siehe Hans Richter, Dada: Kunst und Antikunst, DuMont, Ostfildern 1993, S. 207.
89 Arthur Danto, The Abuse of Beauty, Open Court, New York 2003, S. 17.
91 Siehe Annette Spohn, Andy Warhol – Leben, Werk, Wirkung, Suhrkamp, Frankfurt
a.M. 2008, S. 82.
93 Edward Vessel, Irving Biederman und Mark Cohen, »How Opiate Activity May
Determine Spontaneous Visual Selection«, Paper für das dritte Jahrestreffen der
Vision Sciences Society, Sarasota, Fla., 2003.
96 Wenn man Leuten in einer Studie abstrakte Kunstwerke zeigte, gefielen ihnen
Werke besser, wenn der Titel einen semantischen Bezug erlaubte – und schlechter,
wenn der Titel keinen Zusammenhang mit dem Bild zu haben schien. Siehe Benno
Belke et al., »Cognitive Fluency: High-Level Processing Dynamics in Art Appreciation«,
Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts 4, Nr. 4, Nov. 2010, S. 214–222. Siehe
auch Helmut Leder et al., »Entitling Art: Influence of Title Information on
Understanding and Appreciation of Paintings«, Acta Psychologia 121, Nr. 2, 2006,
S. 176–198.
98 John Dewey, Art as Experience, Perigee, New York 2005, S. 288. In deutscher
Übersetzung: Kunst als Erfahrung, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1988.
101 Ein Kunsthistoriker schrieb: »Es scheint fast, dass wir ein Jahrhundert warten
mussten, um die Rätsel der Alltagsbilder von Caillebotte richtig entschlüsseln zu
können.« Morton Shackleford, Gustave Caillebotte: The Painter’s Eye, University of
Chicago Press, Chicago 2015, S. 19.
102 Aaron Meskin et al., »Mere Exposure to Bad Art«, British Journal of Aesthetics 53,
Nr. 2, 2013, S. 139–164.
103 Siehe Robert McCrum, »The 100 Best Novels: An Introduction«, Guardian,
22. Sept. 2013, https://www.theguardian.com/books/2013/sep/22/100-best-novels-
robert-mccrum.
104 Milan Kundera, Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, Carl Hanser Verlag,
Wien, München 1984, S. 240.
105 Alexis Boylan, Hrsg., Thomas Kinkade: The Artist in the Mall, Duke University
Press, Durham, N.C. 2011, S. 13.
106
Kinkade sagte einmal: »Ich male hell erleuchtete Fenster, weil hell erleuchtete
Fenster für mich trautes Heim bedeuten.« Und laut Kunderas Feststellung müssen
diese dann für Sie und den Rest der Welt ebenfalls trautes Heim bedeuten. Zitiert
nach Michael Clapper, »Thomas Kinkade’s Romantic Landscape«, American Art 20,
Nr. 2, Sommer 2006, S. 76–99.
108 Eine herausragende Darstellung dieses Zeitalters bietet Jeremy Black, Culture in
Eighteenth-Century England: A Subject for Taste, Bloomsbury, London 2006.
109 So schreibt David Marshall: »Nachdem sich die Kriterien zur Beurteilung von
Kunst gewandelt hatten – von der Konformität zu den klassischen Regeln bis hin zur
Fähigkeit von Kunst, die subjektive Erfahrung von Lesern und Betrachtern zu formen
–, wurden an das Kunsterlebnis völlig neue Forderungen gestellt.« Siehe Marshall, The
Frame of Art: Fictions of Aesthetic Experience, 1750–1815, Johns Hopkins University
Press, Baltimore 2005, S. 6.
110 Eine Aussage, die nicht selten ist, in diesem Fall aber von George Dickie stammt.
111 Zeki etwa untersuchte auch mit Hilfe eines Experiments, ob Menschen bestimmte
mathematische Gleichungen schöner als andere finden. Aber wie sollte man jemanden
auftun, der noch nie eine mathematische Formel gesehen hatte? Siehe Semir Zeki et
al., »The Experience of Mathematical Beauty and Its Neural Correlates«, Frontiers in
Human Neuroscience, 13. Feb. 2014, S. 1–12,
http://journal.frontiersin.org/Journal/10.3389/fnhum.2014.00068/full. Zeki wies auf den
einen interessanten Punkt hin, falls Leute die Gleichungen nicht verstehen, sie aber
dennoch schöner als andere finden: »Das führt zu der grundlegenden Frage, ob
Schönheit selbst in einem so abstrakten Bereich wie der Mathematik einen Hinweis
darauf liefert, was in der Natur wahr ist: in unserer eigenen Natur und in der Welt, in
der der Mensch entstanden ist.« Man stellt sich beispielsweise ein Experiment vor, in
dem man Laien richtige und falsche mathematische Gleichungen vorlegt. Wenn sie
die richtigen Gleichungen als schöner einstufen, könnte es einen Zusammenhang
zwischen Schönheit und Wahrheit geben. Mathematiker, die wissen, ob eine Gleichung
richtig ist, können natürlich kein unvoreingenommenes ästhetisches Urteil fällen.
112 Siehe Denis Dutton, »The Experience of Art Is Paradise Regained: Kant on Free
and Dependent Beauty«, British Journal of Aesthetics 34, Nr. 3, 1994, S. 226–239.
113 Kant war der Ansicht, dass wir ein Bild mit einer vollkommen unbekannten
Sternansammlung im Weltraum frei von vorgefassten Meinungen und Bezugspunkten
betrachten und es schön finden könnten. In der Realität arbeiten Astronomen
allerdings mit »Falschfarbenbildern« und anderen Techniken, damit ihre Bilder dem
entsprechen, wie wir uns ein schönes Weltall vorstellen. Siehe Lisa K. Smith et al.,
»Aesthetics and Astronomy: Studying the Public’s Perception and Understanding of
Imagery from Space«, Science Communication 33, Nr. 2, Juni 2011, S. 201–238. Siehe
auch Anya Ventura, »Pretty Pictures: The Use of False Color in Images of Deep
Space«, in: Invisible Culture, Nr. 19, 29. Okt. 2013,
http://ivc.lib.rochester.edu/portfolio/pretty-pictures-the-use-of-false-color-in-images-of-
deep-space/. Der Autor schreibt: »Obwohl wir dem Publikum sagen, es handle sich bei
den Bildern um landschaftsfotografische Nachrichten von den Außengrenzen unserer
Welt, besitzen wir keinen Bezugspunkt, um die Echtheit dieser Topographien zu
beurteilen, keinen physikalischen Spiegel, der unser Verständnis erleichtern könnte.«
115 Siehe Peter Jones, »Hume’s Aesthetics Reassessed«, Philosophical Quarterly 26,
Nr. 102, 1976, S. 56.
117Siehe David Hume, »Of the Standard of Taste«, in: Selected Essays, Hrsg. Stephen
Copley und Andrew Edgar, Oxford University Press, Oxford 2008, S. 133.
118 So stellte eine Studie ziemlich verzweifelt fest: »Die Literatur zu Präferenzen in
der bildenden Kunst ist häufig von Widersprüchen und Verwirrung geprägt … Oft
widersprechen die Ergebnisse der einen Studie denen anderer, und bisher hat sich
noch keine gefragt, warum scheinbar zwei sehr ähnliche Kinder (Alter, Geschlecht,
sozioökonomischer Status) auf dasselbe Kunstwerk unterschiedlich reagieren.«
Pauline J. Ahmad, »Visual Art Preference Studies: A Review of Contradictions«, Visual
Arts Research 11, Nr. 2, Herbst 1985, S. 104.
119 Und in gewisser Hinsicht waren sie noch nicht getrennt: Hume leitete als Mitglied
einer Handelsgesellschaft eine Jury, die den besten »Diskurs über den Geschmack«
suchte und dabei nicht nur »die Schöne Literatur und die Wissenschaften«, sondern
ebenso »Porter« und »Strong Ale« berücksichtigte. Siehe Ernest Campbell Mossner,
The Life of David Hume, Oxford University Press, Oxford 2001, S. 283. Der
Wettbewerbsgewinner war Alexander Gerard mit seinem »Essay on Taste«.
121 Wie der Philosoph Peter Kivy bemerkt hat, wurde die Frage, ob etwas gute Kunst
sei, nun durch die Frage ersetzt, ob jemand ein guter Kritiker sei. Aber wer sollte das
entscheiden? Woher sollte man wissen, ob man genügend eigene Urteilsfähigkeit
besaß, und wenn nicht, wie konnte man dann über die anderer urteilen? Siehe Kivy,
»Hume’s Standard of Taste: Breaking the Circle«, British Journal of Aesthetics 7, Nr. 1,
1967, S. 57–66. Dann gibt es noch das Problem der Metakognition. Wie George Dickie
schreibt: »Das Problem von Humes Theorie ist, dass jemand ohne feinen Geschmack
kaum wissen kann, ob jemand anderes guten Geschmack besitzt.« Siehe Dickie, The
Century of Taste, Oxford University Press, Oxford 1996, S. 134.
122 Siehe Michelle Mason, »Moral Prejudice and Aesthetic Deformity: Rereading
Hume’s ›Of the Standard of Taste‹«, Journal of Aesthetics and Art Criticism 59, Nr. 1,
Winter 2001, S. 60. Sie spricht ein größeres Problem an, das sie das »moralische
Vorurteilsdilemma« nennt. Wenn ein Kunstwerk, sagen wir etwa Nazikunst, gegen die
moralische Überzeugung des Kritikers verstößt, muss der Kritiker von seinen
moralischen Widerständen absehen, was Hume laut Mason »Pervertierung der
Gefühle« nannte. Wenn er nicht von seinen Widerständen absieht, läuft er Gefahr,
seine »Vorurteilsfreiheit« aufzugeben. Sie nimmt an, Hume hätte sich am Ende auf
der Seite der Moralisten wiedergefunden. Und was ist mit dem »feinen Geschmack«
der Kritiker – verfügt ihr sensorisches System über eine optimale Bandbreite? Die
sogenannten Superschmecker mit ihrem hochempfindlichen Geschmackssinn wären
ideale Kritiker, aber oft schmeckt ihnen nicht, was die meisten von uns gerne essen.
