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Slavoj i ek: Blasphemische Gedanken

Slavoj Žižek: Blasphemische Gedanken. Islam und Moderne. Ullstein Verlag


<URL:http://www.ullstein.de> (München) 2015. 63 Seiten. ISBN 978-3-550-
08116-3. D: 4,99 EUR, A: 5,20 EUR, CH: 6,90 sFr.

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„Schneide der Wahrheit“


Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek ist bekannt für seine Streitbarkeit und Kritik an den real
existierenden, kapitalistischen und hegemonialen Zuständen in der Welt. Durch zahlreiche
Auslandsaufenthalte und Gastprofessuren, u. a. an der Columbia University und in Princeton, hat er eine
Aufmerksamkeit als Gesellschaftskritiker und Denker unserer Zeit erhalten. Seine „Streitschrift“, die er als
englischsprachigen Titel „Islam and Modernity. Some Blasphemic Reflexions“ vorlegt, wird von Michael
Adrian ins Deutsche übersetzt und vom Ullstein-Verlag mit dem Titel „Blasphemische Gedanken. Islam und
Moderne“ als Essay herausgebracht.

Entstehungshintergrund
Žižek nimmt die fundamentalistischen, islamistischen Terroranschläge auf die Redaktion der
Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ im Januar 2015 in Paris zum Anlass, „den Akt des Denkens mit der Hitze
des Augenblicks in Einklang zu bringen“, und mit kritischem Blick das Attentat und die inszenierten
Solidaritäts- und Beileidsbekundungen vor allem der Politiker aus vielen Teilen der Welt zu reflektieren.

Inhalte
Der Autor stößt ganz und gar nicht in das Horn derjenigen, die mit merkwürdigen und unglaubwürdigen
Relativierungen die Täter des Terroranschlags zwar nicht in Schutz nehmen, aber immerhin vorgeben, ihre
Motive verstehen zu wollen; auch nicht in das der „Aug´ um Auge, Zahn um Zahn-Kämpfer“, die allen
Muslimen sogleich den Stempel von Menschenfeinden aufdrücken wollen. Er stellt vielmehr unzweideutig
fest: „Natürlich sollten wir die Pariser Morde unmissverständlich als Angriff auf den Kern unserer Freiheiten
verurteilen“. Er macht es sich aber eben nicht so leicht, die islamistischen Terroristen zu dämonisieren und
damit gewissermaßen zur Tagesordnung überzugehen, sondern er macht sich daran, den dämonischen
Mythos der Tat(en) zu entlarven. Dabei stellt er fest, dass der fundamentalistische islamische Terror nicht
darin gründet, dass die Terroristen von ihrer eigenen Überlegenheit und Wahrheit überzeugt wären und
deshalb so handelten; vielmehr würden sie angetrieben dadurch, dass sie sich selbst für unterlegen halten. Er
zieht daraus den Schluss, „dass die Fundamentalisten bereits so sind wie wir“, was bedeutet, dass sie unsere
lokal- und global-kapitalistischen und neoliberalen Standards insgeheim bereits verinnerlicht hätten und
sich an ihnen mäßen. „Im Universalismus verhalten sich die Individuen zu sich selbst als ‚universell‘; sie
haben direkt an der universellen Dimension teil, indem sie ihre eigene partikulare soziale Position
übergehen“. Sein Blick in die Geschichte des Islams trifft dabei den Skandal der Erniedrigung der Frau. Mit
der Frage „Warum ist dann die Frau im Islam eine so traumatische Präsenz, ein solcher ontologischer
Skandal, dass er verschleiert werden muss?“, wagt er sich an eine Interpretation, die den Fundamentalisten
ganz und gar nicht gefallen kann: „Was wäre, wenn der wahre Skandal, den dieser Schleier zu verbergen
sucht, nicht der von ihm verborgene Körper ist, sondern die Nichtexistenz des Weiblichen?“.

Žižek schreibt nicht in erster Linie, um wohlfeile, im terroristischen Wirrwarr umsetzbare


Widerstandsratschläge zu erteilen; vielmehr sind seine Analyse eher Fragen an uns selbst, die westlichen
Denker vor allem, die im Spagat zwischen dem liberalen, anthropologischen Denken und Traditionen und
dem systemkritischen, linksliberalen Positionen keine adäquate Antwort auf fundamentalistische
Machtdemonstrationen haben. Es ist das Versagen des Westens, die grundlegenden Werte – Freiheit,
Gleichheit, Brüderlichkeit – zu leben, die die Erfolge des Fundamentalismus hervorrufen. Am Beispiel des IS
zeigt er die Diskrepanz zwischen der westlichen Dominanz und der islamistischen Machtdemonstration und
Skrupellosigkeit als Provokation auf.

Bezogen auf die Frage, wie eine „globale Ethik“ aussehen könnte, die einerseits liberal-säkulare (westliche)
Werte berücksichtigt, gleichzeitig fundamentalistisches Gedankengut in die Schranken verweist, hat der
Soziologe und Sozialphilosoph von der Berliner Humboldt-Universität, Hans Joas, die Frage formuliert:
„Sind die Menschenrechte westlich?“ (www.socialnet.de/rezensionen/18796.php
<URL:http://www.socialnet.de/rezensionen/18796.php>). Žižeks Suche nach einer Lösung ergibt sich
durch Betrachtung der muslimischen, nahöstlichen, männlich dominierten Weltanschauung und der
fernöstlichen, weiblichen Subjektivität; vielleicht als Mittelposition, die tragbar für eine globale
Übereinstimmung sein könnte?

Fazit
Žižek rührt mit seinem Zwischenruf an Grundfesten von scheinbaren Wahrheiten, die festgemauert einen
Dialog zwischen einem toleranten Liberalismus und einem religiösen Fundamentalismus unmöglich
machen. Mit seiner Streitschrift bietet er allerdings auch keine Lösungsmöglichkeiten zu diesem Konflikt an.
Mit seinen unkonventionellen Fragen und Fingerzeigen aber zeigt er auf, dass nicht der tolerante, aber
kraftlose Liberalismus Antworten auf das Dilemma zu geben vermag, sondern die säkulare Linke Chancen
für einen globalen Verständigungsprozess anbieten könnte. Unverzichtbar freilich ist, dass die humanen,
universellen Werte der Menschheit und Menschlichkeit gewahrt werden!

Dafür gibt es nur den einen Weg der solidarischen, weltanschaulichen Auseinandersetzung „auf Augenhöhe“.
Dazu aber ist historisches, kulturelles und ethnisches Wissen über das jeweilige gewachsenen wie
konstruierte Gewordensein eines Volkes oder einer Volksgemeinschaft notwendig, und unverzichtbar das
Bewusstsein und Einverständnis, was in der Präambel der von den Vereinten Nationen am 10. Dezember
1948 proklamierten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zum Ausdruck kommt, dass „die
Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und
unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet“.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 28.04.2015 zu: Slavoj Žižek: Blasphemische Gedanken. Islam und Moderne.
Ullstein Verlag (München) 2015. ISBN 978-3-550-08116-3. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245,
https://www.socialnet.de/rezensionen/18832.php, Datum des Zugriffs 11.02.2021.

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