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Interview 08.09.

2008 Der Tagesspiegel


Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes zum 11. September

Sieben Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erscheinen Taliban und Al
Qaida trotz vieler Verluste im Kern unbesiegbar. Geht der Kampf gegen den
islamistischen Terror verloren?
Uhrlau: Der Kampf geht nicht verloren, aber er dauert länger, als viele nach dem 11.
September erhofft oder erwartet haben. Der islamistische Terror bleibt für die
Sicherheitsbehörden die zentrale Herausforderung der nächsten zehn bis zwanzig Jahre.
Die Annahme, nach größeren Fahndungserfolgen sei das Schlimmste überstanden, ist
falsch. Aber die internationale Staatengemeinschaft hat Al Qaida schwer zugesetzt. Die
Organisation hat nicht mehr die Kraft, die sie vor dem Einmarsch der Amerikaner in
Afghanistan im Herbst 2001 hatte. Und im Irak ist es den Amerikanern gelungen,
sunnitische Kämpfer gegen Al Qaida zu "drehen". Auch die Aktivitäten in Saudi-
Arabien und im Jemen sind deutlich eingedämmt.

In Afghanistan häufen sich die Angriffe der Taliban auf die Bundeswehr. Wie stark
steigt die Gefahr für die Soldaten?
Uhrlau: Im Verantwortungsbereich der Bundeswehr zählen wir nur zwei Prozent aller
sicherheitsrelevanten Zwischenfälle in ganz Afghanistan. Doch ausgerechnet im Distrikt
Kundus innerhalb der Provinz Kundus, wo ein deutsches Wiederaufbauteam stationiert
ist, werden die meisten der Anschläge verübt, die in den Nordprovinzen registriert
werden. Das hat auch ethnische Gründe, denn in Kundus sind die Paschtunen stark. Und
bei den Taliban dominieren die Paschtunen. Außerdem entscheidet im Herbst der
Bundestag über die Fortsetzung des Bundeswehr-Einsatzes. Die Taliban kalkulieren die
Befindlichkeiten der Länder ein, die Truppen stellen. In der Hoffnung, die jeweilige
Regierung gerate so unter Druck, dass sie ihre Soldaten abzieht.

Ist Al Qaida weiter ein Angriff in der Dimension des 11. September zuzutrauen?
Uhrlau: Ich sehe nicht, dass Al Qaida dazu noch in der Lage ist. Der 11. September ist
nicht wiederholbar. Die Situation hat sich nach 2001 grundlegend geändert. Vorher
konnte sich Al Qaida in Afghanistan unter dem Schutz der Taliban professionalisieren.
Al Qaida konnte sich in Afghanistan frei bewegen und Trainingslager betreiben. Das ist

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vorbei. Deshalb ist Al Qaida nicht mehr in der Lage, vergleichbar aufwändige
Anschläge wie die vom 11. September ungestört vorzubereiten und zu verüben. Durch
die vielen Zugriffserfolge der international kooperierenden Sicherheitsbehörden wird
die Al-Qaida-Struktur ständig unter Druck gehalten. Und gerade in Westeuropa wird es
für Terroristen angesichts der Fahndungserfolge schwerer, über die Planung eines
Anschlags hinauszukommen.

Dann wäre doch das Schlimmste ausgestanden . . .


Uhrlau: Nein. Sprengstoffanschläge mit enormer Wirkung sind weiterhin zu erwarten.
In vielen Ländern versuchen die so genannten homegrown terrorists, oft radikalisiert
über das Internet, auf eigene Faust Anschläge zu planen. Gefährlicher als diese
Amateure, die oft an handwerklichen Fehlern scheitern, sind allerdings Islamisten, die
sich im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet zu Attentätern ausbilden lassen.
Bekanntlich befinden sich dort auch mehrere Deutsche. Außerdem schließen sich in
islamischen Ländern immer wieder Anführer militanter Gruppen Al Qaida an. Ein
Beispiel, das uns Sorge bereitet, ist das Bündnis nordafrikanischer Terroristen mit der
Bezeichnung „Al Qaida im islamischen Maghreb“. Die tonangebenden algerischen
Terroristen verüben inzwischen mehrere, aufeinander abgestimmte
Selbstmordanschläge, was vorher nicht zum „modus operandi“ gehörte. Die algerischen
Behörden wurden überrumpelt, trotz ihrer Erfahrungen aus dem Bürgerkrieg mit den
Islamisten in den neunziger Jahren.

