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Das Mittelalter 6 (2001) 2, S.

51-60

Die byzantinische Musikkultur im europäischen Kontext

CHRISTIAN HANNICK

Beim zufälligen Hören wirkt die heutige griechische Kirchenmusik auf denjenigen, dem
die Orthodoxie nicht vertraut ist, befremdend. Der Nichtkenner glaubt, daß er in die Nähe
der muslimischen Welt gerückt ist. Nicht einmal die Aussprache erinnert an die vermeint-
lichen Klänge des Altgriechischen, wie man sie in der Schule anhand von Texten von
Xenophon und Demosthenes gelernt hat. Es ist ja byzantinisch und dieser Begriff ist in der
westeuropäischen Kulturgeschichte mindestens seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert
negativ belegt.
Solche pauschalen und abschätzigen Sichtweisen widerlegen zu wollen, ist zwecklos.
Gegen Einfältigkeit wurde bisher kein Remedium gefunden. Vielmehr wird in den folgen-
den Ausführungen versucht, die byzantinische Musikkultur in ihrer Gesamtheit und somit
innerhalb ihres genuinen Kulturkreises zu betrachten.
Es soll eingangs mit großer Genugtuung bemerkt werden, daß in den Fachkreisen der
Musikhistoriker die byzantinische Musikkultur vollwertig neben der westlichen Choral-
tradition und auf der Grundlage der antiken Musiktheorie erforscht und eingestuft wird.
Vor wenigen Wochen erschien bei dem für Musicalia berühmten Verlag Bärenreiter in
Kassel eine Zusammenschau über die Musiknotation von ihren Anfängen bis zum heutigen
Tag unter Einschluß der nichteuropäischen Musikkulturen. Innerhalb der zahlreichen
Kapitel dieses Sammelbandes, für welchen die entsprechenden Abschnitte der Neuauflage
der mehrbändigen Enzyklopädie 'Die Musik in Geschichte und Gegenwart' verwertet
wurden, wird die byzantinische Notation zusammen mit der mit ihr sehr verwandten
altslavischen Notation nach der Behandlung der antiken Musiklehre und vor der Darstel-
lung der westeuropäischen Systeme für die Notierung des lateinischen Chorais ausführlich
dargelegt.1 Das heißt leider noch lange nicht, daß im universitären Betrieb im Fach
Musikwissenschaft die byzantinische Musik neben der lateinischen Tradition des Chorais
im Mittelalter ihren Platz im Unterricht findet. Dies liegt zum Großteil daran, daß die uns
überlieferte byzantinische Musik ausschließlich vokal und daher ohne genügende Kennt-
nisse der griechischen Sprache kaum erschließbar ist.
Damit wurde ein für unsere Thematik wesentlicher Punkt erwähnt. Während die
gesamte antik-griechische Musiktheorie, die uns durch zahlreiche Traktate aus der Spätan-
tike bekannt ist, nur die Instrumentalmusik betrifft und nichts über den Gesang aussagt,
umfaßt die ab dem 10. Jahrhundert überreiche byzantinische musikalische Überlieferung
bloß Denkmäler des Kirchengesangs. Bei einer oberflächlichen Betrachtung könnte der
Gedanke eines Bruches in den musikalischen Anschauungen zwischen griechischer Antike

1
Notation. Hrsg. von Andreas Jaschinski (MGG Prisma). Kassel 2001.

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52 Ch. Hannick, Die byzantinische Musikkultur

und byzantinischem Mittelalter auftauchen, ein Gedanke, der sofort zurückgewiesen


werden muß, da in der byzantinischen Zeit etliche Traktate zur Musik im antiken Geist, d.
h. auf der Grundlage der Instrumente, speziell der Lyra, entstanden sind. Mehr noch, in
den Traktaten zum byzantinischen Kirchengesang aus dem Mittelalter erkennt man un-
schwer, daß ein Teil der theoretischen Anschauungen aus der Praxis der instrumentalen
Musik übernommen wurde, auch wenn diese Lehrsätze aus der Instrumentalmusik nicht
mehr zeitgemäß waren, sondern wegen ihres mathematischen Gehalts oder in bezug auf
die Kompositionslehre weitertradiert wurden.2
In der byzantinischen Musikkultur hatten Instrumente sehr wohl ihren Platz. Vor allem
im Kaiserzeremoniell am Hof wurden Orgel, Wind- und Saiteninstrumente sowie Schlag-
instrumente benutzt, die durch viele Abbildungen belegt sind.3 Besonders im Fall der
tragbaren Orgel haben die Byzantiner vieles dazu beigetragen, die Technik und die
Musikalität dieses Instrumentes zu entwickeln.4 Über das Hofzeremoniell und die Verwen-
dung von Instrumenten informiert vor allem die Abhandlung 'De ceremoniis aulae byzan-
tinae' des Kaisers Konstantinos VII. Porphyrogennetos (905-959). 5 Instrumentalmusik
war jedoch aufgrund einer bereits im 3. Jahrhundert gezogenen Trennlinie zwischen den
antiken Kulten und dem christlichen Gottesdienst seit dem frühen Christentum in der
orthodoxen Kirche verboten und sie blieb es bis heute. Auch wenn zur Zeit des Clemens
von Alexandreia Lyra und Zither bei der Agape geduldet wurden, sprechen sich die
Kanonesbestimmungen des 4. Jahrhunderts, ähnlich wie der Pseudo-Cyprian im Westen
in 'De spectaculis', entschieden gegen jegliche Instrumentenbegleitung während der
Gottesdienste aus.6
Wegen der nicht immer scharfen Abgrenzung zwischen liturgischen und paraliturgi-
schen Teilen im Kaiserzeremoniell, während derer die Orgel als Begleitung des Gesangs
benutzt wurde, erwog Théodore Gerold die Möglichkeit, daß die Ausschließlichkeit der
Vokalmusik in der Liturgie doch nicht immer Gültigkeit besaß, und bemerkte dabei, daß
kein Dekret den Gebrauch dieses Instruments in den religiösen Zeremonien verbietet.7

