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Die mediale Darstellung der Wende ist überwiegend eine positive: jubelnde
Menschenmengen, die auf der Mauer saßen und David Hasselhoff, der zu
Sylvester in Berlin seine Hymne zum besten gab. Ohne Frage war der Mauerfall
einer der größten Triumphe der westlichen freien Welt. Umso bitterer war für
viele daher der Kontrast, den die Folgezeit malte. Zunächst das euphorisierende,
einmalige Erlebnis der politischen Mitbestimmung einer wahrhaft aus dem Volk
entstandenen Bewegung, die eine unterdrückende Regierung stürzte, der Gipfel
bürgerlicher Selbstbestimmung. Dann jedoch die Ohnmacht des Gefühls, von
einem reicheren, bevölkerungsstärkeren Staat geschluckt zu werden. Neu
gebildete Parteien, die die Mitgestaltung durch Ostbürger sichern sollten,
wurden zwischen der finanz- und mitgliederstärkeren PDS auf der einen, und
den Ablegern westdeutscher Parteien auf der anderen Seite zerrieben. Letztere
kamen mit einem massiven Professionalisierungs-, Organisations- und
Ressourcenvorsprung. Nachdem die alten Eliten der SED weggebrochen waren,
die neuen autochthonen Wortführer noch zu unerfahren und viele der
kompetenteren Köpfe sich dem Massenauszug anschlossen, war der Weg
dahingehend geebnet, dass alle relevanten strategischen Akteure nun von außen
nach innen wirkten. Es machte sich das Gefühl des Überrolltwerdens breit. Das
Recht auf Selbstbestimmung hatte es aufs Papier geschafft, doch für viele blieb
es dort und eine harte Vormundschaft wurde von einer weichen abgelöst. Die
Ostdeutschen blieben politisch passiviert. Zum Teil hält das bis heute an, nicht
zuletzt auch deshalb, weil die Rekrutierungsfähigkeit der Parteien bei der
Mitgliedergewinnung in den neuen Bundesländer wesentlich geringer ausfällt,
und zwar nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch relativ. Folglich haben die
Stimmen der Landesverbände auch wenig Gewicht.
So bitter das Gefühl, nicht repräsentiert zu werden auch sein mag, es bleibt ein
vages. Direkteren Einfluss auf das Leben der Menschen hat natürlich ihre
wirtschaftliche Situation. Im ersten Jahr nach der Wende brach die
Industrieproduktion in Ostdeutschland um 40 Prozent ein. Eine voll organisierte
Gesellschaft der Arbeiter mit Beschäftigungsgarantie stand nun vor der
Massenarbeitslosigkeit. Von den im Jahr 1989 Erwerbstätigen arbeiteten zwei
Drittel vier Jahre später nicht mehr im ursprünglichen Beruf, bei Personen im
höheren Leitungswesen waren es 90 Prozent. Fest jeder Zweite war bis 1996
zumindest einmal arbeitslos, dazu kamen massenhaft
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Umschulungen, Kurzarbeit und Vorruhestand.
In letzteren gingen über eine Million Menschen, bei nur 8,6 Millionen
Erwerbstätigen. Damit verbunden waren soziale Vereinsamung und finanzielle
Einbußen. Männer, die 1971 geboren worden sind, wechselten bis sie 34 Jahre
alt wurden durchschnittlich fünfmal den Beruf und in den ersten Jahren waren
Abstiege mehr als dreimal häufiger, als Aufstiege, wovon besonders
höherqualifizierte Männer betroffen waren.
Trotz nun ansteigenden Quoten an Universitätsplätzen auf Westniveau stellte
sich auch kein Sog nach oben ein, da selbst Akademiker in einer
zusammenbrechenden Wirtschaft kaum ihren Platz fanden. In der 90er Jahren
haben es nur zirka ein Drittel der Söhne geschafft, einen besseren Status als ihre
Väter zu erlangen. Heute sind es sogar nur noch ein Viertel. Während sich die
Auf- und Abstiege in den neuen Bundesländern in etwa die Waage halten, sind
in den alten Bundesländern Aufstiege doppelt so häufig. Diese Statistik ist umso
bitterer, wenn man bedenkt, dass das Wohlstandslevel im Osten sowieso bereits
geringer ausfällt. Übrigens sind sogar in Ostdeutschland selbst nur 23 Prozent
der höheren Stellen in Wirtschaft, Medien und Politik von gebürtigen
Ostdeutschen besetzt.
Demografischer Knick
Die neuen Bundesländer sind im Schnitt strukturschwache Regionen. Junge,
ambitionierte Menschen mit Potential suchen tendenziell ihr Glück lieber
woanders. Doch Talentschwund ist nicht das einzige, was demografischen
Druck aufbaut. Zur Wende war die Zukunft Vieler so unsicher, dass die
Geburten ruckartig absackten und zunächst nur verschobene Schwangerschaften
kamen schließlich gar nicht mehr zustande. Der Geburtenknick betrug
erschütternde 50 Prozent und bis heute wurden selbst die tiefsten Geburtsquoten
der DDR nie wieder erreicht. Das Ausbleiben einer neuen Generation hatte
fatale Auswirkungen auf die Infrastruktur. Etlichen Filialen fehlt es an
Absatzmarkt und Schulen wurden reihenweise geschlossen. Die ostdeutsche
Wirtschaft steht bis heute vor großen Herausforderungen, die sie in den
vergangenen Jahrzehnten nicht meistern konnte.