Sind sie darum nun gute oder schlechte Kritiker? Frances Raven hebt in einem
interessanten Aufsatz auf diesen Punkt ab: »Are Supertasters Good Candidates for
Being Humean Ideal Critics?«, Contemporary Aesthetics,
http://www.contempaesthetics.org/newvolume/pages/article.php?articleID=282. Etwas
provokanter fragt sich Jerrold Levinson, warum wir uns dem ästhetischen Urteil
idealer Kritiker überhaupt anschließen sollen: »Warum soll man sich dadurch
beeinflussen lassen, dass dieses und jenes von idealen Kritikern bevorzugt wird, wenn
es einem selber nicht zusagt?« Wenn, sagen wir, Thomas Kinkade den eigenen
ästhetischen Ansprüchen genügt, was geht es einen dann an, wenn Kritiker ihn nicht
gerade als großen Künstler bezeichnen? Natürlich könnte man sich nun mit den
großen Künstlern beschäftigen und dazulernen, seine Zeit für ernsthafte ästhetische
Studien aufwenden, um hoffentlich zu lernen, was idealen Kritikern gefällt. »Bestimmt
würde das dazu führen«, so Levinson, »dass man nun ästhetische Qualitäten erkennt
und von Werken berührt wird, gegenüber denen man bis dahin blind und
unempfindlich war.« Aber ist dies den ganzen Aufwand wert – die Zeit und Energie
und, nicht zu vergessen, die »früheren Freuden an dem, was man einst schätzte« –,
wenn man genauso gut auch bei dem bleiben kann, was man kennt und mag? Siehe
Jerrold Levinson, »Hume’s Standard of Taste: The Real Problem«, Journal of Aesthetics
and Art Criticism 60, Nr. 3, Sommer 2002, S. 227–237.
123 Aus Critical Review 3, 1757, S. 213, zitiert in: Kivy, »Hume’s Standard of Taste«,
a.a.O., S. 65.
124 James Shelley, »Hume’s Double Standard of Taste«, Journal of Aesthetics and Art
Criticism 52, Nr. 4, Herbst 1994, S. 437–445.
126 Siehe beispielsweise »Maxfield Parrish: The Gertrude Vanderbilt Whitney Murals«,
http://www.tylermuseum.org/MaxfieldParrish.aspx.
127 Die Haltung der Kritik zu Maxfield Parrish entwickelt sich interessanterweise noch
immer weiter; siehe beispielsweise Edward J. Sozanski, »Taking Maxfield Parrish
Seriously«, Philly.com, 9. Juni 1999, http://articles.philly.com/1999-06-09
entertainment/254988431maxfield-parrish-fine-arts-currier-gallery.
128 Siehe Plimpton, »Art of the Matter«. Oder wie ein anderer Kurator am MOBA
sagte: »Wenn jemand äußert, ›Dreh dich um und guck dir das mal an‹«, weiß man
nicht, ob das Bild gut oder schlecht ist, die Leute wollen unabhängig davon ihren
Eindruck einfach mit anderen teilen.« Zitiert nach der MOBA-Videopräsentation unter
http://vimeo.com/11917386.
129 Semir Zeki und John Paul Romaya, »Neural Correlates of Hate«, PLoS ONE 3,
Nr. 10, Okt. 2008, S. 4.
130 Kendall Walton, »Categories of Art«, Philosophical Review 79, Nr. 3, 1970, S. 334–
367. Ich danke Jonathan Neufeld, der mir dieses Paper empfohlen hat.
131 Siehe Rachel Smallman und Neal J. Roese, »Preference Invites Categorization«,
Psychological Science 19, Nr. 12, 2008, S. 1228–1232.
132 Der sogenannte »Mere Categorization«-Effekt besagt, dass allein die Nennung
von Kategorien, »selbst wenn die Kategorien nichts über die Auswahloptionen
aussagen«, den Verbrauchern ein besseres Gefühl bezüglich der gewählten Option
gibt. C. Mogilner, T. Rudnick und S. S. Iyengar, »The Mere Categorization Effect: How
the Presence of Categories Increases Choosers’ Perceptions of Assortment Variety
and Outcome Satisfaction«, Journal of Consumer Research 35, Nr. 2, 2008, S. 202–215.
133 Eine Studie zu den Unterschieden zwischen den Präferenzen von Architekten und
Laien kommt zu dem Schluss: Wenn aus Endverbrauchern Fachleute werden,
berücksichtigen sie bei der Produktbewertung andere Eigenschaften. Dadurch ändern
sich ihre Präferenzen. So entdeckt ein Weinkenner Eigenschaften am Wein, die
Nichtkennern verborgen bleiben. Das Modell legt nahe, dass Laien ein simpleres
Entscheidungsmodell nutzen: etwa Satteldach ist gut, Flachdach aber nicht. Dass die
Nutzer die Umfrage zu ihren optischen Präferenzen in kurzer Zeit beantworteten,
könnte diese Hypothese stützen (kursiv von mir). Siehe William Fawcett, Ian Ellingham
und Stephen Platt, »Reconciling the Architectural Preferences of Architects and the
Public: The Ordered Preference Model«, Environment and Behavior 40, Nr. 5, 2008,
S. 599–618.
134 Siehe Rachel Smallman, Brittney Becker und Neal J. Roese, »Preferences for
Expressing Preferences: People Prefer Finer Evaluative Distinctions for Liked Than
Disliked Objects«, Journal of Experimental Social Psychology 52, Mai 2014, S. 25–31.
135 Aus dem exzellenten Aufsatz von Simon Frith »What Is Bad Music?«, in: Bad
Music: The Music We Love to Hate, Hrsg. Christopher Washburne und Maiken Derno,
Psychology Press, New York 2004, S. 17.
136 Die Freude am Schlechten widerspricht dieser Ansicht ebenso wie zahlreiche
klassische Theorien zur hedonistischen Beurteilung. Das klassische Modell der
Darbietungshäufigkeit bedeutet laut Kinkade-Studie, dass man Gutes mit steigender
Darbietungshäufigkeit besser und Schlechtes schlechter bewertet. Doch was passiert,
wenn man seine Tage im Museum of Bad Art zubringt, dessen Werke aufgrund ihrer
Mängel ausgewählt wurden? Gefällt einem ein Werk dann vor allem als etwas
Schlechtes? Oder ist einem – nach Hume – in der ersten Begeisterung ein Irrtum
unterlaufen und, was man für schlecht hielt, ist eigentlich gut oder, noch verwirrender,
nicht schlecht? Und wenn einem ein Werk, das man aufgrund seiner Mängel mag,
irgendwann weniger gefällt, heißt dies dann, dass man es nun, zumindest selber,
langsam gut findet?
137 Susan Sontag, »Anmerkungen zu Camp«, in: Kunst und Antikunst, Carl Hanser
Verlag, München/Wien 2003, 7. Aufl., S. 322.
138Siehe Erik Piepenburg, »Wild Rides to Inner Space«, New York Times, 28. Aug.
2014.
139 Natürlich können einem irgendwann Dinge gefallen, die man zunächst ironisch
abschätzig betrachtet hat. Das gilt beispielsweise für die sogenannten »Bronys«:
ältere männliche Fans der Zeichentrickserie »My Little Pony«. Wie ein Fan schrieb:
»Wir wollten uns einen Spaß daraus machen, aber dann hat uns die Serie einfach
gefesselt.« Siehe Una LaMärze, »Pony Up Haters: How 4chan Gave Birth to the
Haters«, Observer, 3. Aug. 2011, http://observer.com/2011/08/pony-up-haters-how-
4chan-gave-birth-to-the-bronies/.
140 Wie der Designkritiker Stephen Bayley schrieb: »Schlecht, so zeigt sich, kann
irgendwann besser als gut sein. Jedenfalls ist es immer besser als das schlechte Gute,
doch am besten und vor allem vergnüglichsten ist vielleicht das gute Schlechte.«
Stephen Bayley, »Books We Hate to Love«, Los Angeles Times, 3. März 2006.
141 Samuel Johnson, The Works of Samuel Johnson, Talboys und Wheeler; und W.
Pickering, London 1825, S. 50.
142 Ein früheres Beispiel, das Frauen betraf: Romane, die im 18. Jahrhundert vor
allem Frauen lasen, wurden damals ähnlich belächelt wie Reality-TV heute. Siehe Ana
Vogrincic, »The Novel-Reading Panic in 18th Century in England: An Outline of an
Early Moral Media Panic«, Medijska istraživanja 14, Nr. 2, 2008, S. 103–123.
143 Zitat aus »Guilty Pleasures: Nicholas McGegan’s Symphonic Sweet Tooth«, NPR,
16. März 2011,
http://www.npr.org/blogs/deceptivecadence/2011/03/14/134543756/guilty-pleasures-
nicholas -mcgegans-symphonic-sweet-tooth.
144HaeEun Chun, Vanessa M. Patrick und Deborah J. MacInnis, »Making Prudent vs.
Impulsive Choices: The Role of Anticipated Shame and Guilt on Consumer Self-
Control«, Advances in Consumer Research 34, Jan. 2007, S. 715–719.
145 Siehe Vanessa M. Patrick, HaeEun Helen Chun und Deborah MacInnis, »Affective
Forecasting and Self-Control: Why Anticipating Pride Wins over Anticipating Shame in
a Self-Regulation Context«, Journal of Consumer Psychology 19, Nr. 3, 2009, S. 537–
545.
146Samuel Johnson, The Works of Samuel Johnson, Hrsg. Samuel Johnson und Arthur
Murphy, H. C. Carey and I. Lea, London 1825, S. 310.
147 Für eine umfangreiche Betrachtung der Unterschiede zwischen Scham und
Schuld siehe Jeff Elison, »Shame and Guilt: A Hundred Years of Apples and Oranges«,
New Ideas in Psychology 23, Nr. 1, 2005, S. 5–32.
148 Ebd.
150 Wie Charles Allan McCoy und Roscoe C. Scarborough in ihrer ausgezeichneten
Auseinandersetzung mit der »großen Schwäche« zeigen, müssen Leute, die voller
Schuldgefühle schlechte Fernsehsendungen sehen, die Sendung zugleich
»konsumieren« und »verurteilen«: »Sie können den normativen Widerspruch nicht
auflösen und leiden daran.« Um den Konflikt zu entschärfen, entschuldigen sie sich
dafür, dass »ihre Sehgewohnheiten ein wenig geistlos, aber letztendlich ein harmloser
Spaß sind, dem sie einfach nicht widerstehen können.« Siehe McCoy and
Scarborough, »Watching ›Bad‹ Television: Ironic Consumption, Camp and Guilty
Pleasures«, Poetics 47, Dez. 2014, http://dx.doi.org/10.1016/j.poetic.2014.10.003.
151 Das Konzept der süßen Sünde oder großen Schwäche wurde von manchem
kritisiert, und wenn Leute über ihre Cocktails als eine »süße Sünde« reden, kann ich
das nachempfinden. Doch in der Regel sind dies Argumente, die von »oben kommen«,
aus den Logenplätzen des kulturellen Kapitals, wo der Satz auch vor allem
Verwendung findet und am stärksten mit Bedeutung aufgeladen ist.