2
Ausführlicher dazu Christian Hannick, Byzantinische Musik: 1. Die Lehrschriften der klassisch-byzantini-
schen Musik; 2. Die Lehrschriften zur byzantinischen Kirchenmusik, in: Herbert Hunger, Die hochsprach-
liche profane Literatur der Byzantiner, Bd. II (Byzantinisches Handbuch im Rahmen des Handbuchs der
Altertumswissenschaft V/2). München 1978, S. 181-218. Revidierte griechische Ausgabe Β υ α ν τ ι ν ή
λ ο γ ο τ ε χ ν ί α III. Athen 1994, S. 381—434. Siehe auch L. Richter, Antike Überlieferungen in der byzantini-
schen Musiktheorie. Deutsches Jahrbuch der Musikwissenschaft für 1961, 6 (1962), S. 75-115.
3
Reiches Material gesammelt bei R. Pejovic, Predstave muzickih instrumenata u srednjovekovnoj Srbiji.
Belgrad 1984 sowie bei F. de'Maffei, Gli instrumenti musicali a Bisanzio, in: Da Bisanzio a San Marco,
Musica e liturgia. Hrsg. von Giulio Cattin. Venedig 1997, S. 61-110 (mit reichem Illustrationsteil).
4
Nikos Maliaras, Die Orgel im byzantinischen Hofzeremoniell des 9. und des 10. Jahrhunderts (Miscellanea
Byzantina Monacensia 33). München 1991.
5
Maßgeblich bleibt immer noch die Rektoratsrede von Jacques Handschin, Das Zeremonienwerk Kaiser
Konstantins und die sangbare Dichtung. Basel 1942.
6
Belege gesammelt und interpretiert bei Johannes Quasten, Musik und Gesang in den Kulten der heidnischen
Antike und christlichen Frühzeit. Münster 2 1973, S. 103-110, sowie bei J. McKinnon, Music In Early
Christian Literature. Cambridge 1987 (lediglich in englischer Übersetzung).
7
Théodore Gerold, Les pères de l'église et la musique. Strasbourg 1931 (Nachdruck Genève 1973), S. 190.

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Das Mittelalter 6 (2001) 2: Byzanz - das „ andere " Europa 53

Angesichts des strengen Verbots jeglichen Instruments während des Gottesdienstes in der
Kirche kann diese Erwägung nicht weiter in Betracht gezogen werden. Vielmehr sei betont,
daß die Orgel während Prozessionen mit liturgischem Charakter außerhalb des Kirchen-
raums, aber in der Nähe der Hagia Sophia, sehr wohl gespielt wurde - allerdings nicht
durch Mitglieder des Kirchenchors.8 Der große Kenner der byzantinischen Kirchenmusik
Egon Wellesz (1885-1974) beschreibt die Benutzung der Orgel in religiösen Zeremonien
zutreffend: „Orgeln begleiteten auch, auf Wagen mitgeführt, den Gesang der Prozessionen;
sie wurden auch bei den Pferderennen im Zirkus gespielt. In der Kirche aber waren diese
weltlichen Instrumente verboten. Wenn ζ. B. die Prozession die Kirche erreichte, zogen
die Sänger mit Hymnengesang ein, die Orgeln aber mußten im Kirchenportal stehen
gelassen werden."9 Bei dem Auftritt von Musikern mit Instrumenten vor Patriarch Ignatios
um die Mitte des 9. Jahrhunderts in der illuminierten Skylitzes-Handschrift von Madrid
handelt es sich auch nicht um Kleriker, wie aus der Kleidung zu entnehmen ist.10 Einziges
Instrument, das während des Gottesdienstes im Kirchenraum ertönen darf, ist das Siman-
dron, eine Art Xylophon, das in Klöstern benutzt wird.11
Obige Ausführungen zum rein vokalen Charakter der byzantinischen Kirchenmusik
innerhalb des Kirchenraums waren notwendig, um einen wesentlichen Zug hervorzuheben
- besonders im Vergleich mit der westeuropäischen Tradition. Die armenisch-apostolische
Kirche kennt bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts dieselbe kanonistische und patristische
Tradition wie die orthodoxe Kirche. Dort wurde im 19. Jahrhundert in einigen Kirchen,
auch in Etschmiadzin, die Orgel allerdings eingeführt. Dies zeigt die Art und Weise, wie
von Vorschriften aus der Vergangenheit abgewichen wird. Es gibt Erlasse vom Patriarchen
von Konstantinopel aus dem 19. Jahrhundert gegen die Vielstimmigkeit im griechischen
Kirchengesang.12 Nichtsdestotrotz haben griechische Kirchenmusiker wie Ioannes Sakel-
larides um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert liturgische Gesänge im Stil der
„europäischen" Musik vierstimmig harmonisiert.
Infolge der NichtVerwendung von Musikinstrumenten in der Kirche blieb die diesbe-
zügliche Theorie schriftlich nicht fixiert. Bis zum Ende der byzantinischen Zeit wird in
den theoretischen Traktaten etwa eines Manuel Bryennios aus dem 14. Jahrhundert auf die
Lyra Bezug genommen. Diese Traktate dienen dem Schulunterricht als Teil des Quadrivi-
um oder als Darlegung der Tonlehre, Harmonika, in Fortführung der antiken Schriften etwa
eines Klaudios Ptolemaios (2. Jh. n. Chr.).

