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Bedeutungsdimensionen von Anerkennung

in Schellings Sämtlichen Werken

Christina Pinsdorf

Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
2 Anerkennung als alteritätswahrender Dissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
3 Anerkennung als ein aufeinander Einwirken zweier Intelligenzen durch Freiheit . . . . . . . . . . . 3
4 Anerkennungsverweigerung als Wirklichkeit des Bösen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
5 Weitere Sinnzusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

Zusammenfassung
In der gegenwärtigen Schellingforschung werden drei der Schriften F. W. J.
Schellings hinsichtlich seines Verständnisses von Anerkennung ausgedeutet:
Die Neue Deduktion des Naturrechts, das System des transzendentalen Idealis-
mus und die Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen
Freiheit. Sie werden herangezogen, um ein Verständnis von Anerkennung als
alteritätswahrendem Dissens, eine Interpretation von Anerkennung als ein aufei-
nander Einwirken zweier Intelligenzen durch Freiheit und die Verweigerung von
Anerkennung als Wirklichkeit des Bösen zu begründen. Darüber hinaus gebraucht
Schelling den Anerkennungsbegriff in weiteren Sinnzusammenhängen.

Schlüsselwörter
Anerkennung als Dissens · Anerkennung durch Freiheit · Verweigerung von
Anerkennung · Wirklichkeit des Bösen · Hunger der Selbstsucht

C. Pinsdorf (*)
Institut für Wissenschaft und Ethik (IWE), Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Bonn,
Deutschland
E-Mail: pinsdorf@iwe.uni-bonn.de

# Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 1
L. Siep et al. (Hrsg.), Handbuch Anerkennung, Springer Reference
Geisteswissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-19561-8_21-1
2 C. Pinsdorf

1 Einleitung

F. W. J. Schelling führt den Begriff der Anerkennung nicht als terminus technicus
ein. In den wenigen Untersuchungen zu seinem Anerkennungsverständnis werden in
der gegenwärtigen Schellingforschung drei seiner Schriften ausgedeutet: Die Neue
Deduktion des Naturrechts, das System des transzendentalen Idealismus und die
Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit. Sie
werden herangezogen, um ein Verständnis von Anerkennung als alteritätswahren-
dem Dissens (Abschn. 2), eine Interpretation von Anerkennung als ein aufeinander
Einwirken zweier Intelligenzen durch Freiheit (Abschn. 3) und die Verweigerung
von Anerkennung als Wirklichkeit des Bösen zu begründen (Abschn. 4). Darüber
hinaus gebraucht Schelling den Anerkennungsbegriff in weiteren Sinnzusammen-
hängen (Abschn. 5).

2 Anerkennung als alteritätswahrender Dissens

Basierend auf dem Text Neue Deduktion des Naturrechts (SW I/6) von 1796/97
definiert E. Acosta den schellingschen Anerkennungsbegriff als reziproke und aus
fundamentalem Dissens hervorgehende Relation zwischen Individuen, die Ausdruck
von Freiheit und Konstituens der moralischen Welt sei. Entgegen dem geläufigen
Verständnis von Anerkennung als einer alteritätsaufhebenden Anpassungsbeziehung
(„recognition according to a logic of identity“1) beruhe Anerkennung für Schelling
vielmehr auf einem alteritätswahrenden Dissens („recognition according to a logic of
difference“2). Individuen können nur in dem und durch den Akt des Widersprechens
als rationale und freie Wesen anerkannt werden: „Nur dann, wann ich mich an den
Willen eines andern wende, und dieser mit einem kategorischen Ich will nicht! meine
Forderungen zurückschlägt [. . .], erkenne ich, daß hinter diesem Antlitz Menschheit
und in dieser Brust Freiheit wohnt“ (SW I/6, § 15 FN1). Mit dem Einholen dieser
Anerkennungskonzeption Schellings werde eine bislang fehlende Perspektive des
Deutschen Idealismus und eine auch im Vergleich zum geläufigen Verständnis von
Anerkennung neue, der Alterität von Individuen gerecht werdende Denkweise
abgebildet.3

1
Acosta 2014, S. 147, 152. Vgl. hierzu auch Schellings Kritik an Fichte SW I/7, 338.
2
Acosta 2014, S. 160. Vgl. auch SW I/6, § 13 und § 15, SW I/5, 249.
3
Vgl. Acosta 2014, S. 157 ff.
Bedeutungsdimensionen von Anerkennung in Schellings Sämtlichen Werken 3