5
Warum (und wie) sich unser Geschmack verändert
1 Siehe Michael Seymour, Babylon: Legend, History and the Ancient City, I. B.
Tauris, New York 2014, S. 178.
2 Siehe John Ruskin, The Complete Works of John Ruskin, Reuwee, Wattley & Walsh,
Philadelphia 1891, S. 25–181.
3 Zitiert nach dem exzellenten Aufsatz von Sophie Gilmartin, »For Sale in London,
Paris and Babylon: Edwin Long’s The Babylonian Marriage Market«, 2008:
https://pure.rhul.ac.uk/portal/files/1853272/babylon.pdf.
4 Das Art Journal schrieb in seinem Nachruf auf Holloway: »Wer das Glück hatte,
Werke in die Versteigerung zu geben, die Holloway begeisterten, profitierte zweifellos
von Holloways gönnerhaftem Gebaren … und diejenigen, deren Werke er ersteigerte,
werden nun vermutlich den inflationären Preisen nachtrauern, die die eigenen Werke
einen Moment lang erzielen konnten.« Zitiert nach Geraldine Norman, »Victorian
Values, Modern Taste«, Independent, 14. Nov. 1993.
5 Siehe Shireen Huda, Pedigree und Panache, A History of the Art Auction in
Australia, ANU E Press, Canberra, 2008, S. 19.
6 Philip Hook, The Ultimate Trophy: How the Impressionist Painting Conquered the
World, Prestel, München 2012, S. 36.
7 Philip Hook, »The Lure of Impressionism for the Newly Rich«, Financial Times, 30.
Jan. 2009.
9 Ken Johnson bemerkte 2009 bei der Besprechung einer Ausstellung zur
viktorianischen Malerei, die auch den selten ausgeliehenen Heiratsmarkt in Babylon
zeigte: »Die Malerei des viktorianischen Zeitalters, die von späteren Kunstkritikern, ob
Roger Fry oder Clement Greenberg, verachtet und belächelt wurde, feiert mit der
Postmoderne ihre Wiederauferstehung. Ihre romanhaften Motive, der blühende
Symbolismus und die glatte, akademische Technik sprechen Kunstliebhaber an, die
die rein abstrakte Kunst und die irritierende Konzeptkunst der 1960er und 1970er
Jahre leid sind.« Siehe Johnson, »Social Commentary on Canvas: Dickensian Take on
the Real World«, New York Times, 18. Juni 2009.
10David Hume, »Of the Standard of Taste«, in: The Philosophical Works of David
Hume, Bd. 3, Little, Brown, New York 1854, S. 255.
11 Siehe George Loewenstein und Erik Angner: »Predicting and Indulging Changing
Preferences«, in: Time and Decision: Economic and Psychological Perspectives of
Intertemporal Choice, Hrsg. George Loewenstein, Daniel Read und Roy F. Baumeister,
Russell Sage Foundation, New York 2003, S. 372.
12 Rabatte werden auch darum oft nicht in Anspruch genommen, weil es für den
Verbraucher in der Regel schwierig ist, diese bei den Unternehmen einzufordern.
Siehe Katy McLaughlin, »Claiming That Holiday Rebate: Is It Really Worth the
Headache?«, Wall Street Journal, 3. Dez. 2002,
http://www.wsj.com/articles/SB1038857494436020153.
13 Manch einer hat aber natürlich auch Strategien entwickelt, um mit den
langlebigen Tattoos seinen Frieden zu schließen. Wie Eric Madfis und Tammi Arford
schreiben: »Manche tätowierten Personen merken, dass fast jedes Tattoo unendlich
viele Interpretationen und Fehlinterpretationen zulässt und jeder etwas anderes darin
sieht. Selbst diese Interpretationen, die mit jedem Tattoo einhergehen, unterliegen,
ebenso wie die Werte und Wünsche des einzelnen Tattoo-Trägers, dem Wandel der Zeit.
Folglich lösten einige dieses Problem, indem sie mehr Wert auf die Schönheit ihres
Tattoos legten als auf seine konkrete Symbolik und Tattoos eher als eine Erinnerung
an die eigene Vergangenheit und nicht als Zeichen einer stabilen Identität
betrachten.« Siehe Madfis und Arford, »The Dilemmas of Embodied Symbolic
Representation: Regret in Contemporary American Tattoo Narratives«, Social Science
Journal 50, Nr. 4, Dez. 2013, S. 547–556.
14 Siehe Jordi Quoidbach, Daniel T. Gilbert und Timothy Wilson, »The End of History
Illusion«, Science, 4. Jan. 2003, S. 96ff.
15 Oscar Wilde, »The Philosophy of Dress«, New-York Tribune , 19. April 1885, S. 9.
Ich danke der Website www.oscarwirican.com für die Nennung der Quelle. Auf Deutsch
kursiert das Zitat im Internet, beispielsweise unter
http://www.gutzitiert.de/zitat_autor_oscar_wilde_thema_mode_zitat_15337.html.
16 Zitiert nach Sara Ahmed, The Promise of Happiness, Duke University Press,
Durham, N.C, 2010, S. 79.
17 Zitiert nach Nathan Rosenberg, Exploring the Black Box: Technology, Economics
and History, Cambridge University Press, New York 1994, S. 57.
18 Chunka Mui, »Five Dangerous Lessons to Learn from Steve Jobs«, Forbes, 17. Okt.
2011, http://www.forbes.com/sites/chunkamui/2011/10/17/five-dangerous-lessons-to-
learn-from-steve-jobs/#19110a60da3c.
19 Mat Honan, »Remembering the Apple Newton’s Prophetic Failure and Lasting
Impact«, Wired, 5. Aug. 2013.
20 Raymond Loewy, Never Leave Well Enough Alone, Johns Hopkins University Press,
Baltimore 2002, S. 277.
22 Nehmen wir den archetypischen Fall von Nick Drake, dem englischen Folkmusiker,
der nach einer kurzen, genialen und völlig erfolglosen Karriere 1974 an einer
Überdosis starb – und später weit bekannter wurde. Man hat häufig vermutet, er wäre
seiner »Zeit voraus gewesen«. Aber sein Produzent und unerschütterlicher Verfechter
Joe Boyd meinte, Drakes Musik sei die Musik seiner Zeit gewesen. Sie sei damals
aufgenommen worden und weise Einflüsse aus dieser Zeit auf. Er hält etwas anders
für wahrscheinlich. »Der damalige Misserfolg ist Teil seines heutigen Erfolgs«, sagte
er. Mehr als musikalisch nicht in ihrer Zeit verankert, so Boyd, sei sie »kulturell nicht
verankert«. Sie tauchte nicht in den Soundtracks der unzähligen Babyboomer-Filme
auf, wurde nicht immer wieder von den Eltern der künftigen Fans gespielt und lief
nicht in den »klassischen« Radiosendern. »Sie ist offen dafür, von anderen Generation
und Leuten, die zufällig auf sie stoßen, interpretiert und vereinnahmt zu werden«,
sagte Boyd. »Sie sagte nicht, ich bin 60er-Jahre-Musik. Sie sagt nur: ›Ich bin Nick
Drake.‹« Sie war nicht neu, aber etwas Neues.
23 Siehe BabyNameWizard.com,
http://www.babynamewizard.com/archives/2011/6/the-antique-name-illusion-in-search-
of-the-next-ava-and-isabella.
24 Siehe Matt Tyrnauer, »Architecture in the Age of Gehry«, Vanity Fair, August 2010.
25 Wigley zitiert aus Joachim Bessing, »Mark Wigley«, 032c, Sommer 2007, S. 55.
26 Siehe Kimberly Devlin und Jack L. Nasar, »The Beauty and the Beast: Some
Preliminary Comparisons of ›High‹ Versus ›Popular‹ Residential Architecture and
Public Versus Architect Judgments of Same«, Journal of Environmental Psychology 9,
Nr. 4, Dez. 1989, S. 333–344.
28Siehe Jonathan Touboul, »The Hipster Effect: When Anticonformists All Look the
Same«, arXiv, 29. Okt. 2014.
29 Siehe Jeff Guo, »The Mathematician Who Proved Why Hipsters All Look Alike«,
Washington Post, 11. Nov. 2014.
30 Siehe Paul Smaldino und Joshua Epstein, »Social Conformity Despite Individual
Preferences for Distinctiveness«, Royal Society Open Science 2, 2015.
http://rsos.royalsocietypublishing.org/content/2/3/140437.
31 Gabriel Tarde, Die Gesetze der Nachahmung, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2003,
S. 35. Elihu Katz vermutet, dass Tarde heute nicht wahrgenommen werde, weil das
Wort »Nachahmung« aus der Mode gekommen sei. »Es klingt zu mechanisch und
gedankenlos, dabei hatte Tarde eigentlich vielleicht ›Einfluss‹ – ein besseres Wort – im
Kopf.« Siehe Katz, »Rediscovering Gabriel Tarde«, Political Communication 23, Nr. 3,
2006, S. 263–270.
33 Peter J. Richerson und Robert Boyd, Not by Genes Alone: How Culture
Transformed Human Evolution, University of Chicago Press, Chicago 2004, S. 11.
34 Catherine Hobaiter und Richard W. Byrne, »Able-Bodied Wild Chimpanzees
Imitate a Motor Procedure Used by a Disabled Individual to Overcome Handicap«,
PLoS ONE 5, Nr. 8, Aug. 2010.
37 Simmel schrieb: »Daß die Mode so ein bloßes Erzeugnis sozialer Bedürfnisse ist,
wird vielleicht durch nichts stärker erwiesen als dadurch, daß in sachlicher,
ästhetischer oder sonstiger Zweckmäßigkeitsbeziehung unzählige Male nicht der
geringste Grund für ihre Gestaltungen auffindbar ist.« George Simmel, »Philosophie
der Mode«, in: ders., Philosophische Aufsätze, Gesamtausgabe, Bd. 10, Suhrkamp,
Frankfurt a.M. 1995, zitiert nach: http://gutenberg.spiegel.de/buch/philosophie-der-
mode-10/1.
38 Adam Smith, Theorie der ethischen Gefühle, Felix Meiner Verlag, Hamburg 2010,
S. 315.
39 Seltsamerweise gaben die Kinder an, sich nicht daran erinnern zu können,
welches Vorbild einen Zuschauer hatte und welches nicht. Es scheint, dass sie dies
unterbewusst wahrnahmen. Siehe Maciej Chudek et al., »Prestige-Biased Cultural
Learning: Bystander’s Differential Attention to Potential Models Influences Children’s
Learning«, Evolution and Human Behavior 33, Nr. 1, 2012, S. 46–56.