8
Vgl. dazu ζ. B. Maliaras [Anm. 4], S. 45-47.
9
Egon Wellesz, Byzantinische Musik. Ein Vortrag. Hrsg. von Gerda Wolfram. Wien 2000, S. 15.
10
Neil K. Moran, Singers In Late Byzantine And Slavonic Painting (Byzantina Neerlandica 9). Leiden 1986,
S. 55 und Abb. 19.
'1 Dazu Christian Hannick, Die Bedeutung der Glocken in byzantinischen und slavischen Klöstern und Städten,
in: Alfred Haverkamp (Hg.), Information, Kommunikation und Selbstdarstellung in mittelalterlichen
Gemeinden (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 40). München 1998, S. 1-23, bes. S. 12 sowie
Moran [Anm. 10], S. 78.
12
Cf. Metropolit Panteleemon (Karanikolas) von Korinthos, Κ λ ε ί ς ορθοδόξων κ α ν ο ν ι κ ώ ν διατάξεων.
Athen 1979, S. 245 (s. ν. μουσική).

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54 Ch. Hannick, Die byzantinische Musikkultur

Daß Trivium und Quadrivium ab der Spätantike bis zum Ausgang des Mittelalters im
gesamten Europa, im lateinischen sowie im griechischen Kulturkreis, die Grundlage des
Unterrichtes bildeten, ist längst bekannt. Neben Arithmetik, Geometrie und Astronomie
bildete die Musik einen Teil des Quadriviums. Die 'Institutiones' des Cassiodorus (ca.
485-580) legen das Fundament dieses Wissens für den Unterricht im Westen dar. In dem
der Musik gewidmeten Teil schöpft Cassiodorus ζ. B. aus der ' Α ρ μ ο ν ι κ ή ε ι σ α γ ω γ ή '
des Gaudentios, einer maßgeblichen Schrift, deren Entstehungszeit unklar bleibt, vielleicht
aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert, und die Cassiodorus aus einer verlorenen
lateinischen Übersetzung eines Mucianus heranziehen konnte. Die Lehre des Gaudentios,
der teilweise auf Aristoxenos von Tarent (4. Jh. v. Chr.)13 fußt, übte auf die frühbyzantini-
schen musiktheoretischen Schriften des Kleoneides, von dessen Person man sonst nichts
weiß,14 und des Bakcheios Geron (vor dem 10. Jahrhundert) Einfluß aus und bestimmte
somit in den Grundzügen die Musiktheorie der Byzantiner bei Georgios Pachymeres (um
1300) und Manuel Bryennios (Anfang des 14. Jahrhunderts) ζ. B. im Bereich der Klang-
geschlechter und der Transpositionsskalen, auch wenn dies als „antikisierende Musikge-
lehrsamkeit um 1300" apostrophiert wird.15
Die Stellung der antiken Musiklehre im byzantinischen Unterricht und die Relevanz
der Vermittlerrolle, die byzantinische Gelehrte auf diesem Gebiet gespielt haben, lassen
sich aus folgender Begebenheit ermessen: Die 'Harmonika' des Klaudios Ptolemaios, die
in der Musiklehre der Palaiologenzeit einen hohen Rang einnahmen, waren durch den Tod
des Verfassers, des größten Kompilators der griechischen angewandten Mathematik,
unvollständig geblieben; sie brechen im 3. Buch, Kap. 14 ab.16 Auf der Harmonielehre des
Ptolemaios ist auch das musiktheoretische Kompendium des Boethius (um 480-524) 'De
institutione musica' größtenteils aufgebaut.17 Aufgrund der den 'Harmonika' vorangestell-
ten Inhaltsangabe, zu jedem der drei Bücher in 16 Kapitel aufgeteilt (Düring 2, 41, 82),
unternahm es der Enzyklopädist aus dem 14. Jahrhundert Nikephoros Gregoras, ein
Schüler des Patriarchen Ioannes XIII. Glykys (1315-1319) und des Theodoras Metochites
(1270-1332), die Lücken in den drei letzten Kapiteln der 'Harmonika' des großen Alex-
andriners, die das Verhältnis der Töne zu den himmlischen Körpern behandeln und somit
eine Verbindung zwischen Musik und Astronomie schaffen, zum Zweck des Unterrichts
zu ergänzen. In einem Scholion, das in mehreren Handschriften des 14. und des 15.
Jahrhunderts mit musiktheoretischen Schriften aus der Antike überliefert ist,18 wird dieser
13
Über ihn zuletzt Amadeo Visconti, Aristosseno di Taranto. Biografia e formazione spirituale. Neapel 1999.
14
Sein Werk ' Ε ι σ α γ ω γ ή αρμονική' dürfte zeitlich nahe an Klaudios Ptolemaios angesetzt werden; vgl.
Annemarie J. Neubecker, Altgriechische Musik. Eine Einführung. Darmstadt 1977, S. 30;Evgenij Gercman,
Anticnoe muzykal'noe myslenie. Leningrad 1986, S. 25. R. P. Winnington-Ingram, Art. Cleonides, The
New Grove Dictionary Of Music And Musicians 4. London 1980, S. 491, setzt seine Lebensdaten ins 2.
Jahrhundert n. Chr., betont dabei die aristoxenische Tradition bei Kleoneides.
15
Lukas Richter, Zur Lehre von den byzantinischen Tonarten. Kenntnisse, Erkenntnisse und Probleme (Teil
I). Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz 1996, S. 226.
16
Die Harmonielehre des Klaudios Ptolemaios. Hrsg. von Ingemar Düring. Göteborg 1930 (Nachdruck
Hildesheim 1982), S. 109.
17
Düring [Anm. 16], LXXVI.