3 Anerkennung als ein aufeinander Einwirken zweier


Intelligenzen durch Freiheit

Das System des transzendentalen Idealismus (SW III/3) von 1800 erklärt Schellings
Verständnis von Anerkennung – G. Römpp und R. Williams zufolge – vor dem
Hintergrund von Forderung und Sollen als Relation von Widerständigkeit durch
Freiheit. Dabei sollen die Vorstellung der Intelligenz von einem von ihr unabhängi-
gen Handeln und dieses Handeln selbst „außer ihr so coexistiren, als ob eines durch
das andere bestimmt wäre“ (SW III/3, 539). Diese indirekte Wechselwirkung ent-
springe prästabilierter Harmonie und bilde die Möglichkeitsbedingung für das
schellingsche Anerkennungsverhältnis als ein aufeinander Einwirken zweier Intelli-
genzen durch Freiheit (vgl. SW III/3, 540 ff.).4 Durch die strukturparallelen Ver-
hältnisse von Forderung und Sollen mit Widerständigkeit und Freiheit erfahre ich als
Intelligenz „Grenzpunkte meiner freien Thätigkeit [. . .], welche [. . .] nur andere
freie Thätigkeiten, d. h. Handlungen von Intelligenzen außer mir, seyn können“
(SW III/3, 547). So sei ich mit Ansprüchen konfrontiert, denen ich entsprechen oder
mich verweigern könne. Der potenziellen Fremdeinwirkung sei die Intelligenz zwar
nur „durch Negationen ihrer eignen Thätigkeit hingegeben und gleichsam geöffnet“
(SW III/3, 546), da es sich jedoch um geforderte Negationen handele, sei die fremde
Intelligenz als anerkannte bereits vorausgesetzt. Obwohl ich als Intelligenz in den
Einwirkungen anderer Intelligenzen also nur die „ursprünglichen Schranken meiner
eignen Individualität erblicke“ (SW III/3, 550), müsse ich die anderen Intelligenzen
als von mir unabhängig existierend anerkennen.5

4 Anerkennungsverweigerung als Wirklichkeit des Bösen

Auf der Grundlage der Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der
menschlichen Freiheit (SW VII/4) von 1809 interpretiert W. Jacobs das schelling-
sche Verständnis der Verweigerung von Anerkennung als die Wirklichkeit des
Bösen. Für Schelling gelte die Überordnung des Eigenwillens über den Allgemein-
willen als das Böse und das böse Selbst verweigere den anderen Individuen wie auch
sich – im Allgemeinwillen mitgewollten – selbst die Anerkennung.6 Zudem verwei-
gere es seinem sich nach dem Allgemeinwillen sehnenden Eigenwillen die Aner-
kennung und führe zu einem unauflösbaren „Hunger der Selbstsucht“ (SW VII/4,
390). Das Individuum, das seine Existenz im organischen Zusammenhang verkenne,
beabsichtige zwar über sich und alles andere zu herrschen, im Ergebnis führe seine
Entscheidung zum Bösen und die damit einhergehende Verweigerung von Anerken-
nung jedoch zur „Zerrüttung in ihm selbst und außer ihm“ (SW VII/4, 365).7

4
Vgl. Römpp 1999, S. 188 ff. Vgl. hierzu auch Kritik von Williams 1997, S. 41 ff.
5
Vgl. Römpp 1999, S. 197; Williams 1997, S. 40. Vgl. für ähnlichen Wortlaut auch SW I/5, 421.
6
Vgl. Jacobs 2001, S. 166 ff.
7
Vgl. hierzu auch Pinsdorf 2016, S. 57 ff.
4 C. Pinsdorf

5 Weitere Sinnzusammenhänge

Neben den drei ausgeführten Bedeutungsdimensionen und einer oftmals alltags-


sprachlichen Verwendungsweise gebraucht Schelling den Anerkennungsbegriff au-
ßerdem in folgenden Sinnzusammenhängen: Strafe als Anerkennung menschlicher
Freiheit (vgl. SW I/1, 337); vollkommene Anerkennung als vollkommene Selbstan-
schauung (vgl. SW I/3, 616, I/4, 367, 402); Anerkennen als bloßes Führwahrhalten
(vgl. SW I/6,154); Anerkennung der absoluten Identität (vgl. SW I/6, 98, 275, 459).

Literatur
Acosta, Emiliano. 2014. Recognition and dissent. In Recognition – German idealism as an ongoing
challenge, Hrsg. C. Krijnen, 143–164. Leiden: Brill.
Jacobs, Wilhelm G. 2001. Anerkennung und Organismus. In Anerkennung. Eine philosophische
Propädeutik, Hrsg. M. Hofmann-Riedinger und U. Thurnherr, 160–169. Freiburg: Alber.
Pinsdorf, Christina. 2016. Lebensformen und Anerkennungsverhältnisse. Berlin: de Gruyter.
Römpp, Georg. 1999. Ethik des Selbstbewusstseins. Berlin: Duncker & Humblot.
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph. I ff.: Sämtliche Werke, Hrsg. K. F. A. Schelling, 1856–1861.
Stuttgart: Cotta.
Williams, Robert R. 1997. Hegel’s ethics of recognition. Berkeley: University of California Press.

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