40 Siehe Joe Henrich und Robert Boyd, »The Evolution of Conformist Transmission
and the Emergence of Between-Group Differences«, Evolution and Human Behavior
19, Nr. 4, 1998, S. 215–241.
41 Das Zitat stammt aus dem exzellenten Artikel von Philip Ball, »The Strange
Inevitability of Evolution«, Nautilus, 8. Jan. 2015.
42 Der französische Ökonom des Fin-de-siècle, Gabriel Tarde, verglich als einer der
Ersten Innovation mit Evolution. Er beschrieb den Erfinder als einen »Verrückten, der
Schlafwandler anführt«. Das Zitat stammt aus: Faridah Djellal und Faïz Gallouj, »The
Laws of Imitation and Invention: Gabriel Tarde and the Evolutionary Economics of
Innovation«, März 2014: https://ideas.repec.org/p/hal/wpaper/halshs-00960607.html.
45 Siehe Dan Ariely und Jonathan Levav, »Sequential Choice in Group Settings:
Taking the Road Less Traveled and Less Enjoyed«, Journal of Consumer Research 27,
Nr. 3, Dez. 2000, S. 279–290.
46 Matthew Hornsey und Jolanda Jetten, »The Individual Within the Group:
Balancing the Need to Belong with the Need to Be Different«, Personality and Social
Psychology Review 8, Nr. 3, Aug. 2004, S. 248–264.
48 Eine exzellente Analyse des Trends findet man in: Eugenia Williamson, »The
Revolution Will Probably Wear Mom Jeans«, Baffler, Nr. 27, 2015.
49 Elihu Katz schreibt: »Es gibt auch Trends und Moden ohne Etikett.« Ein Etikett
verleiht vagen Aktivitäten eine Form und trägt zu ihrer Stärkung bei. »Normalerweise
wird eine Mode durch ihr Etikett berühmt«, schreibt Katz, »und das nicht nur bei den
Konsumenten der Mode.« Rolf Myersohn und Elihu Katz, »Notes on a Natural History
of Fads«, American Journal of Sociology 62, Nr. 6, 1957, S. 594–601.
50 Siehe Richard Benson, »Normcore: How a Spoof Marketing Term Grew into a
Fashion Phenomenon«, Guardian, 17. Dez. 2014.
52 Siehe Richard Wilk, »Loving People, Hating What They Eat: Marginal Foods and
Social Boundaries«, in: Reimagining Marginalized Foods: Global Processes, Local
Places, Hrsg. Elizabeth Finnis, University of Arizona Press, Tucson 2002, S. 17.
54 Siehe Ernst H. Gombrich, Zur Kunst der Renaissance, Bd. 1, Norm und Form,
Klett-Cotta, Stuttgart 1985.
55 Zumindest eine Studie besagt, dass man einen unbeliebten Menschen nicht lieber
gewinnt, wenn man ihn nachahmt. Wenn man jemanden nachahmt, den man mag,
mag man ihn allerdings anschließend noch lieber. Siehe Mariëlle Stel et al.,
»Mimicking Disliked Others: Effects of A Priori Liking on the Mimicking-Liking Link«,
European Journal of Social Psychology 40, Nr. 5, 2010, S. 867–880.
56 Konzept und Begriff stammen von Gabriel Tarde, aber ich stieß in dem Paper
»Laws of Imitation and Invention« von Djellal und Gallouj darauf.
58 Eine kleine Auswahl: Ich bleib so Scheiße, wie ich bin; Alles Scheiße!?; Einen
Scheiß muss ich; siehe auch: Uwe Hinrichs, »Die deutsche Sprache wirft Ballast ab«,
Die Zeit, 7. April 2016.
59 Daniel Luzer, »How Lobster Got Fancy«, Pacific Standard, 7. Juni 2013.
60 Darauf weist Marjorie Perloff in einer guten Abhandlung über Geschmack hin, die
von Raymond Williams berühmtem Buch »Keywords« inspiriert ist. Siehe Perloff,
»Taste«, English Studies in Canada 3, Nr. 4, Dez. 2004, S. 50–55.
61 In einer berühmten Studie aus den 1970er Jahren zeigte der Psychologe Henri
Tajfel Schülern abstrakte, nicht näher bezeichnete Bilder »ausländischer Maler« und
fragte sie, wie sie ihnen gefielen. Anschließend wurden die Schüler in eine Klee- und
eine Kandinsky-Fangruppe eingeteilt. Aber natürlich hatte die Sache einen Haken. Die
Gruppe, der die Jungen zugeteilt wurden, hatte nichts mit ihren geäußerten Vorlieben
zu tun. Aber nun gehörten sie einer Klee- oder Kandinsky-Gruppe an und wurden
gebeten, bestimmte »Punkte« auf beide Gruppen zu verteilen – ein psychologisches
Standardverfahren –, wobei die eigene Gruppe davon profitieren oder ein gerechter
Ausgleich im Vordergrund stehen konnte. Was passierte? Die Klee-Mitglieder vergaben
durchgehend mehr Punkte an ihre eigene Gruppe, selbst dann, wenn ihre Gruppe
durch die Vergabe an die Kandinsky-Gruppe keinen Nachteil gehabt hätte. Tajfel
nannte dies das »Paradigma der minimalen Gruppe« und wollte damit zeigen, wie aus
einem fadenscheinigen Vorwand die Diskriminierung der »Außengruppe« und die
Bevorzugung der »eigenen Gruppe« erwachsen konnten. Denn was könnte
fadenscheiniger sein, so Tajfel, als erfundene Vorlieben für »Künstler, von denen die
Jungen noch nie etwas gehört hatten«. Siehe Tajfel et al., »Social Categorization and
Intergroup Behavior«, European Journal of Social Psychology 1, Nr. 2, 1971, S. 149–
178.
62 Der Soziologe Michael Macy und seine Kollegen schreiben: »Wenn man durch
den ›Echoraum‹ der Interaktion mit ähnlichen anderen gespiegelt wird, und sei es nur
minimal, können persönliche Neigungen als Koordinationsmechanismen dienen, um
in größeren Gruppen Netzwerk-Autokorrelationen in Gang zu setzen. Eine ähnliche
Koordinationsaufgabe kann auch einflussreichen Meinungsführern zukommen, wobei
ihr Einfluss allerdings geringer ist als der von Peers. Es braucht nur einen kleinen
›Schubser‹ von ›innen‹ oder ›oben‹, um in einer großen Bevölkerungsgruppe eine
selbstverstärkende Dynamik auszulösen, die tiefe kulturelle Gräben in die
demographische Landschaft reißen kann.« Siehe Daniel DellaPosta, Yongren Shi und
Michael Macy, »Why Do Liberals Drink Lattes?«, American Journal of Sociology 120,
Nr. 5, März 2015, S. 1473−1511.
67
Das ist natürlich noch nicht die ganze Story. Eine Studie zur Übernahme von
Twitter-Hashtags zeigte, dass ein Hashtag, der anfangs häufig retweetet wurde,
schließlich durch einen konkurrierenden Hashtag in den Schatten gestellt wurde, der
sich das starke »Antwortverhalten« auf Twitter zunutze machte und signalisierte, dass
sein Engagement tiefer ging und der erste schnell verbreitete Hashtag ein wenig zu
trendy war. Siehe Yu-Ru Lin et al., »Bigbirds Never Die: Understanding Social
Dynamics of Emergent Hashtags«, arXiv, 1301.7144v1, 28. März 2013. Auch bei
Vögeln gibt es außer der Darbietungshäufigkeit bestimmte Eigenschaften, die den
Erfolg beflügeln, etwa »längere Dauer, stärkere Amplitudenmodulation und eine
höhere mittlere Frequenz«. Siehe beispielsweise Myron Baker und David Gammon,
»Vocal Memes in Natural Populations of Chickadees: Why Do Some Memes Persist
and Others Go Extinct?«, Animal Behaviour 75, Nr. 1, 2008, S. 279–289.
68 Das Beispiel stammt aus dem faszinierenden Buch von Erez Aiden und Jean-
Baptiste Michel, Uncharted: Big Data as a Lens on Human Culture, Riverhead, New
York 2013, S. 36.
71 Eine interessante Übersicht über Goree Carter und die Aufnahme von »Rock
Awhile« – das der Rockmusikhistoriker Robert Palmer als den ersten Rock-and-Roll-
Song mit dem Schlüsselmerkmal verzerrte Gitarre bezeichnet und nicht »Rocket 88«
von Ike Turner – findet sich in: John Nova Lomax, »Roll Over, Ike Turner«, Texas
Monthly, Dez. 2014. Für eine gute zeitliche Einordnung von Songs mit verzerrter
Gitarre siehe Dave Hunter, »Who Called the Fuzz? Early Milestones in Distorted
Guitars«, aufgerufen über die Website des Gitarrenherstellers Gibson:
http://www2.gibson.com/News-Lifestyle/Features/en-us/who-called-the-fuzz-714.aspx.
72 Siehe Jann Wenner, »Pete Townshend Talks Mods, Recording and Smashing
Guitars«, Rolling Stone, 14. Sept. 1968.
74 J. Stephen Lansing und Murray P. Cox, »The Domain of the Replicators«, Current
Anthropology 52, Nr. 1, Feb. 2011, S. 105–125.
75 Harold Herzog, R. Alexander Bentley und Matthew Hahn, »Random Drift and
Large Shifts in Popularity of Dog Breeds«, Proceedings of the Royal Society B:
Biological Sciences, 7. Aug. 2004, S. 353–356.
76 Siehe Stefano Ghirlanda et al., »Fashion vs. Function in Cultural Evolution: The
Case of Dog Breed Popularity«, PLoS ONE 8, Nr. 9, 2013, S. 1–6.
78 Siehe Stefano Ghirlanda, Alberto Acerbi und Harold Herzog, »Dog Movie Stars
and Dog Breed Popularity: A Case Study in Media Influence on Choice«, PLoS ONE 9,
Nr. 9, 2014. Die Autoren schreiben: »Die vorliegenden Daten legen nahe, dass für
Hunde-Filme bevorzugt Rassen ausgewählt werden, deren Beliebtheit schon seit
einiger Zeit zugenommen hat.«
80 Darüber schrieb ich in: »When Good Waves Go Rogue«, Nautilus, 31. Juli 2014.
Wie bei den Modetrends gibt es auch bei den Monsterwellen bestimmte Orte, an
denen sich diese bevorzugt bilden. Dennoch lässt sich nicht vorhersagen, wann eine
Welle entstehen wird.