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Das Mittelalter 6 (2001) 2: Byzanz - das „ andere " Europa 55

Vorgang der Ergänzung einer fremden Abhandlung mit dem Abschluß des 'Hexaemeron'
des Basileios von Kaisareia durch dessen Bruder Gregorios von Nyssa verglichen.19
Daraus entfachte sich, wahrscheinlich um 1330 noch vor Ausbruch der palamitischen
Streitigkeiten, eine Polemik zwischen Gregoras und dem gelehrten Mönch Barlaam (um
1290-1350) aus Kalabrien. In dieser 'Refutatio' (Ανασκευή) 2 0 wirft Barlaam Gregoras
vor, seine Ergänzungen verstießen in sechs Punkten gegen die sonstige astronomische und
musikalische Lehre des Ptolemaios und das letzte, angeblich von Gregoras ergänzte Kapitel
stamme nicht von ihm, sondern befände sich bereits in älteren Handschriften.21 Eine solche
wissenschaftliche Polemik stellt im 14. Jahrhundert keine Ausnahme dar und wirft ein
helles Licht auf die Benutzung antiker Schriften im mittelalterlichen Unterricht in By-
22
zanz.
Stand der musiktheoretische Unterricht in Byzanz eindeutig in der antiken Tradition
und somit innerhalb desselben Strangs, der sich ebenfalls in Westeuropa als fruchtbar
erwies, so erscheint es auf den ersten Blick schwieriger, Theorie und Praxis der byzantini-
schen Kirchenmusik im europäischen Kontext zu verstehen, zumal Vorurteile, die dem
Sachverhalt fremd sind, eine objektive Bewertung hindern. Dazu zählt der angebliche
„orientale" Charakter des byzantinischen und neugriechischen Kirchengesangs.
Was die letztere Epoche anbelangt, so sei daran erinnert, daß die moderne Notation der
griechischen Kirchenmusik durch eine Reform am Beginn des 19. Jahrhunderts, die im
damals osmanisch regierten Konstantinopel durchgeführt wurde, kodifiziert wurde. Diese
Reform ist mit den Namen der „Drei Lehrer", des Metropoliten Chrysanthos von
Dyrrhachion (1770-1846), des Chartophylax Churmuzios und des Gregorios Protopsaltes,
verbunden.23 Die maßgebliche Schrift in diesem Reformwerk stellt das 'Θεωρητικόν
μέγα της μουσικής' des Chrysanthos dar, das in Triest 1832 (Nachdruck Athen 1977)
bei Michele Weis gedruckt wurde. Diese Reform betraf die Notation, die im Vergleich zu
byzantinischen neumierten Handschriften geringfügig geändert wurde, und ebenfalls die
Theorie der Tonarten, die durch mathematische Überlegungen und an den damaligen
Instrumenten (Kanun) gemessenen Tonintervallen präzisiert wurde. Die moderne Theorie
der Tonarten weicht in ihrer Systematisierung von derjenigen der byzantinischen Epoche
erheblich ab. Hinzu kommt, daß das musikalische Repertoire ab dem Ende des 18.
Jahrhundert in breitem Umfang, ζ. B. durch Petros Peloponnesios, neu geschrieben und
dem Geschmack der Zeit adaptiert wurde. Diese Merkmale der Reform des Chrysanthos
erwecken, wenn man den Umfang der Reform nicht richtig einschätzt, bei dem oberfläch-
18
Vgl. Thomas J. Mathiesen, Ancient Greek Music Theory. A catalogue raisonné of manuscripts (Répertoire
International des Sources Musicales Β XI). München 1988, S. 256 (Nr. 102), S. 260 (Nr. 103) u. ö.
19
Edition des Scholion bei Düring [Anm. 16], LXXXII.
20
Edition bei Düring [Anm. 16], S. 112-121; vgl. Mathiesen [Anm. 18], S. 360 (Nr. 152), S. 530 (Nr. 211).
21
Vgl. dazu Hannick [Anm. 2], S. 191-192.
22
Vgl. ζ. Β. die anonyme Rede „Über die zeitgenössischen und alten Gelehrten, die man zu Unrecht angreift",
ediert bei Ihör Sevcenko, Études sur la polémique entre Théodore Métochite et Nicéphore Choumnos.
Bruxelles 1962, S. 287-296, sowie dort auch über Barlaam S. 170-171.
23
Vgl. dazu Mauren M. Morgan, The „Three Teachers" And Their Place In The History Of Greek Church
Music. Studies In Eastern Chant 2 (1971), S. 86-99.