Wie konnten die schon fast besiegten algerischen Terroristen wieder erstarken?
Uhrlau: Nach den Amnestien des algerischen Staates für inhaftierte Kämpfer des
Bürgerkriegs sind viele wieder in den Dschihad gezogen. Dem nordafrikanischen Al-
Qaida-Zweig ist es außerdem gelungen, Trainingscamps in Mauretanien einzurichten
und im Norden Malis Rückzugsräume zu etablieren. In dem Bündnis machen sogar
Islamisten aus dem Norden Nigerias mit. Die Gefahr strahlt aber auch nach Süd- und
Westeuropa aus. Die nordafrikanische Al Qaida erhebt Anspruch auf das alte „al-
Andalus“, die einst von islamischen Fürsten zum Teil beherrschte iberische Halbinsel.
In den europäischen Ländern mit größeren nordafrikanischen Minderheiten, von
Spanien über Frankreich bis Belgien, wächst die Gefahr, dass „Al Qaida im islamischen
Maghreb“ Attentäter rekrutiert.

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Im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet verfügen Taliban und Al Qaida über eine
sicheres Refugium. Können Osama bin Laden und sein Stellvertreter Aiman al
Sawahiri, die dort unter dem Schutz paschtunischer Stämme leben, wieder Anschläge
planen?
Uhrlau: Bin Laden und Sawahiri inspirieren ideologisch die Dschihadisten weltweit.
Aber operativ können sie nicht eingreifen. Die Al-Qaida-Filialen im Irak und in
Nordafrika sind unabhängig. Bin Laden und Sawahiri kompensieren ihre Schwäche mit
den Video- und Tonbandbotschaften, die über das Internet verbreitet werden. Vor allem
Sawahiri, der sich immer öfter zu Wort meldet, ist zu einem Dauerkommentator
heruntergekommen.

Dennoch bleibt es vor allem für die USA demütigend, die zentralen Hintermänner des
11. September nicht fassen zu können. Ist denn zu erwarten, dass die pakistanischen
Sicherheitskräfte nach dem Rücktritt des oft zögerlichen Präsidenten Pervez Musharraf
härter gegen die Fluchtburgen von Al Qaida und Taliban vorgehen?
Uhrlau: Selbst wenn sich Musharrafs mutmaßlicher Nachfolger Asif Ali Zadari stärker
engagieren sollte – auch ihm würde in den pakistanischen Stammesgebieten die
Kooperation verweigert. Es gehört zum Ehrenkodex der Paschtunen, einen geschützten
Gast nicht zu verraten. Schon gar nicht an die ungläubigen Amerikaner, selbst wenn sie
50 Millionen Dollar bieten.

Kommen wir zum BND selbst. Sein Ansehen war nach Affären wie der um das
Aushorchen von Journalisten beschädigt. Haben Sie sich mit Operationen wie der Hilfe
bei der Aufdeckung von Steuerflucht nach Liechtenstein oder der Vermittlung im
Austausch zwischen Israel und Hisbollah wieder berappelt?
Uhrlau: Wir haben auch während der Zeit, in der wir öffentlich in der Kritik standen,
unsere Leistungsfähigkeit behalten und erfolgreich gearbeitet. Wenn das nun öffentlich
wahrgenommen wird, freut es mich.

Was wusste der BND, als die Krise zwischen Georgien und Russland eskalierte?
Uhrlau: Wir haben in kurzer Zeit aus vielen Einzelheiten ein Bild zusammengesetzt,
durch das sich die Bundesregierung gut über die Vorgänge im Südkaukasus informiert
fühlte. Wir freuen uns sehr über diese Anerkennung.

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Im Herbst wird sich der BND-Untersuchungsausschuss des Bundestages mit der Rolle
der BND-Agenten in Bagdad während des Irakkrieges beschäftigen. Worauf stellen Sie
sich ein?
Uhrlau: Lassen Sie es mich salopp sagen: Ich erwarte „the same procedure as every
year“. Zum Beispiel die Skandalisierung von Aktionen, die im geheimen
Regierungsbericht zu den Vorwürfen längst dargelegt sind. Wir sitzen am kürzeren
Hebel: Die Geheimhaltungsvorschriften hindern uns oft, Vorhaltungen zu widerlegen,
indem wir den wahren Sachverhalt an die Öffentlichkeit bringen.

Der BND hat sich wegen seiner Aktionen im Irakkrieg nichts vorzuwerfen?
Uhrlau: Ich versichere Ihnen: Der BND hat sich nichts vorzuwerfen! Er hat sich streng
an die Vorgaben gehalten. Ich bin davon überzeugt, dass auch der
Untersuchungsausschuss zu diesem Ergebnis kommen wird.

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