81 Siehe das bahnbrechende Werk von Stanley Lieberson, A Matter of Taste: How
Names, Fashions and Culture Change, Yale University Press, New Haven, Conn. 2000,
S. 25.
82 Jonah Berger et al., »From Karen to Katie: Using Baby Names to Understand
Cultural Evolution«, Psychological Science, Okt. 2012, S. 1067–1073.
83 Ebd.
86 Siehe Marianne Bertrand und Senhil Mullainathan, »Are Emily and Greg More
Employable Than Lakisha and Jamal? A Field Experiment on Labor Market
Discrimination«, NBER, Arbeitspapier 9873, Juli 2003. Die Forscher stellen fest, dass
Namen den sozialen Hintergrund und die Rassenzugehörigkeit widerspiegeln können:
»Afroamerikanische Kinder mit dem Namen Kenya oder Jamal werden mit sozial
wesentlich höher stehenden Müttern assoziiert als afroamerikanische Kinder, die
Latonya oder Leroy heißen.« Doch das schlage sich nicht in den Rückmeldungen auf
Bewerbungen nieder: »Insgesamt lässt sich aus diesem Versuch nicht ableiten, dass
der soziale Hintergrund das Ausmaß an Diskriminierung bestimmt.«
89 Siehe »A World of Hits«, Economist, 26. Nov. 2009. Das Magazin schreibt: »Eine
kürzliche Analyse des Magazins Billboard stellte für Amerika einen ähnlichen Trend
fest. Die Verkäufe insgesamt gingen zwar zurück, aber die Hits schlugen sich dabei
am besten. Alben auf den Plätzen 300 bis 400 mussten proportional die größten
Verluste einstecken.« Zur Assymetrie zwischen Top-Tracks und digital verfügbaren
Tracks schreibt Billboard: »In jeder beliebigen Woche entfallen ein Viertel aller
Verkäufe auf die 200 digitalen Top-Tracks. Dabei listet etwa das MP3-Angebot von
Amazon.com aktuell 9,99 Millionen Tracks auf. Die 200 Top-Tracks entsprechen also
nur 0,002% dessen, was ein großer Download-Anbieter bereithält.« Glenn Peoples,
»Tracking the Hits Along the Musical Long Tail«, Billboard, 11. Mai 2009.
90 Anita Elberse weist darauf hin, dass mit der Digitalisierung der Musik der Bereich
der C-Produkte größer und flacher geworden ist. »Obwohl Hits heute nicht mehr die
Umsätze erreichen wie vor der Raubkopierära, kann sich eine immer kleinere Gruppe
von Toptiteln ein immer größeres Stück vom Gesamtkuchen abschneiden.« Elberse,
»Should You Invest in the Long Tail?«, Harvard Business Review, Juli 2008.
91 William McPhee, Formal Theories of Mass Behavior, Free Press of Glencoe, New
York 1963, S. 136.
93 Watts und Salganik versuchten das Thema mit einer weiteren Studie zu
ergründen, indem sie die Reihenfolge der populärsten Songs veränderten. Unpopuläre
Songs wurden so kurzzeitig populärer. Die Forscher fragen sich, ob dies »zu einer
dauerhaften Popularität der Songs führen kann oder ob die beobachteten Effekte nur
vorübergehend sind«. Duncan Watts und Matthew Salganik, »Leading the Herd Astray:
An Experimental Study of Self-Fulfilling Prophecies in an Artificial Cultural Market«,
Social Psychology Quarterly 71, Dez. 2008, S. 338–355.
98Die Schätzung stammt aus Eric D. Beinhocker, The Origin of Wealth: Evolution,
Complexity and the Radical Remaking of Economics, Harvard University Press,
Cambridge, Mass. 2006, S. 9.
100 Carol Pogash, »During Bakery Break-In, Only Recipes Are Taken«, New York Times,
6. März 2015.
101 Der Historiker Irving Allen schreibt: »Die neue urbane Kultur umfasste auch eine
lexikalische Kultur. Diese Umgangssprache diente teils dazu, neue soziale Kategorien,
neue Formen sozialer Ungleichheit, neue Beziehungen, neue Technologien, neue
Lebensformen und andere Brüche mit der Tradition zum Ausdruck zu bringen.« Siehe
Allen, The City in Slang, Oxford University Press, New York 1995, S. 5.
102 Siehe beispielsweise Emile Alirol et al., »Urbanisation and Infectious Diseases in
a Globalised World«, Lancet: Infectious Diseases 11, Nr. 2, Feb. 2011, S. 131–141.
103 Leonard Bloomfield, Die Sprache, Edition Praesens, Wien 2001, digital verfügbar:
http://www.oapen.org/search?identifier=477714.
105 Siehe beispielsweise Allison Stadd, »Guess What the World’s Most Active Twitter
City Is?«, Social Times (Blog), Adweek, 2. Jan. 2013,
http://www.adweek.com/socialtimes/most-active-twitter-city/475006.
106 Siehe R. Alexander Bentley und Matthew W. Hann, »Is There a ›Neutral Theory of
Anthropology‹?«, aus den Anmerkungen von Lansing und Cox, »Domain of the
Replicators«, a.a.O., S. 118.
107 Jan Lorenz et al., »How Social Influence Can Undermine the Wisdom of Crowd
Effect«, PNAS 108, Nr. 22, 2011. Die Autoren schreiben: »Vermutlich ist die
Herdenbildung bei den Meinungen und Einstellungen stärker, für die es keine klare
richtige Antwort gibt.« Das trifft auf neue Moden, neue Kunst und neue Songs
sicherlich zu. Wie Mark Buchanan schreibt, weist James Surowiecki in seinem
einflussreichen Werk, Die Weisheit der Vielen, darauf hin – was häufig übersehen wird
–, dass die Masse nur klug sein kann, wenn die Menschen unabhängig voneinander
urteilen. Nur aus »nicht verzerrten« Einschätzungen können im Mittel präzise
Einschätzungen entstehen.
108 Wenn wir die Billboard-Charts unter diesem Blickwinkel betrachten, kann man
sagen: Je mehr die Leute sehen, welche Songs andere mögen, je mehr sie dieselben
Songs hören, je seltener sie sich außerhalb dieses schmalen Bands und dieser Form
der »Vertrauensverzerrung« bewegen, desto mehr sind sie davon überzeugt, dass
diese Hits es wirklich wert sind, gehört zu werden.
6
Katzen, Schmutz und Bier
1 Peter Paul Moormann, »On the Psychology of Judging Cats«, Rolandus Union
International.
2 Filip Boen et al., »The Impact of Open Feedback on Conformity Among Judges in
Rope Skipping«, Psychology of Sport and Exercise 7, Nr. 6, Nov. 2006, S. 577–590.
3 Siehe Herbert Glejser und Bruno Heyndels, »Efficiency and Inefficiency in the
Ranking in Competitions: The Case of the Queen Elisabeth Music Contest«, Journal of
Cultural Economics 25, Nr. 2, Mai 2001, S. 109–129.
5 Wändi Bruine de Bruin, »Save the Last Dance for Me: Unwanted Serial Position
Effects in Jury Evaluations«, Acta Psychologica 8, Nr. 3, März 2005, S. 245–260.
7 Siehe Amos Tversky, »Features of Similarity«, Psychological Review 84, Nr. 4, Juli
1977, S. 327–352. Siehe auch Susan Powell Mantel und Frank R. Kardes, »The Role of
Direction of Comparison, Attribute – Based Processing and Attitude – Based
Processing on Consumer Preference«, Journal of Consumer Research 25, März 1999,
S. 335–352.
9 Laurie Whitwell, »Smith Playing Russian Roulette as Gymnast Will Wait Until Last
Minute to Decide Which Routine to Perform on Pommelhorse«, Daily Mail, 3. Aug.
2012.
10 Siehe Hillary N. Morgan und Kurt W. Totthoff, »The Harder the Task, the Higher
the Score: Findings of a Difficulty Bias«, Economic Inquiry 52, Nr. 3, Juli 2014,
S. 1014–1026.
14 Das führt zu dem interessanten Gedanken, dass ein Richter nicht einmal dieselbe
Nationalität wie ein Sportler haben muss, um unter einer »nationalen« Verzerrung zu
leiden.
16 Wie die Psychologen Drew Walker und Edward Vul schreiben, verzerrt die
Gruppensituation »die Wahrnehmung individueller Merkmale, weil diese unwillkürlich
als dem Gruppendurchschnitt ähnlich betrachtet werden«. Walker und Vul,
»Hierarchical Encoding Makes Individuals in a Group Seem More Attractive«,
Psychological Science 25, Nr. 1, Jan. 2014, S. 230–235.
17 R. Post et al., »The Frozen Face Effect: Why Static Photographs May Not Do You
Justice«, Frontiers in Psychology 3, 2012, doi:10.3389 /fpsyg.2012.19122.
18 Siehe Thomas Mussweiler, Katja Rüter und Kai Epstude, »The Man Who Wasn’t
There: Subliminal Social Comparison Standards Influence Self-Evaluation«, Journal of
Experimental Social Psychology 40, Nr. 5, 2004, S. 689–696. Ähnliche Ergebnisse
ergaben sich auch für andere Vergleiche wie Aggressivität: Probanden, die ein Foto
von Arnold Schwarzenegger sahen, schätzten sich als aggressiver ein als diejenigen,
die die deutsche Sängerin Nena zu sehen bekamen. Ravi Dhar, Stephen M. Nowlis und
Steven J. Sherman, »Comparison Effects on Preference Construction«, Journal of
Consumer Research 26, Nr. 3, Dez. 1999, S. 293–306.
20 David A. Houston, Steven J. Sherman und Sara M. Baker, »The Influence of Unique
Features and Direction of Comparison on Preferences«, Journal of Experimental Social
Psychology 25, Nr. 2, 1989, S. 121–141.
22 Eine weitere Auseinandersetzung mit dem »11th Person Game« von Chris Noessel
findet sich in Christopher Noessel, »Is Serial Presentation a Problem in the Circuit?«,
Sci-Fi Interfaces, Okt. 4, 2013, https://scifiinterfaces.wordpress.com/ 2013/10/04/is-
serial-presentation-a-problem-in-the-circuit/. Interessant sind Überlegungen, wie man
den Spielverlauf manipulieren könnte: Wenn man zunächst eine vermutlich als
unattraktiv wahrgenommene Person durch die Tür treten lässt, würde die
Entscheidung anschließend vermutlich schneller fallen. Weil man »das Schlimmste«
schon gesehen hat, würde man den Standard für das Beste wahrscheinlich
überdenken. Schickt man dagegen eine sehr attraktive Person als Erste durch die Tür,
könnte das die Entscheidung verzögern, weil die eigene Messlatte dadurch angehoben
wird, ganz zu schweigen davon, dass der Spieler nun pingeliger wird, weil er darauf
wartet, dass das durch die erste Person gesetzte Ideal erneut erreicht wird.