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56 Ch. Hannick, Die byzantinische Musikkultur

liehen Beobachter den Eindruck, daß die byzantinische Musikkultur außerhalb des euro-
päischen Kulturkreises anzusiedeln ist, da einige ihrer Merkmale „orientalisch" anmuten.24
Gegen eine solche Auffassung ist vieles einzuwenden. Zunächst sollte definiert werden,
was unter „europäischem Kulturkreis" zu verstehen ist, wenn es um den Kirchengesang
des Mittelalters geht. Die Tradition des lateinischen Chorais, wie sie bis zum Zweiten
Vatikanischen Konzil gepflegt wurde, kann hier nicht ohne eine vorsichtige Kritik als
allgemeingültig und allgemein vertretend für das gesamte Mittelalter angesehen werden.
Es genügt, daraufhinzuweisen, daß nach dem fast allgemeinen Untergang dieser Tradition
im 18. Jahrhundert die Restauration von Solesmes in Frankreich auf einer besonderen,
zeitgebundenen Auffassung des Chorais basierte. Hinzu kommt, daß nunmehr erkannt
wurde, daß der cantus gregorianas, der in der lateinischen Kirche die anderen Gesangstra-
ditionen wie die ambrosianische oder wisigotische zur Gänze verdrängt hat, eine fränkische
Tradition darstellt, die z. B. mit den Charakteren des Kirchengesangs in Rom bis ins 8.
Jahrhundert, d. h. mit dem Cantus Vetus romanus, nicht gleichzusetzen ist. Eine auf
profunder Kenntnis sowohl der Notation als vor allem der Stimmenartikulation und der
Tonalität beruhende vorsichtige Interpretation des altrömischen und des byzantinischen
Repertoires zeigt die Verwandtschaft dieser zwei Stränge der mittelalterlichen christlichen
Kirchenmusik. Hier sind eher Sänger und Interpreten als Musiktheoretiker gefordert, wie
dies Ausführungen und Tonaufnahmen der Chöre von Marcel Pérès in Paris und von
Lykurgos Angelopulos in Athen verdeutlichen.
Die These, wonach der frühchristliche Gesang, speziell der byzantinische, von der
synagogalen Tradition abhinge25 - und somit außereuropäische Wurzeln aufwiese - , gilt
in der gegenwärtigen Forschung zusehends als überholt. Damit soll nicht verneint werden,
daß Kompositionsmerkmale von christlichen Hymnen, vor allem im griechischen Bereich,
durch syrische und somit semitische Vorstellungen beeinflußt sind. Die christliche Musik
wurde bekanntlich zunächst im östlichen Mittelmeerraum gepflegt.
Im Gegensatz zur klassisch-griechischen Musiktheorie verfügen wir im Bereich der
byzantinischen Kirchenmusik nur über spätere, oft knappe Einleitungen, in denen vor allem
das Notationssystem dargelegt wird. Abgesehen von einzelnen Zeichenlisten reicht keiner
dieser Texte ins erste Jahrtausend, die meisten sind sogar erheblich jünger, aus dem 14.,
15. oder 16. Jahrhundert. Es hat zur Folge, daß solche theoretischen Abhandlungen noch
nicht vollständig gesammelt, ediert und kommentiert wurden. Sie wurden im Handschrif-
tenkatalog von Mathiesen nicht aufgenommen.26
Versuche, antike Elemente in der byzantinischen Kirchenmusik zu erkennen, charak-
terisieren die frühe Epoche der Erforschung dieses Gegenstandes, v. a. vor der Entzifferung
derjenigen Stufe der Notation, die wegen ihres diastematischen Systems im melodischen

24
Vgl. dazu die sehr fundierte Studie von Ioannis Zannos, Ichos und Makam. Vergleichende Untersuchungen
zum Tonsystem der griechisch-orthodoxen Kirchenmusik und der türkischen Kunstmusik (Orpheus -
Schriftenreihe zu Grundfragen der Musik 74). Bonn 1994.
25
Hier sei besonders auf Eric Werner, The Sacred Bridge. Liturgical parallels in Synagogue and early Church.
New York 1952 (Nachdruck 1979), hingewiesen.
26
Mathiesen [Anm. 18], XXX.

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Das Mittelalter 6 (2001) 2: Byzanz - das „andere " Europa 57

Gerüst wahrnehmbar ist. Diese Versuche gehen parallel mit der Auffassung, wonach die
byzantinische liturgische Dichtung nach klassischen Metren aufgebaut sei. Obwohl Kar-
dinal J. B. Pitra (1812-1889) um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Grundregeln der
byzantinischen Hymnographie erkannt hatte,27 gab es nach ihm noch mehrfach Versuche,
in der antiken Metrik und in der nur auf der Grundlage der theoretischen Abhandlungen
rekonstruierbaren antiken Musik den Entstehungsboden der byzantinischen Kirchenmusik
und der byzantinischen liturgischen Hymnen zu sehen.28 Es war noch lange vor den
Pionierstudien von Egon Wellesz29 und vor der Inangriffnahme der 'Monumenta Musicae
Byzantinae', in deren Reihe ein erster Band 1931 erschien, das Verdienst von Pierre Aubry
(1874-1910), auf der Grundlage eines Vergleichs der Hymnendichtung in den verschiede-
nen christlich-orientalischen Traditionen mit Nachdruck auf die rhythmische Struktur der
Hymnentexte unter Bezug auf den Wortakzent und nicht mehr auf die alten Quantitäten
hingewiesen zu haben.30
Wie bereits oben erwähnt, behandeln die Traktate und praktischen Einleitungen zum
byzantinischen Kirchengesang vor allem die Notation, dann auch die Tonartlehre. Da es
aber dabei lediglich um die Gesangskunst des Psaltes, des Kirchensängers, geht - daher
die Bezeichnung ψαλτική für die Kirchenmusik - , bleibt die Notation für den Vortrag
der biblischen Perikope völlig außer acht, da dieser Vortrag mit dem Amt des Priesters
oder des Diakons verbunden ist. Diese Einteilung der Ämter im liturgischen Rahmen
bedingt auch die Zuordnung der liturgischen Bücher, sie trägt zugleich der historischen
Entwicklung Rechnung. In einem Bereich nämlich trägt auch ein Mitglied des Chores, also
weder der amtierende Priester noch der amtierende Diakon, eine von Psalmtexten umge-
bene biblische Perikope vor. Es handelt sich in diesem Fall um eine Lesung aus dem Alten
Testament, das entsprechende Buch wird Prophetologion genannt und enthält eine Fülle
von hymnographischen Angaben, wodurch deutlich wird, daß es im Chor und nicht am
Altar verwendet wird. Erhaltene Exemplare dieses liturgischen Buches sind nicht sehr
zahlreich, da die Tradition der lectio solemnis der alttestamentlichen Perikopen im
Offizium verhältnismäßig früh außer Gebrauch geraten ist.31
Für den Vortrag der biblischen Perikopen wird die sogenannte ekphonetische Notation
verwendet, die aus paarweise oberhalb und unterhalb der Textzeile angebrachten Zeichen
am Anfang und am Ende eines jeweiligen Satzteiles besteht. Ihre Deutung bleibt größten-
teils enigmatisch, wenigstens was die konkrete Ausführung anbelangt.32
27
Jean-Baptiste Pitra, Hymnographie de l'église grecque. Rom 1867.
28
Johannes Tzetzes, Über die altgriechische Musik in der griechischen Kirche. München 1874.
29
Vgl. Christian Hannick, Egon Wellesz und sein Verhältnis zur Musik der Ostkirchen. In: Egon Wellesz.
Hrsg. von Otto Kolleritsch (Studien zur Wertungsforschung 17). Wien/Graz 1986, S. 86-101.
30
Pierre Aubry, Le rythme tonique dans la poésie liturgique et dans le chant des églises chrétiennes au
Moyen-Âge. Paris 1903, z. B. S. 62: Analyse des Hirmos des 4. Tons ' Α ν ο ί ξ ω το σ τ ό μ α μου; vgl. Christian
Hannick, Probleme der Rhythmik des byzantinischen Kirchengesangs. Ein Rückblick auf die Forschungs-
geschichte. In: Rhythm In Byzantine Chant. Hrsg. von Christian Hannick. Hernen 1991, S. 1-19, bes. S. 6.
31
Allg. dazu Sysse G. Engberg, The Greek Old Testament Lectionäry As A Liturgical Book. Cahiers de
l'Institut du moyen-âge grec et latin 54 (1987), S. 39-48.
32
Das grundlegende Werk auf diesem Gebiet bleibt Carsten Höeg, La notation ekphonétique (Monumenta

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58 Ch. Hannick, Die byzantinische Musikkultur