23 Siehe Amos Tversky, Preference, Belief and Similarity: Selected Writings, MIT
Press, Cambridge, Mass. 2004, S. 34.
26 Beispielsweise schreibt die TICA (International Cat Association, eine der beiden
weltweit größten Zuchtvereine) über Don-Sphynx-Katzen: »Die Don-Sphynx-Katze ist
unverwechselbar. Die hochintelligente, schöne, liebenswerte Katze schaut einem
geradewegs in die Augen und scheinbar unmittelbar in die Seele.« Das ist vermutlich
noch der nüchternste Satz der Beschreibung. So wird die Katze auch als »förmlich
Außerirdische von einem fremden Stern« bezeichnet. Doch selbst der offizielle
Standard trägt dick auf: »Die Don-Sphinx-Katze ist eine bezaubernde, einzigartige,
weichherzige und gesellige Katze mittlerer Größe und mit einer weichen, haarlosen
faltigen Haut, die sich warm und samtig anfühlt.« Kann ein weiches Herz, frage ich
mich am Richtertisch sitzend, durch genetische Selektion gefördert werden?
27Siehe das wunderbare Buch von Sue Hubbell, Shrinking the Cat, Mariner Books,
New York 2002.
28 Wie Carlos A. Driscoll und seine Kollegen schreiben: »Anders als Hunde mit ihren
zahlreichen Größen, Formen und Charakteren, sind Hauskatzen relativ homogen und
unterscheiden sich höchstens in ihrem Fell.« Der Grund für die eher bescheidene
Vielfalt der Katzen liegt auf der Hand: »Hunde werden vom Menschen schon lange für
bestimmte Aufgaben wie Jagd oder Schafehüten gezüchtet, aber weil Katzen wenig
Neigung zeigen, irgendwelche Aufgaben für den Menschen zu übernehmen, fehlt bei
ihnen der selektive Druck durch Züchtungen.« Siehe Driscoll et al., »The Evolution of
House Cats«, Scientific American, Juni 2009.
29 Harrison William Weir, Our Cats and All About Them, Fancier’s Gazette Limited,
London 1892, S. 84, http://www.gutenberg.org/ebooks/35450.
30 Siehe Walker Van Riper, »Aesthetic Notions in Animal Breeding«, Quarterly Review
of Biology 7, Nr. 1, März 1932, S. 84–92.
33 Kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert fand sich eine Züchtergruppe nahe
Stuttgart zusammen, so der Historiker Aaron Skabelund. Ihr Ziel war es, den lokalen
Hirtenhund in den vielgerühmten »Deutschen Schäferhund« zu verwandeln, einen
»urtümlich deutschen Hund«, einen »kämpferischen stolzen Deutschen«, der
eindeutig deutsch und, die Zukunft warf ihre düsteren Schatten voraus, reinrassig war.
Siehe Skabelund, »Breeding Racism: The Imperial Battlefields of the ›German‹
Shepherd Dog«, Society and Animals 16, 2008, S. 354–371. Skabelund schreibt:
»Häufig erkennt man nicht oder vergisst, dass Tierrassen wie menschliche Rassen
zufällige, sich ständig wandelnde, kulturelle Kategorien sind, die mit Status, Klasse
und nationaler Identität ununterscheidbar verknüpft sind.«
34 So schreibt die Historikerin Harriet Ritvo über die viktorianische Hundemode und
die wachsende Londoner Hundebevölkerung: »Jeder andere Hund könnte den sozialen
Status seines Besitzers beschädigen.« Siehe Ritvo, »Pride and Pedigree: The Evolution
of the Victorian Dog Fancy«, Victorian Studies 28, Nr. 2, 1986, S. 227–253.
35 Die Diskrepanz zwischen Norm und Wirklichkeit kann mitunter ins philosophische
Dickicht führen. Das gilt etwa für die Frage, wie man ein kunstvolles Ideal für eine
neue Rasse kreiert. Woher weiß man, wie die perfekte Katze aussieht, wenn bisher
niemand eine solche Katze gesehen hat? Die erste Frage, die in diesem Fall
beantwortet werden müsse, so Vickie Fisher, Präsidentin von TICA, sei, wieso ist dies
eine Rasse? Fisher verweist auf die Munchkin-Katze, eine aus einer genetischen
Mutation hervorgegangene relativ neue Rasse, die von TICA nach einigen
Kontroversen in den 1990er Jahren eingeführt wurde. »Als die kurzbeinige Mutation
auftauchte«, so Fisher, »sahen wir darin irgendwann eine neue Rasse. Doch zuerst
dachten wir – und das tun wir auch heute noch oft –, ein neues Merkmal macht noch
keine neue Rasse.« Mit anderen Worten, die Munchkin-Leute machten einen
Riesenwirbel um die kurzen Beine.
38 Auch wenn die Cat Fanciers’ Association schreibt, dass die »heutige Perserkatze
das lebendige, verspielte und schnurrende Resultat einer mehr als 150-jährigen
liebevollen, klugen Zucht« ist, plagen die brachyzephalischen Katzen mit ihrer kurzer
Schnauze Gesundheitsprobleme. Laut Journal of Feline Medicine and Surgery reichen
diese von »stridulöser Atmung und obstruktivem Schlafapnoe-Syndrom« bis zu einem
Gehirn, das »in ein Schädelgehäuse falscher Größe gezwängt ist«. Siehe Richard
Malik, Andy Sparkes und Claire Bessant, »Brachycephalia – a Bastardisation of What
Makes Cats Special«, Journal of Feline Medicine and Surgery 11, Nr. 11, 2009, S. 889f.
39 Laut Journal of Feline Medicine and Surgery besitzen die Katzen der
Schönheitstheorie von Lorenz entsprechende kindähnliche Eigenschaften: »Ein
pausbäckiges Kindergesicht wird mit Reinheit, Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und
Verletzlichkeit assoziiert. Das weckt unseren Beschützerinstinkt.« Siehe Claudia
Schlueter et al., »Brachycephalic Feline Noses: CT and Anatomic Study of the
Relationship Between Head Conformation and the Nasolacrimal Drainage System«,
Journal of Feline Medicine and Surgery 11, Nr. 11, 2009, S. 891–900.
42 Siehe James W. Tanaka und Marjorie Taylor, »Object Categories and Expertise: Is
the Basic Level in the Eye of the Beholder?«, Cognitive Psychology 23, Nr. 3, 1991,
S. 457–482.
43
Siehe L. A. Gills et al., »Sensory Profiles of Carrot (Daucus carota L.) Cultivars
Grown in Georgia«, HortScience 34, Nr. 2, 1999, S. 625–628.
44John Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, Buch I, Felix Meiner Verlag,
Hamburg 2006, S. 131f.
45 Herbert Stone et al., Hrsg., Sensory Evaluation Practices, Academic Press, New
York 2012, S. 202.
48
John Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, Buch II, Felix Meiner
Verlag, Hamburg 1988, S. 31.
50 Das Beispiel stammt aus Harry T. Lawless und Hildegarde Heymann, Sensory
Evaluation of Food: Principles and Practices, Springer, New York 2010, S. 216.
51Siehe Herbert Stone und Joel Sidel, Sensory Evaluation Practices, Academic Press,
New York 2010, S. 210.
52 »Das ist keine gute Lösung«, schreibt Lawless, »um die Frage zu beantworten,
was man bei Unterscheidungstests mit den Präferenzen der richtig bzw. falsch
liegenden Tester machen soll.« Siehe Lawless und Heymann, Sensory Evaluation of
Food, a.a.O., 306.
56 Miguel de Cervantes, Don Quijote von der Mancha, in der Neuübersetzung von
Susanne Lange, Carl Hanser Verlag, München 2008, Bd. II, S. 116.
59 Siehe Dominique Valentin et al., »Expertise and Memory for Beers and Beer
Olfactory Compounds«, Food Quality and Preference 18, Nr. 5, 2007, S. 776–785.
60 Siehe beispielsweise Yanfei Gong, K. Aners Ericsson und Jerad H. Moxley, »Recall
of Briefly Presented Chess Positions and Its Relation to Chess Skill«, PLoS ONE 10,
Nr. 3, 2015.
61 »Die Begutachtung von Weinen«, schließen die Autoren, »beruht scheinbar auf
der Wahrnehmungsfähigkeit, ähnelt aber eigentlich zahlreichen anderen
Erfahrungsbereichen, in denen das Wissen die Hauptrolle spielt.« A. L. Hughson und
R. A. Boakes, »The Knowing Nose: The Role of Knowledge in Wine Expertise«, Food
Quality and Preference 13, Nr. 7, 2002, S. 463–472.
63Chollet, Valentin und Abdi, »Do Trained Assessors Generalize Their Knowledge to
New Stimuli?«, a.a.O.
65 Rose M. Pangborn, Harold W. Berg und Brenda Hansen, »The Influence Color on
Discrimination of Sweetness Dry Table-Wine«, American Journal of Psychology 76,
Nr. 3, Sept. 1963, S. 492–495.
66 Siehe auch Wendy V. Parr, Geoffrey White und David Heatherbell, »The Nose
Knows: Influence of Colour on Perception of Wine Aroma«, Journal of Wine Research
14, Nr. 2–3, 2003, S. 79–101.
67Barry Smith, Questions of Taste: The Philosophy of Wine, Oxford University Press,
New York 2009, S. 67.
68 Der Weinkritiker Mike Steinberger schreibt: »Manche Leute können Wein besser
beurteilen als andere, doch nach meiner Erfahrung liegt dies eher an ihrem Gehirn
als an Nase oder Mund.« Steinberger, »Do You Want to Be a Supertaster?«, Slate, 22.
Juni 2007, Zugriff am 17. Dez. 2013,
http://www.slate.com/articles/life/drink/2007/06/do_you_want_to_be_a_supertaster.html.
69 Die Darstellung von Schafers Arbeit stammt aus Trevor Cox, Sonic Wonderland: A
Scientific Odyssey of Sound, Bodley Head, London 2014, Prolog.
70 Siehe David G. Wittels, »You’re Not as Smart as You Could Be«, Saturday Evening
Post, 17. April 1948.
74 Siehe Keller, »Odor Memories«, a.a.O., sowie Yaara Yeshurun et al., »The
Privileged Brain Representation of First Olfactory Associations«, Current Biology 19,
Nr. 21, 2009, S. 1869–1874.
75 Eine Auseinandersetzung damit findet sich in Vanessa Danthiir et al., »What the
Nose Knows: Olfaction and Cognitive Abilities«, Intelligence 29, Nr. 4, Juli–Aug. 2001,
S. 337–361.
76 Einige Wochen nach dem Geschmackstest führte ich meinen eigenen Blindtest
mit mehreren Getränken durch, die ich als ähnlich wie Dr Pepper empfand:
Dr. Brown’s Black Cherry und Moxie, das regionale Getränk aus New England, das
auch Calvin Coolidge schmeckte. Vielleicht hatte ich schlecht gewählt, aber mich
überraschte, wie schnell ich Dr Pepper rausschmeckte, jetzt auch mit Unterstützung
der Sprache, die ich bei dem Geschmackstest kennengelernt hatte. Dr. Brown’s Black
Cherry hat eine gewisse ähnliche Kirschnote, ist aber viel simpler, süßer, eine Art
Kirschsirup. Moxie ist ähnlich wie Dr Pepper eine komplexe Mischung verschiedener
Aromen, aber dennoch ganz anders, mit einem stärkeren Arzneimittelgeschmack, der
mich an eine (leicht verflachte) Cola erinnerte.
77 David Y. Choi und Martin H. Stack, »The All-American Beer: A Case of Inferior
Standard (Taste) Prevailing?«, Business Horizons 48, Nr. 1, 2005, S. 79–86.
82 Matt Lawrence, Philosophy on Tap: Pint-Sized Puzzles for the Pub Philosopher,
John Wiley & Sons, New York 2011, S. 45.
84 Steve Annear, »Are Hipsters Driving Up the Cost of Pabst Blue Ribbon at Bars?«,
Boston Magazine, 13. Mai 2013, Zugriff 15. Jan. 2014,
http://www.bostonmagazine.com/news/blog/2013/05/23/pabst-blue-ribbon-price-
hipsters/.
85 Dennett, »Quining Qualia«, in: Lycan, Mind and Cognition, a.a.O., S. 390.
Schlussfolgerungen
Reine Geschmackssache
1 Robert Ashton, »›Nothing Good Ever Came from New Jersey‹: Expectations and
the Sensory Perception of Wines«, Journal of Wine Economics 9, Nr. 3, Dez. 2014,
S. 304–319.
2 Evgeny Yakovlev, »USSR Babies: Who Drinks Vodka in Russia«, Center for
Economic and Financial Research, Arbeitspapier w0198, Nov. 2012.
3
Siehe Winkielman et al., »Easy on the Eyes, or Hard to Categorize«, a.a.O.
Abebe, Nitsuh
Abgrenzung
Abneigungen
Abwechslung
Adaptives Lernen
Affekte/affektive Reaktionen
Ähnlichkeit/-sverzerrung.
Aiden, Erez
Airbnb
Akerlof, George
Albini, Steve
Albright, Adam
Aldredge, Tess
Algorithmen
Allen, Fal
Allen, Irving
Allen, John S.
Allen, Woody
Allesfresser s. Omnivores
Almodóvar, Pedro
Amatriain, Xavier
Amazon
Amnesie
Amuse-Gueules
Anderson Valley Brewing
Anderson, Eric
Androsten
Angeborenheit (v. Vorlieben)
Antizipation
Appert, Nicolas
Apple
Aral, Sinan
Araújo, Ivan de
Arcade Fire
Architektur
Arctic Monkeys
Arford, Tammi
Ariely, Dan
Armstrong, Lance
Arnheim, Rudolf
Assimilation
Auden, W. H.
Authentizität
Azalea, Iggy
Babynamen s. Vornamen
Babys s. Säuglinge
Bach, Johann Sebastian
Bacon, Francis (Maler)
Bacon, Francis (Philosoph)
Banksy
Barnes & Noble
Barnes, Julian
Barrett, Lisa Feldman
Barrett, Syd
Bastianich, Joe u. Lidia
Batali, Mario
Baxandall, Michael
Bayley, Stephen
Beatles
Beauchamp, Gary
Becker, Gary
Bee Gees
Beethoven, Ludwig van
Belohnung
Bentley, R. Alexander
Berger, Jonah
Bergman, Ingmar
Berlyne, Daniel
Berridge, Kent
Berry, Chuck
Bewertungssysteme (auf Internetplattformen)
Bewertungsverzerrungen
Biederman, Irving
Bier/-wettbewerbe
Bieschke, Eric
Bildung
Bitgood, Stephen
Bittergeschmack/-stoffe
Bloomfield, Leonard
Bodenbeurteilung
Borges, Jorge Luis
Bornstein, Robert
Botton, Alain de
Bourdieu, Pierre
Boyd, Joe
Boyd, Robert
Boylan, Alex
Brahms, Johannes
Brezeln
Brillat-Savarin, Jean Anthelme
Brillo
Brin, Sergey
Brooklyn Brewery
Brueghel, Pieter d. Ä.
Bruine de Bruin, Wändy
Bryson, Bethany
Buchanan, Mark
Bücher
Budweiser
Burke, Edmund
Bush, P. A.
Byers, Bruce
Byrne, Richard
Caillebotte, Gustave
Calvino, Italo
Camp
Campbell-Suppendosen
Canon
Cardello, Armand
Carpenter, Mary Chapin
Carter, Goree
Cate, Ted Jr.
Cézanne, Paul
Charles, Ray
Cheerleader-Effekt
Cher
Chesterton, G. K.
Chimero, Frank
Choi, David
Chollet, Sylvie
Clark, Kenneth
Clinton, Bill
Clooney, George
Coca-Cola
Coen-Brüder
Cohen, Leonard
Coldplay
Colvin, Shawn
Congreve, William
Conrad, Tom
Constable, John
Cooke, Lucy
Coolidge, Calvin
Coors
Costello, Elvis
Cowen, Tyler
Crandall, Christian
Crow, Sheryl
Crystal Pepsi
Csikszentmihalyi, Mihaly
Cutting, James
Cyrus, Miley
Damisch, Lysann
Dannett, Daniel
Danto, Arthur
Darbietungshäufigkeit s. Mere-Exposure-Effekt
Darsch, Gerald
»Daumen hoch« s. Bewertungssysteme
Davies, Dave
Davis, Clara
Davis, William C.
de Vries, Hugo
Debussy, Claude
Default Mode Network (DMN)
Del Posto (Restaurant)
Delacroix, Eugène
Demenz
Denby, Edward
Desperation Squads
Desserts
Dewey, John
Dhar, Ravi
Diamond, Jared
Dickie, George
Digg
Distinktion
Dixon, Chris
Donath, Judith
Doppelbestrafung
Douglas, Mary
Dr Pepper
Drake, Nick
Drouais, Jean Germain
Duchamp, Marcel
Duncker, Karl
Dürer, Albrecht
Dutton, Denis
Eames, Ray
eBay
Ebergeruch
Echo Nest
Einmannpackung (EPa)
Eintönigkeit
Eiscreme/-Effekt
Eiseman, Leatrice
Eiskunstlauf
Ekel
Ekelund, Lena
Elberse, Anita
»Elfter sein«
ELIZA
Elliott, Charlene
Elster, Jon
Emin, Tracy
Empfehlungssysteme (auf Internetplattformen)
Engberg, Louise
Entscheidungen
Erfahrungsgüter
Erinnerung
Erwartung/-shaltung
Erwartungsdissonanz
Erworbener Geschmack
Essen, Geschmack/Vorlieben
Estrella, Miquel Àngel
Eugenik
Eurovision Song Contest
Evangelos, Kathy
»Every Noise at Once«
Eysenck, Hans
Facebook
Fake-Bewertungen
Farace, Nanca
Farben
Fechner, Gustav
FedEx
Feedback s. Bewertungssysteme
Fehr, Ernst
Fernquist, Fredrik
Festinger, Leon
Field Notes
Filme
Filmmusik
Firefly
Firmenich
Fisher, Vickie
Fisman, Ray
Flaubert, Gustave
Flickr
Floyd, Jamie
Forer-Effekt
Forgotify
Fotos
Fraktale Muster
Frank, Michael
Frasch, Ronald
Freud, Sigmund
Frith, Simon
Fritz, Claudia
Fruchtwasser
Frühstück
Fry, Roger
Fun (Band)
Furse, Charles Wellington
Gabriel, Peter
Gale, Harlow
Galton, Francis
García Márquez, Gabriel
Gaskell, Elizabeth
Gaye, Marvin
Gedächtnis s. Erinnerung
Gehirn
Gehry, Frank
Geigen
Geiger, Theodor
Geltungskonsum
Gemälde s. Kunst
Genetik s. Vererbbarkeit
Genres s. Musikgenres
Gerba, Charles
Geruch
Geschmacksdiagramme/-hierarchien/ -koordinaten/-profile/-raum
Geschmacksforschung
Geschmacksnormen
Geschmackssinn
Geschmackstester (professionelle)
Geschmackstests s. a. Messung (v. Geschmack)
Geschmackswandel
Gewöhnung/Gewohnheitseffekt
Gilbert, Daniel
Gillette, Marianne
Gilman, Charlotte Perkins
Glass, Philip
Godes, David
Goffman, Erving
Goldener Schnitt
Goldstone, Robert
Gombrich, Ernst H.
Gómez Uribe, Carlos
Goodreads
Google
Gore, Al
Goya, Francisco de
Great American Beer Festival (GABF)
Green Giant
Greenberg, Charles
Greenberg, Clement
Groupon
Gruppenidentität/-präferenz
Guerra, Juan Luis
Guggenheim Museum, Bilbao
Guinness
Gureckis, Todd
Gustofazial-Reaktion
Gutachter
H&M
Habitus
Haley, Bill
Hargreaves, Davie
Harmoniepräferenz
Harvey, James
Hate-watching
Heath, Chip
Hedonismus
Hedonistische Skala
Heineken
Hendrix, Jimi
Henrich, Joseph
Hensher, Philip
Herodot
Herzog, Harold
Hippel, William von
Hipster-Effekt
Hitchcock, Alfred
Hitler, Adolf
Hoff, Karla
Hogan, Steve
Holbein, Hans d. J.