Gerade wegen des alttestamentlichen Inhalts eines der drei liturgischen Bücher mit
ekphonetischer Notation (Evangeliar, Apostolos, Prophetologion) wurde versucht, dieses
byzantinische Notationssystem, das auch Ähnlichkeiten mit dem entsprechenden armeni-
schen Notationstypus aufweist und im slavischen Bereich in einem Dutzend Handschriften
in Gebrauch ist, mit dem hebräischen masoretischen Akzentsystem in Verbindung zu
bringen.33 Die bei ENGBERG angestellten Beobachtungen verdienen in bezug auf die
Texteinteilung und vielleicht auch die Vertragspraxis Aufmerksamkeit. Es steht jedoch
außer Zweifel, daß die meisten Zeichen der byzantinischen ekphonetischen Notation auf
die alexandrinischen prosodischen Zeichen der Spätantike, die auch als Vorbild für einige
lateinische Neumen in den mittelalterlichen westlichen Notationen gedient haben, zurück-
gehen.34
Aber auch in den Zeichen derjenigen byzantinischen Notation, die ab dem 10. Jahrhun-
dert bezeugt ist und durch kleine Änderungen ab dem 12. Jahrhundert allmählich voll
diastematischen Charakter erlangt, lassen sich unschwer Entlehnungen aus den antiken
prosodischen Zeichen erkennen. Der anonyme Verfasser eines Teils der 'Erotapokriseis',
die Johannes von Damaskos zugeschrieben werden, jedoch kaum vor dem 14.-15. Jahr-
hundert entstanden sein können, bringt dies auf eine sehr vereinfachte Formel: „Wo liegt
der Ursprung der Tonoi und der Zeichen? - In der Grammatik".35 Auch wenn das dieser
Antwort folgende Beispiel wenig aussagekräftig ist, beweist es auf jeden Fall, daß in der
Auffassung der byzantinischen Kirchenmusiker das Notationssystem aus der klassischen
grammatikalischen Lehre abgeleitet wird. Nie finden wir in den byzantinischen Traktaten
zur Kirchenmusik einen Versuch der Verbindung der byzantinischen Notenschrift mit der
antiken Notation für Instrumente, die ζ. B. bei Aristeides Quintiiianus aus dem 3. Jahrhun-
dert n. Chr. ausführlich behandelt wird.
Wichtiger als solche kurzen Lehrsätze aus dem Unterricht erweisen sich Gedankengän-
ge und theoretische Überlegungen in denjenigen byzantinischen Traktaten zur Kirchenmu-
sik, deren Autor bekannt ist und die als selbständige Abhandlung konzipiert wurden. Hier
ragt die Lehrschrift des Gabriel Hieromonachos aus dem Kloster der Xanthopuloi in
Konstantinopel aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts besonders hervor. Diese Ab-
handlung folgt in vielen Punkten der Lehre des Aristoteles im Bereich der Akustik und der
Musik, wie bereits aus einem der Lehrsätze am Beginn des Textes von Gabriel erkennbar:

Musicae Byzantinae Subsidia 1/2). Kopenhagen 1935. Zum Zeichensystem in den Evangelienhandschriften
befinden sich mehrere Studien von Sandra Mariani im Druck.
33
Gudrun Engberg, Greek Ekphonetic Neumes And Masoretic Accents. Studies In Eastern Chant 1 (1966),
S. 3 7 ^ 9 .
34
Allgemein dazu Constantin Floros, Universale Neumenkunde I—III. Kassel 1970, sowie ders., Über
Beziehungen zwischen der byzantinischen und der mittelalterlichen Choraltheorie. In: Miscellanea Musicae.
Rudolf Flotzinger zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Werner Jauk, J.-H. Lederer u. I. Schubert (Musicologica
austriaca 18). Wien 1999, S. 125-139.
35
Die Erotapokriseis des Pseudo-Johannes Damaskenos zum Kirchengesang. Hrsg. von Gerda Wolfram und
Christian Hannick (Monumenta Musicae Byzantinae, Corpus scriptorum de re musica 5). Wien 1997, S. 62,
Ζ. 404 und Kommentar S. 128.

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Das Mittelalter 6 (2001) 2: Byzanz. - das „ andere " Europa 59

„Die Psaltike ist die Wissenschaft über Rhythmen und Tonweisen, die in den göttlichen
Hymnen angewandt werden."36
In der Tonartenlehre sahen sich die Theoretiker des byzantinischen Kirchengesangs mit
einem unüberwindbaren Problem konfrontiert. Die Tonarten der Antike (τόνοι) hatten
inhaltlich nichts mehr gemeinsam mit den ήχοι des Kirchengesangs, obwohl die antiken
Bezeichnungen teilweise beibehalten wurden. Vielmehr wurde innerhalb des Achttonsy-
stems (όκτώηχος) das System der Intonationsformeln entwickelt (Ananeanes, Neanes
usw.). Die Lehre der antiken Tonarten nach den Benennungen wie hypolydius, mixolydius
usw. war spätestens ab Boethius (ca. 480-524) im Westen bekannt, da Boethius diese
Begriffe aus Klaudios Ptolemaios entnommen hatte. Im Falle der Intonationsformeln, die
innerhalb eines Klangraums auf den Aufbau der Klanggeschlechter hinweisen, besteht
darüber kein Zweifel, daß diese Theorie byzantinischer Herkunft ist, da sie bei ihrem ersten
Auftreten in westlichen Traktaten als schwer verständlich gilt.37
Die Bezeichnungen der Intonationsformeln erscheinen erstmalig in lateinischen Trak-
taten des 9. Jahrhunderts, und zwar in einer im Vergleich zu den üblichen griechischen
Bezeichnungen leicht verdorbenen Form und ohne die Versuche, die man aus byzantini-
schen Musiktraktaten kennt, diese Bezeichnungen zu deuten.38 Es sei hier auf Aurelianus
von Réomé (Mitte des 9. Jahrhunderts) und seinen Traktat 'Musica disciplina'39 sowie auf
die berühmte theoretische Schrift 'Musica enchiriadis'40hingewiesen. Dort finden sich zum
ersten Mal die griechischen Bezeichnungen der Intonationsformeln,41 noch bevor sie in
byzantinischen Musikhandschriften bezeugt sind. Man geht davon aus, daß diese „eche-
matischen Formeln" in der Epoche von Karl dem Großen um 800 aufgenommen wurden,
zumal sie in allen karolingischen Tonarien vorkommen, deren Archetypus auf das Jahr 830
zurückgeht.42 Das karolingische Zeitalter stellt bekanntlich eine besondere Epoche der
fruchtbaren Kontakte zwischen Ost und West dar,43 eine Epoche, in der ζ. B. byzantinische