Holbrook, Morris
Holloway, Thomas
Holt, Douglas
Homer
Homophilie, soziale
Hook, Philip
Horner, Victoria
Hornsey, Matthew
Horváth, Ödön von
Hotels
Houson, Abigail
HP
Hu, Ye
Hubbell, Sue
Huberman, Bernardo
Hudson, Kenneth
Hughes, Robert
Hume, David
Hunch
Hunde/-rassen/-zucht
Hunger
Hyde, Robert
Identität
Imagine Dragons
India Pale Ale (IPA)
Informationsasymmetrie
Insane Clown Posse
Instagram
Internet
iPhone
Iron Maiden
Ironie
iTunes
Iyengar, Sheena
Jakobovits, Leon
James, Henry
Jastrow, Joseph
Jefferson, Thomas
Jehan, Tristan
Jelly-Bean-Test
Jetten, Jolanda
Jobs, Steve
Johnson, Ken
Johnson, Samuel
Jordan, Michael
Journey
Kaffee
Kampfrichter s. Preisrichter
Kandel, Eric
Kandinsky, Wassily
Kant, Immanuel
Kaplan, Peter
Karl II., König
Kartoffelchips
Käse
Kategorien/-bildung
Katz, Elihu
Katzen/-ausstellungen/-besitzer/-rassen/ -zucht
Katzenfutter
Katzenvideos
Kaufreue
Kelloggs
Kern, Roger
Kesner, Ladislav
Ketchup
Kidman, Nicole
Kieran, Matthew
Kinder s.a. Säuglinge
King, Silvia
Kinkade, Thomas
Kinks
Kitsch
Kivy, Peter
Klassen/-zugehörigkeit
Klee, Paul
Knight, Robert
Knoblauch
Kognitive Dissonanz
Komplexität (v. Musik)
Konditionierung
Konformismus/Konformität
Konformistische Distinktion/Übertragung
Konsensus-Effekt, falscher
Konstruiertheit (v. Vorlieben)
Konsum/-güter
Kontextabhängigkeit (v. Vorlieben)
Kontrasteffekt
Kool-Aid
Kooning, Willem de
Koons, Jeff
Koren, Yehuda
Korsmeyer, Carolyn
Köster, E. P.
Kottke, Jason
Kovács, Balázs
Kraft (Fa.)
Kraus, Brad
Kundera, Milan
Kunst/-betrachtung/-geschmack
Kushner, Rachel
La Rana Dorana
Lachlan, R. F.
Lamere, Paul
Landers, Ann
Lang Lang
Laptops
Last.fm
Lawless, Harry
Lawrence, D. H.
Lawrence, Matt
Lawrence, Tim
Lebensmittel s. Essen
Leder, Helmut
Left Hand Brewing
Leibenstein, Harvey
Lerman, Dawn
Lernen, bayessches
Lernen, soziales
Lerner, Ben
Leskovec, Jure
Leutze, Emanuel
Levinson, Jerrold
Li, Xinxin
Lieberson, Stanley
Lieblingsessen s. Essen
Lieblingsfarben s. Farben
Lieblingsmusik s. Musik
Lieblingszahlen s. Zahlen
Lifetime Brands
»Like« s. Bewertungssysteme
Linden, Greg
Liu, Hugo
Livestrong-Armbänder
Lizardo, Omar
Locher, Paul
Locke, John
Loewenstein, George
Loewy, Raymond
Long, Edwin Longsden
Long-Tail-Produkte
Longrois, Félicité
Lorenz, Konrad
Luca, Michael
Lucas, George
Ludlum, Robert
Lyons, Leslie
Macy, Michael
Madfis, Eric
Madrigal, Alexis
Maes, Pattie
Mainstream
Maltodextrin
Mann, Aimee
Margulis, Elizabeth Hellmuth
Marks, Noah
Markteffizienzhypothese
Marshall, David
Mason, Michelle
Match.com
Matthews, Dave
Maxwell House
McAuley, Julian
McCarthy, Cormac
McCormick
McCoy, Charles Allan
McDonald, Glenn
McDonald’s
McGegan, Nicholas
McManus, I. C.
McPhee, William
Melchionne, Kevin
Mere-Exposure-Effekt (Darbietungshäufigkeit)
Messung (v. Geschmack) s.a. Geschmackstests
Metallica
Michel, Jean-Baptiste
Michelangelo
Milch/-produkte
Milgram, Stanley
Millais, John Everett
Mills Brothers
Mimik
Minnelli, Liza
Mirabile, Tom
Mode/Moden
Molanphy, Chris
Mondrian, Piet
Monet, Claude
Moore, Suzanne
Moormann, Peter
Morewedge, Carey
Morin, Olivier
Morris & Co.
Moskowitz, Howard
Mudambi, Susan
Mullan, John
Mundpropaganda, digitale/elektronische
Museen
Museum of Bad Art (MOBA)
Museumserschöpfung
Music Genome Project (Pandora)
Musik/-geschmack
Musikgenres
Mussweiler, Thomas
Myerscough, Paul
MySpace
Nachahmung
Nachfrage, nicht-additive/nicht-funktionale
Nahrungsmittel s. Essen
Naismith, James
Namen s. Vornamen
Napoleon Bonaparte
Natick (U.S. Army’s Soldier Systems Center)
Nauman, Bruce
Nena
Neophobie
Netflix
Neuroästhetik
NeuroFocus
Neutrale Theorie/neutrales Modell
New Order
Newman, Matthew L.
Ngram
Nielsen
Nietzsche, Friedrich
Nine Inch Nails
Ninkasi Brewing
Nobrow
Nochlin, Linda
Noessel, Chris
Normcore
North, Adrian
Norton, Michael
Novak, David
Nussbaum, Emily
O’Brien, Edward
Öffentlichkeitsparadoxon
Ogle, Matthew
OkCupid
Oliver, Garrett
Omnivores (Allesfresser)
Online-Bewertungen s. Bewertungssysteme
Opioide
Ortega y Gasset, José
Orwell, George
Osmond, Donny
Ovid
Radiohead
Rancière, Jacques
Raphael
Ratchet-Effekt
RateBeer.com
Rauchen
Ravel, Maurice
Raven, Frances
Ray-Ban
Read, Daniel
Reagan, Ronald
Reed, Danielle
Regression zur Mitte
Reichl, Ruth
Rembrandt
Renoir, Auguste
Renshaw, Samuel
Repin, Ilja Jefimowitch
Restaurants
Retronasale Wahrnehmung s. Geruch
Reue
Review Sceptic
Rezenzeffekt
Richerson, Peter
Richter, Curt P.
Ridgway, Jason
Riedl, John
Ritvo, Harriet
Ritz-Cracker
Robinson, Edward S.
Rolling Stones
Romantics
Rose, John
Ross, Alex
Ross, Sean
Rossetti, Dante Gabriel
Rozin, Paul
Rubin, Nick
Ruscha, Ed
Rush
Ruskin, John
Russell, Kent
Sachverständige s. Gutachter
Sacks, Harvey
Saks
Salatschleudern
Salganik, Matthew
Salienz
Salz/Salziges
Sam Adams
Sand, George
Sandler, Adam
Sättigung/-sgefühl
Sauer/Saures
Säuglinge s. a. Kinder
Scarborough, Roscoe C.
Schafer, Murray
Schaffner, Ingrid
Scham
Schimpansen
Schindler, Robert
Schirillo, James
Schloss, Karen
Schnitzel-Tod
Schönberg, Arnold
Schönheit
Schuff, David
Schuld/-gefühle
Schumpeter, Joseph
Schwäche
Schwartz, Madeleine
Schwarzenegger
Schweine
Schwierigkeitsverzerrung
Scruton, Roger
Seabrook, John
Seinfeld, Jerry
Selbstaussagen
Selbstbetrug
Selbstdarstellung
Selektion/-sdruck
Selektionsbias
Sen, Shahana
Sensorische Reize
Serrell, Beverly
Seuss, Dr.
Shaftesbury, Lord
Shanteau, James
Shapin, Steven
Sharkey, Amanda
Sharot, Tali
Shelley, James
Sierra Nevada Pale Ale
Signale/Signaling
Silva, José
Simester, Duncan
Simkus, Albert
Simmel, Georg
Simonson, Itamar
Simpson, Frances
Sinnesspezifische Sättigung
Sisley, Alfred
Skabelund, Aaron
Small, Dana
Smith, Adam
Smith, Barry
Smith, Jeffrey
Smith, Louis
Snapchat
Solakov, Nedko
Sommeliers s.a. Wein
Sontag, Susan
Soundtracks s. Filmmusik
Speisekarten
Speiseplan-Optimierung
Spielberg, Steven
Spieltheorie
Spotify
Sprache
Stack, Martin
Stanley, Bob
Standards
Standing Ovations
Stanley, Bob
Steinberger, Mike
Steingarten, Jeffrey
Stendhal/-Syndrom
Sterne s. Bewertungssysteme
Stigler, George
Stiller, Ben
Stone, Matt
Strauss, Johann
Strauss, Stephen
Streaming
Suchgüter
Sünde, süße
Sündenbock-Geschmack
Superschmecker
Surowiecki, James
Survivor
Süße/Süßes s.a. Zucker
Swersey, Chris
Sydney, Opernhaus
Symmetrie
Synästhetiker
Szczesniak, Alina Surmacka
Tacitus
Taco Bell
Tajfel, Henri
Tanaka, James
Tarantino, Quentin
Tarde, Gabriel
Tattoos/-entfernung
Taylor, Marjorie
Taylor, Richard
Tee
Textur (v. Nahrungsmitteln)
Thirer, Irene
Tinio, Pablo
Tizian
Toilettenkabinen
Toilettenpapier
Tolstoi, Leo
Touboul, Jonathan
Townshend, Pete
Trapist Ale
TripAdvisor
Trivers, Robert
Tsien, Jennifer
Turnen
Turner, Ike
Turner, J. M. W.
Tuymans, Luc
Tversky, Amos
Twitter/-Prädiktor
Überanpassung
Übersättigung
Umami
Univores
Utzon, Jørn
Valenztheorie
Van Halen
Van Riper, Walker
Varietäten-Vergesslichkeit
Veblen, Thorstein
Velázquez, Diego
Velvet Underground
Verben, unregelmäßige
Verbraucherpanels
Vererbbarkeit (v. Geschmack/Vorlieben)
Vergleiche
Vermeer, Johannes
Vertrautheit
Vessel, Edward
Vickers, Zata
Victoria, Queen
Videoinstallationen
Vivaldi, Antonio
Vogelgesang
Vorfreude
Vorhersagbarkeit/-sehbarkeit (v. Geschmack/Vorlieben)
Vornamen
Vorurteile
Vul, Edward
Yakovlev, Evgeny
Yarbus, Alfred
Yellin, Todd
Yelp
YouTube
Zahlen
Zaidel, Dahlia
Zajonc, Robert B.
Zapruder, Michael
Zeki, Semir
Zellner, Debra
Zervas, Georgios
Zucker s.a. Süße
Zufälligkeit (d. Geschmackswandels)/ zufällige Nachahmung
Zwangsentscheidungen
Über den Autor
www.tomvanderbilt.com