36
Gabriel Hieromonachos, Abhandlung über den Kirchengesang. Hrsg. v. Christian Hannick u. Gerda
Wolfram (Monumenta Musicae Byzantinae, Corpus scriptorum de re musica 1). Wien 1985, S. 38, Ζ. 27 u.
Kommentar S. 110 mit Hinweis auf Politika (Bekker 1340 a 18) und Problemata XIX (Bekker 920 b 29).
37
Vgl. Ν. Phillips, L'enseignement de la théorie des modes du IX e au XII e siècle. In: L'enseignement de la
musique au Moyen-Âge et la Renaissance. Colloque 5 et 6 juillet 1985. Royaumont 1987, S. 96-107.
38
Vgl. ζ. Β. Erotapokriseis des Pseudo-Johannes Damaskenos 76 unter dem Begriff ένήχημα.
39
J0rgen Raasted, The „Laetantis Adverbia" Of Aurelian's Greek Informant. In: Aspects de la musique
liturgique au Moyen Âge. Hrsg. von Christian Meyer. Paris 1991, S. 55-66.
40
Vgl. dazu die jüngste Abhandlung von Dieter Torkewitz, Das älteste Dokument zur Entstehung der
abendländischen Mehrstimmigkeit. Eine Handschrift aus Werden an der Ruhr: das Düsseldorfer Fragment
(Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft 44). Stuttgart 1999.
41
Vgl. Michael Huglo, L'introduction en Occident des formules byzantines d'intonation. Studies In Eastern
Chant 3 (1973), S. 81-90; M. Huglo, Les formules d'intonation en Orient et en Occident, in: Aspects de la
musique liturgique au Moyen Âge. Hrsg. von Christian Meyer. Paris 1991, S. 43-53.
42
Huglo, L'introduction [Anm. 41], S. 84.
43
Wie bereits im klassischen Werk von Ewald Jammers, Musik in Byzanz, im päpstlichen Rom und im
Frankenreich. Der Choral als Musik der Textaussprache (Abh. Heidelberger Akad. Wiss., Phil.-hist. Kl.
1962/1). Heidelberg 1962, hervorgehoben. Siehe auch die Aufsatzsammlung von Kenneth Levy, Gregorian
Chant And The Carolingians. Princeton 1998.

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60 Ch. Hannick, Die byzantinische Musikkultur

Hymnen ins Lateinische übertragen wurden und als Antiphonen für die Epiphanias-Oktave
in das Antiphonale aufgenommen wurden,44 wie in den 'Gesta Karoli magni' (II, 7)
berichtet.45
Gedanken zur Musik als Brücke zwischen Kulturen werden nicht selten angestellt.46 Zu
Recht wird dabei die Wirkung der Tonkunst als verbindendes Element im Verständnis
zwischen Gesellschaften, die sich im Laufe der Geschichte entfremdet haben, erkannt.
Obige Ausführungen verfolgen das Ziel, zu verdeutlichen, daß auf der Grundlage der
Musikkultur die griechische und die lateinische Welt als zwei schöpferische Stränge in
Europa, die sich aus den gleichen Inhalten der antiken Zivilisation genährt haben und diese
Zivilisation in andere Teile unseren Kontinents weitergetragen haben, im Mittelalter in
einem engen und wechselseitigen Verhältnis standen. Eine Grenzziehung zwischen beiden
Kulturkreisen, wie dies gelegentlich vorgeschlagen wird, beruht lediglich auf Ignoranz der
über Generationen hinweg gewachsenen kulturellen Strukturen.

Anschrift des Verfassers:


Prof. Dr. Christian Hannick
Julius-Maximilians- Universität Würzburg
Lehrstuhl für Slavische Philologie
Residenzplatz 2
97070 Würzburg

44
Vgl. dazu Oliver Strunk, The Latin Antiphones For The Octave of The Epiphany. Zbornik radova
vizantoloskog instituta 8/2 (Belgrad 1964), S. 417—4-26 (Nachdruck in: ders., Essays On Music In The
Byzantine World. New York 1977, S. 208-219); Jacques Handschin, Sur quelques tropaires grecs traduits
en latin. Annales musicologiques 2 (1954), S. 27-60; Joseph Lemarié, Les antiennes „Veterem hominem"
du jour octave de l'Epiphanie et les antiennes d'origine grecque de l'Epiphanie. Ëphemerides liturgicae 72
(1958), S. 3-38.
45
MGH, Scr. RG XII. Berlin 1962, S. 58.
46
Vgl. ζ. Β. Hans Schmidt, Gregorianik und byzantinische Musik. Zum Gegenüber der beiden Gesangskul-
turen. In: Die Begegnung des Westens mit dem Osten. Kongreßakten des 4. Symposions des Mediävisten-
verbandes in Köln 1991 aus Anlaß des 1000. Todesjahres der Kaiserin Theophanu. Hrsg. von Odilo Engels
und Peter Schreiner. Sigmaringen 1993, S. 417—432. Im September 2001 veranstalteten das Institut für
Deutsche Geschichte und Kultur Südosteuropas, München, zusammen mit dem Institut für deutsche
Musikkultur im östlichen Europa und dem Ethnologischen Museum Ljubljana ein musikwissenschaftliches
Symposion in Ljubljana über: Vereintes Europa - Vereinte Musik? Vielfalt und soziale Dimensionen in
Südosteuropa.

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